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Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
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2021 | Heft 3 September Welche Strategien und Lösungen für klimaschonende Mobilität stehen Technologiewandel Heft 3 | September 2021 73. Jahrgang POLITIK Berliner Mobilitätsgesetz - ein Erfolg? INFRASTRUKTUR Wie sich die Region Frankfurt fit macht LOGISTIK Elektrischer Güterverkehr auf der Straße MOBILITÄT Strategien für urbane und ländliche Räume TECHNOLOGIE Synthetische Kraftstoffe für die Verkehrswende INTERNATIONAL TRANSPORTATION Focus on Europe and Africa www.internationalesverkehrswesen.de DAS FACHMAGAZIN FÜR DIE JACKENTASCHE Lesen Sie Internationales Verkehrswesen und International Transportation lieber auf dem Bildschirm? Dann stellen Sie doch Ihr laufendes Abo einfach von der gedruckten Ausgabe auf ePaper um - eine E-Mail an service@trialog.de genügt. Oder Sie bestellen Ihr neues Abonnement gleich als E-Abo. 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Der Traum von entflochtenen, staufreien Verkehrsströmen durch Nutzung der dritten Dimension mittels nahezu geräuschloser, vollautomatisierter Flugobjekte zu attraktiven Preisen beschäftigt seitdem viele Stadtplaner, Fluggeräte-Entwickler, Ökonomen und Kommunen. Wir sehen nun, einige Jahre später, dass diese Ideen durchaus belastbar sind, wie erste Demonstrationsflüge deutscher Pionierunternehmen zeigen. Allerdings liegt die Herausforderung unverändert in der Zulassung hochautomatisierter Transportgeräte oder aber der Regelung der Nutzungsrechte des Luftraums über Ballungsgebieten unter hohen Sicherheitsanforderungen. Seit einem Jahr greift die neue EU-Durchführungsverordnung 2019/ 947 zur unbemannten Luftfahrt, die diese Herausforderungen noch verschärft: Dort heißt es schlicht: „UAM muss so sicher wie konventionelle Luftfahrt sein“. Derartige Nachweise zu erbringen, ist offensichtlich hoch komplex, da wir statistisch nur sehr selten Unfälle in der Luftfahrt erleben. Es wird also noch etwas dauern, bis der erste „Vertiport“ als Start- und Landplatz für kommerzielle Lufttaxis in einer deutschen Stadt die Pforten öffnet. Aber die Synthese in der Forschung zu den Themen elektrische Antriebe, kombiniert mit der Wasserstoffstrategie des Bundes, die lärmphysikalische Modellierung von mehrfachen Rotorblattsystemen mit Elektromotor zur Erfassung von Betroffenheiten am Boden sowie das U-Space-System zur Integration dieser neuen Fluggeräte mittels Registrierung, Geo-Sensibilisierung und Fernidentifikation lassen mich zuversichtlich sein - Urban Air Mobility wird im kommenden Jahrzehnt Realität! Liebe Leser, bis dahin sind viele flankierenden Maßnahmen im Bereich Markt und Innovation, juristische Aspekte wie das Mobilitätsgesetz und verfahrenstechnisch die effiziente Erzeugung von möglichst grünem Wasserstoff sowie die E-Mobilität in der Logistik anzugehen, die wir im vorliegenden Heft aufgreifen. Lassen Sie uns den guten industriellen Start in Deutschland in dieses spannende Thema aufnehmen, und Politik, Gesellschaft und natürlich auch Universitäten ermuntern, in engem Dialog die Realisierung nachhaltiger, technologisch innovativer Mobilitätskonzepte unter dem Slogan „Made in Germany“ zu Ende zu denken und zu implementieren. Ich wünsche Ihnen wie immer eine spannende Lektüre Ihr Hartmut Fricke Prof. Dr.-Ing. habil. Leiter der Professur Technologie und Logistik des Luftverkehrs, Fakultät Verkehrswissenschaften der TU Dresden Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 4 THEMEN, SCHLAGWORTE, AUTOREN, … Schlagen Sie einfach nach: Fach- und Wissenschafts-Artikel aus Internationales Verkehrswesen finden Sie-ab dem Jahr 2000 online in der Beitragsübersicht - auf der Archiv-Seite im Web. www.internationales-verkehrswesen.de/ archiv POLITIK INFRASTRUKTUR 24 Keolis startet in den Verkehr der Zukunft PSIebus-Einführung remote wegen Corona-Lockdown Jost Geweke 26 Wasserstoffbedarfsprognose für die Region Frankfurt Potentiale im Bereich Transportlogistik, ÖPNV und Binnenschifffahrt sowie für Spezialfahrzeuge Kristian Junker Janina Erb Roman Flatau Thorsten Sickenberger WISSENSCHAFT 18 Resilienz im Bahnwesen Betrachtungen zum Resilienzbegriff, seiner Anwendung in der Wissenschaft und einer Übertragung ins Eisenbahnwesen Philipp Schneider Birgit Milius LOGISTIK Foto: Projekt MH2Regio / Mainova AG SEITE 26 Foto: Kurt Cotoaga / Unsplash SEITE 50 Foto: Julia Joppien / Unsplash SEITE 10 31 Corona und die Auswirkungen auf die Logistik Eine Branche im Ausnahmezustand Julian Reiser Christian Kellner 36 Einsatz elektrischer Transporter Handlungsempfehlungen für KEP-Unternehmen, Politik und Hersteller Philipp Altinsoy Petra Schäfer 40 Elektrifizierung des Straßengüterverkehrs Kraftstoff- und Stromverbrauchsanalyse von Oberleitungs-Hybrid-Lastkraftwagen Ferdinand Schöpp Özgür Öztürk Regina Linke Jürgen K. Wilke Manfred Boltze 46 Der Bahnmöbelwagen Ein Urahn des Kombinierten Verkehrs Armin F. Schwolgin WISSENSCHAFT 10 Drei Jahre Berliner Mobilitätsgesetz Wie der institutionelle Umbau die Berliner Verwaltung handlungsfähig für die Umsetzung macht Sophia Becker Anke Sterz INTERNATIONAL 50 Challenges for shipping companies when choosing an alternative fuel Jürgen Sorgenfrei 53 Logistics innovation and knowledge transfer in Cameroon Hans-Dietrich Haasis Victor Tsapi Anna Förster 56 Bridging the gender data divide in African cities Leveraging the power of data to ensure women’s mobility needs are centre stage Ariadne Baskin Leonie Guskowski 58 Assessment of autonomous moving vehicles From theoretical approaches to practical test procedures Heinz Doerr Andreas Romstorfer 60 Pan-European transportation matters Selected “European Friedrich- List-Prize” submissions Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 5 INHALT September 2021 INTERNATIONAL International Transportation - Collection 2021 Missed a piece? - The international Special Edition will cover the collected range of this year’s English articles, and appears as e-journal. Publishing date: 4 October 2021 www.international-transportation.com Aktuelle Themen, Termine und das umfangreiche Archiv finden Sie unter www.internationales-verkehrswesen.de TECHNOLOGIE RUBRIKEN 03 Standpunkt 06 Im Fokus 09 Kurz + Kritisch 17 Bericht aus Brüssel 102 Forum Veranstaltungen 106 Impressum | Gremien 107 Vorschau AUSGABE 4 | 2021 95 Wasserstoffwirtschaft in Zukunft unverzichtbar - aber (noch) teuer Hans Sommer 98 „Digitalisierung hat Verkehrsunternehmen ein Stück weit gerettet“ HanseCom-Geschäftsführer Martin Timmann im Redaktionsinterview 100 Die Revolution im Tank Synthetische Kraftstoffe für die Mobilitäts- und Energiewende - Standpunkt Ville Rimali Foto: Neiberger SEITE 84 Foto: Baranekstuttgart / Wikimedia SEITE 95 MOBILITÄT 76 Mobilitätsentwicklung im Münsterland Bedarfsgerechte Gestaltung der Anbindungen des ländlichen Raums im Bürgerlabor mobiles Münsterland Sabine Bertleff Philipp-Armand Klee Benjamin Lender Philipp Bickendorf Stefan Ladwig 80 Kundenwert - die zwei Seiten einer Medaille Value-to-Value-Segmentierung für die traffiQ Lokale Nahverkehrsgesellschaft Frankfurt am Main Andreas Krämer Robert Bongaerts Tom Reinhold 84 Bus Rapid Transit-Verbindungen im ländlichen Raum? Ein Bewertungssystem zur Untersuchung von Ausbaupotentialen von Schnellbuslinien Anja Scheufler Cordula Neiberger WISSENSCHAFT 88 On-Demand-Angebote als Bestandteil des ÖPNV Nutzungsmuster und Auswirkungen auf die Verkehrsmittelentscheidung in einem Hamburger Stadtrandgebiet Tyll Diebold Felix Czarnetzki Carsten Gertz Zukunftsfähige Infrastruktur - Neue Transportwege - Wertschöpfungsketten - Verkehr im urbanen Raum Special: Mobilitätsmonitor Nr. 13 Erscheint am 10. November 2021 Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 6 IM FOKUS Anflugmanagement von Großflughäfen: Mit Sicherheitskennzahlen Kapazitäten steigern I n den vergangenen 75 Jahren hat sich der Luftverkehr enorm verdichtet und pendelt aktuell um die drei Millionen kontrollierte Flüge pro Jahr allein über Deutschland und mehr als zehn Millionen Flüge über Europa. Die heutige Anflugsteuerung an (Groß-)Flughäfen unterliegt im operationellen Betrieb steten Schwankungen, bedingt durch Wetter und Verkehrszusammensetzung. Dabei werden derzeit nur betriebliche Leistungsindikatoren erfasst, abgesichert durch konservative - und damit kapazitätsrestriktive - Regeln zu Separationswerten zwischen den Luftfahrzeugen. Das System arbeitet dadurch zwar stets in einem sicheren, aber eben nicht gesamtoptimalen Betriebszustand. Prof. Hartmut Fricke und sein Team von der Professur für Technologie und Logistik des Luftverkehrs an der Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ der TU Dresden wollen dies jedoch im Förderprojekt „Sicherheitsoptimierte Anflugsteuerung auf große Flughäfen“ erreichen. Die aktuelle kapazitätskritische Anflugsteuerung wird mittels an der Professur entwickelter Sicherheitsanalyseverfahren in einen Gesamtprozess als Online-Verfahren integriert. So soll eine taktische Ebene erreicht werden, auf der Sicherheitsanalysen ständig in die Leistungsbewertung einfließen - und diese erhöhte Sicherheit soll die Nutzung zusätzlicher Luftraum- und Pistenkapazitäten im Betrieb erlauben. Zudem soll auch erforscht werden, wie sich durch Einsatz eines solchen Verfahrens der Automatisierungsgrad in der Flugsicherung erhöhen lässt und wie diese zunehmende Automatisierung auf die Verkehrssicherheit wirkt. Das konzipierte Sicherheits-/ Leistungsanalysemodell soll mithilfe von Methoden des maschinellen Lernens und Verfahren der Systemmodellierung schließlich prognosefähig gemacht werden, um die erforderliche Voraussicht auf die kommende Verkehrslage zu ermöglichen. www.tu-dresden.de/ bu/ verkehr Foto: Lars Nissen / pixabay Elektro-Carsharing: Das Dorfauto zieht Kreise F ür eine nachhaltige Verkehrswende wird neben der Abkehr vom Verbrennungsmotor auch ein anderes Verhältnis zum Auto-Besitzen notwendig sein. In einigen Dörfern des Landkreises Rhein-Hunsrück wächst nun die Erkenntnis, dass der Alltag auch ohne den eigenen Zweitwagen ganz gut funktioniert: Teilen schont die Umwelt und entlastet zugleich die privaten Haushaltskassen. In dem auf drei Jahre angelegten Modellprojekt „E-Dorfauto“ sind seit Dezember 2019 acht Elektroautos reihum im Landkreis unterwegs, jedes dieser Fahrzeuge kann von den Bürgerinnen und Bürgern des jeweiligen Standort-Dorfes kostenfrei genutzt werden. Registrierung und Nutzungsvertrag sind Voraussetzung, dann wird ein kleiner Chip auf den Führerschein geklebt, mit dem sich das Auto öffnen lässt. Gebucht wird über eine eigene Software im Internet. Zur Projekt-Halbzeit haben sich mehr als 600 Interessierte als Nutzer registrieren lassen, um von dem Schnupper-Angebot Gebrauch zu machen. Durchschnittlich rund 35.000 Kilometer ist jedes Dorfauto in eineinhalb Jahren emissionsfrei gelaufen - weit mehr als das Doppelte dessen, was Car- Sharing-Betreiber üblicherweise erwarten. Nun hat der Rhein-Hunsrück-Kreis für Gemeinden, die in Eigenregie ein Dorfauto unterhalten wollen, einen monatlichen Zuschuss von 250 Euro ausgelobt. Eine Reihe von Folgeprojekten zeichnet sich schon ab, und auch außerhalb des Landkreises gibt es Nachahmer. Die Dörfer Staudt im Westerwald und Illerich in der Eifel haben je ein Elektro-Dorfauto angeschafft. Der benachbarte Landkreis Mayen-Koblenz hat das komplette Modell aus dem Hunsrück übernommen und stellt demnächst zehn Fahrzeuge für seine Gebietskörperschaften bereit. www. energieagentur.rlp.de Foto: Werner Dupuis Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 7 IM FOKUS Software für die Mobilität von morgen E-Mobilität Personaldisposition, Depot- und Lademanagement für E-Busse aus einer Hand www.moveo-software.com Internationales Verkehrswesen 2021-05-12 102 x139mm unten rechts PSI Moveo.indd 1 Internationales Verkehrswesen 2021-05-12 102 x139mm unten rechts PSI Moveo.indd 1 16.04.2021 16: 04: 13 16.04.2021 16: 04: 13 Adsorptionskältemaschine kühlt mit Abwärme des-Schiffmotors I m Rahmen des Forschungsprojekts Engimmonia wird das Münchener Unternehmen Fahrenheit für die Mittelmeerfähre „F/ B Elyros“ der griechischen Reederei Anek Lines eine optimierte Adsorptionskältemaschine entwickeln, welche die Abwärme des Schiffmotors für die Kühlung des Passagierbereichs nutzt. Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) will die globalen Netto- Treibhausgas-Emissionen der Schifffahrt bis 2050 um mindestens 50 Prozent senken, bis 2030 bereits um mindestens 40 Prozent. Zum Ende des Jahrhunderts soll die internationale Schifffahrt vollständig dekarbonisiert sein. Am 1. Mai 2021 startete daher das auf vier Jahre angelegte EU-Forschungsprojekt Engimmonia, das die weltweite Einführung alternativer Kraftstoffe wie Ammoniak fördern und bereits an Land bewährte saubere Energietechnologien auf den maritimen Sektor übertragen soll. Die auf nachhaltige Energielösungen spezialisierte Fahrenheit GmbH wird in dem Projekt optimierte Kühllösungen mit Adsorptionskältemaschinen speziell für den Einsatz auf Schiffen entwickeln, unterstützt von Forschern des Instituts für fortgeschrittene Energietechnologie „Nicola Giordano“ ITAE (CNR). Eine Adsorptionskältemaschine kühlt Wasser ab, das anschließend dazu dient, Räume zu klimatisieren oder beispielsweise Maschinen, Server oder andere Prozesse zu kühlen. Die Besonderheit der Adsorptionskälte ist, dass sie Wärme, wie zum Beispiel Fernwärme oder Maschinenabwärme, anstatt Strom als Hauptantriebsenergie nutzt. Im ersten Schritt geht es darum, das beste Materialpaar aus Sorptions- und Kältemittel zu identifizieren. Auf dem Weg zum endgültigen Prototyp wird das ITAE verschiedene Konfigurationen von Adsorptionsmodulen und Wärmetauschern testen, die Fahrenheit anschließend optimiert. Der endgültige Prototyp geht anschließend auf der Fähre der griechischen Reederei Anek Lines, in Probebetrieb. Das Konsortium des Forschungsprojekts Engimmonia setzt sich aus 21 Partnern aus 9 Ländern zusammen. Darunter sind Unternehmen aus der Schiff- Industrie sowie Universitäten und Forschungsinstitute. Engimmonia hat Fördermittel aus dem Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 der Europäischen Union erhalten. www.fahrenheit.cool Bild: Anek Lines Strom laden mit Quittung - überall B isher konnte Autostrom an privaten und quasi-privaten Ladesäulen wie etwa im Einzelhandel, bei Dienstleistern oder bei Nachbarn nur kostenlos angeboten werden - der Abrechnungs- und Belegvorgang war einfach zu kompliziert. Unternehmen können zwar die abgegebene Energie als Werbungskosten steuerlich absetzen, doch so bezahlen unter dem Strich alle, was wenige nutzen. Das Energie-Start-Up Stromdao aus Baden-Württemberg will nun eine steuerrechtlich saubere Lösung für geteiltes Laden anbieten, die laut eigener Aussage von allen Instanzen der Finanzbehörden geprüft und freigegeben wurde. Der rechtskonforme Beleg zur Abrechnung weniger Kilowattstunden enthält sowohl die Pflichtvorgaben für Finanz- und Wirtschaftsministerium als auch alle notwendigen Angaben, die den Ladekunden die Zusammensetzung des Ladestrompreises transparent machen. Die Quittung fürs Autostrom tanken ist in Verbindung mit dem Corrently Autostromtarif für privaten und geschäftlichen Einsatz verfügbar und soll entspanntes, sauberes „Umherstromern“ mit dezentralem, regionalem Ökostrom ermöglichen. www.stromdao.de Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 8 IM FOKUS EnaBle-Projekt: Wasserstoff-elektrische Antriebe für-die-Luftfahrt A uch der Luftverkehr muss in Zukunft sauberer werden. Besonders vielversprechend für umweltfreundliche Flugantriebe sind Hybridsysteme, die Brennstoffzellen und Batterien vereinen. Um den Weg bis zur industriellen Herstellung und gewerblichen Verwertung dieser Technologie zu beschleunigen, fördert das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie den Forschungsverbund EnaBle. Dabei geht es um die Weiterentwicklung und Optimierung eines hoch innovativen Hybridantriebssystems für den Flugverkehr, das Brennstoffzellen und Batteriesysteme vereint. Herzstück ist ein elektrisches 250 kW Antriebsstrangmodul mit Druckluft-gespeisten Brennstoffzellen. Beteiligt an dem Konsortium sind die Firmen Diehl Aerospace und MTU Aero Engines, zwei führende Industrieunternehmen aus dem Luftfahrtbereich, sowie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), die DLR-Ausgründung H2Fly und die Universität Ulm. An der Uni Ulm soll unter anderem das Luftversorgungsmodul für die Brennstoffzellen entwickelt werden. Druck-Aufladung macht Brennstoffzellen effizienter und ermöglicht höhere Leistungen. Dies ist besonders wichtig in Flugzeugen, die in großer Höhe und damit im Unterdruckbereich unterwegs sind. In der Ulmer Verantwortung liegt auch die Entwicklung und Optimierung des Leistungsmanagement-Systems, das präzise, schnell und ausfallsicher dafür sorgt, dass die Batterie bei hohem Leistungsbedarf zusätzliche Energie für den Antrieb zur Verfügung stellt und während des Fluges wieder geladen werden kann. Alleinstellungsmerkmal am Brennstoffzellen-Forschungsstandort Ulm ist ein Teststand, der in eine klimatisierte Unterdruckkammer integriert ist. So können ganze Antriebsstrangsysteme unter realistischen, flugrelevanten Bedingungen charakterisiert und getestet werden. Das Institut für Technische Thermodynamik am DLR kümmert sich speziell um die Entwicklung des Brennstoffzellen- und Batteriesystems. Triebwerkhersteller MTU Aero Engines arbeitet an der Gesamtintegration des Entwicklungskonzepts für Flugzeuge aus der Klasse der 19bis 80-Sitzer. Die DLR-Ausgründung H2Fly widmet sich im Rahmen von EnaBle insbesondere der Klärung sicherheitstechnischer Anforderungen und Fragen der Zulassung. Und Diehl Aerospace stellt eine sogenannte Integrierte Modulare Avionik (IMA) zur Verfügung, eine modulare rechnergestützte Elektronikeinheit aus standardisierten Komponenten und Schnittstellen, die im Flugzeug dafür sorgt, dass die verschiedenen Systeme miteinander kommunizieren können. www.uni-ulm.de Neuer Tunnel für die Hermann-Hesse-Bahn M it dem Tunnelanstich für den 498 Meter langen Neubautunnel Ostelsheim startet die größte Einzelmaßnahme im Rahmen des Projektes Hermann-Hesse-Bahn und Kernstück der reaktivierten Strecke westlich der baden-württembergischen Landeshauptadt Stuttgart. Die Hermann-Hesse- Bahn verbindet künftig Calw (Nagoldtalbahn) mit Renningen und bietet dort Umsteigemöglichkeiten in die S-Bahn S6 nach Stuttgart sowie die S60 nach Sindelfingen mit dem Daimler-Werk und weiter nach Böblingen. Das Reaktivierungprojekt soll die ÖPNV-Anbindung aus dem Nordschwarzwald in den hoch industrialisierten Ballungsraum Stuttgart deutlich verbessern und den klimafreundlichen Umstieg vom eigenen Auto auf die Bahn attraktiver machen. Auf der Hermann-Hesse-Bahn werden lokal emissionsfreie Züge mit kombiniertem Oberleitungs-/ Akku-Betrieb vom Typ Siemens Mireo Plus B eingesetzt. Auf dem Abschnitt Renningen - Weil der Stadt werden die Züge über die vorhandene Oberleitung aufgeladen, um dann auf dem Abschnitt Weil der Stadt - Calw im Akkubetrieb zu fahren. Dazu Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne): „Das Projekt Hermann-Hesse-Bahn mit dem tatkräftigen Engagement aus der Region kann etlichen anderen Vorhaben in Baden-Württemberg zur Reaktivierung stillgelegter Schienenstrecken als Vorbild und Ansporn dienen. Durch die Wiederinbetriebnahme der ehemaligen Württembergischen Schwarzwaldbahn entsteht ein attraktives Angebot klimafreundlicher Mobilität, das wir von Landesebene aus voller Überzeugung unterstützen und fördern.“ Die Klimaziele seien nur durch eine Verkehrswende zu erreichen. „Die Reaktivierung von Bahnstrecken ist dazu ein wichtiger Baustein.“ www.hermann-hesse-bahn.de       Neubau Haltepunkt Calw ZOB Barrierefreier Haltepunkt oberhalb des bestehenden Haltepunktes an der Nagoldtalbahn. Mit Aufzug, Treppenturm und Fußgängersteig Zugang zur Stadtmitte sowie in Richtung Kreiskrankenhaus.  Neuer Haltepunkt Calw-Heumaden Verlegung in Richtung des Ortsteils Heumaden geplant, um eine bessere Erreichbarkeit zu gewährleisten.  Neubau einer Eisenbahnüberführung in Calw-Heumaden Durch die Verlegung der B295 (2004) wurde der Bahndamm der „Württembergischen Schwarzwaldbahn“ abgetragen. Schließung der Lücke mit einer ca. 40 m langen und 7 m breiten Eisenbahnbrücke.  Ersatz für Bahnhof Althengstett Neuer Haltepunkt an der Eugen-Zeyher- Straße. Dadurch Verkürzung der Wege zum Ortskern, Schulzentrum und Rathaus.  Zweigleisiger Ausbau zwischen Ostelsheim und dem Hacksberg Zweigleisiger, 1,8 km langer Ausbau der Strecke. Züge der Hermann-Hesse-Bahn können sich somit auf der sonst eingleisigen Strecke im 30 Minuten-Takt begegnen.  Tunnel-Neubau am Hacksberg Abkürzung der Hacksbergschleife mit einer 820 m langen Neubaustrecke (davon 410 m als Tunnel). Das spart vier Minuten Fahrzeit und mehr als 2 km Wegstrecke pro Richtung. Die Erschließung des Bahnhofs Schafhausen und der Bau eines Haltepunktes in Dätzingen sind wegen deren Lage abseits der Ortskerne wenig sinnvoll.  Neubau einer Eisenbahnüberführung in Weil der Stadt Neubau einer Eisenbahnbrücke über die B295. Damit wird die Lücke, die durch den Abbau des Bahndamms beim Bau der Umgehungsstraße entstanden ist, geschlossen.  Neubau eines Bahnsteiges am Bahnhof Renningen Anschluss zur S6 Richtung Stuttgart und S60 Richtung Sindelfingen/ Böblingen. Geplante Infrastrukturmaßnahmen Das Zukunftsprojekt im Landkreis Calw  Grafik: Hermann-Hesse-Bahn Foto: Uni Ulm Gerd Aberle KURZ UND KRITISCH Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 9 Viele Hoffnungen und spekulative Annahmen S elten wurde in der Vergangenheit die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der weitgehend analogen (! ) verkehrlichen Logistik so intensiv diskutiert wie in der Covid-Pandemie und der Klima-Krise. Dabei wird der Personentransport zugunsten des Güterverkehrs deutlich verdrängt. Maritime Probleme der Seehafenüberlastungen vor allem in der VR China, fehlende Container-Verfügbarkeiten, extreme Wartezeiten der Schiffe in den Häfen und auf Reede - als Folge auch in wichtigen europäischen Häfen, führen zu Störungen in den industriellen Lieferketten. Sie schlagen als gesamtwirtschaftliche Störeffekte auf Produktionsprozesse und auch den Konsumbereich durch. Dies bis hin zu deutlich erkennbaren inflationären Entwicklungen. Die weitgehend ungebremste Tendenz des Einsatzes von Großschiffen, vor allem in der Container-Fahrt, führt auch zur Gefahrensteigerung durch Schiffsentführungen und Cyberkriminalität mit digitalen Eingriffen in die Schiffsteuerung. Die Schiffsversicherer passen bereits ihre Prämien an. Fast sämtliche klimapolitischen Strategien im Mobilitätssektor sehen den Schienenverkehr als wichtigen Rettungsanker oder sogar Heilsbringer. Und dies oft erstaunlich unkritisch. Finanzmittel für den Eisenbahn- und ÖPNV-Bereich werden vom Bund und den Ländern (und auch der EU) in kaum noch überschaubaren Volumina bereitgestellt. Aber das reicht nicht, um die Ansprüche einer Verkehrswende zu erfüllen. Verdrängt wird das Faktum der völlig unzureichenden Netzkapazitäten im Schienenverkehr. Seit Jahrzehnten hemmen in Deutschland Planungs- und Umsetzungsschwierigkeiten aufgrund massiver Widerstände sowohl direkt Betroffener wie auch einer Vielzahl von Verbänden mit Klagerechten alle wichtigen Neu- und Erweiterungsinvestitionen und führen zu Bauverzögerungen von bis zu 20 Jahren. Auch wenn es nur ein drittes Gleis ist, wie etwa zwischen Frankfurt Hbf. und Friedberg. Es geht aber vor allem um neue Ferntrassen für den Güter- und Personenverkehr, Umfahrungsmöglichkeiten bei im Eisenbahnverkehr unvermeidbaren Störungen und nicht nur um die (durchaus wichtigen) 740 m Überholgleise. Ohne wesentliche Kapazitätsausweitungen bleiben die klimapolitischen Hoffnungen eines entscheidenden Beitrages der Bahnen eben nur das was sie sind - Hoffnungen. Traurige Beispiele sind die Schienenzulaufstrecken zum bereits seit Jahren im Betrieb befindlichen Gotthard-Basistunnel (Karlsruhe-Basel) und zum Brenner-Tunnel (Rosenheim - Kufstein). Letzterer erreicht bereits deutliche Baufortschritte. Auf deutscher Seite wird mit Trassenfertigstellungen erst nach 2040 (! ) gerechnet. Der Schienengüterverkehr soll - so eine Vielzahl verkehrspolitischer Aussagen - um 70 % ansteigen und einen Modal-Split-Anteil von 25 bis sogar 30 % erreichen, vor allem zulasten des LKW. Und der Personenverkehr soll sich bis 2030 verdoppeln. Wie dies kapazitätsmäßig abgesichert werden soll, bleibt im Nebel. Planungs- und Umsetzungsbeschleunigungen beim Infrastrukturausbau werden auch von der EU-Kommission ständig gefordert. Überraschend hat die EU-Kommission am 9. Juni 2021 die Eröffnung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland beschlossen. Sie stört sich an dem im März 2020 vom Deutschen Bundestag beschlossenen sog. Maßnahmenmitwirkungsrechtegesetz (MgvG), durch das 13 Infrastrukturprojekte verfahrensmäßig beschleunigt durch reguläre Verwaltungsverfahren genehmigt werden sollen. Die Kommission sieht die Mitwirkungsrechte und Klagemöglichkeiten von Privaten und Verbänden nicht ausreichend gesichert. So weit die Realität. Die Umsetzung der (sinnvollen) CO 2 -Bepreisung fossiler Brennstoffe im Straßenverkehr wird allerdings dann konterkariert, wenn parallel den Betroffenen Ausgleichszahlungen, etwa durch Steigerung der Pendlerpauschalen, gewährt werden. Sinnvoll wäre es, den in Deutschland mittlerweile exorbitant hohen Strompreis durch Absenkung der besonders belastenden EEG-Umlage zu reduzieren. Von der Politik war die Reduzierung für 2021 versprochen worden, gesenkt wurde jedoch nur um einen lächerlich niedrigen Cent- Bruchteil. Politikversprechen eben. Der Deutschland-Takt im Personen- und Güterverkehr der Bahnen soll 2030 in erster Phase umgesetzt werden. Die unabdingbaren zusätzlichen Netzkapazitäten werden bis dahin nicht vorliegen. Ob sich bis 2035 daran etwas ändern wird, ist Spekulation. Ebenso die tatsächliche Entlastungswirkung der CO 2 -Belastung im Straßenverkehr. Hoffnungen ersetzen nicht das Handeln. ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 10 POLITIK Wissenschaft Drei Jahre Berliner Mobilitätsgesetz Wie der institutionelle Umbau die Berliner Verwaltung handlungsfähig für die Umsetzung macht. Berliner Mobilitätsgesetz, Implementierung, Planungsrecht, Radverkehr, ÖPNV, Fußverkehr Das Berliner Mobilitätsgesetz (MobG BE) hat große Erwartungen für einen schnellen Umbau der Hauptstadt zu einem menschen- und umweltfreundlichen Mobilitätsraum geweckt. Diese Arbeit bilanziert die Fortschritte in vier Handlungsfeldern - institutionelle Umstrukturierung, Planwerke, Beteiligung und Kommunikation, sowie bauliche und finanzielle Maßnahmen - und gibt Empfehlungen für ähnliche Gesetzesvorhaben in anderen Kommunen und Ländern. Dies erfolgt aus einer interdisziplinären Perspektive von Planungswissenschaft und sozialwissenschaftlicher Mobilitätsforschung. Sophia Becker, Anke Sterz V iele deutsche Städte arbeiten daran, die Mobilität besser zu organisieren und den Verkehr klimafreundlicher zu gestalten. Für eine solche Verkehrswende sind neue politische Rahmenbedingungen und neue Infrastrukturen notwendig. Das Berliner Abgeordnetenhaus hat dazu im Juni 2018 das deutschlandweit erste Mobilitätsgesetz (MobG BE) 1 verabschiedet. Das MobG BE beschreibt in der alten Fassung von 2018 (MobG BE a. F.) 2 zunächst umfangreiche Ziele und Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs und des ÖPNV. Im Februar 2021 wurde ein Abschnitt zur Förderung des Fußverkehrs hinzugefügt. Die Abschnitte zum Wirtschaftsverkehr und zu „neuer Mobilität“ befinden sich aktuell im Gesetzgebungsverfahren 3 . Im MobG BE werden die Ziele der Mobilitätsplanung des Landes Berlin in Form eines Grundlagengesetzes festgehalten. Dies geschieht durch Formulierung allgemeiner Handlungsziele für eine integrierte Mobilitätsgewährleistung in Berlin. 4 Die „Bewahrung und Weiterentwicklung eines auf die Mobilitätsbedürfnisse in Stadt und Umland ausgerichteten und dabei stadt-, umwelt-, sozialsowie klimaverträglich ausgestalteten, sicheren, barrierefreien Verkehrssystems als Beitrag zur individuellen Lebensgestaltung und zur inklusiven Lebensraumgestaltung“ 5 bilden dabei die Ziele des Gesetzes. Diese werden durch verkehrsträgerspezifische Ziele 6 für den ÖPNV, den Rad- und den Fußverkehr in Form unverbindlicher Regelungen 7 ergänzt. Damit weist das MobG BE eine hohe Gemeinwohlorientierung auf und geht über ein verkehrsplanerisches Regelungswerk hinaus. Übergeordnete gesellschaftliche Werte wie Sicherheit, Inklusion, soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz werden als Zielstellung des Gesetzes benannt. Dies steht teilweise im Kontrast zu sonst gängigen Zielstellungen verkehrsplanerischer Regelungswerke, wie beispielsweise finanzielle und technische Effizienz oder Zeitersparnis des motorisierten Verkehrs. Zusätzlich werden im MobG BE jedoch auf Gesetzesebene auch bereits Maßnahmen zur Umsetzung der Ziele normiert. Diese betreffen die institutionelle Ebene, die Aufstellung neuer Planwerke, neue Vorgaben zur Beteiligung und Kommunikation sowie konkrete bauliche und finanzielle Maßnahmen. Drei Jahre nach der Verabschiedung ist es Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen, wie sich das MobG BE in der Praxis von Politik, Verwaltung und Stadtgesellschaft bewährt hat. Das MobG BE wird im Folgenden als Fallstudie 8 betrachtet, um aus den bisherigen Lernerfahrungen mit dem Umsetzungsprozess des MobG BE Schlussfolgerungen für die Gestaltung neuer Mobilitätsgesetze in anderen Städten zu ziehen. Entstehungsprozess des MobG BE Berlin konnte in der vergangenen Dekade einen starken Zuwachs des Radverkehrs verzeichnen 9 . Gleichzeitig wurde die Radinfrastruktur nicht in angemessenem Umfang ausgebaut und ertüchtigt. Immer wieder kommt es zu zahlreichen Unfällen, bei denen Radfahrer schwer verletzt oder sogar getötet werden. Im Durchschnitt gab es in Berlin jährlich elf getötete Radfahrer in den Jahren 2010 bis 2020 10 . Die Unzufriedenheit mit der (nur partiell) vorhandenen Radinfrastruktur wuchs. Vor diesem Hintergrund wurde zu Beginn des Jahres 2016 der Volksentscheid Fahrrad (VEF) gestartet. Der VEF war ein PEER REVIEW - BEGUTACHTET Eingereicht: 24.06.2021 Endfassung: 08.08.2021 Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 11 Wissenschaft POLITIK Volksbegehren, mit dem das Land Berlin dazu verpflichtet werden sollte, sichere Infrastrukturen für den Radverkehr in der Hauptstadt zu schaffen. Die Aktivisten entwickelten im Rahmen eines Gesetzes-Hackathon ein sogenanntes Radgesetz, das ein Paket aus zehn politischen Zielen und Maßnahmen für einen besseren Radverkehr enthielt 11 . Dazu gehörte v. a. der Bau von zwei Meter breiten, baulich getrennten Radwegen an allen Hauptverkehrsstraßen, die konsequente Entschärfung von Unfallschwerpunkten, die Senkung der Verkehrstoten auf Null (Vision Zero), die Schaffung von 100 km Radschnellwegen und der Aufbau von Personalkapazitäten für Radverkehrsplanung in der kommunalen Verwaltung. Innerhalb weniger Wochen sammelten die Aktivisten des VEF mehr als 100.000 Unterschriften von Berliner Bürgern, wenngleich zunächst nur 20.000 Unterschriften notwendig gewesen wären, um das Volksbegehren weiter voranbringen zu können 12 . Diese breite Resonanz, verbunden mit einer sehr professionellen Öffentlichkeitsarbeit des VEF, brachte das Thema Radverkehr wirkungsvoll auf die politische Agenda für die unmittelbar bevorstehenden Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus (Landtagswahlen) im Herbst 2016 13 . Die anschließend neu gebildete Koalition aus SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/ Die Grünen einigte sich darauf, die Ziele des VEF größtenteils umsetzen zu wollen, was zur Folge hatte, dass das Volksbegehren auf formalem Wege nicht fortgesetzt wurde. Die nun von BÜND- NIS 90/ Die Grünen geführte und neu zugeschnittene Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (SenUVK) arbeitete in einem ko-kreativen Prozess das Gesetzesvorhaben mit den Aktivisten des VEF, sowie weiteren wichtigen Akteuren, aus. In diesem Zuge wurde aus dem Radgesetz ein Mobilitätsgesetz. Dies ist eine äußerst sinnvolle Entscheidung gewesen, da die Akzeptanz für neue Gesetzesvorhaben größer ist, wenn davon möglichst viele gesellschaftliche Gruppen profitieren und die Orientierung am Allgemeinwohl klar erkennbar-ist 14 . So wichtig die Aufbruchstimmung im partizipativen Entstehungsprozess des MobG BE auch war - sie hat große Erwartungen an das MobG BE geweckt, mit denen sich die Berliner Verkehrssenatorin Regine Günther auch im Berliner Wahljahr 2021 konfrontiert sieht. Immer wieder wurde der Senatorin seit dem Erlass des MobG BE im Juli 2018 vorgeworfen, es gehe mit der Umsetzung des Gesetzes viel zu langsam voran 15 . Dass das MobG BE ein „Gesetz“ ist, hat bei Fahrradaktivisten und in der medialen Berichterstattung die Erwartung geweckt, dass seit Juli 2018 keine infrastrukturelle Veränderung in Berlin mehr vorgenommen werden darf, die nicht sofort die im MobG BE formulierten Ziele für den Radverkehr einhundertprozentig umsetzt 16 . Gerade weil das MobG BE von der Zivilgesellschaft initiiert wurde, entstand der Eindruck, dass Politik und Verwaltung nun ohne größere Widerstände alle Ziele des MobG BE schnellstmöglich umsetzen könnten. Als Erfolgsindikator für die Umsetzung wurde allerdings oftmals hauptsächlich die Anzahl der gebauten Radwege-Kilometer herangezogen 17 . Auch wenn dies ein wichtiger Indikator für den Erfolg ist, so ist gerade in den ersten Jahren eines so neuartigen und pionierhaften Gesetzesvorhabens eine breitere, mehrdimensionale Betrachtung von „Erfolg“ und „Fortschritt“ in der Umsetzung unabdingbar. Dabei geriet nicht nur die notwendige Rekonfiguration des institutionellen Gefüges aus dem Fokus der Öffentlichkeit, sondern auch die Tatsache, dass das MobG BE nicht nur den Bau von Radwegen, sondern auch die Stärkung des ÖPNV, des Fußverkehrs, des Wirtschaftsverkehrs und der digital unterstützten Mobilität zum Ziel MobG BE Planfeststellungspflicht für Verkehrsanlagen Bundesfernstraßen [FStrG] Betriebsanlagen für Eisenbahnen [AEG] Betriebsanlagen für Straßenbahnen [PBefG] Straßen I.+II. Ordnung, selbstst. Geh- und Radwege [BerlStrG] Radschnellwegeverbindungen [BerlStrG] Planwerke StEP MoVE Räumliche Gesamtplanung Raumbezogene Planwerke d. Landes Berlin Für Verkehr zuständige Stellen d. Landes Berlin Änderung BerlStrG Beachtenspflicht § 20 Abs. 1 MobG BE Abwägungsbelang § 20 Abs. 4 + 5 MobG BE Abwägungsbelang § 20 Abs. 3 MobG BE Normative Grundlage Abwägungsbelang Konkretisierung der Ziele und Maßnahmen des StEP Planungsgrundlage NVP RVP FVP berücksichtigen § 20 Abs. 5 MobG BE Straßenverkehrsbehördliche Anordnung [StVO] öffentlicher Belang Konkretisierung der Ziele des MobG BE Bild 1: Einordnung und Wirkung des MobG BE im verkehrsplanerischen Gefüge Eigene Darstellung ((Legende)) Inhaltliche Modifizierung bestehender Planwerke nach Erlass des MobG BE Ergänzung des Gefüges nach Erlass des MobG BE Bestand abc Wirkung des MobG BE Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 12 POLITIK Wissenschaft hat. Es geht um nichts weniger als darum, das gesamte Mobilitäts- und Verkehrssystem der Hauptstadt umwelt- und menschenfreundlich umzugestalten 18 . Es lohnt sich also, genauer hinzuschauen, wo es in den vergangenen drei Jahren bereits Fortschritte bei der Umsetzung des MobG BE gab und welche Prozesse ins Stocken geraten sind. Dabei muss auch das bestehende verkehrsplanerische Gefüge beachtet werden. Einordnung des MobG BE in das verkehrsplanerische Gefüge Die Planung und Genehmigung, sowie der Bau und Betrieb von Verkehrsanlagen zur Deckung der Mobilitätsbedarfe 19 der Bevölkerung und des Wirtschaftsverkehrs, unterliegen in Deutschland einem über Jahrzehnte gewachsenen und etablierten Gefüge verschiedener bundes- und landesrechtlicher Regelungen in Gestalt von Gesetzen, Verordnungen, Plänen und Richtlinien. Durch Erlass des MobG BE wurde dieses Gefüge im Land Berlin um ein neues landesrechtliches Gesetz erweitert (siehe Bild 1). Das MobG BE bildet die normative Grundlage zur Erweiterung bereits vorhandener bzw. Aufstellung neuer Planwerke sowie von Programmen und Konzepten. Die allgemeinen Regelungen des MobG BE werden in den nachfolgenden Planwerken konkretisiert und sollen durch diese Wirksamkeit entfalten. Der ehem. Stadtentwicklungsplan (StEP) Verkehr bildet nun als StEP Mobilität und Verkehr (StEP MoVe) 20 die erste Konkretisierungsebene des MobG BE. In ihm werden die allgemeinen Ziele des MobG BE in integrierter, verkehrsmittel-übergreifender Betrachtung bewältigt 21 sowie die verkehrsmittelspezifischen Handlungsziele konkretisiert 22 und in einem Maßnahmenkatalog dargestellt. 23 Dabei hat der StEP MoVe als vom Senat beschlossenes 24 städtebauliches Konzept gem. § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB 25 i. V. m. § 4 Abs. 1 Satz 4 und 5 AGBauGB (Berlin) 26 jedoch nur empfehlenden Charakter. Dies bedeutet, dass seine Regelungen in die Abwägungsentscheidung anderer Planungen (u. a. raumbezogene Planwerke des Landes Berlin 27 , räumliche Gesamtplanung 28 ) einzustellen und zu berücksichtigen sind, jedoch in der Abwägung prinzipiell auch weggewogen werden können. Nur für die für Verkehr zuständigen Stellen des Landes Berlin, sind seine Regelungen jedoch verbindlich 29 . Die im StEP MoVe gesetzten Qualitäts- und Handlungsziele sind in separaten verkehrsspezifischen Planwerken - dem Nahverkehrsplan (NVP), 30 dem Radverkehrsplan (RVP) 31 und dem Fußverkehrsplan (FVP) 32 - zu konkretisieren, 33 wobei RVP und FVP gänzlich neue Planwerke darstellen. Die konkrete Umsetzung des NVP erfolgt durch Verkehrsverträge 34 . Für die konkrete Umsetzung des RVP und FVP sind bisher keine analogen Instrumente zum Verkehrsvertrag vorhanden. Eine weitere Konkretisierungsebene des MobG BE bilden Programme wie das Verkehrssicherheitsprogramm 35 und Konzepte wie das integrierte Wirtschaftskonzept 36 . Eine planerische und landesrechtliche Neuerung ist die Kategorie der Radschnellwege. Bereits 2017 wurde im FStrG die Grundlage für Finanzhilfen des Bundes zum Bau von Radschnellwegen in Straßenbaulast der Länder und Gemeinden geschaffen 37 . Da landesrechtlich in Berlin weder die Begrifflichkeit noch die Kategorie vorhanden war 38 , wurde im MobG BE der Begriff der Radschnellverbindungen eingeführt. Folglich war festzulegen, wie Radschnellverbindungen rechtlich zu sichern sind und welche öffentliche Stelle Vorhabenträger und welche Behörde Zulassungsbehörde ist. Die Planfeststellungspflicht für den Bau von Radschnellverbindungen wurde im Zuge des MobG BE im Berliner Straßengesetz (BerlStrG) 39 in § 22 Abs. 1 Satz 1 BerlStrG verankert. Damit wird im BerlStrG die Kategorie der Radschnellverbindungen der Fachplanung zugeordnet. Aufgrund dieser Normierung greift auch die enteignungsrechtliche Vorwirkung eines Planfeststellungsbeschlusses nach dem BerlStrG. 40 Dies bedeutet, dass zum Bau von Radschnellverbindungen Flächen enteignet werden können und somit ein durchsetzungsstarkes Instrument zur Errichtung von Radschnellverbindungen vorhanden ist. Mithin wurden Folgeänderungen bzgl. der Zuständigkeit der Vorhabenträgerschaft und der Planfeststellungsbehörde im Allgemeinen Zuständigkeitskatalog (ZuStKat AZG) des Gesetzes über die Zuständigkeiten in der Allgemeinen Berliner Verwaltung (AZG) 41 und BerlStrG notwendig. Die Planung und der Bau von Radschnellverbindungen, sowie die Zuständigkeit als Anhörungs- und Planfeststellungsbehörde liegen in der Verantwortung der Hauptverwaltung des Landes Berlin und nicht bei den Bezirken 42 . Damit wurde folgerichtig der gesamtstädtischen und überbezirklichen Bedeutung der Radschnellverbindungen Rechnung getragen. Aufgrund der im Gesetzestext überwiegend verwendeten Soll-Formulierungen der Zielsetzungen und Maßnahmen für die einzelnen Verkehrsträger - Die „Mobilität in Berlin soll […]“ 43 , die Herstellung des Radverkehrsnetzes „soll bis zum Jahr 2030 erfolgen“ 44 - wird deutlich, dass es sich beim MobG BE gerade nicht um ein Ausbaugesetz, wie etwa das Fernstraßenausbaugesetz (FStrAbG), handelt, in dem die Erforderlichkeit konkreter Ausbaumaßnahmen und die Übereinstimmung dieser mit den Zielsetzungen des Fachrechts gesetzlich normiert ist 45 . Eine entsprechende Regelung mit verbindlicher Bedarfsfeststellung war ursprünglich im Entwurf des Volksentscheids Fahrrad für das Berliner Radverkehrsgesetz in § 9 Abs. 4 RadG 46 vorhanden. In der Vorlage zur Beschlussfassung des Gesetzes zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mobilitätsgewährleistung 47 ist diese Regelung jedoch nicht mehr vorhanden und ist auch nicht Bestandteil des MobG BE a. F. geworden, sodass es sich beim MobG BE überwiegend um eine Formulierung von Leitlinien handelt 48 . Umsetzungsbilanz der Aufträge Im MobG BE werden auf der Maßnahmenebene neben der Aufstellung von Planwerken auch konkrete Aufträge in weiteren wichtigen Handlungsfeldern formuliert. Diese betreffen die institutionelle Umstrukturierung, Beteiligung und Kommunikation sowie bauliche und finanzielle Maßnahmen (siehe Bild 2). Bevor die für die Öffentlichkeit sichtbaren Erfolge auf der Realisierungsebene verzeichnet werden können, sind zunächst die institutionellen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Umstrukturierungen und eine Aufstockung der Personaldecke der Berliner Verwaltung auf Landes- und Bezirks- Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 13 Wissenschaft POLITIK ebene im Bereich der aktiven Mobilität sind notwendig, um Handlungsfähigkeit zur Umsetzung des MobG BE zu erlangen. Dazu wurde in der SenUVK eine Koordinierungsstelle für den Rad- 49 und Fußverkehr 50 eingerichtet, die dem Staatssekretär für Verkehr als Stabsstelle unmittelbar unterstellt ist 51 . Bereits im Zeitraum des Entstehungsprozesses des MobG BE wurde die GB infra- Velo GmbH als neuer Akteur der für Verkehr zuständigen Stellen gegründet 52 und anschließend mit der Planung von Radschnellwegeverbindungen beauftragt 53 . Parallel zu den durch das MobG BE bedingten Umstrukturierungen wurde außerdem die Integration der vormals nachgeordneten Behörde Verkehrslenkung Berlin (VLB) in die neue Abteilung für Verkehrsmanagement der SenUVK vorgenommen. Dadurch konnten größere Handlungsspielräume geschaffen werden 54 , um beispielweise Ampelschaltungen zu Gunsten von Rad- und Fußverkehr anpassen zu können, die auch für die Umsetzung des MobG BE förderlich sein können. Auf bezirklicher Ebene wurden Radverkehrskoordinatoren 55 benannt. Im Handlungsfeld der Planwerke sind mit Aufstellung bzw. Fortschreibung des StEP MoVe und NVP die im MobG BE festgelegten Anforderungen erfüllt worden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt (23. Juni 2021) ist der RVP von der SenUVK jedoch noch nicht aufgestellt worden 56 , obwohl er bis Juli 2020 hätte erlassen werden sollen 57 . Zwar wurden im Februar 2021 die Vorgaben für die Radverkehrsplanung dem Abgeordnetenhaus zur Kenntnis vorgelegt 58 , jedoch sind diese im Vorgriff des RVP vorzulegen 59 , sodass diese zeitlich vor dem gesetzlich normierten Datum zum eigentlich vorgesehenen Erlass des RVP im Juli 2020 hätten erlassen werden müssen. Im Handlungsfeld Kommunikation und Beteiligung sind die im MobG BE formulierten neuen Beteiligungsgremien (Bündnis für den Radverkehr 60 , Fahr-Räte 61 , Gremium für den Fußverkehr auf Landes- 62 und Bezirksebene 63 ) eingerichtet worden 64 . Über die Internetseite der SenUVK und der infraVelo, sowie durch die Beantwortung zahlreicher parlamentarischer Anfragen wurden umfangreiche Informationen zum Umsetzungsstand des MobG BE kontinuierlich bereitgestellt. Die im MobG BE formulierten baulichen Maßnahmen sind in Form einer Soll-Formulierung gehalten. So soll bspw. der ÖPNV auf Schiene und Straße schrittweise bis spätestens 2030 auf nicht fossile Antriebsenergien umgestellt sein 65 und mindestens 100 km Radschnellverbindungen sollen bis zum Jahr 2030 errichtet werden 66 . Eine Umsetzung dieser Maßnahmen bis zum Jahr 2021 war daher noch nicht zu erwarten. Bild 2: Übersicht der Umsetzung konkreter Aufträge gemäß MobG BE Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 14 POLITIK Wissenschaft Fazit Drei Jahre nach der Verabschiedung des MobG BE fällt die Bilanz, entgegen der sehr kritischen öffentlichen Wahrnehmung, überwiegend positiv aus. Die Berliner SenUVK hat als zuständige Senatsverwaltung die meisten der im MobG BE für die ersten Jahre vorgesehenen Vorhaben erfolgreich und fristgerecht umgesetzt. Es wurde das institutionelle Gefüge zur Gestaltung von Mobilität und Verkehr sinnvoll umgebaut, Personalkapazität deutlich erhöht, transparente Kommunikation und Beteiligung in neuen Gremien durchgeführt, sowie die Erstellung oder Anpassung wichtiger Planwerke umgesetzt. Eine Ausnahme stellt hier jedoch der für Juli 2020 vorgesehene RVP dar, der zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht aufgestellt und erlassen wurde. Dies ist kritisch zu beurteilen, da erst der RVP verbindliche Qualitätsstandards und messbare Ausbauziele für die Berliner Radinfrastruktur festlegt 67 . Positiv hervorzuheben ist jedoch die erstmalige Schaffung einer landesrechtlichen Grundlage für Radschnellverbindungen im Zuge des MobG BE. Die im BerlStrG verankerte Planfeststellungspflicht gibt der infraVelo im Auftrag der SenUVK die nötige Durchsetzungskraft für die Koordination und Realisierung der Radschnellverbindungen. Aufgrund der vielen allgemein gehaltenen „Soll“-Formulierungen im MobG BE leitet es nicht „die Verkehrswende per Gesetz“ ein. Es ist in einem politischen Verhandlungsprozess unter Beteiligung sehr diverser Akteure entstanden und die schwächeren Formulierungen spiegeln den Einfluss derjenigen Akteure wider, die keinen schnellen und tiefgreifenden, sondern höchstens einen schrittweisen Umbau des Berliner Verkehrssystems wollten. In diesem Sinne ist das MobG BE durch seinen Leitlinien-Charakter ein Kompromisswerk. Seine größte Bedeutung liegt somit nicht auf der planungsrechtlichen, sondern auf der politischen Ebene. Mit dem MobG BE liegt ein integratives politisches Zukunftskonzept vor, um die Mobilität in Berlin gemeinwohlorientiert und klimaverträglich zu gestalten. Dass eine so klar definierte Vision gerade auch in Krisenzeiten wie der Covid-19 Pandemie die Akteure in Politik und Verwaltung handlungsfähig und resilient macht, zeigt das Beispiel der Pop-Up-Radwege, die auf hohe Akzeptanz stoßen und den Radverkehr steigern 68 . Diese wurden politisch durch den ideellen Rückenwind des MobG BE ermöglicht. Für die derzeit erfolgende bauliche Verstetigung der Pop-Up-Radwege bildet das MobG BE darüber hinaus die planerische Grundlage. Bezüglich der baulichen Maßnahmen verwundert es kaum, dass auch drei Jahre nach Erlass des MobG BE noch kein Kilometer Radschnellverbindung gebaut wurde, da sich erstens aufgrund der Beauftragung der GB infraVelo GmbH mit der Planung von Radschnellverbindungen ein neu gegründetes Unternehmen erstmalig mit der Thematik der Planung von Radschnellverbindungen und der Aufstellung von Antragsunterlagen für ein Planfeststellungsverfahren zu befassen hatte und noch keine Erfahrungen vorlagen. Zweitens ist zu beachten, dass der Planungsprozess von Verkehrsanlagen aus verschiedenen aufeinander aufbauenden Planungsschritten besteht 69 und sich über mehrere Jahre erstrecken kann 70 . Für die kommenden drei Jahre wird das Erfolgskriterium für das MobG BE allerdings die zügige Umsetzung baulicher Maßnahmen sein. Dabei wird es in Berlin auch maßgeblich auf die Bezirke und eine gelungene Kooperation zwischen diesen als kommunaler Ebene und SenUVK als Landesebene ankommen. Das MobG BE hat dafür trotz vieler allgemein gehaltener Regelungen gute Voraussetzungen und den nötigen politischen Rückenwind geschaffen. Für weitere neue landesrechtliche Mobilitätsgesetze ist zu empfehlen, dem Berliner Beispiel zu folgen und den Schwerpunkt auf den Umbau der Verkehrsinfrastrukturen zu legen. Nur mit guter und sicherer Rad- und Fußwegeinfrastruktur sowie einem hochwertigen ÖPNV-Netz kann die Verkehrswende vorankommen. Zukünftig ist allerdings die gleichzeitige Ausarbeitung aller notwendigen Abschnitte eines Mobilitätsgesetzes sinnvoll. Da mit dem MobG BE bereits ein Gesetz vorliegt, dass anderen Bundesländern als Vorbild dienen kann, ist es machbar, in kürzerer Zeit ein umfassendes Mobilitätsgesetz auszuarbeiten, das alle wichtigen Handlungsfelder adressiert. Dass dies möglich ist, zeigt auch das Beispiel Nordrhein-Westfalen, wo die Regierung vom Landtag beauftragt wurde, ein Gesetz für besseren Radverkehr zu erarbeiten. Dies geschah, analog zum MobG BE, in Reaktion auf die Volksinitiative „Aufbruch Fahrrad“ und mündete nun in einem integrierten Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz (FaNaG NRW), das als Referentenentwurf vorliegt 71 . Für die erste Phase der Implementierung eines Mobilitätsgesetzes ist es durchaus empfehlenswert, den Fokus darauf zu legen, die Verwaltung handlungsfähig zu machen. Dazu gehört auch eine frühzeitig geplante und kontinuierlich fortgeführte Weiterbildung der Verwaltungskräfte im Umgang mit den neuen Mobilitätsgesetzen und Planungsprozessen. Nur so können innovative Gesetze für die Verkehrswende ihre Wirkung entfalten. Gleichzeitig gilt es, insbesondere bei den zivilgesellschaftlichen Fahrrad-Verbänden, allzu große Frustration aufgrund enttäuschter Erwartungen zu vermeiden. Hier besteht sonst die Gefahr, dass die politisch Verantwortlichen einen ihrer wichtigsten Verbündeten für die Akzeptanz eines neuen Mobilitätsgesetzes verlieren. Deshalb sollte die Kommunikationsstrategie auf ein realistisches Erwartungsmanagement abzielen, insbesondere in Hinblick darauf, welche Regelungen landesrechtlich in einem Mobilitätsgesetz getroffen werden können und welche baulichen Fortschritte in den ersten Jahren umsetzungsfähig sind. Ergänzend dazu ist zu erwägen, in den ersten Jahren mit provisorischen Maßnahmen wie den Pop-Up-Radwegen zu arbeiten. Sie machen die Verkehrswende vor Ort erfahrbar und werden als spürbarer Fortschritt wahrgenommen. Für künftige Mobilitätsgesetze sind ein höherer Verbindlichkeitsgrad und insbesondere die Vermeidung leitliniencharakteristischer „Soll“-Formulierungen sinnvoll. Zwar können die Planungsprozesse und die rechtliche Zulassung von Verkehrsvorhaben mit einem Mobilitätsgesetz nicht grundlegend verändert und beschleunigt werden, jedoch könnte eine Teilbeschleunigung erreicht werden, wenn in einem Mobilitätsgesetz per Gesetz der Bedarf und die Erforderlichkeit konkreter Ausbauprojekte, bspw. analog zum Fernstraßenausbaugesetz, festgestellt wird. Wird in einem Ausbaugesetz die Erforderlichkeit eines konkreten Projekts normiert, so ist im folgen- Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 15 Wissenschaft POLITIK 1 Berliner Mobilitätsgesetz (MobG BE) vom 05.07.2018, verkündet als Artikel 1 des Gesetzes zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mobilitätsgewährleistung vom 5. Juli 2018 (GVBl. S. 464), letzte berücksichtigte Änderung: zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 22.03.2021 (GVBl. S. 318). 2 Berliner Mobilitätsgesetz (MobG BE a. F.) vom 05.07.2018, verkündet als Artikel 1 des Gesetzes zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mobilitätsgewährleistung vom 5. Juli 2018 (GVBl. S. 464). 3 vgl. Referentenentwurf zu Abschnitten 5 (Wirtschaftsverkehr) und 6 (Neue Mobilität) im Berliner Mobilitätsgesetz vom 30.03.2021. www.berlin.de/ sen/ uvk/ _assets/ verkehr/ verkehrspolitik/ mobilitaetsgesetz/ referentenentwurfmobg-neue-mobilitaet-wirtschaftsverkehr.pdf, Zugriff am 21.06.2021. 4 vgl. §§ 3-15 MobG BE. 5 vgl. § 1 Abs. 1 MobG BE a. F. 6 vgl. Abschnitt 2 zu den Zielen des ÖPNV, Abschnitt 3 zu den Zielen des Radverkehrs und Abschnitt 4 zu den Zielen des Fußverkehrs. 7 vgl. Seifert, F.-F.; Dromgool, T. (2019): Das Berliner Mobilitätsgesetz: Beginn einer kommunalen Verkehrswende? ! In: LKV 2019, 10-14, S.11, S. 14. 8 vgl. Flyvbjerg, B. (2011): Case Study. In: Norman K. Denzin und Yvonna S. Lincoln (Hrsg.): The SAGE Handbook of Qualitative Research. 4. Aufl. Thousand Oaks: Sage, S. 301-316. 9 vgl. SrV, 2013 & SrV, 2018. www.berlin.de/ sen/ uvk/ verkehr/ verkehrsdaten/ zahlen-und-fakten/ mobilitaet-in-staedten-srv-2018/ , Zugriff am09.06.2021; Radverkehrszählstellen Berlin. www.berlin.de/ sen/ uvk/ verkehr/ verkehrsplanung/ radverkehr/ weitere-radinfrastruktur/ zaehlstellen-und-fahrradbarometer/ , Zugriff am 14.06.2021. 10 Polizei Berlin: Verkehrsunfallstatistik. www.berlin.de/ polizei/ aufgaben/ verkehrssicherheit/ verkehrsunfallstatistik/ #radfahrer, Zugriff am 14.06.2021. 11 von Schneidemesser, D.; Herberg, J.; Stasiak, D. (2020): Re-claiming the responsivity gap: The co-creation of cycling policies in Berlin’s mobility law. In: Transportation Research Interdisciplinary Perspectives 8. DOI: 10.1016/ j. trip.2020.100270. 12 ebd. 13 Becker, S.; Bögel, P.; Upham, P. (2021): The role of social identity in institutional work for sociotechnical transitions: The case of transport infrastructure in Berlin. In: Technological Forecasting and Social Change 162. DOI: 10.1016/ j. techfore.2020.120385. 14 Becker, S.; Renn, O. (2019): Akzeptanzbedingungen politischer Maßnahmen für die Verkehrswende: Das Fallbeispiel Berliner Mobilitätsgesetz. S. 109-130, in: Fraune, C.; Knodt, M.; Gölz, S.; Langer K. (Hrsg.): Akzeptanz und Partizipation - Herausforderungen für die Energiewende jenseits von Technik und Ressourcenausstattung. Wiesbaden: Springer VS. 15 vgl. beispielsweise https: / / taz.de/ ADFC-zieht-Bilanz-der-Verkehrspolitik/ ! 5765396/ , Zugriff am 21.06.2021. 16 vgl. beispielsweise die kritische Stellungnahme von Changing Cities zum Umbau der Oberbaumbrücke: https: / / changing-cities.org/ oberbaumbruecke/ , Zugriff am 21.06.2021. 17 vgl. beispielsweise www.tagesspiegel.de/ berlin/ ein-jahr-berliner-mobilitaetsgesetz-warum-berlins-verwaltung-mit-der-verkehrswende-nicht-vorankommt/ 24854200.html, Zugriff am 21.06.2021. 18 vgl. Präambel und § 1 MobG BE. 19 zum Begriff des Mobilitätsbedarfs vgl. Rammert, A.; Hausigke, S.; (2021): Bedarfsorientierte Mobilitätsplanung. Zur Relevanz einer mobilitätsorientierten Perspektive für die Beeinflussung der Verkehrsmittelwahl. In: Journal für Mobilität und Verkehr (9), S. 51-63. https: / / journals.qucosa.de/ jmv/ article/ view/ 62/ 55, Zugriff 08.08.2021. 20 vgl. § 16 MobG BE. 21 vgl. § 16 Abs. 1 Satz 2 MobG BE. 22 vgl. § 16 Abs. 2 MobG BE. 23 vgl. SenUVK (Hrsg.): Stadtentwicklungsplan Mobilität und Verkehr 2030 Anlage - Maßnahmenkatalog. www.berlin.de/ sen/ uvk/ verkehr/ verkehrspolitik/ stadtentwicklungsplan-mobilitaet-und-verkehr/ , Zugriff am 22.06.2021. 24 vgl. § 16 Abs. 4 MobG BE. 25 Baugesetzbuch (BauGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. November 2017 (BGBl. I S. 3634), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 8. August 2020 (BGBl. I S. 1728) geändert worden ist. 26 Gesetz zur Ausführung des Baugesetzbuchs (AGBauGB) in der Fassung vom 7. November 1999, letzte berücksichtigte Änderung durch Artikel 22 des Gesetzes vom 12.10.2020 (GVBl. S. 807). 27 vgl. § 20 Abs. 3 MobG BE. 28 vgl. § 20 Abs. 4 und 5 MobG BE. 29 vgl. § 20 Abs. 1 MobG BE. Eine Legaldefinition der „für Verkehr zuständigen Stellen des Landes Berlin“ wurde im MobG BE jedoch nicht vorgenommen. 30 vgl. § 29 MobG BE. 31 vgl. § 40 MobG BE. 32 vgl. § 52 MobG BE. 33 vgl. § 16 Abs. 2 Satz 2 MobG BE i.V.m. § 16 Abs. 6 MobG BE. 34 vgl. § 30 MobG BE. 35 vgl. § 17 MobG BE. 36 vgl. § 18 MobG BE. 37 vgl. § 5b FStrG, § 5b eingef. mWv 5.7.2017 durch G v. 27.06.2017 (BGBl. I S. 2082). zur Entstehung, Siehe BR-Drs. 71/ 17 vom 27.01.2017 und BT-Drs. 18/ 11236 vom 20.02.2017. 38 vgl. Berliner Abgeordnetenhaus, Dr. 18/ 0878 vom 27.02.2018, S. 48. 39 Berliner Straßengesetz (BerlStrG) vom 13. Juli 1999, letzte berücksichtigte Änderung: Inhaltsübersicht und Überschrift Abschnitt VII geändert, § 27a eingefügt durch Artikel 27 des Gesetzes vom 12.10.2020 (GVBl. S. 807). 40 vgl. § 25 Abs. 1 BerlStrG. 41 Gesetz über die Zuständigkeiten in der Allgemeinen Berliner Verwaltung (Allgemeines Zuständigkeitsgesetz - AZG) in der Fassung vom 22. Juli 1996, letzte berücksichtigte Änderung: zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 12.10.2020 (GVBl. S. 807). 42 vgl. Nr. 10 Abs. 15 ZuStKat AZG und § 22 Abs. 1 Nr 2 und Abs. 3 BerlStrG. 43 § 3 MobG BE. 44 vgl. § 41 Abs. 4 MobG BE. 45 vgl. u. a. § 1 Abs. 2 FStrAbG. 46 Entwurf des Gesetzes zur Förderung des Radverkehrs in Berlin (RadG) vom 05.05.2017. https: / / volksentscheid-fahrrad.de/ wp-content/ uploads/ 2017/ 05/ 20170505-RadG-mit-Begru%CC%88ndung.pdf, Zugriff am 24.06.21; zum Vergleich RadG und MobG BE, siehe von Schneidemesser, D.; et al. 2020 (Fn. 11). 47 vgl. Berliner Abgeordnetenhaus, Drs. 18/ 0878 vom 27.02.2018, S. 28f. 48 vgl. SenUVK (Hrsg.): Berliner Mobilitätsgesetz. www.berlin.de/ sen/ uvk/ verkehr/ verkehrspolitik/ mobilitaetsgesetz/ , Zugriff am 23.06.2021. 49 vgl. § 37 Abs. 2 MobG BE. 50 Nach dem 1. Änderungsgesetz des MoBG BE auch für den Fußverkehr, vgl. § 51 Abs. 3 MobG BE. 51 vgl. SenUVK (Hrsg.): Organisationsplan der SenUVK (Stand 01.02.2021). www.berlin.de/ sen/ uvk/ _assets/ ueber-uns/ organisation/ organisationsplan_senuvk.pdf, Zugriff am 23.06.2021. 52 vgl. GB infraVelo GmbH (Hrsg.): Organisation. www.infravelo.de/ ueber-uns/ organisation/ , Zugriff am 21.6.2021. 53 vgl. GB infraVelo GmbH (Hrsg.): Unsere Aufgaben. www.infravelo.de/ ueberuns/ unsere-aufgaben/ , Zugriff am 24.6.2021. 54 Diese institutionelle Änderung ist nicht explizit im MobG BE festgeschrieben, wird aber von SenUVK explizit als Beitrag zur Umsetzung des MobG BE und der Verkehrswende in Berlin verstanden. www.berlin.de/ sen/ uvk/ presse/ pressemitteilungen/ 2019/ pressemitteilung.879378.php, Zugriff am 23.06.2021. 55 vgl. § 37 Abs. 5 MobG BE. den Zulassungsverfahren die Erforderlichkeit des beantragten Projekts nicht mehr gesondert nachzuweisen. Ein wichtiger Baustein für das Vorantreiben und die Umsetzung einer Verkehrswende wurde durch den Erlass von Mobilitätsgesetzen auf Landesebene bereits geschaffen. Allein durch landesrechtliche Gesetzgebung kann die Verkehrswende jedoch nicht bewältigt werden, sondern es sind Anpassungen im rechtlichen Gefüge der Verkehrsplanung auf allen föderalen Ebenen erforderlich. Es bleibt abzuwarten, in wie weit innovative Ansätze wie die grundlegende Überarbeitung der StVO 72 oder gar der Erlass eines Bundesmobilitätsgesetzes 73 in der kommenden Legislaturperiode nach der Bundestagswahl 2021 realisiert werden. ■ Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 16 POLITIK Wissenschaft 56 vgl. SenUVK (Hrsg.): Mobilitätsgesetz: Bedeutungsgewinn für den Radverkehr. www.berlin.de/ sen/ uvk/ verkehr/ verkehrsplanung/ radverkehr/ mobilitaetsgesetz/ , Zugriff am 23.6.2021. 57 vgl. § 40 Abs. 7 MobG BE. 58 vgl. Berliner Abgeordnetenhaus Drs. 18/ 3435 vom 22.01.2021. 59 vgl. § 40 Abs. 8 und 9 MobG BE. 60 vgl. § 37 Abs. 6 MobG BE. 61 vgl. § 37 Abs. 7 und 8 MobG BE. 62 vgl. § 51 Abs. 5 MobG BE. 63 vgl. § 51 Abs. 6 MobG BE. 64 vgl. Berliner Abgeordnetenhaus Drs. 18/ 21304, S. 4, Drs.18/ 17055, S.7 f; SenUVK (Hrsg.): FahrRat. www.berlin.de/ sen/ uvk/ verkehr/ verkehrsplanung/ radverkehr/ akteure-und-gremien/ beratungsgremium-fahrrat/ , Zugriff am 24.06.2021; SenUVK (Hrsg.): Bündnis für den Radverkehr. www.berlin.de/ sen/ uvk/ verkehr/ verkehrsplanung/ radverkehr/ akteure-und-gremien/ buendnis-fuer-den-radverkehr/ , Zugriff am 24.06.2021. 65 vgl. § 26 Abs. 9 und 10 MobG BE. 66 vgl. § 41 Abs. 4 i.V.m. § 45 Abs. 1 und 2 MobG BE. 67 vgl. § 40 Abs. 1 und 2 MobG BE. 68 Götting, K.; Becker, S.(2020): Reaktionen auf die Pop-Up-Radwege in Berlin. Ergebnisse einer explorativen Umfrage zur temporären Radinfrastruktur im Kontext der Covid-19 Pandemie; so auch: Becker, S.; von Schneidemesser, D.; Caseiro, A.; Götting, K.; Schmitz, S.; von Schneidemesser, E.: Implementing sustainable transportation in European cities: an interand transdisciplinary case study of Berlin’s pop-up cycling infrastructure (zur Veröffentlichung eingereichtes Manuskript). 69 Es müssen zunächst die Leistungsphasen der HOAI der Grundlagenermittlung, Vorplanung und Entwurfsplanung durch den Vorhabenträger abgearbeitet werden, bevor in der Phase der Genehmigungsplanung die Antragsunterlagen erarbeitet werden können und der Antrag auf Planfeststellung bei der Planfeststellungsbehörde gestellt, sowie das Planfeststellungsver- Sophia Becker, Prof. Dr. Leiterin des Fachgebiets Nachhaltige Mobilität und transdisziplinäre Forschungsmethoden, Technische Universität Berlin; Forschungsgruppenleiterin am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) Potsdam sophia.becker@tu-berlin.de Anke Sterz, M.Sc. Stadt- und Regionalplanung Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fachgebiet Orts-, Regional- und Landesplanung, Institut für Stadt- und Regionalplanung (ISR), TU Berlin anke.sterz@tu-berlin.de fahren eingeleitet werden kann. Im Nachgang des Planfeststellungsverfahrens erfolgt die Ausführungsplanung und folglich die Realisierung. Vgl. § 47 Abs. 1 HOAI. 70 Zum Überblick der aktuellen Planungsprozesse zum Bau von Radschnellwegen, siehe: GB infraVelo GmbH www.infravelo.de/ projektarten/ radschnellverbindungen/ , Zugriff am 21.06.2021. 71 Ministerium für Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen sowie zur Änderung des Straßen- und Wegegesetzes. www.landtag.nrw.de/ portal/ WWW/ dokumentenarchiv/ Dokument/ MMV17-4762.pdf, Zugriff am 23.06.2021. 72 vgl. Agora Verkehrswende (Hrsg.): Mobilitätswende vor Ort - Vorschlag für eine kurzfristige Reform zur Stärkung kommunaler Handlungsmöglichkeiten im Straßenverkehrsrecht, Stand: 06.07.2021. 73 Vgl. VCD (Hrsg.): Bundesmobilitätsgesetz. www.vcd.org/ bundesmobilitaetsgesetz/ , Zugriff am 29.07.2021. DAS FACHMAGAZIN ZUM URBANEN WANDEL www.transforming-cities.de Digitalisierung versus Lebensqualität Big Data | Green Digital Charter | Kritische Infrastrukturen | Privatheit | Sharing-Systeme 1 · 2016 Was macht Städte smart? URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Mit veränderten Bedingungen leben Hochwasserschutz und Hitzevorsorge | Gewässer in der Stadt | Gründach als urbane Klimaanlage |Baubotanik 1 · 2017 Stadtklima URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Lebensmittel und Naturelement Daseinsvorsorge | Hochwasserschutz | Smarte Infrastrukturen | Regenwassermanagement 2 · 2016 Wasser in der Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Verbrauchen · Sparen · Erzeugen · Verteilen Energiewende = Wärmewende | Speicher | Geothermie | Tarifmodelle | Flexible Netze | Elektromobilität 2 · 2017 2 · 2017 Stadt und Energie URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Erlebnisraum - oder Ort zum Anbau von Obst und Gemüse Urban Farming | Dach- und Fassadenbegrünung | Grüne Gleise | Parkgewässer im Klimawandel 3 · 2016 Urbanes Grün URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN UUR Die Lebensadern der Stadt - t für die Zukunft? Rohrnetze: von Bestandserhaltung bis Digitalisierung | Funktionen von Bahnhöfen | Kritische Infrastrukturen 4 · 2016 Städtische Infrastrukturen URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Die Vielschichtigkeit von Informationsströmen Smart Cities | Automatisierung | Mobilfunk | Urbane Mobilität | Datenmanagement | Krisenkommunikation 3 · 2017 Urbane Kommunikation URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Angri ssicherheit · Betriebssicherheit · gefühlte Sicherheit IT-Security | Kritische Infrastrukturen | Notfallkommunikation | Kaskadene ekte | Vulnerabilität | Resilienz 4 · 2017 4 · 2017 Sicherheit im Stadtraum URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Was macht Städte smart? Soft Data | IT-Security | Klimaresilienz | Energieplanung | Emotionen | Human Smart City | Megatrends 1 · 2018 Die intelligente Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN TranCit für IV.indd 1 TranCit für IV.indd 1 16.08.2021 10: 42: 44 16.08.2021 10: 42: 44 Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 17 M anche Politiker in Brüssel sprechen von einem „legislativen Tsunami“, der mit dem Mitte Juli vorgelegten Klimaschutz-Gesetzespaket „Fit for 55“ auf Europäisches Parlament und Mitgliedstaaten zukommt. Einige Europaabgeordnete glauben, dass sie in den kommenden zwei Jahren oder gar bis zum Ende der Legislaturperiode 2024 gut mit den Verhandlungen über die tausende Seiten umfassende Legislativvorschlägen beschäftigt sein werden. So viel Zeit sollten sich die Gesetzgeber nicht lassen, denn beim Klimaschutz drängt die Zeit. Schließlich geht es um Ziele, die 2030 erreicht sein sollen. Aber die Materie ist hochkomplex. Die 15 Gesetzesvorschläge und angehängten Durchführungsbestimmungen greifen auf vielfältige Weise ineinander. Die EU-Kommission hat gut eineinhalb Jahre an dem Paket gearbeitet, mit dem Ziel, möglichst alle wichtigen Regulierungshebel und Anreize zu nutzen, damit etwa die Transportwirtschaft nachhaltiger wird. Nach Ansicht der Kommission wird es schwer, Teile des Pakets grundlegend zu ändern, wenn sie nicht durch Elemente mit gleicher Wirkung ersetzt werden. Doch das wird Parlament und Ministerrat nicht abschrecken, alle Pläne ausgiebig zu diskutieren. Selten kommt ein Vorschlag so aus dem EU-Gesetzgebungsprozess heraus, wie er hineingegangen ist. Und das ist in diesem Fall auch gut. Denn würde alles wie vorgeschlagen umgesetzt, besteht durchaus die Gefahr, dass Transportunternehmen für ihren CO 2 -Ausstoß mehrfach zahlen müssen: Über den Emissionshandel, Energiesteuern und die LKW-Maut etwa. Die Transportbranche muss aber weiter etwas verdienen können, sonst kann sie auch nicht in Flottenerneuerung und sauberere Technologien investieren. Das ist aber nötig, denn nur mit öffentlichen Fördermitteln ist die Verkehrswende nicht zu schaffen. Die neue Energiesteuerrichtlinie und der Emissionshandel (ETS) im Straßenverkehr sind die Elemente des Pakets, die am ehesten auf der Strecke bleiben dürften. Die Steuerregeln, weil sie einstimmig von allen Mitgliedstaaten beschlossen werden müssen, und das Straßen-ETS, weil es eine sehr deutsche Idee ist, die schon innerhalb der Kommission für viel Streit gesorgt hat. Eine bulgarische Rentnerin wird einen einheitlichen europäischen CO 2 -Preis an der Tankstelle eben sehr viel schwieriger bezahlen können als ein deutscher oder dänischer Facharbeiter. Und in den EU-Hauptstädten ist die Furcht vor einer europäischen „Gelbwestenbewegung“ groß. Sollten die Pläne für Energiesteuern und Straßen-ETS scheitern, kann die Kommission froh sein, wenn immerhin eine - nicht in diesem Paket enthaltene - CO 2 abhängige LKW-Maut kommt. Zum zentralen Klimaschutzinstrument will die Kommission den Emissionshandel machen - auch im Luft- und Seeverkehr. So richtig traut sie der Marktwirtschaft aber nicht und flankiert den CO 2 -Handel durch zahlreiche regulatorische Vorgaben: CO 2 -Grenzwerte für Vans, Energieeffizienzvorgaben für Schiffe und Beimischungsquoten für nachhaltiges Flugbenzin. Das bringt weitere Lasten für die Transportwirtschaft. Das Verhältnis von Anreizen und Regulierung muss im Gesetzgebungsprozess noch austariert werden. Vom Emissionshandel erhofft die Kommission viele Einnahmen, mit denen die Verkehrswende mitfinanziert werden soll. Aber auch hier kann jeder Euro nur einmal ausgegeben werden. Die Begehrlichkeiten sind jetzt schon groß. Deswegen müssen noch stärker Prioritäten bei der Förderung gesetzt werden. So sollte man sich etwa fragen, ob es sich wirklich lohnt, Geld für den verpflichtenden Aufbau eines Landstromnetzes zu binden oder ob nicht besser die Förderung sauberer Schiffstreibstoffe damit aufgestockt werden sollte. Das könnte den Landstrom aus klimapolitischer Sicht überflüssig machen. Die Klimaschutzziele zu erreichen, wird enorm schwer, das räumt die Kommission selbst ein. Transport wird dadurch teurer werden. Die Transportunternehmen sollten schon einmal anfangen, ihre Kunden darauf vorzubereiten. Sie können es sich nicht leisten, alleine auf den Kosten sitzen zu bleiben. Aber zu einem „grüneren“ Verkehr gibt es keine Alternative, er ist laut Kommission die Bedingung, damit die Transportwirtschaft weiter wachsen kann. Die EU-Gesetzgeber müssen mit dem „legislativen Tsunami“ also fertig werden. Tsunami ist vielleicht ein zu negatives Bild. Sie müssen vielmehr die Dynamik der „Klimaschutzwelle“ nutzen, um den Verkehr durch das EU-Gesetzespaket nachhaltiger zu machen. Ob es am Ende genug ist, um die Klimakatastrophe abzuwenden und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu erhalten, werden wir wohl erst 2030 beurteilen können. Oder vielleicht erst unsere Kinder im Jahr 2050. ■ Frank Hütten EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON FRANK HÜTTEN Mit mehr Regulierung und mehr Markt zu mehr Klimaschutz Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 18 INFRASTRUKTUR Wissenschaft Resilienz im Eisenbahnwesen Betrachtungen zum Resilienzbegriff, seiner Anwendung in der Wissenschaft und einer Übertragung ins Eisenbahnwesen Schienenverkehr, Verkehrsinfrastruktur, Kritische Infrastrukturen, Resilienz Die Eisenbahn ist in Deutschland als kritische Infrastruktur definiert. Als solche muss sie ein hohes Maß an Resilienz aufweisen. Doch was bedeutet das genau, was umfasst der Begriff „Resilienz“? Der Beitrag zeigt Hintergründe zum Begriff sowie Definitionsansätze und -elemente verschiedener Wissenschaftsdisziplinen auf, bevor die für das System Eisenbahn relevanten Aspekte herausgearbeitet werden. Dabei wird auch diskutiert, inwieweit die Eisenbahn von jeher ein System mit hohem Resilienzniveau ist. Philipp Schneider, Birgit Milius R esilienz ist als Begriff aus vielen wissenschaftlichen Disziplinen kaum mehr wegzudenken und hält auch in der (Verkehrs-)Politik Einzug: So trägt das europäische Investitionsprogramm für die Post-Covid-Zeit den Namen „Aufbau- und Resilienzfazilität“ und die Netzkonzeption 2040 der Deutschen Bahn dient explizit auch einer höheren Resilienz des Schienennetzes [1]. Das bedeutet allerdings nicht, dass dem Resilienzbegriff eine exakte, allgemein akzeptierte Definition zugrunde liegt. Eine Diskussion über zugrundliegende Ideen und den sich daraus ergebenden Anforderungen findet - auch im Verkehrswesen - nur begrenzt statt. Hintergründe zum Begriff Das Konzept Resilienz ist relativ jung. Es hat erst in den letzten 30 bis 40 Jahren als wissenschaftliche Theorie große Verbreitung erfahren (vgl. Bild 1) und sich in verschiedenen Disziplinen etabliert. Damit einher ging eine vergleichbare Entwicklung für verwandte, sich teilweise überlappende Begriffe wie Survivability, Reliability, Safety (Culture) oder Human Error [2, 3], während Begriffen wie Nachhaltigkeit und Risiko teils bescheinigt wird, aus der Mode zu kommen [4]. Die unmittelbare Bedeutung des Wortes Resilienz („abprallen, zurückspringen“ vom lateinischen „resilire“) lässt sich in vielen wissenschaftlichen Disziplinen auf spezifische Probleme anwenden, z. B. in der Psychologie als Widerstandsfähigkeit gegenüber Traumata oder in der Ökologie als Fähigkeit eines Ökosystems zur Absorption externer Störungen. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Etymologie des Wortes bietet [5]. Die erste Anwendung des Resilienzbegriffs im modernen wissenschaftlichen Kontext wird in der physikalischen Materialforschung verortet, als Fähigkeit eines Materials zur Wiederherstellung seiner ursprünglichen Form nach einer Deformation [6, 7]. Ein bedeutender Meilenstein in der Resilienzforschung wird bei der Erforschung der Stabilität von Ökosystemen durch Holling gesehen (vgl. auch 1. Bild in Bild 2) [2, 8, 9]; das Konzept wird hier zwar nicht zum ersten Mal benutzt, ihm wird aber zu einer gewissen wissenschaftlichen Prominenz verholfen [5]. In Zusammenhang mit der begrifflichen Herkunft des Wortes wird hier allerdings auch ein häufiges Missverständnis deutlich: Resilienz heißt nicht, dass ein System oder Objekt von einem externen Einfluss völlig unberührt bleibt (also resistent ist), sondern dass es zu seinem Ursprungszustand zurückzukehren vermag, ggf. auch in einer Form, die nicht mit dem Ausgangszustand identisch ist bzw. ein anderes Performanzniveau aufweist. [7, 10] Resilienzdefinitionen in der Fachliteratur Es gibt umfassende Reviews der vorhandenen Literatur zum Thema [8, 11] und Sammlungen verschiedener Definitionen [12]. Einen Überblick über die Entwicklung des Themengebietes haben Hosseini et al. für die Jahre 2000 bis 2015 zusammengetragen und dabei eine Vielzahl von Definitionen analysiert [13]. Hier wie andernorts wird das Ingenieurwesen als ein wesentliches Anwendungsgebiet des Resilienzkonzeptes identifiziert, wobei andere Disziplinen mehr Publikationen hervorbringen. PEER REVIEW - BEGUTACHTET Eingereicht: 21.06.2021 Endfassung: 10.08.2021 Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 19 Wissenschaft INFRASTRUKTUR Eine Betrachtung der verschiedenen Dimensionen des Resilienzbegriffs verdeutlicht den großen Einsatzbereich des Konzepts. Hierzu zählen unter anderem: •• Zeitlicher Horizont: kurz-, mittel- oder langfristig [14] •• Phasen des Resilienzzyklus (vgl. Bild 1) •• Domäne: technisch, sozial, organisatorisch, ökonomisch, physisch, psychologisch [5, 13] •• Handlungsraum: statisch (Fähigkeit eines Systems zur Vorhaltung einer bestimmten Kapazität) oder dynamisch (Regenerationsfähigkeit eines Systems) [14] •• Realisierende Instanz: Anwender von Prozessen/ Regelwerken, Management oder abstrakt ein funktionales Systemlevel [2] •• Einflussebenen: physikalische Einwirkung, Beeinflussung der Servicequalität, psychologischer Einfluss [14] bez. allgemeiner Umwelt, Individuum, Gesellschaft, Organisation [8] Eine Studie war auf Grundlage der Analyse verschiedener Resilienzdefinitionen in der Lage, deren verwendete Attribute 45 verschiedenen Klassen zuzuordnen, wobei das Attribut „Schnelligkeit [der Wiederherstellung einer Funktionalität]“ am häufigsten verwendet wurde [15]. Für die vorliegende Arbeit wurden die oben zitierten Metaanalysen aus der Literatur näher betrachtet und um eine eigene Analyse von 28 Definitionen aus schwerpunktmäßig ingenieurswissenschaftlichen Arbeiten ergänzt. Diese Auswahl ist nicht erschöpfend oder repräsentativ, bietet aber einen guten Überblick über existierende Ansätze. Auf dieser Basis kann für die Definition des Resilienzbegriffs konstatiert werden, dass •• in Abgrenzung zu Begriffen wie Robustheit und Resistenz eine Reaktion auf ein Ereignis stattfindet, bspw. in Form einer eingeschränkten Kapazität [6] - wobei meist nicht explizit auf den Ursprung (extern/ intern) des Ereignisses eingegangen wird, •• Systeme sich temporär an äußere Einflüsse „anpassen“ und anschließend wieder „erholen“, was aber nicht immer die Rückkehr zum Ausgangszustand impliziert [13]; häufig wird auch die Schnelligkeit/ Effizienz dieser Anpassung betont, •• häufig die präventiven, jedoch fast immer reaktive Phasen (und meistens beide) adressiert werden; eine Dominanz präventiver Phasen, wie in [3] festgestellt, kann nicht bestätigt werden (vgl. Bild 1), •• bezüglich der Art externer Einflüsse meist von disturbances und disruptions die Rede ist und es darüber hinaus eine Vielzahl weiterer - fast immer negativ konnotierter - Umschreibungen gibt, •• Resilienz meist als bestehende Qualität (ability) benannt wird, selten nur als Prozess, •• gerade im technischen Bereich der Begriff der Zuverlässigkeit von zentraler Bedeutung ist [13], •• Definitionen häufig mit dem allgemeinen Ziel aufgesetzt werden, einen Umgang mit der zunehmenden technischen und sozialen Komplexität zu finden [2]. Resilienzdefinitionen mit explizitem Infrastrukturbezug betonen häufig die Relevanz von Attributen wie der Antizipation, Absorption, Adaption und Erholung von solchen Einflüssen, wie auch die Aufrechterhaltung eines Mindestkapazitätsniveaus [9]. Es gelingt nicht immer, kurze und prägnante Definitionen aufzustellen. Oft sind umfassende Erläuterungen nötig, die mitunter von der eigentlichen Definition gar nicht klar abgrenzbar sind. Auch werden im definiens (siehe unten) Begriffe benutzt, die selbst nicht trennscharf definiert sind. Gut sichtbar wird dies an der oben erwähnten Vielzahl externer Einflüsse. Bild 1: Trefferzahl mit Suchbegriff „Resilience“ bei Google-Ngram- Suche. Es ist zu berücksichtigen, dass gerade ältere Arbeiten nicht umfassend erfasst sind. Eigene Darstellung Bild 2: Resilienzzyklen Quellen von links nach rechts: [16, 17, 18] Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 20 INFRASTRUKTUR Wissenschaft Auch in der Normung findet sich eine Definition des Resilienzbegriffs, und zwar in der DIN EN 22300 als „Fähigkeit, Veränderungen in der Umgebung aufzunehmen und sich an diese anzupassen“. Dies soll - nebst einer Vielzahl weiterer, verwandter Begriffe wie Robustheit und Störung - als Arbeitsgrundlage für andere Normen zur Sicherheit dienen. [19] Seit den 2000er Jahren, verbunden insbesondere mit den Autoren Hollnagel und Woods, gibt es den Begriff des Resilience engineering. Hier geht es um den Umgang mit menschlichen und organisatorischen Aspekten in der Sicherheitsarchitektur technischer Systeme [20]. Wie häufig bei neuen Konzepten zu beobachten, gab und gibt es auch eine Diskussion darüber, inwieweit das überhaupt neu und nötig ist [2]. Die Vielzahl von Veröffentlichungen zum Thema deutet darauf hin, dass viele Forscher dies bejahen. Auch hier existieren aber begriffliche Unschärfen und Abgrenzungsprobleme [21]. Resilienz im Eisenbahnbereich Die Relevanz des Resilienzkonzeptes für die kritische Infrastruktur „Eisenbahn“ wird in diesem Abschnitt allgemein und anhand verschiedener Beispiele diskutiert. Beispiele für Resilienzaspekte früher und heute Es kann argumentiert werden, dass die Grundidee der Resilienz - wenn auch nicht notwendigerweise unter diesem Begriff und eher auf Komponentenebene bzw. in Teilgebieten denn als Systemgedanke - bereits lange im Eisenbahnwesen verankert ist. Historisch waren es vor A B C D Nr. Bereich Beschreibung Review 1 Eisenbahnsicherungstechnik Sicherheitskritische Systeme sind in der Regel fail-safe ausgelegt; das bedeutet, dass bei Eintreten einer Fehlfunktion ein sicherer Zustand eingenommen wird. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Gleisstromkreis zur Freimeldung von Gleisen. Fehlfunktionen führen hier stets zu einer Besetztmeldung (sicherer Zustand). Der Betrieb wird dadurch gehemmt, kann aber mit geringerer Kapazität fortgeführt werden. Die Ausfallsicherheit sicherungstechnischer Systeme ist zwar ein elementares Wesensmerkmal der Eisenbahn und macht sie zu einem der sichersten Verkehrsträger. Es geht hier aber eher um die funktionale Sicherheit und weniger um eine flexible Anpassung an widrige äußere Umstände. In diesem Sinne handelt es sich um kein Merkmal hoher Resilienz. 2 Eisenbahnbetrieb Im Regelbetrieb sorgen technische Systeme für einen sicheren, heute mitunter auch teilautomatisierten Betriebsablauf. Oft stehen dahinter in den Regelwerken mehrere Rückfallebenen, die auch unter erschwerten Bedingungen die Fortsetzung des Betriebes ermöglichen sollen: So kann ein „Halt“ zeigendes Signal möglicherweise mit einem Ersatzsignalbegriff passiert werden; ist auch dies nicht möglich, gibt es die Möglichkeit eines schriftlichen Befehls durch den Fahrdienstleiter. Manche Regelwerke kennen darüber hinaus auch das eigenverantwortliche Passieren durch den Triebfahrzeugführer. Diese Rückfallebenen sorgen für ein geringeres Sicherheitsniveau und eine Leistungsfähigkeit, die zwar sinkt, aber ein Mindestniveau sicherstellt. Das Vorhandensein ggf. mehrerer Rückfallebenen ermöglicht im Schienenverkehr eine schnelle Anpassung an externe Ereignisse. Da diese im Regelwerk vorgezeichnet sind, kann man aus organisatorischer Sicht auch von einer intrinsischen Reaktion des Systems sprechen. Ein weiteres Beispiel hierfür ist, dass selbst ein Totalausfall eines Stellwerks mit der Konsequenz stromloser und nicht mehr ansteuerbarer Signalanlagen einen behelfsmäßigen Betrieb (mit sog. Fahrstraßenkarten) nicht unmöglich macht [24]. Es handelt sich hier um ein Beispiel für ein hohes Maß an Resilienz. 3 Fahrplankonstruktion Fahrpläne werden seit jeher mit Zeitzuschlägen zur Mitigation betrieblicher Unregelmäßigkeiten und mit Pufferzeiten zum Abfangen von Verspätungsübertragungen geplant. Auf diesem Wege können externe Störeinflüsse abgefedert werden. Der Begriff Timetable Resilience existiert im Englischen sogar schon, wird aber auf die Möglichkeit der Reduzierung von Sekundärverspätungen durch ausschließlich dispositive Maßnahmen bezogen [25]. Auch ohne diese Einengung ist gerade der Einsatz von Pufferzeiten und Fahrzeitzuschlägen ein hervorragendes Beispiel für Resilienz im Eisenbahnwesen. 4 Netzstruktur Einen erheblichen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit eines spurgeführten Verkehrssystems hat die Netz- und Linienplanung. Die Bündelung von Verkehren z. B. auf Stammstrecken ist einerseits ökonomisch sinnvoll, andererseits entstehen so Infrastrukturen mit besonders hoher Kritikalität, deren Ausfall große Auswirkungen hat. Umgekehrt verhält es sich, wenn jede Linie eines Netzes auf einer eigenen Infrastruktur verkehrt. Die Netzstruktur ist oft auch das Resultat der Topographie eines Gebietes. [14] Im Fernverkehr ergibt sich die Netzstruktur in der Regel durch die Topographie, Siedlungs- und Wirtschaftsstruktur eines Landes, während sie im urbanen Verkehr oft zu einem größeren Anteil das Ergebnis produktionstechnischer Überlegungen ist. Worin auch immer der Ursprung liegt: Die Netzstruktur hat bei allen Netzwerkindustrien einen sehr hohen Einfluss auf die Anzahl kritischer Knoten und Kanten und damit auf die Resilienz des Systems. 5 Rechtliche Eingriffsmöglichkeiten für staatliche Krisen Fast alle Staaten kennen geschriebene oder ungeschriebene Regelungen für den Notstand, die ein Eingreifen des Staates in privatwirtschaftliche Bereiche ermöglichen. In Deutschland können Eisenbahnen beispielsweise mittels des Verkehrssicherstellungsgesetzes bestimmte Aufgaben aufgezwungen werden, um die Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems zu erhalten. [26] Das Vorhandensein von Regelungen für den Notstand (also besonders drastische externe Ereignisse mit mannigfaltigen konkreten Auswirkungen) kann aus organisatorischer Sicht für schnellere Reaktionen des Systems sorgen, wenngleich der konkrete Wert in der Praxis durch die Seltenheit und Unbestimmtheit des Szenarios unklar ist. Auch handelt es sich nur allerweitesten Sinne um ein intrinsisches Vermögen, weswegen es sich hier eher um kein gutes Beispiel für ein hohes Resilienzniveau handelt. 6 Unfalluntersuchung (Beinahe-)Unfälle haben schon immer zur Weiterentwicklung von Eisenbahnbetrieb und -technik beigetragen. Unabhängige Unfalluntersuchungsstellen haben diese Form organisationalen Lernens institutionalisiert. Organisationales Lernen dürfte mitverantwortlich sein für das in der Vergangenheit stetig gewachsene Sicherheitsniveau im Eisenbahnsektor. Im Sinne der vorgeschlagenen Definition fügt es sich dann als Beispiel für ein hohes Maß an Resilienz ein, sofern Resilienz als Prozess aufgefasst wird. Das Lernen aus Unfällen kann per se nur für das nächste Ereignis dieser Art hilfreich sein, nicht für das aktuell betrachtete. Tabelle 1: Beispiele für Resilienz im Bahnbereich Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 21 Wissenschaft INFRASTRUKTUR allem Einflussnahmen vonseiten des Militärs, wie z. B. der Bau zusätzlicher Verbindungskurven und Umgehungsstrecken, die offensichtlich der Erhöhung der Resilienz dienten. Diese Einflüsse gingen in der jüngeren Vergangenheit jedoch stark zurück [22], könnten eventuell durch Bemühungen auf europäischer Ebene partiell wieder aufleben [23]. Andere Beispiele, die im Rahmen eines Brainstormings mit Bahnexperten gesammelt wurden, zeigt Tabelle 1 in den Spalten A bis C; auf Spalte D wird später Bezug genommen. Man könnte diese Liste sicher noch fortführen, z. B. in Form der unabhängigen Bahnstromnetze, der unterbrechungsfreien Stromversorgung kritischer Anlagen, redundanten Daten- und Versorgungsleitungen, der Ausrüstung zweigleisiger Strecken mit Gleiswechselbetrieb, der (künftigen) Struktur von Betriebssteuerzentralen und ihren Schnittstellen, Crash-Normen in der Fahrzeugtechnik, regelmäßigen gesundheitlichen Kontrollen und fachlichen Trainings oder auch dem ausdifferenzierten betrieblich-technischen Regelwerk, das den Anwendern schnelles regelbasiertes Handeln ermöglicht und so für-Handlungssicherheit auch unter widrigen Bedingungen sorgt. Diese Beispiele können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Resilienzkonzept im Eisenbahnwesen bisher kaum ganzheitlich betrachtet worden ist. Häufig anzutreffen ist hingegen die implizite Berücksichtigung von Resilienzaspekten durch Vorgaben zur Sicherstellung eines sicheren Bahnbetriebs, d. h. die Fokussierung auf die RAMS(S)-Elemente Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit, Instandhaltbarkeit und Sicherheit im Safety-Sinne; IT-Security steht ebenfalls häufig im Fokus [27]. Für das Bahnsystem als kritische Infrastruktur im faktischen wie legalen Sinne erscheint jedoch eine ganzheitliche Resilienzbetrachtung angemessen. Erfordernis eines höheren Stellenwerts in der Zukunft Funktion und Daseinsberechtigung der Eisenbahn ist die Beförderung von Passagieren und der Transport von Gütern, wobei die Bedeutung für den Alltag vieler Menschen und die enge Verzahnung mit industriellen Prozessen zu betonen ist. Auch als Medium zur Krisenreaktion (Ausfälle anderer kritischer Infrastrukturen sowie Bedrohungen der inneren und äußeren Sicherheit) spielt die Eisenbahn eine wichtige Rolle [23]. Ein (Teil-)Ausfall kann schwerwiegende negative Auswirkungen haben: für Eisenbahnunternehmen bzw. den Staat als Finanzier (Einnahmeverluste, Kosten zur Wiederherstellung des Status quo sowie schwer quantifizierbare Betriebserschwerniskosten), für die Nutzer des Eisenbahnsystems (Verspätungen und Zugausfälle) und für die Gesellschaft inkl. ihrer verschiedenen Wirtschaftszweige in Form von Wohlfahrtsverlusten [14]. Dieser weitreichenden Bedeutung wurde schon früher durch Notstandsgesetze Rechnung getragen [26]. In der jüngeren Vergangenheit erfolgte eine grundlegende Definition u. a. in der EU-Richtlinie 2008/ 114/ EG. Danach ist eine „‚kritische Infrastruktur‘ die in einem Mitgliedstaat gelegene Anlage […], die von wesentlicher Bedeutung für die Aufrechterhaltung wichtiger gesellschaftlicher Funktionen [ist] und deren Störung oder Zerstörung erhebliche Auswirkungen auf einen Mitgliedstaat hätte“. Der Schienenverkehr wird hierbei explizit aufgeführt. Kritische Infrastrukturen sehen sich verschiedenen Gefährdungen gegenüber, die in Tabelle 2 dargestellt werden. Diese unterscheiden sich grundlegend, nicht nur in den dargestellten Kategorien, sondern auch bspw. in ihrer zeitlichen Vorhersagbarkeit. Große, d. h. bestimmte Unternehmens-/ Produktionskenngrößen übersteigende, Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) und Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) werden in Deutschland auf Basis des Gesetzes über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSIG) sowie einer ergänzenden Verordnung (BSI-KritisV) den Kritischen Infrastrukturen zugeordnet. Für diese EIU, EVU und ggf. auch assoziierte Dritte gelten besondere, im BSIG formulierte Anforderungen. Definitionen in der Wissenschaft „In jeder wissenschaftlichen Arbeit ist darzulegen, von welchen Begriffsinhalten und Prämissen ausgegangen wird.“ [29] Gute Definitionen in natürlicher Sprache (in Abgrenzung zu logischen Definitionen) sind das Ergebnis menschlichen Einfallsreichtums [30], folgen aber einer bestimmten Struktur und Terminologie, da sie stets aus definiendum (dem zu definierenden Term), definiens (dem definierenden, erläuternden Term) und copula (der Art der Verbindung zwischen beiden) bestehen [30]. Eine Definition ist weder wahr noch falsch, sondern zweckmäßig oder nicht zweckmäßig [29], weswegen die Definition eines Begriffs fallweise unterschiedlich sein kann, ohne dass dies per se ein Problem darstellt. Viele vermeintliche Widersprüche in der Literatur resultieren aus unterschiedlichen Definitionen und Prämissen [29]. Ein gemeinsames Verständnis von Begrifflichkeiten und Konzepten ist ein wichtiger Schritt zur wissenschaftlichen Erschließung eines Sachgebietes - idealerweise setzen sich die passenden Definitionen als fachlicher Konsens durch [12]. Etablieren sich Begriffe in mehreren Disziplinen parallel, können Bedeutungen mehr und mehr auseinanderdriften. Aber auch innerhalb einer Disziplin kann es sein, dass sich keine einheitliche, akzeptierte Definition herausbildet. Ist dies der Fall, entstehen regelmäßig neue Definitionen - trotz des Grundsatzes, dass das Verfassen neuer Definitionen die Ausnahme bilden sollte [29]. Ist im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit die Definition eines Begriffs nötig, sollte diese mit Fachtermini unterlegt sein und einheitlich verwendet werden [31]. Zugleich erleichtern Kürze, Einfachheit und Klar- Endogene Ereignisse Exogene Ereignisse Unbeabsichtigt (Fehler) Unfälle (z. B. Zusammenstöße oder Entgleisungen), resultierend aus technischen Ausfällen oder betrieblichen Fehlhandlungen Naturgefahren, Unfälle an Bahnübergängen, Ausfälle abhängiger Infrastrukturen Beabsichtigt (Angriffe) Streiks, Sabotage Terrorismus, Kriminalität, IT-Angriffe Tabelle 2: Ansatz zur Unterscheidung von Gefährdungen für das Bahnsystem nach-[28] Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 22 INFRASTRUKTUR Wissenschaft heit das Leseverständnis, auf Redundanzen und Zirkelschlüsse ist zu verzichten. Eine möglichst globale Definition, die widerspruchsfrei auf alle denkbaren Fälle anwendbar ist, müsste zwangsläufig sehr allgemein sein und kann fachspezifische Besonderheiten nicht berücksichtigen. Eine zu enge Definition ist wiederum ebenfalls nicht sinnvoll, weil die Fixierung aller Parameter für einen bestimmten Anwendungsfall jeglichen Allgemeingültigkeitsanspruch zunichtemacht. Überlegungen zu einer Resilienzdefinition im-Eisenbahnwesen Die vorgenannte Entwicklung lässt sich auch am Begriff der Resilienz - allgemein, im Ingenieurwesen und im Eisenbahn-/ Verkehrswesen - nachvollziehen. Dabei sind die verwendeten Definitionen wohl für ihr jeweiliges wissenschaftliches Anliegen geeignet, haben mitunter aber nur geringe Schnittmengen. In [9] wird kritisiert, dass die Vielzahl unterschiedlicher Definitionen ein gemeinsames Verständnis des Begriffs verhindert, wobei dort auch eine Konvergenz zu einem gemeinsamen Verständnis erkannt wird, da sich verschiedene Kernelemente wie Absorptions-, Erholungs- und Anpassungsfähigkeit regelmäßig wiederholten. Im Abschnitt „Resilienzdefinitionen“ wurden anhand verschiedener Definitionen häufig anzutreffende Bestandteile herausgearbeitet. Dies soll im Folgenden mit den Feststellungen aus dem Abschnitt „Resilienz im Eisenbahnbereich“ verknüpft werden. Es wird an dieser Stelle darauf verzichtet, eine weitere neue Definition vorzuschlagen, um die oben beschriebene Inflation nicht noch zu verschärfen. Vielmehr wird als Basis der weiteren Betrachtung auf die Definitionen von Hollnagel [20, 32] zurückgegriffen, die häufig zitiert werden und ein relativ großes Maß an Akzeptanz erfahren. Der Autor selbst hat die Definitionen in seinen zahlreichen Publikationen weiterentwickelt. Resilienz ist demnach die „intrinsic ability of a system to adjust its functioning prior to, during, or following changes and disturbances, so that it can sustain required operations under both expected and unexpected conditions” [32]. Diese Definition ist aufgrund ihres generischen Ansatzes geeignet, sowohl auf die Bahninfrastruktur, als auch auf das Gesamtsystem angewendet zu werden. Spezifizierungen können dann in Bezug auf das konkrete Untersuchungsobjekt oder Bedrohungsszenario vorgenommen werden. Zur Eingrenzung der gegebenen Definition des Resilienzbegriffs für das Eisenbahnwesen sowie für mögliche neue Ansätze werden darüber hinaus folgende Vorschläge gemacht: •• Abgrenzung gegenüber Safety: Resilienz hat Außenwirkung. Auch unter widrigen Umständen soll die Funktionalität gewährleistet und die Ausgangsbasis möglichst schnell wiedergewonnen werden. Die Resilienzanalyse eines Systems sollte zur Abgrenzung davon ausgehen, dass es in sich sicher funktional arbeitet. Technische Fehler (1. Quadrant in Tabelle 2) sind daher nicht Betrachtungsgegenstand, sofern nicht ein Ausfall anderer Infrastrukturen (z. B. der- Energieversorgung) auf das Eisenbahnsystem einwirkt. •• Abgrenzung der Betrachtungsebene: Die Betrachtung einzelner Komponenten oder technischer Teilsysteme ist durch den RAMS-Prozess nach DIN EN 50126 grundlegend normiert. Dies kann für die Betrachtung der Funktionalität eines Gesamtsystems - ggf. in bestimmten geographischen Grenzen - nicht ohne weiteres gesagt werden. Daher sollte bei Resilienzanalysen eine hohe Betrachtungsebene eingenommen werden. •• Zeitliche Abgrenzung: Resilienzbetrachtungen behandeln oft langfristig wirksame Bedrohungen wie den Klimawandel. Die konkreten Einflüsse treten aber oft sehr kurzfristig und unvermittelt auf, teilweise praktisch ohne Vorwarnzeit (z. B. bei Erdbeben und Terroranschlägen). Eine Definition sollte daher keine zeitliche Eingrenzung vornehmen. •• Räumliche/ Organisatorische Abgrenzung: Basierend auf dem Ziel der Analyse ist es notwendig, das betrachtete System organisatorisch (z. B. Fernverkehr oder Nahverkehr) und/ oder räumlich (z. B. Teilnetz oder Bahnhof ) abzugrenzen. •• Abgrenzung des Handlungsraums: Weitgehend etabliert hat sich die Darstellung von Phasen eines Resilienzzyklus‘ wie in Bild 2. Ähnliche Prozessdarstellungen finden sich auch in verwandten, teils normierten Bereichen wie dem Risikomanagement. Eine Resilienzdefinition im Eisenbahnwesen sollte dabei in Übereinstimmung mit den vorangegangenen Überlegungen auf die strategischen Phasen wie Preparedness oder Mitigation fokussieren und sich vom operativen Krisenmanagement abgrenzen. In der Anwendung dürfte es gleichwohl häufig zu Überschneidungen kommen. •• Antrieb/ Motivation: Ein Eisenbahnsystem verfügt über ein gewisses Resilienzniveau oder nicht - in jedem Fall ist ein technisches, organisatorisches o. ä. Vermögen zur Reaktion auf externe Ereignisse implizit vorhanden. Reaktionen, die nach Ereigniseintritt von Grund auf initiiert werden müssen, leisten keinen Beitrag zur Resilienz des Systems. •• Gefährdungsart: Diskutabel ist eine weitere Eingrenzung der relevanten Gefährdungen. Da soziale (menschengemache) Gefährdungen (3. und 4. Quadrant in Tabelle 2) komplett anderen Mustern folgen als bspw. Naturgefahren - und dementsprechend auch andere Maßnahmen zur Steigerung der Resilienz nötig sind - kann argumentiert werden, hier unterschiedliche Resilienzdefinitionen zu benutzen. •• Auf anderen Gebieten erscheint eine zu starke definitorische Verengung nicht zielführend. So kann eine Resilienzbetrachtung im Eisenbahnwesen verschiedene Untersuchungsziele haben, z. B. die Analyse sozialer oder ökonomischer Auswirkungen eines externen Einflusses, die wiederum mit verschiedenen Parametern (Reisezeiten, Kapazität usw.) gemessen werden können. Basierend auf die vorangegangenen Überlegungen zur Resilienz im Eisenbahnwesen lassen sich die Beispiele 1 bis 6 in Tabelle 1 dahingehend einordnen, ob sie überhaupt für die (Teil-)Resilienz des Bahnsystems stehen. Die Ergebnisse dieses Reviews können Spalte D ebenda entnommen werden. Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 23 Wissenschaft INFRASTRUKTUR Fazit Beim Resilienzkonzept geht es um den holistischen Versuch, Systeme dergestalt zu entwerfen und zu betreiben, dass der Einfluss von Störungen minimiert wird. Die Resilienz als Zielbild hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, weil die Erfahrung zunehmend zeigt, dass ein vollständiger Schutz bzw. eine absolute Sicherheit vor Gefährdungen und Beeinträchtigungen von Systemen nicht möglich ist. Eine hohe Resilienz als Systemeigenschaft ist daher besonders für kritische Infrastrukturen wie die Eisenbahn notwendig. Um in Zukunft die Diskussion zum Thema Resilienz zu vereinfachen, wurden in diesem Beitrag die eingeführte Resilienzdefinition von Hollnagel zur weiteren Verwendung vorgeschlagen und zudem Möglichkeiten aufgezeigt, sie bedarfsweise um wesentliche Aspekte des Eisenbahnwesens zu erweitern. Dieses Rahmenwerk wurde schließlich erfolgreich auf Beispiele im Eisenbahnwesen angewendet. ■ LITERATUR [1] Konovalow, O.; Kretschmar, T.; Pfau, G.; Vogel, M. (2021): Resilienzmessung in Schienennetzen. In: Eisenbahntechnische Rundschau, Nr. 4, S. 30-33, 2021 [2] Bergström, J.; van Winsen, R.; Henriqson, E. (2015): On the rationale of resilience in the domain of safety: A literature review. In: Reliability Engineering & System Safety, Jg. 141, S. 131-141, doi: 10.1016/ j.ress.2015.03.008 [3] Madni, A.; Jackson, S. (2011): Towards a conceptual framework for resilience engineering. In: IEEE Eng. Manag. Rev., Jg. 39, Nr. 4, S. 85-102, doi: 10.1109/ EMR.2011.6093891 [4] Christmann, G.; Ibert, O.: Kilper, H. (2018): Resilienz und resiliente Städte. In: Politisches Krisenmanagement, Jäger, T.; Daun, A.; Freudenberg, D. (Hrsg.) , S. 183-196. Wiesbaden: Springer Fachmedien [5] Alexander, D. E. (2013): Resilience and disaster risk reduction: an etymological journey. In: Nat. 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Auf der Strecke von Vélizy nach Versailles kommen bereits 50 Elektrobusse zum Einsatz. Den Kern bildet die Depot- und Lademanagementsoftware PSIebus. Jost Geweke D ie französischen Ambitionen in der Region um Paris sind anspruchsvoll: Bis 2025 sollen 5.000 elektrobetriebene Großbusse den öffentlichen Verkehr der Hauptstadt und den sieben angrenzenden Départements prägen. Ziel ist es, den Schadstoffausstoß auf Null zu bringen und die Lärmpegel spürbar abzusenken. Ein Projekt dieser Dimension bedarf europaweiter Ausschreibungen. Île-de-France Mobilité als federführende Verkehrsbehörde entschied sich schließlich für drei Unternehmen, um das Busdepot in Vélizy elektrofit zu machen. Aus Frankreich sind das Unternehmen Spie batignolles énergie sowohl für die Trafos als auch für die baulichen Umgestaltungen und der Produzent IES Synergy für die 50 Ladestationen zuständig. Für die Überwachung und Steuerung der Fahrzeuge machte die PSI Transcom GmbH mit dem Depot- und Lademanagementsystem PSIebus das Rennen. Die Berliner Software vereint das Depotmanagement (PSIeDMS) mit der Ladeoptimierung bzw. -disponierung (PSIsmartcharging). Auf dieser Grundlage setzt Keolis SA inzwischen 50 E-Busse ein. Lediglich 36 verbleiben bisher noch dieselbetrieben. Unfreiwillig, aber mit Gewinn über alle Grenzen hinweg Bis zur Einführung war es ein steiniger Weg, wie sich der bei Keolis zuständige Projektbeauftragte besinnt: „Zunächst machten uns die Generalstreiks in Frankreich Ende 2019/ Anfang 2020 das Leben schwer“. Und dann unterbrach Covid 19 im März 2020 das gesamte Vorhaben. Die Umbauarbeiten auf dem Depot Vélizy lagen still. Zudem kam es zu zeitlichen Engpässen bezüglich der Fertigung und Auslieferung der Elektrofahrzeuge und Ladestationen. Auf der Softwareseite stellte sich darüber hinaus das Problem, dass europaweit Geschäftsreisen auf längere Sicht stark limitiert oder ausgeschlossen waren. In der Folge konnten die Fachleute von PSI Transcom die Implementierung des Depot- und Lademanagementsystems nicht vor Ort durchführen. So entschlossen sich die Verantwortlichen bei Keolis, den Prozess komplett auf remote zu stellen. „Hier haben sich alle Beteiligten nach und nach immer besser zurechtgefunden. Aus meiner Sicht ist das für zahlreiche Projektschritte auch unabhängig von der Pandemie ein Zukunftsmodell - gerade, wenn verschiedene europäische oder internationale Lieferanten involviert sind,“ resümiert der Projektleiter. Exakte und flexible Steuerung durch digitale Plattform In Frankreich gibt es einige nationale Besonderheiten im Bustransport. Ein Beispiel ist, dass sämtliche Routenpläne in Papierform in den Bussen einsehbar sein müssen. Aus diesem Grund werden Busse fix für bestimmte Strecken disponiert. Dies geschieht bei Keolis jeweils am Tag zuvor über das Planungssystem OKAPI. PSIebus erhält diese Daten gemeinsam mit den Fahrplaninformationen der HASTUS-Software automatisch und kombiniert diese dann, um das optimale Ladevolumen der Busse zu erfassen. Gleichzeitig gehen die aktuellen Wetter- und Witterungsfaktoren in die Rechnung mit ein, da auch sie die Energie- und Ladelevel beeinflussen. Das Depot Vélizy verfügt über insgesamt 50 Ladestationen. Davon 32 mit 50 kW und 18 mit 100 kW Ladeleistung. Ein Ortungssystem identifiziert die ankommenden Fahrzeuge. Dieselbusse werden an ihre festen Stationen geleitet. Bei den Elektrobussen entscheidet einerseits der Ladestand (State-of-Charge, SoC) und andererseits der kommende Umlauf die Zuweisung zu einer Ladesäule. PSIebus koordiniert hier vielfältige Daten. Basis ist eine Prognose über den Ladezustand eines Busses, da dieser über die Reichweite entscheidet. Mit der Verkabelung an eine Ladestation erhält die Software dann die exakten Daten und errechnet den Energiebedarf. Gleichzeitig ist der Status einer Batterie zu berücksichtigen. Dafür gibt es ein Managementsystem, welches in Kontakt mit einer Ladestation den Prozess fallgenau steuert. Ein Beispiel: Batterien können stark erhitzen. Der Ladeprozess zielt dann auf Abkühlung durch weniger Kilowatt. Diesen gesamten Vorgang beobachtet das System. Je nach Verlauf erfolgt eine Veränderung in der Planung der Umläufe. Zudem ist ein Frühwarnsystem installiert. Ist es nicht möglich, ein Fahrzeug gemäß den Vorgaben rechtzeitig zu laden, schlägt das System zeitlich versetzt Alarm. Erst eine Stunde vor der avisierten Ausfahrt und dann noch einmal zehn Minuten davor. Der Bus kann dann durch den Disponenten durch einen anderen ausgetauscht werden. Module haben das System fest im-Blick Das integrierte Lademanagementsystem PSIsmartcharging überwacht fortlaufend die elektrische Ladeinfrastruktur auf dem Betriebshof und steuert die Ladevorgänge unter Berücksichtigung der Grenzwerte der elektrischen Betriebsmittel sowie der betrieblichen Anforderungen. Diese übermittelt das Modul PSIeDMS in Form von Prioritätenlisten. Die Stärke von PSIebus liegt in der Kombination von Informationen sowohl aus Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 25 Elektromobilität INFRASTRUKTUR dem Bereich der Energieversorgung als auch über die Anforderungen des ÖPNV. Zudem ist es - vorsorglich gedacht - konform zu allen KRITIS-Infrastrukturen. In der Praxis bedeutet das ganz konkret: PSIsmartcharging erfasst digital alle ausschlaggebenden Daten. Also etwa, in welcher Stellung sind bestimmte Schalter, oder die Messwerte der Energieversorgung an betrieblich erforderlichen Stellen. So ist das Lastmanagement in der Lage frühzeitig einzugreifen, wenn zum Beispiel die Energieversorgung durch einen Transformator oder den Zustand einer Leitung nicht mehr gewährleistet ist. In diesem Fall greift es je nach Priorisierung direkt in den Ladeprozess ein, indem es etwa einen Vorgang herunterfährt, oder einen in der Nähe befindlichen aussetzt, um wieder mehr Energie zu gewinnen. Das hat auch Auswirkungen auf die gesamte Betriebsinfrastruktur. Die bisherige Netzleistung des Depots erhielt eine Aufstockung. 3.000 kVA stehen nun bereit, die gesamte elektrische Flotte mit Energie zu beliefern. Darüber hinaus versorgt ein ringförmiges Mittelspannungsnetz zusätzlich zu dem gesamten Verwaltungstrakt drei frisch eingerichtete Stationen mit je zwei 1.600-kVA-Transformatoren (Bild 1), die wiederum für die Energie der 50 Ladesäulen Verantwortung übernehmen. Hohe Usability für die Mitarbeiter Die Software überwacht zudem die gesamte Versorgungseinheit. Sobald die Ladesäulen angeschlossen sind, bekommen die Mitarbeiter durch das Modul über Default-Profile das Level jeder Station optisch aufgearbeitet dargestellt. Automatisch gelangen die Informationen dann an das Managementsystem für das Depot (Bild 2). Fehler oder Störungen bei der Kommunikation erkennt das System unmittelbar und zeigt sie an. Disponenten sind in der Lage, zeitnah und angemessen zu agieren. Zum Beispiel: Sinkt ein Wert einer Ladesäule unter eine definierte Schwelle, geben alle Einheiten des Ladesystems Energie frei, um dies auszugleichen. Die Sicherheit der Versorgung bleibt gewährleistet. E-Mobilität als Modell für Stadt und-Land Die Zukunft des ÖPNV in der Region um Paris liegt in der E-Mobilität. Schritt für Schritt rüsten die Betreiber hierfür ihre Fahrzeugflotten um. Im Depot Vélizy reduziert der Einsatz von 50 Elektrobussen schon heute schädliche Emissionen und vermeidet Fahrzeuglärm. Für die Disposition der Busse hat Keolis SA eine Datendrehscheibe mit ganzheitlichem Ansatz gewählt. Die Depot- und Lademanagementplattform PSIebus garantiert den verlässlichen und störungsfreien Betrieb der elektrischen Flotte - mit einem durchgängigen Lösungskonzept und einer hohen Usability. ■ Jost Geweke Business Development Manager, PSI Transcom GmbH, Berlin jgeweke@psi.de Bild 2: Betriebsbild Depot Vélizy Bild 1: Elektrische Versorgung im Depot Vélizy Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 26 Wasserstoffbedarfsprognose für die Region Frankfurt Potentiale im Bereich Transportlogistik, ÖPNV und Binnenschifffahrt sowie für Spezialfahrzeuge Wasserstoff, Transportlogistik, ÖPNV, Binnenschifffahrt, Alternative Kraftstoffe, Standortanalyse für Infrastruktur Anwendungsfelder im Bereich Transportlogistik, ÖPNV und Binnenschifffahrt sowie energieintensiver Spezialanwendungen bieten Potential für den Einsatz wasserstoffbetriebener Nutzfahrzeuge. Für den Aufbau der benötigten Infrastruktur ist eine standortbezogene Bedarfsabschätzung erforderlich. Das vom Bund geförderte Projekt MH2Regio der Stadt Frankfurt am Main liefert diese als erstes Zwischenergebnis für die Region Frankfurt. Auf dieser Basis können besonders geeignete Standorte für erste Wasserstofftankstellen im Rhein-Main-Gebiet ermittelt werden. Kristian Junker, Janina Erb, Roman Flatau, Thorsten Sickenberger D as Klimaschutzprogramm 2050 sowie der kürzlich auf EU-Ebene vereinbarte Green Deal 2030 sind nur zwei Beispiele für politische Rahmenbedingungen, die in den nächsten Jahren zu grundlegenden Änderungen in energieintensiven Sektoren führen werden. Davon sind auch die Akteure im Bereich Güter- und Personentransport betroffen, die sich ihrerseits ambitionierte Ziele für eine kurzfristige CO 2 -Emissionsreduktion gesetzt haben und langfristig Emissionsfreiheit anstreben. Dabei können Wasserstoff als Energieträger und entsprechende Technologien für Erzeugung, Transport und Verteilung eine entscheidende Rolle im Energiemix der Zukunft spielen. Aus biogenen oder regenerativen Quellen erzeugter sogenannter grüner Wasserstoff ist ein derzeit viel diskutierter Hoffnungsträger für die Dekarbonisierung zahlreicher Sektoren und soll als Energieträger zur erfolgreichen Umsetzung der Energiewende dienen. Durch den Einsatz von Wasserstoff in verschiedenen Wirtschaftsbereichen soll ein sektorenübergreifender Markthochlauf initiiert und somit Emissionen reduziert werden. Bereits heute bildet Wasserstoff in einigen Sektoren wie der Industrie und Mobilität eine Alternative zu bisherigen fossilen Energieträgern. Die Elemente einer Wasserstoffwirtschaft und die zentrale Rolle der Abnehmerseite Die Wasserstoffwirtschaft und der damit neu entstehende Markt sind geprägt von drei zentralen Wertschöpfungsstufen: Wasserstofferzeugung, -verteilung und -anwendung. Die größte Unsicherheit in dem neu entstehenden Markt für Wasserstoff ist auf der Anwenderseite zu erkennen, z. B. kurz- Foto: Projekt MH2Regio / Mainova AG INFRASTRUKTUR Wasserstoff Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 27 Wasserstoff INFRASTRUKTUR fristig Redundanz in der Verteilung, mittelfristig in der Restwertkalkulation von Fahrzeugen oder langfristig in der Versorgungssicherheit. Die Umstellung von etablierten Energieträgern auf neuartige ist aufgrund langer Investitionszyklen oftmals ein zeitlich gestreckter Prozess, der von externen Einflussfaktoren abhängt. Hierzu zählen insbesondere Förderprogramme für Investitionen, regulatorische Rahmenbedingungen oder auch die Wettbewerbsfähigkeit. Hinzukommen technologiebedingte Unsicherheiten mangels Erfahrung, Marktdurchdringung und langfristige Betriebssicherheit. Um einen erfolgreichen Markthochlauf zu fördern, ist es daher entscheidend, an welchen Standorten Infrastrukturelemente entstehen. Die Anforderungen an diese sind vielfältig und orientieren sich an den Bedürfnissen des Zielmarkts. Um die Anlaufphase bestmöglich zu unterstützen, muss der zunächst geringe Bedarf bedient werden, und mit steigendem Hochlauf des Wasserstoffs müssen die Standorte expansionsfähig sein. Die Anwenderseite, also die Wasserstoffverbraucher, bildet hierbei den zentralen Ausgangspunkt für die Standortanalyse: Die ersten Infrastrukturelemente müssen so positioniert werden, dass möglichst viele entstehende Wasserstoffpotentiale bedient werden können. Das Projekt MH2Regio - Wasserstoffkonzept für die Stadt Frankfurt am Main Im Projekt „MH2Regio“ werden Partner aus Logistik, öffentlichen Personennah- und -fernverkehr, Luft- und Binnenschifffahrt sowie städtischen Versorgungsunternehmen hinsichtlich einer gemeinsamen Nutzung von Wasserstoff als Energieträger für alternative Antriebskonzepte identifiziert und bezüglich ihrer spezifischen Anforderungen vernetzt. Ziel ist die Entwicklung eines Konzepts zur gemeinschaftlichen Nutzung einer regionalen Wasserstoffversorgungsinfrastruktur, welche alle Bestandteile der Wasserstoff-Wertschöpfungskette in der Region Frankfurt/ Rhein-Main abbildet und sowohl technisch als auch ökonomisch bewertet. Das zu erstellende Gesamtsystem soll durch gemeinsam genutzte Infrastrukturelemente kosteneffizienter und leistungsfähiger als individuell erstellte Einzellösungen werden. Gleichzeitig kann es den zukünftigen Wasserstoffverbrauchern durch eine partnerschaftliche Nutzung Investitionssicherheit bieten. Das Projekt „MH2Regio“ wird im Rahmen des vom BMVI ausgelobten HyLand- Förderprogramms im Modul HyExperts (https: / / www.now-gmbh.de/ sektoren-themen/ sektorenkopplung/ ) gefördert. Zielsetzung und Rahmenbedingungen für die Wasserstoffpotentialanalyse In der ersten Projektphase wird zur Unterstützung der Konzeptionierung der Tankinfrastruktur eine Umfeldanalyse für den Energieträger Wasserstoff in der Region Frankfurt/ Rhein-Main durchgeführt. Die Umfeldanalyse setzt sich aus zwei Schritten zusammen: In der ersten Phase werden potentielle Wasserstoffverbraucher im Bereich der ansässigen Unternehmen aus Logistik, öffentlichem Personennah- und -fernverkehr und Binnenschifffahrt identifiziert und deren Bedarf vor Ort abgeschätzt. In einer zweiten Phase wird ergänzend das Schwerlastverkehrsaufkommen auf den Hauptverkehrsachsen im Rhein-Main-Gebiet analysiert. Die Ergebnisse werden abschließend in einer gemeinsamen Karte zur Standortsuche für Infrastrukturelemente - wie Tankstellen und Distributionsstützpunkte - visualisiert. Die Bedarfsanalyse der lokal ansässigen Unternehmen ist auf die Region Frankfurt/ Rhein-Main, d. h. die räumliche Fläche zwischen Wiesbaden, Rüsselsheim, Darmstadt, Hanau und Bad Homburg, begrenzt. In der ergänzenden Analyse des Schwerlastverkehrsaufkommens werden insbesondere die Hauptverkehrsachsen der Autobahnen A3, A5 und A661, der Bereich des Flughafens sowie die Zubringerstraßen zum umschlossenen Stadtgebiet Frankfurts berücksichtigt. In der Periode von 2025 bis 2040 werden vier äquidistante Stützjahre betrachtet, und der Wasserstoffbedarf pro Jahr in Kilogramm bzw. Tonnen wird jeweils ermittelt. Die Unsicherheit in der Entwicklung der Brennstoffzellentechnologie und somit auch von Wasserstoff als Kraftstoff für Fahrzeuge bedingt die Betrachtung verschiedener Hochlaufszenarien - es werden ein konservatives sowie ein optimistisches betrachtet. Modellierung des Wasserstoffbedarfs und betrachtete Hochlaufszenarien Zur Quantifizierung des Wasserstoffbedarfs sowie des Schwerlastverkehrsaufkommens in der Region Frankfurt/ Rhein-Main werden datenbasierte Ansätze verwendet. In der Wasserstoffbedarfsanalyse werden die folgenden Mobilitäts- und Transportbereiche berücksichtigt: ÖPNV, Fernbusverkehr, Logistik, Binnenschifffahrt und Spezialanwendungen. Im ÖPNV wird der lokale Bestand an Busdepots betrachtet und aufgrund des abweichenden Kraftstoffverbrauchs nach Solo- und Gelenkbus unterschieden. Für den Fernbusverkehr wird der Bedarf von Reisebussen am städtischen Busbahnhof ZOB abgeschätzt. Im Bereich der Logistik wird aufgrund des unterschiedlichen Einsatzgebietes der Flotten und der damit einhergehenden Betankungsstruktur zwischen Auslieferzentren auf der einen Seite und Verteilzentren bzw. Standorten mit Warenein- und -ausgang auf der anderen Seite unterschieden. Hier werden Lieferfahrzeuge, LKWs und Zugmaschinen berücksichtigt. In der Binnenschifffahrt werden Güter- und Fahrgastschiffe unterschieden und deren Bedarf an Güterbinnenhäfen bzw. Anlagestellen für Personenbinnenschifffahrt ermittelt. Im Bereich der Spezialanwendungen werden zudem Abfallsammel- und Betonmischfahrzeuge sowie Frachtschlepper betrachtet. Ermittlung des standortbezogenen Wasserstoffbedarfs Zur Schaffung einer Datengrundlage werden zunächst relevante Parameter zu Flottengröße und -betrieb bei den projektassoziierten Partnerunternehmen abgefragt. Der fahrzeugspezifische Wasserstoffstoffverbrauch wird durch eine Auswertung von Studien und Herstellerangaben ermittelt. Die Annahmen zu Fahrleistung und Betankungsmuster pro Standort basieren vorrangig auf den detaillierten Angaben der Partnerunternehmen und werden durch eine umfangreiche Literatur- und Studienrecherche ergänzt. Zur standortgenauen Quantifizierung des Wasserstoffbedarfs wird dann die folgende Berechnungslogik verwendet: Pro Standort wird die Flottengröße differenziert nach Fahrzeugtypen ermittelt. Diese wird mit dem fahrzeugspezifischen Wasserstoffverbrauch, der jährlichen Laufleistung sowie dem fahrzeugspezifischen Flottenanteil von Brennstoffzellenfahrzeugen unter den Szenarien multipliziert. Die Aggregation über die Fahrzeugtypen und Skalierung mit einem anwendungsspezifischen Betankungsfaktor liefert dann den lokalen Jahreswasserstoffbedarf. Der Betankungsfaktor beschreibt dabei den Anteil des Kraftstoffs, der im Rhein-Main-Gebiet getankt wird. Nicht weiter berücksichtigt werden Veränderungen in den Geschäftsmodellen, steigende Personenmobilität, verstärktes Frachtaufkommen oder auch Effizienzsteigerungen im Brennstoffzellenantrieb. Analyse des Schwerlastverkehrsaufkommens auf den Hauptverkehrsachsen Auf Basis von Daten zum Verkehrsaufkommen wird die durchschnittliche Verkehrsstärke pro Streckenabschnitt und Fahrzeugtyp - darunter Lieferfahrzeug, LKW, Zug- Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 28 INFRASTRUKTUR Wasserstoff maschine und Bus - bestimmt. Ähnlich zur Berechnungslogik für die standortgenaue Wasserstoffnachfrage wird für jeden Streckenabschnitt der Bedarf ermittelt, wobei im letzten Schritt anhand von anwendungsspezifischen Betankungsfaktoren der durch den Schwerlastverkehr entstehende Bedarf für die Region Frankfurt/ Rhein-Main abgeleitet wird. Annahmen zur Herleitung fahrzeugspezifischer Hochlaufszenarien bis 2040 Die Szenarien für den Hochlauf des Kraftstoffs Wasserstoff werden auf Basis der projektassoziierten Partnerunternehmen und regulatorischer Vorgaben zu Flottenemissionswerten im ÖPNV als Anteil von Brennstoffzellenfahrzeugen an den Fahrzeugneuanschaffungen definiert. Treiber sind vor allem die Marktverfügbarkeit der Fahrzeuge, der Ausbau der Betankungsinfrastruktur sowie der Wettbewerb mit batteriebetriebenen Fahrzeugen. Differenziert nach Anwendungsbereich und Fahrzeugtyp werden die im Folgenden beschriebenen konsolidierten Annahmen zur Definition der Szenarien verwendet. Um das Investitionsverhalten des jeweiligen Unternehmens bzw. die Altersstruktur der Flotte zu berücksichtigen, geht in die anschließende Berechnung des Anteils von Brennstoffzellenfahrzeugen an der gesamten Flotte zudem die prognostizierte Anzahl an Neuanschaffungen in den folgenden Jahren ein. Im öffentlichen Personennahverkehr wird in der Vergabe von Buslinien ab 2023 bereits ein Anteil von 30 % an Zero-Emissions-Fahrzeugen vorgeschrieben. Aufgrund des Wettbewerbs mit Batterieantrieb und der derzeit geringeren Marktverfügbarkeit von Brennstoffzellenbussen werden diese kurzfristig nur einen geringen Anteil der Neuanschaffungen darstellen. Langfristig bleibt der Wettbewerb mit batteriebetriebenen Bussen bestehen, sodass der Wasserstoffantrieb bei maximal der Hälfte der Busse zum Einsatz kommen wird. Für Fernbusse hingegen wird nur vereinzelt auf kürzeren Strecken der Wettbewerb zu batteriebetriebenen Fahrzeugen angenommen, sodass der Wasserstoffantrieb langfristig die dominierende Antriebsform sein- kann. Kurzbis mittelfristig ist der Einsatz jedoch von der Entwicklung der zurzeit nicht vorhandenen Marktverfügbarkeit und der Wirtschaftlichkeit abhängig. Im Bereich der Transportlogistik können auf der durch LKW und Zugmaschinen bedienten Langstrecke aufgrund der benötigten Reichweite Brennstoffzellenfahrzeuge zur Erreichung der Emissionsfreiheit notwendig sein. Die im Lieferverkehr eingesetzten Lieferfahrzeuge haben hingegen sehr geringe tägliche Umläufe sowie hohe Standzeiten, sodass mittelbis langfristig der Batterieantrieb die wirtschaftlichere Alternative sein wird. In der Binnenschifffahrt kann der Wasserstoffantrieb langfristig für den emissionsfreien Betrieb notwendig sein, kurzfristig ist die Marktverfügbarkeit und Wirtschaftlichkeit dieser Antriebsart jedoch nicht gegeben. Durch Förderprogramme kann es mittelfristig zur Umrüstung bzw. Austausch einzelner Diesel-Schiffe kommen. Im Bereich der Spezialfahrzeuge wird die Annahme getroffen, dass der Wasserstoffantrieb langfristig aufgrund hoher benötigter Leistungen durch die Zusatzanwendungen der Fahrzeuge dominiert, kurzfristig besteht aufgrund der begrenzten Absatzanzahl jedoch nur eine sehr geringe Marktverfügbarkeit. Ergebnisse der Umfeldanalyse für die Region Frankfurt/ Rhein-Main Die Ergebnisse der durchgeführten Analysen umfassen fahrzeugspezifische Hochlaufkurven bis 2040 sowie den standortgenauen absoluten Jahreswasserstoffbedarf für die ausgewählten Anwendungsbereiche. H 2 -Hochlaufkurve pro Fahrzeugtyp und Szenario (Flottenanteile) Für die betrachteten Fahrzeugtypen in den ausgewählten Anwendungsbereichen ergeben sich anhand der definierten Szenarien und der Berechnungslogik folgende Hochlaufkurven für Wasserstoff als Kraftstoff (Bild 1): •• Im ÖPNV besteht auch langfristig eine große Konkurrenz durch den Batterieantrieb. Der Hochlauf wird daher abgebremst und erreicht bis 2040 ein Niveau von ca. 25 % (konservativ) bis ca. 35 % (optimistisch). •• Fernbusse erreichen aufgrund ihrer geringen Lebensdauer und dem damit verbundenen schnellen Austausch einen zügigen Hochlauf: Ihr Anteil liegt 2040 bei 40 % bis 55 %. •• Der Anteil von wasserstoffbetriebenen LKW und Spezialfahrzeugen wächst überproportional. Ihr Anteil erreicht bis 2040 ca. 30 % bis 45 %. •• Für Lieferfahrzeuge ist aufgrund des dominierenden Einsatzes von batteriebetriebenen Elektrofahrzeugen nur ein Anteil von bis zu 10 % (optimistisches Szenario) realistisch - im konservativen Szenario kommt es nicht zum Einsatz wasserstoffbetriebener Lieferfahrzeuge. •• Schiffe verzeichnen aufgrund ihrer hohen Lebensdauer und dem damit verbundenen langsamen Austausch der Flotte einen sehr langsamen Hochlauf und erreichen bis 2040 nur einen Anteil von bis zu 15 % (optimistisches Szenario). Für die Partnerunternehmen ergeben sich spezifische Hochlaufkurven, die die partnerspezifischen Angaben zu Flottenalter und zur durchschnittlichen Lebensdauer berücksichtigen. Wasserstoffbedarf in absoluten Zahlen Die Wasserstoffbedarfsanalyse für das Rhein-Main-Gebiet zeigt kurz- und mittelfristig einen ausgewogenen Bedarf in den Bereichen Mobilität, Logistik und Spezialanwendungen, welcher durch die im Vergleich geringere Nachfrage in der Binnenschifffahrt ergänzt wird. Der jährliche Wasserstoffbedarf erreicht 2025 einen Wert zwischen 500 t und 1.000 t (konservatives bzw. optimistisches Szenario). Langfristig dominiert der Wasserstoffbedarf im Bereich der Transportlogistik. Für das Jahr 2040 wird insgesamt ein Bedarf von 9.000 t bis Bild 1: Entwicklung des Flottenanteils der wasserstoffbetriebenen Fahrzeuge im konservativen (links) und optimistischen (rechts) Szenario Quelle Darstellungen: Projekt MH2Regio Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 29 Wasserstoff INFRASTRUKTUR 13.000 t (konservatives bzw. optimistisches Szenario) berechnet (Bild 2). Konservatives Szenario Sogar unter der Annahme des konservativen Szenarios wird für das Jahr 2025 bereits ein nicht zu vernachlässigender Bedarf an Wasserstoff prognostiziert, welcher sich bis in das Jahr 2040 fast verzwanzigfacht. Dieser entsteht nach einem kurzfristig ähnlich großen Anteil von Mobilität und Transport und einem mittelfristigen Anstieg der Spezialanwendungen vor allem durch die im zukünftigen Verlauf dominierenden Anwendungen im Transport (Bild 3). Optimistisches Szenario Der im optimistischen Szenario ermittelte Bedarf an Wasserstoff im Jahr 2025 ist doppelt so hoch im Vergleich zum konservativen Szenario und steigt bis in das Jahr 2040 auf 13.000 t an (Bild 4). Auch in diesem Szenario machen die Anteile für Transportanwendungen in der Logistik bereits kurzfristig 50 % des Wasserstoffbedarfs aus und dominieren langfristig (Bild 5). Die weitere Detailanalyse des Schwerlastverkehrs zeigt, dass unter den Hauptverkehrsachsen im Rhein-Main-Gebiet vor allem die im Frankfurter Süden verlaufende Autobahn A3 auf der Ost-West-Achse sowie die A5 auf der Nord-Süd-Achse den größten Wasserstoffbedarf aufweisen (Bild-6). Die gemeinschaftliche Visualisierung des standortgenauen Wasserstoffbedarfs und der Hauptverkehrsachsen in einer Heatmap ermöglicht die Identifikation geeigneter Standorte für Wasserstofftankstellen in der Region Frankfurt/ Rhein-Main. Durch die Betrachtung über die Stützjahre 2025, 2030, 2035 und 2040 kann eine skalierbare und nachhaltige Infrastruktur konzeptioniert werden, die bereits in einer ersten Hochlaufphase eine gewisse Auslastung sicherstellt und auch langfristig bei steigendem Bedarf effizient und ausbaufähig ist (Bild 7). Zusammenfassung und Ausblick Die Ergebnisse der Umfeldanalyse zeigen, dass in der Region Frankfurt/ Rhein-Main bereits kurzfristig in den betrachteten Anwendungsfeldern Logistik, ÖPNV und Binnenschifffahrt sowie Spezialanwendungen im Transport ein Bedarf an Wasserstoff als Kraftstoff für Fahrzeuge entsteht. Dieser verspricht bis 2040 ein großes Wachstum und bietet somit Potential für eine regionale Wasserstoffinfrastruktur. In der zweiten Phase des Projekts MH2Regio dienen die Ergebnisse der Umfeldanalyse zur Standortkonzeption der Bild 2: Die Entwicklung des Wasserstoffbedarfs im Gebiet Frankfurt/ Rhein-Main aufgeteilt nach den jeweiligen Verbrauchssektoren in Mobilität und Transport im konservativen Szenario Bild 3: Entwicklung des Wasserstoffbedarfs nach Verbrauchssektoren im konservativen Szenario Bild 4: Der Wasserstoffbedarf im Gebiet Frankfurt/ Rhein-Main aufgeteilt nach den jeweiligen Verbrauchssektoren in Mobilität und Transport im optimistischen Szenario Bild 5: Entwicklung des Wasserstoffbedarfs nach Verbrauchssektoren im optimistischen Szenario Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 30 INFRASTRUKTUR Wasserstoff Infrastrukturelemente - darunter vor allem öffentliche Wasserstofftankstellen und Distributionsstützpunkte - des Gesamtsystems. Durch die Betrachtung verschiedener Szenarien bezüglich des Wasserstoffhochlaufs kann eine skalierbare und nachhaltige Wasserstoffinfrastruktur konzeptioniert werden. ■ REFERENZEN [1] BASt. (2018): Automatische Verkehrszählung 2018. Abgerufen am 8. Januar 2021 von www.bast.de/ BASt_2017/ DE/ Verkehrstechnik/ Fachthemen/ v2-verkehrszaehlung/ Aktuell/ zaehl_aktuell_node. html [2] Now GmbH (2019): Strombasierte Kraftstoffe für Brennstoffzellen in der Binnenschifffahrt, Studie i.A. des BMVI. Abgerufen am 4. Februar 2021 von www.lbst.de/ ressources/ docs2019/ LBST-DNVGL- IfS_2019_ShipFuel_Hintergrundbericht_NOW.pdf [3] Bund der deutschen Binnenschifffahrt e.V. (BDB). (2020): Daten & Fakten 2019/ 2020. Abgerufen am 4. Februar 2021 von www.binnenschiff.de/ wp-content/ uploads/ 2020/ 11/ Daten-Fakten_2019-20_final.pdf [4] NOW GmbH (2018): Einführung von Wasserstoffbussen im ÖPNV. [5] WaterstofNet (6/ 2020): Global overview fuel cell powered electric trucks. Abgerufen am 4. Februar 2021 von www.fuelcelltrucks.eu Dr. Roman Flatau, Dr.-Ing. Senior Consultant im Bereich Energie, d-fine GmbH, Frankfurt Roman.Flatau@d-fine.de Dr. Thorsten Sickenberger, Dr. rer. nat. Senior Manager im Bereich Mobilität und Transport, d-fine GmbH, Frankfurt Thorsten.Sickenberger@d-fine.de Janina Erb Consultant im Bereich Mobilität und Transport, d-fine GmbH, Frankfurt Janina.Erb@d-fine.de Kristian Junker Projektleiter MH2Regio und Projektingenieur im Bereich Grundsatzplanung und Innovation Erzeugung, Mainova AG, Frankfurt Kristian.Junker@mainova.de Bild 7: Visualisierung des Wasserstoffbedarfs in der Heatmap von 2025 (l.o.) bis 2040 (r.u.) im konservativen Szenario Bild 6: Wasserstoffbedarf in der Region Frankfurt/ Rhein-Main im Jahr 2030 unter dem konservativen Szenario Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 31 Corona und die Auswirkungen auf die Logistik Eine Branche im Ausnahmezustand Corona, Logistik, Warenverkehr, Hamsterkäufe Die Ausbreitung des Sars-CoV-2-Virus hat sich im Jahr 2020 zu einer weltweiten Pandemie entwickelt und beeinflusst seitdem alle Lebensbereiche. Im Zuge der Pandemie übernahm die Logistik eine entscheidende Rolle, da durch Grenzschließungen, Hygienemaßnahmen und Produktionsstillstände in vielen Industrien die normalen Abläufe gestört wurden. Unternehmen waren gezwungen, kurzfristig auf das Infektionsgeschehen zu reagieren, was unter anderem die Erweiterung von Lagerkapazitäten und kontaktlose innerbetriebliche Prozesse mittels Digitalisierung zur Folge hatte. Der Artikel beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie in der Logistikbranche, kurzfristigen Gegenmaßnahmen und einer möglichen langfristigen Entwicklung der Branche. Julian Reiser, Christian Kellner D ie Corona-Pandemie hat sich zu Beginn des Jahres 2020 zu einer weltweiten Krise entwickelt und hat seitdem das private und wirtschaftliche Leben fest im Griff. Sonst eher selten im Rampenlicht, wurde insbesondere die Logistik im Zuge der Corona- Pandemie immer wieder zum Gegenstand öffentlicher Diskussionen. Die Krise zeigte, wie wichtig der reibungslose Ablauf von Logistik- und Transportprozessen für unseren Alltag ist. Die Autoren haben sich im Zuge dieses Artikels zu den Auswirkungen der Corona- Krise auf die Logistik mit zwei Fragestellungen beschäftigt: •• Welche kurzfristigen Maßnahmen wurden getroffen, um die negativen Auswirkungen zu minimieren? •• Welche Veränderungen wird es in der Logistikbranche langfristig geben, um in zukünftigen Krisen besser reagieren zu können? Der Aufbau der Arbeit folgt dem Verlauf der Pandemie und geht noch einen Schritt zurück. Zu Beginn wird die Ausgangssituation in der Logistikbranche anhand der wichtigsten Eigenschaften beschrieben. Anschließend werden der Verlauf der Corona-Krise mithilfe eines Zeitstrahls aufgezeigt und die aus logistischer Sicht kritischen Auswirkungen dargelegt. Der Hauptteil ist in zwei Bereiche gegliedert: die kurzfristigen Maßnahmen und die langfristige Entwicklung der Branche. Bei den kurzfristigen Maßnahmen werden politische Maßnahmen und Best-Practices aus der Industrie aufgeführt. Die langfristige Entwicklung der Branche wird anhand von möglichen Veränderungen durch die Corona-Pandemie aufgezeigt. Die Arbeit be- Foto: C. Koch / pixabay Strategie LOGISTIK Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 32 LOGISTIK Strategie zieht sich auf den Straßenverkehr in Deutschland bzw. der Europäischen Union. Die logistischen Prozesse zur Verteilung des Corona-Impfstoffs werden aufgrund der Komplexität der Thematik bewusst nicht behandelt. Die Logistikbranche - Status quo Die wichtigsten Einflussfaktoren, die Logistikunternehmen unter ständigen Veränderungsdruck setzen, sind Personalmangel, Kostendruck, Nachhaltigkeitsanforderungen, Nachfrageschwankungen und Lean- Konzepte (Bild 1). Die seit Jahren zunehmende Globalisierung der Märkte trägt dazu bei, dass diese Faktoren verstärkt und gleichzeitig der Wettbewerbsdruck erhöht wird [1]. In der Logistik fehlt es in vielen zentralen Positionen an Fachkräften, wie beispielsweise Berufskraftfahrern und Mitarbeitern in der zentralen Verkehrssteuerung oder in der Intralogistik [2]. Schon 2011 sagte der BVL-Vorsitzende Prof. Raimund Klinkner, der Fachkräftemangel sei in der Logistik angekommen. Damals gaben 75 % der 129 befragten Mitgliedsunternehmen an, offene Stellen nicht adäquat besetzen zu können [3]. Nach wie vor gibt es bezüglich Qualifikationen und Anzahl der verfügbaren Mitarbeiter Probleme in der Logistikbranche [4]. „Als Vorreiter in Umwelttechnologien soll Deutschland auch in Verkehr und Logistik eine Führungsrolle übernehmen“ heißt es in einem Thesenpapier, welches die Bundesvereinigung Logistik (BVL) Anfang 2014 der Bundesregierung vorgelegt hat [5]. Auch das Verantwortungsbewusstsein in der Gesellschaft bezogen auf die Umwelt wächst stetig. Daher ist es wichtig, diesen Umschwung in der Logistik zu etablieren. Allerdings wird dieser Nachhaltigkeitswandel die Logistikbranche, aufgrund des wachsenden Verkehrs und der steigenden Nachfrage nach individuellen Produkten, vor neue Herausforderungen stellen. Ein nachhaltiges Wirtschaften ist nur dann möglich, wenn Lieferanten, Geschäftspartner, Mitarbeiter und Kunden konsequent in die gesamten Supply-Chain eingebunden werden [6]. Aufgrund der aktuellen Wichtigkeit des Nachhaltigkeitsgedankens ist es unerlässlich, diesen an dieser Stelle zu erwähnen. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird die Nachhaltigkeit jedoch nicht mehr thematisiert, da die Thematik im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie lediglich eine untergeordnete Bedeutung hat. Der kontinuierlich ansteigende Preis- und Kostendruck, der hauptsächlich durch die Globalisierung entsteht, stellt viele Unternehmen vor Probleme. Vor allem kleinere Logistikunternehmen sind durch den harten Wettbewerb nahezu voll ausgelastet und haben kaum Ressourcen für neue Innovationen [7]. Es ist zu beobachten, dass ständige Nachfrageschwankungen des Verbrauchers die gesamte Lieferkette vor Schwierigkeiten stellt. In der Literatur wird in Bezug auf die Oszillation der Nachfrage, welche die Endkunden mit zunehmendem Abstand eher verstärken, häufig der Begriff Bullwhip-Effekt angewandt. Die Folgen dieses Effektes können Produktionsschwankungen, fehlende oder überflüssige Produktionskapazitäten, erhöhter Lager- oder Sicherheitsbestand und zusätzlicher Transportaufwand sein. Um diese auftretenden Schwankungen bestmöglich in den Griff zu bekommen, ist es essenziell, dass alle Abläufe in der Supply-Chain transparent, nachvollziehbar und steuerbar sind [8]. Das Lean Management, die Planung von effizienten Unternehmensabläufen, ist im Laufe der Jahre immer weiterentwickelt worden. Vielen Arbeitgebern ist es gelungen, die Effizienz und Wirtschaftlichkeit mithilfe verschiedener Lean-Konzepte zu steigern, in der Regel mit dem Ziel, Kosten so gut es geht zu reduzieren. Dadurch wird die Arbeitsintensivität und zugleich die Belastung für Arbeitnehmer erhöht. Zusätzlich trägt die Entwicklung solcher „schlanker“ Unternehmen dazu bei, dass verschiedene Tätigkeits- oder gar gesamte Geschäftsbereiche in andere Länder ausgegliedert werden. Dabei wird die Produktion durchgängig nach dem Prinzip Just-in-time organisiert, d. h. die Nachfrage bestimmt die Produktion, um dadurch die Lagerkosten niedrig halten zu können [9]. Vorteile solcher Just-in-time-Anlieferungen können kürzere Durchlaufzeiten, geringerer Platzbedarf, eine geringere Anzahl von Lieferanten oder eine flexiblere Produktion sein. Demgegenüber stehen die Nachteile, die beispielsweise Erhöhung der Transportkosten, Abhängigkeit der Lieferanten oder Verlagerung der Bestände auf vorgeschaltete Wertschöpfungsebenen sein können [10]. Corona-Auswirkungen In Bild 2 werden ein grober Verlauf der Corona-Pandemie und verschiedene politische Maßnahmen, die Auswirkungen auf die Logistik hatten, dargestellt. Wie in vielen weiteren Branchen, kam es auch in der Logistik vermehrt zu Schwierigkeiten aufgrund der vielen Auswirkungen, welche die Corona-Krise hervorgerufen hat. Nach Eintritt der Pandemie hat das EHI Retail Institute (Bildungsinstitut) am 30.04.2020 die Auswirkungen auf die Logistik in Form einer Blitzumfrage untersucht. In dieser wurden Handelsunternehmen zu den Bereichen Beschaffungslogistik, Intralogistik und Warendistribution befragt. In der Beschaffungslogistik gaben 88 % an von zeitlich verzögerten Anlieferungen, 57 % von reduzierten Anliefermengen und 44 % von kompletten Lieferausfällen betroffen gewesen zu sein. Über 70 % meldeten veränderte Bestellmengen aus den Filialen, 57 % Verschiebungen der Kundennachfrage vom stationären zum Online-Vertrieb und Bild 1: Auswirkungen von Corona in der Logistik Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 33 Strategie LOGISTIK 47 % veränderter Bedarf an Lagerkapazitäten in der Intralogistik. Zudem bestätigten 50 % Auswirkungen auf die Auslastungen vorhandener Transportkapazitäten, 41 % Behinderung im grenzüberschreitenden Verkehr und 25 % Bedarf an zusätzlichen Transportkapazitäten und Fahrern in der Warendistribution. Auf Basis dieser Zahlen wird deutlich, in welchem Ausmaß Unternehmen in Handel und Logistik mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie zu kämpfen hatten [11]. Nachdem das Corona-Virus auch in Europa angekommen war, wurden verschiedene Maßnahmen der Bundesregierung zur Bekämpfung gegen den Virus eingeführt, welche sich auf die Arbeitssituation in den einzelnen Unternehmen auswirkten. Es wurden nicht nur die gemeingültigen Hygieneregeln (Abstand, Maske und Händewaschen), sondern Erweiterungen wie Vermeidung von überlappenden Schichten, Entladung der Fahrzeuge nur durch eigene Mitarbeiter, Einführung des Home-Office, keine Nutzung von Aufenthaltsräumen oder Arbeitsgruppentrennung eingeführt [12]. Darüber hinaus stellten die ständigen Regeländerungen der jeweiligen EU-Länder, sei es bei der Quarantäne- oder Testpflicht, die Unternehmen vor große Herausforderung. Je nach Infektionslage und Inzidenzwert wurden Änderungen vorgenommen. Aufgrund der stetig steigenden Mutationsfälle wurde bei Einreise aus Hochinzidenzgebieten, von mehr als 24 Stunden eine Anmeldepflicht und bei mehr als 72 Stunden eine Testpflicht eingeführt [13]. Für Berufskraftfahrer erschwerte sich aufgrund der Kontaktverbote und Ausgangssperre die Arbeitssituation. Viele Raststätten begrenzten ihre Öffnungszeiten, Toiletten waren geschlossen und Duschen wurden gesperrt [14]. In nahezu allen europäischen Ländern hat der Shutdown dazu geführt, dass Lieferketten instabil wurden und Produktionswerke aufgrund der Engpässe stillstanden [15]. Beispielsweise stand ein Produktionsband im Bremer Mercedes-Werk erstmals seit Jahrzehnten wochenlang still [16]. Es ist üblich, unter anderem auch in der Automobilbranche, dass viele Teile aus verschiedenen Ländern Just-in-time oder Just-in-sequence direkt ans Band geliefert werden. Durch die Test- und Anmeldepflichten ist es vermehrt zu längeren Wartezeiten an den Grenzen gekommen. Die eben genannten Faktoren, Wartezeiten an den Grenzen und schlanke Just-in-time-Anlieferungen, können dazu führen, dass die Produktion aufgrund von Materialengpässen eingestellt werden muss [17]. Zu Beginn der Corona-Pandemie kam es vermehrt zu Hamsterkäufen, bei denen Personen große Mengen von Waren des täglichen Bedarfs kauften [18]. Diese Zusatznachfrage brachte etablierte Abläufe in der Versorgung durcheinander und war dafür verantwortlich, dass das Transportaufkommen zu Beginn der Pandemie im Lebensmittelbereich um 20 % erhöht werden musste [19]. Des Weiteren hat sich das Kaufverhalten der Konsumenten seit Beginn der Corona-Pandemie verändert. Verbraucher führten zwar seltener Lebensmitteleinkäufe durch, dafür erhöhte sich die Menge an Produkten, die eingekauft wurde. Diese kleinen, aber entscheidenden Veränderungen des Kaufverhaltens wirkten sich auf die gesamte Lieferkette aus. Wie im oberen Abschnitt beschrieben, wird diese negative- Auswirkung auch Bullwhip-Effekt genannt [20]. Der stationäre Handel ist abhängig von politischen Entscheidungen und somit gezwungen, je nach Inzidenzwert zu reagieren. Dadurch ist die Zahl der Bestellungen im Online-Handel um mehr als 25 % gestiegen [21]. In einer Studie des Händlerbundes im Oktober 2020 wurden Unternehmen unter anderem zum Thema Retouren in der Corona-Krise befragt. Dabei gaben über die Hälfte an, dass sie aufgrund von Retouren im Online-Handel ein Minusgeschäft verzeichnen. Insgesamt zwei Drittel der Unternehmen bestätigten einen Anstieg von beschädigten Retouren [22]. In einer weiteren Studie der Universität Bamberg hat sich ergeben, dass zwar die Bestellungen im Online-Handel angestiegen sind, aber dennoch die Retourenquote um 1,9 % gegenüber dem Vorjahr gesunken ist. Das liege unter anderem daran, dass gerade ältere Kunden, die gewöhnlich vor Ort einkaufen, sich vorab besser informiert hätten [21]. Kurzfristige Maßnahmen - Reaktion auf die neue Realität Um den beschriebenen Auswirkungen der Corona-Pandemie zu begegnen, mussten Industrie und Politik kurzfristig Maßnahmen ergreifen. Eine Auswahl an Maßnahmen, die zur Bewältigung von Problemen im Zuge der Corona-Pandemie angewandt wurden, wird im Folgenden beschrieben. Die Hauptläufe von interkontinentalen Lieferketten, beispielsweise zwischen Asien und dem Rest der Welt, werden aus Kostengründen per Schiff abgewickelt. Ein Schiffstransport von China nach Deutschland dauert jedoch mehrere Wochen und sorgt für eine entsprechend höhere Bevorratung als ein wenige Stunden dauernder Flugzeugtransport. Im Fall von Lieferschwierigkeiten kommt es zeitversetzt beim Abnehmer zu einem Stock-out 1 , was kurzfristig über Flugzeugtransporte kompensiert werden kann [23]. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass dadurch erhebliche Mehrkosten entstehen, die es zu vermeiden gilt. Logistikdienstleister, wie die Elsen Holding GmbH mit Unternehmenssitz in Wittich, waren sich dieser Problematik bewusst und haben frühzeitig optimierte Leistungsangebote erstellt. Laut der Elsen Holding GmbH liegt die Lösung in der Erhöhung der Sicherheitsbestände, um die aktuelle und zukünftige ähnliche Krisen schadlos zu überstehen [23]. Aus diesem Grund wurden die bestehenden Lagerkapazitäten erweitert und bei Bedarf noch zusätzliche Flächen angemietet. Um die Sicherheitsbestände adäquat zu wählen, wurden What-if-Analysen 2 durchgeführt. Hierbei ging es um den Vergleich von unterschiedlichen Verkehrsträgern und Sicherheitsbeständen, zur Generierung der wirtschaftlich sinnvollsten Lösung. Bild 2: Zeitlicher Verlauf der Corona-Pandemie Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 34 LOGISTIK Strategie Neben der Problematik der abreißenden Lieferketten mussten sich Unternehmen auch auf die neuen Arbeitsbedingungen einstellen. Effektive Lösungen zur Reduktion von Mitarbeiterkontakten und zur Flexibilisierung der Produktion waren erforderlich, um auf täglich neue Bedingungen reagieren zu können. Die Robert Bosch GmbH nutzte die Situation, um das ohnehin wichtige Thema Digitalisierung voranzutreiben. Ein Schwerpunkt war dabei die Reduktion der Kontakte aufgrund der Infektionsschutzverordnung. Zu den kritischen Bereichen gehörten hier die innerbetriebliche Materialversorgung und die zugehörigen Routenzüge [24]. Die Mitarbeiter der Materialversorgung begegnen auf den Routen vielen anderen Mitarbeitern und könnten so im Falle einer Erkrankung zu einer Ausbreitung des Virus beitragen. Zur Minimierung dieser Problematik wurden bei der Robert Bosch GmbH zwei Lösungsansätze verfolgt [24]. Zum einen sorgten fahrerlose Transportsysteme für eine „maximale Minimierung“ der Kontakte bei der innerbetrieblichen Materialversorgung. Andererseits war eine intelligente Transport Management-Software im Einsatz, die Leerfahrten und somit unnötige Kontakte auf ein Minimum reduzierte. Neben der Reduktion der Kontakte war die Software auch mit dafür verantwortlich, dass am Standort Feuerbach die Schutzmasken für die eigene Belegschaft effizient produziert werden konnten. Der hohe Grad an Flexibilität der Software ermöglichte es, neue Produktionslinien einfach in die bestehenden Logistikprozesse einzuplanen und schnell auf die tagesaktuelle Personal- und Bedarfssituation zu reagieren. Auf politischer Ebene wurde in den ersten Wochen nach Ausbruch der Pandemie in Deutschland am 25.03.2020 der Gütertransport-Pakt beschlossen, der einer Zusammenarbeit des Bundesverkehrsministeriums mit fünf Logistikverbänden entsprang und die Aufrechterhaltung von Lieferketten unter den erschwerten Bedingungen erleichtern sollte [25]. Der Schwerpunkt lag darin, die Bedingungen im Straßengüterverkehr an die neue Situation anzupassen und sowohl den Fahrern angemessene Arbeitsbedingungen zu bieten als auch eine effizientere Abwicklung der Transportvorgänge zu gewährleisten. Zu den beschlossenen Maßnahmen gehörten unter anderem [25]: •• Aufhebung von Sonn- und Feiertagsfahrverboten •• Lockerung von Lenk- und Ruhezeiten für kritische Waren (Treibstoff, medizinische Produkte usw.) •• Aufrechterhaltung der Verpflegung an Rast- und Autohöfen •• Verbesserung der hygienischen Bedingungen •• Verschiebung der Hauptuntersuchung bei abgelaufenem TÜV um einige Monate Als Folge der Corona-Krise ist es sehr wahrscheinlich, dass sich langfristig die Struktur von (interkontinentalen) Lieferketten verändern wird und beispielsweise mehrere Lieferanten dem Single Sourcing vorgezogen werden. Auch kurzfristig mussten sich Unternehmen im Zuge der Corona- Krise mit ihrer Lieferantenstruktur beschäftigen. Die kritischen Elemente der Supply-Chain mussten identifiziert und bei Bedarf Beschaffungsalternativen gefunden werden. Um Lieferstrukturen langfristig zu sichern, mussten kritische Lieferanten unterstützt und auf künftige Änderungen vorbereitet werden [26]. Langfristige Entwicklung - wie verändert Corona die Lieferketten? Gesundheitsexperten haben bereits lange vor der Corona-Pandemie vor einem derartigen Ereignis gewarnt, dennoch wurde die Weltbevölkerung von der Corona-Pandemie schwer und unerwartet getroffen. Die kurzfristigen Maßnahmen waren notwendig, um die Auswirkungen auf logistische Prozesse zu minimieren. Entscheidend wird nun aber sein, welche Lehren aus der Krise gezogen und welche Vorbereitungsmaßnahmen für ähnliche Ereignisse in der Zukunft getroffen werden. Noch vor Bewältigung der Pandemie wird diese Thematik mit unterschiedlichen Schwerpunkten diskutiert. Im Zuge der Globalisierung wurde die Produktion von vielen Gütern in Billiglohnländer, insbesondere in Asien verlegt. Die Pandemie, mit den einhergehenden abreißenden Lieferketten von China in den Rest der Welt, hat gezeigt, dass die Produktion von Gütern in einem aus deutscher Sicht weit entfernten Produktionsstandort erhebliche Risiken mit sich bringt. Als Folge wird nun diskutiert, ob es sinnvoll ist, die Globalisierung teilweise umzukehren und zumindest die Produktion von bspw. medizinischen Produkten wieder nach Deutschland bzw. Europa zurückzuholen. Als import- und exportstarke Nation besitzt Deutschland einen hohen Offenheitsgrad [27] und hat in unterschiedlicher Form eine Verbindung zu unzähligen internationalen Lieferketten. Dies führt zur weltweiten Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen und zum aktuellen Wohlstandsniveau des Landes. Experten sind der Meinung, dass die Reallokation von Produktionsfaktoren zurück in die EU einen Wohlfahrtsverlust zur Folge hätte. Zudem würden die Einkommen und der Lebensstandard in den involvierten Ländern sinken [28]. Das alles müsste in Kauf genommen werden, wenn zugunsten der Sicherheit in zukünftigen Krisen wieder flächendeckend auf nationale Produktionsstandorte gesetzt werden würde. Es erscheint unter diesen Umständen aktuell sinnvoll, einen Mittelweg anzustreben. Bei kritischen Gütern, wie beispielsweise medizinischen Produkten, ist es sinnvoll, die Abhängigkeit von weltweiten Produktionsstandorten zu reduzieren und national zu produzieren [20]. In vielen Branchen und Industrien ist die outgesourcte Produktion notwendig, um die aktuell erreichte Wirtschaftlichkeit aufrechtzuerhalten. Hier ist es zwingend erforderlich, dass beispielsweise Diversifizierung und bessere Logistikstrategien dazu führen, dass die Lieferketten stabiler und resilienter in Krisensituationen werden. Die noch engere Zusammenarbeit mit den Lieferanten und die Analyse der Lieferketten über Tier-1 und Tier-2 hinweg, werden für Supply- Chain Manager unerlässlich sein [20]. Ein Beispiel für eine veränderte Logistikstrategie könnte sein, dass kleinere, aber dafür mehr Läger in unmittelbarer Nähe zum Kunden eingesetzt werden [20]. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass dies mehr Robustheit mit sich bringt und auch in zukünftigen Krisen von Vorteil sein wird. Die Erhöhung der Robustheit von Lieferketten wird zwangsläufig dazu führen, dass Trends der letzten Jahre hinterfragt werden. Insbesondere in der Automobilbranche hat sich beispielsweise die Justin-time-Anlieferung im großen Stil durchgesetzt, und Teile werden trotz Transportstrecken über mehrere Grenzen hinweg erst zum Bedarfszeitpunkt angeliefert. Diese Art der Anlieferung ist mit hohen Risiken verbunden und trägt keinesfalls zur Robustheit einer Lieferkette bei. Es ist aus diesem Grund denkbar, dass zumindest eine teilweise Abkehr der Just-in-time-Anlieferung vollzogen wird [26, 20]. Wie bereits beschrieben nutzten manche Unternehmen die Pandemie, um Digitalisierungs- und Technologiethemen voranzutreiben. Auch hier bieten sich langfristig hohe Potenziale, beispielsweise im Einsatz von 3D-Druckern [28]. Der 3D-Druck sorgt für den Wegfall von Transportvorgängen [29] und kann so in einer Pandemie dabei helfen Kontakte zu reduzieren und die Versorgung mit kritischen Bauteilen, wie z. B. Ersatzteilen zu gewährleisten. Die Unternehmen sind zum Handeln gezwungen, sollten dabei aber langfristig auch von der Politik auf nationaler und europäischer Ebene unterstützt werden. Den ersten Schritt ist Deutschland im Rahmen der EU- Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 35 Strategie LOGISTIK Ratspräsidentschaft bereits gegangen und hat am 28.09.2020 einen Entwurf für einen europäischen Pandemie- und Krisen-Notfallplan im Güterverkehr vorgelegt. Unklare und uneinheitliche Regelungen, die sich dazu teilweise noch auf täglicher Basis geändert haben, sorgten im Zuge der Corona- Pandemie für Schwierigkeiten beim grenzüberschreitenden Güter- und Warenverkehr. Ein Pandemie- und Krisen-Notfallplan soll gleichartige Probleme in zukünftigen Krisen verhindern und einheitliche, sowie klare Standards und Notfallmechanismen vorgeben. Der deutsche Entwurf nennt folgende Handlungsfelder [30]: •• Aufrechterhaltung des Güter- und Warenverkehrs durch Festlegung von Grundversorgungsnetzen •• Stärkung der Eigenverantwortung der Verkehrsministerien, einheitliche Regelungen zu Gesundheitstests und Ausnahmen von Quarantänevorgaben •• Ausnahmevorschriften zugunsten aller Verkehrsträger und sichere Versorgung mit betriebsnotwendigen Gütern und Dienstleistungen Ähnlich wie beim Gütertransport-Pakt, bei den kurzfristigen Maßnahmen, ist das übergeordnete Ziel die Aufrechterhaltung der Transportvorgänge von kritischen Gütern und der gleichzeitig größtmögliche Schutz für alle beteiligten Personen. Zudem soll der Verkehrssektor mehr Befugnisse erhalten, um in Krisen schneller und flexibler Entscheidungen zu treffen. ■ Die Autoren bedanken sich an dieser Stelle bei Herrn Prof. Dr.- Ing. Dieter Uckelmann und Frau Anke Pfeiffer von der Hochschule für Technik Stuttgart, die die Erstellung dieses Artikels unterstützend begleitet haben. 1 Stock-Out: Vollständige Erschöpfung von Beständen bspw. in einem Vorratslager für Fertigungsmaterialien 2 What-if-Analyse: Analyse der Auswirkungen von mehreren möglichen Zukunftsszenarien QUELLEN [1] Voß, P. H. (Hrsg.) (2020): Logistik - die unterschätzte Zukunftsindustrie: Strategien und Lösungen entlang der Supply Chain 4.0, 2. Aufl. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden [2] Endemann, M. (2021): Logistik in der Krise., ÖKZ, Jg. 62, Nr. 1, S. 18- 19, doi: 10.1007/ s43830-021-0005-y [3] Deutsches Verkehrsforum (2021): DVF Diskussionsveranstaltung | Strategien nach Corona: Wieviel Resilienz braucht die Logistik? www.youtube.com/ watch? v=byLpwXkPo0U (Abruf: 25. 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Daher steigt das Interesse der KEP-Dienstleister, auf alternative Antriebsarten wie etwa den Elektroantrieb umzusteigen. Im Projekt ZUKUNFT.DE wurden Begehungen von Depots, Interviews von Experten und Begleitungen von Zustelltouren durchgeführt. Dabei wurde ersichtlich, dass nicht nur die KEP-Branche für eine erfolgreiche Implementierung von Elektrotransportern verantwortlich ist. Dafür wurden abschließend Handlungsempfehlungen entwickelt. Philipp Altinsoy, Petra Schäfer D er heutige Wirtschaftsverkehr nimmt bereits seit mehreren Jahren kontinuierlich zu und wuchs in den vergangenen Jahren stark an. Im Jahr 2019 konnte vor allem die Branche der Kurier-, Express- und Paketdienstleister (KEP) einen Anstieg von 3,8 % des Sendungsvolumens verzeichnen und erreichte einen Höchstwert von 3,52-Mrd. Sendungen [1]. Damit ist der Wirtschaftsverkehr, vor allem in ökonomisch starken und zentral liegenden Regionen, von elementarer Bedeutung. Neben diesem Anstieg des Sendungsvolumens erhöhen vor allem Diskussionen über Dieselfahrverbote für Städte den Druck auf den Wirtschaftsverkehr, empirisch fundierten Handlungsempfehlungen, wie sie im Rahmen des Forschungsprojekts ZUKUNFT.DE entstanden sind, nachzukommen. Durch die möglichen Verbote für verbrennungsmotorisch betriebene Transporter steigt das Interesse der KEP-Dienstleister, auf alternative Antriebsarten wie etwa den Elektroantrieb umzusteigen. Dabei spielt vor allem die Integration der Elektromobilität in die bestehenden Verkehrs- und Logistiksysteme eine der zentralen Rollen, um in Zukunft eine nachhaltige Mobilitätsentwicklung gewährleisten zu können und parallel der Einhaltung von Luftemissionswerten sowie dem Anspruch an höherer Lebensqualität im urbanen Raum gerecht zu werden [2]. Mit Blick auf die KEP-Branche werden Elektrotransporter verschiedener Hersteller eingesetzt, die in der Regel in Abstimmung mit der KEP-Branche entwickelt wurden - jedoch auch von Privatpersonen erworben werden können. Bild 1 verdeutlicht, dass sich ein Elektrotransporter in seinem äußeren Erscheinungsbild nicht von einem konventionell betriebenen Transporter unterscheidet und keine Anpassungen von Stellplatzbreiten notwendig sind. Allerdings wird die mögliche Zuladung durch die verbauten Batterien für den Elektromotor reduziert, und es wird eine geeignete Ladeinfrastruktur (LIS) sowie ein Ladekonzept für die optimale Beladung der Batterien auf den Depots der verschiedenen KEP-Unternehmen benötigt. Aktuell werden vermehrt elektrische Transporter in der KEP-Branche getestet. Da die elektrischen Transporter nicht ohne umfassende Anpassungen und Erweiterungen vorhandener Prozesse eingesetzt werden können, steht die KEP-Branche vor einigen Herausforderungen. Durch aufwändige Testphasen - Standort für Standort - benötigen alle KEP-Unternehmen viel Zeit, da sie auch nicht unternehmensübergreifend Erfahrungen austauschen, weshalb das Forschungsprojekt ZUKUNFT.DE an dieser Stelle ansetzt. In diesem Zusammenhang stellt sich die zentrale Frage, ob es möglich ist, vorhandene und noch nicht identifizierte Herausforderungen - standortübergrei- Foto: CDZ / Unsplash LOGISTIK Elektromobilität Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 37 Elektromobilität LOGISTIK fend und unabhängig vom KEP-Unternehmen - zu erfassen. Folglich müssen auch entsprechende Handlungsempfehlungen und Schlussfolgerungen für notwendige Anpassungen und Erweiterungen vorhandener Prozesse in den Depots abgeleitet werden. Diese sollen eine erfolgreiche Implementierung des Themas Elektromobilität in weiteren Depotstandorten ermöglichen und wichtige Hinweise für alle damit verbundenen Themenfeldern geben. Zu elektrischen Transportern in der KEP-Branche gibt es bereits verschiedene Studien, die sich mit der Einsetzbarkeit und den Reichweiten von elektrischen Transportern auseinandergesetzt haben. Bisher wurden lediglich Themen wie das Potenzial der Elektromobilität auf der letzten Meile, der Einsatz von Elektromobilität im städtischen Wirtschaftsverkehr, die Eignung von Elektrofahrzeugen in stadtnahen Belieferungsprozessen oder die Wirtschaftlichkeit von Elektromobilität in gewerblichen Flotten untersucht. Daraus geht hervor, dass bisher keine spezifischen Handlungsempfehlungen für die erfolgreiche Implementierung von batterieelektrisch betriebenen Zustellfahrzeugen in die bestehenden Depotstandorte vorliegen und hier ein konkreter Forschungsbedarf besteht und das Forschungsprojekt ZUKUNFT.DE diesen Bedarf aufgreift und empirisch untersucht. Um umfassende Erkenntnisse zu Herausforderungen, die mit der Einführung von elektrischen Transportern verbunden sind, zu erfassen, wurden eigene Erhebungen im Rahmen des Forschungsprojekts „Zustellverkehre kundenfreundlich, nachhaltig, flexibel und transparent. Durch Emissionsfreiheit (ZU- KUNFT.DE)“ von der Frankfurt University of Applied Sciences durchgeführt. Es handelt sich dabei um ein vom BMVI gefördertes Modellprojekt, bei dem mehrere hundert E-Fahrzeuge im Realbetrieb von KEP-Unternehmen getestet wurden. Im folgenden Text werden die aus den Ergebnissen abgeleiteten Handlungsempfehlungen und strategischen Schlussfolgerungen beschrieben. Vorgehen im Forschungsprojekt ZUKUNFT.DE Im Projekt ZUKUNFT.DE wurden im Zeitraum von Januar 2018 bis Dezember 2020 mehrere Themenfelder bearbeitet und ein Methodenmix aus Experteninterviews, Mitfahrten, Standortbegehungen und Verkehrszählungen gewählt. Abschließend wurden aus den gewonnenen Ergebnissen und Erkenntnissen Handlungsempfehlungen und strategische Schlussfolgerungen entwickelt (siehe Bild 2). Da für die Implementierung der Elektromobilität einige Prozesse an den Depotstandorten angepasst werden müssen, lag ein besonderes Augenmerk auf dem Arbeitspaket „Analyse des Elektrifizierungsprozesses“. Dafür wurden vorab Strategiegespräche mit den Projektverantwortlichen verschiedener KEP-Unternehmen durchgeführt, um eine Auswahl an zu untersuchenden Depots zu treffen. Im nächsten Schritt wurden die gesamten Prozesse in den Depots, von der Implementierung, bis hin zur Erprobung von Elektrotransportern anhand eines eigens entwickelten Erhebungskonzepts, wissenschaftlich untersucht. Damit verbunden waren Begehungen der Depots, Depotleiterbefragungen und Begleitungen der Zustelltouren, die alle der Identifikation von Hemmnissen und Erfolgsfaktoren dienten, die entlang des Elektrifizierungsprozesses bei dem jeweiligen KEP-Standort aufgetreten sind. Um darüber hinaus die aktuelle Nutzbarkeit der vorhandenen Elektrotransporter erfassen und die sich daraus folgenden Auswirkungen auf die Umweltemissionen abschätzen zu können, wurden noch weitere Aspekte untersucht. Somit wurden bspw. die durchschnittlichen Tourenlänge oder der reale Verbrauch der Dieselfahrzeuge abgefragt. Diese Ergebnisse dienten als Grundlage für ein separat entwickeltes Berechnungsmodell zur Identifikation des Einsparpotenzials von CO 2 -Emissionen. Parallel dazu wurden quantitative Daten durch- Verkehrszählungen in drei Innenstädten gesammelt, um den Anteil der KEP- Dienstleister am Verkehrsaufkommen zu validieren. Da für eine erfolgreiche Implementierung der Elektromobilität nicht nur die KEP-Branche verantwortlich ist, wurden zur Erweiterung des Erkenntnisgewinns Experteninterviews mit Verantwortlichen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft geführt, deren Expertise in den Bereichen Wirtschaftsverkehr und Elektromobilität lag. Dabei wurden die im Projekt bereits gesammelten Ergebnisse mit den Expertinnen und Experten diskutiert. Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt ZUKUNFT.DE Im Rahmen der Depotbesuche konnten insgesamt elf Standortbegehungen, 19 Depotleiter-Befragungen und 18 Mitfahrten bei Auslieferungen begleitet werden. Gleichzeitig wurden in den drei Verkehrszählungen ca. 18.000 Fahrzeuge erfasst und zehn Interviews mit Expertinnen und Experten aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft geführt. Aus allen Ergebnissen und Erkenntnissen wurden mehrere Empfehlungen abgleitet, von denen die wichtigsten im Folgenden erläutert werden: Vor der Implementierung von Elektrofahrzeugen ist eine Festlegung einer allgemeinen Zielsetzung hilfreich. Fehlende Organisation des Beschaffungsprozesses der Elektrotransporter kann zu Ausfällen und hohen Kosten führen. Für die festgelegte Zielsetzung sollte definiert werden, in welchem Zeithorizont welche Anzahl von Elektrofahrzeugen eingesetzt werden soll. Des Weiteren müssen alle Bild 2: Übersicht über die bearbeiteten Themenfelder Eigene Darstellung Bild 1: Beispielbild für einen elektrischen (links) und dieselbetriebenen Transporter [3] Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 38 LOGISTIK Elektromobilität für die Umsetzung notwendigen Unternehmen kontaktiert, entsprechende Dienstleistungen bzw. Bestellungen termininert und evtl. der Zeithorizont angepasst werden. Während der Planung sollte beachtet werden, dass der Aufbau der LIS vor dem Zustelldatum der Elektrotransporter liegt, da Probleme bei der LIS mit längeren Verzögerungen verbunden sind und so die Elektrotransporter nicht eingesetzt werden können. Damit einhergehend empfiehlt es sich, die Abholung der Dieseltransporter, die ersetzt werden, nicht auf das Lieferdatum der Elektrotransporter zu legen, da dies zu weiteren Ausfällen und teuren Anschaffungen von Miettransportern führt. Generell sollten für jeden Prozess Puffer eingeplant und nach jedem Schritt überprüft werden, ob alle Aufgaben erfolgreich umgesetzt worden sind. Es sollte für jedes Depot eine umfassende Überprüfung der Touren zum möglichen Einsatz von Elektrotransportern stattfinden. Bei der Überprüfung der Touren ist es notwendig, die Struktur aller Touren genauer auszuwerten. Dabei liegt der Fokus auf der Länge und Paketanzahl jeder Tour, um diese anschließend den maximalen Reichweiten und Ladevolumina der Elektrotransporter gegenüberzustellen. Das Ergebnis zeigt den Depots, ob und wie viele Touren 1: 1 von einem Elektrotransporter ersetzt werden können, oder ob Anpassungen der Touren nötig sind. Da aufgrund der derzeit geringen Reichweiten häufig Innenstadttouren als geeignet identifiziert worden sind, sollten zuerst Depotstandorte elektrifiziert werden, die einen geringen Gesamtdurchschnitt beim Thema Tourenlänge besitzen. Generell sollte bei jeder Tour ein zusätzlicher Puffer für die Reichweite, die topographischen Gegebenheiten und das Gewicht der Tour sowie für die Wintersaison - Inanspruchnahme der Batterie durch Heizaggregate - mit einkalkuliert werden. Überprüfung der Anschlusskapazität und optimale Planung der Ladeinfrastruktur. Falsche Positionen der Ladeinfrastruktur führen zu Problemen im Beladeprozess. Die Ladeinfrastruktur ist ein elementares Thema für die erfolgreiche Nutzung der Elektrotransporter, weshalb vorab die Anschlusskapazität bzw. Netzleistung überprüft werden sollte, um zu bestimmen, welche Anzahl an Elektrofahrzeugen einsetzbar ist. In diesem Zusammenhang sollten Lastspitzen und große Verbraucher am Depot, wie die Sortieranlage, mit beachtet werden, um die tatsächliche Anzahl möglicher Ladepunkte ermitteln zu können. Wenn das Grundstück gemietet ist, empfiehlt es sich, den Vermieter mit in die Planung zu involvieren, da dieser eventuell weitere Informationen über den Standort hat oder Kosten übernimmt. Ebenfalls sollten kleinere Standorte, die von (Sub-) Unternehmern geführt werden, die Dauer des Mietvertrags prüfen bzw. gegebenenfalls anpassen - im Hinblick auf die verbundenen Kosten für eine fest installierte LIS. Zur Vermeidung von Problemen mit der Ladeinfrastruktur und leeren Batterien sollte ein Überwachungsprozess eingeführt werden. Durch einen Überwachungsprozess können sämtliche Fehler beim Anstecken durch die Fahrer detektiert und behoben werden. Eine derartige intelligente Ladeüberwachung sollte ebenfalls eine schonende und gleichmäßige Ladung aller Elektrotransporter steuern und Witterungsverhältnisse berücksichtigen, um maximale Stromaufnahmen und Batterieschäden bei niedrigen Temperaturen zu verhindern. Es ist keine intensive Schulung der Fahrer mit dem Umgang der Elektrofahrzeuge notwendig. Eine kurze Einführung sollte trotzdem durchgeführt werden. Die Elektro-Serienfahrzeuge unterscheiden sich nur wenig von normalen Dieselfahrzeugen im Betrieb und eine Umstellung der Fahrer fällt daher leicht. Eine Einführung zum Ladevorgang sollte jedoch durchgeführt werden, sowie eine Erläuterung bzw. ein Handbuch zum Verhalten bei einem Unfall oder einem technischen Problem gegeben werden. Dies beinhaltet auch Empfehlungen zum optimalen Fahrstil und Betrieb im Winter. Des Weiteren ist es wichtig, den Fahrern die sogenannte „Reichweitenangst“ zu nehmen, um vorhandene Bedenken zu vermeiden. Innenstadttouren eignen sich besonders für die Einführung von Elektrotransportern. Da Innenstadttouren eine hohe Sendungsdichte aufweisen, sind die Touren in der Regel kürzer. Diese eignen sich daher besonders für den Einsatz von Elektrofahrzeugen, da die Reichweitenproblematik wegfällt. Die Einsparung von Luft- und Lärmemissionen ist im Stadtgebiet zudem von besonders großer Bedeutung. Auch die Signalwirkung ist hier sehr hoch. Eine deutliche Kennzeichnung der Elektrofahrzeuge als solche dient der Öffentlichkeitsarbeit und dem Imagegewinn. Vor allem durch das Branding der Zustellfahrzeuge kann die Aufmerksamkeit von Kunden und Passanten für das Thema nachhaltige Paketzustellung gefördert werden. Somit kann ein Imagegewinn der KEP- Branche erzielt und folglich die Akzeptanz gesteigert werden. Empfehlungen für die Politik Fördermöglichkeiten speziell für Elektro- Lieferfahrzeuge und Ladeninfrastruktur sind notwendig. Die Anschaffungspreise für die Elektrotransporter und damit verbundenen Kosten für eine Ladeinfrastruktur unterscheiden sich stark von den Kosten der Dieselfahrzeuge. Ohne Förderungen kann derzeit und in naher Zukunft kein wirtschaftlicher Einsatz von Elektrofahrzeugen realisiert werden. Die Förderungen sollten zum einen unbürokratisch und zum anderen klar zeitlich begrenzt sein. Somit sind die Unternehmen angehalten, Investitionen zeitnah zu tätigen. Die Elektromobilität ist nur ein Baustein für eine nachhaltigere Innenstadtlogistik. Durch die Elektrifizierung von Zustellfahrzeugen können zwar lokal Emissionen reduziert werden, die Probleme wie Staus oder das Parken in zweiter Reihe bleiben jedoch aufgrund der wertvollen Flächen in der Stadt weiterhin bestehen. Deshalb müssen ganzheitliche Konzepte mit alternativen Zustellkonzepten und dem Einsatz von Elektrofahrzeugen entwickelt werden. Die KEP-Dienstleister machen nur einen geringen Anteil am Wirtschafts- und Gesamtverkehr in der Innenstadt aus. Im Innenstadtgebiet machen Handwerker und sonstige Lieferanten den Hauptanteil am Wirtschafts- und Gesamtverkehr aus, KEP-Dienstleister hingegen nur einen kleinen Teil. Das Einsparpotenzial von Treibhausgasemissionen fällt daher im Vergleich zum Gesamtverkehr vergleichsweise gering aus. Aufgrund der vielen Halte- und Anfahrvorgänge und der täglichen Anzahl an Touren im gesamten Stadtgebiet steht die KEP- Branche immer wieder im Fokus der Verkehrsplanung. Für eine nachhaltigere Innenstadtlogistik reicht es nicht, sich nur auf die Paketzustellung zu konzentrieren. Der Aufbau einer öffentlichen Ladeinfrastruktur ist nicht notwendig. Die Transporter werden bei fast allen KEP- Unternehmen nach den Touren auf dem Depotgelände abgestellt, sodass die Fahrzeuge über Nacht geladen werden können. So stehen morgens voll aufgeladene Fahrzeuge zur Verfügung, deren Reichweite für die Innenstadttouren ausreichend ist. Empfehlungen für Hersteller von Elektrotransportern Eine Erweiterung der Modellvarianz sorgt für mehr Einsatzmöglichkeiten. Aktuell werden noch wenige Elektrotransporter im Vergleich zu verbrennungsmoto- Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 39 Elektromobilität LOGISTIK risch betriebenen Transportern angeboten. Dadurch werden die Einsatzmöglichkeiten eingeschränkt und es sollten mehr Modelle in verschiedenen Klassen (<-3,5 t und < 7 t) angeboten werden. Für den Lieferverkehr ist ein großes Ladevolumen bei der Fahrzeugauswahl entscheidend. Das Ladevolumen der aktuellen Elektrotransporter ist zu gering und sollte in zukünftigen Modellen erhöht bzw. an das Volumen der Dieseltransporter angepasst werden, damit diese für die KEP-Branche als gleichwertige Transporter nutzbar sind. Eine intensivere Kommunikation zwischen der KEP-Branche und den Herstellern sollte stattfinden. Aufgrund der Diversität der Touren und damit verbundenen Nutzung der Transporter ist für die Zukunft ein intensiverer Kontakt nötig, um notwendige Anpassungen an den Transportern besprechen und sinnvolle Optimierungen vornehmen zu können. Fazit Insgesamt konnte, mit Hilfe quantitativer Verkehrszählungen und qualitativer Begehungen und Interviews, eine fundierte Aussage über aktuelle Herausforderungen getroffen werden, die mit der Einführung elektrischer Transporter in der KEP-Branche verbunden sind. Es konnte gezeigt werden, dass sich von den Herausforderungen eine Vielzahl an Handlungsempfehlungen und strategischen Schlussfolgerungen ableiten lassen. Mit Blick auf das Thema Verantwortung kann festgehalten werden, dass die KEP- Branche alleine nicht zu einer erfolgreichen Einführung von Elektrotransportern und somit zur Lösung von Emissionsproblemen beitragen kann. Nur durch die Zusammenarbeit der Entscheidungsträger aus den Bereichen Politik, KEP-Branche und Fahrzeughersteller kann die Elektromobilität - als ein Baustein von vielen - einen Beitrag zu einer nachhaltigeren Stadtlogistik leisten. ■ LITERATUR [1] Bundesverband Paket & Expresslogistik e. V. (2020): KEP-Studie 2020 - Analyse des Marktes in Deutschland. Juni 2020. www.biek.de/ publikationen/ studien. html? year=2020, abgerufen am 03.02.2021 [2] Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (o. J.): Institut für Verkehrsforschung. 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Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 40 Elektrifizierung des Straßengüterverkehrs Kraftstoff- und Stromverbrauchsanalyse von Oberleitungs-Hybrid-Lastkraftwagen Klimawandel, Straßengüterverkehr, eHighway, Oberleitungs-Hybrid-Lastkraftwagen, Kraftstoff-/ Stromverbrauch Das Voranschreiten des Klimawandels erfordert alternative, nachhaltige und zukunftsorientierte Lösungen. Insbesondere für den Transportsektor müssen Lösungsansätze entwickelt und in der Praxis etabliert werden. Ein viel diskutierter Lösungsansatz ist die Elektrifizierung des Straßengüterverkehrs mithilfe von Oberleitungen. Durch eine Kombination der Vorteile der Schiene mit der Flexibilität der Straße, könnte das als „eHighway“ bezeichnete System eine wichtige Rolle im Transportsektor der Zukunft einnehmen. Basierend auf dem hessischen eHighway-Feldversuch ELISA (Elektrifizierter, innovativer Schwerverkehr auf Autobahnen) beschäftigt sich dieser Beitrag mit der Untersuchung und den Forschungsergebnissen zum Kraftstoff- und Stromverbrauch der auf dem eHighway eingesetzten Oberleitungs-Hybrid-Lastkraftwagen. Ferdinand Schöpp, Özgür Öztürk, Regina Linke, Jürgen K. Wilke, Manfred Boltze D er Klimawandel erfordert nachhaltige und zukunftsorientierte Lösungen in zahlreichen Handlungsfeldern. Ein Handlungsfeld, das von einem grundlegenden Umdenken betroffen ist, ist der seit Jahren sukzessiv wachsende Verkehrssektor. [1] Verantwortlich für einen beträchtlichen Anteil an Treibhausgasemissionen, werden gerade für diesen Sektor tragfähige Lösungen dringend benötigt. [2, 3] Um dieser Herausforderung gerecht zu werden, hat die Bundesregierung eine schrittweise Vermeidung von Treibhausgasen im Klimaschutzplan 2050 verankert. [4] Die Ambitionen der Bundesregierung wurden in den vergangenen Monaten sogar nochmals bekräftigt, indem das bisherige Klimaschutzgesetz weiter verschärft wurde. Anstatt der bisherigen Zielsetzung, eine weitgehende Treibhausgasneutralität bis 2050 zu erreichen, soll diese nunmehr bereits 2045 erreicht worden sein. [5] Als wichtige Stellschraube zur Erreichung einer weitest gehenden Treibhausgasneutralität wird dabei angemerkt, dass es insbesondere Alternativen für den Straßengüterverkehr bedarf, der sich als ein wesentlicher Emittent von Treibhausgasen zeigt. [4] Ein häufig diskutierter Lösungsansatz in diesem Zusammenhang ist das sogenannte eHighway-System. Mit dem eHighway-System können Lastkraftwagen während der Fahrt mit elektrischer Energie aus einer Oberleitung versorgt werden (siehe Bild 1). Ein wesentlicher Vorteil des eHighway-Systems besteht darin, den Kraftstoffverbrauch des Straßengüterverkehrs in Folge erheblich zu reduzieren, ihn teils sogar vollends zu LOGISTIK Elektrifizierung Foto: Siemens Mobility Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 41 Elektrifizierung LOGISTIK vermeiden. Damit einhergehend lassen sich Treibhausgasemissionen einsparen, so dass ein positiver Beitrag zum Klimaschutz erreicht werden kann. Die tatsächlich realisierbaren Einsparungen an Treibhausgasemissionen sind dabei vor allem vom Kraftstoff- und Stromverbrauch sogenannter Oberleitungs-Hybrid-Lastkraftwagen (OH- LKW) abhängig, dessen Untersuchung sich dieser Beitrag widmet. Auf Basis erhobener Realdaten im hessischen Feldversuch ELISA (Elektrifizierter, innovativer Schwerverkehr auf Autobahnen) wird der Kraftstoff- und Stromverbrauch von OH-LKW evaluiert. Aktueller Forschungsstand zum eHighway-System Begleitet von zwei Forschungsprojekten (ENUBA und ENUBA 2) wurde das eHighway-System zu Beginn seiner Entwicklung unter überwachten Bedingungen auf einer nicht-öffentlichen Testanlage in Groß-Dölln (nahe Berlin) getestet. [6, 7] Nach zwei weiteren Feldtests der eHighway-Technologie in den USA und Schweden wird das eHighway-System derzeit durch drei Feldversuche im öffentlichen Straßenraum in Deutschland evaluiert. Der am weitesten fortgeschrittene Feldversuch befindet sich in Hessen. Jeweils fünf Kilometer in nördlicher und südlicher Richtung der Bundesautobahn BAB 5 zwischen Frankfurt am Main und Darmstadt sind mit dem Oberleitungssystem ausgestattet. Eine Streckenverlängerung um weitere sieben Kilometer befindet sich derzeit in der Vorbereitungsphase. Begleitet wird der Feldversuch durch das Forschungsprojekt ELISA. Gefördert durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit und unter der Federführung der Autobahn GmbH des Bundes, widmen sich das Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik (IVV) der Technischen Universität Darmstadt und seine Projektpartner Siemens Mobility GmbH sowie das Energieversorgungsunternehmen Entega AG einem umfassenden Forschungsprogramm. [3, 8] Der Versuchsbetrieb im ELISA-Feldversuch wurde im Mai 2019 mit der Auslieferung des ersten OH-LKWs aufgenommen. Im Juli 2020 wurde der vorerst letzte der fünf vorgesehenen OH-LKW an das Projekt übergeben. Bei den im ELISA-Feldversuch eingesetzten OH-LKW handelt es sich derzeit um Fahrzeuge der Scania Baureihe R450 A4x2NB R17N. Diese sind mit einem parallelen Hybridantrieb ausgestattet. Im Wesentlichen besteht die in den OH-LKW verbaute Technik aus einem 450 PS starken Verbrennungsmotor, einer 130 kW starken E-Maschine, einer 18,5-kWh-Batterie und einem Stromabnehmer (Pantograph). [8] Fünf breit diversifizierte Transportunternehmen agieren als assoziierte Partner des ELISA-Projekts und setzen den ihnen zur Verfügung gestellten OH-LKW jeweils in ihrem Tagesgeschäft ein. Dieser Einsatz im realen Umfeld erlaubt Rückschlüsse auf das Verhalten und das Zusammenspiel der eingesetzten Technologie nicht mehr nur unter Laborbedingungen, sondern in einem realistischen Einsatzgebiet. Grundlagen zur Analyse des Kraftstoff- und Stromverbrauchs von OH-LKW Vorangegangene Forschungsaktivitäten am IVV konnten bereits grundlegende Erkenntnisse zum Kraftstoff- und Stromverbrauch von OH-LKW aufzeigen. Im Rahmen durchgeführter Forschungsfahrten mit den ersten beiden ausgelieferten OH-LKW wurde beobachtet, dass durch die Nutzung des eHighway-Systems erheblich Dieselkraftstoff eingespart werden konnte, teils auch ein rein elektrischer Betrieb möglich war. Es wurde in diesem Zusammenhang auch festgestellt, dass der Betrieb eines OH- LKW in verschiedene Fahrzustände, sogenannte Betriebsmodi, unterteilt werden kann. Auf Basis des Zusammenspiels von Verbrennungsmotor, E-Maschine sowie der maßgeblichen Strombezugsquellen (Batterie und Oberleitung) wurde eine Differenzierung von zunächst sechs Betriebsmodi vorgeschlagen, die eine ganzheitliche Beschreibung des OH-LKW-Betriebs zulassen sollten. Unterschieden wurden drei hybride Betriebsmodi sowie drei elektrische Betriebsmodi. [9] Basierte der bisherige Forschungsstand maßgeblich auf Beobachtungen im Rahmen von Forschungsfahrten, lässt das Voranschreiten des ELISA-Feldversuchs nunmehr neue Erkenntnisse zum Kraftstoff- und Stromverbrauch von OH-LKW zu. Aufbauend auf den nach Boltze et al. [9] aufgestellten Grundlagen ist insbesondere eine datenbasierte Berechnung von Verbrauchskennwerten für den Alltagsbetrieb von OH- LKW möglich. Um hierbei belastbare Ergebnisse erzielen zu können, wurde am IVV ein mehrstufiges Verfahren entwickelt, dessen Anwendung spezifische Verbrauchskennwerte in Abhängigkeit vom Betriebsmodus eines OH-LKWs erlaubt. Das Verfahren enthält die folgenden Schritte: •• Auseinandersetzung mit der vorhandenen Datenbasis •• Datenbasierte Verifizierung und Abgrenzung der Betriebsmodi von OH-LKW •• Entwicklung und Anwendung einer geeigneten Berechnungsmethodik •• Ermittlung der Ergebnisse zum Kraftstoff- und Stromverbrauch von OH-LKW Auseinandersetzung mit der vorhandenen Datenbasis Zu Beginn der Arbeiten war es von besonderer Bedeutung, ein umfassendes Verständnis über die verfügbaren Fahrzeugdaten zu gewinnen. Die im ELISA-Feldversuch eingesetzten OH-LKW sind mit einem Datenlogger ausgestattet. Ist ein OH-LKW in Betrieb, werden über einhundert verschiedene Fahrzeugparameter erfasst. Etwa alle 0,1-Sekunden wird ein neuer Dateneintrag generiert, welcher auch als „Record“ bezeichnet wird. Für die korrekte Interpretation der vorliegenden Datenbasis war es eine essentielle Aufgabe, ein weitreichendes Wissen über die erfassten Fahrzeugparameter und ihrer zugehörigen Wertebereiche zu erlangen. Insbesondere eine graphische Aufbereitung der jeweiligen Verlaufskurven der einzelnen Fahrzeugparameter unterstützte dabei den Verständnisprozess. Bild 2 zeigt am Beispiel der Fahrzeugparameter zum Bild 1: Das eHighway-System auf der BAB 5 zwischen Frankfurt am Main und Darmstadt Quelle: IVV Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 42 LOGISTIK Elektrifizierung Pantographenstatus, zum Betriebsstatus und zur Drehzahl des Verbrennungsmotors diesen Verfahrensschritt beispielhaft auf. Datenbasierte Verifizierung und Abgrenzung der Betriebsmodi von OH-LKW Als Voraussetzung für eine Analyse und Quantifizierung von Verbrauchskennwerten von OH-LKW waren die von Boltze et al. [9] eingeführten Betriebsmodi zu verifizieren und ein neues Verfahren zu entwickeln, das diese Betriebsmodi basierend auf den vom OH-LKW erfassten Daten über den gesamten Fahrbetrieb hinweg lückenlos identifizieren kann. Hierzu wurden überwachte Forschungsfahrten mit OH- LKW durchgeführt. Dabei wurden vordefinierte Fahrprofile abgefahren, die einen bekannten Ablauf der sechs Betriebsmodi erwarten ließen. Die Verlaufskurven sämtlicher Fahrzeugparameter wurden anschließend unter Zuhilfenahme des Fahrprofils analysiert. Dem Vorgehen lag die Annahme zu Grunde, dass unterschiedliche Betriebsmodi eines OH-LKW zu unterschiedlichen, eindeutigen und wiederkehrenden Mustern in den Verlaufskurven der Fahrzeugparameter führen, welche sich zur datenbasierten Identifikation nutzen lassen. Die zugrunde gelegten Betriebsmodi konnten durch dieses Vorgehen in den Verlaufskurven eindeutig nachvollzogen und bestätigt werden. Es wurde jedoch festgestellt, dass einige zusätzliche Fahrtabschnitte vorlagen, welche uneindeutige Wertekombinationen aufwiesen und keinem der sechs Betriebsmodi zugeordnet werden konnten. Eine genauere Analyse zeigte, dass diese stets im Übergang von einem Betriebsmodus zu einem anderen Betriebsmodus auftraten. Ein weiterer Betriebsmodus - der sogenannte Übergangsmodus - ergänzt daher die sechs Betriebsmodi, die in Folge als 6+1-Betriebsmodi definiert werden. Angelehnt an die bereits von Boltze et al. [9] aufgestellten OH-LKW-Betriebsmodi, lassen sich die Definitionen nach aktuellem-Stand der Forschung wie folgt konkretisieren: Hybrid-Standardmodus: Während der OH- LKW im Hybrid-Standardmodus operiert, ist der Verbrennungsmotor immer aktiv. Die Traktion wird durch die Interaktion zwischen Verbrennungsmotor und E-Maschine sichergestellt, wobei der Verbrennungsmotor in diesem Modus die Hauptleistung erbringt. Der Pantograph wird in diesem Modus nicht verwendet. Leistungsüberschüsse und/ oder Rekuperation laden die Batterie. Energiequellen für die Traktion sind hauptsächlich Dieselkraftstoff (primäre Energiequelle), aber auch elektrische Energie aus der Batterie (sekundäre Energiequelle). Hybrid-Zwangslademodus: Während der OH-LKW im Hybrid-Zwangslademodus operiert, ist der Verbrennungsmotor immer aktiv. Die Traktion wird durch die Interaktion zwischen Verbrennungsmotor und E- Maschine sichergestellt, wobei der Verbrennungsmotor in diesem Modus die Hauptleistung erbringt. Der Pantograph wird in diesem Modus nicht verwendet. Leistungsüberschüsse und/ oder Rekuperation laden die Batterie. Energiequellen für die Traktion sind hauptsächlich Dieselkraftstoff (primäre Energiequelle), aber auch elektrische Energie aus der Batterie (sekundäre Energiequelle). Zusätzlich zum Hybrid-Standardmodus wird in diesem Betriebsmodus der Verbrennungsmotor aktiv genutzt, um einen Leistungsüberschuss zum Laden der Batterie zu erzwingen. Hybrid-Oberleitungsmodus: Während der OH-LKW im Hybrid-Oberleitungsmodus operiert, ist der Verbrennungsmotor immer aktiv. Die Traktion wird durch die Interaktion zwischen Verbrennungsmotor und E- Maschine sichergestellt. Der Pantograph ist mit der Oberleitung verbunden. Leistungsüberschüsse sowohl aus der Oberleitung als auch aus dem Verbrennungsmotor sowie Rekuperation laden gegebenenfalls die Batterie. Energiequellen für die Traktion sind sowohl Dieselkraftstoff als auch elektrische Energie aus der Oberleitung (beide Energiequellen sind in diesem Fall die primäre Energiequelle). Elektrisch-Standardmodus: Während der OH-LKW im Elektrisch-Standardmodus operiert, ist der Verbrennungsmotor nicht in Betrieb. Die Traktion wird nur durch die E-Maschine gewährleistet. Der Pantograph wird nicht eingesetzt. Die Batterie kann durch Rekuperation geladen werden. Energiequelle für die Traktion ist ausschließlich elektrische Energie aus der Batterie (primäre Energiequelle). Elektrisch-Zwangsmodus: Während der OH-LKW im Elektrisch-Zwangsmodus operiert, ist der Verbrennungsmotor nicht in Betrieb. Die Traktion wird nur durch die E- Maschine gewährleistet. Der Pantograph wird nicht eingesetzt. Die Batterie kann durch Rekuperation geladen werden. Energiequelle für die Traktion ist ausschließlich elektrische Energie aus der Batterie (primäre Energiequelle). Der Unterschied zwischen diesem Betriebsmodus und dem Elektrisch-Standardmodus besteht darin, dass der OH-LKW vom Fahrer mittels Knopfdrucks gezwungen wird, ausschließlich die E-Maschine für die Traktion zu verwenden. (Dies kann insbesondere in immissionssensiblen Bereichen, z. B. auf dem Betriebshof oder in Siedlungsgebieten, genutzt werden.) Elektrisch-Oberleitungsmodus: Während der OH-LKW im Elektrisch-Oberleitungsmodus operiert, ist der Verbrennungsmotor nicht in Betrieb. Die Traktion wird nur durch die E-Maschine gewährleistet. Der Pantograph ist mit der Oberleitung verbunden. Leistungsüberschüsse aus der Oberleitung und/ oder Rekuperation laden gegebenenfalls die Batterie. Energiequelle für die Bild 2: Graphische Aufbereitung ausgewählter Fahrzeugparameter Quelle: Autoren Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 43 Elektrifizierung LOGISTIK Traktion ist elektrische Energie aus der Oberleitung (primäre Energiequelle). Übergangsmodus: Es können Übergänge zwischen zwei Betriebsmodi auftreten. Während ein Übergang stattfindet, sind verschiedene und nicht eindeutig zuzuordnende Betriebszustände möglich. Die Drehzahl des Verbrennungsmotors ist Null, wenngleich der Betriebszustand des Verbrennungsmotors bereits auf aktiv gesetzt wurde. Bild 3 zeigt die Zusammensetzung und das Zusammenwirken der Betriebsmodi auf. Abhängig von der jeweiligen Intention lassen sich bei der Interpretation einzelner Betriebsmodi verschiedene funktionelle Kombinationen bilden. So können die identifizierten Betriebsmodi einerseits zu hybriden und elektrischen Betriebsmodi zusammengefasst werden (vertikal). Andererseits ist eine Zusammenfassung der Betriebsmodi hinsichtlich Fahrten mit beziehungsweise ohne Nutzung der Oberleitung möglich (horizontal). Entwicklung und Anwendung einer geeigneten Berechnungsmethodik Die Verifizierung und datenbasierte Abgrenzung der Betriebsmodi von OH-LKW erlaubt in Folge die Ausarbeitung und Anwendung einer datenbasierten Berechnungsmethode zur Quantifizierung des Kraftstoff- und Stromverbrauchs von OH- LKW. Eine umfassende Kenntnis über die Werte der nachfolgenden Fahrzeugparameter ist hierfür erforderlich: •• Zeitstempel des Datensatzes (Record) (Datum und Uhrzeit) •• Kilometerstand (km) •• Fließrate des Dieselkraftstoffs (l/ h) •• Stromstärke E-Maschine (A) •• Spannung an der E-Maschine (V) •• Fahrzeuggeschwindigkeit (km/ h) •• Ladezustand der Batterie (%) Um den Kraftstoff- und Stromverbrauch von OH-LKW zu berechnen, bedarf es aufgrund des komplexen Antriebsstrangs eines OH-LKW einer mehrteiligen Berechnungsgrundlage, die sowohl den Kraftstoffverbrauch als auch den Stromverbrauch belastbar ausweisen kann. Bild 4 zeigt die entwickelte Berechnungsmethodik zur Quantifizierung des Kraftstoff- und Stromverbrauchs in Abhängigkeit des Betriebsmodus von OH-LKW auf. Die Datenauswertungen und Berechnungen wurden mittels der Statistik- Software R [10] durchgeführt. Für den Kraftstoffverbrauch ist im Rahmen der Berechnungen kein besonderes Augenmerk auf eine Differenzierung des Definitionsbereichs zu legen. Für die Berechnungen des Stromverbrauchs zeigen sich hingegen Besonderheiten. OH-LKW verbrauchen nicht nur Strom, sondern es ist während des Zwangsladens der Batterie, der Rekuperation oder bei Bremsvorgängen auch eine Stromerzeugung möglich. Dies spiegelt sich im Definitionsbereich des Parameters zur Stromstärke der E-Maschine wider: Bezieht der OH-LKW Strom, nimmt die Stromstärke einen positiven Wert an; erzeugt der OH-LKW Strom, entsprechend einen negativen Wert. Dies ist im Rahmen der Berechnungen durch die Einschränkung des jeweils zulässigen Definitionsbereichs zu berücksichtigen (siehe Bild 4). Die erarbeitete Berechnungsmethodik wurde zunächst anhand der Daten des ersten OH-LKW auf Basis eines repräsentativen Beispielmonats validiert und anschließend sukzessive auf die weiteren vier OH- LKW übertragen. Zur Gewährleistung einer hohen Ergebnisqualität wurde des Weiteren ein umfassender Datenbereinigungsprozess in das Berechnungsverfahren integriert. Ergebnisse zum Kraftstoff- und Stromverbrauch von OH-LKW Seit Beginn des Versuchsbetriebs auf der ELISA-Teststrecke konnten bis einschließlich Dezember 2020 in Summe 178.837 Kilometer für die Analyse des Kraftstoff- und Stromverbrauchs von OH-LKW ausgewertet werden. Die Anwendung der vorgestellten Berechnungsmethodik führt zu den in Bild 5 dargestellten spezifischen Verbrauchskennwerten. Die Ergebnisse stellen dabei einen fiktiven OH-LKW dar, der sich aus sämtlichen, auswertbaren Daten aller fünf im ELISA-Feldversuch eingesetzten Fahrzeuge zusammensetzt. Den Kern der generierten Verbrauchsmatrix bilden die spezifischen Verbrauchskennwerte je Betriebsmodus (in grau dargestellt). Zusätzlich wurden durch eine horizontale beziehungsweise vertikale Verrechnung die spezifischen Verbrauchskennwerte der beiden gängigen Betriebsmodi-Kombinationen ermittelt: Angaben zu hybriden beziehungsweise elektrischen Betriebsmodi in Blau; Angaben zu Betriebsmodi mit beziehungsweise ohne Oberleitungsnutzung in Grün. Auch ein hypothetischer Gesamtverbrauch eines OH- LKW lässt sich ermitteln, wenngleich ein solcher mit hoher Sorgfalt interpretiert werden muss. Der Verbrauch eines OH-LKWs wird von zahlreichen Faktoren bestimmt, maßgeblich zunächst getrieben von dem Anteil mit dem eHighway-System ausgestatteter Streckenabschnitte, gemessen an einer gesamt zurückgelegten Strecke. Im ELISA- Feldversuch beträgt dieser Anteil für den fiktiven OH-LKW derzeit etwa 5 bis 10 %. 𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾 ������������� � 𝑙𝑙 100𝑘𝑘𝑘𝑘 = � 0.1 𝐾𝐾 3600 𝐾𝐾 𝐾 × 𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝑘𝑘𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾 � 𝑙𝑙 𝐾 � 𝐾𝐾𝐾𝐾𝑙𝑙𝐾𝐾𝑘𝑘𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾 � 𝑘𝑘𝑘𝑘 − 𝐾𝐾𝐾𝐾𝑙𝑙𝐾𝐾𝑘𝑘𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾 ��� 𝑘𝑘𝑘𝑘 × 100 𝑆𝑆𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝑘𝑘𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾 ������������� � 𝑘𝑘𝑘𝑘𝐾 100𝑘𝑘𝑘𝑘 = � 0.1 𝐾𝐾 3600 𝐾𝐾 𝐾 × 𝑆𝑆𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝑘𝑘𝐾𝐾𝐾𝐾𝑆𝐾𝐾𝑘𝑘𝐾𝐾 ����������,� [𝐴𝐴𝐴 × 𝑆𝑆𝑆𝑆𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾 ����������,� [�� 1000 � 𝐾𝐾𝐾𝐾𝑙𝑙𝐾𝐾𝑘𝑘𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾 � 𝑘𝑘𝑘𝑘 − 𝐾𝐾𝐾𝐾𝑙𝑙𝐾𝐾𝑘𝑘𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾 ��� 𝑘𝑘𝑘𝑘 × 100 𝑆𝑆𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝑘𝑘𝐾𝐾𝐾𝐾𝑆𝑆𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾 ������������� � 𝑘𝑘𝑘𝑘𝐾 100𝑘𝑘𝑘𝑘 = � 0.1 𝐾𝐾 3600 𝐾𝐾 𝐾 × 𝑆𝑆𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝑘𝑘𝐾𝐾𝐾𝐾𝑆𝐾𝐾𝑘𝑘𝐾𝐾 ����������,� [𝐴𝐴𝐴 × 𝑆𝑆𝑆𝑆𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾 ����������,� [�� 1000 � 𝐾𝐾𝐾𝐾𝑙𝑙𝐾𝐾𝑘𝑘𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾 � 𝑘𝑘𝑘𝑘 − 𝐾𝐾𝐾𝐾𝑙𝑙𝐾𝐾𝑘𝑘𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾 ��� 𝑘𝑘𝑘𝑘 × 100 𝑘𝑘𝐾𝐾𝐾𝐾 𝑚𝑚 = 𝑆𝑆𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝑘𝑘𝐾𝐾𝐾𝐾𝑆𝐾𝐾𝑘𝑘𝐾𝐾 ���������� 𝐴𝐴 ≥ 0} 𝑘𝑘𝐾𝐾𝐾𝐾 𝑚𝑚 = 𝑆𝑆𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝐾𝑘𝑘𝐾𝐾𝐾𝐾𝑆𝐾𝐾𝑘𝑘𝐾𝐾 ���������� 𝐴𝐴 < 0} (1) (2) (3) Bild 4: Berechnungsmethodik zur Quantifizierung des Kraftstoff- und Stromverbrauchs von OH-LKW Quelle: Autoren Hybride Betriebsmodi Elektrische Betriebsmodi Nicht- Oberleitungs- Betriebsmodi Oberleitungs- Betriebsmodi Hybrid - Standardmodus Hybrid - Zwangslademodus Hybrid - Oberleitungsmodus Elektrisch - Standardmodus Elektrisch - Zwangsmodus Elektrisch - Oberleitungsmodus Übergangsmodus Bild 3: Zusammenspiel der Betriebsmodi eines OH-LKW Quelle: Autoren Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 44 LOGISTIK Elektrifizierung Schlussfolgerungen Als wesentliche Schlussfolgerungen dieses Beitrags können festgehalten werden: Es wurden 6+1-Betriebsmodi eines OH-LKW identifiziert, die alle möglichen Betriebszustände eines OH-LKW lückenlos abdecken. Es wurden dabei drei hybride Betriebsmodi, drei elektrische Betriebsmodi und ein Übergangsmodus definiert. Ein Null-Kraftstoffverbrauch eines OH-LKW ist möglich. Das Fahren in den elektrischen Betriebsmodi führt zu einer Kraftstoffeinsparung von 100 %. Ein Null-Kraftstoffverbrauch bei Nutzung der Oberleitung erfordert eine ausreichende Leistung der E-Maschine. Bei Fahrt im Hybrid-Oberleitungsmodus ist ein geringer Kraftstoffverbrauch möglich, der zum aktuellen Zeitpunkt unter anderem auf die geringe Leistungsfähigkeit der E-Maschine (130 kW) zurückgeführt wird. Zur Überwindung des Fahrwiderstands während der elektrischen Oberleitungsfahrt kann in einigen Situationen der Verbrennungsmotor zugeschaltet werden. Es wird erwartet, dass durch einen Austausch der E-Maschine gegen ein leistungsfähigeres Modell ein solcher Kraftstoffverbrauch vermieden und der Anteil der elektrischen Oberleitungsfahrten erhöht werden kann. Ein Null-Kraftstoffverbrauch außerhalb der Oberleitungs-Teststrecke, d. h. eine Fahrt im Elektrisch-Standardmodus, ist möglich, tritt derzeit jedoch nur im stationären Zustand oder vorrangig bei Fahrten mit geringer Geschwindigkeit auf. Vertiefende Analysen dieses Betriebsmodus führten zu dem Ergebnis, dass bei der Überwindung eines zu großen Fahrwiderstands der Verbrennungsmotor zugeschaltet und der Betriebsmodus des Fahrzeugs entsprechend vom Elektrisch-Standardmodus zum Hybrid-Standardmodus wechselt. Auch hier wird erwartet, dass durch einen Austausch der E-Maschine auf ein leistungsfähigeres Modell eine Unterstützung dieser Art vermieden werden kann. Der Stromverbrauch während einer elektrischen Fahrt ist geschwindigkeitsabhängig. Bei der zulässigen Höchstgeschwindigkeit des OH-LKW wurde ein mittlerer Wert von 99,60 kWh/ 100 km berechnet. Das bedeutet, dass ein OH-LKW bei konstanter Fahrt mit zulässiger Höchstgeschwindigkeit (ca.-80 km/ h) im Durchschnitt etwa 1 kWh/ km verbraucht. Das Fahrzeuggewicht konnte bislang aufgrund einer unzureichenden Datenbasis in die Analysen nicht einbezogen werden. Ein durchschnittliches Fahrzeuggesamtgewicht von 25 t (50 % voll beladene Fahrten, 50 % Leerfahrten) erscheint auf Basis der Feldversuchskenntnisse realistisch. Der gesamte Kraftstoff- und Stromverbrauch eines OH-LKW hängt vom Anteil der 6+1-Betriebsmodi bzw. vom Anteil der mit Oberleitungen elektrifizierten Strecke an der insgesamt betrachteten Strecke ab. Die Zusammensetzung des OH-LKW-Betriebs aus den verschiedenen Betriebsmodi beeinflusst den Kraftstoff- und Stromverbrauch erheblich. In Abhängigkeit der technischen Auslegung des OH-LKW ist dabei der Anteil der mit Oberleitungen elektrifizierten Streckenabschnitte, gemessen an einer insgesamt zurückgelegten Strecke grundsätzlich die maßgebliche Stellschraube. Im aktuellen Testbetrieb beträgt dieser elektrifizierte Streckenanteil im Mittel über alle fünf OH-LKW ca. 5 bis 10 %. Die damit verbundenen Diesel-Kraftstoffeinsparungen eines OH-LKW gegenüber einem konventionellen LKW liegen in einer ähnlichen Größenordnung. Ein höherer Anteil von mit Oberleitungen elektrifizierten Streckenabschnitten dürfte sich mindestens proportional auf die damit verbundenen Kraftstoffeinsparungen auswirken. Bei einem hypothetischen Anteil der Oberleitungsinfrastruktur von 50 % an der Gesamtfahrstrecke führt dies nach aktuellem Kenntnisstand voraussichtlich zu einer Diesel-Kraftstoffeinsparung von mindestens der gleichen Größenordnung. Aufgrund der Ladung der Batterie unter der Oberleitung und der späteren Nutzung dieser gewonnenen Energie außerhalb der elektrifizierten Strecke im Elektrisch- Standardmodus wird sogar eine deutlich höhere Diesel-Kraftstoffeinsparung erwartet. Ein Ausbau der Oberleitungsinfrastruktur wird es ermöglichen, den Anteil der elektrischen Betriebsmodi zu erhöhen und den Kraftstoffverbrauch weiter erheblich zu senken. Der Ausbau der ELISA-Teststrecke binnen der folgenden Jahre wird weitere Kenntnisse hierzu erlauben. km 151350 km 16617 167967 l/ 100km 29,96 l/ 100km 0,00 27,00 kWh/ 100km 8,88 kWh/ 100km 59,66 13,90 2781 2781 1,82 1,82 53,70 53,70 km 4707 km 3382 8089 l/ 100km 3,92 l/ 100km 0,00 2,28 kWh/ 100km 83,46 kWh/ 100km 99,60 90,21 km 156057 2781 km 19999 178837 l/ 100km 29,17 1,82 l/ 100km 0,00 25,49 kWh/ 100km 11,13 53,70 kWh/ 100km 66,41 17,97 Vertikal: Differenzierung zwischen hybriden und elektrischen Betriebsmodi Hybride Betriebsmodi Elektrische Betriebsmodi Übergänge Horizontal: Differenzierung zwischen Oberleitungs- und Nicht-Oberleitungsbetriebsmodi Hybrid - Zwangslademodus Elektrisch - Zwangsmodus Derzeit (noch) nicht identifizierbar. Integriert in Hybrid - Standardmodus. Derzeit (noch) nicht identifizierbar. Integriert in Elektrisch - Standardmodus. Nicht-Oberleitungsbetriebmodi Elektrisch - Oberleitungsmodus kWh/ 100km Hybrid - Standardmodus Hybrid - Oberleitungsmodus Übergänge km l/ 100km Elektrisch - Standardmodus Übergangsmodus Übergangsmodus km km l/ 100km kWh/ 100km Total* Total Nicht-Oberleitungsbetriebmodi, kombiniert km l/ 100km kWh/ 100km Oberleitungsbetriebmodi, kombiniert l/ 100km kWh/ 100km km l/ 100km kWh/ 100km Oberleitungsbetriebmodi Total Hybride Betriebsmodi, kombiniert Übergangsmodus Elektrische Betriebsmodi, kombiniert kWh/ 100km km l/ 100km Bild 5: Verbrauchsmatrix von OH-LKW bei elektrifiziertem Streckenanteil von ca. 5 bis 10 % (* Angegebene Gesamtverbrauchswerte abhängig vom dargestellten Anwendungsfall: Anteil der mit Oberleitungsinfrastruktur ausgestatteten Streckenanteile von etwa 10 %, gemessen an der zurückgelegten Gesamtstrecke; Größe der E-Maschine 130 kW; Batteriekapazität 18,5 kWh) Quelle: Autoren Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 45 Elektrifizierung LOGISTIK Jürgen K. Wilke, Dipl.-Ing. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Doktorand, Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik, Technische Universität Darmstadt juergen.wilke@verkehr.tu-darmstadt.de Manfred Boltze, Prof. Dr.-Ing. Institutsleitung, Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik, Technische Universität Darmstadt boltze@verkehr.tu-darmstadt.de Regina Linke, M.Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Doktorandin, Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik, Technische Universität Darmstadt linke@verkehr.tu-darmstadt.de Özgür Öztürk, Ph.D. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Postdoktorand, Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik, Technische Universität Darmstadt ozturk@verkehr.tu-darmstadt.de Ferdinand Schöpp, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Doktorand, Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik, Technische Universität Darmstadt schoepp@verkehr.tu-darmstadt.de Ausblick Die in dem Beitrag vorgestellten Ergebnisse zum Kraftstoff- und Stromverbrauch von OH-LKW werden fortlaufend durch weitere Evaluationen ergänzt. Relevant sind etwa die folgenden Aspekte: •• Energiefluss von der Oberleitung über den Stromabnehmer zur Batterie, E- Maschine und Antriebsachse, •• sichere Identifizierung und Differenzierung zwischen Standard- und Zwangsbetriebsmodi durch Erweiterung der aufgezeichneten Fahrzeugparameter, •• Berechnung von Treibhausgas- und Luftschadstoffemissionen, sowie •• Messung von Luftschadstoffimmissionen. Diese Aspekte werden derzeit untersucht. ■ Die Autoren bedanken sich beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) für die Förderung des Forschungsprojektes ELISA II-B, in dessen Rahmen die Forschungsaktivitäten durchgeführt wurden. Ein weiterer Dank gilt der Zusammenarbeit mit den ELISA-Projektpartnern: Die Autobahn GmbH des Bundes, Siemens Mobility GmbH, Entega AG und den assoziierten Transportpartnern. Darüber hinaus wird die Unterstützung durch Scania sehr geschätzt. LITERATUR [1] BMVI (2020): Verkehr in Zahlen 2020/ 2021. 49. Jahrgang, Berlin [2] BMU (2019): Klimaschutz in Zahlen. Fakten, Trends und Impulse deutscher Klimapolitik. Ausgabe 2019, Berlin [3] Boltze, M. (2019): eHighway - An Infrastructure for Sustainable Road Freight Transport. In: CIGOS 2019. Innovation for Sustainable Infrastructure. Lecture Notes in Civil Engineering. Vol. 54, Ha-Minh, C.; Dao, D.; Benboudjema, F.; Derrible, S.; Huynh, D.; Tang, A. (Hrsg.), Singapur: Springer, S. 35-44 [4] BMU (2016): Klimaschutzplan 2050. Klimaschutzpolitische Grundsätze und Ziele der Bundesregierung. Berlin [5] Die Bundesregierung (2021): Klimaschutzgesetz 2021. Generationenvertrag für das Klima. Berlin. www.bundesregierung.de/ bregde/ themen/ klimaschutz/ klimaschutzgesetz-2021-1913672 (Abruf: 17.06.2021) [6] Siemens AG (2012): ENUBA. Elektromobilität bei schweren Nutzfahrzeugen zur Umweltentlastung von Ballungsräumen. Schlussbericht der Siemens AG. Ohne Ort [7] Siemens AG, Technische Universität Dresden, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (2016): ENUBA 2. Elektromobilität bei schweren Nutzfahrzeugen zur Umweltentlastung von Ballungsräumen. Schlussbericht der Verbundforschungspartner Siemens AG, TU Dresden und DLR. München, Dresden, Braunschweig [8] Boltze, M.; Wauri, D.; Riegelhuth, G.; Reußwig, A.; Gurske, D. (2021): B.2 Beschreibung des Projekts ELISA. In: Elektrifizierung von Autobahnen für den Schwerverkehr. Umsetzung des Systems eHighway, Boltze, M.; Lehmann, M.; Riegelhuth, G.; Sommer, H.; Wauri, D. (Hrsg.), Bonn: Kirschbaum Verlag, S. 132-144 [9] Boltze, M.; Linke, R.; Schöpp, F.; Wilke, J. K.; Öztürk, Ö.; Wauri, D. (2020): Insights into the Operation of Overhead Line Hybrid Trucks on the ELISA Test Track. Presentation at 4th Electric Road Systems Conference 2020. www.electricroads.org/ wp-content/ uploads/ 2020/ 05/ ERSC2020-Abstract-Book-Publ.pdf. (Abruf: 27. April 2021) [10] RStudio (2021): RStudio Desktop. Boston (USA) WISSEN WAS MORGEN BEWEGT Schiene, Straße, Luft und Wasser, globale Verbindungen und urbane Mobilität: Viermal im Jahr bringt Internationales Verkehrswesen fundierte Experten- Beiträge zu Hintergründen, Entwicklungen und Perspektiven der gesamten Verkehrsbranche - verkehrsträgerübergreifend und zukunftsorientiert. Ergänzt werden die deutschen Ausgaben durch die englischsprachige Themen-Ausgabe International Transportation. Mehr dazu unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen gehört seit 1949 zu den führenden europäischen Verkehrsfachzeitschriften. Der wissenschaftliche Herausgeberkreis und ein Beirat aus Professoren, Vorständen, Geschäftsführern und Managern der ganzen Verkehrsbranche verankern das Magazin gleichermaßen in Wissenschaft und Praxis. Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin ist zudem Wissens-Partner des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld. INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN - DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN »Internationales Verkehrswesen« und »International Transportation« erscheinen bei der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, www.trialog-publishers.de IV_Image_halb_quer.indd 1 IV_Image_halb_quer.indd 1 04.04.2018 12: 03: 35 04.04.2018 12: 03: 35 Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 46 LOGISTIK Kombinierter Verkehr Der Bahnmöbelwagen - ein-Urahn des Kombinierten Verkehrs Kombinierter Verkehr, Wechselkoffer, Huckepack-Verkehr, Güterverkehr Der Kombinierte Verkehr, auf dem bis heute viele verkehrspolitische Hoffnungen beruhen, geht historisch weit hinter den Transport von Aufliegern, ISO-Containern oder Wechselkoffern auf Bahn und LKW zurück. Bereits in den 1875er Jahren wurde ein standardisiertes System von Transportbehältern genutzt, das vor allem unter der Bezeichnung Bahnmöbelwagen (BahnMW) bekannt war. Um Leerfahrten möglichst zu vermeiden, wurde eine Clearingstelle für umlaufende Möbelwagen geschaffen. Statt per SMS wurden die Eigentümer per Telegramm darüber informiert, wo sich ihre Fahrzeuge befanden. Das Konzept war äußerst effizient und bestand letztlich bis kurz nach dem 2. Weltkrieg fort. Durch den überragenden Erfolg des auf dem BahnMW basierenden Transportsystems wurde es zu einem Vorfahren des Kombinierten Verkehrs, wie wir ihn heute kennen. Armin F. Schwolgin I n der Europäischen Union verharrte der relative Anteil des Schienengüterverkehrs an der Verkehrsleistung in den letzten 10 Jahren bei rund 18 %. Bei einer insgesamt steigenden Verkehrsleistung nahm die Schiene in dieser Dekade in toto um 17,8 % zu. Für sich genommen erhöhte sich der Anteil des Kombinierten Verkehrs (KV) um 34,3 % [1]. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur warb 2018 mit dem Slogan „Kombinierter Verkehr - Die Zukunft ist intermodal“ zugunsten des KV [2]. Um den Beitrag der Schiene am Modal Split bis zum Jahre 2030 auf 30 % zu steigern, muss vor allem der KV weiter erhöht werden. Ob dies auch so kommt, bleibt abzuwarten. Als organisatorische Geburtsstunde des modernen KV in den 1960er Jahren (Bild 1) gilt der nach dem damaligen Bundesverkehrsminister benannte „Leber-Plan“ [3]. Die Initiative führte zwei Jahre später zur Gründung der Kombiverkehr Deutsche Gesellschaft für kombinierten Güterverkehr mbH & Co. KG [4]. Die heute gebräuchlichen, intermodal einsetzbaren Ladeeinheiten Sattelauflieger, Container und Wechselbrücken (Swap Bodies) und die dazu benötigten Fördereinrichtungen (v. a. Containerbrücken und Reach Stacker) hatten aber Vorläufer, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Um besser zu verstehen, woher der KV kommt, ist ein Blick auf die Geschichte des Bahnmöbelwagens (BahnMW) nützlich [5]. Containerbrücken und Laderampen Der KV benötigt nicht nur taugliches Rollmaterial und entsprechende Ladeeinheiten, sondern auch Umladeeinrichtungen, ob es nun einfache Rampen an den Güterbahnhöfen, Containerbrücken oder Reach Stacker sind. In Frankreich hatte der Eisenbahnpionier Jean Claude Républicain Arnoux bereits vor 1843 eine hölzerne „Containerbrücke“ zur Umladung großer und schneller Reisekutschen, sog. Diligencen, konstruiert (Bild 2). Diese erlaubte in nur acht Minuten die Umsetzung des Kutschenaufbaus vom Fahrgestell auf einen Plattformwagen der Eisenbahn und umgekehrt, ohne dass die Reisenden aussteigen oder ihr Gepäck umladen mussten [6]. In verschiedenen Regelwerken der Eisenbahnen wurde den Laderampen schon früh Aufmerksamkeit geschenkt. Neben den weit verbreiteten Seitenrampen wurden dort die zur Verladung von Fahrzeugen erforderlichen Kopframpen detailliert behandelt (Höhe über Oberkante Schiene, Breite, Länge der Rampenoberfläche, Neigung der Auffahrt, Belag etc.). Speziell für die Bahnmöbelwagen wurde eine Rampenoberfläche von 15 bis 20 m gefordert [7]. Die in Bild 3 gezeigte Rampe hat eine Länge von rd. 30-m, so dass ein BahnMW mit einer Länge von 10 m und vier Pferden auch zum Rangieren ausreichen Platz hatte. Der Bahnmöbelwagen als Geschäftsmodell Technisch betrachtet handelt es sich bei dem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgekommenen BahnMW um einen geschlossenen Wagen in fester Bauweise mit kleinen, bulligen Rädern, der auf Plattformwagen der Eisenbahn geschoben werden konnte. Der BahnMW war nicht nur eine technische Erfindung, sondern auch ein transportlogistisches Geschäftsmodell, das von den aus den bahnamtlichen Rollfuhrunternehmen hervorgegangenen Möbelspeditionen sehr zielorientiert umgesetzt wurde, wie alte Werbeanzeigen deutlich zeigen (Bild 4). Bild 1: Ausschnitt aus dem „Leber-Plan“ betreffend den KV von 1967 Quelle: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 47 Kombinierter Verkehr LOGISTIK Im Fernverkehr wurden Möbel schon vor dem Auftreten des BahnMW in gedeckten Güterwagen der Eisenbahnen transportiert. Diese Transportart hatte allerdings den Nachteil, dass Hausrat für den Vorlauf zunächst auf normale, eisenbereifte und ungefederte (Acker-)Wagen verladen und zur nächsten Güterabfertigungsstelle transportiert werden musste. Dort wurden die Gegenstände dann einzeln in gedeckte Bahnwagen umgeladen. Beim Nachlauf wiederholte sich der Vorgang in umgekehrter Reihenfolge. Unabhängig vom Aufwand für das Handling waren die Gefahr der Beschädigung und des Schwunds bei diesem gebrochenen Verkehr hoch. Benter beschreibt das seinerzeit neue Konzept recht anschaulich: „Warum nicht ein Fahrzeug schaffen, das vor der Tür beladen wird, komplett auf einen Bahnwaggon zum Empfangsbahnhof reist und dort wieder per Pferd dem Eigentümer zugestellt wird? Der Bahnmöbelwagen war geboren.“ [8]. In der sehr überschaubaren Literatur finden sich auch die Bezeichnungen „Patentwagen“ oder „Bahnverschlusswagen“. Trotz seines gewölbten Dachs kann der BahnMW als Vorläufer des Containers oder der Wechselbrücke betrachtet werden. Im Hinblick auf die Verladetechnik sind zudem starke Ähnlichkeiten zur Rollenden Landstraße (Huckepack-Verkehr) gegeben. Der Bedarf für eine mit diesem Fahrzeug ermöglichte logistische Dienstleistung ergab sich aus einer erhöhten Mobilität der Bevölkerung, die mit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 und der Industrialisierung Deutschlands einherging. Dies galt für Beamte, Militärangehörige und sonstige Funktions- und Würdenträger sowie Angestellte und Arbeiter. Auch in Österreich (z. B. J. Schuberth & Co.; Caro & Jellinek) und in der Schweiz (z. B. Gebrüder Settelen in Basel) waren ab Ende des 19. Jahrhunderts BahnMW im Einsatz Bauweise Das Geburtsjahr des BahnMV lässt sich nicht mehr genau feststellen. Sicher ist, dass dieser schon vor 1886 existiert hat, da er im Vertrag des Internationalen Möbeltransport-Verbandes und seinen Mitgliedern vom 5. Dezember 1886 explizit erwähnt wird [10]. Ob die Initiative zu dieser Fahrzeugentwicklung der Möbelspediteure von diesen selbst, von den Wagenbauern oder gar von den damaligen Eisenbahnen ausging, ist nicht bekannt. In der Literatur werden für die Zeit nach 1880 bereits 25.000 Einheiten genannt [11]. Genauere Angaben oder Statistiken fehlen. Im Jahre 1905 gab es in Deutschland 19 Hersteller von Bahn- MW, die einen Vertrag mit der Centralstelle ◀ Bild 2: Umsetzung einer Diligence auf einen Plattformwagen Quelle: AKG-images ▲ Bild 3: Kopframpe mit zwei Auffahrten am alten Güterbahnhof in Lörrach Foto: Schwolgin Bild 4: Anzeige eines Möbeltransporteuers mit Bild eines BahnMW aus dem Jahre 1891 [9] Reproduktion: Schwolgin Bild 5: Restaurierter Bahnmöbelwagen Foto: Carl Balke GmbH Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 48 LOGISTIK Kombinierter Verkehr des Deutschen Möbeltransports unterzeichnet hatten, darunter auch Carl Wilhelm Ackermann in Wuppertal. Die Wagenfabriken verpflichteten sich darin, den Möbelspeditionen keinen Ratenkauf oder Vermietungsgeschäfte (Leasing) anzubieten; den Mitgliedern der Centralstelle war es im Gegenzug verboten, sich bei den Herstellern Fahrzeuge zu leihen, zu mieten oder durch einen Abzahlungskauf zu erwerben. Aus dem Vertrag ist zu schließen, dass es weitere Hersteller gab [12]. Die Anschaffungskosten sollen bis zu 500 Goldmark je Fahrzeug betragen haben [13]. Technisch musste sich der für den Güternahverkehr auf der Straße (Vor- und Nachlauf ) konzipierte Wagen an die Erfordernisse des Schienenverkehrs anpassen. Wesentliche Merkmale des BahnMW waren die kleinen, aber stabilen, ursprünglich eisenbereiften Räder und das von Personenwaggons bekannte Runddach, damit sie die Vorgaben des von den Bahnen geforderten Regellichtraums erfüllten. Die Umgrenzung des lichten Raums wurde Mitte 1892 in der „Bekanntmachung betreffend die Betriebsordnung für die Haupteisenbahnen Deutschlands“ gesetzlich normiert. [14]. Benter weist darauf hin, dass ein eckiges Dach, wie wir es heute von auch im kombinierten Verkehr eingesetzten Wechselbrücken (Swap Bodies) und Aufliegern kennen, eine rationellere Nutzung erlaubt hätte [15]. Kennzeichnend für die BahnMW waren zudem Blattfedern, wie man sie sonst nur bei den wesentlich kleineren Wirtschaftskutschen vorfand. Für den Umzugsverkehr war die Federung aber deutlich schwerer ausgelegt. Die Anzahl und die Anordnung der Federn wichen von Hersteller zu Hersteller ab. Vorn waren oft zwei Blattfedern längs zum Wagenkasten eingebaut; hinten gab es eine quer eingebaute Blattfeder, manchmal auch in Kombination mit längst installierten Federn (Bild 6). Solche Wagen hat u. a. die Zwickauer Fahrzeugfabrik, vorm. Schumann A. G., gebaut, die bis heute erhalten geblieben sind (Bild 5). BahnMW hatten eine lichte Höhe von 3,30 m und eine Breite von 2,40 m. Bei der Länge haben sich eine kleinere Variante von 5 m und eine große Variante von 10 m herausgebildet. Dementsprechend betrug das Leergewicht zwischen 3 und 5 t. Dazu trugen ein solider Stahlrahmen und ein aus Eichenholz gefertigtes Fachwerk bei. Die Beplankung bestand aus Fichte [16]. In der Rückbetrachtung ließe sich hier eine Parallele zum 20- Fuß- und 40-Fuß-Container ziehen. Die kleinere Version wurde auf ausgebauten Straßen und Wegen von zwei Pferden gezogen, die Langversion musste dagegen vierspännig bewegt werden [17]. Polsterung des Wageninneren In dem Vertrag von 1886 wurden eine Reihe von Ausstattungsmerkmalen beschrieben [18]. Ein wesentliches Merkmal der Innenausstattung war die Polsterung der Wände (Bild 7): „Alle … Wagen müssen gepolstert und mit hinreichendem Packmaterial (Stroh wird als solches ausdrücklich nicht anerkannt) versehen sein“ (§ 11). Damit wird eine Abgrenzung zu der Polsterung von Ackerwagen vorgenommen, bei denen bei Umzügen lediglich loses Stroh zum Standard gehörte. Zudem musste der BahnMW außen in vorgegebener Form die Firma des Eigentümers deutlich zeigen. Explizit wird eine gewisse Ausstattung verlangt: „Laterne, Deichsel, Packpolster, Querstangen, Matten, Packlappen, Wagenschlüssel“ (§ 13). Der Hinweis auf den Wagenschlüssel macht deutlich, warum auch das Synonym „Bahnverschlusswagen“ gebräuchlich war. Zwischen den Achsen befand sich der sogenannte „Spiegelkasten“, in dem Spiegel und Bilder horizontal verladen werden konnten. Hier war also der bei heutigen Sattelaufliegern vorfindliche „Palettenkasten“ schon vorgedacht. Ohne im Vertrag explizit erwähnt worden zu sein, waren zur Transportsicherung auf dem Plattformwagen Hammer und Nägel, zwölf Holzkeile (für jedes Rad drei), Kletten zum Verzurren und eine Zugstange zum Rangieren mitzuführen [19]. Bahnverladung und Clearing Die wesentliche Anforderung an einen BahnMV war, dass er auf Plattformwagen mit Seitenborden der Eisenbahnen verladen werden konnte. Von den typischen 5-m- Wagen passten je zwei auf einem solchen Waggon, vorausgesetzt, dass die an der äu- Bild 6: Dreifach gefederte Vorderachse eines Bahnmöbelwagens Foto H. Schneider, Balke GmbH Bild 7: Polsterung eines restaurierten Bahnmöbelwagens Foto: H. Schneider, Balke GmbH Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 49 Kombinierter Verkehr LOGISTIK ßeren Stirnseite angebrachten Kutschersitze eingeklappt waren [20]. Die Verladung selbst erfolgte manuell über Kopframpen an den Güterbahnhöfen und -verkehrsstellen (Bild 8). In der Unternehmenschronik der 1895 gegründeten Spedition Wilhelm Eckardt in Waiblingen heißt es dazu: „Jeder Bahnhof verfügte damals über eine Rampe, die das Aufladen der Pferdemöbelwagen problemlos ermöglichte.“ [21]. Im Hinblick auf eine genügend lange Rampenoberfläche äußert sich von Röll weniger positiv: „vielfach (ist eine solche) allerdings nicht vorhanden, wodurch zuweilen große Schwierigkeiten entstehen“ [22]. Die Spezialisierung auf Umzugsgut verstärkte das Problem der Unpaarigkeit der Verkehre, wie es auch der heutige Containerverkehr kennt. Die Retouren von Leergut zum Eigentümer wurden von den Bahnen zwar zu Sonderkonditionen abgewickelt, wirtschaftlicher war es jedoch, leere BahnMW zu verleihen, um einen Ausgleich des Laderaums zu erreichen. Dies war ein wesentlicher Service der 1881 gegründeten Deutschen Möbeltransport Gesellschaft (DMTG), die das Clearing unter den Mitgliedern übernahm. „Wichtigste Institution der DMTG war die wöchentliche Herausgabe einer Wagenliste mit gesuchten und angebotenen Möbelwagen …“ [23]. Nutzung von Industrie und Handel Wie der Begriff klar belegt, wurde der Bahn- MW primär im Fernverkehr von Umzugsspeditionen eingesetzt. Zu den Kunden zählten neben Bürgern auch gekrönte Häupter, für die z. B. Valorentransporte (kostbare Einrichtungsgegenstände und Bargeld) durchgeführt wurden [24]. Hier und dort finden sich Hinweise auf die Nutzung dieses Wagentyps durch Industrieunternehmen. Bekannt ist, dass die heute noch existente Spedition Heiser Anfang der 1920er Jahre Bahnmöbelwagen speziell zum Transport von Zigaretten der Firma Reemtsma einsetzte [25]. Bis Ende der Dekade waren 140- BahnMW bei dem Unternehmen im Einsatz, von denen jeder ein Fassungsvermögen von 1,5 bis zwei Millionen Zigaretten hatte. Seit Anfang 1939 wurden von Reemtsma dann Tragwagenbehälter im sog. Haus-zu-Haus-Verkehr verwendet. Der Wettbewerber Zuban Cigaretten nutzte diese 1955 von der Deutschen Bundesbahn wiederbelebte Form des Kombinierten Verkehrs ebenfalls [26]. ■ LITERATUR UND ANMERKUNGEN [1] UIC Freight Department: Report on Combined Transport in Europe, Paris 2020, S. 4,10. [2] Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur: Kombinierter Verkehr - Die Zukunft ist intermodal, Flyer, Berlin 2018. [3] Presse- und Informationsamt der Bundesregierung: Bulletin vom 26.9.1967, S. 881-891. [4] Kombiverkehr: 50 Jahre Kombiverkehr. www.kombiverkehr.de / de/ %C3%BCber_kombiverkehr/ 50_Jahre_Kombiverkehr/ , abgerufen am 23.03.2021. [5] Für fundierte Hinweise und Material bedanke ich mich bei Herrn Helmut Schneider, geschäftsführender Gesellschafter bei der Balke GmbH, und Herrn Daniel Waldschick, Pressesprecher des Bundesverbandes Möbelspedition und Logistik (AMÖ) e.V. [6] o. V.: Transport des Diligences ordinaires sur les Chemins de Fer. In: Journal Universel No. 176 vom 24 Juni 1843; o. V. Das Übersetzen der Diligencen auf Eisenbahnwaggons. In: Leipziger Illustrierte Zeitung vom 8. Juni 1944, S. 378-379. [7] Freiherr von Röll, Victor: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Bd. 7, Berlin 1915, S, 47-49. [8] Benter, C. P.: Vom Ackerwagen zum GLZ - Der Möbeltransport im Wandel der Zeit. Ein Bericht über die Entwicklung der entsprechenden Fahrzeuge. In: Der Möbelspediteur Nr. 13/ 1981, S. 20-26, hier S.-21. [9] Entnommen aus dem Adress- und Geschäftshandbuch der Fürstlichen Residenzstadt Detmold 1891, Anhang S, 47. [10] Der Text des Vertrages zwischen den Mitgliedern des Internationalen Möbeltransport-Verbandes vom 5.12.1886. In: Der Möbelspediteur Nr. 13/ 1981, S. 9-12. [11] o. V. (Baier, W.; Hebel, E.): Was ist nun eigentlich das Besondere am Möbeltransport. In: Der Möbelspediteur Nr. 13/ 1981, S. 5-6, hier S. 6. [12] Der Vertragstext mit den Namen der Hersteller. In: Der Möbelspediteur Nr. 13/ 1981, S. 28-30. [13] Tasch, Dieter: Ein Urahn des ökologisch sinnvollen Kombiverkehrs. In: Hannoverische Allgemeine Zeitung vom 30.9.1995. [14] Bekanntmachung betreffend die Betriebsordnung für die Haupteisenbahnen in Deutschland. Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1892, Nr. 36, Seite 691-722. [15] Benter, a.a.O., S. 21. [16] Tasch, a.a.O. [17] Benter, a.aO., S. 21 [18] Vertrag vom 5.12.1886, a.a.O. [19] Zugpferdemuseum: Zum Beispiel: Container? Ein „alter Hut“ in der bespannten Logistik. https: / / cms.zugpferdemuseum.de/ ausstellungen-2/ #fahrpost1, abgerufen am 6.4.2021. [20] Benter, a.a.O., S. 21. [21] 100 Jahre Wilhelm Eckhardt. Eine Möbelspedition im Wandel der Zeiten. Fellbach 1995, S. 4. [22] Freiherr von Röll, a.a.O. [23] Baier/ Hebel, a.a.O., S. 6. [24] Bovermann, H.: Geldtransport im Möbelwagen.,In: Der Möbelspediteur, a.a.O., S. 16. [25] Günter Heiser KG: Firmenhistorie.www.spedition-heiser.de/ umzuege/ firmenhistorie-umzugsunternehmen-hamburg.html, abgerufen am 27.03.2021. [26] H. F. & Ph. F. Reemtsma GmbH & Co (Hrsg.): Zug um Zug. Ein historisches Brevier für Raucher und Nichtraucher in der Eisenbahn. Hamburg o. J., S. 1617. Armin F. Schwolgin, Prof. Dr. Ehem. Professor Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW), Lörrach; Honorarprofessor, Beijing Wuzi University, Beijing (CN) armin@schwolgin.de Bild 8: Bahnmöbelwagen an einer Kopframpe Foto: Göllner INTERNATIONAL Maritime decarbonization Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 50 Challenges for shipping companies when choosing an-alternative fuel Shipping, Alternative fuels, Bunker, Methanol The shipping industry is facing major challenges when it comes to choosing the most suitable fuel in near future. Preferred solutions for practice are analyzed. What is needed is a holistic solution for an environmentally friendly energy supply, which in the best case can make use of the existing bunker infrastructure. For truly environmentally friendly shipping, the entire supply chain of the energy supply must be considered, i.e. from production and distribution of fuel to final use. Jürgen Sorgenfrei T he shipping industry is struggling to identify a clear pathway towards decarbonization. Some discussions on the industry transition are centered around questions about fuels, safety, regulation and technologies. These are all valid topics, on which there are many unanswered questions, but addressing them in isolation will not establish a clear pathway to the future. Current situation It is clear, however, that with the foreseeable end of the consumption of classic heavy fuel oil, the question of an environmentally friendly fuel for as many types of ships as possible, i.e. from small coasters to mediumsized bulkers and tankers to mega-carriers over 400 m long, needs to be answered urgently. The fragmented industry structure complicates the articulation and development of an industry-wide strategy for zero-carbon fuels. Many initiatives are currently being reviewed. Costs remain a major issue. Currently, there is obviously no zero-carbon fuel that can offer a global distribution network at scale which is price competitive with current bunker fuels. However, it is urgently necessary to develop solutions in order not to lose even more time. Thereby the industry has to learn from the mistakes of the past; i. e. holistic solutions for the energy supply have to be found. The ship alone cannot be viewed here. This is the mistake made with LNG. It is absolutely correct that LNG offers significantly better emission values than other fuels in terms of emissions of carbon dioxide, fine dust and sulphur during an optimal combustion process. In this consideration, however, all upstream production and transport losses are neglected. LNG has to be cooled down to -164 degrees Celsius and also stored and transported at this temperature. The ships have to be equipped with completely new, highly insulated tank technology, the infrastructure in the bunker stations has to be rebuilt, and with all of this it has to be taken into account that a lot of harmful gas escapes when refueling. The so-called boilout gas resulting from natural re-gasification is around 25 times more harmful than CO 2 . In addition, it must be mentioned that the so-called methane slip is significantly more harmful to the environment when the combustion engine is not set optimally. And finally, LNG is only available in large quantities at a few bunker stations; i.e. there is a lack of widely available infrastructure. In fact, a completely new superstructure and infrastructure must be built. Taken together, the acceptance of LNG has so far been kept very low. And in practice, this has led to clear positioning: there are clear supporters of LNG, whose argu- Photo: Kurt Cotoaga / Unsplash Maritime decarbonization INTERNATIONAL Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 51 ments are mostly related to the clean combustion process, and there are clear opponents whose gaze is directed at the entire transport chain. There are therefore few neutral positions in the professional community. A disillusionment in this discussion occurred in mid-2021 due to the clear positioning of the World Bank, whose publication on April 15 clearly stated that “countries should avoid new public policy supports LNG as a bunker fuel, reconsider existing policy support, and continue to regulate methane emissions to put shipping on a Paris-aligned GHG emissions trajectory”. What is needed is a holistic solution for an environmentally friendly energy supply, which in the best case can make use of the existing bunker infrastructure. In the long run many experts envisage hydrogen as best solution. As with LNG, however, it is true here that neither large quantities are widely available, nor is there a bunker infrastructure. In addition, the technology is currently not so mature that it would be available for ships in the foreseeable future. So interim solutions are required, although the period for these interim solutions can easily take several decades. In addition, these solutions must also offer the potential for real environmental compatibility. In short, this culminates in demands for genuine green solutions. In order to achieve a relevant market share within shipping, the main consumers must be known. Figure 1 shows the largest consumers of HSFO Heavy Sulphur Fuel Oil for the last year before the Corona crisis and before the regulation known as “IMO 2020” came into force. The IMO 2020 rule limits the sulphur in the fuel oil used on board ships operating outside designated emission control areas to 0.50 % m/ m (mass by mass) - a significant reduction from the previous limit of 3.5 %. Without an investment in e.g. an exhaust gas cleaning device, the so called scrubber, the limits cannot be achieved when burning HSFO. Three types of ships are responsible for the consumption of around 75 % of the heavy fuel oil consumed worldwide: bulk carrier, container ships and tanker (see figure 1). It would therefore make most sense to concentrate on these three types of ship. In practice, however, the market with tens of thousands of ships will not be able to turn inside out in the short term. Instead of revolutionary ideas, evolutionary options must be developed. At least the results of the envisaged solutions must be applicable to bulker, tanker and container vessels after a market launch. That would then be a really “green interim solution” on the way to hydrogen. For potential investors in shipping tonnage, it is therefore clear that an alternative fuel must be found, simply because of the IMO 2020 regulation. In addition to the options that are realistically only in theory conceivable at the moment, such as wind, solar or electric propulsion, only bunker solutions remain, i.e. fuels that cannot be generated during the journey, but that have to be taken on board in a relatively short period during lay times (e. g. in ports). But even here, investors are currently facing a multitude of possible fuel alternatives (e. g. GH 2 - gaseous, compressed hydrogen, LH 2 cryogenic, liquefied hydrogen, LOHC Liquid Organic Hydrogen Carrier, NH3 ammonia, CH 4 methane, CH 3 OH methanol, etc.). At least this diversity led in the past few years again and again as a source of uncertainty and deterrence; with the result that there is still no real interim solution on large scale. Feasible interim solution Hydrogen would certainly be the best solution for a permanently safe and environmentally friendly energy supply for ships; however, this technology will not be available in the foreseeable future. Therefore, feasible solutions are required for the next few years (if not decades), which on the one hand meet the environmental requirements, but are also economically justifiable. The following catalog of requirements for an Alternative Maritime Fuel could be derived from this (see table 1). The list of ideal-typical applications is like a wish list, the fulfillment of which would result in renewable substances that could be used for almost all engines without any problems. In this case, experts speak of drop-in fuels, i.e. liquid fuels that can be used in the same way as HSFO, MDO or the like. Drop-in fuels are compatible with conventional engines and distribution systems. For this reason, they have greater potential in the long run than non-drop-in fuels that are not or only partially suited to them. With the ptl (power to liquid) technology, in- which liquid fuels such as e-diesel or e-gasoline can be produced from renewable electrical energy (for example wind or solar Prof. Dr. Jürgen Sorgenfrei, NBS Northern Business School, Institute of Northern-European Economic Research 1 22% 26% 27% % of HSFO bunker demand 2019 Tanker Container ship Bulk carrier Ro-ro/ Car Carriers Offshore LPG Ferry Dry cargo Cruise ship Other Bulker, Containerschiffe und Tanker als Hauptkonsumenten von HSFO 2019 Source: IEA, IHS, own representation Figure 1: HSFO bunker demand (2019 in percent) Source: IEA, IHS, own representation Requirements for Alternative Maritime Fuels • energy density comparable to HSFO/ MDO • 100% sustainable / environmentally friendly (IMO 2020 compliant) • easy handling • fast and easy refueling process • not subject to any political control, i.e. free of restrictions • economically reasonable price • little or no conversion or investment costs for landand ship-side infrastructure • no additional disposal costs • can be produced in sufficient quantities at relatively short notice; i.e. sustainable supply • available at many bunker stations at short notice; i.e. wide range supply • not excessively dangerous, e.g. due to low flash point • no excessively high / new requirements for safety technology, e.g. in fire fighting Table 1: Catalog of requirements for an Alternative Maritime Fuel INTERNATIONAL Maritime decarbonization Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 52 power), the goal of an ideal and sustainable green fuel would be achieved. Many research institutions are currently busy with various ptl projects. Realistically, however, it must be stated that neither really comparable fuels with regard to quality can be produced in the foreseeable future, nor will they be available in larger quantities. Also, for bio-diesel there will be no realistic alternatives for shipping in the foreseeable future. The shift from conventional fuels to sustainable fuels is being slowed by the fact that the new fuels do not yet offer the same efficiency and practicality as fossil fuels yet. The drop-in fuels mentioned in the overview are therefore are no realistic option for shipping within the next decade. In a growing world, bio-fuels in addition face the conflict that raw materials are used to generate energy instead of being made available to the food industry. Using food to produce energy is not a long-term solution (see figure-2). Gaseous fuels like hydrogen and methane are indeed easier to produce than liquid drop-in fuels. But they also have additional storage and transport requirements. Hydrogen, Ammonia and Methanol, if produced from renewable electricity, are the most promising for shipping at present. These fuels strike the most advantageous balance of favorable features relating to their lifecycle GHG emissions, broader environmental factors, scalability, economics, and technical and safety implications; i.e. they will have the best chances to meet the a.m. stated requirements for alternative maritime fuels. Furthermore, these green E-fuels offer additional flexibility as they can also be produced from natural gas combined with carbon capture storage (CCS technology)—then often referred to as “blue fuels.” These multiple production pathways can help overcome concerns that not enough renewable electricity may be available initially to produce e.g. “green” methanol. The well-known argument, which has been brought up again and again in many innovative approaches, that the infrastructure is currently not yet sufficiently available is correct, but does not solve the problem. The use of methanol as an example of a liquid non-drop-in fuel, however, shows a feasible solution. Many of the requirements set out above can be met. The adaptation of investments to the use of existing engines is economically justifiable after all that is state of the art. A solution has to be found for each ship individually; however, this solution does not require any fundamentally new technology, as is the case with LNG, for example. The first ships using methanol as fuel also show that the requirements for e. g. safety and fire protection are also being met. Missing links For truly environmentally friendly shipping, the entire supply chain of the energy supply must be considered, i.e. from production and distribution of fuel to final use. Initial tests with ammonia and methanol as potential liquid fuels have shown that a sustainable and environmentally friendly energy supply is possible along the entire supply chain. The next step must now lead from individual positive examples to widespread industrial use. For this, production / energy industry and distribution / logistics must work together and create new offers. Specifically: the fuel must be produced and offered as bunker fuel. What actually is a requirement is a sufficient production of green methanol to ensure security of supply at attractive prices. This is a challenge for the energy industry. Here, however, one can be sure that increasing demand is already being anticipated and that production capacities will be gradually adjusted. The bio-fuels for the automotive industry, such as E10, which were introduced years ago, have shown how quickly the energy industry reacts here. Growing demand will push supply in this market. What is also missing are initiatives from the bunker industry. It is known from the three large bunker ports of Fujairah, Singapore and Rotterdam, that developments in bunker markets are always monitored. However, there is a lack of proactive initiatives. Due to the fact that alternative drive technologies are only gradually becoming established, however, it is to be expected that the bunker markets will react. They have never been active players and probably will not be. However, the fact that this is a market with many providers will create the necessary demand pressure here. This means that the role of the driving investor remains with the ship owners. On the one hand, this is driven by investor pressure to invest for at least a decade. On the other hand, there are also the requirements set by the IMO as well as by many nations with regard to environmental compatibility with regard to CO 2 , PM, NOx, etc. If these requirements are not met, there is a risk of high additional costs or - in the worst case the loss of the operating license. In order to close the missing links, various research activities are currently underway, which make it easier for ship owners to get started with modern propulsion technologies. In addition to the operational and security-relevant technical issues, the economic alternatives and consequences for e. g. OPEX and CAPEX are also considered in detail. Questions arise here, for example, with regard to the suitable fuel for an investment in a certain type of ship in a certain trade area. Such projects, in which the NBS Northern Business School in Hamburg is also involved, should help to make the challenges for investors in ship tonnage more transparent, on the one hand to guarantee an attractive investment, but on the other hand to realize environmentally friendly ship operation in the sense of the IMO. ■ Jürgen Sorgenfrei, Prof. Dr. Northern Business School, Hamburg (DE) sorgenfrei@nbs.de Prof. Dr. Jürgen Sorgenfrei, NBS Northern Business School, Institute of Northern-European Economic Research 4 Example: drop-in and non-drop-in fuels drop-in fuels non-drop-in fuels no modifications to engines necessary modifications to engines and infrastructure required Conventional Fuels Alternative Fuels Fossil HSFO Hydrogen (grey) MDO / MGO LNG Diesel Sustainable Fuels Bio Bio-Diesel Hydrogen (green) Ethanol Bio-LNG E-Fuels E-gasoline Hydrogen (green) E-Diesel Methanol E-LNG Figure 2: Conventional, alternative, and sustainable fuels in the overview Logistics INTERNATIONAL Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 53 Logistics innovation and knowledge transfer in Cameroon Developing countries, Freight transport corridors, Supply chain Cameroon is the second-largest economy in central Africa after the Democratic Republic of Congo, and it is rich in natural resources. Within the last decades key innovations have influenced the logistics sector dramatically, as for example the containerization of cargo flows, the information and communication technologies, and more. Efficient and well-developed freight transport corridors are important for the national and international networking of production sites with procurement and sales markets. Since 2020 the University of Ngaoundéré and the University of Bremen are engaged in the „Navel Logistics Innovation Center Ngaoundéré“ project. The major result will be the successful installation of a Logistics FabLab on the university campus Ngaoundéré. Hans-Dietrich Haasis, Victor Tsapi, Anna Förster L ogistics is, as we know, one of the most dynamic and innovative sectors of the economy worldwide. Within the last decades there are key innovations, which have influenced this sector dramatically, as for example the containerization of cargo flows, the information and communication technologies, the sensor technologies as well as robotics and Industry 4.0. Also, in future there are many challenges, which are directly related with new technologies, new organizational principles and new business models. These challenges are limitations of resources, climate change, safety and security, new decentralized production technologies, cloud-based sensing technologies and cyber physical systems as well as big data analytics [1]. Of course, these developments affect also developing countries like Cameroon. Moreover, within these countries the phenomenon of digital gap, triggered by the economic, technological, infrastructural, social and cultural framework, has to be considered in particular. Due to this, education, training and research as well as knowledge and technology transfer play a major role in the development of supply chains, cities, rural regions and the whole society. Cameroon is a powerful and important economy within CEMAC (Communauté Economique et Monétaire de l’Afrique Centrale). It is the second-largest economy in central Africa after the Democratic Republic of Congo, and it is rich in natural resources such as petroleum/ oil, bauxite, iron ore, timber or hydropower. Its main export goods are coffee, logs and woods, cocoa, bananas, aluminum, cotton, rubber, oilseed, grains, cassava and livestock. Certainly, this is based on the geographic location and the resources as well as the access to the international transportation networks via the seaports in Douala and Kribi and the airports in Douala and Yaoundé [2, 3]. Moreover, the transportation corridors to the land-locked countries Chad and the Central African Republic play an important role for cargo transportation to the national and international hinterland, as seen in Figure 1. In this context the city of Ngaoundéré, located 900 km north-east from the Port of Douala in the Adamaoua region, serves as logistics hub and navel for transport and logistics business via roads, rail and air, see Figures 2 and 3. Efficient as well as well-developed freight transport corridors are important for the national and international networking of essential production sites with procurement and sales markets. Their design and improvement aim to: Figure 1: Transport infrastructure network in Cameroon Source: AfDB/ OECD - African Economic Outlook “Cameroon” 2008 INTERNATIONAL Logistics Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 54 •• Ensure economic accessibility for supply chains, •• Increase the connectivity, attractiveness and visibility of the regions along the transport corridors, •• Increase the reliability, the cost-effectiveness and the safety of freight transportation, •• Ensure a future-oriented sustainable development of economic regions. If this succeeds, transport corridors are valuable enablers for transport and trade facilitation, and thus for economic and social prosperity [4, 5, 6]. Against this background, since 2013 the Faculty of Economics and Management of the University of Ngaoundéré and the Faculty of Business Studies and Economics of the University of Bremen have established a close collaboration focusing on the implementation and qualification of teaching and research in logistics management and transportation science. In the meantime, both an internationally recognized bachelor study program as well as a master study program in Logistics Management and Transport (“Licence professionnelle en gestion logistique et transport”) was successfully implemented. Since July 2020 both universities are engaged in the project called “Navel Logistics Innovation Center Ngaoundéré”, supported by the German Federal Ministry of Education and Research. The major result will be the successful installation of a Logistics Fab- Lab on the university campus as part of the Innovation Centre of Excellence of the University of Ngaoundéré. The development and deployment of the Logistics FabLab is conducted together with the Sustainable Communication Networks Group at the University of Bremen. A part of the university campus is shown in Figure 4. The design of the center will transfer the proven and successful concept of the Bremen Research Cluster on Dynamics in Logistics. There are four axes of operations of the Navel Logistics Innovation Center Ngaoundéré: Applied research, academic education and professional training, business applications and knowledge transfer, and international dissemination and seminars. Knowledge and innovation are the major resources for sustainable, resilient, satisfying and peaceful regional developments. This is true mainly also for the logistics and transportation business. Therefore, the logistics innovation center is named after the Mbum word for the nearby “navel mountain”. Navel is used to underline the close relation to the regional culture and geography. Generally known, FabLabs are workshops or studios, which can be used by students and professionals to learn about new technological and organizational developments and innovations, and to test and try out these technologies, hardware prototypes, software, rules or policies. Certainly, a fundamental purpose of universities nowadays is to create an environment where students are encouraged to pursue and embrace opportunities, explore new ideas, take intellectual risks and begin the process of becoming the researchers, innovators and entrepreneurs of tomorrow. Therefore, the FabLab can be more than a creative zone; it may provide technical support in creating hardware or software prototypes and in demonstrating their applicability. This action is accompanied with a process-oriented capability development to support organizational progress to improve the corresponding innovation capability. Thus, the project corresponds to the Africa Strategy by the German Federal Ministry of Education and Research. As a starting activity, the project team has decided to focus on supply chains for milk and for meat. The meat supply chains cover the link between farmers, shepherds, livestock market players, slaughterhouses, carcass carriers and butchers. The milk supply chains focus on milk producers, collectors and transporters, mini dairies and bak- Figure 2: Logistics center nearby the train station of Ngaoundéré Picture: Haasis Figure 3: Arterial Road in the City of Ngaoundéré in the direction to Chad Picture: Haasis Figure 4: Faculty building on the Campus of the University of Ngaoundéré Picture: Haasis Logistics INTERNATIONAL Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 55 eries, milk markets and other grocery stores. Figures 5 and 6 give an impression on the present situation, motivating to initiate reflections on possible improvements. For these improvements there are both technical and organizational logistics challenges to be considered, e.g., the temperature of the milk must be controlled along the whole supply chain and partly lax, unprompted and informal supply chains must be organized reliably. Moreover, possible solutions have to consider weaknesses in transport infrastructure and Internet based communication as well as cultural driven organizational principles. Besides more suitable transport equipment, a rethinking of communication, coordination and cooperation is advised. The problems to ensure time-efficient and reliable processes are not only communication problems and different working hours, but behavior patterns and context interpretations. In connection with implementing logistics information systems and decision support tools, it’s not uncommon, mainly in developing countries, to hear something like: “We were used to work without pressure and postponing some tasks for later because the system was not synchronized. Everyone was working for themselves without pressure. However, with this synchronized system, work must be always done instantaneously so that operations can take place on time. As a result, we feel that we are under pressure from the system and that we are no longer acting according to our own free will, but that we are subject to the system”. This statement may underline that human behavior and cultural aspects must be considered as part of supply chain decisions to avoid misunderstanding and miscommunication, and to increase the quality and reliability of supply chains [7, 8, 9]. In the near future, the Navel Logistics Innovation Center Ngaoundéré may become the engine for technology and knowledge transfer between applied research, academic education and business implementation, and for regional sustainable development of economic and social prosperity. Moreover, the center promotes the improvement of the World Bank Logistics Performance Index for Cameroon, whose ranking spots Cameroon in 2018 on position 96 of total 160 countries worldwide [10, 11]. The present 2-years project focuses on the design and implementation phase. The two follow-up phases are the operational phase realizing know-how and technology transfer projects in close cooperation with companies and industrial partners as well as the internalization phase considering the extension of the cooperation and the transfer of the concept to other Sub-Sahara countries. ■ Acknowledgements: The project on which this article is based is funded by the Federal Ministry of Education and Research under the funding code 01DG20011. The authors are responsible for the content of this publication. REFERENCES [1] Buer, T.; Haasis, H.-D.; Kinra, A.; Kotzab, H.: An overview to contemporary maritime logistics and supply chain management decision areas. In: Panayides, P. M. (eds.) (2019): The Routledge handbook of maritime management, pp. 113-123. London, New York: Routledge, . [2] Dominguez-Torres, C.; Foster, V. (2011): Cameroon’s infrastructure. A continental perspective. In: The World Bank, Policy Research Working Paper 5822, Washington. 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Figure 5: Meat supply chain: Transport of meat carcasses by tricycle in the Adamaoua region Picture: Tsapi Figure 6: Milk supply chain: Collection and transport of milk Picture: Tsapi Anna Förster, Prof. Dr. Sustainable Communication Networks, Faculty of Physics/ Electrical Engineering, University of Bremen (DE) anna.foerster@uni-bremen.de Hans-Dietrich Haasis, Prof. Dr. Maritime Business and Logistics, Faculty of Business Studies and Economics, University of Bremen (DE) haasis@uni-bremen.de Victor Tsapi, Prof. Dr. Head of Marketing Department, Faculty of Economics and Management, University of Ngaoundéré (CM) vtsapi@yahoo.fr INTERNATIONAL Urban mobility Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 56 Bridging the gender data divide in African cities Leveraging the power of data to ensure women’s mobility needs are centre stage Gender, Africa, Access, Data, Urban Mobility, Inclusion Urbanisation in Africa is rapidly increasing. Mobility needs are mainly catered for by poorly regulated informal transport services. While these services are essential especially for the urban poor, there is an urgent need to collect and analyze data on all transport users to understand their needs and barriers to using public transport and moving around safely in public spaces. The data gap is particularly severe in the analysis of women’s mobility. The Transformative Urban Mobility Initiative (TUMI) is working on closing the gender data gap in urban mobility in selected pilot cities in Africa. Ariadne Baskin, Leonie Guskowski A frica is urbanizing rapidly. Much of this growth (70 to 100%) is catered for by informal or ‘paratransit’ services. Paratransit provides high coverage, high frequency services at a low cost. They are often the only services available to informal neighbourhoods and offer relatively low walking distances from origin to destination. Despite the necessity of these services, paratransit being out of government control has little to no regulation, contributing to shifting prices, lax safety and environment regulations and overly centralized and congested routes. Like formal transport services, paratransit mostly covers the most profitable routes, often not catering for the complex mobility needs of caregivers, vulnerable groups, and minorities as they are not as economically rewarding. Harnessing the potential of digital technologies can support cities address this blind spot and adapt and plan their mobility services so that they do not exclude women. Digital technologies are leveraged by transit agencies through General Transit Feed Specification (GTFS), which is provided to developers. GTFS provides a standardised and open format for organising transit data. GTFS is needed to improve transit performance, analyse gaps in transit accessibility and project future demand. A growing number of developing cities are collecting and opening their GTFS data to developers. For instance, in Mexico City, GTFS data covers all public operated modes Lagos Photo: GIZ Urban mobility INTERNATIONAL Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 57 (Metro, RTP buses, STE, Metrobus, Tren Suburbano). However, GTFS data on informal minibuses, the bulk of public transit trips in Mexico City, is unaccounted for. Nairobi is one of the only cities to document and upload informal transit data. Digital Matatus collected data from Nairobi’s extensive Matatu network (a system of privately owned minivans) through participatory digital mapping using smartphones to collect GPS data. Despite more and more African cities collecting transit data, there is little to- no standardised approaches to ensure inclusivity. Informal transit data needs to go beyond mapping and open data. Analysis of data is crucial for city officials and planners to optimise routes, plan integrated systems and impose equitable policies. Ridership and service levels need to be studied to address inequality and ensure transit is affordable, accessible and safe for everyone. The urgent need to leverage data to better address vulnerable groups Transportation planning and policy is often blind to women and vulnerable groups (children, elderly, disabled etc.). Their diverse mobility needs which go beyond those of an able-bodied middleto upperclass man, are overlooked. This is because decision-making has been male dominated for decades, shaping transport policy and developments. For instance, work commutes on public transport are not appropriate to cater for trip-chaining, a typical characteristic of women’s mobility. Furthermore, safety and security for public transport users are often not addressed comprehensively enough, as travel time and waiting time at stops, for example, is not included in the assessment of the user experiences. Fundamental data on the diversity of mobility by various population groups is missing. Inclusive data is fundamental to ensure that all people and their needs are visible, and thus serve as a basis for informed, evidence-based transportation planning and policy. As can be seen through the efforts to map paratransit and collect data in many cities, policymakers have recognized the need of informed and evidencebased decisions. However, it is often not sufficiently understood how essential the type and methodology of data collection are; and how significantly survey results can be influenced by them. Furthermore, even willing decision-makers often lack the necessary approaches and tools to process the existing data and analyse it with new, inclusive parameters. In African cities, there is a particularly large data gap and capacities to close the data gap are lacking . Thus, there is an urgent need to improve the overall understanding of gender-sensitivity in transportation planning and to strengthen institutional capacities in high, medium and low-income regions in inclusive data collection and analysis. One example of the systematic discrimination of women in mobility data collection is the design of mobility surveys, which have long focused almost exclusively on work trips and single-purpose trips (this is still often the case today). Thus, women in particular were and are systematically discriminated against in mobility surveys due to conservative role distributions and patriarchal power differentials in work and family. To ensure that women are not excluded, survey methodologies and tools need to be urgently adapted as well as the selection of survey participants. Besides considering gender balance, the representation of marginalised and vulnerable groups, people of different ages, different physicalities and socio-economic class are indispensable to create an accurate reflection of mobility needs in the population. What TUMI is doing to bridge the data divide The Transformative Urban Mobility Initiative (TUMI) is addressing the challenge of Gender Data Gaps in Urban Mobility. TUMI will start work on this topic, through collaboration with experienced data collection organizations with expertise in the field of mobility and development data. This collaboration will develop approaches that will be applied in selected pilot cities. The focus will be on cities in Sub-Saharan Africa, where the overall data gap is particularly severe, and thus also the gender data gap. Moreover, there is enormous potential to shape the future of mobility for rapidly growing populations in a gender-sensitive and inclusive manner. Participatory data collection is envisioned so that people of different genders, incomes, ages, marital statuses, and places of residence in a city are included and their needs are made visible by defining inclusive parameters. The dimensions to be considered include, but are not limited to, accessibility of transportation services, comfort, safety, socio-economic dimensions, trip purpose and mobility types, distances, destinations, behaviour patterns and travel time, mobility choices, intermodality, and transportation expenditures. In addition, it is particularly critical to include non-users of transportation services in the surveys to understand the basis of their decisions. TUMI will analyse the collected data to support national and local authorities as well as related services adapt and plan their mobility systems to provide accessible, affordable and gender-sensitive services. A comprehensive and replicable methodology is intended to be developed and demonstrated on the ground. This data will support future interventions such as adapting transportation services, improving or constructing infrastructure, adjusting service routes and/ or developing and implementing awareness-raising and education efforts. This project would sensitize other cities and decision-makers of the high relevance of gender data and gender-sensitive planning and encourage them to conduct their own data collection to close the gender data gap in urban mobility. ■ Please get in contact with TUMI if you would like to hear more-or get involved in this project: info@transformative-mobility.org. Ariadne Baskin Advisor, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH, Bonn (DE) ariadne.baskin@giz.de Leonie Guskowski Project Manager, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH, Bonn (DE) leonie.guskowski@giz.de TUMI AT A GLANCE The Transformative Urban Mobility Initiative (TUMI) is implemented by GIZ and funded by the German Federal Ministry for Economic Cooperation and Development (BMZ). TUMI is the leading global implementation initiative on sustainable mobility, formed through the union of 11 prestigious partners. TUMI’s vision is thriving cities with enhanced economic, social and environmental performances in line with the New Urban Agenda, the Agenda 2030 and the Paris Agreement. TUMI is based on three pillars: innovation, knowledge, investment. Website: www.transformative-mobility.org INTERNATIONAL Traffic planning Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 58 Assessment of autonomous moving vehicles From theoretical approaches to practical test procedures Car-inherent capabilities, Conditioning driving style, Traffic presence, Complexity handling, Testing arrangements Irrespective of deployment strategies of the automotive sector a consistent procedure of testing and proving automatization technologies is required. System adaptions in technical respect and coexistence strategies with view on traffic practice will be necessary. The multitude of motorized road users and their physical capabilities to pass interactions frictionless is challenging. That consideration leads to questions of two kinds, firstly what knowledge is needed for developing the automat system and secondly how transparent the algorithmic conditioning will be handled by the car suppliers. Heinz Doerr, Andreas Romstorfer F irst of all, irrespective of market deployment strategies of the automotive sector a chained up procedure of testing and proving automatization technologies is required. One can assume that these innovations would not change our mobility needs and the existent transport systems completely. But then mutual system adaptions in technical respect and coexistence strategies with view on traffic practice will be necessary for an utmost frictionless implementation of different automated vehicles onto the road-network. Research in view of the multitude of motorized road users and their technical capabilities to pass interactions without any conflict with others is challenging. It claims a decisive control mastering hidden in the backend of the car-inherent automatic chain. That consideration leads to questions of two kinds, firstly what knowledge is required for developing, testing and proving as well as secondly how transparent the algorithmic conditioning will be handled by the car suppliers. It concerns car-holders and other groups of road users as well as bearers of public road infrastructure. If one surveys relevant literature a certain lack of knowledge about trivial but complex traffic phenomena seems to be manifest. Such clarifications will be needed for anticipating future scenarios of mobility using road-net. An inquiring and reflecting discourse may deal with topics as follows: •• Theoretical fundamentals to understand relevant phenomena of daily traffic operations •• Monitoring of interactions between road user groups onto road and in public spaces •• Methodical approaches finding crucial points of development in respect of technology assessment •• Multidisciplinary view on consequences of automatization of vehicles in respect of utility •• Testing steps to prove technological functionality and to estimate effects on other road users •• Implementation strategies into mobility system and road network as political process Gaining knowledge about traffic events With the view to future automated traffic operations systematic observations of interrelations between traffic-participants using our road network nowadays could deepen such an understanding. To this end to put up a framework of systematic orders describing and classifying the manifold mobility groups might help. Each of them - motorized or not - are characterized in respect of their specific range of traffic behavior due to its movement capabilities. In such a way logical procedures for developing and testing of automatic functionalities could be established. It facilitates probably licensing by authorities and makes implementation onto road network more transparent for political decision makers. Finally the degree of acceptance in public could be fostered if a spatial zoning of regulations will be ordered by municipalities ensuring traffic safety in pedestrian´s or residential zones of our habitat. At first the behavior of traffic participants observed as physical moving bodies onto road spaces serves as resource of knowledge aiming at an implementation of automated road traffic in a consensual way. Such observations generate pictures of incidental scenes which can be communicated well 1 . Furthermore a permanent traffic monitoring delivers data about frequencies and variations of road users interacting on the scenery. A systematic categorization of phenotypical sceneries, interaction-scenes and involved actor-groups depicted within a framework of orders and matrices makes complex interrelations crosswise visible and traceable. In that way scenarios for testing arrangements and for settings to realize them can be prepared. To this end a comprehensive “Vademecum” (a kind of informal manual) has been prepared, which contains methodical help to cope with the complexity of the topic in a multidisciplinary view. Advices are given in form of an alphabetic ordered terminology which is practical oriented to address practitioners. Test procedure as a chain To set up test arrangements (in responsibility of the automotive branch framed as blue field) some steps are essential: •• Finding of sceneries resp. testing grounds •• Identifying exogenous boundary conditions of the surroundings and roadway conditions •• Defining of interaction-scenes to stage •• Selecting test objects and human actors Traffic planning INTERNATIONAL Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 59 •• Constructing test scenarios of automated traffic (inter)actions •• Varying them due to changing traffic conditions and the mixture of different equipped cars For this, “Real World” forms the starting point to attribute future technological features to the vehicles like SAE-Levels and to assume the usage of them if a driver could select a driving mode like downgrading the automated functions. But not only drivers are actors. Road network providers could play a dominating role to manage the traffic via steering each vehicle in designated section of their network assisted by telecomproviders. In this respect different scenarios could be drafted aiming at cutting traffic rush or reducing inflow of vehicles to prevent jams. From the discussed issues an interdisciplinary structured and phased test and implementation procedure is resulted. It will integrate all stakeholders of the automotive manufactures as well as all concerned groups of the mobility system. The test procedure depicted in figure 1 describes a chain which has its beginning at testing grounds within the responsibility of the automobile sector and is terminating in the Real World of our habitat. So one could realize points of transition within the succession of phases where the concerns are changing between the productive automobile sector, the approving authorities, the bearer of infrastructure, the driver´s instructing schools, the interest-groups of mobility participants included motorists, the planning community and other more. Each step depicted as arrow in figure 1 has a specific personnel-configuration according to the tasks to do and the qualification to do it. Some steps are inevitable resp. obligatory to carry out (full arrows) others are successively forced (broken lined arrows) or at least advisably (dotted lined) to be considered. Furthermore it is readable who plays the initiative part as stakeholdergroup and who is acting in practice as a team. Such details to discuss is reserved for a long version. Foresighted public entities providing road infrastructure and being responsible for public spaces might integrate such critical issues in their development plans. Also driving school‘s instruction should receive supplementary contents and could offer training about it. By the way this group of essential concerned professionals is seldom consulted. Résumé for an open discourse Approaches derived from “Real World” do not solve technical problems as that are tasks for automotive research and development. Rather it should help to trace out challenging traffic events and to put up framing conditions which influence traffic flows exogenously. In such a multidisciplinary manner deficiencies untied from pure technical quality requirements and standardization could be revealed. Embedded in a chain of test and implementation procedures all relevant stakeholder and affected groups from the mobility milieu can be addressed. Not at least, because this methodical approaching should enable them to reflect the evoked changes by the arising innovations within the mobility system and to encourage them to contribute their considerations to that in a democratic discourse. ■ The full version of this paper is published online in the October issue “International Transportation - Collection 2021”: www.iv-dok.de/ 2107/ 1 Such scenes have been exemplified in: H. Doerr, A. Romstorfer: Implementation of autonomous vehicle onto roadways. In: Internationales Verkehrswesen (72) 1/ 2020, International Transportation pp 66-70 Heinz Dörr, Dr. Consulting engineer spatial and traffic planning, arp-planning. consulting.research, Vienna (AT) heinz.doerr@arp.co.at Andreas Romstorfer, Dipl.-Ing. (FH), MA arp-planning.consulting.research, Vienna (AT) a.romstorfer@arp.co.at DRAFT OF AN INTERDISCIPLINARY STRATEGIC TEST-PROCEDURE FOR THE AUTOMATIZATION AND AUTONOMIZATION OF VEHICLES ONTO ROADWAYS General Steps phased Phase of Test-Conception Phase of Test-Implementation Phase of Test-Programing Phase of Test-Realization Phase of Test-Result-Evaluation Phase of legal Authorization Phase of Deployment Phase of Traffic Policies Phase of Verification Phase of Adaption Phase of Implementation Restructuring built-up areas Changing of mobility patterns Knowledge-Transfer to related professionals Driving instruction & training Consideration in Roadway Design Addition of traffic statistics Adaption of traffic rules Observing interaction scenes Surveying traffic behavior Monitoring of incidencies Civic inquiry Integration into Mobility Action Plan Local traffic regulations Roadnet organisation Equipped cars emerging onto roadways Public awareness & reflection Product placement / migration on markets Legalization of technological components Proving legal conformity Validation of functionality Lay open the testing result Test-Goals Test-Vicinage Testing Ground Testing-formation Testing-elements Test Purpose Test Objects Evaluation of traffic capability Identification of Insufficiences Test-Recording Stage the interaction-scenes Provision for resources Script of Scenarios Setting the theatre Testing Tasks Figure 1: Phased Test & Implementation Procedure (“TIP”) Graphic by arp INTERNATIONAL European Friedrich-List-Prize Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 60 Development of electromobility services Electromobility, Charging infrastructure, Charging planning The widespread of environmentally friendly drivetrains and alternative fuels is expected in the upcoming decades. Therefore, this research was done to aid the alteration from a conventional car to electric cars to fit the extant transport system and electrical network. I have developed novel operational methods for electromobility services, including charging station locating and charging planning methods. The research was conducted from a system and process-oriented point of view. The results may contribute to facilitate and prepare the alteration of the transport system. Bálint Csonka N owadays, the environment and the emission gained huge attention during the planning and the operation of transport. Accordingly, the widespread of environmentally friendly drivetrains and alternative fuels is expected in the upcoming decades. Electrification is the most prominent option among the many alternative technologies because of its advantageous characteristic (e. g., durability); however, other concerns also arise (e.g., Pan-European transportation matters For the 16th consecutive time the European Platform of Transport Sciences - EPTS - awards the “European Friedrich-List-Prize”. This prize, dedicated to young transport researchers, is named to honour the extraordinary contributions of Friedrich List, the visionary of transport in Europe of the 19th century, being a distinguished economist and respected transport scientist committed to the European idea. The European Friedrich-List-Prize is awarded for out-standing scientific papers in each of the categories Doctorate paper and Diploma paper, addressing topics in the transport field within a European context. The award will be conferred during the 19th European Transport Congress at the University of Maribor, Slovenia, on 7 October 2021. The results will be introduced both in the “Internationales Verkehrswesen” November issue and online at www.international-transportation.com. In the following you find a random selection of this year’s submissions summarized in drafts. Source: University of Maribor European Friedrich-List-Prize INTERNATIONAL Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 61 environmental effect of batteries). In many countries, various actions have been taken to support electrification in road transport, namely the use of electric vehicles, the deployment of charging infrastructure, and the development of information and communication technologies. The operation characteristic differs from the habitual and may cause the aversion of new technologies [1], which may be mitigated by applying intelligent and personalised information systems. More and more charging units are needed to serve the growing energy demand of electric cars at the same service level. The locating problem of charging stations arises, especially in the early phase when the deployment and operation of charging stations cannot be done on a market basis. Therefore, the characteristic of the charging network (e.g., location, charging power) has a significant influence on the spread of electric car use. As well as an intelligent transportation system manages the mobility demand, the additional energy demand should be managed by novel information services. Therefore, a charging planning method was elaborated to mitigate the adverse effect of charging demand on the electrical network. In this paper, the main findings of my PhD research are summarised with a focus on three key areas: electric car user information service, charging station locating and charging planning. Integrated information service At first, the main differences between electrical car use and conventional car use were identified. The differences may cause inconvenience and aversion for users. The main differences were limited range, charging, the highest purchase price. The functions of the information service were derived from the differences to mitigate the adverse effects. The functions are as follows: •• Support for new vehicle selection: information on electric cars is provided before purchase. Furthermore, the information service may evaluate electric vehicles considering the operation cost and CO 2 emission based on the charging infrastructure, road network, and user’s travel demand. •• Journey planning: the personalised and vehiclised journey is determined. The novelty of the journey planner is that the characteristics of electric vehicles and charging networks may be considered, and the charging is included. •• Charging assistance: helps to start and finish the charging process and provides information on the status of charging during the session. Charging time is reduced by providing information on the charging process to help the user finish charging. The charging may be finished automatically as soon as the user’s demands are met. A detailed description of the integrated information service can be found in [2]. Charging station locating Intra-city and inter-city charging demand were distinguished. In the case of intra-city charging, the vehicles may be charged during parking. Therefore, the long charging time may not cause inconvenience if the charging station is close to the destination. In the case of intercity charging, the charging session interrupts the journey. Therefore, fast charging is utmost of importance. Because of the differences, separated charging station locating methods were elaborated for urban areas and national roads. Urban areas A two-level weighted sum model had been elaborated to determine the areas where the willingness to use an electric car is high and public locations where users would frequently charge (figure 1). On the macroscopic level, the distribution of charging stations among territory segments in the investigated territory considering the potential of electric car use was performed. The potential was determined based on the number of registered electric cars, average income, tourism importance, and other influencer effects such as subsidies on parking and charging. On the microscopic level, the territory segments are divided into hexagons. The hexagon size was based on the willingness to walk between the charging station and the destination. The installation potential was calculated for each hexagon. The installation potential was determined based on the general parking demand at location types, willingness to walk, residential area type, the number of points of interest and the population in the hexagon. Various scenarios were determined using different weights. A detailed method can be found in [3]. National roads A weighted multicriteria location optimisation method with ranking and selection was elaborated. The selection of proposed fast-charging station sites from the candidate sites was performed on several layers. It was desired and assumed that the inter-city traffic is concentrated on the main national roads. Hence, road categories were put in focus and assigned to layers. E.g., motorways and main roads may be considered on different layers. Unlike in several other studies [4], O-D flows were not considered to provide an applicable method if the origin-destination (O-D) data are unavailable. Thus, the focus was put on the spatial coverage and not on origin-destination flows. Figure 1: Territory segments on macroscopic and hexagons on microscopic level - the subjects of evaluation Own work INTERNATIONAL European Friedrich-List-Prize Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 62 The candidate site with the highest installation potential was selected. The installation potential is calculated considering the traffic volume, the total population of nearby settlements, service level at the site, and the location of existing fast-charging stations. Already selected candidate sites are considered as existing fastcharging stations. The method was verified using O-D data for several electric car range scenarios. It was found that a high share of served traffic volume can be achieved even at a low electric car range by emphasising the importance of traffic volume. A detailed method can be found in [5]. Charging planning In the literature, centralised [6] and decentralised [7] charging planning methods can be found. In the case of centralised planning, the calculation is performed at a centre based on the characteristics of supply and demand. The aim is to achieve a global optimum. In the case of decentralised control, the aim is to achieve local (EV user) optimum. Namely, the optimisation of charging sessions is performed separated. Thus, only one electric vehicle’s charging demand is considered at once. I have elaborated a decentralised charging planning method to minimise the user’s charging cost. The charging plan includes when and where to charge. The charging plan was determined based on the supply and demand (figure 2). A two-way energy stream between the vehicle and the electrical network was considered. The efficiency of the method was tested for several scenarios considering various charging strategies and dynamic tariff systems. It was found that the elaborated charging planning method is an efficient tool to minimise the charging cost and decrease the fluctuation of the electricity demand. Depending on the dynamic rates, the method may significantly reduce charging costs. A detailed method can be found in [3]. Conclusion The elaborated concept of the integrated information system is the basis of the implementation, and it provides a framework for electromobility services that support electric car use. The novel functions, the necessary input data groups, the components, and the relationship among them had been revealed, which are beneficial for the operators of future electromobility services. The elaborated charging station locating methods support the deployment along national roads and in urban areas in the early phase, while the deployment cannot be done on a market basis, and the locations have a substantial influence on electric vehicle use. The location selection was made in consideration of the estimated charging demand. The e-Mobi Elektromobilitás Ltd applied the methods. The precondition of the elaborated charging planning method is the different electricity rates at charging stations. Thus, the user may benefit from the use of charging optimisation. Reducing the grid load fluctuation by decentralised charging optimisation a dynamic electricity rate based on the free capacity is necessary. However, such a dynamic electricity rate is not resolved yet; there is a huge potential in the application of charging optimisation. ■ REFERENCES [1] Büscher, M.; Coulton, P.; Efstratiou, C.; Gellersen, H.; Hemment, D.; Mehmood, R.; Sangiorgi, D. (2009): Intelligent mobility systems: some socio-technical challenges and opportunities. In: International Conference on Communications Infrastructure. Systems and Applications in Europe, pp. 140-152. www.doi.org/ 10.1007/ 978-3-642-11284-3_15 [2] Csonka, B.; Csiszár, C. (2019): Integrated Information Service for Plug-In Electric Vehicle Users Including Smart Grid Functions. In: Transport 34(1), pp. 135-145. https: / / doi. org/ 10.3846/ transport.2019.8548 [3] Csiszár, C.; Csonka, B.; Földes, D.; Wirth, E.; Lovas, T. (2019): Urban public charging station locating method for electric vehicles based on land use approach. 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Further information: www.international-transportation.com European Friedrich-List-Prize INTERNATIONAL Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 63 Estimation of turning rates in roundabouts, applying state-space estimation methods Traffic estimation, Roundabout, Turning rate, Traffic count, Kalman Filter, Constrained Kalman Filter The aim of this paper is the examination and comparison of different estimation methods used for determining turning rates (OD-matrix) in roundabouts. A traditional iteration-based approach as well as state-space estimators are validated on real-world traffic data. For the estimation procedures, the traffic flows (measured at each leg of the intersection) are the input. In this way, the manual origin-destination traffic count at an intersection can be substituted by automated traffic detection at the cross-sections together with an adequately implemented estimation process. Mánuel Gressai R oad traffic infrastructure planning or development is initiated based on reliable traffic modeling. The input of the modeling is the vehicular flows on road links and turning rates at intersections. Traffic volumes at cross-sections can be straightforwardly measured manually or with help of a wide variety of traffic sensors. At the same time, turning flows or turning rates can be collected by human resources solely, which is quite costly. Therefore, if turning flows are collected, typically more than one person is needed to perceive all movements. The more, observing turnings in roundabouts is extremely problematic due to the special geometry and size of this type of junction. Figure 1 demonstrates the possible turning movements at a roundabout for vehicles arriving at Entrance 1. V 1j is the turning traffic flow from Entrance 1 to exit j, whereas V 1,in and V 1,out are the total traffic volumes entering and exiting at the corresponding junction leg. Using the volumes in figure 1, turning rates can be defined as follows: (1) where n D is the number of exits. Counting traffic on the legs of a roundabout and adequately estimating turning rates based on the collected data has the potential to substitute labor-intensive turning flow counts. This could reduce the cost of determining turning rates at an intersection significantly. In this paper, cross-sectional counts are used as a basis to estimate turning rates at a roundabout. This proposes a possible solution to overcome the obstacles posed by turning movement observation. This paper is divided into 5 sections. A description of the examined estimation methods follows the introduction. Next, the testing of different estimation methods is presented. The methods are then compared using different error metrics. Finally, a case study is established to determine whether the tuning of the best performing estimator depends on the traffic conditions, or it can be considered robust under different circumstances. Recommendations and future directions for the research are stated, and conclusions are drawn the last section. Estimation methods This section covers different methods used for turning rate estimation. Biproportional procedure is discussed as a traditional iterative algorithm, then the Kalman Filter and its extension with constraint handling are introduced as well as the Moving Horizon Estimation. The biproportional procedure (BP) is an iterative algorithm [1], where the variation of two coefficients causes the variation of turning flows in each iteration. The BP procedure aims to estimate the elements of the current OD-matrix based on the current flows on each leg and the prior OD-matrix. State-space based estimators such as the Kalman Filter include a model of the system and noises [2]. Some procedures are apt to manage constraints concerning- the- estimated values (e.g., for each turning rate to be- non-negative). Moreover, these methods estimate Figure 1: Possible turning movements at a four-legged roundabout from one direction Own work INTERNATIONAL European Friedrich-List-Prize Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 64 the- mean and standard deviation for all states in each interval. The Kalman Filter (KF) uses the estimated states (turning rates) in the previous step and the measurements in the current step to estimate the current state. The constrained Kalman Filter (cKF) contains an optimization after each step for the estimated values to satisfy previously defined constraints. The constraint handling section contains a weighing matrix which can be set to an identity matrix (I) or the error covariance matrix (P) in each step [3, 4]. Based on these options, cKF-I and cKF-P methods were defined. The MHE not only contains an optimization problem to minimize the state and measurement noises, but it can also consider the estimated values of more than one previous steps [5]. The horizon length ranged from 1 to 4 during the tests, and these cases were named MHE1, MHE2, MHE3, and MHE4, respectively. Applying the estimation methods Real turning movement volumes were counted at two different roundabouts for the research. In this way, after the calculation of turning rates, real data was available for validation and comparison of the proposed estimation algorithms. The 30-minute counts were divided into 1, 2, and 5-minute intervals, so that the estimation methods could be tested for different data input frequencies. The estimation algorithms introduced in the paper are based on the counted number of vehicles expressed in PCE (Passenger Car Equivalent [6]). The input of the estimators is the traffic flows, but the real turning rates are also known. This makes it possible to compare the estimated turning rates with the real data using error metrics. Four different error metrics [7] have been applied during the evaluation of estimation procedures: •• mean absolute error (MAE), •• root mean square error (RMSE), •• mean absolute percentage error (MAPE), and •• symmetric mean absolute percentage error (SMAPE). These metrics were also used during the tuning of the state-space estimators. The weighing between the state noise and measurement noise covariance matrices determines the attributes of the estimation. The tuning was carried out by searching for the minimum of errors. Based on the results, it can be stated that the longer the interval, the more accurate the estimation. The 5-minute interval led to the smallest errors in the case of every examined method. This clearly means that on longer time intervals, the algorithms can better smooth their estimations. Based on this, 1or 2-minute sampling intervals are not suggested to be applied in this practical problem. Table 1 lists the average error measures for all examined estimation methods in the case of 5-minute interval sizes. A ranking in the MAE values is also assigned to the procedures. In this case, the cKF and the MHE outperform the BP method and the unconstrained Kalman Filter. The comparison revealed that, although the performance of the MHE is generally slightly higher than that of the constrained Kalman Filter, tuning the MHE is often problematic. Therefore, the constrained Kalman Filtering is suggested as the best estimation procedure, taking the tuning circumstances and the performance into account. Simulation-based case study A case study was also carried out, the basis of which is another real-world traffic count. The examination was then extended to a simulation environment created in PTV Vissim modeling software. In this case, the 4-hour traffic measurements consisted of 15-minute intervals. Every method was tuned to the available traffic data sets. In case of the 15-minute intervals, the constrained Kalman Filter (cKF-P) turned out to estimate with the smallest errors. After the GEH validation [8, 9], a simulation model was established, and different traffic circumstances were created in the modeled environment. The cKF-P proved to be the most effective estimator; therefore, its performance was tested in the different scenarios, without changing the tuning. Three traffic parameters were altered to create the scenarios: •• traffic volumes, •• the proportions of the main road and side road volumes (traffic ratio), •• the position of the main road (opposite or adjacent legs). The created scenarios are as follows: •• S0: control scenario, the average of morning and afternoon traffic counts; •• S1: S0 scenario’s OD matrix, multiplied by 1.3; •• S2: 1: 2 traffic ratio, main road is opposite legs (2, 4); •• S3: 1: 6 traffic ratio, main road is opposite legs (2, 4); •• S4: 1: 2 traffic ratio, main road is adjacent legs (2, 3); •• S5: 1: 6 traffic ratio, main road is adjacent legs (2, 3). Comparing the errors of the scenarios with the control case, the following observations can be made: •• the alteration of traffic parameters did not affect the performance of the constrained Kalman Filter substantially; •• the increase of traffic volumes did not cause anomalies in the estimation; •• concerning the main and side road volume ratios, the cKF-P was more accurate when the side road volume proportions were lower; •• adjacent main road legs resulted in larger errors; •• in case of opposite main road legs, estimation performance was affected more by the traffic ratios. Intervals: 5 min Method MAE RMSE MAPE SMAPE Rank (MAE) BP 0.0670 0.1050 27.89% 11.53% 5 KF 0.0742 0.1118 32.51% 11.95% 7 cKF-I 0.0692 0.1048 27.84% 11.66% 6 cKF-P 0.0608 0.0945 24.72% 10.29% 3 MHE1 0.0599 0.0928 26.84% 10.92% 1 MHE2 0.0602 0.0942 25.81% 10.66% 2 MHE3 0.0633 0.1027 31.36% 11.74% 4 MHE4 0.0745 0.1054 32.39% 13.68% 8 Table 1: MAE rank for the examined methods (5-min intervals) European Friedrich-List-Prize INTERNATIONAL Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 65 Conclusions The main contribution of the paper is the validated comparison of different methods on real-world data sensed by drone and then counted manually. Analyzing the results, the following conclusions can be drawn: •• in general, longer intervals result in more accurate estimations; •• managing constraints improves the accuracy of the state-space estimators significantly; •• the adequately tuned constrained Kalman Filter and MHE outperform the unconstrained Kalman Filter and the traditional iterative procedure. The comparison was followed by a simulation-based case study. Tuning the state-space estimators determined that, for the examined roundabout and circumstances, the constrained Kalman Filter (cKF-P) was the most adequate method. After building the model and validating it, different scenarios were created as an input for the cKF-P. The case study led to these conclusions: •• in general, different traffic situations did not affect the performance of the estimation significantly; •• the tuning of the cKF-P can be considered robust; •• increasing traffic volumes did not cause anomalies in the estimation performance; •• the estimation is more accurate, when the side road traffic volume proportions are lower; •• the estimation is more accurate, when the main road runs on opposite legs. The continuation of this research is twofold. On the one hand, managing different road vehicle categories is an important research aim, as road planning companies generally require traffic counts with four different vehicle classes. On the other hand, a more sophisticated tuning can be developed for the state-space estimators. This can involve determining different parameters for the main road and the side road, or even traffic responsive tuning. As the result of the research, it can be stated, that state-space estimation methods combined with automatic cross-section traffic counts provide a real alternative to paper-based, manual intersectional traffic counts in case of roundabouts. ■ REFERENCES [1] Ben-Akiva, M.; Macke, P. P.; . Hsu, P. (1985): Alternative methods to estimate route-level trip tables and expand on-board surveys. In: Transportation Research Record. [2] Kalman, R. E. (1960): A new approach to linear filtering and prediction problems. In: Journal of Basic Engineering (ASME). [3] Gupta, N.; Hauser, R. (2007): Kalman filtering with equality and inequality state constraints. Oxford University Computing Laboratory. [4] Simon, D. (2010): . Kalman filtering with state constraints: a survey of linear and nonlinear algorithms. In: IET Control Theory & Applications. [5] Haugen, F. A. (2018): A brief introduction to optimization methods. [6] Lay, M. (2009): Handbook of Road Technology. Spon Press. Abingdon, UK. [7] Chen, C.; Twycross, J.; Garibaldi. J. M. (2017): A new accuracy measure based on bounded relative error for time series forecasting. In: PloS one. [8] Feldman, O. (2012): The GEH measure and quality of the highway assignment models. In: Association for European Transport and Contributors, pp. 1-18. [9] TfL (Transport for London): Traffic Modelling Guidelines: In: TfL Traffic Manager and Network Performance Best Practice Version 3.0. 2010. Mánuel Gressai Research associate, Department of Control for Transportation and Vehicle Systems, Faculty of Transportation Engineering and Vehicle Engineering, Budapest University of Technology and Economics, Budapest (HU) gressai.manuel@edu.bme.hu Road transport price Correlation of rates for road transport services in domestic transport in-Poland Economic transport, Data analyst, Road transport, Freight forwarding, Transport management The work focuses on the study of the correlation between the GDP of geographical regions and transport rates. Analyzed what influences the price of transport the thesis was put forward that transports whose loads are located in economically developed regions cost more than those whose loads are in less developed regions. The research used data on transports carried out in Poland. The results were compared with the GDP ratio given for each NUTS3 sub-region. A correlation was found and the thesis made at the beginning was confirmed. Artur Budzyński T he main aim of this article is to investigate how the GDP of the NUTS geographical sub-regions affects the price of a transport service. Thesis put forward is that there is a correlation between the transport rates and the areas of loading these shipments. It is assumed that transport from more economically developed INTERNATIONAL European Friedrich-List-Prize Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 66 regions is more expensive than the less developed ones. The aim of the work is to list the transports offered on transport taking particular account of the place loading and the transport rate per kilometre of the route. The work discusses the issues valuation of transport rates by people operating in enterprises transport and forwarding and the methods used so far. Then it will be demonstrated correlation between rates and districts. The research methods that will be used is compilation of these routes and calculations using: deviation, average, comparison. [1] Transport is the driving force of the Polish economy. Poland is in a very good connection strategic at the intersection of European transport corridors. It is a trans-European transport network. Coordinates and binds investments infrastructural. Everything is regulated by the Regulation of the European Parliament and Council of the European Union on EU guidelines for the development of the Trans-European Transport Network (TNT). Currently, there are 46 states on the European continent and two de facto independent states. The European Union has 28 states in its structures. Individual countries are divided into postal codes. Postal codes are a series of numbers or numbers and letters. They make it possible to identify the address. The code starts with two letters identifying the country where it is located. There are several types of how the rest of the postal code is written. The most convenient for the work of an operator in logistics and forwarding is the system of dividing the country into ten districts first (first digit), then each district is divided into ten more districts (second digit). The method facilitates grouping regions into larger ones. Examples are Germany and Poland. The transport rate is a specified amount that the client pays the contractor for the performance of transport. The pricing of a given route depends on many factors. The main division that is important for the study of correlation is the division into the costs of the working day of the road set and the driver, and those depending on the mileage. Fuel and tolls are mileage dependent. Tire wear is also largely dependent on the distance travelled. The OCP carrier’s insurance is purchased once a year, so it does not depend on how many kilometres the set covers. It is worth noting that the costs of employing a driver are fixed and depend on how much he works. Sometimes the practices used to bill the driver by kilometres travelled are illegal. This is stated in the Regulation of the European Union Commission 2016/ 403, Annex I, point 32 of the table. This is classified as a very serious breach that could lead to a loss of goodwill. A good reputation is necessary to have a transport license and perform the work of a road carrier. From this division it can be concluded that longer routes in international relations have a lower rate than shorter ones. TimoCom is one of the most important freight exchanges in Europe. Up to 750,000 offers of free loading space and loads are submitted every day. The company offers a transport barometer for mobile devices, supported by Android and iOS systems. The application collects the number of offers reported by users and calculates the proportions between free loads and cargo space. The disadvantage of the application is that it does not analyze the rates that are offered on the given relationships. You can only get information about the demand and supply between the given countries. Also, it is not possible to divide the country into smaller parts. The detailed view allows you to see the dependencies in previous years [2]. Route data was collected to test the correlation. The analysed orders are domestic, i. e. the place of loading and unloading is in Poland. These are full truck loads, i.e. they occupy 13.6 meters of cargo on a semi-trailer. Only loads that are carried by a standard type of semi-trailer with a minimum height of 2.6 meters are taken into account. The weight of the transported goods is 24 tons. Transport of dangerous goods that could inflate rates was excluded. The collected data on transports are: place of loading, place of unloading, rate. For the collected data, the distance between the place of loading and unloading using TimoCom transport machines was calculated. Maps calculate the route taking into account the height of the set and the total weight. It is a much more precise tool than, for example, Google Maps. The next step will be to assign regions compliant with the NUTS classification to transports. The classification was introduced in Poland on November 26, 2005. The reason for introducing NUTS was the accession of new countries to the European Union, including Poland. There are currently 97 NUTS units in Poland. They are divided into 3 categories: NUTS 1, NUTS 2, NUTS 3. NUTS 1 is the largest and these are microregions grouping voivodships. There are 7 of them. Due to their large size, the correlation between them has not been tested. NUTS 2 are regions, voivodships or parts of them. There are 17 of them in Poland. The smallest unit is NUTS 3, i. e. subregions. There are 73 units of them. Due to the fact that these are the smallest areas for which statistics are conducted, the focus was on analysing them at work. The next step is to group the transports according to the first two digits of the zip code and calculate the arithmetic mean from each. It is worth noting that there are 99 postal codes in Poland. There is no code starting with 79. The results of the calculations are in figure1. The arithmetic mean of the transport rates is PLN 3.15 rounded to the nearest whole grosz. However, the median of these rates is PLN 3.11. The most expensive transports were loaded in the following postal codes: 00; 04; 01; 02; 03 - they are all located in the subregion of the city of Warsaw. The postal code from which the cheapest transports departed is 89, it is located in the Świecie subregion. 39 postal codes are above the arithmetic mean of rates, which is around 39 %. Similarly, 60 is below which is 61 % of codes. The collected results of the arithmetic means from all codes were grouped into ten intervals and assigned to each color. Then, a map was created with a division into postal codes and the colour was selected in accordance with the rate at which transports left it on average. The next step is to group the transports according to the first digits of the postal code and calculate the arithmetic mean from each. The arithmetic mean amounts to PLN 3.16, rounded to the nearest grosz. The median is Figure 1: Graphical presentation of transport rates with division into postal codes Own source European Friedrich-List-Prize INTERNATIONAL Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 67 PLN 3.15 rounded to the nearest pennies. 6 postal codes have a greater value than the average, which is 60 %. On the other hand, 4 postal codes have a lower value, which is 40 %. Gross Domestic Product - GDP in short is one of the most important data about the work of society. This measure is recognized by economists. It is the money value of all goods and services produced. It can be assumed that GDP is growing in a developing economy. High GDP indicates a highly developed economy, low GDP a poorly developed one. The work uses the data of the Central Statistical Office on gross domestic product with a breakdown into geographical subregions according to the NUTS 3 classification. The collected data is presented in the form of a graph in figure 2. Only those subregions where the places of loading of the analyzed transports are located were taken into account. The values assigned to 56 subregions were obtained. The arithmetic mean of gross domestic product was PLN 25,704 million. The median of these values was PLN 17,846 million. 19 subregions have a value above the arithmetic mean, which is rounded to 34 %. Similarly, 37 subregions have a value below the arithmetic mean, which is 66 % [3]. A more precise examination of the above parameters requires also calculating the variance and standard deviation. The standard deviation amounted to 14,205. The largest and significantly different deviation is recorded in the Warszawa subregion, it is over fourteen times higher than the average standard deviation. One of the largest, but not so different from the average, is the deviation for highly developed subregions: Kraków, Trójmiasto, Wrocław, Warsaw West. This is an expected and logically meaningful relationship. In the subregions with the lowest deviation, there are no cities where they are, as was the case with the largest ones. Subregions in the vicinity of large cities dominate: Rzeszów, Kraków and Piotrków. In this case, it was decided to divide the sub-regions not according to the amount of GDP, but according to the standard deviation. The ratio of GDP to transport rates was calculated, broken down into all two-digit postal codes. The arithmetic mean of these ratios is rounded to the whole of 7507. The median is 7477. 49 values of the ratios turned out to be higher than the arithmetic mean, which is rounded to 49 %. On the other hand, 50 results turned out to be lower than the arithmetic mean, which is around 51 %. It has been confirmed that economic factors have an impact on the price of a road transport service. Transports are more expensive from more developed regions than from less developed regions. The commercial application of the research results was awarded in the 17 th edition of the “My Idea for Business” competition organized by the Silesian University of Technology. The results of the work are the starting point for future research [4, 5]. ■ REFERENCES [1] Budzyński, A. (2020): Correlation of transport rates between geographical regions at Sprint Logistyka Polska Spółka Akcyjna Spółka Komandytowa. Master Thesis. Department of Transport and Aviation Engineering Silesian University of Technology. [2] Timocom. www.timocom.pl (accessed 2021-06-13). [3] Central Statistical Office. https: / / stat.gov.pl/ statystyka-regionalna/ jednostki-terytorialne/ klotykacja-nuts/ klociągacja-nuts-w-polsce (accessed 2021-06-13). [4] Silesian University of Technology: Results of the 17 th edition of the “My Idea for Business” competition. www.arch.polsl.pl/ Lists/ AktualnosciUczelniane/ PokazWiadomosc.aspx? W ebPartTitle=ListaWiadomosci&Page=7&WebPartTitle2=Wiadomosc&Filter1Field2=Identyf ikator&Filter1Value2=3833 (accessed 2021-06-13). [5] Budzyński A. (2020): Use dependencies between freight prices and economic factor as a solution in improve efficiency work in road transport. In: XII Int. Sci. Conf. & IX Int. Symposium of Young Researches „Transport Problems 2020”. Conference Proceedings. P. 95-102. Katowice: Silesian University of Technology. Faculty of Transport and Aviation Engineering. ISBN 978-83-959742-0-5. Artur Budzyński, MSc PhD Student, Silesian University of Technology, Katowice (PL) artur.budzynski@polsl.pl Warszawa Kraków trójmiejski Wrocław warszawski zachodni katowicki świecki chojnicki suwalski bialski przemyski Łódź nyski inowrocławski słupski gorzowski słupski włocławski ciechanowski szczecinecko-pyrzycki krośnieński bydgosko-toruński koszaliński ostrołęcki sandomiersko-jędrzejowski tarnowski puławski sieradzki gorzowski poznański bytomski łódzki chełmsko-zamojski nowosądecki starogardzki elbląski bielski białostocki legnicko-głogowski lubelski radomski jeleniogórski kaliski Szczecin kielecki wałbrzyski leszczyński wrocławski opolski gliwicki zielonogórski krakowski piotrkowski rzeszowski 0 50000 100000 150000 200000 250000 Standard deviation GDP [mln. PLN] Figure 2: The relation of GDP per capita and standard deviation in sub-regions Own work INTERNATIONAL European Friedrich-List-Prize Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 68 Mobility measures and the housing sector Evaluation of the impact of mobility measures in newly planned residential areas Mobility measures, Housing sector, Mobility survey, Mobility behaviour Measures in mobility management are particularly efficient in life-cycle changes and therefore promising in combination with new housing developments. Robust evidence on the effectiveness of the various possible measures is still lacking. Based on multimethod approach, this study investigates the impacts and relevance of mobility measures for new housing developments in Austria. The results show which measures are efficient in encouraging residents to adopt a more environmentally friendly mobility behaviour. Jonas Krombach, Regine Gerike, Caroline Koszowski, Andrea Weninger I n terms of sustainable and healthy urban mobility, daily journeys should be ideally made on foot, by bike or by public transport. Nevertheless, the reality in many cities looks different - the private car still plays a dominant role in everyday mobility causing problems like air and noise pollution. The question is: how to encourage citizens to adopt a more environmentally friendly mobility behaviour? Since 80 % of all daily activities start and end at home, the place of residence is highly relevant [1, 2]. There are numerous studies available showing that urban design and the transport system influence people´s mobility behaviour [3, 4]. Applying this to residential areas, there is general presumption that the presence of mobility measures in the direct vicinity of residential areas might have some potential to influence mobility behaviour of new residents, but this has not been scientifically proven so far. Seeing this gap in research, the diploma thesis [5] - submitted for the European Friedrich-List-Award 2021 - takes a closer look at two new housing developments in Austria. The focus lays specifically on the impact and influence of mobility measures on residents as well as on the challenges faced by stakeholders who are involved in planning process of new housing developments. The term “mobility measures” used in this article describes measures in mobility management that cover infrastructural (e.g. footpath design, green spaces, bike parking facilities), informative (e.g. wayfinding system or information boards in residential areas), service (e.g. car and bike sharing service, parcel stations in residential areas) or incentive measures (e.g. free public transport tickets for residents). [6] Study areas and research methods With Quartier Riedenburg, Salzburg (QR), and Perfektastraße 58, Vienna (PS), two residential areas were identified as suitable study sites for this thesis. Both neighbourhoods were recently completed and offer a wide range of different mobility measures. Quartier Riedenburg has 316 flats and is centrally located, while on the other hand Perfektastraße 58 is relatively smaller (115-flats) and located on the outskirts of Vienna. Apart from that, two research methods were chosen for the thesis: 1. mobility surveys with residents of the neighbourhoods and 2. expert interviews with involved stakeholders (housing developers, property management municipal administration, architects, mobility provider and social organisation). [5] Part 1: Mobility survey with residents The mobility surveys, carried out in both study areas in March 2020, targeted all residents aged over 18 years. A- comprehensive questionnaire in paper format was therefore handed over personally at the resident’s front doors. The developed questionnaire included questions about the resident’s mobility behaviour before and after moving to their current residential area. In this context, the residents were also asked which mobility measures they perceive as particularly important. Due to Covid-19 measures (lockdown), both mobility surveys had been severely affected. The face-to-face distribution of the questionnaires to all households was no longer possible from mid-March 2020, which had a high impact on the sample size. In Quartier Riedenburg the sample consisted out of 82 returned questionnaires from originally 229 distributed questionnaires (response rate: 36 %), which represents a substantial proportion of all residents. In Perfektastraße 58 a total number of 20 questionnaires out of 69 distributed questionnaires were returned (response rate: 29 %). Both samples cover a wide age distribution. [5] Main results The mobility behaviour of the residents of both neighbourhoods has changed in favour of a more environmentally friendly mobility behaviour by moving into Quartier Riedenburg, respectively, Perfektastraße 58. Specifically, an increase in walking, cycling and public transport use could be observed whereas at the same time the usage of the private car dropped. In both study sides, the number of cars per household has clearly decreased in comparison with the previous housing situation (e. g. QR: reduction from 1,34 to 1,06 cars per household). Furthermore, European Friedrich-List-Prize INTERNATIONAL Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 69 a detailed examination of the results of Quartier Riedenburg shows that the greatest shift in favour of environmentally friendly means of transport (+ 16 %) is to be found in journeys made in the immediate vicinity of the residential area. [5] In terms of the importance of individual measures a largely similar picture with equal patters can be noticed (see figure 1). Especially the measures promoting walking (e.g. green spaces) were highly ranked. Cycling measures tended to be rated more important for the residents of Quartier Riedenburg. The overall most important mobility measure in both surveys turned out to be the good connection to a nearby public transport stop. Measures with future potential are infrastructure for electric cars (e-charging stations) and parcel stations within a residential estate. Any sharing mobility measures (car, bike or moped sharing) were considered less important by the residents of both residential areas. [5] 3,12 2,50 2,19 1,50 2,50 2,07 1,94 3,95 3,50 2,28 2,58 2,94 2,21 2,53 1,73 1,53 1,73 1,91 2,31 3,18 3,00 2,44 2,76 2,94 2,75 3,26 2,94 3,44 2,45 3,55 3,50 2,85 3,16 2,77 1,99 1,68 2,65 2,03 2,06 3,74 3,20 2,43 2,42 3,61 2,23 2,40 1,55 1,55 1,61 2,27 2,78 3,60 3,12 2,18 3,66 3,71 2,63 3,53 2,98 3,18 2,99 3,71 3,47 3,23 1,00 2,00 3,00 4,00 Parcel Station within the residential estate Discounts at Local Suppliers and Facilities (e.g. Gastronomy) Shopping-Trolleys (to hire) E-Mopeds Sharing Service Infrastructure for E-Cars Discounts for Car-Sharing Membership Car-Sharing service Short Walking Distance to the Station Free/ Incentive Tickets for residents Information Material for new residents (in packages) Departure Monitors in the Entrance of Buildings Good Connection to the Urban Cycling Network Discounts for a Bike Repair Service and Repair Station Bike-Sharing Service for E-Bikes Bike-Sharing Service for Cargo Bikes Bike-Sharing Service for Classical Bicycles Power Outlets for E-Bikes Storing Facilities for Trailers Accesses to the Bicycle Rooms have a Sufficient Width Locked Bicycle Parking Facilities Lifts for Transporting Bicycles Sufficient Number of Roofed Bicycle Parking Facilities Sufficient Number of Bicycle Parking Facilities Orientation Plan and Wayfinding in the residential area Good Connection to the Urban Pedestrian Network Space for Activities Accessibility (Barrier-free residential area) Sufficient Number of Outside-Seating Elements Green Spaces Good Lighting of the Paths Straight and Direct Routing Within the Residential Area Comparison of the Importance of Mobility Measures QR PS Mean value: 1,00=not important; 2,00=rather not important ; 3,00=rather important; 4,00=important Bicycle Traffic Public Transport Motorized Traffic Further Measures Pedestrian Traffic Figure 1: Importance of Mobility Measures (QR = Quartier Riedenburg; PS = Perfektastraße 58) Source: [5], translated INTERNATIONAL European Friedrich-List-Prize Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 70 Part 2: Expert interviews with ten stakeholders Aside from the mobility survey, ten telephone interviews with stakeholders were organized in spring 2020. The interviews revolved around financial, organizational, operational and legal hurdles. It is crucial to make a fundamental distinction between subsidised and privately financed housing projects, because in subsidised housing projects, the budget is generally tighter and measures have to be financed under strict legal frameworks. There is a tendency that this may lead to a loss of quality in certain measures (e. g. quality of green spaces) or that measures have to be dropped out completely due to the tight legal framework (e. g. free residential tickets for public transport). [5] In terms of car parking spaces in the residential area, privately financed housing companies tend to have a more conservative approach. Building less parking space than flats is less favourite, since this may be a competitive disadvantage in housing market. In subsidised housing, on the other hand, this is seen as more of an option, since the demand for car parking spaces can be better estimated in advance. In general, the common opinion is that a reduction in the number of car parking spaces should be only carried out to a reasonable extent in order to avoid excessive parking pressure in the neighbourhood’s streets on the one hand and prevent unused underground parking garages on the other. Since a reduction furthermore has to be decided by local politics the decision is strongly dependent on the prevailing political conditions. [5] Regarding bicycle parking facilities different options clash. For housing companies, bicycle facilities on the ground floor of buildings are less favourable as they may reduce the number of possible flats on the ground floor. For architects, the ground floor area is more seen as an open space for communication. The municipal administration and mobility planners, on the other hand, are of the opinion that it makes sense to build bicycle parking facilities on ground floor level to ensure better accessibility. It is striking that there is currently no legal basis for the quality of bicycle parking facilities in Austria. The qualities can only be demanded by the municipality (e. g. in a mobility concept). [5] Concerning sharing mobility (car and bike sharing), the general opinion is that self-management of such services is only economical viable from a certain size of the housing estate. There are currently many legal hurdles to overcome, which is why it is an obstacle for many developers. [5] Finally, it is important to mention that mobility measures strongly correspond with the surrounding infrastructure. The success of mobility measures depends to a large extent on the existent infrastructure (urban mobility network) outside the residential area. As this is outside the scope of action of the housing developers, the municipality has a decisive role to play. [5] Conclusion and recommendation The results show that mobility measures in new residential areas have potential to influence resident’s mobility behaviour in a positive way. It is important that the municipal administration ensures adequate transport infrastructure in the surroundings of new housing developments in the first place, so that mobility measures within new residential areas can develop their full potential. Housing companies should see the link between mobility and housing and be open regarding mobility measures, since they can also benefit from them. [5] A recommendation in form of a prioritization of mobility measures (see figure 2) was derived in a final step [5]: •• Basic Measures (foundation) •• Advanced Measures (additional measures, depending on respective framework conditions) •• Top Measures (special measures with a high degree of complexity in planning and implementation) ■ Straight and Direct Routing Sufficiently Dimensioned Width of Paths Good Lighting of the Paths Accessibility (Barrier-free) Weather Protection Good Connection to the Urban Pedestrian Network Green Spaces Sufficient Number of Outside-Seating Elements Space for Activities PEDESTRIAN TRAFFIC BICYCLE TRAFFIC Straight and Direct Routing (to the Parking Facilities) Orientation Plan and Wayfinding in the residential area Good Connection To Local Suppliers and Facilities (e.g. Gastronomy) Sufficiently Dimensioned Width of Cycling Paths Good Lighting of the Cycling Paths Good Connection to the Urban Cycling Network Safe Paths Orientation Plan and Wayfinding in the residential area Good connection to Local Suppliers and Facilities (e.g. Gastronomy) Sufficient Number of Bicycle Parking Facilities Sufficient Dimensioned Bicycle Parking Facilities Ground Level Access to the Bicycle Parking Facilities High Quality of the Bicycle Parking Facilities Bicycle Parking Facilities for Visitors Service and Repair Station Power Outlets for E- Bikes Bike-Sharing Service Discounts for a Bike Repair Good Wayfinding to the Station Short Walking Distance to the Station Departure Monitors in the Entrance of Buildings Free/ Incentive Tickets for residents Notice Boards with Information on Public Transport Information Material for new residents (in packages) Good Equipment of Station Additional Equipment for Stations Reduction in the Number of Compulsory Car Parking Spaces Infrastructure for E-Cars Car-/ E-Moped- Sharing Shared Garages within other Neighbourhoods Parcel Station within the residential area Discounts at Local Suppliers and Facilities (e.g. Gastronomy) Mobility Counselling and Special Courses Shopping-Trolleys (to hire) Mobility Point Concierge PUBLIC TRANSPORT MOTORIZED TRAFFIC ADVANCED BASIC TOP FURTHER MEASURES Safe Cycling Paths TOP ADVANCED BASIC Source: Krombach, 2020, translated; inspired by Köfler et al., 2019 Figure 2: Prioritization of mobility measures for new housing developments Source: [5], translated, inspired by: [7] European Friedrich-List-Prize INTERNATIONAL Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 71 Resilience of transit systems Application of behavioral theories to increase the resilience of transit systems based on user-operator interaction Public transport, Collaborative travel, Service Disruptions, SP Survey, Mobility-as-a- Service (MaaS) In an era of digitization and automation, urban mobility faces major future challenges. This doctoral research takes a holistic approach to translate behavioral theories from organizational and consumer research in the transit context, allowing a more profound understanding of transit users’ affective and cognitive decision-making processes for enhanced service quality and system resilience. The framework follows an unconventional path of exploring the potential of ‘user-operator involvement’ on transit information sharing, service disruption management, and integrated mobility solutions, from a socio-technical perspective. Rumana Sarker T ransit system mainly embodies a top-down approach, and supply-based service evaluation is a common practice. However, this often results in an overestimation of the service quality by the operator and may not represent actual use experience [1]. While service quality determines the propensity of transit use, improving it according to the user’s needs can be a crucial element to gain a positive attitude towards transit and attain a modal shift. Therefore, this doctoral research addresses the missing link between transit policies and user perceptions of the overall system by exploring the effect of useroperator involvement on three proposed key elements: 1. collaborative transit information exchange, 2. disruption management strategy, and 3. service-based mobility solutions. Transit information is one of the important service characteristics that users continuously seek to reduce travel-related stress through better scheduling, regardless of overall high or low service quality [2]. In the literature, travel information is mainly treated as a travel resource streaming from operators to transit users as consumers. However, collective knowledge can significantly contribute to dynamic planning processes that REFERENCES [1] Franz, G. (2019): Leitfaden Mobilitätsmaßnahmen im Wohnbau: Übersicht und Planungsempfehlungen für Wohnbauvorhaben in Wien. Published by: Stadt Wien - Stadtteilplanung und Flächenwidmung (MA 21), Werkstattbericht 184, Wien. ISBN: 978-3-903003- 55-2. [2] Reithofer, J.; Arbeithuber, S. (2020): Maßnahmenkatalog - Realisierung von multimodalen Mobilitätsangeboten (Mobility Points) in Wohnbauten und Stadtteilen. Magistrat der Stadtgemeinde Salzburg, Amt für Stadtplanung und Verkehr, Schriftenreihe zur Salzburger Stadtplanung, Heft 46, Salzburg. [3] Koszowski, C.; Hubrich, S.; Wittwer, R.; Gerike, R. (2019): Was motiviert zum Zufußgehen? Literaturschau und ausgewählte Ergebnisse einer empirischen Studie. In: Bauer, U. (Hrsg.): So geht´s - Fußverkehr in Städten neu denken und umsetzen. Bd. 18, Edition Difu - Stadt Forschung Praxis, Berlin. ISBN: 978-3-88118-643-8. ISSN: 1863-7949. 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(2019): Intelligent mobil im Wohnquartier: Handlungsempfehlungen für die Wohnungswirtschaft und kommunale Verwaltungen. Verkehrsclub Deutschland e.V., Berlin. Jonas Krombach, Dipl.-Ing. Project Engineer, Rosinak & Partner ZT GmbH, Vienna (AT) krombach@rosinak.at Regine Gerike, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Head of Chair, Technische Universität Dresden, Chair of Integrated Transport Planning and Traffic Engineering, Dresden (DE), regine.gerike@tu-dresden.de Caroline Koszowski, M.Sc. Research Associate, Technische Universität Dresden, Chair of Integrated Transport Planning and Traffic Engineering, Dresden (DE) caroline.koszowski@tu-dresden.de Andrea Weninger, Dipl.-Ing. Managing director, Rosinak & Partner ZT GmbH, Dornbirn (AT) weninger@rosinak.at INTERNATIONAL European Friedrich-List-Prize Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 72 allow users to maximize their utility from real-time information and feedback and detect the system gaps [3]. In the era of lean production and public funding reductions, transit users are valuable partners in system design, fostering bottom-up development, and offering ideas for entrepreneurship and innovation [4]. Although active user participation is starting to shape the development of new apps with commercial market potential, there is little information regarding their acceptance and use. On the other hand, transit systems are complex open systems susceptible to service disruptions such as delays, crowding, line cancellations, resulting in travel dissatisfaction and temporary ridership loss [5, 6]. Therefore, understanding user’s reactions to critical incidents and defining measures to mitigate such reactions are vital to improving transit system resilience in the case of smallscale, recurring operational disruptions [7]. Previously the link between user satisfaction and general service indicators such as service reliability, customer care, information simplicity, and system design has been extensively investigated [8, 9]. However, a significant research gap exists concerning the factors underlying transit users’ behavioral response to service disruptions and motivational factors to improve it. Furthermore, the emergence of radical technological innovations facilitates the introduction of Mobility-as-a-Service (MaaS) to overcome the limitation of fixed scheduling and routing of transit systems. MaaS is an evolving concept of ‘user instead of owner’, combining different transport modes (e.g., transit, car-sharing, bike-sharing, taxi) over one integrated app-based service. It can be on a subscription or pay-asyou-go basis for seamless travel and payment [10]. The widespread use of smartphones and travel apps serve as essential facilitators for MaaS adoption. However, the current body of knowledge does not apply behavioral theories to understand internal psychological motivators other than the utility-based choice to explain mainstream MaaS adoption. Based on the research gaps mentioned above, the research questions (RQ) are as follows: RQ1 What are the motivating factors for users’ to voluntarily share transit information? RQ2 Is there any relationship between users’ emotional or affective reactions to service disruptions and their future transit use? RQ3 What is the potential of MaaS compared to conventional transit systems from the users’ perspective? The focus group of this research mainly comprised transit users with sufficient multimodal travel activities. Three different case studies were designed and tested in Innsbruck, the capital of the Austrian province of Tyrol, and partly in Copenhagen, the capital of Denmark, facilitating comparative case studies in cities differing in size and social trust. This article briefly summarizes the most relevant research results on nurturing user-operator communication to improve transit information, monitor user satisfaction relating to service disruptions, and integrate service-based mobility solutions for a better transit experience. Figure 1 shows the research framework.- Applied Method The data were collected using the tailor-made questionnaire in English, German and Danish, combining online and onboard surveys with incentives. The onboard intercept survey was administered with the Computer Assisted Personal Interviewing method. Pilot surveys were carried out before the final administration. The indicators related to the latent constructs in the surveys were elicited using a 5-point Likert scale. The structural equation model (SEM) served to estimate the behavioral framework. The goodness-of-fit was evaluated using the chi-square test of model fit (CFI) and Root Mean Square Error of Approximation (RMSEA). A stated preference (SP) choice experiment was conducted to understand the effect of switching cost and alternative attributes among the hypothesized MaaS service and current transit alternative. The choice experiment was designed using the D-efficient design method [11]. The multinomial logit model (MNL) served to understand the utility function of the MaaS packages using the maximum loglikelihood technique. Results Nurturing user-operator communication to improve transit information 1,369 responses from Innsbruck and Copenhagen were analyzed with SEM based on the Unified Theory of Figure 1: Research Framework Own work European Friedrich-List-Prize INTERNATIONAL Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 73 Acceptance and Use of Technology (UTAUT) [12]. The results explore the motivational factors underlying intentions to share information rather than solely engaging in receiving information while using transit apps for daily commute. The platform-related and individualrelated barriers and motivators to share information are investigated. This study shows that there is a need to receive peer information and willingness to share information from frequent transit users even in a high-quality transit environment. The most important motivational factors for information sharing are pro-sharing social norms and self-actualization weighted against effort expectancy. The effort is related to the logistic effort of using the platform than network familiarity. Trust in the information provided and social network engagement are secondary motivational factors, with perceived information quality and communication need less influential. Greater transit use and interest in the level of service (LOS) and real-time (RT) information are correlated with greater information sharing motivation. Results identify women and young travelers, mainly Gen Z (birthdate between midto-late 1990s and early 2010s), as potential users of collaborative transit apps. Also, transit users residing in Denmark, a country with high social trust, are more inclined to share information. The survey targeted “digital natives” due to their social media use for information, socializing, experiencing a sense of community, and familiarity with collaborative transport consumption. Monitoring user satisfaction relating reaction to service disruptions This research explains the choice between staying and enduring, complaining, and reducing transit use by showing that transit users’ reactions are related to the service climate, frequency of undesired incidents, and individual characteristics. This research adopted the Affective Events Theory (AET) for the first time in the transit service context [13]. Previously, AET was mostly used to explain work-related experiences. AET explains customer reactions to transit service disruptions based on a representative sample of 1,629 transit users from Innsbruck. This research evaluates users’ affective reactions to disruptive events ranging from calm to extremely angry, and behavioral responses varying from complaints (voiced) to avoiding transit use on the next trip (exit), and continuing as usual (loyalty) following Hirschman’s Exit-Voice-Loyalty framework [14]. This study addresses line cancellations, missed connections, non-functioning ticket machines, and vehicle breakdown as stimulus events [15]. Results depict that even a low proportion of unexpected service disruptions may induce anger and frustration under high-quality service conditions and result in temporary or permanent discontinued use. SEM estimation shows that better network coverage, service quality, and personnel behavior mitigate the frustration of transit users upon event occurrence. Higher transit user frustration is related to a higher frequency of service disruptions. Customer frustration decreases with higher service quality and operator efficacy. Social network engagement is associated with an increased sense of being upset or angry and disruption, and voicing complaints and exit behavior are complementary. Counterintuitively, using transit for environmental reasons is an enhancing factor of frustration over service disruptions. Notably, the current study does not refer to real-time reactions to single specific events. However, it takes a retrospective view of the transit organizational climate, including service quality, network coverage and personnel behavior. Integrating multimodality for improved service MaaS raises hopes for better tailoring the transport service matching user needs. This study focuses on habitual transit users’ willingness to switch from their current yearly subscription towards a new MaaS service. It relates switching intention to new service based on the service-based switching model, explaining switching cost and service-based push-pull factors, i.e., both the perceived quality of the current service and the perceived usefulness of the future service [16]. The goalframing model is combined, explaining individuals’ actions with three motivational perspectives: normative, gain, and hedonic [17]. A stated-preference choice experiment among the transit users in the Tyrol region collecting 1,416 responses shows that attractive MaaS features are package price, e-car discount, number of transit trips, and free e-car, e-bike minutes. The inclusion of transit trips significantly increases the utility of using a MaaS scheme. However, the results show a lower intention of MaaS use compared to the current alternative. Transit satisfaction, environmental responsibility, and perceived difficulties of MaaS use, e.g. fleet availability, privacy interventions, motivate staying with transit use. Also, minimal experience with existing shared transport services is identified as a barrier in MaaS acceptance. Whereas, taste for innovation, time-saving skills, transit underutilization, and pro-cycling attitudes motivate switching to MaaS. Simplified travel with a one-stop payment option is the most perceived advantage of MaaS. The younger population and active travelers (working, studying) are likely to switch to the MaaS system. Conclusion The findings from three different case studies in this research obtained specific measures and policy implications. However, in combination, they can work efficiently in achieving a transit environment that retains ridership, reduce car dependency, manages growing mobility needs, and encourage sustainable travel. The most relevant key findings are as follows: •• User engagement in transit information sharing should not be monetary but rather satisfy the higherorder needs of social recognition, user appreciation, and self-actualization. For policymakers, these are potential measures to motivate app engagement. Hence, adding app features that enable users to see their contribution in bettering travel information, including gamification elements, may strengthen information sharing. •• Minor discrepancies in the conditions of excellent transit services can still induce anger and disappointment. The transit operator’s efficacy in handling INTERNATIONAL European Friedrich-List-Prize Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 74 users’ situational needs is decisive for continuing transit use in the long run. Thus the ability to complain through ‘easy to use’ official channels and responsiveness to complaints should be better promoted among transit operators. These measures can ameliorate the shortcomings of the traditional customer satisfaction survey by facilitating user-generated inquiries and recognizing service dimensions based on users’ preferences and need. •• Switching from transit to MaaS is non-trivial in a medium-sized city like Innsbruck with high-quality transit service. Transit will be an essential part of MaaS, but there is a greater sensitivity to ‘free’ service units among the respondents. Hence, the MaaS pricing scheme presentation could be a success factor, and non-linear pricing effects should be further explored. Switching to MaaS is driven mainly by a taste for innovation. Therefore, the marketing strategy for MaaS should be based on innovation and emotional gains rather than on environmentalism and functional gains. Also, visibility of the existing shared services to the end-users is crucial for wider MaaS intervention. The 2050 Tyrol Energy Autonomy Program aims to generate positive attitudes towards electroand sustainable mobility [18]. This research aimed to contribute to the goal of the Tyrol region with the gained knowledge from these case studies. The opportunity to transfer the knowledge into practice is one of the main contributions of this research, as transit operators were important collaborators. It has the additional merit of examining research hypotheses in a cross-cultural setting. Moreover, the conceptualization of theories from consumer research and developing new applications is a research contribution itself. As a continuation of the research, a complex hybrid choice model estimation for an in-depth understanding of switching intention to MaaS is already in progress.- ■ Special thanks to Prof. Sigal Kaplan and Prof. Markus Mailer for providing guidance and feedback throughout the research as the supervisors. REFERENCES [1] Rietveld, P. 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Contacts, conference program, and more information are available at www.fgpa.um.si/ etc We are looking forward to meeting you in Maribor ALL YOU CAN READ Das Archiv der Zeitschrift Internationales Verkehrswesen mit ihren Vorgänger-Titeln reicht bis Ausgabe 1|1949 zurück. Sie haben ein Jahres-Abonnement? Dann steht Ihnen auch dieses Archiv zur Verfügung. Durchsuchen Sie Fach- und Wissenschaftsbeiträge ab Jahrgang 2000 nach Stichworten. Greifen Sie direkt auf die PDFs aller Ausgaben ab Jahrgang 2010 zu. Mehr darüber auf: www.internationales-verkehrswesen.de Trialog Publishers Verlagsgesellschaft | Baiersbronn | service@trialog.de ePaper-EAZ_IV_TranCit.indd 4 ePaper-EAZ_IV_TranCit.indd 4 11.11.2018 18: 32: 23 11.11.2018 18: 32: 23 Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 76 MOBILITÄT Strategie Mobilitätsentwicklung im Münsterland Bedarfsgerechte Gestaltung der Anbindungen des ländlichen Raums im Bürgerlabor mobiles Münsterland Reallabor, Multimodale Mobilität, Nutzer*innen-zentriert, Vernetzung Der Wandel gesellschaftlicher Strukturen und des individuellen Mobilitätsverhaltens erfordern ebenso wie Maßnahmen zum Klimaschutz eine Anpassung der mobilen Infrastruktur, um die Nutzung nachhaltiger Verkehrsangebote zu fördern. Die Anbindung von ländlichen Regionen an Stadtzentren ist dabei ein zentraler Ansatz des Bürgerlabors im Münsterland. Dort arbeiten Bürger*innen, Politik und Wissenschaft gemeinsam an der (Weiter-) Entwicklung und Vernetzung bedarfsgerechter Mobilitätslösungen zu einem multimodalen Verkehrssystem, das von der Bevölkerung als attraktiv wahrgenommen und genutzt wird. Sabine Bertleff, Philipp-Armand Klee, Benjamin Lender, Philipp Bickendorf, Stefan Ladwig D er aktuelle gesellschaftliche Wandel sorgt für eine Veränderung des Mobilitätsverhaltens und der -bedarfe der Bevölkerung und ändert somit auch die individuellen Ansprüche an ein attraktives, funktionales Verkehrssystem. Diese Veränderungen stellen den Mobilitätssektor vor neue Herausforderungen [1, 2]. Mobilität im Wandel Im Sinne der sozialen Teilhabe und Daseinsvorsorge muss die steigende Anzahl älterer Verkehrsteilnehmer*innen und Veränderungen in Haushalts- und Familienstrukturen ebenso berücksichtigt werden wie die zunehmende Flexibilisierung der Berufswelt [3 bis 5]. Einen weiteren wichtigen Aspekt bildet der fortlaufende Trend der Suburbanisierung oder Stadtflucht [6], der mit einer vermehrten Abwanderung der städtischen Bevölkerung ins Stadtumland oder in ländlichere Regionen einhergeht und dementsprechend das Zurücklegen von mehr bzw. längeren Wegen erforderlich macht [7]. Dem Bedarf nach individueller Mobilität steht das Bestreben gegenüber, Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor zu reduzieren [7], um den Klimaschutzzielen der Bundesregierung [8] und den Anforderungen des Grünen Deal der Europäischen Union [9] gerecht zu werden. In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben Verkehrsleistung der Bevölkerung und gleichzeitig motorisierter Individualverkehr (MIV) zugenommen, wobei PKW insbesondere außerhalb der Städte das Verkehrsmittel erster Wahl darstellen [10]. Dies spiegelt sich unter anderem in einer erhöhten Auslastung des Verkehrsnetzes wider. Als umweltverträgliche Alternativen zum MIV - vor allem im ländlichen Raum - werden die Verkehrsmoden E-Mobilität und ÖPNV (Öffentlicher Personennahverkehr) zentral diskutiert [7, 11, 12]. Um neben Klimaschutzzielen auch gesellschaftlichen und individuellen Mobilitätsanforderungen gerecht werden zu können, konzentriert sich eine Vielzahl an Vorhaben auf die Herausforderung, die mobile Infrastruktur entsprechend den Bedarfen der Bevölkerung anzupassen, um die Nutzung alternativer Verkehrsangebote zu fördern [4, 7, 11]. Vor dieser Herausforderung stehen auch die Stadt Münster und die Region Münsterland. Die Beschlussvorlage zum Masterplan „Mobilität Münster 2035+“ [13] weist auf deutliche Kapazitätsengpässe in dem aktuellen Verkehrssystem der Stadt Münster hin. Besonders die Pendler*innen sind in den Morgenspitzenstunden von diesen Engpässen betroffen. Dies erfordert laut Beschlussvorlage der Stadt Münster ein vernetztes System, das den Verkehr möglichst effizient zeitlich und räumlich auf die verschiedenen Verkehrsträger verteilt. Dies soll den Verkehrsfluss fördern und verkehrsbezogene Belastungen wie Lärm und CO 2 -Emissionen reduzieren [13]. Dabei sollen vor allem die Mobilitätsanforderungen und -bedarfe des umliegenden Münsterlandes und seiner Einwohner*innen berücksichtigt werden, um eine gute Anbindung an ländliche Regionen zu gewährleisten und die Nutzung anderer Verkehrsangebote attraktiver zu gestalten. Aktuell scheinen aber gerade im ländlichen Raum des Münsterlandes attraktive Alternativen zum PKW zu fehlen. Beispielsweise hat eine Mobilitätsuntersuchung des Kreises Coesfeld (2016) [14] gezeigt, dass PKW mit einem Anteil von 58 % aller Wege das meistgenutzte Verkehrsmittel an einem durchschnittlichen Werktag im Kreis Coesfeld sind und von mehr als der Hälfte der Befragten täglich genutzt werden. Der ÖPNV mit Bus und Bahn macht hingegen lediglich 6 % des Gesamtwegeaufkommens aus, wobei über 3 % auf den Ausbildungsverkehr von und zur Schule zurückzuführen ist. Nur 9 % der Befragten gaben an, den ÖPNV täglich zu nutzen, während ihn knapp 80 % nur selten oder nie in Anspruch nehmen. Laut Umfrage wird das Bus- und Bahn-Angebot mit der Durchschnittsnote 3,6 bewertet und rangiert damit abseits der übrigen Verkehrssysteme im Kreis Coesfeld mit Durchschnittsnoten zwischen 1,9 und 2,0. Hier werden von den Befragten vor allem allgemein unzureichende ÖPNV-Angebote, fehlende Direktverbindungen, zu kurze Betriebszeiten sowie zu lange Taktintervalle bemängelt [14]. Dies deutet darauf hin, dass das existierende Mobilitätsangebot des ÖPNV den Bedarfen der Fahrgäste nicht gerecht wird und entsprechend angepasst werden sollte, um sowohl Akzeptanz als auch Nutzungsintention zu fördern und so langfristig die Nutzungshäufigkeit zu steigern. Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 77 Strategie MOBILITÄT An diesem Punkt setzt das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und vom Ministerium für Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (VM NRW) geförderte Verbundprojekt Bürgerlabor mobiles Münsterland (BüLaMo) in der Gemeinde Senden im Kreis Coesfeld an. Ziel dieses Verbundprojektes ist es, ein Mobilitätsangebot zu schaffen, dass sich zum einen an den Bedürfnissen der Bürger*innen orientiert, um ihre Daseinsvorsorge und Teilhabe am öffentlichen Leben zu sichern und zum anderen klimafreundlich und verkehrsentlastend wirkt. Entlang der oben beschriebenen Bedarfe ist eine gute Anbindung von ländlichen Regionen an die Stadtzentren von zentraler Bedeutung, um die Nutzung des ÖPNV - insbesondere im Rahmen des Pendlerverkehrs - als sinnvolle und ergänzende Alternative zum mobilen Individualverkehr anbieten zu können. Um dies zu erreichen wird die Entwicklung eines Nutzer*innen-zentrierten und digital vernetzten Verkehrssystems angestrebt, das multimodale Mobilität mithilfe neuer Verkehrsmittel und durch die Verbesserung bestehender Angebote des ÖPNV ermöglicht. Multimodale Mobilität als Lösungsansatz Als Grundlage eines solchen multimodalen Mobilitätssystems sollen folgende Lösungsvorschläge (Bild 1) im Projektverlauf entwickelt werden: •• Mobilstationen als Knotenpunkte des ÖPNV •• ein tragfähiges Expressbussystem •• nahräumige On-Demand-Dienste (ÖPNV auf Abruf ) zur Erschließung der Fläche rund um die Mobilstationen •• eine Mobilitäts-App, die eine verkehrsträgerübergreifende Buchung von multimodalen Wegeketten durch eine Singlesign-on-Lösung, ermöglicht •• eine attraktive Tarifstruktur zur zukünftigen Einbindung multipler Mobilitätsoptionen Die Umsetzung eines solchen multimodalen Mobilitätssystems im ländlichen Raum setzt ein tragfähiges Expressbussystem sowie nahräumigen ÖPNV auf Abruf voraus. Als Verbindungsfunktion dieser Systeme sollen darüber hinaus innovative Mobilstationen entwickelt werden, welche als attraktive Knotenpunkte agieren können. Mobilstationen dienen demnach der Bündelung des Mobilitätsangebotes durch die Integration des ÖPNV und des On-Demand-Verkehrs sowie individueller Transportmittel zur Kurzzeitmiete, wie E-Bikes oder E-Scooter. Zur Erhöhung der Aufenthaltsqualität sollen die Mobilitätsstationen als wetterfeste und trockene Aufenthaltsorte gestaltet werden, welche eine Plattform für Dienstleistungsanbieter bieten. Somit könnten beispielsweise Paketstationen oder Angebote des nahräumigen Agrarunternehmens eingegliedert werden. Über solch ein Serviceangebot soll sichergestellt werden, dass die Umsteigezeiten weniger als teils lästige Notwendigkeit, sondern eher als komfortsteigernd wahrgenommen werden. Einen weiteren grundlegenden Baustein eines multimodalen Mobilitätssystems bildet die digitale Vernetzung der Verkehrssysteme durch eine Mobilitäts-App. Mit dieser Mobilitäts-App soll Nutzer*innen ermöglicht werden, Wege individuell zu planen, indem die unterschiedlichen Mobilitätsoptionen entlang der Wegeketten Nutzer*innen-orientiert bereitgestellt werden. Nutzer*innen-orientiert ist hier ebenfalls im Sinne einer einheitlichen Tarifstruktur zwecks Buchung von diversen Mobilitätsoptionen zu verstehen. Solch ein vernetztes und auf die Nutzer*innen abgestimmtes Mobilitätsangebot soll es beispielsweise erlauben, ausgeliehene E-Bikes abends mit nach Hause zu nehmen und morgens wieder an der Station abzugeben. Die digitale Vernetzung der Verkehrssysteme setzt des Weiteren die Grundlage für die Integration eines nahräumigen ÖPNV auf Abruf zur Erschließung der Fläche rund um die Mobilstationen. Im Rahmen eines multimodalen Mobilitätssystems kann dieser als Zubringersystem zu den Mobilitätsstationen fungieren und durch Schnelligkeit und Flexibilität zu einer Verbesserung der Gesamtreisezeit beitragen. Während die flexiblen Angebote des ÖPNV auf Abruf und individuellen Transportmittel die Erschließung der Fläche ermöglichen, soll ein tragfähiges Expressbussystem über schnelle Achsen die Verbindung zu den Mobilstationen gewährleisten. Voraussetzung ist eine intelligente ÖPNV- Steuerung, welche in Abhängigkeit des Verkehrszustandes den Expressbus individuell beschleunigt. Mit solch einem Expressbussystem soll das Potential gehoben werden, auch schienenferne Regionen zu erschließen und nachhaltige Mobilität im ländlichen Raum zu fördern. Iteratives Vorgehen im Bürgerlabor zur Optimierung des Mobilitätsangebotes Die Umsetzung der zuvor angeführten Ziele von BüLaMo lässt sich in die in Bild 2 dargestellten vier Schritte untergliedern, die durch die Partner des Konsortiums realisiert werden. Den ersten Schritt stellt die Status Quo-Erfassung dar, in der sowohl die aktuelle Verkehrssituation der Bürger*innen als auch der momentane Zustand des Verkehrssystems ermittelt werden. Im zweiten Bild 1: Ansätze zur Anbindung des Münsterlandes Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 78 MOBILITÄT Strategie Schritt werden Potenziale zur Verbesserung der ÖPNV-Attraktivität ermittelt und darauf basierend, in einem dritten Schritt, Lösungsvorschläge entwickelt und in das Verkehrssystem implementiert. Den letzten Schritt stellt die Optimierung der Lösungsansätze durch kontinuierliche Erprobung im Reallabor dar. Dieses schrittweise Vorgehen findet auf drei Ebenen statt: der Bürger*innen-Ebene, der mikroskopischen Verkehrsebene (Ampeln, Spurführung, Kreuzungsaufbau) und der makroskopischen Verkehrsebene (Verbindungsstraßen zwischen Orten) [15]. Die Grundlage bildet die Erhebung des Status Quo im ersten Schritt. Auf der Ebene der Anforderungen und Bedürfnisse der potentiellen Nutzer*innen findet dies durch das Bürgerlabor statt. Dieses bildet die methodische Schnittstelle zur Einbeziehung der Bürger*innen und deren Austausch mit Politik und der Wissenschaft. Im Rahmen des Bürgerlabors können sich Freiwillige in einem Bürger*innen-Panel anmelden und an verschiedenen Befragungen teilnehmen, um mit ihrer Erfahrung das Projekt zu bereichern. Ein weiteres Werkzeug zur Erfassung des Status Quo ist die Mobilitätserhebung, im Rahmen welcher das eigene (Mobilitäts-) Verhalten durch die Bürger*innen in Mobilitätstagebüchern freiwillig dokumentiert wird. Darüber hinaus wird über eine Digitalisierung des Verkehrs und der Straßeninfrastruktur ein mikroskopisches Modell aufgebaut, anhand dessen eine Analyse des Verkehrssystems erfolgen kann. Mit diesem Verfahren sollen die Schwachstellen des Verkehrssystems identifiziert und intelligente ÖPNV-Beschleunigungsmaßnahmen zur Umsetzung eines Expressbussystems entwickelt und evaluiert werden. Auf der mikroskopischen Verkehrsebene erfolgt eine Verkehrsstromerfassung durch Drohnenbilder und stationäre Zähleinheiten auf Autobahnen und Straßen und strebt das zuvor erwähnte Abbild des mikroskopischen Verkehrs an. Bezüglich der Verkehrsströme weist die Beschlussvorlage zum Masterplan „Mobilität im Münsterland 2035+“ [13] auf die besondere Bedeutung des Pendlerverkehrs vom ländlichen in den städtischen Raum als Ursache für Kapazitätsengpässe hin. Diese Engpässe betreffen sowohl die mikroskopische Ebene als auch die makroskopische Ebene, welche die dritte und letzte Betrachtungsebene bildet. Hierbei wird makroskopisch untersucht, welche Bereiche in Senden und Münster Verkehr erzeugen bzw. anziehen und warum. In makroskopischen Verkehrsmodellen werden Bereiche als Zellen dargestellt, zwischen denen Verkehrsbedarfe über Routen wie Buslinien oder MIV bedient werden können. Neben den Verkehrsdaten und den Informationen aus dem Bürgerlabor gehen auch öffentliche Daten der Gemeinden und Daten der Verkehrsbetreiber in die Analyse ein. Ziel ist die Modellierung der Verkehrsverteilung in Abhängigkeit der Rahmenbedingungen wie Fahrplänen, Tarifen oder Parkplatzverfügbarkeit. Hiermit wird die Grundlage für die Potenzialanalyse gelegt. Aufbauend auf einem besseren Verständnis des Status Quo auf Nutzer*innen-Ebene sowie der mikroskopischen und makroskopischen Ebene wird geprüft, welche Potenziale zur Steigerung der ÖPNV-Attraktivität und damit zur Entlastung der Straßen und der Umwelt identifiziert werden können. Auf Ebene des Bürgerpanels können die Hauptwiderstände der Nutzung des ÖPNV identifiziert werden, um diese gezielt abzubauen. Auf mikroskopischer Ebene kann identifiziert werden, woher beispielsweise Zeitverzüge entlang der Strecken stammen und welche Beschleunigung möglich ist. Auf makroskopischer Ebene kann geprüft werden, welche Zunahme der ÖPNV-Nutzung durch die Änderung der Rahmenbedingungen zur erwarten ist und wo das Aufwand- Nutzen-Verhältnis einer Anpassung des Verkehrssystems entgegenkommt. Eine Änderung der Rahmenbedingungen kann zum Beispiel das Vergrößern eines P+R-Parkplatzes sein, sodass das Auto als Zubringer zum Bus genutzt werden kann, oder die Anpassung der Tarifstruktur. Die Identifikation von Maßnahmen wird auf makroskopischer Ebene durch die Anwendung der Wertstromanalyse, die sonst in der Geschäftsmodelloptimierung zum Einsatz kommt, methodisch unterstützt, um den Umfang der Potenziale zu erweitern. Die so identifizierten Potenziale in Maßnahmen zu überführen und zu detaillieren stellt den dritten Schritt dar. Ein Beispiel für eine Maßnahme auf mikroskopischer Ebene kann die Einführung von Busspuren oder die Steuerung von Ampeln in Abstimmung mit dem ÖPNV sein. Die Maßnahmen aller drei Ebenen werden systematisch zusammengeführt und deren Umsetzung durch die am Projekt beteiligten Partner auf Gemeinde- und Verkehrsbetreiber-Ebene ermöglicht. Eine bereits implementierte Maßnahme stellt die seit August 2020 fahrende Expressbuslinie X90 zur Anbindung von Münster dar. Weitere Maßnahmen, wie die Bereitstellung einer Mobilstation in Senden oder Angebote des ÖPNV auf Abruf, sind in Planung. Die implementierten Maßnahmen werden anschließend im vierten Schritt im Realverkehr erprobt. Die wissenschaftliche Begleitforschung ermöglicht mittels empirischer Längsschnittbefragungen eine kontinuierliche Erhebung der Akzeptanz dieser Maßnahmen durch die potentiellen Nutzer*innen. Die Befragungsergebnisse bilden zusammen mit den Bedarfen der Nutzer*innen und den Ergebnissen der Verkehrsanalysen die Grundlage für Modifizierungen. Diese werden wiederum erprobt, hinsichtlich ihrer Akzeptanz seitens verschiedener Nutzer*innen-Gruppen und ihrer Auswirkungen auf den Verkehrsfluss bewertet und entsprechend verbessert. Bild 2: Arbeitsprozess zur Optimierung des Mobilitätsangebotes Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 79 Strategie MOBILITÄT Dieser iterative Arbeitsprozess im Bürgerlabor steht beispielhaft für eine dynamische Forschung unter Einbezug der Öffentlichkeit und sorgt für ein effizientes und bedarfsorientiertes Vorgehen zur Gestaltung eines Verkehrssystems, das von den Bürger*innen als attraktiv wahrgenommen sowie häufig und gerne genutzt werden soll. Ausblick Bedingt durch den aktuell diskutierten Trend der Mietpreisentwicklungen in urbanen Räumen, verdichtete und komplexe Verkehrssituationen sowie aus Gründen der Luftqualität, zieht es immer mehr Menschen in die Einzugsgebiete großer Metropolen sowie ländliche Regionen. Eine zunehmende Wohnraumverknappung sowie die Etablierung von Home-Office in der Corona-Krise sorgen für ein Umdenken und werden als Beschleuniger dieses Trends angeführt [16]. Hieraus lässt sich ableiten, dass eine attraktive Anbindung des ländlichen Raums an städtische Zentren zunehmend an Bedeutung gewinnen wird [17]. Das Verbundprojekt BüLaMo beantwortet die Frage nach einer attraktiven Alternative zum MIV mithilfe einer Nutzer*innenzentrierten Denkweise im Rahmen eines Reallabors. Ein bedarfsgerechtes und nachhaltiges Mobilitätsangebot soll das Pendeln attraktiver und CO 2 -sparender gestalten. Bedürfnisse, die spezifisch für die demografische Struktur des Münsterlandes sind, werden durch eine regelmäßige Interaktion mit einem Bürgerpanel abgebildet. Die holistische Vorgehensweise in dem Verbundprojekt reicht von Panelbefragungen bis hin zur Realisierung der Verkehrsmaßnahmen. Dazu werden umfangreiche Objektivdaten aufgenommen, diverse Verkehrsabschnitte hinsichtlich Verkehrsangebot und -nachfrage modelliert und mithilfe von maßgeschneiderten multimodalen Verkehrslösungen miteinander verknüpft. Die Grundlage zu Verkehrs- und Mobilitätsdaten wird erweitert, strukturiert und hinsichtlich einer makroskopischen Abbildung des Münsterlandes optimiert. Ansätze der Multi- und Intermodalität werden mittels Methoden der Verkehrssimulation abgebildet und können so effizient gestaltet sowie erprobt werden [18]. Stellhebel sind dabei unter anderem dynamische Lichtsignalanlagen, welche die Beschleunigung einer schnellen Achse im Berufsverkehr zulassen. Innovative Mobilstationen vereinen als Knotenpunkt nicht nur diverse Mobilitätsdienste, sondern bilden beispielsweise auch Angebote des lokalen Einzelhandels ab. Autonom fahrende Kleinbusse etwa könnten auf Abruf den Zubringerverkehr zu diesen Mobilstationen sicherstellen [17]. Somit bietet das Projekt das Potential, das bisherige Mobilitätsangebot des Münsterlandes effizient und attraktiv durch neue Lösungen zu ergänzen. Darüber hinaus zielt die angestrebte Optimierung mittels Lösungen der Verkehrssimulationen, einer schrittweisen Einführung der Stellhebel sowie der Einholung kontinuierlichen Feedbacks durch das Bürgerpanel auf ein funktionales und akzeptiertes Verkehrssystem. Das Konzept der zielorientierten Kollaboration von Verkehrsbetrieben, öffentlichen Stellen, Forschungsinstituten sowie Unternehmen der freien Wirtschaft könnte ausgehend vom Münsterland auf weitere Modellregionen übertragen werden. ■ REFERENZEN [1] Dangschat, J. S. 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[17] Philipsen, R.; Brell, T.; Biermann, H., et al. (2020): On the Road Again - Explanatory Factors for the Users’ Willingness to Replace Private Cars by Autonomous on-Demand Shuttle Services. In: Advances in Human Aspects of Transportation, S. 173-185. [18] Gallotti, R.; Barthelemy, M. (2014): Anatomy and efficiency of urban multimodal mobility. Scientific Reports 4, Heft 1, S. 6911. www.nature.com/ articles/ srep06911 (Abruf: 20.07.2021). Philipp Bickendorf, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl für Produktionssystematik am Werkzeugmaschinenlabor (WZL), RWTH Aachen p.bickendorf@wzl.rwth-aachen.de Stefan Ladwig, Dr. phil. Forschungsbereichsleiter Verkehrspsychologie und Akzeptanz, Institut für Kraftfahrzeuge (ika), RWTH Aachen stefan.ladwig@ika.rwth-aachen.de Benjamin Lender, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl für Produktionssystematik am Werkzeugmaschinenlabor (WZL), RWTH Aachen b.lender@wzl.rwth-aachen.de Philipp-Armand Klee, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl und Institut für Straßenwesen (isac), RWTH Aachen klee@isac.rwth-aachen.de Sabine Bertleff, Dr. rer. medic. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Forschungsbereich Verkehrspsychologie und Akzeptanz, Institut für Kraftfahrzeuge (ika), RWTH Aachen sabine.bertleff@ika.rwth-aachen.de Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 80 MOBILITÄT ÖPNV Kundenwert - die zwei Seiten einer Medaille Value-to-Value-Segmentierung für die traffiQ Lokale Nahverkehrsgesellschaft Frankfurt am Main Value-to-Value-Ansatz, Segmentierung Kundenbedürfnisse, Kundenwert, Covid-19 In einem verschärften Wettbewerbsumfeld wird die Kenntnis der Kundenstrukturen und -anforderungen zunehmend zum strategischen Wettbewerbsvorteil. Diese Perspektive der Wertschaffung für den Kunden sollte um die zweite Perspektive der Wertschaffung für das Unternehmen ergänzt werden. Als leistungsfähiges Instrumentarium wird der Value-to-Value (V2V)-Segmentierungsansatz vorgeschlagen, der die beiden Wertperspektiven des Customer-Value-Managements (Kunden- und Unternehmensperspektive) vereinigt. Neben Logik und Operationalisierung der V2V-Segmentierung werden auf Basis dieser neuen Kunden- und Marktsicht Handlungsoptionen zur Marktbearbeitung im ÖPNV der Stadt Frankfurt am Main aufgezeigt. Andreas Krämer, Robert Bongaerts, Tom Reinhold I m Zuge einer intensivierten Kundenorientierung sind Konzepte zur Schaffung von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung in den Vordergrund des unternehmerischen Handelns gerückt [1, 2]. Für den ÖPNV zeichnet beispielsweise Bruhn [3] eine Erfolgskette auf, die mit dem Erkennen und Befriedigen der Kundenbedürfnisse (basierend auf einer Analyse der Customer Touchpoints) beginnt und über eine Verbesserung von psychologischen Zielgrößen (z. B. Kundenzufriedenheit) und/ oder Verhaltenswirkungen wie Kundenbindung und Weiterempfehlung bis zu positiven ökonomischen Wirkungen (Erhöhung des Kundenwertes) führt. Die dabei genutzten (CRM-) Strategien orientieren sich vorrangig am Kriterium der Marketingeffektivität [4, 5]. Der amorphe Begriff des „Kundenwerts“ Zur Bedürfnisbefriedigung wird in den letzten Jahren der Ansatz der Customer Centricity propagiert, auch im Bereich des ÖPNV [6]. Eine einseitige Zielorientierung ohne Berücksichtigung der dafür eingesetzten Ressourcen beinhaltet jedoch das Risiko einer „Angebotsinflation“ und führt damit zu Wirtschaftlichkeitsproblemen im Sinne einer unbefriedigenden Effizienz [7]. Damit stehen zwei fundamental unterschiedliche Interpretationen von Kundenwertigkeit im Raum: Bei der ersten wird der Customer Value/ Kundenwert definiert als Wert eines Produktes aus Sicht des Kunden, bei der zweiten der Wert des Kunden aus Unternehmenssicht, z. B. der Kundendeckungsbeitrag. Fast ausschließlich werden in der Forschung nur jeweils einzelne Stränge isoliert untersucht [8], während eine Verzahnung der Aspekte „Value-to-the customer“ (Bedürfnisbefriedigung aus Kundensicht) und des „Value-of-the customer“ (Monetarisierung für den Anbieter) in der Regel fehlt. Dabei sind die Abhängigkeiten und gegenseitige Beeinflussungen offenkundig. Marketingentscheider bewerten daher zunehmend Segmentierungsansätze danach, ob sie in der Lage sind, Aktivitäten bezüglich ihres Zuwachses am Kundendeckungsbeitrag zu beurteilen [9]. Für Mobilitätsanbieter stellt sich die Frage, welche Levels an Angebotskapazität, Taktung, Komfort und Kundenzufriedenheit optimal sind. Der im Folgenden vorgestellte Value-to- Value-Segmentierungsansatz (V2V) bezieht beide Wertdimensionen ein [10]. In Zeiten knapper Budgets geht es dabei nicht nur um den Nachweis, dass eine bestimmte Aktion wirtschaftlich ist, sondern auch erfolgreicher als alternative Maßnahmen. Dies trifft auch für den ÖPNV und insbesondere in Zeiten der Pandemie zu. Implementierung des Value-to- Value-Ansatzes im Frankfurter ÖPNV Basis der nachfolgenden Betrachtungen sind Ergebnisse eines von traffiQ Lokale Nahverkehrsgesellschaft Frankfurt am Main mbH und der exeo Strategic Consulting AG durchgeführten Projektes, das auf unterschiedlichen empirischen Studien aufbaut. Gegenstand einer ersten Befragung - unmittelbar vor Ausbruch der Corona- Pandemie - war die Analyse der Mobilitätsstrukturen in Frankfurt am Main, basierend auf einer Teilnehmerrekrutierung über ein Online-Access-Panel (Feb. 2020, mobile Personen in Frankfurt, 18+ Jahre). Mittels differenzierter Gewichtung unter Einbeziehung von Sekundärdaten wurde die Repräsentativität sichergestellt. Weitere Studien während der COVID-19-Krise ermöglichen einen direkten Vergleich sowie eine Zuordnung der Corona-bedingten Mobilitätsveränderungen zu unterschiedlichen Kundensegmenten des ÖPNV [11]. Wesentliche Zielsetzungen der Studien bestanden darin, •• die Anwendbarkeit der V2V-Segmentierung für die ÖPNV-Nutzung in Frankfurt zu prüfen, •• die Nutzbarkeit der V2V-Segmentierung zur Beantwortung zentraler Fragestellung im Bereich Angebot, Tarif, Vertrieb und Kommunikation aufzuzeigen und •• Strukturveränderungen in unterschiedlichen Teilphasen der Corona-Krise basierend auf der V2V-Segmentierung beschreiben und erklären zu können. Bestimmung und Klassifizierung der Kundenbedürfnisse In einem ersten Schritt erfolgte die Bestimmung der Dimension der Kundenbedürfnis- Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 81 ÖPNV MOBILITÄT se. Das Verständnis davon, wie Kunden eine Dienstleistung oder ein Produkt beurteilen, ist entscheidend für das Erreichen eines Wettbewerbsvorteils [12, 13]. Im Zentrum steht das Bild von potenziellen Käufern, die einen Wertzuwachs erwarten (im Sinne eines Nettonutzens, d. h. Perceived Value abzüglich des gezahlten Preises) und die genau diejenige Mobilitätsalternative auswählen, die den höchsten Nettonutzen bietet [14]). Die Analyse bestehender Kundenbefragungen verdeutlichte in der ersten Projektphase, dass die Abfrage von Merkmalswichtigkeiten mittels Ratingskalen problematisch ist. So führt der fehlende Trade-off in der Abfrage dazu, dass eine Vielzahl von Merkmalen als sehr wichtig eingestuft und die Identifikation eines treibenden Faktors erschwert wird. Daher wurde in der Pilotstudie ein Konstantsummen-Ansatz verwendet, der nicht auf Merkmale ausgerichtet war, sondern auf Merkmalsveränderungen. Die Befragten wurden gebeten, 100 Punkte gemäß ihrer Relevanz auf insgesamt zehn Verbesserungen im ÖPNV zu verteilen. Als Ergebnis liegen relative Wichtigkeiten vor, die für eine Segmentierung der Studienteilnehmer nutzbar sind. Im Ranking der präsentierten Verbesserungen erreicht die Pünktlichkeit (Steigerung um 10-%-Punkte) den ersten Platz, allerdings verbunden mit einer Heterogenität der Kundenpräferenzen. In Bild 1 sind drei Kundencluster beschrieben, die sich in ihren Präferenzen deutlich unterscheiden, innerhalb der Gruppe jedoch sehr homogen sind. So spielen für die „Leistungs-Orientierten“ Pünktlichkeit, Taktung und Fahrzeit eine besonders große Rolle, während die „Sicherheits- Orientierten“ einen Fokus auf Verbesserung der Sicherheit, aber auch auf Aspekte der Fahrgastinformation legen. Bestimmung des Kundendeckungsbeitrags Um in einem zweiten Schritt die Dimension der Kundenwertigkeit aus Unternehmenssicht zu bestimmen, wurden für jeden Studienteilnehmer sowohl Einnahmen als auch Kosten für die Nutzung des ÖPNV bestimmt, um auf dieser Basis einen individuellen Deckungsbeitrag abzuschätzen. Berücksichtigt wurden hierzu auf der Einnahmenseite die Verkaufserlöse des Hauptfahrscheins je Kunde (bei Bartarif-Nutzern multipliziert mit der Häufigkeit der ÖPNV- Nutzung) sowie ggf. Zuschläge aufgrund von Ausgleichszahlungen und auf der Kostenseite das individuelle ÖPNV-Nutzungsverhalten (Anzahl Fahrten pro Monat, durchschnittliche Entfernung je Fahrt, genutztes Verkehrsmittel, variabler Kostensatz pro Entfernungskilometer). So wird für jeden Kunden ein Deckungsbeitrag bestimmt. Insgesamt ergibt sich eine erhebliche Varianz, die insbesondere durch die Zeitkarten-Segmente bestimmt ist (Bild 2). In der Abbildung werden einzelne individuelle ÖPNV-Nutzer herausgestellt. So wird beispielsweise für einen Heavy-Nutzer ein negativer Deckungsbeitrag ausgewiesen, der durch eine relativ intensive Nutzung von Bus und Bahn bei gleichzeitig relativ geringem Ertrag pro Monat bestimmt ist. Demgegenüber erreichen andere Zeitkarten-Segmente eine sehr positive Wirtschaftlichkeit, wenn hohe Einnahmen mit einer nur effektiv geringen Nutzung des ÖPNV einhergehen. Die Integration der beiden Wertdimensionen Die Value-to-Value-Matrix Auf Grundlage der empirischen Studien liegen für alle Personen Angaben zum Primärbedürfnis sowie zum Deckungsbeitrag vor. Zur Kategorisierung wird beim primären Kundenbedürfnis die vorgeschlagene Clusterung verwendet. Die Achse der Kundenwertigkeit wird ebenfalls dreigeteilt (niedrig, mittel, hoch). Führt man beide Dimensionen zusammen, ergibt sich eine V2V-Matrix einzelnen Segmenten. Mit der Vorlage der Segmentlösung ist ein erster Schritt getan. Es folgen weitere Analysestufen [15]: •• Fokussierung auf Beziehungszustand und Customer Experience [3] •• Potenzialanalyse, z. B. Abo-/ Mehrverkehrspotenziale und Ansatzpunkte zum Heben der Potenziale [16, 17] •• Festlegen von Marketingmaßnahmen •• Controlling und Feedback: Nach Umsetzung der Maßnahmen ist zu bestimmen, welche Veränderungen sich im Einzelnen ergeben haben. Bild 3 zeigt für den ÖPNV in Frankfurt neben der Segmentgröße exemplarisch Kennziffern zu oben skizzierten zentralen Steuerungsgrößen im ÖPNV auf, z. B. das Optimierungspotenzial bei der Kundenzu- Bild 1: Ansatzpunkte zur Verbesserung des ÖPNV in Frankfurt nach Nutzensegmenten (% der Befragten) Quelle: exeo / traffiQ Opinion TRAIN 0% 25% 50% 75% 100% -125 -100 -75 -50 -25 0 25 50 75 100 125 Deckungsbeitrag / Monat in EUR % Anteil mobile Bevölkerung in FFM ÖPNV-Nichtnutzer (10%) DB: 0 € / Monat Ticket-Erlös: 0 € 0 Fahrten mit 0 Pkm => 0 € var. Kosten ÖPNV-Wenignutzer mit Kurzstrecke DB: 1,57 € / Monat Ticket-Erlös: 1,76 € 1 Fahrt mit 1,7 Pkm => 0,19 € var. Kosten Geringe Kundenwertigkeit Mittlere Kundenwertigkeit Hohe Kundenwertigkeit Heavy-Nutzer DB: -118 € / Monat Ticket-Erlös: 59 € (JobTicket) 63 Fahrten mit 2.356 Pkm => 177 € var. Kosten 9h Monatskarte gültig für Frankfurt & Umgebung DB: 110 € / Monat Ticket-Erlös: 136 € 57 Fahrten mit 340 Pkm => 26 € var. Kosten 35 % der Kunden 52 % der Kunden 13 % der Kunden Bild 2: Verteilung des Deckungsbeitrags (% der Befragten, kumuliert nach Höhe des Deckungsbeitrags) Quelle: exeo / traffiQ Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 82 MOBILITÄT ÖPNV friedenheit, die Möglichkeit zur Erhöhung des Mehrverkehrs (disponibles Potenzial) und damit verbunden die Hebung von Neukundenpotenzialen sowie das Aufzeigen möglicher Preisbereitschaften. Der strategische Vorteil der V2V-Segmentierung wird hier besonders deutlich. Besteht der Fokus in der Marktbearbeitung z. B. auf der Hebung von Mehrverkehrspotenzialen, so sollte beispielsweise das Segment 4 der Sicherheits-Orientierten mit geringem Deckungsbeitrag betrachtet werden, da in diesem Segment überproportionale Mehrverkehrspotenziale adressiert werden können. Veränderungen während der Corona-Pandemie Für die ÖPNV-Branche geht die Corona- Krise einher mit Einnahmenverlusten in Milliardenhöhe und massiven Kundenabwanderungen. Mehrfacher Lockdown mit Ausgangsbeschränkungen und Kontaktvermeidungen, die zeitweise gesetzlich eingeforderte Pflicht zum Angebot von Arbeiten im Homeoffice sowie die starke Ausdehnung der Kurzarbeit haben die Fahrgastzahlen massiv einbrechen lassen [18]. Dabei waren insbesondere ÖPNV-Stammkunden betroffen, die davor für eine Grundlast gesorgt haben. Da ein Großteil der Nachfrage auf Nutzer von Zeitkarten entfällt, waren die Unsicherheiten hier besonders hoch. Während Ergebnisse der Charité Research Organisation im Mai 2021 bestätigten, dass die Infektionsgefahr im ÖPNV objektiv nicht höher als im Individualverkehr ist [19], war zuvor die subjektive Wahrnehmung in der Öffentlichkeit vom ÖPNV als Spitzenreiter für ein hohes Corona-Ansteckungsrisiko geprägt [20]. Der Schaden war also längst eingetreten. Gleichzeitig stellte sich auch die Frage, wie die Verkehrsunternehmen durch gezielte Maßnahmen dem Nachfrageverlust entgegenwirken können. Dabei werden auch tarifliche Instrumentarien diskutiert (z. B. die Einführung eines Homeoffice-Tickets vgl. VVS [21]). Für Frankfurt zeigt Bild 4 die Coronabedingte Änderung der ÖPNV-Nutzungshäufigkeit in den V2V-Segmenten sowie die Top-3-Gründe dafür. Es wird deutlich, dass in allen Segmenten ca. ein Drittel bis die Hälfte der Kunden die Nutzungshäufigkeit reduziert hat („seltener“). Hervorzuheben ist, dass teilweise bis zu einem Drittel der Verbraucher in den Segmenten mit mittlerem und hohem Kundenwert auf eine ÖP- NV-Nutzung verzichtet haben. Der Wegfall der beruflich bedingten Wege ist nur im Segment der Leistungs-Orientierten mit hohem Kundenwert die Hauptursache. In den übrigen Segmenten überwiegen der Wegfall von Freizeitverkehr und die allgemeine Angst vor Ansteckung. Die veränderte Organisation der Arbeit hat als Treiber für veränderte Mobilität eine sehr unterschiedliche Bedeutung (im Segment 9 stellt sie mit 57 % Nennung den Top-Treiber dar, während sie im Segment 7 nur eine geringe Relevanz hat). Wie Statistiken von traffiQ zeigen, ist die Anzahl der Fahrgäste in Frankfurt deutlich stärker gesunken als die kassentechnischen Einnahmen - für 2020 im Vergleich zum Vorjahr beträgt der Fahrgastverlust 41 % vs. 19 % Einnahmeverlust. Die Analyse der Tarifstruktur zeigt deutliche Unterschiede: Im Gelegenheitsverkehr korrespondieren die Einnahmenmit den Fahrgastverlusten. Bei Jahreskarten und Jobtickets gab es hingegen sogar Einnahmenzuwächse; Kündigungen von Abonnements gab es zunächst nur wenige. Hier überlagern sich mehrere Effekte: Käufer von Monatskarten sind teilweise in Jobtickets gewechselt, teilweise aber auch in Einzelfahrscheine (vor allem über die digitalen Vertriebskanäle). Im 1. Halbjahr 2021 sinken die Einnahmen nochmals um ca. 14 % im Vergleich zum Vorjahreshalbjahr (u. a. aufgrund der starken „Vor-Corona“-Monate Jan./ Feb. 2020). Der Rückgang ist aber nun auch bei den Zeitkarten für Erwachsene mit 15 % erheblich; nur bei Schülern und Semestertickets bleiben die Einnahmen in Höhe des Vorjahresniveaus. Besonders auffällig ist der Rückgang bei Jahreskarten, die bar, d. h. nicht im Abonnement, gekauft werden - hier sind die Stückzahlen um 41 % gesunken. Wird das 2. Quartal 2021 mit dem 2.- Quartal 2020 verglichen, ist der Trend noch auffälliger: Einzelfahrscheine sind um 21 % gestiegen, Zeitkarten dagegen um 6 % gesunken - aber mit interessanten Verschiebungen innerhalb des Zeitkartensegments: Wochen- und Monatskarten sind um ca. 20 % gestiegen, im Abonnement und Jobticket gab es dagegen Rückgänge von 11 bis 17 %. Ausblick Neben den konkreten Ansätzen zur Marktbearbeitung unterstützt die V2V-Segmentierung bei aktuellen Strategieentscheidungen. Dies betrifft u. a. die Kundenzentrierung, die Digitalisierungg, die Bewertung Opinion TRAIN Legende Beschreibung der V2V-Segmente 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Gering Kundennutzen Mittel Hoch 1) 5er-Skala (vollkommen zufrieden, sehr zufrieden, zufrieden, weniger zufrieden, unzufrieden). 2) Frage: „Sind Sie bereit, für die Verbesserung … [wichtigste Verbesserung ] einen höheren Preis zu bezahlen? “ 3) Frage: „Hätte die Verbesserung … [wichtigste Verbesserung ] einen Einfluss auf Ihre Zufriedenheit insgesamt mit dem ÖPNV-Angebot in Frankfurt? “ (5er-Skala) 4) Frage: „Wie oft haben Sie zusätzlich überlegt, den ÖPNV im Stadtgebiet Frankfurt zu nutzen, sich aber dagegen entschieden? “ Kundenwertigkeit (Deckungsbeitrag) Abb. 3 Komfort- Orientierte Leistungs- Orientierte Sicherheits- Orientierte 34 % 18 % 48 % 4 % 7 % Zufriedenheit aktuell 1) (Top-2-Anteil der Befragten im Segment) Cc % Cc % Cc % Cc % Preisbereitschaft 2) (Anteil der Befragten im Segment mit Preisbereitschaft für die präferierte Verbesserung) Erhöhung der Zufriedenheit 3) (Top-2-Anteil der Befragten im Segment mit erhöhter Zufriedenheit bei Umsetzung der Verbesserung steigt) 3) Potenzial Fahrten 4) (Anteil des Segments am Gesamtfahrtenpotenzial im ÖPNV im Stadtgebiet Frankfurt) Xx % 24 % 20 % 54 % 13 % 12 % 34 % 34 % 67 % 4 % 1 % 47 % 37 % 66 % 20 % 8 % 38 % 35 % 60 % 9 % 17 % 38 % 24 % 50 % 1 % 3 % 28 % 14 % 79 % 15 % 20 % 25 % 11 % 64 % 24 % 23 % 22 % 26 % 80 % 10 % 9 % Segmentgröße (%) Bild 3: Beschreibung der V2V-Segmente - Zielgruppenzugehörigkeit (% der Befragten) Quelle: exeo / traffiQ Opinion TRAIN 1 2 3 4 5 6 7 8 9 36% Quelle: exeo Strategic Consulting AG 4 Änderung der Nutzungshäufigkeit infolge der Corona-Krise und Ursachen (% der Befragten) Abb. 4 Gering Mittel Hoch Legende Komfort- Orientierte Leistungs- Orientierte Sicherheits- Orientierte 55% 28% 15% 43% 19% 52% Seltener (Eigentlich) gar nicht mehr Änderung der ÖPNV-Nutzungshäufigkeit infolge der Corona-Krise: A: 49 % B: 42 % C: 57 % A: 57 % B: 45 % C: 51 % A: 32 % B: 52 % C: 18 % A: 40 % B: 61 % C: 47 % A: 46 % B: 49 % C: 26 % A: 55 % B: 48 % C: 37 % A: 54 % B: 47 % C: 52 % A: 48 % B: 55 % C: 37 % A: 53 % B: 57 % C: 53 % Top-3-Gründe für die veränderte ÖPNV-Nutzung (Werte in % für gesamt): A: Wegfall Freizeitverkehr 49 % B: Angst vor Ansteckung 49 % C: Wegfall Berufswege (Homeoffice, Kurzarbeit etc.) 44 % Hinweis: Top-Nennung je Segment rot markiert Kundennutzen Kundenwertigkeit (Deckungsbeitrag) Reproduktion des V2V-Ansatzes in kontinuierlichen Studien (Kundenbarometer 1) ) 19% 48% 13% 53% 23% 45% 30% 35% 1) Vergleichbares Fragedesign übertragen auf die einmal jährlich durchgeführte Studie, die im Gegensatz zur ersten Studie als telefonisch durchgeführte Erhebung erfolgt, ermöglicht die Analyse aktueller Fragestellungen. Bild 4: Änderung der ÖPNV-Nutzungshäufigkeit infolge der Corona-Krise und Top-3 Ursachen Quelle: exeo / traffiQ Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 83 ÖPNV MOBILITÄT neuer Ticketangebote (z. B. 365-EUR-Tickets) und das Marketingcontrolling. Der Ansatz ist nicht speziell für den ÖPNV oder den Mobilitätsbereich entwickelt worden [22], ist aber unter Beachtung marktspezifischer Besonderheiten nutzbar [23, 24] . Die Bestimmung der Kundenwert-Dimension zeigt auf, dass nicht jeder Kunde den gleichen Wert für das Unternehmen erbringt. Eine Ausweitung der Kundenzentrierung sollte vor allem in den wertigen Kundensegmenten erfolgen, da eine Abwanderung dieser Kundensegmente automatisch ein größeres wirtschaftliches Risiko für das Unternehmen bedeutet. Im Gegenzug spielt der Kundennutzen eine wichtige Rolle zur Verbesserung der Customer Experience. Die V2V-Segmentierung liefert für den ÖPNV in Frankfurt konkrete Ansatzpunkte einer gezielten und differenzierten Marktbearbeitung. Das Segment der Sicherheits- Orientierten erwartet entsprechende Verbesserungen. Damit einhergehend können Mehrverkehrspotenziale zur Verbesserung der Kundenzufriedenheit angesprochen werden. Zur Steigerung des Deckungsbeitrags in den Segmenten mit niedrigem Deckungsbeitrag ist die Tarifierung zu überprüfen. Allerdings droht immer die Gefahr einer Kannibalisierung der höherpreisigen Angebote. In der ÖPNV-Branche werden aktuell zahlreiche Modelle als Alternative zu klassischen Abo-Produkten diskutiert. Im Wesentlichen lassen sich drei - vor allem über digitale Vertriebswege angebotene - Grundmodelle unterscheiden: 1. Tarifprodukt zu einem günstigeren Fixpreis zum Erwerb rabattierter Fahrscheine 2. Monatskarte, die nur an einigen, vom Nutzer wählbaren Tagen gilt 3. Einzelabrechnung von Fahrten mit Bestpreisgarantie durch eine monatliche Deckelung. Im RMV existiert etwa mit RMVsmart50 ein Pilotmodell, bei dem für einen monatlichen Grundpreis (10 EUR) ein Rabatt von 50 % auf die Einzelfahrt gewährt wird. Auch die Leipziger Verkehrsbetriebe bieten mit ABO Flex einen Rabatt von 55 % auf Einzelfahrten zu einer Basisgebühr von 6,90 EUR/ Monat. Der VRR testet das FlexTicket (Grundpreis 20 EUR/ Monat), mit dem an zwölf frei wählbaren Tagen vergünstigte Tageskarten erworben werden können. Beispiele für Bestpreisangebote sind BONNsmart oder ein Pilot der Wiener Linien mit fairtiQ, die beide ein elektronisches Checkin Check-out voraussetzen. Die Einführung entsprechender Modelle ist immer dann sinnvoll, wenn Kunden ohne das neue Angebot ihre bisherige Zeitkarte (ABO) nicht mehr erwerben/ kündigen und dann nur noch gelegentlich den ÖPNV mit Einzelfahrscheinen nutzen, problematisch ist dagegen, wenn ohne das neue Ticketangebot das reguläre Abo fortgeführt wird [25]. Es ist wahrscheinlich, dass zumindest einige Fahrgäste, die z. B. wegen Homeoffice den ÖPNV seltener nutzen, vom Abonnement bzw. der Jahreskarte auf Einzelfahrscheine gewechselt sind. Sowohl aus marketingwie aus verkehrspolitischer Sicht ist dabei vor allem unerfreulich, dass Kunden nun wieder Grenzkosten für die Durchführung einer einzelnen ÖPNV-Fahrt haben, was dazu führt, dass sie in Summe weniger Fahrten mit dem ÖPNV durchführen als bei einer Flatrate, bei der die einzelne zusätzliche Fahrt kostenlos ist. Für die gesamte ÖPNV-Branche bleibt spannend, wie sich die unterschiedlichen Versuche zu neuen Tarifangeboten „unterhalb“ der klassischen Monatskarte weiterentwickeln und ob sich „Homeoffice-Tarife“ als wirtschaftlich tragfähiges Angebot etablieren. Beide Aspekte des Kundenwertmanagements spielen dabei eine Rolle: Tarifprodukte sollen die Kundenbedürfnisse treffen und langfristig zu höheren Erlösen für die Verkehrsbetriebe führen. ■ LITERATUR [1] Anderson, E. W. (1996): Customer Satisfaction and Price Tolerance. 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(2020): Flex-Tarife und Abo- Angebote für Gelegenheitsnutzer im ÖPNV - eine Bestandsaufnahme und Analyse der Wirksamkeit. In: Der Nahverkehr (38. Jg.), Heft 10, S. 16-23. Robert Bongaerts, Dr. Vorstand, exeo Strategic Consulting AG, Bonn robert.bongaerts@exeo-consulting.com Tom Reinhold, Dr.-Ing. Geschäftsführer, traffiQ Lokale Nahverkehrsgesellschaft Frankfurt am Main mbH t.reinhold@traffiQ.de Andreas Krämer, Prof. Dr. Vorstandsvorsitzender, exeo Strategic Consulting AG, Bonn; Direktor, Value Research Institute (VARI), Iserlohn. andreas.kraemer@exeo-consulting.com Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 84 MOBILITÄT Mobilitätsstrategie Bus Rapid Transit-Verbindungen im ländlichen Raum? Ein Bewertungssystem zur Untersuchung von Ausbaupotentialen von Schnellbuslinien Bus Rapid Transit, Schnellbuslinien, Ländlicher Raum Zur Steigerung der Attraktivität des öffentlichen Personennahverkehrs im ländlichen Raum wurde ein Bewertungssystem entwickelt, mit welchem eine erste Einschätzung zum Ausbaupotenzial bestehender Schnellbuslinien erfolgen kann. Als Grundlage für das Bewertungssystem wurden die Hauptmerkmale von Bus Rapid Transit (BRT)-Verbindungen nach ITDP herangezogen und um weiterführende Kriterien ergänzt. Anja Scheufler, Cordula Neiberger V or dem Hintergrund politischer Ziele in Deutschland, den Klimaschutz in den nächsten Jahren stärker zu gewichten und zu fördern, gewinnen Maßnahmen zur Emissionsreduktion an Bedeutung. Zur Verringerung der Emissionen im Verkehrssektor sollen unter anderem Fahrten des motorisierten Individualverkehrs (MIV) auf Fuß-, Rad- und öffentlichen Verkehr verlagert werden [1]. Besonders in kleinstädtischen und dörflichen Regionen besteht jedoch wenig Zufriedenheit mit dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) [2]. Der Ausbau schienengebundener Systeme stellt vielerorts die bevorzugte Option zur Attraktivitätssteigerung des ÖPNV dar. Aufgrund hoher Investitionskosten bei gleichzeitig geringem Fahrgastpotenzial ist in ländlichen Regionen häufig jedoch keine Verhältnismäßigkeit für eine Schienenverbindung gegeben, weshalb vermehrt Schnellbusangebote gefördert werden. Eine besondere Form von Schnellbussystemen bilden sogenannte Bus Rapid Transit-Verbindungen. Der Begriff Bus Rapid Transit (BRT) bezeichnet ein busgestütztes Schnellverkehrssystem, das hohe Kapazität, Geschwindigkeit und Servicequalität zu relativ niedrigen Kosten erreichen kann. BRT- Linien zeichnen sich durch folgende Infrastrukturmerkmale aus: gesonderte Busspuren, eine effektive Anordnung der Busspuren meist in Mittellage, Fahrpreiserhebung außerhalb des Fahrzeuges (Pre-Ticketing), Bevorrechtigung an Kreuzungen sowie niveaugleiche Ein- und Ausstiege zwischen Bus und Bussteig. Diese sogenannten BRT- Basis-Merkmale wurden von der globalen Organisation Institute for Transportation and Development Policy (ITDP) in Zusammenarbeit mit weiteren Organisationen festgelegt und sind inzwischen international anerkannt [3]. Eine Zertifizierung als BRT ist nur durch Erfüllung der Vorgaben durch das ITDP möglich, welche allerdings auf Deutschland schwer übertragbar sind. Bisher kommen BRT-Systeme vor allem in großstädtischen Gebieten zum Einsatz [4]. Dennoch stellt sich die Frage, inwiefern derartige Verbindungen auch für den ÖPNV in ländlichen Räumen interessant sein könnten. Da Mobilität als Standort- und Wettbewerbsfaktor eine wichtige Rolle spielt, ist das Bestehenbleiben bzw. Ausweiten des ÖPNV-Angebotes für ländliche Regionen von großer Bedeutung [5]. Zumindest die Übernahme einiger BRT-Eigenschaften könnte eine Möglichkeit zur Verbesserung der Angebotsqualität und Wirtschaftlichkeit darstellen. Ein Gesamtkonzept für BRT-(ähnliche) Schnellbusverbindungen könnte in ländlichen Regionen zudem zu einer höheren Wahrnehmung des ÖPNV-Angebotes durch die Bevölkerung und einer daraus resultierenden höheren Anziehungskraft für potenzielle Fahrgäste führen. Um die Übertragbarkeit von BRT-Eigenschaften auf Schnellbusverbindungen in Deutschland zu untersuchen, wurde ein System zur Bewertung bestehender Schnellbuslinien erarbeitet. Ziel des Bewertungs- Foto: Neiberger Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 85 Mobilitätsstrategie MOBILITÄT systems ist es, im Sinne eines Hilfsmittels für Kommunen und Landkreise eine erste grobe Einschätzung zu Voraussetzungen und Potenzialen für die Optimierung von Schnellbuslinien durch Integration von BRT-Merkmalen zu ermöglichen. Das Bewertungssystem baut auf den die Infrastruktur betreffenden Basismerkmalen des ITDP auf und erweitert es um Kriterien, die zu einer gesamtheitlichen Betrachtung führen. Es verfolgt das Ziel, sowohl für ländliche als auch für städtische Schnellbuslinien in Deutschland anwendbar zu sein. Methodik Zur Erweiterung der Betrachtung über die ITDP-Basismerkmale hinaus wurden Kriterien aus einer Literaturrecherche abgeleitet sowie geeignete Indikatoren gebildet. Um deren Eignung zu überprüfen, Anregungen für weitere Kriterien und Indikatoren zu generieren, sowie eine Gewichtung dieser vorzunehmen, wurden Expertengespräche geführt. Die herausgearbeiteten Kriterien wurden zu fünf übergeordneten Kategorien zusammengefasst. Dabei ist auf eine gesamtheitliche Betrachtung geachtet worden, weshalb neben Infrastruktur, Reisezeit und Nachfrage auch die Themenfelder Politik und Verwaltung sowie Finanzen einbezogen wurden. Die Kriterien der Themenfelder Politik und Verwaltung, Finanzen und Nachfrage können als örtliche Rahmenbedingungen bezeichnet werden, durch deren Betrachtung untersucht wird, wie realistisch sich die Einrichtung einer BRT-Verbindung generell für eine Region darstellt. Die Kriterien der Themenfelder Reisezeit und Infrastruktur können als linienbzw. streckenbezogene Gegebenheiten eine Aussage darüber ermöglichen, welche notwendigen betrieblichen und infrastrukturellen Voraussetzungen die bestehenden Schnellbuslinien für den Ausbau zu einer BRT-Verbindung bereits besitzen. Pro Indikator sind zwischen null und drei Punkten erreichbar. Bei fünf Themenfeldern, zehn Kriterien und 18 Indikatoren ergibt sich am Ende eine Gesamtzahl von 21-Punkten. Je mehr Kriterien eine Schnellbuslinie im Bewertungssystem erfüllt, umso höher kann ihr Potenzial zum Ausbau zu einer BRT-Linie bewertet werden. Die maximal zu erreichende Bewertung von 21 Punkten sagt aus, dass das System sehr hohes Potenzial für den Ausbau zu einer BRT-Verbindung besitzt. Bei null Punkten ist keinerlei Potenzial für einen Ausbau vorhanden. Je nach Höhe der Punkte kann am Ende eine Einstufung in eine von drei Kategorien (hohes, mittleres, geringes Potenzial) vorgenommen werden (Tabelle 1). Punkte Potenzial 0 - 7,0 gering 7,5 - 14,0 mittel 14,5 - 21 hoch Tabelle 1: Einschätzung des Ausbaupotenzials von Schnellbuslinien nach Punkten im Bewertungssystem Eigene Darstellung 2020 Vorstellung der Kriterien und Indikatoren Im Verlauf der Entwicklung wurde deutlich, dass eine Bewertung anhand quantitativer Kriterien nur selten vorgenommen werden kann, da das Festlegen allgemeingültiger Grenzwerte kaum möglich ist, sondern in der Regel von den Rahmenbedingungen des Einzelfalles abhängt. Das Bewertungssys- Themenfeld Kriterium Indikator Punkte Infrastruktur Busspuren Vorhandensein zwei- oder mehrspuriger Streckenabschnitte von mind. 3 km Länge pro Fahrtrichtung wenn vorhanden: 1 Vorhandensein stillgelegter Bahntrassen in der Nähe zur Schnellbuslinie wenn vorhanden: 1 Pre-Ticketing Möglichkeit des digitalen Fahrkartenkaufes wenn möglich: 0,5 Vorhandensein von Fahrkartenautomaten an den Haltestellen wenn vorhanden: 0,5 Barrierefreiheit bereits bestehende niveaugleiche Ein- und Ausstiege wenn vorhanden: 1 Nachfrage Fahrgastpotenzial Nutzungsdichte (Einwohner, Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze pro km²) der an der Schnellbuslinie gelegenen Kommunen > 1.000 EAA/ km²: 2 > 300 - 1.000 EAA/ km²: 1 > 150 - 300 EAA/ km²: 0,5 < 150 EAA/ km²: 0 Anbindung von Ober- und Mittelzentren wenn mind. 1 OZ: 1 wenn mind. 1 MZ: 0,5 Bevölkerungsprognose wenn positiv: 1 Bündelungsfähigkeit der Fahrgastnachfrage Siedlungsstruktur der an der Schnellbuslinie gelegenen Kommunen (sehr) kompakt: 2 ausgeglichen: 1 (stark) dispers: 0 Reisezeit Beschleunigungspotenzial Reisezeitverhältnis zwischen Schnellbuslinie und MIV (nach RIN 2008) D-F: 2 C: 1 A-B: 0 Beförderungsgeschwindigkeitsindex der Schnellbuslinie (nach HBS 2015) D-F: 2 C: 1 A-B: 0 Finanzen Wirtschaftlichkeit Nennung des Schnellbusverkehrs als Fördertatbestand in Gesetzeswerken (LGVFG oder ÖPNVG) wenn vorhanden: 2 Verfügbarkeit von Fördergeldern Möglichkeit der Akquisition spezieller Fördergelder wenn vorhanden: 2 Politik und Verwaltung Politischer Wille Förderabsichten zur Attraktivitätssteigerung des ÖPNV in NVP und VEP wenn vorhanden: 0,5 Vorhandensein politischer Beschlüsse über konkrete Maßnahmen zur Förderung des ÖPNV in den letzten 2 Jahren wenn vorhanden: 1 Engagement der Verwaltung Vorhandensein eines Ansprechpartners für den ÖPNV in der Verwaltung wenn vorhanden: 0,5 Mitgliedschaft in Netzwerken zur Förderung nachhaltiger Mobilität wenn vorhanden: 0,5 Hinweise zum ÖPNV- Angebot für Neubürger wenn vorhanden: 0,5 Tabelle 2: Übersicht aller Themenfelder, Kriterien und Indikatoren des Bewertungssystems Eigene Darstellung 2020 Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 86 MOBILITÄT Mobilitätsstrategie tem arbeitet daher hauptsächlich mit qualitativen Auswertungen und ist deshalb nur für eine erste Abschätzung des Ausbaupotenzials einer Schnellbuslinie durch den Fachplaner anzuwenden. In Tabelle 2 ist das finale Bewertungssystem zusammenfassend dargestellt. Infrastruktur Das Themenfeld Infrastruktur umfasst die Kriterien Busspuren, Pre-Ticketing und Barrierefreiheit und bezieht sich damit auf die Basis-Merkmale des ITDP, welche erforderlich sind, um eine Benennung als Basis- BRT zu erreichen. Von besonderer Bedeutung zur Beschleunigung des Busverkehrs sind Busspuren bzw. Bussonderfahrstreifen. Durch sie wird eine Zunahme der Pünktlichkeit, Verkürzung der Reisezeit, Erhöhung der Verkehrssicherheit und Verbesserung der Wirtschaftlichkeit erreicht. Ein mindestens drei Kilometer langer BRT-Korridor in Mittellage, der eine weitgehende Unabhängigkeit des ÖPNV von anderen Straßenraumnutzungen sicherstellt, kann jedoch nur realisiert werden, wenn genügend Fläche im Straßenraum vorhanden ist. Daher wird im Bewertungssystem lediglich das Vorhandensein zwei- oder mehrspuriger Streckenabschnitte von mindestens drei Kilometern Länge pro Fahrtrichtung eingeschlossen, ebenso wie das Vorhandensein von stillgelegten Bahntrassen, die potenziell für eine eigene Busspur in Frage kämen. Das Kriterium Pre-Ticketing zum Erwerben eines Fahrscheins vor Fahrtantritt umfasst als Indikatoren zum einen die Frage nach der Möglichkeit des digitalen Fahrkartenkaufes, zum anderen nach dem Vorhandensein von Ticketautomaten an den Haltestellen. Existieren digitale Vertriebskanäle und zusätzlich darüber hinaus Automaten an den Haltestellen, kann der Ticketkauf beim Fahrpersonal an Bord entfallen und damit die Reisezeit für die Fahrgäste verkürzt werden. In diesem Fall bestünden bereits gute Voraussetzungen für den Ausbau von Schnellbuslinien zu einer BRT-Verbindung. Zuletzt ist außerdem das Kriterium Barrierefreiheit zu betrachten. Als Indikator hierfür wird untersucht, ob an den Schnellbushaltestellen bereits niveaugleiche Ein- und Ausstiege gegeben sind. Diese ermöglichen sowohl einen schnelleren Fahrgastwechsel als auch die Nutzung des ÖPNV- Angebotes durch mobilitätseingeschränkte Personen. Nachfrage Die Fahrgastnachfrage ist eines der wichtigsten Themenfelder, um das Ausbaupotenzial bestehender Schnellbusverbindungen zu BRT-Verbindungen zu untersuchen. Als Kriterien für das Bewertungssystem wurden zum einen das Fahrgastpotenzial, zum anderen die Bündelungsfähigkeit der Fahrgastnachfrage gebildet. Das Fahrgastpotenzial wird erstens durch die Nutzungsdichte der an der Schnellbuslinie gelegenen Kommunen betrachtet. Angegeben wird die Nutzungsdichte in Einwohnern, Beschäftigten sowie Schülern und Studierenden (Einwohner, Arbeitsplätze, Ausbildungsplätze, kurz EAA) pro Quadratkilometer. In Tabelle 3 ist die Zuordnung der EAA-Werte zur Einordnung in unterschiedlich hohe Nutzungsdichte- Klassen dargestellt. Diese basieren auf Empfehlungen des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und dienen der Einschätzung der notwendigen verkehrlichen Erschließung von Gebieten [6]. Für das Bewertungssystem werden vereinfachend die kommunalen EAA-Durchschnittswerte berechnet. Die Klasse „sehr hohe Nutzungsdichte“ wurde ergänzt, um eine stärkere Abgrenzung verdichteter städtischer Räume zu ermöglichen. Um neben den Dichtewerten auch absolute Einwohnerzahlen und die Bedeutung der Busverbindung zu berücksichtigen, misst der Indikator „Anbindung von Ober- und Mittelzentren“, ob mindestens ein Oberzentrum oder zumindest ein Mittelzentrum durch die Schnellbuslinie angebunden werden. Nach Klassifizierungsstufen der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) werden hierzu die in Tabelle 4 dargestellten Einwohnerzahlen unterschieden. Als ein weiterer Indikator zur Messung des Fahrgastpotenzials wird im Bewertungssystem eine Bevölkerungsprognose herangezogen. Hieraus kann eine Tendenzaussage abgeleitet werden, ob die aktuellen Nachfragezahlen langfristig voraussichtlich konstant bleiben, steigen oder der sinken. Zur Sicherstellung eines wirtschaftlichen Betriebs ist zudem die Bündelungsfähigkeit der Fahrgastnachfrage von Bedeutung. Diese ergibt sich in erster Linie aus der Siedlungsstruktur einer Region. Für den ÖPNV ist es von Vorteil, wenn Wohn-, Arbeits- und Aktivitätenschwerpunkte vorhanden sind, sodass die Fahrgäste sich an einigen zentralen Punkten sammeln. So sind direktere Verbindungen möglich und entstehen weniger Verlustzeiten durch Anhalten und Fahrgastwechsel. Für das Bewertungssystem wird der Untersuchungsraum entlang der Schnellbuslinie in ein Kategoriensystem mit fünf Stufen (sehr kompakt, kompakt, ausgeglichen, dispers, stark dispers) eingeordnet. Reisezeit Die Reisezeit wird von den Kunden als ein wesentliches Kriterium zur Nutzung des ÖPNV angesehen. Existieren bei einer Buslinie viele Abschnitte, an denen Beschleunigungspotenzial besteht, ist das Ausbaupotenzial dieser Linie als höher zu bewerten. Als Indikatoren für das Beschleunigungspotenzial werden im Bewertungssystem das Reisezeitverhältnis und der Beförderungsgeschwindigkeitsindex herangezogen. Hierbei handelt es sich um zwei Größen, deren Berechnung in den Richtlinien für integrierte Netzgestaltung (RIN) 2008 und dem Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen (HBS) 2015 vorgegeben ist-[8, 9]. Das Reisezeitverhältnis dient dem Vergleich der Angebotsqualitäten konkurrierender Verkehrssysteme und wird meistens für einen Vergleich zwischen ÖPNV und MIV angewandt. Es wird durch den Quotienten aus den Reisezeiten des ÖPNV und des MIV gebildet (t ÖPNV / t MIV ). Der berechnete Wert wird anschließend in eine von sechs Qualitätsstufen (A = sehr günstig bis F = sehr schlecht) eingeordnet [8]. Der Beförderungsgeschwindigkeitsindex (I ÖV ) beschreibt die geschwindigkeitsbezogene Qualität des öffentlichen Verkehrs (ÖV) auf einem Streckenabschnitt. Er wird aus dem Quotienten der tatsächlichen mittleren Beförderungsgeschwindigkeit und der unter optimalen Bedingungen erreichbaren idealen Beförderungsgeschwindigkeit ermittelt (I ÖV = V ÖV / V ÖV, ideal ) und in die Qualitätsstufen A bis F eingeordnet [9]. Werden für bestehende Schnellbuslinien in Bezug auf das Reisezeitverhältnis und den Beförderungsgeschwindigkeitsindex nur geringe Qualitätsstufen erreicht, weist dies auf ein hohes Beschleunigungspotenzial hin. Somit können erforderliche Ausbausehr hohe Nutzungsdichte > 1.000 EAA/ km² hohe Nutzungsdichte > 300 - 1.000 EAA/ km² mittlere Nutzungsdichte > 150 - 300 EAA/ km² geringe Nutzungsdichte < 150 EAA/ km² Tabelle 3: Klassifizierung der Nutzungsdichten Eigene Darstellung 2020 nach [6] Oberzentrum > 70.000 EW Mittelzentrum > 20.000 - 70.000 EW Unterzentrum > 5.000 - 20.000 EW Gemeinden < 5.000 EW Tabelle 4: Klassifizierung zetraler Orte Eigene Darstellung 2020 nach [7] Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 87 Mobilitätsstrategie MOBILITÄT maßnahmen in der Diskussion mit Verkehrsverbünden, Kommunen und anderen Akteuren plausibel begründet werden. Finanzen Da ÖPNV-Systeme in der Regel defizitär sind und Kommunen die Kosten für Schnellbussysteme allein kaum tragen könnten, braucht es finanzielle Unterstützung von Bund und Ländern. Über die ÖPNV-Gesetze auf Landesebene delegieren die Länder die Verantwortung für den straßengebundenen ÖPNV meist auf die Kreise und kreisfreien Städte bzw. auf kommunale Zweckverbände [10]. Es besteht aber die Möglichkeit, Förderungen bei den Bundesländern zu beantragen, sofern der Schnellbusverkehr als Fördertatbestand in einschlägigen Gesetzeswerken der Länder genannt wird. Diese können je nach Bundesland die Bezeichnung Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (LGVFG) oder ÖPNV-Gesetz (ÖPNVG) tragen. Sind im LGVFG oder ÖPNVG Schnellbusverbindungen als Fördertatbestand festgelegt, zeigt dies eine politische Schwerpunktsetzung und sichert langfristig bessere Möglichkeiten zur ÖPNV-Finanzierung zu, weshalb dies als Kriterium gewählt wurde. Darüber hinaus können gegebenenfalls kurzfristige Fördergelder für den Schnellbusausbau akquiriert werden. Hierzu ist für den jeweiligen Untersuchungsraum zu prüfen, ob die Möglichkeit zur Beantragung spezieller Fördergelder besteht. Diese können auf Bundes-, Landes- oder kleinräumiger Ebene ausgeschrieben sein. Politik und Verwaltung Wichtige Grundvoraussetzungen für den Ausbau von Schnellbuslinien zu BRT-Verbindungen sind neben den genannten technischen, infrastrukturellen und wirtschaftlichen Faktoren auch förderliche Rahmenbedingungen, wie der politische Wille zur Förderung des ÖPNV sowie das Engagement der Verwaltung. Die Messung des politischen Willens erfolgt über die Betrachtung des Nahverkehrsplans und der Verkehrsentwicklungspläne eines Gebietes. Werden darin Förderabsichten zur Attraktivitätssteigerung des ÖPNV für den Untersuchungsraum genannt, kann das Ausbaupotenzial bestehender Schnellbuslinien als höher bewertet werden, da auf einen grundsätzlich vorhandenen Willen zur ÖPNV-Gestaltung, auch auf höheren Ebenen, geschlossen werden kann. Aufschluss über den politischen Willen zur ÖPNV-Förderung kann außerdem eine Betrachtung der Positionen politischer Gremien in der Region geben. Da Schnellbuslinien häufig kommunenübergreifend verkehren, wird eine Betrachtung auf Kreisebene empfohlen, indem die Position des Kreistages bzw. der Kreistagsabgeordneten, des Kreisausschusses sowie des Fachausschusses, welcher sich mit dem Thema Verkehr befasst, untersucht wird. Zur Messbarmachung ihres politischen Willens wird für das Bewertungssystem das Vorhandensein politischer Beschlüsse über konkrete Maßnahmen zur Förderung des ÖPNV in den letzten zwei Jahren betrachtet. Der Begriff „politischer Beschluss“ wird als Entscheidung verstanden, die zu verbindlichem Verwaltungshandeln führt. Die Beschlüsse können in der Regel in einem Stadtratsbzw. Kreistagsinformationssystem eingesehen werden. Um das Engagement der Verwaltung zu untersuchen, kann zum einen das Vorhandensein eines Ansprechpartners für den ÖPNV in der Verwaltung auf Stadt- oder Kreisebene überprüft werden. In der Regel gibt es hier eine oder mehrere verantwortliche Personen. Durch die Berücksichtigung dieses Indikators soll sichergestellt werden, dass eine direkte, personenbezogene Kommunikation mit der Verwaltung möglich ist, falls der Ausbau bestehender Schnellbusverbindungen forciert wird. Darüber hinaus ist zu untersuchen, wie hoch der Stellenwert einer Mobilitätswende in einer Kreis- oder Stadtverwaltung ist. Um diesen zu messen, werden im Bewertungssystem exemplarisch die Indikatoren „Mitgliedschaft in Netzwerken zur Förderung nachhaltiger Mobilität“ und „Hinweise zum ÖPNV-Angebot für Neubürger“ herangezogen. Beide geben Auskunft über den Willen einer Verwaltung, aktiv im Bereich Mobilität und Verkehr Veränderungen zu gestalten. Fazit Das Bewertungssystem ermöglicht eine erste Einschätzung zum Ausbaupotenzial bestehender Schnellbuslinien. Bei einer beispielhaften Anwendung des Systems auf drei Schnellbuslinien im Kreis Heinsberg (SB1, SB3 und SB81) ergab sich jeweils ein mittleres Ausbaupotenzial, mit Unterschieden in Bezug auf die Gesamtpunktezahl, sodass eine Empfehlung für den Ausbau einer dieser Strecken gegeben werden konnte. Vor allem bezüglich finanzieller Rahmenbedingungen und im Hinblick auf das Fahrgastpotenzial erzielten die Verbindungen unterschiedliche Ergebnisse. Eine wesentliche Stärke des Bewertungssystems ist die Möglichkeit einer vergleichenden Betrachtung verschiedener Schnellbuslinien auf Grundlage identischer Kriterien und Indikatoren. Das Vorgehen lässt ebenso einen Zeitvergleich, z. B. den Vergleich einer ausgebauten Schnellbuslinie mit ihrem früheren Zustand, zu. Die Methode ist einfach anwendbar und kann durch Erfahrungen aus der praktischen Anwendung erweitert und verbessert werden. Eine Schwäche des Bewertungssystems ist die „Vortäuschung“ einer Genauigkeit (Punktesystem), die aufgrund der subjektiven Gewichtung und teils auch subjektiven Bewertung der Indikatoren durch den Planer nicht vorhanden ist. Bei der Anwendung des Bewertungssystems sind diese Eigenschaften zu berücksichtigen, in Auswertungen sollte darauf hingewiesen werden. Das Bewertungssystem kann einen Beitrag dazu leisten, eine erste Übersicht über die regionalen Rahmenbedingungen zu erhalten und Ausbaupotenziale für bestehende Schnellbuslinien zu erkennen. ■ QUELLEN [1] Umweltbundesamt (2016): Klimaschutzbeitrag des Verkehrs bis 2050. [2] Nobis, C.; Kuhnimhof, T. (2019): Mobilität in Deutschland - MiD Ergebnisbericht. Studie von infas, DLR, IVT und infas 360 im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. [3] Institute for Transportation and Development Policy (2016): The BRT Standard. 2016 Edition. [4] Institute for Transportation and Development Policy (2017): The BRT Planning Guide. [5] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2019): ÖPNV - Öffentlicher Personennahverkehr. Gut angebunden mit Bus und Bahn. [6] Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e. V. (2019): VDV-Schrift 4. Verkehrserschließung, Verkehrsangebot und Netzqualität im ÖPNV. [7] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2010): Empfehlungen für Planung und Betrieb des öffentlichen Personennahverkehrs. Forschungsprojekt des Forschungsprogramms Stadtverkehr (FoPS) FA-Nr. 70.837/ 2009 im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. [8] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2008): Richtlinien für integrierte Netzgestaltung (RIN). [9] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2015): Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen (HBS). Teil S Stadtstraßen. Kapitel S7 Anlagen für den ÖPNV. [10] Zistel, M. (2019): Barrierefrei und inklusiv planen. In: Informationen zur Raumentwicklung, Heft 5, Bonn Anja Scheufler, M. Sc. Wirtschaftsgeographie, RWTH Aachen anja.scheufler@rwth-aachen.de Cordula Neiberger, Prof. Dr. Geographisches Institut, RWTH Aachen neiberger@geo.rwth-aachen.de Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 88 On-Demand-Angebote als-Bestandteil des ÖPNV Nutzungsmuster und Auswirkungen auf die Verkehrsmittelentscheidung in einem Hamburger Stadtrandgebiet On-Demand-Verkehr, Ridepooling, Anrufsammeltaxi, Mobilitätsverhalten, Tarif, ioki-Hamburg Seit 2018 besteht am nordwestlichen Hamburger Stadtrand das in den klassischen ÖPNV integrierte On-Demand-Angebot „ioki Hamburg“. Dieser Artikel präsentiert die Erkenntnisse aus der von 2018 bis 2020 durchgeführten Evaluation des Angebotes. Die Ergebnisse zeigen, dass der On-Demand-Dienst eine wirkungsvolle Ergänzung im Vor- und Nachlauf für den ÖPNV darstellt. Zudem werden die Effekte eines sogenannten Komfortzuschlags untersucht, welcher seit April 2019 für die Nutzung erhoben wird. Der Zuschlag führte unter anderem zu einer Stärkung des Angebotes als Alternative zur Autonutzung. Tyll Diebold, Felix Czarnetzki, Carsten Gertz R idepooling umfasst die gewerbliche, in der Regel App-basierte Personensammelbeförderung im Flächenbetrieb durch Vans oder Kleinbusse. Da das Ridepooling unabhängig von Linienbindung und Fahrplänen rein bedarfsgesteuert erfolgt, wird es auch als On-Demand-Verkehr bezeichnet [1]. In Deutschland stellt dieses moderne Ridepooling ein bislang nur in einigen Städten verfügbares Mobilitätsangebot dar. Demgegenüber bildet das Anrufsammeltaxi (AST) als klassisches bedarfsorientiertes Angebot eine weitverbreitete Ergänzung des ÖPNV. Anrufsammeltaxi-Verkehre weisen für gewöhnlich aber eine Bild 1: Fahrzeug des On-Demand-Angebotes ioki Hamburg am S-Bahnhof Klein Flottbek im Stadtteil Hamburg-Osdorf Bild: Deutsche Bahn AG/ Faruk Hosseini MOBILITÄT Wissenschaft PEER REVIEW - BEGUTACHTET Eingereicht: 11.05.2021 Endfassung: 22.07.2021 Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 89 Wissenschaft MOBILITÄT Fahrplanbindung mit einer vorgegebenen Vorlaufzeit für die Buchung auf und sind daher im Vergleich zu modernen On-Demand-Angeboten weniger flexibel. Angesichts der allgemein fortschreitenden Digitalisierung dürften zukünftig vor allem hoch digitalisierte On-Demand-Dienste an Bedeutung gewinnen. Tatsächlich konnte in der jüngsten Entwicklungsgeschichte bedarfsgesteuerter ÖPNV-Angebote eine zunehmende Verbreitung App-basierter, vollflexibler On-Demand-Verkehre beobachtet werden [2]. Der Einsatz von Ridepooling-Systemen wird jedoch kontrovers diskutiert. So wird mitunter vor einer Schwächung des Umweltverbundes gewarnt und auf Erfahrungen aus den USA verwiesen, wo die mit dem Ridepooling verwandten Ridehailing-Dienste wie Uber und Lyft bereits seit Jahren etabliert sind. Dort zeigten Nutzerbefragungen, dass diese neuen Mobilitätsdienste mit einer Verlagerung der Verkehrsmittelwahl zulasten des nichtmotorisierten sowie des öffentlichen Verkehrs einhergehen [3, 4, 5] und somit insgesamt zu einer Zunahme des motorisierten Verkehrs führen können [6]. Allerdings sind die außerhalb Europas gesammelten Forschungsergebnisse aufgrund der unterschiedlichen Rahmenbedingungen nur eingeschränkt auf Deutschland übertragbar. Erste empirische Untersuchungen zu On-Demand-Verkehren in Deutschland kamen hingegen zu wesentlich positiveren Ergebnissen. Hier zeigte sich, dass solche Angebote vor allem als eine ÖPNV-Ergänzung zu sehen sind [7, 8, 9]. Bei der Beurteilung der Chancen und Risiken sollte zudem unterschieden werden, ob ein On-Demand- Dienst vollständig in den ÖPNV integriert oder als separates Angebot betrieben wird. Vor allem die organisatorisch oder tariflich nicht integrierten Angebote können in Konkurrenz zum Umweltverbund stehen, sofern sie sich überwiegend auf ohnehin gut durch den ÖPNV erschlossene, innerstädtische Gebiete konzentrieren [10]. Die Integration von On-Demand-Verkehren in den ÖPNV durch die öffentlichen Verkehrsunternehmen selbst bietet dagegen das Potenzial, dieses neue Mobilitätsangebot tatsächlich als eine Erweiterung des Umweltverbundes zu planen, indem es in Zeiten oder Räumen eingesetzt wird, die durch den klassischen ÖPNV nicht oder nur unzureichend bedient werden können. Welche Effekte ein direkt in den ÖPNV integrierter, App-basierter On-Demand-Verkehr mit sich bringt, ist wegen des bislang nur begrenzten Einsatzes solcher Systeme kaum erforscht. Dieser Artikel liefert daher Erkenntnisse aus der Evaluation des On-Demand-Angebotes „ioki Hamburg“, die in den Jahren 2018 bis 2020 von der Technischen Universität Hamburg durchgeführt wurde. Untersuchungsraum Seit dem 18. Juli 2018 betreiben die Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein GmbH (VHH) am nordwestlichen Stadtrand Hamburgs das On-Demand-Angebot ioki Hamburg. Die App stammt von der ioki GmbH, einem zur Deutschen Bahn AG gehörenden On-Demand-Plattformanbieter. 17 barrierefreie Elektro-Kleinbusse (Bild 1) verkehren in einem etwa 15 km 2 großen Gebiet, das sich über die Stadtteile Lurup und Osdorf sowie Teile von Bahrenfeld erstreckt. Dort wurden bislang rund 436.000 Fahrgäste auf 341.000 Fahrten befördert und dabei 2.130.000 km zurückgelegt (Stand: 14. April 2021). Das Bediengebiet wird nördlich und südlich durch S- Bahnlinien begrenzt. Innerhalb des Gebietes gibt es keine SPNV-Angebote. Die ÖPNV-Bedienung erfolgte hier bis zum Start des On-Demand-Angebotes nur über Metrobus- und Stadtbuslinien, die lediglich eine relativ grobmaschige Erschließung mit Zugangswegen zur nächsten Bushaltestelle von bis zu 700 m bieten. Diese Lücken sollen durch den On-Demand-Dienst geschlossen werden. Dazu wurden zusätzlich zu den bestehenden 55-Bushaltestellen insgesamt 65 spezielle, ausgeschilderte Shuttle-Haltepunkte vorrangig in den bislang untererschlossenen Bereichen geschaffen. Dadurch ergibt sich eine dichte Abdeckung mit maximal 200 m langen Zugangswegen zum nächsten Shuttle-Haltepunkt oder zur nächsten Bushaltestelle (Bild 2). Das On-Demand-Angebot soll dadurch einerseits die Binnenverkehre in den betroffenen Stadtteilen unterstützen, andererseits aber AT A GLANCE The on-demand ridepooling service “ioki Hamburg”, which is integrated into the classic public transit system, has been in operation on the northwestern outskirts of Hamburg since 2018. This article provides findings from a scientific evaluation of this service, conducted from 2018 to 2020. The results show that this ondemand ridepooling service is an impactful preand post-trip complement for public transit. Moreover, the effects of a so-called convenience surcharge, which has been levied for ridepooling use since April 2019, were investigated. This surcharge led, among other things, to a strengthening of the service as an alternative to car use. Bild 2: Übersicht des ioki Hamburg-Bediengebietes am nordwestlichen Stadtrand Hamburgs Quelle: OpenStreetMap-Mitwirkende, eigene Bearbeitung Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 90 MOBILITÄT Wissenschaft auch im Sinne eines Feeder-Dienstes den Vor- und Nachlauf zum liniengebundenen ÖPNV übernehmen. Einbindung in den ÖPNV Das Angebot nutzt eine Konzession nach § 42 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) und entspricht somit einem bedarfsgesteuerten Flächenbetrieb. Daher ist bei jeder Fahrt mindestens eine bestehende Bushaltestelle oder einer der zusätzlichen Shuttle-Haltepunkte zu nutzen. In Abgrenzung zum Taxi erfolgt eine Adressbedienung nur, sofern am anderen Ende der Fahrt eine Haltestelle angesteuert wird. Das bestehende Busangebot wurde unverändert beibehalten, der On-Demand-Dienst stellt somit ein zusätzliches Angebot im 24/ 7-Betrieb dar. Parallelbuchungen zu bestehenden Busverbindungen wurden von der App bislang nicht ausgeschlossen. Fahrten mit dem On-Demand-Dienst können bis zu sieben Tage im Voraus gebucht werden. Die Einbindung in den Hamburger Verkehrsverbund (HVV) erfolgt durch eine vollständige tarifliche Integration des On-Demand-Dienstes. Für die Nutzung ist eine gültige HVV-Fahrkarte erforderlich. Seit April 2019 wird bei der Nutzung zusätzlich ein sogenannter Komfortzuschlag in Höhe von einem Euro je Fahrt erhoben. Die Einführung des Zuschlags war eine Reaktion auf die hohe Anzahl nicht erfüllbarer Fahrtwünsche, die unter anderem durch missbräuchliches Buchungsverhalten entstand, also etwa durch Buchungen ohne tatsächlichen Fahrtantritt oder für äußerst kurze Fahrten von zum Teil unter 200 m. Neben dem Einzelzuschlag für die jeweilige Fahrt kann der Zuschlag auch in Form eines Wochen-, Monats- oder Jahreszuschlags in Höhe von 5, 20 bzw. 180 EUR entrichtet werden. Die Zeitzuschläge erlauben die uneingeschränkte Nutzung des On-Demand-Angebotes in dem entsprechenden Zeitraum. Gleichzeitig wurde die Möglichkeit geschaffen, Fahrten inklusive Komfortzuschlag per Guthabenkarte zu bezahlen. Forschungsmethoden Die Evaluation umfasste verschiedene Forschungsmethoden. Zunächst wurden in den Fahrzeugen Kurzfragebögen ausgelegt, die von den Fahrgästen während der Fahrt ausgefüllt werden konnten. Diese Erhebung erfolgte in zwei Wellen, jeweils im September und Oktober der Jahre 2018 und 2019 und somit sowohl vor als auch nach der Einführung des Komfortzuschlags. Die bereinigte Stichprobe der Fahrgastbefragung belief sich im Jahr 2018 auf insgesamt 940 Personen bei einer Rücklaufquote von 11,7 %. In 2019 konnten verwertbare Fragebögen von 385 Personen gesammelt werden, dies entspricht einer Rücklaufquote von 7,1 %. Im Juli und August 2020 wurden zudem 22 qualitative, leitfadengestützte Telefon-Interviews mit Nutzenden des neuen On-Demand-Angebotes geführt. Ziel der Interviews war es, ein tieferes Verständnis für die Hintergründe und Auswirkungen der Nutzung der neuen Mobilitätsoption zu erlangen. Im Zentrum der nachfolgenden Ergebnisdarstellung stehen die Nutzerstruktur, die Muster und Gründe der Nutzung sowie die daraus resultierenden Auswirkungen auf die Verkehrsmittelentscheidung. Zudem werden die jeweiligen Effekte betrachtet, die durch die Einführung des Komfortzuschlags ab April 2019 ausgelöst wurden. Nutzerstruktur Während der ersten Erhebung im Oktober 2018 waren 47 % der Fahrgäste männlich und 53 % weiblich, womit das Geschlechterverhältnis nahezu ausgeglichen war und im Wesentlichen der Verteilung in der Bevölkerung des Untersuchungsgebietes entsprach. Die zweite Erhebung im Oktober 2019 zeigte lediglich eine geringfügige Verschiebung (männlich: 43 %, weiblich: 57 %), die nicht signifikant ist ( χ 2 (1) = 1,41, p = 0,235, φ c = 0,03, n = 1188). Die Altersverteilung der Fahrgäste hat sich durch die Einführung des Komfortzuschlags im Jahr 2019 dagegen deutlich verändert. 2018, kurz nach dem Start des On- Demand-Angebotes, wurde eine außergewöhnlich junge Altersstruktur festgestellt. Das Medianalter lag bei 22- Jahren. Die jüngsten 75 % der Nutzenden waren höchstens 33 Jahre alt, während die jüngsten 25 % der Befragten sogar maximal 17 Jahre alt waren (Bild 3). Bei der zweiten Erhebung wurde ein Medianalter von 34 Jahren gemessen. Das 75-%-Quantil verschob sich auf 48-Jahre, das 25-%-Quantil lag nun bei 25 Jahren. Diese Veränderung der Altersverteilung ist hoch signifikant (t(649,87) = -11,35, p < 0,001, r = 0,41). Dennoch ist das On-Demand-Angebot weiterhin durch ein - im Ver- Bild 3: Altersverteilung aller befragten Fahrgäste von 2018 und 2019 sowie die Altersverteilung der Fahrgäste aus dem Jahr 2019, aufgeschlüsselt nach dem Anmeldezeitpunkt vor oder nach Einführung des Komfortzuschlags Grafiken 3 bis 10: eigene Erhebung 2018 (n = 784) 2019 (n = 361) (fast) gar nicht 39 % jederzeit 22 % gelegentlich 39 % (fast) gar nicht 24 % jederzeit 39 % gelegentlich 37 % Bild 4: Möglichkeit der befragten Fahrgäste von 2018 und 2019, auf einen PKW als fahrende oder mitfahrende Person zuzugreifen Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 91 Wissenschaft MOBILITÄT gleich zur Gesamtbevölkerung - relativ junges Alter der Nutzenden geprägt. Die gesamte Alterspanne veränderte sich zwischen den Erhebungszeiträumen hingegen nicht. Die jüngsten und ältesten Fahrgäste waren 2018 wie auch 2019 jeweils sieben bzw. 84 Jahre alt. Die Aufschlüsselung der Altersverteilung nach Anmeldezeitpunkt vor oder nach Einführung des Komfortzuschlags zeigt, dass die starke Veränderung primär aus dem stärkeren Fernbleiben der jüngeren Nutzenden resultierte (Bild 3). Dies lässt sich daran erkennen, dass die Befragten von 2018 signifikant jünger waren als jene Befragten von 2019, die sich bereits vor dem Komfortzuschlag bei dem On-Demand-Dienst angemeldet hatten und im System verblieben waren (t(333,72) = -8,80, p-<-0,001, r = 0,43). Ein Vergleich des Alters der Befragten von 2019 in Abhängigkeit von deren Anmeldungszeitpunkt deutet zudem auf eine verstärkte Anmeldung älterer Personen nach der Einführung des Zuschlags hin (t(176,44) = -1,82, p = 0,071, r = 0,14). Ferner veränderte sich die Nutzerstruktur auch hinsichtlich des PKW-Zugriffs der Fahrgäste erheblich (Bild-4). Im Jahr 2018 gaben 22 % der Nutzenden an, jederzeit Zugriff auf einen PKW zu haben, im Jahr 2019 lag dieser Anteil bei 39 %. Entsprechend ging der Anteil der Nutzenden ohne jeglichen PKW-Zugriff wiederum von 39 % auf 24 % zurück, während der Anteil mit gelegentlichem PKW-Zugriff konstant blieb. Die Veränderungen sind statistisch hoch signifikant ( χ 2 (2) = 39,14, p-<-0,001, φ c = 0,18, n = 1145). Nutzungsmuster Der Basiszugang zum untersuchten On-Demand-Angebot ist eine Fahrkarte des Hamburger Verkehrsverbundes (HVV). Der Besitz von HVV-Zeitkarten (z. B. Monatskarte oder Jobticket) war unter den Befragten sehr verbreitet. Im Jahr 2018 verfügten 79 % und im Jahr 2019 sogar 88 % der Nutzenden über eine Zeitkarte, was eine signifikante Zunahme darstellt ( χ 2 (1) = 14,15, p < 0,001, φ c = 0,11, n = 1185). Entsprechend reduzierte sich die Nutzung von Gelegenheitsfahrkarten (z. B. Einzel- und Tagesfahrkarten) im Jahresvergleich. Der 2019 eingeführte Komfortzuschlag von einem Euro je Fahrt wurde von 52- % der Nutzenden in Form eines Einzelzuschlags für die jeweilige Fahrt verwendet. Weitere 12 % entrichteten ihn als Wochenzuschlag, 25 % als Monatszuschlag und 10 % entschieden sich für den Jahreszuschlag. Etwa ein Jahr nach dem Start des On-Demand-Dienstes zeigte sich 2019 mit 48 % ein relativ hoher Anteil von Fahrgästen mit täglicher oder fast täglicher Verwendung dieses Angebotes (Bild 5). Dabei lässt sich auch ein starker Zusammenhang zwischen der Zuschlagsart und der Nutzungshäufigkeit erkennen: Von den Befragten mit täglicher bzw. fast täglicher Nutzung wählten 80 % die Möglichkeit eines Zeitzuschlags, wohingegen bei höchstens wöchentlicher oder seltenerer Nutzung zu 82 % der Einzelzuschlag genutzt wurde ( χ 2 (1) = 156,86, p < 0,001, φ c = 0,66, n = 359). 19 % der Befragten von 2019 berichteten, das On-Demand-Angebot seit der Einführung des Komfortzuschlags seltener zu nutzen, während 59 % eine unveränderte und 22 % eine häufigere Nutzung angaben. Die umfangreichere Nutzung des On-Demand-Dienstes wurde wesentlich häufiger von jenen Personen genannt, die den Zuschlag als Wochen-, Monatsbzw. Jahreszuschlag entrichteten ( χ 2 (2) = 19,25, p < 0,001, φ c = 0,24, n- =- 338) und das Angebot täglich oder fast täglich verwendeten ( χ 2 (2) = 32,40, p < 0,001, φ c = 0,30, n = 355). Beim Buchungszeitpunkt vor der Fahrt ergaben sich durch den Komfortzuschlag ebenfalls stärkere Verschiebungen (Bild 6). Buchten vor dessen Einführung 48 % der Nutzenden eine Fahrt mit maximal 30 Minuten Vorlauf, stieg dieser Anteil nach der Einführung des Komfortzuschlags auf 78 %. Dabei nahm die spontane Buchung mit einem Vorlauf von maximal zehn Minuten gegenüber der ersten Erhebung stark zu (von 30 % auf 60 %). Diese Verschiebung ist statistisch hoch signifikant ( χ 2 (1) = 85,49, p < 0,001, φ c = 0,27, n = 1133) und kann als Indiz für eine höhere Verfügbarkeit und Verlässlichkeit des Dienstes durch die Einführung des Komfortzuschlags aufgefasst werden. Ein wesentliches Ziel des in den ÖPNV integrierten On-Demand-Angebotes ist es, Intermodalität zu erleichtern und den ÖPNV zu stärken, indem der On-Demand- Dienst in Kombination mit Bus und Bahn verwendet wird. Tatsächlich waren 2019 etwa 72 % der untersuchten Fahrten Bestandteil einer Wegekette zusammen mit Linienbus und/ oder Bahn, während Direktfahrten innerhalb des Bediengebietes die übrigen 28 % der Fahrten ausmachten. In den qualitativen Interviews mit Nutzenden zeigte sich, dass vor allem bei Personen mit häufigerer Nutzung des On-Demand-Angebotes ein vergleichsweise großer Anteil der Fahrten als Vor- oder Nachlauf zum liniengebundenen ÖPNV stattfand. 0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % täglich/ fast täglich an 1 -3 Tagen pro Woche an 1 -3 Tagen pro Monat seltener als monatlich n = 383 0 % 5 % 10 % 15 % 20 % 25 % 30 % 35 % ≤ 5 Minuten 6-10 Minuten 11 -30 Minuten 31 -60 Minuten 1-6 Stunden 7-24 Stunden > 24 Stunden 2018 (n = 789) 2019 (n = 344) Bild 5: Nutzungshäufigkeit des On-Demand-Angebotes im Jahr 2019 Bild 6: Zeitlicher Abstand zwischen der Buchung und dem Fahrtbeginn in den Jahren 2018 und 2019 Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 92 MOBILITÄT Wissenschaft Nutzungsgründe Die in den Fahrzeugen ausgelegten Fragebögen gaben den Befragten während der zweiten Erhebungswelle im Jahr 2019 die Möglichkeit, die Gründe für die Nutzung des On-Demand-Dienstes in einem Freitextfeld anzugeben. Etwa jeder zweite befragte Fahrgast machte davon Gebrauch (n = 213). Dabei waren Mehrfachantworten möglich. Zur Auswertung wurden diese Angaben in Kategorien von Nutzungsgründen zusammengefasst. Der am weitesten verbreitete Grund der Nutzung lag in der Zeitersparnis und wurde von 35 % der Befragten genannt. Die Steigerung von Bequemlichkeit und Komfort veranlasste 31 % der Fahrgäste zur Nutzung. Dies bezog sich vor allem auf den durch das On-Demand-Angebot ermöglichten direkteren Systemzugang zum ÖPNV, indem Fahrgäste etwa vor der eigenen Haustür abgeholt oder in die unmittelbare Nähe ihres Ziels befördert wurden. In 20 % der Fälle berichteten die Befragten von einer besseren Anbindung als Nutzungsgrund, womit gemeint war, dass der On-Demand-Dienst für Wege bzw. Verbindungen gewählt wurde, die der liniengebundene ÖPNV nicht abbildet. Auf diese Weise konnten die Nutzenden Umstiege vermeiden oder bestimmte Wege überhaupt erst realisieren. 11 % der Befragten berichteten zudem, das On-Demand-Angebot aufgrund der höheren Zuverlässigkeit der Beförderung gewählt zu haben. Weitere, seltener genannte Gründe umfassten etwa die Möglichkeit des Transportes von Einkäufen oder die Nutzung als Alternative bei schlechtem Wetter. Viele dieser seltener genannten Gründe waren zwar bezogen auf die Gesamtzahl der Nutzenden quantitativ weniger bedeutend, aber für bestimmte Personengruppen oder Nutzungszwecke dennoch sehr relevant. Für Nutzerinnen war zum Beispiel die Steigerung der subjektiven Sicherheit in den Abend- und Nachtstunden ein wichtiger Aspekt, während der sehr direkte Systemzugang durch den On-Demand-Dienst insbesondere für mobilitätseingeschränkte Personen eine deutliche Verbesserung der eigenständigen Mobilität darstellte. In den qualitativen Interviews wurde außerdem deutlich, dass viele dieser Gründe miteinander verwoben waren, wobei sich vor allem die drei meistgenannten Gründe (Zeitersparnis, gesteigerter Komfort, verbesserte Anbindung) gegenseitig verstärkten. Die Verflechtung der Gründe lässt sich beispielsweise aus dem folgenden Zitat ablesen: „Wenn ich bestelle, sagen wir mal, ich will morgens zur Arbeit, dann gehe ich raus, werde vom Punkt abgeholt und werde zu dem Punkt gebracht, den ich gebucht habe. Ich muss nicht erst zum Bus laufen und dann mit dem Bus [fahren], dann müsste ich umsteigen, bis ich dann zur Bahn komme. Also ich setze mich in den ioki, fahre zur Bahn und da fahre ich dann weiter. Das ist natürlich toll. Das ist ein Service, das ist Luxus für mich, weil ich kein Auto habe.“ (weiblich, Altersgruppe 45 bis 59 Jahre, gelegentlicher PKW-Zugriff). Auswirkungen auf die Verkehrsmittelwahl Ein zentrales Interesse der Evaluation bestand darin, zu ermitteln, aus welchen bestehenden Mobilitätsangeboten die Nutzenden zum neuen On-Demand-Verkehr wechselten. Die Fahrgäste wurden daher im Rahmen der Befragungen sowohl 2018 als auch 2019 um die Angabe ihrer alternativen Verkehrsmittel gebeten, die sie für den entsprechenden Weg verwendet hätten, falls es den On-Demand-Dienst nicht gegeben hätte. Hierbei waren Mehrfachnennungen möglich. Zwischen den Befragungszeiträumen vor und nach der Einführung des Komfortzuschlags traten erneut deutliche Unterschiede auf (Bild 7). 2019 gaben die Befragten signifikant häufiger an, mit dem On-Demand- Angebot das Fahrrad ( χ 2 (1) = 5,76, p = 0,016, φ c = 0,07, n- =- 1316), die PKW-Nutzung als fahrende Person ( χ 2 (1)- =- 29,85, p < 0,001, φ c = 0,15) oder das Carsharing ( χ 2 (1) = 12,73, p < 0,001, φ c = 0,10) zu ersetzen. Demgegenüber wurde der Bus in der zweiten Befragungswelle signifikant seltener als Alternative genannt ( χ 2 (1) = 16,04, p < 0,001, φ c = 0,11). Bei den übrigen Verkehrsmitteln ergaben sich im Jahresvergleich keine bedeutenden Differenzen. Zunächst liegt hier die Vermutung nahe, dass die signifikanten Unterschiede lediglich auf den höheren Anteil an Nutzenden mit uneingeschränktem PKW-Zugriff zurückzuführen sind (Bild 4). Eine gesonderte Betrachtung dieser Personen widerlegt dies jedoch. Unter den Befragten, die jederzeit auf einen PKW zugreifen konnten, nahm die Nennung der Alternative PKW als fahrende Person sogar von 29 % auf 42 % zu ( χ 2 (1) = 5,98, p = 0,015, φ c = 0,14, n = 314). Diese Befragten nahmen das On-Demand-Angebot also 2019 deutlich stärker als Alternative zum Auto war. Da die Nutzenden mehrere Verkehrsmittel als Alternative angeben konnten, nannten sie mitunter sowohl Verkehrsmittel aus dem Bereich des Umweltverbundes als auch aus dem Bereich des motorisierten Individualverkehrs (MIV). Dies erschwerte die Aussage, inwiefern der On-Demand-Dienst tatsächlich zu einer Reduzierung der MIV-Nutzung führte. Zur Entschärfung dieses Problems wurden die in der Erhebung 2019 genannten alternativen Verkehrsmittel daher zu zwei Gruppen aggregiert, und jede der befragten Personen wurde genau einer Gruppe zugeordnet. Die Gruppe „On-Demand-Verkehr als Umweltverbund-Ersatz“ umfasst alle Befragten, die für ihre Fahrt ausschließlich die Verkehrsmodi Zufußgehen, Fahrrad, Bus und Taxi als Alternative in Betracht zogen. Die Gruppe „On-Demand-Verkehr als MIV-Ersatz“ beinhaltet dagegen alle Personen, die für ihren Weg ohne das On-Demand-Angebot zumindest teilweise oder ausschließlich Verkehrsmittel des motori- Bild 7: Von den Befragten genannte alternative Verkehrsmittel zu der getätigten Fahrt mit dem On Demand-Dienst in den Jahren 2018 und 2019, Mehrfachnennungen waren möglich 0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % Bus zu Fuß Fahrrad PKW - Fahrer PKW - Mitfahrer Taxi Carsharing 2018 (n = 932) 2019 (n = 384) Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 93 Wissenschaft MOBILITÄT sierten Individualverkehrs als Alternative nannten. Damit war die PKW-Nutzung als fahrende oder mitfahrende Person sowie das Carsharing gemeint. Die Gleichsetzung von PKW-Fahrten und PKW-Mitfahrten resultiert daraus, dass PKW-Mitfahrten bisweilen allein wegen der mitfahrenden Personen stattfinden (z. B. bei Hol- und Bringdiensten für Minderjährige oder für mobilitätseingeschränkte Personen), was auch innerhalb der qualitativen Interviews bestätigt wurde. Als Ergebnis der Gruppenbildung zeigte sich, dass 28 % der Nutzenden den MIV und 72 % ausschließlich den Umweltverbund als Alternative zum On-Demand-Angebot verwendet hätten. Die nähere Betrachtung dieser beiden Gruppen zeigt einen starken Zusammenhang zwischen dem PKW-Zugriff und den alternativen Verkehrsmitteln (Bild 8). Mit einem umfangreicheren PKW-Zugriff nahm demnach auch die Wahrnehmung des On-Demand-Dienstes als Alternative zum MIV zu ( χ 2 (2) = 55,27, p < 0,001, φ c -=-0,39, n = 356). Eine weitere signifikante Verbindung besteht zwischen den 2019 genannten alternativen Verkehrsmitteln und der Selbsteinschätzung, inwiefern sich die Nutzungshäufigkeit des On-Demand-Angebotes infolge des Komfortzuschlags verändert hat (Bild 9). Seit der Einführung des Zuschlags wurde der On-Demand-Dienst demzufolge wesentlich häufiger von solchen Personen genutzt, die ihn als MIV-Alternative auffassen ( χ 2 (2) = 8,03, p = 0,018, φ c = 0,15, n = 351). Bemerkenswerterweise wird dieser Effekt noch deutlicher, sofern nur die Befragten betrachtet werden, die einen uneingeschränkten Zugriff auf einen PKW angaben (Bild 10). In dieser Untergruppe ist der Zusammenhang zwischen der Nutzung des On- Demand-Angebotes als MIV-Alternative und der Zunahme der Nutzung nach Einführung des Komfortzuschlags besonders stark ausgeprägt ( χ 2 (2) = 18,67, p < 0,001, φ c -=-0,38, n = 129). Diese Zusammenhänge bestätigten sich zudem in den qualitativen Interviews, wobei deutlich wurde, dass die verbesserte Verfügbarkeit der Fahrzeuge eine entscheidende Rolle beim Ersatz des MIV durch das On- Demand-Angebot spielte. Ein Interviewpartner beschrieb es folgendermaßen: „Aber vor dem [Komfort-]Zuschlag habe ich auch nicht so richtig darüber nachgedacht mit dem ioki zu planen, weil man halt nicht wusste, ob da ein Wagen frei wird oder nicht, es war halt nicht Bestandteil meiner Planung.“ (männlich, Altersgruppe 20 bis 29 Jahre, gelegentlicher PKW-Zugriff). Weiterhin offenbarten die qualitativen Interviews einen sehr vielfältigen Einfluss des neuen Mobilitätsangebotes auf die Wahrnehmung der Autonutzung und des Autobesitzes. Dies umfasste vor allem die verringerte Nutzung des eigenen PKW oder die seltenere Inanspruchnahme von Mitfahrten, aber auch das geringere Interesse, sich ein eigenes Auto anzuschaffen bis hin zur Entscheidung, den eigenen PKW abzuschaffen. Schlussfolgerungen Die Evaluation des Mobilitätsangebotes ioki Hamburg zeigte, dass die tarifliche Integration eines On-Demand- Dienstes in den ÖPNV zu einer ausgeprägten Nutzung dieses Angebotes als Zubringer für die Bahn und den Linienbus führt. Damit geht eine Unterstützung des klassischen, liniengebundenen ÖPNV bei der Feinerschlie- 0 % 20 % 40 % 60 % 80 % 100 % (fast) gar nicht (n = 86) gelegentlich (n = 133) jederzeit* (n = 137) möglicher PKW - Zugriff ODV als Umweltverbund-Ersatz ODV als MIV-Ersatz * diese Gruppe wird in Bild 10 näher betrachtet Bild 8: PKW-Zugriff der Befragten als fahrende oder mitfahrende Person und die Verkehrsmittel, die alternativ zur Fahrt mit dem On-Demand-Angebot genutzt worden wären (2019); ODV = On-Demand-Verkehr 0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % seltenere ODV -Nutzung unveränderte ODV-Nutzung häufigere ODV -Nutzung Veränderung der ODV -Nutzung nach Einführung des Komfortzuschlags ODV als Umweltverbund-Ersatz (n = 255) ODV als MIV-Ersatz (n = 96) Bild 9: Veränderung der Nutzung des On-Demand-Dienstes nach Einführung des Komfortzuschlags, bezogen auf die Verkehrsmittel, die alternativ zur Fahrt genutzt worden wären (2019); ODV = On-Demand-Verkehr 0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % seltenere ODV-Nutzung unveränderte ODV -Nutzung häufigere ODV-Nutzung ODV als Umweltverbund-Ersatz (n = 64) ODV als MIV-Ersatz (n = 65) Veränderung der ODV -Nutzung nach Einführung des Komfortzuschlags nur Befragte mit jederzeitigem PKW - Zugriff Bild 10: Veränderung der Nutzung des On-Demand-Dienstes nach Einführung des Komfortzuschlags bei Befragten mit jederzeitigem PKW-Zugriff, bezogen auf die Verkehrsmittel, die alternativ zur Fahrt genutzt worden wären (2019); ODV = On-Demand-Verkehr Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 94 MOBILITÄT Wissenschaft ßung im Vor- und Nachlauf einher. Der vollflexible Charakter eines On-Demand- Verkehrs kann zudem durch die Einführung eines Komfortzuschlags nochmals gestärkt werden. Dieser Zuschlag ermöglicht es, missbräuchliche oder unerwünschte Nutzungsmuster einzuschränken und die Kapazitäten des neuen Angebotes vor allem jenen Personen zur Verfügung zu stellen, für die der On-Demand-Dienst eine wichtige Mobilitätsoption darstellt. Darüber hinaus zeigten die Forschungsergebnisse, dass das On-Demand-Angebot auch seine erwünschte Rolle als Alternative zum motorisierten Individualverkehr nach Einführung des Komfortzuschlags besser erfüllen kann: In dem untersuchten Hamburger Bediengebiet nutzten vor allem Personen, die den On-Demand- Dienst als Autoersatz auffassen, diesen Dienst nach Einführung des Komfortzuschlags häufiger. Parallel dazu konnte die Nutzung als Ersatz für den Umweltverbund reduziert werden. Die gestiegene Wahrnehmung des On- Demand-Dienstes als MIV-Ersatz lässt sich dabei insbesondere auf eine höhere Flexibilität und Verlässlichkeit des Angebotes zurückführen, wodurch die spezifischen Vorteile dieser Mobilitätsoption - also etwa der sehr direkte Systemzugang durch die Bedienung bis vor die Haustür - stärker zum Tragen kommen. Diese Faktoren bilden wiederum die Basis, um mit dem On-Demand- Angebot weitere Aspekte der Verkehrsmittelentscheidung besser adressieren zu können, die durch den klassischen ÖPNV mitunter nur unzureichend erfüllt werden können. Hier sind beispielsweise die subjektive Sicherheit, der Transport von alltäglichen Einkäufen, aber auch die selbstbestimmte Mobilität von Personen mit körperlichen Einschränkungen zu nennen. ■ LITERATUR [1] Liebchen, C.; Lehnert, M.; Mehlert, C.; Schiefelbusch, M. (2020): Ridepooling-Effizienz messbar machen. In: Der Nahverkehr 9/ 2020, S. 18-21. [2] Mehlert, C.; Schiefelbusch, M. (2018): Rufbus meets Mobility 4.0: Lernen aus 40 Jahren flexiblem Nahverkehr. In: Der Nahverkehr 10/ 2018, S. 29-35. [3] Rayle, L.; Dai, D.; Chan, N.; Cervero, R.; Shaheen, S. (2016): Just a better taxi? A surveybased comparison of taxis, transit, and ridesourcing services in San Francisco. In: Transport Policy 45, S. 168-178. [4] Clewlow, R. R.; Mishra, G. S. (2017): Disruptive transportation: The adoption, utilization, and impacts of ride-hailing in the United States. Research report, Institute of Transportation Studies, University of California, Davis. [5] Circella, G.; Alemi, F.; Tiedeman, K.; Handy, S.; Mokhtarian, P. (2018): The Adoption of Shared Mobility in California and Its Relationship with Other Components of Travel Behavior. Research report, National Center for Sustainable Transportation, University of California, Davis. [6] Schaller, B. (2021): Can sharing a ride make for less traffic? Evidence from Uber and Lyft and implications for cities. In: Transport Policy 102, S. 1-10. [7] Zwick, F.; Fraedrich, E.; Kostorz, N.; Kagerbauer, M. (2020): Ridepooling als ÖPNV-Ergänzung - Der Moia-Nachtservice während der Corona-Pandemie. In: Internationales Verkehrswesen (72) 3, S. 84-88. [8] Kostorz, N.; Fraedrich, E.; Kagerbauer, M. (2021): Usage and User Characteristics - Insights from MOIA, Europe’s Largest Ridepooling Service. In: Sustainability 13/ 2021, 958. [9] Knie, A.; Ruhrort, L.; Gödde, J.; Pfaff, T. (2020): Ride-Pooling-Dienste und ihre Bedeutung für den Verkehr. Nachfragemuster und Nutzungsmotive am Beispiel von „CleverShuttle“ - eine Untersuchung auf Grundlage von Buchungsdaten und Kundenbefragungen in vier deutschen Städten. Discussion Paper, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. [10] Aberle, C. (2020): Who Benefits from Mobility as a Service? A GIS Based Investigation of the Population Served by Four Ride Pooling Schemes in Hamburg, Germany. In: KN - Journal of Cartography and Geographic Information 70, S. 25-33. Felix Czarnetzki, M.A. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Technische Universität Hamburg felix.czarnetzki@tuhh.de Carsten Gertz, Prof. Dr.-Ing. Professor für Verkehrsplanung, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Technische Universität Hamburg gertz@tuhh.de Tyll Diebold, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Technische Universität Hamburg tyll.diebold@tuhh.de Brief und Siegel für Wissenschafts-Beiträge Peer Review - sichtbares Qualitätsinstrument für Autoren und Leserschaft P eer-Review-Verfahren sind weltweit anerkannt als Instrument zur Qualitätssicherung: Sie dienen einer konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung mit Forschungsergebnissen, wissenschaftlichen Argumentationen und technischen Entwicklungen des Faches und sollen sicherstellen, dass die Wissenschaftsbeiträge unserer Zeitschrift hohen Standards genügen. Herausgeber und Redaktion laden daher Forscher und Entwickler im Verkehrswesen, Wissenschaftler, Ingenieure und Studierende sehr herzlich dazu ein, geeignete Manuskripte für die Rubrik Wissenschaft mit entsprechendem Vermerk bei der Redaktion einzureichen. Die Beiträge müssen „Originalbeiträge“ sein, die in dieser Form und Zusammenstellung erstmals publiziert werden sollen. Sie durchlaufen nach formaler redaktioneller Prüfung ein standardisiertes Begutachtungsverfahren, bei dem ein Manuskript zwei, in besonderen Fällen weiteren Gutachtern (Referees) aus dem betreffenden Fachgebiet vorgelegt wird. Interessierte Autoren finden die Verfahrensregeln, die Autorenhinweise sowie das Formblatt für die Einreichung des Beitrages auf www.internationales-verkehrswesen.de/ autoren-service/ KONTAKT Eberhard Buhl, M.A. Redaktionsleiter Internationales Verkehrswesen Tel.: +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 95 Energieträger TECHNOLOGIE Wasserstoffwirtschaft in Zukunft unverzichtbar - aber-(noch) teuer Wasserstoffwirtschaft, Grüner Wasserstoff, Erneuerbare Energie, Solar, Windkraft Es ist unstrittig, dass die notwendige Abkehr von den fossilen Energien - als wesentlichen Auslöser des CO 2 Problems - ohne die Unterstützung einer Wasserstoffwirtschaft nicht möglich sein wird. Eine Standortbestimmung von Hans Sommer, Vorsitzender des Aufsichtsrats des Stuttgarter Beratungs-, Planungs- und Projektmanagement-Unternehmens Drees & Sommer SE. Hans Sommer O hne die Unterstützung einer Wasserstoffwirtschaft kann es keine Abkehr von den fossilen Energien geben - das gilt für die Industrie, etwa im Bereich der Stahlproduktion, wie für den Ersatz chemischer Grundstoffe. Das gilt für E-Fuels im Transportsektor, vor allem was die Langstrecken-Luftfahrt, die Schifffahrt und den Schwerlastverkehr angeht. Auch im Stromsektor gilt Wasserstoff als wichtiges Backup für die Langfrist-Speicherung des variabel erzeugten erneuerbaren Stroms. Im Gebäudesektor könnte Wasserstoff vor allem im Bereich großer bestehender Fernwärmesysteme mit hohen Vorlauftemperaturen eingesetzt werden. Ebenfalls in Diskussion - wenn auch nicht mit höchster Priorität - ist der Einsatz von aus grünem Wasserstoff produzierten E-Fuels oder für Brennstoffzellenantriebe als Übergangslösung für den immens großen weltweiten Bestand von PKW und leichten Nutzfahrzeugen mit Verbrennungsmotoren. Die Herstellung von Wasserstoff lässt sich einfach beschreiben: Durch Elektrolyse, mithilfe von elektrischem Strom, spaltet man Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff, der umweltverträglich in die Umgebung abgegeben werden kann. Der durch die Reaktion entstandene Wasserstoff hingegen wird gasförmig oder in flüssiger Form als Energiespeicher verwendet. In dieser Form lässt er sich leicht transportieren und bei Bedarf wieder nahezu emissionsfrei als Energiequelle für die Strom- und Wärmeerzeugung, als Treibstoff im Verkehrswesen oder als Grundstoff in der Industrie nutzen. Aber wirklich klimafreundlich ist eben nur der grüne Wasserstoff, bei dessen Produktion allein auf regenerativen Strom gesetzt wird. Für eine emissionsarme Energieversorgung der Zukunft birgt der grüne Wasserstoff deshalb ein großes Potenzial. Die Wirtschaftlichkeit ist das aktuelle Problem Richtig ist das Argument, dass die Produktion von grünem Wasserstoff gegenwärtig nicht wirklich wirtschaftlich darstellbar ist. Zu knapp, zu energieintensiv und viel zu teuer beim Aufbau von Produktion und Infrastruktur - vereinfacht dargestellt sind das die Gründe, die Kritikerinnen und Kritiker dem grünen Wasserstoff entgegenhalten. Noch trifft diese Argumentation weitgehend zu, denn grüner Wasserstoff wird derzeit in Konkurrenz zum herkömmlichen, aus Erdgas hergestellten Wasserstoff gesehen. Dieser kostet derzeit ohne CO 2 -Speicherung (grauer Wasserstoff) ca. 1,80 EUR/ kg und mit CO 2 -Speicherung als blauer Wasserstoff ca. 2,20 EUR/ kg. Dagegen liegt grüner Wasserstoff derzeit im Bereich von 5,60 bis 6,20 EUR/ kg und ist deshalb derzeit für Investoren unattraktiv. Dafür sind folgende Faktoren verantwortlich: •• die hohen Stromkosten in Deutschland und die knappe Verfügbarkeit von grünem Strom, •• die großen Investition für den Elektrolyseur und die Kosten für den Austausch der Elektrolyse-Stacks, •• die Effizienz aktueller Elektrolyseure und die geringen jährlichen Betriebsstunden. Global werden einerseits die Kosten für die Elektrolyseure und die Elektrolyse- Stacks deutlich sinken und andererseits die Effizienz der Anlagen und die jährlichen Betriebsstunden mit zunehmenden Größe und einer globalen Produktionssteigerung deutlich steigen. In Deutschland selbst allerdings werden der Strompreis und die zu geringe Verfügbarkeit von grünem Strom für die Wasserstoffproduktion weiterhin zu hohen Kosten führen. Da hilft auch die Bepreisung von CO 2 -Zertifikaten - derzeit in Deutschland 25 EUR/ t CO 2 - nicht viel. Selbst bei 200 EUR/ t CO 2 wäre der grüne Wasserstoff, so eine aktuelle Studie des Instituts Agora Energiewende, noch teurer als seine Konkurrenten auf fossiler Basis. In Deutschland könnte ein Weg zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit die Verwendung von Überschuss-Strom aus Windkraft zu einem reduzierten Strompreis und eine Befreiung der Elektrolyseure von Steuern und Abgaben sein. Aber marktwirtschaftlich ist das sicher fragwürdig. Auf der Nachfrageseite sollte man sich deshalb zunächst auf Anwendungen konzentrieren, die Wasserstoff wirklich benötigen. Die Lösung liegt in einem globalen Ansatz Der Aufbau einer wirtschaftlichen Wasserstoffproduktion in großem Stil ist möglich, allerdings muss man dazu global denken und in sonnen- und windreiche Weltregionen schauen. Von Europa aus sind etwa Südeuropa, Nordafrika oder die arabische Halbinsel interessant, wo Solarstrom in Gigawatt-Dimensionen sehr günstig produziert und speziell auf eine Wasserstoffproduktion - und bei Bedarf auch die Produktion von E-Fuels - ausgerichtet werden kann. Bei aktuell in Planung oder im Bau befindlichen 1 GW-Solaranlagen werden dort derzeit Netto-Stromkosten von 2 bis 3 Cent pro Kilowattstunde kalkuliert. Mit einem Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 96 TECHNOLOGIE Energieträger Strompreis auf dieser Basis - in Verbindung mit den zuvor beschriebenen Kostensenkungen der Elektrolyse - könnte grüner Wasserstoff ebenfalls für einen Kilopreis um die 1,50 EUR oder sogar darunter erzeugt werden. Um für die Elektrolyse kein Trinkwasser zu verbrauchen, ist der Einsatz von Meerwasser zu bevorzugen. Zwar muss man es vorher entsalzen, was einen zusätzlichen Stromverbrauch bedeutet. In Relation zum Strombedarf der Elektrolyse ist der Aufwand aber akzeptabel. Wenn Sonne oder Wind in Gegenden ohne eine hohe Strombesteuerung im Überfluss vorhanden sind, wird es für Investoren aus aller Welt sehr interessant, sich an Projekten für die Stromerzeugung aus erneuerbarer Energie in Verbindung mit der Produktion von grünem Wasserstoff zu beteiligen. Im Folgenden sollen Gegenden aufgezeigt werden, die sich für solche Anlagen eignen könnten. Globale Hotspots für Sonnenenergie Auf der Suche nach geeigneten Standorten für die Erzeugung von grünem Strom aus Sonnenenergie ist die internationale Plattform der Firma Solargis aus der Slowakei spannend. Die Datenbank hilft, den Bau, die Bewertung und das Management von Solaranlagen weltweit zu optimieren. ESMAP ist ein gemeinsames Programm der Weltbank und von 19 Partnern. Ziel ist es, bis 2030 einen universellen Zugang zur Unterstützung der Dekarbonisierung im Energiesektor zu erreichen - natürlich im Rahmen internationaler Verpflichtungen zum Klimawandel. Jeder kann im Internet unter https: / / globalsolaratlas.info gezielt für jeden Ort auf der Welt nach Solar-Potenzialen für unterschiedliche Arten der Solarinstallation suchen (Bild 1). Als Ergebnis erhält man den Ertrag pro MW in GWh. So ergeben sich zum Beispiel für große Photovoltaikanalagen pro 1 MWp folgende Werte: •• 1.013 GWh für Templin in Brandenburg bei durchschnittlich 5 Sonnenstunden/ Tag = 5.060 GWh/ Tag •• 1.941 GWh für Haql am Roten Meer in Saudi-Arabien bei durchschnittlich 10,2 Sonnenstunden/ Tag = 19.800 GWh/ Tag Daraus folgt, dass man mit einem nahezu gleichen Aufwand an Technik in sonnenreichen Gebieten zum Teil fast den vierfachen Ertrag im Vergleich zu unseren Breiten erzielen kann. Am günstigsten sind Photovoltaikanlagen, die allerdings nur Strom produzieren, solange die Sonne scheint. Deshalb sind sie für die Wasserstoffproduktion eher weniger geeignet, da die Produktionszeit auf diesen Zeitraum beschränkt ist. Wirtschaftlich interessanter sind Solarwärmekraftwerke, zum Beispiel mit Parabolrinnen. Solche Anlagen sind derzeit bereits in Spanien, Saudi-Arabien und den USA in Betrieb. Sie haben den Vorteil, dass sie mit Wärmespeichern (z. B. Flüssigsalz) kombiniert werden können und so bis zu zehn Stunden nach Sonnenuntergang noch Strom liefern. Große Anlagenmodule liegen momentan in der Größenordnung von 150 bis 200 MW, werden aber zu noch größeren Anlagen zusammenfasst. Die Anlage Noor in Quarzazate/ Marokko zum Beispiel hat eine Leistung von 580 MW (0,58 GW) auf einer Fläche von 18,3 Quadratkilometer (Bild 2). Zudem verfügt sie über Salzspeicher mit einer Kapazität von bis zu sieben Stunden. Liegen diese Anlagen in erreichbarer Nähe von Flüssen, Seen oder dem Meer, dann sind auch die Voraussetzungen für die Produktion von E-Fuels gegeben. Globale Hotspots für Windenergie Nach einer Studie an der Stanford University 2005 könnte der Energiebedarf der Welt vollständig aus Windkraft gedeckt werden - theoretisch jedenfalls. Die Windgeschwindigkeiten wurden damals mit 80 m Nabenhöhe damals moderner 1,5-MW-Turbinen berechnet. Die Forscher erstellten mit ihren Daten eine „Weltkarte des Windes“, die bei der Standortwahl von Windkraftanlagen helfen soll. Die angegebenen Windstärken lassen sich auf den Energieverbrauch von heute übertragen, da moderne Anlagen inzwischen über eine Nabenhöhe zwischen 140 und 160 m verfügen und Leistungen von 8 bis 12 MW offshore und 6 bis 8 MW onshore aufweisen. Die Weltkarte in Bild 3 zeigt schwerpunktmäßig die Windgebiete mit besonders hohen Windgeschwindigkeiten. In Europa bläst der Wind vor allem im Bereich der Nordsee und ihrer Anrainer. In Afrika gibt es weniger ergiebige Windgebiete, am ehesten in der West-Sahara und in Marokko. Im Süden gibt es einzelne Spots in Südafrika und Mosambik sowie im Indischen Ozean auf La Réunion. In Nordamerika bieten sich zahllose Gebiete für eine wirtschaftliche Windnutzung an, ebenso in Mittelamerika. In Südamerika liegen die Starkwindregionen nur in Chile und in Feuerland. In Asien bieten sich die besten Chancen im Ost-Chinesischen und Japanischen Bild 1: Karte mit globalen Solarpotenzialen von Solargis Quelle: www.globalsolaratlas.info Bild 2: Centrale Solaire Thermodynamique Noor, Ouarzazate, Marokko Quelle: Wikipedia Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 97 Energieträger TECHNOLOGIE Meer. Australien verfügt über vier große Windgebiete an den Küsten im Norden und- Süden von Westaustralien sowie in Queensland, Südaustralien, Victoria und Tasmanien. Aufbau der Wasserstoffwirtschaft Eines ist klar: Die beschriebenen globalen Sonnen- und Windkraftwerke sollen in erster Linie dem Ersatz der für den weltweiten Primärenergieverbrauch eingesetzten fossilen Energie insgesamt dienen - also vor allem grünen Strom erzeugen (Bild 4). Wollte man beispielsweise nach einem gewissen Anlauf innerhalb von 15 Jahren die derzeitigen Anteile nur von Kohle- und Erdölprodukten incl. Umwandlungsverlusten für die Wasserstoffproduktion ersetzen, dann wären das im Mittel ca. 6.720 TWh pro Jahr. Angenommen, diese Menge würde zu jeweils 50 % von Solar- und Windenergie erzeugt, wären das 3.360 TWh/ a, was überschlägig einen Zubau von jährlich 1.400 GW Leistung sowohl für die Solarals auch die Windenergie erforderlich machen würde. Solarenergie: Nach einer Anlaufzeit müssten beispielsweise ab 2026 jährlich ca. 400 GW Solarthermie-Kraftwerke und fast 1.000 GW Photovoltaik-Anlagen installiert werden. Eine gigantische Aufgabe mit jährlichen Investitionen im Bereich von ca. 3-Bio. EUR pro Jahr. Windenergie: Hierfür müsste ab 2026 ein jährlicher Zubau von beispielsweise 200.000 Windkraftanlagen à fünf MW onshore und 40.000 Windkraftanlagen à 10 MW offshore erfolgen - per Saldo eine Investition von rund 1,1 Bio. EUR pro Jahr. Die Windkraft ist also investitionsseitig kostengünstiger, allerdings fehlen im Vergleich zur Solarthermie die Speicherkapazitäten und die Wartung ist in der Regel aufwendiger als bei den Solaranlagen. Für die Produktion von Wasserstoff heißt das, dass der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft mit den zukünftig erforderlichen Mengen nicht kurzfristig möglich sein wird, da zunächst die Stromerzeugung aus Sonne und Wind massiv ausgebaut werden muss. Das bedeutet, dass erst ab ca. 2026 erste größere Mengen an grünem Wasserstoff zur Verfügung stehen werden. In Europa ist deshalb in der Diskussion, zunächst in Projekten wie z. B. H2morrow der Unternehmen Equinor und Open Grid Europe (OGE) auf blauen Wasserstoff als Brückenoption zu setzen, der mit dem Prozess der autothermen Reformierung (ATR) aus Erdgas erzeugt wird. Das anfallende CO 2 soll abgeschieden und in 2.500 m Tiefe unter dem Meeresboden der Nordsee gespeichert werden. Norwegen, Niederlande, Belgien und UK treiben diese Brückentechnologie voran. Deutschland steht dem Projekt aufgrund der Bedenken verschiedener Organisationen skeptisch gegenüber. Fazit Es muss schnellstmöglich eine energetische Kopplung der Weltregionen und vor allem der wesentlichen Player aus der Wirtschaft und den Unternehmen erfolgen, die derzeit noch die fossilen Energien fördern und vermarkten, um eine Initialzündung herbeizuführen. Deutsche Unternehmen werden auf alle Fälle in großem Ausmaß über den Einsatz von technologischem Knowhow und den Anlagenbau bzw. auch den Betrieb von Anlagen von der Gesamtentwicklung profitieren können. Langfristig müssen wir uns aber auch im Klaren darüber sein, dass wir hierzulande auch nach der Disruption der fossilen Primärenergie in Zukunft nicht energieautark sein können. Wir werden auch erneuerbare Energie in Form von Strom, Wasserstoff oder auch E-Fuels importieren müssen. ■ 1 Details siehe https: / / web.stanford.edu/ group/ efmh/ winds/ global_winds.html Hans Sommer, Prof. Dr.-Ing. Vorsitzender des Aufsichtsrats, Drees & Sommer SE, Stuttgart hrsommer@dreso.com Bild 3: Weltweite Gebiete mit besonders großem Windanfall Quelle: Cristina Archer/ Mark Jacobson, Stanford University 2005 1 Bild 4: Weltweiter Primärenergieverbrauch (2019) nach Energieträgern: ca. 170 Terawattstunden (TWh) Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 98 TECHNOLOGIE Digitalisierung „Digitalisierung hat Verkehrsunternehmen ein Stück weit gerettet“ Foto: HanseCom Martin Timmann ist Geschäftsführer von Hanse- Com. Im Redaktionsinterview spricht er über die Vorzüge digitaler Services in Zeiten der Pandemie und erläutert, warum die Digitalisierung gekommen ist, um zu bleiben. Die Coronakrise hat der allgemeinen Digitalisierung einen enormen Schub verliehen. Hat diese Entwicklung auch den öffentlichen Nahverkehr erfasst? Definitiv ja. Insbesondere beim mobilen Ticketing und bei Abo- Self-Services erleben wir einen regelrechten Boom. Einige Verkehrsunternehmen haben hier bereits geplante Projekte beschleunigt, viele andere sind aus ihrem digitalen Dornröschenschlaf erwacht und haben Projekte gestartet. Lassen sich für diese Entwicklung nachvollziehbare Gründe ausmachen, wo doch die ÖV-Nutzung pandemiebedingt zurückgegangen ist? Im Kontext der Pandemie bedeutet Digitalisierung vor allem kontaktfreie und damit ansteckungsfreie Services. Wenn sich Fahrgäste ihre Tickets mit ihrem Smartphone kaufen können, vermeiden sie den persönlichen Kontakt mit Busfahrern und müssen auch keine Automaten anfassen; und wenn sie online Abos abschließen und ihre Kundendaten selbst verwalten können, müssen sie kein Service-Center aufsuchen. Digitalisierung hat vielen Verkehrsunternehmen enorm dabei geholfen, ihre Services pandemiegerecht bereitzustellen, und sie damit in der Krise ein Stück weit gerettet. Nicht zuletzt konnten Verkehrsunternehmen durch die Digitalisierung eigene Aufwände reduzieren und ihre Prozesse optimieren. Angesichts der neuen Herausforderungen und zusätzlichen Aufgaben durch Corona war das eine hochwillkommene Erleichterung. Nicht alle ÖV-Kunden sind wirklich Smartphone-affin, aber die gewohnten Service-Center können derzeit oft nicht oder nur eingeschränkt besucht werden. Was lässt sich für diese Menschen tun? Auch Menschen, die nicht Smartphone-affin sind, machen in der Regel Online-Banking oder kaufen im Internet ein. Für sie kann der ÖPNV sein Angebot auch über Webshops ausspielen. Entscheidend ist dabei aber eine einfache und intuitive Benutzerführung. Systeme wie Abo Online von HanseCom unterstützen die Kunden kontextsensitiv. Je nach Auswahl erhalten Nutzer nur die Eingabefelder angezeigt, die auch zu ihrer Auswahl passen. Im Gegensatz zu den Papierformularen der Service-Center denkt die Software für die Nutzer mit. Verkehrsunternehmen haben aber auch die Möglichkeit, ÖPNV-Fahrscheine als „Print@Home-Tickets“ anzubieten, die sich zuhause ausdrucken lassen - genauso, wie es die Menschen von Kino- oder Konzertkarten kennen. Einzelfahrscheine sind ja nicht die einzige Form, ein Ticket zu kaufen. Die Erfahrung zeigt, dass digitale Systeme auch angreifbar sein können. Wie lassen sich speziell Abos fälschungssicher integrieren? Hundertprozentig sichere Tickets gibt es grundsätzlich nicht. Auch Papiertickets oder Chipkarten können gefälscht werden. Bei digitalen Tickets lassen sich aber zahlreiche Sicherheitsvorkehrungen treffen, die eine Fälschung so gut wie unmöglich machen. Dazu zählen optische Sicherheitsfeatures wie ein Countdown, blinkende Logos, durch den Bildschirm flitzende Busse und Bahnen, ein im Rahmen bewegliches Ticket oder individuelle Kontrollgrafiken. Hinzu kommen technisch prüfbare Sicherheitsfeatures wie ein Sicherheitsbarcode oder die automatische Markierung abgelaufener Tickets als ungültig. Im speziellen Fall von Abos laufen die Tickets monatlich ab und werden vom System entsprechend der gültigen Laufzeit für den Folgemonat automatisch neu generiert. Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 99 Digitalisierung TECHNOLOGIE Infrastruktur und Einrichtung digitaler Services gibt es nicht umsonst. Welche Vorteile sehen Sie trotzdem für die Verkehrsunternehmen? Eine ganze Reihe. So profitieren Verkehrsunternehmen etwa in ihren internen Abläufen ganz erheblich von digitalen Services. Durch Abo-Self-Services etwa können sie ihre Prozesse optimieren und die Mitarbeiter in den Service-Centern von Routinetätigkeiten entlasten. Das gibt den Mitarbeitern vor Ort die Möglichkeit, sich verstärkt auf ihre Kernaufgaben zu konzentrieren, nämlich die Kundenberatung. Daneben gibt es weitere handfeste Vorteile. So entfällt beim mobilen Ticketing etwa das teure Cash-Handling durch den Fahrkartenverkauf in Bus und Bahn und an Automaten. Und es kommt nicht zu Verzögerungen im Betriebsablauf wegen eines Ticketverkaufs durch die Fahrer. Wartungs- und Reparaturservices an Fahrkartenautomaten werden hinfällig. Und was die erforderlichen Investitionen angeht: Der Markt bietet hier ausgesprochen faire Betriebsmodelle. Die überregionale Ticketing-Plattform HandyTicket Deutschland etwa basiert auf einem Pay-per-Use-Ansatz. Einführung und Onboarding sind kostenfrei. Betrieb, Hosting, Wartung, Weiterentwicklung und Pflege werden über das provisionsbasierte Preismodell finanziert. Verkehrsunternehmen müssen nur so viel bezahlen, wie in ihren Regionen auch tatsächlich gefahren wird. Zwar nicht flächendeckend auf dem Land, doch an praktisch allen wichtigen Haltestellen stehen Fahrkartenautomaten - daran haben sich auch ältere Kunden zwischenzeitlich gewöhnt. Sehen Sie den fest installierten Automaten mittelfristig als „Auslaufmodell“? Ich gehe davon aus, dass die Anzahl der Automaten in Zukunft drastisch reduziert wird. Sie sind teuer in der Anschaffung, in der Wartung und im Betrieb. Zudem entstehen den Verkehrsunternehmen durch Vandalismus hohe Kosten. Die Digitalisierung schreitet immer weiter voran und mit ihren Smartphones haben die Fahrgäste technische Devices immer dabei, die weit mehr können als ein Fahrkartenautomat. Zumindest langfristig wird das die Automaten obsolet machen. Einige Verkehrsunternehmen sind diesen Schritt aber heute schon gegangen und haben sie komplett abgeschafft. Womöglich wären diese Installationen auch nach der „heißen Phase“ der Pandemie sinnvoll, sofern sie sich einfach genug bedienen lassen - also möglichst ein Ticketkauf mit einem Klick. Was kann da aus Ihrer Sicht noch kommen? Digitale Services sind definitiv auch für die Zeit nach der Pandemie sinnvoll. Zum einen haben viele Fahrgäste während der Krise die Erfahrung gemacht, dass sie mit mobilem Ticketing und Abo-Self- Services schnell und einfach an ihr Ziel kommen. Sie werden sich nach der Pandemie sicher nicht wieder Fahrscheine beim Busfahrer kaufen, Automaten bedienen oder sich im Service-Center in die Warteschlange stellen. Darüber hinaus erwarten heute immer mehr Fahrgäste ganz generell digitale Services, weil sie es aus anderen Lebensbereichen längst gewöhnt sind, ihren Alltag digital zu organisieren. Durch Digitalisierung können Verkehrsunternehmen diese steigenden Erwartungen erfüllen und sich als moderne und zukunftsfähige Mobilitätsanbieter präsentieren. Welche Voraussetzungen müssen dafür gegeben sein? Eine ganz entscheidende Rolle spielen dabei Mobilitätsplattformen, also digitale Lösungen, die unterschiedliche Mobilitätsservices über einen zentralen Zugang - in der Regel eine Mobilitäts- App - miteinander verknüpfen. Mobiles Ticketing, wie zum Beispiel mit der individuell ausbaubaren Ticketing-Plattform HandyTicket Deutschland, bietet dafür die ideale Basis. Verkehrsunternehmen können damit zunächst ihre eigenen Verkehrsmittel anbieten und das Angebot dann Schritt für Schritt um neue Mobilitätsformen wie Leihfahrräder, Elektro-Scooter oder Carsharing sowie ergänzende Services wie Parktickets, Strom tanken oder Freizeittickets erweitern. Fahrgäste haben dann die Möglichkeit, alle diese Angebote individuell miteinander zu kombinieren und in einem Rutsch zu buchen und zu bezahlen. Indem Verkehrsunternehmen alle diese Service aus einer Hand anbieten, wandeln sie sich zum kunden- und serviceorientierten Dienstleister; vom Anbieter von Bus- und Bahnverkehr zum Orchestrator der neuen Mobilität. Damit können sie verhindern, dass sie von den vielen neuen Mobilitätsplayern zum bloßen Anbieter von Infrastruktur degradiert werden und stattdessen die Mobilität der Zukunft in ihrer Region aktiv mitgestalten. ■ Foto: iStock.com/ AaronAmat; 123rf.com/ Leung Cho Pan (HG) Trialog Publishers Verlagsgesellschaft | Schliffkopfstraße 22 | D-72270 Baiersbronn Tel.: +49 7449 91386.36 | Fax: +49 7449 91386.37 | office@trialog.de | www.trialog-publishers.de Redaktionsleitung: Tel.: +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de redaktion@internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 100 TECHNOLOGIE Standpunkt Die Revolution im Tank Synthetische Kraftstoffe für die Mobilitäts- und Energiewende Alle Abbildungen: Wärtsilä Corporation Die Mobilitätswende braucht mehr als E-Autos. Sie ist Teil der gesamten Energiewende und kann nur gelingen, wenn sich der gesamte Sektor bewegt - also auch der Flug-, Schienen-, Schwerlast- und Schiffsverkehr CO 2 -neutral unterwegs ist. Hier rücken vor allem Wasserstoff und wasserstoffbasierte Kraftstoffe in den Fokus, die auch beim finnischen Technologieanbieter Wärtsilä intensiv erforscht und für ihren Einsatz in den Bereichen Schifffahrt und Energieversorgung getestet werden. Ein Beitrag von Ville Rimali, Director Growth & Development bei Wärtsilä, über die Kraftstoffe der Zukunft, Technologieoffenheit und -flexibilität und eine holistische Vision auf dem Weg in eine CO 2 neutrale Zukunft. F ür mich steht fest: Die Mobilitätswende braucht mehr als elektrifizierte Autos - weit mehr. Denn auch Lastverkehr, Schifffahrt, Luftfahrt und Schiene belasten mit ihren Emissionen das Klima. Der Schwerlastverkehr etwa ist heutzutage für knapp ein Viertel der verkehrsbedingten Emissionen verantwortlich. Betrachtet man den Mobilitätssektor als Ganzes, kommt der E-Antrieb bei Leistung und Reichweite rasch an seine Grenzen. Zusätzliche Lösungen müssen her. Es wird daher intensiv an den Kraftstoffen der Zukunft geforscht - für die Schifffahrt und den Energiesektor. Gemeinsam mit der E-Mobilität können diese den Weg zur CO 2 -Neutralität für den gesamten Mobilitätssektor ebnen und die Energiewende als Ganzes vorantreiben. Flüssigerdgas (LNG) und flüssige Biokraftstoffe auf Basis von nachhaltiger Biomasse und Abfällen stehen heute schon als Alternativen zur Verfügung. Sie sind ein Zwischenschritt auf dem Weg zu sauberen Brennstoffen. Denn aus Biomasse gewonnene Treibstoffe haben ein großes Potenzial als kohlenstoffneutrale Energieträger. Wärtsilä experimentiert seit den 1990er Jahren kontinuierlich mit vielen verschiedenen Biokraftstoffen, um die Effizienz und Kraftstoffflexibilität weiter zu verbessern. Aktuell rückt jedoch hinsichtlich der gesamten Energie- und Mobilitätswende ein anderer sauberer Hoffnungsträger in den Fokus: grüner Wasserstoff. Grünes Traumpaar: Wasserstoff und erneuerbare Energie Um die Bedeutung von Wasserstoff weiß auch die deutsche Politik, die jüngst die Nationale Wasserstoffstrategie verabschiedet hat. Sie soll den Rahmen für Erzeugung, Transport, Nutzung und Weiterverwendung von Wasserstoff setzen sowie Innovationen und Investitionen fördern. Das volle Potenzial für den Klimaschutz entfalten Wasserstoff und wasserstoffbasierte Kraftstoffe allerdings nur dann, wenn für die Herstellung grüner Strom genutzt wird. Dann kann Wasserstoff nachhaltig produziert, weiterverarbeitet und verwendet werden. Dafür bietet sich überschüssiger Strom aus Solar- und Windenergie an: Er wird genutzt, um Wasser mittels Elektrolyse- Verfahren in Sauerstoff und Wasserstoff aufzuspalten. Hier kommt Power-to-X ins Spiel - der Sammelbegriff für Verfahren, die Strom in einen Energieträger verwandeln. Sie sind imstande, in Zeiten eines Überangebots an erneuerbarer Energie Stromüberschüsse zu speichern und sie etwa zum Einsatz in der Mobilität in strombasierte Kraftstoffe umzuwandeln - Power-to-Fuel. In meinen Augen ist diese Technologie eine der Schlüsselkomponenten für eine erfolgreiche Dekarbonisierung. Die Tatsache, dass Wasserstoff extrem vielfältig nutzbar ist, macht ihn gemeinsam mit erneuerbaren Energien zum Traumpaar der Energiewende. Schließlich kann er direkt als grüner Kraftstoff verwendet, mit Erdgas gemischt oder zu synthetischem Methan, Methanol, Diesel oder Ammoniak verarbeitet werden. Alle diese Varianten haben ihre Vor- und Nachteile und eignen sich daher jeweils für unterschiedliche Anwendungsbereiche. Auch wenn Wasserstoff nicht die alleinige Lösung der Energiewende ist, spielt er doch bei der Entwicklung zukünftiger Kraftstoffe eine wichtige Rolle. Davon bin ich überzeugt. Mit Ammoniak und Methanol auf hoher See Im Bereich der Schifffahrt forschen wir daher intensiv an synthetischen Kraftstoffen auf Wasserstoffbasis wie Methanol und Ammoniak. So sticht die Fähre „Stena Germanica“ seit mehr als fünf Jahren mit Methanol in See - der Beweis, dass der Energieträger erfolgreich als Schiffskraftstoff eingesetzt werden kann. Taugt das Modell als Blaupause für die gesamte Schifffahrt? Von der Suche nach Einheitslösungen möchte ich abraten. Denkbar ist für mich vielmehr ein Antriebsmix. Im maritimen Bereich etwa könnten Schiffe, die wie Fähren nur kurze Strecken zurücklegen, elektrisch betrieben werden, da sie in jedem Hafen wieder Strom tanken können. Für mittlere Strecken bieten sich Hybride an, die in Hafennähe rein elektrisch und auf See mit Verbrennungsmotor und nachhaltigen Kraftstoffen operieren. Für Fernstrecken kämen dann reine Verbrenner mit flüssigen grünen Kraftstoffen infrage. Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 101 Standpunkt TECHNOLOGIE Wir können allerdings nicht voraussagen, welche dieser „Future Fuels“ sich in der Schifffahrt sowie im Verkehrssektor insgesamt durchsetzen werden. Sicher ist nur: Wasserstoff wird ein wichtiger Grundbaustein sein. Wärtsilä arbeitet zwar auch an reinen Wasserstoffmotoren, doch Wasserstoff ist komplex in der Handhabung, muss verflüssigt und bei extrem niedrigen Temperaturen gelagert werden. Ammoniak kann dagegen einfacher in Gasflaschen und bei Umgebungstemperatur aufbewahrt werden, dafür stellt seine Toxizität eine Herausforderung dar. Aktuell führen wir deshalb auch erste Verbrennungsversuche mit Ammoniak durch, um dessen Eigenschaften besser zu verstehen. Danach sollen Tests an Dual-Fuelsowie an funkengezündeten Gasmotoren folgen. Ab 2022 sind Feldtests in Zusammenarbeit mit Schiffseignern und in Zukunft möglicherweise auch mit Energiekunden geplant. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, denn die globale Schifffahrt allein verursacht aktuell drei Prozent der globalen Treibhausgasemissionen. Die Branche muss also schnellstmöglich reagieren. Ihre Transformation wird auch durch die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) vorangetrieben, die sich im April 2018 verpflichtet hat, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 Prozent und die gesamten jährlichen Treibhausgasemissionen auf Flottenebene bis 2050 um mindestens 50 Prozent gegenüber 2008 zu reduzieren. Kraftstoffflexibilität als Erfolgsfaktor Um die Branche fit für eine dekarbonisierte Zukunft zu machen, setzt Wärtsilä auf das Konzept der Fuel Flexibility. Denn wir glauben nicht an einen einzelnen Wunderkraftstoff, der die Erlösung bringt. Daher legen wir uns auch nicht fest, welcher Brennstoff die Zukunft bestimmen wird. Wir sind für alle Technologien offen und gestalten unsere Motoren so, dass sie mit unterschiedlichen Treibstoffen betrieben werden können. Schließlich sind gerade Schiffsmotoren auf lange Laufzeiten ausgelegt und niemand kann mit Sicherheit vorhersagen, welche Future Fuels sich wann durchsetzen werden - umso wichtiger ist Kraftstoffflexibilität. Diese liegt in unserer DNA, wir entwickeln seit den 1980er Jahren duale Verbrennungsmotoren. Schon heute können so beispielsweise Gasmotoren mit einem Gemisch aus Erdgas und bis zu 25 Prozent Wasserstoff betrieben werden. Änderung des gesamten Energiesystems Wenn nun in naher Zukunft Wasserstoff, Ammoniak und weitere auf Wasserstoff basierende und aus überschüssiger Energie gewonnene Treibstoffe im Einsatz sein werden - was bedeutet das für unser Energie- und Verkehrssystem? Nun, die ganze Energie-Infrastruktur muss sich ändern. Das bestehende System ist noch gänzlich auf fossile Energieträger ausgelegt und wenig flexibel. Erneuerbare Energien erfordern allerdings mehr Flexibilität, da sie nicht immer in gleichem Umfang verfügbar sind. Doch auch dafür gibt es technische Lösungen. Durch innovative Technologien wie Power-to-X, aber auch den Einsatz von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen kann die Energieversorgung flexibler und dezentralisierter werden. Entscheidend ist dabei: Mittels Forschung und Entwicklung den jeweils passenden synthetischen Treibstoff zur richtigen Zeit und für die jeweilige Branche zu finden - im Mix der Möglichkeiten und dem integrierten Denken liegt für mich das große Potenzial. Als Pioniere in den Bereichen Forschung und Entwicklung untersuchen wir bei Wärtsilä in einem eigenen Kraftstofflabor eine breite Palette von Treibstoffen. Bis der Übergang von fossilen Treibstoffen zu ihren grünen Alternativen abgeschlossen sein wird, braucht es jedoch Zeit und trotzdem schon heute entschlossenes Handeln - auch und gerade von der Politik. Die Weiterentwicklung der Effizienz und Flexibilität von Gasverbrennungsmotoren, die auch künftig wichtig bleiben, und der Ausbau von elektrischen Antrieben sollte beschleunigt werden. Je größer das gesellschaftliche Bewusstsein eines Landes für die Potenziale dieser Entwicklungsbereiche ist, desto leichter wird es fallen, die Energiewende zügig und effizient zu bewältigen. Pioniere sind gefragt Allerdings bremst ein wichtiger Punkt diese Entwicklungen: Synthetische Kraftstoffe sind derzeit noch drei bis fünf Mal teurer als ihre fossilen Alternativen. Die ökonomische Machbarkeit ist jedoch entscheidend - deswegen braucht der Übergang zu nachhaltigen Treibstoffen passende Anreize. Neben regulativen Vorgaben und gesellschaftlichem Druck müssen wir auch an anderen Stellschrauben drehen. Bei höheren Treibstoffpreisen wird es also noch wichtiger, möglichst wenig der kostbaren Ressourcen zu verbrauchen, ergo: die Effizienz von Motoren steigern und die Routenplanung optimieren. Mindestens ebenso wichtig aber sind für mich Unternehmen, die sich an die Spitze der Entwicklung stellen. Wir brauchen Pioniere, die vorangehen und Vorbild sind für andere. Dieser Mut wird sich für sie auszahlen, denn ich bin überzeugt: In Zukunft werden gerade die Unternehmen erfolgreich sein, die smart und nachhaltig agieren. ■ Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 102 FORUM Veranstaltungen Autonomes Fahren Rückblick: Online-Tagung der Forschungsstelle für Verkehrsmarktrecht und des Collegium Europaeum Jenense am 22. April 2021 D ie Digitalisierung ist neben dem Klimawandel eines der großen Themen dieser Zeit. Bei der Entwicklung autonom fahrender Fahrzeuge könnten die vom Klimaschutzgedanken getragene Energie- und Verkehrswende sowie die durch neue technische Entwicklungen vorangetriebene Digitalisierung zusammenlaufen. Gleichzeitig bieten (technische) Neuerungen stets Potentiale, bergen jedoch auch Risiken und halten Herausforderungen für alle Akteure auf verschiedenen Ebenen bereit. Um die aktuellen Entwicklungen aufzuarbeiten und interdisziplinär sowohl aus wissenschaftlicher als auch praktischer Perspektive einzuordnen, luden die Forschungsstelle für Verkehrsmarktrecht und das Collegium Europaeum Jenense an der Friedrich-Schiller- Universität Jena am 22. April 2021 zur Online-Tagung „Autonomes Fahren“ ein. Die Vielgestaltigkeit des Tagungsthemas ebenso wie seine Aktualität spiegelten sich sowohl im Tagungsprogramm als auch in dem breiten Interesse wider, auf das die Tagung stieß. So begrüßten die Veranstalter Prof. Dr. Matthias Knauff, LL.M. Eur. (Forschungsstelle für Verkehrsmarktrecht, Friedrich- Schiller-Universität Jena) und Prof. Dr. Martin Herrmann (Collegium Europaeum Jenense, Friedrich-Schiller-Universität Jena) ein ebenso interdisziplinär wie international aufgestelltes Publikum mit zahlreichen Vertretern aus Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft 1 . Dieses wurde zunächst durch Prof. Dr.- Ing. Carsten Markgraf (Hochschule Augsburg) mit dem aktuellen Stand der technischen Entwicklung in Bezug auf das autonome Fahren vertraut gemacht. Ausgehend von der Erläuterung der Funktionsweise des autonomen Fahrens in technischer Hinsicht erfolgte eine Betrachtung der diese praktisch umsetzenden, auf dem Markt verfügbaren Hard- und Software unter besonderer Betonung der unterschiedlichen technischen Ansätze verschiedener Anbieter. Abschließend wies der Referent auf die Chancen und Risiken hin, die das autonome Fahren bietet. Dass diese miteinander abgewogen werden müssten, um die im Zusammenhang mit dem autonomen Fahren auftretenden ethischen Fragen zu beantworten, führte anschließend, gleichsam an die Überlegungen seines Vorredners anknüpfend Prof. Dr. mult. Nikolaus Knoepffler (Friedrich-Schiller-Universität Jena) aus. So seien ethische Fragen stets solche einer Güterabwägung. Gleichzeitig zeigte er die Ambivalenz der mit dem autonomen Fahren verbundenen Chancen auf. Plastisch veranschaulichte der Referent das Prinzip der Güterabwägung anhand zwei zentraler ethischer Problemfragen im Kontext des autonomen Fahrens, dem Privatsphären-Problem sowie dem Trolley-Problem. Als Lösungsvorschlag für die ethischen Probleme hielt er fest, dass trotz eines Überwiegens der Chancen die Entscheidung über die Nutzung autonom fahrender Fahrzeuge von jedem Menschen individuell getroffen werden können sollte. Abermals einen Perspektivwechsel einleitend, berichtete Ministerialdirigent Andreas Krüger (Leiter der Unterabteilung DG 2, Mobilität 4.0, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Berlin) im Anschluss von den politischen Entwicklungen. Eine Evaluierung der 2017 eingefügten Regelungen der §§ 1b, 1c StVG habe ergeben, dass derzeit noch keine automatisierten Fahrzeuge i. S. d. § 1c StVG zugelassen und auch noch keine entsprechenden Typengenehmigungen beantragt seien. Dies verdeutliche, dass der rechtliche Rahmen den tatsächlichen technischen Entwicklungen voraus sei. Dennoch werden gemäß dem Auftrag im Koalitionsvertrag aktuell ein weitergehender Gesetzentwurf im Bundestag beraten sowie eine korrespondierende Durchführungsverordnung abgestimmt. Damit soll ein Rechtsrahmen geschaffen werden, um fahrerlose Kraftfahrzeuge (Automatisierungsgrad der Stufe 4 und 5) in festgelegten Betriebsbereichen im öffentlichen Straßenverkehr nach Durchlaufen eines dreistufigen Genehmigungsverfahrens im Regelbetrieb fahren zu lassen und somit der Schritt vom automatisierten zum autonomen Fahren gewagt werden. Die Anwendungsbereiche würden vom Gesetzgeber bewusst offengelassen. Eine technische Aufsicht überwache den Verkehr mit den autonomen Fahrzeugen insofern, als diese Kontakt aufnähmen, wenn sie eine Situation im Straßenverkehr nicht meistern könnten. Zudem werde der Einsatz von Dual-Mode-Fahrzeugen, wie z. B. Automated Valet Parking (AVP), ebenfalls geregelt, tele-operiertes Fahren hingegen nicht. Zukünftig müssten neben einer Anpassung des rechtlichen Rahmens in der nächsten Legislaturperiode, insbesondere des Straßenverkehrsrechts, das in einer Vielzahl von Regelungen den Fahrer eines Fahrzeugs adressiere und damit fahrerloses Fahren außen vor lasse, vor allem die Themen Datenaustausch und Ausbau der Infrastruktur in den Fokus rücken. Die bei der Ausgestaltung des Rechtsrahmens für das autonome Fahren zu beachtenden verfassungsrechtlichen Vorgaben in den Blick nehmend, stellte Prof. Dr. Michael Brenner (Friedrich-Schiller-Universität Jena) zunächst die Frage, ob die staatliche Schutzpflicht für das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Bürger eine Pflicht nach sich ziehe, nur noch autonome Fahrzeuge zuzulassen. Unter der Voraussetzung, dass sämtliche technische Systeme fehlerfrei funktionieren und vollumfänglich gegen Hackerangriffe von außen geschützt seien, was nach dem aktuellen Stand der Technik nicht der Fall sei, sei es dem Staat zwar nicht verwehrt, nur noch autonom fahrende Fahrzeuge zuzulassen, eine entsprechende Pflicht bestehe aber nicht. Anschließend warf der Referent die Frage auf, ob eine solche gesetzliche Regelung, nach der nur noch autonom fahrende Fahrzeuge in den Verkehr gebracht werden dürften, Grundrechte verletzen würde, und verneinte dies für den Fall, dass vorhandene Fahrzeuge von den Verkehrsteilnehmern weiter genutzt werden dürften. Schließlich beleuchtete er den Umgang mit Dilemma-Situationen, d. h. Situationen, in denen ein Unfall nicht mehr zu verhindern ist und das Fahrprogramm sich zwischen verschiedenen Schadensszenarien entscheiden muss, vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben. In derartigen Situationen käme es stets zu Grundrechtskollisionen; die kollidierenden Grundrechte seien im Wege der praktischen Konkordanz abzuwägen. Zu berücksichtigen sei freilich, dass das Leben als vom Grundgesetz absolut geschütztes Gut einer Abwägung nicht zugänglich sei. Nichtsdestotrotz wird man nach Ansicht des Referenten nicht umhinkommen, auch für die Situation, in denen das Programm zwischen der Tötung verschiedener Personen entscheiden muss, eine Lösung finden zu müssen, denn sonst könnten Fahrzeuge der Automatisierungsstufe 5 nicht zum Einsatz kom- Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 103 Veranstaltungen FORUM Foto: Arek Socha pixabay men. Dafür schlägt er drei Lösungsmöglichkeiten vor: 1. Es erfolgt eine Programmierung des Fahrzeugs im Sinne der Reduzierung der Opferzahl jedenfalls dann, wenn mögliche Opfer in ihrem Rechtsgut Leben gleichermaßen konkret gefährdet wären (Dies bedeutet im Klartext aber eine Abwägung von Leben mit Leben, die der Referent für vertretbar hält, weil die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz nicht mit dem Straßenverkehr vergleichbar sei). 2. Die Tötung einer oder mehrerer Personen, die sich grob fahrlässig oder gar vorsätzlich regelwidrig verhalten haben, wird priorisiert. 3. Der Nutzer stimmt der Aufopferung zu, sodass sich das Fahrzeug für den Schutz anderer Menschenleben entscheidet. Den Fokus auf das einfache Recht lenkend, behandelte der folgende Vortrag von Prof. Dr. Paul Schrader (Universität Bielefeld) die haftungsrechtlichen Probleme des autonomen Fahrens. Mit der zunehmenden Automatisierung des Fahrvorgangs im Sinne einer Verschiebung der individuellen Fahrentscheidung hin zu einer typisierten Entscheidung des Herstellers bei der Programmierung des autonom fahrenden Fahrzeugs gehe die Verlagerung der Verantwortlichkeit für den Fahrvorgang vom Fahrer des Fahrzeugs auf den Hersteller einher. Der Gesetzgeber habe durch die Einführung der §§ 1b, 1c StVG im Jahr 2017 jedoch deutlich gemacht, dass er an dem bisherigen Haftungsmodell festhalten will; haften soll die Person, die das Fahrprogramm aktiviert hat. §§ 1b, 1c StVG beträfen indes lediglich eine Stufe unterhalb der Automatisierung des Fahrens. Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und des Pflichtversicherungsgesetzes - Gesetz zum autonomen Fahren 2 , der zuvor vom Referenten A. Krüger vorgestellt wurde, könne jedoch eine neue Aufteilung der Verantwortlichkeit für Fahrvorgänge mit autonom fahrenden Fahrzeugen der Stufe 4 bewirken. Als weiterer Akteur trete die technische Aufsicht hinzu. Daran, dass die Risiken der Fahrzeugautomatisierung nicht von den Herstellern getragen werden, sondern von der Halterhaftung erfasst seien, ändere aber auch der Gesetzentwurf nichts. Dies sei misslich, weil der Hersteller eine erhebliche Kontrolle auf die Fahrzeugsteuerung ausübe. Ob die Pflichtversicherung beim Hersteller Rückgriff nehmen könne, sei davon abhängig, wie § 1f Abs. 3 StVG n.F. produkthaftungsrechtlich eingeordnet werde. Darüber hinaus seien die Auswirkungen der auf EU-Ebene geplanten KI- Verordnung 3 für das Haftungssystem noch nicht abschließend absehbar und die Integration in das überkommene deutsche Haftungssystem nicht ohne weiteres möglich. Im Anschluss zeigte Emanuele Leonetti (Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (VDV), Köln) die Visionen, Potentiale und den Regulierungsbedarf für die öffentliche Mobilität der Zukunft aus Sicht der Verkehrsunternehmen auf. Dabei kennzeichnete er den öffentlichen Verkehr als Integrator automatisierter und vernetzter Verkehrsangebote. Dies ermögliche der bestehende Rechtsrahmen nur unzureichend. So sähen sich aktuell laufende automatisierte und autonome Test- und Pilotprojekte im ÖPNV im Rahmen von Einzelbetriebserlaubnissen nach § 21 StVZO für Fahrzeuge mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit unter 25 km/ h Herausforderungen wie der langsamen Reisegeschwindigkeit von 12 km/ h, langwierigen Genehmigungsverfahren sowie dem Erfordernis eines Operators an Bord bei bestehendem Personalmangel gegenüber. Der Referent beklagte außerdem die fehlende Möglichkeit zur On-Demand-Bedienung. Gefordert werde daher die Schaffung eines Rechtsrahmens für den fahrerlosen ÖV-Betrieb von Fahrzeugen auf einer spezifischen Linie oder in einem spezifischen Bedienungsgebiet. Insofern werde der vom Referenten A. Krüger vorgestellte aktuelle Gesetzentwurf seitens des Verbandes grundsätzlich begrüßt. Gleichzeitig würden aber die spezifischen betrieblichen und halterbezogenen Anforderungen als Herausforderung für den ÖPNV erkannt und kritisiert. Der Gesetzentwurf sei nicht spezifisch auf den ÖPNV als Anwendungsfall zugeschnitten, werde dort aufgrund der örtlichen Begrenzung des Einsatzes autonom fahrender Fahrzeuge praktisch aber zuerst zum Einsatz kommen. Befürchtet wird von Seiten des Verbandes zudem die fehlende technische Umsetzungsbereitschaft bei den Herstellern sowie eine mögliche Rechtszersplitterung der Genehmigungspraxis in Anbetracht der Zuständigkeit der Länder für die Erteilung von Betriebsbereichsgenehmigungen. ■ 1 Dokumentiert sind die Tagungsbeiträge in dem demnächst in der Schriftenreihe zum Verkehrsmarktrecht im Nomos-Verlag erscheinenden Tagungsband. 2 BT-Drs. 19/ 27439. 3 vgl. Entwurf einer Entschließung des Europäischen Parlaments mit Empfehlungen an die Kommission für eine Regelung der zivilrechtlichen Haftung beim Einsatz künstlicher Intelligenz (2020/ 2014(INL)) vom 05.10.2020 (Dok.: A9-0178/ 2020). Janine Delcuvé Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Friedrich-Schiller-Universität Jena Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 104 FORUM Veranstaltungen Ganz im Zeichen der Mobilität Vorschau: Von 15. bis 17. November treffen sich Wirtschaft, Wissenschaft und Politik in Frankfurt am Main zum großen Event der Mobilitätsbranche D rei Tage lang dreht sich im Herzen Deutschlands alles um Mobilität. Der Standort Frankfurt am Main ist dabei nahezu perfekt. Befinden sich doch hier an zentraler Stelle die größten und wichtigsten deutschen Verkehrsknoten. Am 16. und 17. November 2021 lädt der Deutsche Mobilitätskongress - bereits zum siebten Mal - zum Diskutieren ein und beleuchtet in diesem Jahr die Umsetzung sowie die Finanzierung der Verkehrswende. Am Kongressvorabend, dem 15. November 2021, wird in der Frankfurter Paulskirche erstmals der „Innovationspreis der deutschen Mobilitätswirtschaft“ verliehen. Deutscher Mobilitätskongress 2021 Gelingt die Verkehrswende? - Finanzierung und innovative Lösungen für die Mobilität Die Corona-Pandemie hat im vergangenen Jahr alle wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Themen überlagert. Doch Klima- und Umweltschutz - die prägenden Themen unserer Zeit - müssen konsequent weiterverfolgt werden. Untrennbar damit verbunden ist die Verkehrswende, bei der insbesondere den umweltfreundlichen Verkehrsmitteln (auf Schiene und ÖPNV) eine immense Bedeutung zukommt. Doch wie kann die Verkehrswende gelingen? Durch die Pandemie und damit einhergehend das Runterfahren von Wirtschaft und Gesellschaft sind finanzielle Mittel in enormem Höhen gebunden worden. Wie geht es hier weiter? Sind ausreichend Mittel zur Förderung des Umstiegs auf eine umweltfreundliche Mobilität vorhanden? Und das müssen wesentlich mehr sein als in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten. Neben der Finanzierung werden vor allem Innovationen bei allen Verkehrsträgern und Mobilitätsbereichen die Wende vorantreiben. Denn wir benötigen einen ausgewogenen Modal Split, um alle Mobilitätsbedürfnisse zu befriedigen - sei es im Nahbereich, in der Region oder im deutschland- und weltweiten Verkehr. Die Globalisierung wird weiter zunehmen und mit ihr auch die arbeitsteilige Wirtschaft sowie der Welthandel. Expertinnen und Experten beschäftigen sich dazu mit konkreten Fragestellungen in verschiedenen Themensessions: •• Was treibt uns künftig an? Wasserstoff, Strom oder doch eher Biokraftstoffe? •• Einfach, digital, vernetzt und individuell. Sieht so die neue Mobilität aus? •• Quo vadis Luftverkehrsstandort Deutschland - im Spannungsfeld zwischen Mega- Airports, Klimawandel und Corona-Krise •• Antwerpen, Rotterdam, Amsterdam - Deutschlands neue Tore zur Welt? •• 2021 - Europäisches Jahr der Schiene - mehr als nur Marketing! ? Mobilität ist ein Grundbedürfnis der Menschen, auch hinsichtlich Freizeit und Tourismus. Doch wie werden sie sich verhalten? Beginnt die Verkehrswende nicht schon in den Köpfen? Eine Session des Kongresses widmet sich diesem Thema: •• Ist Reisen noch zeitgemäß? Wie verbringen wir die schönsten Wochen im Jahr im Zeichen des Klimawandels? “ Der Deutsche Mobilitätskongress ist zwar ein deutschlandweiter übergreifender Kongress, doch auch regionale Fragestellungen werden diskutiert. Anknüpfend an die während des 2019er-Kongresses viel beachtete Podiumsdiskussion zur Schieneninfrastruktur und zum geplanten Fernbahntunnel wird dieses Thema erneut aufgegriffen. Wie ist der Status Quo zwei Jahre später? Welche Ergebnisse hat ein aktuelles Gutachten erbracht? Wie geht es weiter? Diese und weitere spannende Fragen diskutieren Teilnehmende aus Wissenschaft unterschiedlicher Fachrichtungen, Politik und Praxis auf dem 7. Deutschen Mobilitätskongress am 16. und 17. November 2021 im Kap Europa in Frankfurt am Main. Veranstaltet wird der Kongress von der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft e.V. (DVWG) in Kooperation mit dem Rhein- Main-Verkehrsverbund (RMV). www.deutscher-mobilitaetskongress.de Innovationspreis der deutschen Mobilitätswirtschaft 2021 Gelungene Mobilitätslösungen „Made in Germany“ Das Ansehen der Mobilitätswirtschaft ist in den vergangenen Jahren stark durch einzelne Negativbeispiele geprägt worden, zum Beispiel durch den Bau des Berliner Flughafens, die PKW-Maut, den Tunnel Raststatt, den Diesel-Skandal, marode Brücken und überlastete Infrastrukturen. Diese selektive öffentliche Wahrnehmung entspricht aber nicht der Leistungsfähigkeit und Kompetenz der deutschen Mobilitätswirtschaft. Der neu initiierte „Innovationspreis der deutschen Mobilitätswirtschaft“ lenkt den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung wieder auf die vielen positiven Entwicklungen und Leistungen der deutschen Mobilitäts-/ Verkehrswirtschaft sowie die Ingenieurskunst in diesen Bereichen. Der „Innovationspreis der deutschen Mobilitätswirtschaft“ wird erstmals am 15. November 2021 in der Paulskirche Frankfurt am Main verliehen und bildet damit den festlichen Auftakt zum Deutschen Mobilitätskongress, der an den zwei darauffolgenden Tagen stattfindet. Beide Veranstaltungen werden von der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft e. V. (DVWG) in Kooperation mit dem Rhein- Main-Verkehrsverbund (RMV) durchgeführt. Foto: DVWG Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 105 Veranstaltungen FORUM DIE MITGLIEDER DER JURY Die Schirmherrschaft für den Innovationspreis hat der Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur übernommen. „Innovationen machen Mobilität klimafreundlich, smart und bequem. Unzählige Tüftler, Ingenieure und Macher schmieden täglich neue Ideen und schieben innovative Projekte an. Mit dem Innovationspreis rücken sie ins Scheinwerferlicht und erhalten die verdiente Anerkennung. Zugleich ist der Preis Motivation für andere Akteure, noch stärker auf Innovationen und Fortschritt zu setzen. Es lohnt sich.“ Andreas Scheuer, MdB, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur In diesem ersten Jahr wird der Innovationspreis in drei Kategorien verliehen: •• Neue und innovative Produkte oder Projekte, die die Mobilitätswirtschaft entscheidend vorantreiben und bereits am Markt erfolgreich sind. •• Herausragende Persönlichkeit, welche mit hohem persönlichem und fachlichem Engagement für den Fortschritt im Mobilitätsbereich prägend ist/ war und mit ihren Leistungen wichtige Impulse gesetzt hat. •• Sonderpreis für herausragende Leistungen im Mobilitäts-/ Verkehrssektor während der Corona-Pandemie. Eine aktive Bewerbung für den Preis war über die Website www.innovationspreismobilitaet.de möglich. Die hochkarätige Jury aus Wissenschaft und Verkehrsverbänden ermittelt aus den zahlreichen Bewerbungen die Preisträger. Ausgewählte Statements zum „Innovationspreis der deutschen Mobilitätswirtschaft“ „Ein Preis für Innovationen der deutschen Mobilitätswirtschaft ist hervorragend dazu geeignet, die Bedeutung der Mobilität für Wirtschaft und Gesellschaft ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und die Innovationsfähigkeit aller Akteure dieser Branche zu dokumentieren und zu würdigen.“ Dr. Kurt-Christian Scheel, Geschäftsführer des Geschäftsbereichs „Politik & Gesellschaft“, Verband der Automobilindustrie VDA „Deutschlands Fortschritte bei der Reduzierung von klimawirksamen Gasen sind bislang nicht dem Verkehrssektor zuzuschreiben. Die Zeit drängt mehr denn je, um die Klimaziele von Paris noch zu erreichen. Insofern begrüße ich ausdrücklich die Vorstellung dieses Preises, der zusätzliche Anreize für nachhaltige Innovationen in der deutschen Mobilitätswirtschaft setzen soll.“ Prof. Dr. Sönke Reise, Professor für Seetransporttechnologie und Verkehrslogistik, Hochschule Wismar Die Veranstalter danken den Jury-Mitgliedern sehr herzlich für ihr großes Engagement. In Ausgabe 4/ 2021 von Internationales Verkehrswesen werden die Preisträger des „Innovationspreises der deutschen Mobilitätswirtschaft“ vorgestellt. www.innovationspreis-mobilitaet.de ■ Kontakt: Iris Götsch, hgs@dvwg.de Teamleitung, Hauptgeschäftsstelle der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft e.V. Thorsten Fromm, t_fromm@rmv.de Leiter Koordination und Öffentlichkeitsarbeit der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH Prof. Dr.-Ing. Manfred Boltze Professor für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik an der Technischen Universität Darmstadt Foto: Technische Universität Darmstadt Dr. Florian Eck Geschäftsführer im Deutschen Verkehrsforum (DVF) Foto: Erika Borbély Hansen Prof. Dr. Claudia Kemfert Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW Berlin Foto: Berlin©Reiner Zensen Prof. Dr. rer. nat. Barbara Lenz Ehem. Direktorin des DLR-Instituts für Verkehrsforschung und Gastprofessorin am Geographischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin Foto: Hoffotografen Prof. Dr. Jan Ninnemann Präsident der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft (DVWG) Dr. Ilja Nothnagel Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) Foto: DIHK / Paul Aidan Perry Matthias von Randow Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) Foto: BDL Prof. Dr. rer. pol. Sönke Reise Professor für Seetransporttechnologie und Verkehrslogistik an der Hochschule Wismar Foto: Jens Wagner Prof. Knut Ringat Geschäftsführer und Sprecher der Geschäftsführung des Rhein-Main-Verkehrsverbundes (RMV) Foto: RMV/ Holger Peters Dr. Kurt-Christian Scheel Geschäftsführer des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) Foto: Marcus Höhn Dr. Jan Schilling Geschäftsführer ÖPNV im Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) Foto: www.bildschoen-berlin.de Prof. Dr. oec. habil. Ulrike Stopka Professorin für Kommunikationswirtschaft an der Technischen Universität Dresden Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 106 GREMIEN | IMPRESSUM Erscheint im 73. Jahrgang Impressum Herausgeber Prof. Dr. Kay W. Axhausen Prof. Dr. Hartmut Fricke Prof. Dr. Hans Dietrich Haasis Prof. Dr. Sebastian Kummer Prof. Dr. Barbara Lenz Prof. Knut Ringat Verlag und Redaktion Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl | Christine Ziegler Schliffkopfstr. 22 | D-72270 Baiersbronn Tel. +49 7449 91386.36 Fax +49 7449 91386.37 office@trialog.de www.trialog.de Verlagsleitung Dipl.-Ing. Christine Ziegler VDI Tel. +49 7449 91386.43 christine.ziegler@trialog.de Redaktionsleitung Eberhard Buhl, M. A. (verantwortlich) Tel. +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de Korrektorat: Ulla Grosch Anzeigen Tel. +49 7449 91386.46 Fax +49 7449 91386.37 anzeigen@trialog.de dispo@trialog.de Gültig ist die Anzeigenpreisliste Nr. 57 vom 01.01.2021 Vertrieb und Abonnentenservice Tel. +49 7449 91386.39 Fax +49 7449 91386.37 service@trialog.de Erscheinungsweise Viermal im Jahr mit International Transportation Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist sechs Wochen vor Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. Es ist untersagt, die Inhalte digital zu vervielfältigen oder an Dritte weiterzugeben, sofern nicht ausdrücklich vereinbart. Jahres-Bezugsgebühren Inland: Print EUR 212,00 / eJournal EUR 202,00 (inkl. MWSt.) Ausland: Print EUR 217,00 / eJournal EUR 207,00 (exkl. VAT) Einzelheft: EUR 37,00 (inkl. MWSt.) + Versand Das Abonnement-Paket enthält die jeweiligen Ausgaben als Print-Ausgabe oder eJournal mit dem Zugang zum Gesamtarchiv der Zeitschrift. Campus-/ Unternehmenslizenzen auf Anfrage Organ | Medienpartnerschaft VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld Druck Qubus Media GmbH, Hannover Herstellung Schmidt Media Design, München, schmidtmedia.com Titelbild Qatar. RAS-RNS / Pixabay Copyright Vervielfältigungen durch Druck und Schrift sowie auf elektronischem Wege, auch auszugsweise, sind verboten und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Baiersbronn-Buhlbach ISSN 0020-9511 Herausgeberkreis Herausgeberbeirat Matthias Krämer Abteilungsleiter Strategische Planung und Koordination, Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI), Berlin Sebastian Belz Dipl.-Ing., Generalsekretär EPTS Foundation; Geschäftsführer econex verkehrsconsult GmbH, Wuppertal Gerd Aberle Dr. rer. pol. Dr. h.c., Professor emer. der Universität Gießen und Ehrenmitglied des Herausgeberbeirats Magnus Lamp Programmdirektor Verkehr Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR), Köln Uwe Clausen Univ.-Prof. Dr.-Ing., Institutsleiter, Institut für Transportlogistik, TU Dortmund & Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML), Vorsitzender, Fraunhofer Allianz Verkehr Florian Eck Dr., Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums e.V., Berlin Michael Engel Dr., Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Fluggesellschaften e. V. (BDF), Berlin Alexander Eisenkopf Prof. Dr. rer. pol., ZEPPELIN-Lehrstuhl für Wirtschafts- und Verkehrspolitik, Zeppelin University, Friedrichshafen Tom Reinhold Dr.-Ing., Geschäftsführer, traffiQ, Frankfurt am Main (DE) Ottmar Gast Dr., Vorsitzender des Beirats der Hamburg-Süd KG, Hamburg Barbara Lenz Prof. Dr., ehem. Direktorin Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin Knut Ringat Prof., Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH, Hofheim am Taunus Detlev K. Suchanek Gesellschafter-Geschäftsführer, PMC Media House GmbH, Hamburg Erich Staake Dipl.-Kfm., Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG, Duisburg Wolfgang Stölzle Prof. Dr., Ordinarius, Universität St. Gallen, Leiter des Lehrstuhls für Logistikmanagement, St. Gallen Martin Hauschild Vorsitzender des VDI-Fachbeirats Verkehr und Umfeld; Leiter Verkehrstechnik & Verkehrsmanagement BMW Group, München Ute Jasper Dr. jur., Rechtsanwältin Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek, Düsseldorf Johannes Max-Theurer Geschäftsführer Plasser & Theurer, Linz Matthias von Randow Hauptgeschäftsführer Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Berlin Kay W. Axhausen Prof. Dr.-Ing., Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT), Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), Zürich Hartmut Fricke Prof. Dr.-Ing. habil., Leiter Institut für Luftfahrt und Logistik, TU Dresden Hans-Dietrich Haasis Prof. Dr., Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Maritime Wirtschaft und Logistik, Universität Bremen Sebastian Kummer Prof. Dr., wissenschaftlicher Leiter der ÖVG und Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik, Wien Peer Witten Prof. Dr., Vorsitzender der Logistik- Initiative Hamburg (LIHH), Mitglied des Aufsichtsrats der Otto Group Hamburg Oliver Wolff Hauptgeschäftsführer Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Köln Oliver Kraft Geschäftsführer, VoestAlpine BWG GmbH, Butzbach Ralf Nagel Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder (VDR), Hamburg Jan Ninnemann Prof. Dr., Studiengangsleiter Logistics Management, Hamburg School of Business Administration; Präsident der DVWG, Hamburg Ben Möbius Dr., Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland (VDB), Berlin Ullrich Martin Univ.-Prof. Dr.-Ing., Universität Stuttgart, Leiter Institut für Eisenbahn- und Verkehrswesen, Direktor Verkehrswissenschaftliches Institut Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 107 VORSCHAU | TERMINE Liebe Leserinnen und Leser, angesichts der Umweltereignisse der vergangenen Wochen, mit Flut- und Brandkatastrophen geradezu biblischen Ausmaßes, erscheint der aktuelle Bericht des Weltklimarates IPCC wie eine bloße Neuauflage des schon 1972 vom Club of Rome veröffentlichten Weckrufs „Die Grenzen des Wachstums“. Doch bis heute, ein halbes Jahrhundert später, gibt es Zeitgenossen in Politik und Gesellschaft, die sich im Umgang mit Energie, Ressourcen und Emissionen lieber einen schlanken Fuß machen. Strategien für eine realistische Energie- und Verkehrswende gibt es längst, die Technologien dafür ebenfalls, wie in der vorliegenden Ausgabe wieder einmal zu lesen ist. Mein Eindruck: Viele Unternehmen sind längst weiter als Jene, die das Fehlen passender Infrastruktur monieren und zugleich zu hohe Kosten für eine Verkehrswende ins Feld führen. Zukunftsfähige Infrastruktur soll denn auch Schwerpunktthema der November-Ausgabe von Internationales Verkehrswesen sein. Da werden wir Transportwege und Wertschöpfungsketten in den Fokus nehmen, aber auch die entstehenden Herausforderungen bei der Umsetzung beleuchten. Die Ausgabe 4/ 2021 erscheint am 10. November. Sie sind wie immer herzlich eingeladen, Ihr Expertenwissen mit unseren Lesern zu teilen. Ihr Eberhard Buhl Redaktionsleiter TERMINE + VERANSTALTUNGEN Was, wann wo ...? Weiterhin ist unklar, welche angekündigten oder pandemiebedingt verschobenen Termine in den kommenden Monaten wirklich stattfinden können. Daher finden Sie eine laufend aktualisierte Terminübersicht derzeit nur auf der Webseite: www. internationales-verkehrswesen.de Foto: Pexels / pixabay 2021 | Heft 3 September