Internationales Verkehrswesen
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2021 | Heft 4 November Klimakrise, Strukturwandel, Investitionsstau: Sind wir für morgen gerüstet? Infrastruktur auf dem Prüfstand Heft 4 | November 2021 73. Jahrgang POLITIK Verkehrswende: Gemeinsam mehr erreichen INFRASTRUKTUR Öffentlichen Raum zukunftsfähig machen LOGISTIK Die neue Rolle der Binnenschifffahrt MOBILITÄT Unterwegs sein in der Stadt TECHNOLOGIE Neue Lösungswege für nachhaltige Mobilität www.internationalesverkehrswesen.de 8. - 10. März 2022 Messe Karlsruhe it-trans.org +++ MOBILITY-AS-A-SERVICE +++ KONTAKTLOSES TICKETING +++ CYBERSECURITY UND DATA GOVERNANCE +++ 5G UND TELE- KOMMUNIKATION +++ DIGITALE TRANSFORMATION +++ AUTONOME MOBILITÄT +++ BIG DATA UND KÜNSTLICHE INTELLIGENZ +++ ON-DEMAND UND FLEXIBLE MOBILITÄT +++ KÜNSTLICHE INTELLIGENZ (KI) UND INTERNET DER DINGE (IOT) +++ SMART CITIES +++ Unter der Schirmherrschaft der Veranstalter Partner ENTDECKE DIE ZUKUNFT DER URBANEN MOBILITÄT! DIE IT-TRANS IST ZURÜCK IN KARLSRUHE. TERMIN VORMERKEN. PERSÖNLICH TREFFEN. Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 3 Eberhard Buhl STANDPUNKT Zukunft ist kein Selbstzweck D ass weltweit und europäisch derzeit gewaltige Herausforderungen vor uns stehen, müsste zwischenzeitlich den meisten Zeitgenossen aufgefallen sein. Allein die beinahe verharmlosend als Klimawandel bezeichnete, grundlegende Veränderung der Lebensbedingungen auf unserem Planeten dürfte angesichts jüngster Forschungsergebnisse nur schwer einzubremsen sein. Mit der direkten und indirekten Nutzung fossiler Brennstoffe und dem tief verankerten Willen des Einzelnen zu individueller Mobilität on demand tragen auch Transport und Verkehr ihren Teil dazu bei. Doch allein die Frage, ob, wie viel und von wem dazu beigetragen werden kann, Mobilität zukunftstauglich zu gestalten, enthält gesellschaftlichen Sprengstoff. Nicht nur an den Stammtischen der Republik. Aber gibt es überhaupt einen Königsweg? Gerade mit Blick auf Europa zeigt sich, dass Forschung, Wissenschaft und Industrie bei der Entwicklung innovativer Technologien und Methoden oft deutlich schneller vorankommen als beispielsweise die rahmengebende Politik. Das belegen die Beiträge in der vorliegenden Ausgabe von Internationales Verkehrswesen einmal mehr. Wobei oft nicht einmal die Dekarbonisierung als solche im Fokus steht: Zunehmend werden Strategien, Hilfsmittel und Lösungen dafür entwickelt, wie sich individuelle Mobilität verbessern und gleichzeitig Verkehr insgesamt reduzieren lässt. In der Praxis suchen Städte und Gemeinden nach alternativen und flexiblen Mobilitätsideen, um die Abhängigkeit vom Auto zu reduzieren. Gute Argumente und technische Möglichkeiten sind zahlreich vorhanden. Digitalisierung und Künstliche Intelligenz gelten hier als Gebot der Stunde. Doch auch diese Münze hat zwei Seiten: Der Energiebedarf für das wachsende Angebot an Smartphone-Apps und die Infrastruktur der Dienste-Anbieter wächst dramatisch. Eine Studie des französischen Thinktanks „The Shift Project“ kam bereits 2019 zu dem Schluss, dass allein das Internet, wäre es ein Staat, auf Platz sechs in Sachen Energieverbrauch käme. Andere Studien rechnen hoch, dass die gesamte Informations- und Kommunikationstechnik - Smartphones, PCs und Rechenzentren eingeschlossen - bereits für gut zwei Prozent der CO 2 -Emissionen verantwortlich ist und in der Größenordnung des weltweiten Flugverkehrs liegt. Den prognostizierten weiteren Anstieg des Energiebedarfs mit „grünem Strom“ zu decken, erscheint technisch zwar möglich, erfordert jedoch neben politischen Sonntagsreden auch den Willen zur Durchsetzung. Weil nun mal alles mit allem zusammenhängt, bleibt auch das Themenfeld Infrastruktur, Schwerpunkt dieser Ausgabe über alle Rubriken hinweg, ein Dauerbrenner: Sicher meine ich damit auch marode Brücken, die seit Jahren grundlegend saniert werden sollten und nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr befahrbar sind. Oder die peinlich vielen, seit der Dampflok-Ära kaum modernisierten Bahnstrecken, die heutigem Personen- und Güterverkehr in keiner Hinsicht mehr gewachsen sind und längst wenigstens elektrifiziert gehören. Es sind gerade in Sachen Digitalisierung die verpassten Chancen der vergangenen Jahrzehnte, die bleiern wichtige Innovationen hemmen. Während diese Zeilen entstehen, rangeln Parteienvertreter in der deutschen Hauptstadt um gesichtswahrende Optionen, notwendige Zukunftmaßnahmen mit den - leider oft konträren - eigenen Wahlversprechen zu koordinieren, in einer neuen Bundesregierung zu finanzieren und zu realisieren. Keine Frage: Der demokratische Umgang mit dem Willen des Wahlvolkes, dessen Steuergeld hier eingesetzt werden soll, gebietet harte Verteilungskämpfe. Doch diese Maßnahmen für die Zukunft sind weder Wunschkonzert noch Selbstzweck. Bleibt zu hoffen, dass sie nicht mal wieder auf der Strecke bleiben. Ihr Eberhard Buhl Redaktion Internationales Verkehrswesen Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 4 INTERNATIONAL International Transportation - Collection 2021 Published in October 2021, the international Special Edition covers the collected range of this year’s English articles with one single e-journal. Read more about it: www.international-transportation.com POLITIK INFRASTRUKTUR 18 Platz statt Kreuzung Straßenraum neu denken: Mehr Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum als Treiber für die Verkehrswende Julia Jarass Antonia Nähring Shari Merzoug Sophia Becker Katharina Götting Anke Kläver Alexander Czeh 23 Siedlungsentwicklung neu denken! Welchen Beitrag leistet die ÖV-orientierte Siedlungsentwicklung für zukunftsfähige Infrastrukturen? Sebastian Clausen Malte Gartzke 30 Abflugort Innenstadt Die (fast) vergessenen Stadtterminals Thomas N. Kirstein 35 100 Jahre Avus War die Automobil-, Verkehrs- und Übungsstraße in Berlin die erste Autobahn? Wolfgang F. Jäger 40 Schifffahrtsstraßen in Deutschland Wolfgang Hendlmeier LOGISTIK Quelle: Gisbert Dreyer Architekturbüro SEITE 30 Foto: Michael Gaida / pixabay SEITE 46 Foto: Peter H. / pixabay SEITE 10 42 Rheinschifffahrt und Klimawandel Wechselwirkungen zwischen Klima-Ereignissen, Gütertransport und regionaler Wirtschaft Alexander Labinsky Julia Dick Lukas Eiserbeck Oliver Lühr Richard Simpson 46 Blockchain-Technologie in der Binnenschifffahrt Beschleunigung von Transportabwicklungs-Prozessen in der Binnenschifffahrt via Blockchain- Technologie Thomas Decker 51 Mehr als nur Umschlag und Lagerung Studie zur Bedeutung des Osthafens Frankfurt am Main Jakob Grubmüller Michael Huth 10 Fahrgemeinschaften - Potenziale im Pendelverkehr Eine Untersuchung am Beispiel von Thüringen Jannik Horn Luise-Frida Neubauer 14 Kompetenznetz Klima Mobil Durch Vernetzung, Beratung und Wissensaustausch zu mehr Klimaschutz im Verkehr Günter Rasch Adrian Messe THEMEN, SCHLAGWORTE, AUTOREN, … Schlagen Sie einfach nach: Fach- und Wissenschafts-Artikel aus Internationales Verkehrswesen finden Sie-ab dem Jahr 2000 online in der Beitragsübersicht - auf der Archiv-Seite im Web. www.internationalesverkehrswesen.de/ archiv Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 5 INHALT November 2021 Aktuelle Themen, Termine und das umfangreiche Archiv finden Sie unter www.internationales-verkehrswesen.de TECHNOLOGIE RUBRIKEN 03 Standpunkt 06 Im Fokus 09 Kurz + Kritisch 17 Bericht aus Brüssel 96 Forum Veranstaltungen 98 Impressum | Gremien AUSGABE 1 | 2022 84 Ermittlung der Belastungen auf die Struktur eines Forschungsfahrzeugs in Sandwichbauweise Michael Kriescher Georg Seidel Sebastian Scheibe 90 Recycling von Betonbruch Verkehrliche, umweltbezogene und wirtschaftliche Optimierung Sabrina Puslat Bert Leerkamp WISSENSCHAFT 79 Parksuchverkehr - ein über- oder unterschätztes Phänomen? Das Forschungsprojekt start- 2park analysiert den Parksuchverkehr und entwickelt Lösungsansätze Tobias Hagen Siavash Saki Sabine Scheel-Kopeinig Foto: Free Photos / pixabay SEITE 74 Foto: DLR SEITE 84 MOBILITÄT 60 Mobilitätsmonitor Nr. 13 - November 2021 Christian Scherf Marcel Streif Lisa Ruhrort Mareike Bösl Julian Emmerich Andreas Knie Wolfgang Schade 63 Mobilitätsmonitor - frühere Ausgaben im Überblick 64 Emotionen beim Zufußgehen im urbanen Raum Einflüsse eines alltäglichen Fußwegs auf das mentale Wohlbefinden in Berlin Shari Merzoug Julia Jarass 69 Homeoffice-Konzepte zur Regulierung des Berufsverkehrs Studie am Beispiel der Stadt Stuttgart Nathalie Heimsch Vanessa Meyer Dieter Uckelmann 74 Covid-19 - Was lernt der Luftverkehr aus der Pandemie? Denkanstöße für die Zukunft Andreas Deutschmann Jannis Pfeiler Magnus Lasse Hamann John Michael Hanna Listapad Andrei Popa Digital und vernetzt - Öffentlicher Verkehr - Stadtverkehr - Luft- und Seeverkehr - Verbindungen schaffen Special: International Transportation Erscheint am 16. Februar 2022 WISSENSCHAFT 56 Autonome Shuttles im ÖPNV Grundlagenforschung zur Nutzerakzeptanz und zum Einsatz autonomer Shuttles Philipp Altinsoy Petra Schäfer Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 6 IM FOKUS Vorlaufbetrieb auf der NBS Wendlingen - Ulm beginnt I m Dezember 2022 wird mit der vorzeitigen Inbetriebnahme der Neubaustrecke Wendlingen - Ulm ein wichtiger Meilenstein für den Schienenverkehr in Baden- Württemberg erreicht. Drei Jahre vor der Fertigstellung des Projekts Stuttgart21 verkürzt sich im Fernverkehr die Fahrzeit um bis zu 15 Minuten, im Regionalverkehr wird zum ersten Mal ein Zug im neuen Regionalbahnhof in Merklingen halten. Im Regionalverkehr wird die Strecke Wendlingen - Merklingen - Ulm ab Dezember 2022 in einem sogenannten Vorlaufbetrieb bedient. Der Vertrag läuft bis Dezember 2027, ab Dezember 2025 besteht ein jährliches Kündigungsrecht seitens des Landes. Nach der erfolgten Auswertung der eingegangenen Angebote beabsichtigt das Ministerium für Verkehr, der DB Regio AG Region Baden-Württemberg den Zuschlag zu erteilen. Der unterlegene Bieter hat allerdings noch die Möglichkeit, einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer einzureichen. Bei den Zügen handelt es sich um ein komplett neues und zusätzliches Angebot. Die Interregio-Express-Züge werden im Stundentakt von Wendlingen nach Ulm verkehren und immer am neuen Regionalbahnhof in Merklingen halten. Aufgrund der hohen Streckenbelastung zwischen Wendlingen, Plochingen und Stuttgart können die Züge zwar nicht in die Landeshauptstadt durchgebunden werden. In Wendlingen sind allerdings gute Anschlüsse an die Neckar-Alb-Bahn nach Stuttgart sichergestellt. Die Reisezeit auf dem Korridor Ulm - Stuttgart verkürzt sich um vier bis sieben Minuten, für Reisende von Ulm in die Universitätsstadt Tübingen sogar wegen der günstigeren Umsteigemöglichkeit um 30 bis 40 Minuten. DB Regio wird die Verkehrsleistungen für den Übergangszeitraum des Vorlaufbetriebs mit lokbespannten Zügen und Reisezugwagen auf Fernverkehrsniveau erbringen. Die Fahrzeuge halten die hohen Anforderungen für den Betrieb auf der neuen Schnellfahrstrecke ein, sind also mit dem neuen Zugbeeinflussungssystem ETCS ausgerüstet, druckertüchtigt und für eine Höchstgeschwindigkeit von 200 km/ h zugelassen. Mit der Inbetriebnahme des Projektes Stuttgart 21 werden dann schnelle Expressverkehre mit neuen Doppelstocktriebzügen des Landes stündlich von Stuttgart via Wendlingen und Ulm bis an den Bodensee durchgebunden. www.bahnprojekt-stuttgart-ulm.de Symbolbild: Erich Westendarp / pixabay Autos abonnieren statt kaufen D ie Sparkassen DirektVersicherung wendet sich jedes Jahr mit mehreren Umfragen an Verbraucherinnen und Verbraucher, um ein Stimmungsbild zu Mobilitätsthemen zu erheben. Aktuell wurde gefragt, wie Privatnutzer die neuartigen Auto- Abos einschätzen. Während die Auto-Branche selbst nach einer anderen aktuellen Umfrage anscheinend nicht glaubt, dass sich Auto-Abos hierzulande durchsetzen werden, scheint diese neue Möglichkeit, ein Fahrzeug zu nutzen, für die Menschen sehr spannend zu sein: 46 % der Teilnehmenden an der S-Direkt-Umfrage können sich gut vorstellen, künftig mit dem Erst- oder Zweitfahrzeug via Auto-Abo unterwegs zu sein. „Das Auto-Abo. Was denken Sie darüber? “ fragten die Versicherer auf ihrer Website. Nur 11 % der Teilnehmenden hatten vom Auto-Abo noch nichts gehört und brauchten weitere Informationen. Insgesamt zeigten sich 46 % der Befragten interessiert: 40 von 100 meinten „Das kann ich mir gut vorstellen“ und etwa 6 % fanden die Möglichkeit denkbar für ihr Zweitfahrzeug. Bei den verbleibenden beiden Optionen gaben 19 % der Befragten an, noch nicht überzeugt zu sein und die Entwicklung abwarten zu wollen. Nur knapp ein Viertel (23 %) war sich sicher, kein Auto-Abo zu brauchen. Ein Vorteil eines Auto-Abos ist der verhältnismäßig moderate Preis, da die üblichen Fixkosten der großen Autohäuser sowie Verkaufsprovisionen entfallen. In der monatlichen Rate sind im Rahmen eines Kilometer-Kontingents sämtliche Nebenkosten wie Versicherung, Steuern, Verschleiß und TÜV enthalten; nur Sprit oder Strom muss selbst bezahlt werden. Das macht die Kosten transparent. Der Abo-Anbieter bleibt Eigentümer des Fahrzeugs. Vorteilhaft ist außerdem, dass das Abo nach relativ kurzer Zeit wieder gekündigt werden kann. Die Mindestlaufzeit beginnt je nach Anbieter schon bei einem Monat. www.sparkassen-direkt.de Foto: Tumisu / pixabay Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 7 IM FOKUS Projekt „Initiative“ - Künstliche Intelligenz für das Fahrzeug der Zukunft D as vom BMWi geförderte Projekt „Initiative“ verfolgt das Ziel, eine KI-gestützte adaptive Kommunikation für die Integration automatisierter Fahrzeuge in gemischten Verkehrsszenarien zu erarbeiten. Dazu muss das automatisierte Fahrzeug entsprechende Kommunikationsschnittstellen für außenstehende Verkehrsteilnehmer (externe Mensch-Maschine-Schnittstellen) und für Insassen des Fahrzeuges (interne Mensch-Maschine-Schnittstellen) bereitstellen. Diese sollen im Projekt unter Berücksichtigung einer winkel- und tageszeitabhängigen Erkennbarkeit entwickelt und validiert werden. Darüber hinaus soll mittels kamerabasierter Verfahren die Intention der Kommunikationsteilnehmer im Straßenverkehr erfasst und bei der Kommunikation untereinander KI-basiert berücksichtigt werden. Dadurch wird sichergestellt, dass die Botschaften der verschiedenen Systeme situativ angepasst übermittelt werden. Um Missverständnisse der Teilnehmer zu vermeiden, müssen die Nachrichten der externen und internen Interaktionsschnittstellen entsprechend synchronisiert werden. Die Funktion der Systeme und der Sensorik wird zudem projektübergreifend evaluiert. Für die Identifikation relevanter Teilnehmer einer Kommunikation wird auf Metadaten aus einer vernetzten Infrastruktur (externe Sensorik), die mittels C2X-Kommunikation übertragen werden, zurückgegriffen. Im Gesamtkontext eines gemischten Verkehrsszenarios eignen sich Methoden der KI dabei für die Synchronisation der Nachrichten, die Intentionserkennung der Kommunikationsteilnehmer und die Vorauswahl relevanter Verkehrsteilnehmer. Das Fraunhofer IOSB kümmert sich hierbei um die kamerabasierte Erfassung der Fahrzeuginsassen und schwächeren Verkehrsteilnehmer (z. B. Fußgänger) im direkten Umfeld des Fahrzeugs. Die Erfassung erfolgt mit Hilfe maschineller Lernverfahren, u. a. Deep Learning. www.iosb.fraunhofer.de Bild: Fraunhofer IOSB Wachsendes Frachtgeschäft am BER erwartet D er Flughafen Berlin Brandenburg ersetzt als zentraler Airport seine Vorgänger Tegel und Schönefeld auch als neues Luftfrachtzentrum der deutschen Hauptstadt. Laut Patrick Muller, Chief Operation Officer des BER, verlief das erste Fracht- Betriebsjahr seit Eröffnung am 31. Oktober 2020 trotz Corona-Krise zufriedenstellend. Gegenüber dem Jahr 2020 erwartet der Flughafen Berlin Brandenburg für 2021 bereits ein Wachstum von rund 20 %, erklärte Muller jetzt bei einer Veranstaltung des Aircargo Club Deutschland (ACD). Damit liege der BER bei der Fracht im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2019 nur noch 25 % zurück. Im vergangenen Jahr sei es gelungen, die Verladung von Fracht auf reine Cargo-Flugzeuge in Berlin um rund 50 % zu erhöhen. Die Tonnage der mit reinen Frachtern geflogenen Güter sei somit von wöchentlich 1.000 t auf 1.500 t angestiegen. Mehrere Express-Fracht-Airlines fliegen die Hauptstadtregion hierfür mittlerweile mit größeren Flugzeugen an: Mit dem kommenden Winterflugplan setzt beispielsweise Fedex Mittelstreckenfrachter vom Typ Boeing 757F zum BER ein. Zuvor waren es kleinere Schmalrumpf-Frachter vom Typ Boeing 737F. UPS fliegt währenddessen mit Großraumfrachtern des Typs Boeing 767F zur deutschen Hauptstadt. „Wir rechnen auch weiterhin mit einem Anstieg der reinen Frachtflugzeuge am BER. Beispielsweise zeigt der anstehende Produktionsbeginn der neuen Tesla-Fabrik in der nahen liegenden märkischen Heide, dass die Region als Produktionsstandort immer mehr an Bedeutung gewinnt. Besonders beim Transport von hoch technologisierten und eiligen Gütern ist ein naher Flughafen mit zuverlässigen Frachtkapazitäten essenziell“, erklärte Muller. Das Cargo Center des BER mit über 12.000 m 2 Umschlagsfläche wird von den Abfertigungsdienstleistern Wisag und Swissport genutzt. Auf der direkt östlich anschließenden Fläche kann ein weiteres Cargo Center mit jährlich bis zu 150.000 t Umschlagskapazität errichtet werden, erste Güter könnten hier bereits ab dem Jahr 2025 umgeschlagen werden. Höhere Tonnagen erwartet der Flughafen Berlin Brandenburg auch bei der Beiladefracht in Passagierflugzeugen. Besonders der zurückkommende Interkontinental- Verkehr, der vor der Corona-Krise mit zwei Dritteln den Hauptteil der Berliner Luftfracht ausmachte, wird hier als Treiber erwartet. Gleich mehrere neue Langstreckenverbindungen konnte die Betreibergesellschaft kürzlich vermelden: Im Oktober erweitert Scoot seine bestehenden Verbindungen mit Zwischenstopp in Athen um drei wöchentliche Nonstop-Flüge nach Singapur. Ab März 2022 verbinden United Airlines den BER mit New York-Newark und ab Mai 2022 mit Washington-Dulles. www.berlin-airport.de Foto: Flughafen Berlin Brandenburg / Günter Wicker Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 8 IM FOKUS Entwicklung und Zulassung einer automatischen GoA4-Abdrücklok D er Einzelwagenverkehr auf der Schiene ist geprägt vom Kuppeln und Entkuppeln einzelner Wagen oder Wagengruppen an Knotenpunkten, den Zugbildungsanlagen (ZBA). Mehrere Maßnahmen sollen in ihrem Zusammenwirken den Gütertransport auf der Schiene konkurrenzfähiger machen. Beispielsweise sollen in den ZBA von DB Cargo die Tätigkeiten der Abdrücklokomotiven vollständig automatisiert werden. Zu diesem Zweck müssen die bisher vorhandenen Abdrückbefehle aus dem Ablaufstellwerk auf benachbarte Prozessschritte ausgeweitet werden. Dazu gehören weitere einfache Tätigkeiten rund um das Rangieren - so etwa das Beidrücken, das Räumen stehengebliebener Wagen, das erneute Hochziehen von Falschläufern am Ablaufberg oder Rangierfahrten am Berg vorbei. Auch ist das Fahrzeug mit Sensor- und Sicherheitstechnik auszustatten, die eine zusätzliche Gefährdung für Menschen und Betriebsmittel verhindern muss. Das Unternehmen Railergy aus Augsburg soll im Auftrag der DB Cargo ein Grade of Automation-System (GoA4) als Nachrüstlösung entwickeln, damit die Voraussetzungen für eine Installation auf verschiedenen Lokbaureihen erfüllt und spätere Erweiterungen etwa in Terminals und Häfen möglich sind. Die wichtigsten Funktionen der Lokkomponente sind die Ermittlung der Position der Lok im Rangierbahnhof, die präzise Steuerung von Antrieb und Bremsen, die sichere Überwachung von Geschwindigkeit und Einsatzbereich sowie die sichere Erkennung von Hindernissen und Signalen. Für die Positionsbestimmung der Lok kommt ein innovatives System zum Einsatz, welches ohne streckenseitige Installationen wie Balisen auskommt. Durch einen ständigen Abgleich der Positionsänderungen des Fahrzeuges, die durch eine IMU ermittelt werden, mit der präzisen Infrastrukturkarte und bekannten „Landmarks“ (wie Signalen und Bauwerken) wird eine relativ grobe (ca. 3 m), aber sichere Positionsbestimmung erreicht. Ergänzt wird das System durch eine genaue Positionierung über GNSS (Genauigkeit ca. 0,5 m). Während die sichere Position der Zugsicherung dient, wird die genaue Position zur Feinsteuerung genutzt. Die Hindernis- und Signalerkennung arbeitet nach dem gleichen Konzept: Mit sicheren und zulassungsfähigen Mess- und Auswertungsverfahren (ohne Künstliche Intelligenz) lassen sich Objekte zuverlässig erkennen. Damit wird stets ein sicherer Betrieb gewährleistet. Zur Erhöhung der Produktivität wird parallel ein KI-basiertes System eingesetzt. Durch das kontinuierliche Überwachen der KI-basierten Funktionalität über die sichere Objekterkennung wird die Zulassungsfähigkeit erreicht - bislang stehen für solche Anwendungen keine anerkannten Zulassungsprozesse zur Verfügung. Die Erprobung erfolgt zunächst auf einer Bestandslokomotive der Baureihe 296. Die Zulassung für den GoA4-Betrieb ist voraussichtlich auf einer modernen Hybridlok umzusetzen. Bis Ende 2024 sollen die kommerzielle Betriebserprobung und die Zulassung in der ZBA München-Nord erreicht werden. www.railergy.com Baureihe 296 im ZBA München-Nord. Quelle: DB Cargo Logistik-Plattform für nachhaltige Lieferketten D as Start-up Waves mit Wurzeln in Luxemburg hat eine ganzheitliche Sustainability Management Platform (SMP) entwickelt, die es zukünftig ermöglichen soll, Fußabdrücke für Transporte, Produkte und Unternehmen, inklusive ihrer Standorte, zu berechnen und miteinander in Verbindung zu bringen. Es geht darum, Nachhaltigkeit sichtbar zu machen und größtmögliche Transparenz zu schaffen. Die Themen Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Treibhausgasreduktion und Circular Economy spielen in allen Branchen eine zunehmend wichtige Rolle und werden noch an Bedeutung gewinnen. Auch fordern Endverbraucher immer häufiger Transparenz und genaue Angaben zum CO 2 -Fußabdruck. Um nachhaltiger werden zu können, müssen Unternehmen aber zunächst ihre eigene CO 2 -Bilanz und weitere Werte, aus denen sich ein ökologischer Fußabdruck zusammensetzt, kennen. Genau hier setzt Waves mit seiner „Platform as a Service“- Lösung an. Weil im Verkehrssektor das CO 2 - Einsparpotenzial besonders hoch ist, hat Waves sein erstes Produkt speziell für die Speditions-, Transport- und Logistikbranche entwickelt. Im Mittelpunkt steht zunächst der „Carbon Footprint“ von Transporten, der bis auf die Sendungsebene ganz genau berechnet werden kann. Dabei werden die CO 2 -Emissionen der gesamten Lieferkette einbezogen. Statt mit generischen Daten soll die Sustainability Management Platform (SMP) mithilfe von Cloud-Technologie und Echtzeitdaten, die aus den jeweiligen Unternehmen in die SMP eingespielt werden können, verlässliche Informationen generieren und detaillierte Auswertungen vornehmen. Ist das IT-System des Unternehmens - in der Regel ist es ein Transportmanagement-System - über eine Schnittstelle mit der Plattform verbunden, ist ein automatisierter, komfortabler Datenupload möglich. Die Ergebnisse können sich Kunden anschließend im eigenen System anzeigen lassen oder auf dem von Waves entwickelten Dashboard zur Steuerung nutzbar machen. Die Berechnung und Auswertung von CO 2 -Emissionen bei Transporten soll aber nur der erste Schritt auf einer modular konzipierten Plattform sein. Geplant sind weitere Nachhaltigkeitsmanagement-Tools, die kundenorientiert hohe Datenqualität bei geringstem Aufwand sichern. www.waves.lu Foto: Waves Gerd Aberle KURZ UND KRITISCH Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 9 Wohin die Reise gehen soll I m aktuellen Jahrzehnt kumulieren sich Fundamentalentscheidungen der Politik. Die Klimakrise und deren Herausforderungen für den Mobilitätssektor sind gravierend und hinsichtlich der einzusetzenden Maßnahmen umstritten. Es geht insbesondere um die Energie- und Verkehrswende, konkretisiert in der CO 2 -Bepreisung fossiler Brennstoffe, der Positionierung des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, insbesondere der Eisenbahn, als politisch definierte Alternative zum Straßenverkehr, um eine hohe finanziellen Förderung elektrischer Antriebe und erforderlicher Ladesäulen und die EU-weite CO 2 -PKW-Regulierung herstellerbezogener Fahrzeugflotten-Emissionen. Alle Einzelmaßnahmen verlieren bei Konsistenzprüfungen an Überzeugungskraft. Dabei wird ein entscheidendes Element weitestgehend ausgeklammert bzw. nur von Experten betont: Stehen die in wenigen Jahren zur Umsetzung der zahlreichen Maßnahmen erforderlichen großen und überproportional wachsenden Strommengen bereits Ende des Jahrzehnts zur Verfügung? Die permanent propagierte schnelle Ausweitung der Digitalisierung, die Umstrukturierung der mit fossilen Energien betriebenen industriellen Produktion auf Elektrizität und die Versorgung von 6 bis 12 Mio. Straßenfahrzeugen mit Batterien oder Wasserstoff verlangen wesentlich mehr Beachtung als bislang. Dabei stellt die Netzsicherheit eine besonders relevante Komponente dar, zumal die nutzbare Sonnen- und Windenergie zur Stromproduktion keine stabile Grundversorgung bieten kann. Und in wenigen Jahren sind Atomstrom und Kohlestrom in Deutschland Geschichte. Ob Stromimporte in Zukunft in welcher Höhe und aus welchen Produktionsquellen (Atom/ Kohle) hinreichend zur Verfügung stehen, ob Gaskraftwerke einspringen können und ob die notwendigen Investitionen in Windkraft und Stromleitungen zeitgerecht durchgeführt werden können, ist mit einem Nebelschleier verdeckt. Die Einbeziehung des Verkehrsbereichs in ein CO 2 -Emissionshandelssystem wird sowohl politisch als auch in der Wissenschaft umfänglich diskutiert. Immerhin ist dies für den Luftverkehr bereits erfolgt, allerdings nur für den EU-Bereich. Diese Partiallösung verunsichert die Branche, insbesondere jene Carrier, die sich im Fernbereich von Konkurrenten aus Drittländern mit großen Hubs ohne Emissionsbelastungen diskriminiert sehen. Die im Straßenverkehr bis 2024 deutlich ansteigende CO 2 -Abgabe erhöht den bereits sehr hohen (über 65 %) ausmachenden Steueranteil deutlich, zumal die CO 2 -Steuer durch 19 % Umsatzsteuer finanzpolitisch veredelt wird. Nun ist aber das CO 2 -Belastungssystem kein Emissionshandel, legt man eine ökonomisch-wissenschaftliche Betrachtungsweise zugrunde. Denn bei diesem Instrument geht es um eine Effizienzmethodik, die an den Vermeidungskosten von Emissionen ausgerichtet ist. Je niedriger die (marginalen) Vermeidungskosten von Emissionen sind, desto geringer ist die Zahl der vom Verursacher einzusetzenden (zu kaufenden) Emissionsrechte. Diese Vermeidungskosten zu bestimmen ist angesichts der komplexen staatlichen Eingriffe in die Straßenverkehrsabgaben mit Steuern, Kraftstoffsubventionen, Kaufsubventionen für echte oder Pseudo- E-PKW, derzeit nicht in Sicht. Auch ist nicht geprüft, ob durch eine zu hohe Zahl ausgegebener kostenloser Emissionsrechte die Umsetzungsprobleme verstärkt werden. Insofern ist es nicht uninteressant, dass in der aktuellen politischen Diskussion die Frage einer Reduzierung des zahlenmäßigen Umfanges der Rechte aufgeworfen wird. Ein weiteres und komplexes Entscheidungsfeld ist die von sämtlichen zukünftigen Politikverantwortlichen als notwendig erachtete weitere (zweite) Bahnreform. Die bereits vorliegenden Anforderungen sind je nach Interessenlage sehr unterschiedlich, zumal dabei auch bahnfremde und auch Bahnsystem-schädliche Vorschläge kursieren. Die anstehenden Aufgaben werden vor allem durch die nicht mehr zu überbietenden Erwartungen an die Leistungsfähigkeit des Schienenverkehrs zur Lösung der mit einer Verkehrswende verbundenen Aufgaben im Personen- und Güterverkehr verdeutlicht. Dass die unbedingt erforderlichen erheblichen Kapazitätsausweitungen in der Netzinfrastruktur durch kurze Planungs- und Genehmigungszeiten und ebenfalls vertretbare Bauzeiten bis 2030 umsetzbar sind, glaubt kaum jemand. Aber bis dahin soll die Bahn ihre Personen- und Güterverkehrsleistungen um 100 bzw. 50 % steigern. Und dann müssen auch die riesigen Investitionssummen bereit stehen, im Wettbewerb mit den vielen Ansprüchen an die Haushaltspolitik aus den neuen Regierungsparteien. Viele Fragen und Unklarheiten. Wo geht die Reise hin? ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 10 Fahrgemeinschaften - Potenziale im Pendelverkehr Eine Untersuchung am Beispiel von Thüringen Pendelverkehr, Fahrgemeinschaften, Betriebliches Mobilitätsmanagement Der Pendelverkehr in Deutschland zeichnet sich neben einem stetigen Anstieg der Verkehrsleistung vor allem durch einen hohen MIV-Anteil aus. Ein möglicher Lösungsansatz im Sinne einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung können Fahrgemeinschaften darstellen, welche Einzelfahrten bündeln und somit die Verkehrsleistung reduzieren. Zur Implementierung solcher Fahrgemeinschaften kommt vor allem den Betrieben, als wesentliche Verursacher des Pendelverkehrs, eine entscheidende Rolle zu, welche im Rahmen des betrieblichen Mobilitätsmanagements als Organisatoren von Fahrgemeinschaften fungieren können. Jannik Horn, Luise-Frida Neubauer I n Deutschland ist seit den 1990er Jahren ein stetiger Anstieg der Pendelzahlen sowie der Pendeldistanz festzustellen. Während im Jahre 2000 noch etwa 53 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten pendelten, konnte 2019 bereits ein Pendleranteil von ca. 60 Prozent verzeichnet werden. Dies entspricht ca. 19 Millionen Menschen, deren Wohn- und Arbeitsort in verschiedenen Gemeinden liegen. Die Pendeldistanz stieg in der gleichen Zeit von im Durchschnitt 14,8 km auf 16,9 km [1, 14]. Gleichzeitig verzeichnet der Pendelverkehr mit ca. 69 Prozent der Wege einen hohen MIV-Anteil im Modal Split [2]. Die Nutzung des privaten PKW verspricht dabei aus Sicht des Individuums ein hohes Maß an Flexibilität und Komfort und erlaubt so eine vereinfachte Organisation innerhalb komplexer Alltagsstrukturen. Entsprechende Bedürfnisse scheinen hingegen durch den Öffentlichen Verkehr nur eingeschränkt befriedigt werden zu können, welcher sich insbesondere durch seine Gebundenheit in Bezug auf den Takt, die Abfahrtzeiten und die Routen auszeichnet [3]. Im Sinne einer ökologischen Gestaltung gilt es daher, Alternativen zum PKW zu finden, die auf der einen Seite den Pendelnden weiterhin ein hohes Maß an Flexibilität gewährleisten und auf der anderen Seite die Pendelverkehrsleistung im motorisierten Individualverkehr (MIV) reduzieren. Einen möglichen Lösungsansatz in diesem Zusammenhang stellen Fahrgemeinschaften dar. Diese besitzen das Potenzial, Einzelpersonenfahrten (PKW-Besetzungsgrad: 1,5 Personen pro PKW [4]) zu bündeln und somit das Verkehrsaufkommen insgesamt zu reduzieren. Wesentlich für die Ausschöpfung dieses Potenzials ist vor allem die Akzeptanz auf Seiten der Nutzerinnen und Nutzer. Der vorliegende Beitrag beleuchtet daher am Beispiel Thüringens die Bereitschaft sowie die Anforderungen von Erwerbstätigen zur Nutzung von Fahrgemeinschaftsangeboten. Dazu erfolgt eine kurze Definition des Begriffs Fahrgemeinschaften sowie eine Einführung in den Forschungsstand. Anschließend wird die unter Pendelnden in Thüringen durchgeführte Erhebung und die dazu durchgeführte Faktoranalyse zu den Nutzungsgründen für Fahrgemeinschaften vorgestellt. Begriffsdefinition und Forschungsstand Im Berufsverkehr wird unter einer Fahrgemeinschaft „ein dauerhafter Zusammenschluss von Beschäftigten verstanden, die regelmäßig ihren Berufsweg ganz oder teilweise in einem Privat-PKW gemeinsam zurücklegen“ [5]. Die Möglichkeiten und Grenzen der Förderung von Fahrgemeinschaften im Berufsverkehr in Deutschland wurden bereits Mit- Foto: Peter H. / pixabay POLITIK Mobilitätsmanagement Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 11 Mobilitätsmanagement POLITIK te der 1980er Jahre von Reinke (1985) untersucht. Ergänzt wurde das Themenfeld in den 1990er Jahren durch die Arbeit von Reinkober (1994), in der neben dem Fahrgemeinschaftsinteresse und einer Akzeptanzuntersuchung in Hameln-Pyrmont (Niedersachsen) auch das Zusammenwirken von Fahrgemeinschaften und dem öffentlichen Personennahverkehr analysiert wurde. In der Arbeit von Reinke wie auch in der von Reinkober kristallisierte sich die Kostenersparnis als wesentlicher Beweggrund für die Nutzung von Fahrgemeinschaften heraus [5, 6]. Darüber hinaus wird der Umweltschutz als mögliche Motivation genannt [6]. Gemindert wird das Fahrgemeinschaftsinteresse dagegen durch unregelmäßige Arbeitszeiten sowie die mangelnde Flexibilität [6]. Eine weitere Arbeit zu Fahrgemeinschaften stellt die von Mühlethaler et al. (2011) dar, im Rahmen derer das Potenzial von Fahrgemeinschaften in der Schweiz untersucht wurde. Mit Hilfe der zur Abschätzung des Potenzials durchgeführten Befragung der Pendelnden konnte gezeigt werden, dass die Mehrheit der befragten PKW-Pendelnden vermittelten Fahrgemeinschaften positiv gegenüberstehen und eine mittlere Teilnahmebereitschaft aufweisen [7]. Die Potenziale einer kollaborativen Alltagsmobilität im ländlich geprägten Bundesland Rheinland-Pfalz wurden von Baron (2017) untersucht. Im Vordergrund seiner Arbeit stand die Analyse der Nutzung und Wirkung von Mitfahrendenparkplätzen als Treffpunkt für Fahrgemeinschaften. Basierend auf den Ergebnissen der durchgeführten Befragung der Pendelnden werden Fahrgemeinschaften bereits von rund 18- Prozent der Befragten für den Arbeitsweg genutzt, wobei der Anteil im ländlichen Raum größer ist als im städtischen Raum [8]. Methodisches Vorgehen Zur Untersuchung des Fahrgemeinschaftsinteresses wurde eine Befragung der Pendelnden im Bundesland Thüringen durchgeführt. Analog zu Gesamtdeutschland zeichnet sich auch Thüringen durch starke Pendelverflechtungen zwischen Umland und Kernstadt sowie zunehmenden Bewegungen zwischen den Oberzentren aus. Ziel der Pendelbewegungen bilden dabei vor allem die Oberzentren Erfurt, Jena und Gera [10]. Die zentrale Lage innerhalb Deutschlands und die Anbindung dieser Städte an eine Bundesautobahn bietet dabei eine hohe Verbindungsqualität und ermöglicht dadurch auch distanzintensive Pendelwege, was sich am deutschlandweit drittgrößten MIV-Anteil im Pendelverkehr zeigt [9]. Ziel der Befragung war es, das Verkehrsverhalten Berufspendelnder (ohne Bildungspendelnde) und deren Einstellung gegenüber Fahrgemeinschaften zu erfassen, um anhand dieser Ergebnisse das Potenzial von Fahrgemeinschaften zur Verringerung des Pendelerverkehrs abzuschätzen. Dazu wurde zunächst das aktuelle Verkehrsverhalten der Befragten, deren Interesse an Fahrgemeinschaften sowie deren Anforderungen an die Fahrgemeinschaftsvermittlung erfragt [6, 7, 8]. Die Befragung der Pendelnden fand mittels eines Fragebogens in Unternehmen statt und wurde zwischen dem 20.01 und 28.02.2020 durchgeführt 1 . Die Auswertung fokussiert sich auf die Selbstfahrenden im MIV (N=157). Diese bilden mit 80 Prozent der Befragten zum einen die größte Teilnehmendengruppe und zum anderen bietet die Gruppe das größte Potenzial in Bezug auf eine umweltgerechte Anpassung des Pendelverkehrs. Eine Anpassung des Verkehrsverhaltens von Nutzenden des Umweltverbunds oder PKW-Mitfahrenden hin zu Fahrgemeinschaften ist entsprechend weniger anzustreben. Vielmehr geht es darum, den MIV-Nutzenden eine ökologische Alternative zu bieten, die gleichzeitig den mit dem eigenen PKW verbundenen Ansprüche an Flexibilität und Komfort gerecht zu werden. Die Stichprobe bestand dabei zu gleichverteilt aus Männern und Frauen, wobei der überwiegende Teil der Befragten zwischen 40 und 60 Jahren alt war (ca. 57 Prozent), die mehrheitlich als Beamte bzw. Angestellte arbeiteten (90 Prozent). Etwa zwei Drittel leben im ländlichen Raum nach Raumtypisierung des BBSR [11]. Der Arbeitsort verteilt sich hingegen zu jeweils ca. 50 Prozent auf den städtischen und ländlichen Raum. Mehr als die Hälfte der Haushalte verfügt zudem über mindestens einen PKW. Neben der rein deskriptiven Darstellung der Ergebnisse wurde eine Faktoranalyse zur Verdichtung der Nutzungs-/ Nicht-Nutzungsgründe bzw. der Anforderungen an die Vermittlung durchgeführt. Diese erlaubt es, die Anzahl der einzelnen Elemente zu reduzieren und übergeordnete Faktoren zu identifizieren, welche wiederum dabei helfen, wesentliche Handlungsansätze abzuleiten. Beurteilungsgrundlage für die Zuordnung eines Elements zu einem Faktor bilden deren rotierte Faktorladungen aus der rotierten Komponentenmatrix. Dabei wird ein Einstellung gegenüber FG sehr negativ eher negativ eher positiv sehr positiv Gesamt Bereitschaft Teilnahme nein 5 % 24 % 5 % 1 % 35 % ja, als Mitfahrer 1 % 4 % 1 % 2 % 8 % ja, als Fahrer 0 % 5 % 5 % 1 % 12 % ja, als beides 1 % 8 % 28 % 7 % 45 % Gesamt 7 % 42 % 39 % 12 % 100 % Tabelle 1: Einstellung gegenüber Fahrgemeinschaften und Bereitschaft zur Teilnahme (N=147) Eigene Darstellung Fahrgemeinschaften - Potenziale im Pendelverkehr 5 Häufigkeit abgelehnt wird. Ein weiterer Grund für die Nutzung des Pkw ist überdies dessen schlichte Verfügbarkeit (siehe Abbildung 1). Abbildung 1 Hauptgründe für die Nutzung des Pkw bzw. Nicht-Nutzung des ÖPNV (N=157) Bereitschaft Teilnahme nein 5% 24% 5% 1% 35% ja, als Mitfahrer 1% 4% 1% 2% 8% ja, als Fahrer 0% 5% 5% 1% 12% ja, als beides 1% 8% 28% 7% 45% Gesamt 7% 42% 39% 12% 100% Quelle: Eigene Darstellung Weiterhin wurden mögliche Gründe für bzw. gegen die Nutzung von Fahrgemeinschaften erfragt (siehe Tabelle 2). Die dabei ermittelten übergeordneten Faktoren spiegeln im Wesentlichen die Ergebnisse für die Nutzung des Pkw bzw. Nicht-Nutzung des ÖPNV wieder. So wird die Abnahme der Flexibilität als wesentlicher Grund gegen die Fahrgemeinschaft angeführt, da z. B. Umwege und Fahrzeitverlängerungen nicht in Kauf genommen werden wollen oder aber wechselnde Arbeitszeiten bereits eine flexible Alltagsorganisation erfordern. Dies zeigen auch die durch die Befragten angegebenen akzeptierten Umwegebzw. Wartezeiten, wobei von 85 Prozent maximal 10 Minuten toleriert werden. Als weiteres Nutzungshindernis wird der erforderliche Suchaufwand angeführt. Dabei gibt ein Großteil der Befragten an, dass entweder keine Informationen zu Fahrgemeinschaften vorliegen oder aber keine Mitfahrer auf der Strecke bekannt sind. Der/ die potenzielle Fahrpartner/ -in selbst spielt hingegen eine untergeordnete Rolle. Möglichen Sicherheits- oder Haftungsfragen sowie ein Verlust der Privatsphäre aufgrund fremder Personen im eigenen Fahrzeug bzw. der Mitfahrt in einem fremden 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% PKW ist verfügbar Schlechtes Angebot im ÖPNV Zeitgründen Flexibilität Erledigungen auf der Strecke Gründe für die Nutzung des PKW 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% ÖPNV fährt zu unpassenden Zeiten ÖPNV fährt zu selten Gebundenheit an den Fahrplan Fahrzeit ist länger als mit PKW Gründe für die Nicht-Nutzung des ÖPNV keine Zustimmung eher keine Zustimmung eher Zustimmung volle Zustimmung k.A. Bild 1: Hauptgründe für die Nutzung des PKW bzw. Nicht-Nutzung des ÖPNV (N=157) Eigene Darstellung POLITIK Mobilitätsmanagement Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 12 Element einem Faktor zugeordnet, wenn dessen Faktorladung mindestens |±0,3| beträgt. Bei Querladungen, also wenn ein Element auf mehreren Faktoren lädt, erfolgte bei einer Differenz zwischen den Ladungen von mindestens 0,2 eine eindeutige Zuordnung zu dem Faktor mit höherer Ladung. Andernfalls wurde die Querladung auf Plausibilität geprüft und das Element ggf. ausgeschlossen. Faktoren der Fahrgemeinschaftsnutzung Im Rahmen der Faktorenanalyse wurden zunächst Gründe für das bestehende Mobilitätsverhalten der Befragten erfasst, um so wesentliche Anforderungen an die im Alltag verwendeten Verkehrsmittel zu ermitteln. Hierbei lässt sich feststellen, dass vor allem die Flexibilität und die Fahrzeit des PKW ausschlaggebend für dessen Nutzung sind. Dies findet sich auch in den Gründen für die Nicht-Nutzung des ÖPNV wieder, welcher vor allem aufgrund mangelnder Regelmäßigkeiten, längeren Fahrzeiten und Häufigkeit abgelehnt wird. Ein weiterer Grund für die Nutzung des PKW ist überdies dessen schlichte Verfügbarkeit (siehe Bild 1). Die Bewertung von Fahrgemeinschaften ist ausgeglichen. So gaben 51 Prozent der Befragten an, gegenüber Fahrgemeinschaften positiv bzw. eher positiv eingestellt zu sein. Eine positive Einstellung korreliert überdies mit einer erhöhten Bereitschaft zur Teilnahme an einer Fahrgemeinschaft (siehe Tabelle 1). Weiterhin wurden mögliche Gründe für bzw. gegen die Nutzung von Fahrgemeinschaften erfragt (siehe Tabelle 2). Die dabei ermittelten übergeordneten Faktoren spiegeln im Wesentlichen die Ergebnisse für die Nutzung des PKW bzw. Nicht-Nutzung des ÖPNV wider. So wird die Abnahme der Flexibilität als wesentlicher Grund gegen die Fahrgemeinschaft angeführt, da z. B. Umwege und Fahrzeitverlängerungen nicht in Kauf genommen werden wollen oder aber wechselnde Arbeitszeiten bereits eine flexible Alltagsorganisation erfordern. Dies zeigen auch die durch die Befragten angegebenen akzeptierten Umwegebzw. Wartezeiten, wobei von 85 Prozent maximal zehn Minuten toleriert werden. Als weiteres Nutzungshindernis wird der erforderliche Suchaufwand angeführt. Dabei gibt ein Großteil der Befragten an, dass entweder keine Informationen zu Fahrgemeinschaften vorliegen oder aber keine Mitfahrer auf der Strecke bekannt sind. Der/ die potenzielle Fahrpartner/ -in selbst spielt hingegen eine untergeordnete Rolle. Möglichen Sicherheits- oder Haftungsfragen sowie ein Verlust der Privatsphäre aufgrund fremder Personen im eigenen Fahrzeug bzw. der Mitfahrt in einem fremden Fahrzeug wird eher nicht zugestimmt. Lediglich die Verlässlichkeit und das fehlende Rückfahrangebot werden als kritisch gesehen. Die Nutzungsgründe sind vor allem durch rationale Entscheidungsfindungen geprägt. So gaben die Befragten an, dass sich eine Motivation für die Nutzung von Fahrgemeinschaften vor allem durch die Kostenersparnis und Mindernutzung des eigenen PKW begründet. Ebenfalls wird ein subjektiv eingeschätztes fehlendes ÖPNV-Angebot als möglicher Grund angeführt. Ein im Verhältnis ähnlich hoch gewichteter Faktor ist der Beitrag zum Umweltschutz etwa durch die Reduzierung des Verkehrs oder dessen Effizienzsteigerung. Analog zu den Gründen für die Nicht-Nutzung spielen hingegen emotional-soziale Faktoren wie die Möglichkeit zu entspannen oder das Knüpfen von Kontakten keine ausgeprägte Rolle im Vergleich zu den beiden anderen Faktoren. Dem Parkraummangel als Grund für die Nutzung von Fahrgemeinschaften wird weder eindeutig zugestimmt noch widersprochen. Zudem lädt die Variable im Rahmen der Faktoranalyse mit dem Faktor Ökonomie und dem Faktor Emotional/ Sozial auf zwei Faktoren. Eine Nutzung von Fahrgemeinschaften aufgrund von Parkraummangel kann entsprechend als rationale Entscheidung zur Zeitersparnis (Faktor Ökonomie) oder als emotionale Entscheidung zur Stressersparnis (Faktor Emotional/ Sozial) verstanden werden. keine Zustimmung eher keine Zustimmung eher Zustimmung volle Zustimmung Gründe für die Nutzung von Fahrgemeinschaften Faktor: Ökologie Umweltschutz (n=149) Reduzierung des Verkehrs (n=149) Effizienzsteigerung des Verkehrs (n=145) 15 % 13 % 16 % 19 % 20 % 26 % 30 % 34 % 29 % 36 % 34 % 29 % Faktor: Ökonomie Fehlendes Angebot mit Bus/ Bahn (n=148) Kostenersparnis (n=152) Mindernutzung des eigenen Fahrzeugs (n=144) 13 % 13 % 13 % 20 % 18 % 27 % 24 % 24 % 24 % 44 % 45 % 36 % Parkraummangel a.) 26 % 22 % 24 % 28 % Faktor: Emotional/ Sozial Knüpfen von sozialen Kontakten (n=147) Entspannung (n=148) 35 % 28 % 8 % 27 % 18 % 28 % 15 % 17 % Gründe gegen die Nutzung von Fahrgemeinschaften Faktor: Partner Sicherheitsbedenken (n=143) Haftung/ rechtliche Unsicherheit (n=142) Verlust der Privatsphäre (n=145) Verlässlichkeit der Fahrtpartner (n=144) 1 Kein Angebot für Rückfahrt (n=144) 26 % 24 % 29 % 5 % 16 % 38 % 30 % 26 % 20 % 17 % 22 % 29 % 25 % 47 % 34 % 14 % 17 % 21 % 17 % 33 % Faktor: Flexibilität Umwegfahrten b.) (n=147) Fahrzeitenverlängerung b.) (n=148) Mangelnde Flexibilität (n=153) Wechselnde Arbeitszeiten (n=153) 11 % 11 % 5 % 11 % 27 % 27 % 7 % 8 % 39 % 40 % 34 % 25 % 24 % 22 % 55 % 56 % Faktor: Suche Keine Mitfahrer auf meiner Strecke (n=144) Keine Informationen zu FG (n=141) Überforderung bei der Suche nach geeigneten FG (n=143) 15 % 16 % 27 % 19 % 23 % 31 % 22 % 26 % 25 % 44 % 36 % 17 % Tabelle 2: Faktoren der (Nicht-)Nutzung von Fahrgemeinschaften (N=157) a) lädt sowohl auf Faktor Ökonomie als auch Faktor Emotional/ Sozial b) lädt auch auf Partner Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 13 Mobilitätsmanagement POLITIK Zur Förderung von Fahrgemeinschaften werden seitens der Befragten vor allem Pull-Fördermaßnahmen etwa in Form von Schnellspuren für Fahrgemeinschaften, der Auszahlung eines Öko-Bonus oder einer Parkplatzbevorzugung befürwortet. Ebenso positiv wird die Ausweitung von Vermittlungsangeboten und -funktionen bewertet. Hierzu zählen z. B. garantierte Rückfahrten oder die Harmonisierung von Arbeitszeiten. Sanktionen gegen die konventionelle Nutzung in Form einer Verteuerung werden hingegen abgelehnt (siehe Tabelle 3). Fazit und Handlungsansätze Wie die Analyse zur Nutzung von Fahrgemeinschaften zeigt, sind die Flexibilität und die kurze Fahrzeit des PKW die wesentlichen Entscheidungskriterien für dessen Nutzung [13]. Dieses gilt es aus Sicht der Befragten, auch bei der Nutzung von Fahrgemeinschaften, aufrechtzuerhalten. Umwegezeiten und Verzögerungen sowie ein möglicher Mehraufwand durch die Akquise von Fahrgemeinschaftspartnern/ -innen werden hingegen abgelehnt. Einen positiven Faktor der Nutzung von Fahrgemeinschaften stellt hingegen die Möglichkeit zur Kostenersparnis sowie der Beitrag zum Umweltschutz dar. Der Entscheidungsprozess ist somit durch eine ausgeprägte Nutzen- Kosten-Abwägung gekennzeichnet, wobei bei gleichbleibendem Nutzen möglichst kein (Zusatz-)Aufwand entstehen soll. Im Rahmen der Untersuchung konnten somit die Ergebnisse von Reinkober (1994) [6] bestätigt werden. Analog zu Mühlethaler et al. (2011) [7] ist ebenso eine grundsätzliche Bereitschaft unter den Befragten zur Nutzung von Fahrgemeinschaften festzustellen. Aufbauend auf den Analyseergebnissen lässt sich somit feststellen, dass vor allem den Betrieben, als Verkehrsverursacher, eine zentrale Aufgabe für die Organisation von Fahrgemeinschaften zu kommen kann [12]. So können im Rahmen des Betrieblichen Mobilitätsmanagements beispielsweise Fahrgemeinschaften organisiert und der Suchaufwand reduziert werden. Dies kann darüber hinaus ggf. mit einer weiteren Minimierung von Nutzungshindernissen einhergehen, da etwa der/ die Fahrgemeinschaftspartner/ -in im Vorhinein zumindest in Teilen bekannt ist und aufgrund tendenziell ähnlicher Tagesabläufe im selben Unternehmen die Flexibilitätsanforderungen der Teilnehmenden besser harmonisiert werden können (Pull-Maßnahmen). Hierfür bedarf es für die Unternehmen klarer Vorgaben und Verpflichtungen, da entsprechende Maßnahmen nur bei wirtschaftlicher Vorteilhaftigkeit für die Unternehmen durchgeführt werden. Diese sollten jedoch durch Subventionen und Restriktionen (siehe Tabelle 3) auf individueller Ebene ergänzt werden, um so zusätzlich auf die Verkehrsentscheidungen einzuwirken (Push- Maßnahmen). Diese besitzen zwar tendenziell eine geringere Akzeptanz seitens der Bevölkerung, zeichnen sich jedoch gleichzeitig durch ihr Potenzial aus, gezielt zu einer sozial-ökologischen Gestaltung des Pendelverkehrs beizutragen [12]. ■ 1 Zur Einordnung ist zu sagen, dass der Zeitraum vor Beginn der Corona-Pandemie und dem ersten Lockdown lag (erste gemeldete Fälle in Thüringen am 02.03.2020). QUELLEN [1] Pütz, T. (2019): Pendeldistanzen und Pendelverflechtungen. www.d e ut s c hl a nd atl a s . bund .d e/ D E / K a rte n/ Wie-wir-un sbewegen/ 100-Pendlerdistanzen-Pendlerverflechtungen.html#_ cqlmons07 (Abruf: 14.10.2021) [2] Statistisches Bundesamt, Hg.(Destatis) (2017): Erwerbstätige nach Stellung im Beruf, Entfernung, Zeitaufwand und benutztem Verkehrsmittel für den Hinweg zur Arbeitsstätte 2016 in %. www.destatis.de/ DE/ Themen/ Arbeit/ Arbeitsmarkt/ Erwerbstaetigkeit/ Tabellen/ pendler1.h tml (Abruf: 14.10.2021). [3] Rölle, D. (2005): Einflussfaktoren geänderten Mobilitätsverhaltens auf Arbeits- und Freizeitwegen. Zugl.: Stuttgart, Univ., Diss., 2005. Frankfurt am Main: Lang (Empirische und methodologische Beiträge zur Sozialwissenschaft, 22). [4] Nobis, C.; Kuhnimhof, T. (2018): Mobilität in Deutschland - MiD Ergebnisbericht. Studie von infas, DLR, IVT und infas 36 im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Bonn, Berlin [5] Reinke, V. (1985): Fahrgemeinschaften im Berufsverkehr. Möglichkeiten und Grenzen der Förderung. In: Institut für Raumplanung (Hrsg.): Dortmunder Beiträge zur Raumplanung, Band 39, Dortmund: o.V. [6] Reinkober, N. (1994): Fahrgemeinschaften und Mobilitätszentrale. Bestandteile eines zukunftsorientierten Öffentlichen Personennahverkehrs. In: Schriftenreihe für Verkehr und Technik, Band 81. Bielefeld: Erich Schmidt Verlag GmbH & Co. [7] Mühlethaler, F.; Axhausen K. W.; Ciari, F.; Tschannen-Süess M.; Gertsch-Jossi, U. (2011): Potenzial von Fahrgemeinschaften. Zürich. www.research-collection.ethz.ch/ handle/ 20.500.11850/ 58793 (Abruf: 14.10.2021) [8] Baron, S. (2017): Pendlerverkehr im ländlichen Raum - Ansatzpunkte für eine kollaborative Mobilität. In: Manz, W. (Hrsg.) Grüne Reihe. Nr. 72, Kaiserslautern: o.V., S. 3. [9] Bauer-Hailer, U. (2019): Berufspendler im Bundesländervergleich. In: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg (Hrsg.) Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 2/ 2019, Stuttgart: o.V. [10] Thüringer Landesamt für Statistik (Hrsg.) (o.J.): Pendler (30. Juni) nach Kreisen in Thüringen. https: / / statistik.thueringen.de/ datenbank/ default2.asp (Abruf: 14.10.2021) [11] Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Hrsg.) (o.J): Laufende Raumbeobachtung - Raumabgrenzungen. www.bbsr. bund.de/ BBSR/ DE/ forschung/ raumbeobachtung/ Raumabgrenzungen/ deutschland/ kreise/ siedlungsstrukturelle-kreistypen/ kreistypen.html (Abruf: 07.05.2021). [12] Schwedes, O.; Rammert, A. (2020): Mobilitätsmanagement. Ein neues Handlungsfeld integrierter Verkehrsplanung. Wiesbaden: Springer VS. Essentials. [13] Scheiner, J. (2006): Lebensstile und Lebenslage: Sind Lebensstile ‚eigensinnig‘ oder strukturell abhängig? In: Beckmann, K. J.; Hesse, M.; Holz-Rau, C.; Hunecke, M.( Hrsg.): StadtLeben - Wohnen, Mobilität und Lebensstil. Neue Perspektiven für Raum und Verkehrsentwicklung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften / GWV Fachverlage GmbH Wiesbaden. [14] Dauth, W.; Haller, P. (2018): Berufliches Pendeln zwischen Wohn- und Arbeitsort: Klarer Trend zu längeren Pendeldistanzen. IAB- Kurzbericht, H. 10/ 2018, Nürnberg Jannik Horn, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Verkehrswesenseminar, Technische Universität Berlin jannik.horn@tu-berlin.de Luise-Frida Neubauer, M.Sc. Freie Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Verkehrswesenseminar, Technische Universität Berlin luise-frida.neubauer@ campus.tu-berlin.de keine Zustimmung eher keine Zustimmung eher Zustimmung volle Zustimmung Faktor: Vermittlung Garantierte Rückfahrt (n=145) Harmonisierung der Arbeitszeiten (n=144) Unterstützung bei der Suche nach passenden FG (n=145) Vermittlungsplattform des Arbeitgebers (n=141) 19 % 19 % 24 % 29 % 10 % 26 % 32 % 22 % 41 % 30 % 25 % 32 % 30 % 25 % 19 % 15 % Faktor: Incentivierung Schnellspuren für FG (n=144) Parkplatzbevorzugung (n=146) Senkung des Versicherungsbeitrages (n=142) Auszahlung eines Ökobonus (n=145) 41 % 31 % 19 % 23 % 32 % 21 % 21 % 19 % 12 % 22 % 32 % 27 % 14 % 27 % 26 % 30 % Faktor: Sanktionierung konventioneller PKW-Nutzung Abschaffung der Entfernungspauschale (n=140) Erhöhung der Mineralölsteuer (n=143) 42 % 45 % 26 % 26 % 12 % 17 % 16 % 11 % Tabelle 3: Bewertung möglicher Maßnahmen zur Förderung von Fahrgemeinschaften Eigene Darstellung POLITIK Kommunikation Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 14 Kompetenznetz Klima Mobil Durch Vernetzung, Beratung und Wissensaustausch zu-mehr-Klimaschutz im Verkehr Klimaschutz, Kommunen, Straßenraum, Straßenraumgestaltung, Verkehrsberuhigung Um die Klimaschutzziele zu erreichen, muss der Verkehr in Städten und Gemeinden transformiert werden: Weniger CO 2 aus dem motorisierten Individualverkehr, dafür mehr ÖPNV und mehr Platz zum Leben. Wie das gelingen kann, soll das Kompetenznetz Klima Mobil in Baden-Württemberg zeigen. Günter Rasch, Adrian Messe D er Verkehrssektor ist einer der größten Verursacher von CO 2 , das gilt nicht nur für Baden-Württemberg, sondern für ganz Deutschland und den europäischen Raum. 1 Auch wenn der kommunale Handlungsspielraum von Bund, Land und EU mitbestimmt wird, haben Kommunen bereits heute weitreichende Handlungsspielräume, wenn es um die Umsetzung von hochwirksamen Klimaschutzmaßnahmen im Verkehrssektor geht. Ihnen kommt daher eine Schlüsselrolle bei der Transformation des Mobilitätssektors zu. Das bedeutet: Klimaschutz bedarf innovativer Verkehrslösungen vor Ort. Diejenigen, die bereits heute diesen Spielraum nutzen, verringern nicht nur den motorisierten Individualverkehr und schützen das Klima, sondern steigern damit gleichzeitig die Lebens- und Aufenthaltsqualität in den Kommunen. Das schafft Akzeptanz und macht Klimaschutz im Verkehr erlebbar. Das Kompetenznetz Klima Mobil berät und unterstützt Städte, Gemeinden und Landkreise, die hochwirksamen Maßnahmen zum Klimaschutz im Verkehr umzusetzen. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten hat sich das Kompetenznetz Klima Mobil vor zwei Jahren die Frage gestellt, welche Maßnahmen im Verkehr hochwirksam das Klima schützen. Als Ergebnis wurden 15 hochwirksame Einzelmaßnahmen definiert, die in die drei Themen Parkraumbewirtschaftung und Umwidmung von Straßenraum, Verkehrsberuhigung und Straßenraumgestaltung und die Bevorrechtigung umweltfreundlicher Verkehre zusammengefasst werden können. Ausschlaggebend bei deren Umsetzung ist, dass die jeweilige Maßnahme zu den individuellen Gegebenheiten in den Kommunen passt. Einer der Schwerpunkte des kommunalen Beratungsbedarfs liegt dabei eindeutig im Bereich Parkraummanagement und Umnutzung von Straßenraum, insbesondere beim Thema Bewohnerparken. Um eine langfristige Veränderung in der Verkehrszusammensetzung und im Mobilitätsverhalten zu erreichen, müssen solche hochwirksamen Maßnahmen umgesetzt werden, die klimaschädliches Verhalten erschweren und gleichzeitig Anreize für den Umstieg auf klimafreundliche Mobilitätslösungen setzen. Dabei fokussiert sich das Unterstützungsangebot des Kompetenznetzes auf restriktive, häufig ordnungsrechtliche Maßnahmen (Push-Maßnahmen), die in der konzeptionellen Planung sehr oft unterrepräsentiert sind (Bild 1). DIE VERWALTUNG ALS VORBILD WARUM SIND WIR UNTERWEGS? WEGEZWECKE BADEN-WÜRTTEMBERG ENTWICKLUNG VON HEUTE BIS 2050 WIE SIND WIR UNTERWEGS? MODAL SPLIT BADEN-WÜRTTEMBERG 2050 HEUTE 3,1 WEGE pro Person/ Tag 40 KM 80 MIN • Dienstreisen nur im Umweltverbund • Jobticket für Mitarbeitende • Fuhrparkmanagement (weniger Fahrzeuge, Umstellung auf E-Autos, mehr Carsharing) • gesünder • schadstoffärmer • klimaverträglicher • sicherer MIV (Motorisierter Individualverkehr) ÖV (Öffentlicher Verkehr) Fahrrad Fuß zur Arbeit im Dienst Ausbildung Einkauf Erledigungen Freizeit Begleitungen 21 17 17 10 4 6 6 8 7 15 11 35 14 29 Personenkilometer Wege MIV-Mitfahrer E-Mobilität (E-Autos, Pedelecs), Sharing (Car-, Bike-, Ridesharing), Digitalisierung („mobility as a service“, Verkehrssteuerung, universelle Apps & Tickets), autonomes Fahren, Urbanisierung, bei Jüngeren: rückläufiger Führerscheinbesitz und weg vom MIV zur Multimodalität Fixierung aufs Auto; Auto als Statussymbol, größere und schnellere Autos (SUVs), starke Autolobby, Automobilwirtschaft = Hauptwirtschaftszweig in Deutschland und BW, bei Älteren: stärkere und längere PKW-Nutzung, autogerechte Städte, Infrastrukturdefizite und Verspätungen im öffentlichen Fernverkehr Für jeden weg das optimale Verkehrsmittel (Multimodales Verkehrsverhalten) Montag … + + Dienstag Mittwoch Fahrrad ÖV Carsharing Wohnung Arbeit Verkehrsmittel geschickt kombinieren (intermodales Verkehrsverhalten) Anzahl der Wege in Prozent 19 66 16 53 Ländlicher Raum BW 26 32 11 13 18 Urbaner Raum BW Modal split 21 10 10 15 44 GEGENTRENDS ZIEL 1990 2050: -95 % VERKEHRSBEDINGTES CO 2 + = TRENDS • platzsparender • günstiger • leiser • städtebaulich attraktiver Angaben in Prozent (von 100) UMWELTVERBUND + CO-BENEFITS • Fahrgemeinschaften • Fahrradabstellanlagen und Umkleidekabinen • Mitarbeitende informieren und beraten SONDERTHEMA GÜTERVERKEHR • von der Straße auf die Schiene bzw. aufs Wasser (Binnenschifffahrt) • nachhaltige City-Logisitk (Paketlieferungen bündeln, letzte Meile mit alternativen Antrieben) • entsprechende Investitionen in Infrastruktur • intelligente IT-Lösungen SONDERTHEMA FLUGVERKEHR • stark steigend • fragwürdige Besteuerung und Preisgestaltung • mit erheblichen weiteren Umweltschäden (Lärm, Flächeninanspruchnahme) 2050 MIV / MIV-Mitfahrer ÖV Fußweg Fahrrad 2015 PUSH • Umverteilung von Straßenraum (an den Umweltverbund) • Stellplatzreduktion • restriktives Parkraummanagement • verkehrsberuhigte Zonen (Spielstraßen, Tempo-30-Zonen) • Zufahrtsbeschränkungen • Mautgebühren PULL • Ausbau ÖV + Taktverdichtung und Schnellspuren • gutes Radwegenetz, sichere Radwege + Abstellanlagen • viele Sharingangebote • sichere, freie Geh- und Schulwege MIV Vermeiden (kurze Wege, Homeoffice, …) Verlagern (auf ÖV, Rad- und Fußverkehr) Verbessern (kleinere und schadstoffärmere Autos, E-Mobilität, Angebote vernetzen, …) „ZUCKERBROT “ „PEITSCHE“ E-Mobilität + MOBILITÄT & VERKEHR Bild 1: Push Pull und Wirksamkeit Quelle: Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg Niederschwellige Beratung, persönlich und individuell Bis jetzt sind bereits über 80 Kommunen Teil des Netzwerks (Bild-2). Im Mittelpunkt stehen die Modellkommunen des Kompetenznetzes. Es wurden nach einem Bewerbungsaufruf 15 Städte und Gemeinden aus ganz Baden-Württemberg ausgewählt, die bei der Entwicklung und Umsetzung hochwirksamer Maßnahmen in den kommenden beiden Jahren intensiv fachplanerisch und kommunikativ begleitet werden. Unter diesen befinden sich auch mehrere kleine Gemeinden mit ambitionierten Verkehrsprojekten. Die umzusetzenden Maßnahmen können kontrovers sein und in den Kommunen für einen hohen Kommunikations- und Überzeugungsbedarf sorgen. Also müssen für eine erfolgreiche Umsetzung nicht nur Planung und Umsetzung konstruktiv begleitet werden, sondern auch die Interesseneigner angehört und in die Debatte eingebunden werden. Jede dieser Modellkommunen erhält ihr maßgeschneidertes Unterstützungsangebot aus Formaten, wobei Kommunikation und Überzeugungsarbeit in den Verfahren maßgeblich ist. Wer kommunikativ von den Vorteilen ambitionierter Verkehrs- und Mobilitätsprojekte überzeugen will, muss sich mit guten Argumenten offen der Diskussion stellen. Deshalb ist das Thema Kommunikation einer der wichtigsten Bausteine des Kompetenznetzes. Dabei werden drei Kommunikationsansätze verfolgt. Erstens sollen die kommunalen Entscheidungsebenen erreicht und von den Themen überzeugt werden. Dies geschieht in den Modellkommunen vor allen durch die Zusammenarbeit mit den regionalen Projektberaterinnen und Projektberatern und den Planungskonsortien, die auch in Sachen Kommunikation an der Projektierung beteiligt sind. In den weiteren Kommunen geschieht dies vor allem über das Beratungsangebot, das wiederum schwerpunktmäßig durch die regionalen Projektberaterinnen und Projektberater umgesetzt wird. Zweitens findet eine integrative Kommunikation über das Netzwerk statt, indem Arbeitsgruppen zu den jeweiligen Handlungsfeldern und Themen gebildet wurden. Hier können sich alle Kommunen einbringen. Der Teilnehmerkreis setzt sich sowohl aus den kommunalen Spitzen als auch aus der Fachebene zusammen. Schließlich drittens: Ab Ende 2021 wird zusätzlich für- die Mitglieder des Kompetenznetzes eine eigene Kommunikationskampagne anlaufen, mit der die Kommunen befähigt werden sollen, selbst kommunikative Überzeugungsarbeit in den kommunalen Gremien und bei der Bürgerschaft zu leisten. Für die Beratung wie für die Kommunikation ist der regionale Charakter des Kompetenznetzes ebenfalls ausschlaggebend: Mit vier regionalen Projektberaterinnen und Projektberatern vor Ort werden nicht nur die Planungs- und Beratungskonsortien gesteuert, die sich konkret um die Anliegen der Modellkommunen kümmern. Sie sind darüber hinaus die Hauptansprechpersonen der Kommunen in den vier Regierungsbezirken und vernetzen die unterschiedlichen Akteure der nachhaltigen Mobilität gezielt miteinander. Neue Vorgehensweisen zur Umsetzung hochwirksamer Maßnahmen Aufgrund der großen Bandbreite an Modellkommunen - klein, mittel, groß, ländlich oder urban - und Verkehrsprojekten werden im Kompetenznetz insgesamt vielfältige Unterstützungsformate umgesetzt. Auch die Vorgehensweise zur Umsetzung ist immer auf die jeweilige Modellkommune zugeschnitten. Insgesamt ist über den gesamten Projektzeitraum die Umsetzung von über 300 Formaten geplant. Hierzu gehören beispielsweise Vor-Ort- Begehungen, Pop-up-Maßnahmen oder Bürgerdialoge. Ferner finden zahlreiche Sitzungen in den Fachausschüssen, Beratungs- KONTAKT Messe Berlin GmbH Messedamm 22 · 14055 Berlin T +49 30 3038 2376 innotrans@messe-berlin.de InternationalesVerkehrswesen_InnoTrans2022_102x297_de.indd 1 InternationalesVerkehrswesen_InnoTrans2022_102x297_de.indd 1 13.10.2021 10: 11: 35 13.10.2021 10: 11: 35 POLITIK Kommunikation Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 16 gespräche und Arbeitstreffen statt. Bereits jetzt zeichnet sich ab, wie wichtig innovative und kreative Formate sind, wenn es um das Thema Bürgerbeteiligung geht. Dies können Malwettbewerbe an Schulen oder temporäre Experimentierräume sein, die für die Menschen erlebbar sind und einen Perspektivwechsel herbeiführen können. Maßnahmen können am besten dann beschlossen werden und in die Umsetzung kommen, wenn ein positives Erleben und positive Botschaften damit vermittelt werden können. Um den Umsetzungsprozess so agil wie möglich zu gestalten, möchte das Kompetenznetz Veränderungsprozesse initiieren und gleichermaßen auf neue Veränderungen eingehen. Dies wird beispielsweise bei aufkommenden verkehrsrechtlichen Fragestellungen besonders deutlich, bei denen das Kompetenznetz zur Klärung beiträgt. Hier ist es auch ein Ziel des Kompetenznetzes, verkehrsrechtliche Hürden aufzuzeigen und somit Impulse zu Gesetzesänderungen zu geben. Die primäre Zielgruppe des Kompetenznetzes sind die Kommunen, bestehend aus der Entscheider- und Fachebene. Die Kommunen sind dabei auch die Multiplikatoren zur Erreichung ihrer Bürgerschaft. Ziel ist es, dass in den kommunalen Gremien Verständnis und Zustimmung für entsprechende fachlich richtige Maßnahmen entstehen. Wir bieten Auftaktgespräche, Informationsrunden, zahlreiche Workshops und Veranstaltungen sowie eine Kommunikationskampagne für die Mitglieder des Netzwerks. Strukturelle Herausforderungen für eine Neue Mobilität Das Thema Klimaschutz im Verkehr erfährt in Kommunen wachsende Dringlichkeit. Die Ziele zum Klimaschutz sind international, national und auf Landesebene definiert und festgelegt worden. Alle Ebenen sind angehalten, ihren Beitrag zur Erfüllung dieser Ziele zu leisten. Ordnungsrechtlich ist die Aufgabe des Staates eindeutig: Wer Ziele setzt, muss den Kommunen auch ermöglichen, diese zu erreichen. Die Herausforderung dabei ist, dass sich Verwaltungsabläufe an Subsidiarität und Föderalstruktur orientieren, nicht an den Klimaschutzzielen. Eine „Neue Mobilität“ muss also Klimaschutz und kommunalen Verkehr miteinander vereinen: Infrastruktur, ÖPNV, Klimaschutz und kommunale Projektierungen müssen künftig systemisch zusammenhängend betrachtet und kommuniziert werden. Konkret heißt das, dass praktikable und umsetzbare Projekte zum Klimaschutz im Verkehr in die Fläche getragen werden sollten. Hier setzt das Kompetenznetz an: Die Modellvorhaben der 15 Kommunen sollen Leuchttürme sein für alle Kommunen, die etwas beim Klimaschutz im Verkehr bewegen wollen. Daraus entstehen Lerneffekte. Auf Dauer sollen allgemeine Handlungsmöglichkeiten auf dem Weg zu einer Neuen Mobilität in Kommunen aufgezeigt und in die kommunalen Abläufe internalisiert werden, nicht nur in Baden-Württemberg. Darum transferieren wir unsere Erkenntnisse auch auf die Bundesebene und künftig auch auf die europäische Ebene. Wir sind davon überzeugt, dass Kommunen einer der Schlüssel sind, wenn es um eine zukunftsfähige, effiziente und klimafreundliche Mobilität geht. ■ 1 Im Jahr 2020 verursachte das Verkehrswesen in Deutschland 146 Mio. Tonnen CO 2 . Quelle: Umweltbundesamt: Nationales Treibhausgasinventar 2021, 12/ 2020; Presseinformation 07/ 2021 vom 15.03.2021 Günter Rasch Projektleiter, Kompetenznetz Klima Mobil, Stuttgart guenter.rasch@nvbw.de Adrian H. Messe Strategische Kommunikation, Kompetenznetz Klima Mobil, Stuttgart adrian.messe@nvbw.de AUF EINEN BLICK Das Kompetenznetz wurde von der Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg (NVBW) in Kooperation mit der Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg (KEA-BW) ins Leben gerufen. Gefördert wird das Kompetenznetz Klima Mobil durch die Bundesrepublik Deutschland. Zuwendungsgeber ist das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages, im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative (NKI). Die Fördersumme beträgt 2,3 Mio. EUR. Das Verkehrsministerium Baden-Württembergs beteiligt sich mit einem ähnlichen Betrag und unterstützt das Kompetenznetz inhaltlich. Die Projektlaufzeit ist von September 2019 bis August 2022 (NKI-Förderkennzeichen: 03KF0101). Bild 2: Kommunen im-Kompetenznetz Klima Mobil Quelle: NVBW Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 17 P olitisch läuft es derzeit gut für die Bahnbranche in der EU. Während des „Europäischen Jahrs der Schiene“ kann sie sich öffentlich in Szene setzen. Und bei den Überlegungen, wie die EU-Klimaschutzziele besonders im „Problemfeld“ Verkehr erreicht werden können, wird in den Hauptstädten der Mitgliedstaaten betont, welche wichtige Rolle die Bahn dabei spielen muss. Auch Geld zur Förderung von Bahnprojekten ist im Moment in der EU so reichlich vorhanden wie nie. Von den 750 Mrd. EUR aus dem europäischen Corona-Wiederaufbauprogramm „Next Generation EU“ soll der Löwenanteil in Projekte fließen, die Klimaschutz und Digitalisierung nutzen. In beiden Kategorien haben Bahnprojekte gute Chancen, sich für Fördermittel zu qualifizieren. Nach einer vorläufigen Bilanz der EU-Kommission haben die Mitgliedstaaten vor, 52 % der Mittel, die sie aus der Recovery and Resilience Facility (RRF) - dem Hauptpfeiler des Corona- Wiederaufbauprogramms - für Verkehrsprojekte bekommen, in die Eisenbahn zu investieren. Aus dem Verkehrsbudget des EU-Infrastrukturprogramms „Connecting Europe Facility“ (CEF) gingen zwischen 2014 und 2020 gar 71 % der Mittel an die Bahn, das entspricht etwa 16,5 Mrd. EUR. Die Bahnbranche sollte sich aber nicht darauf verlassen, dass dieser Trend jetzt bis 2050 - dem derzeitigen Zieldatum der Klimaschutzpolitk - anhält. Denn mit dem politischen Rückenwind und dem Umfang der Fördermittel für die Bahn nimmt in Brüssel auch der Erwartungsdruck zu. Die Bahn muss auch „liefern“ und zeigen, dass sie etwa bei der Güterverlagerung weg von der Straße deutlich mehr bewegen kann als bisher. In der EU-Kommission wird durchaus kritisch auf die vielfältigen Finanzierungswünsche der Branche geschaut. Bei Projekten, die langfristig mehr Effizienz und Gewinnmöglichkeiten versprechen, wie der Einführung der Digitalen Automatischen Kupplung, wird erwartet, dass die Unternehmen auch selbst ordentliche Summen investieren, statt auf öffentliche Förderung zu warten. Die Notwendigkeit, öffentliche Mittel in Bahninfrastruktur - gerade grenzüberschreitende - zu stecken, wird in der Kommission nicht in Frage gestellt. Man sei sich bewusst, dass die Eisenbahn als netzgebundener Verkehrsträger andere Bedürfnisse hat und mehr technischen Beschränkungen unterliegt als beispielsweise der Luftverkehr, heißt es dort. Mit Stirnrunzeln sieht man in Brüssel aber die schleppenden Fortschritte bei der Einführung neuer Technologien oder beim Abbau der vielen technischen Hindernisse für den grenzüberschreitenden Bahnverkehr. Milliardenschwere Subventionen könnten nicht endlos gerechtfertigt werden, wenn sich hier nichts tut, Ineffizienzen weiter bestehen und der EU-Eisenbahnbinnenmarkt weiter zersplittert bleibt, heißt es an maßgeblicher Stelle. Zumal der derzeitige EU-Geldsegen voraussichtlich nicht von Dauer ist und auch die anderen Verkehrsträger immensen Investitionsbedarf haben. Schiffe, Flugzeuge, LKW und PKW brauchen neue Antriebstechnologien und Treibstoffe sowie die dafür nötigen Tank- und Ladestellen. Für Flottenumrüstung und eine Infrastruktur für alternative Kraftstoffe hat die Kommission den Finanzbedarf bis 2030 auf 130- Mrd. EUR pro Jahr geschätzt. Um die „Investitionslücke“ bei der „grünen und digitalen Transformation“ zu schließen, veranschlagt sie in ihrer Strategie für intelligente und nachhaltige Mobilität noch 100 Mrd. EUR zusätzlich pro Jahr. Die Bahn spielt zwar eine tragende Rolle beim Klimaschutz, aber man sollte nicht vergessen, dass ihre Möglichkeiten begrenzt sind. Es ist unmöglich, die Mitgliedstaaten mit neuen Trassen zuzupflastern und nahezu alle Fabriken und Geschäfte ans Schienennetz anzuschließen. Umso weniger, wenn der Bau neuer Infrastruktur weiter so lange dauert wie bisher. Die Bahn hat derzeit in der EU einen Anteil von 19 % am Gütertransport. Das Potenzial ist schwer zu schätzen, aber jenseits der 50 % dürfte es schwierig werden. Auch wenn in der DDR schon einmal mehr als 70 % aller Güter per Bahn befördert wurden. Klar ist: Um die Klimaziele zu erreichen, braucht die EU neben der Bahn auch viele nachhaltig angetriebene LKW, Schiffe und Flugzeuge nebst Tank- und Ladeinfrastruktur. Bei der Finanzierung dürfte es noch harte Verteilungskämpfe geben. Die Bahn steht dabei nicht automatisch auf Platz eins. ■ Frank Hütten EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON FRANK HÜTTEN Klimaschutz und die Bahn: Große Hoffnungen, steigende Erwartungen Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 18 INFRASTRUKTUR Raumnutzung Platz statt Kreuzung Straßenraum neu denken: Mehr Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum als Treiber für die Verkehrswende Fußverkehr, Realexperiment, Verkehrswende, Transformationsprozess, Öffentlicher Raum, Aufenthaltsqualität Insbesondere in Städten ist der öffentliche Raum eine knappe Ressource, die durch unterschiedliche Nutzungen beansprucht wird. Daher stellt sich die Frage, wie der öffentliche Raum umgestaltet und neuverteilt werden kann, um möglichst vielen Stadtbewohner: innen zugute zu kommen und aktive Mobilität zu fördern. Mit dieser Frage hat sich das DLR Institut für Verkehrsforschung im Rahmen der transdisziplinären Forschungsgruppe EXPERI - Die Verkehrswende als sozial-ökologisches Realexperiment (TU Berlin, IASS, DLR) - auseinandergesetzt und ein fünfwöchiges Realexperiment in Berlin-Charlottenburg mithilfe von partizipativen Formaten sowie qualitativen und quantitativen Methoden begleitet. Julia Jarass, Antonia Nähring, Shari Merzoug, Sophia Becker, Katharina Götting, Anke Kläver, Alexander Czeh D ie Verkehrswende braucht neben einem klaren politischen Fahrplan auch ein Klima der Experimentierfreudigkeit für die Erprobung von neuen Praktiken, Organisationsformen und Aneignungsprozessen. Reallabore leisten dazu einen wichtigen Beitrag [1]. Die Verteilung und Nutzung des öffentlichen Raums spielt für die Verkehrswende eine wesentliche Rolle. Je nachdem, welche Infrastrukturen vorhanden sind und ausgebaut werden, hat dies auch einen entscheidenden Einfluss auf die künftigen Mobilitätsoptionen und damit auf das Mobilitätsverhalten. Aktuell steht der Großteil des Straßenraums dem motorisierten Individualverkehr (MIV) zur Verfügung, dies spiegelt sich jedoch nicht unbedingt im Modal Split wider (z. B. SenUVK 2018 [2], Stößenreuther 2014 [3]). Obwohl der PKW-Besitz in urbanen Räumen vergleichsweise niedrig ist, dominieren PKW an vielen Orten das innerstädtische Straßenbild. Im Sinne einer sozial-ökologischen Verkehrswende müssen die aktuelle Flächenverteilung überdacht und alternative Nutzungsmöglichkeiten für den öffentlichen Raum aufgezeigt werden. Mithilfe von Realexperimenten kann der öffentliche Raum für einen temporären Zeitraum umverteilt und umgestaltet werden. Inwiefern eine solche Umverteilung des öffentlichen Raums (partizipativ) angenommen wird und welche Effekte sich für die Mobilität ergeben, wird im Folgenden am Beispiel eines Realexperiments in Berlin-Charlottenburg beleuchtet, bei dem für fünf Wochen eine Kreuzung zu einem Stadtplatz umgestaltet wurde. Realexperimente im Rahmen der transdisziplinären Forschung Das Reallabor ist ein Format der transdisziplinären Forschung, das durch eine systemische, prozessorientierte Vorgehensweise charakterisiert ist, lokale Partnerakteure einbindet und einen spezifischen räumlichen Fokus hat. Oftmals werden innerhalb eines Reallabors mehrere einzelne Realexperimente durchgeführt. Dabei können alle drei Wissensformen der transdisziplinären Forschungsarbeit [4] generiert werden: Systemwissen über die messbaren Effekte einer experimentellen Maßnahme, z. B. in Form von Verkehrszählungen; Orientierungswissen über die erwünschten Zukünfte, z. B. in Form von partizipativ entwickelten Visionen und Ideen für eine dauerhafte Umgestaltung eines Stadtplatzes; Transformationswissen darüber, wie die einzelnen Teilprozesse der Verkehrswende konkret und im Detail umgesetzt werden können, z. B. in Form von kollaborativer Gestaltung und Wissensintegration mit den Praxisakteuren aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft vor Ort. Bei Realexperimenten sollte verschiedenen Raumdimensionen und ihren Wechselwirkungen besondere Beachtung geschenkt werden. Von Wirth und Levin-Keitel unterscheiden hierbei die materiell-physische, die handlungsbezogen-prozedurale, die regulativ-institutionalisierte und die kulturell-symbolische Raumdimension lokaler Nachhaltigkeitsexperimente [5]. Insgesamt ermöglicht das Format des Realexperiments die Erarbeitung von sozial robustem Wissen, das sowohl praktisches als auch wissenschaftliches Wissen integriert (Co-Produktion) [6]. Damit kann das Realexperiment als transformative Forschung verstanden werden [7]. Es leistet einen signifikanten Beitrag zum Erkenntnisfortschritt in Hinblick auf die Implementierung und Gestaltung der Verkehrswende. Realexperimente bieten zahlreiche Vorteile. Dazu zählt, dass Umgestaltungsideen und potenzielle Veränderungen von Technik oder Raum praktisch erfahrbar werden. Dadurch können negative Vorstellungen, Sorgen und Befürchtungen bei den Anwohner: innen und Beteiligten reduziert werden. Die Meinungen von Einwohnerschaft und politischen Akteuren oder der kommunalen Verwaltung werden sichtbar, weil sie sich auf eine erlebbare neue Situation oder Flächenkonfiguration beziehen, anstatt auf konzeptionelle und theoretisch denkbare Szenarien. So treten auch die Konstellationen, Interessen und Dynamiken der relevanten Akteure vor Ort zu Tage. Insbesondere die regulatorischen Rahmenbedingungen und deren mögliche Adaptation werden nicht mehr als selbstverständlich und unveränderlich angesehen, sondern zum Gegenstand der Debatte. Mögliche Hindernisse für eine flächendeckende Umsetzung der experimentellen Rekonfiguration des Raums werden offenbart und thematisiert. Dies ist die Grundlage für eine Erarbeitung von Lösungsstrategien zur Überwindung dieser Hindernisse im Sinne einer sozial-ökologischen Verkehrswende. Die Methode des Realexperiments birgt jedoch auch Risiken in sich. Im Gegensatz zum klassischen Labor-Experiment, in dem die Wissenschaftler: innen alle Variablen Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 19 Raumnutzung INFRASTRUKTUR kontrollieren und gezielt konfigurieren können, ist das Verhalten der beteiligten Akteure in einem Realexperiment nur sehr begrenzt steuerbar. Dies gilt ebenso für den Verlauf und die spezifische zeitlich-räumliche Ausgestaltung des Realexperiments selbst. Für die temporäre Umgestaltung eines Stadtplatzes ist sowohl das Einverständnis der zuständigen Verwaltung als auch der Wille der politischen Entscheidungsträger vor Ort notwendig. Dies erfordert intensive Kommunikation und Abstimmungsprozesse zwischen diesen Akteuren und dem Forschungsteam. In der Regel ist das Forschungsteam maßgeblich verantwortlich für die kollaborative Prozessgestaltung, auch wenn der starke Einfluss der nichtwissenschaftlichen Akteure gewünscht und im Sinne eines Co-Designs wichtiger Bestandteil des transdisziplinären Prozesses ist [8]. Diese Dynamik des Prozesses bringt es mit sich, dass Realexperimente nicht für konfirmatorische Forschungsdesigns geeignet sind, sondern ein exploratives Forschungsformat sind, das von den Wissenschaftlern große Flexibilität und kurzfristiges Reaktionsvermögen verlangt. Methodisches Vorgehen: Eine Kreuzung wird zum Stadtplatz Von Ende September bis Ende Oktober 2021 wurde die Kreuzung Horstweg/ Wundtstraße in Berlin-Charlottenburg für fünf Wochen zu einem Stadtplatz. Hierfür hat das DLR Institut für Verkehrsforschung eine Anordnung nach § 45 StVO der Straßenverkehrsbehörde erhalten. Da die Anordnung kurzfristig ausgestellt wurde, konnten Anwohner: innen erst wenige Tage vor Beginn des Realexperiments anhand einer Postwurfsendung und einem Projektplakat auf der Kreuzung informiert werden. Mit einem partizipativen Plakat wurden die Anwohner: innen aufgefordert, ihre Gestaltungsideen einzubringen (Bild 2). Die Bespielung des Stadtplatzes basierte überwiegend auf partizipativen Formaten: Durch gemeinsame Gestaltungsaktivitäten und Diskussionsrunden wurde die Nachbarschaft angeregt, eigene Ideen zu äußern und umzusetzen. Gemeinsam mit der Nachbarschaft wurden beispielsweise Baumscheiben begrünt, Platzmöbel gebaut sowie eine Musik- und Kulturveranstaltung, ein Flohmarkt und ein Abschlussfest durchgeführt. Wöchentliche Updates über Veranstaltungen wurden an den Haustüren und an zentralen Stellen im Viertel ausgehängt. Bei spontanen Treffen, offenen Versammlungen mit Kindern und Erwachsenen sowie einer Diskussionsrunde mit dem Bezirksstadtrat kam es zudem zum Meinungsaustausch über den Stadtplatz. Ein Schwarzes Brett spielte für den Meinungsaustausch eine zentrale Rolle. Zum Teil wurde hier deutlich, wie emotional die Diskussion um die Umgestaltung des öffentlichen Straßenraums geführt wurde. Die Evaluierung dieser temporären Transformation des Straßenraums wurde durch zwei quantitative Haushaltsbefragungen, eine Passanten-Befragung sowie eine Verkehrszählung durchgeführt, deren Ergebnisse im Folgenden vorgestellt werden. Verkehrszählung Vor, nach und während der temporären Umgestaltung zum Stadtplatz wurde jeweils eine halbe Stunde an jeweils drei unterschiedlichen Tagen unter der Woche zu drei unterschiedlichen Zeiten (morgens, mittags, abends) der Verkehr an der Kreuzung gezählt. In Bild 3 sind die Ergebnisse für den Fußverkehr dargestellt. Hier zeigt sich, dass die Straße während des Realexperiments die am stärksten genutzte Wegroute der Fußgänger: innen darstellt: 40 % nutzten die Bild 1: Kreuzung Horstweg/ Wundtstraße vor und während des Realexperiments Quelle: Stadtplatzinitiative (links), Bauer (rechts) Bild 2: Partizipatives Format für mögliche Gestaltungslemente (links); Graphic Recording einer Diskussionsrunde am temporären Stadtplatz (rechts) Quelle: DLR / Christoph Kunst 2020 Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 20 INFRASTRUKTUR Raumnutzung Straße (Z2) zur Fortbewegung. Außerhalb des Projektzeitraums stellte die Hauptroute der Fußgänger: innen der Weg über den Dreiecksplatz (Z1) dar (37 %). Interessant ist zudem, dass deutlich mehr Personen während des Realexperiments auch außerhalb von Aktivitäten auf dem Platz verweilt haben, was an den zusätzlichen Sitzmöglichkeiten während des Projekts gelegen haben könnte. Bei den Verkehrszählungen am Nachmittag (während des Projekts) haben 17 % der Passanten kurzzeitig auf dem Stadtplatz verweilt. Passantenbefragung Während der Aktivitäten am Stadtplatz (z. B. Flohmarkt, Diskussionsrunden) wurden 91 Passant: innen zu ihrer Meinung und Nutzung des Stadtplatzes befragt, wovon der Großteil aus der Nachbarschaft kommt (Umkreis von 1 km). Die Passantenbefragung ergab ein positives Bild vom Stadtplatz. Trotz einer PKW- Besitzquote von über 50 % sahen 85 % der Befragten das Konzept des Stadtplatzes positiv, lediglich 4 % bekundeten eine negative Meinung zum Stadtplatz. Dementsprechend sprachen sich auch 79 % der Passant: innen für die Verstetigung des Stadtplatzes aus, weitere 16 % hatten eine neutrale oder ambivalente Einstellung und 5 % stellten sich klar gegen die Verstetigung. Zusätzlich wurde auch nach dem konkreten Erleben des Stadtplatzes gefragt. Die Gründe für den Aufenthalt auf dem Stadtplatz sind heterogen: je etwa 20 % der Befragten besuchten den Stadtplatz, um an Aktivitäten und Veranstaltungen teilzunehmen oder um die Diskussion am Schwarzen Brett zu verfolgen. Jeweils 10 bis 15 % gaben als Grund den Austausch mit Nachbar: innen und Bekannten und den Aufenthalt zur Entspannung sowie zum Spielen für Kinder an. Etwa 12 % der Passant: innen gaben an, den Stadtplatz nicht gezielt aufgesucht zu haben. Unabhängig vom Aufenthaltsgrund berichtete gut ein Drittel der Passant: innen, durch den Stadtplatz mit Nachbar: innen ins Gespräch gekommen zu sein. Haushaltsbefragung Insgesamt wurden 1.763 Haushalte in den umliegenden Straßen gebeten, an der schriftlichen Haushaltsbefragung teilzunehmen. In der ersten Befragung zu Beginn des Projektes haben 204 Personen teilgenommen, bei der zweiten Welle nach dem Projekt 263 Personen (Rücklaufquote 12 % bzw. 15 %). Im Folgenden werden die Ergebnisse der zweiten Befragung vorgestellt. Meinung zum temporären Stadtplatz und zur Nutzung des öffentlichen Raums Bei der Frage nach der Meinung zum temporären Stadtplatz haben sich etwa gleich viele Personen für bzw. gegen den Stadtplatz ausgesprochen (Bild 4). Ist mindestens ein PKW im Haushalt verfügbar, fällt die Meinung zum temporären Stadtplatz weniger positiv aus, als bei den Haushalten ohne eigenen PKW. Knapp die Hälfte der Befragten mit PKW im Haushalt sehen den Stadtplatz positiv bzw. neutral. Je älter die Befragten sind, desto stärker nimmt die positive Meinung über den Stadtplatz ab. In der Altersgruppe der 18 bis 29-Jährigen bewerten mehr als zwei Drittel den Stadtplatz positiv, wohingegen in der Altersgruppe der 75-Jährigen und Älteren weniger als ein Drittel eine positive Meinung hat. Ein Vergleich mit der Altersstruktur im statisti- Bild 3: Verkehrszählung der Fußgänger: innen vor, nach und während des Realexperiments Darstellung: Nähring 2021, Daten: DLR 2020 n=252 60 34 17 13 19 53 kein Pkw mind. 1 Pkw Einstellung nach Pkw im Haushalt 42% 13% 43% 2% Einstellung zum temporären Stadtplatz positiv neutral negativ weiß nicht 68% 53% 49% 42% 34% 31% 9% 5% 16% 15% 17% 12% 18% 42% 36% 42% 47% 54% 18 bis 29 Jahre 30 bis 39 Jahre 40 bis 49 Jahre 50 bis 64 Jahre 65 bis 74 Jahre 75 Jahre und älter Einstellung nach Altersgruppen positiv neutral negativ weiß nicht n=233 n=241 42% 39% 60% 17% 18% 6% 37% 42% 34% 1-Personen-HH Paar-HH Familien Einstellung nach Haushaltstyp n=205 Bild 4: Bewertung des Stadtplatzes sowie Einstellung nach Haushaltstyp, PKW-Besitz und Altersgruppen Darstellung: Nähring 2021, Daten: DLR 2020 Bild 5: Überdachtes Schwarzes Brett zum Austausch von Meinungen, Veranstaltungsankündigungen und Anregungen (links) und Kultur-Samstag mit Musik aus dem Kiez (rechts) Quelle: Nähring/ Andermatt 2020 Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 21 Raumnutzung INFRASTRUKTUR schen Planungsraum zeigt, dass jüngere Altersgruppen in der Befragung unterrepräsentiert sind und demnach die Einstellung zum Stadtplatz zugunsten älterer Personen etwas verzerrt ist. Die Befragten sind sich (in der Theorie) relativ einig, dass Fußgänger: innen bei einer Neuaufteilung des öffentlichen Raums am meisten Platz erhalten sollten. 79 % wollten dem Fußverkehr am meisten Platz zugestehen, was sich beispielsweise mit einer Umfrage des ADAC deckt [9]. Somit liegt eine Diskrepanz bei den Einstellungen vor, inwiefern grundsätzlich der öffentliche Raum aufgeteilt werden sollte und inwiefern die Personen zur tatsächlichen Umsetzung im Fall eines Realexperiments stehen. Nutzung des Stadtplatzes und veränderte Bedeutung Während ein knappes Drittel der Befragten den Stadtplatz nicht genutzt hat, wurde von Nutzer: innen die Diskussion auf dem Schwarzen Brett sehr häufig verfolgt, in Austausch mit der Nachbarschaft getreten und häufig an Veranstaltungen auf dem Stadtplatz teilgenommen (z. B. Flohmarkt, Kultur-Samstag, offene Diskussionsrunden, siehe Bild 5). Hierdurch hat sich womöglich auch der Eindruck des Stadtplatzes verändert. Vor der Durchführung der Kreuzungsumgestaltung wurde der kleine Dreiecksplatz auf der Kreuzung in erster Linie als Transitraum verstanden. Nach der temporären Umgestaltung sehen mehr Personen die Fläche als Ort der Zusammenkunft/ Nachbarschaft und als Wohlfühlort. Bei der Frage nach Effekten des Stadtplatzes auf das Umfeld hat sich nach der Meinung der Befragten die Situation rund um den Autoverkehr - also Parkplatzsuche, die Bedingungen für den Autoverkehr sowie der Verkehr in angrenzenden Straßen - verschlechtert (Bild 6). Deutlich verbessert haben sich die Aufenthaltsqualität, die Nutzung des öffentlichen Raums, die Situation für Kinder/ Familien, die Bedingungen für den Fußverkehr, die Verkehrssicherheit und die Querung des Platzes. In Bezug auf das Thema Lärm lässt sich feststellen, dass der Verkehrslärm durch den temporären Stadtplatz abgenommen hat, während sich der Freizeitlärm erhöht hat. Alternative Parkmöglichkeiten und Mobilitätsangebote Für den Wegfall der Parkplätze während des Realexperiments wurden 20 Parkplätze auf einem etwa acht Gehminuten entfernten Supermarkt-Parkplatz zur Verfügung gestellt, wo Anwohner: innen nach vorheriger Anmeldung kostenlos und zeitlich unbegrenzt parken konnten. Allerdings ist der Parkplatz durch eine Schranke in den Nachtstunden zwischen 22: 30 und 5: 30 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen nicht zugänglich. In dieser Zeit konnte das Fahrzeug auf dem Parkplatz stehen bleiben, allerdings war keine Ein- und Ausfahrt möglich. Das Angebot wurde zunächst an 200 Personen verteilt, die in unmittelbarer Nähe des Stadtplatzes wohnen. Da allerdings nur neun Personen das Angebot angenommen hatten, wurde es später am Schwarzen Brett veröffentlicht. Obwohl die Hälfte der Befragten von dem Angebot des alternativen Parkplatzes auf dem Supermarktgelände wussten, hatten sich auch nach der Veröffentlichung am Schwarzen Brett insgesamt nur neun Personen für die Nutzung entschieden. Etwas mehr als ein Drittel der Befragten gab an, dass sie die Parkmöglichkeit genutzt hätten, sofern sie davon gewusst hätten. Die Gründe für die Nicht-Nutzung der alternativen Parkmöglichkeit sind insbesondere die Schließzeiten (29 %) sowie der Transport von großen und schweren Gegenständen bei acht Minuten Gehwegentfernung (24 %). Für 12 % der Befragten waren acht Gehminuten umständlich bzw. ein zu großer Zeitverlust (9 %) oder aufgrund von Mobilitätseinschränkungen zu weit (4 %) (Bild-7). Da alternative Mobilitätsangebote das Potenzial haben, die private PKW-Nutzung zu reduzieren, wurde nach der Nutzung einer Mobilitätsstation mit neuen Mobilitätsangeboten (Carsharing, E-Roller, E- Tretroller, Bikesharing und Lastenrad) und der Ersetzung von privaten PKW-Wegen durch die Angebote gefragt. 23 % der Befragten gaben an, dass sie ein Lastenrad nutzen würden, 14 % Carsharing, E-Roller und E-Tretroller je 5 %. Insgesamt würden 21 % der Befragten mit mindestens einem PKW im Haushalt einen PKW-Weg durch- ein Fahrzeug der Mobilitätsstation ersetzten. Diskussion und Fazit Das Realexperiment hat bestätigt, dass die Verkehrswende und insbesondere die Umverteilung des öffentlichen Raums ein emotional geführtes Thema ist. Die Meinung der Anwohnerschaft zur neuen Nutzung des öffentlichen Raums ist etwa zu gleichen Teilen sowohl positiv als auch negativ, wobei insbesondere ältere Menschen das Realexperiment kritisch bewerten. Hierzu ist weitere Forschung notwendig, um die Gründe für die Sichtweise älterer Menschen zu verstehen und gleichzeitig die Bedürfnisse älterer Menschen aufzuzeigen, um im Rahmen einer intergenerationalen Stadtentwicklung Räume zu schaffen, die für eine Vielfalt an Menschen nutzbar sind. Anwohner: innen haben das Gefühl, dass sich durch das Realexperiment die Bedingungen für den Autoverkehr verschlechtert haben und sich Faktoren rund um die Aufenthaltsqualität, Situation für Kinder/ Familien, die Bedingungen für den Fußverkehr, die Verkehrssicherheit und die Querung des Platzes verbessert haben. Zudem wird der Ort während des Realexperiments eher als Ort der Zusammenkunft und Nachbarschaft statt als Transitraum verstanden. Insgesamt zeigt sich, dass - wie bei anderen Umgestaltungen im öffentlichen Raum (z. B. Fußgängerzone am Lausitzer Platz) - die wegfallenden Parkplätze sowie das Thema Lärm die hauptsächlichen Sorgen der direkten Anwohnerschaft sind, die innovative Lösungen im Rahmen der Umgestaltung des öffentlichen Raums verlangen. Fragt man Passanten, fällt die Meinung zum Realexperiment sehr positiv aus. Dies unterstreicht, dass der öffentliche Raum nochmal eine andere Bedeutung einnimmt, wenn er direkt vor der eigenen Haustür ist. n=204-230 52% 8% 35% 58% 50% 55% 47% 56% 61% 31% 1% 0% 6% 44% 22% 22% 70% 40% 44% 26% 29% 39% 18% 18% 19% 20% 16% 22% 24% 8% 14% 21% 37% 14% 14% 15% 20% 16% 18% 50% 4% 13% 31% 20% 8% 17% 15% 40% 84% 73% 56% 2% 31% 35% 4% 21% 29% 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Verkehrslärm Freizeitlärm Luftqualität Aufenthaltsqualität Querung d. Platzes Verkehrssicherheit Schulwegsicherheit Nutzung d. öffentlichen Raums Bedingungen Fußverkehr Bedingungen Radverkehr Bedingungen Autoverkehr Finden eines Parkplatzes Verkehr in angrenz. Straßen Nachbarschaftliche Kontakte Situation für Mobilitätseingeschränkte Situation für Gewerbetreibende Situation für Kinder/ Familien Situation für Ältere Ästhetische Gestaltung Verbesserung Gleichbleibend Verschlechterung weiß nicht TOP 1 TOP 3 TOP 2 Bild 6: Effekte der Umgestaltung Darstellung: Jarass 2021, Daten: DLR 2020 Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 22 INFRASTRUKTUR Raumnutzung Erkenntnisse für die Forschung Neutralität der Forschung: Da das DLR Institut für Verkehrsforschung einerseits das Realexperiment konzipiert und durchgeführt hat und dieselben Wissenschaftler: innen andererseits das Realexperiment wissenschaftlich evaluiert haben, kam der Vorwurf auf, dass die Datenerhebung normativ und verzerrt wäre. Auch die Haushaltsbefragung oder andere partizipative Formate wurden zum Teil als „politisches Abstimmungsformat“ für oder gegen den Stadtplatz verstanden bzw. genutzt. Im Kontext der transdisziplinären Forschung besteht demnach die Herausforderung, zu verdeutlichen, dass die Forschung neutral und ergebnisoffen ist, auch wenn ein normativer Zielzustand gesetzt ist: Die Verkehrswende ist der „von der Politik durch das Berliner Mobilitätsgesetz vorgegebene Zielzustand [10]“, wie wir dorthin kommen, wird ergebnisoffen untersucht. Partizipativer Prozess: Fünf Wochen haben sich als eine gute Zeitspanne erwiesen, um die Umgestaltung an unterschiedlichen Tagen, zu unterschiedlichen Zeiten und bei unterschiedlichen Witterungszuständen zu testen und erlebbar zu machen. Es hat rund zwei Wochen gedauert, bis sich die Anwohner: innen aktiv ausgetauscht und in die Gestaltung selbst eingebracht haben. Um partizipative Prozesse zu ermöglichen, braucht es Zeit und personelle Ressourcen, um bei den Anwohner: innen eine „Do it yourself“-Mentalität zu entwickeln, bei der eigene Ideen entwickelt und sich auch bei organisatorischen Aufgaben, wie etwa dem Auf- und Abschließen von Mobiliar, Rausstellen der Spielekiste etc. mit eingebracht wird. Schnittstelle der Akteure: Der Prozess des Realexperiments hat auch gezeigt, dass die Co-Kreation zwischen Verwaltung, Forschung sowie Zivilgesellschaft viel Zeit und personelle Ressourcen benötigt und Unsicherheiten bezüglich der grundsätzlichen Durchführung des Realexperiments vorliegen. Hier bestehen insbesondere hinsichtlich der administrativen Genehmigung Abhängigkeiten, auf die spontan reagiert werden muss. Befragung vs. tatsächliche Nutzung: Die Ergebnisse von Befragungen und die tatsächliche Nutzung während des Realexperiments gehen auseinander. So zeigt sich bei dem Angebot von alternativen Parkmöglichkeiten, dass zwar die Hälfte der Befragten von dieser Möglichkeit wusste, jedoch nur neun Personen das Angebot genutzt haben. Etwas mehr als ein Drittel der Befragten - die nicht davon wussten - gab an, dass sie die Parkmöglichkeit genutzt hätten, sofern sie davon gewusst hätten. Diese Diskrepanz verdeutlicht, wie wichtig es ist, transformative Forschung im Kontext von Realexperimenten zu ermöglichen, um robuste und realitätsnahe Erkenntnisse zu generieren. ■ LITERATUR [1] McCrory, G.; Schäpke, N.; Holmén, J.; Holmberg, J. (2020): Sustainability-oriented labs in real-world contexts: An exploratory review. In: Journal of Cleaner Production 277 (3-4), S. 123202. DOI: 10.1016/ j. jclepro.2020.123202 [2] Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (SenUVK) (2018): Mobilität in Städten - System repräsentativer Verkehrsbefragungen (SrV) 2018 - Mobilitätsdaten für Berlin auch bezirksweise. www.berlin.de/ sen/ uvk/ verkehr/ verkehrsdaten/ zahlen-undfakten/ mobilitaet-in-staedten-srv-2018/ [3] Stößenreuther, H. (2014): Wem gehört die Stadt? Der Flächen-Gerechtigkeits-Report. Hrsg.: Agentur für clevere Städte. www.clevere-staedte.de/ files/ tao/ img/ blog-news/ dokumente/ 2014-08-05_ Flaechen-Gerechtigkeits-Report.pdf [4] Pohl, C.; Hirsch Hadorn, G. (2007): Principles for designing transdisciplinary research. Munich: oekom verlag. http: / / deposit.d-nb.de/ cgi-bin/ dokserv? id=2870490&prov=M&dok_var=1&dok_ext=htm [5] Wirth, T. von; Levin-Keitel, M. (2020): Lokale Nachhaltigkeitsexperimente als raumwirksame Interventionen: Theoretische Grundlagen und Handlungskonzepte. In: GAIA - Ecological Perspectives for Science and Society 29 (2), S. 98-105. DOI: 10.14512/ gaia.29.2.7 [6] Rose, M.; Wanner, M.; Hilger, A. (2019): Das Reallabor als Forschungsprozess und -infrastruktur für nachhaltige Entwicklung. Unter Mitarbeit von Deffner, J.; Führ, M.; Kleinhauer, S.; Schenten, J.. Wuppertal: Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH. Wuppertal [7] Stelzer, F.; Becker, S.; Timm, J.; Adomßent, M.; Simon, K.-H.; Schneidewind, U., et al. (2018): Ziele, Strukturen, Wirkungen transformativer Forschung. In: GAIA - Ecological Perspectives for Science and Society 27 (4), S. 405-408. DOI: 10.14512/ gaia.27.4.19 [8] Beecroft, R.; Trenks, H.; Rhodius, R.; Benighaus, C.; Parodi, O. (2018): Reallabore als Rahmen transformativer und transdisziplinärer Forschung: Ziele und Designprinzipien. Hrsg.: Defila, R.; Di Giulio, A.. Wiesbaden, Germany [9] ADAC 2020: ADAC Umfrage zum Verkehr: Reicht der Platz für alle? www.adac.de/ verkehr/ standpunkte-studien/ mobilitaets-trends/ umfrage-flaechenkonkurrenz-verkehr/ [10] Becker, S.; Sterz, A. (2021): Drei Jahre Berliner Mobilitätsgesetz. Wie der institutionelle Umbau die Berliner Verwaltung handlungsfähig für die Umsetzung macht. In: Internationales Verkehrswesen 73 (3), S. 10-16. Antonia Nähring Stud. Mitarbeiterin, Nachhaltige Mobilität und transdisziplinäre Forschungsmethoden, Institut für Berufliche Bildung und Arbeitslehre, Technische Universität Berlin antonia.naehring@dlr.de Shari Merzoug Stud. Mitarbeiterin, Mobilität und Urbane Entwicklung, Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin-Adlershof shari.merzoug@dlr.de Julia Jarass, Dr. Wiss. Mitarbeiterin, Mobilität und Urbane Entwicklung, Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin-Adlershof julia.jarass@dlr.de Katharina Götting Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS), Potsdam katharina.goetting@iass-potsdam.de Anke Kläver Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS), Potsdam anke.klaever@iass-potsdam.de Sophia Becker, Prof. Dr. Leiterin des Fachgebiets Nachhaltige Mobilität und transdisziplinäre Forschungsmethoden, Technische Universität Berlin; Forschungsgruppenleiterin am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) Potsdam sophia.becker@tu-berlin.de Alexander Czeh Wiss. Mitarbeiter, Mobilität und Urbane Entwicklung, Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin-Adlershof alexander.czeh@dlr.de n=150 n=72 n=212 51% 49% Wussten Sie von den alternativen Parkmöglichkeiten? Nein Ja 64% 36% Hätten Sie das Angebot genutzt? Nein Ja 9% 12% 24% 4% 29% 7% Ich verliere zu viel Zeit, wenn ich 8 Minuten vom Parkplatz nach Hause gehe. Ich finde es umständlich, noch 8 Minuten vom Parkplatz nach Hause zu gehen. Transport von großen/ schweren Gegenständen daher nicht möglich 8 Minuten vom Parkplatz… Mobilitätseinschränkung, daher keine 8 Minuten vom Parkplatz nach Hause zu gehen Wegen Schließzeiten der Schranke keine Nutzung möglich. Sonstiges Gründe für Nicht-Nutzung Dauert länger als 8 Gehminuten Bild 7: Alternative Parkmöglichkeiten und Gründe der Nicht-Nutzung Darstellung: Jarass 2021, Daten: DLR 2020 Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 23 Stadtplanung INFRASTRUKTUR Siedlungsentwicklung neu-denken! Welchen Beitrag leistet die ÖV-orientierte Siedlungs entwicklung für zukunftsfähige Infrastrukturen? Siedlungsentwicklung, Öffentlicher Verkehr, Stadtregion, Transit-oriented development, Benchmarking In der Stadtregion Hamburg werden Teile der Siedlungsentwicklung unabhängig vom bestehenden Angebot durch den öffentlichen Verkehr (ÖV) entwickelt. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie zeigen jetzt schon einen Trend zur weiteren Suburbanisierung auf, der allen Prämissen für eine nachhaltige und resiliente Entwicklung einer Stadtregion entgegenstehen. Die hochschulübergreifende Masterthesis hat einen neuen Ansatz für die integrierte Betrachtungsweise von Siedlung und ÖV entwickelt, aus denen Leitplanken für eine ÖV-orientierte Siedlungsentwicklung abgeleitet werden können. Sebastian Clausen, Malte Gartzke D ie urbanen Ballungszentren stehen heute oftmals vor dem Verkehrskollaps. Zunehmende Flächenknappheit und Umweltbelastungen, drohende Fahrverbote, steigende Mobilitätsbedürfnisse, fortschreitende Zersiedelung, demografische Veränderungen und vermehrte Pendlerströme sind nur einige der zahlreichen Problematiken [1]. Der öffentliche Verkehr (ÖV) ist neben Fahrradfahren und Zufußgehen hinsichtlich der CO 2 -Produktion und des Flächenverbrauchs das nachhaltigste Fortbewegungsmittel. Inwieweit eine nachhaltige und klimaschonende Mobilität innerhalb einer Stadtregion möglich ist, hängt maßgeblich mit der Siedlungsstruktur sowie den vorhandenen Verknüpfungen mit dem ÖV zusammen. Diese Faktoren tragen maßgeblich dazu bei, welche Wege mit welchem Verkehrsmittel zurückgelegt werden und wie nachhaltig die Mobilität ausgestaltet werden kann. Auf Ursachenforschung Hamburg und sein Umland werden seit vielen Jahren durch ein anhaltend hohes Bevölkerungswachstum geprägt. Der daraus resultierende Beschluss des Hamburger Senats, über 15 Jahre hinweg jedes Jahr mindestens 10.000 Wohnungen auf Hamburger Stadtgebiet zu bauen, stellt Politik, Planer und Stadtgesellschaft vor große Herausforderungen [2]. Die gleichzeitig geforderte Mobilitätswende nimmt die schienengebundenen Verkehrsträger als Rückgrat des ÖPNV in den Fokus, wobei diese heute nicht ausreichend mit den Raumentwicklungen aufeinander abgestimmt werden. Bereits heute wohnen nur 38 % der Hamburger Einwohnenden weniger als 600 m entfernt von einem Bahnhof, der von einer U-Bahn, S- Bahn oder einem Regionalbzw. Fernverkehrszug bedient wird [3]. Somit hat weit über die Hälfte der Bevölkerung keinen adäquaten Zugang zu einem leistungsfähigen, schienengebundenen ÖV. Dieser Anteil ist im Hamburger Umland noch deutlich höher. Die nur losen und selten regulativen Vereinbarungen innerhalb der Metropolregion Hamburg mit ihren 5,3 Mio. Einwohnenden haben bisher kaum länderübergreifende Kooperationen hervorgebracht. In der Bild 1: Untersuchungsgebiet Stadtregion Hamburg Eigene Darstellung auf Grundlage BVM 2020 und BKG 2018 Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 24 INFRASTRUKTUR Stadtplanung Stadtregion Hamburg werden Teile der Siedlungsentwicklung unabhängig vom bestehenden Angebot durch den schienengebundenen öffentlichen Verkehr (ÖV) vollzogen. Die OECD fordert in ihrem aktuellen Bericht zur Metropolregion Hamburg, dass die Kompetenzen der Raumplanung in einen regionalen Planungsverband übertragen werden müssten, und begründet diese Empfehlung damit, dass „eine integrierte Wohnungsbau- und Verkehrsplanung sicherzustellen und eine nachhaltigere, ÖPNV orientierte Entwicklung zu fördern“ ist [4]. Integrierte Entwicklung von Siedlung und öffentlichem Verkehr als neues Paradigma Die Entwicklung von Siedlungsraum und Mobilität und deren Infrastrukturen müssen zukünftig wieder verstärkt zusammengedacht werden und ggf. unter Einrichtung wirkungsvoller Instrumente auch über die heutigen administrativen Grenzen hinweg Anwendung finden. Im Rahmen einer hochschulübergreifenden Masterthesis an HCU Hamburg und ETH Zürich ist ein neuer Ansatz für die integrierte Betrachtungsweise von Siedlung und öffentlichem Verkehr am Beispiel der Stadtregion Hamburg (Bild 1) entwickelt worden. Um dorthin zu gelangen, ist es notwendig, im gewählten Betrachtungsraum den Zustand in Hinblick auf eine ÖV-orientierte Siedlungsentwicklung zu erfassen. Insbesondere bei größeren Gebieten bedarf es einer entsprechenden Systematik. Modellhafte Betrachtung der Stadtregion in drei Schritten - Modell zur ÖV-Qualität Das Schweizer Modell der ÖV-Güteklassen bewertet Standorte hinsichtlich ihrer Erschließung mit dem Öffentlichen Verkehr. Mit dem Modell werden somit gut erschlossene Gebiete als potenzielle Entwicklungsschwerpunkte herausgefiltert, die auch Aufschluss über eine mögliche Verkehrserschließung zukünftiger Bauprojekte liefern. Ein wesentlicher Hintergrund für diesen Ansatz ist der sparsame Umgang mit der Ressource Boden und die Ausnutzung der vorhandenen Infrastruktur, so dass die ÖV- Güteklassen auch ein wichtiger Indikator für die Raumplanung in der Schweiz sind. Bei der Klassifizierung erfolgt eine Orientierung am Schweizer ÖV-Güteklassenmodell, da dieses nicht Mindestanforderungen als Maßstab verwendet, sondern hohe Anforderungen an die Qualität formuliert [5] (Bild 2). Notwendige Datengrundlage für die Erstellung des ÖV-Güteklassenmodells sind dabei die Fahrplandaten des öffentlichen Verkehrs. Für die Stadtregion Hamburg kann auf den sogenannten gtfs-Datensatz des Hamburger Verkehrsverbunds (HVV) zurückgegriffen werden. Dadurch liegen von Tages- und Uhrzeit abhängige Informationen sowohl zur Art des angebotenen Verkehrsmittels als auch dessen Abfahrtszeiten an den jeweiligen Haltestellen vor [6] (Bild-3). Aus der Verkehrsmittelgruppe der jeweiligen Haltestelle und der ermittelten durchschnittlichen Taktung ergibt sich somit in einem ersten Schritt die Haltestellenkategorie. Diese wird anhand der römischen Ziffern I bis V beschrieben. Dabei gilt: Je kleiner die Zahl der Haltestellenkategorie, desto höherwertig bzw. dichter sind Verkehrsmittel und Takt. Folglich ist die höchste Einstufung die Haltestellenkategorie I, die niedrigste die Haltestellenkategorie V. Wird eine Haltestelle nur von einer Buslinie bedient, die durchschnittlich seltener als alle 60 min fährt, wird dieser Haltestelle keine Kategorie mehr zugewiesen. Im Weiteren werden die Haltestellenkategorien mit Einzugsbereichen ergänzt. Die Radien der Haltestelleneinzugsbereiche nehmen Bezug auf das ÖV-Güteklassenmodell der Schweiz. Dies erscheint deshalb sinnvoll, da diese Distanzen fußläufig zu bewältigen sind und die damit definierten direkten Haltestellenumfelder mit geringem Aufwand erreicht werden können [7]. Es ergeben sich insgesamt fünf ÖV-Güteklassen zur Bewertung der Erschließungsqualität mit dem öffentlichen Verkehr. Dies ergeben sehr gute (A), gute (B), mittelmäßige (C), geringe (D) und marginale (keine) Erschließungsqualitäten (Bild 4). Das ÖV-Güteklassenmodell ermöglicht eine abstrahierte Aussage zum Angebot des ÖV und dessen Wirkung auf den direkten räumlichen Einzugsbereich. Die Güteklassen eines Haltestellenumfeldes ermöglichen in erster Linie Rückschlüsse auf die Art des Verkehrsmittels sowie den durchschnittli- Bild 2: Drei Kriterien für die Bewertung der ÖV-Qualität Eigene Darstellung Bild 3: Definition und Kategorisierung der ÖV-Güteklassifizierung ARE und eigene Darstellung in Anlehnung an [5, S. 6ff] Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 25 Stadtplanung INFRASTRUKTUR chen Takt in einem gewählten Betrachtungszeitraum. Hinsichtlich des Takts kann gesagt werden, je größer die Unterschiede in der Taktung sind, desto stärker fällt die Abweichung gegenüber dem Durchschnittswert aus. Haltestellen, die bspw. nur morgens und abends in einem dichten Takt bedient, tagsüber jedoch nur selten angefahren werden, können im ÖV-Güteklassenmodell nur geringere Güteklassen erreichen. Ebenso können flexible Bedienformen, die insbesondere in dünn besiedelten Gebieten eine wichtige Funktion im ÖV erfüllen, nur sehr eingeschränkt berücksichtigt werden. Je nach Nutzerbedürfnis können eine im Tagesverlauf variierende Taktung oder flexible Bedienformen die Ansprüche bedarfsgerecht erfüllen. In Bezug auf die Taktung zeigen sich die Grenzen des Modells gegenüber der Realität. Durch die Definition der Haltestelleneinzugsbereiche über die Luftliniendistanz bietet sich einerseits die Möglichkeit, das Haltestellenumfeld gleichmäßig in den Fokus zu nehmen. Andererseits vernachlässigt diese Art der Betrachtung das tatsächliche Wegenetz, die Topografie. Diese Aspekte werden im zweiten Modell mit Hilfe von Erreichbarkeiten berücksichtigen. Keine Berücksichtigung finden Aspekte wie Transportkosten, Fahrzeug- oder Streckenkapazitäten, der Zugang zu Infrastrukturen, welcher Rückschlüsse zur Netzqualität ermöglicht, Sauberkeit, Komfort und weitere weiche Faktoren. Modell zur Zugangsqualität Die Zugangsqualität baut auf den Erreichbarkeiten auf, beschränkt sich jedoch nicht auf eine rein deskriptive Position, sondern nimmt auch eine Wertung anhand aus der Wissenschaft abgeleiteter Grenzwerte vor. Der Begriff Zugangsqualität beschreibt insofern, ebenso wie die Erreichbarkeit, den Aufwand, von einem Ort im Raum zu bestimmten Infrastrukturen (und Dienstleistungen) zu gelangen. Der Unterschied besteht darin, dass der Aufwand nicht mit dem Zeitbedarf ausgedrückt, sondern in Qualitäten übertragen wird. Ist der Aufwand niedrig, wird also wenig Zeit benötigt, so ist die Zugangsqualität hoch. Wird umgekehrt viel Aufwand benötigt, somit auch viel Zeit, ist die Zugangsqualität niedrig (Bild 5). Im Allgemeinen besteht die Möglichkeit, die Bewertung der Zugangsqualität getrennt nach den Verkehrsmitteln MIV (Motorisierter Individualverkehr), ÖV, Rad- und Fußverkehr vorzunehmen. Da der Fokus an dieser Stelle auf der ÖV-orientierten Siedlungsentwicklung liegt, wird die Zugangsqualität mit dem MIV zunächst nicht berücksichtigt. Ziel ist es, die Zugangsqualität zu Fuß, mit dem Rad oder dem ÖV in Ab- Bild 4: ÖV-Güteklassifizierung für das ÖV-Bestandsnetz mit Fokus auf die Stadtregion Hamburg Eigene Darstellung auf Grundlage BKG 2018 Bild 5: Zentrale Indikatoren für die Zugänglichkeit zu Infrastrukturen Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 26 INFRASTRUKTUR Stadtplanung hängigkeit der räumlichen Lage zu beurteilen. In eine separate Auswertung fließen die Zugangsqualitäten mittels MIV ein, um dort Vergleiche zwischen der Erschließungswirkung und den Zugangsqualitäten von Umweltverbund und MIV vornehmen zu können. Trotz einer differenzierten Betrachtung der Zugangsqualitäten wird durch die Lage der Schienenachsen im Raum bereits stark determiniert, in welchen Bereichen Qualitäten und ggf. spätere Potenziale liegen können. Die Klassifizierung der Zugangsqualitäten erfolgt in drei Modellstufen. Grundsätzlich wird die Klassifizierung der Zugangsqualitäten anhand der Fahrzeiten der einzelnen Verkehrsmittel zu der jeweils betrachteten Einrichtung oder Dienstleistung vorgenommen. Als Grundlage werden die im Rahmen der Erreichbarkeitsanalysen der Metropolregion Hamburg erhobenen Daten zu Infrastrukturen, dem Wegenetz und den Reisezeiten weiterverwendet [8]. Die Ermittlung der Fahrzeiten beruht nicht auf den reellen Start- und Zielpunkten im Raum, sondern auf den vereinfachten Rasterdaten (100 × 100 m und 500 × 500 m). Durchgeführte Bewertungen beziehen sich somit stets auf eine Rasterzelle, da sie den räumlichen Bezug definiert. Eine Bewertung der Fahrzeiten erfolgt in erster Linie für den Umweltverbund, also gemeinsam für die Verkehrsmittel Fuß, Rad und ÖV. Die erreichten Fahrzeiten werden auf einer Bewertungsskala eingeordnet, welche anhand durchschnittlicher Fahrzeiten aufgebaut ist. Die Bewertungsskala ist auf den jeweiligen Einrichtungs- oder Dienstleistungstyp abgestimmt und wird für eine leichtere Verständlichkeit in die Schulnoten 1 bis 6 übersetzt. Die Anpassung der Bewertungsskalen resultiert daraus, dass beispielsweise für die Zugangsqualität zu einem Supermarkt andere Fahrtzeiten in Kauf genommen werden als für die Zugangsqualität zu einem Oberzentrum. Eine in Summe durchschnittliche Fahrtzeit führt zu einer Bewertung mit der Note 3. An diesem Maßstab orientiert sich der Aufbau der jeweiligen Notenskala. Zunächst werden alle Zugangsqualitäten ausgehend von einer Rasterzelle zu den jeweiligen Einrichtungen und Dienstleistungen einzeln bewertet. Abschließend wird hieraus eine Gesamtbewertung für die Rasterzelle erstellt (Bild 6). Anhand der Auswertung von Reisezeiten können in diesem Modell das reale Straßen- und Wegenetz, das Schienennetz sowie die Topografie berücksichtigt werden. Umgekehrt kann das aber auch bedeuten, dass Defizite im Wegenetz nicht als solche erkennbar sind, sondern zunächst ggf. zu längeren Reisezeiten und einer schlechteren Bewertung führen. Hier deutet sich die Möglichkeit zur ergänzenden Betrachtung mittels der Luftliniendistanz aus dem ÖV-Güteklassenmodell an. Darüber hinaus bezieht das Modell keinerlei Aspekte wie straßenräumliche Qualität oder Nutzerfreundlichkeit von Infrastruktur mit ein, die jedoch oft entscheidend sind, ob Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Ferner kann die Auswertung der Reisezeiten dafür genutzt werden, die Zugangsqualitäten nach unterschiedlichen Verkehrsmitteln getrennt zu beurteilen. Die Zusammenfassung der Qualitäten in einer Gesamtnote macht räumliche Unterschiede sichtbar. Das abstrahierte Ergebnis lässt jedoch eine Aussage zur exakten Lage einer Infrastruktur nur begrenzt zu, weshalb nicht abschließend bestimmt werden kann, welche Infrastruktur mit ihrer benoteten Zugänglichkeit für einen positiven oder negativen Ausschlag sorgt. Vor allem für Bereiche mit geringen Qualitäten ließe sich somit der Bedarf für eine tiefergehende Überprüfung der infrastrukturellen Ausstattung formulieren (Bild 7). Überlagerung von ÖV- und Zugangsqualität - das Benchmarking Das Benchmarking kombiniert ÖV- und Zugangsqualitäten miteinander, wodurch diese erstmalig räumlich miteinander in Bezug gesetzt werden. Die Verschneidung der beiden Modelle macht in abstrahierter Form eine integrierte Betrachtungsweise von öffentlichem Verkehr und Zugang zu Infrastrukturpunkten möglich. Bei der Verschneidung beider Modelle sei zunächst auf einige Aspekte der Datenverarbeitung hingewiesen. Das ausgewertete ÖV-Güteklassenmodell besteht aus im Raum verteilten Kreisen (Polygonen), hingegen das Modell für Zugänglichkeiten zu Infrastrukturen aus einem flächendeckenden Raster. Als Zielausgabe wird das Rasternetz des Modells für die Zugangsqualität verwendet, da es eine kleinräumige Differenzierung zulässt. Aus den vier unterschiedlichen ÖV- Güteklassen (AD) und den vier Zugangsqualitäten (1 bis 4) ergeben sich 16 verschiede- Bild 6: Schema zur Einordnung der unterschiedlichen Kennziffern zur Zugänglichkeit von Infrastrukturen für die Indikatoren Haltestelle, Bahnhof, Fernbahn, Supermarkt, Mittelzentrum und Oberzentrum Eigene Darstellung auf Grundlage FGSV 2010, S. 8 und BMVI 2018 Tabelle W9, S. 25 Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 27 Stadtplanung INFRASTRUKTUR ne Kombinationsmöglichkeiten - A1 bis D4- -, in denen aus beiden Modellen entsprechende Bewertungskriterien erfüllt sind. Anhand der wesentlichen Unterschiede findet eine Bündelung der 16 Kombinationen statt, um eine bessere Handhabung zu ermöglichen. Sie lassen sich inhaltlich in vier Qualitätsstufen zusammenfassen, die jeweils in sich abgestuft sind (Bild 8). Ein wesentlicher Aspekt des Benchmarkings ist die Bewertung von Qualitäten anhand einheitlicher Kriterien in der gesamten Stadtregion. Dies ermöglicht objektive Vergleiche, vernachlässigt aber die Heterogenität des betrachteten Gebiets. Abhilfe könnte dadurch geschaffen werden, den Untersuchungsraum in mehrere, in sich möglichst homogene Gebietstypen zu unterteilen. Des Weiteren kann die auf jeweils eine Haltestelle bezogene Betrachtungsweise des ÖV-Güteklassenmodells in einen besseren räumlichen Kontext übertragen werden. Dies gelingt durch die Verknüpfung mit den Zugangsqualitäten. Potenziale in der Stadtregion Hamburg Der Abgleich des Benchmarkings mit der Einwohnerdichte liefert Potenzialflächen und damit wesentliche Erkenntnisse für eine ÖV-orientierte Siedlungsentwicklung. Es können sowohl Potenzialflächen für die Siedlungsentwicklung als auch für den Ausbau des ÖV-Angebots identifiziert werden. Zudem ist es möglich, die Wirkung von geplanten Maßnahmen des ÖV für die Schaffung von Siedlungspotenzialen zu beurteilen. Dieses erfolgt mit Hilfe der Einwohnerdichte im Hektarraster (100 × 100 m). Daraus lassen sich drei wesentliche Botschaften ableiten (Bilder 9 bis 11): Rote und grüne Gebiete Siedlung ergänzen oder erweitern, da hier der öffentliche Verkehr bereits in hoher Qualität vorhanden ist. Gelbe Gebiete Öffentlichen Verkehr ergänzen oder ausbauen, weil in diesen Bereichen hohe Einwohnerdichten bestehen und die Qualität des öffentlichen Verkehrs meist gering ausfällt oder der ÖV gänzlich fehlt. Blaue Gebiete Siedlungsentwicklung nur noch in Verbindung mit dem Ausbau des ÖV stattfinden lassen. Dies sind die sogenannten „rezeptpflichtigen Bereiche“, die einerseits erst in die Entwicklung kommen sollten, wenn die ‚“roten und grünen“ Potenzialgebiete nahezu ausgeschöpft sind. Andererseits müssen diese Standorte hinsichtlich der verkehrlichen Anbindung und Mobilität besonders programmiert werden, um eine weitere Siedlungsentwicklung zu ermöglichen. Handlungsempfehlungen für die ÖV-orientierte Stadtregion Aus der vorliegenden Arbeit können somit die folgenden, grundsätzlichen Leitplanken für eine nachhaltige, integrierte Siedlungsentwicklung abgeleitet werden. Ab diesem Zeitpunkt wird somit die bisher nahezu ausschließlich analytische und modellhafte Betrachtungsweise verlassen. Siedlung am bestehenden ÖV-Netz weiterentwickeln Zur Einhaltung der Klima- und Flächensparziele sollte die vorhandene Infrastruktur besser ausgenutzt werden. Die Analyse zeigt große Potenziale für die Siedlungsentwicklung am bestehenden ÖV-Netz - insbesondere im Bereich vieler Haltestellenumfelder - auf. Öffentlichen Verkehr zuerst entwickeln Weiterer Grundsatz einer nachhaltigen, ÖV-orientierten Siedlungsentwicklung ist die Herstellung eines angemessenen ÖV- Angebots vor Bezug von Siedlungsflächen. Hierbei sollte ein schienengebundenes Angebot insbesondere bei Entwicklungen mit hoher Einwohner- oder Arbeitsplatzdichte vorgesehen werden. Nachträgliche Ausstattung mit ÖV-Angeboten Die Potenzialabschätzung legt auch dar, welche Siedlungsflächen trotz hoher Einwohnerdichte einen unzureichenden ÖV- Anschluss aufweisen. Diese Gebiete sind bei Bild 7: Klassifizierte Zugangsqualität zu Infrastrukturen mit den drei Indikatoren Haltestelle, Bahnhof und Fernbahn Eigene Darstellung auf Grundlage BKG 2018 Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 28 INFRASTRUKTUR Stadtplanung Bild 8: Verschneidung der Güteklassenmodelle zum integrierten Benchmarking von ÖV- und Zugangsqualität Eigene Darstellung Bild 9: Anwendung der Potenzialabschätzung für Siedlungsentwicklung und öffentlichen Verkehr mit Ableitung der drei wesentlichen Handlungsempfehlungen Eigene Darstellung Bild 10: Flächen mit hohem Potenzial aufgrund des sehr guten oder guten Benchmarkings und der geringen Einwohnerdichte in der Stadtregion Hamburg Eigene Darstellung auf Grundlage BKG 2018 Bild 11: Flächen mit hohem Potenzial aufgrund des sehr guten oder guten Benchmarkings und der hohen Einwohnerdichte in der Stadtregion Hamburg Eigene Darstellung auf Grundlage BKG 2018 Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 29 Stadtplanung INFRASTRUKTUR den Ausbaumaßnahmen des ÖV zu berücksichtigen, um nachträglich ein besseres ÖV-Angebot zu schaffen und Kfz-Fahrten zu verringern. Die konkrete Umsetzung der Handlungsempfehlungen macht zudem immer weitere Detailbetrachtungen nötig. Welche Nutzungen, wie viele neue Wohneinheiten oder neue Arbeitsplätze realisiert werden können, lässt sich somit nicht pauschal beziffern. Nichtsdestotrotz bilden die Potenzialabschätzungen wichtige Grundlagen, um in weiteren Schritten Einsparpotenziale hinsichtlich des CO 2 -Ausstoßes, des Flächenverbrauchs und der Verkehrsverlagerung vom KFZ auf den Umweltverbund vornehmen zu können. Perspektiven und Übertragbarkeit des Ansatzes Das im Rahmen unserer Abschlussarbeit entstandene Benchmarking lässt sich im Allgemeinen auf andere Gebiete übertragen. Sinnvoll ist die Anwendung insbesondere auf räumliche Zusammenhänge, in denen der ÖV mindestens ein Grundgerüst darstellt. Vor allem Stadt- und Metropolregionen oder einzelne Korridore eines metropolitanen Raums bieten sich für die Übertragung an. Anwender und Nutzer des Benchmarkings sind in erster Linie öffentliche Verwaltungen und politische Entscheidungsträger von Städten und Kommunen, in deren Aufgaben- und Verantwortungsbereich die Steuerung der Siedlungsentwicklung, aber auch die Finanzierung und der Betrieb des öffentlichen Verkehrs liegen. Darüber hinaus können auch Metropolregionen, Regionalverbände und Planungsregionen potenzielle Anwender sein. Mit der integrierten Betrachtungsweise von Siedlung und ÖV können auch räumliche Entwicklungsziele abgeleitet und formuliert werden. Daher kommen auch Landes- oder Bundesministerien als mögliche Nutzer in Frage. Hierüber kann eine Steuerungswirkung in Abhängigkeit einer formellen oder informellen Verankerung der Ziele für die gesamte Stadtregion erreicht werden. Die Bevölkerung in unseren urbanen Zentren will überwiegend die Mobilitätswende. Deren Gelingen ist aber wesentlich von der Umsetzung im direkten Umland einer Stadt abhängig. Diese kann u. a. nur dann erfolgreich sein, wenn der ÖV das wesentliche Rückgrat der Siedlungsentwicklung darstellt. Das Benchmarking und die Potenzialabschätzung können Leitlinien für die Steuerung der künftigen Entwicklung einer Stadtregion bilden. Eine strategische, übergeordnete Steuerung von Siedlungsentwicklung und öffentlichem Verkehr ist für die oben genannte Zielerreichung unabdingbar. Dies macht auch eine Kopplung bestehender oder neuer Förderprogramme an Maßnahmen der integrierten Siedlungsentwicklung erforderlich. So könnte in einem ersten Schritt Einfluss auf die Siedlungstätigkeit in einer Stadtregion genommen werden. Der erarbeitete Ansatz liefert somit wesentliche Erkenntnisse für eine ÖV-orientierte Siedlungsentwicklung und bietet ein Instrument an, das als Grundlage von Entscheidungen im räumlichen Kontext herangezogen werden kann. ■ QUELLEN [1] Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BIB) (2020): Binnenwanderung in Deutschland. www.bib. bund.de/ DE/ Aktuelles/ 2020/ 2020-11-10-Geographische-Rundschau-Binnenwanderungen-in-Deutschland.html (Aufruf am 17.07.21) [2] Freie und Hansestadt Hamburg (FHH) (2021): Bündnis für das Wohnen. www.hamburg.de/ bsw/ buendnisfuer-das-wohnen/ (Aufruf am 17.07.21) [3] Greenpeace e.V. (2017): Städteranking zur nachhaltigen Mobilität. www.greenpeace.de/ sites/ www.greenpeace.de/ files/ publications/ 20170322_greenpeace_mobilitaetsranking_staedte.pdf (Aufruf am 28.06.21) [4] OECD (2019): OECD-Berichte zur Regionalentwicklung: Metropolregion Hamburg, Deutschland. OECD, Paris. http s : / / re a d .o e c d-ilib ra ry.o rg/ u r b a n-r u ra l-a n d-re gi o n a ld eve l o p m e nt/ o e c d-b e ri c hte-z u rregionalentwicklungmetropolregion-hamburg-deutschland_6843d6f0-de#page9 (Aufruf am 24.05.21) [5] Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) (2020) (Hrsg.): ÖV-Güteklassen Berechnungsmethodik ARE. Grundlagenbericht für die Beurteilung der Agglomerationsprogramme Verkehr und Siedlung. URL: www. are.admin.ch/ dam/ are/ de/ dokumente/ verkehr/ oev-gueteklassen-berechnungsmethodikare.pdf.download.pdf/ oev-gueteklassen-berechnungsmethodikare.pdf (Aufruf am 11.07.21) [6] Hamburger Verkehrsverbund (HVV) (2020): gtfs-Datensatz. http: / / transparenz.hamburg.de/ (Aufruf am 25.02.20) [7] Kießling, N. (2016): Nachhaltige ÖV-orientierte Siedlungsentwicklung an Stadtbahntrassen. In: Arbeitspapiere zur Regionalentwicklung. Elektronische Schriftenreihe des Lehrstuhls Regionalentwicklung und Raumordnung, Band 18.Technische Universität Kaiserslautern, Kaiserslautern [8] Metropolregion Hamburg (MRH) (2017) (Hrsg.): Leitprojekt regionale Erreichbarkeitsanalysen. Abschlussbericht und Erreichbarkeitsatlas. MRH, Hamburg Sebastian Clausen, B.Eng. Masterstudiengang Stadtplanung, HafenCity Universität Hamburg; Mitarbeiter ARGUS studio/ ARGUS Stadt und Verkehr, Hamburg sebastian.clausen@urbanexplorer.info Malte Gartzke, B.Sc. Masterstudiengang Stadtplanung, HafenCity Universität Hamburg; Mitarbeiter Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG), Hamburg malte.gartzke@hcu-hamburg.de Software für die Mobilität von morgen E-Mobilität Personaldisposition, Depot- und Lademanagement für E-Busse aus einer Hand www.psitranscom.de Internationales Verkehrswesen 2021-11-10 102 x139mm unten rechts PSI Transcom.indd 1 Internationales Verkehrswesen 2021-11-10 102 x139mm unten rechts PSI Transcom.indd 1 13.09.2021 15: 39: 35 13.09.2021 15: 39: 35 Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 30 INFRASTRUKTUR Luftverkehr Abflugort Innenstadt Die (fast) vergessenen Stadtterminals Stadtterminal, Cityterminal, Flughafentransfer, Flugpassagier-Abfertigung Die meisten Flughäfen liegen außerhalb der Städte. Sie zu erreichen, ist für Reisende nicht immer einfach. Früher besaßen viele Metropolen große Innenstadtterminals, in denen die Passagiere bequem ein- und auscheckten und mit Bussen oder Sonderzügen direkt zum Flughafen fuhren. Heute sind diese Terminals verschwunden. Doch ein Blick zurück kann lohnen, denn auch heute könnten Stadtterminals den Reisenden größere Bequemlichkeit bieten, überlasteten Großflughäfen helfen, ihr Passagieraufkommen zu bewältigen oder einen Hauptknoten bei der Vernetzung mehrerer Flughäfen einer Region bilden. Thomas N. Kirstein F ast alle Flughäfen liegen außerhalb der Städte, und sie zu finden, bleibt den Reisenden überlassen. Sie drängeln sich in öffentliche Verkehrsmittel, schleppen Koffer, zahlen viel Geld für Taxis oder rekrutieren Verwandte als Shuttlefahrer. Früher besaßen viele Metropolen große Stadtterminals, in denen die Passagiere bequem ein- oder auscheckten und mit Bussen oder Sonderzügen direkt zum Flughafen fuhren. Heute sind diese Terminals verschwunden, aus der kollektiven Erinnerung und aus dem Stadtbild. Trotzdem lohnt ein Blick zurück, denn Stadtterminals könnten noch immer nützlich sein. Auch die Geschichtswissenschaft hat die innerstädtischen Terminals vergessen. Während sie den Flughäfen durchaus Aufmerksamkeit schenkt, lässt sich die Existenz der Stadtterminals allenfalls aus wenigen Nebensätzen vereinzelter Aufsätze und Monographien erahnen. Folglich fußt der vorliegende Text fast ausschließlich auf Quellen des Untersuchungszeitraumes. Dazu zählen Fachzeitschriften [1], Tageszeitungen sowie Flugpläne, Flugreiseprospekte und die Publikationen der Luftverkehrsorganisationen [2]. Ein- und Auschecken in der Innenstadt Die Verkehrsluftfahrt startete kurz nach dem Ersten Weltkrieg, und Flugkarten kosteten mehr als Bahn- oder Schiffskarten erster Klasse. Folglich kam das Gros der Passagiere aus der gehobenen Gesellschaft und verlangte viel Service. Unter anderem wollte man im Stadtzentrum starten und nicht von einem fernen Flugplatz im Nirgendwo. So kannten es die Reisenden von der Bahn, deren Stationen sie per pedes, Droschke oder Taxi schnell erreichten. Auch die großen Seereedereien begrüßten ihre Passagiere an den Bahnhöfen des Binnenlandes und brachten sie mit Kurswagen oder ganzen Bootszügen direkt an die Pier, wo die Ozeandampfer schon warteten. Also folgten die Fluggesellschaften den Gewohnheiten ihrer Kunden und eröffneten Abfertigungsstellen in den Innenstädten. Das Einchecken im Stadtzentrum wurde so selbstverständlich, dass Flugplanbroschüren schon die Abfahrtszeit am Stadtbüro auswiesen und nicht nur die Abflugzeit am Flugplatz. So checkten auch in London, einem der wichtigsten Drehkreuze des Luftverkehrs, rund drei Viertel aller Fluggäste in der City ein [3]. Ein englischer Luftfahrtexperte schrieb 1935: „Man startet vom Büro der Imperial Airways an der Victoria Station, wo Passagiere und Gepäck gewogen, die Koffer etikettiert und die Pässe eingesammelt werden. Dann fährt man in einem komfortablen Bus nach Croydon und sitzt schon fünf Minuten nach der Ankunft im Flugzeug…“ [4]. Zudem erfuhren die Reisenden schon im Stadtbüro, ob sich ihr Flug verspätete, ausfiel oder ausgebucht war. Noch in der Innenstadt, konnte man schneller auf ein alternatives Verkehrsmittel wechseln, wieder nach Hause oder ins Hotel zurückfahren oder wenigstens die Wartezeit angenehmer verbringen. Außerdem mussten die Fluglinien alle Passagiere, die pünktlich im Stadtbüro erschienen waren, mit ihrer gebuchten Maschine befördern. Steckte der Transferbus im Stau oder blieb ein Flughafenzug liegen, musste das Flugzeug warten. Vom Stadtbüro zum Stadtterminal Dem frühen Flugverkehr genügten noch kleine Stadtbüros. Sie lagen in Ladengeschäften oder exklusiven Hotels. Hier kauften die Reisenden ihre Flugkarten, gaben ihr Gepäck auf und bestiegen die Transferbusse zum Flugplatz. In der Hotelhalle konnten die Passagiere bequem warten, im Restaurant speisen oder an der Bar etwas trinken. Das erste Stadtbüro der Welt eröffnete 1921 auf dem Leidseplain in Amsterdam. Der kioskartige Bau gehörte der KLM und stand direkt vor einem der exklusivsten Hotels der Stadt. Im ersten Betriebsjahr wurden 1.700 Passagiere abgefertigt [5] (Bild-1). Die Zahl der Flugreisenden stieg rasant, vor allem in Europa und Nordamerika. Am Ende der Zwischenkriegszeit flogen allein in Deutschland rund 300.000 Passagiere pro Jahr und in den USA sogar schon mehrere Millionen. In der Folge entstanden die Bild 1: Stadtbüro der KLM in Amsterdam, um 1925 Bildquelle: KLM-MAI Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 31 Luftverkehr INFRASTRUKTUR ersten großen Stadtterminals. Sie boten großzügige Schalterhallen, Bars und Restaurants, Läden für Reisebedarf und Zeitungen, Geldwechselstellen, Luftfrachtannahmen, Telefonzellen sowie Park- und Rangierflächen für Taxis und Flughafenbusse. Einige besaßen sogar einen Friseur, eine Poststelle oder eine Hotelvermittlung. Die Terminals standen meist in der Nähe der Hauptbahnhöfe, denn zahlreiche Passagiere reisten per Zug an, ab oder weiter. Noch waren Bahn- und Flugverkehr eng vernetzt. Betrieben wurden die Terminals von den Fluggesellschaften oder der Kommune, die sie an eine oder mehrere Airlines vermietete. Und ganz nebenbei warben die großen Bauten inmitten der Städte für das Reisen per Flugzeug. Zu den ersten großen Stadtterminals zählte der Victoria Airways Terminus in London. Er eröffnete im Sommer 1939 und gehörte der halbstaatlichen Imperial Airways. Der Bau im Stil des Art Deco besaß vier Etagen, über denen ein siebenstöckiger Uhrturm aufragte. Über dem Haupteingang schwangen sich geflügelte Statuen gen Himmel. Bussteige, Taxistand und die Auffahrt für Automobile lagen im Inneren, so dass die Reisenden auch im Londoner Regenwetter trocken blieben. Die großzügige Schalterhalle erstreckte sich über zwei Stockwerke und erhielt teure Wandpaneele aus kanadischer Birke und burmesischem Teakholz. Direkt hinter dem Terminal starteten Sonderzüge zum Flugplatz in Gatwick und zum Flugboothafen in Southampton. Nach Croydon, dem größten Londoner Flughafen, pendelten Busse [6] (siehe Bild-2). Ein noch größeres Stadtterminal entstand in New York. Seine Schmalseite blickte unmittelbar zum Haupteingang der Grand Central Station. Der vierstöckige Art- Déco-Bau beherbergte sechs große Flugesellschaften, darunter Pan American, Eastern, United und American Airlines. Zu- den üblichen Einrichtungen kam ein Kino, das den Reisenden die Wartezeiten verkürzte. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg stiegen die Fluggastzahlen kontinuierlich. Größere und wirtschaftlichere Propellermaschinen fassten jetzt bis zu 100 Passagiere, und viele Metropolen verlangten neue Stadtterminals. Denn, so schrieb der „Aeroplane“: „Der Passagier reist zum Beispiel von London nach New York und nicht von einer mit Technik ausgestatteten Wüstenei bei Staines zu einem ähnlichen Gebiet bei Jamaica Bay und Long Island! “[7]. Die Baustile der neuen Stadtterminals waren verschieden. Klassische Eleganz zeigte der neobarocke Aérogare in Paris. Er diente ursprünglich als Bahnhof der Pariser Weltausstellungen und steht noch immer an der Esplanade des Invalides, mit Blick auf Eifelturm, Invalidendom und Pont Alexandre. Die Air France übernahm den Bau im Jahre 1946. Die neobarocke Fassade blieb erhalten, während die welke Pracht in Inneren einem späten Arte déco weichen musste. Die Haupthalle maß 96 mal 24 Meter. Hinzu kamen 12.000 Quadratmeter im Untergeschoß. Den Flughafentransfer besorgten Busse [8]. Die jährlichen Passagierzahlen stiegen in den ersten zehn Betriebsjahren von 400.000 auf 1,3 Millionen. 1959 wurde die Anlage erweitert und fertigte fortan bis zu 1.000 Passagiere pro Stunde ab [9] (siehe Bilder 3 und 4). Zu den Beispielen moderner Architektur zählte das Stadtterminal der Sabena in Brüssel. Der Bau von Maxime Brunfaut, einem Schüler Victor Hortas, eröffnete 1953 direkt neben dem Hauptbahnhof. Die Hauptfassade entspricht der Stromlinienmoderne und damit einer vom Bauhaus mitgeprägten Architektur. Im Inneren führten ausladende Wendeltreppen das Stomlinienmotiv fort, während edle Holzpaneele Gediegenheit vermittelten. Die unteren drei Etagen boten die üblichen Abfertigungs- und Serviceeinrichtungen und ein Restaurant mit Sommerterrasse. Eine Rolltreppe führte vom Terminal direkt zum Bahnsteig, von dem die Triebwagenzüge zum Flughafen Melsbroek pendelten. Zeitweise wurden die Passagiere sogar im Zug abgefertigt. Dieses Verfahren ersparte den Reisenden zwar Zeit, erwies sich aber als zu umständlich [10] (siehe Bilder 5 und 6). Das größte Stadtterminal der Welt stand in London, dessen Fluglätze um 1960 rund sechs Millionen Passagiere pro Jahr zählten. Das West London Air Terminal eröffnete 1963 im Stadtteil Kensington und war für maximal sieben Millionen Reisende pro Jahr ausgelegt. Der Bau von Sir John Burnet, Tait und Partner folgte dem für ein Flugterminal passenden International Style. Unspezifische, entmaterialisierte Glasfassaden und riesige helle Innenräume kündeten von einer globalisierten Zukunft. Geschwungene Auffahrten bildeten einen skulpturalen Gegenpunkt und verbanden Bild 2: Victoria Airways Terminus, Buckingham Palace Road, London Bildquelle: Deutsches Technikmuseum Berlin Bild 4: Abfertigungshalle des Aérogare des Invalides Bildquelle: Deutsches Technikmuseum Berlin Bild 3: Schmalseite des Aérogare des Invalides in Paris Bildquelle: Musée Air France, Paris Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 32 INFRASTRUKTUR Luftverkehr das Gebäude mit seiner Umgebung. Kensington diente vor allem dem innereuropäischen Verkehr, während sich der alte Victoria Terminus auf Langstreckenpassagiere konzentrierte [11] (siehe Bild 7). Eine interessante Mischung aus Stadtterminal und Hotel eröffnete 1960 in Kopenhagen. Der minimalistische Bau von Arne Jacobsen brachte es zu architektonischer Berühmtheit, denn er repräsentiert das perfekt ausgeführte Modell der Internationalen Moderne aus flachem Podiumsbau und darüber aufragendem Hochhaus. Diese geometrische Starrheit und die Kühle der Glasfassaden konterkarierte Jacobsen im Inneren durch organisches Mobiliar, dessen Sessel sogar zu Stilikonen wurden [12]. Besitzer des Baus war das Scandinavian Airlines System, das Kopenhagen zu einem der Drehkreuze des Weltflugverkehrs machte. Folglich dienten die 275 Gästezimmer im Turm des „SAS-Hauses“ auch jenen Fluggästen, die ihren anstrengenden Langstreckenflug gern unterbrechen wollten. Noch benötigten Propellermaschinen rund 16 Stunden nach New York, 24 Stunden an die Westküste Amerikas und 32 Stunden nach Fernost. Kamen in Kopenhagen noch Anschlussflüge hinzu, bot sich ein Nachtstop an (siehe Bild 8). Die amerikanischen Stadtterminals der Nachkriegszeit waren architektonisch anspruchsloser als jene der Alten Welt. Typisch waren auch gute Straßenanbindungen und viele Parkplätze, denn die Massenmotorisierung war in der Neuen Welt schon weit fortgeschritten. Folglich fuhren viele Fluggäste mit dem Auto zum Stadtterminal. Doch den engen Innenstädten fehlte der Parkraum, und so wurde manches Terminal zum Parkhaus. Typische Beispiele waren das East- und das Westside-Terminal in Manhattan. Beide standen verkehrsgünstig in der Nähe der großen Tunnels und Uferstraßen an Hudson und East River und boten zahlreiche Parkplätze auf dem Dach und im Keller [13]. Stadtterminals entstanden aber nur in den großen Metropolen. Andernorts genügten auch weiterhin kleine Stadtbüros. Einige Fluggesellschaften fertigten ihre Kunden ohnehin lieber individuell ab, anstatt sich mit anderen Airlines ein Terminal zu teilen. Auch in Deutschland existierten nur Stadtbüros, da sich der deutsche Luftverkehr landesweit gleichmäßig auf mehrere Flughäfen verteilte [14]. Zudem fehlte eine bedeutende deutsche Luftlinie, die den Bau großer Stadtterminals forciert hätte. Der Neuanfang der Lufthansa war eher bescheiden. Auch weitläufige Städte ohne klares Zentrum verzichteten gern auf zentrale Stadtterminals. Insbesondere amerikanische Metropolregionen wie Los Angeles bevorzugten Flughafenbusse, die das ganze Stadtgebiet auf festen Strecken durchfuhren und dabei mehrere Haltestellen nacheinander bedienten. Das Sortieren der Passagiere nach Flügen und das Ein- oder Auschecken erfolgten dann erst am Flughafen. In Los Angeles erreichte die Busfrequenz sogar zehn bis 15 Minuten [15]. Den Transfer zwischen Stadtterminals und Flugplätzen versahen vorwiegend Busse. Der Straßenverkehr galt als zeitgemäß und der Bus als modern und praktisch, zumal in der Ära der Propellermaschinen ein Bus pro Flugzeug ausreichte. Die Fluggäste konnten nach Flügen getrennt in Busse gesetzt und unmittelbar zur Abflugzeit zum Flugplatz gebracht werden. Um die Reisenden im Getümmel der Stadtterminals in die richtigen Busse zu lotsen, zeigten ihre Richtungsschilder schon das Ziel des jeweiligen Fluges. Viele Transferbusse waren Spezialanfertigungen mit großen Gepäckabteilen, denn Passagiere und Gepäck fuhren im selben Bus. Einige Fluggesellschaften bevorzugten auch handelsübliche Busse und Gepäckanhänger. BOAC und BEA nutzen zeitweise sogar die typischen Londoner Doppeldecker. Bahnverbindungen zwischen Stadtterminals und Flugplätzen blieben selten. Vielen Innenstädten fehlte der Platz für eine zusätzliche Bahnlinie, und viele Verkehrsplaner bezweifelten deren Rentabilität, denn die Zahl der Fluggäste war vielerorts noch überschaubar. Zudem stritten die Bahnanhänger über die Art der Bahnverbindung. Einige wollten futuristische Einschienensysteme, andere wünschten sich exklusive Schnellbahnlinien [16]. Derartige Pläne scheiterten fast immer an ihren hohen Kosten und verzögerten nur die Integration der Flugplätze in die lokalen S- oder U-Bahnnetze [17]. Mancherorts flogen auch Hubschrauber zwischen Flughäfen und Stadtterminals [18]. Nennenswerte Erfolge erzielte aber nur die New York Airways. Ab 1952 errichtete sie ein Netz von Hubschrauberlinien zwischen den drei Flugplätzen und verschiedenen Punkten der Stadt. In Spitzenjahren beförderten die New Yorker Hubschrauber eine halbe Million Passagiere. Dafür nutzte die New York Airways ab 1962 Boeing Vertol mit 25 Passagierplätzen [19] und später Sikorski S 61 mit 28 Plätzen [20]. Das spektakulärste Hubschrauberterminal lag auf dem Dach des PanAm Buildings, rund 250 Meter über den Straßenschluchten von Manhattan [21]. Expressfahrstühle brachten die Passagiere nach oben, wo sie eine elegante Lounge mit Polstersesseln und hölzernen Wandpaneelen erwartete. Doch die Behörden erhoben Sicherheitsbedenken und bemängelten den Fluglärm. Ab 1968 ruhte der Betrieb. Als er 1977 erneut begann, ereignete sich eine Katastrophe: Das Rad eines startbereiten Hubschraubers brach, die Maschine kippte, und der laufende Rotor tötete vier Passagiere. Ein weiteres Opfer starb auf der Straße durch herabstürzende Trümmer. Damit endete der Hub- Bild 5: Stadtterminal der Sabena in Brüssel Bildquelle: Königliches Armeemuseum Brüssel Bild 6: Interieur des Sabena-Terminals Bildquelle: Königliches Armeemuseum Brüssel Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 33 Luftverkehr INFRASTRUKTUR schrauberdienst vom Dach des Pan Am Buildings [22]. Öffentliche Liniendienste mit Hubschraubern blieben weltweit defizitär, denn ihre Betriebskosten waren zu hoch [23]. Sogar die New York Airways brauchte Staatshilfen und Zuschüsse der Fluggesellschaften. Im Jahre 1979 gab sie endgültig auf [24]. Der Niedergang der Stadtterminals Ende der 1950er Jahre geriet das Stadtterminalsystem in erste Schwierigkeiten, denn die steigenden Passagierzahlen ließen sich mancherorts kaum noch bewältigen. Obwohl immer mehr Reisende selbständig zum Flugplatz fuhren, stiegen die Abfertigungszahlen der Stadtterminals mit den steigenden Passagierzahlen rasant an. Ein typisches Beispiel war London. Während der Anteil der Stadtterminalnutzer bis 1960 auf rund 50 Prozent sank [25], stieg ihre Zahl in die Millionen [26]. Für Erweiterungsbauten und neue Terminals waren viele Innenstädte zu eng, und an den Rändern der Stadtzentren fehlte der direkte Anschluss an die Hauptbahnhöfe. Typische Beispiele waren das West London Air Terminal oder die neuen Terminals in New York [27]. Ein weiteres Problem verursachte die zunehmende Zahl von Autos, die die Innenstädte verstopften. Dadurch standen auch die Flughafenbusse immer öfter im Stau, während startbereite Flugzeuge auf ihre Passagiere warten mussten [28]. Der Aérogare in Paris kapitulierte schon 1961. Fortan checkte die Air France alle Pariser Passagiere erst am Flugplatz ein- und aus [29]. Zu den Nachteilen der Stadtterminals zählten auch ihre zusätzlichen Kosten, die sich auf die Flugpreise auswirkten. Fluggäste, die direkt zum Flughafen fuhren, zahlten indirekt für jene mit, die das Stadtterminal nutzten und sich von der Airline chauffieren ließen [30]. In Amerika zahlten die Nutzer der Stadtterminals schon früh für den Flughafentransfer, in Europa hingegen fuhr man deutlich länger gratis. Airlines, die sich den Transfer bezahlen ließen, forderten nicht selten empfindliche Preise. So kostete der Transferbus in New York das Dreibis Zehnfache des öffentlichen Nahverkehrs [31]. In den sechziger Jahren verloren die Stadtterminals auch für die Reisenden spürbar an Attraktivität. Da die neuen Düsenjets die Flugzeiten halbierten, fielen die mitunter längeren Transferzeiten über ein Stadtterminal stärker ins Gewicht [32]. Zudem machte eine ständig wachsende Zahl privater Pkws die fernen Flugplätze leichter erreichbar. In London oder New York fuhren schon Mitte der 1960er Jahre über 40 Prozent der Passagiere mit dem Auto zum Flughafen [33]. Insbesondere Reisende von außerhalb der Stadtzentren steuerten nun direkt zum Flugplatz, ohne den Umweg über die Innenstadt [34]. Der finale Schlag traf die Stadtterminals in den 1970er Jahren, denn viele Verkehrsplaner verabschiedeten sich nun endgültig von der Idee separater Transportsysteme zwischen Flughäfen und Innenstädten. Damit war der Weg für die volle Integration der Flugplätze in das öffentliche Nahverkehrsnetz frei, und ein weiterer Grund für das Stadtterminal als Knoten des Flughafentransfers entfiel [35]. Zudem flogen inzwischen über 90 Prozent der Passagiere Economyklasse, und derart preissesensible Kunden schätzten die billigen U- oder S- Bahnen oft mehr als die inzwischen fast überall kostenpflichtigen Transferbusse. Bald verloren sich immer weniger Reisende in den Stadtterminals. Als Londons Flughafen Heathrow seinen U-Bahnanschluss erhalten hatte, halbierten sich die Abfertigungszahlen in der Innenstadt [36]. Sogar der altehrwürdige Victoria Terminus fertigte um 1980 nur noch jeden zwölften Langstreckenpassagier der British Airways ab [37] - um 1965 war es noch jeder Dritte gewesen [38]. Ein ähnliches Bild zeigte auch New York. Im West Side Air Terminal war die jährliche Passagierzahl seit seiner Eröffnung um 60 Prozent gesunken. Es schloss 1972 [39]. Das East Side Terminal folgte zwölf Jahre später, nachdem es längst nur noch als Haltestelle der Flughafenbusse gedient hatte [40]. Die letzten großen Stadtterminals schlossen in den 1980er Jahren. Zu ihnen zählten auch das West London Air Terminal und der Victoria Airways Terminus. Einige der Stadtterminals mussten Neubauten weichen, andere dienen heute als Wohn- oder Geschäftshäuser. Nur der Aérogare in Paris erinnert noch an vergangene Tage. Der Charme des Art déco ist zwar längst verschwunden, doch einige Ticketschalter sind noch immer geöffnet, und die Leuchtschrift AIR FRANCE strahlt allabendlich über die Esplanade des Invalides. Ein Blick in die Zukunft Die Gründe für das Aussterben der Stadtterminals scheinen noch immer aktuell. Zudem erschweren die inzwischen noch strengeren Sicherheitskontrollen eine auf zwei Standorte verteilte Passagierabfertigung, und die ins bodenlose gestürzten Flugpreise machen das Kostenproblem eines Stadtter- Bild 7: West London Airways Terminal (Architekturmodell) Bildquelle: TU-Berlin Bild 8: SAS-Haus in Kopenhagen, links ein Transferbus Bildquelle: SAS Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 34 INFRASTRUKTUR Luftverkehr minals aktueller denn je. Andererseits könnten innerstädtische Abfertigungsstellen überlasteten Großflughäfen helfen, ihr Passagieraufkommen zu bewältigen, oder den Hauptknoten für die Vernetzung mehrerer Flughäfen einer Region bilden. Sicher wüsste auch mancher Passagier den Service eines Stadtterminals zu schätzen. Schließlich waren diese Flughöfe auch in ihrer Endzeit nie gänzlich verwaist, und die Zahl der Flugreisenden hat sich in den letzten vierzig Jahren vervielfacht. Interessant ist auch das erneute Aufleben der Idee exklusiver Schnellbahnen zwischen Städten und Flughäfen, nun u. a. als Magnetschwebebahn. Diese Strecken könnten durchaus in einem klassischen Innenstadtterminal enden, zumal die Nonstop-Fahrt zum Flughafen das Problem der Sicherheitskontrollen löst. Ideen für neue Stadtterminals existieren schon (siehe Bild 9). Die Passagierabfertigung in der Innenstadt könnte also noch eine Renaissance erleben. ■ LITERATUR [1] Beispiele bedeutender Periodika des Untersuchungszeitraumes sind: The Aeroplane, London; Flight (später Flight International), London; Interavia, Genf; Aviation (später Aviation Week), New York. [2] Quellenmaterial fand sich unter anderem in folgenden Archiven: Deutsches Museum München, Deutsches Technikmuseum Berlin, Königliches Armeemuseum Brüssel, Musée Air France Paris, SAS Archiv Kopenhagen. [3] Diese Zahl stammt aus dem Jahr 1950 und könnte in der Zwischenkriegszeit noch höher gelegen haben. Swann, D. (1959): Movement of Passengers and Baggage before and after Flight. In: The Journal of the Institute of Transport, September, S. 173. [4] McAllery, C. (1934): To Baghdad and back by Imperial Airways. In: The Aeroplane, 4. April, S. 577. [5] KLM, The first 30 Years, Broschüre (1949): Archiv des Deutschen Technikmuseums Berlin, III.3.02302. [6] Imperial Headquarters (1939). In: Flight, 15. Juni, S. 610 f. [7] Mit „Staines“ und „Long Island“ spielt der Autor auf die Flugplätze in Heathrow und Idlewild an. Town Terminals are Essential (1959). In: The Aeroplane, 25. Oktober, S. 608. [8] Tagnard, J. (1946): Flughof Paris. In: Interavia, Juli, S. 24 f. - Air France, Réseau Aérien Mondial, Prospekt (1948). Archiv des Deutschen Technikmuseums Berlin, III.3.02168. [9] Esso Air World (1949), Februar, S. 30. - Ausbau des Pariser Air Terminal (1958). In: Internationales Archiv für Verkehrswesen, Nr. 19, S. 405. - Flughof Paris (1958). In: Interavia, S. 404. [10] Sabena’s New Town Terminal (1958). In: The Aeroplane, 16. April, S. 476. - Sabenas New Air Terminus in Brüssels (1954). In: Shell Aviation News, Juni, S. 9. - New Townterminal (1954). In: Airports & Air Transportation, Mai/ Juni, S. 7. [11] BOAC (1963). In: Flight International, 14. November, S. 789. [12] Sheridan, M. (2001): The SAS-House and the Work of Arne Jacobsen. London. - Schofeld, I. (2012): Arne Jacobsens SAS Hotel in Kopenhagen. Saarbrücken. [13] New Passenger Terminal for New York (1951). In: Shell Aviation News, September, S. 21. - Swank Airlines Terminal. In: Aviation Week, 1951, 27. August, S. 65. - New York’s West Side Airlines Terminal (1955). In: Aviation Week, 26. September, S. 109. [14] Auch in Frankfurt am Main genügten die Stadtbüros der einzelnen Fluglinien. Seiler, W. (1955): Die Luftfahrt setzt Akzente. In: Nachrichten Flughafen Rhein-Main, Heft 3, S. 16. [15] Air Commerce, Profitability through Productivity (1964). In: Flight International, 16. Januar, S. 85. [16] Neufville, R. de: Airport Systems Planning (1976). London 1976, S. 80 ff. [17] Ebd., S. 92. [18] Zur Diskussion um den Einsatz von Hubschraubern vgl. u. a.: Cummings, R.: Operational Economics of Scheduled Helicopter Transportation (1954). In: Shell Aviation News, Mai, S. 7-8. - Economic Considerations of the Transport Helicopter (1954). In: Shell Aviation News, Mai, S. 7-10. [19] Kreuzer, H. (1999): Propellerverkehrsflugzeuge seit 1945. Erding, S. 165. [20] New York Airways (1980). In: Flight International, 26. Juli, S. 331. [21] Heute Met Life Building. [22] Copter Crash on Pan American Building (1977). In: New York Daily News, 17. Mai, S. 1. [23] Dienel, H.: Verkehrsvisionen in den 1950er Jahren: Hubschrauber für den Personenverkehr (1997). In: Technikgeschichte, Bd. 64, Nr. 4, S. 295-303. -Neufville, a.a.O., S. 83. [24] New York Airways (1980). In: Flight International, 26. Juli, S. 331. - Helicopter Airlines in the United States (1977). In: Journal of Transport History, Februar. [25] Swann, a.a.O. [26] Metropolitan Airports - London (1961). In: The Aeroplane, 29. Juni, S. 754. [27] The London Airport Route (1962). In: Flight International, 19. April, S. 610. [28] Beschleunigung der Fluggast- und Frachtabfertigung im internationalen Verkehr (1960). In: Europa-Verkehr, 31. Dezember, S. 267. [29] Metropolitan Airports (1961). In: The Aeroplane, 29. Juni, S. 754. [30] Neufville, a.a.O., S. 83 und 93. [31] Preise um 1970. Sie variierten nach Flughafen sowie Start- oder Endpunkt in der Innenstadt. Grant, A: Get me to the plane on time (1971). In: New York Magazine, 1. März, S. 63. [32] Beschleunigung der Fluggast- und Frachtabfertigung im internationalen Verkehr (1960). In: Europa-Verkehr, 31. Dezember, S. 267. [33] Zahlen für die Flugplätze Heathrow, La Guardia und Kennedy. Towards a Jumbo Fumble (1967). In: Flight International, 5. Oktober, S. 555. [34] Swann, a.a.O. [35] Neufville, a.a.O., S. 92. [36] Der U-Bahnanschluss erfolgte 1977. BA plans Victoria Terminal closure (1980). In: Flight International, 4. Oktober, S. 1310. [37] Die British Airways entstand 1970 als Zusammenschluß von BEA und BOAC. [38] BA plans Victoria terminal closure (1980). In: Flight International, 4. Oktober, S. 1310. [39] McFadden, R (1972): West Side Air Terminal to be closed this Year. In: The New York Times, 11. August, S. 1. [40] Berger, J. (1985): Airlines Terminal on East Side sold. In: The New York Times, 14. Februar, S. 2. Thomas N. Kirstein, Dr. Technikgeschichte, Fakultät I, Technische Universität Berlin thomas.kirstein@campus.tu-berlin.de Bild 9: Entwurf für eine Umgestaltung des Berliner ICC zum Stadtterminal, Architekturbüro Gisbert Dreyer, Berlin Quelle: Gisbert Dreyer Architekturbüro Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 35 Straßenbau INFRASTRUKTUR 100 Jahre Avus War die Automobil-, Verkehrs- und Übungsstraße in Berlin die erste Autobahn? Autostraße, Schnellfahrstrecke, Rennstrecke Motiviert durch Misserfolge bei Automobil-Rennsportveranstaltungen forcierte die deutsche Monarchie unter Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1909 die Gründung der Automobil-, Verkehrs- und Übungsstraße (Avus) GmbH. Die kombinierte Automobil-Rennstrecke bzw. Schnellverkehrsstraße, die heute den nördlichen Teil der Autobahn A 115 bildet, wurde aufgrund des Ersten Weltkriegs erst am 24. und 25.09.1921 eingeweiht und gilt als zentraler Vorläufer der Autobahnen. Bis 1998 stand die Strecke für international beachtete Rennsporterfolge. Zeitgleich mit dem Bau ihres Anschlusses an den Berliner (Außen-) Ring erhielt die Avus die Klassifizierung einer Reichsautobahn. Die Frage, ob die Avus als weltweit erste Autobahn gelten kann, ist Teil einer wissenschaftlichen Diskussion, die derzeit u. a. in der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) stattfindet. - Teil 1 des zweiteiligen Artikels: Von der Idee zur Rennstrecke. Wolfgang F. Jäger E ines der zentralen Wahrzeichen von Berlin, die Avus - Akronym für „Automobil-, Verkehrs- und Übungsstraße“ und nördlicher Teil der heutigen Bundesautobahn A 115 -, wurde am 24.09.2021 einhundert Jahre alt. Dieses Ereignis ist Anlass dafür, auf die prägenden Entwicklungen im Motorisierungs-, Straßen- und Verkehrswesen, die vor über 100 Jahren ihren Anfang nahmen; zurückzublicken und diese unter anderem in Bezug auf die Autobahnen in einen ingenieurhistorischen Gesamtzusammenhang zu setzen. Die Avus ist für Generationen von Autofahrenden, die von Südwesten her nach Berlin hineinfahren, die zentrale Zufahrtsgerade in die deutsche Hauptstadt, an deren Zielpunkt sich mit den Impressionen von Avus-Rundbau, Messe und Funkturm, sowie im weiteren des Kurfürstendamms oder der Straße des 17. Juni das Ankommen in der Metropole immer wieder eindrucksvoll in Szene setzt. Für Millionen Berlinerinnen und Berlinern hat und hatte die Avus eine Zubringerfunktion zu Erholungssowie Freizeitaktivitäten bzw. war für Hunderttausende mit ihren legendären Motorsportveranstaltungen Ort und Sinnbild für Rennsport-Erfolge, so dass hier zuweilen regelrecht von einem Avus-Lebensgefühl gesprochen werden kann. Vor allem seit der Wiedervereinigung Deutschlands erfüllt die Avus selbstverständlich auch wesentliche Aufgaben für den Pendlerverkehr - Zeit also, wesentliche Hintergründe, Zusammenhänge und Perspektiven in den Blick zu nehmen. Kaiser Wilhelm II. will Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit stärken Um 1900 waren Automobilrennen einerseits Attraktionen für die Öffentlichkeit, andererseits erwiesen sie sich als hervorragende Tauglichkeitstest- und Werbemittel der Autoindustrie. In Anlehnung an bestehende Rad- und Pferderennbahnen entstand vielerorts der Wunsch, derartige Rundkurse auch als „Automobil-Rennbahnen“ auszubilden. 1902 propagierte der Berliner Bauunternehmer M. F. Sebald einen derartigen Rundkurs in den Brandschutzstreifen beiderseits der Wetzlarer Eisenbahn im Grunewald (Bild 1). Mit dem Vorschlag von 1904, diese Anlage auf einer Seite der Eisenbahn anzulegen, war die Urform der späteren Avus mit zwei parallelgeführten Fahrbahnen vorgegeben [Kalender 2012, S. 178/ 179]. Die Parallelführung der Fahrbahnen hatte sich dabei ebenfalls aus Waldschutzgründen ergeben. Nachdem im Juni 1907 beim Kaiserpreisrennen im hessischen Taunus der erste Preis von Italien (auf Fiat) gewonnen worden war, sah der deutsche Kaiser die dringende Notwendigkeit, die hiesige Automobilindustrie durch die Anlage geeigneter Renn- und Erprobungsstraßen zu fördern. Nachdem eine solche Anlage in der Eifel zunächst verworfen worden war, entschied Kaiser Wilhelm II. im Februar 1908 zugunsten eines in Zusammenarbeit mit der Stadt Frankfurt am Main entstandenen kreuzungsfreien, kombinierten Rennbahn- und Nur-Autostraßen-Projekts [Gabriel 2010, S.- 157-163]. Diese Automobil-Rennbahn im Taunus wurde von der Presse hin und wieder auch als „Taunus-Autobahn“ bezeichnet, wobei die Verkürzung des Begriffs „Automobil-Rennbahn“ auf „Autobahn“ historisch auf keinen Fall mit der Jahrzehnte später bzw. heute verwendeten Definition für den Begriff Autobahn gleichgesetzt werden kann. Im übrigen war es auch Kaiser Wilhelm II., der im Jahr 1907 nicht die Bezeichnung „Automobil-Rennstraße“, sondern - näher an der avisierten Zweckbestimmung - den Namen „Automobil-, Verkehrs- und Übungsstraße“ für dieses Bauvorhaben befohlen hatte. Nachdem ab Herbst 1908 in Frankfurt am Main das Projekt als aufgeschoben und später als gescheitert galt, favorisierten u. a. der Kaiserliche Automobil-Club (KAC) sowie einige Industrielle erneut eine Variante im Berliner Grunewald, so dass dann in Berlin am 23.01.1909 die „Automobil-, Verkehrs- und Übungsstraße GmbH“ gegründet wurde, woraus sich später die Abkür- Bild 1: Skizze der 1902 von Sebald propagierten „Automobil-Touren-Bahn Grunewald“ Quelle: Gabriel 2010, S. 158 Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 36 INFRASTRUKTUR Straßenbau zung „Avus“ ergab. Überhaupt war Berlin in dieser Zeit ein guter Ausgangspunkt für ein derartiges Projekt, wurde zur gleichen Zeit doch ein städtebaulicher Wettbewerb für ein einheitliches Groß-Berlin vorbereitet, bei dem auch die Bestandteile des geplanten Ring- und Radialstraßensystems der sich abzeichnenden Millionen-Metropole diskutiert und bewertet wurden. Zwei Jahre später, am 01.04.1912, wurde zudem der Zweckverband Groß-Berlin, ein loser Zusammenschluss der Stadt Berlin mit ihren Nachbarstädten und zwei Landkreisen, gegründet mit dem Ziel, einheitliche Regelungen der bau- und verkehrlichen Vorschriften zu erlangen, was den Bau einer Automobil-Straße ebenfalls begünstigte. Die Avus als kombinierte Rennstrecke, Nur-Autostraße und Schnellverkehrsstraße Berlin - Potsdam Im Juli 1911 legte die Königliche Eisenbahndirektion, die mit der Planung beauftragt worden war, den „Allgemeinen Entwurf“ zur „Automobil-, Verkehrs- und Übungsstraße“ in Berlin vor, bestehend aus den beiden Bauabschnitten: a) Eichkamp (Bhf. Westkreuz) - Beelitzhof (Bhf. Nikolassee) und b) Beelitzhof (Bhf. Nikolassee) - Kohlhasenbrück (Teltowkanal). Hierbei wird deutlich, dass die ehemalige Südschleife in Höhe des Bahnhofs Nikolassee lediglich ein vorläufiger Wendepunkt innerhalb des ersten Bauabschnitts sein sollte. Im ursprünglich geplanten Endausbau der Avus wäre die südlichste Wendeschleife bei Kohlhasenbrück am Teltowkanal errichtet worden, von wo aus eine neu anzulegende Stichstraße die Verkehrsverbindung nach Potsdam-Zentrum herstellen sollte. Die Avus war also von Anfang an im Hinblick auf eine Verlängerung nach Süden und somit für das große Verkehrsaufkommen zwischen Berlin und Potsdam konzipiert worden (Bild 2). Dass im Kaiserreich bzw. in der Weimarer Republik nur der erste Bauabschnitt realisiert werden konnte, lag vor allem an der schwierigen Finanzierung des Projekts und an der erforderlichen Bereitstellung des Grund und Bodens. Günstig für die Realisierung des ersten Bauabschnitts wirkte sich aus, dass zum einen die Stadt Charlottenburg das Projekt befürwortete, und zum anderen, dass ausschließlich preisgünstiger Grund und Boden im Bereich des Königlich Preußischen Forstfiskus im Gutbezirk Grunewald-Forst erforderlich war, für den der Staat das 82 ha große Gelände ohne feste Pacht, sondern lediglich gegen Beteiligung an Überschüssen der Avus-Gesellschaft für einen Zeitraum von 30 Jahren zu Verfügung stellte. Inbegriffen waren hier ein kreuzungsfreier Verlauf, die Teilung in zwei gesonderte, durch Wendeschleifen verbundene Fahrbahnen, zwei Fahrspuren pro Fahrtrichtung, ein staubfreier Oberflächenbelag sowie Seitensicherungen und Einzäunungen. Die Streckenlänge (Rundkurs bis 1936) betrug insgesamt 19,573 km, wobei der Radius der Nordschleife R = 127 m und der Radius der Südschleife R = 83 m maß (Bilder 3a und 3b). Im Querschnitt bestand jede Fahrbahn aus einem Dachprofil, das mit einem Radius von R = 45 m ausgerundet war und bei dem der Scheitelpunkt 2 m vom Fahrbahnrand entfernt genau in der Mitte der in Fahrtrichtung rechten Spur lag. Durch die Ausrundung war bei einer Querneigung von q ~ 2,9 % gewährleistet, dass Autos und Rennwagen auf der rechten Spur in horizontaler Lage fahren konnten, während auf der linken Spur überholende Fahrzeuge in Seitenlage kamen (Bild 4). Nachdem im Herbst 1912 der Zweckverbandsausschuss der ausgewählten Teilstrecke zustimmte und der Regierungspräsident die von der Königlichen Eisenbahndirektion aufgestellten Pläne landespolizeilich geprüft und genehmigt hatte, erfolgte am 07.03.1913 die Umwandlung der bis dato als Vorbereitungsgesellschaft tätigen Avus GmbH in die Avus Aktiengesellschaft. Schließlich wurde am 02.05.1913 mit der Fa. Philipp Holzmann & Co. der Bauvertrag abgeschlossen, so dass am 03.06.1913 offiziell mit den Bauarbeiten begonnen werden konnte. Für 300.000 m 2 Rodungsfläche und rund 200.000 m 2 Bodenbewegung, elf Brücken in Form von Stahlbetonrahmen-Unterführungen sowie die Fahrbahndecke waren Kosten in Höhe von 2,13 Mio. Mark veranschlagt. Hinzu wären noch die Aufwendungen für die Hochbauten gekommen. Eine Refinanzierung der Investitionen sollte vorwiegend durch Wegegebühren für die private Benut- Bild 2: Avus-Lageskizze von 1916 (mit möglicher Verlängerung nach Kohlhasenbrück) Quelle: Gabriel 2010, S. 163 Bild 3a und 3b: Grundriss der Avus mit Eingängen und Tribünen etwa im Jahr 1922 Quelle: Kubisch/ Rietner 1987, Seite 14/ 15 Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 37 Straßenbau INFRASTRUKTUR zung sowie durch die Vermietung an Rennveranstalter erfolgen. Je näher die für September 1914 geplante Einweihung rückte, desto mehr wuchs die Überzeugung der Protagonisten, dass die Avus sich in weit höherem Maße als internationale Automobilrennstrecke eignen würde als irgendeine andere der bisherigen Strecken. Der am 01.08.1914 ausgebrochene Erste Weltkrieg verhinderte sodann jedoch die Fertigstellung der Avus. Zwar waren zunächst Kriegsgefangene als Arbeitskräfte verpflichtet worden, jedoch mussten die Bauarbeiten im September 1915 komplett stillgelegt werden. Zugleich vollzog sich auch ein Wandel in der Argumentation für die sogenannten Nur-Autostraßen: Während bis 1914 Verkehrssicherheit und Staubfreiheit als Hauptargumente herangezogen wurden, überwog ab dem Kriegsjahr 1914 mehr und mehr die Erfüllung von strategischen Zielen. Während des Ersten Weltkriegs (1914 bis 1918) ruhte die Entwicklung und Produktion von Gebrauchsfahrzeugen in Deutschland, da u. a. die Automobilherstellung vorrangig auf Kriegsgerät umgestellt worden war. Der Krieg endete 1918 in einem Desaster. Kaiser Wilhelm II. hatte abzudanken. Infolge der Deutschland angelasteten Alleinschuld diktierten die Siegermächte den Versailler Vertrag mit den darin festgelegten Reparationszahlungen. Die Vollendung der Avus während der Inflationskrise in Deutschland Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 war an Rennsportveranstaltungen zunächst nicht zu denken. Überhaupt waren deutsche Rennfahrer infolge des Krieges bei internationalen Rennen nicht willkommen. Von den großen Motorsportnationen verhielt sich lediglich Italien neutral. So trat Deutschland erst am 07.10.1924 offiziell wieder dem Weltverband Fédération Internationale des Clubs Motocyclistes (FICM) bei. Die Avus AG war lange Zeit nicht in der Lage, die 1914 schon teilweise aufgebrachte Fahrbahndecke zu vollenden, so dass die Baustelle jahrelang brachlag und von Unkraut überwuchert war. Am 01.10.1920 war per Gesetz die Stadtgemeinde Groß-Berlin (weitgehend in den heutigen Grenzen) gebildet worden, in die auch Wilmersdorf, Zehlendorf sowie der Gutbezirk Grunewald- Forst eingegliedert wurden. Damit lag die unvollendete Avus nun auf Berliner Stadtgebiet. Grundsätzlich war die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland geprägt von Hunger, Arbeitslosigkeit und einer immer stärker werdenden Inflation, in deren Folge aufgrund der Geldentwertung eine „Flucht in die Sachwerte“ einsetzte. Nicht zuletzt hierdurch hatte sich der Kraftfahr- Bild 4: Avus-Querschnitt 1915 (Fahrbahnscheitelpunkte 2 m vom rechten Rand entfernt) Quelle: Gabriel 2010, S. 165 Bild 5: Blick vom Funkturm auf die alte Avus-Nordschleife (1921-1935) mit Avus-Verwaltungsgebäude von Edmund Meurin sowie bereits hergestelltem Brückenbauwerk für die spätere Halenseestraße (oben links), Aufnahme vom Mai 1935 Quelle: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz Bild 6: Im Oktober 1936 neigt sich der Bau der neuen Avus-Steil-Nordkurve dem Ende entgegen (Querneigungswerte im Scheitelkreis: α ~ 43,6° (qα ~ 95,2 %), max. v ~ 170 km/ h) Quelle: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 38 INFRASTRUKTUR Straßenbau zeugbestand in Deutschland zwischen 1921 und 1924 mehr als verdoppelt. Anfang 1921 entschied sich der Industrielle Hugo Stinnes, Kapital zur Verfügung zu stellen, mit dem die Avus AG saniert, das bestehende Planum geebnet, der Teer-Splitt-Belag der Fahrbahnen fertiggestellt und die Böschungen abschließend angesät werden konnten. Im Juni 1921 gab die Avus AG eine entsprechende Ausschreibung heraus. Ziel der Initiatoren war es, Automobil-Importkäufe zu minimieren und den Kauf deutscher Automobil-Produkte zu fördern, weshalb das erste Autorennen auf der Avus zeitgleich mit der Deutschen Automobil-Ausstellung stattfand. Parallel zu den laufenden Restarbeiten durften die Rennwagenfahrer ab dem 09.09.1921 trainieren bis zum Vormittag des 24.09.1921, an dem mit einem Festakt die Avus eingeweiht wurde und an dem gegen 11.00 Uhr das erste Autorennen startete. Damit war die erste reine Autostraße Europas eröffnet. Ab dem 26.09.1921 stand die Avus gegen eine gehobene Gebühr auch dem privaten Automobil-Verkehr zur Verfügung. Die 8,00 m breiten Richtungsfahrbahnen bestanden im Unterbau jeweils aus einer 16 bis 18 cm starken Packlageschicht, auf die eine 8 bis 10 cm starke Teer-Schicht (Makadam-Bauweise) aufgebracht wurde. Mangels optimaler Verdichtung war die Avus bereits fünf Jahre später massiv von Fahrbahnschäden betroffen (Bodenwellen), worauf im Streckenverlauf zahlreiche Versuchsfelder für den Straßenbau eingebaut wurden. Bereits 1915 waren außerdem etwa 240 m Fahrbahn der Avus in Beton hergestellt worden, was aufgrund positiver Erfahrungen ab 1928 zur Herstellung weiterer Betondeckenabschnitte führte. Dennoch gab es in Deutschland neben der 1920 eröffneten Opel-Bahn in der ersten Hälfte der 1920-er Jahre keine vergleichbare Rennstrecke. Der Nürburg-Ring wurde beispielsweise erst am 18.06.1927 eingeweiht. 1924 wurde schließlich in moderner Architektur das neue Avus-Verwaltungsgebäude (Architekt Edmund Meurin) fertiggestellt, das an der Nordschleife mit Inbetriebnahme mit drei Zuschauerterrassen verbunden war. Das vom Automobil-Club von Deutschland (AvD) am 24.09.1921 veranstaltete erste Autorennen auf der Avus entschied Fritz von Opel (auf Opel) für sich, der in seiner vierten Runde eine Rundengeschwindigkeit von 143,1 km/ h erreichte. Die Hauptrennen in den Jahren 1921 und 1922 gewann der Berliner Christian Riecken (auf NAG). Da Motorsport infolge der Inflation kaum mehr finanzierbar war, wurde ab dem 10.06.1922 das erste Avus-Motorradrennen veranstaltet, gefolgt von sogenannten Kleinwagenrennen. Erst am 11.07.1926 wurde mit dem Großen Preis von Deutschland wieder ein bedeutsameres Autorennen gestartet, worauf Autorennen mindestens einmal jährlich zwischen 1926 und 1935 stattfanden (ausgenommen lediglich 1929, das Jahr des Beginns der Weltwirtschaftskrise). Hervorzuheben sind Bild 7a: Blick im Sommer 1937 vom Funkturm auf die Halenseestraße (links), die Avus-Nordkurve sowie auf das Avus-Verwaltungsgebäude und das Avus-Nordtor Quelle: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz Bild 7b: Blick etwa im Jahr 1960 vom Funkturm auf die Halenseestraße (links), die Avus-Nordkurve sowie auf das Avus-Verwaltungsgebäude Quelle: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz Bild 8a: Blick etwa im Sommer 1937 vom Funkturm auf das Avus- Nordtor, das Avus-Verwaltungsgebäude, die Avus-Tribüne, die Deutschlandhalle (rechts) sowie auf den Versatz in den Avus-Geraden (am Horizont) Quelle: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz Bild 8b: Blick etwa im Jahr 1960 vom Funkturm auf das Avus-Verwaltungsgebäude, die Avus-Tribüne, die Deutschlandhalle (rechts) sowie auf den Versatz in den Avus-Geraden (am Horizont) Quelle: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz außerdem noch zahlreiche Rekordfahrten, darunter die wohl spektakulärste, bei der wiederum Fritz von Opel im Jahr 1928 mit einem raketenbetriebenen Opel RAK 2 auf über 230 km/ h beschleunigte. Nach dem Internationalen Avus-Rennen am 26.05.1935 (Bild 5) musste der Automobil-Rennsport jedoch zunächst wieder eine Pause einlegen. Als Vorbereitung für die Olympischen Spiele, die 1936 in Berlin ausgerichtet wurden, baute die Stadt 1935/ 36 - quasi als Vorläufer in der Trasse der heutigen Stadtautobahn A 100 - eine neue innerstädtische, zweibahnig-niveaugleiche Straße vom Messegelände am Funkturm zum Kurfürstendamm (Richtung Halensee). Dieses Bauvorhaben erfolgte zum Teil auf dem gepachteten Grund und Boden der Avus. Überdies musste die Avus-Nordschleife samt Verwaltungsgebäude und Tribünen abgebrochen und an anderer Stelle neu gebaut werden, so dass die Stadt Berlin der Avus AG eine Entschädigung von 304.000 RM sowie Ersatzbauten zur kostenlosen Nutzung bereitzustellen hatte. Die neue Kurvenführung sollte die Avus schneller und sicherer machen, weshalb die bauausführende Stadt Berlin in Abstimmung mit der Obersten Nationalen Sportbehörde (ONS) Neuland betrat und sich entschied, eine überhöhte Steilkurve mit einem rötlich-braunen Klinker-Fahrbahnbelag anzulegen (Bild 6). Mit dem Umbau der Nordschleife 1936/ 37 entstanden zwei neue Gebäude, die das Bild der Avus Jahrzehnte lang prägten und bis heute prägen: Zum einen ist dies die Zuschauertribüne am Messedamm, zum anderen das neue Avus-Verwaltungsgebäude mit dem markanten, weithin sichtbaren Zielrichterturm (Rundbau), welches der Architekt Walter Bettenstaedt entwarf. Die Nordkurve mit dem darunter liegenden Tunnel kostete 0,8 Mio. RM, die Hochbauten erforderten 0,66 Mio. RM, insgesamt also 1,46 Mio. RM (Bilder 7 a, b, und 8 a, b). Im Frühjahr 1937 ist die Avus die weltweit schnellste Rennstrecke Im Frühjahr 1937 verkürzte sich die Avus mit ihrer - fortan legendären - Nordkurve (R = 92 m) auf eine Streckenlänge von 19,286 km. Ab dem 15.04.1937 führte Auto Union erste Werkstättenfahrten auf der neuen Nordkurve durch, bei denen in der Steilkurve Geschwindigkeiten von bis zu 170 km/ h erreicht wurden. Auf den langen Geraden im Grunewald waren es sogar bis dato nie erreichte Geschwindigkeiten von bis zu 380- km/ h, womit der Motorsport mit den neuen entwickelten Silberpfeilen zeitgleich mit der Inbetriebnahme der neuen Nordkurve bereits wieder die technischen Grenzen der Avus-Rennstrecke erreichte. Am 30.05.1937 lieferten sich die Rennfahrer Rudolf Caracciola (auf Mercedes- Benz) und Bernd Rosemeyer (auf Auto Union) im ersten Vorlauf vor rund 300.000 Zuschauern einen spannenden Zweikampf, aus dem Caracciola letztlich als Sieger hervorgegangen war, Rosemeyer aber unverhofft in der letzten Runde mit 276,4 km/ h (durchschnittlicher Rundengeschwindigkeit) einen neuen Weltrekord aufstellte. Diese offizielle Rekordrunde, mit der die Avus die weltweit schnellste Rennstrecke wurde, sollte im Grunewald später nie wieder von einem Rennfahrer überboten werden. Sieger im zweiten Vorlauf am 30.05.1937 wurde Manfred von Brauchitsch, Sieger im Hauptlauf des schnellsten Autorennens der Welt auf der Avus war anschließend Hermann Lang (beide ebenfalls auf Mercedes-Benz). Die Höhe der damals auf der Avus gefahrenen Geschwindigkeiten stellten schon deshalb eine Besonderheit dar, da sie erst Jahrzehnte später in den USA bei den Indianapolis-500-Rennen übertroffen wurden. Das letzte Rennen auf der Avus vor dem Zweiten Weltkrieg fand am 22.05.1938 statt. ■ Teil 2 dieses Beitrags, „Reichsautobahn - und wieder Rennstrecke“, folgt in Internationales Verkehrswesen 1/ 2022 LITERATUR Bundesarchiv-Bestände R 4601 „Der Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen“ (GI) sowie R 4602 „Reichsautobahnen-Direktion“ (RAB-Dir.) und weitere Gabriel, Roland (2010): Dem Auto eine Bahn - Deutsche ‚Nurautostraßen’ vor 1933. Archiv für die Geschichte des Straßen- und Verkehrswesens, Heft 23, Köln: FGSV-Verlag Hafen, Paul (1956): Das Schrifttum über die deutschen Autobahnen. Forschungsarbeiten aus dem Straßenwesen, Neue Folge Band 19, für die FGSV e. V., Goerner, Ernst (Hrsg.), Bonn: Ferdinand-Dümmlers- Verlag Jäger, Wolfgang F. (2013): Der Streckenentwurf der Reichsautobahnen - Eine ingenieurtechnische Analyse auf der Grundlage ausgewählter Archivbestände. Archiv für die Geschichte des Straßen- und Verkehrswesens, Heft 26, Köln: FGSV-Verlag Kalender, Ural (2012): Die Geschichte der Verkehrsplanung Berlins. Archiv für die Geschichte des Straßen- und Verkehrswesens, Heft 24, Köln: FGSV-Verlag Kirchner, Axel (2008): Die Avus - Deutschlands legendäre Rennstrecke - Acht Jahrzehnte Motorsport. Bielefeld: Delius-Klasing-Verlag Kubisch, Ulrich; Rietner, Gert (1987): Die Avus im Rückspiegel. Berlin: Elefanten-Press Wirth, Wolfgang (2019): Gesamtkunstwerk Straße - Die Geschichte des Autobahnpioniers Hans Lorenz. München: Franz-Schiermeier-Verlag Wolfgang F. Jäger, Dr.-Ing. Leiter FGSV-Querschnittskreis QK 5.1 Autobahngeschichte, Bruchköbel buero.dr.jaeger@gmx.de IDEEN FÜR DIE STADT VON MORGEN www.transforming-cities.de/ einzelheft-bestellen www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren Digitalisierung versus Lebensqualität Big Data | Green Digital Charter | Kritische Infrastrukturen | Privatheit | Sharing-Systeme 1 · 2016 Was macht Städte smart? URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Mit veränderten Bedingungen leben Hochwasserschutz und Hitzevorsorge | Gewässer in der Stadt | Gründach als urbane Klimaanlage |Baubotanik 1 · 2017 Stadtklima URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Lebensmittel und Naturelement Daseinsvorsorge | Hochwasserschutz | Smarte Infrastrukturen | Regenwassermanagement 2 · 2016 Wasser in der Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Verbrauchen · Sparen · Erzeugen · Verteilen Energiewende = Wärmewende | Speicher | Geothermie | Tarifmodelle | Flexible Netze | Elektromobilität 2 · 2017 2 · 2017 Stadt und Energie URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Erlebnisraum - oder Ort zum Anbau von Obst und Gemüse Urban Farming | Dach- und Fassadenbegrünung | Grüne Gleise | Parkgewässer im Klimawandel 3 · 2016 Urbanes Grün URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Die Lebensadern der Stadt - t für die Zukunft? Rohrnetze: von Bestandserhaltung bis Digitalisierung | Funktionen von Bahnhöfen | Kritische Infrastrukturen 4 · 2016 Städtische Infrastrukturen URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Die Vielschichtigkeit von Informationsströmen Smart Cities | Automatisierung | Mobilfunk | Urbane Mobilität | Datenmanagement | Krisenkommunikation 3 · 2017 Urbane Kommunikation URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Angri ssicherheit · Betriebssicherheit · gefühlte Sicherheit IT-Security | Kritische Infrastrukturen | Notfallkommunikation | Kaskadene ekte | Vulnerabilität | Resilienz 4 · 2017 4 · 2017 Sicherheit im Stadtraum URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Was macht Städte smart? Soft Data | IT-Security | Klimaresilienz | Energieplanung | Emotionen | Human Smart City | Megatrends 1 · 2018 Die intelligente Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Energie, Wasser und Mobilität für urbane Regionen Mieterstrom | Solarkataster | Wärmewende | Regenwassermanagement | Abwasserbehandlung | Mobility as a Service 2 · 2018 Versorgung von Städten URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Zunehmende Verdichtung und konkurrierende Nutzungen Straßenraumgestaltung | Spielraum in Städten | Grüne Infrastruktur | Dach- und Fassadenbegrünung | Stadtnatur 3 · 2018 Urbane Räume und Flächen URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Daseinsvorsorge für ein funktionierendes Stadtleben Urbane Sicherheit | Mobilität im Stadtraum | Zuverlässige Wasser- und Energieversorgung | Städtische Infrastruktur 4 · 2018 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Gesund und sicher leben in der Stadt Gesund und sicher leben in der Stadt Innovativer und nachhaltiger Umgang mit knappem Stadtraum Stadtgrün | Gewerbegebiete | Nachkriegsmoderne | Stadt auf Probe | Reverse Innovation | Stadtverkehr 1 · 2019 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Leben und arbeiten in der Stadt Mit der Größe der Städte wachsen auch Risiken und Belastungen Vulnerabilität | Risikowahrnehmung | Prävention | Bürgerbeteiligung | Freiwilliges Engagement | Resilienz 2 · 2019 2 · 2019 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Städte im Krisenmodus? Anpassungsstrategien an die Auswirkungen des Klimawandels Stadtklima | Grüne und blaue Infrastruktur | Schwammstadt | Stadtgrün | Urbane Wälder | Klimaresilienz 3 · 2019 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Städtisches Grün - städtisches Blau TranCit drittel hoch.indd 1 TranCit drittel hoch.indd 1 26.04.2021 14: 53: 46 26.04.2021 14: 53: 46 Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 40 Schifffahrtsstraßen in Deutschland Flüsse, Kanäle, Schleusen, Schiffsverkehr Die große Zeit der Binnenschifffahrt in Deutschland scheint Geschichte zu sein. Zwar gilt der Transport auf dem Wasser als weitgehend umweltfreundlich, aber der Bau von Kanälen ist, bezogen auf das nur ausnahmsweise hohe Verkehrsaufkommen, heute nicht mehr wirtschaftlich. Ein kurzer Abriss zu einem technisch-historischen Beitrag. Wolfgang Hendlmeier V or etwa 1850 erleichterten schiffbare Flüsse und Kanäle den Transport von Gütern erheblich; denn das Straßennetz befand sich damals noch überwiegend in einem unzulänglichen Zustand, weshalb der Wassertransport zu Beginn des 19. Jahrhunderts weniger als halb so teuer wie der Straßentransport war [1]. Die Schifffahrt gilt als umweltfreundlich. Diese Feststellung ist jedoch nicht allgemein gültig, sondern nur, wenn für große Schiffe ein leistungsfähiges natürliches Gewässer zur Verfügung steht. Dies ist in Deutschland nur der Rhein unterhalb von Karlsruhe. Bei den meisten anderen Flüssen entstehen bei Niedrigwasser schnell Probleme, weil die mögliche Zuladung nicht voll genutzt werden kann, um ein Auflaufen der Schiffe auf Grund zu vermeiden. Die weniger wasserreichen, in Deutschland für die Schifffahrt genutzten Flüsse wurden im Laufe der Zeit reguliert, wobei vielfach Staustufen errichtet worden sind, die auch der Stromerzeugung dienen. Die Schifffahrt überwindet die Staustufen über Schleusen. Um Flüsse, auch über Wasserscheiden hinweg, zu verbinden, entstand schon früh der Wunsch, Kanäle zu bauen. Den ältesten Versuch, einen Schifffahrtskanal in Deutschland zu bauen, ließ Karl der Große durchführen. Er wollte das Flusssystem der Donau mit dem des Rheins durch einen rund 2 km langen Kanal zwischen Altmühl und Schwäbischer Rezat verbinden. Der Karlsgraben (Fossa Carolina) aus dem Jahr 792/ 793 in Treuchtlingen ist der sichtbare Rest dieses Vorhabens [2]. Erst im 17. Jahrhundert war die Kammerschleuse so weit entwickelt, dass man in ihr durch Zufuhr oder Ablassen von Wasser den Wasserspiegel allmählich anheben oder absenken konnte (Bild 1). Vorher musste man bei nicht zu großem Höhenunterschied zwischen Ober- und Unterwasser, z. B. bei INFRASTRUKTUR Binnenschifffahrt Bild 1: Kammerschleusen der Schleuse Münster am Dortmund-Emskanal; links die 1895 bis 1898 erbaute und 2009 stillgelegte Schleuse mit einer Hubhöhe von 6,20 m [4] Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 41 Binnenschifffahrt INFRASTRUKTUR Mühlenwehren, mit Schwallschleusen vorliebnehmen. Um bei Kanälen den Höhenunterschied zwischen Ober- und Unterwasser zu überwinden, kamen bei einigen Kanälen auch Rampen („Schiefe Ebenen“) zum Einsatz, über die die Schiffe trocken oder in beweglichen Schleusenkammern gezogen wurden (Bild 2). Das erste moderne Schiffshebewerk mit Schwimmern wurde 1899 am Dortmund-Ems-Kanal in Henrichenburg mit einer Hubhöhe von 14 m in Betrieb genommen [3]. Inzwischen erreichen moderne Sparschleusen Hubhöhen von rund 25 m, etwa am Main-Donau- Kanal. Vor 1800 gab es in Deutschland nur wenige Kanäle. Der Kanalbau in Deutschland begann im großen Stil etwa mit dem Bau der Eisenbahnen und endete im Zweiten Weltkrieg. Bild 3 zeigt die um 1935 betriebenen, im Bau befindlichen und geplanten Schifffahrtsstraßen. Seither wurden nur noch wenige bedeutende Kanäle gebaut, etwa wegen der deutschen Teilung der Elbe-Seitenkanal mit 115 km Länge von 1968 bis 1976. Der 1939 begonnene, 171 km lange Main-Donau- Kanal wurde von 1960 bis 1992 fertiggestellt. Er war der Nachfolger des von 1846 bis 1950 betriebenen, für größere Motorschiffe nicht nutzbaren Ludwigs-Kanals von Bamberg nach Kelheim. Dieser erste bedeutende deutsche Schiffahrtskanal stand schon von Beginn an in Konkurrenz zur Eisenbahn. Die verbliebenen Reste des Kanals, darunter auch noch betriebsfähige, stehen seit 2018 als historisches Wahrzeichen der Ingenieursbaukunst unter Schutz. In Deutschland beträgt die Länge der Schifffahrtsstraßen, d. h. der Kanäle und schiffbaren kanalisierten Flüsse, rund 7.300-km. Die Transportleistung auf den Kanälen geht seit Jahren leicht zurück, um rund 10 % zwischen 2010 und 2019 [5]. Der Bau von Kanälen ist, bezogen auf das nur ausnahmsweise hohe Verkehrsaufkommen, inzwischen nicht mehr wirtschaftlich. 2019 betrug der Anteil des Binnenschiffsverkehrs nur noch 7,3 %, bezogen auf die Verkehrsleistung in Tonnenkilometern, dagegen beim Straßenverkehr 71,2 % und auf der Schiene 19,0 % [6]. Als noch Massengüter wie Kohle, Erz, Baustoffe und landwirtschaftliche Güter mit geringen Anforderungen an die Transportgeschwindigkeit transportiert worden sind, war das anders. ■ Der Beitrag ist die Kurzfassung einer ausführlichen Abhandlung mit Bildern, Karten, Tabellen und historischen Angaben; sie ist im Internet abrufbar unter www.variatio-delectat.com/ 78 S chiffahrts stras sen_in_ Deutschland.pdf QUELLEN [1] Hans Willbold, Dürnau: Per Schiff von der Donau zum Bodensee? www.gfh-biberach.de/ Hefte/ BC-Heimatkundliche-Blätter-für-den- Kreis-Biberach/ J21H2S58.pdf [2] Karlsgraben (Fossa Carolina): www.wikipedia.org/ wiki/ Fossa_Carolina [3] Schiffshebewerk Henrichenburg: www.wikipedia.org/ wiki/ Schiffshebewerk_Henrichenburg [4] Schleuse Münster: www.wikipedia.org/ wiki/ Schleuse_Münster [5] Rückgang des Schiffsgüterverkehrs: www.destatis.de/ DE/ Themen/ Branchen-Unternehmen/ Transport-Verkehr/ Gueterverkehr/ Tabellen/ gueterbefoerderung-lr.html [6] Anteile der Verkehrsträger am Güterverkehr: www.allianz-proschiene.de/ themen/ gueterverkehr/ marktanteile [7] Karte 111.2 (Binnen-Wasserstraßen) in „Der Neue Brockhaus - Atlas“, Leipzig 1937 Weitere Quellen in der ausführlichen Abhandlung im Web Wolfgang Hendlmeier, Dipl.-Ing. Regierungsdirektor a.D., München hendlmeier-solln@gmx.de Bild 3: Mitteleuropäische Schifffahrtsstraßen, um 1935, mit den damals geplanten Kanälen [7], u.-a. mit dem Kanal von Stuttgart zum Bodensee, mit dem Main-Werra-Kanal und mit dem Hansa-Kanal vom Mittellandkanal zur Elbe. Bild 2: Ausflugsschiff auf dem Rollberg Buchwalde des Oberländischen Kanals bei Elbing, eröffnet 1860. Mithilfe einer 550 m langen Standseilbahn wird hier ein Höhenunterschied von 21,5 m überwunden. Quelle: Kreisgemeinsch. Preuß. Holland Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 42 Rheinschifffahrt und Klimawandel Wechselwirkungen zwischen Klima-Ereignissen, Gütertransport und regionaler Wirtschaft Binnenschifffahrt, Klimaanpassung, Regionalwirtschaft, Wertschöpfungsketten, Lieferketten, Modellierung Im Rahmen des BMBF-Forschungsprojekts R2K-Klim+ werden u. a. die Auswirkungen von Klima-Ereignissen wie Hoch- und Niedrigwasser auf Güterverkehrsströme entlang des Rheins und in der Folge der regionalen Wirtschaft untersucht. Dabei werden sowohl das Angebot auf Seiten der Transporteure als auch die Nachfrage nach Verkehrsdienstleistungen auf Seiten der Wirtschaft berücksichtigt, um die Auswirkungen und Wechselwirkungen möglichst genau abzubilden. Dieser Beitrag stellt das Verfahren vor und diskutiert erste Zwischenergebnisse. Alexander Labinsky, Julia Dick, Lukas Eiserbeck, Oliver Lühr, Richard Simpson D er Klimawandel ist eine globale Herausforderung, sowohl für die Logistik als auch die gesamte Regionalwirtschaft; zukünftig sind weitere und immer stärker werdende Einschränkungen zu erwarten [1]. Neben dem vorbeugenden Klimaschutz wird zunehmend die Anpassung an diese Folgen eine immer größere Stellschraube im Umgang mit dem Klimawandel darstellen. Dazu gehören die Verringerung der Anfälligkeit für Störungen sowie der Exposition des Wirtschafts- und Transportsystems gegenüber Klimafolgen sowie die allgemeine Erhöhung der Systemkapazitäten. Spätestens die trockenen und sehr heißen Sommer in den Jahren 2018 und 2019 sowie die daraus resultierenden Niedrigwasserlagen am Rhein mit ihren enormen wirtschaftlichen Einbußen für die ansässigen Unternehmen haben die Anfälligkeit des Wirtschaftssystems entlang des Rheins einer breiten Öffentlichkeit bewusst gemacht. So vermeldete BASF, dass der durch das Niedrigwasser erzwungene Produktionsstopp allein für das Werk Ludwigshafen zu ca. 250 Mio. EUR Umsatzeinbußen im Geschäftsjahr 2018 geführt hat [2]. Bisher gibt es jedoch nur wenige gesamtvolkswirtschaftliche Untersuchungen zu Klimawandelkosten und -schäden durch lokale Klimaereignisse. Eine Operationalisierung der Folgekosten gestörter oder durch Klimafolgen massiv veränderter Supply Chains stellt somit einen Mehrwert für die Bewertung von volkswirtschaftlichen Kosten und Nutzen von Klimaereignissen und -anpassungsmaßnahmen und trägt zu einer faktenorientierten Diskussion bei. Die hier vorgestellte Methodik zur Quantifizierung von Klimafolgen setzt an diesem Punkt an und soll Entscheidungsträger befähigen, die Auswirkungen des Klimawandels auf die lokale Wirtschaft besser zu verstehen und mögliche Anpassungsmaßnahmen anhand des volkswirtschaftlichen Nutzens zu bewerten. Das Projekt R2K-Klim+ Das Forschungsprojekt R2K-Klim+ thematisiert die Auswirkungen des globalen Klimawandels sowie entsprechende Klimaanpassungsmaßnahmen auf regionaler und kommunaler Ebene. Das übergreifende Ziel Foto: Michael Gaida / pixabay LOGISTIK Binnenschifffahrt Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 43 Binnenschifffahrt LOGISTIK des Verbundvorhabens ist die Analyse klimawandelbezogener Einflüsse hinsichtlich ihrer ökologischen, ökonomischen und sozialen Aus- und Wechselwirkungen auf das Gesamtsystem. Die Ergebnisse werden entsprechend quantifiziert und einem Entscheidungsunterstützungssystem zugeführt, das regionalen und kommunalen Entscheidungsträgern als transparente und nachvollziehbare Handlungsgrundlage für Investitions- und Anpassungsentscheidungen dienen soll. Im Fokus dieser Investitionen soll dabei die Minderung der Vulnerabilität verschiedener Sektoren gegenüber dem Klimawandel liegen. In einem weiteren Schritt soll die Transferierbarkeit auf weitere Modellregionen sichergestellt werden. Regionen und Kommunen weisen unterschiedliche Eigenschaften hinsichtlich ihrer Betroffenheit und ihrer Resilienz gegenüber klimatologischen Veränderungen auf und müssen im zentral-dezentralen Verbundsystem der Gebietskörperschaften singulär Entscheidungen bezüglich Anpassungen an diese Auswirkungen treffen. Lokale Extremwetterereignisse wie Starkniederschlagsereignisse oder Hitzeinseln in Städten müssen ebenso berücksichtigt werden wie Ereignisse, die großräumige Wirkungen entfalten: So betreffen bspw. Hoch- und Niedrigwasser an Flüssen nicht nur eine Region, sondern häufig das gesamte Flusseinzugsgebiet. Eine fundierte Entscheidungsgrundlage liegt auf regionaler und kommunaler Ebene jedoch meist nicht vor. R2K-Klim+ behandelt in diesem Zusammenhang zwei Betrachtungsebenen: eine Makroebene mit dem gesamten Rheineinzugsgebiet als Raumeinheit (siehe Bild 1) sowie eine Mikroebene mit der Stadt Duisburg. In R2K-Klim+ wird für die Stadt Duisburg ein Konzept erarbeitet, in dem mit Hilfe von Klimaprojektionen mögliche Zukunftsbilder erstellt und die Einflüsse der regionalen und überregionalen Auswirkungen der Klimawandelfolgen dargelegt werden. Hierbei werden Vulnerabilitätsanalysen für ausgewählte Faktoren durchgeführt. Im Folgenden wird speziell auf den Teilaspekt des Binnenschiffverkehrs bei Niedrig- und Hochwasser auf der Makroebene eingegangen. Erste Ergebnisse des Gesamtprojekts werden Mitte 2023 der Öffentlichkeit vorgestellt, während aktuelle Projektfortschritte auch über die Projektwebsite [3] geteilt werden. Die Bewertung und Quantifizierung von Klimaeffekten im Verkehrssystem und der regionalen Wirtschaft Die Prognos AG verfügt über eine seit Jahren gewachsene Modelllandschaft in den Bereichen Wirtschaft, Energie und Verkehr. Zwar sind die verschiedenen Modelle prinzipiell miteinander verknüpft, allerdings gab es bisher keine direkte Schnittstelle zwischen dem regionalökonomischen Modell REGINA und den Verkehrsmodellen der Prognos. Für die vorliegende Fragestellung muss daher eine neue Schnittstelle entworfen werden, bei der die Interaktionen zwischen dem regionalökonomischen Input/ Output-Tabellen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung für 63 Wirtschaftszweige, die REGINA entnommen werden können, mit dem Güterverkehr im Beobachtungsraum verknüpft werden können. Da die regionale Wirtschaft einerseits die Struktur des Güterverkehrs in der Region mitprägt, gleichzeitig aber von Störungen im Transportsystem durch z. B. Lieferausfälle betroffen ist, muss ein mehrstufiges iteratives Verfahren angewendet werden, um die Wechselwirkungen zwischen den beiden Systemen vollumfänglich abzubilden (siehe Bild 2). Daher wird zuerst ein Basisszenario gerechnet, das die Zusammenhänge im Status Quo abbildet. Dabei wird davon ausgegangen, dass die in einem gegebenen Jahr beobachteten Wirtschaftsaktivitäten auf Branchenebene in direktem Zusammenhang mit dem beobachteten Wirtschaftsverkehr, der in der Region startet oder endet, stehen. REGINA als regionalisiertes Input/ Output- Modell liefert dabei die Beziehungen zwischen den einzelnen Branchen: Welche Branche liefert an welche andere Branche bzw. wird von welcher Branche beliefert? Auf der anderen Seite kann mithilfe von Umlegungen der Verkehrsverflechtungsprognose 2030 [4] bestimmt werden, welche Güterströme in einer Region angefallen sind. Durch die Anwendung eines in-house entwickelten Transportkostenmodells der Bild 1: Die im Rahmen des Projekts R2K-Klim+ betrachtete Makroebene Eigene Darstellung, Kartengrundlage: Openstreetmap © Prognos 2021 Bild 2: Verknüpfung von regionalökonomischen und verkehrlichen Wechselwirkungen in einem mehrstufigen iterativen Verfahren Eigene Darstellung © Prognos 2021 Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 44 LOGISTIK Binnenschifffahrt Prognos AG können die Kosten für diese Güterströme zudem monetarisiert werden und technologische Änderungen im Transportsystem (z. B. Gefäßgrößen, Antriebstechnologie, Automatisierung) mit abgebildet werden. Für diese Abbildung des Status Quo bestehen allerdings zwei Herausforderungen, die im Rahmen des Projekts gelöst werden müssen. Zum einen kann zwar zwischen der- Klassifikation der Wirtschaftszweige (WZ2008) [5] und der Gütergruppenklassifizierung nach NST-2007 [6] auf der Produktionsseite anhand der Produktionsstatistik GP2009 [7] relativ eindeutig umgeschlüsselt werden, auf der Empfängerseite ist die Beziehung jedoch weniger eindeutig. So kann heutzutage eine Vielzahl an Branchen Empfänger von Chemie-Produkten sein, z. B. in Form von Kunststoff-Büroartikeln, die nicht ursächlich mit den eigentlichen Produkten in Zusammenhang stehen. Zum anderen besteht eine Herausforderung darin, dass die Input/ Output-Berechnungen in REGINA in Euro erfolgen, während Güterverkehrsströme in der Regel in Tonnen oder Tonnenkilometer beschrieben werden. Auch hier muss eine Umrechnung erfolgen, da Güter einerseits unterschiedliche Wertdichten haben (eine Tonne Kies kostet im Einkauf weniger als eine Tonne Laptops) und andererseits Dienstleistungen aus den Branchenverknüpfungen herausgerechnet werden müssen, da diese in der Regel nicht in Güterverkehr resultieren. Aus diesem Grund soll ein Wertdichtenansatz verfolgt werden, bei dem das Transportgewicht sich in Abhängigkeit vom Wert der Waren entwickelt. Dieser Ansatz wurde bereits in der Vergangenheit erfolgreich für die Abschätzung von Transportaufkommen zwischen Ostasien und Europa angewendet [8].Ist das Basisszenario formuliert, berechnet und validiert, wird das so beschriebene System durch neue Inputdaten wie z. B. Klimadaten geschockt. In diesem konkreten Fall handelt es sich dabei um tagesscharfe Pegelstände des Rheins, die durch das Bundesamt für Gewässerkunde mithilfe des hydraulischen Modells SOBEK/ FLYS für verschiedene Klimaszenarien berechnet werden. Die Pegelstände haben dabei eine große Auswirkung auf den Betrieb der Binnenschifffahrt (siehe Bild 3). Die sich durch diese neuen Inputdaten ergebenden Auswirkungen auf Transportströme und -kosten werden im Verkehrs- Auswirkungsmodul VERA berechnet und anschließend erneut in REGINA eingespeist. Konkret werden die sich durch die Elastizitäten für Preise und Lieferfenster ergebenden Verlagerungen auf andere Verkehrsträger berechnet, die sich wiederum auf Lieferzeiten und Transportkosten auswirken und somit in die regionale Wirtschaft ausstrahlen. Dabei wird im ersten Schritt davon ausgegangen, dass Verlagerungen vom Binnenschiff hin zu anderen Verkehrsträgern prinzipiell von diesen aufgefangen werden können. In Zukunft sollen auch die Kapazitäten dieser Verkehrsträger mitberücksichtigt werden, um potenzielle choking points, an denen der gesamte Wirtschaftskreislauf zusammenzubrechen droht, identifizieren zu können. Zudem wird vereinfachend unterstellt, dass sich sowohl die Güterverkehrsbeziehungen als auch die Wirtschaft im Sinne eines kontrafaktischen Szenarios in der zeitlichen Prognose nicht weiterentwickeln, um die Effekte, die sich aus den klimatischen Veränderungen ergeben, isoliert betrachten zu können. Eisenerztransporte nach Duisburg - eine erste Demonstration des Ansatzes Um die Umsetzung der Schnittstelle und die bestehenden Herausforderungen an einem konkreten Beispiel zu demonstrieren, wird im Folgenden exemplarisch das Beispiel des Eisenerztransports auf dem Rhein in die Stadt Duisburg vor dem Hintergrund des Niedrigwasserereignisses auf dem Rhein im Jahr 2018 behandelt. Dieser Testfall bietet sich aus zwei Gründen an: Zum einen zeigt die Berechnung mit REGINA, dass die Branche Metallerzeugung und -bearbeitung im Jahr 2016 mit einem Produktionswert von 10,8 Mrd. EUR für 30 % der gesamten produzierten Güter und Dienstleistungen der Stadt Duisburg verantwortlich war. Zum anderen ist die Nachfrage nach Eisenerz durch wenige Großabnehmer geprägt, die in der Regel regelmäßig große Mengen abnehmen und nur bedingt auf andere Verkehrsträger ausweichen können. Dies zeigt sich auch in den bis 2018 sehr stabilen Mengen, die auf dem Rhein transportiert wurden (siehe Bild 3: Schematische Darstellung des Zusammenhangs von Flusshydraulik und Binnenschiffverkehr Eigene Darstellung Bild 4: Eisenerztransport auf dem Rhein in Millionen Tonnen Quelle: [9] Bild 5: Beispielrechnung für den Transport von 10.000 t Eisenerz über 100 km im Jahr 2018 Eigene Berechnungen Prognos basierend auf [10, 11, 12] Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 45 Binnenschifffahrt LOGISTIK Bild-4). Somit sind die Zusammenhänge weniger komplex als in anderen Branchen und Gütergruppen. Eine Analyse des Niedrigwasserereignisses 2018 der Zentralkommission für Rheinschifffahrt ergab für die Zeit des Niedrigwassers um ein Drittel erhöhte Frachtraten (v. a. durch Niedrigwasserzuschläge), einen Rückgang des Eisenerztransports per Binnenschiff um -22 % sowie einen Beladungsrückgang der fahrenden Schiffe um 40 % [10]. Zusammen mit durch den Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt [11] und dem Bundesamt für Güterverkehr [12] bereitgestellten Daten kann zudem geschlossen werden, dass die durchschnittliche Tragfähigkeit eines Binnenschiffs für den Trockenmassengütertransport in etwa 1.350 t betrug und nur ca. 10 % der durch das Niedrigwasser verlorenen Mengen auf den Schienengüterverkehr ausweichen konnten. Daraus ergeben sich für einen fiktiven Transportfall von 10.000 t Eisenerz über 100 km entlang des Rheins bei einer vereinfachenden Annahme derselben Transportstrecke auf der Schiene die in Bild 5 dargestellten Auswirkungen. Auf den ersten Blick scheinen die sich ergebenden Veränderungen moderat: Die Gesamtmehrkosten für den Transport steigen um 7,5 % oder 2.146 EUR bei einem Mehraufwand von zwei Binnenschifffahrten. Diese repräsentieren allerdings einen Anstieg der Verkehrsleistung um 25 %. Zudem entsteht ein Lieferausfall von 19,8 %, der nicht durch andere Verkehrsträger aufgefangen wird und entweder zu Produktionsverzögerungen oder gar -ausfällen führen kann. Rechnet man daher die Transportkosten auf die transportierten Tonnen um, so zeigt sich ein Kostenanstieg von 33,6 %, also mehr als einem Drittel. Zudem sinken die Einnahmen pro Binnenschifffahrt um 16,8 %. Die im Markt zu beobachtenden Niedrigwasserzuschläge, die zu den höheren Transportkosten führen, sind also keineswegs als opportunistisches surge pricing, sondern als notwendiger Hebel zur Verlustminimierung bei den Transportdienstleistern zu verstehen. So zeigen sich bereits in diesem simplen Beispiel, wie komplex die Auswirkungen auf den Transportsektor und die damit verbundenen Branchen selbst bei einem relativ überschaubaren und in den Folgen klar umreißbaren Klimaeffekt wie einer Niedrigwasserphase auf dem Rhein sein können. Überträgt man diese Erkenntnisse nun auf die Stadt Duisburg, ergibt sich hier das folgende Bild: Nach der Berechnung der regionalen Input/ Output-Tabelle der Stadt in REGINA werden etwa 41 % des Produktionswertes der Metallerzeugung und -bearbeitung aus anderen Regionen Deutschlands sowie dem Ausland in die Zielregion importiert. Basierend auf der Importstruktur Gesamtdeutschlands (im Verlaufe des Projekts wird diese als Teil der Modellierung mit REGINA auch für die Stadt Duisburg regionalisiert werden) ergäbe sich ein Anteil von Erzen und Roheisen, die per Binnenschiff geliefert werden, an den Gesamt- Importen von 35,2 %. Geht der Produktionswert dieser Importe wie eben gezeigt um 19,8 % zurück, so entspricht dies einem Gesamt-Importeinbruch der Branche von 7 %, was zu einem monetären Einbruch des Produktionswertes der Branche Metallerzeugung und -bearbeitung von 2,8 % führt. Dabei sind Folgeeffekte sowie sich ggf. durch Produktionseinschränkungen ergebende indirekte Folgen (z. B. geringere Nachfrage nach Kohle oder Dienstleistungen von Dritten) noch nicht mitberücksichtigt. Ausblick: Was sind die nächsten Schritte? Im weiteren Verlauf des Projekts wird die hier beschriebene Schnittstelle weiter erprobt werden, um erste Ergebnisse für die Gesamtwirtschaft in Duisburg und dem Rheineinzugsgebiet zu generieren. Zudem wird die Schnittstelle verwendet werden, um Klimaanpassungsmaßnahmen auf ihre gesamtwirtschaftliche Wirkung zu untersuchen. Dabei wird untersucht, inwiefern eine Maßnahme den Rückgang der Anzahl schiffbarer Tage in einem Klimaszenario verhindert, um ihr einen volkswirtschaftlichen Nutzen zuweisen zu können, der idealerweise höher ist als die Kosten der Maßnahme. Wenn also z. B. eine Maßnahme 30 Mio. EUR kosten würde, sollte sie im mindestens gleichen Umfang volkswirtschaftliche Schäden durch Klimafolgen ausgleichen, wobei sowohl direkte als auch indirekte Effekte auf Güterströme und Wirtschaft in der Region mitberücksichtigt werden. ■ QUELLEN [1] IPCC (2021): Climate Change 2021 - The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. www.ipcc.ch/ report/ ar6/ wg1/ #SPM (Abgerufen am 22.09.2021). [2] Bundesanstalt für Gewässerkunde (2019): Das Niedrigwasser 2018. www.bafg.de/ DE/ 05_Wissen/ 04_Pub/ 04_Buecher/ niedrigwasser_2018_dokument.pdf (Abgerufen am 22.09.2021). [3] https: / / r2k-klim.net/ [4] Intraplan / BVU (2014): Verkehrsverflechtungsprognose 2030 - Zusammenfassung der Ergebnisse. www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Anlage/ G/ verkehrsverflechtungsprognose-2030-schlussberichtlos-3.pdf (Abgerufen am 22.09.2021). [5] Destatis (2008): Klassifikation der Wirtschaftszweige. www.destat i s . d e / s t a t i c / D E / d o k u m e n t e / k l a s s i f i k a t i o n wz-2008-3100100089004.pdf (Abgerufen am 22.09.2021). [6] Destatis (2008): NST-2007 - Einheitliches Güterverzeichnis für die Verkehrsstatistik. www.destatis.de/ DE/ Themen/ Branchen-Unternehmen/ Transport-Verkehr/ Gueterverkehr/ Tabellen/ nsz-2007.pdf (Abgerufen am 22.09.2021). [7] Destatis (2008): Güterverzeichnis für Produktionsstatistiken - 2009. www.destatis.de/ DE/ Methoden/ Klassifikationen/ Gueter-Wirts c h a f t s k l a s s i f i k a t i o n e n / D o w n l o a d s / g u e t e r v e r z e i c h nis-3200201099004.pdf (Abgerufen am 22.09.2021). [8] Prognos AG (2016): Up-date of the traffic forecasts for the broad gauge railway line between Košice and Vienna. [9] Zentralkommission für die Rheinschifffahrt (2020): Jahresbericht 2020 - Europäische Binnenschifffahrt - Marktbeobachtung. https: / / inland-navigation-market.org/ wp-content/ uploads/ 2020/ 09/ CCNR_annual_report_DE_2020_BD.pdf (Abgerufen am 22.09.2021). [10] Zentralkommission für die Rheinschifffahrt (2019): Market Insight - Europäische Binnenschifffahrt. www.ccr-zkr.org/ files/ documents/ om/ om19_I_de.pdf (Abgerufen am 22.09.2021). [11] Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt (2019): Daten & Fakten 2018/ 2019. www.binnenschiff.de/ wp-content/ uploads/ 2019/ 11/ 191125-Daten-Fakten_2018-19_final.pdf (Abgerufen am 22.09.2021). [12] Bundesamt für Güterverkehr (2019): Marktbeobachtung Güterverkehr. Jahresbericht 2018. www.bag.bund.de/ SharedDocs/ Downloads/ DE/ Marktbeobachtung/ Jahresberichte/ Jahr_2018.pdf; jsessio nid=3CB9A4DC082E4EDEE3CDFA4CBD459541.live11291 (Abgerufen am 22.09.2021). Julia Dick Beraterin Mobilität & Transport, Prognos AG, Düsseldorf julia.dick@prognos.com Lukas Eiserbeck Berater Umwelt-, Kreislaufwirtschaft und Klimawandel, Prognos AG, Düsseldorf lukas.eiserbeck@prognos.com Alexander Labinsky Projektleiter Mobilität & Transport, Prognos AG, Düsseldorf alexander.labinsky@prognos.com Oliver Lühr Bereichsleiter Umwelt-, Kreislaufwirtschaft und Klimawandel, Prognos AG, Düsseldorf oliver.luehr@prognos.com Richard Simpson Analyst Umwelt-, Kreislaufwirtschaft und Klimawandel, Prognos AG, Düsseldorf richard.simpson@prognos.com Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 46 Blockchain-Technologie in-der-Binnenschifffahrt Beschleunigung von Transportabwicklungs-Prozessen in-der-Binnenschifffahrt via Blockchain-Technologie Binnenschifffahrt, Blockchain, Kommunikation Unternehmen in der Binnenschifffahrt bedienen sich zur Übermittlung von Informationen und Dokumenten bislang zumeist herkömmlicher Wege und Mittel (Telefon, E-Mail, Postweg). Dies führt zu Verzögerungen in den Prozessen aller involvierten Unternehmen. Um die Kommunikation in der Binnenschifffahrt daher effizienter zu gestalten, erscheint es zweckmäßig, die Anzahl der Medienbrüche innerhalb der Kommunikationswege zwischen allen Beteiligten zu reduzieren und gleichzeitig die Integrität von Informationen und Dokumenten zu gewährleisten. Thomas Decker D ie Blockchain-Technologie hat sich durch Datenverschlüsselung und Datenvalidierung zwischen ihren Netzwerkteilnehmern mittlerweile zu einem zuverlässigen Mittel zur Wahrung der Datenintegrität entwickelt, so dass sie auch die Transportabwicklungs-Prozesse in der Binnenschifffahrt beschleunigen und sicherer gestalten könnte. Eine anonyme Onlinebefragung 2020 erfasste daher zunächst Informationen über Kommunikationswege, Hintergrundwissen zur Blockchain-Technologie sowie zu Durchlauf- und Wartezeiten in aktuellen Transportabwicklungs-Prozessen. Die Daten wurden anschließend ausgewertet und sowohl in ein Grundmodell als auch in ein blockchainbasiertes Modell eines Transportabwicklungs-Prozesses integriert. Ein Simulationsprogramm verglich schließlich Prozessvor- und nachteile zwischen den beiden Transportabwicklungs-Prozessen. Forschungsfrage Als Grundmodell diente der Transportabwicklungs-Prozess eines Spotgeschäftes im Dry-Bulk-Bereich der Binnenschifffahrt, da Photo: Michael Gaida / pixabay LOGISTIK Kommunikation Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 47 Kommunikation LOGISTIK sich dieser in seiner Grundform auch bei spezifischen Kundenanforderungen kaum voneinander unterscheidet und sich insoweit am besten eignet. Geographische Beschränkungen, technische Homogenitäten von Binnenschiffen beim Laderaum sowie Bebzw. Entlademöglichkeiten legen zudem weitgehend identische Prozessgrundformen bei den beteiligten Unternehmen nahe, so dass eine Übertragung der Ergebnisse auch auf andere Sparten möglich ist. Die Forschungsfrage lautete daher: Kann die Transportabwicklung eines Binnenschiffstransportes durch die Blockchain- Technologie zuverlässig und sicher beschleunigt werden? Methodik Ausgehend von einer quantitativen Forschungsmethode bestand die Zielgruppe der Befragung ausschließlich aus Befrachtungsunternehmen und Reedereien. In vorliegender Perspektive arbeiten Befrachtungsunternehmen ausschließlich mit fremden Binnenschiffen und Reedereien zusätzlich mit Binnenschiffen der eigenen Flotte. Beide Betriebsformen gehen jedoch einer Befrachtungstätigkeit nach und werden somit in die Befragung einbezogen. Die Formulierung der Fragen zielte ab auf den Istzustand eines klassischen Transportabwicklungs-Prozesses in der Binnenschifffahrt. Hauptgegenstand der Fragen waren Informationen über Kommunikationsmittel und -zeiten. Sekundäre Erkenntnisziele waren Informationen über den Bekanntheitsgrad der Blockchain-Technologie im Allgemeinen und in der Binnenschifffahrt im Besonderen. Die Befragung wurde über die Plattform umfrageonline.com durchgeführt und mit einem Anschreiben inklusive Internetlink an die E-Mail-Geschäftsadressen der Zielgruppe versandt. Vor Veröffentlichung wurde der Fragebogen einem Pretest unterzogen, die Befragung selbst lief vom 1. bis zum 29.-Februar 2020. Der Fragebogen wurde an 100 Empfänger versandt, die Rücklaufquote betrug 14 %. Blockchain-Genese, Integration, Smart Contracts Grob vereinfacht ist die Blockchain eine stetig anwachsende Kette von in Blöcken zusammengefassten Transaktionen, die zu einem Netzwerk integriert werden. Durch Verzögerungen im Netzwerk könnten nun unterschiedliche Datensätze mit unterschiedlichen Tophashwerten abgerufen werden [1]. Allerdings werden vom Netzwerk asynchrone Blöcke von sogenannten Minern grundsätzlich abgelehnt, so dass fortlaufend garantiert ist, dass das gesamte Netzwerk denselben Datenstand besitzt, mithin Datenkonsistenz garantiert ist und durch diesen Konsensmechanismus Vertrauen erzeugt werden kann [2]. Neben dem bekannten Bitcoin-Netzwerk existieren inzwischen weitere blockchainbasierte Netzwerke, beispielsweise Ethereum [3]. Ethereum besitzt über die klassische Transaktionsfunktion hinaus eine weitere Funktion zur automatischen Ausführung von Programmen mit eigener Adresse, sogenannte „Smart Contracts“. Geht die definierte Transaktion beim Smart Contract ein, wird der Code des Programms ausgeführt [4]. Dadurch ergeben sich zahlreiche Anwendungsfelder, beispielsweise in der Rechnungserstellung. Anzunehmen ist, dass Smart Contracts auch in der Binnenschifffahrt angewandt werden könnten. Voraussetzung für die Errichtung eines Netzwerkes in der Binnenschifffahrt wäre, dass die gesamte Abwicklung über ein privates und genehmigungsbasiertes Blockchainsystem erfolgt, dass alle Beteiligten Zugriff haben und dass jeder Partei ein Schlüsselpaar bzw. eine ID zugewiesen wurde. Anhand dieser ID würden dann alle Dokumente vom jeweiligen Ersteller signiert. Simulation eines blockchainbasierten Prozessmodells Zu Beginn erstellt der Befrachter die Auftragsdaten. Hierfür wird vom System eine gemeinsame Auftrags-ID generiert, die von allen involvierten Parteien abgerufen werden kann. Sind darüber hinaus Verträge erstellt worden, werden diese in das Document Management System (DMS) der Anwendung übernommen. Hierbei hat dann nur die Partei Zugriff, an die die jeweiligen Dokumente adressiert wurden. Sobald die Beladung abgeschlossen ist, erstellt die Ladestelle die Ladebescheinigung und sendet diese in das DMS. Dieses Dokument ist dann für alle Parteien sichtbar und macht weitere und zusätzliche Informationsabrufe über Beladungsstatus und Ladebescheinigungsdaten etc. überflüssig. Da der Befrachter nun nicht mehr auf den Eingang einer Ladebestätigung warten muss, kann er diese sofort prüfen, Rechnungen oder auch Gutschriften erstellen, falls die Beladezeiten überschritten sein sollten. Der Entladetag schließlich hat den identischen Ablauf wie der Beladetag. Die Entladestelle erstellt die Entladebescheinigung und lädt diese für alle Beteiligten sichtbar ins DMS. Der Befrachter prüft und erstellt schließlich Rechnungen oder auch Gutschriften bei eventuell überschrittenen Entladezeiten [5]. Parameter und Prozesseingangsdaten Als Referenz für einen monatlichen Zeitrahmen wurden die durchschnittlichen Arbeitstage 2020 (NRW) mit 21,17, für einen ganzzahligen Simulationszeitraum auf 21- Tage abgerundet herangezogen. Zusätzlich wurde der Prozess auf eine einzelne Ausführung pro Tag begrenzt [6]. Funktion Mittlere Bearbeitungszeit Mittlere Wartezeit Auftragsdaten erstellen 10 Min. - Vertragsabschlüsse erstellen 2 Min. - Vertragsabschlüsse versenden 2 Min. - Auftragnehmer kontaktieren 1,158 Std. - Umschlagstatus erfragen 1,6 Min. - Ladegewicht abrufen 1,6 Min. - Auftraggeber informieren 3,2 Min. - Ausgangsrechnung erstellen 10 Min. - Ausgangsrechnung versenden 2 Min. - Ausgangsgutschrift erstellen 10 Min. - Ausgangsgutschrift versenden 2 Min. - Ladebescheinigung empfangen - 12 Tage Entladebescheinigung empfangen - 12 Tage Ladebescheinigung prüfen 2 Min. - Entladebescheinigung prüfen 2 Min. - Liegegeldrechnung erstellen 10 Min. - Liegegeldgutschrift erstellen 10 Min. - Dokumente versenden 2 Min. - Akte ablegen 1 Min. - Tabelle 1: Prozesseingangsdaten des Grundmodells Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 48 LOGISTIK Kommunikation Die Wahrscheinlichkeiten an den XOR- Operatoren, die über den Be- und Entladestatus zum Abfragezeitpunkt entscheiden, wurden laut einer Schätzung der Befrachter auf eine Bandbreite von 0,6 zu 0,4 festgelegt, d. h. mit einer Wahrscheinlichkeit von 60 % ist die Be- oder Entladung bei einer Statusabfrage bereits abgeschlossen. Variablen für eine Umschlagverzögerung wie Kranausfall oder zu wenig Verladepersonal wurden nicht berücksichtigt. Häufigkeiten zu Übertretungen von Be- und Entladezeiten wurden pauschal mit 0,5 zu 0,5 angesetzt. Den über die Erstellung von Liegegeldrechnungen entscheidenden ODER- Operatoren wurde eine Wahrscheinlichkeit von 0,7 zu 0,3 zugewiesen, d. h. mit einer 70-%-igen Wahrscheinlichkeit sendet der Befrachter eine Liegegeldrechnung an den Auftraggeber, die dieser jedoch nur mit einer 30-%-igen Wahrscheinlichkeit vergüten muss. Ursache hierfür sind frei verhandelbare Liegegeldregelungen, die so gehandhabt werden, dass dem Auftragnehmer ein längerer Zeitraum als dem Auftraggeber gewährt wird, sodass der Befrachter einen monetären Nutzen aus diesen Vereinbarungen ziehen kann. Die Prozesseingangsdaten des Grundmodells zeigt Tabelle 1. Demnach wurden z. B. für das Erstellen von Auftragsdaten und Rechnungen je 10 Minuten festgelegt. Das Kontaktieren des Auftragnehmers wurde mit 1,158 Stunden durch Auswertung der Befragung („Durchschnittliche Zeit bis zum Erhalt des Ladegewichts“) angesetzt. Da sich das Erfragen des Umschlagsstatus und des Ladegewichts in aller Regel im gleichen Telefongespräch ergeben, wurden dafür je 1,6 Minuten als Halbierung der durchschnittlichen Gesprächsdauer festgelegt. Für den Empfang der Be- und Entladebescheinigungen ergab sich eine Wartezeit von durchschnittlich 12 Tagen: Die Prozesseingangsdaten des blockchainbasierten Modells zeigt Tabelle 2. Zu erkennen ist, dass sich die Menge der Funktionen gegenüber dem Grundmodell reduziert. Da sich hier aufgrund gleichbleibender Tätigkeiten jedoch nicht alle Zeiten ändern, ist hier lediglich die Änderung der Empfangszeiten für die Lade- und Entladebescheinigung zu beachten, da sich diese aufgrund der Übertragung in das Document Management System (DMS) auf 10 Minuten verkürzen. Diese Zeit wurde in Anlehnung an die Blockentstehungszeit in der Bitcoin- Blockchain gewählt und entspricht der Zeit bis zur Bestätigung durch die sogenannten Miner: Abschließend wird mit Hilfe der modellierten Prozessketten und der erhobenen Daten eine Simulation durchgeführt. Dafür werden die Funktionen sogenannter ereignisgesteuerter Prozessketten (EPK) im Programm ARIS Architect & Designer 10.0 mit Attributen aus den Daten der Befragung belegt [7, 8]. Simulationsergebnisse im Grundmodell Tabelle 3 zeigt die Simulationsergebnisse im Grundmodell und dokumentiert, wie oft die jeweilige Funktion anhand ihrer Verknüpfungen und Wahrscheinlichkeiten im Simulationszeitraum aktiviert bzw. anhand ihrer Bearbeitungs- oder Wartezeit tatsächlich Legende zu Bild 1 und 2 1 Liegegeldgutschrift erstellen 2 Ladebescheinigung empfangen 3 Ausgangsrechnung versenden 4 Liegegeldrechnung erstellen 5 Akte ablegen 6 Entladebesch. empfangen 7 Entladebescheinigung prüfen 8 Umschlagsstatus erfragen 9 Ausgangsgutschrift versenden 10 Dokumente versenden 11 Auftragnehmer kontaktieren 12 Ausgangsrechnung erstellen 13 Auftraggeber informieren 14 Ladebescheinigung prüfen 15 Auftragnehmer kontaktieren 16 Auftragsdaten erstellen 17 Ausgangsgutschrift erstellen 18 Vertragsabschlüsse erstellen 19 Ladegewicht abrufen 20 Vertragabschlüsse versenden Bild 1: Summe der statischen Liegebzw. Wartezeit im Grundmodell Funktion Mittlere Bearbeitungszeit Mittlere Wartezeit Auftragsdaten erstellen 10 Min. - Vertragsabschlüsse erstellen 2 Min. - Vertragsabschlüsse versenden 2 Min. - Ausgangsrechnung erstellen 10 Min. - Ausgangsrechnung versenden 2 Min. - Ausgangsgutschrift erstellen 10 Min. - Ausgangsgutschrift versenden 2 Min. - Ladebescheinigung empfangen - 10 Min. Entladebescheinigung empfangen - 10 Min. Ladebescheinigung prüfen 2 Min. - Entladebescheinigunng prüfen 2 Min. - Liegegeldrechnung erstellen 10 Min. - Liegegeldgutschrift erstellen 10 Min. - Dokumente versenden 2 Min. - Akte ablegen 1 Min. - Tabelle 2: Prozesseingangsdaten des blockchainbasierten Modells Bild 2: Summe der Bearbeitungszeiten im Grundmodell Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 49 Kommunikation LOGISTIK verarbeitet werden konnte. Auffällig ist, dass die Funktionen „Lade-/ Entladebescheinigung empfangen“ hohe Wartezeiten zeigen, was zwangsläufig zu Bearbeitungsstaus führt. Im Zeitraum von 21 Tagen wurden diese bei einer täglichen Ausführung zwar 21-mal aktiviert, allerdings erreichten nur 9 der 21 Bescheinigungen den Befrachter. Daraus folgend erreichen 12 Bescheinigungen den Befrachter nicht, was dazu führt, dass der Gesamtprozess in diesen Fällen nicht abgeschlossen werden kann. Insgesamt beanspruchten die Wartezeiten dieser Funktionen 4.222 Stunden, 42 Minuten und 19 Sekunden, mithin rund 176 Tage (vgl. Bild 1). Die Bearbeitungszeiten aller Funktionen summieren sich auf 111 Stunden, 15 Minuten und 14 Sekunden, wobei die Funktionen „Auftragnehmer kontaktieren“ mit rund 49 bzw. rund 40 Stunden die absolut höchsten Anteile beanspruchten (vgl. Bild- 2). Diese Ausschläge sind auf die langen Antwortzeiten der Auftragnehmer bei der Besowie Entladung zurückzuführen. Feststellen ist daher, dass Wartezeiten auf Be- und Entladedokumente sowie Kontaktaufnahmen mit dem Auftragnehmer signifikante Engpässe im Prozessablauf verursachen. Simulationsergebnisse im blockchainbasierten Modell Tabelle 4 zeigt die Simulationsergebnisse im blockchainbasierten Modell und dokumentiert auffällig, dass alle Funktionen im Simulationszeitraum bearbeitet werden konnten. Dies ist vor allem auf drastisch verkürzte Wartezeiten für die Be- und Entladebescheinigungen durch die Eliminierung der Kontaktschleifen in der Abfrage des Umschlagsstatus sowie der Informierung des Auftraggebers zurückzuführen, auf nur noch etwa rund dreieinhalb Stunden. Erkennbar ist zudem, dass die Zahl der Liegegeldabrechnungen an Auftraggeber und -nehmer gestiegen ist. Die Gesamtbearbeitungszeit im Simulationszeitraum beträgt nur noch 19 Stunden und 39 Minuten und entspricht insgesamt einer Verkürzung um 82,34 % bzw. nur auf die Wartezeit bezogen sogar um 99,92 %. Ergebnisanalyse und Fazit Der allgemeine Teil der Untersuchung ging der Frage nach, ob den Teilnehmern die Begriffe „Bitcoin“ und „Blockchain“ bekannt sind. Während 92,2 % angaben, den Bitcoin zu kennen, bejahten dies nur 71,43 % für die Blockchain-Technologie. 28,57 % gaben an, die Blockchain-Technologie nicht zu kennen. Dies zeigt, dass die Medienpräsenz des Bitcoin zwar zu erhöhter Bekanntheit von Kryptocoins geführt hat, jedoch nicht in gleicher Weise für die zugrundeliegende Technologie. Weitere allgemeine Fragen bezogen sich auf genutzte Kommunikationsmittel im Transportabwicklungs-Prozess. 57,14% antworteten, dass sie primär die E-Mail nut- Legende zu Bild 3 und 4 1 Liegegeldgutschrift erstellen 2 Auftragsdaten erstellen 3 Ausgangsrechnung erstellen 4 Liegegeldrechnung erstellen 5 Akte ablegen 6 Dokumente versenden 7 Ausgangsrechnung versenden 8 Entladebescheinigung empfangen 9 Vertragsabschlüsse erstellen 10 Ladebescheinigung empfangen 11 Ausgangsgutschrift versenden 12 Vertragabschlüsse versenden 13 Ladebescheinigung prüfen 14 Ausgangsgutschrift erstellen 15 Entladebescheinigung prüfen Bild 3: Summe der statischen Liegebzw. Wartezeit im blockchainbasierten Modell Bild 4: Summe der Bearbeitungszeiten im blockchainbasierten Modell Funktion Aktiviert Bearbeitet Liegegeldgutschrift erstellen 2 2 Ladebescheinigung empfangen 21 9 Ausgangsrechnung versenden 21 21 Liegegeldrechnung erstellen 8 8 Akte ablegen 9 9 Entladebescheinigung empfangen 21 9 Entladebescheinigung prüfen 9 9 Umschlagstatus erfragen 78 78 Ausgangsgutschrift versenden 21 21 Dokumente versenden 10 10 Auftragnehmer kontaktieren 43 43 Ausgangsrechnung erstellen 21 21 Auftraggeber informieren 42 42 Ladebescheinigung prüfen 9 9 Auftragnehmer kontaktieren 35 35 Auftragsdaten erstellen 21 21 Ausgangsgutschrift erstellen 21 21 Vertragsabschlüsse erstellen 21 21 Ladegewicht abrufen 21 21 Vertragsabschlüsse versenden 21 21 Tabelle 3: Simulationsergebnisse im Grundmodell Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 50 LOGISTIK Kommunikation zen, 42,86 % primär das Telefon. Den Transportstatus an den Auftraggeber übermitteln 71,4 % per E-Mail, 21,43 % rufen den Auftraggeber über Telefon an und 7,1 % nutzen Online-Kundenportale. Zum Versand von Rechnungen und Gutschriften nutzen 57,1 % die E-Mail, 42,9 % den Postweg. Transportdokumente versenden tatsächlich 100 % der befragten Teilnehmer per E-Mail. Die Frage nach der Dauer der Kommu nikationszeiten ergab durchschnittlich 3,2- Minuten (n = 5). Dabei versuchten sich Befrachter und Auftraggeber am Tag der Beladung durchschnittlich 1,31-mal zu kontaktieren, um das Ladegewicht abzurufen (n = 13). Durchschnittlich 1,15 Stunden dauerte es dann, bis der Befrachter das Ladegewicht erfahren hatte (n = 13). Der Befrachter versuchte schließlich 1,15-mal pro Tag, die Information über die erfolgreiche Entladung des Schiffs am Entladetag vom Auftragnehmer abzurufen (n = 13). Festzustellen ist, dass die Blockchain- Technologie ein zweckmäßiges Mittel zur Beschleunigung der Transportabwicklungs- Prozesse in der Binnenschifffahrt ist. Ein Dokumentenversand über E-Mail funktioniert zwar ebenso schnell, garantiert jedoch keine Datenintegrität. Zudem entstehen regelmäßig Irritationen bezüglich des Empfangs von E-Mail-Dokumenten. Dies führt zu Wartezeiten und behindert den Abwicklungsprozess beim Befrachter. Die Simulationsergebnisse zeigen, dass sich Bearbeitungs- und Wartezeiten durch ein blockchainbasiertes Anwendungssystem reduzieren lassen. Der Datenverkehr zwischen den- Parteien würde harmonisiert, die Abwicklung der Prozesse vereinfacht und beschleunigt. Zu kritisieren ist freilich, dass die Anwendbarkeit dieses Systems eine Integration aller beteiligten Parteien voraussetzt. Führte man den Gedanken weiter, könnten weitere Unternehmen aus Handel und Logistik beitreten, wobei ein solches privates, genehmigungsfreies Blockchain-Anwendungssystem auf mittlere Sicht zu einer Monopolstellung des Anbieters führen dürfte. Organisierte man derartige Datenbanken allerdings auf „halbstaatlicher“ Basis, ähnlich der diskriminierungsfreien, wenn auch noch nicht blockchainbasierten Datenbanken etwa der Landwirtschaftskammern (z. B. NRW; Steuerung und Nachverfolgung von Gülleentsorgungswegen [9]), könnte die Blockchain-Technologie die Transportabwicklungs-Prozesse in der Binnenschifffahrt deutlich vereinfachen und beschleunigen. Ob darüber hinaus eine höhere - volkswirtschaftlich sinnvolle - Transparenz unter privatwirtschaftlichen Akteuren, insbesondere größerer Reedereien trotz einschlägiger Lippenbekenntnisse zur digitalen Transformation überbetrieblicher Supply Chain-Prozesse überhaupt durchsetzbar wäre, sei dahingestellt. Und sollte etwa ein Partikulier Position und Daten in einer für den Auftraggeber des Befrachters einsehbaren Liste anzeigen können/ müssen, würde die Stellung des Befrachters, der sich über seine Kontakte und sein Netzwerk zu Partikulieren definiert, höchstwahrscheinlich obsolet werden. Damit würden auch in dieser Branche die einschlägigen Intermediäre hinweggefegt, gar ausradiert, ganz so, wie es in anderen, dynamischeren Branchen und Wirtschaftszweigen beinahe tagtäglich bereits der Fall ist. ■ QUELLEN [1] National Institute of Standards and Technology (2019): Hash Functions, in: https: / / csrc.nist.gov/ projects/ hash-functions (16.03.2020) [2] Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (Hrsg.) et al. (2019): Blockchain sicher gestalten, Konzepte, Anforderungen, Bewertungen, Bonn [3] Nakamoto, S. (2008): Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System, in: https: / / bitcoin.org/ bitcoin.pdf (30.12.2019) [4] Szabo, N. (1997): Formalizing and Securing Relationships on Public Networks, in: First Monday 9 (1997), http: / / firstmonday.org/ ojs/ index.php/ fm/ article/ view/ 548/ 469 (27.04.2020) [5] Decker, T.; Balting, A.(2020): Dynamisierung von Transportabwicklungs-prozessen in der Binnenschifffahrt mit Hilfe der Blockchain- Technologie, HANSE Institut für Logistik & Handelsmanagement, 68 S., Neusser Schriften, 7. Jg., Vol. (1) 2020 [6] Liebetruth, T. (2016): Prozessmanagement in Einkauf und Logistik, Instrumente und Methoden für das Supply Chain Process Management, Wiesbaden [7] Scheer, A.-W. (2002): ARIS - Vom Geschäftsprozess zum Anwendungssystem, 4., durchgesehene Aufl., New York [8] Seidlmeier, H. (2015): Prozessmodellierung mit ARIS®, ARIS 9, 4., aktualisierte Aufl., Wiesbaden [9] Decker, T. (2014): Transport von Agrogütern mit Binnenschiffen zur Versorgung von Biomassekraftwerken, Ergebnisbericht zum EURE- GIO-Forschungsprojekt HARRM (Hafenregion Rhein-Maas), 25 S., Neusser Schriften, 1. Jg., Vol. (1) 2014 Thomas Decker, Prof. Dr. Leiter HANSE Institut für Logistik & Handelsmanagement, Professur für Transport- und Verkehrslogistik, Rheinische Fachhochschule Köln gGmbH thomas.decker@rfh-koeln.de Funktion Aktiviert Bearbeitet Liegegeldgutschrift erstellen 4 4 Auftragsdaten erstellen 21 21 Ausgangsrechnung erstellen 21 21 Liegegeldrechnung erstellen 19 19 Akte ablegen 21 21 Dokumente versenden 23 23 Ausgangsrechnung versenden 21 21 Entladebescheinigung empfangen 21 21 Vertragsabschlüsse erstellen 21 21 Ladebescheinigung empfangen 21 21 Ausgangsgutschrift versenden 21 21 Vertragsabschlüsse versenden 21 21 Ladebescheinigung prüfen 21 21 Ausgangsgutschrift erstellen 21 21 Entladebescheinigung prüfen 21 21 Tabelle 4: Simulationsergebnisse im blockchainbasierten Modell Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 51 Binnenschifffahrt LOGISTIK Mehr als nur Umschlag und-Lagerung Studie zur Bedeutung des Osthafens Frankfurt am Main Binnenhafen, Kombinierter Verkehr, Verkehrsknotenpunkt Der Binnenhafen im Stadtgebiet existiert im Spannungsfeld zwischen antizipierter Verkehrswende und knappem Wohnraum. Immer öfter werden entsprechende Umwidmungen von bisher im Hafenbetrieb befindlichen Flächen diskutiert. Diese latente Bedrohung betrifft auch die im Osthafen Frankfurt am Main ansässigen Unternehmen. Im Auftrag der Anlieger führte die Hochschule Fulda eine Umfrage zur Relevanz dieses Hafens unter jenen Unternehmen durch. Die Kernergebnisse dieser Studie in den Bereichen Wirtschaft, Verkehr, Umwelt und Arbeitsmarkt werden in diesem Artikel zusammengefasst. Jakob Grubmüller, Michael Huth D er Güterverkehr als wichtiges Element von Logistikketten befindet sich in vielerlei Hinsicht am Scheideweg: 20 % der Treibhausgasemissionen stammen aus dem Verkehr, wobei zwar der motorisierte Individualverkehr mit Pkw den größten Anteil aufweist, LKW jedoch deutlich mehr als ein Drittel beitragen [1]. Somit gewinnt neben der ökonomischen und der sozialen die ökologische Nachhaltigkeit der Branche zunehmend an Bedeutung. Dennoch stagniert der angestrebte Modal Split der Verkehrsträger, in dem der Straßenverkehr zunehmend durch umweltfreundlichere Alternativen ergänzt würde, weitestgehend - trotz eines seit Jahrzehnten grundsätzlich vorhandenen politischen Willens [1]. Im Gegensatz zu den politischen Absichten steigt der Anteil der Straße an der Verkehrsleistung weiter, so dass es zunehmend zu Überlastungen kommt [3]. Alternative Antriebstechnik kann diesen Anstieg nur unzureichend abfedern, so dass der Kombinierte Verkehr weiter von hoher Bedeutung ist und zudem an dieser gewinnen müsste: Die Verkehrsträger Schiene und Wasser bieten einen Gütertransport, der deutlich weniger schädliche Emissionen ausstößt (siehe Tabelle 1). Wichtiger Bestandteil dieses Ansatzes sind jene Knotenpunkte, welche die Kombination der Verkehrsträger und somit multimodale Logistikketten ermöglichen. Die oftmals als Güterverkehrszentren entwickelten Binnenhäfen weisen Anschlüsse an alle relevanten Verkehrsträger auf. ISO- Container als genormte Ladungsträger ermöglichen Hinterlandverkehre von und zu den Seehäfen, ohne die eigentlichen Waren handhaben zu müssen, effiziente Umschlagprozesse sowie entsprechende Kombinationen mit Schiene und Straße [5]. Zugunsten des schnellen, günstigen und flexiblen Straßentransportes per LKW ist der über Binnenhäfen geleitete Güterstrom jedoch in den letzten Jahrzehnten ins Stocken geraten: Von Beginn des Jahrtausends bis 2019 ist die Transportleistung im deutschen Straßenverkehr um 44 % gestiegen, während die Transportleistung der Binnenschifffahrt um über 23 % zurückging [6]. Obwohl in der Vergangenheit daher teilweise von diesen an Wasserstraßen gelegenen Güterzentren abgerückt wurde, so sind sie durch ihre multimodale Knotenfunktion doch gut geeignete Terminals des Kombinierten Verkehrs. Zukunftsvisionen der nachhaltigen Logistik (beispielsweise bei Erreichung des „deutlich unter Zwei- Grad“-Ziels) sind vom erneuten Einbezug dieser etablierten und gut angeschlossenen Logistikzentren abhängig. Eben jene oft hervorragende Lage der Binnenschifffahrtshäfen führt zu zunehmenden und andauernden Konflikten um deren Bestand. Durch den konstanten Wertzuwachs innerstädtischer Flächen und eine in der öffentlichen Wahrnehmung häufig geringe Bedeutung der dort gelegenen Häfen entsteht ein Interessenskonflikt. Aus öffentlicher Sicht kann eine Umwidmung angestrebt werden: Nach dem Motto „Wohnen am Wasser“ wird in vielen Städten ein (zumindest teilweiser) Rückbau der logistischen Hafeninfrastruktur ins städteplanerische Gespräch gebracht [7]. Da dies - zum Beispiel aufgrund bestehender rechtlicher Regelungen - in der Regel nicht oder nur schlecht mit einem regulären Hafenbetrieb vereinbar ist, sorgen sich in Binnenhäfen ansässige Unternehmen um ihren Betrieb [8]. Obwohl bisher nur in 3 % der deutschen Binnenhäfen zugunsten des Städtebaus Flächen umgewidmet wurden [9], beeinflusst diese stetige Bedrohung doch möglicherweise die Unternehmungen in den jeweiligen Häfen. Dieser potenzielle Konflikt hinsichtlich Hafenbetrieb und Wohnbebauung betrifft auch den Osthafen Frankfurt am Main. Nach aktuellen Schätzungen arbeiten in diesem Industrie- und Gewerbegebiet im Osten der Stadt rund 9.000 Menschen [10]. Verkehrsmittel Einheit Treibhausgase Kohlenmonoxid Flüchtige Kohlenwasserstoffe Stickoxide Partikel LKW g/ tkm 113 0,087 0,037 0,248 0,006 Güterbahn 17 0,011 0,002 0,027 0,001 Binnenschiff 30 0,074 0,028 0,388 0,008 Tabelle 1: Vergleich der durchschnittlichen Emissionen einzelner Verkehrsmittel im Güterverkehr [4] Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 52 LOGISTIK Binnenschifffahrt Wie in Bild 1 ersichtlich wird, verfügt der Binnenhafen über vier Hafenbecken, unterteilt in Osthafen 1 (Unterhafen) und Osthafen 2 (Oberhafen). Zudem existieren mehrere Umschlagterminals sowie Anschlüsse an die Autobahn und das Schienennetz der Deutschen Bahn. Den hier wirtschaftenden Hafenanliegern wurde politisch eine Bestandszusage bis mindestens 2050 gegeben [12]. Eine - mindestens teilweise - Umwidmung der Hafenflächen wurde jedoch in der politischen und öffentlichen Diskussion regelmäßig ins Gespräch gebracht und verunsicherte die ansässigen Unternehmen zunehmend. In eben diesen politischen Diskursen zeigte sich, dass die Bedeutung des Binnenhafens weder für oben beschriebene, allgemeine Güterverkehrsstrategien noch für die Metropolregion Rhein-Main bisher eindeutig dargestellt worden war. Um auf einer entsprechend informierten Datenbasis argumentieren zu können, wurde seitens der Gemeinschaft Frankfurter Hafenanlieger (GFH) und der Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main eine Studie zur Bedeutung des Osthafen Frankfurt am Main in Auftrag gegeben. Der vorliegende Artikel stellt die wesentlichen Ergebnisse der Studie dar. Er trägt so zu einer sachlichen Diskussion in Politik und Wissenschaft bei. Studiendesign und Methodologie Um aussagekräftige Erkenntnisse zu erzeugen, wurde eine umfassende Umfrage unter den Hafenanliegern initiiert. Die angestrebte Datenbasis sollte somit durch die Bündelung der Selbstauskünfte der ansässigen Unternehmen entstehen. Die Stärke dieser Methodik liegt dabei in theoretisch komplett vorhandenen Datensätzen - die Unternehmen verfügen über alle Details ihrer Tätigkeiten im Osthafen. Eine mögliche Schwäche dieses Ansatzes kann in einem unzureichenden Rücklauf an Fragebögen liegen, da die freiwillige Teilnahme an Studien oft hinter der Relevanz des Tagesgeschäftes zurückbleibt. Dennoch wurde eine entsprechende Befragung in Form eines internetbasierten Fragebogens als die im Kontext beste Datenerfassungsoption beschlossen. Inhaltlich deckte der Fragebogen die vier Bereiche Wirtschaft, Verkehr, Umwelt und Arbeitsmarkt ab. Zudem war die Erhebung in vier prozessbezogene Kategorien unterteilt: Neben den Inbound- und den Outbound-Flüssen wurden hafeninterne Daten erhoben sowie Aspekte erfragt, die die Beziehung zur Stadt Frankfurt am Main betreffen. (Als Inbound-Flüsse werden die Warenströme erfasst, die in den Hafen hineinfließen. Die Outbound-Flüsse sind dementsprechend die Warenströme, die den Hafen verlassen.) Das Studiendesign stützte sich sowohl auf frei zu beantwortende Fragen (freier Text oder Zahleneingabe) als auch auf Single- und Multiple-Choice-Inhalte. Insgesamt umfasste der Fragebogen 52 Fragen. Die Umfrage wurde von den Hafenanliegern zwischen November 2020 und Februar 2021 beantwortet. Insgesamt waren von IHK und GFH 352 ansässige Unternehmen angeschrieben worden. Die Kontaktaufnahme erfolgte teilweise postalisch sowie per E-Mail. Der Fragebogenrücklauf belief sich auf 37 ausgefüllte Bögen, dies entspricht einer Rücklaufquote von 10,5 %. Insbesondere postalisch kontaktierte Unternehmen, welche sich zur Teilnahme aufgrund von Datenschutz-Anforderungen eigenständig digital zurückmelden mussten, taten dies nur sporadisch. Dies könnte auch Folge von pandemiebedingt dünn besetzten Büros sein, in welchen die eingehende Post - welche hier zudem nicht dem Kerngeschäft entspricht - mit niedriger Priorität behandelt wird. Die Rücklaufquote derjenigen Unternehmen, die Mitglied der GFH sind, liegt mit knapp 66 % hoch. Dies kann daran liegen, dass die GFH-Mitglieder als Produktions-, Handels- oder Logistikunternehmen der Thematik eine erhebliche Relevanz beimessen, während bei den übrigen Unternehmen häufig bürobezogene Dienstleistungen erbracht werden, bei denen die Notwendigkeit einer Hafeninfrastruktur geringer ist. (So gibt es unter den Nicht-Mitgliedern der GFH auch Unternehmen der Werbe- oder Marktforschungsbranche, deren Bezug zu logistischen Prozessen minimal oder nicht vorhanden ist.) Die beantworteten Fragebögen wurden nach Beendigung der Umfrage für die Datenverarbeitung teilweise bereinigt. Nicht plausible Eingaben wurden nach Rücksprache mit dem ausfüllenden Unternehmen angepasst oder entfernt, fehlerbehaftete Eingaben wurden korrigiert. So ergab sich eine Datensammlung, welche diverse Schlüsse über die Relevanz des Osthafens Frankfurt am Main zulässt. Der folgende Abschnitt beinhaltet die Kernergebnisse der Umfrage. Kernergebnisse und Interpretation Allgemeine Merkmale: Branchen, Verkehrsträgernutzung Die Betrachtung der Ergebnisse beginnt sinngemäß in der Analyse allgemeiner Eigenschaften des Osthafens. Zu diesen grundlegenden Fakten zählen die im Industrie- und Gewerbegebiet vertretenen Branchen, deren Leistungen sowie die Nutzungsfrequenz der drei großen Verkehrsträger durch die Anlieger. In der Darstellung der Umfrageergebnisse zeigt sich der im Osthafen ansässige Branchenmix äußerst divers, siehe Bild 2. Während etwa ein Viertel der Umfrageteilnehmer sich den klassischen Logistikdienstleistungen Verkehr und Lagerei zuordnet, sieht sich etwa ein Drittel als Teil der Branche Baugewerbe, einem für die wachsende Großstadt Frankfurt am Main notwendigen Sektor. Ein weiteres Viertel sieht sich als Erbringer sonstiger Leistungen. Durch die Verteilung der im Osthafen vertretenen Unternehmen auf derart unter- Bild 1: Untersuchungsgebiet der Studie und Unternehmensstandorte [11] Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 53 Binnenschifffahrt LOGISTIK schiedliche Wirtschaftsbereiche ist von einer erhöhten Resilienz auszugehen. Wirtschaftliche Einbrüche in einzelnen Branchen sind weniger schädlich als in ‚sortenreinen‘ Ansiedlungen der Logistik. Zudem erweist sich insbesondere die angesiedelte Baubranche auch in der Pandemie als krisensicher [14]. Teil der allgemeinen Datengrundlage ist zudem die Nutzungsfrequenz der verschiedenen Verkehrsträger durch die Anlieger: Hieraus können erste Hinweise auf die tatsächliche Relevanz des multimodalen Ansatzes abgeleitet werden. Im Fragebogen wurde die Nutzung des Autobahnanschlusses, des Anschlusses an das Schienennetz der Deutschen Bahn durch eine Hafenbahn sowie des Containerterminals der Deutschen Bahn und schließlich die Nutzung der Hafenbecken erhoben. Wenig überraschend wird der Autobahnanschluss von großen Anteilen der Anlieger (77 %) täglich sowohl für Inboundals auch für Outbound- Transporte genutzt. Nur 17 % nutzen ihn nie, knapp 6 % mehrmals pro Woche. Diese hohe Relevanz des Gütertransportes über die Straße spiegelt die oben erläuterten Trends der vergangenen Jahrzehnte wider. Dementsprechend werden die Schienenanschlüsse im Osthafen Frankfurt am Main deutlich seltener genutzt. Die Hafenbahn wird von etwa 70 % (Inbound) bis 76 % (Outbound) nicht in Anspruch genommen, nur 11 bis 12 % nutzen sie täglich. Die Schienenanbindung per Terminal wird sogar von etwa 80 % nicht genutzt, etwa 17 bis 18 % empfangen oder versenden ihre Transporte hierüber mindestens mehrmals pro Woche. Die Hafenbecken verzeichnen als dritter Verkehrsträger eine zwischen diesen Extremen liegende Nutzungsfrequenz. Auch diese werden von einigen Anliegern nie genutzt: Im Inbound verzichten etwa zwei Drittel, im Outbound etwa 72 % der Anlieger auf den Transport über die Wasserstraße. Jene Unternehmen, welche die Hafenbecken nutzen, tun dies jedoch intensiv: 50 % der Nutzer be- und entladen Binnenschiffe auf täglicher Basis, im Inbound sogar über 90 % mindestens mehrmals pro Woche. Trotz dessen zeigt sich im Vergleich der Nutzungsfrequenzen eine deutliche Dominanz des Straßenverkehrs. Insbesondere die Nutzung der Wasserstraße durch nur ein Drittel der Anlieger könnte den Rückschluss zulassen, dass diese nicht von hoher Relevanz für das Industrie- und Gewerbegebiet sei und eine Umsiedlung desselben in dieser Hinsicht unproblematisch. Diese vorläufige Einschätzung muss nach Betrachtung der folgenden Kernergebnisse jedoch verworfen werden. Beförderte Gütermengen Die Einbeziehung der umgeschlagenen Gütermengen im betrachteten Areal relativiert die vorherige Einseitigkeit in der Verkehrsträgernutzung. Insgesamt transportieren die teilnehmenden Unternehmen monatlich etwa 400.000 Tonnen, 4.500 TEU-Container sowie 50.000 Packstücke sowohl an als auch ab. Bei einem Transport dieser Gütermengen ausschließlich per LKW entsprächen diese Gütermengen rund 47.500 Fahrten pro Monat [15]. Trotz der verbreiteten Straßennutzung wird anhand der Werte deutlich, dass signifikante Mengen dieser Güter momentan nicht über die Straße transportiert werden. Vielmehr konnte aufgezeigt werden, dass jene Unternehmen, welche die Hafenbecken nutzen, hierüber große Anteile der gesamten Tonnage transportieren: Im Inbound trugen diese 54 % der Tonnen sowie 88 % der TEU bei, im Outbound 53 % der Tonnen sowie 80 % der TEU. Die oben angestellte Vermutung zur Relevanz der Wasserstraße dreht sich bei dieser umfassenderen Faktenlage also ins Gegenteil: Erhebliche Anteile der erfassten Güter erreichen und verlassen den Osthafen über die Hafenbecken, obwohl dieser Verkehrsträger „nur“ von einem Drittel der befragten Anlieger genutzt wird. Zudem ist zu beachten, dass zu diesen erfassten Mengen lediglich etwa 10 % der angeschriebenen Unternehmen beitragen. Die tatsächliche, komplette Güterlogistik umfasst somit - auf- allen Verkehrsträgern - weit größere Mengen. Beschäftigungssituation Neben den logistischen und wirtschaftlichen Kennzahlen wurden in der durchge- Bild 2: Branchenverteilung im Osthafen Frankfurt am Main [13] Bild 3: Verteilung über Größenklassen der Unternehmen im Osthafen [16] Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 54 LOGISTIK Binnenschifffahrt führten Umfrage auch arbeitsmarktrelevante Aspekte des Osthafens Frankfurt am Main erfasst. Die Studie zum Areal erfasst hierbei zunächst die Größenstruktur der befragten Anlieger, welche insgesamt 2.486 Mitarbeiter beschäftigen. Wie in Bild 3 ersichtlich, teilt sich das Kollektiv der Arbeitgeber im betrachteten Gebiet unregelmäßig in mehrere Größenklassen auf. Ein großer Teil der Anlieger kann dieser Kennzahl entsprechend als kleine und mittlere Unternehmen (KMU, Unternehmen mit mehr als neun und weniger als 250 Beschäftigten) eingeordnet werden. Weiterhin konnte festgestellt werden, dass über die Hälfte der Unternehmen (54,5 %, [n = 33]) derzeit ausbildet. Ein ähnlicher Anteil (53,1 %, [n = 32]) beschäftigt zudem ungelernte Mitarbeiter, über 20 % sogar mehr als zehn entsprechende Arbeitskräfte. Mehr als 20 % der befragten Unternehmen beschäftigten zudem geflüchtete Personen. Hierzu wurde in begleitenden Gesprächen deutlich, dass insbesondere unsichere Aufenthaltstitel und hohe bürokratische Hürden sowohl diese Personengruppe als auch ansässige Unternehmen davon abhielten entsprechende Arbeitsverträge zu schließen. Neben der hohen Anzahl an Mitarbeitern zeigt die Umfrage in diesem Punkt in erster Linie die Bereitstellung von niedrigschwelligen Arbeitsplätzen durch die Anlieger des Osthafen Frankfurt am Main. Entsprechend den Idealen sozialer Nachhaltigkeit sowie sozialer Durchmischung werden Arbeiter aller Qualifikationsstufen benötigt, ein in der Bankenstadt Frankfurt am Main seltener werdendes Modell der Zusammenarbeit. Zusätzlich bilden die befragten Unternehmen weiter aus und schaffen somit qualifizierte Fachkräfte, welche im Arbeitsmarkt teilweise fehlen. Wechselwirkung mit dem Stadtgebiet Der Osthafen ist als logistischer Knoten für den Kombinierten Verkehr relevant. Gleichzeitig ist zu klären, inwieweit dieser Knotenpunkt für die Ver- und Entsorgung der Metropolregion Rhein-Main, insbesondere aber auch der Stadt Frankfurt am Main von Bedeutung ist. Diese Relevanz ergibt sich zunächst anhand der Transportentfernungen für Inbound- und Outbound-Transporte. So zeigt sich im Inbound-Bereich, dass 27 % der Unternehmen ihre Güter aus einer durchschnittlichen Entfernung von 300 km oder mehr erhalten. Dies offenbart das Potenzial für schienen- oder wassergebundene Transporte. Gleichzeitig erhalten 31 % der Unternehmen ihre eingehenden Waren aus einer durchschnittlichen Entfernung von nicht mehr als 100 km. Dies spricht für eine starke Entsorgungsfunktion für die Metropolregion und die Stadt Frankfurt am Main. Im Outbound-Bereich wird wiederum die Versorgungsfunktion für die Stadt Frankfurt deutlich: So beträgt für die Hälfte der Unternehmen die durchschnittliche Transportentfernung nicht mehr als 100 km; davon wiederum knapp die Hälfte mit einer Entfernung von bis zu 30 km. Die Bedeutung des Osthafens für die Stadt Frankfurt am Main wird ebenfalls durch den Anteil der Transporte bestärkt, die im Stadtgebiet beginnen (Entsorgungsfunktion) oder enden (Versorgungsfunktion). Rund 40 % der Unternehmen weisen einen Anteil von mehr als 60 % ihrer Transporte auf, die in die Stadt Frankfurt führen; bei weiteren knapp 7 % der Unternehmen enden zwischen 40 % und 60 % der Transporte im Stadtgebiet. Dies zeigt, dass der Osthafen für die Stadt Frankfurt am Main eine wichtige Versorgungsfunktion innehat. Auch die Entsorgungsfunktion wird klar: Beinahe die Hälfte der Unternehmen bezieht mehr als 40 % ihrer Transporte aus dem Stadtgebiet ( jeweils 23,3 % für einen Anteil von zwischen 40 % und 60 % der Transporte bzw. für mehr als 60 % der Transporte). Für die Stadt ist die Nähe des Osthafens als multimodaler Knotenpunkt auch deswegen wichtig, weil die zeitlichen Anforderungen an die Versorgungsleistungen hoch sind. So zeigt Bild 4, dass für die Hälfte der Unternehmen enge Zeitfenster bei Belieferungen existieren. Die Baubranche ist eine Branche, die nicht nur aufgrund der hohen Gütermengen einen wesentlichen Anteil an Transporten aus dem Osthafen in die Stadt aufweist, sondern die - vor allem bei der Lieferung von Beton an (Groß-) Baustellen - derartig hohen Anforderungen gerecht werden muss. Prognostizierte Entwicklung des Osthafens Neben der Einschätzung und Bewertung des Status Quo ist auch die prognostizierte Entwicklung des Osthafens von Interesse. Die Angaben der Umfrageteilnehmer sprechen eine klare Sprache: Insgesamt werden die wirtschaftlichen Aktivitäten weiter zunehmen. Dies lässt sich in mehreren Bereichen erkennen. So sehen die Unternehmen eine deutliche Steigerung der Transportmengen. In den kommenden Jahren bis 2025 erwarten sie für Inbound-Flüsse eine durchschnittliche Zunahme um 16 %, im Outbound-Bereich sogar um 20 %. Um derartige Mengen logistisch handhaben zu können, werden weitere Flächen benötigt. Während zwar 40 % der Unternehmen davon ausgehen, dass die vorhandenen Flächen ausreichen, sieht mehr als die Hälfte der Betriebe einen zunehmenden Flächenbedarf. Dieser Bedarf ist umso gravierender, als die derzeitig im Osthafen vermietbaren Flächen beinahe vollständig ausgelastet sind [18]. Ein Flächenpuffer ist damit derzeit nicht vorhanden. Verbunden mit dem steigenden Transportvolumen und der insgesamt ebenfalls steigenden Flächennachfrage sind Investitionen. Allein die 25 auf diese Frage antwortenden Unternehmen planen, im betrachteten Zeitraum bis 2050 (dem derzeitigen Zeitraum der durch die Politik festgelegten Bestandsgarantie) rund 223 Mio. EUR an ihren Standorten im Osthafen zu investieren. Knapp ein Viertel der Anlieger plant mit einem Investitionsvolumen von über 15 Mio. EUR. Die im Rahmen der Untersuchung erhobenen Werte liegen deutlich über jenen, von denen bisher ausgegangen worden war. Letztlich nimmt auch der Bedarf an Arbeitskräften zu. Bis zum Jahr 2025 erwarten Bild 4: Zeitfenster für Belieferungen in das Stadtgebiet [17] Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 55 Binnenschifffahrt LOGISTIK die beteiligten Unternehmen, rund 2.700 Personen angestellt zu haben; das entspricht einer Zunahme um 8,9 % innerhalb weniger Jahre. Noch stärker als die Zahl der insgesamt zukünftig Beschäftigten steigt die Menge der erwarteten Auszubildendenverhältnisse: Die durchschnittliche Anzahl an Auszubildenden je Unternehmen steigt von 1,6 auf 2,6 und damit um rund 60 %. Auch die Bevölkerungsgruppen, die oftmals einen schlechteren Zugang zum Arbeitsmarkt haben, profitieren von der Zunahme der Hafenaktivitäten: So nehmen bis 2025 auch die erwarteten Beschäftigungsverhältnisse mit Ungelernten und Geflüchteten deutlich zu. Fazit und Ausblick Wie sind die dargestellten Ergebnisse zu bewerten? Zunächst stellen sie ein Zahlengefüge dar, das bisher nicht existierte. Die Diskussion um den Osthafen Frankfurt am Main war bisher eine, die vornehmlich emotional geführt wurde, ohne dass eine ausreichende Datenbasis als Fundament für Entscheidungen vorhanden war. Die im Rahmen des Projekts erhobenen Daten sind - auch wenn die Stichprobe eine überschaubare Größe hat - doch von erheblichem Nutzen, um politische Entscheidungen besser fundiert vorbereiten, diskutieren und treffen zu können. Die Ergebnisse zeigen auch, dass ein Hafen wie der Frankfurter Osthafen einen funktionieren multimodalen Logistikknoten darstellt. Darüber hinaus hat dieser logistische Knotenpunkt eine wichtige Ver- und Entsorgungsfunktion für die Stadt Frankfurt am Main, aber auch für die Metropolregion Rhein-Main. Die auf Schiene und Binnenwasserweg transportierten Mengen (sowohl Inbound als auch Outbound) sind erheblich. Eine in die öffentliche Diskussion eingebrachte Umwidmung des Hafens, verbunden mit einer teilweisen oder gänzlichen Einstellung des derzeitigen Betriebs würde damit zu einer deutlichen Zunahme des LKW-Verkehrs führen. Dies wiederum führt zu einer Mehrbelastung der Straßeninfrastruktur, die in Frankfurt derzeit bereits oft an der Kapazitätsgrenze ist, vor allem aber auch einer erheblichen Steigerung von Emissionen (unter anderem CO 2 und Lärm). Letztendlich zeigt auch die prognostizierte Entwicklung (Leistungsmengen, Flächen, Investitionen und Beschäftigung), dass ein Hafen positive Effekte auf die Wirtschaft, aber aufgrund der Beschäftigungsstruktur auch auf die Gesellschaft aufweist. ■ LITERATUR [1] Vgl. Flämig, H. (2021): Luft- und Klimabelastung durch Güterverkehr. Hrsg. v. Forschungs-Informations-System für Mobilität und Verkehr. Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik. www.forschungsinformationssystem.de/ servlet/ is/ 39787/ , zuletzt aktualisiert am 06.01.2021, zuletzt geprüft am 11.05.2021. [2] Vgl. BMVI (2021): Verlagerung von Gütertransporten von der Straße auf den Wasserweg. - From Road to Sea/ Waterway- / www.bmvi. de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ WS/ verlagerung-von-guetertransporten-von-der-strasse-auf-den-wasserweg.html, zuletzt geprüft am 26.04.2021. [3] Vgl. BMVI (2021): Verlagerung von Gütertransporten von der Straße auf den Wasserweg. - From Road to Sea/ Waterway.www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ WS/ verlagerung-von-guetertransportenvon-der-strasse-auf-den-wasserweg.html, zuletzt geprüft am 26.04.2021. [4] Vgl. Umweltbundesamt (2021): Vergleich der durchschnittlichen Emissionen einzelner Verkehrsmittel im Güterverkehr - Bezugsjahr 2019. www.umweltbundesamt.de/ sites/ default/ files/ medien/ 366/ bilder/ dateien/ uba_emissionstabelle_gueterverkehr_2019.pdf, zuletzt geprüft am 21.09.2021. [5] Vgl. Bundesamt für Güterverkehr (Hrsg.) (2021): Marktbeobachtung Güterverkehr. Raumplanung in deutschen Binnenhäfen. Köln. www.binnenschiff.de/ wp-content/ uploads/ 2021/ 02/ BAG-Studie- Haefen.pdf, zuletzt geprüft am 18.05.2021. [6] Vgl. Statistisches Bundesamt (Destatis) (2020): Güterverkehr: Beförderungsmenge und Beförderungsleistung nach Verkehrsträgern. www.destatis.de/ DE/ Themen/ Branchen-Unternehmen/ Transport- Verkehr/ Gueterverkehr/ Tabellen/ gueterbefoerderung-lr.html, zuletzt aktualisiert am 11.11.2020, zuletzt geprüft am 24.08.2021. [7] Vgl. Bundesamt für Güterverkehr (Hrsg.) (2021): Marktbeobachtung Güterverkehr. Raumplanung in deutschen Binnenhäfen. Köln. www.binnenschiff.de/ wp-content/ uploads/ 2021/ 02/ BAG-Studie- Haefen.pdf, zuletzt geprüft am 18.05.2021. [8] Vgl. Bundesamt für Güterverkehr (Hrsg.) (2021): Marktbeobachtung Güterverkehr. Raumplanung in deutschen Binnenhäfen. Köln. www.binnenschiff.de/ wp-content/ uploads/ 2021/ 02/ BAG-Studie- Haefen.pdf, zuletzt geprüft am 18.05.2021. [9] Vgl. Bundesamt für Güterverkehr (Hrsg.) (2021): Marktbeobachtung Güterverkehr. Raumplanung in deutschen Binnenhäfen. Köln. www.binnenschiff.de/ wp-content/ uploads/ 2021/ 02/ BAG-Studie- Haefen.pdf, zuletzt geprüft am 18.05.2021. [10] Vgl. Romahn, I. (2020): Wir haben keinen zweiten Osthafen. Wirtschaftsdezernent Frank lehnt Wohnbebauung im Osthafen ab. In: Frankfurt Live, 22.06.2020. www.frankfurt-live.com/ wir-habenkeinen-zweiten-osthafen-122811.html, zuletzt geprüft am 13.04.2021. [11] Die Grafik wurde bereitgestellt durch die IHK Frankfurt am Main. [12] Vgl. Köhler, M. (2013): Frankfurter Osthafen hat Zukunft mindestens bis 2050. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.11.2013. www.faz. net/ aktuell/ rhein-main/ neues-hafenkonzept-beschlossen-frankfurter-osthafen-hat-zukunft-mindestens-bis-2050-12644975.html, zuletzt geprüft am 04.11.2020. [13] Eigene Darstellung (n = 37, die Summe der Anteile weicht aufgrund von Rundungsdifferenzen von 100 % ab). [14] Vgl. Tagesschau (2020): Steigende Umsätze: Bau kennt keine Corona-Krise. In: tagesschau.de, 09.10.2020. www.tagesschau.de/ wirtschaft/ baubranche-corona-101.html, zuletzt geprüft am 24.08.2021. [15] Für die Berechnung wurde von einer durchschnittlichen Tonnage von 12 Tonnen per TEU ausgegangen. Weiterhin wurde der bei der GFH genutzte Umrechnungsfaktor von TEU in LKW-Ladungen in Höhe von 1,6 angewandt. Somit ergeben sich im Inbound-Bereich die folgenden LKW-Äquivalente für Mengen, die in Tonnen angegeben waren: 402.272 Tonnen/ 12/ 1,6 = 20.952 LKW-Äquivalente. Für in TEU angegebene Mengen ergeben sich 4.513 TEU/ 1,6 = 2.821 LKW- Äquivalente. Im Outbound-Bereich ergeben sich für in Tonnen angegebene Mengen 400.295 Tonnen/ 12/ 1,6 20.849 LKW-Äquivalente. Für in TEU angegebene Mengen ergeben sich 4.626 TEU/ 1,6 = 2.891 LKW-Äquivalente. Die Packstücke finden hier aufgrund von nahezu unmöglicher Umrechnung keine Berücksichtigung. Die gesamte Tonnage ergibt damit 47.513 LKW-Äquivalente. [16] Eigene Darstellung (n = 32, Abweichung der Summe der Anteile von 100 % aufgrund von Rundungsdifferenzen). [17] Eigene Darstellung (n = 28). [18] Vgl. HFM Managementgesellschaft für Hafen und Markt mbH (Hrsg.) (2019): Zahlen und Daten. www.hfm-frankfurt.de/ zahlen-und-daten.html, zuletzt geprüft am 15.04.2021. Jakob Grubmüller, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Hochschule Fulda am HOLM, Frankfurt am Main jakob.grubmueller@w.hs-fulda.de Michael Huth, Prof. Dr. Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Logistik, Hochschule Fulda am HOLM, Frankfurt am Main michael.huth@w.hs-fulda.de Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 56 MOBILITÄT Wissenschaft Autonome Shuttles im-ÖPNV Grundlagenforschung zur Nutzerakzeptanz und-zum Einsatz autonomer Shuttles Autonomes Fahren, Shuttle, Akzeptanz, Herausforderungen, Verkehr, ÖPNV Im Projekt Autonom am Mainkai wurden zwei autonom fahrende Shuttles in Frankfurt am Main wissenschaftlich begleitet. Ziel war es, die Nutzerakzeptanz und die betrieblichen Herausforderungen zu untersuchen. Während der Projektlaufzeit konnten alle Fahrgäste an einer quantitativen Online-Umfrage teilnehmen. Zusätzlich wurden die Operatoren und Betriebsleiter der Shuttles interviewt und zu den betrieblichen Herausforderungen befragt. Die Analyse der Ergebnisse zeigt wichtige Aspekte auf, die für den erfolgreichen Einsatz autonomer Shuttles an weiteren Standorten berücksichtigt werden sollten. Philipp Altinsoy, Petra Schäfer D ie digitale Transformation läuft auf Hochtouren [1] und verschafft sich nach und nach Zutritt zu allen Lebensbereichen [2] - so auch zur Mobilität im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), die ein zentrales Thema der Gesellschaft darstellt. Unter Berücksichtigung weiterer korrelierender Megatrends, wie dem demographischen Wandel und der Neo-Ökologie, müssen - auf der Suche nach nachhaltigen und altersunabhängigen Mobilitätsangeboten - neue Konzepte entwickelt werden. Dabei sollen diese neuen Mobilitätsangebote adäquate Lösungen für bestehende Probleme im Verkehrssektor finden und diese gleichzeitig zu einer Reduzierung der hohen privaten PKW-Nutzung beitragen [3]. Da der ÖPNV zusätzlich vor der Herausforderung des steigenden Fahrermangels steht [4], stellt das autonome Fahren ein sehr präsentes und zukunftsorientiertes Mobilitätskonzept für den ÖPNV dar. Mit Blick auf den ÖPNV wird in der Regel nicht von autonomen Fahrzeugen, sondern von Shuttles, Shuttlebussen oder People Movern gesprochen, die ausschließlich im öffentlichen Bereich - nicht im privaten - agieren. Bild 1 verdeutlicht, wie sich ein Shuttle von einem privaten PKW abgrenzt. Aktuell wird autonomen Shuttles das Potenzial zugesprochen, dass sie im urbanen Raum die Anzahl der privaten PKW maßgeblich reduzieren können, ohne dabei individuelle Mobilitätsbedürfnisse einzuschränken, dass sie Emissionen durch eine effizientere Ressourcennutzung einsparen und die Kosten für den Betrieb von Verkehrsunternehmen maßgeblich senken können. Darüber hinaus können durch autonome Shuttles im ländlichen Raum weitere attraktive Angebote geschaffen und eine weitere Reduktion der privaten Fahrzeuge erzielt werden. [6] Dabei stellt sich die Frage, ob diese bisher theoretischen Potenziale tatsächlich im Realbetrieb bestehen bleiben und sich die Shuttles als neues Mobilitätskonzept für Verkehrsgesellschaften eignen. Parallel dazu stehen vor allem die Akzeptanz zukünftiger Fahrgäste Bild 1: Beispielbild für ein autonomes Shuttle [5] Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 57 Wissenschaft MOBILITÄT im Fokus der Verkehrsgesellschaften, da eine große Nutzerakzeptanz essenziell für eine erfolgreiche Einführung autonomer Shuttles ist. Um auch verkehrsplanerische Maßnahmen zur Verbesserung der Akzeptanz anderer Verkehrsteilnehmer und der Verkehrssicherheit ergreifen zu können, müssen ebenfalls betriebliche und verkehrliche Herausforderungen erfasst werden. Zu autonomen Shuttles gibt es aktuell eine geringe Anzahl an Studien, die sich voneinander abheben und gleichzeitig umfassende Untersuchungen angestellt haben. Bisher wurde lediglich das Thema Nutzerakzeptanz untersucht und diesbezüglich vereinzelt Ergebnisse veröffentlicht. Aufgrund von einseitigen Erhebungsmethoden und eingeschränkten bzw. kurzen Untersuchungsräumen wurden noch keine standortübergreifenden Ergebnisse und betriebliche sowie verkehrliche Herausforderungen erfasst bzw. verglichen. Um umfassende Erkenntnisse zur Nutzerakzeptanz bei einem öffentlich zugänglichen Testfeld zu sammeln und sämtliche Herausforderungen zu erfassen, wurden eigene Erhebungen im Rahmen des Forschungsprojekts Autonom am Mainkai von der Frankfurt University of Applied Sciences durchgeführt. Es handelt sich dabei um ein vom Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen (HWEVW) und House of Logistics and Mobility (HOLM) gefördertes Forschungsprojekt, bei dem zwei autonome Shuttles am Frankfurter Mainufer vom 20.09.2019 bis zum 17.03.2020 wissenschaftlich begleitet wurden. Im folgenden Text werden die Ergebnisse aus der Online-Umfrage, Standortbegehungen und Experteninterviews beschrieben. Bestehende Studien zu autonomen Shuttles In der Vergangenheit wurden nur sehr wenige Datengrundlagen durch empirische Erhebungen geschaffen. Bei der Betrachtung bestehender und abgeschlossener Testfelder, lassen sich jedoch einseitige Ergebnisse zur Nutzerakzeptanz feststellen. Tabelle 1 verdeutlicht, dass an allen Standorten ein sehr hohes Akzeptanzniveau gegenüber autonomer Shuttles vorliegt. Neben der Nutzerakzeptanz wurden bzw. werden in derzeit 46 Testfeldern in Deutschland noch weitere Aspekte untersucht [14]: •• Identifikation einer Markteinführungsstrategie •• Sammlung von Erkenntnissen zum IT-Datenschutz und Sicherheitsproblemstellungen •• Erstellung von rechtssicheren und flexiblen Datenschnittstellen •• Erprobung von Car2X-Technologie für den ÖPNV- Einsatz Da sich derzeit noch einige Projekte in aktiven Testfeldern befinden, wurden hier bisher noch keine weiteren Ergebnisse veröffentlicht. Weitere Gründe sind, dass nicht alle Testfelder wissenschaftlich begleitet werden oder die Shuttles lediglich auf privaten Firmengeländen eingesetzt werden. Vorgehen im Forschungsprojekt Autonom am-Mainkai Im Forschungsprojekt Autonom am Mainkai wurden mehrere Methoden angewandt. Zur Erfassung der Nutzerakzeptanz der Fahrgäste gegenüber den Shuttles in Frankfurt am Main wurde eine Online-Umfrage entwickelt und über den gesamten Testzeitraum durchgeführt. Parallel dazu wurden Begehungen an anderen Teststandorten umgesetzt und die entsprechenden Verantwortlichen vor Ort interviewt, um die Nutzerakzeptanz gegenüber den Shuttles sowie die betrieblichen und verkehrlichen Herausforderungen an diesen Standorten zu erfassen. Dadurch wurde es ebenfalls möglich, dass standortübergreifende Probleme identifiziert und verglichen werden konnten. Über den gesamten Testzeitraum konnten Fahrgäste kostenlos in eines der beiden Shuttles einsteigen und auf der 700 m langen Teststrecke mitfahren. Anschließend wurden diese durch Visitenkarten und QR-Codes in den Fahrzeugen auf die Online-Umfrage aufmerksam gemacht. Parallel zum Probebetrieb in Frankfurt konnten Testfelder in Berlin, Enge Sande, Lauenburg, Monheim am Rhein und Wusterhausen/ Dosse besucht werden. Dabei entsprachen diese Standorte den Merkmalen Lage, Zugänglichkeit, Streckenlänge und Fahrgeschwindigkeit, wodurch sie dem Testfeld am Mainufer in Frankfurt vergleichbar waren. Diese Merkmale wurden an allen Standorten untersucht und gleichzeitig deren Einfluss auf den Betrieb überprüft, um weitere Rückschlüsse auf einen problemloseren Einsatz der Shuttles ziehen zu können. Problem bei der Erhebung der Nutzerakzeptanz ist, eine gleichmäßig verteilte Stichprobe zu erhalten, da nicht alle Fahrgäste den gleichen Zugang zu einer Online-Umfrage haben. Bei der durchgeführten Online-Umfrage wurde eine Unterteilung in die Bereiche Fragen zur Fahrt, Fragen zu autonomen Fahrzeugen und soziodemographische Fragen vorgenommen, um die Antworten bspw. Altersklassen zuordnen zu können. Zudem wurde es so auch Personen ohne absolvierte Testfahrt ermöglicht, ihre Meinung zu autonomen Fahrzeugen äußern zu können. Für die Vor-Ort-Begehungen und Interviews wurden separate Leitfäden und Kriterienkataloge erstellt, um standortübergreifend jeweils dieselben Eigenschaften - Fahrbahnbreite, Fahrbahnoberfläche, Fahrplan, Takt, etc. - dokumentieren bzw. abfragen zu können. Ergebniss aus dem Forschungsprojekt Autonom am Mainkai Im Rahmen der Online-Umfrage wurden insgesamt 449-Fahrgäste zur ihrer Meinung und Einschätzung zum Thema „Autonomes Shuttle“ befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass über 92,8 % ein positives Sicherheitsgefühl hat- Projektstandort Nutzerakzeptanz autonomer Shuttles Bad Birnbach Hohe Akzeptanz aller Altersgruppen [7] Gothenburg (SE) Sehr hohe Zufriedenheit [8] Koppl (AT) Hohe Akzeptanz und gutes Sicherheitsgefühl [9] Mainz Hohe Akzeptanz [10] Neuhausen (CH) Hohe Akzeptanz [11] Sitten (CH) Hohe Akzeptanz; kaum/ gar keine Sicherheitsbedenken [12] Wusterhausen/ Dosse Positive Resonanz und großes Vertrauen [13] Tabelle 1: Akzeptanzniveau bei nationalen und internationalen Projekten Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 58 MOBILITÄT Wissenschaft ten, was durch einen unfallfreien Probebetrieb bestätigt wird. Dem ist hinzuzufügen, dass lediglich 26 Fahrgäste die empfundene Sicherheit im Shuttle negativ bewerteten (siehe Bild 2). Durch aktuelle gesetzliche Regelungen müssen weiterhin Operatoren, sprich Personen die sich mit der Technik der Shuttles auskennen, mit an Bord der Shuttles sein. Allerdings können sich bereits jetzt 94 % der Fahrgäste eine Mitfahrt ohne Operator vorstellen. So ist es ebenfalls nicht verwunderlich, dass 82 % angaben, die selbstfahrenden Shuttles auch im regulären öffentlichen Straßenverkehr nutzen zu wollen. Weitere Bewertungen zum Motorgeräusch oder zum Umweltbeitrag fielen ebenfalls positiv aus. Es wurden lediglich Verbesserungswünsche zum Sitzplatzangebot, der Streckenlänge und zur Fahrgeschwindigkeit geäußert, die bereits in weiteren Testfeldern variiert werden sollen. Bei der Betrachtung der Ergebnisse ist zu konstatieren, dass insgesamt eine sehr hohe Nutzerakzeptanz und großes Interesse an den Shuttles vorliegt und diese Resultate beim Vergleich mit den Ergebnissen aus der Literatur übereinstimmen. Bei der Betrachtung der erfassten betrieblichen und verkehrlichen Herausforderungen kann festgehalten werden, dass die Gestaltung der Fahrstrecke und die damit verbundene Anpassung der Infrastruktur eng mit der Nutzerakzeptanz zusammenhängen. Die kritischsten Probleme sind Aspekte, wie eine zu enge Fahrbahn, Überholmanöver anderer Verkehrsteilnehmer oder parkende Fahrzeuge auf der Fahrbahn (siehe Tabelle 2). Diese hatten zur Folge, dass die Shuttles mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine Notbremsung durchführten, was eine Gefahr für Fahrgastsicherheit implizierte oder die Weiterfahrt nur mit Hilfe des Operators möglich machte. Zur Vermeidung dieser Notbremsungen müsste vorab überlegt werden, ob bspw. eine entsprechende Beschilderung mit Überholverboten Abhilfe schaffen könnte. Die Begehungen anderer Standorte und zugehörigen Interviews verdeutlichten, dass aktuelle Testfelder notwendig sind, damit sich Fahrgäste mit der Technik vertraut machen können und das Mobilitätskonzept testen. Beim Vergleich der Standorte ist ersichtlich geworden, dass sowohl in Frankfurt am Main sowie den anderen fünf Standorten viele ähnliche Herausforderungen bestehen bzw. vergleichbare Erfolge verzeichnet werden konnten. Da jedoch unterschiedliche Projektfortschritte vorlagen und gewisse Probleme erst in späteren Phasen eintreten, sollten eine enge Abstimmung zwischen den verschiedensten Standorten und ein regelmäßiger Erfahrungsaustausch stattfinden. Fazit Insgesamt konnte, mit Hilfe der quantitativen Online- Umfrage sowie der qualitativen Begehungen und den Interviews, eine fundierte Aussage über die aktuelle Nutzerakzeptanz von autonomen Shuttles im ÖPNV und die betrieblichen sowie verkehrlichen Herausforderungen getroffen werden. Es konnte gezeigt werden, dass eine hohe Akzeptanz und großes Interesse an weiteren Testfeldern vorliegt. Mit Blick auf einen konfliktfreien Betrieb der Shuttles konnte gezeigt werden, dass im Sensorbereich geparkte Fahrzeuge und riskante Überholmanöver anderer Verkehrsteilnehmer zu gefährlichen Notbremsungen führen können. Durch den Einsatz von autonomen Shuttles kann zur Lösung von aktuellen Problemen im Verkehrssektor beigetragen werden, jedoch sind noch umfassende Anpassungen der Infrastruktur und weitere Aufklärungsarbeit notwendig, damit die Shuttles zu einem vollständig einsetzbaren Mobilitätskonzept werden, das ohne Eingriffe von Operatoren funktioniert. ■ QUELLEN [1] Bachmann, R.; Kemper, G.; Gerzer, T. (2014): Big Data - Fluch oder Segen? Unternehmen im Spiegel des gesellschaftlichen Wandels. Heidelberg: mitp. ISBN 978-3-8266-9690-9 [2] Gentsch, P. (2018): Künstliche Intelligenz für Sales, Marketing und Service. Mit AI und Bots zu einem Algorithmic Business - Konzepte, Technologien und Best Practices. Wiesbaden: Springer Gabler. PDF e-Book. ISBN 978-3-658-19147-4. DOI: 10.1007/ 978-3-658- 19147-4 (Zugriff am 15.12.2020) entsprachen diese Standorte den Merkmalen Lage, Zugänglichkeit, Streckenlänge und Fahrgeschwindigkeit, wodurch sie dem Testfeld am Mainufer in Frankfurt vergleichbar waren. Diese Merkmale wurden an allen Standorten untersucht und gleichzeitig deren Einfluss auf den Betrieb überprüft, um weitere Rückschlüsse auf einen problemloseren Einsatz der Shuttles ziehen zu können. Problem bei der Erhebung der Nutzerakzeptanz ist eine gleichmäßig verteilte Stichprobe zu erhalten, da nicht alle Fahrgäste den gleichen Zugang zu einer Online-Umfrage haben. Bei der durchgeführten Online-Umfrage wurde eine Unterteilung in die Bereiche Fragen zur Fahrt, Fragen zu autonomen Fahrzeugen und soziodemographische Fragen vorgenommen, um die Antworten bspw. Altersklassen zuordnen zu können. Zudem wurde es so auch Personen ohne absolvierte Testfahrt ermöglicht, ihre Meinung zu autonomen Fahrzeugen äußern zu können. Für die Vor-Ort-Begehungen und Interviews wurden separate Leitfäden und Kriterienkataloge erstellt, um standortübergreifend jeweils dieselben Eigenschaften - Fahrbahnbreite, Fahrbahnoberfläche, Fahrplan, Takt, etc. - dokumentieren bzw. abfragen zu können. Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt Autonom am Mainkai Im Rahmen der Online-Umfrage wurden insgesamt 449 Fahrgäste zur ihrer Meinung und Einschätzung zum Thema „Autonomes Shuttle“ befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass über 92,8 % ein positives Sicherheitsgefühl hatten, was durch einen unfallfreien Probebetrieb bestätigt wird. Dem ist hinzuzufügen, dass lediglich 26 Fahrgäste die empfundene Sicherheit im Shuttle negativ bewerteten (siehe Abbildung 2). 1 2 3 4 5 6 0 50 100 150 200 250 7 7 12 30 87 233 Abbildung 2: Sicherheitsgefühl der Fahrgäste Anzahl n (nicht sicher) (sehr sicher) Bild 2: Sicherheitsgefühl der Fahrgäste Vor-Ort-Begehungen Fahrstrecke Fahrbahnbreite + Enge Abschnitte mit Vorfahrtsschildern für das Shuttle - Enge Fahrbahnen - Parkende Fahrzeuge entlang bzw. auf der Fahrbahn Fahrbahnoberfläche + Geteerte Fahrbahnoberfläche unproblematisch - Instabileres Bremsen auf Kopfsteinpflaster bei Regen Kritische Streckenabschnitte - Weitere Verkehrsteilnehmer entlang der Strecke - Abstellen von Fahrzeugen/ Fahrrädern direkt auf der Route - Schnelles Überholen durch andere Verkehrsteilnehmer - Missachtung von Vorfahrtsregeln Stellplatz + Ladestationen/ Ladeleistung + Separate und abgesperrte Stellplätze + Anbringen von eigenen Ladepunkten Technische Servicestation + Eigene Servicestation - Keine Vorhaltung von eignen Servicestationen - Bei Problemen zeitaufwändiger Transport nach Frankreich Haltestellen Fahrplan/ Takt/ Fahrzeit/ Wartezeit + Informationen zu den Fahrzeitfenstern und zum Projekt an jeder Haltestelle - Kein Fahrplan oder Takt vorhanden o Sehr geringe Wartezeiten bei kurzen Strecken Gestaltung - Keine ansprechende Gestaltung der Haltestellen - Keine Bordsteinabsenkungen bzw. -anpassungen für begünstigten und barrierefreien Zustieg Erreichbarkeit/ Barrierefreiheit + Keine Barrieren - Fehlende Bordsteinabsenkungen bzw. -anpassungen Tabelle 2: Ergebnisübersicht der Vor-Ort-Begehungen (+ positiv, negativ, o neutral) Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 59 Wissenschaft MOBILITÄT [3] Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur, 2020. Mobilität in Deutschland (MiD). Berlin: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. PDF. www.bmvi. de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ G/ mobilitaet-in-deutschland.html (Zugriff am 14.12.2020) [4] Bundesverband deutscher Omnibusunternehmer (BDO) e.V., 2018. Konjunkturumfrage 2018/ 2019. Berlin: Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer (bdo) e.V.. PDF. www.bdo.org/ uploads/ assets/ 5c7f73ba8c43ad3d7000000f/ original/ bdo Konjunkturumfrage_2018-2019.pdf? 1551856570 (Zugriff am 07.02.2020) [5] Navya (2020): Self-Driving Shuttle for Passenger Transportation. von https: / / navya. tech/ en/ solutions/ moving-people/ self-driving-shuttle-for-passenger-transportation/ (Zugriff am 19.11.2020) [6] Canzler, W.; Knie, A. (2019): Autonom und öffentlich Automatisierte Shuttles für mehr Mobilität mit weniger Verkehr. Berlin: Heinrich Böll e.V.. PDF. www.boell.de/ sites/ default/ f i l e s / 2 0 1 9 -1 0 / 1 3 _ G r % C 3 % B C n e - O r d n u n g s p o l i t i k _ A u t o n o m e s - F a h r e n . pdf? dimension1=division_oen (Zugriff am 20.02.2020) [7] Deutsche Bahn AG, 2019. Wie kommt der autonome Kleinbus in Bad Birnbach an? Forschungsnetzwerk stellt Ergebnisse vor. www.deutschebahn.com/ pr-muenchen-de/ aktuell/ presseinformationen/ Wie-kommt-der-autonome-Kleinbus-in-Bad-Birnbach-an- Forschungsnetzwerk-stellt-Ergebnisse-vor-4210652 (Zugriff am 15.09.2020) [8] UITP (2020): S3 Shared Shuttle Services. Brussels: Union Internationale des Transports Publics. https: / / space.uitp.org/ initiatives/ s3-shared-shuttle-av-pilot-gothenburg-sweden (Zugriff am 15.09.2020) [9] Zankl, C.; Rerhl, K. (2017): Erfahrungen mit dem ersten selbstfahrenden Shuttlebus auf öffentlichen Straßen in Österreich. Salzburg: Salzburg Research Forschungsgesellschaft m.b.H.. PDF. www.salzburgresearch.at/ wp content/ uploads/ 2018/ 04/ Digibus_2017_ Endbericht_final.pdf (Zugriff am 15.09.2020) [10] Bernhard,C.; Oberfeld-Twistel, D.; Weismüller, D.; Hoffmann, C.; Hecht, H. (2019). Nutzungsakzeptanz eines autonomen Kleinbusses in Mainz. Mainz: Psychologisches Institut. PDF. Verfügbar unter: https: / / experimental.psychologie.uni-mainz.de/ files/ 2019/ 04/ Report_Nutzungsakzeptanz_autonome_Kleinbusse_MZ_1_19-1.pdf (Zugriff am 15.09.2020) [11] Wicki, M.; Bernauer, T. (2020): Public Opinion on Route 12 ISTP Paper Series, 5. Zürich: ETH Zürich Institute of Science, Technology and Policy (ISTP). PDF. https: / / doi.org/ 10.3929/ ethz-b-000388704 (Zugriff am 15.09.2020) [12] Die Schweizerische Post AG(2017): Hohe Akzeptanz für selbstfahrende Fahrzeuge. Bern: Die Schweizerische Post AG. https: / / geschaeftsbericht.post.ch/ 17/ ar/ de/ 08_02-smartshuttle/ (Zugriff am: 15.09.2020) [13] Friebel, P. (2019): Fahrgastbefragung der Linie 708. Zwischenstand zur Akzeptanz eines automatisiert fahrenden Kleinbusses in Wusterhausen/ Dosse. Neuruppin: REG Regionalentwicklungsgesellschaft Nordwestbrandenburg mbH. PDF. www.autonv.de/ wp-content/ uploads/ 2016/ 12/ Zwischenbericht-Fahrgastbefragung-13.12.19.pdf (Zugriff am 15.09.2020) [14] Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (VDV) (2020): Autonome Shuttle-Bus- Projekte in Deutschland. www.vdv.de/ liste-autonome-shuttle-bus-projekte.aspx (Zugriff am 03.09.2020) Philipp Altinsoy Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Frankfurt University of Applied Sciences, Frankfurt am Main philipp.altinsoy@fb1.fra-uas.de Petra Schäfer, Prof. Dr.-Ing. Professorin für Verkehrsplanung, Frankfurt University of Applied Sciences, Frankfurt am Main petra.schaefer@fb1.fra-uas.de Brief und Siegel für Wissenschafts-Beiträge Peer Review - sichtbares Qualitätsinstrument für Autoren und Leserschaft P eer-Review-Verfahren sind weltweit anerkannt als Instrument zur Qualitätssicherung: Sie dienen einer konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung mit Forschungsergebnissen, wissenschaftlichen Argumentationen und technischen Entwicklungen des Faches und sollen sicherstellen, dass die Wissenschaftsbeiträge unserer Zeitschrift hohen Standards genügen. Herausgeber und Redaktion laden daher Forscher und Entwickler im Verkehrswesen, Wissenschaftler, Ingenieure und Studierende sehr herzlich dazu ein, geeignete Manuskripte für die Rubrik Wissenschaft mit entsprechendem Vermerk bei der Redaktion einzureichen. Die Beiträge müssen „Originalbeiträge“ sein, die in dieser Form und Zusammenstellung erstmals publiziert werden sollen. Sie durchlaufen nach formaler redaktioneller Prüfung ein standardisiertes Begutachtungsverfahren, bei dem ein Manuskript in der Regel zwei, in besonderen Fällen weiteren Gutachtern (Referees) aus dem betreffenden Fachgebiet vorgelegt wird. Die Kernpunkte dieses Peer Review- Verfahrens: •• Angenommene Manuskripte gehen an jeweils zwei Gutachter der entsprechenden Fachrichtung anonymisiert zur Begutachtung. •• Gutachter nehmen ihre Begutachtung anhand eines standardisierten Bewertungsbogens vor, kommentieren die Bewertung schriftlich und empfehlen die danach uneingeschränkte Annahme zur Veröffentlichung, die Überarbeitung in bestimmten Punkten oder die Ablehnung. •• Die Redaktionsleitung teilt den Autoren die Entscheidung der Gutachter umgehend mit, bei Bedarf zusammen mit den Überarbeitungsauflagen. Die Gutachten selbst werden nicht an die Autoren weitergeleitet - die Gutachter bleiben also für die Autoren anonym. Interessierte Autoren erhalten die Verfahrensregeln, die allgemeinen Autorenhinweise mit der aktuellen Themen- und Terminübersicht sowie das Formblatt für die Einreichung des Beitrages auf Anfrage per Mail. Diese Informationen stehen auch auf www.internationales-verkehrswesen.de unter dem Menüpunkt „Autoren-Service“ zum Download bereit. KONTAKT Eberhard Buhl, M.A. Redaktionsleiter Internationales Verkehrswesen Tel.: +49 7449 91386.44 redaktion@internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 60 Mobilitätsmonitor Nr. 13 - November 2021 ÖPNV-Nachfrage, Geteilte Mobilitätsangebote, Fahrradverkehr, Abdeckung im SNV WZB und M-Five erstellen ein halbjährliches Monitoring zur klimafreundlichen Mobilität in deutschen Städten. Im Fokus stehen Indikatoren der Verkehrswende im Hinblick auf Alternativen zu Privatautos mit Verbrennungsmotor. Diese 13. Ausgabe zeigt die Fahrgast-Entwicklung im ÖPNV sowie die Entwicklung des Sharing-Marktes im zweiten Corona-Jahr. Zudem werden aktuelle Radzählungen im Vergleich zum Jahr 2019 ausgewertet und die fußläufige Erreichbarkeit von Schienenverkehrshalten untersucht. Christian Scherf, Marcel Streif, Lisa Ruhrort, Mareike Bösl, Julian Emmerich, Andreas Knie, Wolfgang Schade D ie zehn betrachteten Städte haben jeweils eine Einwohnerzahl von ca. 0,5 bis 3,6 Millionen, was zusammen über 11 Millionen Menschen bzw. ungefähr 14 % der deutschen Gesamtbevölkerung ergibt. Für die Analysen wurde je nach Datenlage 1 und Darstellungsart unter den Städten eine Auswahl getroffen. ÖPNV-Nachfrage im zweiten Corona-Jahr Ergänzend zur vorherigen Ausgabe (IV 2/ 2021) wurden die Zeitreihen der Fahrgastzahlen im ÖPNV fortgesetzt. Bild 1 zeigt die prozentualen Fahrgastzahlen 2 gegenüber dem Niveau vor der Corona-Pandemie von Januar 2020 bis August 2021 in Berlin, Hamburg, Stuttgart, München und Essen/ Mülheim. In Berlin, München und Essen/ Mülheim liegen Daten der jeweiligen Verkehrsbetriebe BVG, MVG und Ruhrbahn zugrunde. In Hamburg und Stuttgart beziehen sich die Angaben auf den kompletten Verkehrsverbund, HVV bzw. VVS, der jeweils über die Stadtgrenze hinausreicht. Der Ausgangswert von 100 % ist das Niveau vor dem Rückgang der Fahrgastzahlen ab März 2020. Die nummerierten Markierungen sind eine Auswahl der bundesweiten Corona-Maßnahmen. Deutlich zu erkennen ist der Fahrgastrückgang im ersten Lockdown: Der stärkste Rückgang war in Essen/ Mülheim (ca. - 80- %) und der schwächste in Berlin (ca. - 56- %) zu verzeichnen. Im 3. Quartal 2020 kam es zu einer leichten Erholung, wobei jedoch 80 % in keiner Stadt überschritten wurden. Während des sogenannten „Lockdown light“ im Winter 2020/ 21 kam es abermals zu massiven Fahrgastrückgängen, die teilweise zu einer Halbierung der gewöhnlichen Fahrgastzahlen führten. Trotz erneuter Maßnahmen im Rahmen der „Bundesnotbremse“ trat im zweiten Quartal 2021 eine allmähliche Erholung ein. Bis August 2021 wurde jedoch in keiner Stadt das Vorkrisen-Niveau erreicht. Sharing-Markt im Herbst 2021 Bild 2 zeigt die Entwicklung von Shared-Mobility-Angeboten in den zehn betrachteten Städten seit Ausgabe 12 des Mobilitätsmonitors (IV 2/ 2021). Anders als im Bereich des ÖPNV zeigen sich bei der Angebotslandschaft der Shared-Mobility kaum Hinweise auf negati- DER MOBILITÄTSMONITOR Der Mobilitätsmonitor ist eine gemeinsame Publikationsreihe der Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) gGmbH und der M-Five GmbH Mobility, Futures, Innovation, Economics in Karlsruhe. Wir danken Robin Coenen - Visual Intelligence & Communication - für die grafische Umsetzung und dem Magazin Internationales Verkehrswesen für die Veröffentlichung. Frühere Ausgaben unter: www.internationales-verkehrswesen.de/ dermobilitaetsmonitor Foto: Pascal König / pixabay MOBILITÄT Mobilitätsmonitor Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 61 Mobilitätsmonitor MOBILITÄT ve Effekte der Pandemie. Nur wenige Anbieter haben sich seit der vergangenen Ausgabe vom Markt zurückgezogen, so etwa bei den E-Scooter-Angeboten DOTT aus München, Hamburg und Düsseldorf und der Bikesharing-Anbieter Bond aus Hamburg und München. Carsharing-Anbieter Stadtmobil stellte von einer eigenen Flotte in Düsseldorf auf eine Kooperation mit Greenwheels um. Auffällig ist, dass in mehreren Städten und Sparten neue Anbieter hinzugekommen sind: So etwa das stationslose E-Cargobike-Sharing Avocargo in Berlin. Mit Felyx und GoSharing sind zwei neue Roller-Sharing-Dienste auf dem Markt, und mit Bolt fährt in fünf der betrachteten Städte ein neuer E-Scooter-Anbieter. Im Bereich des Ridepooling ist Moia nach pandemiebedingter Pause wieder in Betrieb. In drei Städten sind Ridepooling-Angebote hinzukommen, die unter dem Dach der lokalen Verkehrsunternehmen betrieben werden. Als operative Partner stehen dahinter verschiedene private Unternehmen. So wurde für Bussi (Essen), Flexa (Leipzig) und Knut (Frankfurt) die DB-Tochter Clevershuttle beauftragt, die unter eigenem Markennamen weiterhin auch in Düsseldorf und Leipzig fährt. Berlkönig (Berlin), Isi (Köln), Sprinti (Hannover) und SSB FLex (Stuttgart) werden von der Firma Viavan operativ betrieben. Insgesamt zeigt sich damit weiterhin eine hohe Dynamik im Markt der Shared-Mobility. Der Markt scheint für neue Anbieter weiterhin attraktiv zu sein. Dies kann als Hinweis auf eine weitgehend stabile Nachfrage trotz Pandemie betrachtet werden. Die neuen Angebote im Bereich des Ridepooling deuten darauf hin, dass die ÖPNV-Aufgabenträger die neuen Möglichkeiten flexibler Angebotsformen auf Basis digitaler Technologien als Elemente eines Nahverkehrsnetzes erproben. Dies steht nicht zuletzt in Zusammenhang mit dem novellierten Personenbeförderungsgesetz, dass seit Inkrafttreten im September 2021 die Genehmigung für nicht-liniengebundene Angebote deutlich erleichtert hat. Radverkehr seit Corona Seit 2020 wird vermehrt von einem „Bike-Boom“ im Kontext der Corona-Pandemie berichtet. Doch spiegeln dies auch die Radzähldaten 3 wieder? Für Bild 3 wurden Daten von automatischen Radzählstationen 4 in Berlin, Köln und München für die Monate Juli und August ausgewertet. Dabei wurden die Veränderungen in 2020 und 2021 mit den Werten des entsprechenden Monats in 2019 ins Verhältnis gesetzt. Die Balken zeigen die Zunahme bzw. Abnahme gegenüber dem jeweiligen Vergleichsmonat in Prozent. Da anzunehmen ist, dass die Radfahrten in engem Bezug zum Wetter stehen, ist zusätzlich über den Balken die Veränderung der Sonnenstundenzahl gegenüber dem Vergleichsmonat angegeben. Die Daten für 2020 zeigen, dass in mehreren Fällen die Radfahrten auch dann zunahmen, wenn sich die Anzahl der Sonnenstunden im Vergleich zu 2019 nicht nennenswert erhöhte oder sogar zurückging. Besonders deutlich ist dies in Berlin, wo es im August und Juli 2020 deutliche Zuwächse gab, obwohl kein oder kaum zusätzliche Sonnenstunden auftraten. In Köln nahmen im August 2020 die Radfahrten gegenüber 2019 um 16 % zu, obwohl die Anzahl der Sonnenstunden um 16 % abnahm. Dies kann als Hinweis auf Effekte der Pandemie-Situation Bild 1: Fahrgastzahlen des ÖPNV seit Januar 2020 in Berlin, Hamburg, Stuttgart, München und Essen/ Mülheim; Basierend auf relativen Monatswerten (HVV, MVG, VVS, Ruhrbahn) und absoluten Quartalswerten (BVG) Quelle: Auskunft der BVG, HVV, MVG, VVS, Ruhrbahn; Recherche: C. Scherf; Grafik: R. Coenen 2020 2021 Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Q2 Q3 1. »Lockdown« (Ende März bis Anfang Mai 2020) 2. »Lockdown light« (Anfang November 2020 bis Anfang März 2021) 3. »Bundesnotbremse« (Ende April bis Ende Juni 2021) 4. »bundesweite 3G-Regel« (Ab Ende August 2021) 1. 2. 3. 4. 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 in % Berlin (nur BVG) Hamburg (gesamter HVV) Stuttgart (gesamter VVS) München (nur MVG) Essen/ Mülheim a. d. Ruhr (nur Ruhrbahn) Relative* ÖPNV-Fahrgastentwicklung im Verlauf des Pandemiegeschehens © M-Five / WZB * 100% bezieht sich auf das Fahrgast-Niveau aus Januar und Februar 2020 Donkey Republic Bond Jump Nextbike Hannah Sigo Call a Bike MVG Rad Avocargo KVB Rad Metropolrad Ruhr SprintRad Donk-EE Bikesharing Frank-e Evo Sharing Emmy Eddy Rollersharing Stella Zoom Sharing Tier rhingo Bird Circ Lime DOTT Wind Tier Spin Felyx Go Sharing E-Scooter Voi Bolt Wheels B M HH K F S E L H D Eingestellt/ Pausiert Aktiv Übernahme Unbekannter Status Cambio Flinkster teilAuto greenwheels Scouter Fischbecker Heidbrook clever Stattauto Stadtmobil Hertz 24/ 7 Robben Wienjes Van Sharing Miles ShareNow book-n-drive Weshare Stadtflitzer Carsharing Status der Sharing-Anbieter Berlin München Hamburg Frankfurt a. M. Köln Stuttgart Essen Leipzig Hannover Düsseldorf Sixtshare Turo Snappcar CleverShuttle BerlKönig ioki Shuttle Moia Shuttle SSB flex Flexa P2P-Carsharing Ridepooling Getaround (ehem. Drivy) Isi © M-Five / WZB Knut Bussi Sprinti B M HH K F S E L H D Herbst 2021 ggü. Frühjahr 2021 Neue Anbieter Cityflitzer Bild 2: Status der Sharing-Anbieter, Stand Herbst 2021 Quelle: Angaben der Anbieter; Recherche: M. Bösl, L. Ruhrort; Grafik: R. Coenen Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 62 MOBILITÄT Mobilitätsmonitor gewertet werden. Die Daten für 2021 zeigen jedoch, dass im zweiten Corona-Jahr in Juli und August keine vergleichbaren Steigerungen erreicht wurden. Eine Ursache hierfür könnte die ungünstige Witterung sein, wie der Rückgang der Sonnenstunden zeigt. Allerdings deutet die stabile Situation der Rad-Mobilität bei gleichzeitigem Rückgang der gesamten Mobilität auf einen relativen Bedeutungszuwachs des Fahrrads hin. Auch in der aggregierten Darstellung für den Zeitraum Januar bis August 2020/ 2021 ist zu sehen, dass die Anstiege im ersten Corona-Jahr sich nur in München annähernd wiederholten (Bild 4). In Berlin fiel der Zuwachs der Fahrten deutlich geringer aus. In Köln ist im Juli sogar ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen. Abdeckung des Schienennahverkehrs im Städtevergleich Jenseits aktueller Ereignisse wie der Corona-Pandemie liegen zentrale Voraussetzungen für eine Mobilitätswende in den dauerhaften baulichen Infrastrukturen. Der schienengebundene ÖPNV gilt oft als Rückgrat des städtischen Nahverkehrs. Er steht oftmals stellvertretend für eine schnelle Verbindung und eine hohe Taktdichte. Doch wie hoch ist der Anteil von Menschen in den Städten, die in unmittelbarer Nähe ihres Wohnorts von einem solchen attraktiven Verkehrsangebot profitieren? Bild 5 zeigt die Städte Stuttgart und Hamburg. In Hellgrau sind jeweils die Stadtgrenzen zu erkennen. In Rot ist das Schienennetz, und die schwarzen Punkte sind Haltestellen des schienengebundenen Nahverkehrs (U-Bahn, S-Bahn, Straßenbahn). In Hellrot wurden um die Haltestellen Einzugsgebiete gelegt. Diese basieren auf der Erreichbarkeit im Fußverkehr innerhalb von 10 Minuten. Die dunkelgrauen Flächen sind bebaute Flächen (Häuser, Industrie, etc.). Die Einzugsgebiete des Schienenpersonenverkehrs wurden jeweils mit der dort wohnenden Bevölkerung verschnitten. Diese wurde anhand des Global Human Settlement Layers (GHSL) berechnet. Der GHSL verbindet Volkszählungsdaten mit hochauflösenden Satellitenaufnahmen, um die Bevölkerung in 250 m mal 250 m große Zellen einzuteilen. Die Tabelle in Bild 5 zeigt die Ergebnisse für die untersuchten Städte, jeweils mit derselben Methode. Es ist eine starke Varianz zwischen den Städten zu erkennen. Diese wird durch die verschiedenen örtlichen Gegebenheiten, historisch gewachsenen Strukturen oder politischen Entscheidungen beeinflusst. Stuttgart hat mit 70 % der Stadtbevölkerung innerhalb der 10-minütigen Fuß-Isochronse eine vergleichsweise hohe Abdeckung. Dieser Umstand rührt vermutlich von der geographischen Gegebenheit vor Ort her. Aufgrund der Kessellage konzentriert sich die Bevölkerung auf bestimmte Achsen, welche durch die Schiene gut bedient werden können. Hamburg hat, von den betrachteten Städten, die mit Abstand geringste Abdeckung. Dies ist dem historischen Verhältnis Hamburgs zur Schieneninfrastruktur geschuldet. Hamburg setzte Mitte des letzten Jahrhunderts vermehrt auf U-Bahn und Bus und baute die Straßenbahn zurück. 25% 100% (Juli 2019) 2020 2021 25% 4% -20% -4% 9% 1% Veränderung im Radverkehrsaufkommen (Juli und August) Juli -1 -2 -29 +15 -17 +4 100% (August 2019) 15% -3% 16% 15% 3% ±0 -34 -16 -41 +3 -20 Berlin (16 Stationen) Köln (11 Stationen) München (5 Stationen) -6% August Sonnenstunden in % Berlin (16 Stationen) Köln (11 Stationen) München (5 Stationen) © M-Five / WZB 100% (Jan.-Aug. 2019) Berlin (16 Stationen) Köln (11 Stationen) München (5 Stationen) 2020 2021 18,5% 6% -3,5% 9,3% 16,9% 13,2% © M-Five / WZB Januar-August Veränderung im Radverkehrsaufkommen Bild 3: Radfahrten und Sonnenstunden im Juli/ August 2020 und 2021 gegenüber Juli/ August 2019 Quelle: Eco Counter/ Senat Berlin (2021), Eco Counter/ Stadt Köln (2021), Stadt München (2021), WetterKontor (2021), eigene Berechnungen & Darstellung; Recherche & Grafik: J. Emmerich, R. Coenen Bild 4: Änderung der Radfahrten im ersten Halbjahr 2020 und 2021 gegenüber dem ersten Halbjahr 2019 Quelle: Eco Counter/ Senat Berlin (2021), Eco Counter/ Stadt Köln (2021), Stadt München (2021), WetterKontor (2021), eigene Berechnungen & Darstellung; Recherche & Grafik: J. Emmerich, R. Coenen Haltestelle Schienennetz 10 min Isochrone bebaute Fläche Stadtgrenze Abdeckung des Schienennahverkehrs 59% 30% 66% 55% 65% 70% 76% 57% © M-Five / WZB Berlin Hamburg München Köln Frankfurt Stuttgart Leipzig Essen Bild 5: Zehnminütige Fußwege-Isochrone um Stationen des Schienennahverkehrs in Stuttgart, sowie eine Tabelle der abgedeckten Bevölkerung in zehnminütigen Einzugsgebieten zum Schienennahverkehr Quelle: OSM, ORS, GHSL; Recherche: M. Streif; Grafik: R. Coenen Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 63 Mobilitätsmonitor MOBILITÄT Fazit Die hier gezeigten Daten zeigen ein gemischtes Bild von Trends im Kontext der Corona-Pandemie. Der ÖPNV konnte sich bisher noch nicht von den negativen Effekten erholen. Trotz zwischenzeitlicher Verbesserung der Fahrgastzahlen im ÖPNV lagen die Werte im August 2021 noch immer ca. 20 bis40 Prozentpunkte unter dem Vorkrisen-Niveau. Zum Zeitpunkt der Erhebung war noch offen, wie sich die Verläufe nach Einführung der bundesweiten „3G-Regel“ weiterentwickeln. Bei einer Verschärfung der Corona-Lage zum Jahresende 2021 steht zu befürchten, dass die Auslastung nach den beiden Lockdowns ein drittes Mal einbricht. Im Fahrradverkehr zeigen sich Hinweise auf eine Abschwächung der Steigerungsraten, die im Boom-Jahr 2020 erreicht wurden - was allerdings auch am ungünstigeren Wetter liegen könnte. Die Ausnahme von den drei betrachteten Städten bildet München, wo im Sommer ähnliche Steigerungsraten wie in 2020 erzielt wurden. Der Sharing-Markt scheint weiterhin stabil durch die Krise zu kommen. Das Spektrum der Angebote erweitert sich. Einige dieser Angebote, z. B. Bike -und Scootersharing, könnten zukünftig dazu dienen, mehr Menschen eine schnelle Erreichbarkeit von Schienennahverkehrshalten zu ermöglichen. Dass diese in einigen Städten noch verbesserungsbedürftig ist, zeigte die Isochronen-Darstellung. Kontakt WZB: lisa.ruhrort@wzb.eu M-Five: christian.scherf@m-five.de ■ 1 Die Erhebungen erfolgten nach den Standards des wissenschaftlichen Arbeitens, dennoch kann keine Gewähr für die Genauigkeit und Vergleichbarkeit übernommen werden. Dies gilt insbesondere für Daten Dritter. Bei lückenhaften Datenlagen wurden zum Teil Mittel- und Schätzwerte gebildet, so dass die Ergebnisse als Näherungen zu verstehen sind. 2 Die prozentuale Fahrgastauslastung wurde aus den Angaben der jeweiligen Verkehrsbetriebe und -verbünde ermittelt. Die Angaben bestehen aus unterschiedlichen Zeitintervallen sowie teils aus absoluten und teils aus relativen Angaben, die zu Darstellungszwecken vereinheitlicht wurden. Bei den Kurvenverläufen ist zu berücksichtigen, dass pro Stadt eine unterschiedliche Anzahl an Messpunkten vorliegen und die Schwankungen nicht ausschließlich durch Corona verursacht werden (z. B. können Schulferien zu zeitweisen Rückgängen beitragen). 3 Weitere Monatsauswertungen zum Fahrradverkehr in Berlin, München und Köln sind in der M-Five Policy & Futures Note Nr. 3 veröffentlicht (online unter: https: / / t1p.de/ m5-note3). 4 Jede Station zählt über Sensoren die Anzahl der vorbeifahrenden Fahrräder getrennt nach Fahrtrichtung. Für die Analyse wurden pro Station sämtliche Radfahrten in der angegebenen Zeit unabhängig von der Fahrtrichtung ausgewertet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der geringen Stationszahlen kleinräumige Effekte - etwa durch Baustellen - auftreten können, die eine Interpretation der Daten erschweren. Für Berlin und Köln wurde jeweils eine Radzählstation nicht in die Auswertung einbezogen, da Baustellen das Ergebnis stadtweit erheblich beeinflussten. QUELLEN Brockmann, D.; Gottwald S.; Jack, O.; Siegmund M.; Schlosser, F.; Zachariae, A. (2021): Covid-19 Mobility Project. Robert-Koch-Institut, zuletzt aufgerufen am 23. September 2021 unter: https: / / t1p.de/ p8zd Eco Counter/ Senat Berlin (Hrsg.) (2021): Verkehrsmanagement Berlin. Eco Counter GmbH/ Senat für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz von Berlin, zuletzt aufgerufen am 22. September 2021 unter: https: / / t1p.de/ ecoberlin. Eco Counter/ Stadt Köln (Hrsg.) (2021): Raddauerzählstellen Radverkehr Köln. Eco Counter GmbH/ Stadt Köln. Zuletzt aufgerufen am 22. September 2021 unter: https: / / t1p.de/ eco-cologne. ORS Isochronen Daten: © openrouteservice.org by Heidelberg Institute for Geoinformation Technology (HeiGIT). OSM Karten Daten: © OpenStreetMap contributors. Schiavina, M.; Freire, .S.; MacManus, K. (2019): GHS population grid multitemporal (1975, 1990, 2000, 2015) R2019A. European Commission, Joint Research Centre (JRC). Stadt München (Hrsg.) (2021): Daten der Raddauerzählstellen München. Open-Data-Portal der Landeshauptstadt München, zuletzt aufgerufen am 22. September 2021 unter: https: / / t1p.de/ open-data-munich. WetterKontor (Hrsg.) (2021). Monats- und Jahreswerte für Deutschland. WetterKontor GmbH, zuletzt aufgerufen am 22. September 2021 unter: https: / / t1p.de/ wetterkontor. Mobilitätsmonitor - frühere Ausgaben im Überblick Der Mobilitätsmonitor erscheint zweimal jährlich und wird im Fachmagazin Internationales Verkehrswesen jeweils in den Ausgaben 2 (Mai) und 4 (November) veröffentlicht. Frühere Monitor-Ausgaben stellen Ihnen Projektpartner und Verlag online auf der Webseite zur Verfügung. 6. Mobilitätsmonitor - Mai 2018 Personenverkehrsmarkt: Modale Sicht; Fläche, Einwohner und PKW in deutschen Großstädten; Fahrzeug- und Platzpotenzial in Städten; Fahrzeitvergleich von Mobilitätsoptionen; Elektromobilität und Ladeinfrastruktur 7. Mobilitätsmonitor - Nov. 2018 ÖPNV: Personenfahrten und Abonnements; Intermodalität; Shared Mobility in deutschen Großstädten; Nachhaltige Mobilität, Radzählungen und Temperaturverläufe 8. Mobilitätsmonitor - Mai 2019 Mobilität in ausgewählten Großstädten. Im Fokus stehen Zeit- und Flächenvergleiche zwischen MIV und ÖPNV. 9. Mobilitätsmonitor - Nov. 2019 Entwicklung des Sharing-Marktes mit neuen Anbietern und wachsenden Flotten. Weitere Themen sind der Beschäftigungsumfang und die Anteile von Ein- und Auspendlern. 10. Mobilitätsmonitor - Mai 2020 Entwicklung von Stadt- und Straßenbahnen am Beispiel deutscher Großstädte; Marktdynamik im Bereich Sharing anhand einer Erhebung der Flottengröße; Mietwagen- und Taxiangebot; Einzugsgebiete des schienengebundenen Nahverkehrs zu Fuß und per Rad mittels Isochronen in Frankfurt a. M. 11. Mobilitätsmonitor - Nov. 2020 Trends der letzten Corona-Monate: Veränderungen des städtischen Fahrradverkehrs; Wirkungen auf den Markt des Fahrzeugverleihs im Sharing-Sektor; Markthochlauf von Elektroautos 12. Mobilitätsmonitor - Mai 2021 Fahrgast-Rückgang im ÖPNV sowie Entwicklung des Sharing- Marktes im Corona-Krisenjahr; Radzählungen und Neuzulassungen von E-PKW von 2020 verglichen mit dem Vorjahr. www.internationales-verkehrswesen.de/ der-mobilitaetsmonitor Foto: Klaus Pobering / pixabay Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 64 MOBILITÄT Fußverkehr Emotionen beim Zufußgehen im urbanen Raum Einflüsse eines alltäglichen Fußwegs auf das mentale Wohlbefinden in Berlin Fußverkehr, Emotionen, Wahrnehmung, Angstraum, Raumstrukturen, Emotionsmessung Bei der aktiven Mobilität, also dem Rad- und Fußverkehr, spielen Umwelteinflüsse eine besondere Rolle. Insbesondere Zufußgehende sind durch die langsamere Geschwindigkeit ununterbrochen dem Einfluss der direkten Umgebung ausgesetzt und nehmen negative Umwelteinwirkungen wie beispielsweise Straßenlärm oder Kriminalitätsgefahr wahr. Die Umgebungsstimuli des Stadtraums lösen somit bei Zufußgehenden unterschiedliche Emotionsreaktionen aus und beeinflussen das mentale und physische Wohlbefinden. In diesem Beitrag wird anhand quantitativer und qualitativer Methoden untersucht, welche objektiv messbaren Emotionsreaktionen während eines Fußwegs auftauchen, welche Zusammenhänge zu räumlichen Merkmalen abgeleitet werden können und inwiefern sich die körperlichen Reaktionen mit der subjektiven Einschätzung der Probanden decken. Shari Merzoug, Julia Jarass D as Zufußgehen stellt eine tägliche und fast universell genutzte Form der Mobilität dar. Nach Hillnhütter [1] ist der Fußverkehr eine individuelle, direkte Sinneserfahrung und kann der Kategorie „Outdoor-Mobilität“, wie auch das Radfahren, zugeordnet werden. Im Gegensatz dazu verkörpert das Autofahren eine „Indoor-Mobilität“. Der Unterschied zwischen den beiden Kategorien liegt darin, dass beim Zufußgehen alle fünf Sinnesorgane beansprucht werden und die Umgebungseinflüsse somit intensiver und differenzierter aufgenommen werden [1, 2]. Zudem sind Zufußgehende den Reizen der Umwelt ständig und unausweichlich ausgesetzt, da es ihnen nur schwer möglich ist, ihre Sinne „abzustellen“, um so den dauerhaft negativen Umwelteinwirkungen wie beispielsweise Straßenlärm oder Kriminalitätsgefahr „entfliehen“ zu können [1]. Somit sind Zufußgehende den Reizen der Umwelt unmittelbarer und beständiger ausgesetzt als bei jeder anderen Art der Mobilität [3]. Umgebungsstimuli des Stadtraums lösen bei Zufußgehenden individuell unterschiedliche Emotionen aus [1]. Die Art und Häufigkeit der hervorgerufenen Emotionen können entscheidend sein, denn sie beeinflussen das mentale und physische Wohlbefinden. Generell kann das häufige Erfahren von negativen Emotionen wie beispielsweise Stress zu chronischem Stress führen, der ein Risikofaktor für die Entwicklung von verschiedenen psychischen Erkrankungen [4, 5] oder anderen physischen Auswirkungen wie Atembeschwerden, Herz-Kreislauf- Störungen sowie Panikattacken darstellt [6]. Dementsprechend ist es wichtig, die Sinneswahrnehmung der Umwelt und die körperlichen Auswirkungen beim Zufußgehen zu betrachten. Bisher wird in der Stadt- und Verkehrsplanung die emotionale Komponente des Fußverkehrs oft unterschätzt und nur wenig berücksichtigt [7]. Diese Untersuchung soll mithilfe eines „Mixed-Methods“-Ansatzes am Fallbeispiel einer vorgegebenen Fußwegstrecke mit verschiedenen räumlichen Strukturen untersuchen, inwiefern sich Emotionsreaktionen auf Reize der urbanen Umwelt verorten lassen und inwiefern objektive Sensormessungen der Emotionsreaktionen von subjektiven Gefühlswahrnehmungen gestützt werden können. Zufußgehen im Stadtraum als multisensorische Erfahrung Im psychosozialen Kontext ist das Durchqueren des öffentlichen Stadtraums zu Fuß eine individuelle multisensorische Erfahrung der Umgebung [8]. Es gilt, je langsamer die Schrittgeschwindigkeit, desto detaillierter der Eindruck der Umwelt [9]. Die menschlichen Sinnesorgane stellen dabei eine Verbindung zwischen unserem Gehirn und der umgebenden Realität her. Jedoch erhält das menschliche Gehirn von den fünf Sinnesorganen ungleiche Mengen an Informationen über die Umwelt. Es wird davon ausgegangen, dass 80 % aller Sinnesinformationen visuell erfolgen [10]. Demzufolge dominiert die visuelle Komponente des Stadtraums bei allen Reizen, die Zufußgehende aus der Umgebung aufnehmen [1]. Die Umgebungsstimuli, die beim Gehen durch die menschlichen Sinnesorgane aufgenommen werden, verarbeitet das Gehirn in neurologischen, kognitiv-affektiven Bewertungsprozessen. Dabei werden physiologische Reflexe ausgelöst, die man als Emotionsreaktionen bezeichnet. Sie stellen eine individuelle, körperliche Antwort auf aufgenommene Stimuli dar [11]. Die städtischen Umgebungsstimuli erzeugen bei Zufußgehenden neben Emotionsreaktionen auch subjektiv wahrnehmbare Gefühle. Hillnhütter [1] stellt einen Zusammenhang zwischen Charakteristika der städtischen Umgebung und den Emotionen von Zufußgehenden fest. Demnach beeinflusst die Umgebung die Emotionen von Menschen und damit auch die Wahrnehmung des Zufußgehens. Ein besonderer Fokus liegt in der Stadtforschung bisher auf der Entstehung von Angst innerhalb des städtischen Raums. „Angsträume“ werden als subjektiv wahrgenommene Bereiche definiert, die durch die Abwesenheit sicherheitsrelevanter Aspekte auffallen [12]. Folglich fühlen sich Zufußge- Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 65 Fußverkehr MOBILITÄT hende darin häufig unwohl oder bedroht. Dies kann beispielsweise aufgrund der Furcht vor Kriminalität oder gefühlter Gefährdung durch den Stadtverkehr entstehen [13]. Für die Entstehung eines Angst- oder Unsicherheitsgefühls beim Zufußgehen hängt die objektiv messbare Sicherheit wie die Anzahl an lokalen Gewalttaten oder Verkehrsunfällen wenig oder nur schwach mit dem subjektiven Sicherheitsempfinden zusammen [14, 15, 16]. Meist fällt das subjektive Sicherheitsempfinden dabei geringer aus als die objektiv gegebene Sicherheit [17, 18]. Um einen Angstraum zu vermeiden, werden verschiedene Strategien herangezogen. Beispielsweise wird eine andere Route gewählt, auf ein anderes weniger vulnerables Verkehrsmittel zurückgegriffen oder der Weg gänzlich vermieden. Im Extremfall kann dies dazu führen, dass die individuelle Mobilität eingeschränkt und die gesellschaftliche Teilhabe gemindert werden [13, 19]. Besonders eingeschränkt von Gefühlen der Unsicherheit sind Frauen, Personen der LGBTQ+-Community, Kinder sowie alte und mobilitätseingeschränkte Menschen [20, 21, 22]. Methodisches Vorgehen In Berlin-Wedding wurde eine Route ausgewählt, die in etwa 30 Minuten abgelaufen werden konnte und diverse räumliche Charakteristika beinhaltet (u. a. Hauptstraßen, Nebenstraßen, Grünflächen). Drei weibliche und drei männliche Probanden im Alter zwischen 22 und 28 Jahren wurden mit einem „Smartband“ von Bodymonitor ausgestattet, welches die sekundengenaue Messung von Emotionsreaktionen in Bewegung ermöglicht. Das Smartband misst am Handgelenk die elektrodermale Aktivität, also das Verhältnis von Hautleitfähigkeit und -temperatur sowie die Lufttemperatur [23]. Aufgrund eines technischen Problems lagen jedoch keine Ergebnisse für einen der Probanden vor. Die methodische Vorgehensweise ist an den Ansatz von Zeile und Schlosser [24] angelehnt, die vor dem Hintergrund des „Urban Emotions“-Projekts zu Angstträumen und Stressempfinden im urbanen Kontext geforscht haben [24, 22]. Hinsichtlich der Emotionsreaktionen wurde eine Emotionsklassifikation für die Daten der elektrodermalen Aktivität durchgeführt. Diese erfolgte durch das Bodymonitor-Institut mittels eines entwickelten Algorithmus (Bodymonitor Portfolio 2019). So konnten hohe Erregungsreaktionen des „appetetive arousal“ und „aversive arousal“ identifiziert werden. Anhand dessen wurden die vier Basisemotionen „Angst“, „Ärger/ Stress“, „Freude“, „Interesse/ Neugier“ klassifiziert, sowie die niedrige Erregungsreaktion „Balance“ oder „Homeostasis“ - ein wachsamer und wohlbefindlichen Zustand [25]. Zusätzlich wurde der Weg mithilfe der DLR Moving-Lab-App getrackt [26, 27] und visuell über eine auf Brusthöhe angebrachte Go-Pro-Kamera aufgezeichnet, um Artefakte, die über die Gestaltung des Stadtraumes hinausgehen, isoliert betrachten zu können [24]. Die Daten des GPS-Trackings werden mit den gemessenen Emotionsreaktionen kombiniert, sodass für jede Person die Emotionsreaktionen räumlich verortet werden können. Anschließend wurden retrospektive qualitative Interviews mit den Teilnehmenden durchgeführt, um die subjektive Wahrnehmung der eigenen Gefühle während der Route zu erfassen. Ergebnisse Die geocodierten Emotionsreaktionen zeigen, dass sie nicht grundsätzlich auf räumlich erkennbare Trigger zurückzuführen sind, da kaum oder nur wenige Raumsegmente auszumachen sind, bei denen eine der Basisemotion deutlich dominiert (Bild-1). In erster Linie geht es hier um die Länge einer Responsekette, denn eine direkte, raumzeitliche Abfolge mehrerer Responses einer Emotion hintereinander ist aussagekräftiger als eine räumlich isolierte Reaktion mit hohem Wert. Dieser Befund könnte an der Tatsache liegen, dass Emotionsreaktionen nicht nur von externen, sondern auch internen Triggern wie beispielsweise Gedanken in Zusammenhang mit der momentanen Stimmungslage ausgelöst werden können [25, 28]. Zudem entscheidet der psychosoziale Hintergrund, also beispielsweise der Grad an Emotionalität als individueller Wahrnehmungsfilter, ob und welche Art von Emotionsreaktionen durch materielle oder nicht-materielle Stimuli, wie Gedanken, Geschehnisse, Situationen getriggert werden können [29, 30]. Zeile [31] geht davon aus, dass Emotionsreaktionen beim Zufußgehen vor allem von situativen Umgebungsbedingungen wie Wetterlage, Verkehrsdichte, Verkehrslärm, Qualitätszustand von Straßen sowie aufgrund der dominierenden Architektur im urbanen Raum beeinflusst werden. Trotz der wenigen Übereinstimmungen von objektiver Emotionsmessung und individuell erfahrenem Gefühlszustand kann die Messung von Emotionen für die Beforschung des Fußverkehrs wichtig sein: Im Detail lassen sich Segmente beziehungsweise Elemente ausmachen, bei denen subjek- Bild 1: Emotionsreaktionen während des Zufußgehens auf der vorgegebenen Route Quelle: eigene Darstellung, Kartengrundlage google maps Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 66 MOBILITÄT Fußverkehr tive Aussagen oder die Auswertungen des visuellen Monitorings von den objektiven Emotionsmessungen gestützt werden können. Daraus können folgende Vermutungen und Verdachtspunkte abgeleitet. Straßenkreuzungen Für einen Großteil der Teilnehmenden sind beim visuellen Auswerten der Karten mehrere Angst- und Ärger-Responses in den Segmenten der Straßenkreuzungen zu erkennen (Bild 2 rechts). Hierbei lohnt es sich auch die Emotionsreaktion „Balance“den wachen „Wohlfühlzustand“zur Betrachtung heranzuziehen. Diesbezüglich sind bei den meisten der untersuchten Personen Unterbrechungen der Balance-Responsekette in den Bereichen von Straßenübergängen erkennbar, was somit Momente des Ausbleibens eines aufmerksamen Wohlbefindens der jeweiligen Personen bezeichnet (Bild 2 links). Diese Ergebnisse werden von den subjektiven Wahrnehmungen der Teilnehmenden gestützt: In den Interviews wurden die Kreuzungen und Straßenübergänge als Orte des Unwohlseins beschrieben, bei welchen eine permanent erhöhte Aufmerksamkeit notwendig sei. Dies liege an dem hoch frequentierten und nur schwer einschätzbaren Autoverkehr sowie dem Fehlen von eindeutig gekennzeichneten Fußgängerbereichen (Bild 2). Orientierung Weiterhin können Momente der Orientierungslosigkeit in Verbindung mit Emotionsreaktionen von Angst und Ärger sowie mit dem Aussetzen des Balance-Zustandes ausgemacht werden: Bild 3 (rechts) zeigt die Kartierung der Angst- und Ärger-Reaktionen während der Forschungsroute eines Teilnehmers. Bei der Überprüfung des Videomaterials der Go-Pro-Kamera sind für einen großen Anteil der Reaktionen Momente des Orientierens wie beispielweise das Anhalten, Umschauen, längeres Betrachten der Wegekarte und Lokalisieren von Straßenschildern zu erkennen (Bild 3 links). Somit können Probleme bei der Orientierung negative Emotionsreaktionen wie Angst oder Ärger/ Stress auslösen. In diesem Fall sind die Orientierungsmomente vorrangig der Forschungssituation geschuldet, da keiner der Teilnehmenden mit der Forschungsroute vertraut war. In den Aussagen der subjektiven Wahrnehmung fällt jedoch auf, dass räumliche Segmente wie U-Bahneingänge mit Problemen der Orientierung belegt und von den Teilnehmenden als „sehr verwirrend“ und „stressig“ empfunden wurden. Dementsprechend wünschte sich ein Großteil der Partizipierenden eine bessere Ausschilderung zu und innerhalb der U-Bahnstationen. Da sich negative Auswirkungen des Orientierens in den objektiven Messungen, sowie auch den subjektiven Wahrnehmungen nachweisen lassen, könnte eine regelmäßigere und besser sichtbare Ausschilderung einen Lösungsansatz bieten, um vermeidbaren alltäglichen Stadtstress/ -erfahrungen entgegenzuwirken. Beschilderungen zur nächsten U-Bahnstation könnten hierbei schon weit vor den eigentlichen Stationen beginnen, um ein breites „Orientierungsnetz“ zu schaffen. Diese Erkenntnis ist mittlerweile fester Bestandteil des Berliner Mobilitätsgesetzes (2018) und könnte von den Vermutungen dieser Forschung gestützt werden. Geschlechterspezifische Unterschiede Interessant ist, dass sich Unterschiede zwischen den Emotionsreaktionen der weiblichen und männlichen Teilnehmer erkennen lassen. Aufgrund der geringen Fallzahl ist dies allerdings nur als mögliche Tendenz zu betrachten, die weiterer Erforschung bedarf. Bei den männlichen Probanden sind seltener Emotionsreaktionen messbar als bei den weiblichen Probandinnen (Bild 4). Analog dazu zeigt sich, dass die Variable Bild 2: Balance-Zustand und Emotionsreaktionen von zwei Teilnehmerinnen Quelle: eigene Darstellung, Kartengrundlage google maps Bild 3: Emotionsreaktionen (Angst und Ärger) und Orientierungsmomente Quelle: eigene Darstellung, Kartengrundlage google maps Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 67 Fußverkehr MOBILITÄT „Balance“ - also der wachsame und wohlbefindliche Zustand - unter den männlichen Teilnehmern eine dichtere Abfolge aufweist und von weniger Unterbrechungen gekennzeichnet ist. Auf Basis dieser Beobachtung könnte vermutet werden, dass Frauen zum Teil eventuell sensibler auf ihre Umwelt reagieren und daher stärker vom öffentlichen Raum beansprucht und in ihrem psychischen Wohlbefinden beeinflusst werden. Diskussion und Ausblick Insgesamt zeigt sich mithilfe von objektiv messbaren Emotionsreaktionen, dass deutliche Einflüsse der Umwelt beim Zufußgehen vorliegen. Emotionsreaktionen - also Angst, Ärger/ Stress, Freude, Interesse/ Neugier bzw. die Abwesenheit dieser Emotionsreaktionen schwanken während eines Fußweges. Dies unterstreicht, dass sich Zufußgehende nur schwer Umweltreizen entziehen können, da sie ihnen direkt und unmittelbar ausgesetzt sind. Insbesondere bei Straßenüberquerungen mit und ohne Ampelregelung sind negative Emotionsreaktionen bzw. das Ausbleiben eines entspannten Zustands zu erkennen. Somit scheinen Zufußgehende beim Überqueren von Straßen körperlich potenziell gestresst, ängstlich und nervös zu sein, was auf Dauer eine psychische Belastung darstellen kann. Dies verdeutlicht einmal mehr den wesentlichen Einfluss des motorisierten Verkehrs auf das individuelle Wohlbefinden und die Gesundheit im Bereich des Fußverkehrs. Auch in Situationen der Orientierung (z. B. Karte lesen, Übergang zum öffentlichen Nahverkehr) sind negative Emotionsreaktionen erkennbar. Hier kann eine intuitive Beschilderung und Routenführung durch Farben, Begrünung und Sichtachsen die Orientierung im Stadtraum erleichtern. Zudem wurden bei den weiblichen Teilnehmerinnen der Untersuchung grundsätzlich häufiger Emotionsreaktionen gemessen, wohingegen bei männlichen Teilnehmern häufiger ein wachsamer und wohlbefindlicher Zustand messbar war. Hier sind weitere Analysen mit einer größeren Stichprobe notwendig, um generalisierte Aussagen treffen zu können. Somit würde sich auch über messbare körperliche Reaktionen abzeichnen, dass Frauen anders auf ihre Umwelt reagieren als Männerr. Dies muss in die feministische Stadt- und Verkehrsplanung entsprechend integriert und ein Fokus auf sichere Stadträume gelegt werden [13, 20]. Bei der Kombination von quantitativen und qualitativen Methoden zeigt sich, dass auch Diskrepanzen zwischen den messbaren körperlichen Emotionsreaktionen und der subjektiven retrospektiv berichteten Wahrnehmung bestehen. So konnten beispielsweise Wegstrecken identifiziert werden, die subjektiv mit stark wahrgenommenen Gefühlen verbunden wurden, jedoch keine objektiv messbaren Emotionsreaktionen feststellbar waren und umgekehrt. Diese Diskrepanz kann dadurch erklärt werden, dass innerhalb des sozialpsychologischen Emotionskonstrukts gemessene Emotionsreaktionen nicht unbedingt mit psychisch bewusst erlebten Gefühlen zusammenfallen. Die Mehrheit der emotionalen Reaktionen erfolgt unbewusst. Gefühle und somit auch die subjektive Wahrnehmung der Teilnehmenden repräsentieren eine individuelle Interpretation bestimmter körperlicher Emotionsreaktionen, welche häufig auf mehreren komplexen Ebenen stattfindet [32, 33]. Gleichwohl beeinflussen auch unbewusst erlebte Emotionsreaktionen die mentale Gesundheit, so dass die Er- Bild 4: Unterschiede der Emotionsreaktionen zwischen männlichen und weiblichen Teilnehmenden Quelle: eigene Darstellung, Kartengrundlage google maps Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 68 MOBILITÄT Fußverkehr forschung von Emotionsreaktionen im urbanen Kontext von Bedeutung ist [5, 6]. Trotz der schwierigen Eingrenzung und Isolierung räumlicher Einflüsse für bestimmte Emotionsreaktionen zeigt sich, dass eine Annäherung an das Erleben der gebauten Umwelt beim Zufußgehen durch die Verknüpfung verschiedener Methoden möglich ist. Um Kausalitäten identifizieren zu können, wäre es wünschenswert die Untersuchung von objektiv messbaren Emotionsreaktionen und der subjektiven Wahrnehmung der Umgebung beim Zufußgehen anhand einer größeren und soziodemographisch diversen Stichprobe durchzuführen. Um die Robustheit der messbaren Emotionsreaktionen in Bezug auf die Raum- und Infrastruktur zu analysieren, wäre zudem die wiederholte Messung von körperlichen Reaktionen einer Person auf derselben Route zu unterschiedlichen Zeiten sinnvoll. ■ QUELLEN [1] Hillnhütter, H. (2016): Pedestrian Access to Public Transport. PhD Thesis no. 314. Department of Industrial Economics, Risk Management, and Planning. Stavanger: University of Stavanger. [2] Monheim, H.; Monheim-Dandorfer, R. (1990): Straßen für alle. Analysen und Konzepte zum Stadtverkehr der Zukunft. Hamburg: Rasch und Röhring. [3] Fruin, J. (1979): Pedestrian Transportation. In: Gray, G. E. and Hoel, L. A. (Hrsg.): Public Transportation Planning, Operations and Management. 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(DLR), Berlin-Adlershof shari.merzoug@dlr.de Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 69 Verkehrswende MOBILITÄT Homeoffice-Konzepte zur-Regulierung des Berufsverkehrs Studie am Beispiel der Stadt Stuttgart Homeoffice, Verkehrsreduzierung, Verkehr, Urbane Mobilität Infolge der Corona-Pandemie hat sich Homeoffice zu einem etablierten Mittel der Pandemiebekämpfung entwickelt. Aktuelle Mobilitätsdaten der Stadt Stuttgart zeigen, dass die Homeoffice-Empfehlung der Bundesregierung zu einer Reduzierung des Verkehrsaufkommens geführt hat. Um diesen positiven ökologischen Effekt nach Corona beizubehalten, untersucht diese Arbeit mithilfe einer Literaturanalyse Studien und Maßnahmen, die den Nutzungsgrad von Homeoffice erhöhen. Die Maßnahmen werden in einem Katalog aufgearbeitet und hinsichtlich ihres Nutzens bewertet. Eine breite Nutzung von Homeoffice kann sich positiv auf den Verkehr auswirken, jedoch müssen weitere Maßnahmen ergriffen werden, um eine nachhaltige Verkehrswende zu erzielen. Nathalie Heimsch, Vanessa Meyer, Dieter Uckelmann D urch die fortschreitende Urbanisierung werden Städte aufgrund des zunehmenden Verkehrs belastet. Inzwischen lebt über die Hälfte der weltweiten Bevölkerung in Städten [1]. Dadurch entstehen Probleme wie Luft-, Lärm- und Verkehrsbelastungen, die die Gesundheit und das Leben der städtischen Bevölkerung und die Umwelt gefährden. Vor allem in Städten mit einem hohen Anteil an Industrieunternehmen stellt die Anzahl der VerkehrspendlerInnen eine starke Belastung dar. Zu diesen Städten gehört unter anderem die baden-württembergische Landeshauptstadt Stuttgart, die in den letzten Jahren ebenfalls durch Luftschadstoffbelastung und hohes Verkehrsaufkommen im Fokus der Medien stand. Um diesen Trend zu brechen, werden deutschlandweit innovative Lösungsansätze gesucht, die die Mobilität der Menschen reduzieren oder entzerren. Seit Beginn der Covid-19-Pandemie im Jahr 2020 hat vor allem das Homeoffice als Maßnahme zur Pandemiebekämpfung an Bedeutung gewonnen. Laut einer Untersuchung des ADAC ist die Anzahl der Personen, die an fünf Tagen pro Woche zur Arbeitsstätte fährt von 66 % vor der Pandemie, auf durchschnittlich 34 % während der Pandemie innerhalb des Jahres 2020 gesunken [2]. Zahlreiche Studien belegen, dass ein Rückgang der Mobilität während der Pandemie gleichzeitig zu einer Reduzierung der Schadstoffbelastung in einigen Städten geführt hat [3]. Auch in der Landeshauptstadt Stuttgart konnten seit März 2020 die Luftschadstoffe bedeutend gesenkt werden, was sich unter anderem auf die Verkehrsreduzierung zurückführen lässt [4]. Langfristig kann eine weiterführende Umsetzung von Homeoffice als zusätzliche Maßnahme zur Luftreinhaltung und Verkehrsreduzierung bzw. -entzerrung genutzt werden. Ziel dieses Artikels ist es, anhand einer Literaturanalyse zu überprüfen, ob bereits Homeoffice-Modelle als Instrument der Verkehrsentzerrung existieren und welche Maßnahmen seitens der Städte und Unternehmen zur breiten Nutzung von Homeoffice motivieren können. Zu Beginn wird die Ist-Situation der Mobilitätsstruktur der Landeshauptstadt Stuttgart analysiert sowie Auswirkungen der breiten Homeoffice-Nutzung während der Covid-19-Pandemie auf die Verkehrsbelastung erläutert. Anschließend wird allgemein auf die positiven Verkehrsauswirkungen von Homeoffice eingegangen. Daraus schließend werden anhand einer Stichwortsuche in diversen Datenbanken Maßnahmen zur Umsetzung von Homeoffice aus Sicht der Politik und der Unternehmen ermittelt. Diese Maßnahmen werden abschließend kategorisiert und bewertet. Im Fazit wird ein kritischer Zukunftsausblick gegeben. Status quo - Landeshauptstadt Stuttgart Im Jahr 2020 gab es rund 1,4 Millionen Beschäftigte mit Wohn- oder Arbeitsort in der Region Stuttgart. Davon sind etwa 16 % EinpendlerInnen, während weitere 25 % innerhalb der Region in einen anderen Kreis pendeln [5]. Innerhalb des Stadtkreises Stuttgart (ca. 630.000 Einwohner, Stand 2021) ist die hohe Anzahl von EinpendlerInnen signifikanter. Im Jahr 2017 waren 524.000 Personen im Stadtgebiet Stuttgart beschäftigt, davon pendelten 60 % von außerhalb nach Stuttgart, was ca. 315.000 Personen entspricht [6]. Zu den Gründen für die hohe Anzahl an BerufspendlerInnen gehören hohe Mietpreise, da Stuttgart im nationalen Vergleich den dritten Platz unter den zehn teuersten Städten belegt [7]. Diese Ursachen führen dazu, dass in der Landeshauptstadt bei der Nutzung von vielbefahrenen Strecken mit einem jährlichen Zeitverlust von bis zu 42 Stunden, verursacht durch Stau, gerechnet werden muss [8]. Stoßzeiten sind morgens zwischen 07: 00 und 09: 00 Uhr sowie abends zwischen 16: 00 und 18: 00 Uhr. Die stärkste Verkehrsbelastung ist donnerstags um 17-Uhr [9]. Dabei wurden in 2017 insgesamt 31 % aller Wege im Berufsverkehr zurückgelegt, 53 % dieser Wege wurden mit dem PKW verursacht, das sind 10 % mehr als im Modal Split der gesamten Region Stuttgart-[10]. Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 70 MOBILITÄT Verkehrswende Das hohe Verkehrsaufkommen in der Stadt, die Wetterlage sowie die topographische Situation, bedingt durch die Kessellage [11], führen zu regelmäßigen Grenzwertüberschreitungen vor allem bei den Luftschadstoffen Stickstoffdioxid (NO 2 ) und Feinstaub (PM 10 ) [12]. Diese Schadstoffe führen besonders in Ballungsräumen zu Gesundheitsschäden der Bevölkerung. Zur Einhaltung der vorgegebenen Grenzwerte hat die Stadt erstmals 2005 einen Maßnahmenplan zur Luftreinhaltung verabschiedet. Zu den Maßnahmen gehören die Umweltzone, ein LKW-Durchfahrtsverbot, Verkehrsverbote für alte Diesel, Filtersäulen und Tempobeschränkungen [4, 12]. Während der Pandemie hat die Nutzung des motorisierten Individualverkehrs zugenommen, da dieser im Vergleich zum ÖPNV als sicherer wahrgenommen wird. Jedoch kann festgestellt werden, dass die Autonutzung im Berufsverkehr insgesamt abgenommen hat (morgens: -10 % und abends: -15 % im Vergleich zu 2019) [9] und somit auch die Staubelastung [13, 14]. Laut der Studie MOBICOR, die das Mobilitätsverhalten während der Corona-Krise mithilfe von repräsentativen Telefoninterviews ermittelte, wird Homeoffice während der Pandemie durchschnittlich von 32 % der befragten Personen in den städtischen Regionen Baden-Württembergs genutzt [13]. Theoretisch können aber bis zu 63 % der Beschäftigten mit Arbeitsplatz in einem urbanen Zentrum ab 500.000 EinwohnerInnen von Homeoffice Gebrauch machen [15]. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass sich nicht alle Branchen für eine Nutzung von Homeoffice eignen. Tätigkeiten in der Verwaltung, IT-, Versicherungs- und Beratungsunternehmen bieten sich besonders für die Heimarbeit an [15]. Aufgrund Stuttgarts traditionsreicher Automobilindustrie, dem Status als Landeshauptstadt und einem hohen Anteil an Verwaltungsjobs sowie einem großen Finanz-, IT- und Dienstleistungssektor ergibt sich ein besonders hohes Potential. Die verstärkte Nutzung von Homeoffice während der Pandemie ließ die Vorbehalte von Arbeitgebern sowie Beschäftigten sinken. Unternehmen waren gezwungen, Prozesse zu digitalisieren und in Kommunikationstools für Mitarbeitende zu investieren. Obwohl davon auszugehen ist, dass die Nutzung von Homeoffice nach der Pandemie einen Rückgang erleben wird, können sich mittlerweile rund die Hälfte der innerhalb einer ifo-Studie befragten Unternehmen eine Fortführung vorstellen. Unternehmen versprechen sich dadurch Wettbewerbsvorteile bei der Suche von geeigneten Fachkräften sowie Kostenersparnisse durch einen geringeren Bedarf an Büroflächen. Für Beschäftigte bietet Homeoffice eine Zeitersparnis durch wegfallende Pendelwege und somit eine verbesserte Work-Life-Balance [15]. Von Bedeutung ist jedoch aus gesellschaftlicher Sicht die positive Wirkung von Homeoffice auf Verkehr und Umwelt. Stark verkehrsbelastete Städte wie Stuttgart könnten durch einen weiteren Ausbau von Homeoffice eine langfristige Reduzierung des Berufsverkehrs erreichen. Homeoffice als Maßnahme zur-Verkehrsreduzierung und -entzerrung Im Folgenden wurden im Rahmen einer Literaturanalyse nach Modellen gesucht, in welchen das Homeoffice bereits als städtischer Ansatz zur Verkehrsreduzierung oder -entzerrung genutzt wird. Außerdem ergaben sich aus dieser Stichwortrecherche einige Ansätze, die als Maßnahmen zur Erhöhung der Nutzung von Homeoffice hilfreich sind. Die in Tabelle 1 aufbereiteten Stichworte wurden bei einer Recherche im April 2021 in den Datenbanken Google Scholar, ScienceDirect, Research Gate und Wiso-Net genutzt. Es ist auffällig, dass bereits ein großer Bestand an Studien vorliegt, welche potentielle Effekte der Verkehrsreduzierung und -entzerrung durch Homeoffice untersucht haben, dass Ansätze zur tatsächlichen Umsetzung eines solchen Modells aber kaum vorhanden sind. In einer von Greenpeace in Auftrag gegebenen Studie ermittelte das Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertungen in Berlin eine CO 2 -Einsparung bei unterschiedlichen Nutzungsgraden von Homeoffice. Es wurden zwei Szenarien untersucht: eine Homeoffice-Nutzung durch 25 % und durch 40 % der Beschäftigen in Deutschland. Innerhalb dieser Szenarien wurde zwischen einem und zwei Homeoffice-Tagen pro Woche unterschieden. Würden 25 % der Beschäftigten in Deutschland einen Homeoffice-Tag pro Woche einlegen, könnten deutschlandweit 1,6 Millionen Tonnen CO 2 bzw. 10,9 Milliarden Personenkilometer pro Jahr eingespart werden. Damit werden etwa 5 % der Emissionen des Pendelverkehrs eingespart. Wenn 40 % der Beschäftigten an zwei Tagen Homeoffice nutzen würden, lägen die CO 2 -Einsparungen bei 5,4 Millionen Tonnen. Dadurch würden 35,9 Milliarden Personenkilometer eingespart; dies entspricht 18 % weniger Emissionen im Berufsverkehr und einem Emissionsrückgang von 4 % im gesamten Personenverkehr deutschlandweit [16]. Innerhalb einer Studie der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der Schweiz wurde untersucht, welchen Einfluss flexible Arbeitsformen auf die Mobilität haben. Ergebnis dieser Untersuchung war, dass Homeoffice oder Shared Working Places das Potenzial haben, das Verkehrsaufkommen in Stoßzeiten zu reduzieren. Zusätzlich kann so Energieverbrauch in Form von Treibstoff reduziert werden, wobei der Kontext der Einsparung variiert. Zusätzlich sollte beachtet werden, dass dies auch zu Kompensationseffekten wie der Zunahme von privater Mobilität führen kann [17]. Eine weitere Studie aus Schweden untersuchte, wie Homeoffice das tägliche Reisen beeinflusst. Es wurde ebenfalls bestätigt, dass Homeoffice zu einer Reduzierung von Staus führt, wobei aber zwischen Voll- und Teilzeit bei Homeoffice-Modellen unterschieden wurde. Zusätzlich wird das Homeoffice als eine politische Maßnahme für besonders staubelastete Regionen vorgeschlagen [18]. Ein weiterer Ansatz ist der zweimonatige WorkAnywhere-Pilotversuch der Schweizer Swisscom und der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), bei welchem 264 Mitarbeitende aufgefordert wurden, möglichst so zu pendeln, dass die Hauptstoßzeiten umgangen werden. Dabei wurden das tägliche Ar- Stichwortsuche Literaturanalyse OR Remote Working AND traffic data OR Home Office mobility Telecommuting Road congestion Telearbeit traffic remote work reduce traffic mobiles arbeiten Stau Gleitzeit Verkehr work-from home Verkehrsdaten flexible working Verkehrsentzerrung working remotely Verkehrsreduzierung flexitime work covid 19effects on Tabelle 1: Stichwortsuche Literaturanalyse Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 71 Verkehrswende MOBILITÄT beits- und Mobilitätsverhalten, ihre Produktivität, Work-Life-Balance und andere Faktoren dokumentiert. Ergebnis dieser Untersuchung war, dass Beschäftigte 66 % ihrer Fahrzeit in die Nebenverkehrszeiten verlagerten und 0,85 Mal pro Woche den ganzen Tag im Homeoffice arbeiteten. 41 % der Teilnehmenden waren der Meinung, dass sich Qualität und Menge ihrer Arbeit verbesserten, während 55 % keine Veränderung erkennen konnten [19]. Ein weiterer Ansatz einer Umsetzung, neben der Verschiebung der Pendelzeiten (Swisscom Studie), ist eine Koordination von unterschiedlichen Homeoffice-Tagen unternehmensintern und -übergreifend. Dies hätte zur Folge, dass besonders große Unternehmen mit vielen Beschäftigten den morgendlichen und abendlichen Andrang bei den Hauptzufahrtsstraßen entlasten. In Stuttgart sind die Neckartal-/ Pragstraße zwischen dem Gaskessel und dem Pragsattel, die Hackstraße und die B10/ 27 stark belastet [20]. Die drei Hauptarbeitgeber in Stuttgart sind in 2019 die Daimler AG (19.000 Arbeitsplätze), Bosch (18.000 Arbeitsplätze) und Porsche (10.700 Arbeitsplätze) [21]. Unternehmen dieser Größenordnung haben ein besonders hohes Homeoffice-Potenzial und sollten sich verstärkt bei der Maßnahmenumsetzung beteiligen. Damit ein flächendeckender Homeoffice- Ansatz gelingt, sollten bei der Planung und Umsetzung Unternehmen und Stadtverwaltung Hand in Hand gehen. Es kann zusammengefasst werden, dass zahlreiche Analysen bestätigen, dass der Einsatz von Homeoffice zu einer Verkehrsreduzierung bzw. -entzerrung führt. Jedoch existieren wenige bis keine Modelle, in welchen beschrieben wird, wie eine solche Homeoffice Regelung konkret auf städtischer und unternehmerischer Seite umgesetzt werden könnte. Aus diesem Grund werden folgend potentielle Maßnahmen aufgeführt, welche eine Erhöhung des Nutzungsgrades von Homeoffice ermöglichen. Maßnahmen für die erfolgreiche Umsetzung von Homeoffice Die potentiell verkehrsreduzierende Wirkung von Homeoffice ist somit sowohl für Unternehmen als auch für Städte und Politik von Interesse und hat erste Ideen für die Umsetzung von Maßnahmen mit sich gebracht. Die aus der bereits beschriebenen Stichwortsuche (siehe Tabelle 1) gefundenen Maßnahmen zur Erhöhung des Nutzungsgrads von Homeoffice werden an dieser Stelle erläutert und kategorisiert. Die Einteilung wird anhand städtischer bzw. politischer und unternehmerischer Maßnahmen vorgenommen. Lösungsansatz Stadt/ Politik Um den motorisierten Individualverkehr zu regulieren, ist bereits in einigen Städten wie London, Singapur oder Stockholm eine City-Maut eingeführt worden. Eine solche Innenstadtmaut wurde in Deutschland bisher nicht umgesetzt und wird vor allem auf politischer Ebene kritisch bewertet, da eine mangelnde Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung befürchtet wird [22]. Eine solche Maut kann jedoch, neben einem Modal Shift zum ÖPNV, auch einen Anreiz zur Nutzung von Homeoffice darstellen [15]. Statt einer monatlichen oder jährlichen Gebühr ist es denkbar, diese tageweise zu staffeln und City-Maut-Tickets für zehn Tage anzubieten, um so ein zielgerichtetes Angebot zu etablieren. Ein ähnlicher Ansatz wird derzeit auch von Seiten der Verkehrsbetriebe in Stuttgart verfolgt. Als Antwort auf zurückgehende Fahrgastzahlen während der Pandemie ein flexibles 10-Tages-Ticket eingeführt. Dieses Ticket richtet sich gezielt an Erwerbstätige im Homeoffice, die nur noch an bestimmten Tagen zum Arbeitsort pendeln und deshalb den ÖPNV nur noch selten in Anspruch nehmen [23]. Dadurch entsteht ein bedarfsorientiertes Tool, das einen finanziellen Anreiz zur Homeoffice-Nutzung sowie zum Umstieg auf den ÖPNV ergibt. Aus politischer Sicht sind steuerliche Anreize von Bedeutung. Mit einer Homeoffice- Pauschale statt einer Pendlerpauschale kann ein Anreiz zur Nutzung von Homeoffice geschaffen werden. Innerhalb der Pandemie hat der Deutsche Bundestag eine auf 2020 und 2021 beschränkte Homeoffice-Pauschale von 5 EUR pro Tag beschlossen; begrenzt auf 600 EUR pro Jahr. Diese Pauschale konnte von Arbeitnehmenden genutzt werden, die die steuerlichen Voraussetzungen für ein heimisches Arbeitszimmer nicht erfüllen und dieses somit nicht steuerlich absetzen konnten [24]. Eine erweiterte Regelung über die Pandemie hinaus, die eine Homeoffice-Nutzung steuerlich attraktiver gestaltet, kann somit eine Verkehrsreduzierung der Arbeitnehmenden belohnen. Hierzu ist jedoch ein politischer Aufwand notwendig, bei dem die Rahmenbedingungen zur Umsetzung noch ungeklärt sind [25]. Navigationssysteme könnten neben der Route, dem Stauaufkommen und der Dauer der Fahrt auch Umwelteffekte mit einem leicht verständlichen Vergleich anzeigen. So kann der CO 2 -Ausstoß von Fahrten nachvollziehbar gemacht werden [26]. Auf Basis dieser Information können Arbeitnehmende täglich entscheiden, im Homeoffice zu arbeiten oder erst zu einem späteren Zeitpunkt loszufahren. Dadurch werden Stauzeiten und CO 2 -Emissionen verringert. Lösungsansatz Unternehmen Unternehmen profitieren durch die Nutzung von Homeoffice-Modellen ebenfalls, zum Beispiel durch die Einsparung von Büroflächen [17]. Zusätzlich zeigen zahlreiche Studien, dass durch geteilte Arbeitsflächen ebenfalls Energiekosten reduziert werden. Büroflächen müssen so beispielsweise nicht mehr in dem Maße klimatisiert werden [27]. Damit wird deutlich, dass Unternehmen ein Interesse an der Erhöhung des Homeoffice- Nutzungsgrads haben. Im Folgenden werden Maßnahmen, die von Seiten der Unternehmen angestrebt werden könnten, näher erläutert. Die Verfügbarkeit von kostenlosen Parkplätzen fördert den Individualverkehr. Ein Ansatz ist, dass Unternehmen zukünftig flächendeckend gebührenpflichtige Parkplätze einführen. Eine abgeschwächte Version ist, kostenfreie Parkplätze nur an bestimmten Tagen zur Verfügung zu stellen. Die restlichen Tage sind kostenpflichtig [28]. Es sollte beachtet werden, dass ein Firmenparkplatz zu den meist angebotenen Benefits für MitarbeiterInnen gehört. Bei einer Auswertung der Suchanfragen der Arbeitgeber-Bewertungsplattform Kununu hat sich aber herausgestellt, dass Homeoffice und flexible Arbeitszeiten die größte Relevanz für Jobsuchende darstellen [29]. Unter Beachtung dieser Information wird davon ausgegangen, dass ein kostenloser Firmenparkplatz kein Hauptkriterium bei der Unternehmenswahl darstellt. Da dieser Benefit jedoch oft als gegeben wahrgenommen wird, könnte eine Gebührenpflicht zu einer geringen Akzeptanz führen. Präsenztage können je nach Abteilung innerhalb eines Unternehmens gestaffelt eingeführt werden, sodass der Verkehrszulauf in Richtung des Unternehmens reduziert wird. Denkbar ist, dass wichtige Meetings, welche nach Anwesenheit verlangen, auf definierte Tage verlegt werden. Arbeitnehmende hätten so die Möglichkeit, den Arbeitsort der restlichen Tage flexibel zu wählen. Der Erfolg dieses Ansatzes hängt maßgeblich von der Flexibilität der Beschäftigten ab. Dies würde anfänglich zu einem Planungsaufwand führen. Zusätzlich zu dieser Maßnahme müssten die morgendlichen und abendlichen Arbeitszeiten flexibler gestaltet werden, um zusätzlich zu den Präsenztagen eine Verkehrsentzerrung der Zufahrtstraßen zu erreichen (siehe Work- Anywhere Ansatz). Vorgesetzte haben immer noch Vorurteile gegenüber der Produktivität ihrer MitarbeiterInnen im Homeoffice [30]. Aus diesem Grund sollte Homeoffice in die Unternehmenskultur integriert werden. Die Pandemie hat gezeigt, dass das Arbeiten von Zuhause Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 72 MOBILITÄT Verkehrswende erfolgreich möglich ist. Im Rahmen der BITKOM-Studie wurde ermittelt, dass jeder vierte Befragte seine Produktivität im Homeoffice höher einschätzt. MitarbeiterInnen empfinden weniger Stress durch den wegfallenden Arbeitsweg und die dadurch gewonnene Zeit sowie durch geringere Störungen durch KollegInnen [31]. Aus diesen Gründen sollte das Mindset besonders in den Führungsebenen eines Unternehmens geändert werden, denn die gesteigerte Produktivität und Zufriedenheit der Beschäftigten können durch das Vertrauen der übergeordneten Stelle erreicht werden. Es gilt dabei Entscheidungen transparent zu kommunizieren und eine neue Form des Vertrauensaustausches herzustellen [32]. Ein Hauptgrund, weshalb MitarbeiterInnen das Homeoffice ablehnen, ist eine mangelhafte technische Ausrüstung [31]. Arbeitgeber können ihren Angestellten das Homeoffice ebenfalls erleichtern, indem eine angemessene Arbeitsausrüstung zur Verfügung gestellt wird [28]. Dadurch kann die Nutzung von Homeoffice gesteigert werden. Um einen besseren Überblick der Ergebnisse zu geben, wurden die identifizierten Ansätze in Bild 1 visualisiert und in drei Kategorien eingeteilt. Die Kategorisierung konzentriert sich auf die Intention der jeweiligen Maßnahme. Einige Ansätze verfolgen aktiv das Ziel einer Verkehrsreduzierung (wie z. B. die City-Maut); ein Anreiz zur Homeoffice-Nutzung stellt dabei einen positiven Nebeneffekt der Maßnahme dar. Eine monetäre Maßnahme wäre entweder eine Belohnung für die Nutzung von Homeoffice oder eine Sanktionierung für den Pendelweg wie z. B. gebührenpflichtige Parkplätze. Es ist außerdem ersichtlich, dass unternehmerische Maßnahmen sozioorganisatorische Effekte enthalten. Auch wenn diese meist nicht direkt auf die Verkehrsreduzierung fokussieren, sind diese Maßnahmen elementar für die Umsetzung eines Homeoffice-Modells. Denn dadurch können Motivation und Akzeptanz der Beschäftigten besonders gesteigert werden, da Homeoffice somit auch besser in die Organisation von Unternehmen integriert wird. Insgesamt wird dabei deutlich, dass das Ziel der Reduzierung von städtischem Verkehr nur mit der Unterstützung von Unternehmen erreichbar ist. Die gefundenen Maßnahmen werden in Tabelle 2 aufbereitet und hinsichtlich ihres Nutzens und der Hindernisse, die sich aus der vorgenommenen Analyse ergeben, bewertet. Zu berücksichtigen ist, dass die Bewertung anhand selbst getroffener Annahmen sowie Ergebnissen aus der Literatur durchgeführt wird. Die Maßnahmen erfordern aus diesem Grund eine nähere Untersuchung durch eine Folgestudie. Fazit Die Recherche zeigt, dass Homeoffice durch die Covid-19-Pandemie an Bedeutung gewonnen hat. Großstädte wie Stuttgart können eine Verkehrsentlastung im Berufsverkehr verzeichnen, die sich unter anderem auf Homeoffice zurückführen lässt. Wenn bereits ein Viertel der Beschäftigten an ein oder zwei Tagen pro Woche Homeoffice nutzt, kann die Belastung durch CO 2 -Emissionen und andere Luftschadstoffe teilweise reduziert werden. Um Homeoffice vor allem nach der Pandemie attraktiv zu gestalten, wurde eine Reihe von Anreizen recherchiert, die von Seiten der Städte bzw. der Politik sowie von Unternehmen den Nutzungsgrad von Homeoffice erhöhen. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass City-Maut Flexible ÖPNV Tickets Home Office Pauschale Navigationssysteme Gebührenpflichtige Parkplätze Arbeitsausrüstung Organisationsstruktur Unternehmenskultur Monetäre Maßnahme Maßnahme zur Verkehrsreduzierung Sozio-organisatorische Maßnahme ✘ ✘ ✘ ✘✘ ✘ ✘ ✘ ✘ ✘ ✘ ✘ ✘ ✘ Bild 1: Kategorisierung der Maßnahmen Eigene Darstellung Maßnahmen Nutzen Hindernisse Politische Maßnahmen City-Maut ✓ Modal Shift ✗ Fehlende Akzeptanz der Bevölkerung ✓ Verkehrsreduzierung ✗ Politisch schwer umsetzbar Flexible ÖPNV Tickets ✓ Modal Shift ✗ Tatsächliche Einsparung gering (in Stuttgart) ✓ Bedürfnisorientierte Gestaltung möglich Home Office Pauschale ✓ Kostenersparnis für Homeoffice-Nehmer ✗ Politisch schwer umsetzbar ✓ Verkehrsreduzierung ✗ Rahmenbedingungen müssen geklärt werden Navigationssysteme ✓ Direkte Visualisierung des eigenen CO 2 -Fußabdrucks ✗ Technische Umsetzung ✓ Verkehrsentzerrung Unternehmerische Maßnahmen Gebührenpflichtige Parkplätze ✓ Modal Shift ✗ Fehlendes Mitarbeiterbenefit im Wettbewerbsvergleich ✓ Einsparung Parkfläche ✗ Akzeptanz der Mitarbeiter gering ✓ Verkehrsreduzierung Zufahrtsstraßen ✗ Parkplatzsuche verlagert sich Arbeitsausrüstung ✓ Ermöglicht komfortables Homeoffice ✗ Kostenaufwand Organisationsstruktur ✓ Verkehrsentzerrung ✗ Planerischer Aufwand ✓ Abfangen von Spitzenzeiten im Berufsverkehr ✗ Akzeptanz der Mitarbeiter gering ✓ Weniger Bürofläche wird benötigt ✗ Flexiblere Arbeitszeiten notwendig Unternehmenskultur ✓ Mitarbeiter nehmen Homeoffice Angebot wahr ✗ Änderung von Unternehmenskultur ist ein langfristiger Prozess ✓ Zufriedene Mitarbeiter ✓ Akzeptanz von Vorgesetzten steigt Tabelle 2: Lösungsansätze für die Umsetzung von Homeoffice Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 73 Verkehrswende MOBILITÄT Homeoffice nur von einer bestimmten Gruppe von Arbeitnehmenden genutzt werden kann und auch nur in gewissen Branchen flächendeckend umsetzbar ist. Homeoffice kann einen Beitrag zur Verkehrsreduzierung bzw. -entzerrung liefern und die Spitzen im Berufsverkehr senken. Grundsätzlich sind jedoch für eine nachhaltige Verkehrswende weitere Maßnahmen entscheidend. Auch Arbeitnehmende, die nicht Homeoffice fähig sind, müssen zum Umstieg auf den ÖPNV oder das Fahrrad bewegt werden, um so weitere CO 2 - und Luftschadstoff-Einsparungen zu erzielen. ■ LITERATUR [1] Buhl, E. (2021): Urbane Mobilität im Wandel. In: Siebenpfeiffer, W. (Hrsg.), Mobilität der Zukunft - Intermodale Verkehrskonzepte, S. 103-122. [2] ADAC (Hrsg.) (2020): Corona und Mobilität: Mehr Homeoffice, weniger Berufsverkehr. www.adac.de/ verkehr/ standpunkte-studien/ mobilitaets-trends/ corona-mobilitaet/ (Abruf: 12.05.2021). [3] Schramm, S. 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Dekan Informationslogistik, Hochschule für Technik Stuttgart dieter.uckelmann@hft-stuttgart.de Nathalie Heimsch Master-Studentin Umweltorientierte Logistik, Hochschule für Technik Stuttgart nathalieheimsch@gmail.com Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 74 Covid-19 - Was lernt der Luftverkehr aus der Pandemie? Denkanstöße für die Zukunft Luftverkehr, Covid-19, Pandemie-Auswirkungen, Risikoabschätzung, Flughäfen Der Covid-bedingte Einbruch der Passagier- und damit einhergehend der Flugbewegungszahlen, ebenso wie die daraus entstehenden wirtschaftlichen Herausforderungen für Flughäfen, Airlines und Dienstleister der Luftfahrt, sind inzwischen sehr gut untersucht. Weniger bekannt sind pandemiebedingte Auswirkungen auf weitere Bereiche, wie etwa der Umgang mit künftigen Pandemien bzw. präventive Maßnahmen auch im Luftverkehr, der Einfluss gesellschaftlicher Shutdown-Maßnahmen auf das Risiko von Flugunfällen oder die Chance auf bisher kaum durchführbare infrastrukturelle Maßnahmen am Flughafen sowie Effekte auf die Umwelt. Diesen Themen widmete sich eine gemeinsame Studie von DLR und der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Ostfalia, in der Risiken, aber auch Chancen und Maßnahmen, die es der Luftfahrt in ähnlichen Situationen ermöglichen, gestärkt aus kritischen Situationen hervorzugehen, abgeleitet werden. Andreas Deutschmann, Jannis Pfeiler, Magnus Lasse Hamann, John Michael, Hanna Listapad, Andrei Popa D ie Auswirkungen der gegenwärtigen Corona-Pandemie sind in allen Bereichen des täglichen Lebens spürbar. Im gesellschaftlichen Kontext stehen dabei, neben Fragen der Virusausbreitung, psychologische Effekte, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen [1], Long-Covid-Folgen, Fragen der Klimawirksamkeit des Herunterfahrens der Wirtschaft [2] sowie der verkehrlichen Folgen [3] der Pandemie im Fokus der Wissenschaft unterschiedlicher Disziplinen. Corona reist mit Im Kontext der Ausbreitung des Virus auf globaler Ebene zeigte sich schnell die Bedeutung des Luftverkehrs [4, 5], der in Folge global steigender Inzidenzen in den Jahren 2020 und 2021 signifikant, mit Ausnahme des Frachtverkehrs, heruntergefahren wurde. Die wirtschaftlichen Einbußen in Folge der Pandemie für Airlines und Flughäfen wurden u. a. von [6, 7] detailliert untersucht. Zur Eindämmung der Pandemie und zur Stärkung des Luftverkehrs wurden Maßnahmen eingeführt, die einerseits für Mindestabstände zwischen den Reisenden im Flughafen und andererseits dafür sorgen sollen, dass nur negativ getestete Flugreisende das Flugzeug betreten dürfen [5]. Trotz dieser Maßnahmen gelingt es nicht, Covid-19-infizierte Reisende vor Flugantritt mit hinreichender Präzision zu identifizieren [8, 9] und Reisende während des Fluges gegen eine Infektion zu schützen [10]. Insbesondere die Art der Testung (staatlich organisierter Test oder selbst durchgeführter Schnelltest) vor einem Flug ist zu hinterfragen, um Varianten des Betruges beim Testergebnis einerseits auszuschließen und falsch-negative Testresultate zu minimieren. Da Reisende im allgemeinen mehrere Verkehrsmittel zur Anreise zum Flughafen nutzen, sollte, mit Blick auf weitere Corona- Mutationen sowie weitere Viren mit Pandemiepotential darüber nachgedacht werden, die Reisekette zum Flughafen mit den damit verbundenen Infrastrukturen und Prozes- Foto: Free Photos / pixabay MOBILITÄT Luftfahrt Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 75 Luftfahrt MOBILITÄT sen grundsätzlich neu zu denken, um Infektionen während der Reise in anderen Verkehrsmitteln sowie beim Umsteigen ebenso zu vermeiden wie im Flughafen. Das Studium der negativen Auswirkungen der Pandemie ist mit Blick auf sich abzeichnende weitere Pandemien und Epidemien wichtig, um aus den Erkenntnissen Maßnahmen im Umgang mit Ereignissen dieser Größenordnung abzuleiten, mit denen unsere Gesellschaft insgesamt an Resilienz gewinnt. Gleichzeitig steckt hinter jeder Herausforderung auch die Chance zu positiven Veränderungen verbunden mit der Frage, was können wir an positiven Erkenntnissen in den sich abzeichnenden Normalbetrieb übernehmen? Als Gesellschaft müssen wir uns die Frage stellen: Was ist „normal“? Und wie können wir positive Effekte künftig, bei sich ähnlichen abzeichnenden Ereignissen nachhaltig nutzen, um negative Einflüsse auf Gesellschaft, Kultur, Industrie und den Verkehr als verbindendes Element zu minimieren? Störungen und Unfälle im Luftverkehr in der Pandemie Der Covid-bedingte Shutdown führte zu einem weltweiten Einbruch der gewerblichen Flugbewegungen [6] der auch in Deutschland, wie Bild 1 exemplarisch für einige Flughäfen zeigen, eine deutliche Ausprägung aufweist. Im Gegensatz zum Luftverkehr verringerte die Deutsche Bahn ihr Angebot - trotz gesunkener Nachfrage nicht signifikant [13]. Damit war es Reisenden möglich, Abstände von 1,5 m einzuhalten. Die Pandemie hinterließ auch im Straßenverkehr Spuren. Messungen an Dauermessstellen ergaben, dass die Zahl der PKW-Fahrten in Deutschland bspw. während des ersten Shutdowns zeitweise um mehr als 50 % abnahm [14]. Mit der Rücknahme von Reisebeschränkungen am Ende der ersten Covid-Welle normalisierte sich das Verkehrsaufkommen. Parallel konnte Kalwitzki für den Straßenverkehr zeigen, dass die Zahl der Unfälle sowie der Verkehrstoten im ersten Jahr der Pandemie im Vergleich zum Jahr 2019 signifikant zurückging [3]. Uns interessierte die Frage, ob ein vergleichbarer Effekt im Luftverkehr ebenfalls zu beobachten ist. Dazu untersuchten wir Daten der Bundesstelle für Unfalluntersuchung (BFU), die in Form von monatlichen Berichten veröffentlicht wurden [15]. Aus den Monatsberichten wurden folgende Informationen extrahiert: •• Anzahl der Ereignisse insgesamt in Deutschland (als Sammelbegriff für alle Vorkommnisse, Unfälle, etc.) •• Anzahl der Ereignisse sowie Art und Anzahl von verunglückten Personen unterteilt nach - maximale Startmasse (MTOM) > 5,7 t - 2,0 t ≤ MTOM ≤ 5,7 t - MTOM < 2,0 t - Ultraleichtflugzeuge und Tragschrauber - Hubschrauber - Segelflugzeuge und Motorsegler - Freiballone Bzgl. der Art und Zahl der verunglückten Personen wurde nach •• tödlichen, •• schweren und •• leichten Verletzungen differenziert. Kriterien für diese Klassifizierung sind in den jeweiligen Berichten beschrieben. Um Aussagen über die typische Entwicklung von Fallzahlen von Jahren ohne pandemischen Einfluss zu ermöglichen und um diese in Relation zum Jahr 2020 zu setzen, wurden zunächst Monatsberichte des Zeitraums Januar 2016 bis Dezember 2020 analysiert. Im ersten Schritt wurde untersucht, ob sich die jährliche Anzahl der Vorkommnisse sowie die Anzahl der Verunglückten der Jahre 2016 bis 2020, ausschließlich auf Ereignisse in Deutschland bezogen, signifikant unterscheiden. Dieser Vergleich, auf Basis absoluter Zahlen, ist in Bild 2 dargestellt. Aus Bild 2 (linke Darstellung) geht hervor, dass sowohl die Zahl der Vorkommnisse als auch die Zahl der Verletzten im Betrachtungszeitraum deutlichen jährlichen Schwankungen unterliegen. Im Mittel treten pro Jahr 99 Personenschäden auf. Die Bild 1: Rückgang der Flugbewegungen und der Passagiere an ausgewählten Flughäfen Deutschlands [11, 12] Bild 2: Darstellung der Zahl jährlicher luftverkehrlicher Vorkommnisse in Deutschland (links) sowie der Zahl der jährlich Verunglückten (rechts), unterteilt in tödlich verunglückte, schwer und leicht verletzte Personen Alle Grafiken: Autoren Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 76 MOBILITÄT Luftfahrt Schwankung, die durch die Standardabweichung repräsentiert wird, beträgt 24. Die Personenschäden sind im Mittel auf 169 jährliche Vorkommnisse mit einer Standardabweichung von 19 zurückzuführen. Das Jahr 2020 mit 103 Verunglückten und 162 Ereignissen, liegt innerhalb der beschriebenen Toleranzen. Diese Zahlen zeigen, dass mit Blick auf das gesamte Jahr 2020 das Corona-bedingte Herunterfahren des gesellschaftlichen Lebens keinen Rückgang der Fallzahlen bewirkte. Die Unterteilung der Verunglückten in die zuvor beschriebenen Kategorien zeigt, dass sich auch hier, wie in Bild 2 (rechts) dargestellt, dass sich das Jahr 2020 nicht signifikant von den Jahren zuvor unterscheidet. Grundsätzlich ist die Aussagekraft der Zahl jahresbasierter Vorkommnisse und verunglückter Personen zu hinterfragen. So können wenige Ereignisse eine große Zahl Verletzter, die unmittelbar Einfluss auf die Jahresbilanz nehmen, verursachen. In diesem Fall sind die Personenschäden an der Zahl der Ereignisse zu skalieren. Im Folgenden wird untersucht, ob die Zeit des gesellschaftlichen Herunterfahrens, in den monatsscharf vorliegenden Daten, erkennbare Hinweise liefert, ob in diesem Zeitraum weniger Störungen und weniger Verletzte zu beobachten waren. Dazu wurden entsprechende Daten der Jahre 2016 bis 2021 (so weit bis Redaktionsschluss vorliegend) untersucht. Gezählt wurden die Zahl der Ereignisse sowie die Anzahl der verletzten Personen. In absoluten Zahlen sind diese Werte in Bild 3 (oben rechts sowie oben links) dargestellt. Da generell in den Wintermonaten die Unfall- und Verletztenzahlen im Vergleich zu den Frühlings- und Sommermonaten geringer sind, ist eine signifikante Wirkung des deutschlandweiten Herunterfahrens im Jahr 2020 auf die Zahl der Unfälle, als auch auf die Zahl der Verletzten auf den ersten Blick nicht erkennbar. Um einen deutlichen statistischen Hinweis auf Shutdown-Effekte zu erhalten, wurden monatliche Mittelwerte sowie deren Standardabweichungen bzgl. der Zahl der Vorkommnisse als auch der Zahl der verletzten Personen ermittelt. Hier ist zu beachten, dass die Monatsdaten des Pandemiejahres 2020 in die Berechnungen explizit mit eingingen. Daher ist zu erwarten, dass auf der vorliegenden Datenbasis erkennbar ist, wenn 2020 signifikante Sondereffekte enthält. Visualisierungen der monatsscharfen Daten sind Bild 4 zu entnehmen. Das erste Herunterfahren in Deutschland begann mit der ersten Welle im März 2020 mit der sukzessiven Einführung von einschränkenden Maßnahmen. Die intensive Phase des Shutdowns endete zu Pfingsten 2020 mit der Öffnung von Restaurants und Hotels. Im März 2020 ist, wie in Bild 4 erkennbar, kein nachweisbarer Rückgang von Vorkommnissen erkennbar. Die Zahl der Personenschäden liegt oberhalb des zu erwartenden Intervalls. Im April 2020 ist sowohl die Zahl der Vorkommnisse als auch die Zahl der Personenschäden unter das durch Mittelwert und Standardabweichung gegebene Intervall gesunken. Dieser Effekt spricht als Indikation für den Shutdown. Bereits im Mai, in dem zahlreiche bundesweite Öffnungen stattfanden, stieg sowohl die Zahl der Vorkommnisse als auch die Zahl der Personenschäden in den sonst erwartbaren Bereich. Das Herunterfahren der Gesellschaft mit der zweiten Welle, im Herbst 2020, zeigt keine signifikanten Auswirkungen auf gemeldete Vorkommnisse und verunfallte Personen. Erst im Januar 2021 wurden in Deutschland keine Vorkommnisse registriert und damit auch keine Personenschäden. Damit liegt dieser Monat unterhalb des erwarteten Minimums und indiziert die Wirkung des Shutdowns. Im Februar übersteigen die Ereignisse die erwartbare Anzahl auf niedrigem Niveau geringfügig. In den Monaten März und April 2021 ist die Wirkung des Shutdowns auf Basis der sehr niedrigen Fallzahlen deutlich erkennbar. Bereits im Mai, in dem bundesweit zahlreiche Coronabedingte Einschränkungen zurückgenommen wurden, ist ein deutliches Ansteigen der Fallzahlen zu beobachten. Die vorliegenden Daten geben Hinweise darauf, dass während des Shutdowns sowohl eine Reduktion der Flugunfälle als auch verletzter Personen zu beobachten ist. Mit dem Ende des Shutdowns nahm die Anzahl von Störungen und Verletzten zu. Dabei sind die Ereignisse nicht auf den gewerblichen Sektor zurückzuführen. Vielmehr werden diese durch den privaten Bereich verursacht. Mögliche Ursachen könnten auf die verlängerte flug- und damit praxisfreie Zeit zurückzuführen sein. Wenn diese im Einzelfall auf ein reduziertes Risikobewusstsein trifft, Bild 3: Darstellung der in Deutschland registrierten monatsscharfen Vorkommnisse im Zeitraum 2016 bis März 2021 (oben links) sowie Darstellung der in Deutschland registrierten monatsscharfen Personenschäden (insgesamt) im Zeitraum 2016 bis März 2021 (oben rechts). Die Spiegelung der Zahl Verletzter an der Zahl der Vorkommnisse erfolgt in der Darstellung unten links. Bild 4: Darstellung der mittleren Zahl von Vorkommnissen in Deutschland basierend auf Daten der Jahre 2016 bis 2020 sowie die sich aus den Werten ergebende Standardabweichung, die in Addition bzw. Subtraktion auf bzw. vom Mittelwert die obere und untere Grenze ergibt. Dazu sind verfügbare Daten aus 2020 sowie Januar bis März 2021 abgebildet (links) sowie die Darstellung der mittleren Zahl von Personenschäden in Deutschland, basierend auf Daten der Jahre 2016 bis 2020, sowie die sich aus den Werten ergebende Standardabweichung, die in Addition bzw. Subtraktion auf bzw. vom Mittelwert die obere und untere Grenze ergibt. Dazu sind verfügbare Daten aus 2020 sowie Januar bis März 2021 abgebildet (rechts). Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 77 Luftfahrt MOBILITÄT stellt dies eine besondere Gefahr für den Flugzeugführer, deren Insassen und das Fluggerät dar. Ein denkbares Mittel zur Minimierung eines Unfallrisikos könnte in diesem Kontext darin liegen, nach langen flugfreien Zeiten, abgestimmt mit den Zulassungsbehörden z. B. gezielte Auffrischungen für Privatpiloten anzubieten. Dass in Deutschland während den Einschränkungen und den Erholungsphasen keine Unfälle im gewerblichen Luftverkehr zu beobachten waren zeigt, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen für Verkehrspiloten zur Aufrechterhaltung bzw. Wiedergewinnung der entsprechenden Fluglizenzen geeignet sind, um auch längere flugfreie Phasen zu überstehen ohne das Unfallrisiko zu erhöhen. Wartung und Neubau von Flughafeninfrastrukturen in Pandemiezeiten Die großen Verkehrsflughäfen in Deutschland operierten in der Vor-Covid-Ära, vor allem in nachfragereichen Zeiten, an ihren Kapazitätsgrenzen. Nachfragearme Intervalle waren i. d. R. so kurz, dass umfassende Wartungsarbeiten an den Flughafeninfrastrukturen nicht möglich oder mit Kapazitätseinschränkungen bzw. mit Flugstreichungen verbunden waren. Der in Bild 1 dargestellte Nachfrageeinbruch bietet aufgrund seines anhaltenden Charakters die Option, benötigte Wartungsarbeiten, Sanierungen und ggf. infrastrukturelle Neu-/ Umbauvorhaben voranzutreiben, um bei einer Erholung des Luftverkehrsmarktes alle medizinischen, verkehrlichen und komfortorientierten Herausforderungen erfüllen zu können. In diesem Kontext wurde von uns untersucht, welche Sanierungs- und Baumaßnahmen an Flughäfen während der Covid- 19-Pandemie durchgeführt wurden. Dazu wurden Geschäftsberichte von Flughäfen, Airlines sowie Logistikunternehmen gesichtet und dokumentierte Maßnahmen katalogisiert und kategorisiert. Die Analysen zeigen, dass aus den Dokumentationen fünf Maßnahmenkategorien ableitbar sind. Hierbei handelt es sich, mit (R) bezeichnet, um Arbeiten am Start-/ Landebahnsystem sowie am Apron. Bauarbeiten, die entweder mit der Erweiterung oder mit der Fortsetzung von Bauarbeiten eines Terminals verbunden sind, wurden durch ein (T) gekennzeichnet. Die Kategorie (L) beschreibt den Bau von neuen Frachtgebäuden an Flughäfen. Modernisierungen in Terminals (M) fassen alle Sanierungs- und Verbesserungen innerhalb des Terminals zusammen. Die Kategorie Business-Parks und Parkplätze (P) dokumentiert die Errichtung zusätzlicher Infrastrukturen im Flughafenbereich, die dem Komfort der Passagiere dienen. Die nachfolgende Tabelle 1 ordnet exemplarisch Flughäfen entsprechende Infrastrukturmaßnahmen zu. Die hier vorgestellte Auflistung von Infrastrukturmaßnahmen zeigt, dass Flughäfen, trotz der finanziellen Mindereinnahmen, die Pandemie als Chance auffassten und sich durch Infrastrukturinvestitionen auf die Erholung des Luftverkehrs vorbereiteten. Die oben exemplarisch dargestellten Maßnahmen zeigen den Bedarf an Sanierungsarbeiten, der sich, wie in den Geschäftsberichten einiger Flughäfen deutlich wird, seit Jahren aufstaute. Da ein infrastruktureller Sanierungsbedarf i. d. R. einen weiteren nach sich zieht, ist zu überlegen, wie künftig Sanierungsstaus vermeidbar sind. Denkbare Lösungsansätze zielen auf die Nutzung wartungsarmer Technologien und Materialien, die zunächst in der Anschaffung und Verbauung teuer sind als herkömmliche Materialien. Die Digitalisierung könnte ebenfalls einen Beitrag leisten. Die frühzeitige (z. B. sensorbasierte) Erfassung von Veränderungen in der technischen und der baulichen Substanz kann bewirken, dass kleine, frühzeitig erkannte Sanierungsbedarfe substanzielle Schäden vermeiden, wenn diese rechtzeitig ausgebessert werden. Entsprechend bieten durch Digitalisierung ermöglichte Verfahren der präventiven und prädiktiven Instandhaltung Optionen, größere Sanierungsbedarfe und -staus zu reduzieren. Nachhaltige klimawirksame Effekte und Maßnahmen in der Pandemie Das weltweite Herunterfahren des Luftverkehrs hatte zur Folge, dass weltweit weniger CO 2 durch Flugzeuge und Flughafenverkehre ausgestoßen wurde. Tabelle 2 illustriert beispielhaft die luftfahrtbasierte CO 2 - Reduktion für einige europäische Staaten. In diesem Kontext ist zu beachten, dass zahlreiche Mitarbeiter der Flughäfen, der Airlines und Dienstleister sich aufgrund der nicht durchgeführten Flüge in Heimund/ oder Kurzarbeit befanden. Dementsprechend fanden individuelle Anreiseverkehre mit dem PKW von Reisenden und Mitarbeitern zum/ vom Flughafen nur in geringem Maße statt und trugen darüber hinaus zu einer Reduktion weiterer Stickoxide und von Feinstaub bei. Diese verkehrlichen Aspekte sind in den Statistiken der Luftfahrt i. d. R. nicht einbezogen, wären allerdings im Rahmen einer Gesamtluftverkehrsbilanz zu berücksichtigen. Um langfristig klimawirksam den Ausstoß von CO 2 im Luftverkehr zu senken, wird intensiv darüber nachgedacht, Flüge auf inländischen Destinationen zu reduzieren und durch Bahnverkehre zu substituieren [17, 18]. Ein zu diesem Zweck eingesetztes politisches Mittel war die Verknüpfung staatlicher Stützungszahlungen in der Pandemie, wenn Kurzstreckenverbindungen zu Gunsten der Bahn aufgegeben wurden [19]. In Deutschland wird insbesondere darüber nachgedacht, zusätzliche Sprinterverbindungen in Nord-Süd-Richtung zu etablieren, um auf der Schiene kurze Reisezei- Maßnahmen Flughafen R T L P M BRE X CGN X DUS X FRA X X X HAJ X HAM X X MUC X X X AMS X X LHR X MXP X ZRH X Tabelle 1: Infrastrukturmaßnahmen an deutschen und europäischen Flughäfen Land CO₂-Reduktion [%] in 2020 Deutschland -53 Türkei -54 Großbritannien -60 Spanien -64 Finnland -64 Italien -65 Island -70 Tabelle2: Beispiele für CO₂-Reduktion im Luftverkehr in Europa [15] Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 78 MOBILITÄT Luftfahrt ten anbieten zu können und Flugverkehre zu substituieren. Darüber hinaus wurden bereits neue ICE-Züge in Dienst gestellt, die es einerseits den Reisenden ermöglichen, weiterhin Abstandsregeln zu befolgen, und andererseits ein erhöhtes Fahrgastaufkommen bewältigen [20]. Im Kontext der intermodalen An-/ Abreise zum/ vom Flughafen ist zu erwarten, dass im Rahmen der zunehmenden Elektromobilität die Zahl der E-PKW signifikant zunehmen wird. Diese bewirken lokal eine Reduktion klimawirksamer Gase und ggf. Feinstaub, bedürfen allerdings zahlreicher Baumaßnahmen, um Parkplätze am Flughafen den Anforderungen der E-Mobilität anzupassen. Gleiches gilt für eine Erhöhung des Anteils elektrisch angetriebener Fahrzeuge, die im Kontext der Abfertigungsprozesse im Flughafen genutzt werden. Um Flughäfen in CO 2 - und klimaneutrale Infrastrukturen umzugestalten, bedarf es jetzt - im Rahmen der Digitalisierung - innovativer Konzepte und technologischer Lösungen sowie Investitionsplanungen, um Passagier-, Gepäck-, Fracht- und Flugzugprozesse nicht ausschließlich nach Umwelterwägungen, sondern auch wirtschaftlich nachhaltig, sicher und komfortabel zu gestalten, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu sichern und zu entwickeln. Fazit Die Covid-19-Pandemie führte zu massiven Einschränkungen aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Infolge weltweit steigender Infektions- und Sterbezahlen wurde auch der Luftverkehr, als eine Hauptverbreitungsquelle des Virus, global heruntergefahren. Dieser Shutdown ermöglichte es Flughafenbetreibern, zahlreiche Wartungs- und Modernisierungsarbeiten an Flughafeninfrastrukturen wie den Start-/ Landebahnsystemen sowie Flughafenterminals durchzuführen, ohne dass es zu signifikanten betrieblichen Einschränkungen kam. Eine weitere positive Folge des Shutdowns und der damit verbundenen deutlichen Reduktion des Luftverkehrs ist eine Reduktion klimawirksamer Gase, insbesondere CO 2 . Um die Emission klimawirksamer Gase dauerhaft zu reduzieren, dient die Corona-Pandemie als Anlass, um über nachhaltige Verkehrskonzepte - insbesondere auf inländischen Relationen - nachzudenken, diese zu testen und schrittweise zu etablieren. Das Herunterfahren des Luftverkehrs wirkte sich auf nationaler Ebene, im Gegensatz zum motorisierten Individualverkehr, nachweisbar, aber nicht nachhaltig auf die Anzahl der Unfälle und Verletzten im Bereich des nicht gewerblichen Luftverkehrs aus. Die Digitalisierung eröffnet die Möglichkeit der Neugestaltung zahlreicher Elemente des Luftverkehrs, hier insbesondere von Flughäfen, in pandemisch unbedenkliche, ökologisch nachhaltige und ökonomisch effizient operierende Systeme. ■ LITERATUR [1] Schlack, R.; Neuperdt, L.; Hölling, H.; De Bock, F; Ravens-Sieberer, U; Mauz, E.; Wachtler, B; Beyer, A-K. (2020): Auswirkungen der Covid-19-Pandemie und der Eindämmungsmaßnahmen auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. In: Journal of Health Monitoring, 2020 5(4), DOI 10.25646/ 7173 [2] Gschnaller, S.; Lippelt, J.; Pittel, K. (2020): Kurz zum Klima: Die Coronakrise und ihre Auswirkungen auf Umwelt, Klima und Energiepreise. In: ifo Schnelldienst, ISSN 0018-974X, ifo Institut - Leibniz- Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München, München, Vol. 73, Iss. 05, pp. 71-75 [3] Kalwitzki, K.-P. 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Gemeinsam geht das. www.bahn.de/ service/ sicherreisen (Abruf: 13.09.2021) Jannis Pfeiler Studierender, Mobilität und Personenverkehrsmanagement, Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, Salzgitter j.pfeiler@ostfalia.de Magnus Lasse Hamann Studierender, Mobilität und Personenverkehrsmanagement, Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, Salzgitter ma.hamann@ostfalia.de Andreas Deutschmann, Dr. rer. nat., Forschungsstrategie, Institut für Verkehrssystemtechnik, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR), Braunschweig andreas.deutschmann@dlr.de Hanna Listapad Studierende, Mobilität und Personenverkehrsmanagement, Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, Salzgitter h.listapad@ostfalia.de Andrei Popa, Dipl.-Wirtsch.-Ing. (FH), M.A. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Verkehrssystemtechnik, Design & Bewertung von Mobilitätslösungen, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR), Braunschweig andrei.popa@dlr.de John Michael Studierender, Mobilität und Personenverkehrsmanagement, Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, Salzgitter j.michael@ostfalia.de Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 79 Wissenschaft TECHNOLOGIE Parksuchverkehr - ein über- oder unterschätztes Phänomen? Das Forschungsprojekt start2park analysiert den Parksuchverkehr und entwickelt Lösungsansätze Parksuchverkehr, Parksuchzeit, Parksuchwege, Parksuchdauer Der Beitrag präsentiert methodische Ansätze und erste Ergebnisse des Forschungsprojekts start2park. Es wird erstmalig die Parksuchdauer individuell und exakt erhoben. Die-Messung erfolgt dabei über die eigens entwickelte start2park-App, über die Weg- und Zeitpunkte von Autofahrten, der Parkplatzsuche und des Fußweges vom Parkstand bis zum Zielort getrackt und weitere Einflussfaktoren ermittelt werden. Forschungsziele sind die Entwicklung eines Modells zur Erklärung der Parksuchdauer, um Einflussmöglichkeiten für die Verkehrsplanung zu identifizieren. Zudem wird ein Modell entwickelt, um Prognosen der Parksuchdauer in Navigations-Apps zu implementieren. Tobias Hagen, Siavash Saki, Sabine Scheel-Kopeinig P arksuchverkehr ist der Verkehr, der sich daraus ergibt, dass Autofahrer*innen einen freien Parkstand im öffentlichen oder bewirtschafteten Straßenraum suchen, welcher ihren Erwar-tungen in Bezug auf Attribute wie die Nähe zum Zielort und Kosten (Gebühren) entspricht Shoup [1]. Selbst wenn jedoch die Attribute aller Parkstände identisch wären und die Parknachfrage exakt dem Angebot an Parkraum entsprechen würde, ergäbe sich Parksuche dadurch, dass Fahrer*innen nicht (vollständig) über die Orte freier Parkstände informiert sind (vgl. bspw. Arnott und Rowse [2]). Parksuchverkehr verursacht externe Kosten in Form von Emissionen und Staus (Inci et al. [3]) und verkehrliche Maßnahmen sollten daher so konzipiert werden, dass unnötiger Parksuchverkehr reduziert wird. Idealerweise ist die kommunale Parkraumbewirtschaftung so ausgestaltet, dass sich das Suchen nach preisgünstigeren Parkständen nicht lohnt (Sieg [4]). Arnott und Inci finden basierend auf einer Modellierung für ein Stadtzentrum, dass die Erhöhung der Parkgebühren für On-street-Parkstände eine effektive Methode sei, um Parksuchverkehr zu reduzieren [5]. Bei gegebenen, suboptimalen Parkgebühren sei die Erhöhung des On-street-Parkangebotes die zweitbeste Möglichkeit zur Reduktion. 1 Bislang gibt es in der empirischen Literatur kein einheitliches Konzept zur Messung der Parksuchzeit bzw. Parksuchdauer. Wie Rikus et al. (2015 b, S. 4 [6]) betonen, ist „…die wohl wichtigste Frage bei der Untersuchung des Parksuchverkehrs (…) die Frage danach, wann bei einer Fahrt die Suche nach einem Parkplatz konkret beginnt. Bereits ab Fahrtbeginn? Ab Einfahrt in das Zielgebiet? Ab Erreichen des ursprünglich festgelegten Zielorts? Oder ab Überschreitung der Ankunftszeit am Zielort um eine gewisse Zeit? “. In der bisherigen Forschung, welche nicht auf direkten Befragungen von Fahrer*innen basiert, wurde der Beginn der Parksuche willkürlich von den Forschenden festgelegt. Bspw. definieren Weinberger et al. [7] bzw. Montini et al. [8] einen Radius bei 400 bzw. 800 Metern um den letzten GPS-Punkt. Forschungsprojekt start2park Im vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur geförderten Forschungsprojekt start2park wird erstmalig der Beginn der Parksuche direkt erhoben. 2 Die Messung der Parksuche erfolgt dabei über die start2park-App, welche für diesen Zweck entwickelt wurde. Über die start2park-App werden seit Ende August 2021 und über einen Zeitraum von einem Jahr europaweit die Koordinaten und Zeitpunkte von Autofahrten, insbesondere der Parkstandsuche und des Fußweges vom Parkstand bis zum Zielort getrackt. Erstmalig wird der exakte Weg- und Zeitstempel des Beginns der Parksuche erhoben, indem die Fahrer*innen diese explizit angeben. Es müssen also keine Annahmen über den Beginn der Parksuche getroffen werden, wie zum Beispiel das Festlegen eines Radius um den Zielort (vgl. Bild 1). Die über die start2park-App erhobenen Parksuchzeiten und -wege sowie Einflussfaktoren auf die Parksuchzeit werden mit bestehenden Floating Car Daten kombiniert und im weiteren Verlauf des Projektes dazu genutzt, Parksuchdauer nach urbanen Gebietstypen und Tageszeiten zu ermitteln. Schließlich wird ein Prognosemodell entwickelt, mit dem für geplante Fahrten Vorhersagen bzgl. der Parksuchdauer gemacht werden können. Diese können Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 80 TECHNOLOGIE Wissenschaft dann in Navi-Apps zu der erwarteten Reisedauer addiert werden. Mit dieser Information würden vielleicht alternative Verkehrsmittel als attraktiver wahrgenommen werden. Unnötiger Parksuchverkehr könnte so reduziert werden. Ein weiterer Aspekt wurde in der bisherigen Forschung weitgehend vernachlässigt. Für Autofahrer*innen und die Gesellschaft stellt sich im Wesentlichen die Frage, wie sich die Reisedauer (Fahrtdauer zuzüglich Dauer des Fußweges vom Parkplatz zum Zielort), die Fahrtdauer und das Verkehrsaufkommen aufgrund des Phänomens der Parkplatzsuche im Vergleich zur so genannten „kontrafaktischen Situation“, in der überhaupt keine Parkplatzsuche stattfindet („perfekte Welt“), verändern. Eine solche kontrafaktische Situation ist natürlich nicht beobachtbar und muss mit geeigneten Methoden geschätzt oder simuliert werden. Die Schätzung der kontrafaktischen Situation für die Fahrtdauer kann eine Anfrage an eine Navi-App sein, die die Parkplatzsuche nicht einschließt. Im Projekt wird die Vorhersage von Google Maps für die Fahrt- und Gehzeiten genutzt. Die Navigation von Google Maps führt die Nutzenden zu der befahrbaren Straße, die dem endgültigen Ziel am nächsten liegt, unabhängig davon, ob Parken möglich ist oder nicht. Bild 2 zeigt einen stilisierten Vergleich zwischen einer tatsächlichen und einer kontrafaktischen Fahrtdauer. Die Differenz aus der mittels der start2park-App ermittelten Reisedauer (Fahrtdauer) und der mittels Google Maps prognostizierten kontrafaktischen Reisedauer (Fahrtdauer) wird im Folgenden als „Effekt der Parksuche auf die Reisedauer“ (oder Nettosuchdauer) bzw. „Effekt der Parksuche auf die Fahrtdauer“ bezeichnet. Während der Effekt der Parksuche auf die Reisedauer immer ≥ 0 sein muss, ist es durchaus möglich, dass der Effekt der Parksuche auf die Fahrtdauer auch < 0 sein kann. Dies könnte der Fall sein, wenn aufgrund der Parksuche ein Parkplatz vor Erreichen des Zielortes gewählt wird. Dieser aus ökologischer Sicht wahrscheinlich vorteilhafte Effekt wurde bislang in der Literatur nicht erwähnt und empirisch nicht erfasst. Die direkte messbare Parksuchdauer (oder Bruttosuchdauer) ist Gegenstand bisheriger empirischer Studien. Weinberger et al. [7], Montini et al. [8] sowie Dalla Chiara und Goodchild [9] für Gewerbe- und Lieferfahrzeuge stellen zwar in gewisser Weise (z. B. kürzest mögliche Strecken) Vergleiche an. Kausale Effekte der Parksuche auf Reise- und Fahrtdauern können aber nicht ermittelt werden, da Informationen zum finalen Zielort fehlen. Bisherige empirische Studien zum Parksuchverkehr In bisherigen empirischen Studien werden unterschiedliche Ergebnisvariablen analysiert, nämlich der Anteil des Parksuchverkehrs am Gesamtverkehr, die mittlere Parksuchzeit sowie die durchschnittlichen zurückgelegten Parksuchwege. Hierbei handelt es sich bei der mittleren Parksuchzeit sowie den durchschnittlichen Parksuchwegen in der Regel um „Bruttogrößen“, d. h. ein Vergleich mit einer kontrafaktischen Situation findet nicht statt. Die Ergebnisse in Bezug auf alle drei Ergebnisvariablen gehen in den vorliegen Studien weit auseinander. Ist Parksuchverkehr also nur ein geringes, punktuelles Problem in größeren Städten (Sieg [4]) oder beträgt die jährliche Parksuchzeit in deutschen Städten 560 Millionen Stunden (Rikus et al. [10])? Der Anteil des Parksuchverkehrs am Gesamtverkehr in ausgewerteten Studien liegt zwischen 1 % und 15 %. Hampshire und Shoup [11] ermitteln für die Stadt Stuttgart beispielsweise einen Anteil des Parksuchverkehrs von 15 % am Gesamtverkehr im Jahr 2017. Weinberger et al. [7] kommen dagegen zum Ergebnis, dass der Parksuchverkehr weniger als 1 % des Fahrzeugverkehrs in den untersuchten Städten ausmacht. Hampshire und Shoup [11] fassen empirische „cruising“-Studien der Jahre 1927 bis 2015 zusammen. Im Mittel beträgt der Anteil am städtischen Gesamtverkehr in dieser Meta-Analyse bei 34 % Prozent. Die mittlere Parksuchdauer liegt in dieser Meta- Analyse bei 8 Minuten. In der empirischen Literatur wird diese Dauer der Parksuchzeit teilweise bestätigt. So berechnen Cookson und Pishue [12] die mittlere Parksuchzeit mit 9 Minuten bzw. Lee et al. [13] mit 13,4 (on-street) bzw. 15,7 (off-street) Minuten. Allerdings finden sich auch empirische Studien mit deutlich geringeren Werten. Brooke et al. [14] beispielsweise berechnen diese mit 1,7 Minuten im Mittel und van Ommeren et al. [15] für die Niederlande mit durchschnittlich nur 36 Sekunden. Es lässt sich also feststellen, dass die Ergebnisse hinsichtlich der mittleren Bruttoparksuchzeiten kein einheitliches Bild ergeben und sehr stark variieren. Die Auswahl des Untersuchungsgebietes, beispielsweise urbane Gebietstypen mit hohem oder geringem Parkdruck, sowie des Untersuchungszeitpunktes und -zeitraums (Tageszeit, Wochentage, saisonale Effekte) spielen eine zentrale Rolle (Barter [16]). Wird der Parksuchverkehr in Gebieten mit hohem Parkdruck untersucht, ergeben sich zwangsläufig höhere Parksuchzeiten als in Gebieten mit geringem Parkdruck. Es liegt also auf der Hand, dass die in den empirischen Studien ermittelten Ergebnisse aufgrund der unterschiedlichen räumlichen Dimensionen, urbanen Gebietstypen sowie Strukturen in den Untersuchungsgebieten nicht ohne weiteres vergleichbar sind. Die bisherigen Ergebnisse variieren außerdem aufgrund der unterschiedlichen Erhebungsmethoden stark. Die Parksuchzeit wird beispielsweise erhoben, indem Autofahrer*innen im Anschluss an den Parkvorgang direkt befragt oder Fahrzeuge beobachtet werden. Bei Park-and-Visit-Tests wird die Zeit, die man benötigt, um Bild 1: Reise, welche über die start2park-App aufgezeichnet wird Eigene Darstellung Bild 2: Aufgezeichnete und kontrafaktische Reisedauer Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 81 Wissenschaft TECHNOLOGIE ab dem Erreichen eines vorgegebenen Zielortes einen Parkplatz zu finden, aufgezeichnet. Aktuellere Studien nutzen zunehmend auch GPS-Daten für die Ermittlung des Parksuchverkehrs. Beispielsweise nutzen Weinberger et al. [7] GPS-Daten und ermitteln die Bruttosuchdauer als Differenz zwischen der tatsächlichen und der kürzest möglichen Fahrtroute zum Zielort, sobald das Fahrzeug in einen vorher festgelegten Radius rund um den Zielort einfährt. Der Start der Parksuche ist also von den Forschenden einheitlich für alle Parkenden festgelegt. Dalla Chiara und Goodchild [9] verwenden GPS- Daten von Nutzfahrzeugen, um die Parksuchdauer zu schätzen. Sie definieren eine hypothetische Situation, in der die Fahrer im Voraus wissen, wo die verfügbaren Parkplätze sind. Es wird angenommen, dass Google Maps gute Schätzungen für diese unbeobachteten Fahrtdauern liefert. Die Differenz zwischen der tatsächlichen Fahrtdauer und der Google-Maps-Schätzung wird als Parksuchdauer definiert. Tabelle 1 fasst die unterschiedlichen Erhebungsmethoden sowie die Berücksichtigung der kontrafaktischen Situation zusammen. Des Weiteren lag der Fokus einiger empirischen Studien auf der Ermittlung von Einflussfaktoren auf die Parksuchzeit. Analysiert wurden Einflussfaktoren auf die Bruttoparksuchzeit (zum Beispiel Assemi et al. [17]) bzw. auf den Prozess der Parkstandsuche (Qin et al. [18]). Eine zusammenfassende Übersicht der Studien findet sich in Tabelle 2. (Erste) Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt Im Forschungsprojekt start2park wurden im Zeitraum November 2020 bis Juni 2021 Pre-Testfahrten durchgeführt. Diese Pre-Testfahrten sind im Forschungsprojekt der Datenerhebung mittels der start2park-App vorgeschaltet und dienen einem vertiefenden Verständnis des Parksuchprozesses. Die meisten der 205 Pre-Testfahrten fanden in Rostock und Frankfurt am Main statt. Dabei wurden die Dauern der Fahrt, der Parksuche und des Fußweges zum Zielort gemessen. Zudem wurden GPS- Tracking-Daten mit Smartphones aufgezeichnet und auch andere Faktoren erhoben, wie fahrtenbezogene Faktoren (z. B. Fahrtzweck), fahrerbezogene Faktoren (z. B. Geschlecht), Fahrzeugtyp, regionale Faktoren (Stadtgröße), parkraumbezogene (z. B. Parkgebühren), situative Faktoren (z. B. Wetterverhältnisse) und zeitliche Faktoren (z. B. geplante Dauer des Parkvorganges). Zusätzlich wurde die kontrafaktische Reisedauer (wie lange würde die Reise ohne Parksuche dauern? ) mittels Google Maps erhoben, um durch Differenzenbildung die Nettoparksuchzeit ermitteln zu können. Der Median (das arithmetische Mittel) der Bruttoparksuchzeit aller Testfahrten beträgt 30 Sekunden (1-Minute und 15 Sekunden). Bei 33 % der Fahrten war es nicht nötig, einen Parkplatz zu suchen, da am Zielort freie Parkplätze vorhanden waren, was einer Suchdauer von Null entspricht. Bei 34 % der Fahrten ist die Bruttoparksuchzeit positiv, aber kürzer als 1 Minute. Bei 30 % der Fahrten liegt die Bruttoparksuchzeit zwischen 1 Minute und 5 Minuten und bei 3 % der Fahrten ist sie größer als 5 Minuten. Der Median (das arithmetische Mittel) der Bruttoparksuchzeit der Fahrten, bei denen eine Parkplatzsuche erfolgte, beträgt 1 Minute 2 Sekunden (1- Minute 52 Sekunden). Im Durchschnitt starten Fahrer*innen mit der Suche nach einem Parkstand 91-Meter (Luftstrecke) vom Zielort entfernt. Navi-Apps vernachlässigen die Parksuchzeit (Assemi et al. [17]). Um herauszufinden, inwieweit die Schätzung von Navigations-Apps von der realen Reisedauer inklusive der Parksuchzeit abweicht, wurde die von Google Maps prognostizierte Reisedauer beim Fahrtantritt notiert, wodurch die aktuelle Verkehrssituation berücksichtigt wurde. Dieser Vergleich, der der der Schätzung der Nettoparksuchdauer entspricht, konnte nur für 192-Fahrten (der 205 Fahrten) durchgeführt werden. Der Median (das arithmetische Mittel) liegt bei 1 Minute 23-Sekunden (2 Minuten 5 Sekunden). Dieses Ergebnis zeigt nicht nur, dass Google Maps die Fahrtdauer unterschätzt, sondern auch, dass es notwendig ist, den Effekt der Parkplatzsuche auf die individuelle Reise- und Fahrdauer vorherzusagen und in Navi-Apps zu implementieren. Zu betonen ist, dass die Daten nicht repräsentativ und stark von der Pandemie beeinflusst sind, was die relativ geringe Parksuchdauer erklären kann. Diese Datenerfassung und -analyse dient aber dem vertiefenden Verständnis des Prozesses der Parksuche. Die Ergebnisse fanden bei der Entwicklung und Gestaltung der start- 2park-App Berücksichtigung. Die start2park-App Die start2park-App kann seit Ende August 2021 in den App Stores heruntergeladen werden. Bild 3 zeigt beispielhaft die mit der start2park-App gesammelten Daten für eine Testfahrt. Die blauen Punkte Methoden, um Parksuch-verkehr zu messen Erläuterung Berücksichtigung der kontrafaktische Situation JA NEIN Beobachtung von Fahrzeugen im Verkehrsfluss PSV liegt vor, wenn Beobachtungspunkt wiederholt passiert wird. nur Anteil des PSV ermittelbar Befragung von Autofahrer*innen Befragung nach dem Parkvorgang oder Abfrage von Durchschnittswerten Nur Ermittlung von Bruttowerten möglich Park-and-Visit- Tests: Messung der Zeit, die benötigt wird, um ab Erreichen eines Zielortes einen Parkstand zu finden Annahme: PSV beginnt erst am Zielort. Ermittlung von Bruttowerten Nutzung von GPS-Daten Annahme über Beginn der Parksuche nötig (Radius um den Zielort) Direktes Tracking von PSV (Projekt start2park) Exakte Messung: Beginn der Parksuche, Weg- und Zeitpunkte der Parksuche Nettowerte über z. B. Google Maps Abfragen möglich Ermittlung von Bruttowerten Die Typologie der Methoden folgt Hampshire und Shoup [11]. PSV = Parksuchverkehr; PV = Parkvorgang Tabelle 1: Erhebungsmethoden Parksuchverkehr Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 82 TECHNOLOGIE Wissenschaft Autoren (Jahr) Wichtigste Ergebnisse Methode, Daten, Untersuchungsgebiet, -zeitraum und -zeitpunkt Ergebnis-Variable Potentielle Einflussfaktoren Assemi et al. (2020) [17] Beobachtung, Befragung, n=598 Fahrzeuge bzw. n=138, 3 Straßen in Brisbane, 2019 PSZ (kategoriale Größe) Ankunftszeit, Fahrtzweck, Parkdauer, Fahrtdauer, Parkhäufigkeit, Navi-App, Geschlecht, Gebühren, Verkehr, Parkumschlag, Auslastungsgrad Ankunftszeit hat signifikanten Einfluss auf PSZ. Fahrer*innen, welche nur gelegentlich im Untersuchungsgebiet parken, brauchen signifikant länger für das Finden eines Parkstandes. Parkgebühren nahegelegener off-Street-PP haben einen positiven Effekt auf PSZ. Fahrer*innen mit Fahrtzweck „Arbeit“ suchen häufiger einen Parkplatz. Belloche (2015) [20] Park-and-visit-Erhebung, n=896 Fahrten 10 Stadtteile in Lyon, 2008 PSZ PP-Standort, Parkdauer, -gebühren, Belegungsbzw. Überlastungsgrad, Stauquote Mit Erreichen des Zielortes wird erhoben, wie lange es dauert einen freien Parkstand zu finden. Durchschnittliche Parksuchgeschwindigkeit: 9,9 km/ h. Mittlere Parksuchzeiten variieren in den 10 Stadteilen zwischen 50 und 666 Sek. Abbruch nach 20 Minuten = max. PSZ. Brooke et al. (2018) [14] Befragung, Nottingham, Leicester, Derby and Lincoln, März - Juni 2014, n=1.002 PSZ Parkgebühren, Gebietstyp, Fahrtzweck, Uhrzeit, Park-, Fahrtdauer, Wetter, Parkpräferenzen, Fahrzeugtyp Wenn Autofahrender Parkgebühren akzeptiert, sinkt die PSZ um 42 Sekunden (Mittlere PSZ 93 Sekunden). Je länger die Parkdauer, desto länger die PSZ. PSZ wird signifikant beeinflusst durch: Uhrzeit des PV, Fußweg zum endgültigen Zielort, Fahrtdauer. Cookson und Pishue (2017) [12] Kombination INRIX Parking Datenbank & Umfragedaten, n=18.000 Autofahrende in 30 Städten in GB, USA und Deutschland, 2016 PSZ, Kosten der Parksuche Suchzeit: Die durchschnittliche Zeit (Minuten pro Fahrt), die die Fahrer in jeder Stadt nach ihren Angaben benötigten, um einen Parkplatz zu finden Die mittlere PSZ beträgt 9 Minuten. Im Bericht werden durchschnittliche Werte für die PSZ (on-street vs. off-street) sowie die durchschnittlichen PV pro Woche und der Anteil des On-street-Parkens in großen Städte in den USA, GB, D angegeben. Gantelet und Lefauconnier (2006) [19] Anwohnerbefragung, Frankreich (Grenoble, Lyon, Paris) PSZ Mittlere PSZ: Grenoble 3,3 min, Lyon 11,8 min, Paris (Geschäftsviertel) 10 min und Paris-(St. Germain) 7,7 min; Unter 15 min PSZ beträgt die durchschnittliche Entfernung zum Zielort weniger als 200 m, Entfernung steigt mit zunehmender PSZ; Reaktionen der Autofahrenden, wenn Parksuche erfolglos (z.B. Off-street-Parken, Falschparken). Hampshire und Shoup (2018) [11] Beobachtung, n=876 Straßenparkplätze, Stuttgart- Mitte, 2 Tage Sept. 2017 (9-18.30 Uhr) Anteil des PSV am Gesamtverkehr Wie viele Autos fahren an einem frei gewordenen PP vorbei, bevor ein Fahrzeug einparkt. 15 % am GV ist PSV. Inci et al. (2017) [3] Daten Parkraumbewirtschaftung, n=191.771 PV, Geschäftsstraße Istanbul, 1.2010 bis 3.2013 Zusätzlicher PSV, durch ein weiteres geparktes Auto Zuflussrate und Belegungsgrad Ein zusätzlich geparktes Auto verursacht einen um 3,6 Fahrzeuge reduzierten stündlichen Zufluss in den Parkraum. Qin et al. (2020) [18] Befragung im Anschluss an das Parken, n=173, Geschäftsbereich in Peking, April/ Mai 2016 PSZ, Entscheidung pro/ contra PP weitersuchen. Soziodemographie, Fahrtweck, Mitfahrer, Eigenschaften des PP Mittlere Parksuchzeit ca. 1 min (Distanz 103 Meter). 5-17 % würden auch illegal parken, wenn kein anderer PP am Zielort verfügbar. Die Wahrscheinlichkeit einen weiter entfernten On-street-PP zu wählen und damit die Parksuche zu beenden, steigt mit höherer Belegungsrate, weiterem Parksuchweg und Fußweg. Informationen über freie Parkplätze führen zu geringerer PSZ. Lee et al. (2017) [13] Befragung, Mai-Juni 2013 u. April-Mai 2015, 17-20 Uhr, freitags und samstags, n=100 (50 Onu. 50-Offstreet-Parkende) South Bank (Brisbane) PSZ Parkdauer, Fahrtzweck hier: Freizeit, Kenntnis über Parksituation vor Ort, Präferenzen on/ off-street, Parkgebühr Fehlende Kenntnis über Parkgebühren erhöht PSZ. Je besser die Ortskenntnis und Kenntnis über die Parksituation, desto geringer die Zeit des PSV. Je höher die erwarteten Parkgebühren, desto höher die PSZ. Montini et al. (2012) [8] Personenbezogene GPS-Daten, 2004-2006 Zentrum in Genf und Zürich; Nordost- und West.- Schweiz PSV: Wege u. Zeiten (Netto), Fußweg zum Zielort Aus den personenbezogenen GPS-Daten werden Autofahrten ermittelt. Der letzte GPS-Punkt einer Fahrt wird mit Informationen aus Daten der Parkraumbewirtschaftung einem PP (Typ) zugeordnet. Annahme: PSZ beginnt mit Einfahren in einen 800m-Radius rund um den Parkstand. PSV (Zeit und Wege) ist die Differenz zwischen der tatsächlichen und kürzesten Route (Dijkstra’s Algorithmus) zum PP. Detaillierte Analyse für Zürich-City: 80 % des PSV hat eine Distanz <500 Meter. PSV variiert stark in den einzelnen Stadtteilen. Dalla Chiara und Goodchild (2020) [9] GPS-Daten von Nutzfahrzeugen, Oktober und November 2018, n=2894 Fahrten, Innenstadt von Seattle, USA PSZ, Anteil des PSV am Gesamtverkehr Fahrtdauer, Georäumliche Objekte, Abfahrtszeit und Tag Die PSZ wird geschätzt als die Abweichung zwischen der tatsächlichen Fahrtdauer und der Google-Maps-Schätzung der unbeobachteten Fahrt, bei der der Fahrer den verfügbaren Parkplatz am Zielort im Voraus kennt und den schnellsten Weg dorthin nimmt. Der Median der PSZ beträgt 2,3 Minuten. Die PSZ wird durch die am Reiseziel verfügbare Parkinfrastruktur beeinflusst. Die PSZ macht im Durchschnitt 28 % der Gesamtreisezeit aus. van Ommeren et al. (2012) [15] Niederländische Reiseerhebung (MON), Befragung, 2005-2007, n=11.425 (7.081 on-street, 4.344 off-street) PSZ Alter, Geschlecht, Einkommen | Mitfahrer, Fahrtdauer, Ankunftszeit, Fahrtzweck, Durchschnittliche PSZ nur 36 Sekunden. Interpretation: Off- und On-street-Parkgebühren sind in den Niederlanden nahezu identisch. PSZ höher bei Fahrtzwecken Einkaufen und Freizeit sowie in großen Städten. PSZ umso höher, je länger die Fahrt- und Parkdauer. Muster über den Tag ist erkennbar mit Spitzen am Morgen. Je höher das Einkommen und damit der Zeitwert, desto geringer PSZ. Weinberger et al. (2020) [7] GPS-basierte Haushaltsbefragung + Videos, San Francisco und Ann Arbor PSV: Anteil, Zeiten, Wege (Netto) PSZ beginnt mit Einfahren in einen 400m-Radius rund um letzten GPS-Punkt = Zielort = PP. PSV (Zeit und Wege) ist die Differenz zwischen der tatsächlichen und kürzesten Route zum Parkstand. PSV ist nur an einigen Orten der untersuchten Städte problematisch, im Mittel weniger als 5-6 % der Fahrten; weniger als 1 % des GV. Durchschnittlicher Weg im PSV: 547 m (Ann Arbor), 660 m (San Francisco). Mittlere PSZ 2 bis 3 Minuten (= Differenz tatsächlicher und kürzester Weg), Durchschnittsgeschwindigkeit 11 bis 14 mph (= 17,7 - 22,5 km/ h). Anmerkungen: PP = Parkplatz; PV = Parkvorgang; PSZ = Parksuchzeit; PSV = Parksuchverkehr; GV=Gesamtverkehr Tabelle 2: Übersicht - Studien zur Parksuche Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 83 Wissenschaft TECHNOLOGIE auf der Karte zeigen die Fahrtroute bis zum Start der Parkplatzsuche. Rote Punkte zeigen die Parkplatzsuche, bis ein Parkplatz gefunden ist. Grüne Punkte zeigen den Fußweg zum Zielort. ■ 1 Ausgehend von Parkgebühren in Höhe von 1 $/ h, einem Parkstandangebot von 50 % möglicher On-street-Parkstände und einem Anteil des Parksuchverkehrs von 30 % am Gesamtverkehr führt eine Erhöhung der Park-gebühren auf 6,37 $/ h bei unveränderter Anzahl an On-street-Parkständen zu einem Parksuchverkehrsanteil von 0 %. Dies wird auch bei Gebühren in Höhe von 0,74 $/ h und einer Erhöhung der On-street-Parkstände auf 65,2 % erreicht. 2 Das Forschungsprojekt wird im Rahmen der Förderrichtlinie Modernitätsfonds („mFUND“) durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur gefördert. Kooperationspartner der Frankfurt UAS in diesem Forschungsprojekt sind zwei Partner aus der Wirtschaft, die Fluxguide Austellungssysteme GmbH und die Bliq GmbH. LITERATUR [1] Shoup, D. (2006): Cruising for parking. In: Transport Policy 13, S. 479-486. [2] Arnott, R.; Rowse, J. (1999): Modeling Parking. In: Journal of Urban Economics 45 (1), S. 97-124. 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Bei der Akquise von Testfahrer*innen wird das Forschungsprojekt neben dem ADAC Hessen- Thüringen auch von zahlreichen Städten und dem Bundesverband Parken e.V. unterstützt. Weitere Informationen sowie regelmäßige Updates zu Ergebnissen aus dem Forschungsprojekt sind zu finden unter www.start2park.com. Siavash Saki, M. Eng. Wissenschaftlicher Mitarbeiter (ReLUT), Frankfurt University of Applied Sciences, Frankfurt siavash.saki@fb3.fra-uas.de Sabine Scheel-Kopeinig, Dr. Senior Researcher (ReLUT), Frankfurt University of Applied Sciences, Frankfurt s.scheel-kopeinig@fb3.fra-uas.de Tobias Hagen, Prof. Dr. Direktor Research Lab for Urban Transport (ReLUT) Frankfurt University of Applied Sciences, Frankfurt thagen@fb3.fra-uas.de Bild 3: Visualisierung einer mit der start2park-App durchgeführten Testfahrt. Quelle: Eigene Erhebung; Kartenmaterial: © OpenStreetMap-Mitwirkende, www.openstreetmap.org/ copyright Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 84 Ermittlung der Belastungen auf die Struktur eines Forschungsfahrzeugs in Sandwichbauweise Versuchsfahrten, Strukturbelastungen, Messdatenermittlung, Forschungsfahrzeug, Sandwichbauweise Am Institut für Fahrzeugkonzepte des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) wurde im Rahmen des Verbundforschungsprojektes Next Generation Car (NGC) ein sehr leichtes Fahrzeugkonzept der L7e-Klasse als Forschungsdemonstrator entwickelt, das trotz geringem Gewicht sehr gute Crasheigenschaften aufweist. Das Strukturkonzept beinhaltet die konsequente Anwendung von Hybrid-Werkstoffen in einer Sandwichbauweise, so dass sich eine leichte Struktur ergibt, die aus vergleichsweise wenigen, einfach geformten Bauteilen besteht. Aufbauend auf diese Struktur wurde ein Forschungsfahrzeug entwickelt und aufgebaut, mit dem Versuchsfahrten durchgeführt werden. Ein wichtiges Ziel dieser Versuchsfahrten ist die Ermittlung der Belastungen, die während der Fahrt auf die Struktur des Fahrzeugs wirken. Michael Kriescher, Georg Seidel, Sebastian Scheibe D as Forschungsfahrzeug Safe Light Regional Vehicle (SLRV) (Bild 1) ist als sehr leichtes, aerodynamisch günstiges Fahrzeug der L7e-Klasse konzipiert, das geringe Fahrwiderstände und damit einen geringen Energiebedarf aufweist. Da bis zu 2/ 3 des Energiebedarfs gewichtsabhängig sind [1], ist ein geringes Fahrzeuggewicht ein wesentlicher Faktor für die Reduzierung des Energiebedarfs. Um trotz des geringen Gewichtes eine Reichweite von 400 km zu erzielen, wird das Fahrzeug als Zweisitzer mit Brennstoffzellen-Batterie-Hybrid-Antrieb ausgelegt. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 120-km/ h. Ein wesentliches Projektziel war es, trotz des sehr geringen Karosseriegewichtes von nur 90 kg, eine Crashsicherheit zu erreichen, die weitgehend dem Stand der Technik in der M1-Klasse entspricht. Dabei sollen die Kosten für die Herstellung der Karosserie durch die Verwendung weniger, relativ einfach geformter Bauteile aus konventionellen Werkstoffen gering gehalten werden. Struktur des SLRV Um die Projektziele zu erreichen, wird eine sehr leichte Karosseriestruktur entwickelt, die nahezu vollständig aus Sandwichelementen besteht. Die Verwendung teurer Werkstoffe wie CFK wird möglichst vermieden. Stattdessen werden Sandwichstrukturen mit metallischen Decklagen für die wesentlichen Strukturbauteile verwendet. Solche Sandwichbauteile wurden bislang selten im Automobilbau eingesetzt, da sie normalerweise nur für kastenförmige Strukturen mit geraden Wänden angewandt werden [2]. Bild 1: Forschungsfahrzeug SLRV während einer Versuchsfahrt Darstellungen: DLR TECHNOLOGIE Fahrzeugbau Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 85 Fahrzeugbau TECHNOLOGIE Das Konzept des SLRV verwendet hingegen im Bereich der Bodenwanne dreidimensional geformte Sandwichbauteile, die im oberen Teil mit einer mit Schaum gefüllte Ringstruktur schließen, so dass eine metallische Monocoque-Struktur entsteht. Im Bereich von Vorder- und Hinterwagen werden dagegen kastenförmige Strukturen aus geraden Platten verwendet (Bild 2). Die Karosserie ist so gestaltet, dass ihre Herstellung nur wenige Werkzeuge und damit vergleichsweise geringe Investitionskosten erfordert, was eine Produktion schon bei geringen bis mittleren Stückzahlen profitabel macht. Untersuchungen der Crasheigenschaften der Karosserie wurden am DLR an Proben, einzelnen Bauteilen und kompletten Karosserien durchgeführt [3]. Die hohe Eigensteifigkeit von Sandwichbauteilen bewirkt dabei, dass ein großflächiges Beulen oder Knicken der Teile weitgehend verhindert wird, was zu einem günstigen Verhältnis von Gewicht und passiver Sicherheit führt. Um ein geringes Gewicht zu erzielen, sind die Sandwichbauteile des SLRV dünnwandig ausgeführt. Je nach Bauteil beträgt die Wandstärke 0,5 bis 1 mm. Das Verhalten der Bauteile im Fahrbetrieb ist daher von Interesse, und wird durch Fahrversuche mit dem Forschungsfahrzeug untersucht, bei denen die Belastungen auf die Karosserie mit Kraftmesselementen aufgezeichnet werden. Zusätzlich werden die beim Fahren auftretenden Dehnungen an ausgewählten Stellen der Karosserie ermittelt. Messmethoden Kräfte mechanisch bekannter Objekte können über die von ihnen verursachte Verformung gemessen werden. Die resultierende Dehnung wird mit Hilfe von Dehnungsmessstreifen, kurz DMS, elektrisch gemessen [4]. Das SLRV wurde so konzipiert, dass sich der Vorder- und Hinterwagen jeweils komplett von der Fahrgastzelle abschrauben lassen. Die Möglichkeit des Abschraubens erleichtert die Erreichbarkeit bei etwaigen Reparaturen. Um die Kräfte an den Vorder- und Hinterwagenanbindungen zu messen, wurden spezielle DMS in Schrauben appliziert. Hierfür wurden Löcher im dehnbaren Teil längs der Schraube gebohrt und die DMS eingeklebt. Anschließend wurden die Schrauben jeweils eingespannt und eine Sensorkennlinie bei mehreren Kraftniveaus bei einer quasi-statischen Prüfung erstellt. Im Vorfeld wurden mit Hilfe von Finiter Elemente Methode bei zwei Fahrmanövern die Anbindungspunkte mit der höchsten Belastung definiert und diese mit Schrauben mit DMS verschraubt. Die Fahrgastzelle des SLRV besteht aus einer Wanne in Sandwichbauweise mit einer aufgesetzten ausgeschäumten Stahl- Ringstruktur. Um an der Wanne Spannungen zu berechnen, wurden Dehnungen mit Hilfe von fünf unidirektionalen DMS gemessen. Wie in Bild 3 gezeigt, wurde an der Unterseite der Wanne jeweils ein DMS im vorderen, linken, rechten, mittleren, und hinteren Bereich angeklebt. Um Dehnungen an der Struktur am Vorderwagen zu messen, wurden DMS an der Sandwichdeckschicht angebracht. Bei vorherigen Simulationen [5] der SLRV-Struktur sind bei unterschiedlichen Belastungszuständen Bereiche mit den potentiell höchsten Spannungen definiert worden. An einem dieser Bereiche wurden, wie in Bild 4 zu erkennen, zwei sogenannte Rosetten- DMS angebracht. Wenn zwei oder mehr Dehnungsmessstreifen nahe beieinander positioniert werden, ist von einer Rosetten- DMS zu sprechen. Im dargestellten Fall sind drei DMS jeweils im 45°-Winkel zueinander auf einer Trägerfolie angeordnet. An den Dämpferaufnahmen sind Kraftmessbolzen und Seilzugwegaufnehmer angebracht, um die Belastungen auf das Fahrwerk und auf die Struktur zu messen. Die entstehenden Kräfte, die vom Fahrwerk auf die Vorder- und Hinterwagenstruktur wirken, werden durch Kraftmessbolzen an der Federbeinaufnahme gemessen. In Bild 5 ist eine Zeichnung des Kraftmessbolzen in grau mit einer Federbeinaufnahme in grün und einem Dämpferauge in braun vereinfacht dargestellt. Auf den Kraftmessbolzen sollten nur in einer vorgeschriebenen Einwirkungsrichtung Kräfte wirken. Durch die in den Kraftmessbolzen entstehenden Scherkräfte können Zug- und Druckkräfte der damit verbundenen Bauteile bestimmt werden, welche wie bei herkömmlichen flachen DMS, durch die Widerstandsände- Bild 2: Struktur des SLRV. Vorder- und Hinterwagen aus Sandwichbauteilen in Plattenbauweise; Ringstruktur aus Stahl; Bodenwanne in dreidimensional geformter Sandwichbauweise Bild 3: Unteransicht des SLRV mit angebrachten DMS an Wanne Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 86 TECHNOLOGIE Fahrzeugbau rungen des Messgitters gemessen werden können. Als Temperatursensoren werden im SLRV Pt100-, d. h. 100- Ω -Platinwiderstände, eingesetzt. Temperatursensoren wurden beim SLRV an sechs unterschiedlichen Stellen befestigt. Es wurden jeweils zwei Temperatursensoren im Vorderwagen an der Brennstoffzelle sowie im Fahrgastraum am Gleichspannungswandler hinter dem Beifahrersitz angebracht. Im Hinterwagen wurden ein Temperatur-Sensor hinter der Batterie und ein weiterer hinter den Motoren angebracht. Zusätzlich misst ein Laser die Bodenfreiheit. Des Weiteren wurden zur Messung der Fahrdynamik Beschleunigungssensoren angebracht. Ein GPS (Global Positioning System)-Empfänger bestimmt die Geschwindigkeit und gibt Auskunft über das gefahrene Höhenprofil. Für die Überwachung des Betriebszustandes und der Funktionstauglichkeit werden die Spannung sowie der Strom an der Brennstoffzelle und dem Akkupack gemessen. In diesem Beitrag wird eine Auswahl der ermittelten Daten vorgestellt und mit Materialkennwerten verglichen. Lastfälle bei Simulationen Bei vorherigen Simulationen [5] wurden unterschiedliche Lastfälle, welche für die Fahrzeugstruktur eine hohe Belastung oder Versagen verursachen, untersucht. Für die in diesem Bericht beschriebenen Versuchsfahrten sind drei Lastfälle relevant. Für die Radlasten wurde zum einen für extreme Kurvenfahrten nach links und rechts und zum anderen bei extremem Bremsen jeweils konservativ die zweifache Radlast angenommen und die dabei entstehenden Spannungen auf die Struktur ermittelt. Zusätzlich wurde als dritter Lastfall ein vertikaler Stoß, wie er beim Überfahren einer Bodenwelle entstehen kann, untersucht. Dabei wurde die dreifache Radlast berücksichtigt. Lastfälle im Versuch Da das SLRV als Demonstrator ein Einzelstück ist und ein Folgebetrieb geplant war, wurden die Versuchsfahrten so durchgeführt, dass das SLRV nicht über strukturelle Grenzen belastet wurde. In den Fahrversuchen wurden Kreisfahrten nach links und rechts durchgeführt sowie stark abgebremst. Bei den Kreisfahrten wurden maximal 0,43 g nach links und 0,57 g nach rechts gemessen. Bei Bremsversuchen wurden maximal 0,58 g aufgezeichnet. Ergebnisse der Fahrversuche Bei Kreisfahrten zeigt sich, wie bei einer Kreisfahrt nach links in Bild 6 zu sehen, dass Bild 5: Kraftmessbolzen an der Federbeinaufnahme, Kraftmessbolzen in Grau mit einer Federbeinaufnahme in Grün und einem Dämpferauge in Braun vereinfacht dargestellt Quelle links: Datenblatt Messbolzen, Batarow Sensorik GmbH; rechts: www.batarow.com/ messbolzen-wiki -250 -200 -150 -100 -50 0 50 100 150 200 250 300 Beschleunigung-[g] 5.2 5.4 5.6 5.8 6.0 6.2 6.4 6.6 6.8 7.0 Kraft-[kN] 130 140 150 160 Zeit-[s] Beschleunigung-vorne Beschleunigung-hinten Bolzen-vorne-links-+-hinten-links Bolzen-vorne-rechts-+-hinten-rechts Bild 6: Kraftverlauf der Kraftmessbolzen bei einer Kreisfahrt nach links; zeigt höhere Belastung auf kurvenäußerer Fahrzeugseite und niedrigere Belastungen auf die Struktur auf der Kurveninnenseite Bild 4: Zwei Rosetten-DMS an Vorderwagenstruktur zur Messung erwarteter Spannungsspitzen in diesen Bereichen Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 87 Fahrzeugbau TECHNOLOGIE die Kräfte an der kurvenäußeren Fahrzeugseite steigen und an der Fahrzeuginneren sinken. Der Schwerpunkt des Fahrzeugs verschiebt sich bei der Kurvenfahrt nach außen und die kurvenäußere Seite wird, wie in Bild 6 zu erkennen, stärker belastet. In einer Kreisfahrt steigen die Kräfte auf die Struktur um bis zu 0,625 kN. Die Kraft an den Dämpfern verteilt sich jeweils auf an der Vorder- und Hinterwagenstruktur aufgeklebte und angeschraubte Platten. Wirkt die gemessene Kraft dabei- ideal auf die gesamte Fläche von 5.000- mm 2 , entspricht das einer Spannung von 0,125- MPa und ist niedriger als der Streckgrenze der 0,5 mm dicken Aluminium-Deckschicht, EN-AW6082-T6, und unter der Druckfestigkeit von 0,8 MPa des 20- mm dicken Kernmaterials. Bei einer lokalen Spannungsspitze, zum Beispiel an der Kante der Anbindungsplatte, verteilt sich die Kraft ausschließlich auf eine kleine Fläche und erzeugt somit deutlich höhere Spannung und wäre deutlich kritischer. Daher sind eine komplett flächige Verklebung und eine gleich feste Verschraubung wichtig, um Spannungsspitzen bei der Anbindung zu verhindern. Rosetten-DMS am Vorderwagen Die höchsten Spannungen, welche bei den Rosetten-DMS gemessen wurden, waren bei einer Kreisfahrt nach rechts und sind in Bild- 7 dargestellt. Die Messstelle der DMS war dabei auf der kurvenäußeren Seite. Die maximale Hauptspannung wird bei der oberen DMS-Rosette mit 5,5 MPa gemessen. Dies ist deutlich unterhalb der Streckgrenze von 260 MPa der Deckschicht. Eine Spannungsmessung zwischen Deckschicht und Kern wäre an dieser Stelle hilfreich, um eine Beschädigung des Kerns oder eine Delamination des Sandwichverbunds auszuschließen. Eine Sichtprüfung wäre nur nach Zerstören der Deckschichten möglich. Von außen erscheinen die Sandwichplatten auch nach mehreren Testfahrten unverändert. Aufgrund des deutlich niedrigeren E-Moduls ist davon auszugehen, dass die Spannungen am Kern deutlich niedriger als die an der Außenseite der Deckschicht gemessenen 5,5 MPa sind. DMS unten an der Wanne Bei allen Fahrmanövern waren die berechneten Spannungen an den Messstellen an der Unterseite der Wanne im niedrigen einstelligen Bereich. Die größte Dehnungsänderung wurde bei einer Kreisfahrt nach rechts, in Bild 8 gezeigt, gemessen. Auf der linken, kurvenäußeren Seite sinkt dabei die Spannung um 1,2 MPa, während sie auf der rechten, kurveninneren Seite um knapp 0,9-MPa steigt. Bei einer Kreisfahrt in Fahrtrichtung links sinkt ebenfalls die Spannungen an der kurvenäußeren und steigt an der kurveninneren Seite. In Hinblick auf die Zugfestigkeit von 190 MPa der 0,9 mm dicken Deckschicht aus Aluminium EN- AW6016-T6 sind die Spannungen vernachlässigbar klein. Bei dieser Klebverbindung wurde der Zweikomponentenklebstoff Betamate 2096 mit einer Scherfestigkeit von 18 MPa verwendet. Da der E-Modul des Kernmaterials deutlich niedriger ist als das der Aluminiumdeckschicht, ist auch hier zu erwarten, dass die Spannungen im Kern deutlich abfallen. Jedoch wären auch an dieser Stelle der Struktur Spannungswerte an der Innenseite des Sandwichs hilfreich, um den Zustand der Struktur besser beurteilen zu können. Auch ein Versagen der Klebverbindung kann dadurch ausgeschlossen werden. DMS in Schrauben In Bild 9 sind Kraft-Zeit-Verläufe bei Kurvenfahrten aus DMS-Messungen an einer Vorderwagenanbindung auf der rechten Seite und einer Hinterwagenanbindung auf der linken Seite in Fahrtrichtung dargestellt. Bei einer Kurvenfahrt wirken die Kräfte vorne rechts und hinten links an den Anbindungen in gegensätzliche Richtungen. Bei einer Rechtskurve entstehen bei Anbindung hinten links Zugkräfte und bei der Anbindung vorne rechts Druckkräfte in der Schraube. Die Kräfte sind vorne wie hinten jedoch nicht über 250 N und sehr niedrig. Die Anbindungsplatte, die an der Innenseite der Fahrgastwanne zum Verschrauben verwendet wird, hat eine Fläche von 3.689,1 mm 2 . Daraus ergibt sich eine Spannung bei optimaler Verteilung der 250- N auf die gesamte Fläche der Anbindungsplatte von 0,07 MPa. Auf der Außenseite der Wanne sind der Vorder- und Hinterwagen mit an der Struktur verklebten Einsätzen aus Alumnium mit der Wanne verschraubt. Die Einsätze haben eine Kontaktfläche von 1.551,19 mm 2 mit der Wanne. Bei den gemessenen 250 N ergibt sich bei einer gleichmäßigen Verteilung der Kraft auf die gesamte Fläche eine Spannung von 0,16 MPa. Die Spannung liegt deutlich unter der Druckfestigkeit des an der Wanne verwendeten Epoxid-Schaums von 2 MPa. -2.0 -1.5 -1.0 -0.5 0.0 0.5 1.0 1.5 2.0 2.5 3.0 3.5 4.0 4.5 5.0 5.5 6.0 6.5 Spannung-[MPa] 186 188 190 192 194 Zeit-[s] Haupt1_oben Haupt1_unten Haupt2_oben Haupt2_unten vonMises_oben vonMises_unten Bild 7: Änderungen der Hauptspannung und Von-Mises-Vergleichsspannung beider Rosetten-DMS am Vorderwagen bei einer Kreisfahrt nach rechts 1.4 1.5 1.6 1.7 1.8 1.9 2.0 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 2.9 3.0 Spannung-[MPa] 186 188 190 192 194 Zeit-[s] DMS_Wanne_links DMS_Wanne_rechts DMS_Wanne_mitte Bild 8: Spannungs-Zeit-Diagramm der DMS unten an der Wanne bei einer Kreisfahrt nach rechts Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 88 TECHNOLOGIE Fahrzeugbau An der Innen- und Außenseite sind die Spannungen an den Anbindungsteilen ausreichend niedrig, um die Struktur nicht zu beschädigen. Die niedrigen gemessenen Kräfte deuten darauf hin, dass bei der Auslegung des SLRV ausreichend viele Anbindungspunkte bei der Vorder- und Hinterwagenanbindung gewählt wurden. Temperatursensoren In Rot und in Grün sind in Bild 10 die zwei Temperaturen, welche an der Brennstoffzelle gemessen wurden, dargestellt. Ein Lüfter zieht frische Luft durch den Kühler der Brennstoffzelle. Er schaltet sich ab einer Kühlmitteltemperatur von 35 °C automatisch an und erreicht seine Höchstdrehzahl bei 45 °C. Durch den Luftstrom wir außerdem die Brennstoffzelle selbst umströmt und warme Luft wegbefördert. Die Temperaturen steigen bei sinkender Fahrgeschwindigkeit und sinken bei steigender Fahrgeschwindigkeit jedoch deutlich stärker, sodass die anströmende Luft durch den Fahrtwind den größten Temperaturunterschied verursacht. Die höchsten Temperaturen entstanden bei Fahrzeugstillstand und einer mittleren Leistungsabgabe der Brennstoffzelle. Dabei sind die Temperaturen jedoch nie über 50 °C unmittelbar an der Vorderwagenstruktur gestiegen. Der 20 mm dicke Polyethylenterephthalat (PET)-Schaum im Kern der Sandwichstruktur hat eine Glasübergangstemperatur von 100 °C und wird daher nicht durch zu hohen Temperaturen an der Brennstoffzelle beschädigt. Auch die Temperaturen an der Struktur hinter den Batterien und Motoren (Bild 11) übersteigen nie 50 °C, obwohl die Motoren selber deutlich heißer werden. Im Hinterwagen wird die warme Luft zum Teil mit Hilfe der Lüfter der vor den Motoren liegenden Batterie und dem seitlich an Löchern in der Struktur eintretenden Fahrtwind nach hinten raus aus der Struktur befördert. Die Temperaturen am Gleichspannungswandler sind in Bild 12 dargestellt und sind abhängig von dem Betriebszustand der Brennstoffzelle. Bei Stillstand des Fahrzeugs und maximaler Leistung der Brennstoffzelle pendelt sich die Temperatur bei maximal 51,3 °C ein. Der Gleichspannungswandler wurde, um die Temperaturen an der Struk- -200 -150 -100 -50 0 50 100 150 Kraft-[N] -400 -350 -300 -250 -200 -150 -100 -50 0 50 100 150 200 250 300 350 400 450 Beschleunigung-[mg] 120 140 160 180 200 Zeit-[s] Linkskurve Linkskurve Rechtskurve Rechtskurve Rechtskurve DMS_Schraube_vorne_rechts DMS_Schraube_hinten_links Beschl_V_X Bild 9: Kraft-Zeit-Verläufe bei den DMS an der Vorder- und Hinterwagenanbindung 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 1.2 1.4 1.6 1.8 2.0 2.2 2.4 2.6 2.8 3.0 Leistung [kW] 39.4 39.6 39.8 40.0 40.2 40.4 40.6 40.8 41.0 41.2 Temperatur [°C] 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 Geschwindigkeit [km/ h] 400 450 500 Zeit [s] Leistung Brennstoffzelle Temperatur an der Brennstoffzelle links Temperatur an der Brennstoffzelle mitte GPS Geschwindigkeit Bild 10: Temperaturen links und mittig an der Brennstoffzelle, Geschwindigkeit, und die Leistung der Brennstoffzelle über die Zeit -0.2 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 1.2 1.4 1.6 1.8 2.0 2.2 2.4 Leistung [kW] 33.6 33.8 34.0 34.2 34.4 34.6 34.8 35.0 35.2 35.4 35.6 35.8 36.0 Temperatur [°C] 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 Geschwindigkeit [km/ h] 100 200 300 400 500 600 700 Zeit [s] Leistung Brennstoffzelle Temperatur hinter Motor GPS Geschwindigkeit Bild 11: Temperatur hinter einem Motor, Geschwindigkeit, und die Leistung der Brennstoffzelle über die Zeit -0.2 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 1.2 1.4 1.6 1.8 2.0 2.2 2.4 Leistung [kW] 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 Temperatur [°C] 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 Geschwindigkeit [km/ h] 100 200 300 400 500 600 700 Zeit [s] 51.323 °C Leistung Brennstoffzelle Temperatur Gleichspannungswandler GPS Geschwindigkeit Bild 12: Temperatur am Gleichspannungswandler, Geschwindigkeit, und die Leistung der Brennstoffzelle über die Zeit Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 89 Fahrzeugbau TECHNOLOGIE Georg Seidel, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, DLR Institut für Fahrzeugkonzepte, Stuttgart g.seidel@dlr.de Sebastian Scheibe, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, DLR Institut für Fahrzeugkonzepte, Stuttgart sebastian.scheibe@dlr.de Michael Kriescher, Dipl.-Ing. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, DLR Institut für Fahrzeugkonzepte, Stuttgart michael.kriescher@dlr.de tur niedrig zu halten und mehr Abstand zwischen Struktur und Gleichspannungswandler zu bekommen, auf zwei Aluminiumblöcke geschraubt. Zusätzlich wurde um den Gleichspannungswandler eine Box aus Kunststoff gebaut. Ein Lüfter am Gleichspannungswandler bläst warme Luft aus der Box weg von der Struktur. Zusammenfassung In mehreren Fahrversuchen wurden die auftretenden Belastungen im Fahrbetrieb des SLRV ermittelt. Im Fokus standen dabei die neuartigen Sandwichmaterialien, aus denen die Struktur des SLRV zu einem großen Teil besteht. Es konnte gezeigt werden, dass die Belastungen aller untersuchten Sandwichbauteile jeweils deutlich unter ihren jeweiligen Maximalwerten lagen. Das verwendete Sandwichmaterial eignet sich somit sehr gut als Werkstoff für die Fahrzeugstruktur. Durch die verwendeten zerstörungsfreien Testmethoden im Fahrbetrieb konnte die äußere Struktur optimal untersucht werden. Die innere Struktur, d. h. der Kern des Sandwichmaterials, konnte damit leider nicht untersucht werden. Hier kann nur durch Messwerte der Decklagen und Berechnungen auf die Belastung im Kern geschlossen werden. Obwohl der verwendete PET-Schaum als Thermoplast empfindlich gegenüber Wärme ist, konnte gezeigt werden, dass die entstandene Wärme im Fahrzeug nicht zu einer Schwächung der Struktur führt. Sämtliche Wärmeerzeuger wie Brennstoffzelle, Gleichspannungswandler und Motoren werden somit ausreichend gekühlt. Am Beispiel des SLRV konnte gezeigt werden, dass es möglich ist, die komplette tragende Fahrzeugstruktur aus einem Sandwichmaterial herzustellen, welche die notwendige Stabilität für die untersuchten Lastfälle bietet und außerdem eine hohe Crashsicherheit aufweist. ■ LITERATUR [1] Friedrich, H. E.; Hülsebusch, D. (2009): Elektro-Fahrzeugkonzepte und Leichtbau: Anforderungen für neue Werkstoffe 1. Internationaler eCarTec Kongress für individuelle Elektromobilität, München [2] Davies, H. C.; Bryant, M.; et al. (2011). Design, development and manufacture of an aluminium honeycomb sandwich panel monocoque chassis for Formula Student competition. In: Journal of Automobile Engineering [3] Kriescher, M.; et al.: Development of the Safe Light Regional Vehicle (SLRV) vehicle concept within the DLR Next Generation Car (NGC) project [4] Parthier, R. (2016): Messtechnik, Grundlagen und Anwendungen der elektrischen Messtechnik, Springer Vieweg, 2016 [5] Seidel, G. (2019): Funktionsabsicherung von leichten Strukturbauteilen in Metall-Sandwichbauweise für ein Forschungsfahrzeug. Masterarbeit, Institut für Flugzeugbau, Universität Stuttgart, Institut für Fahrzeugkonzepte, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V., April 2019 [6] Reif, K. (2010): Sensoren im Kraftfahrzeug. Vieweg Teubner, 2010 [7] Hering, E.; Schönfelder, G. (2018): Sensoren in Wissenschaft und Technik, Funktionsweise und Einsatzgebiete. Springer Vieweg, 2018 WISSEN WAS MORGEN BEWEGT Schiene, Straße, Luft und Wasser, globale Verbindungen und urbane Mobilität: Viermal im Jahr bringt Internationales Verkehrswesen fundierte Experten- Beiträge zu Hintergründen, Entwicklungen und Perspektiven der gesamten Verkehrsbranche - verkehrsträgerübergreifend und zukunftsorientiert. Ergänzt werden die deutschen Ausgaben durch die englischsprachige Themen-Ausgabe International Transportation. Mehr dazu unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen gehört seit 1949 zu den führenden europäischen Verkehrsfachzeitschriften. Der wissenschaftliche Herausgeberkreis und ein Beirat aus Professoren, Vorständen, Geschäftsführern und Managern der ganzen Verkehrsbranche verankern das Magazin gleichermaßen in Wissenschaft und Praxis. Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin ist zudem Wissens-Partner des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld. INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN - DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN »Internationales Verkehrswesen« und »International Transportation« erscheinen bei der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, www.trialog-publishers.de IV_Image_halb_quer.indd 1 IV_Image_halb_quer.indd 1 04.04.2018 12: 03: 35 04.04.2018 12: 03: 35 Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 90 TECHNOLOGIE Straßenbau Recycling von Betonbruch Verkehrliche, umweltbezogene und wirtschaftliche Optimierung Kreislaufwirtschaft, Ressourcenschonung, Recycling, Güterverkehr, Emissionen Das Recycling von Betonbruch gewinnt als Beitrag zur Ressourcenschonung und Reduzierung mineralischer Bauabfälle stark an Bedeutung. Zurzeit wird Betonbruch downgecycelt oder entsorgt. Ein technisch anspruchsvolleres Recycling von Betonbruch zur Verwendung in der Betonproduktion verändert die Stoff- und Transportströme. Der Beitrag befasst sich mit der Optimierung von Anlagenstandorten für das Recycling von Betonbruch und mit den Auswirkungen auf Energie, Emissionen und Verkehrsleistungen. Damit kann ein wichtiger Beitrag zur Schonung natürlicher Rohstoffe und zum Klimaschutz geleistet werden. Sabrina Puslat, Bert Leerkamp M ineralische Bauabfälle machen jährlich mehr als die Hälfte des gesamten deutschen Abfallaufkommens aus [1]. Durch das Recycling von Betonbruch zu rezyklierter Gesteinskörnung (RC-GK) für die Verwendung in der Betonproduktion können mineralische Bauabfälle wiederverwendet und der Abbau von natürlichen Rohstoffen reduziert werden. Im Rahmen einer Masterarbeit wurde ein Modell zur Optimierung der Anzahl und Lage von Aufbereitungsanlagen entwickelt und beispielhaft für die Stadt Köln angewendet [2]. Die Aufbereitung von Bauschutt, worin überwiegend Betonbruch enthalten ist, besteht aus den drei Schritten Zerkleinerung, Klassierung und Sortierung. Voraussetzung der Aufbereitung ist ein selektiver Rückbau. Ziel der Zerkleinerung ist es, die obere Korngröße des Aufgabematerials herabzusetzen und Einzelkomponenten aus Verbundstoffen aufzuschließen. Bei der Klassierung wird eine bestimmte Korngrößenverteilung erzeugt. Zuletzt werden durch die Sortierung Schad- und Störstoffe entfernt. Aktuell wird RC-GK überwiegend im Tief-, Straßen- oder Wegebau eingesetzt. Die Anforderungen zur Verwendung von RC-GK in der Betonproduktion sowie der erforderliche technologische Aufbereitungsaufwand sind demgegenüber höher und daher ausschließlich in stationären Aufbereitungsanlagen realisierbar. [3] Bei der Aufbereitung von Bauschutt zu RC-GK entsteht bis zu 50 % Brechsand, dies ist RC-GK mit einem Größtkorn ≤ 4 mm [4]. Gemäß der Richtlinie des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton (DAfStb) darf RC- GK ≤ 2 mm in Deutschland nicht verwendet werden [5]. Aufgrund dessen wird der Brechsand zurzeit im Tief-, Straßen- und Wegebau weiterverwertet oder auf Deponien entsorgt [4]. In mehreren Untersuchungen wurde nachgewiesen, dass Betonbrechsand als Zementhauptbestandteil geeignet ist [4, 6, 7]. Aktuell ist die Verwendung von Betonbrechsand als Zementhauptbestandteil in Deutschland allerdings nur mit einem bauordnungsrechtlichen Verwendbarkeitsnachweis möglich [7]. Methodik Ermittlung der Stoff- und Verkehrsströme Betrachtet wurden die folgenden Akteure der Betonindustrie: •• Steinbrüche •• Zement- und Mahlwerke •• Transportbetonwerke •• Abnehmer von Beton •• Verursacher von Betonbruch •• Recyclinghöfe •• Deponien Die Standorte der Akteure wurden in Quantum-GIS (Version 3.16.1) georeferenziert und erhielten zur Anbindung an das Straßennetz jeweils einen Zugangspunkt. Für die Modellbildung wurde angenommen, dass die Abnehmer sowie die Verursacher homogen in der Stadt Köln verteilt sind. Damit wurde eine Verflechtungsmatrix zwischen allen Standorten der Akteure berechnet, welche die Verkehrsströme im unbelasteten Straßennetz abbildet. Diese diente als Grundlage für die Ermittlung von Fahrleistungen schwerer Nutzfahrzeuge. Zum Aufbau der Verkehrsströme wurden jeweils die nächstgelegenen Akteure miteinander verbunden. Potenzielle Standorte für Bauschuttaufbereitungsanlagen Der Standort einer stationären Aufbereitungsanlage sollte sich nah an Siedlungsgebieten, wo der Bauschutt anfällt, befinden. Des Weiteren muss eine gute Anbindung an das öffentliche Straßennetz sowie ggf. an das Schienen- und Wasserstraßennetz vorhanden sein. Der spezifische Gesamtflächenbedarf einer Aufbereitungsanlage ist abhängig von der angestrebten Kapazität und beträgt durchschnittlich 0,17 m 2 * a * t −1 . Aufgrund der Lärm- und Schadstoffemissionen, welche bei der Aufbereitung entstehen, sind ausschließlich Industriegebiete als Standorte für Aufbereitungsanlagen geeignet. [3] Anhand der genannten Kriterien wurden die im aktuellen Flächennutzungsplan der Stadt Köln ausgewiesenen Industriegebiete gefiltert [8], woraufhin sich 52 Industriegebiete theoretisch als geeignete Anlagenstandorte erwiesen. Benachbarte Industrie- AT A GLANCE The recycling of concrete waste is becoming increasingly important as a contribution to conserving resources and reducing mineral construction waste. Currently, concrete waste is downcycled or disposed of. A technically more sophisticated recycling of concrete waste for use in concrete production changes the material and transport flows. The article deals with the optimization of plant locations for the recycling of concrete waste and the effects on energy, emissions and traffic. This makes an important contribution to conserving natural raw materials and protecting the climate. Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 91 Straßenbau TECHNOLOGIE gebiete wurden zu einem Flächen-Cluster zusammengefügt, wodurch 13 Cluster sowie elf Einzelstandorte entstanden (vgl. Bild 1). Aufbau der verkehrlichen und standortbezogenen Optimierung Zur Optimierung der Anzahl und Lage von Aufbereitungsanlagen wurde zweistufig vorgegangen. Im ersten Schritt wurde mittels eines mathematischen Optimierungsmodells die optimale Lage für eine Anzahl von einer bis acht Aufbereitungsanlagen im Untersuchungsraum ermittelt. Die potenziellen Anlagenstandorte wurden in Abhängigkeit von dem erforderlichen Gesamtflächenbedarf pro Anlage anhand ihrer Fläche gefiltert. Als optimal wurde ein Standort angesehen, wenn die Summe der Transportentfernungen minimal war. Betrachtet wurden die Transportverbindungen von den Stadtteilen zu den Aufbereitungsanlagen sowie von den Aufbereitungsanlagen zu den Transportbetonwerken. Die Verbindungen wurden immer zum nächstgelegenen Akteur hergestellt. Es wurde vereinfachend angenommen, dass bei allen Verursachern die gleiche Menge an Bauschutt anfällt. Im zweiten Optimierungsschritt wurde anhand eines weiteren mathematischen Optimierungsmodells die optimale Anzahl an Aufbereitungsanlagen bestimmt. Die Anzahl an Aufbereitungsanlagen galt als optimal, wenn die jährlichen Gesamtkosten minimal waren. Die Gesamtkosten setzen sich im Modell aus den Transportkosten sowie den Kosten der Aufbereitungsanlagen zusammen. Berücksichtigt wurden Personalkosten, variable Kosten und Fixkosten. Der Transportkostenberechnung wurden LKW- Pendelverkehre mit auf der Hinfahrt voll ausgelasteten und auf der Rückfahrt unbeladenen LKW zugrunde gelegt. Anhand der zu transportierenden Mengen wurde die jährliche Kilometerleistung in Abhängigkeit von der Anzahl an Aufbereitungsanlagen berechnet. Zur Ermittlung der Anlagekosten wurden diese in Abhängigkeit von dem jeweiligen Jahresdurchsatz und dem Flächenbedarf der Anlagen bestimmt und mit der Anzahl an Aufbereitungsanlagen multipliziert. Status Quo Stoffströme im Untersuchungsraum Für die Stadt Köln wurde anhand der Einwohnerzahlen sowie der Transportbetonproduktion von Nordrhein-Westfalen ein Bedarf an Transportbeton von ~ 536.800 m 3 im Jahr 2019 ermittelt [9]. Hierfür mussten ~ 1.019,92 Mio. kg Gesteinskörnung (GK) abgebaut und ~ 177,14 Mio. kg Zement hergestellt werden [10]. Hinzu kam die Verwendung von Zugabewasser, Zusatzstoffen und -mitteln. Anhand der Einwohnerzahlen von Köln wurde ein Bauschuttaufkommen von jährlich ~ 800.000 t berechnet. Die Recycling- Quote von Bauschutt lag im Jahr 2016 in Deutschland bei 77,7 %. Von den ~ 800.000 t Bauschutt konnten somit ~ 621.600 t zu RC- GK für die Verwendung im Straßen- oder Erdbau aufbereitet werden. Die übrigen 22,3 % des Bauschutts (~ 178.400 t) wurden auf Deponien zur Verfüllung verwertet oder entsorgt. [1] Verkehrsströme im Untersuchungsraum Zur Abbildung der Verkehrsströme der Transportbetonproduktion wurden sechs Transportbetonwerke, sechs Steinbrüche, ein Zementwerk sowie sechs Mahlwerke im Untersuchungsraum betrachtet (vgl. Bild 2). Tabelle 1 sind die durchschnittlichen Transportentfernungen zwischen den Akteuren zu entnehmen. Die Versorgung aller Kölner Transportbetonwerke mit Zement erfolgt unter den getroffenen Annahmen durch das nördlich von Köln gelegene Mahlwerk Neuss. Die benötigte GK erhalten die Transportbetonwerke im Untersuchungsraum Bild 1: 13 Cluster sowie elf Einzelstandorte als potenzielle Standorte für Aufbereitungsanlagen im Untersuchungsraum Eigene Darstellung Bild 2: Für die Transportbetonproduktion relevante Standorte sowie die daraus resultierenden Verkehrsströme des Status Quo im Untersuchungsraum Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 92 TECHNOLOGIE Straßenbau von dem Steinbruch am südwestlichen Stadtrand von Köln. Im Untersuchungsraum gibt es insgesamt fünf Recyclinghöfe, bei denen Bauschutt zur Verwendung im Straßen- und Erdbau aufbereitet wird (vgl. Bild 3). Nach einer Analyse von Müller beträgt die statistische Entfernung von der Bauschuttquelle zur Recyclinganlage in Deutschland 17 km [3]. Grundsätzlich gelten Transportentfernungen bis zu 25 km als wirtschaftlich [3]. Die durchschnittliche Transportentfernung von den Bauschuttquellen zum nächstgelegenen Recyclinghof ist Tabelle 1 zu entnehmen. Wird der Bauschutt nicht weiterverwertet, kann dieser im Untersuchungsraum bei sieben Deponien entsorgt werden. Verkehrliche und standortbezogene Optimierung Optimierung der Lage von Aufbereitungsanlagen Anhand des mathematischen Optimierungsmodells, welches in Python (Version 3.6.3) implementiert wurde, konnten unter Berücksichtigung der festgelegten Rahmenbedingungen die optimalen Standorte für den Bau von einer bis acht Aufbereitungsanlagen im Untersuchungsraum bestimmt werden. Je mehr Aufbereitungsanlagen errichtet werden, desto geringer ist die Transportentfernung (vgl. Bild 4). Die optimalen Anlagenstandorte sind homogen in der Stadt Köln verteilt (vgl. Bild- 5). Bei dem Bau von einer Aufbereitungsanlage liegt das Optimum unter Berücksichtigung der potenziellen Anlagenstandorte zentral im Untersuchungsraum. Bei Betrachtung der Transportverbindungen in Bild 5 wird deutlich, dass diese bei acht Aufbereitungsanlagen kürzer sind als bei einer Anlage. Dies deckt sich mit der zuvor erläuterten Abnahme der Transportentfernung bei steigender Anlagenanzahl. Optimierung der Anzahl an Aufbereitungsanlagen Die Transportkostenberechnung wurde differenziert für die Kosten pro LKW-Kilometer bei Leer- und Lastfahrt durchgeführt und ergab Werte von 200,05 ct/ km (Leerfahrt) bzw. 217,02 ct/ km (Lastfahrt). Die jährliche Kilometerleistung ergibt sich in Abhängigkeit von der Anzahl an Aufbereitungsanlagen aus den Verbindungen der Stadtteile mit den Aufbereitungsanlagen und der Anlagen mit den Transportbetonwerken sowie mit den Deponien. Anhand des Bauschuttaufkommens im Untersuchungsraum von 800.000 t/ a wurde bestimmt, wie oft welche Verbindung jährlich zurückgelegt werden muss. Bild 6 veranschaulicht, dass die jährlichen Transportkosten im Gegensatz zu den Anlagekosten mit zunehmender Anzahl an Aufbereitungsanlagen sinken. Der Anteil der Transportkosten an den Gesamtkosten nimmt mit steigender Anzahl an Aufbereitungsanlagen ab, wohingegen der Anteil der Anlagekosten zunimmt. Durch den hohen Anteil der Anlagekosten an den Gesamtkosten erweist sich unter den getroffenen Annahmen der Bau von einer Aufbereitungsanlage mit jährlichen Gesamtkosten von ~ 7,31 Mio. EUR als kostenoptimal (vgl. Bild 5 links, Bild 6). Sensitivitätsanalyse Zur Untersuchung, wie stabil das Optimierungsergebnis gegenüber Schätzungenauigkeiten der Kostenparameter ist, wurde eine Sensitivitätsanalyse durchgeführt. Ab einer Erhöhung der Transportkosten um mehr als 65,79 % sind zwei Aufbereitungsanlagen anstatt einer Anlage kostenoptimal (vgl. Bild 7). Bleiben hingegen die Transportkosten konstant, führt eine Reduzierung der Anlagekosten um mehr als 39,68 % Bild 3: Für den Bauschutt relevante Standorte sowie die daraus resultierenden Verkehrsströme des Status Quo im Untersuchungsraum Eigene Darstellung Quelle Ziel Durchschnittliche Transportentfernung im Untersuchungsraum [km] Steinbruch Zement- und Mahlwerk Transportbetonwerk 32,67 Zement- und Mahlwerk Transportbetonwerk 44,77 Transportbetonwerk Abnehmer 5,87 Verursacher Recyclinghof 6,40 Recyclinghof Deponie 6,04 Tabelle 1: Durchschnittliche Transportentfernung zwischen den Quellen und Zielen (Akteuren) des Status Quo im Untersuchungsraum Bild 4: Transportentfernung in Abhängigkeit von der Anzahl an Aufbereitungsanlagen Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 93 Straßenbau TECHNOLOGIE dazu, dass zwei Aufbereitungsanlagen kostenoptimal sind (vgl. Bild 8). Damit zwei Aufbereitungsanlagen und somit eine Verringerung der LKW-Fahrleistungen im Stadtgebiet bereits bei einer 20-%-igen Erhöhung der Transportkosten wirtschaftlich sind, müssten die Anlagekosten um mehr als 27,62 % sinken. Andersherum müssten für eine dezentralere Aufbereitung mit entsprechend geringeren Fahrtdistanzen zu den Abbruchssowie zu den Verwertungsorten die Transportkosten um mehr als 32,62 % steigen, wenn die Anlagenkosten lediglich um 20 % reduziert werden könnten. Dies zeigt, dass die Optimierung gegenüber Unsicherheiten der Kostenschätzungen relativ unempfindlich ist. Des Weiteren wird deutlich, dass ein Beitrag zur Reduzierung von Fahrten des Schwerverkehrs in der Stadt nur dann erreicht werden kann, wenn auf beiden Seiten - Anlagen- und Transportkosten - Rahmenbedingungen zielgerichtet beeinflusst werden. Während dies fahrzeugseitig z. B. durch eine City- Maut denkbar wäre, käme anlagenseitig eine gesetzlich verankerte Pflicht zur Ressourcenschonung in Betracht. Bilanzierung der Optimierungsergebnisse Nutzung natürlicher Ressourcen Unter der Annahme, dass aus der Aufbereitung des Bauschutts 60 % RC-GK und 40 % Brechsand resultieren, entstehen durch das Recycling des Bauschuttaufkommens von Köln insgesamt 480.000 t/ a RC-GK. Bei der Herstellung von Beton darf der Anteil RC- GK der Kategorie Betonsplitt in Abhängigkeit von dem Anwendungsbereich zwischen 25 Vol.-% und 45 Vol.-% bezogen auf die gesamte GK betragen [5]. Basierend auf der Annahme, dass im Mittel 35 % der GK durch RC-GK ersetzt werden, können hinsichtlich der Transportbetonproduktion für Köln im Bild 5: Optimale Lage von einer (links) und acht (rechts) Aufbereitungsanlage/ n sowie die zugehörigen Verbindungen mit den Stadtteilen und den Transportbetonwerken Eigene Darstellung Bild 6: Transport-, Anlage- und Gesamtkosten pro Jahr in Abhängigkeit von der Anzahl an Aufbereitungsanlagen Eigene Darstellung Bild 7: Änderung der Gesamtkosten bei prozentualer Abweichung der Transportkosten und konstanten Anlagekosten für eine bis acht Aufbereitungsanlagen Eigene Darstellung Bild 8: Änderung der Gesamtkosten bei prozentualer Abweichung der Anlagekosten und konstanten Transportkosten für eine bis acht Aufbereitungsanlagen Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 94 TECHNOLOGIE Straßenbau Jahr 2019 ~ 357.000 t natürliche GK eingespart werden. Circa 123.000 t/ a RC-GK bleiben übrig und können für die Produktion von mehr Transportbeton verwendet werden. Grundsätzlich ist das Einsparungspotenzial der GK abhängig von den geltenden Vorschriften sowie der Nachfrage nach Transportbeton der verschiedenen Anwendungsbereiche. Energieaufwand der Bauschuttaufbereitung Die Aufbereitung von Bauschutt zur Verwendung im Straßen- oder Erdbau erfordert ~ 17,9 MJ/ t Energie [11]. Bei 800.000 t/ a Bauschutt ergibt dies einen Energieaufwand von 14,32 Mio. MJ/ a für den Untersuchungsraum. Nach Heyn und Mettke beträgt der Energieaufwand der Nassaufbereitung von Bauschutt zu RC-GK für die Verwendung in der Betonherstellung ~ 21,1-MJ/ t [12]. Für den Untersuchungsraum ergibt sich daraus ein Energieaufwand von 16,88- Mio. MJ/ a. Damit steigt der Energieaufwand der Aufbereitung des Bauschutts durch die Optimierung um ~ 17,88 %. CO 2 -Emissionen des Gütertransports •• Vergleich mit dem Status Quo Der Steinbruch, von dem die natürliche GK unter den getroffenen Annahmen zu den Transportbetonwerken geliefert wird, liegt am Stadtrand von Köln (vgl. Bild 2). Da aufgrund des Bauschuttrecyclings ~ 357.000 t GK nicht mehr von dem Steinbruch, sondern von der optimal gelegenen Aufbereitungsanlage zu den Transportbetonwerken transportiert werden, reduziert sich die jährliche Kilometerleistung zur Versorgung der Transportbetonwerke mit GK (durch den Steinbruch und die Aufbereitungsanlage) und damit ebenso die CO 2 -Emissionen des Gütertransports im Untersuchungsraum um jährlich ~ 8,1 %. Demgegenüber ist die jährliche Kilometerleistung für den Transport des Bauschutts von den Baustellen zur zentral gelegenen Aufbereitungsanlage bei der Optimierung ~ 1,6-mal so hoch wie im Status Quo 1 . Grund dafür ist, dass im Status Quo fünf Recyclinghöfe angefahren werden können, wohingegen infolge der Optimierung nur eine zentrale Aufbereitungsanlage im Untersuchungsraum gewählt wird, wodurch längere Transportwege für den Bauschutt entstehen. Eine Gesamtbilanzierung der CO 2 -Emissionen wurde nicht durchgeführt, da sich aufgrund der veränderten Stoff- und Verkehrsströme die Systemgrenze der Bilanzierung verschiebt (vgl. Bild 9). Im Status Quo existieren die zwei Modelle: Bauschuttentsorgung und Betonproduktion. Bei der Bauschuttentsorgung wurde die Systemgrenze am Recyclinghof gezogen. Die Weiterverwertung der RC-GK im Straßenbau wurde nicht berücksichtigt. Durch das Recycling von Betonbruch werden die beiden Modelle miteinander verbunden, wobei der Transport von RC-GK zu Straßenbaustellen durch den Transport von RC-GK zu Transportbetonwerken ersetzt wird. Entsprechend verschiebt sich die Systemgrenze im Optimierungsmodell, was zu einer Berücksichtigung des Transports von RC-GK zu Transportbetonwerken führt. Aufgrund dessen wurden beim Vergleich mit dem Status Quo ausschließlich der Abtransport des Bauschutts sowie die Versorgung der Transportbetonwerke mit GK betrachtet. Darüber hinaus entstehen CO 2 -Emissionen u. a. durch die nicht optimierten Verkehrsströme, wie den Transport von Abfällen zu Deponien oder den Transport von Beton zu Abnehmern, sowie durch das Recycling. Die verursachten CO 2 -Emissionen sind naturgemäß von den Gegebenheiten des Untersuchungsraumes abhängig, weshalb die Bilanzierungsergebnisse nicht pauschal auf anders strukturierte Räume übertragbar sind. •• Bilanz der Optimierung der Lage von Aufbereitungsanlagen Um zu untersuchen, welchen Einfluss die Optimierung der Lage von Aufbereitungsanlagen hat, wurden die jährlichen CO 2 - Emissionen des Gütertransports beim Bau Bild 9: Prinzipskizze der betrachteten Verkehrsströme im Status Quo sowie im Optimierungsmodell Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 95 Straßenbau TECHNOLOGIE LITERATUR [1] Kreislaufwirtschaft Bau (2018): Mineralische Bauabfälle Monitoring 2016. Berlin: Bundesverband Baustoff - Steine und Erden e.V. (BBS). [2] Puslat, S. (2021): Verkehrliche und standortbezogene Optimierung des Recyclings von Betonbruch. Unveröffentlicht. Wuppertal: Bergische Universität Wuppertal, Lehr- und Forschungsgebiet für Güterverkehrsplanung und Transportlogistik. [3] Müller, A. (2018): Baustoffrecycling: Entstehung - Aufbereitung - Verwertung. Weimar: Springer Vieweg. ISBN: 978-3-658-22987-0. [4] Hauer, B.; Pierkes, R.; Schäfer, S.; Seidel, M.; Herbst, T.; Rübner, K.; Meng, B.; Brameshuber, W.; Vollpracht, A.; Hannawald, J.; Nebel, H. (2011): Verbundforschungsvorhaben „Nachhaltig Bauen mit Beton“: Potenziale des Sekundärstoffeinsatzes im Betonbau - Teilprojekt B. Berlin: Deutscher Ausschuss für Stahlbeton e.V. (DAfStb). ISBN: 978- 3-410-65094-2. [5] DAfStb, Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (2010): Beton nach DIN EN 206-1 und DIN 1045-2 mit rezyklierten Gesteinskörnungen nach DIN EN 12620. Berlin. [6] Ruppert, J.; Wagener, C.; Palm, S.; Scheuer, W.; Hoenig, V. (2020): Prozesskettenorientierte Ermittlung der Material- und Energieeffizienzpotentiale in der Zementindustrie. Düsseldorf: Umweltbundesamt. [7] Müller, C.; Severins, K.; Spanka, G. (2020): Beton: Die Fachzeitschrift für Bau+Technik - Leitlinien künftiger Anwendung im Zement und Beton: Brechsand als Zementhauptbestandteil. Düsseldorf: Verlag Bau+Technik GmbH. [8] Stadt Köln (2018): Flächennutzungsplan (FNP). www.offenedatenkoeln.de/ search/ type/ dataset (Abruf: 04.06.2021). [9] BTB, Bundesverband der Deutschen Transportbetonindustrie e.V. (2020): Gutes Klima Jahresbericht 2020. Berlin. [10] Bundeskartellamt (Juli 2017): Sektoruntersuchung Zement und Transportbeton. Bonn. [11] VDZ, Verein Deutscher Zementwerke e.V. (2018): Betontechnik: Schlussbericht zum Forschungsvorhaben R-Beton. Düsseldorf. [12] Heyn, S.; Mettke, A. (2010): Ökologische Prozessbetrachtung - RC- Beton (Stofffluss, Energieaufwand, Emissionen). Cottbus: Brandenburgische Technische Universität Cottbus, Fakultät Umweltwissenschaften und Verfahrenstechnik, Lehrstuhl Altlasten. [13] DEHSt, Deutsche Emissionshandelsstelle (2020): Nationales Emissionshandelssystem: Hintergrundpapier. Berlin. [14] Müller, A.; Kurkowski, H. (2017): Potenzialstudie zur Umsetzung eines Re-/ Upcyclingkonzeptes im Gebiet der IRR GmbH - Schwerpunkt mineralische Baustoffe. Innovationsregion Rheinisches Revier GmbH. [15] Volk, R.; Müller, R.; Schultmann, F.; Rimbon, J.; Lützkendorf, T.; Reinhardt, J.; Knappe, F. (2018): Stofffluss- und Akteursmodell als Grundlage für ein aktives Ressourcenmanagement im Bauwesen von Baden-Württemberg (StAR-Bau). Karlsruher Institut für Technologie (KIT). ISBN: 978-3-7315-0858-8. von einer Aufbereitungsanlage am optimalen Standort und am suboptimalen Standort miteinander verglichen. Als suboptimaler Anlagenstandort wurde das Industriegebiet gewählt, bei dem die längsten Transportentfernungen entstehen. Die jährliche Transportentfernung ist beim suboptimalen Anlagenstandort ~ 2,6-mal so hoch wie beim optimalen Anlagenstandort. Daher kann die Optimierung der Lage von Aufbereitungsanlagen im beispielhaft gewählten Untersuchungsraum eine Reduzierung der jährlichen CO 2 -Emissionen des Gütertransports um bis zu ~ 61,89 % bewirken. Dies weist darauf hin, dass Recycling von Betonbruch als Beitrag zur Ressourcenschonung und zum Klimaschutz räumlich nah zu den Abbruchs- und Verwertungsorten organisiert werden muss, welche schwerpunktmäßig in den höher verdichteten Bereichen der Kernstadt liegen. Die Entsorgung von Bauabfällen und ihre Rückführung in den Stoffkreislauf ist daher ebenfalls ein Thema für städtische Güterverkehrskonzepte. •• Einfluss von CO 2 -Preisen Die Berechnung der Transportkosten erfolgte unter Berücksichtigung der Kosten für CO 2 -Emissionen, welche ab dem 1. Januar 2021 aufgrund des Brennstoffemissionshandelsgesetzes anfallen [13]. Da diese Kosten in den nächsten Jahren ansteigen und über den Dieselpreis an die Endkund*innen weitergegeben werden, wurde der Kostenberechnung ein Dieselpreis von 141,20 ct/ l zugrunde gelegt. Gemäß der Sensitivitätsanalyse sind bei konstanten Anlagekosten ab einer Abweichung der Transportkosten von mehr als 65,79 % zwei Aufbereitungsanlagen optimal. Damit es ausschließlich durch eine Erhöhung des CO 2 -Preises dazu kommt, müsste der Dieselpreis auf 580,06-ct/ l ansteigen. Die Aufbereitungsanlagen benötigen ebenfalls Diesel. Durch eine Erhöhung des Dieselpreises aufgrund steigender CO 2 - Preise nehmen daher neben den Transportkosten ebenfalls die Anlagekosten zu. Bei einer Erhöhung des Dieselpreises steigen die Gesamtkosten von zwei Aufbereitungsanlagen stärker als von einer Anlage. Somit bleiben die Gesamtkosten von einer Aufbereitungsanlage geringer als von zwei Anlagen und damit eine Anlage kostenoptimal. Durch eine alleinige Erhöhung der CO 2 - Preise, welche über eine Steigerung des Dieselpreises an die Endkund*innen weitergegeben wird, kann somit das Optimierungsergebnis nicht beeinflusst werden. Wenn zusätzlich zur Erhöhung des Dieselpreises weitere Kostenparameter variieren, kann dies Auswirkungen auf das Optimierungsergebnis haben. Zusammenfassung und Ausblick Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Recycling von Betonbruch einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Kreislaufwirtschaft im Bauwesen leistet. Mittels der Optimierung können die wirtschaftlich und verkehrlich optimale Lage und Anzahl von Aufbereitungsanlagen für einen ausgewählten Untersuchungsraum bestimmt werden. Durch die Aufbereitung von Bauschutt können, verbunden mit einem erhöhten Energieaufwand, natürliche Ressourcen eingespart werden. Die CO 2 -Emissionen des Gütertransports können durch die Optimierung der Lage von Aufbereitungsanlagen reduziert werden. Das Verfahren zum Recycling von Betonbruch ist seit Jahrzehnten bekannt, dennoch hat in Deutschland bisher keine Marktdurchdringung stattgefunden. Gründe dafür sind die fehlende Akzeptanz von Recycling-Baustoffen, fehlende bundesweite Regelungen sowie die Konkurrenzsituation, in der sich die Recyclingunternehmen befinden. Zur Förderung des Bauschuttrecyclings sollten daher die Informationsverfügbarkeit gesteigert, die finanziellen Rahmenbedingungen optimiert sowie durch Gesetzgebungen Anreize geschaffen werden. [14, 15] Zukünftig können über eine Verknüpfung des Optimierungsmodells mit der Methode BIM (Building Information Modeling) die benötigten Informationen über die Standorte von Bauschuttquellen sowie zu Menge und Zusammensetzung des Bauschutts bereitgestellt werden. Darüber hinaus gilt es zu untersuchen, ob die ermittelten Effekte ebenso in anders strukturieren Räumen auftreten und welchen Einfluss die Nutzung der Verkehrsträger Schiene und Wasserstraße hat. Durch die Bilanzierung wird der Zielkonflikt zwischen der Ressourcenschonung und der Reduzierung von CO 2 -Emissionen sichtbar. Dieser sollte anhand einer Gesamtbilanzierung von Transport, Recycling und Wiederverwendung analysiert werden. Des Weiteren ist im Interesse der Kreislaufwirtschaft die Einbeziehung weiterer Recyclingprozesse, wie z. B. das Recycling von Mauerwerksabbruch oder die Verwendung von Brechsand in der Zementproduktion, anzustreben. ■ 1 Dabei handelt es sich um einen groben Anhaltswert für den Untersuchungsraum, da für Aspekte wie die LKW- Auslastung und die Fahrzeugart vereinfachende Annahmen getroffen wurden. Beispielsweise wäre ein zweistufiger Abtransport des Bauschutts über die bereits vorhandenen Recyclinghöfe zu der Aufbereitungsanlage denkbar, wodurch sich die Länge der Transportwege deutlich reduzieren würde. Sabrina Puslat, M.Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Lehr- und Forschungsgebiete für Baubetrieb und Bauwirtschaft/ BIM-Institut sowie Güterverkehrsplanung und Transportlogistik, Bergische Universität Wuppertal puslat@uni-wuppertal.de Bert Leerkamp, Prof. Dr.-Ing. Inhaber des Lehrstuhls für Güterverkehrsplanung und Transportlogistik, Fachzentrum Verkehr, Bergische Universität Wuppertal leerkamp@uni-wuppertal.de Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 96 FORUM Veranstaltungen ÖV-Branchentreffen wieder ganz persönlich Vorschau: IT-Trans - Internationale Konferenz und Fachmesse, 8. bis 10. März 2022, Karlsruhe Z um siebten Mal wird die IT-Trans, die internationale Fachmesse und Konferenz für intelligente Lösungen im öffentlichen Personenverkehr, zum Branchentreffen für alle Akteure des öffentlichen und privaten Personenverkehrs in aller Welt. Vom 8. bis 10. März 2022 werden in zwei Hallen der Messe Karlsruhe auf rund 28.000-m 2 Fläche digitale vernetzte Mobilitätssysteme präsentiert, die an den individuellen Bedürfnissen des Fahrgasts ausgerichtet sind und auf eine flexible On-demand-Kombination verschiedener Verkehrsträger aufbauen. Dazu kommen Lösungen für Verkehrsunternehmen und deren Verkehrsplanung, Flottenmanagement oder Personalplanung. Die begleitende Konferenz mit 150 Referenten in 30 Sessions bringt praxisnahe Vorträgen, Podiumsdiskussionen und Workshops. Nachdem die IT-Trans 2020 aufgrund der Entwicklungen rund um das Coronavirus abgesagt werden musste, ist die Veranstaltung im kommenden Jahr wieder als Präsenzveranstaltung geplant - allerdings den pandemiebedingten Herausforderungen und Entwicklungen angepasst. „Die Auswirkungen der Pandemie werden unsere Branche noch über Jahre begleiten“, kommentiert Dr. Alexander Pischon, Geschäftsführer des Karlsruher Verkehrsverbunds. „Gerade im Hinblick auf die Veränderungen im Arbeitsalltag, zum Beispiel die vermehrte Verlagerung ins Homeoffice, arbeiten wir an flexiblen und bedürfnisorientierten Lösungen für unsere Fahrgäste.“ So kommen alternative Mobilitätskonzepte, wie Mobility-as-a-Service (MaaS), dem Bedürfnis des Fahrgasts nach Flexibilität und Komfort entgegen. Auch dem erhöhten Informationsbedürfnis der Fahrgäste soll mit intelligenten Softwarelösungen entsprochen werden. www.it-trans.org Foto: Jürgen Rösner / Messe Karlsruhe Kraftstoffe der Zukunft - Navigator für nachhaltige Mobilität! Vorschau: 19. Internationaler digitaler Fachkongress für erneuerbare Mobilität, 24.-bis 28. Januar 2022, online Z um 19. Mal findet im Januar 2022 der Internationale Fachkongress für erneuerbare Mobilität „Kraftstoffe der Zukunft“ statt - auch dieses Mal Corona-bedingt in einem digitalen Veranstaltungsformat und zweisprachig. Der Fachkongress ist die Leitveranstaltung der europäischen Biokraftstoff- Branche und zugleich wichtiges Diskussionsforum für die deutsche, europäische und internationale Entwicklung erneuerbarer Mobilität. Kraftstoffe der Zukunft 2022 erwartet nationale und internationale Teilnehmer, darunter Vertreter aus den Bereichen Rohstofferfassung und -verarbeitung, Biokraftstoff-, Mineralöl- und Kraftfahrzeugindustrie, chemische Industrie, Transport- und Logistikbranche und Zertifizierungssysteme sowie aus Politik, Wissenschaft und Forschung. Ziel des Internationalen Fachkongresses ist es, den Teilnehmenden einen aktuellen Sachstand über die vielfältigen Gesetzesinitiativen zu geben und entsprechende Handlungsempfehlungen zu diskutieren, derzeitige Marktentwicklungen und Projektbeispiele einer erneuerbaren Mobilität vorzustellen sowie breiten Raum für den Erfahrungsaustausch zu bieten. www.kraftstoffe-der-zukunft.com 2021 Gelingt die Verkehrswende? Finanzierung und innovative Lösungen für die Mobilität 16./ 17. November 2021, Frankfurt am Main www.deutscher-mobilitaetskongress.de Es sprechen unter anderem: Henrik Falk Vorstandsvorsitzender Hamburger Hochbahn AG Berthold Huber Vorstand Personenverkehr Deutsche Bahn AG Kerstin Schreyer Bayerische Staatsministerin für Wohnen, Bau und Verkehr Dr. Stefan Schulte Vorstandsvorsitzender Fraport AG Werner Gatzer Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen Prof. Knut Ringat Geschäftsführer Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH Prof. Dr.-Ing. Arnd Stephan Technische Universität Dresden François Bausch Vizepremier & Minister für Mobilität und öffentliche Arbeiten Luxemburg DeMo-Anzeige_IV.indd 1 19.10.2021 08: 34: 43 Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 98 GREMIEN | IMPRESSUM Erscheint im 73. Jahrgang Impressum Herausgeber Prof. Dr. Kay W. Axhausen Prof. Dr. Hartmut Fricke Prof. Dr. Hans Dietrich Haasis Prof. Dr. Sebastian Kummer Prof. Dr. Barbara Lenz Prof. Knut Ringat Verlag und Redaktion Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl | Christine Ziegler Schliffkopfstr. 22 | D-72270 Baiersbronn Tel. +49 7449 91386.36 Fax +49 7449 91386.37 office@trialog.de www.trialog.de Verlagsleitung Dipl.-Ing. Christine Ziegler VDI Tel. +49 7449 91386.43 christine.ziegler@trialog.de Redaktionsleitung Eberhard Buhl, M. A. (verantwortlich) Tel. +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de Korrektorat: Ulla Grosch Anzeigen Tel. +49 7449 91386.46 Fax +49 7449 91386.37 anzeigen@trialog.de dispo@trialog.de Gültig ist die Anzeigenpreisliste Nr. 57 vom 01.01.2021 Vertrieb und Abonnentenservice Tel. +49 7449 91386.39 Fax +49 7449 91386.37 service@trialog.de Erscheinungsweise Viermal im Jahr mit International Transportation Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist sechs Wochen vor Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. Es ist untersagt, die Inhalte digital zu vervielfältigen oder an Dritte weiterzugeben, sofern nicht ausdrücklich vereinbart. Jahres-Bezugsgebühren Inland: Print EUR 212,00 / eJournal EUR 202,00 (inkl. MWSt.) Ausland: Print EUR 217,00 / eJournal EUR 207,00 (exkl. VAT) Einzelheft: EUR 37,00 (inkl. MWSt.) + Versand Das Abonnement-Paket enthält die jeweiligen Ausgaben als Print-Ausgabe oder eJournal mit dem Zugang zum Gesamtarchiv der Zeitschrift. Campus-/ Unternehmenslizenzen auf Anfrage Organ | Medienpartnerschaft VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld Druck Qubus Media GmbH, Hannover Herstellung Schmidt Media Design, München, schmidtmedia.com Titelbild Crosswalk Smoke. Amanda Marie, Unsplash Copyright Vervielfältigungen durch Druck und Schrift sowie auf elektronischem Wege, auch auszugsweise, sind verboten und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Baiersbronn-Buhlbach ISSN 0020-9511 Herausgeberkreis Herausgeberbeirat Matthias Krämer Abteilungsleiter Strategische Planung und Koordination, Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI), Berlin Sebastian Belz Dipl.-Ing., Generalsekretär EPTS Foundation; Geschäftsführer econex verkehrsconsult GmbH, Wuppertal Gerd Aberle Dr. rer. pol. Dr. h.c., Professor emer. der Universität Gießen und Ehrenmitglied des Herausgeberbeirats Magnus Lamp Programmdirektor Verkehr Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR), Köln Uwe Clausen Univ.-Prof. Dr.-Ing., Institutsleiter, Institut für Transportlogistik, TU Dortmund & Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML), Vorsitzender, Fraunhofer Allianz Verkehr Florian Eck Dr., Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums e.V., Berlin Michael Engel Dr., Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Fluggesellschaften e. V. (BDF), Berlin Alexander Eisenkopf Prof. Dr. rer. pol., ZEPPELIN-Lehrstuhl für Wirtschafts- und Verkehrspolitik, Zeppelin University, Friedrichshafen Tom Reinhold Dr.-Ing., Geschäftsführer, traffiQ, Frankfurt am Main (DE) Ottmar Gast Dr., ehem. Vorsitzender des Beirats der Hamburg-Süd KG, Hamburg Barbara Lenz Prof. Dr., ehem. Direktorin Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin Knut Ringat Prof., Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH, Hofheim am Taunus Detlev K. Suchanek Publisher/ COO, GRT Global Rail Academy and Media GmbH | PMC Media, Erich Staake Dipl.-Kfm., Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG, Duisburg Wolfgang Stölzle Prof. Dr., Ordinarius, Universität St. Gallen, Leiter des Lehrstuhls für Logistikmanagement, St. Gallen Ute Jasper Dr. jur., Rechtsanwältin Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek, Düsseldorf Johannes Max-Theurer Geschäftsführer Plasser & Theurer, Linz Matthias von Randow Hauptgeschäftsführer Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Berlin Kay W. Axhausen Prof. Dr.-Ing., Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT), Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), Zürich Hartmut Fricke Prof. Dr.-Ing. habil., Leiter Institut für Luftfahrt und Logistik, TU Dresden Hans-Dietrich Haasis Prof. Dr., Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Maritime Wirtschaft und Logistik, Universität Bremen Sebastian Kummer Prof. Dr., wissenschaftlicher Leiter der ÖVG und Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik, Wien Peer Witten Prof. Dr., Vorsitzender der Logistik- Initiative Hamburg (LIHH), Mitglied des Aufsichtsrats der Otto Group Hamburg Oliver Wolff Hauptgeschäftsführer Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Köln Oliver Kraft Geschäftsführer, VoestAlpine BWG GmbH, Butzbach Ralf Nagel Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder (VDR), Hamburg Jan Ninnemann Prof. Dr., Studiengangsleiter Logistics Management, Hamburg School of Business Administration; Präsident der DVWG, Hamburg Ben Möbius Dr., Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland (VDB), Berlin Ullrich Martin Univ.-Prof. Dr.-Ing., Universität Stuttgart, Leiter Institut für Eisenbahn- und Verkehrswesen, Direktor Verkehrswissenschaftliches Institut DAS FACHMAGAZIN FÜR DIE JACKENTASCHE Lesen Sie Internationales Verkehrswesen lieber auf dem Bildschirm? Dann stellen Sie doch Ihr laufendes Abo einfach von der gedruckten Ausgabe auf eJournal um - eine E-Mail an service@trialog.de genügt. Oder Sie bestellen Ihr neues Abonnement gleich als E-Abo. Ihr Vorteil: Überall und auf jedem Tablet oder Bildschirm haben Sie Ihre Fachzeitschrift für Mobilität immer griffbereit. www.internationales-verkehrswesen.de/ abonnement Trialog Publishers Verlagsgesellschaft | Baiersbronn | service@trialog.de ePaper-EAZ_IV_TranCit.indd 3 ePaper-EAZ_IV_TranCit.indd 3 11.11.2018 18: 27: 05 11.11.2018 18: 27: 05 2021 | Heft 4 November
