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Kolloquium Bauen in Boden und Fels
kbbf
2510-7755
expert verlag Tübingen
0101
2020
121
12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels 21. und 22. Januar 2020 Technische Akademie Esslingen Herausgegeben von Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Moormann Prof. Dr.-Ing. Carola Vogt-Breyer 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels Fachtagung über aktuelle Herausforderungen der Geotechnik Tagungshandbuch 2020 Das vorliegende Werk wurde mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autoren oder Herausgeber übernehmen deshalb eine Haftung für die Fehlerfreiheit, Aktualität und Vollständigkeit des Werkes und seiner elektronischen Bestandteile. © 2020. Alle Rechte vorbehalten. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb. dnb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. expert verlag GmbH Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen E-Mail: info@verlag.expert Internet: www.expertverlag.de Printed in Germany ISBN 978-3-8169-3496-7 (Print) ISBN 978-3-8169-8496-2 (ePDF) Technische Akademie Esslingen e. V. An der Akademie 5 · 73760 Ostfildern E-Mail: bauwesen@tae.de Internet: www.tae.de Vorwort Der Ausbau der Infrastruktur sowie die Verdichtung in den Ballungsräumen führen dazu, dass die Bedeutung des Bauens in Boden und Fels sowie die Anforderungen bei der Errichtung unterirdischer Bauwerke zunehmen. Dadurch ergeben sich bedeutende und interessante Fragestellungen für die Geotechnik, die beim 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels dargestellt und diskutiert werden. Plenarvorträge zu herausragenden Projekten und Weiterentwicklungen der Regelwerke und mehr als 50 Fachvorträge in drei parallelen Sitzungen werden hier zu folgenden Themenschwerpunkten angeboten: • Eurocode 7 • Digitalisierung/ BIM • Tunnelbau allgemein • Tunnelbau - Planung • Tunnelbau - Ausführung • Hochwasserschutz • Geotextilien/ Erdbau • Geothermie • Baugruben • Baugrund/ Erkundung • Bauen im Bestand • Gründungen • Spezialthemen • Hangsicherung • Innovationen/ Forschung Das vorliegende Tagungshandbuch enthält die vorab eingereichten Beiträge zu den Vorträgen und gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik sowie neueste Entwicklungen und Trends in der Geotechnik. Weitere Informationen unter www.tae.de/ go/ fels. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Inhaltsverzeichnis 0. Plenarvoträge 1 0.1 Neubau der Schleuse Kriegenbrunn am Main-Donau-Kanal Geohydraulische Einwirkungen 3 Bernhard Odenwald, Natscha Engels, Matthias Freitag, Ulrike Schömig, Rainer Siemke, Oliver Stelzer 0.2 BIM im Verkehrswegebau - Anwendung im Rahmen der operativen Angebotsbearbeitung und Ausführung 9 Jens Hoffmann, Julia Zimmermann 0.3 Stuttgart 21 - Die Tunnel Feuerbach und Bad Cannstatt aus geologischer, baubetrieblicher und vertraglicher Perspektive * Christoph Lienhart 0.4 BIM im Verkehrswegebau - Anwendung im Rahmen der operativen Angebotsbearbeitung und Ausführung 13 Bernd Schuppener, Norbert Vogel, Martin Ziegler 0.5 Eurocode 7, Teil 3 „Geotechnical Structures“ - neue Ansätze für die Bemessung in der Geotechnik 21 Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Moormann, Claus Dietz, Christos Vrettos 1. Digitalisierung/ BIM 31 1.1 Technisches Positionspapier „BIM im Spezialtiefbau“ Die Anforderungen an die Fachmodelle des Spezialtiefbaus aus Sicht ausführender Unternehmen 33 Siegfried Nagelsdiek, Dirk Siewert 1.2 Modellbasierte Projektbearbeitung im Spezialtiefbau heute - Praxisbeispiele Planung 39 Dipl.-Ing. (FH) Bettina Bastian 1.3 Digitalisierung im Baugrund - Erfahrungen und Ansätze 47 Dipl.-Ing. (FH) Ilja Prinz 2. Tunnelbau - Planung 53 2.1 Bemessung von Hochwasserentlastungsstollen anhand zweier Beispiele aus der Schweiz 55 Jörg-Martin Hohberg 2.2 Tunnelbau trifft Bergbau - Besondere technische Herausforderungen bei der Projektierung und Planung des Grubenwasserkanals Ibbenbüren 57 Dennis Edelhoff, Jürgen Kunz, Carsten Peter, Dieter Pollmann 2.3 Zweikammerlösung zur Koexistenz von Bahn und Fledermäusen in Bestandstunneln 63 Dr.-Ing. Axel Möllmann, Holger Schwolow, Michael Stierle, Michael Sulke 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 3. Tunnelbau - Ausführung 71 3.1 Planerische und bautechnische Herausforderungen beim Tunnelprojekt Vötting auf der neuen Westtangente Freising 73 Marco Vogel M.Sc., Moritz Bock, Manfred Keuser 3.2 Südumfahrung Küssnacht - Umfangreiche Maßnahmen zur Vortriebssicherung beim Auffahren eines seichtliegenden Lockergesteinsvortriebs im innerstädtischen Raum 79 Patrick Gabriel, Johann Hechenbichler, Heiko Wirth, Andreas Zimmermann 3.3 Anwendung der Tunnel-im-Tunnel-Methode auf elektrifizierten Strecken der Deutschen Bahn (Stand: 30.10.2019) 89 Prof. Dr.-Ing. Dietmar Mähner, Bodo Tauch 4. Tunnelbau allgemein 95 4.1 Vergleich ingenieurgeologischer Dokumentationsmethoden am Beispiel eines alpinen TBM-Stollens 97 Dr. rer.nat. Ralf Plinninger, Andreas Blauhut, Hans Eichiner, Michael Mett 4.2 Tunnelbau im Schwarzjura - Erfahrungen bei den Vortrieben des Albvorlandtunnels 105 Juan Duque-Barroso, Jens Hallfeldt, Tilmann Sandner 4.3 Erschütterungen aus Sprengvortrieben für Profilaufweitungen 111 M.Sc. Nadine Depta, Lars Röchter 4.4 Das Doggerwerk bei Happurg: Sicherung einer einsturzgefährdeten Produktionsstollenanlage unter anspruchsvollen Rahmenbedingungen 121 Dipl.-Geol. Jochen Wolf, Philipp Chachaj, Achilles Häring, Klaus Levin 4.5 Möglichkeiten der Prognose von Setzungen beim Schildvortrieb - Stand der Technik und praktische Anwendung 131 Prof. Dr.-Ing. habil. Jochen Fillibeck, Johannes Jessen 4.6 GfK-Bauweisen bei Tunnelanschlagssituationen 139 Markus Simon Graeser 4.7 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln 153 Gianpiero Balbi, Jean-Marc Waeber 4.8 Kombilösung Karlsruhe - Bau des Straßentunnels in der Kriegsstraße 167 M.Sc. Isabelle Niesel, C. Maier 5. Hochwasserschutz 173 5.1 Erfahrungen bei Planung und Bau von Hochwasserrückhaltebecken 175 Dr.-Ing. Barbara Tönnis 5.2 Bau eines Hochwasserschutzdamms auf gering tragfähigem Untergrund 181 Olaf Düser 5.3 Erneuerung der Dammabdichtung in Roßhaupten am Forggensee mit gefräster Schlitzwand * Stefan Jäger 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 6. Geotextilien 185 6.1 Wirtschaftliche Geogitter-Bauweisen beim Neubau der Hochgeschwindigkeitsstrecke Wendlingen-Ulm 187 Markus Hempel 6.2 Realisierung von besonderen regionalen Baumaßnahmen - schnell und kostengünstige Lösungen durch vormontierte Kunststoff-bewehrte Erde 193 Sebastian Schiller MSc. Geow, Ralf Ziegler 6.3 Neubau B 31 zwischen Immenstaad und Friedrichshafen Geschiebemergel und der Einfluss von Wasser auf die angewandten Bauweisen 197 Dipl.-Ing. Holger Jud, Peter Ströhle 7. Geothermie 205 7.1 Betrieb einer Erdwärmesonde im Grenzbereich 207 Giulia Giannelli, Jürgen Braun 7.2 Parameter sensitivity analysis on thermal response tests (TRT) under complex condition of high groundwater flow using thermo-hydro coupled numerical model 211 M.Sc. Matin Liaghi, Christian Moormann, Bernhard Westrich 7.3 Saisonale Erdwärmespeicher - Forschungsprojekt oder Standardlösung? 219 Bernd Kister 8. Baugruben 237 8.1 Kö-Bogen II - Außergewöhnliche Architektur trifft komplexe Bauweise in besonderer Lage 239 Dr.-Ing. Michael Stahl, Norbert Veith 8.2 Untersuchungen bezüglich der Ursachen von Differenzen zwischen prognostizierten und gemessenen Verformungen während komplexer Bauabläufe 245 Dr. Claudia Klotz, Berhane Gebreselassie, Tomas Vardijan 8.3 Eine 13 m tiefe Baugrube für den neuen DB Tower mit nur einer Ankerlage unter besonderen geologischen Bedingungen 251 Dr.-Ing. Simon Meißner, Markus Escher, Markus Wegerl 8.4 Turm am Mailänder Platz, Stuttgart - Planung einer Baugrube unter Berücksichtigung eines einseitig freigelegten Stadtbahntunnels 261 Dr.-Ing. Jörg Schreiber, Erik Linke 9. Baugrund/ Erkundung 271 9.1 Ergänzende Baugrunderkundung bei unerwarteten Baugrundverhältnissen - Besondere Randbedingungen und Erkenntnisse 273 Dr.-Ing. Thomas Rumpelt, Jörgen Keller, Lisa Krienen 9.2 Geophysikalische Untersuchungen für die Vorplanung und Begleitung von Bauprojekten im Karst und innerstädtischen Bereich 279 Dipl.-Geophysiker Thomas Hohlfeld, Florian Köllner 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 9.3 Der LCPC-Versuch zur Bestimmung der Abrasivität von Boden 285 Dipl.-Ing. Annette Richter 9.4 Vortriebe mit Tunnelbohrmaschinen im Lockergestein: Einteilung des Baugrunds in Homogenbereiche im Kontext der aktuellen Normung 291 Prof. Dr.-Ing. Christoph Budach, Carsten Pohl, Lars Röchter 10. Bauen im Bestand 299 10.1 Monitoringkonzept für korrosionsgeschädigte Winkelstützmauern 301 Matthias J. Rebhan, Maciej Kwapisz, Roman Marte, Franz Tschuchnigg, Alois Vorwagner 10.2 Anwendung zerstörungsfreier Untersuchungsmethoden zur Sicherheitsbeurteilung von Stützwänden * Andreas Hasenstab 10.3 Reaktivierung einer 45 Jahre alten Schlitzwand als Baugrubensicherung 307 Konrad Westermann, Pasquale Grasso, Laurent Pitteloud 10.4 Sanierung der Pfahlgründung bei der Eisenbahnüberführung (EÜ) Füllbach 319 Dipl.-Ing. Almuth Große, Kurt-M. Borchert 11. Gründungen 327 11.1 Verschub einer Brücke auf Spundwandlager: Ausführungsbeispiel zum Nachweis der Vertikalkräfte bei Spundwänden 329 Damir Dedic, Michael Jänke 11.2 Rheinbrücke auf Mikropfählen - Aufwändige Probebelastungen an engständigen Pfahlgruppen 339 Joachim Meier, Sebastian Böhm, Christiop Borchert, Stefan Otten 11.3 Herstellungseinflüsse auf die Druckentwicklung im Frischbeton bei Bohrpfählen in nichtbindigen Böden 357 Hanna Nissen, Markus Herten, Matthias Pulsfort 11.4 Bemessung von bewehrten und unbewehrten Arbeitsplattformen für mobile Baumaschinen - Vergleich verschiedene Ansätze mit numerischen Simulationen und Modellversuchen * Reiner Worbes 12. Spezialthemen 365 12.1 Auswirkungen von kalklösender Kohlensäure im Grundwasser auf den Neubau von fünf Schleusen an der Schleusentreppe Rheine 367 Fabian Heidenreich, Markus Herten 12.2 Baugruben: Ermittlung des Bettungsmoduls auf der Grundlage von Mobilisierungsfunktionen 377 Dr.-Ing. Harriet Hegert 12.3 Umgang mit Hohlräumen und plombierten Dolinen im Stuttgarter Talkessel 389 Dr.-Ing. Annette Lächler, Holger Jud 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 12.4 Risikoanalysen für geotechnische Fragestellungen bei der Planung und Ausführung von Baugruben, Gründungen und Tunnelbauwerken 395 Maximilian Kies (M. Eng.), Simon Meißner, Joachm Michel, Jürgen Schmitt 13. Hangsicherung 411 13.1 Nachhaltige Stabilisierung von Kriechhängen mittels HZV-Verfahren: Bemessung und Ausführungspraxis 413 Benjamin Krüger, Jürgen Stöger 13.2 Kombinierte Böschungs- und Felssicherung von Tunnelportalen mittels hochfestem Stahldrahtgeflecht 419 Helene Hofmann, Eberhard Gröner, Corinna Wendeler 13.3 Mikropfähle nach DIN EN 14199 - EIN System für Gründungen und Rückverankerungen 425 Dipl.-Ing. Werner Müller 13.4 Revolution in der Felssicherung - innovative Steinschlagbarrieren hoher Energieklasse ohne Stützenverankerungen Typ EPFM 431 Marco Toniolo, Michael Arndt 14. Innovation/ Forschung 433 14.1 Tiefe und extra tiefe Schlitzwände in Schanghai - Größer werdende Nachfrage nach Infrastruktur in Megastädten führen zu größeren Tiefen bei Schlitzwänden 435 Franz-Werner Gerressen 14.2 Effect of free convection flow in water on frozen soil - an experimental and numerical study 445 Mustafa Mustafa, Patrik Buhmann, Christian Moormann 14.3 Zusammenhang zwischen Zugfestigkeit, Druckfestigkeit und Kohäsion von verdichteten Tonen als mineralische Abdichtungsschichten in Abhängigkeit deren Konsistenz * Verena Schuster B-Eng. * Manuskript lag bei Redaktionsschluss nicht vor. Anhänge Programmausschuss 451 Beitragsverzeichnis nach Autorennamen 453 Plenarvorträge 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 3 Neubau der Schleuse Kriegenbrunn am Main-Donau-Kanal Geohydraulische Einwirkungen Bernhard Odenwald, Oliver Stelzer Bundesanstalt für Wasserbau (BAW), Karlsruhe Natascha Engels Wasserstraßen-Neubauamt (WNA) Aschaffenburg Ulrike Schömig Schömig-Plan Ingenieurgesellschaft mbH, Kleinostheim Rainer Siemke WTM Engineers GmbH, Hamburg Matthias Freitag KHP König und Heunisch Planungsgesellschaft mbH & Co. KG, Frankfurt a. M. Zusammenfassung Bereits zwei Jahre nach Inbetriebnahme der Sparschleuse Kriegenbrunn am Main- Donau-Kanal (MDK) mussten erste Schäden infolge Rissen, Betonschäden und undichten Stellen saniert werden. Auch in den folgenden Jahren traten immer wieder Schäden auf, die mehrere große Sanierungsmaßnahmen erforderlich machten. Durch diese konnte die Stabilität und Funktion der Schleuse zwar gesichert werden, die Probleme konnten aber nicht langfristig gelöst werden. Daher plant die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, die Schleuse durch einen Neubau zu ersetzen. Die neue Schleuse wird als Einkammerschleuse in Massivbauweise mit einer nutzbaren Kammerlänge von 190 m, einer Kammerbreite von 12,5 m und einer Hubhöhe von 18,3 m sowie mit drei Sparbecken errichtet. Eine besondere Problemstellung ergibt sich durch den geringen Abstand zur bestehenden Schleuse, die während des Baus der neuen Schleuse ständig in Betrieb bleiben muss und für die eine Belastungsänderung aus dem Baugrund und dem Grundwasser aufgrund der Vorschädigung weitgehend vermieden werden muss. 1. Einleitung Die in den Jahren 1966 bis 1971 erbaute Schleuse Kriegenbrunn liegt bei MDK-km 48,66 in der Nähe von Erlangen (Bild 1). Sie hat eine Nutzlänge von 190 m, eine Kammerbreite von 12 m, eine große Hubhöhe von 18,30 m und wurde 1972 in Betrieb genommen. Aufgrund von Standsicherheitsdefiziten an der Schleuse ist der Bau einer neuen Schleuse erforderlich. Der Ersatzneubau ist seitlich des bestehenden Bauwerks mit einem Achsabstand von ca. 44 m vorgesehen (Bild 2). Um den Schiffsverkehr auf dem Main-Donau-Kanal aufrecht zu erhalten, muss die bestehende Schleuse während der Bauarbeiten weiter betrieben werden. Bild 1: Bau der bestehenden Schleuse Kriegenbrunn, im Hintergrund die Regnitz 4 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Neubau der Schleuse Kriegenbrunn am Main-Donau-Kanal Geohydraulische Einwirkungen Die Planungsleistungen werden im Auftrag des Wasserstraßen-Neubauamtes (WNA) Aschaffenburg durch eine Ingenieurgemeinschaft, bestehend aus der Schömig-Plan Ingenieurgesellschaft (Kleinostheim), WTM Engineers (Hamburg) und KHP (Frankfurt a. M.) erbracht. Von der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) wurden die für die Planung des Schleusenneubaus maßgebenden Einwirkungen aus dem Grundwasser ermittelt, wobei charakteristische Grundwasserdrücke für die unterschiedlichen Bemessungssituationen festgelegt wurden. Dies betrifft sowohl die auf den Baugrubenverbau in den unterschiedlichen Bauphasen als auch die auf das fertiggestellte Bauwerk einwirkenden Wasserdruckkräfte. Dabei mussten die Angaben für die charakteristischen Grundwasserdrücke in Abhängigkeit des Planungsfortschritts mehrfach angepasst und konkretisiert werden. Weiterhin wurden unterschiedliche Maßnahmen empfohlen, um negative Einwirkungen aus dem Grundwasser auf den Baugrubenverbau, das fertiggestellte Schleusenbauwerk und die Bestandsschleuse soweit möglich zu reduzieren. Bild 2: Neue Schleuse und Sparbecken neben dem Bestand 2. Standortuntersuchung Für die neue Schleuse wurden verschiedene Standorte in einer Variantenstudie untersucht. Der verfügbare Planungskorridor ist aufgrund örtlicher Begrenzungen stark eingeschränkt (östlich angrenzendes Umspannwerk, westlich angrenzendes Gewerbegebiet, am Ende des unteren Vorhafens querende BAB A3). Eine Verschiebung des Schleusenstandortes ins Unterwasser sowie eine Verlagerung der Schleuse westlich neben den Bestand war daher nicht realisierbar. Bautechnische und Standsicherheitsaspekte (erforderliche Verlängerung des Unterwasserkanalabschnittes bis auf Höhe der geschädigten Bestandsschleuse mit erheblichen, bauzeitlichen Sicherungsmaßnahmen) verhindern eine Verschiebung Richtung Oberwasser. Als Vorzugsvariante ergab sich daher der Standort auf der Ostseite in Parallellage zur bestehenden Schleuse (Bild 3). Bild 3: Neuer Schleusenstandort als Ergebnis der Variantenuntersuchung Im Rahmen der Standortuntersuchung wurde auch der günstigste Abstand zur schadhaften Bestandsschleuse ermittelt. Die zur Herstellung der neuen Schleuse notwendige Baugrube mit Tiefen von 20 bis 29 m ist dabei von entscheidender Bedeutung. Bereits in einer frühen Planungsphase wurden dazu die Auswirkungen von Aushub- und Rückbauzuständen auf die Bestandsschleuse untersucht. Zur Untersuchung wurden die bestehende Schleusenkammer einschließlich angebundener Sparbecken und die geplante Baugrube mit dem umgebenden Erdreich in einem FE-Modell abgebildet (Bild 4). Bild 4: FE-Modell der Bestandsschleuse und der Baugrube für die neue Schleuse Es zeigte sich, dass infolge der Aushubzustände Defizite bei der Biege- und Schubtragfähigkeit an der Bestandsschleuse auftreten, die auch durch Zusatzmaßnahmen an der Baugrube (vorgespannte Steifen, Aushub im Pilgerschritt etc.) nicht verhindert werden können. Auch eine Vergrößerung des Abstandes zur Bestandsschleuse in nautisch vertretbarer Größe wurde untersucht, brachte aber keine bedeutende Verbesserung. Um die in den Aushubzuständen zu erwartenden Überschreitungen bei Biege- und Schubtragfähigkeit verträglich zu machen, wurde eine Ertüchtigung der kritischen Querschnitte an der Bestandsschleuse geplant und bereits ausgeführt. 3. Anordnung der Sparbecken Die Sparbecken sind im Bestand, wie bei vielen Schleusen dieses Baualters in terrassenförmiger, aufsteigender Bauweise unmittelbar neben der Schleusenkammer angeordnet. Diese Anordnung bei der vorhandenen großen Hubhöhe zu stark unsymmetrischen Belastungszuständen und hat wesentlich zu den heute bestehenden Standsicherheitsdefiziten beigetragen. Bereits beim Bau der danach erstellten Schleusen am MDK (in den 1980er Jahren) wurden die Sparbecken daher von der 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 5 Neubau der Schleuse Kriegenbrunn am Main-Donau-Kanal Geohydraulische Einwirkungen Schleusenkammer abgerückt. Für den Ersatzneubau der Schleuse Kriegenbrunn wurde aus diesem Grunddaher ebenfalls eine abgerückte Anordnung der Sparbecken gewählt, mit einem Abstand von ca. 34 m zur Schleusenkammer. Unter Berücksichtigung des vorhandenen Geländeverlaufes und zur Verbesserung der Zugänglichkeit zu den Becken sind die Sparbecken in absteigender Reihung angeordnet, so dass das hoch gelegene Sparbecken der Schleusenkammer zugewandt ist (Bild 5). Bild 5: Querschnitt der neuen Schleuse mit den Sparbecken 4. Baugrund- und Grundwasserverhältnisse Die Schleuse liegt am westlichen Rand des Regnitztales. Im Bereich der geplanten Baugrube für die neue Schleuse Kriegenbrunn stehen unterhalb von Auffüllungen und einer geringmächtigen quartären Deckschicht Gesteine des mittleren Keupers an (Bild 6). Unter einer oberen Keupersandsteinschicht (Blasensandstein) folgen die Schluff- und Tonsteine der Lehrbergschichten, die von einer unteren Sandsteinschicht (Lehrberg-Sandstein) unterlagert werden. Darunter folgt eine weitere Schluff- und Tonsteinschicht (Grenzletten der Lehrbergschichten). Bild 6: Querschnitt des Baugrundaufbaus mit Baugrube und bestehender Schleuse Der obere Sandstein bildet einen ungespannten Grundwasserleiter mit freier Grundwasseroberfläche, dessen Basis durch die darunter anstehenden Schluff- und Tonsteine gebildet wird. Die Mächtigkeit des wassergesättigten Grundwasserleiters über dieser Grundwasserbasis ist zumeist gering (ca. 0,5 - 2 m). Lediglich im o. g. Auffüllungsbereich östlich der bestehenden Schleusenkammer und in dem daran anschließenden, geohydraulisch verbundenen Bereich der Sandsteinschicht ist die wassergesättigte Mächtigkeit deutlich größer. Der untere Sandstein bildet einen gespannten Grundwasserleiter, dessen Basis und Deckschicht durch die darunter und darüber anstehenden Schluff- und Tonsteinschichten gebildet werden. Die Grundwasserströmung verläuft in beiden Grundwasserstockwerken von südsüdwestlicher nach nordnordöstlicher Richtung und damit ungefähr vom Oberwasser zum Unterwasser der Schleuse. Dabei erfolgt auch eine Durchströmung des Auffüllungsbereiches östlich der bestehenden Schleuse, in dem der Grundwasserstand im südlichen Bereich der Schleusenkammer durch die in der östlichen Kammerwand angeordnete Dränage abgesenkt wird. 5. Baugrubenkonzept Für den Bau der neuen Schleuse ist eine ca. 30 m tiefe Baugrube zu erstellen (siehe Bild 6). Das Baugrubenkonzept wird maßgeblich von der Interaktion zwischen Baugrube und bestehender Schleuse bestimmt. Die Beanspruchungen der bestehenden Kammer in den einzelnen Bauphasen dürfen deren Betrieb nicht gefährden. Diese Problematik wurde anhand umfangreicher Berechnungen mit der Finite-Elemente-Methode untersucht (siehe Bild 4). Daraus ergibt sich für das Baugrubenkonzept ein sehr steifes System mit einem mehrfach ausgesteiften Verbau aus Bohrpfahlwänden. Um die Absenkung des zwischen der Bestandsschleuse und der Baugrube anstehenden Grundwasserspiegels während des Aushubs der Baugrube möglichst gering zu halten, sind die Baugrubenumschließungswände der Hauptbaugrube (Schleusenkammer) wasserdicht als überschnittene Bohrpfahlwände konzipiert. Lediglich für die Teilbaugruben der Sparbeckenzuläufe, die sich auf der von der Bestandsschleuse abgewandten Seite der Hauptbaugrube befinden, ist eine wasserdurchlässige Bauweise durch aufgelöste Bohrpfahlwände vorgesehen. Da in diesem Bereich größere Änderungen des Grundwasserstands toleriert werden können, kann durch die wasserdurchlässige Bauweise der Grundwasserdruck auf die Verbauwände deutlich reduziert werden, was eine deutlich wirtschaftlichere Bauweise erlaubt. 6. Wasserhaltung Während dem Baugrubenaushub und dem Bau der neuen Schleuse ergibt sich aufgrund des tief unter der Grundwasseroberfläche des oberen Sandsteins und der Auffüllung liegenden Aushubniveaus ein Grundwasserzustrom zur 6 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Neubau der Schleuse Kriegenbrunn am Main-Donau-Kanal Geohydraulische Einwirkungen Baugrubensohle der Schleusenbaugrube, der innerhalb der geringer durchlässigen Schluffsteinschicht die Baugrubenumschließungswände unterquert. Durch diesen mittels Restwasserhaltung in der Schleusenbaugrube gefassten Grundwasserzustrom zur Baugrube wird eine Absenkung des Grundwasserstandes im Auffüllungsbereich zwischen Baugrube und Bestandsschleuse verursacht. Für den Nachweis der Standsicherheit der Bestandsschleuse ist es einerseits erforderlich, dass der Grundwasserstand einen maximalen Wert nicht überschreitet, um den Grundwasserdruck auf die Kammerwand für den Lastfall „Schleuse auf Unterwasserstand“ zu begrenzen. Andererseits ist aber auch ein Mindestgrundwasserstand für den Lastfall „Schleuse auf Oberwasserstand“ erforderlich, um den erforderlichen stützenden Grundwasserdruck zu gewährleisten. Um diese Vorgaben einzuhalten, ist es erforderlich, den Grundwasserstand zwischen der Bestandsschleuse und der Baugrubenumschließung der neuen Schleuse während der Bauzeit ungefähr auf Höhe der Dränage in der Kammerwand der Bestandsschleuse zu halten. Um dies zu erreichen ist eine bis in den Schluffstein einbindende Dichtwand zwischen der bestehenden Schleuse und der Baugrubenumschließung der neuen Schleuse am nördlichen Ende der Schleuse geplant, durch die der horizontale Grundwasserabstrom in der Auffüllung und der oberen Sandsteinschicht verhindert wird. Die bestehende Dränage ist weiterhin zur Kontrolle des Grundwasserstands in diesem Bereich vorgesehen. Durch einen Umbau des Dränagesystems soll dabei bereichsweise sowohl eine Absenkung des Grundwasserstands durch Exfiltration von Grundwasser als auch, falls erforderlich, eine Anhebung des Grundwasserstands durch Reinfiltration von Grundwasser ermöglicht werden. 7. Auftriebssicherheit der Baugrubensohle Die untere Sandsteinschicht befindet sich ca. 7 m unterhalb der geplanten Baugrubensohle innerhalb der mächtigen Schluffsteinabfolge und weist eine mittlere Mächtigkeit von ca. 4 m auf. Auf Grundlage der Ergebnisse der geohydraulischen Erkundung des Baugrunds ist davon auszugehen, dass die hydraulische Gebirgsdurchlässigkeit der Sandsteinschicht deutlich größer als die der über- und unterlagernden Schluffsteinschichten ist und dass das Grundwasserpotential in der unteren Sandsteinschicht bis zu ca. 16 m über der Baugrubensohle liegt. Aufgrund der Durchlässigkeitsunterschiede ist anzunehmen, dass der Potentialabbau nahezu ausschließlich in der Schluffsteinschicht unterhalb der Baugrubensohle stattfindet. Deshalb kann der Nachweis der Sicherheit gegen Aufschwimmen nach DIN EN 1997-1 [1] in Verbindung mit DIN 1054 [3] für die verbleibende Felsschicht innerhalb der Baugrubenumschließung beim Aushub der Baugrube bis zur geplanten Baugrubensohle ohne Verringerung des Grundwasserpotentials in der unteren Sandsteinschicht nicht geführt werden. Zur Sicherung der Baugrubensohle gegen Aufschwimmen sind deshalb Entspannungsbrunnen in der Baugrube vorgesehen, in denen das Grundwasser aus der Sandsteinschicht aufgrund der Überdruckes bis zur Baugrubensohle aufsteigt, wo es gesammelt und abgepumpt werden kann. Die Entspannungsbrunnen werden als Überlaufbrunnen ausgebildet. Sie sind von oberhalb des ungestörten Grundwasserspiegels aus herzustellen und beim Ziehen der Bohrverrohrung mit Filterkies zu verfüllen. Die Kiessäulen und damit die Überlaufhöhen der Entspannungsbrunnen werden danach sukzessive mit dem Aushub der Baugrube gekürzt (Bild 7). Bild 7: Grundwasserentspannungsbrunnen Für den Nachweis der unterhalb der Baugrubensohle anstehenden Schluffsteinschicht gegen Aufschwimmen muss das Grundwasserpotential in der unteren Sandsteinschicht um ca. 8 m abgesenkt werden. Auf Grundlage der durchgeführten Grundwasserströmungsberechnung sind dazu 32 jeweils bis zur Unterkante der unteren Sandsteinschicht reichende Entspannungsbrunnen mit Abständen von ca. 5 m in den Eckbereichen der Baugrube und von ca. 15 bis 30 m im mittleren Bereich erforderlich. 8. Charakteristische Grundwasserstände Die aus den Grundwasserständen resultierenden Wasserdrücke stellen bei Schleusenbauwerken zumeist wesentliche Einwirkungen sowohl auf das fertiggestellte Bauwerk als auch auf die Baugrube bzw. die Baugrubenumschließung dar. Für eine einerseits sichere und andererseits wirtschaftliche Bemessung der Bauwerke ist deshalb eine sorgfältige Festlegung charakteristischer Werte nach DIN 19702 [4] für die Grundwasserbeanspruchung erforderlich. Im Gegensatz zu Bodenkennwerten weisen Grundwasserstände jedoch nicht nur örtlich sondern auch zeitlich eine hohe Variabilität auf, die bei der Festlegung charakteristischer Grundwasserstände berücksichtigt werden muss. Zusätzlich 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 7 Neubau der Schleuse Kriegenbrunn am Main-Donau-Kanal Geohydraulische Einwirkungen werden die Grundwasserverhältnisse durch die geplanten Bauwerke und Bauabläufe beeinflusst. Diese Einflüsse sowie das erforderliche Sicherheitsniveau und genehmigungsrechtliche Vorgaben sind maßgebend für die Festlegung charakteristischer Grundwasserstände. Aufgrund dieser unterschiedlichen, komplexen Randbedingungen ist eine frühzeitige Festlegung charakteristischer Grundwasserstände im geotechnischen Bericht nicht sinnvoll. Vielmehr sind die charakteristischen Grundwasserstände in Abstimmung mit dem Planer festzulegen und mit dem Planungsprozess fortzuschreiben. Dabei sind sowohl die Einflüsse der geplanten Maßnahmen und Bauwerke auf die Grundwasserstände als auch Einwirkungen des Grundwassers auf die Planung zu berücksichtigen. Die Festlegung charakteristischer Grundwasserstände erfordert eine ausreichende Anzahl von Grundwassermessstellen, eine möglichst lange Beobachtungsdauer sowie eine ausreichende zeitliche Auflösung der Messungen um Grundwasserhoch- und -niedrig-wasserstände erfassen zu können. Dabei ist ggf. die Abhängigkeit der Grundwasserstände von den Oberflächenwasserständen zu berücksichtigen. Falls nicht schon vorab vorhanden, sollten die Messstellen bereits zu Beginn der Baugrunderkundung hergestellt und möglichst mit automatisierten Erfassungssystemen ausgerüstet werden. Die Grundwassermessungen beinhalten die fachgerechte Auswertung und Validierung der Messwerte sowie die regelmäßige Überprüfung der Datenerfassung. Für die Tragfähigkeitsnachweise der einzelnen Bauteile der geplanten neuen Schleuse und der Baugrubenverbauten wurden charakteristische Grundwasserstände für die ständige Bemessungssituation (BS-P) sowie für vorübergehende (BS-T) und außergewöhnliche Bemessungssituationen (BS-A) festgelegt. Die charakteristischen Grundwasserstände dienen als Grundlage für die Ermittlung charakteristischer Einwirkungen (Grundwasserdruckkräfte) oder daraus resultierender charakteristischer Beanspruchungen (z. B. Querkräfte und Momente). Die Bemessungswerte der Einwirkungen oder Beanspruchungen ergeben sich aus den charakteristischen Größen multipliziert mit den jeweiligen Teilsicherheitsbeiwerten. Dabei unterscheiden sich die anzusetzenden Teilsicherheitsbeiwerte nach Bemessungssituationen, Wirkung (günstig/ ungünstig) und Art (ständig/ veränderlich/ außergewöhnlich) der Einwirkung sowie nach den zu führenden Nachweisen. Für bautechnische Nachweise sind die aus Wasser- und Grundwasserdrücken resultierenden Kräfte gemäß DIN 19702 [4] als veränderliche Einwirkungen einzustufen. Sie dürfen jedoch für die Wahl des Teilsicherheitsbeiwertes als ständige Einwirkungen berücksichtigt werden, wenn der Wasserbzw. Grundwasserdruck aufgrund geometrischer Randbedingungen begrenzt ist und der aus den Baugrundverhältnissen resultierende Einfluss auf den Grundwasserdruck zuverlässig ermittelt werden kann. Für geotechnische Nachweise sind die aus Wasser- und Grundwasserdrücken resultierenden Einwirkungen oder Beanspruchungen nach DIN EN 1997-1 [1] in Verbindung mit DIN EN 1997-1/ NA [2] und DIN 1054 [3] im Allg. - unabhängig von ihrer Einstufung als ständige oder veränderliche Einwirkung - zur Ermittlung der Bemessungswerte mit den Teilsicherheitsbeiwerten für ständige Einwirkungen zu beaufschlagen. Eine detaillierte Zusammenstellung der wesentlichen Regelungen für den Ansatz von Einwirkungen aus Grund- und Oberflächenwasser gibt Odenwald[5]. Für die ständige Bemessungssituation BS-P, also den Betriebszustand der Schleuse nach deren Fertigstellung, sind nach DIN 19702 [4] obere und untere charakteristische Werte für veränderliche Einwirkungen, die auch Einwirkungen aus Oberflächenwasser und Grundwasser umfassen, bis zu einer jährlichen Über- oder Unterschreitungswahrscheinlichkeit von einmal in der rechnerischen Lebensdauer des Bauwerks anzusetzen. Da bei Wasserbauwerken eine rechnerische Lebensdauer von 100 Jahren zugrunde gelegt wird, sind die oberen charakteristischen Grundwasserstände für eine jährliche Überschreitungswahrscheinlichkeit p = 1/ n = 0,01/ a zu ermitteln. D. h., die oberen charakteristischen Grundwasserstände sollten i. d. R. einem 100-jährlichen Grundwasserhochstand entsprechen. Auf Grundlage der Grundwassermessdaten wurden für die geplante neue Schleuse, differenziert nach Oberhaupt, Kammer, Unterhaupt, Auslaufbauwerk und Sparbecken, entsprechende obere und untere Grundwasserstände festgelegt. In der vorübergehenden Bemessungssituation BS-T sind Einwirkungskombinationen unter Berücksichtigung der Einwirkungen aus Grundwasserständen während Bauzuständen oder Revisionszuständen zu berücksichtigen. Für den Bauzustand wurden in Abstimmung mit dem Planer obere charakteristische Grundwasserstände für insgesamt 10 Teilbaugruben unter Berücksichtigung des detaillierten Bauablaufplans angegeben. Weiterhin wurden für das fertiggestellte neue Schleusenbauwerk obere charakteristische Grundwasserstände für den vergleichsweise kurzen Zustand während einer Trockenlegung der Schleuse zu Revisionszwecken, wiederum untergliedert nach den einzelnen Bauwerksteilen, festgelegt. Als außergewöhnliche Bemessungssituationen wurden für die Bauzeit die Auswirkungen eines hydraulischen Versagens eines relevanten Teilbereiches der Dichtung des oberen Vorhafens der Bestandsschleuse und für die fertiggestellte neue Schleuse die Auswirkungen einer vollständigen hydraulischen Unwirksamkeit der Dichtung im oberen Vorhafen untersucht. Daraus resultierend wurden wiederum obere charakteristische Grundwasserstände für die Baugrubenumschließungen 8 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Neubau der Schleuse Kriegenbrunn am Main-Donau-Kanal Geohydraulische Einwirkungen im Bauzustand und für die Schleusenbauwerke im Betriebszustand angegeben. Literatur [1] DIN EN 1997-1: 2009-09: Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik - Teil 1: Allgemeine Regeln. Beuth Verlag, Berlin. [2] DIN EN 1997-1/ NA: 2010-12: Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter - Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik - Teil 1: Allgemeine Regeln. Beuth Verlag, Berlin. [3] DIN 1054: 2010-12: Baugrund - Sicherheitsnachweise im Erd- und Grundbau - Ergänzende Regelungen zu DIN EN 1997-1. Beuth Verlag, Berlin. [4] DIN 19702: 2013-02: Massivbauwerke im Wasserbau - Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit. Beuth Verlag, Berlin. [5] Odenwald, B. (2011): Ansatz von Einwirkungen aus Grund- und Oberflächenwasser nach neuen Normen. In: Tagungsband zum BAW-Kolloquium „Aktuelle geotechnische Fragestellungen bei Baumaßnahmen an Bundeswasserstraßen“ am 18. und 19. Oktober 2011, S. 81 - 89. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 9 BIM im Verkehrswegebau - Anwendung im Rahmen der operativen Angebotsbearbeitung und Ausführung Jens Hoffmann STRABAG AG - Zentrale Technik, Wien, Österreich Julia Zimmermann STRABAG AG - Verkehrswegebau (UB 6H), Köln, Deutschland Zusammenfassung Die Anwendung von Building Information Modeling (kurz BIM) ist heute vielfach auf den Hochsowie Ingenieurbau fokussiert, da die etablierten Werkzeuge und Methoden sich nicht ohne weiteres auf den Verkehrswegebzw. Streckenbau der Straße und Schiene übertragen lassen. Im vorliegenden Beitrag werden bereits bestehende Möglichkeiten der Anwendung von BIM in der Angebotswie auch Ausführungsphase und deren Nährwerte für den Verkehrswegebau beschrieben. Überdies wird dargestellt, welchen Beitrag insbesondere die öffentliche Bauherrenschaft durch eine Verfügbarmachung von digitalen Grundlagen mit der Ausschreibung leisten kann bzw. muss und welche Bedeutung die Zieldefinition zur Weiterverwendung der Daten für Betrieb und Unterhaltung hat, um die BIM Entwicklung zu fördern und die inhaltlichen Ziele des BMVI Stufenplanes erreichbar zu gestalten. 1. Einleitung BIM gilt als eine der grundlegenden Antworten der Bauindustrie auf die Digitalisierung. Es inkludiert eine rasche wie nachhaltige Veränderung bestehender Arbeitsmittel und -prozesse sowie der daran geknüpften Tätigkeitsprofile. Insofern werden sich neue und erweiterte Anforderungen an viele der heute und zukünftig am Bau tätigen Menschen stellen. BIM ist daher Herausforderung und Chance gleichermaßen. Sicher ist zudem, dass die Durchgängigkeit der Daten und die inhaltliche wie zeitliche Verschränkung der Prozesse mehr denn je ein partnerschaftliches Arbeiten in der Entwurfs- und Realisierungsphase aller am Bau Beteiligten erfordern wird. Ein verändertes Vergaberecht für öffentliche Bauverträge wie auch fortschrittliche Vertragsmodelle (Partneringbzw. Allianzmodelle, Early Contractor Involvements (ECI)) werden hiermit einher gehen. 2. BIM im Verkehrswegebau Erste Infrastrukturprojekte mit BIM-Teilleistungen sind bereits in Österreich (Asfinag) in Ausschreibung und Ausführung. Weitreichender sind diesbezügliche Pilotierungen in Deutschland gediehen, wo ein Ende 2015 verabschiedeter Stufenplan des Bundesministeriums für Verkehr und Infrastruktur (BMVI) den verbindlichen Einsatz von BIM bei der Planung, Ausschreibung und Realisierung von öffentlichen Infrastrukturprojekten ab dem Jahr 2020 regelt. Jedoch bei näherer Betrachtung dieser ersten Pilotprojekte sowohl in Österreich als auch in Deutschland wird deutlich, dass mehrheitlich der klassische Ingenieur-, respektive Brückenbau zentrale Elemente dieser Vorhaben sind. Erd- und Straßenbauleistungen spielen hier bis dato keine oder eine nur sehr untergeordnete Rolle, was aus Sicht der Verfasser im Gesamtkontext zwar nachvollziehbar aber nicht gerechtfertigt ist. Insbesondere die Vorgänge in der Bestandserfassung, Mengenermittlung, -abrechnung bis hin zur Bauwerksdokumentation werden von BIM besonders profitieren. Gründe für die festzustellende Unterrepräsentanz liegen sicherlich in den bisher geringen Erfahrungen mit BIM im Erd- und Straßenbau begründet. Wiederum hierfür ursächlich sind vermutlich die initial für den Hochbau entwickelten BIM-Prozesse und -hilfsmittel, welche auf die Bedingungen des Ver-kehrswegebaus nur sehr bedingt anwendbar sind. Abb. 1: Isometrie 3D-Straßenmodell 10 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 BIM im Verkehrswegebau - Anwendung im Rahmen der operativen Angebotsbearbeitung und Ausführung 3. BIM in der Angebotsphase Auch wenn die Nachfrage nach BIM im Verkehrswegebau (BIM.VWB) seitens der öffentlichen Hand noch sehr überschaubar ist, besitzt dieses Gewerk für die STRA- BAG einen enormen Stellenwert. Folglich wurde entschieden, die maßgebenden BIM.VWB - Prozesse zunächst konzernintern zu erarbeiten. Inhaltich orientieren sich diese Entwicklungen an den 20 Anwendungsfällen (AwF) des BMVI Stufenplanes. STRABAG hat ab dem Jahr 2017 bewusst die Phase der Angebotserstellung in den Fokus der Entwicklung gerückt. Hier spiegeln sich bereits viele der definierten Anwendungsfälle wider. Angebotsbearbeitungen bieten infolge ihrer kurzen Dauer, dem damit hohen Durchsatz sowie den verhältnismäßig konstanten wie reproduzierbaren Rahmenbedingungen (Grundlagen, Zielstellungen) ideale Entwicklungsvoraussetzungen. Auch gewährleistet die Bearbeitung von Realprojekten ein Anwenden unter Echtzeitbedingungen sowie eine frühzeitige Einbindung wesentlicher operativer Belange in die Entwicklung. Abb. 2: Prinzipdarstellung BIM.VWB Als ausgesprochen hinderlich erweist sich jedoch, dass den Ausschreibungen anstatt den aus der Vorprojektierung ohnehin existenten digitalen CAD-Plänen oder Modelldaten zumeist nur PDF-Dateien mit nicht parametrisierten 2D-Informationen beiliegen. Aus diesem Grund sind im Rahmen der Angebotsbearbeitung immer noch erhebliche Aufwendungen zu betreiben, um diese abgereicherten Informationen auf die 3D Modellbasis zu reproduzieren. Selbiges gilt auch für die Bereitstellung digitaler Informationen zur Geländebzw. Bestandsgeometrie. Auch diese Informationen sind häufig nicht Gegenstand der Ausschreibungen. 3.1 Modellierung und Mengenableitung Je nach Dokumentenlage, Komplexität und Terminsituation des konkreten Projektes gelingt es im Rahmen der Angebotsphase, die Gewerke Erd- und Oberbau für alle wesentlichen Haupt- und Nebenwege mit geeigneter Trassierungssoftware modellhaft abbzw. nachzubilden (vgl. Abb. 3). Durch die Verwendung einer entsprechenden Modellstruktur und Attributierung der einzelnen Schichten, lassen sich die Modellmengen positionsbezogen ableiten und mit dem Leistungsverzeichnis dynamisch verknüpfen, was eine recht genaue Gegenüberstellung der ausgeschriebenen Mengen mit den Entwurfsmengen ermöglicht. Parallel der Modellierung erfolgt i.d.R. eine Geländeaufnahme im Feld, die oft erst eine Verlässlichkeit der Modellmengen sicherstellt. Abb. 3: Schema Schichtmodell Dammkörper Mit fortschreitender Verbreitung des BIM werden zukünftig auch im Verkehrswegebau die fortgeschriebenen Fachmodelle der Entwurfs- und Genehmigungsphase Gegenstand der Ausschreibung sein (müssen). 3.2 Modellbasierte Kalkulation und Terminplanung Neben den eigentlichen Modellmengen erlauben bestehende Schnittstellen zwischen verschiedener Trassierungssoftware und der Kalkulationssoftware (bei STRABAG iTWO von RIB) eine unmittelbare Ableitung eines Leistungsverzeichnisses bzw. die mengenspezifische Befüllung eines hinterlegten Muster-LVs, welches bei Änderungen innerhalb des Modells automatisiert fortgeschrieben wird. Selbiges gilt auch für die Ableitung der Vorgangsdaten für die Bauzeitplanung, bspw. in die Terminplanungssoftware TILOS, nebst eines stationsgebundenen Massenbandes über die Gesamtstrecke. Dieses Massenband kann wiederum Grundlage einer ressourcenbasierten Bauzeitplanung sein. Die dynamische Verknüpfung der Positionen und Vorgänge mit dem Modell erlaubt es, verhältnismäßig rasch Planungsvarianten auf Baukosten- und Terminrelevanz zu bewerten oder logistische Transportabläufe sowie erforderliche Ressourcen vorauszuplanen. 3.3 Weiterführender Nutzen Wie wir in zahlreichen Pilotprojekten erfahren durften, beeinflusst die neue, modellbasierte Arbeitsweise auch die Kommunikation innerhalb der Projektteams. So werden die über eine Plattform verfügbaren Fachmodelle verstärkt zur Abstimmung von Bauabläufen und zur 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 11 BIM im Verkehrswegebau - Anwendung im Rahmen der operativen Angebotsbearbeitung und Ausführung Klärung von Gewerkenahtstellen genutzt (vgl. Abb. 4). Wo konventionell oft mehrere Pläne „gewälzt“ und „viele Worte verloren“ werden, erlauben Visualisierungen, Überblendungen und Vergrößerungen oft ein rascheres thematisches Verständnis vom Baugeschehen. Zur verstärkten Nutzung dieser Technologie trägt sicherlich auch bei, dass viele am Markt verfügbare Datenbanken den Zugriff auf den aktuellen Datenstand auch außerhalb des Büros über Smartphones und Tablets erlauben. Abb. 4: Isometrie integriertes Straßen-/ Brückenmodell Ein weiterer, wesentlicher Nutzen der geschaffenen Datenbasis liegt in der Bereitstellung für die Arbeitsvorbereitung der Ausführungsphase. Die im Zuge der Angebotsbearbeitung generierten Informationen sind konventionell mehrheitlich im Wissenstand der beteiligten Personen gebunden und stehen den Baustellen in der oft sehr terminkritischen Startphase nur bedingt zur Verfügung. Die modellbasierte Angebotsbearbeitung schafft auch hier deutlich bessere Voraussetzungen. 4. BIM in der Ausführung Der Übergang von der Akquisitionsphase zur Ausführung darf auch für die Nutzung und insbesondere Fortschreibung der Daten keinen Umbruch darstellen. Die in der Angebotsphase genutzten Visualisierungen können insbesondere in der Kommunikation mit dem Bauherrn, Anrainern, den eigenen Mitarbeitern und Zulieferern genutzt werden. Planungsänderungen werden während der Bauausführung ebenso im Modell mitgeführt wie Aufmaße zu den jeweils erreichten Bautenständen. Der Einsatz von Drohnen- oder Lasertechnologie (Mobile Mapping) schafft bereits heute effiziente Möglichkeiten, verlässliche wie nahezu tagesaktuelle Informationen zum Baugeschehen zu erheben. Morgen werden auch die auf dem Baufeld agierenden Baugeräte Informationen zum Bautenstand liefern. Dass hierfür entsprechende Voraussetzungen in der Netzabdeckung und dem Datenfunk einhergehen müssen, sei nur am Rande erwähnt und soll nicht davon abhalten, die bestehenden technologischen Möglichkeiten und deren Weiterentwicklungen zügig voran zu treiben. Die weiterhin gegebene Verknüpfung der Modelldaten mit dem Leistungsverzeichnis und dem Terminplan bietet wiederum die Basis, den Leistungsstand der Baustelle modellbasiert nachzuverfolgen. Wie Pilotierungen in Österreich zeigten, können Leistungen in den Gewerken des Erd- und Oberbaus direkt aus den Modellen (zwischen-) abgerechnet werden. Einzig die für die öffentlichen Bauverträge nach wie vor bindenden Abrechnungsregeln setzen dem Einsatz dieser Technologie Grenzen. Die hier erforderlichen Novellierungen sind aktuell Arbeitsgegenstand verschiedener Gremien. Abb. 5: Schema Lebenszyklus Straße 5. BIM im Betrieb Abseits allem Nutzen in der Angebotswie Ausführungsphase werden die Daten in Ihrer Gesamtheit zukünftig besonders dem Betrieb und der Erhaltung der Straßen- und Schienenwege dienen (vgl. Abb. 5). So können bspw. Personen, die sich mit der Zustandsfeststellung und -bewertung befassen in situ auf Geometrie, Planung, Ausstattung, existierende Fotos und Nach-weisprotokolle zugreifen. Gleich dem ist die Möglichkeit gegeben, erhobene Informationen unmittelbar zurückfließen zu lassen. Auch die Planung und Koordinierung von baulichen und betrieblichen Erhaltungsmaßnahmen sowie von Ausbaumaßnahmen wird direkt von diesen Informationen profitieren. BIM wird vertiefte Möglichkeiten aufzeigen, bautechnische, baubetriebliche sowie betriebs- und volkswirtschaftliche Anforderungen in der systematischen Erhaltungsplanung des Anlageguts von öffentlichen Bauherren zu berücksichtigen, zu bewerten und einzusetzen. Wichtig ist, dass die Anwendungsfälle für BIM im Betrieb definiert werden, um die Modelldatenbanken aus der Angebots- und Ausführungsphase im Hinblick darauf anzureichern. Hierin liegt die Aufgabe der öffentlichen Bauherrenschaft, nicht zuletzt um eine Umsetzung des Stufenplanes zu gewährleisten. Pilotieren geht über Studieren… 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 13 Neue Konzepte im Entwurf der EN 1997-1 „Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik - Teil 1: Allgemeine Regeln“ Bernd Schuppener Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Deutschland Norbert Vogt Technische Universität München, München, Deutschland Martin Ziegler Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule, Aachen, Deutschland Zusammenfassung Im Jahre 2004 wurde die erste Generation der Eurocodes als europaweit anzuwendende Normen zur Bemessung im Bauwesen in den Mitgliedsländern des CEN eingeführt. Bis Ende September 2014 konnten die nationalen Spiegelausschüsse ihre Einsprüche zum EN 1997 einreichen und Ende 2015 haben die ersten Projekt Teams mit der Erarbeitung der neuen Normentexte begonnen. Statt zwei Teile wird die zukünftige EN 1997 drei Teile umfassen. Im Teil 1 „Allgemeine Regeln“ werden wie bisher alle grundsätzlichen Regelungen enthalten sein, die für die zwei anderen Teile der EN 1997 gelten werden. Der Teil 2 „Bodeneigenschaften“ wird den alten Teil 2 enthalten, ergänzt durch Regelungen für Untersuchungen an Fels. Der Teil 3 „Geotechnische Bauten“ wird die bisher im Teil 1 enthaltenen Abschnitte sowie zusätzliche Abschnitte z. B. über Bewehrte Erde und Baugrundverbesserungen enthalten. Der vorliegende Beitrag stellt die wichtigsten Neuerungen und Änderungen des EC7 vor. 1. Vorgeschichte Im Jahre 2004 wurde die erste Generation der Eurocodes mit europaweit anzuwendenden Normen zur Bemessung im Bauwesen in den Mitgliedländern des CEN von den zuständigen Subkomitees verabschiedet. In den Folgejahren wurden im Fachbereich Grundbau, Geotechnik die DIN 1054 „Baugrund - Sicherheitsnachweise im Erd- und Grundbau“ und die DIN 4020 “Geotechnische Untersuchungen für bautechnische Zwecke“ überarbeitet. Dabei wurden alle Regelungen gestrichen, die schon in der EN 1997-1 enthalten waren, und die zugehörigen national zu bestimmenden Parameter (NDP) der EN 1997-1 festgelegt, wie z. B. die Teilsicherheitsbeiwerte und die in Deutschland anzuwendenden Nachweisverfahren. Die Regelungen für die Einführung der Eurocodes erforderten, dass die NDP zusätzlich in einem gesonderten Nationalen Anhang zusammenzufassen sind. Abschließend wurden 2011 im Handbuch Eurocode 7 „Geotechnische Bemessung - Band 1 Allgemeine Regeln“ - die EN 1997-1, - der Nationale Anhang und - die überarbeitete DIN 1054 „Baugrund - Sicherheitsnachweise im Erd- und Grundbau - Ergänzende Regelungen zu DIN EN 1997-1“ zusammengefasst, um dem Anwender die jetzt gültigen Bemessungsregeln nutzerfreundlich in einem Dokument zu Verfügung zu stellen. Satzungsgemäß ist alle 5 Jahre eine Überprüfung und ggf. Überarbeitung von europäischen Normen durchzuführen. Da es sich bei den Eurocodes um erste Fassungen handelte, bei denen eine große Zahl von Einsprüchen und Änderungswünschen zu erwarten waren, hat sich das CEN auch frühzeitig um eine Finanzierung der umfangreichen Überarbeitung bei der Europäischen Kommission bemüht. Außerdem hat man die Frist verlängert, um die Erfahrungen mit den neuen Eurocodes im ausreichenden Umfang berücksichtigen zu können. Gleich nach der Einführung der EN 1997-1 in den Mitgliedsländern des CEN im Jahr 2004 hat das zuständige Sub-Komitee (SC7) 14 sog. Evolution Groups (EG) eingerichtet, die die Überarbeitung der EN 1997 vorbereiten sollten. Die EGs arbeiteten auf drei Aufgabenfeldern: - die in der EN 1997-1 schon enthaltenen Bemessungsverfahren für geotechnische Bauwerke sollten kritisch überprüft und ggf. ergänzt werden, - für bisher in der EN 1997-1 nicht behandelte geotechnische Bauwerke sollten Entwurfsregeln und Bemessungsverfahren entwickelt werden (z. B. Bewehrte Erde und Baugrundverbesserungen), 14 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Neue Konzepte im Entwurf der EN 1997-1 „Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik - Teil 1: Allgemeine Regeln“ - für bisher in der EN 1997-1 nicht behandelte Fragestellungen sollten Grundsätze für die Bemessung aufgestellt werden (z. B. für die Felsmechanik sowie dynamisch beanspruchte geotechnische Bauwerke) und - Regeln für Nutzerfreundlichkeit der EN 1997-1 insbesondere im Hinblick auf seinen Aufbau und seinen textlichen Umfang sollten entwickelt werden. - In Deutschland wurde nach der Einführung der Eurocodes für die Bemessung von Bauwerken erhebliche Kritik laut: Die aus 58 Normen mit mehr als 5.200 Seiten bestehenden Eurocodes seien für die tägliche Arbeit der planenden Ingenieure ungeeignet und entmutigten die Anwender. Den Eurocodes wurde vorgeworfen, - sie seien zu umfangreich, - in Teilen unklar, - manchmal trivial, - enthalten zu viel Lehrbuchwissen und - sind deshalb nicht nutzerfreundlich. Im Januar 2011 wurde daher von der Deutschen Bauindustrie und den Bauingenieurvereinigungen die Initiative Praxisgerechte Regelwerke im Bauwesen e.V. kurz PraxisRegelnBau (PRB) mit dem Ziel gegründet, die Diskussion für die nächste Generation der Eurocodes vorzubereiten. Dazu sollten verbesserte Entwürfe erarbeitet werden. An der Initiative zur Gründung der PRB war auch die Deutsche Gesellschaft für Geotechnik e. V. (DGGT) als Gründungsmitglied beteiligt. Sie lud im Mai 2011 in der Praxis arbeitende Geotechniker zur Gründung einer Projektgruppe Geotechnik ein. In Deutschland bereiteten sich seit 2011 die zuständigen DIN-Ausschüsse Sicherheit im Erd- und Grundbau und Untersuchungen von Boden und Fels im Rahmen der PRB auf die Überarbeitung der EN 1997-1 vor. Der Schwerpunkt der Arbeiten lag zum einen bei der redaktionellen Straffung beider bereits existierender Teile der EN 1997-1 zur Verbesserung der Nutzerfreundlichkeit und der Durchführung von Vergleichsberechnungen zur Harmonisierung der bisher in der EN 1997-1 vorgeschlagenen Bemessungsverfahren. Die Ergebnisse dieser Arbeiten flossen dann in die Beratungen zur Neufassung der EN 1997-1 ein. Bis zum 30.9.2014 konnten die Mitgliedsländer ihre Einsprüche zum sog. Systematic Review der bestehenden EN 1997-1 einreichen. Von Deutschland wurden um 50 % bzw. 70 % redaktionell gestraffte Fassungen des Teils 1 bzw. des Teils 2 der EN 1997 und Vorschläge zur Behandlung von numerischen Nachweisverfahren eingereicht. Weitere fachliche Einsprüche wurden nicht gemacht, da die von den EGs erarbeiteten Vorschläge eine gute Grundlage für eine Überarbeitung erwarten ließ. Im Frühjahr 2015 wurde die finanzielle Förderung für die Erarbeitung der 2. Generation der Eurocodes von der Europäischen Kommission bewilligt. Der erteilte Auftrag sieht für alle Eurocodes folgende Schwerpunkte bei der Überarbeitung vor: - eine Verbesserung der Nutzerfreundlichkeit durch - weitgehend einheitliche Gliederung aller Eurocodes und - Straffung durch Wegfall von Wiederholungen und erläuternden Lehrbuchtexten sowie - eine Reduzierung der national zu bestimmenden Parameter (NDP) und optionalen Nachweisverfahren. 2. Der Entwurf der EN 1997-1 von Oktober 2019 2.1 Struktur der EN 1997 Schon zur Auftragserteilung hat sich das für die EN 1997- 1 zuständige Subkomitee 7 (SC7) darauf geeinigt, die zukünftige EN 1997 neu zu strukturieren und in 3 Teile zu gliedern: - Im Teil 1 „Allgemeine Regeln“ werden alle grundsätzlichen Regelungen zu Bemessungssituationen, Nachweisverfahren, Grenzzuständen und charakteristischen Werten zusammengefasst, die für die 2 anderen Teile der EN 1997 gelten werden. Dabei ist vorauszuschicken, dass in der EN 1990 übergreifend für die gesamte Normenfamilie 2004 bereits allgemeine Regeln festgelegt werden. Der neue Titel dieser Norm: „Basis of structural and geotechnical design“ macht deutlich, dass hier auch Regeln für die EN 1997 gesetzt werden. - Der Teil 2 „Bodeneigenschaften“ wird den alten Teil 2 enthalten, ergänzt durch Regelungen für Untersuchungen an Fels und als Grundlage für dynamische Nachweise sowie zu weiteren Untersuchungen wie z. B. geophysikalische Verfahren. - Der Teil 3 „Geotechnische Bauten“ wird die bisher im Teil 1 enthaltenen Abschnitte zu Flächengründungen, Pfahlgründungen, Ankern, Stützbauwerken, hydraulisch verursachtem Versagen, Gesamtstandsicherheit und Erddämmen sowie zusätzliche Abschnitte z. B. über Bewehrte Erde und Baugrundverbesserungen (Ground Improvement) umfassen. Um der neuen Struktur der EN 1997 bei der Bearbeitung Rechnung zu tragen, wurden 3 Working Groups (WG) eingerichtet (siehe Bild 1). Jede WG besteht aus Task Groups (TG), denen jeweils ein Projekt Team (PT) zugeordnet ist. Die PTs setzen sich aus je 6 Mitgliedern einschließlich eines Vorsitzenden zusammen. Die PT-Mitglieder wurden auf Grundlage einer europaweiten Ausschreibung ausgewählt und haben einen Vertrag, der ihre Aufgaben mit einem Zeitplan sowie ein ergänzendes budgetiertes Honorar für ihre ehrenamtliche Arbeit und die erforderlichen Reisen enthält. Die PTs erarbeiten die Textvorschläge für die neue Fassung der EN 1997. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 15 Neue Konzepte im Entwurf der EN 1997-1 „Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik - Teil 1: Allgemeine Regeln“ Bild 1: Organisation der Überarbeitung Parallel arbeiten zu jedem PT eine oder mehrere TGs, deren Mitarbeiter nicht finanziell unterstützt werden. Die Aufgabe der in ihnen vertretenen Experten ist, die Project Teams fachlich zu beraten und zu unterstützen, die Arbeiten der Evolution Groups zu verwenden und die Einsprüche zu sichten und zu bewerten, die im Rahmen des Systematic Review eingegangen waren. Sie unterstützen - ohne verbindliche Vorgaben machen zu können - die PTs bei der Ausformulierung der neuen Normentexte. Die ersten PTs und TGs haben Ende 2015 mit ihrer Arbeit begonnen. Ein erster Entwurf für den Teil 1 „Allgemeine Regeln“ wurde im April 2016 veröffentlicht und es folgten weitere Fassungen, inzwischen auch für die Teile 2 und 3. Es werden dabei mehrere Entwurfsphasen durchlaufen, der erste und zweite Entwurf kann jeweils von den Experten der TGs sowie von nationalen Spiegelausschüssen kommentiert werden, Der dritte Entwurf wird dann als Final Draft den Nationalen Normungsinstituten mit der Bitte um Zustimmung zugestellt. Das ist insbesondere dann vorgesehen, wenn alle 3 Einzelteile der Norm zusammenhängend vorliegen und aufeinander abgestimmt sind. Nach Vorliegen der nationalen Rückmeldungen erstellt dann der SC 7 mit Hilfe einer geplanten Ad-hoc-Arbeitsgruppe das Final Document, welches dann zum Formal Vote der Nationen gebracht wird. Da zwischendurch auch noch Übersetzungen und formale Prüfungen stattfinden müssen, ist frühestens Ende 2021/ Anfang 2022 mit diesem Formal Vote zu rechnen. 2.2 Schadensfolgeklassen und Geotechnische Kategorien Schon der aktuell gültige Eurocode EN 1990 „Grundlagen der Tragwerksplanung“ enthält im informativen Anhang B „Zuverlässigkeit im Bauwesen“ Vorschläge zu einem Klassifizierungssystem. Dazu gehören Schadensfolgeklassen und Zuverlässigkeitsklassen sowie Differenzierungen der Überwachungsmaßnahmen bei der Planung und der Herstellung von Bauwerken. Diese Klassifizierung der EN 1990 wurde bisher in der Geotechnik nicht übernommen, allerdings wurde ein System in Form von vereinfachten Geotechnischen Kategorien (GK) eingeführt, das auch in die DIN 1054 und DIN 4020 einfloss. Verkürzt gesagt werden die Bauwerke und der Baugrund in 3 Kategorien eingeteilt. Die GK1 umfasst kleine Bauwerke mit geringen Belastungen und einfachem Baugrund, bei dem eine konstruktive Bemessung auf Grundlage von Erfahrungen möglich ist. GK2 enthält die üblichen geotechnischen Bauwerke, für die schriftliche Nachweise für die Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit erforderlich sind, GK3 vor allem schwierige Gründungen mit hohen Lasten und besonderen Anforderungen an die Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit. In der Praxis ist die Festlegung der GK manchmal strittig, weil die Grenzen zwischen den GK nicht eindeutig sind. Um die Einstufung in eine Geotechnische Kategorie besser zu hinterlegen, hat man nun bei der Überarbeitung der EN 1997 in Anlehnung an die EN 1990 Schadensfolgeklassen (CC) und Geotechnische Komplexitätsklassen (GCC) eingeführt, aus deren Kom- 16 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Neue Konzepte im Entwurf der EN 1997-1 „Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik - Teil 1: Allgemeine Regeln“ bination sich dann eine geotechnische Kategorie (GK) ergibt. Diese soll bei der Bemessung von geotechnischen Bauwerken eine Differenzierung im Hinblick auf die Anforderungen zur Sicherstellung der geforderten Zuverlässigkeit ermöglichen. Je nach geotechnischer Kategorie ergeben sich unterschiedliche Anforderungen für die Baugrunduntersuchungen, die Planung und Bemessung, die Prüfung und die Herstellung des Bauvorhabens. Wie die Tabellen der CC und der GCC sowie die Kombinationstabelle in den einzelnen Ländern gefüllt wird, bleibt ihnen selbst überlassen, sie sind national zu bestimmende Parameter (NDP). Man kann Schadensfolgeklassen auf bestimmte Phasen des Bauens beschränken oder sogar ganz auf sie verzichten. Entsprechend dem aktuellen Entwurf ist es auch möglich, GKs direkt zu definieren, wie dies in Deutschland bisher gehandhabt wurde. Da eine Einführung von Schadensfolgeklassen im Bauwesen erhebliche finanzielle und juristische Folgen haben wird, muss zuvor die grundlegende Frage geklärt werden: Wer klassifiziert die Bauwerke in Schadensfolgeklassen? Die Bauaufsicht -beraten durch Normenausschüsse - oder der Bauherr - beraten durch den Ingenieur? Für den EC 7 haben die Schadensfolgeklassen keine zwingenden Folgen. 2.3 Numerische Verfahren Erheblich ausgebaut werden die Regelungen zur Bemessung mit numerischen Verfahren, die bislang in der EN 1997-1 zwar zugelassen, aber für die praktische Anwendung nicht normativ geregelt waren. Beim Entwurf einer Baugrubenwand mit numerischen Verfahren wird vorgesehen, dass die Nachweise sowohl mit abgeminderten Scherparametern (Material Factoring Approach (MFA)) als auch mit erhöhten Beanspruchungen und reduzierten Widerständen (Effects Factoring Approach (EFA)) durchgeführt werden sollen. 2.4 Neue Begriffe Auch bisherige Begriffe werden präziser definiert wie z. B. der repräsentative Wert X rep einer Bodenkenngröße. Er stellt denjenigen Wert dar, der in der Grenzzustandsgleichung angesetzt wird. Das war im Prinzip auch schon bisher so, allerdings wurde dafür der Begriff des charakteristischen Wertes verwendet. Auf der Einwirkungsseite stellte der charakteristische Wert die einfachste Stufe des repräsentativen Wertes dar. Der repräsentative Wert selbst konnte dann noch durch Anwendung von Einwirkungskombinationen verändert werden. Da dies bei der Festlegung einer Bodenkenngröße entfällt, entspricht der jetzige repräsentative Wert dem bisherigen charakteristischen Wert. Der repräsentative Wert wird aus einer der beiden nachfolgenden Gleichungen bestimmt: Χ rep = η Χ nom (4.1.a) Χ rep = η Χ k (4.1.b) Der nominale Wert einer Bodenkenngröße X nom ist dabei ein vorsichtig geschätzter Wert, der im Grenzzustand wirkt. Er wird aus Versuchsergebnissen durch Erfahrung oder aus Kenntnis der Örtlichkeit abgeleitet. Es kann sich um einen Mittelwert oder einen oberen oder unteren Grenzwert handeln. Der charakteristische Wert X k ist hingegen auf statistischer Basis zu ermitteln. Der Umwandlungsfaktor η, soll ggf. Maßstabseffekte und Einflüsse von Alterung, Feuchtigkeit u. a. berücksichtigen. Diese Einflüsse sollten nach unserem Verständnis allerdings schon bei der Festlegung des nominalen Werts berücksichtigt werden, so dass η = 1 gesetzt werden kann. Hinsichtlich der neuen Definition eines charakteristischen Wertes ist zu bedenken, dass wir nur in seltenen Ausnahmefällen eine ausreichende Zahl von abgeleiteten Bodenkennwerten aus Feld- und Laborversuchen zur Verfügung haben, um eine statistische Auswertung vornehmen zu können. In der Regel werden wir weiterhin die nominalen Werte auf Grundlage unserer Erfahrung als vorsichtige Schätzung auf der Basis von abgeleiteten Bodenkennwerte (derived values) festlegen, so wie es in der derzeit gültigen Fassung der EN 1997-1 für dort noch so genannte charakteristische Werte vorgesehen ist. Darüber hinaus wird vorgeschlagen, Bodenkennwerte, die aus Rückrechnungen und Bauwerksbeobachtungen gewonnen werden, als beobachtete Bodenkennwerte (monitored values) X monitored einzuführen. Sie sollen vor allem für Prognosen von Bauwerksverhalten und -verformungen Verwendung finden. In den erforderlichen Berichten über Baugrunduntersuchungen muss erläutert werden, auf welchem Weg die repräsentativen Bodenkennwerte ermittelt worden sind und welche Zuverlässigkeit sie haben. Weiterhin sind die Namen der Grenzzustände STR, GEO, UPL, HYD, FAT verschwunden und das Nachweisformat ist vereinheitlicht worden. Statt der Design Approaches DA1, DA2 und DA3 (Nachweisverfahren) sind jetzt auf der Einwirkungsbzw. Beanspruchungsseite Design Cases DC 1 bis 4 und auf der Widerstandsseite ein Material Factoring Approach (MFA) bzw. ein Resistance Factoring Approach (RFA) eingeführt worden. 2.5 Hydraulische Nachweise In Zukunft wird EN 1990 im Zusammenhang mit Wasserdrücken von vorrangiger allgemeiner Bedeutung sein. Dort werden Wasserdrücke aufgeteilt in ständige, veränderliche und außergewöhnliche Beanspruchungen, die dann ggfs. auch mit verschiedenen Teilsicherheitsbeiwerten zu belegen sind. In der neuen EN 1997-1 wird aber ergänzend geregelt, dass neu so benannte repräsentative Grundwasserdrücke festzulegen sind. Dieser Begriff ist sehr hilfreich und sollte in der Zukunft anstelle des Begriffes „Bemessungswasserstand“ verwendet werden, um Missverständnisse im Hinblick auf den Bemessungswert von Wasserdrücken zu vermeiden. Im Regelfall wird wohl der repräsentative Grundwasserdruck, 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 17 Neue Konzepte im Entwurf der EN 1997-1 „Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik - Teil 1: Allgemeine Regeln“ z. B. die einem 50-jährigen Ereignis zugeordnete Beanspruchung als Berechnungsgrundlage verwendet werden. Der zugehörige Teilsicherheitsbeiwert wird dann demjenigen von ständigen Beanspruchungen entsprechen, um zu Bemessungswerten zu gelangen. Hier wird aktuell diskutiert, ob dieser Wert 1,2 oder 1,35 betragen soll. Der Bemessungswert kann aber auch in direkter Festlegung oder durch Festlegung eines fixen Zuschlags zum repräsentativen Wert gebildet werden. Das Format des Auftriebsnachweises ist derart umstrukturiert worden, dass darin zukünftig Bemessungswerte der Widerstände direkt verwendet werden. Beim Nachweis des hydraulischen Grundbruchs wird das Verfahren nach Terzaghi empfohlen, wobei statt des Vergleichs von Strömungskraft und effektiver Gewichtskraft der ungünstig wirkende Porenwasserdruck mit Spannungen aus den Wichten von Wasser und Boden verglichen werden. Der dabei empfohlene Teilsicherheitsbeiwert γ HYD für den Hydraulischen Grundbruch in der Gleichung 8.3 entspricht mit γ HYD = 0,67 einem Globalsicherheitsbeiwert nach Terzaghi von η = 1,5. Weiterhin wird der Nachweis gegen interne Erosion und Piping über den Vergleich von auftretenden und kritischen Gradienten empfohlen. 2.6 Grundbruchnachweis Die Nachweisverfahren DA1, DA2 und DA3 werden in EN 1990 durch sogenannte Design Cases (DC) in Verbindung mit den erwähnten Ansätzen für die Widerstande (MFA oder RFA) ersetzt. Dabei ist ein Verfahren, welches dem Verfahren DA2* entspricht und bei dem Teilsicherheitsbeiwerte immer erst ganz am Ende von Berechnungen angewandt werden, nicht mehr in identischer Form vorhanden. Allerdings kommt die Kombination von DC4 mit RFA dem bisherigen DA2* sehr nahe. Es werden hierbei nur die veränderlichen Einwirkungen bereits vorab mit dem Faktor 1,50/ 1,35 multipliziert. Dies sind die Teilsicherheitsbeiwerte für veränderliche und ständige Einwirkungen im DC1. Allerdings ist dieses DA2* ähnliche Verfahren nicht mehr für alle geotechnischen Anwendungen vorgesehen, für die bisher DA2* angewendet wurde. Dies gilt insbesondere für den Nachweis von Flachgründungen und hat dadurch direkte Auswirkungen auf den Grundbruchnachweis. Die aktuelle Ausgabe der EN 1997-1 7 ergänzt durch DIN 1054 ermöglicht für den Grundbruchnachweis, den charakteristischen Grundbruchwiderstand mit dem Neigungsbeiwert und der Exzentrizität der charakteristischen Einwirkungen zu berechnen. Das zugeordnete Verfahren dazu wird als DA 2* bezeichnet. Es führt dazu, dass die Fundamentabmessungen sich identisch zu denen ergeben, die traditionell mit dem Globalsicherheitssystem ermittelt wurden. Das setzt formal eine komplexe Regelung voraus, denn die Teilsicherheitsbeiwerte der Einwirkungen zur Ermittlung von Lastneigung und Lastexzentrizität (= 1) sind anders als die Teilsicherheitsbeiwerte zur Ermittlung des Bemessungswertes der Beanspruchung (= 1,35 und 1,5 für ständige bzw. veränderliche Einwirkungen). Dieses Vorgehen mit dem Ergebnis besonders wirtschaftlicher Fundamentabmessungen findet in Europa aber keine allgemeine Zustimmung und ist tatsächlich weniger robust als das Verfahren DA 2, bei dem der Neigungsbeiwert und die Exzentrizität zur Ermittlung des charakteristischen Grundbruchwiderstandes mit den Bemessungswerten der Einwirkungen berechnet werden. Das wird an folgendem Bild 2 erläutert. Die blaue Kurve zeigt Kombinationen von Vertikallasten und Horizontallasten, die nach der in DIN 4017 enthaltenen Grundbruchformel gerade grundbruchsicher sind und damit den charakteristischen Grundbruchwiderstand in Abhängigkeit von der Vertikallast V darstellt. Reduziert um den Teilsicherheitsbeiwert γgr (siehe grüne Pfeile) ergibt sich die entsprechende Kurve für den Design-Wert des Grundbruchwiderstandes. Hier ist erkennbar, dass mit der teilsicherheitsbedingten Reduktion des V-Last-Anteils je nach Größe der Basis-Horizontallast der Spielraum für zusätzliche H-Lasten sehr verschieden ist. An der mit „1“ gekennzeichneten Stelle liegt er bei einem Faktor von 4,2, ohne einen Grundbruch auszulösen. und an der mit „2“ gekennzeichneten Stelle ist er auf 1,3 reduziert. Die violett markierte Linie begrenzt das Verhältnis H/ V nach Maßgabe des Gleitens. Für eine beispielhaft vorhandene charakteristische Lastkombination V k und H k , die in der Grafik durch einen blauen Punkt gekennzeichnet ist, ergeben sich die zugehörigen Design-Werte V d und H d (braun gekennzeichnet), wobei in typischen Fällen die H-Last eine variable Last ist und mit dem Teilsicherheitswert 1,5 beaufschlagt wird, während die V-Last zum größten Teil aus ständigen Eigengewichtslasten besteht und mit einem Faktor von 1,0 oder 1,35 beaufschlagt wird. Damit ändert sich gegenüber dem charakteristischen Fall die Lastneigung. Die blaue Gerade kennzeichnet das Beibehalten der jeweiligen Lastneigung und führt mit den charakteristischen Lastwerten zu einem anderen Punkt auf der Kurve für den charakteristischen Grundbruchwiderstand (Verfahren DA 2*) als die grüne Kurve mit den Design-Lasten (Verfahren DA 2). Dadurch verringern sich der charakteristische Wert und auch der Bemessungswert des Grundbruchwiderstandes, was bei zulässiger Ausnutzung der Größen zu unwirtschaftlicheren Fundamenten führt. Gleichzeitig verringert sich aber auch die Robustheit gegenüber unerwarteten zusätzlichen Horizontallasten, für die weniger Reserven verbleiben. 18 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Neue Konzepte im Entwurf der EN 1997-1 „Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik - Teil 1: Allgemeine Regeln“ Bild 2: Ergebnisse von Grundbruchberechnungen mit Vertikal- und Horizontallasten - charakteristische Werte und Bemessungswerte des Grundbruchwiderstands bei Anwendung der Nachweisverfahren DA2 und DA2*. Da aber gerade H-Lasten oft eine große Variabilität aufweisen, wird aktuell überlegt, auf Sonderregeln zur Beibehaltung von Regelungen zu verzichten, die eine Beibehaltung der Wirkungen des Verfahrens DA 2* für den 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 19 Neue Konzepte im Entwurf der EN 1997-1 „Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik - Teil 1: Allgemeine Regeln“ Grundbruchnachweis ermöglichen. Der begrenzte wirtschaftliche Nachteil wird belohnt durch eine nachweislich größere Robustheit und eine europa-einheitliche klar nachvollziehbare, physikalisch logische Lösung. Dies gilt insbesondere für den unteren Teil der Kurve für den Grundbruchwiderstand, bei dem die H-Lasten dominieren. Sie ermöglicht außerdem, auf den bisher in Deutschland üblichen Nachweis der Begrenzung der Exzentrizität auf b/ 3 bzw. b/ 6 zu verzichten, da für die Bemessungswerte der Einwirkungen mit entsprechend größerer Lastneigung und Exzentrizität bereits der Grundbruchwiderstand der verkleinerten Ersatzfläche gegeben ist. Die erhebliche Auswirkung der Exzentrizität aus charakteristischen oder Bemessungswerten der Einwirkungen auf den charakteristischen Grundbruchwiderstand wird hier nicht weiter diskutiert. 2.7 Nutzerfreundlichkeit Eingangs war dargestellt worden, dass die deutschen Einsprüche zur derzeit gültigen EN 1997 weniger die technischen normativen Regelungen betrafen als die Nutzerfreundlichkeit. Diese war wegen der vielen Lehrbuchtexte, Wiederholungen und unübersichtlicher Gliederung unbefriedigend und erforderte eine Straffung. Das Thema „Nutzerfreundlichkeit“ wurde wiederholt von deutscher Seite auf den Sitzungen des SC7 angesprochen. Allerdings mit wenig Erfolg, weil die Diskussion von der Lösung von technischen normativen Regelungen dominiert wurde, die den Delegierten der meisten Mitgliedsländer wichtiger waren als die eher redaktionellen Probleme. Außerdem war auf höherer Ebene des TC 250 eine andere Definition des Begriffs der Nutzerfreundlichkeit eingeführt worden, die den strengen Auslegungen von PRB nicht entspricht. In der Sitzung des SC7 in Aarhus wurde 2018 in der Resolution 119 die zukünftige inhaltliche Weiterarbeit an der EN 1997-1 festgelegt. Bei der Abstimmung lehnte es die große Mehrheit der Delegierten ab, auch die Nutzerfreundlichkeit zum Thema bei der inhaltlichen Weiterarbeit an der EN 1997-1 zu machen. Für eine strenge Straffung des Entwurfs zur Verbesserung der Nutzerfreundlichkeit (ease of use) sah die große Mehrheit des SC7 keinen Bedarf. Innerhalb der deutschen Delegation haben wir uns daher darauf verständigt, uns auf europäischer Ebene nicht mehr für die „Nutzerfreundlichkeit“ zu verkämpfen, sondern auf die Diskussion und Harmonisierung der technischen normativen Regelungen zu konzentrieren. Dies hat Auswirkungen auf den jetzt vorliegenden Entwurf von Oktober 2019, der nicht nur wieder etliche entbehrliche Texte und Wiederholungen enthält, sondern auch Abschnitte und informative Anhänge, die thematisch aus deutscher Sicht nicht in eine Bemessungsnorm gehören wie z. B. zu Herstellung, Bauüberwachung, Monitoring und Unterhaltung. 3. Ausblick Seit Ende Oktober liegen nun für die drei Teile der EN 1997 neue Entwürfe vor, zu denen bis Ende Januar von den nationalen Spiegelausschüssen über die nationalen Normungsinstitute Kommentare eingereicht werden können. Wesentliche inhaltliche Änderungen sind bei der weiteren Bearbeitung in der EN 1997-1 „Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik — Teil 1: Allgemeine Regeln“ nicht zu erwarten. Bei den Teilen 2 und 3 ist dagegen die Diskussion an vielen Stellen noch offen und ermöglicht Änderungen, für die wir uns aktuell intensiv einsetzen. Eine Verbesserung der Nutzerfreundlichkeit, die auch von anderen Fachbereichen des Bauingenieurwesens für sinnvoll und notwendig gehalten wird, lässt sich am einfachsten auf nationaler Ebene erreichen. Zu diesem Thema hat die PRB beim DIBt einen gemeinsamen F+E-Antrag aller Projektgruppen gestellt, der folgende Fragen beantworten soll: 1. Analyse der derzeit von den verschiedenen Project Teams und anderen Arbeitsgremien im CEN/ TC 250 vorbereiteten Vorentwürfe zu den Eurocodes und Vergleich mit den von deutscher Seite (DIN und PRB) vorgeschlagenen Verbesserungen; 2. Erarbeitung von Stellungnahmen zu diesen Vorentwürfen und zu weiteren Vorschlägen der verschiedenen Akteure auf der europäischen Ebene; 3. Zusammenstellung von Fragestellungen und Regelungsvorschlägen aus dem CEN/ TC 250, die für eine bauaufsichtliche Einführung ungeeignet sind; 4. Zusammenstellung von Fragestellungen und Regelungsvorschlägen aus dem CEN/ TC 250, die das Planen und Bauen für normale Anwendungen unnötig verkomplizieren und damit verteuern; 5. Erarbeitung eines Vorschlags, wie mit den Eurocodes in Deutschland umgegangen werden sollte insbesondere vor dem Hintergrund der bauaufsichtlichen Einführung. Im Rahmen dieses Forschungsvorhabens wird die Projektgruppe Geotechnik der PRB beispielhaft einige Abschnitte der vorliegenden Fassungen der EN 1997 analysieren und das Straffungspotential zur Verbesserung der Nutzerfreundlichkeit untersuchen. Dabei sollen die Struktur und die normativen technischen Regelungen der EN 1997 erhalten bleiben. Die Ergebnisse des Forschungsvorhabens sind dann Grundlage für die Entscheidung, ob es sinnvoll ist, auch die offizielle Schlussfassung der EN 1997 zur Verbesserung ihrer Nutzerfreundlichkeit zu straffen („Plan B“). Eine solche gestraffte Fassung der EN 1997 sollte dann von der Bauaufsicht parallel zum offiziellen Eurocode eingeführt werden. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 21 Eurocode 7, Teil 3 „Geotechnical Structures“ - neue Ansätze für die Bemessung in der Geotechnik Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Moormann Universität Stuttgart, Institut für Geotechnik, Deutschland Dipl.-Ing. Claus Dietz Dietz Geotechnik Consult GmbH, Hilden, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Christos Vrettos Technische Universität Kaiserslautern, Fachgebiet Bodenmechanik und Grundbau, Deutschland Zusammenfassung Derzeit wird vom CEN/ TC 250 die zweite Generation der Eurocode für das Bauwesen erarbeitet. In diesem Kontext erfährt auch der Eurocode 7, EN 1997, eine grundlegende Überarbeitung. Er wird zukünftig drei Teile umfassen: Im Teil 1 „General rules“ werden alle grundsätzlichen Regelungen zur geotechnischen Bemessung enthalten sein; der Teil 2 „Ground properties“ entspricht bezüglich des Themenschwerpunktes dem bisherigen Teil 2 „Erkundung und Untersuchung“, wird aber strukturell stark verändert und u.a. um Regelungen für Untersuchungen im Fels ergänzt. Der Teil 3 „Geotechnical structures“ wird die bisher im Teil 1 enthaltenen Abschnitte zu Flach- und Tiefgründungen, zu Böschungen und Dämmen, zu Stützbauwerken und Verankerungen, aber auch zusätzliche Abschnitte z. B. über Bewehrte Erde und Baugrundverbesserungen enthalten. Der vorliegende Beitrag stellt den Aufbau und wesentliche Bemessungsgrundlagen des Teils 3 des EN 1997 entsprechend der aktuell vorliegenden Entwurfsfassung vor. 1. Einleitung Derzeit wird vom CEN/ TC 250 die zweite Generation der Eurocode für das Bauwesen erarbeitet. In diesem Kontext erfährt auch der Eurocode 7, EN 1997, eine grundlegende Überarbeitung. Die derzeitige in der Ingenieurpraxis in der Anwendung befindliche erste Generation der Eurocodes geht auf einen Fassung zurück, die bereits im Jahr 2004 als europaweit anzuwendende Normen zur Bemessung im Bauwesen in den Mitgliedländern des CEN eingeführt wurde. Die nationale Einführung dieser Eurocodes wurde häufig, wenn auch nicht immer durch Nationale Anwendungsdokumente ergänzt, so auch in Deutschland. Hierzu wurden im Fachbereich Grundbau, Geotechnik des DIN die DIN 1054 „Baugrund - Sicherheitsnachweise im Erd- und Grundbau“ und die DIN 4020 “Geotechnische Untersuchungen für bautechnische Zwecke“ überarbeitet und als „Ergänzende Regelungen zu DIN EN 1997-1 bzw. -2“ eingeführt. Dabei wurden gegenüber den früheren nationalen Normen alle Regelungen gestrichen, die schon in der EN 1997-1 enthalten waren, und die zugehörigen national zu bestimmenden Parameter (NDP) der EN 1997-1 festgelegt, wie z. B. die Teilsicherheitsbeiwerte und die in Deutschland anzuwendenden Nachweisverfahren. Im Ergebnis wurden im Jahr 2011 im Handbuch Eurocode 7 „Geotechnische Bemessung - Band 1 Allgemeine Regeln“, die EN 1997- 1, der Nationale Anhang und die überarbeitete DIN 1054 „Baugrund - Sicherheitsnachweise im Erd- und Grundbau - Ergänzende Regelungen zu DIN EN 1997-1“ zusammengefasst, um dem Anwender die jetzt gültigen Bemessungsregeln nutzerfreundlich in einem Dokument zu Verfügung zu stellen. Mit dem Mandat M/ 466 der Europäischen Kommission an das CEN (Europäisches Komitee für Normung) vom Mai 2010 wurde bereits die zukünftigen Weiterentwicklung (´Evolution´) der Eurocodes initiiert, da europäische Normen satzungsgemäß alle 5 Jahre einer Überprüfung und gegebenenfalls Überarbeitung zu unterziehen sind. Das Mandat M/ 466 umfasst neben der Erstellung neuer Eurocodes (z.B. für Glasstrukturen etc.) und neuer Teile für bestehende Eurocodes (z.B. ´Baugrundverbesserung´ im EN 1997) auch und insbesondere die Weiterentwicklung der bestehenden Eurocodes, speziell hinsichtlich der besonderen Aspekte: • Harmonisierung der Nachweisverfahren, • Harmonisierung und Reduktion der sogenannten ´Nationally Determined Parameters (NDPs)´, also der Teilsicherheitsbeiwerte, Modellfaktoren, Streuungsfaktoren etc.; • Berücksichtigung aktueller Entwicklungen / Forschungsergebnisse; • Berücksichtigung von neuen ISO-Normen; 22 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Eurocode 7, Teil 3 „Geotechnical Structures“ - neue Ansätze für die Bemessung in der Geotechnik • Vereinfachung der Regelungen, Erhöhung der Benutzerfreundlichkeit. Basierend auf der Antwort von CEN/ TC 250 auf dieses Mandat M/ 466 entstand ab 2012 das Mandat M/ 515, auf dessen Basis TC 250 im Jahr 2013 ein Arbeitsprogramm für die Überarbeitung der Eurocodes vorgelegt hat, dass 77 Einzelaufgaben umfasste. Im Zuge dieses Prozesses hatte das für den Eurocode 7 zuständige Sub-Komitee (SC7) im CEN/ TC 250 bereits im Jahr 2011 vierzehn sogenannte ´Evolution Groups´ (EG) eingerichtet, die die Überarbeitung des EN 1997 hinsichtlich Konzept und Leitlinien vorbereiten sollten. Aufgabe der EGs war es im Hinblick auf die geotechnische Bemessung die im EN 1997 enthaltenen Bemessungsverfahren für geotechnische Bauwerke zu überprüfen, Ansätze für bisher in EN 1997-1 nicht behandelte geotechnische Bauwerke (z. B. Bewehrte Erde und Baugrundverbesserungen), bzw. bisher nicht abgedeckte Aspekte wie ´Bauen im Fels´ und ´nicht monotone Einwirkungen auf geotechnische Bauwerke´ zu entwickeln sowie insbesondere die Nutzerfreundlichkeit („ease of use“ des EN 1997 zu verbessern. Auf dieser Basis erhielt das CEN/ TC 250 im Frühjahr 2015 den Auftrag und auch die finanzielle Unterstützung, die Eurocodes analog zu diesem Arbeitsprogramm zu überarbeiten und damit auch den Eurocode 7 in seiner zweiten Generation zu erstellen. In diesem Kontext wurde die Struktur des SC 7 angepasst und die bisherigen Evolution Groups durch ein System von Project Teams und Task Groups ergänzt. Um der zukünftigen Struktur des EN 1997 bei der Bearbeitung Rechnung zu tragen, wurden drei Working Groups (WG) eingerichtet, wobei jede WG aus Task Groups (TG) besteht, die spezifischen Themen zugeordnet sind und die eigentliche arbeitsfähige Einheit darstellen (Abb. 1). Aufgabe der aus Vertretern aller interessierten Länder zusammengesetzten TGs (meist 15 bis 20 Mitglieder) ist es, die von dem CEN mandatierten Project Teams (PT) zu begleiten und zu unterstützen. Die PTs setzen sich aus je 6 Mitgliedern einschließlich eines Team-Leaders zusammen und haben die Aufgabe, Textvorschläge für die neue Fassung der Eurocode 7 zu erarbeiten, die dann von den TGs und in einem letzten Schritt von den nationalen Spiegelausschüssen kommentiert werden. Die PT-Mitglieder wurden auf Grundlage einer europaweiten Ausschreibung ausgewählt und haben einen Vertrag, der ihre Aufgaben mit einem Zeitplan sowie ein ergänzendes budgetiertes Honorar für ihre ehrenamtliche Arbeit und die erforderlichen Reisen enthält. Die TGs sind bezüglich der PTs jedoch nicht weisungsbefugt, so dass die PTs im Rahmen ihres Mandats weitgehend autark arbeiten. EN 1997-3, also der zukünftige Eurocode 7, Teil 3, wird von den Project Teams PT 4 und PT 5 erarbeitet, die auf Seiten des SC 7 von insgesamt sieben TGs begleitet werden (Abb. 1). PT 4 und PT 5 haben im Oktober 2019 den sogenannten ´Final Draft´ vorgelegt, der bis Ende Januar 2019 von den nationalen Spiegelausschüssen kommentiert werden, so dass dann mit Vorlage des vorläufigen Entwurfs des EN 1997-3 Ende April 2019 zu rechnen ist. Abb. 1 Struktur des CEN/ TC250/ SC7 zur Erarbeitung der zweiten Generation des EN 1997 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 23 Eurocode 7, Teil 3 „Geotechnical Structures“ - neue Ansätze für die Bemessung in der Geotechnik Abb. 2 Restrukturierung der ersten Generation des Eurocode 7 in die zweite Generation Der SC 7 wird basierend auf den Entwurfsfassungen noch eine weitere redaktionelle Überarbeitung der drei Teile des EN 1997 vornehmen, so dass mit einem finalen ersten Entwurf im Sommer 2021 zu rechnen ist, der dann noch den formalen Abstimmungsprozess durchlaufen muss, so dass mit einer einführungsreifen Fassung des EN 1997 in allen drei Teilen in 2024/ 25 zu rechnen ist. 2. Umstrukturierung des Eurocode 7 Für die zukünftige, zweite Generation des EN 1997 wurde der bestehende Eurocode 7 entsprechend Abbildung 2 grundlegend umstrukturiert. Der neue Eurocode 7 wird sich in drei Teile gliedern: • Im Teil 1 „General Rules“ werden alle grundsätzlichen Regelungen zur geotechnischen Bemessung, i.e zu Bemessungssituationen, Nachweisverfahren, Grenzzuständen und zur Ableitung repräsentativer Werte zusammengefasst, die übergeordnet auch für die beiden anderen Teile des EN 1997 gelten werden. • Der Teil 2 „Ground Properties“ beschäftigt sich analog des neuen Titels mit der Ermittlung bodenmechanischer Kennwerte auf der Basis von Labor- und Feldversuchen; er weicht insofern deutlich von der aktuellen Fassung ab. Ergänzend werden Regelungen für Untersuchungen an Fels, zur Ermittlung dynamischer Bodenkennwerte und zum Umgang mit geophysikalischen Verfahren aufgenommen. • Der Teil 3 „Geotechnical Structures“ wird die bisher im Teil 1 enthaltenen Abschnitte zu Flächengründungen, Pfahlgründungen, Ankern, Stützbauwerken, hydraulischen Nachweisen, Gesamtstandsicherheit und Erddämmen sowie zusätzliche Abschnitte z. B. über Bewehrte Erde und Baugrundverbesserungen (Ground Improvement) umfassen. Entsprechend der Darstellung in Abbildung 2 ist damit der Inhalt des aktuellen Eurocode 7, Teil 1, aufgeteilt worden, • in den zukünftigen EN 1990, dessen neuer Titel „Basis of structural and geotechnical design“ verdeutlicht, dass grundlegende, auch für die geotechnische Bemessung wichtige Regelungen (Design Cases, Consequence Classes, Teilsicherheitswerte für Einwirkungen etc.) zukünftig hier zu finden sein werden, • in den zukünftigen EN 1997-1 „General rules“ und • den zukünftigen EN 1997-3 „Geotechnical structure“, der nachfolgend detaillierter vorgestellt werden soll. Der zukünftigen EN 1997-3 beinhaltet Text von den Kapiteln 5 bis 9 und 11 bis 12 des bestehenden Eurocode 7, Teil 1, zusammen mit den neuen Kapiteln zu „Ground improvement“ und „Reinforced soil structures“. Berechnungsverfahren, die bisher im Anhang des Eurocode 7, Teil 2, enthalten sind, z.B. für die Ermittlung des axialen Pfahlwiderstandes auf der Basis von CPT-Sondierungen, werden ebenfalls in den EN 1997-3 integriert werden. 3. Entwurf des EN 1997-3 3.1 Inhalt Die Titel der Kapitel (zukünftig ´Clauses´ genannt) des EN 1997-3 werden im Wesentlichen der Struktur des derzeitigen EN 1997-1 folgen und sich wie folgt gliedern: 1. Scope 2. Normative references 3. Terms, definitions, and symbols 4. Slopes, cuttings, and embankments (bisher: Kapitel 11 und 12) 5. Spread foundations (bisher: Section 6) 6. Piled foundations (bisher: Section 7) 7. Retaining structures (bisher: Section 9) 24 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Eurocode 7, Teil 3 „Geotechnical Structures“ - neue Ansätze für die Bemessung in der Geotechnik 8. Anchors (bisher: Section 8) 9. Reinforced soil structures (neu) 10. Ground improvement (bisher: Section 5.5, aber im Wesentlichen neu) Jedes der einer Geotechnischen Struktur gewidmete Kapitel (Kapitel 4 bis 10) folgt einer einheitlichen Gliederung, die wie folgt festgelegt wurde: 1. Scope 2. Basis of design 3. Materials 4. Groundwater 5. Geotechnical analysis 6. Ultimate limit states 7. Serviceability limit states 8. Execution 9. Testing 10. Reporting Nachfolgend werden nähere Angaben zu den einzelnen Unterkapiteln gemacht. 3.2 ´Basis of Design´ In EN 1997-3: 202x werden in den Unterkapiteln x.2 Basis of Design in Ergänzung zu den diesbezüglich bereits in EN 1997-1: 202x enthaltenen Regelungen jeweils für die Geotechnische Struktur spezifische Regelungen und Anforderungen formuliert, die sich auf folgende Aspekte beziehen: 1. Design situations 2. Geometrical data 3. Actions 4. Limit states 5. Design considerations 6. Minimum ground investigations 7. Geotechnical Complexity Classes Die Anforderungen an die Baugrunderkundung basieren im Wesentlichen auf dem Anhang B.3 des bestehenden EN 1997-2: 2007 und korrelieren bezüglich der erforderlichen minimalen Erkundungstiefe weitgehend mit den Anforderungen gemäß DIN 4020. 3.3 ´Materials´ Die originäre Quelle für Information zu den Eigenschaften von Boden und Fels sowie zu deren Bestimmung im neuen Eurocode 7 ist EN 1997-2: 202x „Ground Properties“. Die in EN 1997-3 enthaltenen Unterabschnitte x.3 Materials sollen lediglich ergänzend Angaben zur Bestimmung der Kennwerte von Materialien enthalten, die üblicherweise in der geotechnischen Bemessung verwendet werden, jedoch nicht von anderen Eurocodes abgedeckt werden. So wird für Beton bezüglich der Materialeigenschaften und Expositionsklassen auf Eurocode 2 (EN 1992: 202x) sowie auf EN 206 verwiesen. Bezüglich der Bemessungsparameter für Stahl wird auf Eurocode 3 (EN 1993: 202x) verwiesen, bezüglich der Eigenschaften von warmgewalzten Stahlerzeugnissen auf EN 10025, EN 10083 und EN 10149 sowie für für kaltgeformte Stahlhohlprofile auf EN 10210 und EN 10219. Bezüglich der Bemessungsparameter für Stahlpfähle wird auf Eurocode 3, Teil 5 (EN 1993-5) verwiesen sowie auf EN 10248 für warmgewalzte und auf EN 10249 für kaltgeformte Spundbohlen. Für Anker wird auf EN 10138-1 für Spannstahl und auf EN 10080 für schweißbaren Bewehrungsstahl verwiesen. Bezüglich der Eigenschaften von Geotextilien und geotextilverwandten Produkten für Erdarbeiten, Fundamente und Stützkonstruktionen wird auf EN 13251 Bezug genommen, auf EN ISO 10319 zur Bestimmung der Kurzzeitfestigkeit von Geokunststoffbewehrungen; und auf ISO/ TR 20432 zur Bestimmung der Langzeitfestigkeit von Geokunststoffbewehrungen. Für Stahlbewehrungen einschließlich Bänder, Stangen oder Stäbe wird auf EN 10025 und EN 10080 verwiesen, für geschweißte Gitter auf EN 10218 und 10080; für polymerbeschichtete Drahtgewebe auf EN 10218 und EN 10223. Ferner werden Normen für das Verzinken von Stahlbändern, Stangen, Stangen, Leitern oder geschweißten Drahtgeweben angegeben. Die Verweise sollen dem Bemessenden einen direktem Link auf die wachsende Zahl weiterer Normen und Regelwerke ermöglichen, auf die bei der geotechnischen Bemessung Bezug genommen werden muss. 3.4 ´Groundwater´ Die Unterkapitel x.6 Groundwater enthalten für die jeweilige Geotechnische Struktur spezifische Regelungen zum Umgang mit Grundwasser, soweit dies nicht durch die umfassenden und mehr allgemeinen Regelungen im Kapitel 6 ´Groundwater´ des EN 1997-1 abgedeckt ist. 3.5 Geotechnische Bemessung (´Geotechnical Analysis´) Nach EN 1997-1: 202x müssen Grenzzustände nach einer der folgenden Methoden überprüft werden: • Berechnung (´calculation´) • spezifischen technischen Regeln (´prescriptive measurement´) • Probebelastungen/ Versuche (´testing´) • Anwendung der Beobachtungsmethode (´application of observational method´) Die Unterabschnitte x.5 Geotechnical Analysis in EN 1997-3: 202x, die sich also mit der geotechnischen Analyse befassen, legen bestimmte Bemessungsverfahren, insbesondere Berechnungsverfahren zur Ermittlung von Widerständen fest, die für die jeweilige geotechnische Struktur angewendet werden sollten, um grundlegende Anforderung zu erfüllen. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 25 Eurocode 7, Teil 3 „Geotechnical Structures“ - neue Ansätze für die Bemessung in der Geotechnik So gibt der Unterabschnitt 4.5 im Kapitel ´Slopes, cuttings, embankments´ dem Ingenieur die Erlaubnis, Grenzgleichgewichtsmethoden, numerische Methoden oder Grenzwertanalysen als Berechnungsverfahren zu Beurteilung der Standsicherheit von Geländesprüngen verwenden. Unterabschnitt 5.5 enthält für Flachgründungen Ansätze zur Bestimmung des Grundbruchwiderstandes, zum Widerstand gegen Gleiten und zur Ermittlung des Widerstandes gegen Durchstanzen. Dabei konnte eine europäische Harmonisierung dahingehend erreicht werden, dass nun auch die Ansätze, d.h. beispielsweise die Grundbruchformel in den normativen Text des EN 1997- 3 aufgenommen wurden; die Formeln für die Ermittlung der verschiedenen Tragfähigkeitsbeiwerte, Neigungsbeiwerte etc. finden sich dann im informativen Anhang. Im Kapitel 6 „Pfahlgründungen“ enthält der Unterabschnitt 6.5 Geotechnical Analysis Ansätze zur Ermittlung des Widerstandes axial belasteter Einzelpfähle auf der Grundlage von Berechnungen und Ergebnissen von Pfahlprobebelastungen, aber auch Hinweise für Pfahlgruppen und Kombinierte Pfahl-Plattengründungen. Ferner werden gegenüber der heutigen Normenfassung detailliertere Angaben zu Einwirkungen auf Pfähle aus Verschiebungen im Baugrund gemacht. Unterabschnitt 7.5 enthält Vorgaben zur Ermittlung des Erddrucks auf Stützkonstruktionen, im Wesentlichen also zum aktiven und passiven Erddruck sowie zum Erdruhedruck. Unterabschnitt 8.5 wird im Kapitel „Anker“ nicht genutzt. Im Kapitel 9 „Reinforced soil structures“ enthält der Abschnitt 9.5 Verweise auf Methoden zur rechnerischen Erfassung von Bewehrte-Erde Konstruktionen, Bodenvernagelungen, bewehrten Tragschichten über punktförmigen Traggliedern, der Bewehrung der Bassis von Dämmen auf weichen Böden etc. Ausgewählte Methoden, häufig u.a. auf der EBGEO basierend, werden detaillierter im informativen Anhang F dokumentiert. Für Baugrundverbesserungen enthält der Abschnitt 10.5 u.a. Regelungen für die Ermittlung der Eigenschaften von ´diffused ground improvements´ auf der Basis von statistischen Ansätzen oder zur rechnerischen Erfassung von Baugrundverbesserungen mit säulenartigen Tragelementen (´ground improvements with rigid inclusions´). 3.6 Nachweis der Grenzzustände der Tragfähigkeit (´Ultimate limit states´) Die Unterabschnitte in EN 1997-3: 202x, die den Nachweis der Grenzzustände abdecken, dienen hauptsächlich zwei Zwecken: • Identifikation der maßgebenden Grenzzustände, die für die jeweilige geotechnische Struktur nachzuweisen sind. • Angabe von Teilsicherheitsbeiwerte (´partial factors´) für die Widerstände und möglicherweise weiteren Faktoren (Streuungsfaktoren, Modellfaktoren etc.), mit denen diese Grenzzustände nachzuweisen sind. Tab. 1 Übersicht über die Design Cases und Teilsicherheitsbeiwerte gemäß EN 1997-3 (vorläufig, Stand 10/ 2019) 26 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Eurocode 7, Teil 3 „Geotechnical Structures“ - neue Ansätze für die Bemessung in der Geotechnik EN 1997-3: 202x kann dabei nicht alle Grenzzustände benennen, die sich auf eine bestimmte geotechnische Struktur auswirken können. Die im Regelfall nachzuweisenden Grenzzustände werden jedoch abgedeckt, und weniger häufig maßgebende Grenzzustände werden erwähnt, wenn sie im Einzelfall als relevant bekannt sind. Eine zentrale Vorgabe bei der Erstellung der zweiten Generation von Eurocodes ist es, doppelte Informationen zu vermeiden. Eine Konsequenz dieses Prinzips ist, dass die in EN 1990: 202x angegebenen Werte der Teilsicherheitsfaktoren für die Einwirkungen, i.e. γ G , γ Q , und γ E im EN 1997-3 nicht erneut aufgeführt werden können; stattdessen wird hinsichtlich der Definition der Bemessungsfälle, den sogenannten ´Design Cases´ DC1 bis DC4 auf die Regelungen des EN 1990: 202x verwiesen, in dessen Anhang A.1 auch die vorgenannten Teilsicherheitsbeiwerte für die Einwirkungen definiert werden. Ein Hauptvorteil dieses Ansatzes besteht darin, dass EN 1990 unterschiedliche Werte für γ G , γ Q , und γ E für verschiedene Bauwerke (z.B. Gebäude, Brücken, Türme und Masten, Silos und Tanks usw.) festlegen kann, ohne dass dies den Text anderer Eurocodes beeinflusst. Ebenso können die Werte der Teilsicherheitsbeiwerte γ tan φ, γ c , γ cu , usw., die in der zweiten Generation von EN 1997- 1 angegeben sind, im neuen Teil 3 nicht dupliziert werden Diese Werte müssen also dem Anhang A des EN 1990 und der EN 1997-1: 202x für die dort angegebenen Kombinationen M1, M2 oder M3 von Teilsicherheitsbeiwerten auf der Widerstandsseite entnommen werden. Die Aufgabe der Unterabschnitte x.6 Ultimate limit states in EN 1997-3 besteht darin, die geeigneten Teilfaktoren für jeweilige geotechnische Struktur auszuwählen und die erforderlichen Werte der Teilsicherheitsbeiwerte auf der Widerstandsseite zu spezifizieren. Tabelle 1 zeigt einen stark verkürzten und vereinfachten Überblick über die anzuwendenden Nachweisformate und Teilsicherheitsbeiwerte nach EN 1997-3: 202x für ausgewählte geotechnische Strukturen entsprechend dem vorläufigen Stand des Entwurfes von 10/ 2019. Die Werte der für die Design Cases von Gebäuden angegebenen Teilsicherheitsbeiwerte sind in Klammern angegeben, erscheinen jedoch nicht in EN 1997-3: 202x. Es ist darauf hinzuweisen, dass in Tabelle 1 der Wert des Teilsicherheitsbeiwertes an mehreren Stellen einen „Konsequenzfaktor“ K F oder K M (´Consequence Factor´) enthält. Der Wert dieses Faktors hängt mit den Folgen eines Versagens zusammen, wie dies für eine bestimmte Struktur durch die Konsequenzklasse bestimmte Struktur durch die Konsequenzklasse (´Consequence Class´), in die er eingeteilt ist, festgelegt ist. Konsequenzklassen und die entsprechenden Werte von K F sind in EN 1990: 202x definiert (vgl. Tabelle 2); Die Werte von K M und K R (nicht in Tabelle 1 gezeigt) werden in EN 1997-3: 202x für bestimmte geotechnische Strukturen definiert. Der Grund, warum DC3 keinen Konsequenzfaktor K F für den Teilsicherheitsfaktor auf Einwirkungen vorsieht und stattdessen einen Konsequenzfaktor K M für Materialfestigkeiten einschließt, hängt mit dem Wert von γ G zusammen, der in diesem speziellen Design Case = 1,0 ist. Ein Teilsicherheitsbeiwert von γ G = 1,0 wird als ein ´do nothing´-Faktor betrachtet, d.h. die Zuverlässigkeit kann in diesem Fall nicht durch Faktorisierung der ständigen Einwirkungen angepasst werden. Die Zuverlässigkeit wird stattdessen durch Faktorisierung der Materialfestigkeit gewährleistet (γ M > 1,0 in DC3). Daher kann die Berücksichtigung des unterschiedlichen Zuverlässigkeitsniveaus in Abhängigkeit von der ´Consequence Class´ nur durch Faktorisierung des Teilsicherheitsbeiwertes γ M umgesetzt werden. Dies ist insbesondere für den Standsicherheitsnachweis von Böschungen, Dämmen und Einschnitten relevant. 3.7 Nachweis der Grenzzustände der Gebrauchstauglichkeit (´Serviceability limit states´) Die Abschnitt x.7 Serviceability Limit State in EN 1997-3 enthalten Regelungen für die Ermittlung von Setzungen, Tab. 2 ´Consequences classes´ gemäß EN 1990: Beispiele und Angabe des Konsequenzfaktors KF 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 27 Eurocode 7, Teil 3 „Geotechnical Structures“ - neue Ansätze für die Bemessung in der Geotechnik Hebungen und andere Verschiebungen sowohl im Baugrund als auch für Bauwerke. Wie bisher werden alle Untersuchungen ohne Ansatz von Teilsicherheitsbeiwerten mit charakteristischen bzw. repräsentativen Werten durchgeführt. Der Nachweis erfolgt im Regelfall durch die Gegenüberstellung von zulässigen und rechnerischen Verformungen. Eine Orientierung hinsichtlich „üblicherweise“ zulässigen Verformungen findet sich in EN 1990: 200x in Abhängigkeit von ´Structural Sensitivity Classes´. 3.8 Ausführung (´Execution´) Die Abschnitte x.8 Execution in EN 1997-3 enthalten im Wesentlichen Verweise auf die entsprechenden, europäischen Ausführungsnormen, von denen das CEN Technical Committee TC288 inzwischen insgesamt 13 Normen zu sogenannten ´special geotechnical works´ herausgebracht hat. Tabelle 3 gibt einen Überblick über die entsprechenden Verweise in den einzelnen Kapiteln des EN 1997-3. Ergänzende Regelungen werden nur in den Fällen formuliert, in denen keine Ausführungsnormen zur Verfügung stehen. 3.9 Prüfungen/ Probebelastungen (´Testing´) Die Abschnitte x.9 Testing in EN 1997-3 enthalten Regelungen zu der Anwendbarkeit von Tests bzw. Probebelastungen von geotechnischen Strukturen. Die Abschnitte sind insofern von besonderer Bedeutung für Anker und Pfähle. Üblicherweise erfolgt dabei ein Verweis auf die entsprechenden europäischen Normen zur Durchführung von Probebelastungen, die in den letzten Jahren in der Reihe der EN ISO 22477 Normen ´Testing of geotechnical structures´ erschienen sind. Ergänzend werden Angaben u.a. zu Kriterien für die Identifikation eines Widerstandes (Grenztragfähigkeit) z.B. für Pfähle formuliert. Tab. 3 In EN 1997-3; 202x zitierte Ausführungsnormen 3.10 Dokumentation (´Reporting´) Die Abschnitte x.10 Reporting des EN 1997-3 enthalten in Ergänzung zu den Vorgaben im Abschnitt 12 des EN 1997-1: 202x Regelungen zur Erstellung von Geotechnischen Berichten (´Geotechnical Design Reports × GDR´) und Herstellungsdokumentationen (´Geotechnical Construction Records × GCR´), die für die jeweilige Geotechnische Struktur maßgebend sind. 4. Beispiel: Clause 8 ´Anchors´ Ausgehend von dem vorlaufenden Überblick soll im Folgenden beispielhaft das Kapitel 8 „Anker“ des EN 1997- 3 näher betrachtet werden, um einen Eindruck hinsichtlich des Umfanges und der Regelungstiefe zu geben. 4.1 Rahmenbedingungen zur Überarbeitung des Kapitels 8 Anker Das Kapitel 8 Anker der EN 1997-1 wurde bereits in den Jahren 2010-2014 durch die Evolution Group 1 unter Leitung von Eric Farrell überarbeitet und 2014 das Addendum A1 als neuer Abschnitt 8 herausgebracht. Diese Version ist in Deutschland nicht bauaufsichtlich eingeführt worden, da es nicht ratsam erschien unmittelbar nach Einführung der Normengruppe EN1997-1, NA und Ergänzungsnorm DIN 1054 wieder eine neue Normenvariante einzuführen. Außerdem wurde diese Version von Deutschland abgelehnt, da dort der Begriff F serv für die charakteristische Ankerlast F k zusätzlich eingeführt wurde. Aus deutscher Sicht schien es nicht tragbar für eine aus dem Sprachgebrauch des EN 1997-1 vorhandene Kraft mit zwei unterschiedlichen Bezeichnungen zu benennen. Ebenfalls nach Einführung des europäischen Bemessungsnormpakets im Jahr 2012 wurde die Arbeiten an der Norm zur Prüfung von Verpressankern EN ISO 22477-5 abgeschlossen und diese 2018 veröffentlicht. 28 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Eurocode 7, Teil 3 „Geotechnical Structures“ - neue Ansätze für die Bemessung in der Geotechnik Der Begriff „Anker“ wird im Spezialtiefbau oft missverständlich für unterschiedliche Tragelemente verwendet. So werden Mikropfähle gemäß DIN EN 14199 die zur Verankerung von Spundwänden eingesetzt werden fälschlicherweise oft auch als Anker bezeichnet. Auch voll vermörtelte Felsnägel werden irrtümlich häufig Anker genannt. Neben den ankerspezifischen Weiterentwicklungen ergaben sich auch aus der überarbeiteten Norm EN 1990 „Grundlagen der Tragwerksplanung“ neue Aspekte, die zu beachten waren, u.a. hinsichtlich der nun ´Design Cases´ (DC) genannten Nachweisverfahren. Die vorstehend genannten Punkte sind bei der Überarbeitung des Kapitels 8 Anker zu berücksichtigen gewesen. Der fortentwickelte Text des Kapitels 8 wurde durch das Projektteam 5 (PT5) in Zusammenarbeit mit der Task Group 5 (TG5) unter der Leitung von Noel Huybrechts und unter Mitwirkung von Klaus Dietz auf deutscher Seite erarbeitet. 4.2 Anwendungsbereich Kapitel 8 Anker Der Anwendungsbereich des Kapitels 8 konnte im Ergebnis einer ausführlichen Diskussion zwischen der TG5 und dem PT5 deutlich präzisiert werden. Der Abschnitt 8 bezieht sich zukünftig auf alle Anker, die über einen Ankerkopf, eine freie Ankerlänge und ein Rückhalteelement verfügen, über welches die Ankerkraft in den Baugrund, Boden oder Fels, eingeleitet wird. Neben Verpressankern gemäß EN 1537 fallen auch Schraub- und Klappanker in den Bereich des Kapitels 8. Wie die Bemessung anderer stützender Bauelemente durchzuführen ist, wird in der Beschreibung des Anwendungsbereiches erläutert und festgelegt. 4.3 Bemessung des Bauteils Anker Der Bauteilwiderstand eines Ankers aus einerseits Herausziehwiderstand (R d,ULS ) und andererseits Tragglied (R t,d ), muss größer als die erforderliche Bemessungswert der Ankerkraft E d sein. E d ≤ min {R d,ULS ; R t,d } (1) Der Bemessungswert der Ankerkraft E d , einschließlich des Einflusses einer möglichen Vorspannung, ist die größere Kraft, die sich aus der Betrachtung des Grenzzustandes der Tragfähigkeit (ULS) oder des Grenzzustandes der Gebrauchstauglichkeit (SLS) des Bauwerks ergibt. Die Ermittlung der erforderlichen Ankerkräfte „E d “, erfolgt in der Regel gemäß den Kapiteln Stützbauwerke oder Böschungen. 4.4 Grenzzustand der Tragfähigkeit des Ankers 4.4.1 Ermittlung des Herausziehwiderstandes Der charakteristische Herausziehwiderstand eines Ankers (R k,ULS ), ist im Rahmen einer Untersuchungs- oder Eignungsprüfung mit einem Prüfverfahren gemäß EN ISO 22477-5 zu ermitteln. Die Bemessung ausschließlich auf der Grundlage von Erfahrungswerten ist nur zulässig, wenn dies in einem nationalen Anwendungsdokument ausdrücklich erlaubt wird. In Deutschland ist nur das Prüfverfahren 1 zulässig. Dies entspricht dem Prüfverfahren, wie es in DIN SPEC 18537 beschrieben ist. Für die Prüfverfahren 1 und 3 gemäß EN ISO 22477-5 sind in der Norm Grenzkriterien des Kriechmaßes und Teilsicherheitsbeiwerte zur Ermittlung des bemessungswertes des Herausziehwiderstandes angegeben. Für das Prüfverfahren 2 aus DIN EN 22477-5 werden keine Angaben gemacht, da dieses Verfahren nicht weiterverfolgt wird und nur noch in Ausnahmefällen in Großbritannien verwendet wird. Das Grenzkriechmaß zur Ermittlung des charakteristischen Herausziehwiederstandes (R k,ULS ) im Prüfverfahren 1 beträgt wie bisher a 1 = 2mm. Der Bemessungswert des Herausziehwiderstandes (R d,ULS ) wird wie folgt ermittelt: R d,ULS = R k,ULS / γ a (2) mit: γ a,ULS Teilsicherheitsfaktor (γ a,ULS = 1,1) 4.4.2 Ermittlung des Bauteilwiderstandes eines Ankers Der Bemessungswert des Bauteilwiderstand (R t,d ) eines Ankers wird wie folgt ermittelt: R t,d = R t,k / γ M (3) mit R t, charakteristischer Wert der Tragfähigkeit des Traggliedes gemäß den einschlägigen Materialnormen oder bauaufsichtlichen Zulassungen γ M Teilsicherheitsbeiwert gemäß den einschlägigen Materialnormen, z. B. für Stahl aus EN 1993-5 g M =1,15 4.5 Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit des Ankers Dieser Nachweis ist bei Anwendung des Prüfverfahrens 1, wie es in Deutschland vorgegeben ist, nicht erforderlich. Bei Anwendung des Prüfverfahrens 3 ist hier ein Nachweis zu führen, da bei diesem Prüfverfahren geringere Prüfkräfte, die sich auf die charakteristische Ankerkraft im Zustand der Gebrauchstauglichkeit beziehen, angewendet werden. Als geotechnischer Grenzwert wird hier die kritische Kriechkraft P c , wie sie gemäß der Untersuchungsprüfung im Prüfverfahren 3 nach EN ISO 22477-5 ergibt, herangezogen. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 29 Eurocode 7, Teil 3 „Geotechnical Structures“ - neue Ansätze für die Bemessung in der Geotechnik 4.6 Prüfungen Für Anker ist die Durchführung von Belastungsprüfungen verpflichtend. Zur Ermittlung oder Überprüfung des Herausziehwiderstandes können Untersuchungs- oder Eignungsprüfungen gewählt werden. Abnahmeprüfungen sind an jedem Anker vorzunehmen, da nur dadurch die gewählten, vergleichsweise niedrigen Teilsicherheitsbeiwerte gerechtfertigt werden können. 4.6.1 Untersuchungsprüfung Untersuchungsprüfungen dürfen nicht an Bauwerksankern, sondern müssen immer an zusätzlichen Prüfankern durchgeführt werden, da sie bis zum Versagen der Baugrund/ Bauteilfuge durchgeführt werden sollen. Die Prüfkraft ist deshalb so zu wählen, dass ein Versagen der Baugrund/ Bauteilfuge innerhalb der in EN ISO 22477-5 angegebenen Laststufen erreicht wird. 4.6.2 Eignungsprüfung Die Eignungsprüfung soll bestätigen, dass die gewählten Abmessungen Krafteinleitungselemente mit ausreichender Sicherheit bestätigt werden können. Die Prüfkraft P P für eine Eignungsprüfung gemäß Prüfverfahren 1 ist wie folgt zu ermitteln: P P ≥ ξ a,ULS,test × γ a,ULS × E d (4) mit ξ a,ULS,test Modellfaktor, der national festgelegt werden kann, in der Regel ξ a,ULS,test = 1 γ a,ULS Teilsicherheitsfaktor γ a,ULS = 1,1 E d Bemessungsankerkraft Der Modellfaktor ξ a,ULS,test ermöglicht Ländern die es wünschen, unterschiedliche Prüflasten für Eignungs- und Abnahmeprüfungen festzulegen. 4.6.3 Abnahmeprüfung Die Abnahmeprüfung soll belegen, dass alle Bauwerksanker die Ankerkraft mit der vorgegebenen Sicherheit in den Baugrund ableiten können. Die Prüfkraft P P für eine Abnahmeprüfung gemäß Prüfverfahren 1 ist wie folgt zu ermitteln: P P = γ a,ULS × E d (5) mit: g a,ULS Teilsicherheitsfaktor (g a,ULS = 1,1) 4.7 Anmerkung zur Überarbeitung des Kapitel 8 ´Anker´ Die Definition des Begriffs Anker konnte im Rahmen der Überarbeitung des Kapitels 8 weiter präzisiert werden. Für Anker konnte erreicht werden, dass Bemessungs-, Ausführungs- und Prüfnorm nun widerspruchsfrei aufeinander abgestimmt sind. Abgesehen von den Umstellungen im Bereich der Design Cases kann die Bemessung entsprechend der bekannten Vorgehensweise weiter durchgeführt werden. Durch Wegfall des Prüfverfahrens 2 konnten die Regeln einfacher gefasst werden. 5. Ausblick Seit Ende Oktober liegt der neue Entwurf des EN 1997- 3 „Geotechnical Structures“ vor, der die entscheidende Grundlage für die Bemessung geotechnischer Bauwerke und Strukturen in der Zukunft bilden wird. Die zweite Generation des Eurocode 7 wird in Form des Teils 3 auch erstmals bisher nicht geregelte Strukturen wie Baugrundverbesserungen, Bodenvernagelungen und unter Einsatz von Geokunststoffen hergestellte Strukturen abdecken. Zudem werden Belange des Felsbaus beinhaltet sein. In vielen Kapiteln ist es gelungen, neuere Aspekte, die bisher nicht explizit geregelt waren, mit abzudecken, so u.a. die Bemessung von Pfahlgruppen, von Kombinierten Pfahl-Plattengründung (KPP) oder von Baugrundertüchtigungen mit steifen Elementen. Insofern wird der EN 1997-3 jüngeren Entwicklungen in der Geotechnik und in der Ingenieurpraxis Rechnung tragen. Eine Verbesserung der Nutzerfreundlichkeit, die von vielen Nutzern der ersten Generation des Eurocode 7 für sinnvoll und notwendig erachtet wurde, konnte hingegen - zumindest nach deutschen Maßstäben nicht in allen Belangen umgesetzt werden. Die Erfahrung zeigt, dass hier kein einheitliches Verständnis in den europäischen Ländern zur Definition des ´ease of use´ besteht; insbesondere dort, wo ergänzende nationale Regelungen und Empfehlungen - im Gegensatz zu den u.a. in Deutschland in Form der von Arbeitskreisen der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik (DGGT) erarbeiteten Empfehlungen nicht verfügbar sind, wird Benutzerfreundlichkeit häufig auch mit einer besonders hohen Regelungstiefe gleichgesetzt. Insoweit stellt der vorliegende Entwurf des EN 1997-3 auch einen Kompromiss zwischen diesen unterschiedlichen Erwartungen und Anforderungen dar. Ungeachtet dessen wird die zweite Generation des EN 1997 zu einer weiteren Harmonisierung der geotechnischen Bemessung beitragen. Nicht unberücksichtigt bleiben sollte bei der Gesamtbewertung, dass die Eurocodes allgemein, aber insbesondere auch der Eurocode 7 inzwischen weltweit eine hohe Akzeptanz und Anwendung als ein modernes, lebendiges Normenwerk erfahren. Viele asiatische und afrikanische 30 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Eurocode 7, Teil 3 „Geotechnical Structures“ - neue Ansätze für die Bemessung in der Geotechnik Länder richten beispielsweise inzwischen ihre nationalen Normen an den Eurocodes aus ein Umstand, der nicht nur eine Anerkennung für das ehrenamtliche Engagement der an der Erstellung der nächsten Generation des Eurocode 7 beteiligten, mehr als 180 europäischen Kollegen ist, sondern auch als Wettbewerbsvorteil für europäische Ingenieurbüros wahrgenommen werden sollte. Die nächste Generation des Eurocode 7 adressiert insofern nicht nur die nationale und die europäische Ingenieurpraxis, sondern wird auch weltweit Wirkung entfalten. Literatur [1] Bond, A.J., Burlon, S., van Seters, A., Simpson, B. (2015): Planned changes in Eurocode 7 for the second generation of Eurocodes. Proceedings, 16th European Conf. on Soil Mech. And Geotechnical Engng. [2] Bond, A.J., Formichi, P., Spehl, P., van Seters, A.J. (2019): Tomorrow’s geotechnical toolbox: EN 1990: 202x Basis of structural and geotechnical design. Proceedings, 17th European Conf. on Soil Mech. And Geotechnical Engng., Reykjavik, Iceland. [3] Estaire, J., Arroyo, M., Scarpelli, G., Bond, A.J. (2019): Tomorrow’s geotechnical toolbox: Design of geotechnical structures to EN 1997: 202x. Proceedings, 17th European Conf. on Soil Mech. And Geotechnical Engng., Reykjavik, Iceland. [4] Franzén, G., Arroyo, M., Lees, A., Kavvadas, M., van Seters, A.J., Walter, H., Bond, A.J. (2019): Tomorrow’s geotechnical toolbox: EN 1997-1: 202x General rules. Proceedings, 17th European Conf. on Soil Mech. And Geotechnical Engng., Reykjavik, Iceland. [5] Norbury, D., Arroyo, M., Foti, S., Garin, H., Reiffsteck, P., Bond, A.J. (2019): Tomorrow’s geotechnical toolbox: EN 1997-2: 202x Ground investigation. Proceedings, 17th European Conf. on Soil Mech. And Geotechnical Engng., Reykjavik, Iceland. [6] Bond, A.J., Jenner, C., Moormann, C. (2019): Tomorrow’s geotechnical toolbox: EN 1997-3: 202x Geotechnical Structures. Proceedings, 17th European Conf. on Soil Mech. And Geotechnical Engng., Reykjavik, Iceland. [7] Schuppener, B., Vogt, N., Ziegler, M. (2020): Neue Konzepte im Entwurf der EN 1997-1 „Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik - Teil 1: „Allgemeune Regeln“. Kolloquium „Bauen in Boden und Fels”, Technische Akademie Esslingen. Digitalisierung/ BIM 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 33 Technisches Positionspapier „BIM im Spezialtiefbau“ Die Anforderungen an die Fachmodelle des Spezialtiefbaus aus Sicht ausführender Unternehmen Siegfried Nagelsdiek Ed. Züblin AG - Zentrale Technik Technisches Büro Tiefbau, Albstadtweg 3, 70567 Stuttgart, Deutschland Dipl.-Ing. Dirk Siewert Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V. (HDB), Kurfürstenstraße 129, 10785 Berlin, Deutschland Zusammenfassung Die fortschreitende Digitalisierung wird auch in Deutschland das Arbeiten innerhalb der Wertschöpfungskette Planen, Bauen und Betreiben stark verändern. Ein wesentlicher Bestandteil einer erfolgreichen Umsetzung der BIM-Methodik in der gesamten Wertschöpfungskette ist u.a. die klare Definition von Anforderungen (Daten, Prozesse, Qualifikation), Qualitätsmerkmalen und Schnittstellen sowie eine partnerschaftliche Zusammenarbeit. Alle Baubeteiligten sind deshalb aufgefordert sich kurzfristig an den aktuell laufenden Abstimmungs- und Regelungsprozess zu beteiligen. Die BFA Spezialtiefbau hat dies getan und bereits im Dezember 2017 ein Technisches Positionspapier zur Thematik herausgegeben, das nun in einer überarbeiteten und ergänzten Fassung vorliegt. Diesen Beitrag zu BIM im Spezialtiefbau halten wir für wichtig, da unser Spezialgewerk - obwohl es ein wichtiges Glied in der stark fragmentierten Wertschöpfungskette Bau darstellt - derzeit noch nicht mit der erforderlichen Aufmerksamkeit behandelt wird. Die BIM-Methode kann aber nur erfolgreich angewendet werden, wenn der Gesamtprozess funktioniert und die Baubeteiligten ihre Aufgaben kennen und partnerschaftlich wahrnehmen. 1. Einleitung 1.1 Vorstellung des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie und der Bundesfachabteilung Spezialtiefbau Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie vertritt zusammen mit seinen 16 ordentlichen und außerordentlichen Mitgliedsverbänden die Interessen von 2.000 mittelständischen und großen Bauunternehmen. Die Mitgliedsunternehmen - teilweise mit europäischen Muttergesellschaften - schaffen über 250.000 Arbeitsplätze am Wirtschaftsstandort Deutschland, bilden Jahr für Jahr hunderte Fachkräfte aus, fördern die universitäre Ausbildung zum Ingenieur und tragen damit zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wohlstand in Deutschland bei. Als Wirtschaftsverband setzt er sich für die Interessen der deutschen Bauindustrie gegenüber Gesetzgeber, Regierung und Verwaltung auf nationaler und europäischer Ebene ein. Das Ziel ist eine bedarfsgerechte Investitionspolitik von Bund, Ländern und Gemeinden, eine sachgerechte Vergabe öffentlicher Bauaufträge und investitionsfreundliche Rahmenbedingungen im Bauvergabe- und Bauvertragsrecht sowie im Steuer-, Wettbewerbs- und Unternehmensrecht. Als Arbeitgeberverband ist er Partner bei Tarifverhandlungen, engagiert sich im Bereich der betrieblichen und überbetrieblichen Ausbildung und setzt sich gegen illegale Praktiken ein. Die Bundesfachabteilung Spezialtiefbau innerhalb des Hauptverbandes ist der Zusammenschluss führender deutscher Spezialtiefbauunternehmen mit nationalem und internationalem Tätigkeitsgebiet. Das Umsatzvolumen der BFA-Mitglieder beträgt ca. 1 Mrd. Euro. 1.2 Arbeitskreis BIM im Spezialtiefbau - Historie und Ziele Die Digitalisierung der Baubranche führt auch im Spezialtiefbau zu massiven Veränderungen in den Prozessen, sowohl in der Angebotsals auch in der Ausführungsphase. Ein wesentlicher Bestandteil einer erfolgreichen Um- 34 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Technisches Positionspapier „BIM im Spezialtiefbau“ Die Anforderungen an die Fachmodelle des Spezialtiefbaus aus Sicht ausführender Unternehmen setzung der BIM-Methodik ist unter anderem die klare Definition der Anforderungen an die Daten, an die Prozesskette, an die Qualitätsmerkmale und an die Schnittstellen. Voraussetzung ist aber auch eine partnerschaftlich orientierte Zusammenarbeit aller am Planungs- und Bauprozess Beteiligten. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) hat mit dem im Dezember 2015 veröffentlichen Stufenplan „Digitales Planen und Bauen“ für den öffentlichen Sektor in Deutschland die Richtschnur bis 2020 und darüber hinaus vorgegeben. Vor diesem Hintergrund wurde durch die Bundesfachabteilung Spezialtiefbau im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V. im Dezember 2016 ein Workshop „BIM im Spezialtiefbau“ initiiert, um das Thema mit seinen Mitgliedsfirmen zu diskutieren. Die Teilnehmer des Workshops waren sich einig, dass die fortschreitende Digitalisierung das Arbeiten innerhalb der Wertschöpfungskette Planen, Bauen und Betreiben stark verändern wird und dass dem Gewerk Spezialtiefbau in der aktuellen BIM Entwicklung noch wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die ausführenden Spezialtiefbauunternehmen wollten Ihre Anforderungen zu diesem Thema in den laufenden Abstimmungs- und Regelungsprozess in Form eines Positionspapieres einbringen. Abbildung 1: Titelblatt So entstand der Arbeitskreis BIM im Spezialtiefbau, der dann in 2017 seine Arbeit aufnahm und in diskussionsreichen Sitzungen ein Positionspapier erarbeitet hat. Dem Arbeitskreis „BIM im Spezialtiefbau“ gehören zahlreiche Firmenvertreter an, so dass die unterschiedlichsten Sichtweisen auf das Thema in das vorliegende Positionspapier eingeflossen sind. Die erste deutsche Fassung wurde dann im Dezember 2017 veröffentlicht und steht als Druckversion und digital zur Verfügung. Eine englische Übersetzung folgte dann im April 2019, die jedoch nur in digitaler Form bereitgestellt wird. Ziel des Positionspapieres ist es, die Anforderungen an die Fachmodelle des Spezialtiefbaus aus Sicht der zukünftigen Konsumenten der Modelldaten, hier den bauausführenden Spezialtiefbauunternehmen in Deutschland, aufzuzeigen. Das Positionspapier dient dazu - die Anforderungen an andere Baubeteiligte, die im BIM Prozess beteiligt sind (u.a. an den Auftraggeber und an die Planer), zu definieren. - die Schnittstellen zu anderen Baubeteiligten zu beschreiben. - zu beschreiben, welche Daten, wann und vom wem, geliefert werden müssen, um einen BIM-Prozess umzusetzen. - die oftmals sehr allgemeine Definition von BIM im Bauprozess zu präzisieren und zu ergänzen. Die wesentlichen Themenblöcke im Positionspapier hierzu sind mögliche BIM Anwendungen im Spezialtiefbau, die Datenaustauschszenarien, die Anforderungen an die Modellinhalte und an Datenaustauschformate, die Sicherung der Modellqualität, sowie der Vorschlag für ein Klassifizierungssystem. Das Positionspapier und damit die Sichtweise ausführender Spezialtiefbauunternehmen wurde in der Folge bei regionalen und überregionalen Tagungen inhaltlich präsentiert und zur Diskussion gestellt. Um in einen vertieften Dialog mit ausgewählten Fachleuten treten zu können, hatte die BFA im März 2019 zu einen Expertendialog „Weiterentwicklung BIM im Spezialtiefbau“ in das Haus der Deutschen Bauindustrie in Berlin eingeladen. Der Teilnehmerkreis bestand aus Vertretern der Spezialtiefbauunternehmen, Vertretern von Auftraggebern, Ingenieurbüros und Hochschulen. Der Fokus dieser Veranstaltung war auf die Ausführungspraxis gerichtet, wobei das Positionspapier die Diskussionsgrundlage bildete. Diskutiert wurde dabei insbesondere die Anforderungen im BIM-Prozess an andere Baubeteiligte (u.a. Bauherr, Planer) und die Definition der Schnittstellen zu anderen Baubeteiligten. Die Entwicklungen rund um das Thema BIM und Digitalisierung sind sehr dynamisch und noch lange nicht abgeschlossen. So ist der Arbeitskreis weiterhin aktiv und zum Jahreswechsel 2019 / 2020 erschien die zweite überabeitete und ergänzte Fassung des Positionspapieres. 2. BIM Anwendungsfälle im Spezialtiefbau Die BIM Anwendungsfälle und deren konkrete Umsetzung im Projekt werden anhand der projektbezogenen BIM-Ziele im BIM-Abwicklungsplan (BAP) auf Basis der Auftraggeber-Informations-Anforderungen (AIA) vereinbart. Die Umsetzung der Anwendungsfälle stellt einen komplexen Prozessablauf dar, der sich auf unter- 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 35 Technisches Positionspapier „BIM im Spezialtiefbau“ Die Anforderungen an die Fachmodelle des Spezialtiefbaus aus Sicht ausführender Unternehmen schiedliche Werkzeuge der Digitalisierung abstützt und die Mitwirkung aller Projektbeteiligten voraussetzt. In Anlehnung an die BIM4Infra2020-Anwendungsfälle wurden für den Spezialtiefbau bislang zehn relevante Anwendungsfälle abgeleitet. Für die vollumfängliche Umsetzung einiger Anwendungsfälle sind noch nicht alle notwendigen Voraussetzungen geschaffen, gleichwohl können Teilaspekte heute schon implementiert werden. Nachfolgend werden fünf ausgewählte Anwendungsfälle näher beschrieben. 2.1 Bestandserfassung und 3D Baugrundmodellierung Im Fachmodell Bestand werden alle relevanten ober- und unterirdisch bestehenden Strukturen (Bebauung, Sparten, Infrastruktur, Brunnen, Reste von Verbauarbeiten etc.) erfasst. Die Eingangsdaten hierfür können u. a. aus Bauwerksakten, Spartenplänen, Vermessungen und Laserscans entnommen werden. Bei der Überlagerung mit anderen Teilmodellen ist das Fachmodell Bestand grundlegend, um z.B. eine Kollisionsprüfung durchführen zu können. Auch der anstehende Baugrund stellt Bestand dar. Da die Interaktion der Spezialtiefbaumaßnahmen mit dem umgebenden Boden eine zentrale Rolle bei der Planung und Ausführung von Spezialtiefbauprojekten einnimmt (z. B. für die Wahl des Verfahrens oder der Lage von Bauteilen), bedarf es eines eigenen Fachmodells Baugrund. Die Anforderungen an dieses Teilmodell werden in einem separaten Kapitel beschrieben. 2.2 Mengenermittlung Mengen und Bauteillisten können aus dem Modell abgeleitet werden. Dazu werden die geometrischen und semantischen Eigenschaften der Elemente ausgewertet. Alles, was mengenmäßig ausgewertet werden soll, muss auch im Modell enthalten sein. Die Mengenermittlung kann in verschiedenen Phasen und für verschiedene Aufgaben durchgeführt und in Listen für eine weiterführende Verwendung (u.a. für Ausschreibung, Kalkulation, Arbeitsvorbereitung) ausgegeben werden. Spezifische Anforderungen an die Mengenermittlung im Spezialtiefbau, wie die Berücksichtigung von Zwischenzuständen (z. B. Überschnitt bei Pfählen) und die Interaktion zwischen verschiedenen Elementen (z. B. bei der schichtbezogenen Mengenermittlung), müssen dabei berücksichtigt werden. Die Ausgabe erfolgt i.d.R. noch Listenform, da eine direkte Übergabe aus dem Modell in ein Kalkulationsprogramm zwar grundsätzlich möglich ist, aber aufgrund fehlender Standards in Deutschland die Verknüpfungen zwischen den Bauteilen und den Positionen des Leistungsverzeichnisses für jedes Projekt neu zu definieren sind. Das ist noch sehr zeitaufwändig und findet in der Praxis nur geringe Akzeptanz. 2.3 Termin- und Logistikplanung BIM-Modelle werden mit einem Terminplan verknüpft, um daraus Simulationen des Bauablaufs zu erstellen. Hierfür werden den Vorgängen des Terminplans jeweils bestimmte Elemente des Modells zugeordnet. Die Verknüpfung kann auf verschiedenen Detailstufen erfolgen, bspw. auf Ebene der Bauteilgruppen (z. B. Pfahlwand) oder einzelner Bauteile (z. B. Pfahl, Anker, Steckträger, Schlitzwandlamelle). Auf dieser Basis ist es möglich, vorab die generelle Herstellbarkeit des Bauwerks zu prüfen. Durch die Überprüfung auf räumliche und zeitliche Konflikte, Durchführung von Variantenvergleichen und durch eine Plausibilisierung der Leistungsansätze kann eine Optimierung des Bauablaufs erreicht werden. 2.4 Koordination der Spezialtiefbaugewerke / Kollisionsprüfung Die Koordination der Spezialtiefbau-Gewerke soll auf Basis einer modellbasierten Kollisionsprüfung durchgeführt werden. Die verschiedenen Fachmodelle werden in einem Koordinationsmodell zusammengeführt und anschließend einer (teil-)automatisierten Kollisionsprüfung und systematischen Konfliktbehebung unterworfen. Abbildung 2: Fachmodelle und Koordinationsmodell Die Kollisionsprüfungen im Spezialtiefbau haben eine große Bedeutung und sind sowohl für den Endzustand als auch für temporäre Zustände durchzuführen. Dabei sind Überschneidungen und die erforderlichen Mindestabstände untereinander (z. B. bei Ankern) oder zu bestehenden Bauteilen (Sparten, Bestandsgebäude etc.) unter Beachtung der Herstelltoleranzen und der eingesetzten Baumaschinen (z.B. Ankerbohrgerät) zu berücksichtigen. Die Modelle stellen eine echte Planungshilfe dar und durch frühzeitig erkannte Überschneidungen werden Schäden in der Ausführung vermieden. 36 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Technisches Positionspapier „BIM im Spezialtiefbau“ Die Anforderungen an die Fachmodelle des Spezialtiefbaus aus Sicht ausführender Unternehmen 2.5 Planableitung Aus einem Fachmodell, das eine ausreichend große Detailtiefe besitzt, lassen sich 2D-Ausführungspläne einschließlich aller für die Ausführung notwendigen Listen (Koordinatenlisten, Materiallisten, Bohr-, und Trägertabellen, u.a.) direkt in der gewohnten 2D-Qualität ableiten. Die bisherige Erfahrung bei Ausführungsplanungen zeigt, dass sich einzelne, aber doch wesentliche, Planungsschritte im Planungsprozess nach vorne verschieben. Der Gesamtaufwand ist aber mit einer reinen 2D Planung vergleichbar. Der Vorteil der modellbasierten Planung zeigt sich dann v. a. bei Änderungen und Ergänzungen, die nur einmal im Modell vorgenommen werden müssen. Für die Baustelle sind immer noch 2D Pläne Standard, ein Transfer des Modells auf die Baustelle findet noch nicht statt. 3. Baugrundmodell Ein durchgängiger BIM Prozess im Spezialtiefbau erfordert ein 3D-Fachmodell Baugrund. Das Baugrundmodell ist für den Spezialtiefbau eine wesentliche Planungs- und Ausführungsgrundlage und als solche durch den Auftraggeber zur Verfügung zu stellen. Das 3D- Baugrundmodell stellt die digitale Umsetzung des im Geotechnischen Bericht entwickelten und beschriebenen Baugrundmodells dar und wird i.d.R. durch den geotechnischen Sachverständigen erstellt. Die Verantwortung zur Fortführung des Fachmodells Baugrund infolge weiterer Erkenntnisse während der Bauausführung ist vorab in den AIA und im BAP festzulegen. Das Fachmodell Baugrund besteht aus der Erdoberfläche in Form eines digitalen Geländemodells und einem Bodenschichtenmodell. Dieses Partialmodell muss neben allen geometrischen Daten auch die Schichtinformationen und Bodenkennwerte des Baugrunds enthalten. Das Fachmodell Baugrund dient zur Ableitung von Längs- und Querschnitten an beliebiger Stelle, z.B. als Grundlage für eine statische Berechnung oder zur Bestimmung der Oberkante einer tragfähigen Schicht oder eines abdichtenden Horizontes. Neben der Darstellung der eigentlichen Schichtung sollen auch die Ausgangsdaten im Schichtenmodell sichtbar sein, das sind zum Beispiel die Aufschlussbohrungen mit den zugehörigen Vermessungsdaten. Es sind sowohl durchgängige als auch auslaufende Schichten, Einschlüsse und Linsen sowie der Grundwasserstand darzustellen. Zur modellbasierten Ermittlung von Erdmassen ist die Verknüpfung und Verschneidung des Baugrundmodells mit den entsprechenden Teilmodell Baugrube und/ oder mit dem Teilmodell Verbau erforderlich. So können schichtbezogene Aushubmengen, Auftrags- und Abtragsmassen ermittelt werden. Genauso kann die Ermittlung von schicht- und bauteilabhängigen Verbaumassen (wie z.B. Bohrgut, Schlitzwandaushub, Bohrmeter in Fels) erfolgen. Das Modell ist digital zur Verfügung zu stellen, so dass es ermöglicht ist, die zuvor genannten Anwendungen umzusetzen. Die verschiedenen Softwareprodukte, die aktuell zur Verfügung stehen, decken bisher nur Teilaspekte der Prozesskette ab. Ein durchgängiger, dynamischer Prozess ist noch nicht möglich. Abbildung 3: Isometrie 4. Anforderungen an die Modellelemente Ergänzend zu den Forderungen an die Modellinhalte der unterschiedlichen Teilmodelle werden im Positionspapier auch Mindestanforderungen an einzelne Modellelemente gestellt. Die Mindestanforderungen an einzelne Modellelemente wurden in Abhängigkeit der zuvor definierten Austauschszenarien in einer Anlage zum Positionspapier tabellarisch erfasst. Hierbei wurden die Modellelemente den Fachmodellen Baugrund, Bestand, Bauwerk und dem Fachmodell Spezialtiefbau zugewiesen. Die geforderten Eigenschaften wurden auf Gewerke bezogen zusammengefasst und der Bauphase, in welcher die Informationen zur Verfügung stehen müssen, zugeordnet. Dabei ist diese Attributliste als Minimalanforderung zu verstehen, um mit dem Fachmodell grundsätzlich weiter arbeiten zu können bzw. um die in der jeweiligen Bauphase notwendigen Informationen (z.B. für die Kalkulation) zu erhalten. 5. 5. Datenaustausch 5.1 Datenaustauschszenarien und Datenformat Bei Planung, Bau und Betrieb von Bauwerken mit Hilfe der BIM-Methodik, arbeiten die beteiligten Parteien kollaborativ auf Basis von digitalen Gebäudedatenmodellen zusammen. Dabei werden die Modelle ganz oder teilweise zwischen den Beteiligten ausgetauscht. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 37 Technisches Positionspapier „BIM im Spezialtiefbau“ Die Anforderungen an die Fachmodelle des Spezialtiefbaus aus Sicht ausführender Unternehmen Um Anforderungen an die Modellinhalte klarer zu fassen, wurden im Positionspapier vier Datenaustauschszenarien definiert. Dabei wurden nur die Rollen Ausschreibender, Planer und Ausführender betrachtet. Weitergehende Vertragsverhältnisse und Rollen wurden nicht berücksichtigt. AS1 - Ausschreibung AS2 - Ausführungsplanung AS3 - Werkplanung AS4 - Bauwerksdokumenation („as-Built“) Für die Übergabe der Modelle ist ein standardisiertes, neutrales Datenformat zu wählen, idealerweise ergänzt um die proprietären Originaldateien. In der Bautechnik ist hier beispielhaft das Datenaustauschformat „Industry Foundation Classes“ (IFC) zu nennen. Die Austauschformate und dazugehörigen Schemaund/ oder Programmversionen sind mit allen Beteiligten zu Projektbeginn abzustimmen und im BAP festzuhalten, ebenso wie die Exporteinstellungen. Idealerweise werden diese vorab anhand von Testmodellen verifiziert und ggf. angepasst. Konkrete Vorgaben an zu nutzende IFC-Entitäten werden nicht gemacht, da für Bauteile des Spezialtiefbaus in der Regel spezifische Modellelemente verwendet werden, welche aus den Autorensystemen meist nur als IfcBuildingElementProxy-Entität sauber exportiert werden können. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, behilft man sich mit einem Klassifikationssystem. 5.2 Klassifizierungssystematik Die Strukturierung der Datenmodelle auf Basis von projektweit einheitlichen Klassifikationen ermöglicht es, Elementtypen und die enthaltenen Informationen eindeutig und einheitlich zu identifizieren und damit Modelle standardisiert auswerten zu können. Dies ist insbesondere für die Umsetzung der Anwendungsfälle „Mengenermittlung“ und „Kostenplanung und Ausschreibung“ relevant. Da Elemente des Spezialtiefbaus häufig nicht in der gewünschten Detaillierung in bekannten Klassifizierungssystemen (z.B. Uniclass) gelistet sind, wird, in Ergänzung zu den definierten Mindestanforderungen an Modellelemente, auch ein Klassifizierungssystem für den Spezialtiefbau definiert. Das Klassifikationssystem ist hierarchisch in der Abfolge Gewerk -> Funktion -> Bauteilgruppe -> Bauteil aufgebaut. Der SPTB1.0-Code generiert sich aus diesen einzelnen Ebenen: XX-XX-XXX-XXX Attribut Wert SPTB1.0-Gewerk 10 SPTB1.0-Funktion 50 SPTB1.0-Bauteilgruppe 070 SPTB1.0-Bauteil 140 SPTB1.0-Code 10-50-070-140 Abbildung 4: Beispiel SPTB1.0-Code Um Sprachbarrieren zu vermeiden wurde eine numerische Struktur gewählt. Den Anwendern steht es frei, ob am Modellelement alle Ebenen und der SPTB1.0-Code als Attribut hinterlegt wird oder nur der SPTB1.0-Code zur Anwendung kommt. Die Eigenschaft am Modellelement wird als SPTB1.0-Code bezeichnet. Für die beteiligten Bauherren, Architekten und Fachplaner ist die einheitliche Bauteilklassifikation die Basis für eine strukturierte Planung und somit für die Ausschreibung, Vergabe und Abrechnung von Bauleistungen. Durch die Verwendung desselben Klassifikationssystems können die Bauwerksdatenmodelle strukturiert und absprachelos zwischen den Softwaresystemen ausgetauscht werden. 6. Sicherung der Modellqualität Maßnahmen zur Qualitätssicherung von BIM-Modellen lassen sich in drei Arten unterteilen: die geometrische, die funktionale und die inhaltliche Prüfung. Eine Qualitätssicherung ist jeweils bei der Übergabe von Informationen bzw. Teilmodellen als Ausgangs- und Eingangsprüfung durchzuführen. Vor der Übergabe des bearbeiteten Fach- oder Teilmodells prüft der Informationsautor im Rahmen seiner Eigenprüfpflicht die Datenkonsistenz, die geometrische Detaillierung und die Attributierung nach den gestellten Mindestanforderungen. Vor der weiteren Verwendung werden die in einer gemeinsamen Datenumgebung geteilten Teilmodelle vom Informationsempfänger im Rahmen einer Vollständigkeitsprüfung auf Inhalt, Version, Nomenklatur und Format geprüft. In der zweiten Stufe der Qualitätssicherung wird die Qualität und Konsistenz der Fach- oder Teilmodelle mehrerer Modellersteller geprüft. Der Informationsempfänger führt hierzu die zur Qualitätssicherung und Koordinierung geeigneten, bereinigten und in sich geprüften Teilmodelle zu einem Koordinationsmodell zusammen. Am konsolidierten Modell können nun auch die geometrischen, funktionalen und inhaltlichen Qualitätssicherungsmaßnahmen durchgeführt werden. Eine Planung der Qualitätssicherungsmaßnahmen soll bereits bei der Erstellung des BIM-Abwicklungsplans (BAP) berücksichtigt werden. Die Anforderungen der im Projekt umgesetzten Anwendungsfälle (AwF) bilden die Basis der Mindestanforderungen und Prüfkriterien. 7. Zusammenfassung Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das vorliegende Positionspapier „BIM im Spezialtiefbau“ die Sichtweise und die Anforderungen bauausführender Spezialtiefbau-unternehmen zusammenfasst und diese zur Diskussion stellt. Ein durchgängiger BIM Prozess erfordert von allen Projektbeteiligten von Beginn an ein gemeinschaftliches und partnerschaftliches Denken und Handeln mit klaren Auf- 38 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Technisches Positionspapier „BIM im Spezialtiefbau“ Die Anforderungen an die Fachmodelle des Spezialtiefbaus aus Sicht ausführender Unternehmen gaben und Schnittstellen. Das heißt z. B dass die Vorleistungen durch den Bauherrn und dessen Fachplaner, wie zum Beispiel Baugrund und Bestand, in Form fachspezifischer Teilmodelle zu erbringen sind. Diese Teilmodelle müssen dann auch digital weiter verarbeitbar übergeben werden. Die Umsetzung der BIM Methodik im Spezialtiefbau erfordert aus unserer Sicht: - eine modellbasierte Projektbearbeitung von Anfang an - ein digitales Baugrundmodell - ein einheitliches Klassifizierungssystem zur Typisierung der Bauteile im Spezialtiefbau - eindeutige Schnittstellen/ Datenaustauschformate - vereinheitlichte Leistungsverzeichnisse - inhaltlich abgestimmte Anwendungsfälle Das modellbasierte Arbeiten und die konsequente Umsetzung der BIM-Methodik verändert das Planen und Bauen im Spezialtiefbau aus unserer Sicht für alle beteiligten Parteien positiv im Sinne einer Qualitätssteigerung durch die Transparenz der Prozesse. Die Entwicklungen rund um das Thema BIM und Digitalisierung sind sehr dynamisch und noch lange nicht abgeschlossen. So wird der Arbeitskreis weiterhin aktiv sein und das Positionspapier überabeiteten und ergänzen. Literaturverzeichnis [1] Arbeitskreis BIM im Spezialtiefbau in der Bundesfachabteilung Spezialtiefbau im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V. Technisches Positionspapier - BIM im Spezialtiefbau (12/ 2017) [2] Arbeitskreis BIM im Spezialtiefbau in der Bundesfachabteilung Spezialtiefbau im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V. Technisches Positionspapier - BIM im Spezialtiefbau (01/ 2020) [3] Arbeitskreis Digitales Bauen im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V. Technisches Positionspapier - BIM im Hochbau (12/ 2018): [4] Arbeitskreis Digitales Bauen im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V. Technisches Positionspapier - BIM im Strassenbau (06/ 2019): [5] BIM4INFRA2020 - Umsetzung des Stufenplanes „Digitales Planen und Bauen“ (09/ 2018): [6] Arbeitskreis BIM im Untertagebau im Deutschen Ausschuss für unterirdisches Bauen e.V. (DAUB) - Digitales Planen, Bauen und Betreiben von Untertagebauten (02/ 2019) Autor Arbeitskreis „BIM im Spezialtiefbau“ der Bundesfachabteilung Spezialtiefbau im HDB Obmann des Arbeitskreises: Dipl.-Ing.(FH) Siegfried Nagelsdiek, Ed. Züblin AG Beteiligte Unternehmen: BAUER Spezialtiefbau GmbH Bickhardt Bau AG Implenia Spezialtiefbau GmbH Ingenieurservice Grundbau GmbH Keller Grundbau GmbH Max Bögl Bauservice GmbH & Co. KG Stump-Franki Spezialtiefbau GmbH Wayss & Freytag Ingenieurbau AG Züblin Spezialtiefbau GmbH Kontakt Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V. (HDB) Kurfürstenstraße 129, 10785 Berlin Tel. +49 30 21286-232 Dipl.-Ing. Dirk Siewert tiefbau@bauindustrie.de www.bauindustrie.de/ themen/ bundesfachabteilungen/ spezialtiefbau/ 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 39 Modellbasierte Projektbearbeitung im Spezialtiefbau heute - Praxisbeispiele Planung Dipl.-Ing. (FH) Bettina Bastian Ed. Züblin AG, Stuttgart, Deutschland Zusammenfassung Vor einigen Jahren lautete ein ähnlicher Beitrag an gleicher Stelle: „Projektbearbeitung im Tiefbau von Morgen: modellbasiert und durchgängig. Vision oder schon Realität? “. Die modellbasierte Projektbearbeitung wurde damals noch als „neue Planungsmethode“ vorgestellt. Inzwischen ist sie vor allem in den Gewerken des Hochbaus schon weit entwickelt und auch im Spezialtiefbau immer häufiger im Einsatz (egal ob in der klassischen Angebotsbearbeitung, Ausführungsplanung oder in der Projektentwicklung), so dass wir heute bereits auf zahlreiche Praxisbeispiele für modellbasierte Projektbearbeitungen aus fast allen Planungs-Leistungsphasen der HOAI zurückblicken können. Dabei können die verschiedensten Anwendungsfälle abgedeckt werden. Die Durchgängigkeit ist leider (noch) nicht immer gegeben: Es fehlt die Anbindung an die Statik. Auch die Interaktion der Spezialtiefbauelemente mit dem umgebenden Boden ist noch nicht zufriedenstellend gelöst. Außerdem haben BIM-Modelle aus dem Spezialtiefbau noch nicht den Weg auf die Baustelle gefunden. Dieser Beitrag beschreibt Praxisbeispiele aus der Planung, die mithilfe eines BIM-Modells realisiert wurden.Dabei werden zunächst die für die Planung im Spezialtiefbau relevanten/ maßgeblichen Anwendungsfälle kurz beschrieben und anschließend konkrete Beispiele aus Sicht der Fachplanung vorgestellt. 1. Begriffserläuterungen Unter „modellbasierter“ Planung ist die Projektbearbeitung auf Grundlage eines dreidimensionalen Modells des Bauwerks zu verstehen. Dieses objektorientierte Modell kann entweder aus reinen 3D-Geometrien bestehen oder auch zusätzliche Informationen (Metadaten) enthalten, die als Attribute (alphanumerische Eigenschaften) an den Objekten anhängen und in weiteren Prozessen genutzt werden können. In diesem Fall spricht man von BIM-Modellen (Building Information Model/ ling = Bauwerksdatenmodell/ ierung; auch: Building Information Management). Eine Festlegung bezüglich Art und Umfang der zusätzlichen Informationen muss - abhängig von der geplanten Verwendung und dem Zweck des Modells - bereits bei Projektbeginn bzw. Beginn der Modellerstellung stattfinden. 2. BIM-Ziele und -Anwendungsfälle in der Planung Der Zweck der Erstellung und Verwendung eines BIM-Modells als zentrale Informationsquelle für alle Beteiligte innerhalb eines Projekts muss zunächst projektspezifisch in sogenannten BIM-Zielen formuliert werden. Die ARGE BIM4INFRA2020 nennt hierfür folgende mögliche übergeordnete Ziele einer Projektbearbeitung mit der BIM-Methode: - Verbesserung der Kommunikation und Schnittstellenkoordination zwischen den Projektbeteiligten - Erhöhung der Planungssicherheit, insbesondere in Form gesteigerter Termin- und Kostensicherheit - Erhöhung der Transparenz (Nachverfolgbarkeit von Entscheidungen und Konsequenzen sowie von entstandenen Kosten) - Damit einhergehende Minimierung von Risiken - Effizienzgewinn durch Verwendung des „Wie-gebaut“-Modells für den Betrieb und nachgelagerte Arbeiten 40 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Modellbasierte Projektbearbeitung im Spezialtiefbau heute - Praxisbeispiele Planung Zur Realisierung der beschriebenen BIM-Ziele werden sogenannte Anwendungsfälle (im Folgenden kurz: AwF) definiert. Die ARGE BIM4INFRA2020 beschreibt die BIM-Anwendungsfälle als „[…] Prozesse, die unter Verwedung von BIM Modellen zur Erreichung der festgelegten Ziele beitragen.“ In einer ihrer Handreichungen [1] führt die ARGE BI- M4INFRA2020 insgesamt 20 Haupt-Anwendungsfälle für alle Phasen eines Bauvorhabens an, die sich sowohl inhaltlich als auch in der Benennung an den Leistungsbildern der HOAI orientieren. Quelle: https: / / bim4infra.de/ wp-content/ uploads/ 2019/ 07/ BIM4INFRA2020_AP4_Teil6.pdf In obiger tabellarischer Darstellung sind diese AwF entsprechend ihres passendsten Umsetzungszeitpunktes gruppiert und in Relation zu den HOAI-Leistungsphasen (LPH) 1-9 sowie zur Betriebsphase gebracht. Diese Zuordnung hat keinen verbindlichen Cahrakter, sondern soll als Anregung dienen. Darüber hinaus können projektspezififsch weitere AwF formuliert werden, wie beispielsweise der Austausch von Testmodellen vor Projekt-/ Planungsbeginn oder eine simple Mengenermittlung für die Darstellung auf dem Plan oder Bestellung von Materialien. Für die Planung ist nur ein Teil dieser AwF relevant. Deshalb werden nachfolgend nur diejenigen kurz beschrieben, die auch in den folgenden Praxisbeispielen zum Einsatz kamen. Hierbei wird z. T. aus dem Positionspapier „BIM im Spezialtiefbau“ [2] sowie den Empfehlungen des DAUB für BIM im Tunnelbau [3] zitiert. Dabei wird die Nummerierung aus obiger Darstellung verwendet: 2.1 AwF 1 Bestandserfassung & Baugrundmodellierung Die Bestandserfassung ist Planungsgrundlage für alle nachfolgenden AwF. Im Spezialtiefbau geht diese jedoch noch über die Erfassung aller relevanten ober- und unterirdisch bestehenden Strukturen (Bebauung, Sparten, Infrastruktur, Brunnen, Reste von Verbauten etc.) hinaus: Für die Baugrund-Bauwerks-Interaktion spielt auch die Darstellung des umgebenden Baugrundes als „Bestand“ eine zentrale Rolle (z. B. für die Wahl des Verfahrens oder der Lage von Bauteilen). Er wird deswegen z. T: sogar als eigener Anwendungsfall hervorgehoben. 2.2 AwF 2 Planungsvariantenuntersuchung Die modellbasierte Gegenüberstellung von verschiedenen Planungsvarianten zur Entscheidungsfindung wird sowohl in den Leistungsphasen 1-3 durchgeführt als auch bei einer Angebotsbearbeitung seitens ausführender Firma. Sie erleichtert die Analyse und Bewertung hinsichtlich Kosten, Terminen, Verfahren, Machbarkeit etc. 2.3 AwF 3 Visualisierung Eine bedarfsorientierte Visualisierung auf Basis des BIM-Modells dient als verständliche Grundlage für Projektbesprechungen, Kundengespräche und Öffentlichkeitsarbeit. Visualisierungen führen zu einer eindeutigen Kommunikation und unterstützen die Entscheidungsfindung. Entweder: „statisch“ in Form von 3D-pdf oder Bauphasenplänen oder „dynamisch“ mithilfe von z. B. Bauablaufsimulationen (nach Verknüpfung mit dem Terminplan) 2.4 AwF 5 Koordination der Fachgewerke Die Koordination der Fachgewerke soll auf Basis einer modellbasierten Kollisionsprüfung durchgeführt werden. Die Fachmodelle werden in einem Koordinationsmodell zusammengeführt und anschließend einer (teil-) automatisierten Kollisionsprüfung und systematischen Konfliktbehebung unterworfen. Kollisionsprüfungen im Spezialtiefbau sind sowohl für den Endzustand als auch für temporäre Zustände durchzuführen. Dabei sind Überschneidungen und die erforderlichen Mindestabstände untereinander (z. B. Anker) oder zu bestehenden Bauteilen (Sparten, Bestandsgebäude etc.) unter Beachtung der Herstelltoleranzen und der eingesetzten Baumaschinen (z.B. Ankerbohrgerät) zu berücksichtigen. 2.5 AwF 7 & AwF 14 Planableitung Einer der Haupt-AwF in der Planung. Für die direkte Ableitung von 2D-(Ausführungs-)Plänen einschließlich aller notwendigen Listen (Koordinatenlisten, Materiallisten, Bohrtabellen u. a.) aus dem Fachmodell muss es 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 41 Modellbasierte Projektbearbeitung im Spezialtiefbau heute - Praxisbeispiele Planung eine ausreichende Detailtiefe besitzen. Nicht modellierte Detailpunkte oder Standarddetails müssen bei Erfordernis auf den Ausführungsplänen ergänzt werden. Der Unterschied zwischen den AwF 7+14 besteht im Ausarbeitungsgrad 2.6 AwF 9 Planungsfreigabe Eine Planungsfreigabe durch den Bauherrn bzw. seinen Architekten allein anhand des Modells ist bereits möglich und auch in Anwendung. Eine Prüfung und Freigabe in statischer oder geotechnischer Hinsicht ist aufgrund verschiedener Rahmenbedingungen aktuell noch nicht umsetzbar. Dagegen ist eine Durchführung der Prüfläufe zur Freigabe der Planung auf Grundlage von 2D-Plänen, die ausschließlich aus BIM-Modellen abgeleiteten wurden, inzwischen sehr gebräuchlich und verbreitet. 2.7 AwF Mengenermittlung (als Grundlage für z. B. AwF 10 Kostenschätzung und Kostenberechnung & AwF 11 LV/ Ausschreibung/ Vergabe) Die Mengenermittlung erfolgt durch Quantifizierung der modellierten Objekte und Daten. Dabei müssen alle erforderlichen Mengen aus dem Modell abgeleitet werden können. Spezifische Anforderungen an die Mengenermittlung im Spezialtiefbau, wie die Berücksichtigung von Zwischenzuständen (z. B. Überschnitt) und die Interaktion zwischen verschiedenen Elementen (z. B. bei schichtbezogener Mengenermittlung), müssen dabei auswertbar sein. Die Mengenermittlung kann in verschiedenen Phasen und für verschiedene Aufgaben durchgeführt und für eine weiterführende Verwendung (u.a. Ausschreibung, Kalkulation, Arbeitsvorbereitung) ausgegeben werden. Je nach vereinbartem AwF erhöht sich ggf. der Aufwand bei der Erstellung bzw. Aufbereitung eines Modells. Vor diesem Hintergrund ist vor Bearbeitungsbeginn stets eine Prüfung der Zweck- und Verhältnismäßigkeit durchzuführen. Eine Modellerstellung kann bereits ab Leistungsphase 1 beginnen und bis in die As-Built-Dokumentation fortgeführt werden oder erst auf Grundlage einer bereits abgeschlossenen Entwurfs- oder Genehmigungsplanung beginnen. 3. Beispiel: Projektbearbeitung von Entwurfsbis Ausführungsplanung 3.1 Projektbeschreibung Beim ersten Beispiel handelt es sich um die schlüsselfertige Erstellung eines 5 bis 7 geschossigen Wohnbaus in zwei Baukörpern inkl. Tiefgarage mit vorausgehendem Abriss von 5 Bestandsgebäuden. Insgesamt werden dabei ca. 190 Wohnungen auf einer Grundstücksfläche von ca. 5.200 m² und knapp 15.000 m² (BGFoiR) realisiert. Die Baugrube besitzt Abmessungen von ca. 76 m x 52 m. Aktuell ist LPH 5 abgeschlossen. Der Baubeginn fand in 2019 statt. Die Nachbarbebauung hat in diesem Fall keinen Einfluss auf die Maßnahme. Ausgangssituation zu Beginn der Planung: Der Bestand auf dem Baufeld ist oberirdisch abgebrochen, inkl. der Decken über dem UG; die Kellerräume sind verfüllt. Die Bohrungen für den Verbau der aktuellen Maßnahme müssen innerhalb und direkt vor den bestehenden Außenwänden gebohrt werden. 3.2 BIM-Bearbeitung (AwF, Grundlage, Modellinhalt, Detaillierungsgrad) Bei diesem Projekt wurde auf Vorschlag des AN ab LPH 3 modellbasiert geplant. Folgende AwF wurden gemeinsam formuliert und vereinbart und im BIM-Abwicklungsplan festgehalten: Ausschnitt aus dem Inhaltsverzeichnis des projektspezifischen BIM-Abwicklungsplanes Die Fachplanung Spezialtiefbau war nur in folgende Punkte involviert: - Erstellung eines 3D-Fachmodells, jedoch ohne vorherige Übergabe eines Testmodells - Übergabe des Fachmodells zur 3D-Koordination - 2D-Planableitung (für Entwurf, Genehmigung und Ausführung) - Mengenermittlung (in Form von Bauteillisten/ Tabellen auf den Plänen) Grundlage für die Erstellung des Verbaumodells waren zunächst nur 2D-Grundrisse aus LPH 2, da die ARCHbzw. TWP-Modelle zum Zeitpunkt des Modellierstarts im Spezialtiefbau noch nicht vorlagen. Inhalte des Fachmodells Spezialtiefbau waren: - Trägerbohlverbau bestehend aus den Einzelbauteilen Bohrung, Träger und Ausfachung - Rückverankerung (Litzenanker) 42 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Modellbasierte Projektbearbeitung im Spezialtiefbau heute - Praxisbeispiele Planung - Spundwandkästen, bestehend aus einzelnen Doppelbohlen, mit Unterwasserbetonsohle (UWBS, für Doppelparker- und Aufzugsunterfahrten) Der Bestand auf dem Baufeld wurde nicht modelliert, sondern anhand der 2D-Grundlagen für die Verbauplanung berücksichtigt. Eine spätere Übernahme der Bestandswände aus dem referenzierten Bauwerksmodell zeigte jedoch beste Übereinstimmung. Bei der ersten Modellzusammenführung stellte sich heraus, dass Hochbaugewerke und Spezialtiefbauplaner mit unterschiedlichen Ursprüngen gearbeitet hatten; eine diesbezügliche Festlegung wurde vor Bearbeitungsbeginn weder seitens Fachplaner SPT abgefragt noch seitens BIM-Koordination mitgeteilt. Eine nachträgliche Verschiebung des Verbaumodells an die korrekte Position war in der nativen Software aufgrund verschiedener Randbedingungen (vorherige durchgeführte Bearbeitungsschritte, Grenzen der Software etc.) jedoch nicht mehr möglich, so dass die Korrektur der Lage für eine problemlose Zusammenführung der Fachmodelle nur noch sehr umständlich mithilfe von zusätzlichen Dateien und Bearbeitungsschritten gelöst werden kann und bei jedem Modellversand erneut ausgeführt werden muss. Bereits nach den ersten Kollisionskontrollen konnten Überschneidungen der Verbauträger-Oberkanten mit der über die Untergeschosse hinausragenden UG-Decke identifiziert werden. Infolgedessen konnten die Trägeroberkanten noch vor Bestellung, Ausführung etc. mithilfe einer Vorböschung nach unten korrigiert werden, Schwierigkeiten auf der Baustelle und unvorhersehbare Kosten wurden vermieden. Weiterhin konnte im Zuge der Kollisionsprüfung zwischen TGA und Verbau auch eine Kollision einer Leitung mit einem Verbauträger frühzeitig erkannt werden. In Konsequenz konnte die Leitungsführung angepasst werden, da die Lage des Trägers bereits fix war. Trotz intensiver Koordination wurden aber nicht alle Kollisionspunkte rechtzeitig erkannt, so z. B. eine weitere bereichsweise Kollision des Rohbaus mit den Verbauoberkanten; für eine Vermeidung war es in diesem Fall inzwischen zu spät, jedoch kann mit diesem Wissen entsprechend reagiert/ Zeit eingeplant werden für die Behebung/ Lösung (Abbrennen der Träger). Während einer Planungsbesprechung unter Zuhilfenahme des Koordinationsmodells fiel auf, dass der Arbeitsraum zwischen Kelleraußenwand und Verbau bereichsweise vergleichsweise groß war. Der Grund hierfür lag in einem Bodenplattensporn aus vorherigen Phasen/ Entwürfen, der jedoch für den aktuellen Zeitpunkt als nicht mehr erforderlich identifiziert wurde. So konnte der Architekt aufgrund einer optischen Auffälligkeit in der Visualisierung des Bauvorhabens die Raumgeometrie für das Untergeschoss optimieren; dieser Umstand war auf den 2D-Plänen nicht aufgefallen. Aufgrund der unmittelbaren Lage der Bohrungen/ Träger vor den Bestandswänden wäre bei klassischer Anordnung der Ausfachung zwischen den HEB-Trägern zunächst zusätzlicher Kraftschluss mittels Hinterfüllung zwischen Ausfachung und Kellerwand herzustellen gewesen. Um dies zu vermeiden wurde eine Variante Ausfachung hinter den Trägern vorgeschlagen. Da zunächst unklar war, welche Variante von der Baustelle bevorzugt werden würde und vom Prüfer freizugeben gewesen wäre, wurden im Modell 2 Varianten vorgehalten, so dass auch kurzfristig und schnell auf die gewünschte Option gewechselt werden konnte. Modellausschnitt: Detail Verbauträger Bei diesem Projekt wurde von LPH3 bis LPH5 durchgehend anhand eines einzigen 3D-Modells geplant, welches bei den Phasenübergängen jeweils gesichert und anschließend fortgeschrieben wurde. Die Änderungen, die sich während der Projektphasen ergaben, wurden in diesem einen Modell umgesetzt und waren so direkt in den abgeleiteten Plänen sichtbar. (LPH3: erforderliche Unterfahrten für Doppelparker und Aufzüge (Spundwandkästen + Unterwasserbetonsohle) LPH4: Entfall der Doppelparker-Unterfahrten LPH5: keine Unterfahrten mehr) 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 43 Modellbasierte Projektbearbeitung im Spezialtiefbau heute - Praxisbeispiele Planung Kollisionsprüfung Verbau - TGA 3.3 Lessons learned - Eine Abstimmung und Festlegung eines gemeinsamen Ursprungs vor Beginn der Bearbeitung ist bei geplanter Zusammenführung von mehreren Modellen unerlässlich! Eine Lagekorrektur im Nachgang ist oft nur mit erhöhtem und unnötigem Aufwand zu realisieren. - Schon in den Phasen vor der Ausführungsplanung können Kollisionen und „Planungsfehler“ beseitigt werden. - Planungsänderungen über die verschiedenen Phasen hinweg waren in den Planableitungen ohne Zusatzaufwand umsetzbar; zwar handelte es sich bei diesem Beispiel um den Entfall von Bestandteilen, jedoch auch die Ergänzung von Objekten im BIM-Modell ist durch die direkte Ableitung der Pläne und Bauteillisten aus der 3D-Geometrie in den entsprechenden Planansichten zeitgleich umgesetzt. - Ein Modell sollte von Beginn an auch im Hinblick auf die Verwendung in nachfolgenden LPH sinnvoll strukturiert werden. 4. Beispiel aus der Angebotsbearbeitung 4.1 Projektbeschreibung Der geplante Klinik-Neubau in diesem Beispiel für eine Angebotsbearbeitung umfasst neun Obergeschosse mit Technikzentrale, eine Hubschrauberplattform sowie drei Untergeschosse, die zum Teil als Tiefgarage genutzt werden. Das Baufeld grenzt unmittelbar an ein Bettenhaus, ein Palliativzentrum sowie ein Versorgungsgebäude. Im Rahmen der Baufeldfreimachung müssen zunächst eine bestehende Feuerwehrzufahrt verlegt und fünf bestehende Klinikgebäude der Uniklinik aus den Baujahren 1930 bis 2008 auf dem Grundstück abgerissen werden. Während der gesamten Baumaßnahme ist der Betrieb in der Uniklinik aufrechtzuerhalten. Beeinträchtigungen für Patienten, Klinikmitarbeiter und Anwohner sind so gering wie möglich zu gestalten, dies betrifft unter anderem Immissionen durch Lärm, Staub oder Vibrationen. Für die Erstellung des Neubaus ist eine wasserdichte Baugrube mit einer Tiefe bis etwa 23m unter GOK und eine Unterwasserbetonsohle mit Auftriebsankern sowie bereichsweise ein rückverankerter Trägerbohlverbau vorgesehen. Aufgrund der komplexen Abläufe unter Berücksichtigung der beengten Platzverhältnisse wurden für die Angebotsabgabe Bauablaufsimulationen in Form von Videos für verschiedene Herstellungsvarianten erstellt. Hierfür wurden 3D-Modelle mit Terminplänen verknüpft. Die Terminplan-Erstellung erfolgte durch die Arbeitsvorbereitung in der operativen Einheit, die Modellierung der Spezialtiefbaumaßnahmen übernahm die planende Einheit. 4.2 BIM-Bearbeitung (AwF, Grundlage, Modellinhalt, Detaillierungsgrad) Für diese Angebotsbearbeitung wurden durch die Beteiligten folgende AwF umgesetzt: - Bestandserfassung (inkl. Baugrund) - Planungsvariantenuntersuchung - Visualisierung - Mengenermittlung Bauablaufsimulationen wurden sowohl für den Amtsentwurf als auch für zwei unterschiedliche optimierte Alternativen erstellt. Aus diesem Grund war die Erstellung von drei Varianten des 3D-Modells erforderlich. In allen drei Optionen wurden neben den angebotenen Spezialtiefbaumaßnahmen auch die abzubrechenden Bestandsbauwerke auf dem Baufeld (Gebäude und Tunnel) dargestellt. Außerdem wurde die angrenzende Nachbarbebauung abgebildet. Der im östlichen Baufeld befindliche und umzuverlegende Abwasserkanal wurde sowohl in seiner aktuellen als auch in der neuen Lage modelliert. Auch die Geländeoberfläche sowie die Bodenschichten und die geplanten Aushubschritte wurden umgesetzt. Auch der Bauherr hatte offensichtlich ein eigenes 3D-Modell (isometrische Darstellung der Baugrube auf dem Ausschreibungsplan), welches jedoch erst sehr spät und im ifc-Format übergeben wurde, weshalb es lediglich noch dem geometrischen Abgleich mit dem selbst erstellten Modell dienen konnte. Alle drei Modell-Versionen der Maßnahme waren in einer einzigen Datei enthalten, wobei die in allen Darstellungen jeweils unveränderten Bestandteile (Bestandsbebauung, Boden) nur ein einziges Mal erstellt werden mussten, und nicht dreimal. Für die realitätsnahe Darstellung in den Simulationen musste trotz des engen Zeitrahmens während einer Angebotsbearbeitung sehr detailliert modelliert werden, d. h. die Verbauwände wurden mit allen Einzelbestandteilen: 44 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Modellbasierte Projektbearbeitung im Spezialtiefbau heute - Praxisbeispiele Planung Primär-/ Sekundär-Pfähle, Bohrungen, Träger, Anker; Die Unterwasserbetonsohle war nicht als Ganzes sondern in Feldern analog Herstellung darzustellen, mehrere hundert Auftriebspfähle waren einzeln abzubilden - für jeden Vorgang des Terminplanes mussten entsprechende Objekte vorhanden sein. Für die erleichterte Verknüpfung der Modellobjekte mit den Vorgängen des Terminplans mussten bestimmte Attribute der einzelnen Objekte mit vorher abgestimmten Werten angereichert werden, was durch die frühzeitige Festlegung von Beginn an leicht berücksichtigt werden konnte. Jedoch wurden Änderungen im Terminplan und bei Bauteilabmessungen durch die Arbeitsvorbereiter nicht immer (rechtzeitig) an die Modellersteller weitergegeben, so dass die Korrekturen im 3D-Modell erst nach Übergabe an die Bearbeiter der Verknüpfungen als zusätzlicher Aufwand anfielen. Als „Abfallprodukt“ wurden die vom Modell ausgeworfenen Mengen für einen Abgleich mit den zuvor konventionell ermittelten Massen herangezogen, welcher - bis auf minimale Abweichungen aufgrund z. T. überschlägiger Ermittlung per Hand - große Übereinstimmung ergab. Modellvariante Bohrpfahlwand, Trägerbohlverbau, UWBS, GEWI mit benachbarter Bestandsbebauung 4.3 Lessons learned Enge Abstimmung und Absprachen von Beginn an zwischen Modellerstellern, techn. Bearbeitern, Kalkulatoren und Terminplanern und ein kontinuierlicher Informationsaustausch über Änderungen sind für eine effizientes Modellieren und ein optimales Ergebnis für die Angebotsabgabe von immenser Bedeutung. 5. Beispiel aus der Ausführungsplanung 5.1 Projektbeschreibung Bei der beschriebenen Maßnahme handelt es sich um ein bis zu 60m hohes und dreifach unterkellertes Gebäude, in dem ein Hotel, ein Boardinghouse sowie Einzelhandel und Gastronomie untergebracht werden sollen. Das Projekt liegt innerstädtisch mit dichter und z. T. sehr sensibler Nachbarbebauung: Im Norden und Westen ist das Baufeld durch einen Anlieferungstunnel begrenzt, der der Versorgung des gesamten Areals dient. Bereichsweise kommen hier die Gründungspfähle dieses Tunnels ergänzt um eine Spritzbetonausfachung temporär als Verbauwand zum Einsatz. Die Baugrubensicherung auf der Ostseite wird mit einem vierfach rückverankerten Trägerbohlverbau ausgeführt. Dabei ist ein Geländesprung von ca. 14 m zu sichern. Eine besondere Herausforderung stellen hier die seit 2017 in Betrieb befindlichen Stadtbahntunnel der U12 dar, die den Verbau diagonal durchkreuzen und dann weiter durch die Untergeschosse der nahegelegenen Stadtbibliothek verlaufen. Nach Süden bilden die U-Bahntunnel zum Teil die Begrenzung der Baugrube. Ein Tunnel muss im Zuge der Aushubarbeiten einseitig freigelegt werden. Aufgrund des daraus resultierenden asymmetrischen Erddruckes erfährt der Tunnel eine horizontale Belastung. Diese wird sowohl über die Sohlreibung als auch durch die vorab neben dem Tunnel hergestellten Gründungspfähle des späteren Gebäudes aufgenommen. Die Bohrpfähle fungieren beim Freilegen des Tunnels bereits als seitliche Stützung. Die eigene Planung der Verbaumaßnahmen begann in der Genehmigungsphase und wurde anschließend in Ausführungsplanung überführt. Dabei wurde in einem Modell gearbeitet, das beim Übergang der Leistungsphasen gesichert wurde. Gesamtmodell Bestand, Verbau, Gründung, Baugrubensohle 5.2 BIM-Bearbeitung (AwF, Grundlage, Modellinhalt, Detaillierungsgrad) Obwohl die eigentliche Baumaßnahme als BIM-Projekt geplant und ausgeführt wird, bestand an die Verbauplanung keinerlei Anforderung. Aufgrund der sensiblen Nachbarbebauung und der komplexen Spezialtiefbaumaßnahme entschied man sich intern für eine modellbasierte Verbauplanung. Folgende AwF wurden dabei umgesetzt: - Bestandserfassung (ohne Baugrund) - Planungsvariantenuntersuchung 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 45 Modellbasierte Projektbearbeitung im Spezialtiefbau heute - Praxisbeispiele Planung - Planableitung - Planungsfreigabe Ein Bestandsmodell für im Baugrund verbleibende Bauteile ist bis dato (noch) nicht gefordert… Zu Bearbeitungsbeginn wurden Modelle des geplanten Bauwerks, des Bestandes und auch des Verbaus übergeben, woraus lediglich die Pläne für die Genehmigung abgeleitet werden sollten. Die Modelle stellten sich allerdings als äußerst unzureichend dar: Beim Bestandstunnel war das Längsgefälle nicht berücksichtigt, das benachbarte Bibliotheksgebäude war gar nicht enthalten, der Andienungstunnel war nur unvollständig dargestellt. Aufgrund der beengten Verhältnisse war eine reelle Abbildung der Bestandsbauwerke jedoch unabdingbar, so dass zuerst eine Korrektur und Ergänzung des vorhandenen Bestandsmodells erforderlich war. Das Verbaumodell hatte lediglich informellen Charakter: es war weder die korrekte Aushubtiefe noch die damit verbundene erforderliche Anzahl von Ankerlagen berücksichtigt; Ankerkreuzungen und-kollisionen waren ungelöst, Trägerabstände nicht der Statik entsprechend, so dass eine komplette Neuerstellung des Modells unvermeidbar war. Aus der eigentlichen Aufgabenstellung, Pläne für die Genehmigung und anschließende Ausführung zu generieren, ergab sich somit das Erfordernis, ein eigenes Modell zu erstellen, welches sehr detailliert zu modellieren war, um möglichst wenig in 2D ergänzen müssen. So wurde der Verbau mit seinen Einzelbestandteilen Bohrungen, Trägern, Ausfachung, Kopfträger (als Auflager für Betonpumpen) inkl. Stegblechen, Anker etc. modelliert. Dies ermöglichte zudem die sehr zuverlässige Lösung von Kollisionen zwischen den Ankern und mit der sensiblen Bestandsbebauung. Auf Grundlage der detaillierten Bestands- und Verbaumodelle konnte außerdem das vermeintliche Anbohren einer Tunnelröhre mit dem Ankerbohrgerät ausgeschlossen werden: Nach exaktem Aufmaß und dessen Abbildung im Modell sowie Sichtung aller vorliegenden 2D-Bestandsunterlagen konnte mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem Bohrhindernis nicht um den Stadtbahntunnel handeln konnte, sondern lediglich um die nicht modellierte, 1m dicke Schutzschicht im direkten Umfeld der Röhre. Detailausschnitt Ankerkreuzung in vier Ankerlagen und zwischen Bestand 5.3 Lessons learned - Die Neuerstellung eines Modells ist häufig sinnvoller als Änderungen in einem übergebenen Modell vorzunehmen (Vollständigkeit, Richtigkeit) - Die detaillierte und realitätsnahe Darstellung des Bestands ist essentiell für die Lösung von Kollisionspunkten während der Planung - Vermeintliche Kollisionen auf der Baustelle konnten anhand des Modells schnell und sicher geklärt werden. 6. Fazit Nach wie vor ist festzustellen, dass dem Spezialtiefbau bei BIM-Projekten grundsätzlich nur sehr wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, obwohl diese Fachmodelle oft nicht unwesentlich für die eigentliche Baumaßnahme bzw. für die umgebende Bestandsbebauung sind. Selbst wenn der Bauherr keine Anforderungen an dieses Gewerk stellt, weil es für ihn nur eine temporäre Maßnahme ist, sollte aus Eigeninitiative des Auftragnehmers nicht auf dieses Fachmodell verzichtet werden; dies hat sich in der Planerpraxis schon mehrfach als sehr wertvoll erwiesen. Doch nicht nur für die Koordination mit anderen Gewerken ist die Verwendung von Modellen hilfreich, auch für die gewerkeinternen Anwendungen in der Planung (Planableitung, Mengenermittlung, Kollisionsprüfung) hat sich die modellbasierte Arbeitsweise inzwischen etabliert, sowohl bei Ingenieuren als auch bei Konstrukteuren: wesentliche Vorteile der modellbasierten Bearbeitung ergeben sich nämlich bereits während der Erstellung der Planung, und nicht nur erst bei der Verwendung und Weiterverarbeitung eines fertigen 3D-Modells. Dabei ist projektspezifisch aber immer auch die Zweck- und Verhältnismäßigkeit von Modellerstellungen und BIM zu prüfen. Während 3D-Modelle im eigenen Haus in allen Phasen der Planung inzwischen sehr üblich sind, ist die Übernahme dieser Modelle auch in die Ausführungsphase und auf die Baustelle noch in der Erprobung Pilotphase/ . 7. Erläuterungen Stufenplan - Digitales Planen und Bauen: in Deutschland soll bis 2020 das Digitale Planen und Bauen unter Einsatz von Building Information Modeling zum Standard bei Infrastrukturprojekten des Bundes werden (BIM): Auf Basis digitaler Bauwerksmodelle können alle für den Lebenszyklus eines Bauwerks, von der Planung, 46 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Modellbasierte Projektbearbeitung im Spezialtiefbau heute - Praxisbeispiele Planung Bau bis hin in den Betrieb, benötigten Daten erfasst und zwischen den Beteiligten ausgetauscht und weiterbearbeitet werden; Der Stufenplan beschreibt die schrittweise Einführung. Die ARGE BIM4INFRA wurde im Oktober 2016 vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) beauftragt, über einen Zeitraum von zwei Jahren wichtige Voraussetzungen für die Umsetzung des BIM-Stufenplans zu schaffen. Quellen [1] ARGE BIM4INFRA2020 (Hrsg.): „Handreichung Teil 6: Steckbriefe der wichtigsten BIM-Anwendungsfälle“ (2019), https: / / bim4infra.de/ wp-con tent/ uploads/ 2019/ 07/ BIM4INFRA2020_AP4_Teil6. pdf [2] Bundesfachabteilung Spezialtiefbau im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (Hrsg.): Technisches Positionspapier „BIM im Spezialtiefbau“ (2017), https: / / www.bauindustrie.de/ themen/ bundesfach abteilungen/ spezialtiefbau/ technisches-positionspapier-bim-im-spezialtiefbau-122017/ [3] Deutscher Ausschuss für unterirdisches Bauen e. V. (DAUB) (Hrsg.): „Digitales Planen, Bauen und Betreiben von Untertagebauten. BIM im Untertagebau“ (2019), http: / / www.daub-ita.de/ fileadmin/ docu m e n t s / d a u b / g t c r e c 4 / g t c r e c 11 v 3 _ BIM_im _ U n tertagebau_05-2019.pdf 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 47 Digitalisierung im Baugrund - Erfahrungen und Ansätze Dipl.-Ing. (FH) Ilja Prinz, CDM Smith Consult GmbH, Mannheim Zusammenfassung In Anbetracht der Vielzahl an möglichen Anwendungsfällen für digitale Baugrundmodelle wie zum Beispiel: Baugrubenplanung, Modelle für Tunnel-, Bahn- und Straßenstrecken, Deiche, Schleusen etc… stellt sich, wie in 2.1 erläutert, nicht die Frage nach dem „ob“, sondern dem „wann“ und „wie“ der Baugrundmodelle im BIM Prozess. Sie veranschaulichen sehr gut die örtlichen Gegebenheiten und ermöglichen einen schnellen Zugriff auf benötigte Informationen im gesamten Planungszeitraum. Entgegen vieler Aussagen, mitunter von Softwarelieferanten, dass es momentan keine Software gäbe um Baugrundmodelle zu erstellen, mussten wir feststellen, dass entweder keine gesonderte Software als die gängige CAD und GIS Tools notwendig ist, oder es doch schon zusätzliche Werkzeuge gibt, die das Bearbeiten der Schichten erleichtert. Aus unserer Sicht steht der Implementierung der Baugrundmodelle im BIM Prozess nichts im Wege. 1. Einleitung Der Begriff Digitalisierung steht im ursprünglichen Sinn für das Umwandeln analoger Werte/ Informationen in digitale Formate (Daten). Diese digitalen Daten lassen sich dann IT-gestützt mannigfaltig bearbeiten, manipulieren und auswerten. Im heutigen Sprachgebrauch steht der Begriff der Digitalisierung gleich mit der digitalen Revolution, die sich in allen Bereich vollstreckt. Im privaten Sektor sind Smartphones schon nicht besonderes mehr. So wird die analoge Welt durch Systeme wie das „Body Tracking“, „Smart Home“, Amazons „Alexa“ usw. weiter mit der digitalen Welt verwoben. In der Technik beschäftigt man sich schon länger mit „Big Data“ dem autonomen Fahren, der virtuellen und erweiterten Realität. In der Politik und Gesellschalt hat das Thema spätesten mit dem Stufenplan Digitales Planen und Bauen und dem Digitalrat der Bundesregierung an Relevanz und Unterstützung gewonnen. Die Vor- und Nachteile der Digitalisierung im Bauwesen werden schon seit einiger Zeit unter dem Schlagwort „Building Information Modeling“ (BIM) zusammengefasst und wurden bereits an vielen Stellen und für unterschiedlichste Anwendungsfälle erörtert und diskutiert. Im Folgenden möchte ich insbesondere die Digitalisierung im Baugrund in den Fokus nehmen und näher beleuchten. 2. Digitalisierung im Baugrund. 2.1 Warum brauchen wir digitale Baugrundmodelle Für die meisten Bauvorhaben sind Baugrundinformationen signifikant wichtige Ausgangsinformationen. Sie entschieden über Risiken, Machbarkeit und nicht zuletzt über das notwendige Budget. Umso wichtiger ist es, dass diese Informationen von Beginn an digital erfasst und im richtigen Format den Fachplanern zur Verfügung stehen. Die digitale Aufbereitung der Baugrundaufschlüsse und der Gutachten in bspw. einem 3D-Model, das neben den geometrischen auch noch die geologischen Parameter des Baugrunds beherbergt, könnte von allen Fachplanern genutzt werden und würde im globalen BIM Kontext aufgehen. Der wichtigste Aspekt für ein digitales Baugrundmodell ist die Erfassung und medienbruchfreie Weiterverarbeitung der Daten. Der klassische Weg ist die Aufschlussdokumentation vor Ort (Papier) der eine Eingabe der Daten in eine Datenbank (Access oder SQL) folgt, aus der dann ggf. Profile gezogen werden, um die Schnittzeichnungen zu erstellen (dwg oder dgn). Neben den möglichen Fehlerquellen, die sich bei der Nutzung der unterschiedlichen Formate ergeben, können diese 2D Ergebnisse des genannten Prozesses nicht in den BIM Prozess einer Baumaßnahme eingepflegt und verarbeitet werden. Da sich mittlerweile aber nicht mehr die Frage stellt ob BIM im Bauwesen Einzug hält, sondern mit welchen Folgen und Anforderungen an die Planer, ist eine Kompatibilität des Baugrunds mit den anderen Modellen eine Notwendigkeit. Nicht zu Letzt aus dem Wunsch des „single source of truth“ eines BIM Modells sollten die Baugrundinformationen im Modell Einzug finden. 48 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Digitalisierung im Baugrund - Erfahrungen und Ansätze 2.2 Vorteile der digitalen (BIM) Baugrundmodelle - Leichtere und konstante Zugänglichkeit zu den wichtigsten Informationen des Gutachtens im 3D Modell (ABER: Keine Ablöse des Gutachtens! ) - Abbildung des gesamten Baugrunds, keine Reduktion auf Schnitte. - Schnelle Anpassung bei neuen Informationen/ Aufschlüssen/ Ergänzungen - Baugrundmodelle können neben den geometrischen und geotechnischen auch die chemischen Informationen beinhalten (Kontaminationen) -> Mehrere Fachmodelle - Bessere Veranschaulichung für „nicht Geotechniker“ - Softwaregestützte Verarbeitung aller Daten -> Effizienzsteigerung 2.3 Wie könnte die Digitalisierung im Baugrund aussehen Neue Werkzeuge verändern alte Arbeitsweisen. Heutzutage sind mächtige Datenbankwerkzeuge vorhanden, die neben einer dynamischen Arbeitsweise an den Daten, und dem Einsatz von Handhelds bei der Erfassung, auch noch eine direkte Verbindung zu den gängigen CAD und GIS Tools bieten. Das Ziel ist es möglichst effizient und genau ein 3D Baugrundmodell zu erstellen und dieses mit den nötigen Metadaten zu versehen. Um hier zu dem gewünschten Erfolgen zu kommen, haben wir folgende Grundsätze für digitale Baugrundmodelle aufgestellt. - Bisherige Prozesse wie die Erfassung, Haltung, und Bearbeitung der Daten, Modellierung, Kommunikation, usw. revidieren und ggf. neugestalten. - Grundlage aller Bearbeitung ist immer direkt die Datenbank der Aufschlüsse. - Keine Wiederholungen der Prozesse in der Bearbeitung. („Mach es einmal, dafür aber richtig.“) - Kombination aus GIS und CAD in der Modellierung. - Ausgabe sind immer 3D Modelle. - Eigenschaftssätze der Modelle nach Erfordernis. - Kompatibilität mit anderen CAD Systemen essentiell-> Ausgabe als IFC 3. Erfahrungen aus der Praxis 3.1 Ausbaustrecke Emmerich-Obernhausen (BIM Baugrubenmodell) „Die rund 73 Kilometer lange Strecke Emmerich- Oberhausen ist ein Teilstück des wichtigen europäischen Güterverkehrskorridors von Rotterdam nach Genua. Durch den stetig wachsenden Güter- und Personenverkehr hat die zweigleisige Strecke ihre Leistungsgrenze erreicht. Ziel des durchgehenden dreigleisigen Ausbaus ist es, die Streckenkapazität zu erweitern und die betrieblichen Abläufe zu optimieren.“ (DB Netzte 2019) 3.1.1 Aufgaben - Erstellen der BIM Teil- und Fachmodelle des Baugrunds auf Basis der vorhandenen Baugrundgutachten (PDF) - Aufnehmen und plausibilisieren der vorhandenen geotechnischen Grundlagen und Gutachten in den BIM-Prozess - Übernehmen des digitalen Geländemodells (DGM) bzw. des digitalen Höhenmodells - Ableitung der 2D-Planungen z.B. Schnitte bzw. der Fachinhalte aus dem Fach- und Gesamtmodell nach Auftraggeber-Richtlinie (bei Bedarf) 3.1.2 Herangehensweise 1. Digitalisierung der Unterlagen. a. Bohrpunkte in den Lageplänen wurden georeferenziert und als Objekt im CAD erfasst. Siehe Abb. 3.1.2.1 -> Ausgabe als CSV und einlesen in die Datenbank. Abb. 3.1.2.1: Lageplan mit Bohrpunkten b. Bohrprofile wurden aus den Gutachten in eine Datenbank übertragen. Datenbank seitens AG waren nicht vorhaben bzw. konnte nicht zur Verfügung gestellt werden 2. Klassifizierung der unterschiedlichen Schichten zu Schichtgruppen. Siehe Abb. 3.1.2.2 (Geotechnische Sachverstand erforderlich) 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 49 Digitalisierung im Baugrund - Erfahrungen und Ansätze Abb. 3.1.2.2: Bohrprofile mit Schichtgruppen 3. Strukturierung und Aufbereitung der Datenbank zur Modellerstellung. Siehe Abb. 3.1.2.3 Abb. 3.1.2.3: Datenbank mit Bohrprofilen und Schichtgruppe 4. Erstellung des Modells Siehe Abb. 3.1.2.4 Abb. 3.1.2.4: Modell mit Schichten 3.1.3 Ergebnis Aus der oben skizzierten Herangehensweise entsteht ein parametrisches und dynamisches Baugrundmodell das mit den entsprechenden Metainformationen angereichert wird. Siehe Abb. 3.1.3.1 Abb. 3.1.3.1: parametrisches und dynamisches Baugrubenmodell Das Modell erlaub es einen Überblick der Geologie über die knapp 73 km jederzeit im BIM Modell zu haben. Wie schon erwähnt ersetzt das Modell aber unserer Meinung nach nicht das geschriebene Wort des Gutachtens. 3.2 Deichverlegung Lippe (Haltern/ Marl) In Haltern-Lippramsdorf und Marl (HaLiMa) werden auf 5,6 Kilometern Länge die Hochwasserschutzdeiche erneuert. Die bestehenden Deiche am Nord- und Südufer der Lippe werden durch neue, zurückverlegte Dämme ersetzt. Es entsteht durch die Deichverlegung der Lippe eine Auenfläche von rund 60 Hektar. Die Gesamtmaßnahme beträgt ca. 7,5 Jahre Bauzeit. Dabei werden insgesamt circa 3,2 Millionen Kubikmeter Bodenmassen verbaut. Eine technische Besonderheit ist die Höhe der Deiche, die bis zu 13,5 m beträgt. In diesem Gebiet ergeben sich durch u. a. bergbauliche Tätigkeiten des Bergwerks Auguste Victoria/ Blumenthal Senkungen der Geländeoberfläche, die nachteilige Auswirkungen auf die Wasserwirtschaft und speziell auf den Hochwasserschutz haben. Um den Senkungen zu begegnen sowie den hochwasserschutzrechtlichen Anforderungen der §§ 68 WHG zu genügen, sind die Deichrückverlegung und Lippegestaltung erforderlich. 3.2.1 Aufgabe - Erstellen eines dreidimensionalen Baugrundmodells auf Basis vorhandener Baugrundgutachten (PDF) und während der Bauausführung zusätzlich gewonnener Aufschlüsse (GeoDIN). - Übernehmen des digitalen Geländemodells (DGM) bzw. des digitalen Höhenmodells u.a. aus Überflugdaten. - Einarbeitung der Prüfstellen und Prüfergebnisse der Kontrollprüfungen der Verdichtung während der Bauausführung in Abhängigkeit des QS-Planes. - Ausarbeitung eines Deichbuches mit Darstellung der einzelnen Bauteile/ Baukörper des Deiches und Dokumentation der Herkunft der Böden. 50 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Digitalisierung im Baugrund - Erfahrungen und Ansätze 3.2.2 Herangehensweise 1. Digitalisierung der bestehenden Unterlagen (PDF) Hier wurden bestehende (analoge) Gutachten und Bohrprofile und unterschiedliche GeoDin Datenbanken in eine Datenbank gebracht. Gemäß der Prämisse an einer Datenbank arbeiten zu wollen. 2. Erstellung mehrere Fachmodelle a. Bohrsäulen Siehe Abb. 3.2.2.1 Abb. 3.2.2.1: Bohrsäulen als Modell b. DPH Diagramme Siehe Abb. 3.2.2.2 c. Verdichtungsprüfung/ Einbaukontrolle (grün Wert erreicht, rot Wert nicht erreicht) Siehe Abb.3.2.2.3 Abb. 3.2.2.3: Darstellung der Prüfstellen im Modell d. Schichtenmodell Siehe Abb. 3.2.2.4 Abb. 3.2.2.4: Schichtmodell 3.2.3 Ergebnis Momentan befindet sich das Model weiterhin noch in der Bearbeitung. Doch schon jetzt wurden die Stärken der Kombination aus CAD und GIS sichtbar. Die im CAD erstellten Schichtenmodelle wurden durch GIS Daten (Einbaukontrolle) ergänzt und zusammengebracht. An beliebigen Stellen können Metainformationen den einzelnen Objekten der Fachmodelle beigefügt werden bzw. wurden bereits beigefügt. Aus der Kombination der unterschiedlichen Fachmodelle mit unterschiedlicher Informationsdichte entsteht ein digitales Modell der Baugrundverhältnisse und Informationen was nicht nur zur Planung, sondern aus zum Betrieb genutzt werden kann. Auch wenn es vielleicht verfrüht wäre dieses Modell ein digitales Deichbuch zu nennen, ist der Ansatz und die bisherige Reife sehr nah an dieser Idee. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 51 Digitalisierung im Baugrund - Erfahrungen und Ansätze 4. Dos and Don’ts mögliche Optimierungsschritte Dos: - Eine Revision der bisherigen Prozesse ist lohnenswert. Häufig gibt es viele Möglichkeiten die Arbeit mit passenden Werkzeugen effizienter zu gestalten. - Im Zuge der Veränderungen der Prozesse sollte aber der Mensch nicht zu kurz kommen. Klare Anweisungen und Projekthandbücher sind hilfreich. Motivierten Kollegen gelingt der Einstieg in die neue Arbeitsweise aber sehr schnell. Oft sind diese um die Erleichterung sogar dankbar. - Im Zuge der Bearbeitung der Beispielprojekte und weiterer Projekte bei denen ein Baugrundmodell erforderlich war hat sich herausgestellt, dass in Abhängigkeit der Anwendungsfälle ein effizientes Arbeiten dann gelingt, wenn man die Werkzeuge CAD und GIS sehr eng mit einander verknüpft. - In Abhängigkeit der Anwendungsfälle kann es manchmal hilfreich sein statt eines großen Modells mehrere Fachmodelle auszugliedern. - Trotz nichtvorhandener Kategorien für den Baugrund im IFC Format ist der Export und die Weitergabe über das selbe elegant und schnell. Don’ts - Digitale Baugrundmodelle sind nur ein Mittel um die Informationen des Baugrunds in das „große“ BIM Modell zu transportieren und dort bereitzustellen. Baugrundmodelle lösen aber auf keinen Fall das geschriebene Wort des Gutachtens ab. Dieses sollte klar kommuniziert werden. - Augenblicklich sind keine Kategorien im IFC Format vorhanden um Baugrundmodelle vernünftig abzulegen. Hier sollte die Informationsstruktur in jedem Projekt mit dem BIM Manager im Vorfeld geklärt werden. - Wiederholungen in den Arbeitsprozessen auf Grund von Medienbrüchen sind ineffizient und frustrierend. Das sollte wo möglich vermieden werden. Einmal erfasste Daten sollten kein zweites Mal erfasst werden müssen. Tunnelbau - Planung 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 55 Bemessung von Hochwasserentlastungsstollen anhand zweier Beispiele aus der Schweiz Jörg-Martin Hohberg IUB Engineering AG, Bern, Schweiz Zusammenfassung Der vorliegende Beitrag, dessen Langfassung am Vortragstag in Kopie abgegeben wird, behandelt anhand zweier aktueller Hochwasserentlastungsstollen Fragen des generellen Konzepts (Linienführung, Hydraulik, Ein- und Auslaufbauwerke), vor allem aber Fragen der geotechnischen Berechnung. Am Beispiel eines Druckstollens wird die Bedeutung der Gebirgsentspannung aufgezeigt, die als sogenannte passive Vorspannung in der Auskleidung dem Innenwasserdruck entgegenwirkt. Bei der Überlagerung der Lastfälle muss man folglich zwischen günstig und ungünstig wirkenden Belastungen (Auswirkungen) unterscheiden, also ein Teilsicherheitskonzept anwenden. Das andere Beispiel eines Freispiegelstollens ist bemessungstechnisch einfacher, doch unterliegt der Stollen einem hohen Bergwasserdruck, der während des Vortriebs drainiert wird, sich aber nach Fertigstellung wiedereinstellen kann und die Auskleidung auf Druck belastet. Zum Schluss wird die Baugrube eines unterirdischen Auslaufbauwerks mit Tosbecken behandelt. 1. Historische Einbettung Wegen der Gründung von Handelsplätzen und Städten am Auslass von Seen und Mündung von Seitenflüssen gibt es in der Schweiz viele historische Beispiele, in denen der Sedimenttransport zu erheblichen Auflandungen, Sumpfgebieten mit Malariagefahr und Rückstau in die Wohngebiete führte [1]. Bereits im 18. Jahrhundert entstand der Umleitungsstollen der Kander in den Thunersee, dessen Sohle jedoch erodierte und der nach Einsturz der Überdeckung heute wie eine natürliche Klamm wirkt. Die Umleitung von Gebirgsflüssen in Seen bedingte jedoch, dass deren Auslauf nicht durch Brücken, Mühlen u.dgl. zu sehr eingeengt war - im Fall der Stadt Thun wurde in heutiger Zeit deshalb ein zusätzlicher Hochwasserentlastungsstollen erstellt [2]. Im Zuge der Klimaerwärmung nehmen die Starkregenereignisse im Alpenraum signifikant zu; zudem wird weniger Niederschlag als Schnee oder Gletschereis zurückgehalten. Drohten früher Überschwemmungen vor allem bei Warmfronten im Frühjahr, bei denen Regen zur Beschleunigung der Schneeschmelze beitrug, so sind es heute in erster Linie lokale Unwetter, die auch im Sommer und Herbst zu Überschwemmungen führen. Da in den letzten Jahrzehnten die Bebauungsdichte deutlich zunahm, sind höhere Sachwerte gefährdet als früher, so dass sich Hochwasserentlastungsstollen relativ rasch amortisieren [3]. Anders als Rückhaltebecken, denen Opposition aus der Landwirtschaft erwächst, gelten Stollenlösungen auch als umweltfreundlich, wenn die Konstanz des Ablaufs im entlastete Flussgerinne zugleich Renaturierungen ermöglicht. 2. Konzeptionelle Entscheidungen Normalerweise handelt es sich bei Hochwasserentlastungsstollen um Freispiegelstollen, die je nach Wasserandrang unterschiedlich stark gefüllt sind. Ein Mindestenergieliniengefälle wird vorgeschrieben, um die Kapazität sicherzustellen; bei steiler Neigung kann jedoch auch absichtliche eine erhöhte Rauigkeit zur Energievernichtung sinnvoll sein, um am Auslauf auf ein Tosbecken verzichten zu können. Der Einlauf kann ungeregelt über einen Fallschacht oder über ein regelbares Wehr erfolgen. Dafür werden u.U. Versuche an physischen Modell durchgeführt, um laminare Einlaufströmungen ohne Lufteinschlüsse sicherzustellen. Beim anderen präsentierten Stollen wurde die aus Wasserkraftwerken bekannte Form eines Druckstollens gewählt, der über ein geschlossenes Auslaufschütz stets unter Wasserdruck steht. Dies ermöglich nicht nur einen unscheinbaren Ein- und Auslauf unterhalb der Wasseroberfläche, sondern stellt auch das schnelle Anspringen und einen verschleißarmen Betrieb sicher. Im vorliegenden Fall verlangte aber der hohe Druck von über 40 m Wassersäule nach speziellen Nachweisen gegen hydraulischen Grundbruch infolge von Aufsättigung des Bergwasserspiegels bei undichtem Stollen. 56 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Bemessung von Hochwasserentlastungsstollen anhand zweier Beispiele aus der Schweiz 3. Berechnungsmethoden Grundsätzlich kommen noch klassische Berechnungsmethoden wie der elastische gebettete Stabzug zur Anwendung, an dem Lastfälle superponiert werden können. Im Fall einer passiven Vorspannung muss jedoch an einem geotechnischen Scheibenmodell mittels FEM die auf die Auskleidung wirkende Gebirgsentspannung ermittelt werden. Dies erfordert ein klares Denken in Szenarien aus Überlagerungsdruck, Gebirgssteifigkeit/ festigkeit, Innendruck- und Außendrucklastfällen (Unterhaltslastfall bei leerem Stollen), inkl. möglicherweise Quelldruck in der Stollensohle. Dabei darf nicht davon ausgegangen werden, dass die Annahme tiefer Felskennwerte immer zu einer konservativen Bemessung führt. Bei wenig Übung können zusätzlich handwerkliche Berechnungsfehler auftreten, wie im Vortrag an einem Beispiel gezeigt werden wird. Ein geotechnisches Scheibenmodell ist wegern der Konsistenz der Annahmen grundsätzlich zu bevorzugen, doch braucht es aufgrund der unterschiedlichen Szenarien mehrere Berechnungen, unter Anwendung von Lastteilsicherheitsbeiwerten bei nichtlinearem Verhalten [4]. Heikel sind zumeist die Auslaufbauwerke, einerseits weil sie oft zugleich als Startbaugruben für den aufwärts gerichteten Vortrieb dienen, unmittelbar am Vorfluter liegen und meist eine geringe Felsüberdeckung aufweisen. Im Fall des gezeigten komplexen Auslaufbauwerks kommt hinzu, dass es unterhalb einer vielbefahrenen Eisenbahnlinie an einem dicht bebauten Seeufer zu liegen kommt und wegen des Tosbeckens eine tiefe Baugrube erfordert [5]. 4. Ausschreibungs- und Vergabeverfahren Um am Markt Chancen mit bereits gebrauchten Tunnelbohrmaschinen (TBM) nutzen zu können, wird mitunter die genaue Wahl des Stollendurchmessers dem Bauunternehmer belassen und der Stollen funktional nach hydraulischen Anforderungen ausgeschrieben (Energielinie, hydraulischer Radius, Rauigkeit, Dichtigkeit). Dabei steht es dem Bauunternehmer frei, eine Tübbinglösung zu wählen, bei der sich die TBM rückwärtig gegen den zuletzt versetzten Tübbing abstützt, oder eine Spritzbetonauskleidung im Kombination mit einer Gripper-TBM, die sich seitlich am Gebirge verkrallt und vorwärts zieht. Bei Spritzbetonvarianten mit nur minimaler Bewehrung handelt es sich um eine ausgesprochene „Low-Budget“- Lösung, die den Gemeinden entgegenkommt, weil die Hochwasserentlastung über einen Stollen meist erheblich teurer kommt als ein Ausbau des bestehenden Flussgerinnes. Für die Bemessung schließt sich dazu der Bauunternehmer als Generalübernehmer mit einem Projektierungsbüro zusammen und haftet für die Bemessung. Das ursprünglich entwerfende Büro hat dann die Aufgabe, als Prüfer den Bauherrn vor zu großen Risiken zu schützen. Daraus können sich heikle Mandate ergeben, wenn der Bauherr aus Kostengründen auf eine solche Low- Budget-Lösung einsteigt und der Unternehmer dazu tendiert, doch noch nötigen Zusatzaufwand als geologisch bedingt zu deklarieren. Literaturverzeichnis [1] Vischer, Daniel L.: Die Geschichte des Hochwasserschutzes in der Schweiz. Berichte des BWG, Serie Wasser, Nr. 5, Bern 2003. [2] Vgl. Stollen Thun in: https: / / www.engineering-group. ch/ de/ referenzen.html [3] AWEL: Hochwasserschutz an Sihl, Zürichsee und Limmat - Synthesebericht, Zürich 2015. https: / / awel.zh.ch/ internet/ baudirektion/ awel/ de/ wasser/ hochwasserschutz/ hochwasserschutz_zürich.html [4] Hohberg, J.-Martin: Sinn und Machbarkeit von Festigkeitsnachweisen mit Teilsicherheitsbeiwerten im Stollenbau. DGGT-Fachsektionstage Geotechnik, Würzburg 2019. [5] Hohberg, J.-Martin: 3D FEM analysis of the construction pit for a TBM-driven flood discharge gallery. Acta Polytechnica CTU Proc. 23, 2019. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 57 Tunnelbau trifft Bergbau - Besondere technische Herausforderungen bei der Projektierung und Planung des Grubenwasserkanals Ibbenbüren Dennis Edelhoff, Carsten Peter IMM Maidl & Maidl Beratende Ingenieure GmbH & Co. KG, Bochum, Jürgen Kunz, Heinz-Dieter Pollmann RAG Anthrazit Ibbenbüren GmbH, Ibbenbüren Entsprechend der politischen Vorgaben ist in Deutschland der Ausstieg aus der Steinkohleförderung Ende 2018 erfolgt und damit wird derzeit auch der Rückzug aus dem Bergwerk Ibbenbüren durchgeführt. Um der Ewigkeitsaufgabe der Grubenwasserhaltung gerecht zu werden und langfristig Betriebskosten zu reduzieren, soll das ansteigende Grubenwasser zukünftig auf einem definierten Niveau sicher gefasst und dauerhaft im Freispiegelgefälle einer Wasseraufbereitung zugeführt werden. Zur Realisierung dieser Aufgabe wurde ein neuer, rund 7,3 km langer Grubenwasserkanal projektiert. Im Spätsommer 2018 wurde die Arge Grubenwasserkanal Ibbenbüren bestehend aus den Ingenieurbüros Dorsch International Consultants GmbH (Offenbach), IMM Maidl & Maidl Beratende Ingenieure GmbH & Co. KG (Bochum) und Dr. Pecher AG (Erkrath) mit den Planungsleistungen für den Grubenwasserkanal beauftragt. Hierbei sind u. a. große geotechnische, maschinen- und verfahrenstechnische Herausforderungen zu bewältigen, die im gegenständlichen Beitrag erläutert werden. 1. Veranlassung und Planungsziele Im Tecklenburger Land betreibt die RAG Anthrazit Ibbenbüren GmbH das nördlichste Steinkohlebergwerk Deutschlands. Die Lagerstätte war in zwei Bereiche unterteilt: Das bereits in den siebziger Jahren stillgelegte Westfeld und das bis Ende 2018 aktive Ostfeld. Übersicht über die aktuelle und zukünftige Entwässerung Beginnend ab 1979 erfolgte der planmäßige Anstieg des Grubenwassers im Westfeld, welcher bis 1982 andauerte. Seit Erreichung des Niveaus von +63 mNN wird das Grubenwasser des Westfeldes durch den Dickenberger Stollen über den Stollengraben in die bestehende Anlage zur Grubenwasseraufbereitung (AzGA) Gravenhorst geleitet und weiter in die Hörsteler Aa entwässert. In 58 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Tunnelbau trifft Bergbau - Besondere technische Herausforderungen bei der Projektierung und Planung des Grubenwasserkanals Ibbenbüren der Anlage zur Grubenwasseraufbereitung erfolgt eine Eisenfällung durch Belüftung und Neutralisation mittels Kalkmilch mit anschließender Sedimentation. Die Grubenwasserhaltung des bis Ende 2018 aktiven Ostfeldes erfolgt über die Oeynhausenschächte und den Ibbenbürener Förderstollen zu den Sedimentationsteichen in Püsselbüren. Im Anschluss erfolgt die Ableitung in die Ibbenbürener Aa. Die nachfolgende Abbildung 1 stellt die Entwässerungssituation schematisch dar. Die Planungen im Rahmen der Schließung des Bergwerks Ibbenbüren sehen den Beginn des Anstiegs des Grubenwassers Ende 2019 vor. Auf dem Niveau von + 63 m NN soll ab Ende 2023 das Grubenwasser angenommen und über den neu zu errichtenden Grubenwasserkanal gesammelt und im Freigefälle der Anlage zur Grubenwasseraufbereitung Gravenhorst, in der derzeit ausschließlich das Wasser aus dem Westfeld behandelt wird, zugeführt werden. Um das Niveau ohne Aufstau über die gesamte Länge des Grubenwasserkanals zu gewährleisten, wird der Ausbau dränierend über planmäßige Durchdringungen in Kombination mit einer wasserdurchlässigen Hinterfüllung ausgebildet. Im Rahmen der Machbarkeitsuntersuchungen und Vorplanung der RAG wurde ein maschineller Vortrieb mit Tunnelvortriebsmaschine und Tübbingausbau als Vorzugslösung definiert. 2. Geologie und Hydrologie Auf Basis der im Vorfeld durchgeführten Erkundungsbohrungen und der Kartierung im Rahmen des Bergbaus erfolgt die Auffahrung des Grubenwasserkanals grundsätzlich im Festgestein des Karbongebirges mit unterschiedlichen Anteilen von im Wesentlichen Kalk/ Mergel, Sandstein, Konglomerat und Sandschieferton. Die Gebirgsfestigkeiten liegen im Mittel bei 65 MPA mit Spitzenwerten von rund 140 MPA. Aufgrund des inhomogenen Baugrunds muss jederzeit mit Klüften und Kluftkommunikation gerechnet werden. Nicht anzunehmen aber auch nicht völlig auszuschließen ist auch das Auftreten von in den Kohleflözen gebundenem Methangas (CH4). Die Mineralisation spielt hinsichtlich Dränagefähigkeit und Revisionsaufwand im Betrieb sowie Dauerhaftigkeitsaspekten eine wichtige Rolle. Das bis dato am Mundloch des Stollens zur Entwässerung des stillgelegten Westfelds beprobte Grubenwasser weist hohe Konzentrationen von Sulfat und Eisen auf. Das tiefe Grubenwasser des Ostfeldes ist derzeit noch dominiert durch hohe Chloridgehalte. Mit Anstieg des Grubenwasserspiegels auf das geplante Niveau ist ein dem Westfeld ähnliches Wasser zu erwarten mit anfangs höheren Konzentrationen, welche sich über einen mehrjährigen Zeitraum deutlich reduzieren werden. Aufgrund der festgestellten Inhomogenität des Baugrunds sind Standwasserbereiche und je nach Lage auch größere Druckhöhen (bis ca. 2 bar) möglich. Seit Anfang 2019 läuft ein ergänzendes Baugrunderkundungsprogramm mit rund 20 Bohrungen, mit dem die bisherigen Informationen einerseits besichert und andererseits zusätzliche, u.a. verfahrenstechnische Aspekte analysiert werden sollen. 3. Bauwerke Zu den Bauwerken gehören neben dem Grubenwasserkanal ein Mittelschacht, ein Auslaufbauwerk und der aus dem Bergbaubetrieb vorhandene v. Oeynhausen-Schacht I. Der Schacht 1 (v. Oeynhausen Schacht I) bildet den Anschlusspunkt des Grubenwasserkanals, da hier die in das Grubengebäude des Ostfeldes eingebauten Wasserhaltungen enden. Bisher förderten die Pumpanlagen zur Absenkung des Grubenwasserspiegels zu dem in Schacht 1 auf 85 m NN beginnenden Ibbenbürener Förderstollen. Der Schacht 1 weist einen teilweise mit Stahlbetontübbings, teilweise mit Sandstein-Mauerwerk ausgebauten Innendurchmesser von 4,40 m auf und soll Ende 2019 teilverfüllt werden (Hängedamm). Hierbei werden Hüllrohre für den Aufstieg des Grubenwassers eingebaut. Ein neu zu erstellender Mittelbzw. Zwischenschacht wurde im Bereich des Bockradener Grabens verortet. Er liegt damit etwa in der Mitte des herzustellenden Kanals. Die Schachtteufe beträgt ca. 70 m bis zum projektierten Grubenwasserkanal. Die Abmessungen (Kreisquerschnitt) der Baugrube ergeben sich aufgrund von Vortriebsaspekten zu rund 30 m Durchmesser. Die Konstruktion der Baugrube stellt hohe Anforderungen an die Spezialtiefbauarbeiten (u.a. gestaffelter Bohrpfahl- und Schlitzwandbau). Innerhalb der Baugrube wird nach Abschluss der Vortriebsarbeiten ein Betriebsschacht errichtet. Derzeit wird in Abhängigkeit des Vortriebskonzeptes überprüft, wie eine Reduzierung der Baugrubenabmessungen erfolgen kann und ob eine Durchfahrung im verfüllten bzw. noch nicht gänzlich ausgehobenen Zustand möglich ist. Hier müssen die betrieblichen Aspekte und auch sicherheitstechnische Belange berücksichtigt werden. 4. Trasse, Gradiente und Querschnitt Für den Grubenwasserkanal wurde ursprünglich eine Trasse entwickelt, die, beginnend mit einem Anschluss an das Grubengebäude über die Schächte 1 und 2 der Zeche Oeynhausen, nahezu gradlinig auf einer Länge von ca. 6 km in nordwestliche Richtung und im Weiteren in Richtung Südwesten bis zum Stollengraben abknickt. Auf einer Gesamtlänge von ca. 7,2 km war der Grubenwasserkanal angelehnt an den Dickenberger Stollen. Die ursprüngliche Aufgabenstellung umfasste im Zusammenspiel mit der Weiterführung der Trassen-/ Gradientenplanung die Durchfahrung von Alten Männern (ehemalige Abbaubereiche; Kohleflöze, die in Abhängigkeit des Abbauverfahrens verbrochen oder noch teilwei- 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 59 Tunnelbau trifft Bergbau - Besondere technische Herausforderungen bei der Projektierung und Planung des Grubenwasserkanals Ibbenbüren se offen sind, ggf. mit vorhandenem Verbaumaterial und Wasser), um die Entwässerung dieser Bereiche sicherzustellen. Die relevanten alten Abbaubereiche befinden sich in den Flözen Dickenberg, Glücksburg, Buchholz sowie Flottwell. Nachfolgend ist die Verortung der Flöze in Abbildung 2 dargestellt. Übersicht Flöze/ Alte Männer Im Zusammenwirken mit der RAG wurde eine Optimierung der ursprünglichen Trasse durchgeführt, bei der die Alten Männer nicht mehr direkt durchörtert werden. Die hierfür ursächlichen Randbedingungen werden weiter unten beschrieben. Um dennoch die Wasserfassung aus diesen Bereichen zu gewährleisten, wird eine nachträgliche Verbindung aus dem aufgefahrenen Grubenwasserkanal heraus hergestellt. Neben der Trassenentwicklung wurde die Gradiente des Grubenwasserkanals so festgelegt, dass eine Entwässerung im Freigefälle mit 0,25-0,050 % erfolgt. 5. Bauverfahren des Grubenwasserkanals und Kanalquerschnitt Im Rahmen der Machbarkeitsstudie wurden die Maschinentypen Gripper-TBM (rotierender Bohrkopf, jedoch kein Schild, Abstützung mittels Hydraulikpratzen an der Gebirgsleibung, Sicherung mittels Spritzbeton, Ausbaubögen und Bewehrungsmatten) und TBM-S (Schildmaschine mit Materialaustrag über Förderband, keine aktive Stützung der Ortsbrust) sowie Tunnelvortriebsmaschinen/ Schildmaschinen mit Flüssigkeits- und Erddruckstützung diskutiert (s. unten). Im Zuge der weitergehenden Entwurfsplanung wurden die Typen Gripper-TBM und TBM-S aufgrund der prognostizierten Grubenwassersituation verworfen. Die Schildmaschinentypen mit Flüssigkeitsstützung und -förderung (im allg. Mix-/ Hydroschild) sowie mit Erddruckstützung und Schneckenförderung wurden aufgrund ihrer Eignung für wasserführende Geologien weitergehend analysiert. Bei beiden Schildmaschinentypen erfolgt der Ausbau mit Tübbingringen. Beispielhaft sind eine Tunnelvortriebsmaschine und Tübbingsegmente in Abbildung 3 dargestellt. Das Prinzip der Hydro-/ Mixschilde beruht auf der Stützung der Ortsbrust mittels einer Flüssigkeit, in der Regel einer Bentonit-Wasser-Suspension, deren Mischungsverhältnis sich auch unter Zugabe weiterer Additive unter anderem danach richtet, wie grobbzw. feinporig die zu durchfahrenden Böden sind. Diese Flüssigkeit, in der sich das Schneidrad bewegt, wird in die mittels einer Druckwand vom Arbeitsraum des Schildes getrennte Abbaukammer gepumpt und mit Druck beaufschlagt (Zweikammer-System). Dies geschieht in der Regel über eine Luftblase, die hinter einer Tauchwand, die die Abbaukammer teilt, auf den Flüssigkeitsspiegel drückt. Das an der Ortsbrust abgebaute Material wird mit der Stützflüssigkeit vermischt, über Rohrleitungen an die Oberfläche gefördert (hydraulische Förderung) und der Separierung zugeführt. Die separierte und regenerierte Stützflüssigkeit wird dem Förderkreislauf wieder zugegeben. [Thewes, 2014] [Maidl et al. 2011] Tunnelvortriebsmaschine und Lagerplatz für Tübbingsegmente (beispielhaft) Bei einer Schildmaschine mit Erddruckstützung befindet sich ein plastischer Erdbrei in der Abbaukammer, der sich im Gleichgewichtszustand zwischen der Beaufschlagung durch den Vortriebsdruck der Schildmaschine einerseits und der Einwirkung des Erd- und Wasserdrucks andererseits befindet. Dieser Zustand ist erreicht, wenn bei konstantem Vortriebsdruck keine weitere Verdichtung des Erdbreis mehr auftritt. Erhöhungen des Drucks in der Abbaukammer und eine weitere Verdichtung des Erdbreis und dadurch des anstehenden Bodens können zu Hebungen der Oberfläche, Verringerungen des Drucks, zu Nachdrängen des anstehenden Bodens und Senkungen der Oberfläche führen. Die daraus resultie- 60 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Tunnelbau trifft Bergbau - Besondere technische Herausforderungen bei der Projektierung und Planung des Grubenwasserkanals Ibbenbüren rende Notwendigkeit eines permanenten Abgleichs des Vortriebsdrucks und der Abförderung von Material aus der Abbaukammer, für gewöhnlich mittels eines Schneckenförderers, stellt hohe Anforderungen an die messtechnische Überwachung des Systems. [Thewes, 2014] [Maidl et al. 2011] 6. Durchfahrung Alte Männer In der Detailanalyse der Vorplanung und Zugrundelegung von Projektreferenzen musste die geplante Trassenführung mit direkter Durchfahrung von Alten Männern ausgeschlossen werden. Hierfür ursächlich ist die unklare Beschaffenheit der Alten Männer. Als grundsätzlich mögliche Zustände können offene und stabile Strukturen bis hin zu teilverbrochenen und teilverbauten Bereichen angetroffen werden. Darüber hinaus kann erschöpfliches und nicht erschöpfliches Grubenwasser in den Alten Männern anstehen. Die theoretischen Spaltweiten, d.h. Mächtigkeiten und Nachfall, können mit Werten bis zu 2,50 m aus dem Risswerk entnommen werden. In Abbildung 4 ist eine dreidimensionale Durchdringungssituation des Grubenwasserkanals (ursprüngliche Trassierung) mit dem Flözbereich Glücksburg West und Ost dargestellt. Durchfahrung Alter Mann (Schema) Wie aus der obigen Darstellung interpretierbar ist, können einige Situationen bei Durchfahrung der prognostizierten Alten Männer eintreten, die zu schwerwiegenden Störungen des Bauablaufs bis hin zur Aufgabe des Vortriebs führen können. Hierbei ist insbesondere eine große (offene) Spaltweite in Kombination mit Verbau und einem unerschöpflichen Wasserangebot zu nennen. Eine Begehung der Abbaukammer unter Drucklufteinsatz zur Bergung von Hindernissen oder Schadensbehebung ist ggf. nur eingeschränkt möglich. Ebenfalls ist keine ausreichende Stabilität für die TVM und Nachläufer bei Annäherung an die schräg einfallenden Alten Männer gewährleistet, so dass ein Einbruch bzw. Verkippen der Vortriebsmaschine möglich sind. Unter Berücksichtigung der möglichen Störszenarien und in Abwägung möglicher Beherrschungsmaßnahmen (Injektionen, Vorauserkundung, Vereisung etc.) sowie Berücksichtigung arbeitssicherheitsrelevanter Aspekte, ist ein Vortrieb mit TVM (Schildmaschine) durch die Alten Männer mit enormen Risiken verbunden und wird daher planerisch nicht weiterverfolgt. Im Rahmen der Vorüberlegungen wurden auch Untersuchungen zu alternativen Vortriebskonzepten durchgeführt, um der ursprünglichen Aufgabenstellung gerecht zu werden. Hierzu zählten Machbarkeitsanalysen zu einer konventionellen, bergmännischen Auffahrung im Spreng- oder Fräsvortrieb. Hinsichtlich möglicher Vortriebsleistungen und Geräteeinsatz wurden Gespräche mit Herstellern von Teilschnittmaschinen geführt und Schneidleistungsberechnungen durchgeführt. Ebenfalls fanden erste Gespräche mit einem Sachverständigen für Sprengtechnik zu den Besonderheiten von Sprengarbeiten in Bereichen von Kohlenflözen sowie Erschütterungsemissionen statt. Die ursprüngliche Intention, die Nachteile eines TVM-Vortriebs durch Alte Männer durch den größeren Auffahrquerschnitt im konventionellen Vortrieb (~30 m²) und die damit auch verbundene, größere Flexibilität zu kompensieren, konnte nach weiterer Planungs- und Analysearbeit nicht bestätigt werden. Analog der TVM-Variante ist eine sichere Beherrschung einer großen Spaltweite in Kombination mit einer unerschöpflichen Wasserspeisung mit ggf. großer Druckhöhe nicht gewährleistet. Zur Realisierung des Grubenwasserkanals wurde die bereits zuvor dargestellte Trassenanpassung vorgeschlagen und im Zusammenwirken mit der RAG durchgeführt. Hierbei erfolgt keine direkte Durchörterung von Alten Männern, diese werden mit einem Abstand von ca. 8-10 m überfahren. Der Anschluss dieser teilweise wasserführenden Bereiche erfolgt im Nachgang aus der Tübbingröhre heraus. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 61 Tunnelbau trifft Bergbau - Besondere technische Herausforderungen bei der Projektierung und Planung des Grubenwasserkanals Ibbenbüren Querschnittsgestaltung Grubenwasserkanal (Zwischenstand der Planung) Mit der aktuellen Trassen- und Gradientenführung liegen die maschinen- und verfahrenstechnischen Herausforderungen in der Beherrschung von Klüften mit und ohne Wasserzufluss. Als grundsätzliche Verfahrensvariante ist derzeit ein kombiniertes Schildmaschinenkonzept mit Flüssigkeitsstützung/ -transport und Erddruckstützung in der Detailanalyse. Hinsichtlich der grundsätzlich auf jedem Vortriebsmeter anzutreffenden Wasserzuflüsse - teilweise in großer Kubatur und mit größerer Druckhöhe - ist nach derzeitigem Kenntnisstand ein geschlossener, druckdichter Kreislauf von der Abbaukammer bis nach über Tage zielführend. 7. Querschnittsgestaltung Der Querschnittsgestaltung wurde von Anfang an große Aufmerksamkeit gewidmet, da sich hier wesentliche Abhängigkeiten für die Konstruktion, Dauerhaftigkeit und Wasserführung bündeln. Infolge eines Auffahrkonzepts mit Schildmaschine wird der Grubenwasserkanal aus Tübbingringen hergestellt, deren Detailausbildung (Anzahl Segmente, Bauteildicke, Bauteillänge etc.) derzeit noch erfolgt. Beispielhaft kann für die zahlreichen, diskutierten und designten Konzepte Abbildung 5 dienen. Die darin dargestellten Querschnitte berücksichtigen die getrennte Ableitung des Grubenwassers aus dem Ost- und Westfeld bis sich die Mineralisation des Wassers aus dem Ostfeld dem des Westfeldes angeglichen hat. Des Weiteren stellt die Abbildung den jüngsten Planungsstands zur Querschnittsdimension dar, mit der sich die bisherigen Überlegungen hinsichtlich eines DN 3200-Querschnitts auf Grund der Anforderungen aus Gerinneausbildung, Baulogistik und Sicherheitskonzept geändert haben (Vergrößerung auf DN 3600). Neben der Wasserableitung im Kanalquerschnitt besteht ein planerischer Schwerpunkt in der Konstruktion und dauerhaften Ausbildung der Dränagebohrungen und der zwischen Tübbingring und Gebirge befindlichen Verfüllung (Einkornkies). Hier sind die Einwirkungen aus hohen Sulfat- und Eisenkonzentrationen zu berücksichtigen. 8. Betriebliche Anforderungen Aufgrund der Tiefenlage und der großen Schachtabstände ergeben sich besondere Anforderungen an das Betriebskonzept. Für die Begehung des Grubenwasserkanals ist eine entsprechende Bewetterung notwendig. Wenn möglich, sollte der Lufteintrag über die Schächte erfolgen und auf einen durchgehenden Lüftungskanal in der Strecke verzichtet werden. Die Anordnung und Bemessung der Lüftungsanlagen werden im Rahmen der Planung der technischen Ausrüstung weiter untersucht. Aufgrund der Tiefe der Schächte von rd. 100 m (Schacht 1) und rd. 70 m (Mittelschacht) müssen ggf. Aufzüge für den Personen- und Materialtransport vorgesehen werden. Aufgrund der Eisenausfällungen ist von einer regelmäßigen Reinigung des Fließgerinnes auszugehen, auch weil Eisenausfällungen sich im Laufe der Zeit verfestigen (Goethit) und dann schwerer zu entfernen sind. Bei der Reinigung werden die bisherigen Erfahrungen der RAG Anthrazit Ibbenbüren (z. B. am Stollenbach) und die künftig zu erwartenden Eisenkonzentrationen im Grubenwasser berücksichtigt. Zur Reinigung des Gerinnes werden verschiedene Varianten betrachtet (Hochdruckreinigung, Bürsten o. Ä.). Auf Grundlage eines in Bearbeitung befindlichen Gut- 62 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Tunnelbau trifft Bergbau - Besondere technische Herausforderungen bei der Projektierung und Planung des Grubenwasserkanals Ibbenbüren achtens der Ruhr-Universität Bochum zur Verockerung wird in der weiteren Planung ein auf den zu erwartenden Eisenhydroxidanfall, die Reinigungsintervalle und die hydraulischen Randbedingungen ausgelegtes Reinigungssystem festgelegt bzw. entwickelt. 9. Zusammenfassung und Ausblick Der Grubenwasserkanal Ibbenbüren stellt aufgrund der beschriebenen Besonderheiten, wie z.B. die Grund- und Grubenwassersituation und der Klüftigkeit, hohe Anforderungen an die Maschinen- und Verfahrenstechnik. Die Dimensionen des Zwischenschachtes stellen hohe Ansprüche an die Tragwerksplanung und die Bauausführung. Infolge der Mineralisation des Wassers sind diverse Fragestellungen zur Dauerhaftigkeit des Dränagekonzepts sowie zur Baustoffwahl zu berücksichtigen. Literaturverzeichnis [1] Maidl, B.; Herrenknecht, M.; Maidl. U.; Wehrmeyer, G. (2011): Maschineller Tunnelbau im Schildvortrieb. 2. Auflage. Berlin: Wilhelm Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG [2] Thewes, M. (2014): Tunnelbau im Schildvortrieb. Verfahrenstechniken und Planungsgrundlagen. In: Bergmeister, K. (Hrsg.): Beton-Kalender 2014. Unterirdisches Bauen, Grundbau, Eurocode 7. 103. Jahrgang. Berlin: Wilhelm Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 63 Zweikammerlösung zur Koexistenz von Bahn und Fledermäusen in Bestandstunneln Dr.-Ing. Axel Möllmann, Dr.-Ing. Bernd-Michael Sulke Dr. Spang Ingenieurgesellschaft für Bauwesen, Geologie und Umwelttechnik mbH, Weilstraße 29, 73734 Esslingen Dipl.-Verw.wirt (FH) Michael Stierle, Dipl.-Geogr. Holger Schwolow Zweckverband Hermann-Hesse-Bahn, Landratsamt Calw, Vogteistraße 42-46, 75365 Calw Zusammenfassung Nach Einstellung des Bahnbetriebs auf dem Abschnitt Weil der Stadt - Calw der Württembergischen Schwarzwaldbahn Ende der 1980er-Jahre sind die beiden Bestandstunnel Forst und Hirsau durch Fledermäuse bevölkert. Das Artenschutzrecht sowie eine aus Sicht des amtlichen und privaten Naturschutzes schwierige Umsiedlung der Tiere stellt die Wiederaufnahme des Bahnbetriebs für die geplante Hermann-Hesse-Bahn in den beiden Tunneln vor Herausforderungen. Das Platzangebot in den ursprünglich für zwei Gleise konzipierten Tunneln bietet die Möglichkeit einer Doppelnutzung in einer sogenannten Bahn- und einer Fledermauskammer. Hierfür ist eine Trennwand zu beplanen, die als dauerhafte Konstruktion eine neuartige Lösung der Tunnelnutzung darstellt. 1. Einleitung Mit der Hermann-Hesse-Bahn strebt der Zweckverband Hermann-Hesse-Bahn (ZV HHB) die schienentechnische Anbindung des östlichen Landkreises Calw an die Region Stuttgart an, s. Bild 1. Bild 1: Strecke der Hermann-Hesse-Bahn mit Lage der beiden Bestandstunnel Vor einer erneuten Verkehrsaufnahme auf dem Streckenabschnitt Weil der Stadt - Calw ist der Wiederaufbau der Bestandsinfrastruktur auf diesem Abschnitt notwendig. Im Bestand sind zwei Tunnel vorhanden, der 696 m lange Forsttunnel und der 554 m lange Hirsauer Tunnel (auch „Welzbergtunnel“ genannt). Außerdem gibt es ent- 64 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Zweikammerlösung zur Koexistenz von Bahn und Fledermäusen in Bestandstunneln lang der Strecke insgesamt 18 Eisenbahnüberführungen. Weitere bemerkenswerte Erdbauwerke sind der 36 m tiefe Einschnitt ‚Im Hau‘ und der bis zu 64 m hohe Bahndamm bei Hirsau. In den beiden Bestandstunneln Forst und Hirsau an der Hermann-Hesse-Bahn, die beim Bau in den 1870er Jahren für zwei Gleise ausgelegt, zukünftig aber nur eingleisig betrieben werden, soll für die dort lebenden Fledermäuse eine Schutzeinrichtung gebaut werden. Hierfür soll in den Tunneln eine durchgehende Abtrennung eingezogen werden, um die „Bahnkammer“ von der „Fledermauskammer“ abzutrennen. Diese Abtrennung erfolgt durch eine Stahlkonstruktion mit vollflächiger Ausfachung durch Lärmschutzwandelemente. Die Abtrennung der Bahnkammer von der Fledermauskammer erfolgt mit erprobten Konstruktionen, die eine Bahnzulassung besitzen und auf die Erfordernisse der Kammerausführung angepasst werden können. Die Abtrennung ist, dann als Einhausung, um bis zu 80 m vor die Tunnelportale zu ziehen. Dabei ist für den weiter entfernt vom Portal liegenden Bereich der Stahlkonstruktion ein aufgeschraubtes Zaungitter mit zusätzlichem „Hasendraht“gewebe als Wand ausreichend. Als Dach ist eine feste Konstruktion mit Begrünung vorgesehen. 2. Gebirgsverhältnisse 2.1 Tunnel Forst Der Tunnel Forst kommt im Horizont der Zellenkalke und Dolomite bzw. der dolomitischen Kalkmergel und Mergelsteine der ausgelaugten Heilbronn-Formation oder auch Salinar-Formation zu liegen, welche dem Mittleren Muschelkalk (mm) zuzuordnen sind. Nach der Geologischen Karte (7218), Blatt Calw [1], steht im westlichen Tunnelabschnitt im Hangenden der Obere Muschelkalk (mo) an (vgl. Bild 2). Die ursprünglich steinsalzführenden Dolomit- und Kalkmergelsteine der Heilbronn-Formation sind im Untersuchungsbereich stark verwittert bzw. ausgelaugt. Die Verwitterungstiefe schwankt erfahrungsgemäß lokal um mehrere Meter. Der Verwitterungsbzw. Zersetzungsprozess hat zur Bildung der in diesem Bereich häufig anstehenden Zellenkalke geführt. Im Bereich des Westportals steht gemäß [2] größtenteils blauer bis grauer Wellenmergel an. Im tieferen Untergrund folgen Sandsteinformationen des Oberen und Mittleren Buntsandsteins (so und sm). Der Tunnel Forst quert die ca. 30 - 50 m breite Grabenbruchstruktur des Hengstetter Keupergrabens ungefähr in seiner Mitte. In diesem schmalen von Nordwesten nach Südosten verlaufenden Graben sind in der Grabenscholle die Schichten des Unterkeupers oberflächlich aufgeschlossen, der Versatz an den Grabenrandverwerfungen beträgt ca. 35 - 50 m. Die im Tunnel gefassten ergiebigen Quellen stehen mit den Störungszonen in direktem Zusammenhang. Hydrogeologisch bilden die anstehenden Schichten des Mittleren Muschelkalks eine Abfolge aus einem oberen Grundwasserleiter (Dolomite der Diemel-Fm. mit überlagernden Oberen Muschelkalk), einem Grundwassergeringleiter (ausgelaugte Heilbronn-Fm.) und einem weiteren Grundwasserleiter (Dolomite der Karlstadt-Fm.). Die Basis der Grundwasserleiter befindet sich jeweils an der Basis der Formationen. Der Tunnel Forst wirkt zusammen mit dem bis 1872 künstlich erstellten östlichen Voreinschnitt drainierend auf die Grund- und Schichtwasserkörper im Mittleren Muschelkalk. Die Schichtlagerungsverhältnisse führen zu einer natürlichen Grundwasserfließrichtung in südliche Richtung. Die bahnparallelen Entwässerungsgräben wirken als Vorfluter. Der Tunnel Forst und der östliche Voreinschnitt trennen hydrogeologisch einen ca. 6 - 7 km² großen, bis ca. 580 m hohen über-wiegend bewaldeten Höhenzug nördlich vom stratigraphisch gleich aufgebauten Gebiet südlich der Bahn. 2.2 Tunnel Hirsau Der Hirsauer Tunnel liegt gemäß [1] vollständig in der Vogesensandstein-Formation des Mittleren Buntsandsteins (sm) (Badischer Bausandstein und Geröllsandstein-Subformation). Im Hangenden stehen Schichten des Oberen Buntsandsteins (so) an. Die Mächtigkeit der Sandsteine der Vogesensandstein-Formation liegt zwischen ca. 150 bis 200 m. Die Formation wird gemäß [3] von weiteren Sandsteinformationen des Unteren Buntsandsteins (Eck-Formation) und des Oberen Buntsandsteins (Plattensandstein-Formation) unterbzw. überlagert. Die Gebirgsdurchlässigkeit wird in den Untersuchungsabschnitten des Buntsandsteines weitgehend von der Durchtrennung der Trennflächen bzw. in erster Linie von den Klüften bestimmt. Die Gesteinsdurchlässigkeit ist demgegenüber vernachlässigbar gering. Der geschlossene Bergwasserspiegel liegt im Bereich des Buntsandsteines vermutlich auf Höhe der Nagold und somit deutlich unterhalb der Trasse der Hermann-Hesse-Bahn. Bild 2: Auszug der Geol. Karte [1] im Bereich der Tunnel Forst und Hirsau 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 65 Zweikammerlösung zur Koexistenz von Bahn und Fledermäusen in Bestandstunneln 3. Entwicklung der Tragkonstruktion 3.1 Anforderungen des Artenschutzes Ein Pflichtenheft für die Trennkonstruktion zwischen Bahn- und Fledermauskammer liegt nicht vor. Vielmehr wurden die Anforderungen an die Konstruktion in dem auf verschiedenen Ebenen laufenden Abstimmungsprozess iterativ herausgearbeitet. Aus Sicht des Fledermausschutzes sind gemäß [4] insbesondere folgende Anforderungen zu erfüllen: - Priorität hat der Schutz der Tiere vor einer Kollision mit der durchfahrenden Eisenbahn. Aufgrund dessen sind Fugen in der Konstruktion auf ein Minimum zu reduzieren. Als zu tolerierende Fugenbreite wird für die kleinste Fledermausart 1 cm angegeben. - Weiterhin sind die Tiere vor den im Hinblick auf Verwirbelungen lebensbedrohenden Auswirkungen des Drucks und Sogs zu schützen, die durch die durchfahrende Eisenbahn erzeugt werden. Damit ist gemeint, dass fliegende Tiere nicht durch den Luftdruck gegen Hindernisse, z.B. die Trennkonstruktion selbst, gedrückt oder gesogen werden. Auf dieser Grundlage war in der Variantenbetrachtung eine Abtrennung durch ein Gitternetz ausgeschlossen worden. Eine vollständige Druckdichtheit ist nicht erforderlich. Z.B. werden Fugen in einer Konstruktion aus Fertigteilen ähnlich einer Schallschutzwand nicht als kritisch angesehen. Eine für die Tiere noch verträgliche Druck- und Sogstärke wird von Seiten der Umweltgutachter mit kurzzeitigen Druckschwankungen nicht über 100 hPa und mit maximal 20 hPa je Minute gemäß [5] angegeben. - Die Konstruktion soll „lichtdicht“ sein. - Die Trennkonstruktion soll, zusätzlich zu den bereits vorhandenen Spalten im Tunnelgewölbe, Hangmöglichkeiten oder die Möglichkeit zur Befestigung von Quartierkästen in Form von z.B. Hohlblocksteinen oder Lichtbahnen bieten. - Ein Schutz gegen Lärm, Erschütterungen, Abgase und Temperaturerhöhung wird gegenüber den oberen Anforderungen mit geringerer Priorität eingestuft. 3.2 Lastannahmen Für die Ermittlung der Beanspruchung aus dem durchfahrenden Zug auf die Trennkonstruktion im Tunnel als auch die Ermittlung der durch die Trennkonstruktion übertragenen Druckschwankungen im Fledermaustunnel wurden eindimensionale Strömungssimulationen gemäß [6] durchgeführt. Dabei wurde der Einfluss der sich leicht verformenden Trennwand, sowie Leckageströmungen durch diese Wand berücksichtigt. Die Umströmung der Druckschwankung während der Einfahrt des Zuges in das Tunnelportal wurde mittels einer dreidimensionalen CFD (Computational Fluid Dynamics) Simulation gemäß [6] untersucht, um die resultierenden Druckverluste in die eindimensionalen Berechnungen zu integrieren. Danach ergeben sich als Beanspruchungswerte aus einem Zug der DB-Baureihe 430 (größer als der Regio-Shuttle, Baureihe 650) auf die Trennwand bei einer Fahrgeschwindigkeit des Zuges von 100 km/ h Druckschwankungen im Falle einer Trennwand ohne Leckage von bis zu ±11,2 hPa für portalnahe Bereiche des Tunnel Forst. Für den Tunnel Hirsau ergibt sich aufgrund der hier geringer angesetzten Fahrgeschwindigkeit des Zuges von 90 km/ h eine Druckdifferenz von bis zu ±7,4 hPa für portalnahe Bereiche, wenn hier ebenfalls für eine völlig dichte Trennwand ohne Leckage die Druckschwankung ungünstig vorausgesetzt wird. 3.3 Statische Systemvarianten Tunneltrennwand Es wurden zunächst Stahlstützen im Tunnel als Kragträger als gestalterische und konstruktive Variante untersucht, s. Bild 3 a). Dieses System bedingt große Fußmomente, die eine Gründung mit je 4 Mikropfählen je Fundament erfordern. Um die Stützweite der Träger auszunutzen, sind starke Stahlprofile nötig. Die Verformungen im Firstbereich sind relativ groß. Eine Lückenbildung, die Fledermäusen einen Durchschlupf gewährt, ist kaum zu vermeiden. Bei fehlenden Längsverbänden erhöhen sich die Fußbeanspruchungen zusätzlich. Eine obere Halterung der Kammerwand ist dringend erforderlich. Durch die Halterung der Stahlstützen im Tunnel an der Trägerspitze nahe der Tunnelfirste werden die Einspannmomente unten am Fundament verringert, so dass eine Flachgründung möglich wird, s. Bild 3 b). Das Einsetzen der Ausfachungselemente erfolgt durch Fensteröffnungen in den Pfetten, sogenannte „Flanschfenster“, die nach der Montage mit aufgeschraubten Blechplatten abgedeckt werden. Wegen diesen erforderlichen „Flanschfenstern“ zum Ein- und Ausschieben von Lärmschutzelementen sind Profile mittlerer Größe zur Aufnahme von Torsionsmomenten aus aerodynamischer Belastung aufgrund der Ermüdungsfestigkeit mindestens erforderlich. Die Verformungen der Wand sind gegenüber der Kragkonstruktion stark reduziert. Ungünstig sind die Horizontallasten im Firstbereich der Tunnelschale. Diese Beanspruchung sollte vermieden werden. Bild 3: Statische Systemvarianten der Tunneltrennwand, a) Kragarm, b) Festhalterung an der Tunnelfirste, c) Seitliche Abspannung 66 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Zweikammerlösung zur Koexistenz von Bahn und Fledermäusen in Bestandstunneln Auch durch Stahlstützen mit horizontaler Halterung am oberen Knick werden die Einspannmomente unten am Fundament verringert, so dass eine Flachgründung möglich wird, s. Bild 3 c). Wegen der „Flanschfenster“ zum Ein- und Ausschieben von Lärmschutzelementen sind Profile mittlerer Größe mindestens erforderlich. Auch hier ist eine Torsion aus aerodynamischer Belastung und die resultierende Ermüdungsbeanspruchung zu beachten. Die Verformungen der Wand sind stark reduziert. Längsverbände sind empfehlenswert, um die Fußbeanspruchungen zu vermindern. Die obere Halterung erhält überwiegend Horizontallasten, die unterhalb der Tunnelfirste ins Gebirge abgetragen werden können. Für die Auflagerung des Stützenfußes wurde auf eine Einspannung verzichtet und auf eine einfachere gelenkige Lagerung zurückgegriffen, um Fundamentabmessungen gering zu halten. Eine weitere Variantenuntersuchung dient der Anordnung der Lärmschutzelemente. Wenn horizontal liegende Wandelemente eingebaut werden, sind leichtere Pfetten in Längsrichtung möglich. Die „Flanschfenster“ bedingen jedoch größere Stahlprofile für die Hauptträger. Der Aus- und Einbau von 5 m langen Wandelementen ist aufwändig und könnte ein zweites Hubgerät erforderlich machen. Alternativ können Wandelemente auch vertikal angeordnet werden. Bei dieser Wahl mit Wandelementen mit Maximallängen von 2,50 m ist ein leichterer Ein- und Ausbau mit einem Hubgerät möglich. Die von Stütze zu Stütze spannenden Pfetten müssen dafür aus zusammengeschweißten Profilen etwas stärker ausgebildet werden als bei horizontal angeordneten Wand-elementen. Die Stützen können aber ohne Fenster hergestellt werden. Für die Ausführung wird diese Variante gewählt. 3.4 Materialvarianten Stahl oder Beton Eine weitere Variantenbetrachtung gilt der Materialwahl der Trennwand. Gegenüber einer leichten Stahlkonstruktion bietet eine Trennwand aus Stahlbeton durch das größere Eigengewicht Vorteile hinsichtlich des Lärm- und Erschütterungsschutzes. Weiterhin kann durch Aneinanderreihung von Wandelementen die Anzahl der Fugen gegenüber einer modularen Stahlkonstruktion reduziert werden. Für eine Trennwand aus Beton wurde weiterhin die Möglichkeit gesehen, eine Befestigung gemäß der im vorstehenden Abschnitt untersuchten statischen Variante b) im Bereich der Tunnelfirste vorzusehen und sich damit die Horizontalstrebe in der Fledermauskammer einzusparen (s. Bild 4). Materialbedingte Vorteile werden jedoch durch eine Vielzahl von Nachteilen der Betonkonstruktion aufgewogen. Das erheblich größere Eigengewicht bedeutet neben der Abtragung größerer Lasten ins Gebirge den Einsatz schwerer Geräte für die Montage und die Demontage im Inspektionsfall. Hierzu werden Montageseile und zusätzliche Verankerungen ins Gebirge in Verbindung mit zusätzlichen Perforationen des Tunnelgewölbes erforderlich. Dies führt zu einer erhöhten Montagedauer. Eine Lasteinleitung im Bereich der Tunnelfirste ist aufgrund der dominierenden Abtragung von Horizontalkräften aus Druck und Sog des vorbeifahrenden Zugs in statischer Hinsicht ungünstiger. Durch die Lage des Tunnels Hirsau in einer Doppelkurve bietet die modulare Stahltrennwand mit Alu-Ausfachung genügend Freiheitsgrade für eine Anpassung an den jeweiligen Kurvenradius, während die Wandelemente aus Beton konische Sonderelemente erfordern oder ungleichmäßige Fugenbreiten hervorrufen. Bild 4: Materialvariante der Trennwand aus Stahlbeton mit Befestigung im Bereich der Tunnelfirste Neben einem Kostenvorteil zugunsten der Trennwand als Stahlkonstruktion mit Lärmschutzelementen aus Aluminium ergibt sich auch der Vorteil der geringeren Bauzeit. Die im Abschnitt 4 behandelte erforderliche Inspektion des Tunnelgewölbes führt aufgrund der beengten Platzverhältnisse im Tunnel zu einer teilweisen Demontage der Trennwand. Auch dadurch ergeben sich wiederkehrende Vorteile für die leichte Stahltrennwand. 3.5 Konstruktion der Tunneltrennwand Nach den Anforderungen der Lichtraumprofile der Bahn und den Anforderungen des Umweltschutzes für die Fledermaus-Bereiche werden die beiden Tunnel Forst und Hirsau durch eine Trennwand unterteilt, s. Bild 5. Im Bahntunnel wird ein Fluchtweg sowie eine mögliche 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 67 Zweikammerlösung zur Koexistenz von Bahn und Fledermäusen in Bestandstunneln spätere Elektrifizierung mit Stromschiene berücksichtigt und für die Fledermäuse wird der Luftraum durch die Verwendung von Gleistragplatten und der dadurch möglichen tieferen Gleislage optimiert. Aufgrund der Lage der Trennwand sowohl im Außenradius als auch im Innenradius im Tunnel Hirsau wurden hierfür zwei unterschiedliche Stützengeometrien entwickelt. Die Tunnelsohle wird auf das neue Niveau ausgehoben und die Fundamente für die Stützkonstruktion der Kammerwände werden hergestellt. Es sind Flachgrün-dungen, auf denen die Stahlstützen mit Fußplatten aufgesetzt und befestigt werden. Die neuen Gleise werden auf Gleistragplatten verlegt, um durch die geringere Unterbaumächtigkeit mehr Höhe und damit mehr Gewölbefläche für die Fledermäuse zu gewinnen. Stahlbetonschürzen verbinden die Stützen untereinander und bieten den Ausfachungselementen der Wand eine horizontale Aufstellfläche. An der Unterseite sind die Schürzen dem Längsgefälle des Tunnels angepasst. Die zweifach abknickenden Stahlstützen werden im Abstand von ca. 5,0 m aufgestellt und im oberen Bereich mit einer Horizontalabspannung seitlich durch die Tunnelwandung ins Gebirge abgestützt. Die Befestigung erfolgt mit horizontalen Mikropfählen, die ca. 6,0 m weit in die Tunnellaibung eingebohrt werden. Damit werden eventuell vorhandene Entwässerungsbereiche und sonstige Hohlräume hinter der Tunnelschale überbrückt. Die Verpressung der Mikropfähle, die doppelten Korrosionsschutz erhalten, erfolgt auf mindestens 2 m bis 3 m Länge im Fels. Bild 5: Quer- und Längsschnitt der Trennwand im Tunnel Hirsau In Tunnellängsrichtung werden horizontale Stahlpfetten zum Halten der vertikalen Ausfachungselemente zwischen den Stützen vorgesehen. Die Stabilisierung der gesamten Konstruktion erfolgt durch gekreuzte Zugdiagonalen, die ebenfalls mit Knotenblechen und Schrauben verbunden werden. Als Ausfachungselemente werden typengeprüfte Lärmschutzelemente aus Aluminium eingesetzt, deren Länge kleiner als 3,00 m und deren Breite ca. 0,50 m beträgt. Alle verbleibenden Fugen werden mit Gummielementen verschlossen. Um ein Durchschlüpfen von Fledermäusen aus der Fledermauskammer über Fugen in die Hohlräume hinter dem Gewölbe in die Bahnkammer zu verhindern, ist eine leichte, engmaschige Übernetzung in der Bahnkammer durch ein Kunststoffnetz vorgesehen. 3.6 Einhausung in den Tunnelvoreinschnitten Um ein Einfliegen der Fledermäuse in die Bahnkammer zu verhindern, ist die Tunneltrennwand vor den Portalen als Einhausung weiterzuführen. Da die Fledermäuse erst kurz vor den Portalen aus dem höheren Luftraum in die Tunnel einfliegen, reicht eine Länge der Einhausung von 80 m vor den Portalen aus. Die Einhausung der Bahn im Bereich vor den Portalen erfolgt mit Stahlstützen als Verlängerung der Kammerwand im Tunnel und um die Bahnachse gespiegelt mit einer weiteren Stützenreihe, die beide durch einen Riegel verbunden werden, s. Bild 6. Die Stützen der Einhausung erhalten nur einen Knick, der obere Knick der Tunnelwand wird hier vermieden, um so eine größere Dachbreite zu erreichen. Die oberen Rahmenriegel tragen die Dachkonstruktion, bestehend aus Pfetten über 5,0 m und Trapezprofilen als Dach. Das Dach wird für eine Begrünung eingerichtet. Im Bereich vor und hinter jedem Tunnel wird auf je 40 m Länge eine geschlossene Einhausung des Bahnbereiches vorgenommen, damit die Fledermäuse nicht durch Licht und Schall bei der Einfahrt des Zuges in den Tunnel selbst gestört werden. Die Einhausung muss licht- und schalldicht sein, d.h. wie die Trennwand ausgebildet werden. Zusätzlich erhält dieser Tunnelabschnitt im Freien ein stählernes Dach mit Begrünung. In einer Entfernung von 40 m bis 80 m von den Tunnelportalen werden die Wände der Einhausung durch Zaungitter aus Doppelstabmatten mit Maschenweite 50 x 200 mm, feuerverzinkt, gebildet. Darüber wird ein Hasendrahtgewebe aus Sechseckgeflecht mit Maschung 13 mm, feuerverzinkt gelegt, z.B., damit Fledermäuse nicht durch das Gitter schlüpfen können. Die Fundamente müssen wegen Frosttiefe bis ca. 1,0 m unter Gelände reichen. Im Voreinschnitt muss zusätzlich untersucht werden, ob die nahen Seitenwände und der Wassergraben eine normale Flachgründung erlauben oder eine Gründung auf Mikropfählen erfordern. Beim Graben müssen einzelne Fundamente mit einem integrierten Durchflussrohr versehen sein, um die Entwässerung nicht zu behindern. 68 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Zweikammerlösung zur Koexistenz von Bahn und Fledermäusen in Bestandstunneln Bild 6: Querschnitt der Einhausung vor dem Tunnel Hirsau Zur Sanierung der in den Voreinschnitt einleitenden Entwässerungsrinnen, die sich auch bereits vor den durch Stützmauern gestützten Einschnittsböschungen befinden, werden diese vorlaufend von Erdmaterial und Bewuchs befreit. 4. Aspekte der Tunnelinspektion Bereits in einem frühen Planungsstadium wurde der vorgeschriebenen regelmäßigen Inspektion des Tunnelgewölbes aus einer Mauerwerksschale besondere Beachtung geschenkt. Durch den Einbau der Trennwand verringert sich die Einsehbarkeit und die Erreichbarkeit des Tunnelgewölbes erheblich. Bild 7: Inspektion des Tunnels durch Hubsteiger, Kameraschienen und Leitergerüst mit Korb an Fahrschienen Für die jährliche Sichtprüfung des Tunnelgewölbes werden daher Kameraschienen vorgesehen, die an der Trennwand und an der Horizontalabspannung angebracht werden (vgl. Bild 7). Damit kann eine Kamerabefahrung der Fledermauskammer und insbesondere des spitz zulaufenden, firstnahen Bereichs erfolgen. Für die im Dreijahresrhythmus erforderliche Hauptprüfung muss die Möglichkeit bestehen, jeden Punkt des Tunnelgewölbes durch Abklopfen auf Schwachstellen hin zu überprüfen. Da die Fledermauskammer durch Fahrzeuge unerreichbar ist, kann eine Inspektion im Ulmenbereich nur fußläufig erfolgen. Im höherliegenden Kämpferbereich kann eine Begehung mithilfe einer befestigten Leiter erfolgen. Aus Gründen der Arbeitssicherheit ist dann ein Fahrkorb in zwei unterschiedlichen Höhen anzuordnen, mit dem der Prüfer die jeweiligen Gewölbebereiche erreichen kann. Im firstnahen Bereich scheidet eine Inspektion von einer Leiter aus. Es wird ein Ausbau der Lärmschutz-elemente oberhalb der Horizontalabspannung erforderlich. Die Inspektion kann vom Hubsteiger aus der Bahnkammer erfolgen. Der Zeitbedarf für den Ein- und Ausbau der Elemente für die Inspektion ist einzuplanen. Lärmschutzelemente sind temporär im Tunnel abzulegen, sofern für die Inspektion eine ausgedehnte Sperrpause des Bahnbetriebs zur Verfügung steht. Für eine Inspektion in nächtlichen Sperrpausen müssen die Elemente außerhalb des Lichtraums und des Rettungswegs gelagert werden. Das in der Bahnkammer vorgesehene Kunststoffnetz muss leicht demontierbar befestigt werden, um eine Inspektion des Gewölbes in der Bahnkammer zu erlauben. Es soll an Haken mit offenen Ösen ins Tunnelgewölbe befestigt werden. 5. Brandschutz Es gelten die Anforderungen des Brand- und Katastrophenschutzes an den Bau und Betrieb von Eisenbahntunneln [7]. Da beide Tunnel jeweils länger als 500 m sind - Tunnel Forst 696 m und Tunnel Hirsau 554 m - fallen sie prinzipiell unter diese EBA-Richtlinie. In diesem Zusammenhang sei auf die EBA-Richtlinie, Seite 5, verwiesen, dass bei vorhandenen Tunneln abzuwägen ist, ob die EBA-Richtlinie in vollem Umfang oder auf andere Weise sinngemäß anzuwenden ist. Gemäß den geltenden Brandschutzvorschriften im Hochbau besitzen die verwendeten Stahlprofile eine Feuerstandsicherheit von über 30 Minuten. Da sich die Brandstelle in einem Tunnel befindet, werden jedoch gegenüber den Hochbauvorschriften höhere Temperaturen über einen längeren Zeitraum maßgebend. Der Temperatur-Zeitverlauf im Tunnel ist nach ZTV-Ing, Teil 5 [8], anzusetzen, jedoch gemäß EBA-Richtlinie mit 60 Minuten Branddauer bei 1.200°C (gilt für Tunnelbauwerke ab L > 500 m). Es ergibt sich gemäß [9] die zeitliche Temperaturentwicklung beim Stützenprofil HEB 240 gemäß Bild 8. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 69 Zweikammerlösung zur Koexistenz von Bahn und Fledermäusen in Bestandstunneln Mit einem Diagramm gemäß [10] kann der mögliche Ausnutzungsgrad von Stahl bei Biegeträgern in Abhängigkeit von der Temperatur ermittelt werden. Unter der Voraussetzung, dass im Brandfall keine Zugbewegungen mehr vorhanden sind, so dass Druck- und Sogbeanspruchungen der Wand entfallen, beträgt die Stahlausnutzung unter ständigen Lasten (Eigengewicht) ca. 0,07, was gemäß [10] eine kritische Temperatur von ca. 880° liefert. Vergleicht man dies mit der Temperaturentwicklung gemäß Bild 8, so ergibt sich eine Standzeit des Stützenprofils von ca. 9,25 Minuten. Bild 8: EBA-Kurve gemäß [7] (rot) und Temperaturentwicklung eines Stahlprofils HEB 240 (blau) In gleicher Weise kann die Standzeit für die Pfetten und die Diagonalen der Trennwand ermittelt werden. Es ergibt sich für die kleineren Stahlquerschnitte eine geringe Feuerwiderstandsdauer. Für die Diagonalen beträgt diese nur knapp sechs Minuten. Die eigentliche Schwachstelle hinsichtlich des Brandschutzes der Trennwand liegt jedoch bei den Lärmschutzelementen aus einer Aluminium-Haut. In ähnlicher Weise wie bei der Brandbemessung für den Stahl kann der Reduktionsfaktor aus der Bemessung für Eigengewicht zu 0,064 bestimmt werden, mit dem aus Tabellenwerten gemäß [11] eine hinreichende Entfestigung bei einer kritischen Temperatur für die Aluminiumlegierung zu 360°C bestimmt werden kann. Aufgrund der geringen Standzeit und der außerordentlich hohen Temperaturen, die bei der Brandbemessung gemäß EBA-Richtlinie [7] anzusetzen sind, wurde eine eigene Brandsimulation in Verbindung mit einer Ermittlung der Fluchtzeiten für die auf der Strecke der Hermann-Hesse-Bahn vorgesehenen Zugtypen beauftragt. Ein Vergleich der Standzeit der Konstruktion mit der Entfluchtungsdauer aus dem Tunnel ist derzeit noch in der Erstellung. 6. Fazit Zur Einhaltung des erforderlichen Lichtraumprofils der Bahn einschließlich einer nachrüstbaren Elektrifizierung und gleichzeitiger Maximierung der Querschnitts- und Gewölbefläche der Fledermauskammer wird eine zur Bahnkammer hin abknickende Geometrie der Trennwand gewählt. Zur Aufnahme des Kragmoments erfolgt eine Abspannung der Trennwand mittels einer Zugverankerung durch das zu perforierende Tunnelgewölbe ins Gebirge, die auch unter dem Aspekt einer möglichst geringen Störung des Kräfteflusses im Gebirge favorisiert wird. Die Tragkonstruktion der Trennwand bilden damit Stahlstützen mit dazwischen horizontal angeordneten Stahlpfetten, die die Ausfachung durch Lärmschutzelemente fassen. Neben den artenschutzrechtlichen Anforderungen hinsichtlich der Abschirmung von Druck und Sog, Schall, Licht, Temperatur und Abgasen aus dem Zugverkehr sind betriebstechnische Aspekte wie die regelmäßige Inspektion des Tunnelgewölbes zu berücksichtigen. Da die Trennwand die Sicht bzw. die Zugänglichkeit zur bestehenden Mauerwerksschale behindert, werden Schienen für eine Kamerabefahrung und eine eigene Leiterkonstruktion vorgesehen. Außerdem ist eine teilweise Demontage von Lärmschutzelementen für den Inspektionsfall geboten. In den Voreinschnitten der beiden Tunnel ist die Trennwandkonstruktion als Einhausung über die Portale hinaus weiterzuführen, die damit den Fledermäusen als Leitstruktur dienen soll. Literaturangaben [1] Geologische Karte von Baden-Württemberg, Blatt 7218, Calw, 1: 25.000 mit Erläuterungen; Geologisches Landesamt Baden-Württemberg, Stuttgart, Ber. Auflage 1982. [2] Württembergs Eisenbahnen mit Land und Leuten an der Bahn; Oscar Fraas. Schweizerbart, Stuttgart 1880 (Nachdruck 1986). [3] Geologie von Baden-Württemberg, 5. Auflage; O.F. Geyer / M.P. Gwinner, Schweizerbart, Stuttgart, 2011. [4] Besprechungsniederschrift, Planungsbesprechung Kammerlösung am 12.02.2018, Mailänder Consult GmbH und Zweckverband Hermann-Hesse-Bahn, 2018. [5] Vereinbarung zur Umsetzung der Infrastrukturmaßnahme „Hermann-Hesse-Bahn“ im Bereich der Tunnelbauwerke „Hirsauer Tunnel“ und „Forsttunnel“, Anlage A2: Artenschutzkonzept 1 Fledermäuse, Zweckverband Hermann-Hesse-Bahn und Naturschutzbund Deutschland Landesverband Baden-Württemberg e.V., 29.05.2019. [6] Hermann-Hesse-Bahn, Kammerlösung, Strömungssimulation Bestandstunnel, enGits GmbH, Todtnau, 16.10.2019. [7] Anforderungen des Brand- und Katastrophenschutzes an den Bau und Betrieb von Eisenbahntunneln, Anpassung in Folge nationaler Einführung der TSI - SRT (Technische Spezifikation für die Interoperabilität - Safety in Railway Tunnels), Stand 01.07.2008. [8] ZTV-ING Teil 5 - Tunnelbau, Bundesanstalt für Straßenwesen, Stand 2018/ 01. 70 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Zweikammerlösung zur Koexistenz von Bahn und Fledermäusen in Bestandstunneln [9] Mensinger, M., Stadler, M., Brandschutznachweise, Workshop Eurocode 3, Rechenbeispiele, 08.11.2008. [10] Feuerwiderstand von Bauteilen aus Stahl (Nomogramme gemäß DIN EN 1993-1-2: 2005), bauforumstahl e.V. [11] DIN EN 1999-1-2, Eurocode 9: Bemessung und Konstruktion von Aluminiumtragwerken -, Teil 1-2: Tragwerksbemessung für den Brandfall; Deutsche Fassung EN 1999-1-2: 2007 + AC: 2009; Deutsches Institut für Normung e.V., Beuth-Verlag, 12/ 2010. Tunnelbau - Ausführung 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 73 Planerische und bautechnische Herausforderungen beim Tunnelprojekt Vötting auf der neuen Westtangente Freising Marco Vogel M.Sc. BUNG Ingenieure AG, München, Deutschland Dipl.-Ing. Moritz Bock EDR GmbH, München, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Manfred Keuser BUNG GmbH, München, Deutschland Zusammenfassung Die neue Westtangente Freising soll die Stadt Freising vom stetig ansteigenden Verkehr entlasten. Eine Herausforderung dabei stellen insbesondere die Planung und Herstellung des dafür erforderlichen Tunnelbauwerks dar. Die Herstellung des ersten Abschnitts des insgesamt 705 m langen Tunnels erfolgt in bergmännischer Bauweise teilweise unter bestehender Bebauung mit geringer Überdeckungshöhe. Durch den Einsatz eines Acrylatgel-injizierten Spießschirms konnten Setzungen auf ein Minimum begrenzt werden. Als Übergangsbauwerk zum zweiten Abschnitt in Bohrpfahl-Deckelbauweise befindet sich ein ca. 30 m tiefer Bohrpfahlwandverbau. Aus den verschiedenen Aus- und Umsteifungsphasen während des Aushubs und dem Bau eines Schachtbauwerks sowie einer aufwändigen Grundwasserhaltung resultierten komplexe planerische und bautechnische Aufgabenstellungen. Im Bereich der Deckel- und Trogbauweise musste aufgrund fehlender bzw. zu hoch angetroffener dichter Bodenschichten (Stauer) eine Weichgelsohle sowie eine aufwändige HDI-Dichtschürze zusätzlich eingebracht werden, die das Grundwasser während der Bauzeit abhalten sollen. 1. Einleitung Um die Stadt Freising insbesondere vom Durchgangsverkehr zu entlasten, ist eine Umfahrung im Westen der Universitätsstadt notwendig. Bereits 1972 war diese in den Flächennutzungsplan der Stadt aufgenommen worden. Da auch in Zukunft der Verkehr in und um Freising ansteigen wird, wird zur Entlastung der Innenstadt die Planung und der Bau der Westtangente Freising mit einer Länge von etwa 3,6 km und 12 Ingenieurbauwerke (11 Brücken und 1 Tunnel) vorangetrieben. Sie verknüpft die Staatsstraße 2084 im Nordwesten mit der Bundesstraße B11 im Südosten der Stadt. Im Nordabschnitt der Umfahrung, im Bereich des Ortsteils Vötting, befindet sich ein 705 m langes Tunnel- und Rampenbauwerk. Der Tunnelbereich wird dabei aufgrund der hydrogeologischen und baulichen Randbedingungen über 460 m in bergmännischer Bauweise und über 245 m in Deckel- und Offener Bauweise geplant, dessen Planung und Herstellung die Ingenieure vor eine große Herausforderung stellen. Der Spatenstich der Gesamtmaßnahme wurde im Mai 2015 abgehalten. Im Dezember 2016 begannen die Arbeiten für den Tunnel. Der feierliche Tunnelanstich fand im Mai 2017 statt. Der ursprünglich geplante Fertigstellungstermin des Tunnelbauwerks hat sich aufgrund von unvorhergesehenen geologischen Gegebenheiten von Ende 2019 auf Ende 2020 verschoben. Die Verkehrsfreigabe der Gesamtstrecke ist derzeit für Spätsommer 2021 geplant. 2. Bergmännische Bauweise Die ersten 460 m des Tunnels von Bau-km 0+300 bis 0+760 werden in bergmännischer Bauweise vorgetrieben. Die Schwierigkeiten hierbei waren insbesondere der heterogene tertiär geprägte Baugrund sowie die teilweise geringe Überdeckungshöhe von bis zu 5 m neben bestehender Bebauung. Zudem wurde vorab eine umfangreiche Brunnengalerie zur Absenkung des Grundwasserstandes im Vortriebsbereich errichtet. Der Spritzbetonvortrieb mit vorauseilender Sicherung wurde in Kalottensowie Strossen- und Sohlquerschnitt unterteilt. Je nach geologischen Verhältnissen sind im Vorfeld unterschiedliche Vortriebsklassen festgelegt worden, die sich im Wesentlichen hinsichtlich der vorauseilenden Sicherung und der Abschlagslänge unterscheiden. Zur Beurteilung der bei der Herstellung des Tunnels auftretenden Setzungen bzw. Setzungsmulden an der Ge- 74 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Planerische und bautechnische Herausforderungen beim Tunnelprojekt Vötting auf der neuen Westtangente Freising ländeoberfläche wurden vor Beginn der Baumaßnahme und als Grundlage für die Überwachung während des Vortriebs 2D Verformungsberechnungen durchgeführt. Die Ergebnisse der statischen Berechnungen mit variierenden Bodenkennwerten wurden anschließend bei der Definition der Warn- und Alarmwerte herangezogen. Durch das Anbringen verschiedener Messpunkte an der Außenschale für die Untertagemessungen und an der Geländeoberfläche für die Obertagemessungen konnten während des Vortriebs alle wesentlichen Verformungen erfasst werden. Abbildung 1: Messquerschnitt für die Obertagemessungen im Bereich der bergmännischen Bauweise [1] Insbesondere für den Bereich mit geringer Überdeckungshöhe und nebenliegender Bebauung wurde zusätzlich ein Deformationsmonitoringsystem der Firma Leica Geosystems AG errichtet, das eine permanente, onlinebasierte Aufzeichnung von Oberflächenverformungen und somit eine schnelle Auswertung der auftretenden Verformungen ermöglicht hat. Hierdurch konnten mögliche vortriebverursachten Setzungen frühzeitig erkannt und so auf die Sicherungsmaßnahmen im Vortrieb Einfluss genommen werden. 2.1 Acrylatgel injizierter Spießschirm Im Bereich von Bau-km 0+600 bis 0+760 wurde gemäß Ausschreibung eine Sicherung mit Rohrschirm vorgesehen. Grund hierfür sind die unmittelbar im Einflussbereich des Tunnelvortriebs liegende Bebauung, die geologischen Verhältnisse, geringe Überdeckungshöhe sowie die angenommene Verkehrslast einer Anliegerstraße über dem Tunnel. Mit fortschreitendem Bauablauf wurde abweichend zur ursprünglichen Planung der Straßenbereich „Am Mitterfeld“ aufgrund des Baubetriebs und der Baulogistik gesperrt, wodurch der Ansatz einer oberflächennahen Verkehrslast entfallen und mit einer geringeren Auflast gerechnet werden konnte. Infolge der Reduzierung der rechnerischen Beanspruchungssituation konnten weitere Lösungsansätze für die Vortriebssicherung in diesem Bereich untersucht werden. Als vorauseilende Sicherung für den Vortrieb im Regelbereich vor dem o.g. Bereich wurde ein Bohrspießschirm eingebaut. Dabei wurde jedoch festgestellt, dass beim Einbohren der 4 bzw. 6 m langen Spieße (D = 51 mm) ein relativ großer Materialaustrag einhergeht. Dies hatte das Auftreten von Setzungen begünstigt. Daher wurden im weiteren Vortrieb die Bohrspieße durch Rammspieße ersetzt. Durch das Rammen der Rohre konnte ein Bodenaustrag vollständig vermieden werden. Zudem wird durch die beim Rammen der Spieße entstehende Bodenverdrängung das Sandgefüge verdichtet, was wiederum zu einer Reduzierung möglicher Bodenausrieselungen zwischen den Spießen führt. Im betrachteten Bereich von Bau-km 0+600 bis 0+760 führt der Tunnel sehr nahe unter bestehender Bebauung vorbei. Hier mussten Setzungen bzw. insbesondere Setzungsmulden, welche zu Schiefstellungen der Gebäude führen könnten, auf ein Minimum begrenzt werden, um das Risiko möglicher Schäden an der Bebauung gering zu halten. Beim geplanten Vortrieb mittels Rohrschirm wurde das Risiko von Schäden unter Beachtung der bis dahin gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen im Vortrieb insbesondere aufgrund des Herstellungsverfahrens als kritisch beurteilt. Abbildung 2: Geländeschnitt Querschnitt im Bereich der bergmännischen Bauweise mit Bebauung [2] Das Sicherheitskonzept wurde daher an die anstehenden Bedingungen in diesem Bereich angepasst, damit der Tunnel sicher und gleichzeitig in wirtschaftlich optimierter Arbeitsweise hergestellt werden kann. Die Arge Tunnel Vötting hat in Zusammenarbeit mit dem Zentrum Geotechnik der TU München, verschiedenen Ingenieurbüros und Materialherstellern die bereits zuvor angewandte vorauseilende Sicherung mittels Rammspießschirm geringfügig modifiziert, sodass optimale Vortriebsverhältnisse geschaffen werden konnten. Im Zuge der Optimierung wurden Perforationslöcher in einem Raster von 50 cm in die Spießrohre gebohrt, wodurch es möglich war, Injektionen über die Spieße zu setzen. Mittels des gerammten Spießschirms in Kombination mit dem gezielten Injizieren eines Acrylatgels über die Spieße wird das Gebirge um den auszubrechenden Querschnitt herum zu einem geschlossenen und stabilen Schirm vergütet, um den nächsten Abschlag zu sichern. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 75 Planerische und bautechnische Herausforderungen beim Tunnelprojekt Vötting auf der neuen Westtangente Freising Abbildung 3: Skizze des Acrylatgel-injizierten Spießschirms [4] Da Zement- oder Feinstzementsuspensionen, aufgrund der vorhandenen geringen Durchlässigkeit der anstehenden Böden zur Vergütung nicht geeignet sind, wurde Acrylatgel verwendet, welches beim Einbringen eine ähnliche Viskosität wie Wasser aufweist. Mit dem Injizieren und anschließendem Erhärten des Acrylatgels entsteht eine Verkittung des Materials, sodass ein Durchrieseln von Lockergestein zwischen den Sicherungsmitteln größtenteils ausgeschlossen werden kann. Durch die gebirgsschonendere Einbaumethode gegenüber dem Herstellungsverfahren des Rohrschirms und dem Ausbleiben von Materialaustrag infolge Bohrungen können herstellungsbedingte Verformungen größtenteils verhindert werden. Zudem konnten mögliche Verformungen durch Verzicht auf die für den Rohrschirm nötige Aufweitung des Ausbruchsquerschnitts vermieden werden. Da der Acrylatgel-injizierte Spießschirm somit bei gleichwertigem Sicherheitsniveau weniger baubedingte Schwierigkeiten als der Rohrschirm aufweist, wurde dieses Vortriebsverfahren bis zum Vortriebsende fortgeführt. Ein weiterer wichtiger Grund für diese Weiterführung ist, dass keine Umstellung des Herstellungsverfahrens für die Vortriebsmannschaft erforderlich ist und die Vortriebszeit somit insgesamt verkürzt werden konnte. Zur Herstellung des Rammspießschirms werden die perforierten Rohrspieße mittels Außenhammer in den Baugrund gerammt. Eine aufgeschweißte geschlossene Spitze des Spießes schützt dabei vor eindringendem Bodenmaterial. Durch die im Durchmesser 10 mm breiten Perforationsbohrungen, die sich im Bereich 1,70 m vom Spießmund entfernt über eine Länge von 1,30 m befinden, wird anschließend das Acrylatgel gezielt in den Baugrund injiziert. Durch die geringe Viskosität des Gels, dringt es auch in die vorhandenen Porenhohlräume ein und verkittet das Material. Im Vorfeld zu dieser innovativen Vortriebtechnologie wurden zwei Versuchsreihen in-situ durchgeführt. Dabei wurden 7 Rammspieße in die rechte Hälfte der Ortsbrust unter Verwendung des Acrylatgels Rubbertite (Fa. TPH) und 8 Spieße in den Stützkern mit dem Acrylatgel Variotite (Fa. TPH), jeweils mit einem Abstand von etwa 20 cm, gerammt. Als Spieße wurden 4 m lange Stahlrohre mit einem Durchmesser von 51 mm und einer Wandstärke von 4,5 mm gewählt. Der Injektionsdruck wurde bei beiden Versuchsreihen zwischen 1,3 bis 2 bar eingestellt, was einer Pumpleistung von etwa 4 bis 5 l/ min entspricht. Abbildung 4: Ansicht des Versuchsfelds Stützkern [5] Für die Versuche wurden 2 m lange Injektionslanzen mit Einfachpacker verwendet. Für die Bauausführung wurden allerdings mehrfach verwendbare, mechanische Packer vorgesehen. Zur Bewertung und Überprüfung des Injektionserfolgs wurden die Injektionskörper freigelegt und untersucht. Im Versuchsfeld der Ortsbrust konnte bereits beim ersten Abschlag injiziertes Material erkannt werden. Der Injektionskörper bildete sich jedoch nicht nur im unmittelbar umliegenden Bereich der Spieße aus, sondern auch in den nicht erforderlichen nebenliegenden Bereichen, insbesondere unterhalb des Spießschirms. Im Stützkern wurde eine schnellere Reaktionszeit mit einer angepassten Injektionsmenge gewählt, sodass sich der Injektionskörper unmittelbar im Spießbereich ausbildete. Durch die gewählten Parameter konnte in diesem Versuchsfeld der gewünschte Injektionserfolg erreicht werden. Die Verfestigung begann etwa 40 cm vor der ersten Austrittsöffnung und war bis zum Ende des Injektionsbereichs durchgehend ausgebildet. Auch der Bereich zwischen den Spießen wurde durch das eingebrachte Material ausreichend verfestigt. Abbildung 5: Injektionskörper im Versuchsfeld des Stützkerns [5] 76 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Planerische und bautechnische Herausforderungen beim Tunnelprojekt Vötting auf der neuen Westtangente Freising Mit der Durchführung der Versuche konnte ein erfolgreiches Verfahren getestet werden, was als vorauseilende Sicherung für den Vortrieb der bergmännischen Bauweise bis hin zum Giggenhauser Schacht verwendet wurde. 3. 3. Schachtbauwerk Giggenhauserstraße Das Schachtbauwerk befindet sich im Übergangsbereich der bergmännischen Bauweise (Norden) zur Deckelbauweise (Süden) und wird im Schutze einer ca. 30 m tiefen überschnittenen Bohrpfahlwand errichtet. Der Bohrdurchmesser der Bohrpfähle beträgt 1,20 m mit einem Überschnitt von 30 bis 35 cm. Zur Abfangung unterschiedlicher Aushubtiefen in der Baugrube wird eine zusätzliche Reihe mit kürzeren Bohrpfählen in der Mitte angeordnet. In der westlichen Hälfte der Baugrube wird ein Schachtbauwerk (Betiebstechnik) hergestellt, in der östlichen Hälfte der Baugrube wird der Tunnel in Offener Bauweise errichtet. Abbildung 6: Draufsicht des Schachtbauwerks [1] 3.1 Bauphasen Zur Aussteifung der Baugrube sind vier temporäre Steifenlagen erforderlich. Die unterschiedlichen Aushubebenen befinden sich kurz unterhalb der jeweiligen Gurtung, sodass diese ohne Schwierigkeiten eingebaut werden können. Schrittweise werden danach mit dem Einbau der Ebenen des Schachtbauwerks die Steifenlagen rückgebaut, sodass das Schachtbauwerk die aussteifende Funktion übernimmt. Die ersten beiden Steifenroste werden mit dem jeweiligen Aushub eingebaut. Im Zuge des Einbaus des dritten Steifenrosts wird im östlichen Teil der Baugrube eine Sprießplatte eingebaut, die im Bauzustand Lasten aufnimmt. Nach dem vollständigem Aushub mit einer Differenz zwischen GOK und Baugrubensohle von ca. 23,3 m im Westen bzw. 15,7 m im Osten und dem Anbringen der letzten Steifenlage werden schrittweise die Sohle, Decken und Wände des Schachtbauwerks eingebaut. Dabei wird die jeweilige Steifenlage oberhalb der zuletzt eingebauten Sohle bzw. Decke entfernt und anschließend Wände und Decken der Ebenen darüber hergestellt. Nach der Herstellung der zweiten Decke und dem Ausbau des zweiten Steifenrosts erfolgte der Durchbruch der Bohrpfahlwände zwischen dem Bereich der bergmännischen und offenen Bauweise. Abbildung 7: Ansichten des Schachtbauwerks in der Bauphase 10 [1] Aufgrund von Anpassungen im Bauablauf im Zuge der Ausführung kam es innerhalb des Schachts teilweise zu Umplanungen der einzelnen Phasen. Die hohe Komplexität der unterschiedlichen Aus- und Umsteifungsphasen und deren Schnittstellen untereinander erfordern anspruchsvolle Planungs- und Ausführungsleistungen. 3.2 Grundwasserhaltung Für den Aushub der Baugrube war aufgrund der geologischen Untersuchungen und Empfehlungen der Einbau einer Innenwasserhaltung vorgesehen. Zudem zeigte sich aus den Bohrungen, dass unter dem ersten Stauer weitere Stauerschichten und dazwischenliegende wasserführende Sandschichten vorhanden sind. Für den Aushub der tiefen Baugrube waren ohne Zusatzmaßnahmen die Nachweise gegen hydraulischen Grundbruch und Sohlaufbruch somit nicht gegeben. Zur Einhaltung der Nachweise war daher die Herstellung eines Überlaufbrunnens zur Grundwasserentspannung vorgesehen. Im Zuge des fortschreitenden Aushubs und der kontinuierlichen Wasserhaltung zeigt sich jedoch, dass die geplante Entspannung im zweiten Aquifer nicht erreicht werden konnte, woraufhin der weitere Aushub eingestellt werden musste. Im Folgenden wurden weitere Aufschlussbohrungen erstellt, wobei sich sehr heterogene Baugrundverhältnisse insbesondere in Bezug auf die Durchlässigkeiten gezeigt haben. Zur zusätzlichen Entspannung wurden daher vier weitere Entspannnungsbrunnen in der Baugrube hergestellt. Da auch diese Maßnahme nicht den geplanten Erfolg bzw. Entspannung bewirkte, wurde in Abstimmung mit allen Beteiligten entschieden, die Aushubkote soweit wie möglich anzuheben, um die o.g. Nachweise einzuhalten. Die baulichen Auswirkungen auf das Bauwerk konnten durch Ersatzmaßnahmen ausgeglichen werden. Zur Berücksichtigung von Pumpausfällen wurde die Wasserhaltung redundant ausgelegt. Zudem wurde baubetrieblich die Möglichkeit geschaffen, die Baugrube innerhalb von 15 Minuten (Rufbereitschaft) fluten zu können. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 77 Planerische und bautechnische Herausforderungen beim Tunnelprojekt Vötting auf der neuen Westtangente Freising Nach einer Unterbrechung der Aushubarbeiten von knapp 4 Monaten konnte nach Herstellung der o.g. Maßnahmen die weiteren Arbeiten unterbrechungsfrei und erfolgreich ausgeführt werden. 4. Deckelbauweise / Offene Bauweise Im südlichen Abschnitt von Bau-km 0+770 bis 0+960 wird der Tunnel über eine Länge von ca. 180 m in Bohrpfahldeckelbauweise mit tiefliegendem Deckel hergestellt. Der restliche geschlossene Bereich sowie der Portalblock und der bis Bau km 1+145 reichende Bereich mit Trogquerschnitt werden in offener Bauweise hergestellt. 4.1 Konstruktionen und Bauverfahren Auf Grund des hohen Grundwasserstandes war die Einbindung der Bohrpfähle in eine tiefe Stauerschicht geplant, um die Restwasserhaltung beim Aushub und Vortrieb mit einer innenliegenden Wasserhaltung zu ermöglichen. Da in diesem Bereich unter einer Deckschicht von ca. 2 bis 3 m (Auffüllungen) gering tragfähige Böden (Torfe) mit einer Mächtigkeit von 3 bis 4 m anstehen, wurde bereichsweise eine Überlastschüttung bis ca. 2,5m aufgebracht sowie Vertikaldräns in den Torf eingebaut, um die Tragfähigkeit der Böden für die Bohrpfahlarbeiten sicherzustellen. Nach Herstellung des Verbaus mussten die die Torfe im Zuge des Aushubs entfernt und durch einen tragfähigen Bodenaustausch bis UK Deckel ersetzt werden. Größtenteils ist dabei eine Kopfaussteifung für den Aushub erforderlich. Sobald der Deckel eingebaut ist, können die Steifen zurückgebaut und die Baugrube mit dem Aushubmaterial verfüllt werden. Abbildung 8: Aussteifungslagen Dock 1 Nach Herstellung und Überschüttung der Deckel kann der Aushub unter dem Deckel mittels Baggervortrieb durchgeführt werden, wobei der Aushub in Kalotte und Stroße/ Sohle unterteilt war. Aufgrund der geologischen und statischen Randbedingungen war im Zuge des Stroßen-/ Sohlvortriebs der Einbau einer abschlagsweise einzubringenden Sprießplatte (bewehrter Beton, 35 cm stark) mit einer Länge von ca. 2 m zur Sicherung der Bohrpfähle notwendig. Nach Erreichen einer vorgegebenen Mindestfestigkeit zwischen 6 und 15 N/ mm² durfte der nächste Abschlag erfolgen. Daraus ergeben sich Vortriebsgeschwindigkeiten von ca. 0,5 bis 1 Abschlag pro Tag unter dem Deckel. Zwischen Bau km 0+950 und 0+980 wird der Tunnel in offener Bauweise hergestellt. Die Baugrube wird mit überschnittenen, bereichsweise ausgesteiften Bohrpfählen sowie einer rückverankerten Unterwasserbetonsohle gesichert. Der Aushub erfolgt im Nassbaggerverfahren. Das Tunnelende zw. Baukm 0+980 und 1+145 wird als wasserdichter Trog hergestellt. Die Sicherung erfolgt hier ebenso mit überschnittenen Bohrpfählen und einer rückverankerten Unterwasserbetonsohle. Die Gründung des Trogs wird im Bereich bis 1+067 als Flachgründung über der UW Sohle ausgeführt. Der Bereich von Bau-km 1+070 bis 1+145 (Dock 7) wurde abweichend zum Vertrag auf Grund des günstigen niedrigen Wassersstades ohne Bohrpfahlverbau mit geböschten Baugruben errichtet. Zur Sicherstellung eines veträglichen Trag- und Setzungsverhaltens der Tröge oberhalb der darunterliegenden gering tragfähigen Torfschichten war es erforderlich je Block bis zu 6 schräge Gründungspfähle herzustellen und monolithisch mit der Sohle zu verbinden. Der Übergangsblock zwischen den beiden genannten Bereichen mit unterschiedlicher Gründungsweise wird halbseitig flach und auf der anderen Seite mittels 3 Bohrpfählen tief gegründet. Um den Einfluss der unterschiedlichen Gründungen auf das Tragwerk zu berücksichtigen, wurden im Zuge der statischen Berechnung Grenzwertbetrachtungen durch die Variation der Federsteifigkeiten der Flach- und Tiefgründung durchgeführt. Um die Sicherheit gegen Sohlaufbruch zu gewährleisten, wurde für das Dock 7 ein Bodenaustausch mit einer Kiesschicht vorgesehen, da sich die UK Sohle sowohl im Grundwasser als auch im Torfbereich befindet. Abbildung 9: Modell Übergangsblock mit halbseitiger Flach- und Tiefgründung 78 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Planerische und bautechnische Herausforderungen beim Tunnelprojekt Vötting auf der neuen Westtangente Freising 4.2 Weichgelsohle und HDI-Schürze Im Bereich der o.g. Deckelbauweise wurde im Abschnitt der Docks 2 und 3 im Zuge der Bohrpfahlherstellung der prognostizierte tiefliegende Stauer teilweise nicht bzw. in höherer Lage angetroffen. Damit war die bisher geplante Bauweise mit Restwasserhaltung nicht mehr möglich und die Nachweise gegen hydraulischen Grundbruch und Sohlaufbruch konnten nicht mehr eingehalten werden. Da im Bereich des zeitlich zuerst erstellten Abschnitts von Dock 2 die Fehlstelle nur lokal begrenzt festgestellt werden konnte, wurde entschieden die Herstellung des Deckels in Dock 2 fortzuführen. Bei der Herstellung der Bohrpfähle in Dock 3 zeigte sich jedoch, dass der Umfang der Fehlstelle größer war als zunächst angenommen. Weitere Aufschlussbohrungen im Umfeld der Fehlstelle bestätigten dies. Aufgrund der geotechnischen und baubetrieblichen Randbedingungen wurden vom Baugrundgutachter (Zentrum Geotechnik) auf Basis der neuen Aufschlüsse entsprechende Maßnahmen empfohlen. Demnach konnte im Dock 3 der Einbau einer tiefliegenden Dichtschicht mittels Weichgelsohle erfolgen, um die erforderliche Dichtigkeit und den Nachweis gegen Sohlaufbruch wieder herzustellen. Zur Gewährleistung einer vollflächigen Herstellung der Weichgelsohle wurde ein Bohrraster von 1,50 x 1,50 m definiert. Die Bohrlängen betrugen dabei ca. 25 m und die Mächtigkeit der Dichtsohle wurde mit 1,50 m vorgegeben. Durch eine intensive Überwachung aller Parameter während der Ausführung konnte die Dichtigkeit erfolgreich mittels eines Pumpversuchs bestätigt werden. Im Dock 2 war diese Maßnahme aufgrund des bereits eingebauten Deckels nicht möglich, da der Abriss des Deckels politisch nicht vertretbar gewesen wäre. Stattdessen kam hier die Herstellung einer gedüsten Dichtschürze zur Verlängerung der Bohrpfähle in eine tieferliegende Stauerschicht zur Ausführung. Die Bohrlängen betrugen hierbei knapp 30 m, der planmäßige Säulendurchmesser wurde mit 2,50 m gewählt. Auch hier konnte die Ausführung infolge einer intensiven Qualitätskontrolle sichergestellt werden. Die Dichtigkeitsprüfung ist aktuell noch nicht abgeschlossen. 5. Schlussbemerkung Die Westtangente Freising stellt eine wichtige Infrastrukturmaßnahme zur Entlastung der Innenstadt Freising vom Durchgangsverkehr dar. Dabei stellte vor allem der 705 m lange Tunnel unter dem Stadtteil Vötting auf Grund der Vielzahl an Bauweisen und Bauverfahren sowohl die Planung als auch die Ausführung vor große Herausforderungen. Nur durch eine kooperative Zusammenarbeit aller Beteiligten sowie durch zielgerichtete und innovative Lösungsansätze konnten diese Herausforderungen auf der Baustelle beherrscht werden. Aufgrund von unvorhersehbaren ungünstigen Abweichungen in den geologischen und hydrologischen Gegebenheiten konnte die Maßnahme zwar nicht planmäßig abgewickelt werden, jedoch konnten die aufgetretenen Herausforderungen durch eine enge Zusammenarbeit Aller bewältigt werden. Die Stadt Freising wird mit geplanter Verkehrsfreigabe der Westtangente Freising bis Ende 2021 eine der größten Baumaßnahmen der Stadt abschließen und einen merklichen Beitrag zur Entlastung der Innenstadt leisten. 6. Projektbeteiligte Bauherr: Stadt Freising Objekt- und Tragwerksplaner: Projektgemeinschaft EDR GmbH - SEHLHOFF GmbH - Büro DR. H. M. Schober Bauausführung: ARGE Wayss & Freytag / Bauer Bodengutachter: Prof. Dr.-Ing. Norbert Vogt Zentrum Geotechnik TUM Prüfingenieur: Prof. Dr.-Ing. Manfred Keuser Literatur [1] Ausführungsunterlagen zu Neubau der FS 44 neu - Westtangente Freising, BA2 - Tunnel Vötting, Los 2.2 - Tunnelbauwerk [2] Ausschreibungsunterlagen zu Neubau der FS 44 neu - Westtangente Freising, BA2 - Tunnel Vötting, Los 2.2 - Tunnelbauwerk [3] EDR GmbH, Gelinjizierter Spießschirm, Westtangente Freising (Projektgemeinschaft DER GmbH - SEHLHOFF GmbH - Büro Dr. H. M. Schober), Dokument vom 29.08.2017 [4] Wayss & Freytag, Erläuterungsbericht: Vortriebsoptimierung durch acrylatgelinjizierten Spießschirm, Station 0 + 600 bis 0 + 760, 18.08.2017 [5] Wayss & Freyta, Versuchsbericht: In-situ-Injektionsversuche am 10.08.2017 für acrylatgelinjizierten Spießschirm, Kalotte TM 178 [6] Stadt Freising - Westtangente - Tunnelbau Vötting, https: / / www.freising.de/ rathaus/ westtangente/ tunnel bau-voetting [7] Stadt Freising - Westtangente, https: / / www.freising. de/ leben-wohnen/ westtangente [8] Hexagon Geosystems: Leica GeoMoS Monitoringlösung, https: / / leica-geosystems.com/ de-de/ products/ total-stations/ software/ leica-geomos 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 79 Südumfahrung Küssnacht - Umfangreiche Maßnahmen zur Vortriebssicherung beim Auffahren eines seichtliegenden Lockergesteinsvortriebs im innerstädtischen Raum Patrick Gabriel Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H., Wien, Österreich Johann Hechenbichler Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H., Salzburg, Österreich Heiko Wirth ARGE Tunnel Burg (Baresel Tunnelbau GmbH, Heitkamp Construction Swiss GmbH), Küssnacht, Schweiz Andreas Zimmermann INGE Küssnacht (Rothpletz, Lienhard + Cie AG), Olten, Schweiz Zusammenfassung Im Herbst 2017 musste der Tunnelvortrieb der Umfahrung des Küssnachter Ortszentrums eingestellt werden, da starker Schlammzutritt auf der einen, sowie ein Tagbruch auf der anderen Seite die Arbeiten behinderten. Intensive Ursachenforschung, eine Neubewertung des bestehenden Sicherungskonzepts sowie ein durch Projektverfasser und ausführender Tunnelbauunternehmer ausgearbeitetes Konzept zur sicheren Unterfahrung von Küssnacht führten schließlich im Februar 2018 zur Wiederaufnahme der Vortriebsarbeiten. Als zusätzliche vorauseilende Bauhilfsmaßnahme wurde neben preventergeschützten Injektions- und Drainagebohrungen die Ausführung eines horizontalen DSV-Schirms angeordnet, um den Vortrieb sicher abschließen zu können. Insgesamt wurden mehr als 16.000 lfm horizontale DSV-Säulen (bis zu einer Länge von 17,0 m), mehr als 1.100 lfm preventergeschützte Drainagebohrungen (mit einer Länge von 20,0 m) und etwa 1.300 lfm Ortsbrustdrainagen (mit einer Länge von 18,0 - 24,0 m) hergestellt. Die ausgezeichnete Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten schaffte die wichtigsten Voraussetzungen für einen erfolgreichen Durchschlag am 29.05.2019. 1. Einleitung Die Umfahrung des Dorfkerns von Küssnacht am Rigi im Kanton Schwyz soll den historischen Dorfkern vom Verkehr entlasten. Der erste Abschnitt dieser Südumfahrung wird bis 2020 erstellt. Das Projekt wird durch den Kanton Schwyz und den Bezirk Küssnacht gemeinsam finanziert. Bauherr ist der Kanton Schwyz, vertreten durch das Tiefbauamt. Die Gesamtkosten für den gesamten Abschnitt 1 (inkl. Landerwerb) betragen rund 126 Mio. Franken. Kern der Umfahrung ist der Tunnel Burg, welcher die bestehende Bebauung mit geringer Überdeckung im Lockergestein unterquert. Im Vortrieb wurden unerwartete Baugrundeigenschaften angetroffen, worauf eine Anpassung der Bauhilfsmaßnahmen erforderlich wurde. 2. Projektbeschreibung 2.1 Linienführung und Normalprofil Die Südumfahrung Küssnacht beginnt nördlich des Dorfkerns beim Knoten Chli Ebnet und unterquert in einem weit geschwungenen Einschnitt die bestehende Hauptstraße. Rund 120 m ab dem Knoten Nord beginnt der Tunnel Burg mit einer Gesamtlänge von 500 m, wovon ca. 150 m in offener Bauweise erstellt werden. Bild 2 zeigt einen Lageplan zur Situation in Küssnacht. Der Tunnel Burg wird mit zwei Fahrspuren im Gegenverkehr ausgebildet. Im Längenprofil weist der Tunnel einen Tiefpunkt auf, der von beiden Portalen her mit Rampen von 5 % Gefälle erreicht wird. Der Tunnel liegt zu großen Teilen unter dem Grundwasserspiegel und wird mit einer druckhaltenden Vollabdichtung aus-geführt. Das Normalprofil ist in Bild 1 ersichtlich. 80 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Südumfahrung Küssnacht Bild 1: Normalprofil des bergmännischen Tunnels Burg (Quelle/ credit: INGE Küssnacht) 2.2 Geologie und Hydrologie Der bergmännische Tunnel Burg verläuft fast ausschließlich in glazial vorbelasteten geologischen Einheiten, die als Seeablagerungen und Schotterkomplex bezeichnet werden. Bild 2: Situation Südumfahrung Küssnacht, Abschnitt Ebnet-Räbmatt (Quelle/ credit: INGE Küssnacht) Bei den Seeablagerungen handelt es sich zumeist um einen mageren Ton, der aufgrund der Vorbelastung durch Gletscher eine steife bis halbfeste Konsistenz aufweist. In den Seeablagerungen sind schichtweise Einlagerungen von schluffigen Sanden vorhanden, die sehr dicht gelagert sind. Die Seeablagerungen weisen eine hohe Festigkeit und eine sehr geringe Durchlässigkeit auf. Im südlichen Abschnitt, vom Vortrieb nicht tangiert, wurden über dem Tunnel Schwemmsedimente prognostiziert (schluffige, teils organische Verlandungssedimente mit sehr geringer Lagerungsdichte). Diese Prognose musste im Rahmen der Ausführung trotz der hohen Dichte an Erkundungsbohrungen revidiert werden. Die Lage der etwa 18 Bohrungen im Bereich des bergmännischen Tunnels wurde dabei maßgeblich von der Zugänglichkeit an der bebauten Oberfläche bestimmt. Der ebenfalls glazial vorbelastete Schotterkomplex besteht aus Wechsellagerungen von sandig-kiesigen und sandigen Schichten mit Mächtigkeiten im Dezimeterbis Meterbereich. Die Lagerungsdichte ist auch hier sehr hoch. Die an der Oberfläche in einer Steilböschung aufgeschlossenen Schichten wiesen eine scheinbare Verkittung auf. 2.3 Tunnel Burg: Bauprojekt und Ausschreibung Der bergmännische Tunnel Burg unterquert direkt zu Beginn des Vortriebs ab dem Voreinschnitt Nord die Seebodenstraße, den eingedolten Dorfbach und di-verse angrenzende Gebäude. Die Überdeckung beträgt dabei minimal ca. 4-5 m, zur Sohle des Bachs ca. 1,5 m. Die maximale Überdeckung beträgt rund 17 m. Nahezu auf der gesamten Strecke des bergmännischen Vortriebs ist an der Oberfläche eine Bebauung mit Wohngebäuden vorhanden. Der Tunnel liegt in den undurchlässigen und als Stauer wirkenden Seeablagerungen unter dem Wasserspiegel, der Ton ist wassergesättigt. Im Bereich des Schotterkomplexes liegt der Wasserspiegel in der unteren Hälfte des Profils und wurde in der Bauphase über vier Filterbrunnen abgesenkt. Im Bereich des Südportals lag vor Projektbeginn eine rund 20 m hohe und nahezu senkrechte durch Kiesabbau entstandene Steilböschung. Diese wurde mit einer von oben nach unten erstellten, mit permanenten Bodenankern rückverankerten Stützmauer gesichert. Der Tunnel Burg verfügt über normgemäß angeordnete SOS- und Hydrantennischen. Im Tiefpunkt ist zur Entwässerung eine große Pumpennische angeordnet. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 81 Südumfahrung Küssnacht Bild 3: Geologisches Längenprofil Tunnel Burg (Prognose, aktualisiert August 2017 aufgrund zusätzlicher Sondierun-gen 2017) (Quelle/ credit: INGE Küssnacht, geologische Prognose Dr. Heinrich Jäckli AG) Bild 4: Vortriebskonzept (Vollausbruch mit raschem Ringschluss der Ausbruchsicherung, Rohrschirm und Ortsbrustsicherung) (Quelle/ credit: INGE Küssnacht) 82 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Südumfahrung Küssnacht Zur Verkürzung der Fluchtwegdistanz ist auf den ersten ca. 70 m ein Fluchtstollen vorgesehen, der mit einer Querverbindung an den Tunnel anschließt. Als wichtigste Gefährdungsbilder wurden Setzungen an der Geländeoberfläche sowie Verbrüche am Ausbruchrand und in der Brust beziehungsweise Tagbruch behandelt. Ihnen wurde mit der Wahl des Vortriebskonzepts mit einem Vollausbruch mit raschem Ringschluss und systematischen Bauhilfsmaßnahmen begegnet. Die Ringschlussdistanz der Ausbruchsicherung wurde mit maximal 6,0 m festgelegt. Der Ausbruch erfolgte im Schutz eines Rohrschirms. Eine systematische Ortsbrustankerung diente zur Sicherstellung der Stabilität sowie zur Reduktion der vorlaufenden Setzungsmulde. Zur vorgängigen Drainage von allenfalls vorhandenen wassergesättigten sandigen Linsen in den Seeablagerungen wurde eine systematische Vorausdrainage (Filterrohre aus PVC-U, Schlitzweite 0,6 mm) vorgesehen. Der Rohrschirm wurde alle 12 m versetzt, der Achsab-stand der Rohre betrug zwischen 30 und 35 cm zu Beginn der Etappe, die Überlappung der Rohre in Längsrichtung 3,0 m. Die Brustanker wurden mit einer Länge von 20,0 m, die Drainagen mit einer Länge von 18,0 m ausgeführt. Der Aushub erfolgte in Etappen von 1,2 m Länge, die Sicherung erfolgte mit netzbewehrtem Spritzbeton und Gitterträgern (3G-150/ 20/ 30). Eine systematische Überwachung der Verformungen im Tunnel, im Gebirge und an der Oberfläche war Bestandteil des Konzepts. Im Firstrohr des Rohrschirms wurde die Durchbiegung mittels einer Inklinometer-Messkette in Echtzeit überwacht. Zusätzlich wurden im Tunnel Verformungen der Ausbruchsicherung (mittels Tachymeter) und Verformungen vor der Brust (RH-Extensometer) überwacht. An der Oberfläche erfolgte eine Überwachung des Geländes und der Gebäude mittels automatisierter Tachymeter, Schlauchwaagen und händischer Nivellements. Zusätzlich wurden die Verformungen im Baugrund mittels kombinierter Inklino- und Extensometer in Bohrlöchern über und neben dem Tunnel überwacht. Der Vortrieb von Fluchtstollen und Querverbindung sowie die Ausbrüche der Nischen erfolgten im Schutze eines Spießschirms (IBO R38/ 17), die Abschlagslängen betrugen zwischen 1,0 und 1,5 m. Auch bei den kleinen Querschnitten waren eine systematische Brustsicherung und eine Drainage vorgesehen. 3. Ausführung 3.1 Vortriebsstart Nord Im September 2016 erfolgte der Tunnelanschlag am Nordportal. Der Start-Rohrschirm sowie die Ortsbrustanker waren zu diesem Zeitpunkt bereits von der überschnittenen Bohrpfahlwand aus hergestellt. Ab dem darauffolgenden Tag begann der Nordvortrieb. Der Ausbruch erfolgte mittels Tunnelbagger, die Ausbruchlaibung wurde nach jedem Abschlag mit netzbewehrtem Spritzbeton gesichert. Das Vortriebskonzept bewährte sich. Das anstehende Gebirge bestand weitgehend aus Seeton in steifer bis halbfester Konsistenz, welcher sich gut mit dem Tunnelbagger lösen ließ. Durch die hohe Kohäsion des Materials konnte ein vollflächiger Kalottenausbruch geometrisch exakt durchgeführt werden. Nach etwas Einarbeitungszeit erreichte man den Rhythmus: Eine Woche Ausbruch mit Sicherung und eine Woche Rohrschirm und Ortsbrustanker für die Folgeetappe. 3.2 Regelvortrieb Nord Das Konzept sah vor, den kompletten Tunnel von Nord nach Süd aufzufahren. Nur eine Gegenvortriebsetappe war geplant, um die anspruchsvolle Durchdringung der schräg zur Achse verlaufenden Steilwandsicherung vorab zu erstellen und den Durchschlagpunkt somit in den Berg zu verlegen. Die Arbeiten im Vortrieb Nord verliefen planmäßig. Die Verformungen an der Oberfläche lagen jedoch bei 4 - 5 cm und entsprachen damit den Berechnungen für ungünstig angenommene Baugrundkennwerte. Dank der vollautomatisierten Überwachung konnten die Ursachen und Zusammenhänge rasch erkannt werden. Es zeigte sich, dass der Baugrund sich beim Vortrieb sehr weich verhielt. Um Schäden an der bestehenden Bebauung an der Oberfläche zu verhindern oder minimieren, wurden setzungsmindernde Maßnahmen angeordnet. Diese bestanden in einer Reduzierung der Ringschlussdistanz und insgesamt einer Drosselung der Vortriebsleistung. Dadurch konnte die Steifigkeitsentwicklung des zum Ring geschlossenen Spritzbetons abgewartet werden und die Setzungen somit minimiert werden. Parallel dazu wurde im südlichen Gegenvortrieb der Rohrschirm und die Luftbogenstrecke hergestellt sowie die zugehörige Etappe ausgebrochen und gesichert. 3.3 Einstellung Nordvortrieb Ende Juni 2017 bemerkte man im Zuge der Orts-brustankerbohrungen in Etappe 15 leichte Wasser- und Schlammzutritte. Bild 5: Wasserzutritte beim Bohren der Ortsbrustsicherung (Quelle/ credit: ARGE Tunnel Burg, Küssnacht) 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 83 Südumfahrung Küssnacht Auf den letzten Metern einer 20 m langen Bohrung traf man wasserführende Schichten an. Diese Wasserzutritte konnte man durch Setzen eines Packers und anschließendes Verpressen mit Zement stoppen. Der zugehörige Vortrieb in Etappe 15 erfolgte mit erhöhter Vorsicht. Leichte Wasserzutritte waren bereits beim Öffnen des ersten Bogens zu verzeichnen. Während des Ausbruchs des 2. Kalottenbogens wurde aufgrund starker Wasserzutritte zwischen den Rohrschirmrohren der nachfolgende Ausbruch gestoppt. Damit war am 12.07.2017 bis zur Entscheidung der weiteren Vorgehensweise der Nordvortrieb eingestellt. 3.4 3.4 Aufnahme Gegenvortrieb Noch während die Maßnahmen auf der Nordseite abgeklärt wurden, wurde entschieden, die Stillstandszeit produktiv zu nutzen und einerseits Verkleidungsarbeiten unter Tage zu starten, sowie eine Verlängerung des Gegenvortriebs zu starten. Dabei wurde die Baustelleneinrichtung komplett auf die Südseite verlegt. Der Einbau der ersten Rohrschirme gestaltete sich dabei etwas aufwändiger, da der bereits ausgeführte Gegenvortrieb ohne Rohrschirmnische für Folgeetappen ausgeführt wurde. 3.5 3.5 Einstellung Gegenvortrieb Bereits beim ersten Bogen in Etappe 28 bemerkte man, dass der Schotter durch das enggestufte Körnungsband eine zunehmende Rieselneigung zeigte. Aus Gründen der Arbeitssicherheit wurde der Ausbruch der Kalotte auf mehrere Teilflächen umgestellt sowie Ankerplatten und Bewehrungsnetze in der Ortsbrust versetzt. Bild 6: Nachbruch unter Tage (Quelle/ credit: ARGE Tunnel Burg, Küssnacht) Beim Ausbruch des zweitletzten Bogens in der Gegenvortriebsetappe 28 ereignete sich schließlich am 20. September 2017 ein Verbruch durch die Rohrschirmrohre (Sanduhreffekt). Der Verbruch von kohäsionslosem Material setzte sich etwa 30 Minuten fort und führte zu einem Tagbruch bei 17 m Überdeckung. Der Verbruchtrichter wies ein Volumen von geschätzt 350 m³ auf und erreichte an der Oberfläche einen Durchmesser von 5 m. Die Ortsbrust und die Ausbruchsicherung blieben stabil, womit das Ereignis eingeschränkt war und an der Oberfläche keine Schäden an Bauwerken entstanden. Bild 7: Nachbruch über Tage (Quelle/ credit: „SÜDUM- FAHRUNG: Plötzliches Loch neben Wohnhaus: Tunnelvortrieb in Küssnacht gestoppt“, Luzerner Zeitung, CH Regionalmedien AG, 21.09.2017) Der Verbruchtrichter wurde umgehend gesichert, von oben verfüllt und anschließend injiziert. Damit war auch der Südvortrieb bis zur Entscheidung der weiteren Vorgehensweise eingestellt. 3.6 Suche nach Lösungen Für alle Projektbeteiligten war offensichtlich, dass ohne zusätzliche Sicherungsmaßnahmen der Vortrieb nicht wieder aufgenommen werden konnte. An das neue Vortriebskonzept wurden folgende Anforderungen gestellt: - Der Rohrschirm soll gänzlich „abgedichtet“ werden, sodass kein „Ausrieseln“ mehr möglich ist. - Das Vortriebskonzept soll einheitlich sein, welches sowohl für den Hauptals auch für den Gegenvortrieb anwendbar ist. - In das bestehende statische Konzept soll kein Eingriff entstehen. Es sollen zusätzliche Maßnahmen angeordnet werden. 84 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Südumfahrung Küssnacht In der Abklärung möglicher Konzepte wurden unter anderem ein Gefrierverfahren sowie Injektionen zur Verfestigung des Gebirges verworfen. Planer, Bauherr und Unternehmer waren sich schnell einig, dass Horizontal-DSV (Düsenstrahlverfahren) die beste Lösung für das Projekt darstellt. Nun war es daran, einen weiteren kompetenten Projektpartner zu finden, mit dem gemeinsam das weitere Vortriebskonzept in kürzester Zeit entwickelt und vertraglich schnell fixiert werden kann. Ab diesem Zeitpunkt war die Firma Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H. als Subunternehmer der ARGE Tunnel Burg im Spiel. 4. Sanierung und Anpassung der Bauhilfsmaßnahmen Im Zuge der Abklärungen auf der Nordseite sowie auf der Südseite wurde die Ausführung neuer Erkundungen sowie die Erstellung eines ergänzenden geologisch-geotechnischen Berichtes beauftragt, um die Ursachen für die unkontrollierten Wasserzutritte zu ergründen. Für das bessere Verständnis des Untergrundes wurden Kernbohrungen, Pumpversuche, Laborversuche sowie Grundwasser-Messstellen ausgeführt. Bild 8: Ergänzend geologisch/ geotechnische Untersuchungen (Quelle/ credit: Dr. Heinrich Jäckli AG) Bild 9: Geologisches Querprofil in der Tunnelmitte (Quelle/ credit: Dr. Heinrich Jäckli AG) In den ergänzend geotechnischen Untersuchungen wurde festgestellt, dass im Abschnitt der Vortriebsetappen Nr. 15 bis 17 über dem Projekt eine Mulde mit Grundwasser führendem Bachschutt aus Kies und Sand verläuft, die bisher mangels entsprechender Sondierungsaufschlüsse nicht bekannt war. Diese Mulde ist in Bild 8 dunkelgrün markiert. Die vorbelasteten Seeablagerungen (gelb) enthalten zusätzlich kohäsionslose Zonen aus Schluff und Feinsand (gelb-weiß strichliert), welche eine Wasserwegsamkeit aufweisen. Solche kohäsionslosen Zonen waren zwar bisher bekannt, jedoch sind diese im Abschnitt der Vortriebsetappen Nr. 15 bis etwa 19 - und damit auch unmittelbar unterhalb der Mulde - mit bis zu rund 4 m außergewöhnlich mächtig und im Bereich der Bohrungen infolge der Schlammaustritte teilweise in „flüssigem Zustand“. Durch die Pumpversuche und Grundwasser-Messstellen wurde außerdem festgestellt, dass es offenbar hydraulische Verbindungen zwischen dem grundwasserführenden Bachschutt und der genannten kohäsionslosen Zone in den Seeablagerungen gibt. Letztere dürfte unter erhöhtem Wasserdruck stehen und zusätzlich aus dem oberen freien Grundwasser gespeist werden. 4.1 Nordvortrieb Unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus den ergänzenden geologisch-geotechnischen Untersuchungen wurde am Nordvortrieb eine Grundwasserabsenkung mittels mehrerer Filterbrunnen an der Oberfläche realisiert. Im Tunnel wurden vorauseilende Drainagebohrungen und im Bereich des vermuteten Ursprungs der Schlammzutritte zusätzlich Injektionen angeordnet. Entlang der Ausbruchlaibung wurden Horizontal-DSV-Säulen vorgesehen, welche eine Verfestigung des Bereichs zwischen Rohrschirmrohren bezweckten, um ein Eintreten von Schlamm bzw. kohäsionslosem Boden zu verhindern. Schrittweise wurden auch Horizontal-DSV-Säulen innerhalb der Ortsbrust angeordnet, da es selbst beim Vortrieb im Schutze des DSV-Schirms immer wieder zu kleineren Ausbrüchen und lokalen Instabilitäten im Bereich der Ortsbrust kam. Selbst der Auftrag von Trockenspritzbeton der Frühfestigkeitsklasse J3 war in der 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 85 Südumfahrung Küssnacht Ortsbrust aufgrund des instabilen Untergrunds teilweise nicht möglich. Bild 10: DSV-Säulen in Etappe 20; rot: DSV-Säulen entlang der Ausbruchslaibung; blau/ grün: DSV-Säulen zur Stabilisierung der Ortsbrust; unerschiedliche Farben markieren unterschiedliche DSV-Parameter (Quelle/ credit: INGE Küssnacht.) 4.2 Südvortrieb Um nach dem Tagbruch im September 2017 die Arbeiten auch am Südvortrieb wieder aufnehmen zu können, war es notwendig, die entstandenen Bodenverluste aufzufüllen und zu verfestigen. Zur Sicherung des Verbruchtrichters wurden Niederdruckinjektionen angeordnet. Für die weiteren Etappen im südlichen Gegenvortrieb wurde das Sicherungskonzept ebenfalls mit Horizontal-DSV-Säulen entlang der Ausbruchlaibung ergänzt. Ein Verzicht auf den Rohrschirm erschien ohne vorgängige Versuche und mit den bestehenden geologischen Unsicherheiten als zu riskant. Bild 11: DSV-Säulen in Etappe G21; rot: DSV-Säulen entlang der Ausbruchslaibung; violett/ cyan: DSV-Säulen zur Stabilisierung der Ortsbrust; unterschiedliche Farben markieren unterschiedliche DSV-Parameter (Quelle/ credit: INGE Küssnacht) 5. Technische Ausführung der zusätzlichen Bauhilfsmaßnahmen 5.1 Injektionsbohrungen Zur Stabilisierung und zur Auffüllung entstandener Bodenverluste durch Schlammzutritte in Vortriebsetappe 15 (Nordvortrieb) sowie zur Stabilisierung des Verbruchtrichters im Südvortrieb wurden im Firstbereich dem Vortrieb vorauseilend 20,0 m lange verrohrte Injektionsbohrungen ausgeführt. Durch den Einbau von Manschettenrohren konnten diese Bereiche gezielt mittels Niederdruckinjektionen behandelt werden. Um beim Bohrvorgang dem zu erwartenden Wasserandrang entgegenzuwirken, wurden diese Bohrungen durch entsprechende Schutzvorrichtungen wie einem geschlossenen Bohrsystem mit Standrohr, Preventer, Absperrschieber und einer ausklinkbaren Bohrkrone, welche die Verrohrung im Bohrlochtiefsten abdichtet, ausgeführt. Dadurch wurden unkontrollierte Wasserzutritte während des Bohrvorganges in den Tunnel verhindert. Bild 12: Standrohr, Absperrschieber und Preventer (Quelle/ credit: Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H.) 5.2 Drainagebohrungen Als weitere Maßnahme wurde bei den Vortriebsetappen in den Seeablagerungen der anstehende Wasserdruck über der Tunnelfirste mit fächerartigen Drainagebohrungen kontrolliert und ggf. reduziert. Bild 13: Lage der Drainagebohrungen in der Firste (Quelle/ credit: INGE Küssnacht) 86 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Südumfahrung Küssnacht Auch diese Bohrungen wurden gegen eindringendes, druckhaftes Wasser gesichert und mit einer Länge von 20,0 m hergestellt. Zusätzlich wurden für den Vortrieb Ortsbrustdrainagen mit einer Länge von bis zu 18,0 - 24,0 m hergestellt. Der Ausbau der Bohrungen erfolgte mit Filterrohren. Damit war gewährleistet, dass Porenwasserdrücke im Nahbereich des Vortriebs gezielt abgebaut werden konnten. 5.3 Horizontal-DSV Die Hauptarbeiten der ergänzenden Vortriebssicherung bildete die etappenweise Herstellung des horizontalen DSV-Schirms in den Zwischenräumen der Rohrschirmrohre. Dadurch wurden die systembedingten Längsöffnungen zwischen benachbarten Rohrschirmrohren zusätzlich abgedichtet. Die bis zu 17,0 m langen horizontalen DSV-Säulen wurden mit einem zweiarmigen Bohrgerät und einer 28,0 m langen Lafette im Einphasensystem ausgeführt. Die Parameter wurden zunächst auf Basis von Erfahrungswerten in ähnlichen Böden gewählt. Im Rahmen der ersten Vortriebsetappen wurden Probesäulen im Profil mit verschiedenen Parametern zur Verifikation ausgeführt. Es zeigte sich, dass in tonigen Seeablagerungen Durchmesser von 30 bis 50 cm realisiert werden konnten. Im Schotterkomplex waren die ausgeführten DSV-Säulen erwartungsgemäß homogener. Bild 14: Auswertung der Probesäulen (Quelle/ credit: Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H.) In den folgenden Skizzen (Bild 15, Bild 16 und Bild 17) ist der Ablauf der Herstellung einer Horizontal-DSV-Säule dargestellt: Bild 15: Schritt 1 - Bohren der bis zu 17 m langen Horizontal-DSV-Säulen (Quelle/ credit: Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H.) Bild 16: Schritt 2 - Drehender Rückzug des Bohrgestänges unter gleichzeitiger Injektion der Zementsuspension mit bis zu 400 bar (Quelle/ credit: Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H.) Bild 17: Schritt 3 - Fertiggestellte Säule (Quelle/ credit: Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H.) Horizontal-DSV-Säulen innerhalb der Ortsbrust wurden bei nahezu allen Rohrschirmetappen als zusätzliche Sicherung ausgeführt, wobei die Anzahl und die Anordnung laufend den neuen Erkenntnissen aus der Aufnahme der Geologie während des Vortriebs angepasst wurden. Bild 18: Aufnahme der Geologie während des Vortriebs (Quelle/ credit: Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H.) Während der DSV-Arbeiten wurde die gesamte darüberliegende Bebauung durch Messketten (Neigungsinklinometer) in Echtzeit überwacht. Vor allem in seichten Tunnellagen führten die Düsenstrahlarbeiten abhängig von anstehender Geologie zu messbaren lokalen Verformungen (zumeist Hebungen) in der Höhe von 5 bis 10 mm. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 87 Südumfahrung Küssnacht Bild 19: Flüssige-breiige sandige Schluffe, dicht bis sehr dicht gelagerte Kiese, organische Sande, Torf und steif bis halbfester Seeton in einer einzigen Ortsbrust (Quelle/ credit: Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H.) Bild 20: Horizontal-DSV-Säulen entlang der Ausbruchslaibung (Quelle/ credit: Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H.) Bild 21: Herstellung einer horizontalen DSV-Säule (Quelle/ credit: Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H.) 5.4 Gerätetechnik Durch den Einsatz eines Horizontalbohrgerätes mit einer Lafettenlänge von rund 28,0 m (die Lafette wurde für das Bauvorhaben entsprechend verlängert) konnten alle Bohrungen (Horizontal-DSV, Drainagebohrungen, Injektionsbohrungen sowie Ortsbrustankerbohrungen) in einem Stück (Monoblock) ohne Aufsetzen von Bohrgestänge erfolgen. Bild 22: Horizontalbohrgerät an der Ortsbrust (Quelle/ credit: Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H.) Bild 23: Horizontalbohrgerät mit Blick zurück zum fertigen Tunnel (Quelle/ credit: Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H.) Aufgrund der voneinander getrennten Vortriebe (Hauptvortrieb Nord, Gegenvortrieb Süd) wurden im Vorfeld von beiden Portalen jeweils die erforderlichen Anlagen (Hochdruckpumpen, Misch- und Bevorratungstechnik…) installiert. Durch die eingeschränkten Platzverhältnisse am Südportal wurde der Einsatz einer Kompaktanlage erforderlich. 88 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Südumfahrung Küssnacht Bild 24: Kompaktanlage am Südportal (Quelle/ credit: Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H.) Bild 25: Transport des Horizontalbohrgeräts vom Südportal zum Nordportal durch den Ortskern von Küssnacht am Rigi (Quelle/ credit: Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H.) 6. Erfahrungen aus dem Vortrieb und Fazit Dieses spezielle Bauvorhaben in glazialer Geologie zeigte, dass komplexe geologische Situationen eine sehr hohe Spezialisierung an Sicherungsverfahren hinsichtlich Art und Umfang erfordern. Wie komplex die glaziale Geologie tatsächlich war, wurde in Bild 18 und Bild 19 eindrucksvoll gezeigt. Bei jeder einzelnen Vortriebsetappe konnte man tatsächlich alle dem Geotechniker bekannten Konsistenzen, Lagerungsdichten und Böden von dicht bis sehr dicht gelagerten Kiesen bis hin zu flüssigen-breiigen sandigen Schluffen erkennen. Dies erforderte einen intensiven Austausch aller Projektbeteiligten - insbesondere zwischen Tunnelbau und Spezialtiefbau. Bei Horizontal-DSV-Arbeiten in seichtliegenden Tunneln ist insbesondere großes Augenmerk auf Einbauten wie Kanalisationen, Sickerleitungen (Drainagen), Keller sowie bestehende Bodenverbesserungen (wie Rüttelstopfverdichtung) oder Tiefgründungen zu achten. In heterogenen Böden können die unterschiedlichen Durchlässigkeiten Grund dafür sein, dass Wegigkeiten im Untergrund bestehen, durch die das Injektionsgut große Entfernungen zurücklegen kann und sogar Einbauten treffen kann, die nicht unmittelbar im Einflussbereich des Tunnelvortriebs sind. Aus diesem Grund ist gerade bei Spezialtiefbauprojekten in innerstädtischem Gebiet zu achten, dass sowohl die Anwohner und Betroffene frühzeitig in das Bauprojekt eingebunden werden, als auch das Oberflächenmonitoring über eine hohe Auflösung verfügt, um Auswirkungen des Tunnelbaus unmittelbar erkennen zu können. Hinsichtlich Ergänzung des Sicherheitskonzepts mit Horizontal-DSV-Säulen entlang der Ausbruchslaibung kann abschließend resümiert werden, dass die Kombination aus Rohrschirm und DSV-Zwickelabdichtung problemlos herstellbar ist auf eine entsprechende Aufweitung im Sägezahnprofil sei allerdings hingewiesen. Literatur/ Referenzen [1] Zimmermann, A.; Schneider, A.: Südumfahrung Küssnacht, Tunnel Burg - Lockergesteinsvortrieb unter anspruchsvollen Bedingungen, Swiss Tunnel Congress 2019 [2] Dr. Heinrich Jäckli AG (jäckli geologie): Südumfahrung Küssnacht, Abschnitt Ebnet-Räbmatt, Los 02, Geologische Baubegleitung Tunnel Burg, Ergänzende geologische Untersuchungen, vorläufige Befunde per 28.7.2017 [3] Dr. Heinrich Jäckli AG (jäckli geologie): Südumfahrung Küssnacht, Abschnitt Ebnet-Räbmatt, Los 02, Geologische Baubegleitung Tunnel Burg, Ergänzender geologisch-geotechnischer Bericht, 18. August 2017 [4] INGE Küssnacht (BG Ingenieure und Berater AG, Locher Ingenieure AG, Rothpletz Lienhard + Cie AG): Ausführungsprojekt Südumfahrung Küssnacht, Abschnitt Ebnet - Räbmatt 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 89 Anwendung der Tunnel-im-Tunnel-Methode auf elektrifizierten Strecken der Deutschen Bahn (Stand: 30.10.2019) Prof. Dr.-Ing. Dietmar Mähner, Institut für unterirdisches Bauen (IuB), FH Münster Corrensstraße 25, 48149 Münster, Deutschland Dipl. Ing. (Univ.) Bodo Tauch, DB Netz AG, Hahnstraße 49, 60528 Frankfurt a. Main, Deutschland Zusammenfassung Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der Erneuerung des Petersberg Tunnels. Dabei wurde im Rahmen eines Pilotprojektes erstmalig die Tunnel-im-Tunnel-Methode auf einer elektrifizierten Strecke der Bahn angewendet. Das Tunnelprofil wurde im Rahmen des Vortriebes aufgeweitet. Diese Arbeiten wurden mit Hilfe eines Tunnelaufweitungssystems (TAS) durchgeführt. Dabei musste die bestehende Oberleitung für die Elektrifizierung der Strecke in den Tunnelvortrieb integriert werden. Nach Ende der Vortriebsarbeiten wurde die Tunnelinnenschale aus Stahlbeton hergestellt. Mit diesem Projekt wurde das Spektrum der Tunnelerneuerung erheblich erweitert und kann somit auch bei anderen Projekten im elektrifizierten Streckennetz eingesetzt werden. 1. Einsatz der Tunnel-im-Tunnel-Methode bei der Deutschen Bahn Die Tunnel-im-Tunnel-Methode [1] wurde bereits auf mehreren Strecken im Regionalverkehr erfolgreich erprobt und weiterentwickelt. Die Erprobung erfolgte dabei ausschließlich auf nicht elektrifizierten Strecken. Bei dieser Methode wird der Tunnelquerschnitt unter Aufrechterhaltung des Bahnbetriebs, d.h. bei laufendem Betrieb, im Sprengvortrieb oder mit Meißeln aufgeweitet und gemäß den gültigen Anforderungen des Regelwerks mit einer neuen Stahlbetoninnenschale ausgebaut. Dazu wird zu Beginn der Bauarbeiten grundsätzlich das Fahrgleis in Tunnelmitte verlegt und während der Baumaßnahme im bauzeitlichen Gleiswechselbetrieb befahren. Nach Beendigung der Baumaßnahme wird der Tunnel wieder mit zwei befahrbaren Gleisen versehen. Die Einrichtung der Eingleisigkeit am Anfang sowie die Herstellung der Zweigleisigkeit am Ende der Tunnelaufweitung erfolgen zwar während einer geplanten Totalsperrpause, allerdings kann während der gesamten Baudurchführung die Bahnstrecke für den Bahnbetrieb aufrecht erhalten bleiben, Umleitverkehre werden dadurch nur teilweise notwendig bzw. sogar ganz eliminiert. Bei der Erneuerung des Petersberg Tunnels kommt die Tunnel-im-Tunnel-Methode nun erstmalig bei einer elektrifizierten Strecke zum Einsatz [2]. 2. Projektvorstellung Petersberg Tunnel Der Petersberg Tunnel liegt bei Bullay auf der zweigleisigen Bahnstrecke von Koblenz nach Perl. Diese Strecke ist dem Fern- und Ballungsnetz zugeordnet. Nicht nur für den Personenverkehr mit der Anbindung an Koblenz und Trier ist diese Strecke von großer Bedeutung. Sie dient insbesondere auch für den Güterverkehr als wichtigste Hauptabfuhrstrecke in Richtung Luxemburg und genießt damit einen sehr hohen Stellenwert im Streckennetz der Deutschen Bahn. Ziel der DB Netz AG ist die Bahnstrecke Koblenz - Perl langfristig als Bestandteil des Transeuropäischen Netzes (TEN) zu erhalten. Sowohl die Erhöhung des Sicherheitsniveaus als auch die Erhaltung der Bahnstrecke für Güter- und Personenverkehr sind von hohem öffentlichem Interesse. Der Tunnel hat eine Länge von 368 m und wurde 1879 fertiggestellt. Das vorhandene Mauerwerk aus Schiefer und Kalkbruchstein weist Mächtigkeiten von ca. 0,85 m auf, im Portal reduziert sich die Dicke auf ca. 0,70 m. Die Mauerwerkskonstruktion des Tunnels ist ein Maulprofil ohne Sohle, der Tunnel wird derzeit dräniert. Der Tunnel befindet sich im Bereich der Moselmulde des Rheinischen Schiefergebirges. Diese wird aus einer mächtigen Schichtenfolge von Sand-, Schluff- und Tonsteinen aufgebaut. Durch die intensive tektonische Beanspruchung sind die Gesteine stellenweise intensiv geklüftet und weisen zahlreiche Störungen auf. Die maximale Überdeckungshöhe liegt etwa in Tunnnelmitte und beträgt ca. 95 m. 90 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Anwendung der Tunnel-im-Tunnel-Methode auf elektrifizierten Strecken der Deutschen Bahn (Stand: 30.10.2019) Die vorhandene Mauerwerkskonstruktion am Petersberg Tunnel wurde im Laufe der letzten Jahrzehnte vielfach saniert und ausgebessert. Im Rahmen vergangener Instandsetzungsmaßnahmen wurde das Mauerwerk großflächig mit einer dünnen Spritzbetonschale ertüchtigt. Vor der Sanierung wurden u.a. Mauerwerksausbrüche, lose Fugen, Ablösungen und Risse im Spritzbeton sowie diverse Feuchtstellen dokumentiert. Im Rahmen von regelmäßigen Begutachtungen wurde eine stetige Verschlechterung der Bauwerksqualität festgestellt, so dass eine wirtschaftliche Instandsetzung nicht mehr gegeben ist. Bild 1 und 2: Baustelle am Südportal Die Umsetzung der Regelquerschnitte der Deutschen Bahn erfordert im Zusammenhang mit der Maßnahme auch die Erweiterung des Gleisabstandes von 3,50 m auf 4,00 m und den Einbau von durchgehenden Fluchtwegen. Die Aufgabenstellung zur Erneuerung des Petersberg Tunnels sah vor, den Bahnverkehr auch bei Aufweitung des Tunnelprofils und Einbau einer neuen Tunnelinnenschale weitestgehend aufrecht zu erhalten. Lediglich für das Sprengen während der Aufweitung sowie für das Aus- und Einheben von Bauteilen über der Oberleitung waren kleinere Sperrpausen zugelassen. Aus diesem Grund wurde die Aufweitung des Tunnels mithilfe der Tunnel-im-Tunnel-Methode vorgesehen. Mit den Bauarbeiten wurde im Jahr 2017 begonnen. Der eigentliche Tunnelvortrieb startete im Januar 2018 und wurde im Oktober 2018 abgeschlossen. 3. Bauphasen Vor Beginn der Baumaßnahme wurde die Strecke im Bereich des Petersberg Tunnels zweigleisig befahren. Im Rahmen einer vierwöchigen Sperrung der Strecke im Mai 2017 wurden zuerst die Oberleitung, die Schienen sowie der Oberbau im Tunnel demontiert. Daran schloss sich der Einbau der Hilfsfundamente für das TAS sowie der Aufbau der Schutzeinhausung an. Danach wurde die Schutzeinhausung mit einem speziellen Fahrzeug in den Tunnel in einzelnen Elementen eingefahren. An diese Schutzeinhausung wurde für die Bauzeit eine Deckenstromschiene installiert. Weiterhin wurde das Gleisbett mit einem mittig verlegten Gleis hergestellt, so dass der Schienenverkehr im Bereich des Tunnels während der gesamten Bauphase eingleisig (im Gleiswechselbetrieb) durch den Tunnel geführt werden kann. Das Einheben des TAS von der Baustelleneinrichtungsfläche neben dem Tunnelportal auf die Hilfsfundamente erfolgte im August 2017 in einer zusätzlichen nächtlichen Sperrpause. Im Februar 2018 wurde mit den Vortriebsarbeiten vom Südportal aus begonnen. Dazu wurde im Schutz des TAS der Tunnel im First- und Ulmenbereich um ca. 2,5 m und im Widerlagerbereich um ca. 3 m aufgeweitet und anschließend mit Spritzbeton (Dicke: 20 bis 30 cm), Ankern, Ausbaubögen und Matten gesichert. Die Abschlagslängen variierten dabei zwischen 0,75 m und 1,75 m. Der Vortrieb (Länge 330 m) für den Tunnel endete im Oktober 2018. Nach der Rückfahrt des TAS wurden die Sohlen für die Widerlager vorbereitet. Anschließend erfolgte die Herstellung des Widerlagers ab Januar 2019. Nach dem Aufbau und Einheben des Bewehrungswagens, des Schalwagens sowie drei Nachbehandlungswagen wurde ab März 2019 mit der Herstellung der Gewölbeblöcke von Nord nach Süd begonnen. Im November 2019 erfolgte im Rahmen einer vierwöchigen Totalsperrpause u.a. der Ausbau der Schutzeinhausung, der Rückbau der Hilfsfundamente sowie die Herstellung des Gleisschotters mit zwei Gleisen. Auch die betriebstechnische Ausstattung, der Einbau der Entwässerungsleitungen sowie die Installation der Oberleitung erfolgten in diesem Zeitraum. Als letztes wurde die Leit- und Sicherungstechnik für den Endzustand angeschlossen. Am Ende der Sperrpause ist der Tunnel dann wieder für den zweigleisigen Betrieb fertig gestellt. Nachfolgendes Bild 3 zeigt die beschriebenen Bauphasen. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 91 Anwendung der Tunnel-im-Tunnel-Methode auf elektrifizierten Strecken der Deutschen Bahn (Stand: 30.10.2019) Bild 3: Einzelne Bauphasen bei der Anwendung der Tunnel im Tunnel Methode 4. Konzeption Tunnelaufweitungssystem (TAS) Um während der Bauarbeiten einen gesicherten elektrifizierten Fahrbetrieb aufrecht zu erhalten und dabei gleichzeitig den Bahnbetrieb von den Bauarbeiten einwandfrei zu trennen, wurde das befahrene Gleis durchgängig mit einer zusätzlichen fest installierten Schutzeinhausung versehen. Innerhalb dieser Schutzeinhausung war im Firstbereich eine Stromschiene zur Führung der Oberleitung installiert. Bild 4: Längsschnitt Tunnelaufweitungssystem Im Zwischenraum von Schutzeinhausung und neuer Tunnelaußenschale kam das TAS, das sich in einer Führungsschiene auf einem Streifenfundament autark fortbewegte, zum Einsatz. Es bestand aus drei Abschnitten (Bild 4), der erste Abschnitt war mit einem hydraulisch hochfahrbaren Gewölbeschutz bestückt, das sich während des Vortriebs zwischen Schutzeinhausung und alter Tunnelinnenschale drückte und so mögliche Auflockerungen an dem Mauerwerk, hervorgerufen durch Einflüsse aus Sprengen, Meißeln, Baggern sowie möglichen Lastumlagerungen auffangen konnte. Auf dem zweiten Abschnitt, dem mittleren Teil, waren die Arbeitsgeräte wie Bohrhammer und Ankerbohrgerät angebracht. Auf dem dritten Abschnitt waren die Aggregate zur Energieversorgung untergebracht. Bei anderen Projekten wurde im Vorfeld der Bestandstunnel durch Einbau einer Systemankerung gesichert. Dies stellt jedoch einen nicht unerheblichen Arbeitsaufwand dar, der beim Petersberg Tunnel durch den hochfahrbaren Gewölbeschutz vermieden wird (Bild 5). Bild 5: Tunnelaufweitungssystem (beweglich) mit Einhausung (fest stationiert) 92 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Anwendung der Tunnel-im-Tunnel-Methode auf elektrifizierten Strecken der Deutschen Bahn (Stand: 30.10.2019) Bild 6: Tunnelaufweitungssystem (beweglich) mit Einhausung (fest stationiert) Das TAS musste so konzipiert werden, dass über einen Bohrhammer an der Firste der Ausbruch getätigt werden konnte. Im seitlichen Ulmenbereich wurde über zwei Teilschnittmaschinen, die sich auf der Fahrsohle in Höhe der Widerlager bewegten, der Tunnelausbruch getätigt. Über verfahrbare und umklappbare Arbeitsbühnen konnten die Ausbaubögen sowie die Matten eingebaut werden. Der Auftrag des Spritzbetons, die Herstellung der Bohrlöcher für die Systemankerung und der Spieße erfolgte durch jeweils zwei im seitlichen Bereich des TAS angebrachte Spritzbetonmanipulatoren sowie Bohrgeräte. Hierbei ist anzumerken, dass im Zuge der Konzeption der Ankerbohrgeräte hinsichtlich der Leistungsfähigkeit auch mögliche Ankerungen mit größerem Ankerdurchmesser entsprechend in der Ausschreibungsphase berücksichtigt werden mussten. Der Abtransport des Ausbruchmaterials erfolgte durch spezielle Muldenfahrzeuge hinter den Teilschnittmaschinen, die unter sehr beengten Randbedingungen agierten. Die Schutzeinhausung sowie das TAS wurden auf Streifenfundamenten gegründet, die in Tunnellängsrichtung verliefen. Diese Streifenfundamente mussten das Eigengewicht des TAS (Gewicht ca. 225 Tonnen) und der Einhausung sicher in den Baugrund ableiten. Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten wurde für den Ausbruch ein Baggervortrieb, aber auch Sprengvortrieb vorgesehen. Dies bedeutet auch, dass das TAS alle Einwirkungen aus dem Sprengvortrieb aufnehmen musste (Bild 7). Dafür waren auch die Hilfsfundamente entsprechend zu dimensionieren. Aufgrund der hohen horizontalen Lasten (Sprengdruck auf TAS) mussten die Fundamente mit vorgespannten GEWI-Stäben rückverankert werden. Die hierfür notwendigen Arbeiten bedürfen eines nicht unerheblichen Zeitaufwands und führen zu Beeinträchtigungen des Bauablaufs. Alternative Konzeptionen zur Aufnahme dieser Horizontalbeanspruchung sollten daher bereits im Vorfeld detailliert untersucht und abgestimmt werden. Bild 7 : Sprengvortrieb Bild 8: Vortrieb mittels Bohrhammer 5. Vortriebsklassen Die Aufweitung des Tunnels erfolgte mit einer Sicherung nach den Prinzipien der Spritzbetonbauweise. Für den Petersberg Tunnel wurden in der Planung insgesamt 6 Vortriebsklassen entworfen. Der Einbau der Sicherungsmittel wurde immer vom TAS aus durchgeführt. Dies bedeutete, dass vom TAS im gesamten Vortriebsbereich der Einbau von Spritzbeton, das Bohren von Ankern und Spießen sowie der Einbau von Matten und Ausbaubögen sichergestellt werden musste. Bild 4 zeigt die Ausstattung des TAS mit den entsprechenden Gerätschaften. Dabei variierte die Abschlagslänge zwischen 1,75 m (VKL 4A1) und 1,00 m (VKL 6A4). Die Dicke der Spritzbetonschale wurde in Abhängigkeit der einwirkenden Gebirgsbelastungen mit 20 bis 30 cm ausgeführt. Die Bewehrung der Spritzbetonschale wurde immer berg- und luftseitig eingebaut. Als Bewehrung wurden Matten Q188 und Q257 verwendet. Beim Vortrieb wurden stellenweise als vorauseilende Sicherung Spieße eingebaut. Diese weisen eine Länge von 3 bis 5 m, einen Durchmesser von 32 mm auf und wurden mit einem Abstand zueinander von ≤ 25 cm gesetzt. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 93 Anwendung der Tunnel-im-Tunnel-Methode auf elektrifizierten Strecken der Deutschen Bahn (Stand: 30.10.2019) Die Ortsbrust wurde zur Sicherung stellenweise mit einer Spritzbetonschicht von 3 bis 5 cm versiegelt. In ausgeprägten Störzonen wurden auch Ortsbrustanker eingebaut. Die Ankerung der Spritzbetonschale erfolgte durch SN-Anker oder Injektionsbohranker (Ankerlänge 4 bis 5 m, Tragkraft ≥ 245 kN, Ankerraster: 1 Anker auf 2 bzw. 3 m²). Im Falle von Nachankerungen zur Verminderung von Verformungszuwächsen waren Injektionsbohranker mit bis zu 10 m Länge vorgesehen. Die Ausbaubögen wurden als 3-Gurt Gitterträger konzipiert. Das Konzept der Vortriebsarbeiten sah zunächst einen Vorlauf des Gewölbes (Höhe Ausbruch bis ca. 8,56 m) vor. Mit einem ausreichenden Abstand (> 10 m) wurde anschließend das Widerlager (Höhe Ausbruch ca. 1,00 m) nachgeholt. Die Abschlagslänge der Widerlager betrug das Doppelte der Abschlagslänge im Gewölbe. Nachdem erste Erfahrungswerte mit dieser Art des Vortriebs gesammelt worden sind, wurde das Verfahren dahingehend optimiert, dass das Gewölbe zusammen mit dem Widerlager gleichzeitig und ohne räumlichen Versatz ausgebrochen wurde. Hierbei wurden dann, zur Erzielung einer sofortigen Lastabtragung der Gebirgslasten, die Ausbaubögen bis zur Widerlagersohle verlängert (Bild 9 und 10). Die Vortriebsarbeiten wurden messtechnisch überwacht. Im unmittelbaren Ortsbrustbereich erfolgte eine tägliche Messung an bis zu 5 Messpunkten pro Messquerschnitt. Bedingt durch die geringe Vortriebsgeschwindigkeit wurde ab 30 m hinter der Ortsbrust das Messintervall vergrößert. Die maximalen Abstände der Messquerschnitte an den Portalbereichen wurden auf jeweils 5 m begrenzt, im Tunnel lag dieser Abstand bei ≤ 10 m. Bild 9: Vortriebsklasse 4A1 (gleichzeitiger Ausbruch Gewölbe und Widerlager) Die Außenschale wurde nach der Methode der Finiten Elemente berechnet und dimensioniert. Die hierbei ermittelten Verformungen der Spritzbetonschale wurden als zulässige Verschiebungswerte für die einzelnen Ausbruchklassen vorgegeben. Dabei wurde auch ein Warnwert (2/ 3 vom zulässigen Wert) definiert. Im Falle des Erreichens dieses Warnwertes war vereinbart, dass alle Beteiligten automatisch alarmiert werden, um eine gemeinsame Evaluierung der Situation vorzunehmen und die weitere Vorgehensweise abzustimmen. Es ist festzustellen, dass die in der FEM-Berechnung ermittelten Verformungen der Spritzbetonschale beim Vortrieb nie erreicht wurden. Hier ist anzumerken, dass für die Berechnung ein Vorentspannungsfaktor der Ortsbrust, d.h. eine Reduktion des E-Moduls, angesetzt wurde. Der Wert dieser Vorentspannung wurde mit 0,6 angesetzt. Hauptsächlich sind für die Reduzierung zwei wesentliche Gründe zu nennen. Zum einen wurde der Tunnel bis 1879 gebaut. Als Tragkonstruktion diente damals eine massive Mauerwerksschale mit einer Hinterpackung im First- und Ulmenbereich. Es ist wahrscheinlich davon auszugehen, dass bei der Herstellung des Tunnels schon eine Umlagerung des Gebirges in Verbindung mit der Bildung einer Schutzzone um den Tunnelquerschnitt eingesetzt hat. Die Aufweitung des Tunnels um bis zu 3 m hat wahrscheinlich diesen im Gebirge eingeprägten Spannungszustand nicht erheblich verändert. Zum anderen sind die geotechnischen Kennwerte für das Gebirge, auf der sicheren Seite liegend, wahrscheinlich so konservativ angesetzt worden, dass auch die ermittelten Verformungen entsprechend beeinflusst wurden. 94 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Anwendung der Tunnel-im-Tunnel-Methode auf elektrifizierten Strecken der Deutschen Bahn (Stand: 30.10.2019) Bild 10: Vortriebsklasse 6A4 (Versetzter Ausbruch Gewölbe und Widerlager) 6. Tunnelinnenschale Nach Abschluss der Vortriebsarbeiten erfolgte vom Nordportal aus die Herstellung der Tunnelwiderlager aus Stahlbeton. Anschließend erfolgte die Betonage der Tunnelinnenschale ebenfalls aus Stahlbeton. Die Innenschale weist eine Dicke von 40 cm auf und wurde aus wasserundurchlässigem Beton hergestellt. Die Blockfuge besteht aus innenliegenden Fugenbändern FMS 350 mit Mittelschlauch und Stahllaschen. Die Blocklänge liegt jeweils bei ≤ 10 m. Zwischen Innenschale und der Außenschale aus Spritzbeton wurde eine Gleitschicht eingebaut. Der Tunnel ist mit einer seitlichen Ulmendränage und einer Längsentwässerung unterhalb der Sohle hergestellt worden. Nach Fertigstellung der Tunnelinnenschale erfolgte die Ausrüstung des Tunnels. Dazu musste die Strecke für vier Wochen vollständig gesperrt werden, um die Schutzeinhausung inkl. Oberleitung zu entfernen, die Hilfsfundamente zurückzubauen, das mittige Betriebsgleis zu entfernen und danach die Oberleitung und die Gleise inkl. Schotter für den zweigleisigen Bahnbetrieb wieder einzubauen. Literaturverzeichnis [1] STUVA-Arbeitskreis „Tunnelsanierung“: Sachstandsbericht 2011, Bauverlag BV GmbH, 2011. [2] West, T.: Erneuerung elektrifizierter Bahntunnel „über“ Eisenbahnbetrieb, EI-Eisenbahningenieur, November 2015 Tunnelbau allgemein 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 97 Vergleich ingenieurgeologischer Dokumentationsmethoden am Beispiel eines alpinen TBM-Stollens Dr. rer.nat. Ralf Plinninger Dr. Plinninger Geotechnik, Bernried, Deutschland Hans Eichiner Pöyry Austria GmbH, Salzburg, Österreich Andreas Blauhut VERBUND Hydro Power GmbH, Wien, Österreich Dr. techn. Michael Mett dibit Messtechnik GmbH, Innsbruck, Österreich Zusammenfassung Im Tunnel- und Stollenbau stellt die baubegleitende geologisch-geotechnische Dokumentation ein wesentliches Werkzeug zur Erfassung der angetroffenen Gesteins- und Gebirgseigenschaften dar. Ziel ist die möglichst objektive und nachvollziehbare Erfassung der angetroffenen Baugrundverhältnisse für Bau- und Betriebsphase sowie die Schärfung der Baugrundprognose mit dem Ziel einer angepassten Bauausführung. Die Darstellung der Ergebnisse muss auch auf den jeweiligen Zweck und Empfänger abgestimmt werden. Während im konventionellen Tunnel- und Stollenbau die Dokumentation der Tunnelortsbrust in Form regelmäßiger Ortsbrustaufnahme den „Standardfall“ für die geologische Dokumentation darstellt, erfordern insbesondere maschinelle Tunnelvortriebe je nach Bauart der eingesetzten Vortriebsmaschine und Sicherungskonzept individuelle Dokumentationslösungen. Im vorliegenden Beitrag werden die Erfahrungen aus einem aktuell in Ausführung befindlichen, rd. 8,6 km langen Überleitungsstollen für ein Wasserkraftprojekt in alpinen Schichtfolgen in Tirol/ Österreich zusammengefasst. Die Rahmenumstände eines relativ geringem Stollendurchmessers (rd. 3,5 m), einer offenen Gripper-Hartgesteins-TBM und günstiger Stabilitätsverhältnisse führten hier dazu, dass die Stollenlaibung über weite Strecken (bauzeitlich) unverkleidet ausgeführt werden konnte. Für die ingenieurgeologische Dokumentation ergaben sich hieraus ungewöhnlich gute und über einen längeren Zeitraum zugängliche Aufschlussverhältnisse, für die - auch bedingt durch die verschiedenen Aufgabenstellungen - durch die auf Auftraggeber- und Auftragnehmer-Seite tätigen Geologenteams methodisch unterschiedliche Dokumentationsansätze gewählt wurden. Der vorliegende Beitrag stellt die drei am Projekt eingesetzten Dokumentationsmethoden vor und diskutiert sie hinsichtlich ihrer spezifischen, fachlichen und wirtschaftlichen Vor- und Nachteile. 1. Zur Bedeutung der ingenieurgeologischen Dokumentation im Hohlraumbau Im Tunnel- und Stollenbau stellt die baubegleitende ingenieurgeologische Dokumentation ein wesentliches Werkzeug zur Erfassung der angetroffenen Gesteins- und Gebirgseigenschaften dar. Sie hat als Ziel die möglichst objektive und nachvollziehbare Erfassung der Baugrundverhältnisse für Bau- und Betriebsphase sowie die Schärfung der Baugrundprognose mit dem Ziel einer angepassten Bauausführung. Während der Ausführungsphase stellt die ingenieurgeologische Dokumentation wesentliche Eingangskennwerte für die Bewertung täglicher Fragen der Standsicherheit und Lösbarkeit des Gebirges, der Stützmittel und der Arbeitssicherheit zur Verfügung. Gleichzeitig ist sie ein wesentliches Instrument für die Zuordnung der angetroffenen „Gebirgsarten“ (Österreich) bzw. „Homogenbereiche“ (Deutschland, Österreich). Sie ist die Basis für die Erarbeitung von Kurzzeitprognosen für das unmittelbar bevorstehende Gebirge, als auch für den Vergleich prognostizierter (SOLL) und angetroffener (IST) Baugrundverhältnisse, der wiederum der Fortschreibung der Baugrundprognose und der Bewertung bauvertraglicher Fragen dient. Mit Abschluss der Ausführung wird die ingenieurgeologische Dokumentation Teil der Bestandsunterlagen des Bauwerks und stellt damit eine wesentliche Grundlage 98 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Vergleich ingenieurgeologischer Dokumentationsmethoden am Beispiel eines alpinen TBM-Stollens für allfällige spätere Sanierungen sowie Um- und Ausbauten dar. 2. Rahmenbedingungen und Methoden der ingenieurgeologischen Dokumentation Die projektspezifische Wahl der Dokumentationsmethodik ist eine hochwertige Beratungsaufgabe, die die Kompetenz und Erfahrung des Ingenieurgeologen erfordert. Für die Planung und Ausarbeitung der Kartierung müssen dabei insbesondere berücksichtigt werden: 1. Spezifische Anforderungen aus dem jeweiligen Auftragsverhältnis, z.B. Vereinbarungen zur Anwesenheit auf der Baustelle oder zur Dokumentationsdichte; 2. Bauverfahren und Bauablauf, d.h. Zeitpunkte und Orte möglicher Aufschlüsse; 3. Interaktion von Dokumentationstätigkeit und Baubetrieb, unter dem Aspekt der Vortriebsbehinderung, aber auch und vor allem unter dem Aspekt der Sicherheit und Arbeitsbedingungen für den Geologen; 4. allgemein geltende Normen und Richtlinien; 5. projektspezifische Festlegungen, u.a. Gebirgsartenbzw. Homogenbereichsdefinition; 6. Einsatzzweck und „Empfängerhorizont“ für die ausgearbeitete Dokumentation; 7. sowie geforderte Kompatibilität mit ggf. eingesetzten EDV-Lösungen. Im konventionellen Tunnel- und Stollenbau stellt die Dokumentation der Tunnelortsbrust in Form regelmäßiger „Ortsbrustaufnahmen“ (Abb. 1) einen etablierten Standardfall für die geologische Dokumentation dar. Insbesondere maschinelle Tunnelvortriebe erfordern je nach Bauart der eingesetzten Vortriebsmaschine (offene TBM / Schildvortriebsmaschine) und Sicherungskonzept (insbesondere Tübbingeinbau) individuelle Dokumentationslösungen, die die jeweiligen Aufschlussmöglichkeiten in den jeweiligen Bereichen (Bohrkopf, Tunnelvortriebsmaschine, Nachläufer und Streckenröhre) berücksichtigen müssen. Abb. 1: Ortsbrustaufnahme im konventionellen Tunnelbau: „Standardfall“ der ingenieurgeologischen Dokumentation (Foto: Dr. Plinninger Geotechnik). In methodischer Hinsicht stellt die manuelle Feldaufnahme durch einen erfahrenen Ingenieurgeologen unter Zuhilfenahme üblicher Feldausrüstung, wie Geologenkompass, Gliedermaßstab, Laser-Distometer, Geologenhammer, Salzsäure und Lupe nach wie vor den „Stand der Technik“, insbesondere auch bei kleineren Projekten, dar. Darüber hinaus lässt die technische Weiterentwicklung bereits heute eine sinnvolle Kombination bildgebender Verfahren (Digitalfotographie, Photogrammetrie, Laserscanning) mit herkömmlicher geologischer Kartierarbeit zu, die mittelfristig an Bedeutung zunehmen wird. Bereits im Einsatz sind z.B. Systeme, bei denen auf einem Tablet-PC ein vorher aufgenommenes Digitalfoto der Ortsbrust als „Vorlage“ für die manuelle Eintragung wesentlicher Schichtgrenzen und Gefügemerkmale durch den Geologen dient. Die Eintragungen sollten dabei aber tunlichst vor der Ortsbrust und nicht nachträglich im Büro erfolgen. Diese „punktuellen“ Datengrundlagen können dann anschließend in GIS- oder Zeichenprogrammen zu zusammenfassenden Darstellungen, wie Längs-, Horizontal- oder Abwicklungsdarstellungen weiterverarbeitet werden. Unabhängig von der gewählten Kartiermethodik und Weiterverarbeitung ist dabei aber zu beachten, dass unter der zunehmenden Anwendung von „BIM“ („Building Information Modelling“) von den Projektbeteiligten in zunehmendem Maße auch eine einfache Kompatibilität zu Dokumentenmanagement-Systemen und Datenbanken gefordert wird. 3. Projektvorstellung Untere Tuxbachüberleitung 3.1 Technische Rahmenbedingungen Das Projekt „Untere Tuxbachüberleitung“ ist im Zillertal, im Bundesland Tirol in Österreich gelegen. Ziel des Projekts ist es, das Wasser der Bäche Tuxbach und Elsbach zu fassen und anschließend über einen rd. 8,5 km langen Überleitungsstollen in den Wasserspeicher Stillupp der Kraftwerksgruppe Zemm-Ziller zu leiten, wo es der regenerativen Energieerzeugung durch Wasserkraft dient (Abb. 2). Das hydraulische Gefälle zwischen der Fassung Tuxbach und dem Speicher Stillupp wird in einer unmittelbar beim Speicher situierten Kraftstation energetisch genutzt. Das abgearbeitete Triebwasser steht in weiterer Folge auch in der Kraftwerksgruppe Zemm-Ziller für weitere energetische Nutzung zur Verfügung. Der Überleitungsstollen zwischen den Bachfassungen am Tuxbach und Elsbach und der Kraftstation am Speicher Stillupp ist als Druckstollen mit einem maximalen Innendruck von 24 bar konzipiert. Das Herzstück des Triebwasserwegs stellt dabei die Unterdükerung des Zemmbachs im mittleren Bereich des Druckstollens dar. Vom Bereich des Dükers aus gesehen unterteilt sich der Druckstollen in zwei Teilabschnitte: - Stollenast Zemmgrund-Tuxbach, - Stollenast Zemmgrund-Stillupp. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 99 Vergleich ingenieurgeologischer Dokumentationsmethoden am Beispiel eines alpinen TBM-Stollens Abb. 2: Übersichtskarte des Projekts „Untere Tuxbachüberleitung (aus: Blauhut et al., 2019, Bild 1, S. 213). Abb. 3: Geologischer Längsschnitt durch das Projektareal. Der Stollenast Zemmgrund-Tuxbach hat eine Länge von rd. 4,5 km und verläuft von Nordwest anschließend an die Entsanderkammer der Fassung Tuxbach mit einem Kurvenradius von 300 m und einen kurzen geraden Stollenverlauf zuerst in Richtung Süden. Nach Unterquerung des Elsbachtals wird die Trasse in einem Kurvenradius von 500 m nach Südosten verschwenkt und durchquert mit einem Gefalle von rund 5,6 % das südlich des Tuxbachs befindliche Gebirgsmassiv bis ins Zemmtal. Maximale Überlagerungshöhe über der Stollentrasse ist hier ca. 800 m. Das Zemmtal wird mittels eines Dükers in Form einer betonummantelten Druckrohrleitung unterquert. Unmittelbar im Dükerbereich ist auch eine Zugangsmöglichkeit sowie ein Entleerungsrohr einschließlich einer Energieumwandlung angeordnet. Der Stollenast Zemmgrund-Stillupp hat eine Länge von rd. 3,8 km und durchquert mit einem Anstieg von rund 6,1 % das Dristner-Massiv bis zum Stilluppspeicher. Rund 700 m vor dem Stollenausgang wird die Trasse mit einem Kurvenradius von 500 m in Richtung Nordost zum Portal im Stillupptal verschwenkt. Ausgehend vom Portal bildet ein rd. 90 m langer, betonierter und überschütteter Zulaufkanal die Verbindung zur Kraftstation (Kleinkraftwerk Stillupp). Die maximale Überlagerungshöhe beträgt im Bereich des Dristner-Massivs ca. 1250 m. 3.2 Geologischer Überblick Das Projektgebiet liegt im westlichen Teil des sogenannten „Tauernfensters“, das sich vom Brenner ca. 160 km nach Osten erstreckt und in Nord-Süd-Richtung einen ca. 30 km breiten Abschnitt der Alpen bildet. Im Tauernfenster sind durch tektonische Hebung und anschließende Erosion ursprünglich tiefere Einheiten heute fensterartig aufgeschlossen. Lithologisch besteht es aus dem sogenannten „Zentralgneiskern“ und der tektonisch überlagernden „Schieferhülle“. Im Projektgebiet treten Zentralgneise des Ahornkerns auf, die teilweise migmatitisch sind, überwiegend aber aus biotitreichen, porphyrischen Augengneisen mit idiomorphen Kalifeldspat-Kristallen bestehen. Lokal sind innerhalb der Gneise aplitische bis feinkörnig-granitische Gänge eingeschaltet. 100 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Vergleich ingenieurgeologischer Dokumentationsmethoden am Beispiel eines alpinen TBM-Stollens Die Stollentrasse quert mit ihrem nordwestlichen Ast insgesamt drei Deckengrenzen (Abb. 3). Im Stollenast zwischen Zemmgrund und Tuxbach wurde wie prognostiziert Ahorngneis sowie eine Abfolge aus Hochstegenkalkmarmor, verschiedenen Schiefern sowie Grüngesteinen (Chloritschiefer) im Bereich der Bachfassung Tuxbach (Entsanderkammer, Spülstollen) aufgefahren. Die Stollenstrecke im standfesten Ahorngneis erwies sich dabei um 345 m länger als prognostiziert, was auf ein flacheres Einfallen der Deckengrenze zum Hochstegenkalkmarmor zurückgeführt wird. Für den Stollenast zwischen Zemmgrund und Stillupp wurde entsprechend der geologischen Prognose durchgehend Ahorngneis angetroffen. 3.3 Vortriebsmethode TBM Mit der Bauausführung wurde eine Arbeitsgemeinschaft der Firmen STRABAG AG und Jäger Bau GmbH beauftragt. Der Hauptvortrieb für beide Druckstollenabschnitte erfolgte vom Zemmtal aus. Die steigende Vortriebsgradiente war insbesondere für die Ableitung stärkerer Wasserzutritte (punktuell bis zu 40 l/ s) vorteilhaft. Abb. 4: Eingesetzte Tunnelbohrmaschine Robbins nach erfolgtem Durchschlag des zweiten Stollenastes DS Zemmgrund-Stillupp (Foto: Pöyry Austria GmbH) Der Vortrieb wurde beim Stollenast Zemmgrund-Tuxbach begonnen. Nach Herstellen des Voreinschnitts erfolgte auf einer Länge von ca. 344 m ein Sprengvortrieb mit einem Hufeisenprofil mit 3,8 m Kalottendurchmesser, 3,8 m Höhe und 3,05 m Sohlbreite. Der Stollen steigt mit 5,6 % und wird als Rohrstollen genutzt. Die Tunnelbohrmaschine (TBM) wurde auf der Baustelleneinrichtungsfläche (BE-Fläche) Zemmgrund zusammengebaut und über das Fenster Zemmbach in den Rohrstollenabschnitt bis zur Ortsbrust eingefahren. Mit Fräsbeginn am 1. Oktober 2017 wurde der Abschnitt Zemmgrund-Tuxbach auf einer Länge von 4.100 m mit der TBM aufgefahren (Abb. 4). Der nominelle Ausbruchdurchmesser beträgt 3,5 m. Der gesamte Abschnitt des TBM-Vortriebs hat die gleiche Neigung von 5,6 %, wie der Rohrstollenabschnitt. Die Schutterung des Ausbruchmaterials erfolgte mittels Förderbandanlage, das mit einem Bandspeicher ausgerüstet war, der auf einer Behelfsbrücke über dem Zemmbach zwischen den Portalen der beiden Druckstollenabschnitte aufgebaut wurde. Für die Nachlaufeinrichtung der TBM und den Versorgungsbetrieb wurden im Zuge des Vortriebs Sohltübbinge verlegt. Die Versorgung der TBM erfolgte über radgebundene Stollenzüge, die mittels Gleitrollen im Wassergraben der Sohltübbinge geführt wurden. Aufgrund schlechter Gebirgsverhältnisse bei der Unterfahrung des Elsbachgrabens in den Karbonatgesteinen der Seidlwinkl-Modereck-Decke bei Station 4+444 wurde beschlossen, die restliche Strecke von 86 m im konventionellen Gegenvortrieb herzustellen. In diesem Abschnitt war bei einer Überlagerung von ca. 40 m und einer starken Verwitterung die Gebirgsqualität deutlich reduziert; Risiken bzw. Probleme beim Auffahren des Stollens hinsichtlich der Gebirgsfestigkeit (teilw. < 5 MPa) beim Anpressen der Gripper, durch Verkleben des Bohrkopfes und beim Sichern im unmittelbaren Bohrkopfbereich konnten somit umgangen werden. 4. 4. Angewandte Dokumentationsmethoden Durch die Kombination aus relativ geringem Stollendurchmesser (rd. 3,5 m), dem Einsatz einer offenen Gripper-Hartgesteins-TBM und weitgehend günstigen Stabilitätsverhältnisse konnte die Stollenlaibung während des Vortriebs über weite Strecken unverkleidet ausgeführt werden. Für die ingenieurgeologische Dokumentation ergaben sich hieraus ungewöhnlich gute und über einen längeren Zeitraum zugängliche Aufschlussverhältnisse. Bedingt durch die verschiedenen Aufgabenstellungen und Rahmenbedingungen der auf Auftraggeber- und Auftragnehmerseite tätigen Geologenteams wurden methodisch unterschiedliche Dokumentationsansätze gewählt. Diese werden in den nachstehenden Absätzen 4.1 bis 4.3 näher vorgestellt. 4.1 4.1 Laufende Profilkartierung des TBM Vortriebes Das AG-seitig beauftragte Geologenteam der ARGE Pöyry Austria GmbH und geo.zt GmbH war im Durchlaufbetrieb 7 Tage pro Woche während 24 Stunden auf der Baustelle anwesend. Die Dokumentationsarbeit war laut Leistungsbild hier kombiniert mit einer Gebirgsbeurteilung der Hohlraumstabilität im Hinblick auf den Einbau von Sicherungsmaßnahmen (in Form von Gebirgsankern, Gitter, Bögen und Spritzbeton) zur Arbeitssicherheit. Dazu war es notwendig, die Gebirgsbeurteilung und überwiegend auch die geologische Dokumentation im vordersten Arbeitsbereich der hier zum Einsatz gekommenen TBM, bis zu rd. 30 m hinter der Ortsbrust durchzuführen, um rasche Entscheidungen treffen zu können. Dazu war es erforder- 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 101 Vergleich ingenieurgeologischer Dokumentationsmethoden am Beispiel eines alpinen TBM-Stollens lich, dass die Geologen des AG in der Regel mindestens zweimal pro Arbeitstag - bzw. falls notwendig mehrmals - auf der TBM anwesend waren. Abb. 5: AG-Geologe im vorderen Arbeitsbereich der TBM bei der Feldaufnahme, Blick gegen die Vortriebsrichtung (Foto: Pöyry/ geo.zt). Im Fokus der Dokumentationsarbeit steht für den AG im Hinblick auf einen sicheren Vortrieb und eine jahrzehntelange Betriebsführung des Druckstollens eine umfassende Gebirgsaufnahme. Insbesondere die Trennflächen sind incl. ihrer Eigenschaften (Öffnungsweiten, mechanische Wirksamkeit, etc.) bei einem unter Druck stehenden Stollen wegen potentieller Wasserempfindlichkeit und Erodierbarkeit der Kluftfüllungen von enormer Bedeutung. Zusätzlich ist eine genaue Gefügeaufnahme mit der Orientierung, der Beschaffenheit und Lage ihrer Elemente die Grundlage für die im Druckstollenbau erforderlichen Gebirgs- und Bettungsinjektionen. Ebenso im Fokus der Dokumentationsarbeit steht die zeitnahe hydrogeologische Dokumentation sämtlicher Wasserzutritte mit ihrer Schüttung, des Schüttverhaltens und ihres Chemismus, um potentielle Betonaggressivitäten und bauwirtschaftliche Fragestellungen abzuklären. Des Weiteren mussten beruhend auf die geologisch-geotechnischen Verhältnisse möglichst rasch Empfehlungen zum Typ der vorgehaltenen Sohltübbinge gegeben werden, um die Möglichkeit eines nachfolgenden Ringbetoneinbaus entsprechend der Gebirgsqualität zu gewährleisten. Im Rahmen der hier gemäß dem Leistungsbild angewendeten entsprechenden Aufnahmemethodik wurden von den Geologen Feldaufnahmen eines Horizontal- und Vertikalschnittes in einer definierten Lage zur Stollenachse in Form von 20 m-Abschnitten (M 1: 75) mitgeführt (Abb. 6). Für den Horizontalschnitt wurde aus praktischen Gründen der Verschnitt zwischen Arbeitsplattform der TBM und der Stollenlaibung als Referenz genommen, für den Vertikalschnitt die Achslage. Nach den Feldaufnahmen, die sich stationstechnisch an den Baustationierungen im 10 m-Abstand orientierten, wurden im Baubüro Reinzeichnungen angefertigt, die zusammen mit den Gesteins- und Gebirgsparametern und der Fotodokumentation in eine Datenbank eingegeben wurden. Abb. 6: Beispiel für ein Blatt der laufenden Profilkartierung des TBM-Vortriebes durch die AG-Geologie. Die nun digital vorhandenen 20 m Abschnitte werden im Anschluss in Form von Stollenbändern zusammengeführt und in einem geeigneten Programm (ACAD) in die Endversionen von einzelnen Stollenbändern im Maßstab 1: 100 bearbeitet und zusammengeführt. Aus der Datenbank können dann je nach Bedarf und Anforderung diverse Darstellungen und Auswertungen ausgespielt werden, z.B. Gebirgsartenverteilungen, geotechnische Parameter, Gefüge Auswertungen, geotechnische Längsschnitte mit Vortriebsklassen, etc. 4.2 4.2 Periodische Laibungskartierung Das AN-seitig beauftragte Geologenteam des Ingenieurbüros Dr. Plinninger Geotechnik führte im Rahmen ihres Mandats periodische Ortstermine durch und war je nach Vortriebsleistung vor Ort tätig. Im Schnitt wurde einmal wöchentlich ein Vor-Ort-Einsatz von 3 AT am Stück durchgeführt. Die Dokumentation wurde hinter dem Nachläufer der TBM erstellt, wo günstige Arbeitsverhältnisse vorlagen (Abb. 7). Abb. 7: AN-Geologe hinter dem Nachläufer der TBM bei der Feldaufnahme, Blick in Vortriebsrichtung (Foto: Dr. Plinninger Geotechnik). 102 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Vergleich ingenieurgeologischer Dokumentationsmethoden am Beispiel eines alpinen TBM-Stollens Je nach Vortriebsfortschritt wurden meist zusammenhängende Stollenabschnitte von rd. 50 - 250 m Länge kartiert. Im Fokus der Dokumentationsarbeit der AN-Geologie standen in erster Linie die Vortriebsleistung und den Sicherungsmitteleinsatz bestimmende Gesteins- und Gebirgseigenschaften, wie Gesteinsarten, Gesteinszusammensetzung, Gesteinsfestigkeiten, Gefügerichtungen und Trennflächeneigenschaften. Für deren Erfassung und Darstellung wurden im Stollen Handskizzen der sichtbaren Bereiche der Stollenlaibung in Form einer Abwicklung mit abgeklappten Ulmen angefertigt und im Nachgang zum Ortstermin ins Reine gezeichnet und coloriert (Abb. 8). Ein Blatt der Kartierung umfasste die Darstellung eines 25 m-Abschnitts im Maßstab 1: 100. Die zeichnerische Darstellung wurde dabei ergänzt durch eines oder mehrere „Parameterblätter“, in denen die geotechnischen Eigenschaften der kartierten Homogenbereiche gemäß EN ISO 14689 klassifiziert wurden, sowie eine umfangreiche Fotodokumentation. Abb. 8: Beispiel für ein Blatt der hinter dem TBM-Nachläufer durchgeführten, periodischen Laibungskartierung durch die AN-Geologie. 4.3 Hybride 3D-Laibungsaufnahme Als zusätzliche Dokumentationsmethode wurde durch die Fa. dibit Messtechnik GmbH eine hybride Stollenaufnahme durchgeführt, die einen Teilbereich des Stollens Zemm-Tuxbach sowie den gesamten maschinellen Vortriebsabschnitt des Stollenasts Zemmgrund-Stillup umfasst. Die „hybride 3D-Aufnahmetechnik“ besteht aus einem Laserscanner (Zeilenscanner), der die Tunnelgeometrie vermisst und mehreren, hochauflösenden Digitalkameras (Abb. 9). Mit den Fotos der Digitalkameras werden die 3D-Modelle farbecht texturiert, wodurch geologische Strukturen zu identifizieren und analysieren sind. Bedingt durch den Aufnahmezeitpunkt sind in der Aufnahme sowohl unverkleidete Abschnitte, als auch gesicherte (Anker, Spritzbeton, Gitter) abgebildet. Die Dokumentation wurde im Nachgang zum Stollenvortrieb nach Durchschlag durchgeführt. Die eigentliche Aufnahme vor Ort wurde mit einem Einsatz von 1 AT durchgeführt. Für die Prozessierung der Daten fielen im Büro zusätzliche ca. 4 Arbeitstage an. Abb. 9: 3D-Aufnahme durch das hybride Aufnahmesystem. Vorne befindet sich der Linienscanner, dahinter anschließend Digitalkameras, die die Tunnelleibung fotografieren. Der helle Lichtsaum wird durch den Blitz einer Kamera hervorgerufen (Foto: Dibit). Die Daten wurden von dibit in Form von digitalen, texturierten 3D-Modellen mitsamt der Analysesoftware „Dibit“ geliefert (Abb. 10). Durch die Geologen von AG und AN erfolgt nachträglich eine ingenieurgeologische Interpretation und Auswertung der Aufnahmen. Abb. 10: Screenshots aus der Analysesoftware Dibit: Oben 2D-Tunnelabwicklung in Form eines Orthophotos. Unten: Ansicht im Dibit TIS 3D-Viewer mit eingezeichneter Schieferung (grüne Ebene). 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 103 Vergleich ingenieurgeologischer Dokumentationsmethoden am Beispiel eines alpinen TBM-Stollens 5. Projektbezogener Vergleich der Methoden Das Projekt Tuxbach erlaubt infolge der spezifischen Rahmenbedingungen einen interessanten Vergleich verschiedener Dokumentationsmethoden. In Hinblick auf Dokumentationsinhalte und wirtschaftliche Rahmenaspekte können die drei Methoden wie folgt gegenübergestellt werden (Tabelle 1). Methode Laufende Profilkartierung Periodische Laibungsabwicklung Photogrammetrische Laibungsaufnahme Ausführende ARGE Pöyry Austria GmbH und geo.zt GmbH Dr. Plinninger Geotechnik dibit Messtechnik GmbH Vorteile + zeitnahe Verfügbarkeit + Profildarstellung leicht verständlich + Gebirgsverhältnisse unmittelbar nach dem Ausbruch erfasst (z.B. Spannungsablösungen, gravitative Ausbrüche etc.) + keine Einschränkungen durch TVM oder Sicherungsmittel + Rund-um-die Uhr-Verfügbarkeit eines Geologen für Problemsituationen + Darstellung des direkt sichtbaren Gebirges; + detailgenaue Widergabe von Gestein und Trennflächengefüge; + relativ günstige und sichere Aufnahmebedingungen (Licht, Staub, Baustellenbetrieb) + relative Lagegenauigkeit (in Abhängigkeit der Stollenvermessung) + flexibler Personaleinsatz + objektive Abbildung der Stollenlaibung; + geringer Personalaufwand + lagetreue und referenzierte Darstellung mit einer Genauigkeit von ± 1-2 cm + Ermittlung geometrischer Informationen (Achslage, Überprofile, etc.) + Synergieffekte für Bauwirtschaft, da auch Sicherungsmittel hinsichtlich Flächenanteil und Stückzahl erfasst werden; + Leichte Einbindung bzw. Verarbeitung mit digitaler Datenverarbeitung Nachteile - ungünstigere Aufnahmebedingungen durch Arbeit im unmittelbaren TBM-Bereich - Verhältnisse in Schnittlage nicht direkt beobachtbar; Interpretation und Extrapolation erforderlich - eingeschränkte Lagegenauigkeit (in Abhängigkeit der Stollenvermessung) - generalisierte grafische Darstellung - personalintensiv - nachträgliche Digitalisierung erforderlich - Einschränkungen durch eingebaute Sicherung (v.a. Sohltübbing, Noppenfolien, Spritzbeton) sowie Versorgungsleitungen (Lutte, Rohrleitungen) im Bereich hinter dem Nachläufer - Abwicklungsdarstellung schwerer verständlich für Nicht-Geologen - Geologe nur sporadisch auf der Baustelle verfügbar; - nachträgliche Digitalisierung erforderlich - Einschränkungen durch eingebaute Sicherung (v.a. Sohltübbing, Noppenfolien, Spritzbeton) - Ableitung geologischer Informationen (z.B. Gesteinsart, GA-Zuordnung) erfordert nachträgliche Interpretation durch einen mit den Projektverhältnissen vertrauten Geologen Dokumentations- Leistung [m/ AT] direkt abhängig von der Vortriebsleistung der TBM, i.M. rd. 20 m/ AT rd. 100 m/ AT rd. 3000 m/ AT und mehr Nachbearbeitungsaufwand gering, Reinzeichnung und Digitalisierung gering, Reinzeichnung und Digitalisierung umfangreicher Prozessierungsaufwand sowie Aufwand für geologische Interpretation ungefähre Dokumentationskosten [EUR/ lfm] rd. 80 €/ lfm rd. 15 €/ lfm ca. 10 €/ lfm (zzgl. geol. Interpretation) Tabelle 1: Gegenüberstellung der drei am Projekt Tuxbachüberleitung eingesetzten Dokumentationsmethoden 6. Schlussfolgerungen und Ausblick Die projektspezifische Wahl der Dokumentationsmethodik ist eine hochwertige Beratungsaufgabe, die die Kompetenz und Erfahrung des Ingenieurgeologen erfordert. Der Ingenieurgeologe sollte sich dabei stets als „Übersetzer“ des Gebirges verstehen und Art und Inhalte seiner Darstellung auf die Erfordernisse des jeweiligen Empfängers abstimmen. 104 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Vergleich ingenieurgeologischer Dokumentationsmethoden am Beispiel eines alpinen TBM-Stollens Vor diesem Hintergrund ist es auch sinnvoll - und keinesfalls als fachlicher „Wildwuchs“ zu interpretieren! - dass sich Inhalte und Darstellungsformen verschiedener Dokumentationen unterscheiden: Ingenieurgeologische Dokumentationen die im Wesentlichen der Überprüfung der Baugrundprognose für Fragen von Vortrieb und Sicherung während der Bauausführungsphase dienen, haben zwangsläufig andere Schwerpunkte, als diejenigen, die vorrangig der jahrzehntelangen Betriebsführung, z.B. von Wasserkraftwerken dienen. Allerdings muss bei derartig verschiedenen Dokumentationen die Basis, d.h. die Aufnahme der geologischen Verhältnisse, grundsätzlich übereinstimmen. Ein wesentlicher Ansatz für die Objektivierung und Außerstreitstellung geologischer Dokumentationen kann die Einführung eines „Vier-Augen-Prinzips“ darstellen, bei denen Geologen im Auftrag des Auftraggebers gemeinsam mit Geologen im Auftrag des Auftragnehmers versuchen, gemeinsame Sichtweisen zu erarbeiten und darzustellen. Mit dieser - im englischsprachigen Raum übrigens als „two man rule“ bezeichneten -Vorgehensweise wurden in der Vergangenheit insbesondere bei konfliktträchtigen bzw. bereits konfliktbehafteten Projekten sehr gute Erfahrungen gemacht (siehe auch Plinninger, Sommer & Poscher, 2017). Eine derzeit in Bearbeitung befindliche Empfehlung der Österreichischen Gesellschaft für Geomechanik (ÖGG) hat diesen Ansatz ebenfalls aufgegriffen und wird ihn voraussichtlich auch in Ihrer in naher Zukunft erscheinen Empfehlung für die „Baugeologisch-hydrogeologische Dokumentation bei der Ausführung von Untertagebauwerken“ berücksichtigen. Die auf der Baustelle erforderliche, interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Vertretern unterschiedlichster Fachgebiete und unterschiedlicher Rollen im Projekt erfordert dabei nicht nur die Fähigkeit, geologische Sachverhalte kompetent und zutreffend darzustellen, sondern auch die Fähigkeit, zu erkennen, welche Darstellung für den jeweiligen Empfänger am besten verständlich ist und welche Art der Darstellung für diesen Zweck gewählt werden sollte. Neben der „klassischen“ ingenieurgeologischen Aufnahme und Darstellung von Aufschlüssen kann dies eine weitere Interpretation und Verarbeitung bis hin zu speziellen Ausarbeitungen, wie z.B. Homogenbereichs-Pläne, geotechnische Längsschnitte mit Auskleidungsmassnahmen, Bodenklassenpläne, Injektionsrasterpläne oder ähnliches erfordern (siehe auch Plinninger, Scholz, Sommer & Poscher, 2017). Moderne bildgebende Verfahren, wie Photogrammetrie und Laserscanning sind zunehmend baustellentauglich und werden kurzbis mittelfristig an Bedeutung gewinnen. Die gleichzeitig steigenden Anforderungen an die Einbindung geologischer Informationen in Datenbank- oder Geoinformationssysteme (Stichwort „Building Information Management“) werden mittelfristig zu Anpassungen des Dokumentationswesens auch in der Ingenieurgeologie führen. Die Einbindung bildgebender Verfahren, wie Photogrammetrie, Laserscanning, o.ä. bietet hierfür mannigfaltige Möglichkeiten. Literatur Blauhut, A., Steyrer, P., Eichiner, H., Fiegl, M., Gasser, O. & Riediger, C. (2019): Lower Tuxbach diversion - A high pressure diversion tunnel: Excavation and lining design for internal pressure greater than 20 bar; Untere Tuxbachüberleitung - Ein Überleitungsstollen als Hochdruckstollen: Vortrieb und Auskleidungskonzept für Innendrücke über 20 bar,- Geomechanics & Tunnelling, 3: S. 212-226 , Berlin (Ernst & Sohn) Plinninger, R.J., Scholz, M., Sommer, P. & Poscher, G. (2017): Umfahrung Schwarzkopftunnel / ABS Hanau-Nantenbach: Anspruchsvoller Spezialtiefbau in wechselhaften Verhältnissen - Herausforderung für die ingenieurgeologische Dokumentation, in: DGGT (Hrsg. 2017): Tagungsband der Fachsektionstage Geotechnik, Würzburg, 6. - 8. September 2017: S. 150-155, Essen Plinninger, R.J., Sommer, P. & Poscher, G. (2017): On the role of the Engineering Geologist in the Construction Phase of Challenging Tunnel Projects.in: Proceedings of the World Tunnel Congress 2017 - Surface challenges - Underground solutions. Bergen / Norway, S. 2313- 2319. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 105 Tunnelbau im Schwarzjura - Erfahrungen bei den Vortrieben des Albvorlandtunnels Juan Duque-Barroso DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH, Stuttgart, Deutschland Tilman Sandner Boley Geotechnik - Beratende Ingenieure GmbH, München, Deutschland Jens Hallfeldt DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH, Stuttgart, Deutschland Zusammenfassung Beim Albvorlandtunnel handelt es sich um einen der längsten im Bau befindlichen Eisenbahntunnel Deutschlands. Er verläuft als Zweiröhrentunnel mit 8.176 m entlang der Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Kirchheim unter Teck vollständig in der geologischen Formation des Schwarzjuras. In der gesamten Schichtfolge tritt das Mineral Pyrit auf, wodurch im Ausbruchmaterial eine Anreicherung mit Sulfat stattfinden kann. Um eine Verwertung des Materials in Baden-Württemberg dennoch zu ermöglichen, wurde mit den zuständigen Behörden ein Erlass erarbeitet. Darüber hinaus wiesen die Gesteine im Bereich des Albvorlandtunnels weitere geogene Besonderheiten auf, welche die Verwertung der Ausbruchmassen zur ständigen Herausforderung machten. Über den aktuellen Stand der Arbeiten als auch über die bei der Umsetzung gewonnenen Erfahrungen wird nachstehend berichtet. 1. Projektbeschreibung Die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm ist Teil des Bahnprojektes Stuttgart-Ulm. Die rund 60 Kilometer lange Neubaustrecke verläuft zwischen Neckar und Donau etwa zur Hälfte in Tunneln. Einer dieser Tunnel ist der Albvorlandtunnel, der sich mit 8.176 m Länge zwischen Wendlingen am Neckar im Westen und Kirchheim unter Teck im Osten erstreckt. Er ist nach dem Boßlertunnel (8.806 m) der zweitlängste Tunnel der Neubaustrecke. Er verläuft in zwei Röhren vollständig in der geologischen Formation des Schwarzjuras. Der Albvorlandtunnel besteht aus zwei Baustelleneinrichtungsflächen. Eine im Westen, von der alle Spritzbetonvortriebe ausgehen, und eine im Osten, von der die TVM-Vortriebe starten (Abbildung 1). Neben den Erfahrungen beim Vortrieb im Schwarzjura mit maschinellem Tunnelvortrieb und Spritzbetonbauweise im Albvorlandtunnel wird insbesondere auf den Umgang mit dem Tunnelausbruchmaterial aufgrund der geogenen Vorbelastungen des Schwarzjuras und der nicht ausreichenden Entsorgungsmöglichkeiten in Baden-Württemberg eingegangen. Abbildung 1: Übersicht aller Tunnel 2. Geologische Formation „Schwarzjura“ Als Schwarzer Jura (200-178 Mya) wird in der Erdgeschichte die unterste der drei lithostratigraphischen Gruppen des Süddeutschen Jura (Weißer Jura, Brauner Jura, Schwarzer Jura) bezeichnet. Er ist erdgeschichtlich dem Mesozoikum zuzuordnen. Die Benennung erfolgte aufgrund der dunklen Verwitterungsfarben der Gesteine des Schwarzen Juras infolge des biologischen Abbaus 106 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Tunnelbau im Schwarzjura - Erfahrungen bei den Vortrieben des Albvorlandtunnels am Meeresboden des Jura-Meeres. Die Sedimentgesteine bestehen überwiegend aus dunklen Sandsteinen, Tonen, Mergeln und Kalken. Dominierend sind dabei verwitterungsempfindliche Ton- und Tonmergelsteine mit geringen Druckfestigkeiten und Verschleißhärten. Lediglich in den Schichten des Arietenkalkes (si1) sowie im Angulatensandstein (he2) treten mächtigere Kalkbzw. Sandsteinlagen mit hohen Festigkeiten bis 170 MPa auf. Die quarzitisch gebundenen Sandsteine weisen außerdem sehr hohe Verschleißhärten auf. Besonders zu erwähnen ist das Vorkommen des sulfidischen Minerals Pyrit (FeS2), welches auch Narrengold genannt wird. Es tritt sowohl fein verteilt als auch in großen Konkretionen auf. Je nach lokalen Ablagerungsbedingungen können die Gehalte stark schwanken. Praktisch alle Gesteine weisen außerdem geogene Hintergrundgehalte an diversen Bestimmungsparametern wie beispielsweise Arsen oder Nickel auf, die für die Entsorgung relevant sind. 3. Baustellenübersicht und anfallende Ausbruchsmassen Im Bereich Wendlingen befindet sich die Baustelleneinrichtung (BE) West (Abbildung 2). Abbildung 2: Baustelleneinrichtungsfläche West Von hier erfolgen die Spritzbetonvortriebe der beiden Röhren des Albvorlandtunnels (Nordröhre 134 m und Südröhre 16 m), der aus der Nordröhre abzweigenden Güterzuganbindung (GZA-Tunnel mit 196 m), der Autobahnunterquerung (GZA-BAB-Tunnels mit 173 m), der „Kleinen Wendlinger Kurve“ (494 m) und der aktuell noch in Planung befindlichen „Großen Wendlinger Kurve“ (ca. 760 m). Im Bereich der Gemarkung Dettingen bei Kirchheim unter Teck befindet sich die Baustelleneinrichtung (BE) Ost (Abbildung 3). Von hier aus werden mit zwei EPB-Tunnelvortriebsmaschinen gleichzeitig die beiden Hauptröhren des Albvorlandtunnels in Richtung Stuttgart aufgefahren. Abbildung 3: Baustelleneinrichtungsfläche Ost Der Südmaschine (WANDA, 7.978 Vortriebsmeter, Abbildung 4) startete am 27.10.2017, die Nordmaschine (Sybille, 7.674 Vortriebsmeter) startete am 04.12.2017. Abbildung 4: Die TVM „WANDA“ (Herrenknecht AG) Um die anzutreffenden Baugrundverhältnisse sowie die Anforderungen aus der Unterfahrung der A8 bewältigen zu können, wurden verschiedene Vortriebsklassen (VK) ausgeschrieben: VK1: Offener Modus mit teilgefüllter Abbaukammer VK2: Teilgefüllte Abbaukammer mit Druckluft VK3: Teilgefüllte Abbaukammer mit Konditionierung VK4: Vollständig gefüllter Abbaukammer VK4-BAB: Wie VK4, jedoch zwingend unter der BAB-A8 In der VK4 fahren die Maschinen im sogenannten EPB-Modus, wobei das Ausbruchmaterial an der Ortsbrust mit Schaum aus Wasser und Tensiden konditioniert werden muss. Aus den Voreinschnitten West und Ost fallen ca. 0,8 Mio. Tonnen Ausbruchmaterial an. Die gesamte anfallende Ausbruchsmasse aus den beiden Tunnelröhren der NBS beträgt ca. 3,6 Mio. Tonnen. Weitere 0,13 Mio. Tonnen fallen im KWK Tunnel und den zugehörigen Voreinschnitten an, ca. 0,1 Mio. Tonnen entfallen auf die Tunnel der GZA. Insgesamt gilt es damit ca. 4,8 Mio. Tonnen zu bewegen. Im Bereich Ost wird das Tunnelausbruchmaterial aus den Vortrieben über zwei Förderbänder zur Bereitstel- 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 107 Tunnelbau im Schwarzjura - Erfahrungen bei den Vortrieben des Albvorlandtunnels lungsfläche verbracht, wo bei Bedarf eine Aufbereitung durchgeführt wird. Die Fläche bietet Platz für ca. 90.000 Tonnen lose gelagertes Ausbruchmaterial. Im Bereich West wird das Ausbruchmaterial per Knickgelenkmulde aus den Vortrieben auf die Bereitstellungsfläche transportiert, wobei ca. 10.000 Tonnen zwischengelagert werden können. Das aus den Voreinschnitten und Vortrieben gewonnene Material wird auf den beiden Bereitstellungsflächen Ost und West gelagert, dort für die Abfalldeklaration beprobt und anschließend per LKW zum Bestimmungsort abtransportiert. Insgesamt wurden auf der Baustelle dabei Tagesmassen von bis zu 20.000 Tonnen bewegt. 4. Entsorgung und Sonderfall Pyrit Das Bodenverwertungs- und Entsorgungskonzept des Albvorlandtunnels sah die Entsorgung des Tunnelausbruchmaterials entsprechend der für Baden-Württemberg gültigen Verwaltungsvorschrift (VwV) [2] vor. Dabei wurden einige geogen erhöhte Parameter erfasst, jedoch keine Auswirkungen veränderlicher Minerale. Bei einer Nachbeprobung von Ausbruchmaterial des benachbarten Boßlertunnels waren erhöhte Sulfatgehalte festgestellt worden. Verantwortlich dafür war das Mineral Pyrit, welches nach Kontakt mit dem Luftsauerstoff oxidiert. Da der Schwarzjura im Bereich des Albvorlandtunnels ebenfalls Pyrit enthält, wurden umgehend Untersuchungen eingeleitet, um die Entsorgung der insgesamt ca. 4,8 Millionen Tonnen Ausbruch weiterhin sicherstellen zu können. Zunächst wurden im Bereich des Voreinschnittes Ost Testfelder angelegt, um eine mögliche Sulfatentwicklung im Ausbruchmaterial sichtbar zu machen. Dazu wurde Material der Bohrpfahlherstellung aus dem anstehenden Numismalismergel (Plinsbachium 1 und 2) in unterschiedlichen Konfigurationen eingebaut. Es zeigte sich ein deutlicher Anstieg der Gehalte an Sulfat im Eluat um das bis zu 4-fache auf 120 mg/ l innerhalb von 15 Wochen (Abbildung 5). Abbildung 5: Entwicklung der Sulfatgehalte in losem geschüttetem Haufwerk in unterschiedlicher Einbautiefe Dabei wurde eine signifikante Abhängigkeit von Einbaudichte und Überdeckung festgestellt. Um die mögliche Langzeitentwicklung zu erfassen, wurden Proben aus bis zu 13 Jahre alten, eingelagerten Bohrkernen der Vorerkundungsmaßnahmen entnommen. Dabei wurden im gleichen Gestein Werte von bis zu 500 mg/ l festgestellt. Die ermittelten Gehalte lagen somit im Bereich der Deponieverordnung (DepV), eine zweckmäßige Entsorgung der täglich bis zu 18.000 Tonnen aus den Maschinenvortrieben war damit ausgeschlossen. Um ausreichende Verwertungskapazitäten zu schaffen, wurde in Zusammenarbeit mit den oberen und unteren Umweltbehörden (RP Tübbingen, LRA Göppingen, LRA Esslingen und LRA Reutlingen) und mit dem Umweltministerium Baden-Württemberg in einem 3-monatigem Abstimmungsprozess der sogenannte „Pyrit-Erlass“ [4] erarbeitet. Der Erlass erging am 07.04.2017 und regelt die Verwertung des pyrithaltigen Tunnelausbruchmaterials unter den folgenden Einbaubedingungen: - Zeitnahes Einbauen - Kompaktes Einbauen (eher hoch als breit) in Monobereichen - Lagenweise verdichteter Einbau - Ableitung des Niederschlagswasser - Abdeckung des Einbaukörpers vor größeren Betriebspausen - Grundwasser-Monitoring - Ergänzende Maßnahmen bei Verwertungsstellen in Wasserschutzgebieten Der Grundgedanke des Erlasses ist, den ursprünglichen, ungestörten und dichten Zustand der Ton- und Tonmergelsteine durch lagenweises Einbauen möglichst schnell wiederherzustellen. Damit sollen der unmittelbar einsetzende Oxidationsprozess sowie die Lösung von Sulfat gehemmt bzw. unterbunden werden. Zur Festlegung der Einbaukriterien wurden Frachtbetrachtungen angestellt, d. h. der mögliche Austrag von Sulfat ins Grundwasser sollte auch bei sehr hohen Gehalten nicht über den genehmigten Eluatwerten des Standortes liegen. Letztendlich konnte für 3 große Verwertungsstandorte eine Genehmigung erwirkt werden. Während dieser Untersuchungs- und Abstimmungsphase musste für die Entsorgung des Materials der bereits in Ausführung befindlichen Voreinschnitte auf bis zu 100 km entfernte Gipsbrüche mit sogenannter Sulfatöffnungsklausel zurückgegriffen werden. 5. Herausforderungen bei der Entsorgung der Ausbruchsmassen 5.1 Probleme in Verbindung mit der Konditionierung Der TVM-Vortrieb im Erddruckmodus (VK4) erforderte die Umwandlung des abgebauten Baugrunds in einen Erdbrei mit definierter Konsistenz. Dieser muss einerseits einen Stützdruck auf die Ortsbrust übertragen kön- 108 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Tunnelbau im Schwarzjura - Erfahrungen bei den Vortrieben des Albvorlandtunnels nen und andererseits eine hinreichende Fließfähigkeit besitzen, um Verklebungen zu vermeiden und um von der Förderschnecke abgezogen werden zu können. Eine zu flüssige Konsistenz ist dabei jedoch wegen der Anforderung des Förderbandbetriebs unerwünscht. Ein zu hoher Wassergehalt beeinträchtigt außerdem die Einbaumöglichkeiten und muss durch Austrocknung oder Kalkung erst wieder beseitigt bzw. kompensiert werden. Aus einem Vortrieb fielen ca. 186 m³ Ausbruchsmaterial an. Je Kubikmeter Ausbruch wurden dabei ca. 650 l Wasser zugegeben, ergänzt durch eine Tensid-Konditionierung von 300 - 500 l pro Vortrieb. Über eine Mischanlage an den Abwurfpunkten wurde dann eine Kalkung des Ausbruchmaterial (Abbildung 6) vorgenommen. Eine Austrocknung kam auf Grund des dafür notwendigen, sehr großen Platzbedarfs nicht in Frage. Probleme resultierten vor allem aus den lokal stark schwankenden Wassermengen, der erheblichen Staubentwicklung sowie der Anlagentechnik für die Kalkzugabe und Mischung. Darüber hinaus wurde im Zuge der baubegleitenden Deklarationsanalysen festgestellt, dass das Ausbruchmaterial geogene Hintergrundgehalte des Bestimmungsparameters „MBAS“ aufwies, welcher eigentlich zur Kontrolle der im Vortrieb zugegebenen Tensidmengen herangezogen wurde. Aufgrund der an die Trinkwasserverordnung angelehnten genehmigten Grenzwerte der Verwertungsstandorte führte dies zu Einschränkungen bei der Tensiddosierung in den Vortrieben. Abbildung 6: Kalkmischanlage am Abwurfturm 5.2 Auftreten von geogenem BTEX und Arsen Der weitere Vortrieb wurde durchgehend in der VK2 aufgefahren. Eine Wasserzugabe erfolgte lediglich in der Förderschnecke. Innerhalb des Numismalismergels und Turneritons (Plinsbachium 1 sowie Sinemurium 2) wurden deutlich erhöhte BTEX-Gehalte sowie erhöhte Arsengehalte im Eluat festgestellt. Beide Parameter stellten sich als geogenen Ursprungs heraus. Insbesondere bei BTEX besteht die Problematik, dass das Überschreiten des Grenzwertes von 1 mg/ kg eine sofortige Einstufung in die Deponieklassen zur Folge hat. In Verbindung mit den Arsengehalten bis Z1.2 nach VwV sowie der bestehenden Pyritproblematik war eine ausreichend leistungsstarke und in den Kosten angemessene Entsorgung in Baden-Württemberg nicht mehr möglich. Für die Verwertung wurde auf Standorte der keramischen Industrie in Bayern umgestellt, da die dortigen Vorschriften eine Lagerung des Tunnelausbruchmaterials als Rohstoff ermöglichten. Darüber hinaus wurde das Material über eine Umschlagstelle in Plochingen per Bahn nach Thüringen transportiert und dort aufgrund der geringen Wasserdurchlässigkeit des Tonsteins als Abdichtungsmaterial im Deponiebau verwendet. Aufgrund der strikteren Umwelt-Gesetzgebung in Baden-Württemberg fielen dadurch täglich bis zu 100.000 LKW-km zusätzlich an. 5.3 Verwertung von konventionell gewonnenem Material Um den aufwändigen Abstimmungsprozess zu beschleunigen sah der Pyriterlass zunächst nur den Einbau von maschinell gewonnenem Tunnelausbruchmaterial vor, da durch den Vortrieb bereits primär eine starke Zerkleinerung und Durchmischung der Gesteine stattfindet. Um die Verwertung von Material aus den bergmännischen Vortrieben zu ermöglichen, musste zunächst der Nachweis erbracht werden, dass beim Einbau die geforderten Dichtigkeitskriterien erreicht werden können. Von Vorteil war, dass alle Beteiligten bereits über Langzeiterfahrung mit der Umsetzung des Pyriterlasses verfügten. Es wurden zunächst mehrere Testfelder angelegt und unterschiedliche Einbaumethoden erprobt. Herausforderung war dabei vor allem das gemeinsame Auftreten von Hartgesteinen und quartären Tonen, was die Bearbeitung beim Einbau erschwerte. Das Material konnte anschließend erfolgreich für den Bau von Seitenablagerung verwertet werden. 6. Verwertung/ Entsorgung nach Pyriterlass Die reguläre Verwertung eines Großteils der Ausbruchmassen während der Vortriebe erfolgte gemäß Pyriterlass in 3 Hauptstandorten (Abbildung 7). Dabei wurde das Ausbruchmaterial von der Fremdüberwachung des Auftraggebers regelmäßig am Anfallort untersucht [5] und die ermittelten Einbauanforderungen an den Auftragnehmer weitergegeben. Die Ausführung verlief überwiegend problemlos, die Einbaukriterien wurden meist ohne zusätzliche Nachbehandlung im Standort durch einfache Verdichtungsmethoden erreicht. Bei den regelmäßigen Nachbeprobungen konnte kein relevanter Anstieg der Sulfatgehalte festgestellt werden. Schwierigkeiten traten vor allem während der erddruckgestützten Phase mit schwankenden Wassergehalten 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 109 Tunnelbau im Schwarzjura - Erfahrungen bei den Vortrieben des Albvorlandtunnels sowie bei starken Niederschlägen auf. Hier musste das Material zwischengelagert sowie teilweise abgeschoben oder mit Weißfeinkalk behandelt werden. Für die Andienung notwendige Baustraßen wurden in den Monobereichen der Steinbrüche eingekapselt, um Wasserwegigkeiten auszuschließen. Abbildung 7: Einbau in den Verwertungsstellen nach Pyriterlass 7. Schlussfolgerung und Ausblick Aufgrund der Anforderungen aus dem Pyriterlass sowie geogener Hintergrundgehalte an BTEX und Arsen waren die Verwertungsmöglichkeiten in Baden-Württemberg stark eingeschränkt. Das Projekt wurde mit einem dreistelligen Millionenbetrag zusätzlich belastet. Die Entsorgung der Ausbruchsmassen ist einer der kostenintensivsten Posten im Tunnelbau. Eine präzise Vorerkundung der relevanten Parameter und die entsprechende Massenermittlung sind daher von größter Wichtigkeit. Zusätzlichen Untersuchungskosten von wenigen tausend Euro stehen Mehrkosten und Bauzeitverzüge in Millionenhöhe gegenüber. Wie am Beispiel des Albvorlandtunnels erkennbar, ist auch bei lediglich geogen belastetem Untergrund eine ortsnahe Verwertung keineswegs selbstverständlich. Insbesondere aufgrund abfallrechtlicher Anforderungen und landesspezifischer Vorschriften sowie beim Auftreten veränderlicher Parameter muss mit hohen Hürden bei der Entsorgung gerechnet werden. Dabei war es im vorliegenden Fall des Albvorlandtunnels unerheblich, dass die Sulfatgehalte um den Faktor 10 bis 20 unter denen üblicher, in der Region erhältlicher Mineralwässer lagen. Literaturverzeichnis [1] www.bahnprojekt-stuttgart-ulm.de, Webseite des Bahnprojektes Stuttgart-Ulm (Zugriff am 04.04.2019) [2] Verwaltungsvorschrift des Umweltministeriums Baden-Württemberg für die Verwertung von als Abfall eingestuftem Bodenmaterial vom 14. März 2007 (aktuell gültig bis zum Inkrafttreten der Änderung zur Bodenschutzverordnung, längstens bis 31.12.2019) [3] Verwertung von pyrithaltigem Bodenaushubmaterial in Verfüllungen und Abgrabungen, Erlass des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg, 07.04.2017 [4] Tunnelbau 2020, Ernst & Sohn, Art. „Tunnelbau im Schwarzjura - Besondere Herausforderungen beim Vortrieb des Albvorlandtunnels“ Dipl.-Ing. Jens Hallfeldt, Dipl.-Ing. Michael Frahm, Prof. Dr.-Ing. Dieter Kirschke, Dr.-Ing. Andreas Groten [5] „Zwischenbericht zu den Fremdüberwachungsleistungen zur Verwertung nach Pyriterlass“ ICP Ingenieurgesellschaft 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 111 Erschütterungen aus Sprengvortrieben für Profilaufweitungen M.Sc. Nadine Depta Hochtief Infrastructure, Abteilung Tunnelbau, Essen, Deutschland Dr.-Ing. Lars Röchter Vössing Ingenieurgesellschaft mbH, Niederlassung Tunnelbau, Düsseldorf, Deutschland Zusammenfassung Im Zuge des beachtlichen Bedarfs an Erneuerungsarbeiten an gemauerten Tunneln innerhalb der kommenden Jahrzehnte ist häufig auch eine Aufweitung des Lichtraumprofils erforderlich. Hinsichtlich der Prognose von Erschütterungen durch Sprengarbeiten zur Profilaufweitung existieren aktuell nur wenige Erfahrungswerte. Der vorliegende Beitrag beinhaltet den Vergleich von Messdaten mit Prognosen sowie die nachträgliche Kalibrierung der Prognosemodelle am Beispiel ausgeführter Sprengvortriebe. Dabei wird die Analyse von Messdaten bei durchgeführten Tunnelbauprojekten mit Profilaufweitung und Vollausbruch vorgestellt. Im Ergebnis haben sich hierbei zwei Modelle, jeweils eins für Nah- und Fernfeld, für die Prognose der Schwinggeschwindigkeiten bewährt. Die Auswertung der Messdaten zeigt, dass die Schwinggeschwindigkeiten für Maßnahmen zur Querschnittsaufweitung für den Mittelwert in guter Näherung prognostiziert werden können. Die Qualität der Prognose kann durch eine Probesprengung verbessert werden. 1. Einführung Neubautunnel und Tunnelaufweitungen werden häufig mittels Sprengvortrieb ausgeführt. Der konventionelle Vortrieb stellt eine flexible Vortriebsmethode dar, die vor allem bei schwierigen und wechselhaften Gebirgsverhältnissen, aber auch bei unterschiedlich großen und komplexen Querschnittsgeometrien angewendet werden kann. Bei den immer häufiger durchzuführenden Profilaufweitungen erweist sich das Sprengverfahren als qualifizierte Methode. Ein Nachteil, der mit einem Sprengvortrieb einhergeht, sind entstehende Erschütterungen. Daher hat die Prognose von Erschütterungen im Vorfeld der Baumaßnahme einen hohen Stellenwert, um die Auswirkungen auf Menschen und Gebäude berücksichtigen zu können. Die Beurteilung der Erschütterungen erfolgt nach DIN 4150-2 und DIN 4150-3. Für die Prognose von Erschütterungen existieren bereits Ansätze auf Grundlage der Wellenausbreitung im elastischen Halbraum, der DIN 4150-1 und praxisbezogenen Messdaten. Viele empirische Modelle basieren auf Annahmen und kalibrierten Werten und erlauben eine grobe Abschätzung der Auswirkungen. Aus diesem Grund ist es essentiell, die Prognosemodelle anhand von Auswertungen der Dokumentationen in der Praxis weiterzuentwickeln. Eine realitätsnahe Aussage über die zu erwartenden Erschütterungen kann bereits in der Vorplanung den Planungsprozess verbessern sowie eine größere Sicherheit hinsichtlich Baukosten und Bauzeit bewirken. Der Inhalt des vorliegenden Beitrags wurde im Rahmen einer Masterarbeit am Lehrstuhl für Tunnelbau, Leitungsbau und Baubetrieb der Ruhr-Universität Bochum in Kooperation mit der Niederlassung Tunnelbau der Vössing Ingenieurgesellschaft mbH erarbeitet. 2. Wellenausbreitung im elastischen Halbraum Erschütterungen breiten sich in Form von Wellen durch unterschiedliche Medien und in verschiedenen Richtungen als Freifeldschwingung aus. Die Wellenausbreitung wird sowohl durch den Boden und das Wasser (mechanische Wellen) als auch durch die Luft (elektromagnetische Wellen) übertragen. Die benötigten Beurteilungsgrößen der Wellenausbreitung sind die Schwinggeschwindigkeiten und Dämpfungen, welche je nach Bodenart und Grundwasser unterschiedliche Werte annehmen. Es können Raumwellen, wie Kompressions- und Scherwellen sowie Oberflächenwellen, in Form von Rayleigh-Wellen, auftreten. Bei dem Durchgang einer Kompressionswelle durch ein Medium werden Volumenelemente komprimiert und gedehnt. Die Partikel schwingen während dieses Vorgangs in Ausbreitungsrichtung. Die Schwingung der Partikel bei einer Scherwelle ist senkrecht zur Ausbreitungsrichtung. Die Rayleigh-Welle erfährt eine größere Amplitudenverschiebung in vertikaler Richtung [1], [15]. 112 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Erschütterungen aus Sprengvortrieben für Profilaufweitungen 2.1 Dämpfungsarten Abbildung 1 stellt die Wellenausbreitung an einem Kreisfundament einschließlich Übertragungsverlusten dar. Die Kompressionswelle und die Scherwelle strahlen in den unter dem Kreisfundament liegenden Halbraum ab und durchlaufen immer größere Kugelflächen. Die Rayleighwelle emittiert in den Boden mit beschränkter Tiefe und durchläuft eine zylinderförmige Fläche. Abbildung 1 bildet die Amplitude in der Entfernung r und die damit zusammenhängende geometrische Dämpfung ab. Der Vorgang der geometrischen Dämpfung beschreibt die Verteilung der in den Boden eingeleiteten Energie auf eine, in Abhängigkeit von der Entfernung, größer werdende Fläche. Die geometrische Dämpfung der Raumwelle im Vollraum wird bei Punktquellen mit r -1 beschrieben. An der Oberfläche des Halbraums beträgt die Amplitudenabnahme der Raumwelle r -2 und die der Rayleighwelle r -0,5 . Abbildung 1: Wellenausbreitung Kreisfundament [8] Die materielle Dämpfung beschreibt den Energieverlust infolge innerer Reibung zwischen den Kornpartikeln. Ausgehend von einer freien, gedämpften Schwingung eines Ein-Massen-Schwingers und unter Berücksichtigung der materiellen Dämpfung wird für die Schwinggeschwindigkeit im idealen Halbraum Gleichung (1) verwendet [16]: (1) Der Exponent r -n(f) definiert die geometrische und der zweite Term die materielle Dämpfung. Aufgrund der Frequenzabhängigkeit der Materialdämpfung steigt diese mit zunehmender Frequenz. Daraus resultierend klingen hohe Frequenzen schneller ab und tiefe Frequenzen werden noch in größeren Entfernungen wahrgenommen. Eine weitere Amplitudenveränderung findet beim Übergang vom Übertragungsmedium zum Empfänger (Boden auf Bauwerk) statt. Die Übertragung ist in diesem Bereich ebenfalls stark frequenzabhängig. 3. Prognosemodelle Sprengvortrieb Bei der Übertragung der Wellen im elastischen Halbraum in Zusammenhang mit den Dämpfungsarten wird die Wellenausbreitung im Baugrund infolge Sprengarbeiten als impulsartig erregte Punktquelle beschrieben. Die Ausbreitung und der Frequenzinhalt werden durch die örtlichen geologischen Verhältnisse beeinflusst. Im Nahbereich der Sprengung dominieren im Baugrund sehr hoch frequentierte Raumwellen mit großen Amplitudenwerten. Im Fernfeld lassen sich höher frequentierte Raumwellen und niederfrequentierte Oberflächenwellen erkennen. Das heißt, dass mit zunehmender Entfernung von der Emissionsquelle die Raumwellen aufgrund der materiellen Dämpfung eine Reduzierung der Frequenzen mit einer einhergehenden Minderung der Schwinggeschwindigkeiten erfahren. Da Oberflächenwellen im Vergleich zu den Raumwellen schwächer gedämpft werden, sind diese in größeren Entfernungen maßgebend. Bestehen Sprengungen aus mehreren räumlich und zeitlich getrennten Zündzeitstufen, finden Überlagerungen der Erschütterungen der Einzelladungen statt. Somit werden die Emissionsstärke und der Einwirkungsbereich vor allem durch die Größe der Lademenge und der Art der Sprengung bestimmt. Die Abschlagslängen, die Bohrlochanzahl und die Ladungsmengen werden in Abhängigkeit von der Querschnittsgröße und Gebirgsbeschaffenheit ermittelt. Entfernungen > 400 m sind für die Beurteilung von Erschütterungs-einwirkungen häufig vernachlässigbar [5]. 3.1 Prognosemodelle Nah- und Fernfeld Für die Erschütterungen aus Sprengvortrieben existieren empirische Modelle, die im Vorfeld eine Einschätzung der zu erwartenden Schwinggeschwindigkeiten geben sollen. Der Übergang vom Nahfeld zum Fernfeld wird bei Sprengungen mit einem Wert von 100 m festgelegt [14]. Mittels Koch’scher Formel (Gl. (2)) wird die Schwinggeschwindigkeit im Nahbereich wie folgt ermittelt [4]: (2) Gl. (2) beschreibt das Zusammenwirken von geometrischer und materieller Dämpfung, was zur Amplitudenabnahme führt. Die geometrische Amplitudenabnahme wird durch den Term R -1 konkretisiert, welcher sich von den Angaben einer impulsartig erregten Punktquelle ableitet [5]. Im Vergleich wird der Energieverlust infolge innerer Reibung (materielle Dämpfung) durch den Term L 0,5 determiniert. Als empirischer Beiwert wird K=100 mm/ s angenommen, sofern keine Messwerte des Gebirges vorliegen. Der Parameter K präzisiert einen Übertragungsfaktor, welcher durch äußere Gegebenheiten beeinflusst wird: 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 113 Erschütterungen aus Sprengvortrieben für Profilaufweitungen - Ausbildung und Schichtung, Kluftscharen, Störungen des Gebirges; - Festigkeit und Dichte des Gesteins; - Wechsel der Geologie; - Wassergehalt des Gebirges; - Gründung der Gebäude. Gl. (3) prognostiziert die maximale Schwinggeschwindigkeit im Fernfeld (v max (mm/ s)). Als maßgebliche Wellenart wirkt die Oberflächenwelle. Mittels der Abhängigkeit der Lademenge L [kg] und den Entfernungen R [m], sowie der geometrischen (m) und materiellen Dämpfungsexponenten (b) wird die folgende Gl. (3) definiert: (3) Da die Exponenten L 0 und R 0 Bezugsgrößen mit dem Wert 1 definieren, gilt vereinfachte Schreibweise: (4) Gemäß Gl. (4) können sowohl die Parameter nach Koch, als auch nach Lüdeling durch die Variablen m, b und k beschrieben werden. Vor allem für das Fernfeld lassen sich in der Literatur Erfahrungswerte in Abhängigkeit von verschiedenen Felsarten finden, die in Tabelle 1 aufgeführt werden. Tabelle 1: Erfahrungswerte aus der Literatur [17] Die Parameter k, b und m werden anhand von Probesprengungen empirisch ermittelt oder mit Erfahrungswerten abgeschätzt. Gemäß den Grundlagen der Wellenausbreitung wird die geometrische Dämpfung (Exponent m) einer Raumwelle an der Oberfläche infolge einer impulsartig erregten Punktquelle mit dem Wert 2,5 definiert. Die Kennzahl b beschreibt den Energieverlust infolge innerer Reibung zwischen den Kornpartikeln (materielle Dämpfung). Je höher die Kennzahl b, desto geringer ist die Dämpfung. D.h., dass Festgestein die Schwingungsausbreitung mit zunehmender Entfernung schneller dämpft, als Lockergestein. Beim Vollausbruch eines Querschnitts infolge des Tunnelvortriebs wird oft ein gebirgsschonendes Sprengverfahren verwendet. I.d.R. werden Lademengen < 20 kg je Zündzeitstufe angesetzt. Die Querschnittsaufweitung bei Tunnelsanierungen wird häufig mit kleineren Lademengen < 5 kg durchgeführt [4]. Damit eine auf der sicheren Seite liegende und für die Projekte passende Erschütterungsprognose ausgearbeitet werden kann, wird der empirische Datensatz der Sedimentgesteine gewählt. Des Weiteren ist eine Klassifizierung in Nah- und Fernfeld zu empfehlen. Dabei scheint im Nahbereich die Koch´sche Gl. (2) zielführend. Für das Fernfeld und einer kleinen Lademenge (< 20 kg) kann Gl. (3) nach Lüdeling für Sedimentgesteine angesetzt werden. Ab einer Lademenge > 20 kg erscheint eine Unterteilung in Sedimentgesteine und kristalline Hartgesteine ausreichend. Darüber hinaus wird mittels Koch´scher Gl. (2) und der Gl. (3) nach Lüdeling die materielle Dämpfung im Festgestein gut zusammengefasst. Da Festgestein die Erschütterungen mit zunehmender Entfernung schneller dämpft als Lockergestein, erscheint für die materielle Dämpfung der Wert von 0,5 (Gl. (2)) und 0,59 (Gl. (3)) realistisch. Im Nahfeld wird die Schwinggeschwindigkeit durch den kleineren Wert b schneller gedämpft, weil mit großer Wahrscheinlichkeit überwiegend festeres Gestein vorhanden ist. Entlang des Ausbreitungsweges ist mit Veränderungen der Festigkeiten zu rechnen. In den oberen Schichten bzw. mit zunehmender Entfernung zur Sprengstelle liegen meist Böden mit geringeren Festigkeiten vor. Bezüglich der geometrischen Dämpfung im Nahfeld ist ein geometrischer Dämpfungsexponent m=1 zu wählen. Für das Fernfeld werden entgegen der Grundlagen der Wellenausbreitung kleinere Dämpfungsexponenten angenommen. Anstatt einem Wert von m=2,5 (Dämpfung der Raumwelle an der Oberfläche) wird gemäß Tabelle 1 im Mittel 1,7 angesetzt. Somit ist die materielle Dämpfung von m=1,52 der Sedimentgesteine ebenfalls auf der sicheren Seite liegend. 4. Beurteilung nach DIN 4150-2 und 4150-3 Sprengerschütterungen können zum einen Einwirkungen auf Menschen in Gebäuden haben, zum anderen Schäden an baulichen Anlagen verursachen. Damit die Menschen so wenig wahrnehmbaren Erschütterungen wie möglich ausgesetzt sind und Schäden an baulichen Anlagen vermieden werden, erfolgt die Beurteilung der Erschütterungseinwirkungen gemäß DIN 4150-2 und DIN 4150-3. Werden die Richtwerte der DIN eingehalten, ist davon auszugehen, dass Belästigungen des Menschen sowie Schäden an Bauwerken überwiegend auszuschließen sind [6], [7]. 4.1 Einwirkungen auf Menschen in Gebäuden Bei Erschütterungsprognosen, die im Vorfeld einer Bauausführung durchgeführt werden, wird ein Näherungsverfahren zur Berechnung der bewerteten Schwingstärke nach DIN 4150-2 herangezogen [6]. Anhaltswerte werden bei Baustellensprengungen mit KB=8 mm/ s am Tag und KB=0,3 mm/ s bei Nacht definiert. Für die Ermittlung 114 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Erschütterungen aus Sprengvortrieben für Profilaufweitungen von KB müssen der Maximalwert von v(t) sowie die Frequenz f aus den Messungen gegeben sein. In diesem Fall werden mit Gl. (5): (5) das bewertete Signal und folgernd der Schätzwert für den gleitenden Effektivwert KB* Fmax mittels Gl. (6): (6) ermittelt. Für c F wird die Sprengung als Einzelereignis kurzer Dauer ohne Resonanzbeteiligung mit einem Wert von 0,6 eingestuft. Da Baustellensprengungen i.d.R. durch selten auftretende, kurzzeitige Erschütterungen beschrieben werden, hat es sich als besonders wirksam erwiesen, das Näherungsverfahren anzuwenden. Dabei wird mit Hilfe der Gleichungen (5) und (6) die maximal zulässige Schwinggeschwindigkeit rückgerechnet. Für die Berechnung wird die am ungünstigsten wirkende Frequenz von f=30 Hz verwendet, die i.d.R. der Deckeneigenfrequenz eines einbis zweigeschossigen Gebäudes entspricht. 4.2 Einwirkungen auf bauliche Anlagen Für die Beurteilung der Erschütterungseinwirkungen auf bauliche Anlagen erfolgt eine Gruppierung in Industriegebäude, Wohngebäude und besonders empfindliche und unter Denkmalschutz stehende Gebäude. Je nach Messort (Decke oder Fundament) und der gemessenen Frequenz, können Anhaltswerte gemäß Tabelle 2 herangezogen werden. Tabelle 2: Anhaltswerte zur Beurteilung [7] Mit Einhaltung der Richtwerte ist erfahrungsgemäß davon auszugehen, dass keine schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des BImSchG [3] vorliegen. 5. Vergleich der Prognosemodelle mit realen Tunnelbauprojekten In den folgenden Kapiteln werden Sprengerschütterungen von drei ausgeführten Tunnelbauprojekten untersucht. Am Beispiel des Steinbühltunnels wird zunächst ein Vollausbruch mittels Sprengverfahren vorgestellt. Anhand der Tunnel Obermaiselstein und des Petersbergtunnels wird eine Profilaufweitung behandelt. 5.1 Methodik der Prognosedurchführung Mittels der maximal zul. Lademenge und des Abgleichs der tatsächlich gewählten Lademengen der Projekte wird eine Prognose der zu erwartenden Schwinggeschwindigkeiten erstellt. Im Anschluss werden die prognostizierten Schwinggeschwindigkeiten mit den gemessenen Erschütterungswerten verglichen. Je nach Messort (Freifeld oder Gebäudefundament) wird ein Übertragungsfaktor gemäß DIN 4150-1 [5] berücksichtigt. Im Anschluss wird auf Grundlage der Messwerte die Prognose neu kalibriert. Im letzten Schritt wird geprüft, ob die Richtwerte der DIN 4150-2 und DIN 4150- 3 eingehalten werden [6], [7]. 5.2 Steinbühltunnel Der Steinbühltunnel gehört zum Projektabschnitt „Albaufstieg“ der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm und umfasst zwei eingleisige Röhren. Mit einer Länge von 4.847 m liegt der Tunnel südöstlich des Filstals. Die signifikanten Geologien, die den Steinbühltunnel umgeben, sind das Braunjura sowie Weißjura. Die dominierenden Gesteinsarten sind Kalksteine, eine geschichtete Folge aus mergeligen und kalkigen Gesteinen sowie bereichsweise Dolomite. Es ist mit Verkarstungen zu rechnen. Die Gesteine des Weißjura fallen in die Kategorie der Sedimentgesteine. Entlang der Vortriebsstrecke sind Abschnitte vorhanden, bei denen die Sprengerschütterungen Auswirkungen auf bauliche Anlagen und Menschen in Gebäude haben können. Kritische Immissionsorte (< 400 m) werden in Tabelle 3 dargestellt. Die Immissionsortbezeichnung wird aus dem Sprenggutachten [13] entnommen und mit der „Lehnbrücke“ als einen weiteren Immissionsort ergänzt. Bei jedem Immissionsort wird jeweils die minimale, räumliche Entfernung zum Steinbühltunnel untersucht. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 115 Erschütterungen aus Sprengvortrieben für Profilaufweitungen Tabelle 3: Kritische Immissionspunkte Steinbühltunnel 5.2.1 Erschütterungsprognose für den Vollausbruch Auf Grundlage des Näherungsverfahrens Gl. (5) und (6) und den Anhaltswerten von A 0 = 8 mm/ s bei Baustellensprengungen am Tag bzw. A 0 = 0,3 mm/ s in der Nacht, kann die maximal zulässige Schwinggeschwindigkeit von 6,4 mm/ s für ein Gebäudefundament und 19,2 mm/ s für die Deckenmitte ermittelt werden. Nachts ist am Gebäudefundament eine Schwinggeschwindigkeit von 0,24 mm/ s und in Deckenmitte von 0,72 mm/ s zulässig. Die maximale Lademenge wird ausgehend von den zulässigen Schwinggeschwindigkeiten und dem Immissionsort in nächster Entfernung zu den Sprengungen gewählt. Unter Berücksichtigung einer zusätzlichen Sicherheit von 20 % und einer Entfernung von 85 m (IO 14), kann als maximal zulässige Lademenge je Zündzeitstufe 20,51 kg angenommen werden. In der Nacht wäre in der Entfernung von 85 m eine Lademenge von 0,04 kg genehmigungsfähig, was in diesem Abschnitt zu einem Nachtsprengverbot führt. In den übrigen Abschnitten kann, speziell in der Nacht, je nach Vortriebslage eine unterschiedliche Lademenge angesetzt werden. Im Projekt Steinbühltunnel soll gebirgsschonend gesprengt werden. Daher wird tagsüber eine Lademenge je Zündzeitstufe von max. 12 kg gewählt [13]. Anhand der maximal zul. Schwinggeschwindigkeiten ist abzuleiten, dass Menschen in Wohngebäuden ab einer Entfernung von 70 m nicht von den Sprengerschütterungen belästigt werden. Da vor den definierten 70 m Entfernung nur Immissionsorte vorhanden sind (IO 09 und IO 19), bei denen keine Wohngebäude vorliegen, ist eine Beurteilung gemäß DIN 4150-2 nicht notwendig [6]. 5.2.2 Vergleich der Prognosewerte mit den Messwerten Während des Sprengvortriebs des Steinbühltunnels wurden die Schwinggeschwindigkeiten an zwei Immissionsorten gemessen (IO 09 und IO 10). Beim Immissionsort „Steinbruch“ wurde im Freifeld gemessen, wohingegen das Geophon am Immissionsort „Wiesensteigerstraße 80“ am Gebäudefundament im Keller platziert war. Auf Grundlage der Vektorsummen werden in Abbildung 2 die Messergebnisse den prognostizierten Schwinggeschwindigkeiten gegenübergestellt. Ausgehend von dem maximal aufgenommenen, räumlichen Amplitudenwert (orange) sowie dem Mittelwert der Messergebnisse (grün), kann der Vergleich mit der Prognose im Freifeld bzw. am Gebäudefundament aufgestellt werden. Gemäß DIN 4150-1 [5] ist bei Messungen am Gebäudefundament der Übertragungsfaktor (Freifeld-Fundament) von 2 zu berücksichtigen. Ein prozentualer Fehlerindikator der Spitzenwerte von ± 20 % wird ebenfalls eingeplant. Abbildung 2: Vergleich der Prognose mit Messwerten Der Vergleich der Prognose mit den gemessenen Amplituden zeigt, dass die Mittelwerte näherungsweise prognostiziert werden können. Beim IO 10 ist der gemessene und mit dem Übertragungswert verrechnete Mittelwert mit 0,35 mm/ s nahezu identisch mit dem Prognosewert von 0,37 mm/ s. Beim IO 09 unterschreitet der Messwert von 5,85 mm/ s den Prognosewert von 9,24 mm/ s. Die maximal gemessenen Schwing-geschwindigkeiten sind hingegen höher als die prognostizierten Werte. Der Maximalwert weicht im Freifeld (IO 09) um 4,4 mm/ s und im Fernfeld (IO 10) um 2,0 mm/ s von der Prognose ab. Es gibt einige Erklärungen, warum die maximal gemessenen Schwinggeschwindigkeiten nicht mit einer einhergehenden Prognosebetrachtung abgedeckt werden konnten. Einige Gründe dafür sind: - Ausreißer (Messfehler, Messungenauigkeit); - Witterung (Wind; gefrorener Boden, Beeinflussung der Messung); - Andere Eigenfrequenz des Gebäudes bzw. ankommende Frequenz. Beim Immissionsort 10 ist davon auszugehen, dass es sich bei einer maximalen Schwinggeschwindigkeit von 4,8 mm/ s (ohne Berücksichtigung des Übertragungs-wertes) um einen Ausreißer handelt. Von 158 Messdaten ist die räumliche Schwinggeschwindigkeit von 4,8 mm/ s mit Abstand der größte Wert. Vier gemessene Schwinggeschwindigkeiten liegen zwischen 2,5 und 2,0 mm/ s und alle anderen Messwerte sind mit < 2,0 mm/ s aufgenommen worden. 116 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Erschütterungen aus Sprengvortrieben für Profilaufweitungen 5.2.3 Kalibrierung der Prognose auf Grundlage der Messwerte Auf Grundlage des maximalen Messwertes (IO 09) und des Mittelwertes (IO 10) können die Prognosewerte neu angepasst werden. Dabei werden die Messungen als „Probesprengungen“ angesehen und ein neuer k-Wert kalibriert. Für die Betrachtung des Nahfeldes wird ausgehend vom IO 09 mittels Koch´scher Formel (Gl. (2)) k=177 mm/ s kalibriert. Für das Fernfeld wird auf Grundlage der Gl. (3) nach Lüdeling für Sedimentgesteine k=1102 mm/ s ermittelt. Die neue Prognose kann für die Bewertung der anderen Immissionsorte herangezogen werden, da die Entfernungen der Immissionsorte IO 09 und IO 10 alle anderen Abstände der Immissionsorte IO 06 bis IO 16 abdecken. 5.2.4 Beurteilung der Erschütterungen nach DIN 4150-2 und DIN 4150-3 Damit Belästigungen der Menschen am IO 10 und Beschädigungen der baulichen Anlagen am IO 09 und IO 10 ausgeschlossen werden, werden in Tabelle 4 die gemessenen Schwinggeschwindigkeiten (max v) mit den Anhaltswerten der DIN 4150-2 und DIN 4150- 3 gegenübergestellt. Daraus geht hervor, dass die Anhaltswerte am Tag eingehalten werden. Tabelle 4: Beurteilung nach DIN 4150-2 und 4150-3 5.3 Tunnel Obermaiselstein Im Rahmen der Ausbaumaßnahmen der Kreisstraße OA 9 im Landkreis Oberallgäu, erfolgt eine Aufweitung des Lichtraumprofils des 65 m langen Tunnels Obermaiselstein. Durch eine Verbreiterung des Querschnittes soll der Gegenverkehr ermöglicht werden. Die Querschnittsaufweitung erfolgt mittels gebirgsschonenden und profilgenauen Sprengens sowie einer Unterteilung in Kalotte und Strosse. Die vorhandene Gesteinsart wird in die Kategorie der Sedimentgesteine eingestuft, da vorwiegend Dolomitgesteine mit einer hohen Festigkeit vorliegen [12]. Folgende Einwirkungsorte (Tabelle 5) befinden sich in unmittelbarer Nähe zum Tunnel: Tabelle 5: Kritische Immissionsorte Obermaiselstein 5.3.1 Erschütterungsprognose für die Querschnittsaufweitung In Anlehnung an das Näherungsverfahren der DIN 4150- 2 [6] kann eine maximal zulässige Schwinggeschwindigkeit von 4,8 mm/ s am Fundament und 19,2 mm/ s in der Deckenebene ermittelt werden. Auf dieser Grundlage und der Entfernung des nächst gelegenen Wohngebäudes (IO 03) wird eine maximale Lademenge je Zündzeitstufe von 6,96 kg berechnet. Aufgrund eines Nachtsprengverbotes entfällt die Betrachtung der Erschütterungen in der Nacht. Das Gutachten [11] empfiehlt die Durchführung der Sprengung mit einer Lademenge von 1,67 kg für die Kalotte sowie 2,5 kg für die Strosse. Mit einer Lademenge von 1,67 kg für die Kalotte befinden sich Gebäude ab einer Entfernung von 40 m im Anforderungsbereich der DIN 4150-2. Bei der Erschütterungsprognose infolge des Strossenvortriebs werden ab einer Entfernung von 43 m die Anforderungen der DIN 4150-2 eingehalten. Die 22 m entfernte Brücke (IO 04) wird vom Beurteilungsszenario ausgeschlossen, da hierbei eine Belästigung der Menschen ausgeschlossen wird. 5.3.2 Kalibrierung der Prognose auf Grundlage von Probesprengungen Das Projekt Tunnel Obermaiselstein basiert auf einer durch Probesprengungen ausgewählten Sprengtechnik. Aus diesem Grund fließen im weiteren Verlauf die Ergebnisse der Probesprengungen mit in die Prognoseerstellung ein. Für die Probesprengungen, die in unmittelbarer Nähe zum Tunnel Obermaiselstein durchgeführt wurden, ist eine maximale Lademenge je Zündzeitstufe von 1,20 kg und eine Bohrlochanzahl von 20 Stück festgelegt worden. Des Weiteren wurden elektrische Kurzzeitzünder mit Zeitstufen von 1 bis 20 ausgewählt. Während der Probesprengung sind Erschütterungsmessungen an den Immissionsorten IO 02 und IO 03 an den Gebäudefundamenten aufgenommen worden. Anhand der Messergebnisse kann mittels Koch´scher Formel (Gl. (2)) der Parameter k hergeleitet und eine neue Erschütterungsprognose für den Kalotten- und Strossenvortrieb erstellt werden. Für den Immissionsort IO 02 wird k=153 mm/ s und für IO 03 k=126 mm/ s kalibriert. Unter Verwendung des neu kalibrierten Parameters werden beim Kalottenvortrieb ab einer Entfernung der 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 117 Erschütterungen aus Sprengvortrieben für Profilaufweitungen Gebäude von 34 m die Anhaltswerte der Normen eingehalten. Im Falle des Strossenvortriebs werden die Anforderungen ab 42 m erfüllt. 5.3.3 Vergleich der Prognosewerte mit den Messwerten Während der Durchführung des Sprengvortriebs wurden an den Immissionsorten IO 01 bis IO 03 ankommende Erschütterung gemessen. Da die Prognose in Abhängigkeit von der minimalen, räumlichen Entfernung berechnet wird, werden die Vektorsummen den gemessenen Schwinggeschwindigkeiten gegenübergestellt (vgl. Abbildung 3 und Abbildung 4). Es werden jeweils der maximal gemessene Wert in orange sowie der Mittelwert in grün abgebildet. Für den Immissionsort IO 03 liegen darüber hinaus Messungen im Obergeschoss des Gebäudes (hellorange und hellgrün) vor. Aufgrund der vorab durchgeführten Probesprengungen, die mit einer Kalibrierung der Prognose einhergehen, wird der Übertragungsfaktor Freifeld-Fundament mit dem Wert 1 angesetzt. Abbildung 3: Kalottenvortrieb- Vergleich der Prognose mit den Messwerten Abbildung 4: Strossenvortrieb- Vergleich der Prognose mit den Messwerten Der Vergleich zeigt, dass die Messwerte des Kalottenvortriebs näherungsweise durch die Prognose beschrieben werden können. Die Messwerte des Obergeschosses am IO 03 unterschreiten die Prognosewerte, was auf einen geringeren Überhöhungs-faktor (Übertragung Fundament-OG) schließen lässt. Beim Strossenvortrieb weichen die maximal gemessenen Schwinggeschwindigkeiten der Immissionsorte IO 01 und IO 02 mit < 1,5 mm/ s gering von den prognostizierten Werten ab. Die maximal gemessenen Schwinggeschwindigkeiten beim Strossenvortrieb am Immissionsort IO 03 sind um ca. 3,5 mm/ s höher als die Prognosewerte. Alle gemessenen Mittelwerte liegen unterhalb bzw. im Bereich der prognostizierten Schwing-geschwindigkeiten. Aufgrund der eingesetzten Messtechnik wird eine Messtoleranz von ± 20 % um die dargestellten Spitzenwerte angenommen. Unter Berücksichtigung des Sicherheitsfaktors liegt der Immissionsort IO 03 für den Strossenvortrieb ebenfalls im prognostizierten Schwinggeschwindigkeitsbereich. 5.3.4 Beurteilung der Erschütterungen nach DIN 4150-2 und DIN 4150-3 Tabelle 6 beinhaltet die Anhaltswerte gemäß DIN 4150- 3 und 4150-2 sowie die zugehörigen Messwerte für die betrachteten Messorte. Die Beurteilung der Erschütterungseinwirkungen erfolgt nur für den Strossenvortrieb, da hiermit die kleineren gemessenen Schwinggeschwindigkeiten aus dem Kalottenvortrieb abgedeckt werden. Tabelle 6: Beurteilung nach DIN 4150-2 und 4150-3 Die Auswertungen der Tabelle 6 zeigen, dass die Anhaltswerte nach DIN 4150-2 und DIN 4150-3 sicher eingehalten werden. 5.4 Petersbergtunnel Das Projekt „Erneuerung Petersbergtunnel“ dient ebenfalls als Beispiel der Querschnittsaufweitung durch Sprengungen. Der zweigleisig betriebene Tunnel ist 368 m lang und liegt in der Gemeinde Neef im Bereich der Moselmulde. Während der Querschnittsaufweitung bleibt die Bahntrasse mit Hilfe einer Einhausung zeitweise eingleisig in Betrieb. Die Geologie im umliegenden Gebiet zeichnet sich durch eine mächtige Schichtenfolge von Sand-, Schluff- und Tonsteinen aus. Diese zählen zu der Kategorie der Sedimentgesteine [10]. 118 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Erschütterungen aus Sprengvortrieben für Profilaufweitungen In Tabelle 7 werden die Immissionsorte (Messpunkte MP) dargestellt, die gemäß des Immissionstechnischen Berichts untersucht wurden [9]. Tabelle 7: Kritische Immissionsorte Petersbergtunnel 5.4.1 Erschütterungsprognose für die Querschnittsaufweitung Gemäß dem Näherungsverfahren nach DIN 4150-2 (Gl. (6)) und den zugehörigen Anhaltswerten ist eine maximale Schwinggeschwindigkeit von 6,4 mm/ s am Gebäudefundament und 19,2 mm/ s im OG der Deckenmitte zulässig. Die Messpunkte MP 1 bis MP 6 befinden sich im unmittelbaren Bereich des Tunnelportals. Insgesamt werden 60 Trockenmauern dokumentiert, die sich in einem mäßigen bis schlechten Zustand befinden. Laut Gutachten [11] erfordert der Weinberg eine Minimierung der Lademenge auf 300 g je Zündzeitstufe mit einer einhergehenden Hangsicherungsmaßnahme und einer messtechnischen Überwachung. Unter Verwendung der geringen Lademenge, werden Menschen in Gebäuden ab einer Entfernung von 9 m nicht mehr belästigt. 5.4.2 Vergleich der Prognosewerte mit den Messwerten Ausgehend aller zur Verfügung gestellten Messwerte des Tunnels Petersberg [9] werden in Abbildung 5 die Vektorsummen der Maximal- und Mittelwerte der Erschütterungsprognose für 300 g Lademenge gegenübergestellt. Für die Bereiche der Kloster-Stuben-Str. 3 und 7 sind Messwerte für das Obergeschoss vorhanden (hellorange/ hellgrün). Für die Messungen in den Gebäuden (Fernfeld) wurde ein Übertragungsfaktor Freifeld-Gebäudefundament von 2 berücksichtigt. Alle Maximalwerte wurden mit einem Fehlerindikator von 20 % dargestellt. Der Vergleich verdeutlicht, dass die Mittelwerte approximativ durch die Erschütterungsprognose beschrieben werden können. Der Messpunkt MP 1 weicht mit 2,27 mm/ s von dem prognostizierten Wert ab, wohingegen alle anderen Messpunkte eine Abweichung < 0,8 mm/ s aufweisen. Vor allem für den Fernbereich können die Mittelwerte in sehr guter Näherung durch die Prognose beschrieben werden. Abbildung 5: Vergleich Prognose mit den Messwerten Im Nahfeld heben sich die Maximalwerte deutlich von der Prognose ab. Hierbei sind Unterschiede von bis zu 12,88 mm/ s (MP 1) festzustellen. Bei den Messpunkten MP 3, MP 4 und MP 6 ist erkennbar, wie sensibel die Aufnahmen in Bezug auf den Messort sind. Die Messgeräte wurden an unterschiedlichen Stellen im Weinberg stationiert. Somit wurden bei einer Betonfläche und Steintreppe die ankommenden Schwinggeschwindigkeiten anders gedämpft als bei freiliegendem Feld oder einer Stützmauer. Die Mittelwerte der drei Messpunkte liegen im Bereich von 1,19 mm/ s und 2,49 mm/ s. Im Vergleich dazu liegen die Maximalwerte zwischen 3,36 mm/ s und 10,07 mm/ s. Im Fernfeld unterscheiden sich die Prognosewerte im Vergleich zu den Spitzenwerten mit einer Abweichung < 0,38 mm/ s, was einer sehr guten Näherung entspricht. Lediglich beim Messpunkt der Kloster-Stuben-Str.3 sind höhere Abweichungen von bis zu 2,09 mm/ s zu erkennen. Es ist anzunehmen, dass die ankommenden Frequenzen durch Menschen im Haus beeinflusst wurden (Kinderzimmer). Zur Bestätigung dieser Theorie müssten die gemessenen Frequenzen untersucht werden. 5.4.3 Kalibrierung der Prognose auf Grundlage der Messwerte Da sich die Maximalwerte, vor allem im Nahfeld, deutlich von der Prognose unterscheiden und zu vermuten ist, dass die hohen Schwinggeschwindigkeiten mit hohen Frequenzen einhergehen, ist eine Kalibrierung der Prognose anhand der Mittelwerte zu empfehlen. Für das Nahfeld wird der höchste Mittelwert MP 1 mit einer Schwinggeschwindigkeit von 3,643 mm/ s als Ausgangswert für die Kalibrierung gewählt. Für die Gleichung (Gl. (3)) nach Lüdeling im Fernfeld dient der maximale Messwert der Petersbergkapelle als Abgleich. Somit wird der kalibrierte k- Wert im Nahfeld auf 266 mm/ s und im Fernfeld auf 1257 mm/ s erhöht. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 119 Erschütterungen aus Sprengvortrieben für Profilaufweitungen 5.4.4 Beurteilung der Erschütterungen nach DIN 4150-2 und DIN 4150-3 Da derzeit keine Frequenzen vorliegen, erfolgt die Beurteilung nach DIN 4150-2 und DIN 4150-3 für den schlechtesten Fall. D.h., dass die größten gemessenen Schwinggeschwindigkeiten mit den Anhaltswerten der kleinsten Frequenzen verglichen werden (vgl. Tabelle 8). Tabelle 8: Beurteilung nach DIN 4150-2 und 4150-3 Die Gegenüberstellung der Schwinggeschwindigkeiten zeigt, dass die Anhaltswerte der DIN-Normen deutlich eingehalten werden. Somit kann ausgeschlossen werden, dass Gebäudeschäden auftreten und Menschen in Gebäuden belästigt werden. 6. Fazit Im vorliegenden Beitrag sind Prognosen der Schwinggeschwindigkeiten infolge Sprengungen zur Herstellung von Neubautunneln sowie Aufweitung bestehender Tunnel erstellt und mit Messwerten verglichen worden. Aus den Untersuchungen lässt sich schlussfolgern, dass Erschütterungsprognosen realitätsnahe Näherungen der Mittelwerte der zu erwartenden Erschütterungen geben. Werden im Vorfeld einer Maßnahme Probesprengungen durchgeführt, anhand derer der Parameter k frequenzabhängig kalibriert wird, kann die Qualität der Prognose deutlich verbessert werden. Liegen keine Probesprengungen oder Messwerte vor, wird immer vom worst-case-Szenario ausgegangen. Für die Prognose werden somit ankommende Frequenzen < 10 Hz angenommen. Die Messwerte der untersuchten Projekte konnten jedoch zeigen, dass Frequenzen > 10 Hz dominieren. Gegebenheiten, wie ein Wechsel der Geologie und Witterungsbedingungen, können den Wert der Ausbreitungsfrequenz beeinflussen, was wiederum den Wert der Schwinggeschwindigkeit verändert. Ferner wurde anhand der Messwerte des Petersbergtunnels belegt, dass Messorte mit gleichen Entfernungen unterschiedliche Dämpfungen erfahren können. Hierbei zeigen sich die unterschiedlichen Übertragungsverluste des Bodens. Die maximal gemessenen Schwinggeschwindigkeiten konnten durch die Prognosen nur mit größeren Abweichungen beschrieben werden. Hierbei erscheint es förderlich, im Einzelfall zu überprüfen, ob hohe Frequenzen, ein Messfehler oder Beeinflussungen von außen vorliegen. Obwohl die Mittelwerte gut prognostiziert werden konnten, sollten Erschütterungsprognosen nicht als alleinige Bewertung der zu erwartenden Schwinggeschwindigkeiten dienen. Besonders, wenn in der näheren Umgebung der Sprengungen (< 400 m) Gebäude vorhanden sind, sind vorherige Beurteilungen der Umgebungssituation und ggf. Erschütterungsmessungen sinnvoll. Generell wird bei einer Vorprognose empfohlen eine Sicherheit von ± 20% einzukalkulieren, um die Schwankungsbreite der Erschütterungen abzudecken. Eine Prognose stellt im Vorfeld eine sinnvolle Näherung für die zu erwartenden Erschütterungen dar. Es kann z.B. ein Urteil darüber gefällt werden, welche maximale Lademenge je Zündzeitstufe anzusetzen ist, damit die Anhaltswerte der DIN 4150-2 und DIN 4150-3 eingehalten werden. Steht die Lademenge fest, können die zu erwartenden Schwinggeschwindigkeiten in Abhängigkeit von der Entfernung prognostiziert werden. Ferner können mittels Erschütterungsprognose die kritischen Immissionsorte bestimmt und Vorkehrungen getroffen werden. Vorteile der empirischen Modelle sind ein geringer Rechenaufwand, die Flexibilität der Rechenschritte durch Variierung der Parameter, sowie der wirtschaftliche Faktor. Damit die empirischen Modelle in Zukunft noch präziser und realitätsnaher angewendet werden können, ist die Untersuchung und Dokumentation von weiteren Projekten essentiell. Auf dieser Grundlage können Prognosemodelle und Klassifizierungen zukünftig weiterentwickelt werden. Quellen [1] Achmus, M. (2005). Schadensrisikobeurteilung für Erschütterungseinwirkungen aus Tiefbauarbeiten. Hannover. [2] Achmus, M., Kaiser, J., & Wörden, F. (2005). Bauwerkserschütterungen durch Tiefbauarbeiten. Hannover: Institut für Grundbau, Bodenmechanik und Energiewasserbau Heft 61. [3] Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. (2013). Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (BImSchG). Berlin: juris GmbH. [4] Dienst, S. (2001). Berichte aus Forschung und Planung. Nobel Hefte, 21 ff. [5] DIN 4150-1. (06 2001). Erschütterungen im Bauwesen- Teil 1: Vorermittlung von Schwingungsgrößen. Berlin: DIN [6] DIN 4150-2. (1999). Erschütterungen im Bauwesen: Einwirkungen auf Menschen in Gebäuden. Berlin: DIN 120 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Erschütterungen aus Sprengvortrieben für Profilaufweitungen [7] DIN 4150-3. (2016). Erschütterungen im Bauwewesen- Einwirkungen auf bauliche Anlagen. Berlin: DIN [8] Empfehlungen des Arbeitskreises 9 „Baugrunddynamik“ der Deutschen Gesellschaft für Erd- und Grundbau e.V. (1992). Bautechnik 69. Ernst & Sohn, Heft 9. [9] Köck, B. ifb eigenschenk (2019). Immissionstechnischer Bericht Erneuerung Tunnel Petersberg. Deggendorf: ifb eigenschenk. [10] Savidis, S., & Vrettos, C. (2012). Baugrunddynamik. In C. J. Konrad Zilch, Handbuch für Bauingenieure (S. 1547-1567). Heidelberg: Springer. [11] Schlebusch, M. (2015). Geotechnisches Gutachten- Erneuerung des Petersberg Tunnels: Sicherungsmaßnahmen an Weinbergsmauern am Voreinschnitt Süd. Limburg: Gesellschaft für Baugeologie und -meßtechnik mbH. [12] Schmücker, G. (16.08.2017). Spreng- und immissionstechnisches Abschlussgutachten BA VIII. Obermaiselstein: Engineering S. Schmücker. [13] Schmücker, G. (2014). Spreng- und immissionstechnisches Gutachten Steinbühltunnel. Bergheim: Engineering S. Schmücker. [14] Schmücker, G. (26. 08 2016). Allgemeines zu Sprengerschütterungen. Köln: Engineering Service Schmücker. [15] Speakman, C., & Lyons, S. (2009). Tunnelling induced ground-borne noise modelling. Australia: Proceedings of Acoustics 2009. [16] Steinhauser, P. (2002). Zur Vorhersage und Reduktion von Erschütterungsemissionen beim Tunnelbau und -betrieb. Felsbau 20 (2002) Nr. 5, 121-132. [17] Vibrations and ground-borne noise. (2007). In WBI. Aachen: WBI-Print 6. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 121 Das Doggerwerk bei Happurg: Sicherung einer einsturzgefährdeten Produktionsstollenanlage unter anspruchsvollen Rahmenbedingungen Dipl.-Geol. Jochen Wolf Dr. Spang GmbH, Nürnberg, Germany Dipl.-Geol. Philipp Chachaj Dr. Spang GmbH, Nürnberg, Germany Dipl.-Ing. (FH) Achilles Häring Dr. Spang GmbH, Esslingen, Germany Dipl.-Ing. (FH) Klaus Levin Staatliches Bauamt Nürnberg, Städtischer Ingenieurbau, Nürnberg, Germany Zusammenfassung Das Doggerwerk war als riesige unterirdische Rüstungsfabrik in einem Talhang der Hersbrucker Alb geplant und wurde bis in die späten Kriegsjahre 1944/ 45 nur teilweise realisiert. Der größte Teil der Anlage wurde im rohen Ausbruchszustand, ohne tragende Innenschale ausgeführt. Aufgrund des fortschreitenden Verfalls befinden sich weite Anlagenbereiche in einem standsicherheitskritischen Zustand. Die Sicherung und Verwahrung eines versturzgefährdeten Stollenab-schnitts erforderte aufgrund der speziellen ingenieurgeologischen Problematiken und komplexer Randbedingungen aufwendige technische Lösungen in der Planung sowie Umsetzung der Maßnahme. 1. Einleitung Das Doggerwerk (auch „Doggerstollen“) bei Happurg, Mittelfranken (s. Abb. 1), wurde ab Mai 1944 auf Veranlassung des NS-Regimes als unterirdische Rüstungsfabrik für den Bau von Flugzeugmotoren, überwiegend unter dem Einsatz von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen in den Doggersandstein des Gebirgsstocks der Houbirg vorgetrieben [18] (s. Abb. 2). Von der geplanten Stollengrundfläche von ca. 180.000 m² wurde bis Kriegsende nur ca. 14.000 m² realisiert, was einer Stollenlänge von ca. 3,9 km entspricht. Der überwiegende Teil der Stollen befindet sich im rohen Ausbruchszustand, ohne tragende Betongewölbe oder Streckenausbauten (s. Abb. 3). Eine Produktion fand daher nie statt. Nach dem Krieg wurde die Anlage aufgelassen und gegen Betreten gesichert. Seit Anfang der 90er wurden als Folge des zunehmenden Verfalls Standsicherheitsrisiken (Verbruch, Einsturz, bzw. Tagbruch) thematisiert und es erfolgten erste größere Sanierungsmaßnahmen. Aktuell wurde die hier beschriebene Stollenverwahrung der Anlagenbereiche A bis C (s. Abb. 1) im Jahr 2018 durchgeführt. 2. Projektgebiet 2.1 Lage und Geologie Die Stollenanlage befindet sich im Gebirgsstock der „Houbirg“, am südöstlichen Ortsrand der Gemeinde Happurg in Bayern (s. Abb. 1). Die Stollenzugänge (bergmännisch „Stollenmundlöcher“), von welchen ursprünglich 8 angelegt waren [1, 2, 3], befinden sich im steilen Waldgelände auf ca. 435 m NN auf halber Höhe zwischen dem Bergfuß am Happurger Stausee und dem Gipfelplateau der Houbirg (s. Abb. 2). Die gesamte Anlage wurde im Doggersandstein angelegt [1, 4]. Bei der Auffahrung der Stollen wurde die Doggersandsteinstufe von Hangschutt freigelegt. Der Doggersandstein (Eisensandstein-Formation) wird stratigraphisch dem Braunen Jura zugeordnet. Unterlagert wird der Doggersandstein vom Opalinuston. Überlagert wird er vom Ornatenton (Dogger Zeta) und einer Wechselfolge aus Karbonaten, Tonen und Sandsteinen (Dogger Gamma - Epsilon). Heute werden diese Schichten zur Sengenthal-Formation der fränkischen Alb zusammengefasst. 122 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Das Doggerwerk bei Happurg: Sicherung einer einsturzgefährdeten Produktionsstollenanlage unter anspruchsvollen Rahmenbedingungen Nach dem Braunen Jura folgt der Weiße Jura als Steilstufe mit mächtigen Bankkalken und Riffdolomiten (Malm Alpha, s. Abb. 2). Der Doggersandstein ist ein feinkörniger, eisen- und tonhaltiger Sandstein von roter bis brauner Farbgebung, der zum Teil eine schlechte Kornbindung aufweist. Die Gesteinsfestigkeiten variieren stark in Abhängigkeit vom Verwitterungszustand. Die Festigkeit der häufig ferritisch oder tonig gebundenen Sandsteine ist daher v.a. in oberflächennahen, verwitterungsintensiven Bereichen zumeist gering. Bereichsweise finden sich geringmächtige Eisenflöz- und Tonhorizonte, die die Standfestigkeit des Gebirges erheblich beeinträchtigen können. Abb. 1: Übersichtslageplan des Projektgebiets Abb. 2: Längsschnitt durch Stollen B (mit Firststollen) und stratigrafisches Profil. Die Gesamtmächtigkeit der Eisensandstein-Formation im Projektgebiet beträgt ca. 55 m. Die Stollenanlage wurde im Bereich des 11-20 m mächtigen Felssandstein-Horizont des Dogger Beta aufgefahren [1, 4] (s. Abb. 2). Die aufgefahrenen Streckenbereiche befinden sich weitestgehend im Sandstein, bereichsweise sind allerdings Eisenerz- und Tonhorizonte eingeschaltet, wodurch v.a. am Stollenfirst trennflächenbedingte Kluftkörperablösungen begünstigt werden. Das Schichtpaket des Doggersandsteins wurde aus geologischen Gründen gezielt für die Errichtung der Anlage ausgewählt. Einerseits erlaubte der weiche Sandstein 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 123 Das Doggerwerk bei Happurg: Sicherung einer einsturzgefährdeten Produktionsstollenanlage unter anspruchsvollen Rahmenbedingungen einen leichten und schnellen Vortrieb, andererseits bot die mächtige Gebirgsüberdeckung aus den Karbonaten des Weißjura einen Schutz vor möglichen Luftangriffen [18]. Der über dem Doggersandstein liegende Ornatenton dichtet den Sandstein zudem vor dem Karstgrundwasserleiter des Weißjura zuverlässig ab, so dass eine Wasserhaltung während des Vortriebs nicht notwendig war. Bergwasserzutritte sind aufgrund der geologischen Verhältnisse selten und treten zumeist nur periodisch in oberflächennahen, klüftigen Bereichen auf [1, 4]. 2.2 Stollenanlage Die Stollenanlage wurde weitgehend schachbrettmusterartig mit zunächst sieben Hauptstollen und ihren Stollenmündern (Portalen) konzipiert [18] (s. Abb. 1). Die Bezeichnung der Hauptstollen erfolgte alphabetisch von Süd nach Nord (A bis G), mit einem achten Stolleneingang an einem Querstollen (H). Dazwischen existieren zahlreiche rechtwinklig angelegte Abschläge und Verbindungen (s. Abb. 1, 4, 5). Die Strecken wurden nach Vorgabe der Anlagenplanung in Verkehrsstollen, Arbeitsstollen und Verbindungsstollen eingeteilt und mit unterschiedlichen Querschnitten aufgefahren, wobei die Verkehrsstollen (A und G) mit einem Ausbruchsquerschnitt von ca. 6 m x 7 m für eine gleisgebundene Logistik vorgesehen waren [18]. In der relativ kurzen Bauphase von Mai 1944 bis April 1945 wurden ca. 3,9 km der Anlage aufgefahren. Der Vortrieb erfolgte überwiegend als Sprengvortrieb. Insbesondere die Stollen A-C wurden anfangs in Kernbauweise (auch Deutsche Bauweise genannt) aufgefahren. Das bedeutet, dass zunächst Pilotstollen, bestehend aus zwei unteren Ulmenstollen und einem oberen Firststollen, vorgetrieben wurden. Die Querschnitte der First- und Ulmenstollen waren ca. 3,5 m x 3,5 m groß und rechteckig [18]. Anschließend sollten die Pilotstollen zu einem Großquerschnitt mit Gewölbe aufgeweitet und mit einem Betonausbau gesichert werden. Da die Anlage in der Bauphase aufgelassen wurde, waren bis zum Beginn der aktuellen Sicherungs-/ Verwahrungsmaßnahme die einzelnen Stadien des Baufortschritts vorzufinden. Dabei nahm der Baufortschritt von A nach G generell zu. Während im Bereich A-C die engen First- und Ulmenstollen ohne Ausbau vorlagen (s. Abb. 3), findet man ab dem Stollen D mindestens in oberflächennahen Streckenbereichen bereits vollständige Betongewölbe vor. Die Stollen A-C wiesen aufgrund des rudimentären Bauzustandes eine komplexe Geometrie auf. Neben den Ulmen- und Firststollen existierten zahlreiche Querverbindung sowie zahlreiche Blindstollen und (Maschinen-) Hallen (s. Abb. 4, 5, 11). Der ohne tragende Innenschale verbliebene Rohbauzustand befand sich seit Bauende 1945 in einem Zustand des fortschreitenden Verfalls (s. Abb. 3). Im Zuge regelmäßiger Standsicherheitskontrollen durch bergtechnische Sachverständige des Bundes wurden v.a. in jüngerer Vergangenheit zunehmende Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch Einsturzbzw. Tagbruchgefahren festgestellt. Diesbezüglich wurden die gegenständlichen Sicherungsmaßnahmen ab dem Jahr 2014 projektiert. Abb. 3: Allg. Zustand der Stollen A-C sowie Reste einer bauzeitlichen Streckensicherung (Holzausbau). 3. Planung Die Sicherungsmaßnahme der Anlagenbereiche A-C wurde auf Basis des Allgemeinen Kriegsfolgegesetzes (AKG, [6]) seitens des Bundes in die Wege geleitet und federführend durch das Staatliche Bauamt Nürnberg, als örtlich zuständige Baubehörde, projektiert. Das AKG regelt etwaige Ansprüche Dritter an die Bundesrepublik Deutschland. Der Planungsauftrag wurde nach öffentlichem Teilnahmewettbewerb im Jahr 2014 an die Dr. Spang GmbH erteilt. Planungsziel war die dauerhafte Sicherung der Anlagenbereiche A-C. Das AKG sieht für derartige Problemstellungen i.d.R. die „endgültige Gefahrenbeseitigung… durch Verfüllung der unteririschen Hohlräume“ vor. Die besonderen Herausforderungen bei diesem Projekt ergaben sich v.a. aus den nachstehend aufgelisteten Planungsrandbedingungen: Randbedingungen „über Tage“: - Lage des Projektgebiets am Steilhang mit unbefestigten, teilweise steilen Zufahrten; - eine LKW basierte Materiallogistik für Versatzbaustoffe war aufgrund lokaler Gegebenheiten nicht möglich; - vorhandene Georisiken im Bereich der Zufahrten und übertägigen Bau- und Lagerflächen; - Lage der Stollen im Wasserschutzgebiet und Schutzgebiete des Naturschutzes (Landschaftsschutzgebiet und Fauna-Flora-Habitat / FFH-Gebiet) und damit verbundene behördliche Auflagen. Randbedingungen „unter Tage“: - Ingenieurgeologische Risiken durch schlechte Gebirgseigenschaften, z.T. nachbrüchiges, wenig standfestes Gebirge; 124 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Das Doggerwerk bei Happurg: Sicherung einer einsturzgefährdeten Produktionsstollenanlage unter anspruchsvollen Rahmenbedingungen - stark eingeschränkte Zugänglichkeiten durch Versturzmassen und stark verwinkelte, enge Anlagenbereiche; - bereichsweise intensiv zerklüftete Gebirgsbereiche, bzw. Verbruchzonen als besondere Herausforderung für die Verfüllmaßnahme; - eingeschränkte Befahrbarkeit durch behördliche Auflagen; - allgemeine Gefährdungen für untertägige Arbeiten (schlechte Bewetterung, belastende Arbeitsumgebungsbedingungen); - ggf. Gefährdungen durch Kampfmittel sowie biogene Prozesse (Schimmelbefall). 3.1 Grundlagenermittlung Im Rahmen der Vorplanung wurden im Zuge einer Variantenstudie eine Vielzahl technischer Lösungsansätze (z.B. Sicherung durch Umzäunung, Übernetzung der Tagesoberfläche, Sprengung, bergmännische Sicherung) untersucht und bewertet. Dabei zeigte sich, dass ein bergmännisches Auffahren der Stollenanlage und die abschnittsweise Verfüllung mittels Verfüllbaustoff (Zementsuspension) die praktikabelste, nachhaltigste und mit dem AKG konforme Lösung darstellte. Ein „Anbohren“ der Stollen von über Tage war aufgrund der Steilhanglage sowie naturschutzrechtlicher Vorgaben (FFH-Gebiet) nicht bzw. nur im Bereich der Stollenmundlöcher realisierbar. Aufgrund der vorgenannten Randbedingungen (s. Kap. 3) konnte die Herstellung (Anmischen) des Versatzbaustoffes nur in großer Entfernung vom Stollen erfolgen (BE 1, s. Abb. 1), und musste zu den jeweiligen Verfüllorten gepumpt werden. Hieraus ergab sich eine Förderstrecke von ca. 1,2 km bei einem Höhenunterschied von ca. 90 m. Dementsprechend ergaben sich technische Anforderungen an den zum Einsatz kommenden Verfüllbaustoff. Es musste eine Balance zwischen den Haupteigenschaften Viskosität, Aushärtedauer und Druckfestigkeit gefunden werden. Der Verfüllbaustoff musste über große Distanzen pumpfähig sein, am Verfüllort aber zügig abbinden, um (trennflächenbedingte) Verluste zu minimieren. Aus statischer Sicht wurde eine Mindestdruckfestigkeit (28 Tage) von ca. 2 N/ mm² als ausreichend erachtet. Aufgrund der Gewässernähe (Happurger Stausee) war die Umweltneutralität entscheidend für die Genehmigungsfähigkeit. Die Möglichkeit einer Viskositätssteuerung wurde ebenfalls für notwendig erachtet. Da Erfahrungswerte für diese lange Pumpstrecke nicht vorhanden waren, musste die Steuerung der Viskosität erst in der Praxis erprobt werden. Ein Austreten der Suspension an die Tagesoberfläche oder ein Übertritt in das Grundwasser war unbedingt zu verhindern. Da die Verfüllleitungen zum Teil im Bereich öffentlicher Wege verliefen, war eine zusätzliche Sicherung (Berst- und Havarieschutz) der Förderleitung erforderlich. Die generelle Anwendbarkeit eines Versatzbaustoffs auf Zementbasis bei derart langen Pumpstrecken wurde nach dem Praxistest als positiv bewertet. Anschließend mussten die Versatzmengen sowie das Volumen potentieller Verluste, bedingt durch vorhandene Trennflächen, Verbruchzonen oder uneinsehbare Bereiche, ermittelt werden. Die Herausforderung hierbei bestand im Erreichen einer möglichst hohen Planungssicherheit, trotz der eingeschränkten Befahrbarkeit etlicher Planungsbereiche. Da sich eine Begutachtung für die Planung jedoch als unumgänglich herausstellte, wurde unter Zustimmung der zuständigen Bergbehörde (Bergamt Nordbayern) und unter Begleitung eines Bergsachverständigen eine Vermessung mittels Laserscan (TLS, s. Abb. 4), sowie eine Kartierung und Klassifizierung der Trennflächensysteme durchgeführt (s. Abb. 5). Das Betreten einiger versturzgefährdeter, bzw. bereits teilverstürzter Bereiche war aufgrund zu großer Gefährdung dennoch nicht möglich. Diesbezüglich ist ein aus historischen Unterlagen und Probebohrungen bekannter Firststollen bei A zu nennen, der in der Nachkriegszeit gesprengt wurde [19]. Die geotechnischen und vermessungstechnischen Aufnahmen wurden daher unter Berücksichtigung älterer markscheiderischer Aufnahmen durchgeführt und z.T. mit diesen ergänzt [2]. Aufgrund der erschwerten Zugänglichkeit des Planungsgebiets (über 1 km untertägiger Fußmarsch) und der hohen sicherheitstechnischen Anforderungen sowie der physischen Arbeitsbelastung, erforderten die untertägigen Aufnahmen einen hohen Zeit- und Personalaufwand. Abb. 4: Laserscan der Stollen A (rechts im Bild) bis C (links im Bild). Das theoretische Versatzvolumen wurde auf Basis des Laserscans mit ca. 12.918 m³ ermittelt und unter Berücksichtigung der vorherrschenden Gebirgsbeschaffenheit und der nicht erfassten Bereiche auf ca. 15.000 m³ geschätzt [14]. Als Ergebnis des Laserscans sowie der ingenieurgeologischen Kartierungen wurden relevante Trennflächen nach DIN EN ISO 14689-1 [15] klassifiziert und in einem Lageplan verortet. Das lokal ausgebildete Trennflächengefüge weist demnach zwei Vorzugsrichtungen auf: eine herzynische Richtung (110°-157°) mit über 70% der ge- 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 125 Das Doggerwerk bei Happurg: Sicherung einer einsturzgefährdeten Produktionsstollenanlage unter anspruchsvollen Rahmenbedingungen messenen Klüfte sowie eine rheinische Richtung (18° - 27°) mit ca. 16% der gemessenen Klüfte (s. Abb. 6). Die Klüfte fallen generell steil ein (ca. 80° bis ± saiger). Die Schichtung ist weitgehend söhlig. Darauf basierend wurden besonders standsicherheitskritische Bereiche ausgewiesen und als Grundlage für die weiterführendende technische Planung und Arbeitssicherheitsplanung herangezogen [14]. Abb. 5: Grundriss des Sanierungsbereichs einschließlich Trennflächendarstellung und -Auswertung (Stollen A rechts im Bild). Abb. 6: Gefügeauswertung - maßgebliche Kluftsysteme. 3.2 Arbeitssicherheit Die Ergebnisse der Aufnahmen waren die Grundlage für die Erstellung eines bauzeitlichen Streckensicherungs-Konzeptes unter Tage (Ausführungsplanung, [14]). Diese erfolgte in enger Abstimmung mit dem Bergamt Nordbayern. Während der Befahrungen wurden einerseits spannungsinduzierte Abplatzungen im Bereich der Ulmen beobachtet und andererseits zeigte sich, dass die söhlige Lagerung der Schichtung in Verbindung mit geringmächtigen inkompetenten Schichten aus Eisenflözen und Tonlagen im Bereich der Firste der Ulmenstollen eine erhebliche Gefahr durch Bruchkörperbildung („Sargdeckel“ - Platten im m²-Bereich) für die unter Tage Beschäftigten darstellten. Infolgedessen mussten nicht nur die kartierten, besonders klüftigen Verbruchzonen technisch gesichert werden, sondern auch Bereiche mit augenscheinlich standfestem Gebirge. Eine maschinelle bergmännische Beraubung der Firste musste aufgrund der engen Querschnitte weitgehend verworfen werden. Für die bauzeitliche Streckensicherung wurde eine Innenauskleidung aus bewehrtem Spritzbeton gewählt. Die Ausführungsplanung beinhaltete deshalb eine aufwändige statische Bemessung der Spritzbetonschale mittels Finite-Elemente-Methode [14] mit der auch die Geometrie der First- und Ulmenstollen sowie die gegenseitige Beeinflussung der Hohlräume berücksichtig wurde. Zudem erfolgte ein Nachweis mittels ver- 126 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Das Doggerwerk bei Happurg: Sicherung einer einsturzgefährdeten Produktionsstollenanlage unter anspruchsvollen Rahmenbedingungen einfachter Stabwerksberechnung anhand lokaler Kluftkörper in ungünstigster Lastposition. Hiermit konnte der bestmögliche Kompromiss aus Wirtschaftlichkeit und maximalem Schutz ausgearbeitet werden. Die nachzuweisenden Querschnitte wurden zweidimensional als Scheiben untersucht. Vorgängige Berechnungen ergaben, dass die weiter entfernten Stollen nur noch einen untergeordneten Einfluss auf die Spannungsverteilung im Bereich des untersuchten Stollens hatten. Je Querschnitt wurde somit jeweils der zu sichernde Stollen und die direkt angrenzenden First-, bzw. Ulmenstollen nachgebildet (s. Abb. 7). Abb. 7: Beispiel Standsicherheitsnachweis mittels Finite-Elemente-Methode an Seitensowie First- und Ulmenstollen am repräsentativen Querschnitt durch den Stollen C. Oben links: reale Querschnittsgeometrien (3 D Vermessung) und die idealisierte Geometrie und Netzvermaschung des entsprechenden Berechnungsquerschnitts. Die Herausforderung bei der statischen Bemessung war die Ermittlung eines möglichst realistischen Spannungszustands vor Einbringung der Sicherung. Es musste zunächst ein standsicherer Ist-Zustand (ohne Sicherung) mit Gebirgskennwerten ohne intensive Klüftung nachgewiesen werden. Im folgenden Schritt wurden die Kluftkennwerte reduziert bis der Versagenszustand eintrat. Auf die resultierenden Kräfte aus dem Versagenszustand wurde die Spritzbetonschale im Modell bemessen. Als Ergebnis der statischen Bemessung war eine mindestens 20 cm dicke Spritzbetonschale mit zweilagiger Bewehrung (Betonstahlmatten Typ Q 188 A; entspricht je 1,88 cm²/ m) und einer 3 cm Betondeckung in allen Bereichen auszuführen (s. Abb. XX). Es wurde außerdem nachgewiesen (Finite-Elemente Methode und vereinfachtes Stabwerksmodell), dass die teilweise annähernd viereckige Geometrie der Stollen zu sehr ungünstigen Belastungen in den Eckbereichen der Spritzbetonsicherung führt. Für eine Gewölbetragwirkung musste daher der Übergangsbereich Ulme - Firste durch einen vorgängigen Spritzbetonauftrag mit einem Radius von ca. 1,0 m ausgerundet werden (s. Abb. 8). Der Spritzbeton musste einer Festigkeitsklasse von min. C 25/ 30 entsprechen. Abb. 8: Ausführung der Sicherung mit Bewehrung und Spritzbetonschale. Die Vorteile der Spritzbetonsicherung gegenüber dem bergmännischen Streckenausbau (z.B. mittels Ausbaubögen und Verzug) lagen v.a. in der einfacheren Materialandienung, der besseren Anpassungsfähigkeit an komplexe Geometrien (Hochbrüche, Engstellen) sowie der geringeren Querschnittsverengung. Eine Befahrbarkeit mit (Gruben-) ladern, bzw. Kleinfahrzeugen sollte hiermit gewährleistet bleiben. Basierend auf der Ausführungsplanung wurde durch ein Fachbüro ein Sicherheits- und Gesundheitsschutzkonzept [16] sowie ein Rettungs- und Brandkonzept erstellt und mit Bergamt Nordbayern abgestimmt. Das Konzept beinhaltete u.a. Brandschutzauflagen, Rettungs- und Fluchtwege, Rettungsstationen, Bewetterung und Streckensicherungen. 3.3 Naturschutz Aufgrund der besonderen Lage der Sicherungs- und Baustellenbereiche in Schutzgebieten (FFH-Gebiet, Landschaftsschutzgebiet, Wasserschutzgebiet) wurden die Betroffenheiten hinsichtlich Flora und Fauna im Rahmen einer intensiven naturschutzfachlichen Genehmigungsplanung untersucht und behandelt. Insbesondere für Fledermäuse stellt die Stollenanlage in seiner Gesamtheit ein geeignetes (Winter-) quartier dar. Die mit der Sicherung der Anlagenbereiche A-C einhergehenden Eingriffe wurden daher bilanziert und bewertet. Durch geeignete technische Maßnahmen (z.B. Erhaltung von Resthabitaten, Schaffung von Ersatzlebensräumen, Errichtung geeigneter Zuflugsöffnungen) wurden bereits in der Ausführung vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen (CEF-Maßnahmen) ausgeführt. Durch weitere Vermeidungs- und Minimierungsmaßnahmen wurden die Beeinträchtigungen von geschützten Lebensräumen minimiert. Die Ausführung wurde durch eine ökologische Bauüberwachung (Dr. Spang GmbH) begleitet und überwacht. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 127 Das Doggerwerk bei Happurg: Sicherung einer einsturzgefährdeten Produktionsstollenanlage unter anspruchsvollen Rahmenbedingungen 4. Bauphase 4.1 Bauvorbereitung Nach Vergabe der Maßnahme an die MAX BÖGL Stiftung & Co. KG - Zentralbereich Tunnelbau wurde im Mai 2018 mit der Maßnahme begonnen. Abb. 9: Silos auf der BE-Fläche für die Hauptkomponenten des Verfüllbaustoffes. Die vorbereitenden Arbeiten, welche parallel erfolgten, bestanden zunächst in der Errichtung der aufwendigen vollautomatisierten Förderlogistik (s. Abb. 8) sowie dem Auffahren und Sichern der zu betretenden Strecken. Die Stollenmundlöcher wurden von Erdanschüttungen freigelegt und die Eingänge vor Steinschlag sowie unbefugtem Betreten gesichert [14] (s. Abb. 9). Abb. 10: Portalsicherung am Stolleneingang A. Den technischen Steinschlagsicherungen über Tage ging eine großflächige Felsberäumung voraus. Aufgrund der geringen Festigkeit des Doggersandsteins wurden Risiken durch Stein- und Blockschlag oberhalb der Portalbereiche und Zuwegungen durch rückverankerte Spritzbetonschalen gesichert. Diese wurden mit Einzelsicherungen, Fanggruben und Schutznetzen ergänzt. Beim Abtrag der künstlichen Anschüttung des Stollenmundlochs C wurde aufgrund der Lage des Stollenmundlochs ein Felsüberhang von ca. 600 m³ stark unterschnitten. Die Felsmasse wurde nach geotechnischer Untersuchung als standsicherheitsgefährdet eingestuft. Aufgrund der latenten Risiken für den Arbeitsbereich durch einen drohenden Felssturz wurde der Bereich umgehend wieder angeböscht. Nach Feststellung eines unverhältnismäßig hohen zeitlichen und finanziellen Aufwands zur Sicherung des gefährdeten Bereichs wurde als Alternativzugang die Auffahrung des parallel liegenden Stollens D realisiert. Dabei waren die bereits 1944/ 45 mit Betongewölbe ausgebauten Streckenabschnitte im Stollen D von großem Vorteil. Eigens für die Maßnahme wurde ein spezieller Versatzbaustoff entwickelt, der die Hauptvorgaben im Projekt, eine gute Fließfähigkeit bei einem schnellstmöglichen Abbinden und damit Abdichten von Trennflächen sowie Druckfestigkeit und Umweltverträglichkeit erfüllte. Der Versatzbaustoff wurde aus Zement, Bentonit, Hüttensandmehl und Wasser sowie weiteren Zusätzen hergestellt und wurde als „Füllbeton Bögl“ von unabhängigen Instituten hinsichtlich der geforderten Materialeigenschaften (Druckfestigkeit, Umweltverträglichkeit) zertifiziert. Die Streckensicherung der später zu verfüllenden Stollen erfolgte wie geplant mittels bewehrtem Spritzbeton im Nassspritzverfahren. Aus Gründen der Bauzeitoptimierung und unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten wurde eine Spritzbetonsicherung in aufgelöster Ausführung erstellt. Die Bereiche mit Bewehrung und einer mind. 20 cm dicken Spritzbetonschale dienen der Aufnahme von Gebirgsdrücken und haben damit die geplante statisch stützende Funktion. In Bereichen, in denen die Klüftung des Gebirges weniger ausgeprägt war, wurden Felder mit bewehrtem Spritzbeton abwechselnd mit Feldern, in denen lediglich die Bewehrung als Kopfschutz weitergeführt und nur eine dünne Lage Spritzbeton zum Schutz der Arbeiter vor herunterfallenden Kluftkörpern aufgebracht wurde, hergestellt (s. Abb. 11). Diese konnten bei Auftreten von Deformationen nach Bedarf rasch ergänzt, bzw. aufgefüllt werden (s. Abb. 11), was sich jedoch als nicht erforderlich herausstellte. Abb. 11: Aufgelöste Spritzbetonsicherung und Spritzroboter. 128 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Das Doggerwerk bei Happurg: Sicherung einer einsturzgefährdeten Produktionsstollenanlage unter anspruchsvollen Rahmenbedingungen 4.2 Verwahrungsarbeiten Als erste Versatzabschnitte wurden die wenig geklüfteten bergseitigen Abschnitte der Ulmenstollen B vorgesehen. Nachdem Abmauerungen der Verfüllabschnitte aus Hohlblocksteinen errichtet wurden, wurden zur statischen Unterstützung die beiden Stollen abwechselnd lagenweise verfüllt (s. Abb. 12). Dabei erwiesen sich lediglich die Abmauerungen als durchlässig, so dass sie mit Spritzbeton ertüchtigt werden mussten. Die Förderleistung für den Versatzbaustoff war dabei konstant bei ausreichenden 33 m³/ h. Nach jeweils firstbündigem Abschluss der Verfüllung (Kontrolle durch einfachen Überlauf) wurde das erreichte Verfüllvolumen mit der aus dem Laserscan ableitbaren theoretischen Kubatur verglichen und bilanziert [14]. Abb. 12: Einfließen von Füllbeton (Versatzbaustoff) im Abschnitt A. Nach dem zufriedenstellenden Ergebnis wurden die als kritischer erachteten Bereiche angegangen. Die Stollen wurden planungsgemäß in einzelne Verfüllabschnitte unterteilt. Insbesondere im tagesoberflächennahen Bereich des Stollens A, welcher besonders klüftig und im Vorfeld nur unzureichend erkundet werden konnte, war das Risiko von Umläufigkeiten bzw. auch Austritten an die Tagesoberfläche besonders hoch. Zusätzlich bestand die Gefahr, dass durch die in oberflächennahen Klüften ansteigende Verfüllsäule und dem dadurch erzeugten Kluftwasserdruck die Standsicherheit an den tagseitigen Felsböschungen herabgesetzt wird. Während des Verfüllvorgangs waren die betroffenen tagseitigen Bereiche daher abgesperrt und es wurde ein Beobachtungsverfahren mittels Gipsmarken durchgeführt. Da dieser Bereich aufgrund der langen Strecken sowie der vorherrschenden Gefährdungen nicht von innen bergmännisch aufgewältigt werden konnte, wurde zusätzlich von über Tage, durch Verfüllbohrungen in den senkrechten Felswänden, verfüllt. Die Verfüllstände wurden mittels Kameratechnik überwacht. Nach wenigen Tagen wurde unter Tage im Stollen A eine Umläufigkeit (Suspensions-Übertritt in einen benachbarten Stollen) festgestellt. Als Reaktion wurde die Viskosität der Suspension im laufenden Betrieb erhöht. Nach kurzer Förderdauer trat jedoch eine unzulässige Druckerhöhung im System auf und die Viskosität musste daraufhin wieder verringert werden. Aufgrund der schnell versiegelnden Eigenschaften des Füllbetons dichtete das Leck nach kurzer Zeit dennoch ab und die Verfüllarbeiten konnten wie geplant fortgesetzt werden. Weitere Zwischenfälle, wie z.B. größere Umläufigkeiten sowie Austritte von Füllbeton an die Tagesoberfläche erfolgten nicht. Aufgrund der hervorragenden Fließfähigkeit des Füllbetons konnten im Zuge der Ausführung größere Verfüllabschnitte als geplant angelegt werden. Es konnten Strecken von bis zu ca. 200 m erfolgreich durchgängig verfüllt werden. Insgesamt wurden 17.360 m³ Versatzbaustoff eingebracht. Die Firststollen in den Streckenbereichen B und C wurden aus naturschutzfachlichen Gründen als Resthabitat für Fledermäuse nur zum Teil verfüllt (ca. halbe Stollenhöhe) und mit geeigneten Zugangsöffnungen ausgestattet. Die Stollenportale A, B, C und D wurden nach Abschluss der Maßnahme erdbautechnisch wieder angeböscht. 5. Fazit Die Sicherung der einsturzgefährdeten Stollenbereiche A-C im Doggerwerk bei Happurg gestaltete sich aufgrund seiner komplexen Randbedingungen als außergewöhnliche und anspruchsvolle Aufgabe für die Planung, Steuerung und Bauausführung. Die besonderen Herausforderungen des Projektes zeigten sich bereits in den frühen Planungsphasen durch die besonderen lokalen Gegebenheiten. Aus ingenieurgeologischer Sicht waren v.a. Risiken ausgehend von schlechten Gebirgsverhältnissen und damit verbundenen Gefährdungen zu bewältigen. Aufgrund der besonderen geografischen Situation (Schutzgebiete, Steilhang, eingeschränkte Zuwegung) mussten besondere Planungsauflagen berücksichtigt werden und innovative technische Lösungsansätze für die Materiallogistik erarbeitet werden. Die erhöhten Ansprüche an Arbeitssicherheit und Sicherheitstechnik erforderten besonders intensive Fachplanungen. Vor Beginn der eigentlichen Verfüllarbeiten waren zeitaufwendige Bauvorbereitungs- und Sicherungsarbeiten über und unter Tage auszuführen. Der eigens für das Projekt neu entwickelte Verfüllbaustoff erwies sich aufgrund seiner Materialeigenschaften für das Vorhaben als gut geeignet. Aufgrund seiner günstigen physikalischen Eigenschaften konnten größere zusammenhängende Verfüllabschnitte als geplant bewältigt werden. Unter besonderen Vorkehrungen konnten auch stark klüftige Anlagenbereiche erfolgreich verwahrt werden. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 129 Das Doggerwerk bei Happurg: Sicherung einer einsturzgefährdeten Produktionsstollenanlage unter anspruchsvollen Rahmenbedingungen Da die Baumaßnahme unfallfrei beendet werden konnte, haben sich die hohen Maßstäbe an Arbeits- und Gesundheitsschutz bewährt. Aufgrund des kompetenten und engagierten Teams und der engen Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten über unterschiedliche Fachbereiche hinweg, kam es nur zu wenigen und zudem schnell lösbaren Zwischenfällen. Die Sicherung des Doggerwerkes konnte daher im Rahmen der geplanten Bauzeit zum Jahreswechsel 2018/ 2019 erfolgreich abgeschlossen werden. Literaturverzeichnis [1] Baier, A., & Freitag, D. (1996). Das „Doggerwerk“ bei Happurg (Nürnberger Land) - Zur Geschichte und Geologie einer unterirdischen Rüstungsfabrik. Geologische Blätter NO-Bayern, Erlangen. [2] Markscheiderischer Zustandsriß Stollenanlage Happurg (1990). Finanzbauamt / Staatliches Bauamt Nürnberg. [3] Müller, M. (2015). Geologische und Geotechnische Kartierung und Standsicherheitsbetrachtungen eines Stollensystems im Felssandstein der Houbirg bei Happurg unter besonderer Berücksichtigung des Trennflächengefüges und Bearbeitung mit ArcGIS. Unveröffentlichte Masterarbeit, GeoZentrum Nordbayern (Universität Erlangen). [4] Geologische Karte und Erläuterungen von Bayern, Blatt Happurg (6534), 1977. Bayerisches Geologisches Landesamt, München. [5] Rabcewicz, L.V., Pacher; F., & Golser, J. (1974). Zum derzeitigen Stand der Gebirgsklassifizierung im Stollen- und Tunnelbau. Bundesministerium für Bauten und Technik, Straßenforschung, 18, Wien. [6] Bundesministerium der Finanzen, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (1957). Gesetz zur allg. Regelung durch den Krieg und den Zusammenbruch des Deutschen Reiches entstandener Schäden (Allgemeines Kriegsfolgengesetz). Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 653-1, zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 31. Juli 2009 (BGBI. I S. 2512) geändert. 45 Seiten. [7] Girmscheid, G. (2008). Baubetrieb und Bauverfahren im Tunnelbau. Berlin. [8] Müller, L. (1978). Der Felsbau, 1. Band: Grundlagen. Stuttgart. [9] Niemczyk, O (1949). Bergschadenkunde. Essen. [10] Barton (1977). Suggested methods for the quantitative description of discontinuities in rock masses. ISRM, London. [11] Hudson, J.A. (1993). Comprehensive Rock Engineering, principles, practice and projects. Vol. 3, Rock testing and site characterization. Oxford. [12] Wittke, W. (1984). Felsmechanik. Grundlagen für wirtschaftliches Bauen im Fels. Berlin. [13] Bieniawski, Z.T. (1989). Engineering Rock Mass Classifications. A complete manual for engineers and geologists in mining, civil and petroleum engineering. New York. [14] Dr. Spang GmbH (2015). Ehemalige Produktionsstollenanlage Happurg, Sanierungsmaßnahmen Stollen A-C, Entscheidungsunterlage-Bau, Nürnberg. [15] DIN EN ISO 14689-1: 2004-04: Geotechnische Erkundung und Untersuchung - Benennung, Beschreibung und Klassifizierung von Fels, Stand 2011. [16] Hersbrucker Ingenieur Gesellschaft für Baumanagement - HIG (2017). Sicherheits- und Gesundheitskonzept einschließlich Rettungs- und Brandschutzkonzept zur Baustelle ehemalige Produktionsstollenanlage Happurg, Sicherungsmaßnahmen Stollen A-C, Hersbruck. [17] Palmström, A. (1995): RMi - a rock mass charakterization system for rock engeneering pruposes. - Diss. Department of Geology, Faculty of Mathematics an Natural Sciences. Univ. of. Oslo. [18] Faul, G. (2003): Sklavenarbeiter für den Endsieg - KZ Hersbruck und das Rüstungsprojekt Dogger. Hrsg. Dokumentationsstätte KZ Hersbruck e.V. Hersbruck. [19] Lang, U. (2018): Doggerstollen Happurg - Eine Bestandsaufnahme. Hrsg. Dokumentationsstätte KZ Hersbruck e.V.. Ammerthal. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 131 Möglichkeiten der Prognose von Setzungen beim Schildvortrieb - Stand der Technik und praktische Anwendung Prof. Dr.-Ing. habil. Jochen Fillibeck Zentrum Geotechnik, Technische Universität München, Deutschland M.Sc. Johannes Jessen Zentrum Geotechnik, Technische Universität München, Deutschland Zusammenfassung Bei der Planung von Tunnelbaumaßnahmen unter bestehender Bebauung stellt sich die Frage, welche Verformungen oberhalb des Tunnels auftreten und ob diese Verformungen bauwerksschädlich sind. Insbesondere bei innerstädtischen Schildvortrieben gestaltet sich die Setzungsprognose als eine anspruchsvolle Aufgabe, da neben geologischen Randbedingungen zusätzlich auch maschinell bedingte Einflussparameter (Stützdruck, Konizität, Schildschwanzverpressdruck,…) berücksichtigt werden müssen. Die Prognose von Setzungen bzw. Sackungen oberhalb eines Schildvortriebs kann durch die Auswertung von Erfahrungen und Messungen aus vorangegangenen Tunnelbauprojekten der empirischen Prognose - oder aber durch numerische Setzungsberechnungen erfolgen. In dieser Veröffentlichung werden empirische und numerische Berechnungsverfahren zur Abschätzung der Setzungen bei Schildvortrieben dargestellt sowie deren Möglichkeiten und Grenzen erläutert. Anhand eines Praxisbeispiels - Tunnel Starnberg wird die Anwendung der möglichen Verfahren zur Setzungsprognose veranschaulicht. 1. Einführung Beim oberflächennahen Tunnelbau im Lockergestein treten Verformungen infolge des Tunnelvortriebs auf, welche zu Rissen, Schiefstellungen und Undichtigkeiten an nahegelegenen Bauwerken führen können. Eine realistische Vorhersage von tunnelbauinduzierten Setzungen ist heutzutage ganz wesentlich um die Akzeptanz der Baumaßnahme in der Bevölkerung zu sichern. Neben numerischen Berechnungen eignen sich zur Setzungsprognose insbesondere empirische Verfahren, deren Eingangsgrößen sich aus früheren Erfahrungen ableiten lassen. 2. Vortriebsbedingte Einflussgrößen auf Setzungen Neben geologischen Randbedingungen haben beim Schildvortrieb zusätzlich maschinell bedingte Größen einen Einfluss auf die auftretenden Verformungen. Dazu zählen insbesondere: - der Stützdruck an der Ortsbrust - die Schildschwanzverpressung (Material, Erhärtungszeit, Injektionsdruck, …) - die Größe des Ringspalts, welcher sich aus den nachfolgenden Größen zusammensetzt (siehe Abb. 1): - Überschnitt des Schneidrads - Konizität des Schildmantels - Dicke des Schildmantels - Schildschwanzdichtung Abb. 1: Ringspalt beim Schildvortrieb In der aktuellen Literatur zur Prognose von Setzungen beim Schildvortrieb sind unterschiedliche Abhängigkeiten zwischen vortriebsbedingten Kenngrößen und resultierenden Setzungen beim Schildvortrieb untersucht worden (siehe z.B. [1-3]). Anhand von künstlichen neuronalen Netzen (siehe Abb. 2) wurde versucht, den Einfluss einzelner Parameter genauer zu beschreiben. 132 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Möglichkeiten der Prognose von Setzungen beim Schildvortrieb - Stand der Technik und praktische Anwendung Abb. 2: Struktur eines künstlichen neuronalen Netzes mit Einflussparametern zur Setzungsprognose [3] Beispielsweise wurde in [2] ein Zusammenhang zwischen Volume loss und Stützdruck hergestellt (siehe Abb. 3). Dabei zeigte sich, dass sich der Volume loss mit zunehmendem Stützdruck tendenziell verringert. Abb. 3: Volume Loss in Abhängigkeit vom Stützdruck nach [2] Anhand derartiger Untersuchungen konnten allerdings nur allgemeine Tendenzen abgeleitet, nicht aber genauer quantifizierbare Rückschlüsse für die Setzungsprognose gezogen werden. Dafür sind die jeweiligen projektspezifischen Randbedingungen zu unterschiedlich und die Anzahl an streuenden Einflussfaktoren zu groß. Als Fazit der vielfältigen Untersuchungen zu den verschiedenen möglichen Einflussgrößen kann man zusammenfassen, dass es eine große Anzahl möglicher Einflussgrößen gibt, die sich aber gegenseitig beeinflussen, so dass es insgesamt nicht möglich ist deren Einfluss genau zu quantifizieren. Daher ist es auch nicht möglich, die auftretende Setzungsmulde konkret zu prognostizieren, sondern man kann nur Bandbreiten möglicher Setzungsmulden ggf. in Verbindung mit Auftretenswahrscheinlichkeiten angegeben. 3. Vorgehen zur Prognose von Setzungen und des damit verbundenen Schadenspotentials Zur Setzungsprognose können sowohl numerische Berechnungen wie auch empirische Verfahren, deren Eingangsgrößen sich aus früheren Erfahrungen ableiten, herangezogen werden. Zur Beurteilung des Schadenspotentials von Gebäuden infolge von Baugrundverformungen wird von Burland [4] eine dreistufige Vorgehensweise empfohlen (siehe Abb. 4). Abb. 4: Beurteilung des Schadenspotentials von Setzungen nach Burland [4] Zunächst werden nur die Tangentenneigungen 1/ n und maximalen Setzungen s max der Gesamtsetzungsmulde betrachtet. Die Einflüsse aus dem Bauwerk bleiben unberücksichtigt („greenfield“-settlements). Werden die Grenzwerte unterschritten, sind keine weiteren Untersuchungen notwendig. Werden die Grenzwerte überschritten, muss im 2. Schritt zusätzlich die max. horizontale Dehnung eh,max und die Krümmung DR im Bauwerksbereich ebenfalls unter „greenfield conditions“ bestimmt werden. Dies sind die Eingangsgrößen zur Bestimmung der Schadenskategorie nach Burland [4]. Wenn unter Berücksichtigung dieser Parameter eine Schadenskategorie größer als 2 ermittelt wird, sind detailliertere Untersuchungen (3D-FE-Berechnungen) notwendig, bei denen auch das Bauwerk modelliert und dessen Steifigkeit berücksichtigt wird (Schritt 3). Die Berücksichtigung der Bauwerkssteifigkeit führt im Vergleich zu Schritt 2 meist zu geringeren Dehnungen und damit zu einem geringeren Schadenspotential. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 133 Möglichkeiten der Prognose von Setzungen beim Schildvortrieb - Stand der Technik und praktische Anwendung 4. Empirische Setzungsprognose nach Fillibeck Empirische Verfahren verwenden in der Regel die Gauß-Funktion zur Beschreibung der durch den Tunnelbau an der Oberfläche entstehenden Setzungsmulde. Deren Eingangsgrößen sind der Wendepunktabstand i und das Volumen der Setzungsmulde je m Vortrieb dividiert durch den Ausbruchsquerschnitt, der so genannte Volume loss VL s . Nachfolgend wird das empirische Verfahren nach Fillibeck vorgestellt, mit dem i und VL s für Spritzbeton- und Schildvortriebe bestimmt werden kann. Es wurde aus einer großen Anzahl sorgfältig ausgewählter und überprüfter Messquerschnitte abgeleitet. Aufgrund der großen Anzahl vergleichbarer Messquerschnitte war es möglich, der Größe der Setzungsmulde eine Auftretenswahrscheinlichkeit zuzuordnen. Es lassen sich damit Aussagen über die Überschreitungswahrscheinlichkeit der Tangentenneigung bzw. der maximalen Setzung der prognostizierten Setzungsmulde treffen. Die dargestellten Auswertungen sind das Ergebnis von Forschungen, welche im Rahmen einer Habilitation am Zentrum Geotechnik der TU München zusammengestellt wurden [5]. Dort sind die Auswertungen auch im Detail beschrieben und erläutert sowie die Vorgehensweisen dargestellt und begründet. 4.1 Mathematische Beschreibung der Quersetzungsmulde Betrachtet wird die Setzungsmulde senkrecht zum Vortrieb. Wie Vergleiche gezeigt haben, kann die Setzungsmulde geeignet durch die Normalverteilungsfunktion nach Gauß beschrieben werden [6, 7]. Die Setzung s(x) an der Stelle x wie auch das Volumen der Setzungsmulde V s an der Geländeoberfläche je m Vortrieb sind durch zwei Parameter, die maximale Setzung smax sowie den Abstand des Wendepunkts der Gaußfunktion von der Tunnelachse i bestimmt (Gl. 1 und Abb. 5). (1) Der Wendepunktabstand i entspricht nach Gauß der Standardabweichung. Abb. 5: Definitionen zur Beschreibung der Setzungsmulde [5] Die Querschnittsfläche der Setzungsmulde V s kann als Volumen je m Vortrieb verstanden werden und wird gemäß Abb. 5 bestimmt. Definiert man den Volumenverlust VL s als das Verhältnis zwischen der Querschnittsfläche der Setzungsmulde V s und der des Tunnels At, so kann die Unbekannte s max alternativ auch durch VL s ausgedrückt werden (Gl. 2). VL s wird nachfolgend, wie in der Literatur üblich, als Volume loss bezeichnet und an Stelle von s max neben i als zweiter Parameter zur Beschreibung der Setzungsmulde verwendet. (2) 4.2 Ermittlung von Volume Loss und Wendepunktabstand beim Schildvortrieb In den nachfolgenden Betrachtungen wurden ausschließlich Schildvortriebe mit druckhafter Ortsbruststützung (Hydro-, Erddruck- und Druckluftschildvortriebe) berücksichtigt, da diese in setzungsrelevanten Bereichen im Lockergestein maßgeblich sind. Für die Untersuchungen zum Volume loss beim Schildvortrieb konnten über 100 Messquerschnitte von Baumaßnahmen, die zwischen 1995 und 2011 ausgeführt wurden, ausgewertet werden. Vortriebe vor 1995 wurden nicht berücksichtigt, da sich seitdem die Maschinentechnik wesentlich verbessert hat und sich damit auch geringere Setzungen einstellten (siehe Abschnitt 5). Die nachfolgenden Ergebnisse gelten im Lockergestein, jedoch nicht in Böden mit geringerer als weicher Konsistenz und nicht in sehr locker gelagerten oder strukturempfindlichen Böden. Diese Abgrenzung ist erforderlich, da beispielsweise die dynamische Beanspruchung durch die Vortriebsmaschine zu relevanten zusätzlichen Setzungen führen kann. Dies kann mit dem hier beschriebenen Verfahren nicht erfasst werden. Nach den Auswertungen ist beim Hydroschildvortrieb der Volume loss tendenziell am kleinsten, allerdings ist der Unterschied nur gering. Auch zeigten sich keine eindeutigen Unterschiede bei verschiedenen Untergrundverhältnissen und Stützdrücken. Es wurden daher nachfolgend alle Vortriebe unabhängig von den geologischen Gegebenheiten und der Art der Ortsbruststützung zusammen betrachtet. In Abb. 6 ist der ermittelte Volume loss in Abhängigkeit von A t/ z0 dargestellt. Wie die Regressionsfunktion (Potenzansatz) zeigt, nimmt der Volume loss mit dem Verhältnis A t/ z0 ab. Um den Volume loss wieder in Abhängigkeit vom Vertrauensbereich angeben zu können, wurde der untersuchte Bereich in 3 Abschnitte unterteilt, für jeden Abschnitt das Konfidenzintervall ermittelt und dann mit einer Ausgleichsfunktion (Potenzansatz) für den Gesamtbereich angenähert. In Abb. 6 sind die Gleichungen zu Ermittlung des Volume loss für einen Vertrauensbereich von 50% und 99% wiedergegeben. 134 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Möglichkeiten der Prognose von Setzungen beim Schildvortrieb - Stand der Technik und praktische Anwendung Abb. 6: Volume loss beim Schildvortrieb [5] Für die Praxis ist es ganz wesentlich, dass bei den hier untersuchten Querschnitten der Volume loss immer deutlich unter dem Wert VL s = 2,0 % lag. Dieser Wert wird in der Literatur häufig immer noch für Schildvortriebe angegeben. Die gemessenen, geringeren VL s -Werte werden mit Weiterentwicklungen in setzungsrelevanten Bereichen, wie z.B. der Ringspaltverpressung und der Stützdruckeinstellung, begründet. Daher entstehen bei neueren Vortrieben kleinere Setzungen und so kann hierfür ein kleinerer maximaler Volume loss-Wert angegeben werden. Aufgrund der vorhandenen Schwankungen wird jedoch vorgeschlagen, bei der Prognose von Setzungen keinen Volume loss kleiner 0,35 % zu berücksichtigen, wie er sich bei sehr großen A t/ z0 -Werten ergeben würde. Unter Berücksichtigung von Literaturangaben (z.B. [8, 9]) die wiederum auf verschiedenen Vortriebsauswertungen basieren, werden zur Ermittlung von Setzungsmulden folgende Bandbreiten möglicher Wendepunktabstände vorgeschlagen. Baugrund i [m] nichtbindig locker bis mitteldicht 0,25 bis 0,5 · z 0 mitteldicht bis dicht 0,4 bis 0,6 · z 0 bindig weich bis steif 0,3 bis 0,6 · z 0 steif bis halbfest/ fest 0,5 bis 0,9 · z 0 Tab. 1: Ermittlung des Wendepunktabstands i [5] Da die Ergebnisse der Literaturangaben streuen, sind für Bandbreiten der Lagerungsdichte / Konsistenz auch Bandbreiten der Wendepunktabstände angegeben. Dabei kann der geringeren Konsistenz / Lagerungsdichte ein geringer Wendepunktabstand und der höheren Konsistenz / Lagerungsdichte ein höherer Wendepunktabstand zugeordnet werden. Bei der Wahl eines geeigneten Wendepunktabstands i muss berücksichtigt werden, dass mit abnehmendem i die maximalen Tangentenneigungen, Dehnungen und Krümmungen größer werden, weshalb bei Gebäuden direkt über dem Tunnel das Schadenspotenzial steigt. Allerdings steigt das Schadenspotenzial auch mit dem Volume loss. Um nicht ein unrealistisch hohes Schadenspotenzial zu errechnen, werden 2 Grenzbetrachtungen vorgeschlagen: Fall 1 berücksichtigt einen Volume loss mit hohem Vertrauensbereich (VL s,99% ) bei einem mittleren Wendepunktabstand i und Fall 2 einen Volume loss mit mittlerem Vertrauensbereich (VL s,50% ) bei kleinem i (geringe Konsistenz bzw. Lagerungsdichte). 5. Volume Loss Werte bei aktuellen Schildvortrieben Im Rahmen einer Masterarbeit [10] am Zentrum Geotechnik der TU München erfolgte eine Literaturauswertung mit dem Ziel, weitere bei Schildvortrieben gemessene VL s -Werte für die Prognose des Volume loss-Werts berücksichtigen zu können und damit gegebenenfalls den Aussagewert zu verbessern. Zur Überprüfung der in [5] angegebenen Volume Loss-Werte bei Schildvortrieben, wurde eine Literaturrecherche durchgeführt. Es konnten 85 maschinell aufgefahrene Messquerschnitte MQS (siehe Tab. 2 berücksichtigt werden, die in der Literatur gut dokumentiert und ausgewertet wurden. Vorab wurden die Messquerschnitte einer Plausibilitätskontrolle unterzogen und es wurden nur Messquerschnitte herangezogen, die nicht durch Besonderheiten oder Unplanmäßigkeiten (z.B. Störungen beim Vortrieb) beeinflusst waren. Einschränkend sei hier erwähnt, dass selbst in sehr gut dokumentierten Veröffentlichungen nicht jedes Detail beim Vortrieb bzw. der Geologie beschrieben werden kann. Unbekannte Einflussgrößen führen z.B. dazu, dass es unter vermeintlich gleichen Vortriebsrandbedingungen eines Vortriebs zu größeren Schwankungen beim VL s kommt. Aber auch die Wahl von Einflussgrößen, wie z.B. der Stützdruck oder der Schildschwanzverpressdruck erfolgt je nach Vortrieb unter ganz unterschiedlichen Gesichtspunkten, was im Vergleich zu entsprechenden Schwankungen beim VL s -Wert führen muss. Dem wird bei der empirischen Ermittlung des VL s -Werts auf der sicheren Seite liegend dadurch Rechnung getragen, dass keine Mittelwerte, sondern hohe Unterschreitungswahrscheinlichkeiten bei der Prognose der Setzungsmulden berücksichtigt werden. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 135 Möglichkeiten der Prognose von Setzungen beim Schildvortrieb - Stand der Technik und praktische Anwendung Projekt Schildart Anzahl MQS Hong-Kong, U-Bahn [11] Hydro 14 Singapur, Thomson East Cost Line, Baulos T208 [12] Hydro 5 Athen, Elliniko Erweiterung [3] Erddruck 6 Thessaloniki, U-Bahn-Linie 1 [3] Erddruck 4 Mailand, U-Bahn-Linie 5 [13] Erddruck 34 Hsichu (Taiwan), Chu-Kung 161 kV unterirdische Stromtrasse [14] Erddruck 4 Chengdu (China), Phase 1 der U-Bahn-Linie 1 [15] Erddruck 1 Xi´an (China), U-Bahn-Linie 2 [16] Erddruck 5 Izmir (Türkei), Phase 1 des Schienenverkehr Masterplans [1] Erddruck 11 Warschau, U-Bahn-Linie 2 [17] Erddruck 1 Tab. 2: Aktuelle Messquerschnitte zur Validierung der VLs-Werte nach [10] In Abb. 7 und Abb. 8 sind die VL s -Werte der Messquerschnitte aus Tab. 2 im Vergleich zu denen aus Fillibeck [5] getrennt nach Erddruck- und Hydroschildvortrieb dargestellt. Abb. 7: VL s -Werte Erddruckschild Abb. 8: VL s -Werte Hydroschild Vergleicht man die Ergebnisse der Erddruckschildvortriebe mit denen aus [5], so zeigt sich, dass zumindest bei A t/ z0 -Werten < 3,5 bei den neueren Vortrieben tendenziell höhere VL s -Werte ermittelt wurden und weiterhin die Streuungen sehr groß sind. Ein Grund hierfür könnte sein, dass kleine A t/ z0 -Werte mit einer großen Überdeckung einhergehen, wodurch der Einfluss der Messungenauigkeit auf das Ergebnis zunimmt, da die maximalen Setzungen abnehmen während die Breite der Setzungsmulde zunimmt. Beim Hydroschildvortrieb passen die neueren Messwerte sehr gut zu den Angaben nach [5]. Insgesamt wird die bereits früher getroffene Annahme bestätigt, dass beim Erddruckschildvortrieb tendenziell leicht größere VL s -Werte entstehen als beim Hydroschildvortrieb. Der Verfasser sieht vor, dass die in [5] getroffenen Angaben demnächst konkretisiert und unter der Angabe von Unterschreitungswahrscheinlichkeiten veröffentlicht werden. 6. Anwendungsbeispiel - Tunnel Starnberg Nachfolgend wird das Vorgehen zur Setzungsprognose am Beispiel des Tunnel Starnberg veranschaulicht. Zur Verkehrsentlastung der Stadt Starnberg soll die örtliche Bundesstraße B2 über eine Länge von ca. 1,8 km in den Untergrund verlegt werden. Für die Herstellung des bergmännischen Tunnelabschnitts ist ein Schildvortrieb (Ø » 12,5 m) vorgesehen, wobei mehrere Bestandsgebäude mit unterschiedlicher Überdeckung unterfahren werden (siehe Abb. 9). Um den Bedarf möglicher Kompensationsmaßnahmen zur Schadensvermeidung infolge von Baugrundverformungen abschätzen zu können, wurden vorab die Setzungen prognostiziert. 136 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Möglichkeiten der Prognose von Setzungen beim Schildvortrieb - Stand der Technik und praktische Anwendung Moräne, Kies mit geringmächtigen Sand-/ Tonzwischenschichten Fluviatil abgelagerte Sande mit Tonzwischenschichten Moräne, Ton mit geringmächtigen Sand-/ Kieszwischenschichten Seeton mit Sandzwischenschichten Fluviatil abgelagerte Kiese und Sande mit feinkörnigen Zwischenschichten Konglomerat (Nagelfluh) Tertiäre Sande und Sandsteine Tertiäre Tone/ Schluffe und Ton-/ Schluffsteine Auffüllung Abb. 9: Geologischer Längsschnitt Tunnel Starnberg Im ersten Schritt wurden alle Gebäude im Einflussbereich des Tunnels unter Berücksichtigung des Lageplans und des geologischen Längsschnitts selektiert. Im zweiten Schritt wurden die Setzungen für diese Gebäude anhand des empirischen Verfahrens nach Fillibeck [5] prognostiziert. Als Eingangsgrößen wurden sowohl geometrische als auch geologische Randbedingungen, nicht aber maschinelle oder gebäudespezifische Einflussgrößen, berücksichtigt. Anhand der ermittelten Tangentenneigungen unterhalb der Gebäude, konnten potentiell gefährdete Gebäude eingegrenzt werden. Gemäß Burland (siehe Abb. 4) wurde davon ausgegangen, dass ab einer Tangentenneigung < 1/ 500 detaillierte FE-Berechnungen erforderlich werden. Dies war für lediglich ein Gebäude (siehe Abb. 10) der Fall, so dass hierfür eine ergänzende 3D-FE-Berechnung mit detaillierter Modellierung des Vortriebs unter Berücksichtigung der Gebäudesteifigkeit ausgeführt wurde. Abb. 10: Lageplan des modellierten Gebäudes Die 3D-FE-Berechnungen erfolgten mit dem Programm Plaxis 3D. Dabei ist es möglich, folgende Maschinenparameter zu berücksichtigen (siehe auch Abb. 11): - Ortsbruststützung - Konizität des Schildes - Pressenkraft beim Vorschub der Schildvortriebsmaschine - Ringspaltverpressung 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 137 Möglichkeiten der Prognose von Setzungen beim Schildvortrieb - Stand der Technik und praktische Anwendung Abb. 11: Modellierung des Schildvortriebs Die Berechnungen erfolgten unter Variation der verschiedenen Eingangsgrößen in relevanten Grenzen, um eine Bandbreite möglicher Setzungen zu erhalten. Das Gebäude wurde mittels Balken- und Plattenelementen simuliert. Vereinfachend wurden nur die Wände sowie die Streifenfundamente und die Bodenplatte des Untergeschosses modelliert (siehe Abb. 12). Abb. 12: Modellierung eines Gebäudes in Plaxis 3D mit Hilfe von Balken- und Plattenelementen In Abb. 13 sind beispielhaft die ermittelten Setzungen unmittelbar unterhalb des Gebäudes dargestellt. Abb. 13: Verformungen unterhalb der Streifenfundamente nach der Schilddurchfahrt unter dem Gebäude Es ist gut zu erkennen, dass die Setzungen unter dem Gebäude ganz überwiegend geringer sind als diejenigen neben dem Gebäude, was insbesondere an der Steifigkeit des Streifenfundaments und der Wandsteifigkeit liegt. Abseits des Gebäudes passt die Setzungsmulde größenordnungsmäßig gut mit der empirischen Setzungsberechnung überein (greenfield-conditions). Die weitere Beurteilung des Schadenspotentials erfolgte anhand der Auswertung von Setzungsdifferenzen zwischen relevanten Stützen. Insgesamt waren diese Werte so gering, dass davon ausgegangen werden kann, dass das Gebäude selbst unter Berücksichtigung ungünstiger Randbedingungen ohne relevante Schäden unterfahren werden kann. Literatur [1] A. Unlutepe, V. Tellioglu und B. Arioglu, „Predicted and observed ground deformations due to TBM tunnel excavations on the Izmir Metro Project (Stage 1)“. Ungarn, 2009. [2] V. Fargnoli, D. Boldini und A. Amorosi, „TBM tunnelling-induced settlements in coarse-grained soils: The case of the new Milan underground line 5“, Tunnelling and Underground Space Technology, Jg. 38, S. 336-347, 2013. [3] S. P. Koukoutas und A. I. Sofianos, „Settlements Due to Single and Twin Tube Urban EPB Shield Tunnelling“, Geotech Geol Eng, Jg. 33, Nr. 3, S. 487-510, 2015. [4] J. B. Burland, „Assessment of risk of damage to buildings due to tunnelling and excavation“ in 1st Int. Conf. on Earthquake Geote. Engineering, Tokyo, 1995. [5] J. Fillibeck, „Oberflächensetzungen beim Tunnelvortrieb im Lockergestein - Prognose, Messung und Beeinflussung“. Habilitationsschrift, Technische Universität München, 2012. [6] R. B. Peck, „Deep excavations and tunneling in soft ground“ in Proc. 7th International Conference Soil Mechanics and Foundation Engineering, S. 225-290. [7] B. Schmidt, „Settlements and ground movements associated with tunneling in soils“. Dissertation, University of Illinois, Urbana, 1969. 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Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Möglichkeiten der Prognose von Setzungen beim Schildvortrieb - Stand der Technik und praktische Anwendung fügbar unter: http: / / www.ats.org.au/ wp-content/ uploads/ 2017/ 11/ The-Challenges-of-Tunnellingwith-Slurry-Shield-Machines-in-Mixed-Ground_ Russell-Connors.pdf. [13] V. Fargnoli, D. Boldini und A. Amorosi, „Twin tunnel excavation in coarse grained soils: Observations and numerical back-predictions under free field conditions and in presence of a surface structure“, Tunnelling and Underground Space Technology, Jg. 49, S. 454-469, 2015. [14] Y.-S. Fang, C.-M. Lin und C. Liu, „Ground settlement due to shield tunneling through gravelly soils in Hsinchu“, JGS Special Publication, Jg. 2, Nr. 42, S. 1501-1506, 2016. [15] C. He, K. Feng, Y. Fang und Y.-c. Jiang, „Surface settlement caused by twin-parallel shield tunnelling in sandy cobble strata“, J. Zhejiang Univ. Sci. A, Jg. 13, Nr. 11, S. 858-869, 2012. [16] C. Zhu und N. Li, „Prediction and analysis of surface settlement due to shield tunneling for Xi’an Metro“, Can. Geotech. J., Jg. 54, Nr. 4, S. 529-546, 2017. [17] M. Babanti, „Record production in use of TBM-EPB machine on second underground line in Warsaw“ in World Tunnel Congress, Genf, 2013. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 139 GfK-Bauweisen bei Tunnelanschlagssituationen Markus Simon Graeser Implenia Spezialtiefbau GmbH, Mannheim, Deutschland Zusammenfassung Der Vortrag beschäftigt sich mit anspruchsvollen und zulassungspflichtigen Bauweisen bei Tunnelanschlägen in Verbindung mit der dazugehörigen Sicherung der Baugruben. Es werden die schwierigen Voraussetzungen hinsichtlich der Geologie sowie die technischen Rahmenbedingungen der Anschlagsituation und der Baugrubensicherung erläutert. Hieraus ergeben sich besondere Bauweisen unter Zuhilfenahme besonderer Baumaterialien und Baumethoden. Insbesondere GfK-Baustoffe haben sich hierfür als Lösung etabliert. Es wird im gezeigten Anwendungsfall die Bohrpfahlwand im Tunnelanschlagbereich mit GfK-Bewehrung und die Rückverankerung der Baugrubensicherung aus GfK-Micropfählen hergestellt. Hieraus ergaben sich unterschiedliche Problemstellungen, da für die genannten Baumethoden keine Zulassung vorlag. Zudem im Fall der hier angewendeten GfK-Anker um eine Baumethode, für die es keine tragfähige Pfahlkopfkonstruktion gab und deshalb neue Verankerungs-Methoden entwickelt werden mussten. Ein Teil des Vortrages beschäftigt sich daher auch mit dem Zulassungsprozess, mit Praxis-Versuchen und rechnerischen Nachweisen. 1. Projektbeschreibung 1.1 Bahn-Neubausstrecke Stuttgart-Ulm Abbildung 1: Projektübersicht [1] Die Neubaustrecke (NBS) Stuttgart-Ulm ist ein wichtiger Teilabschnitt zum Ausbau des Bahnverkehrs in Baden- Württemberg. Im Zusammenhang mit weiteren Projekten der Baumaßnahme „Stuttgart 21“ schafft dieser Ausbau die Voraussetzung für schnellere Reisezeiten in ganz Ba- 140 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 GfK-Bauweisen bei Tunnelanschlagssituationen den-Württemberg, Deutschland und Europa. Beispielsweise wird die Fahrtzeit zwischen Stuttgart und Ulm im Fernverkehr auf eine halbe Stunde nahezu halbiert. Zusammen mit „Stuttgart 21“ wird auch der Flughafen und die Landesmesse besser an den Fernverkehr angeschlossen. Nicht zuletzt wird die Bestandsstrecke im Filstal spürbar entlastet und Kapazitäten für zusätzlichen Bahnverkehr geschaffen. Die nachfolgende Übersichtsgrafik zeigt die Gesamtbaumaßnahme in ihrer geographischen Lage. Die gesamte Streckenlänge beträgt 59,6 km. Davon sind reine Tunnelstrecke 30,4 km. Die Streckenhöchstgeschwindigkeit beträgt 250 km/ h. Insgesamt werden 5 Tunnel (>500 m), 17 Eisenbahnüberführungen und 20 Straßenbrücken erstellt. 1.2 Planfeststellungsabschnitt 2.1a Albvorlandtunnel Die hier vorgestellte GfK-Baumethode wird am Planfeststellungsabschnitt 2.1 a “Albvorlandtunnel” angewendet. Der 8.176 m lange Bauabschnitt „Albvorlandtunnel“ besteht aus 2 eingleisigen Tunnelröhren mit einem Ausbruchdurchmesser von 11,15 Metern. Abbildung 2: Übersicht Abschnitt Albvorlandtunnel [1] Die Südröhre hat eine maschinelle Vortriebslänge von 7.978 Metern und die Nordröhre von 7.957 Metern. Zur Flucht, Rettung und Gefahrenbekämpfung sind die beiden Tunnelröhren durch insgesamt 16 bergmännisch aufgefahrene Querschläge miteinander verbunden. Am Westportal des Albvorlandtunnels wird die Neubaustrecke an die bestehenden Bahnstrecken „Neckartalbahn“ sowie an die „Güterzuganbindung“ (GZA) nördlich der Trasse angebunden. Hauptbauwerke der Anbindung GZA sind eine ca. 59 Meter lange Stützwand, eine 55 Meter lange Grundwasserwanne und ein 173 Meter langer eingleisiger Tunnel der bergmännisch unter der Autobahn A8 (GZA-BAB-Tunnel) vorgetrieben wurde. Im weiteren Verlauf wird die Strecke durch einen 350 Meter langen Einschnitt, gesichert mit einer bis zu 18 Meter hohen dauerhaften Bohrpfahlwand, geführt und über einen 168 Meter langen eingleisig bergmännisch aufgefahrenen Tunnel mit einem 35 m langen Kavernen-Verbindungsbauwerk an die Nordröhre des Albvorlandtunnels angeschlossen (GZA-Tunnel, Gesamtlänge 203 m). Östlich des Tunnelvortriebs, am sogenannten Ostportal, verläuft die Trasse bis zur Abschnittsgrenze zum PFA 2.1 c in einer Grundwasserwanne mit 350 Metern Länge und anschließend in Dammlage, wobei kreuzende Wege und Gewässer mit Eisenbahnüber- und Unterführungen gequert werden. Die Neubaustrecke Stuttgart - Ulm wird südlich der Trasse auch an die bestehende Bahnstrecke „Neckartalbahn“ eingleisig über die sogenannte „Kleine Wendlinger Kurve“ (KWK) angeschlossen. Hauptbauwerke der KWK sind ein 145 m langes Trogbauwerk, in einer offenen Baugrube erstellt, und ein 496 m langer bergmännisch aufgefahrener Tunnel. An den Portalen Ost, West, KWK-Nord, KWK-Süd und GZA-BAB-Nord wurden ebenfalls umfangreiche Spezialtiefbauarbeiten zur Erstellung der Portalbaugruben und Anschlagwände ausgeführt. Die beiden maschinell aufgefahrenen Tunnelröhren wurden vom Ostportal bei Kirchheim/ Teck in Richtung Westportal bei Wendlingen/ Neckar parallel hergestellt. Die Anschlagwand der Baugrube „Ostportal“ war für die Bauaufgabe daher von besonderer Bedeutung und durch die Vielzahl der Rahmenbedingungen, die Ihre Funktion als Baugrubensicherung und gleichzeitige Anschlagwand mit sich bringt, in Planung und Ausführung extrem anspruchsvoll. Sie konnte nur unter Zuhilfenahme der nachfolgend näher erläuterten, außergewöhnlichen Baumethoden und Optimierungen bedarfsgerecht erstellt werden. 2. Anforderungen und Grundlagen Tunnelanschlag Ostportal 2.1 Bautechnische Anforderungen Wie einleitend erwähnt, erforderte die Bauaufgabe „Anschlagwand Ostportal“ als Startpunkt für den maschinellen Tunnelvortrieb besondere Baumethoden. In diesem Abschnitt wird erläutert, wieso diese neuen, ungewöhnlichen Baumethoden unter Zuhilfenahme von GfK-Materialien notwendig waren und nicht mit herkömmlichen Baumethoden hergestellt werden konnten. Dem Bauentwurf entsprechend sollte die Auffahrt der beiden Tunnelröhren am Ostportal bei Kirchheim unter Teck beginnen. Hierfür war eine Startbaugrube notwendig, die in ihrer Länge und Breite die beiden Tunnelbohrmaschinen für einen gleichzeitigen Vortrieb der beiden Tunnelröhren aufnehmen konnte. Die Baugrube wurde dabei in Vortriebsrichtung links blickend von einer mehrfach rückverankerten, überschnittenen Bohrpfahlwand mit einem Pfahldurchmesser von 1,20 Metern gesichert. Auf der rechten Seite der Baugrube, in Richtung der BAB 8, erfolgte die Sicherung mittels einem Voraushub und einer anschließenden Böschungsvernagelung und Spritzbetonschale. Im weiteren Verlauf entgegen der Vortriebsrichtung verließ die Baugrubengeometrie den Hangeinschnitt und ging in eine offene Bauweise über. Die Übergangsbereiche wurden beidseitig mittels rückverankerten, mit abnehmender Geländehöhe auch freiste- 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 141 GfK-Bauweisen bei Tunnelanschlagssituationen henden, Träger-Bohl-Wänden gesichert. Abgeschlossen wurde die Baugrube an der Stirnseite durch eine mehrfach rückverankerte, überschnittene Bohrpfahlwand mit einem Pfahldurchmesser von 1,20 Metern inkl. Pfahlkopfbalken. Diese Pfahlwand musste in ihrer Funktion daher nicht nur den Anforderungen einer Baugrubensicherung sondern zusätzlich noch den Anforderungen einer Tunnelanschlagwand gerecht werden. Die nachfolgenden Erläuterungen und Abbildungen geben eine Übersicht über die geplanten Elemente der Anschlagwand, die einzelnen Funktionen und einen groben Überblick der geometrischen Einordnung in das bestehende Urgelände. Abbildung 3: Ansicht Anschlagwand Ost [2] Abbildung 4: Schnitt Anschlagwand Ost [2] Die Herstellung der Anschlagwand sollte zunächst mit einem Voreinschnitt in das bestehende Gelände der Hügelflanke des sogenannten Hungerbergs erfolgen. Anschließend sollte die überschnitte Bohrpfahlwand erstellt werden und im weiteren Verlauf des Baugrubenaushubs dann die entsprechenden Elemente der Rückverankerung. Zur Sicherung des Einfahrvorgangs der Tunnelbohrmaschine wurden dann Kopfbalken und die Sicherungselemente der Pfahlwand (Rohrschirm, Brillengurt) hergestellt, welche einen Teil der Baugrubensicherung übernahmen, wenn die Tunnelbohrmaschine durch die Baugrubenwand fährt und ein Teil der statisch wirkenden Baugrubensicherung abgebrochen und funktionslos wird. Gleichzeitig durften im Teil der Anschlagwand, der von der Tunnelbohrmaschine durchfahren wurde, und deren Verankerung keine Bauteile verwendet werden, die das Schneidrad der Tunnelbohrmaschine beschädigen oder die Förderung des Ausbruchsmaterials mittels Schnecke in der Maschine blockieren würden. Aus diesem Grund war in der Entwurfsplanung schon der Einbau von GfK-Bewehrung und GfK-Ankern gefordert. Der Einbau dieser besonderen Materialien und eine damit einhergehende Änderung von herkömmlichen Baumethoden waren unumgänglich zur Erfüllung der Bauaufgabe einer Baugrubensicherung, die gleichzeitig von einer Tunnelvortriebsmaschine durchfahren werden kann, ohne dass die Maschine Schaden nimmt oder die Vortriebsleistung leidet und dennoch ihre sichernde Funktion behält. 2.2 Geologische Grundlagen Auf Grundlage der vorliegenden Erkundungsergebnisse standen im Baugrubenbereich bis in Tiefen von etwa 7 bis 9 Metern Lockergesteine an. Bei den Lockergesteinen handelte es sich zum einen um die etwa 2 bis 142 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 GfK-Bauweisen bei Tunnelanschlagssituationen 7 Meter mächtige Lösslehme (lol) sowie bereichsweise Hangschuttablagerungen (qu) und zum anderen um Lockergesteine aus der hier etwa 1 bis 7 Meter mächtigen Entfestigungszone des Schwarzjuragebirges. Unterhalb der Lockergesteinsüberdeckung lag die Baugrube durchgängig in Gesteinen des Pliensbachiums 2 (pb2) und darunter Gesteinen des Pliensbachiums 1 (pb1). Sowohl die Gesteine des pb2 als auch die des pb1 standen im Baugrubenbereich in vorwiegend mäßig bis stark verwittertem Zustand an. Lokal wurden im Baugrubensohlbereich unverwitterte bis angewitterte Gesteine des pb2 angetroffen. Im Bereich der Autobahnböschung der im Bereich BAB-Einschnitt liegenden Baugrube wurde das Erdreich im Zuge der Baugrubenerstellung bis etwa Niveau Einschnittssohle vollkommen abgetragen, so dass dieser Baugrubenbereich dann durchgängig in vorwiegend mäßig bis stark verwitterten Gesteinen des pb2 und des pb1 lag. Ab etwa 2 Meter unter Gründungssohlniveau standen die aus einer monotonen Serie von Ton- und Tonmergelsteinen bestehenden Gesteine des pb2 in vorwiegend mäßig bis stark verwitterten Zustand an. Ein Auftreten von unverwitterten bis angewitterten Gesteinen des pb2 wurde nur auf den letzten rd. 40 m der offenen Bauweise im Gründungssohlbereich erwartet. Die Gesteine des pb2 waren in mäßig bis stark verwitterten Gebirgsbereichen bankig bis plattig ausgebildet und wiesen eine schlechte Kornbindung auf. In unverwitterten bis angewitterten Gebirgsbereichen wurden sie bankig, z.T. auch dickbankig angetroffen, wobei sie eine mäßige bis schlechte Kornbindung besaßen. Die vorwiegend steilstehende Klüftung (70° bis 90°) war in mäßig bis stark verwitterten Gebirgsbereichen vorwiegend engbis mittelständig ausgebildet. Die in diesem Bereich anstehenden Gesteine zeigten eine vorwiegend flach liegende Schichtung - Schichteinfallen von etwa 3° in südwestliche Richtung sowie eine zweischarige orthogonale Klüftung. Für die anstehenden Locker- und Festgesteine stellten die in der nachfolgenden Tabelle zusammengestellten Gesteins-/ Gebirgskennwerte die maßgebenden Rechenwerte dar. Abbildung 5: Tabelle Bodenkennwerte [2] Die Bohrpfahlwand der Anschlagswand Ost griff ab rd. 7 Meter unter Gelände in das anstehende Grundwasser ein. Da aufgrund der vorliegenden geringen Gebirgsdurchlässigkeit, aber auch bei Perforierung der Bohrpfahlwände mittels Drainageöffnungen laut Bauwerksbericht nicht sichergestellt werden konnte, dass das hinter den Bohrpfahlwänden anstehende Gebirge in ausreichendem Umfang entwässert, waren diese Bohrpfahlwände unter Ansatz von Wasserdruck zu dimensionieren. Im Bereich der Anschlagwand war der Bemessungswasserstand mit 341,25 müNN angegeben. Für die Rückverankerung der Bohrpfahlwände wurde eine Mantelreibung von 80 kN/ m² in den Hangschuttablagerungen und den entfestigten Gesteinen des pb2, 250 kN/ m² in den mäßig bis stark verwitterten Gesteinen des pb2/ pb1 und 800 kN/ m² in den unverwitterten bis angewitterten Gesteinen des pb1 vorgegeben. Die Anker waren nachzuverpressen. 3. Anforderungen bei der Umsetzung der Bauaufgabe „Anschlagwand Ost“ 3.1 Ansatz Materialkennwerte GfK-Anker und Vorbemessung Zu Beginn der Angebotsbearbeitung wurde als Grundlage für das zu erstellende Angebot eine statische Vorbemessung der Anschlagwand durchgeführt. Die bei dieser Vorbemessung ermittelten Ankerkräfte für den Bauwerksteil, in dem die GfK-Anker verbaut werden mussten, wurden gemäß den vorliegenden Unterlagen und Vorgaben der Arbeitsvorbereitung geplant. Gemäß der überschlägigen statischen Voruntersuchung wurden Ankerkräfte für die 3. Ankerlage der Anschlagwand von 637,69 KN und für die 4. Ankerlage von 686,79 KN, jeweils charakteristisch, ermittelt (gilt für die Bereiche, die von der Tunnelbohrmaschine durchfahren werden). Die Ankerkräfte der GfK-Ankerlagen wurden mit einem Achsabstand von jeweils 1,0 Metern ermittelt. Da herstellungsbedingt bei einer überschnittenen Bohrpfahlwand maximal jeder zweite Pfahl bewehrt werden kann, mussten bei einem Pfahldurchmesser von 1,20 m mit Achsabstand von 1,00 m Anker im Zwickelbereich der bewehrten Pfähle angeordnet werden, um den 1,00 m Achsabstand einhalten zu können. Weiterhin musste die von einem GfK-Anker maximal aufnehmbare Kraft berücksichtigt werden. Gemäß den Unterlagen des Anker-Herstellers war die Bruchlast für den größtmöglichen GfK-Anker, Typ K60-32, mit >560 KN angegeben. Abbildung 6: Materialkennwerte GfK-Stäbe [3] Alleine aus dem Vergleich der beiden charakteristischen Kräfte ohne die jeweiligen Sicherheitswerte war sofort ersichtlich, dass ein GfK-Anker je Rasterpunkt nicht ausreichend sein würde. Diese Problematik wurde gelöst, indem im Zwickelbereich eines jeden bewehrten Pfahls ein 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 143 GfK-Bauweisen bei Tunnelanschlagssituationen gefächerter Doppel-Anker untergebracht wurde. Durch diese Vorgehensweise wurden die erforderlichen/ errechneten Ankerkräfte erreicht bzw. eingehalten (überschlägig: Fa,d = 687 KN * 1,35 = 928 KN; Ra,d = (560 KN / 1,15) * 2 = 974 KN i.O. da Fa,d < Ra,d). Die Einbaumenge der GfK-Anker wurde im Bereich der Schildfahrt ermittelt. Die 1. GfK-Ankerlage hatte eine Abwicklungslänge von zweimal 11,50 Metern und die 2. GfK-Ankerlage eine Abwicklungslänge von zweimal 11,00 Metern. Es ergaben sich somit für die beiden Tunnelröhren eine gesamte Abwicklungslänge von 45,00 m was bei einem Achsabstand von 1,00 m zu einer Einbaumenge von 45 GfK-Doppelankern führt. Somit waren in der Schildfahrt der beiden Tunnelröhren 90 GfK-Anker vorgesehen. Mit diesen Grundlagen wurde das Angebot gelegt und sämtliche Anforderungen an die Anschlagwand hinsichtlich der Tunnelfahrt erfüllt. Allerdings wurden nach Auftragserteilung mit Aufnahme der Ausführungsplanung und Arbeitsvorbereitung Ansätze in den Bauteileigenschaften, Materialkennwerten und Rechenwerte in der statischen Vorbemessung des Angebots ersichtlich, die einer vertieften Betrachtung bedurften. So lag zum einen der angesetzte Bemessungswasserstand bei 338,75 müNN auf Höhe der ersten, im Entwurfsplan eingezeichneten Entwässerungsbohrung. Insofern auf den ersten Blick eigentlich technisch richtig angesetzt, jedoch im Widerspruch mit den vorgeschriebenen Bemessungsgrundlagen im Bauwerksbericht. Hier war die Bemessung unter vollem Wasserdruckansatz gefordert, da eine Entwässerung über Bohrungen nicht wirkungsvoll sei. Da der gewählte Ansatz der bautechnischen Prüfung nicht standhalten würde, wurde der Wasserdruckansatz in der Ausführungsplanung korrigiert. Hierdurch wurden erhöhte Kräfte errechnet, die eine zusätzliche Ankerlage mit GfK-Ankern erforderlich machte. Weiterhin wurden in der Vorbemessung abweichende Bodenkennwerte angesetzt. Es wurde angenommen, dass für diese Anschlagwand und den im Tunnelbereich liegenden Boden das tunnelbautechnische Gutachten galt. Dem war jedoch nicht so, da zur Bemessung der Baugrube/ Anschlagwand der Bauwerksbericht mit einem anderen Gutachten mit reduzierten Kennwerten zu verwenden war. Siehe dazu Kapitel 3.2. Auch aus dieser Betrachtung musste zunächst eine zusätzliche Ankerlage eingebracht werden. Aus diesem Umstand heraus kamen nochmals 45 Ankerpunkte zu den bereits zusätzlich ermittelten hinzu. Während der Ausführungsplanung wurde dann das gesamte System GfK-Anker eingehend untersucht und es zeigte sich, dass nicht das Zugglied sondern die Krafteinleitungskonstruktion bzw. der Ankerkopf das für die System-Tragfähigkeit maßgebende Bauteil war. So war weiteren Materialprüfberichten des Herstellers zu entnehmen, dass eine 20 cm lange Stahlmutter eine maximale Kraft bis zum Versagen von 482 KN aufnehmen kann. Nach Rücksprache mit den Planern des Tunnelvortriebs wurde die Verwendung der Stahlmuttern jedoch verworfen, da die Gefahr bestand, dass die Vielzahl der Muttern und deren Größe das Schneidrad und seinen Werkzeugbesatz beschädigen könnten. Aus diesem Grund mussten die GfK-Muttern eingesetzt werden, da sie die Tunnelfahrt nicht behindern und den Schneidradbesatz nicht beschädigen würden. Aufgrund der Materialeigenschaften hatte diese GfK-Mutter eine wesentlich geringere Tragfähigkeit als die Stahlmutter. Die geprüfte mittlere Tragfähigkeit des Systems „Ankerkopf GfK“ betrug 132 KN. Abbildung 7: Systemwerte Prüfbericht [4] Mit den entsprechenden Sicherheitswerten beaufschlagt, hier der Einfachheit halber mit 1,15 global betrachtet, ergab das eine maximal mögliche Systemtragfähigkeit von 115 KN. Dies war nun äußerst ernüchternd, da hierdurch die Wand nicht mehr baubar war. Summiert man nun die Lastanteile herunter erhält man je Meter Abwicklungslänge folgende Werte. Für die neue GfK-Ankerlage 1n ergab sich ein Wert von Fa,k = 330 KN, für die GfK-Ankerlage 2 blieb ein Wert von Fa,k = 630 KN, für die GfK-Ankerlage 3 blieb ein Wert von Fa,k = 680 KN und für die Neue GfK-Ankerlage 4n ein Wert von Fa,k = 410 KN. Summiert man dies nun auf, bedeutet das eine Gesamtkraft von ∑Fa,k = 2050 KN, die über die GfK-Anker abgetragen werden müssen. Daraus folgt eine Designkraft von ∑Fa,d = 2050 KN * 1,5 = 3075 KN. Teilt man diesen Wert durch die maximal mögliche Systemkraft von nunmehr 115 KN je Anker ergibt sich eine Ankerzahl von ca. 27 GfK-Ankern je Meter Wandlänge. Der Durchfahrtsbereich der beiden TVM ist mit einer mittleren Breite von 23,50 Metern angegeben. Dies bedeutete, dass nun in der Schildfahrt anstelle von 90 GfK- Ankern ca. 635 Anker eingebaut werden müssten. Bei der Detailplanung des Bauablaufs wurde festgestellt, dass die geplanten Stahl-Ankermuttern nicht verwendet werden konnten, da die Gefahr bestand, dass sie die Schneidwerkzeuge beschädigen könnten. In den Vorgaben befand sich aufgrund dessen bereits der Hinweis, dass die Stahl- Ankermuttern vor dem Beginn der Schildfahrt zu entfernen sind. Diese Vorgabe war jedoch nicht umsetzbar, da hierdurch die Wand beim Anfahrvorgang kurzzeitig ungestützt gewesen wäre und die Standsicherheit nicht mehr gewährleistet sein würde. Eine Lösung war auch nicht durch Hilfskonstruktionen oder andere Absteifungen etc. machbar, da entweder der Platz hierfür fehlte oder die abzuleitenden Kräfte nicht anderweitig abgetragen werden konnten. Aus diesen Gründen konnte die Ankeranzahl ebenfalls nicht mehr reduziert werden. Da bei so vielen Ankerpunkten im Bereich der Schildfahrt die Gefahr bestand, dass sich die Förderschnecken 144 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 GfK-Bauweisen bei Tunnelanschlagssituationen mit GfK-Bruchteilen verklemmen und die Förderung von Ausbruchmaterial behindern würde, sah man von dieser Ausführungsvariante ab. Abgesehen hiervon hätten diese Umstände ein terminliches und finanzielles Risiko bedeutet. Auch aus diesen Gründen drängte sich eine alternative Ausführung auf. 3.2 Entwurf mit Bemessungsgrundlagen nicht umsetzbar In den Planungsgrundlagen „Bodengutachten“ und „Bauwerksbericht“ war gefordert, dass die Anschlagwand unter Ansatz von vollem Wasserdruck gemäß den Bemessungswasserständen zu berechnen ist. In den Entwurfsplänen war jedoch vorgesehen, dass die Anschlagwand mit Drainagebohrungen zu versehen sei, um sie frei von Wasserdruck zu halten (Vergleiche hierzu Abb. 4). Dieser Wasserdruck-Ansatz ist zunächst technisch nicht unüblich, war jedoch nicht umsetzbar, weil die bautechnische Prüfung eine Abweichung zu den Planungsgrundlagen nicht tolerierte. Dieser Ansatz wurde bereits in der bautechnischen Vorprüfung gekippt. In der weiteren Bearbeitung hat sich herausgestellt, dass für diesen Bereich zwei Bodengutachten existieren. Zum einen gab es ein tunnelbautechnisches Gutachten, welches für den Tunnelbau zu verwenden war und vom Vortriebsbeginn an der Vorderkante Pfahlwand anzuwenden war. Zum anderen gab es den gültigen Bauwerksbericht mit Bodengutachten zur Erstellung der Baugrube, welcher bis Hinterkante der Verankerung der Anschlagwand anzuwenden war. Insofern gab es den Bereich von Vorderkante Anschlagwand bis Hinterkante der Rückverankerung, für den rein technisch gesehen, beide Bodengutachten Gültigkeit besaßen. Nachfolgende Abbildungen zeigen den Unterschied. Abbildung 8: Bodenkennwerte Bauwerksbericht [2] Abbildung 9: Bodenkennwerte Tunnelvortrieb [2] Wie aus den beiden Tabellen ersichtlich wird, gibt das tunnelbautechnische Gutachten für den in der Bauwerksumschließung nahezu über die gesamte freie Höhe anstehenden Baugrund si2 mit Verwitterungsstufe w2-w3 signifikant bessere Werte. Hier werden für genannten Boden Reibungswinkel von 35° anstelle von 27,5° angegeben und eine Kohäsion von 100 KN/ m² anstelle von 15 KN/ m². Die Anschlagwand konnte nur unter Ansatz der Werte aus dem tunnelbautechnischen Gutachten nachgewiesen werden. Mit den Werten aus dem geltenden Bauwerksbericht hätte sich die Ankeranzahl nochmals derart erhöht, dass die Baumaßnahme nur mit erheblichem Zusatzaufwand umgesetzt werden könnte. In der ersten Untersuchung mit den geforderten Ansätzen zeigte sich ein Ankerraster von ca. 50 cm x 50 cm über die gesamte Fläche der Tunnelquerschnitte. Dies war technisch nicht mehr umsetzbar, da hierdurch die Wand derart perforiert werden würde, dass keinerlei Tragwirkung mehr vorhanden wäre. Es war daher immens wichtig, alle Beteiligten davon zu überzeugen, dass sich der gewünschte Erfolg nur mit einer Kombination von Grundlagenoptimierung der Bodenkennwerte und mit einer Optimierung der GfK-Bauweise einstellen würde. 3.3 Formelle Genehmigung der GfK-Bauweise und Bauzeitrisiko In den vorangehenden Kapiteln werden ausführlich die bautechnischen Probleme und die schwierigen geotechnischen Randbedingungen erläutert. Es gab jedoch eine weitere große Herausforderung formeller Natur. Die anzuwendenden und ausgeschriebenen GfK-Bauweisen bzw. die verwendeten Bauteile hatten keinerlei normative Regelungen oder bauaufsichtliche Zulassungen. Sie waren weder in der Bemessung, Ausführung noch Prüfung geregelt. Es war daher eine Reihe von Formalitäten vor der Ausführung zu beachten, die es unter äußerstem Zeitdruck zu bewältigen galt. Zunächst musste während der technischen Bearbeitung festgestellt werden, dass der Planungszeitraum und die dazugehörigen Prüfläufe bereits ohne Puffer in der vertraglich vereinbarten Bauzeit berücksichtigt waren. So war ein Zeitraum von Beauftragung bis hin zur Ausführung der GfK-Bauwerke von sechs Monaten vorgesehen. Dies war äußerst knapp bemessen, da der Regelprüflauf bei diesem Projekt schon mit knapp drei Monaten zu Buche schlug. Führt man sich nun vor Augen, wie komplex die Bauaufgabe war, kommt man schnell zu der Einschätzung, dass die verbleibende Zeit von drei Monaten für die Arbeitsvorbereitung und Erstellung der prüffähigen Ausführungsplanung kaum ausreichend war. Um den aufgerufenen Bautermin einzuhalten war es notwendig, dass alles reibungslos verlaufen und keine Probleme auftauchen würden. Leider erfüllte sich diese Hoffnung nicht, so dass von Anfang an ein extrem hoher Zeitdruck auf dem Planungsteam lastete, da bei Verzögerungen das 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 145 GfK-Bauweisen bei Tunnelanschlagssituationen gesamte Projekt hinsichtlich der Vertragstermine gefährdet würde und darüber hinaus noch Kosten aus Bauzeitverlängerung in hohem Maße entstehen könnten. Unter diesem hohen Termindruck galt es nun, eine Bauweise zu planen, die zunächst einmal unklarer nicht sein konnte und für selbige noch eine unternehmensinterne Genehmigung (UiG) des AG zu erlangen war. Dies war notwendig, da es sich bei der angedachten GfK-Bauweise um eine nicht normative oder durch eine DiBt-Zulassung geregelte Bauweise handelte. Das Problem hierbei war, dass zur Beantragung der UiG bereits alle zu verwendenden Materialien bekannt sein müssen und eine fertig geprüfte Ausführungsplanung beigelegt werden muss. Spätestens hier wurde ersichtlich, dass man aufgrund dieser Tatsachen in ein zeitliches Risiko laufen würde. So war zum Zeitpunkt der notwendigen Beantragung noch nicht klar, was denn überhaupt gebaut werden würde. Zu diesem Zeitpunkt wurden schon Anstrengungen unternommen, die formale und bautechnische Prüfung und Freigabe zu trennen, um die Bauzeit einzuhalten. Zudem wurden wir entgegen den Angaben in den Vertragsgrundlagen in einem Prüfrückläufer des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA) zur UiG darüber informiert, dass für genannten Anwendungsfall eine Zulassung im Einzelfall (ZiE) zu erwirken sei. Man hatte daher quasi über Nacht eine weitere Schnittstelle mit einer Prüfinstanz hinzubekommen, deren Auswirkung nicht mehr einschätzbar war. Es war jedoch klar, dass hieraus weitere Maßnahmen erforderlich würden und selbst bei Entwicklung einer Baumethode, die die genannten Probleme technischer Natur lösen würde, weitere Bedingungen gestellt werden würden, die die gefundene Lösung gefährden könnten. Die Auswirkungen dieses Sachverhalts werden in Kapitel 6 näher erläutert. 4. Grundlagenoptimierung zur Umsetzung GfK-Bauweise Wie beschrieben, traten vielerlei Problemstellungen auf, die unter hohem Zeitdruck und innerhalb des vorgegebenen Kostenrahmens gelöst und abgearbeitet werden mussten. Die nachfolgenden Kapitel zeigen nun den Lösungsweg für die genannten Problemstellungen und den Weg zur erfolgreichen Umsetzung der Bauaufgabe. 4.1 Optimierung Bodenkennwerte/ Rechenansätze Zu allererst war klar, dass ohne eine Verbesserung der Grundlagen der Berechnung auf der Einwirkungsseite der Anschlagwand keine Möglichkeit bestand, die Wand standsicher zu bemessen und gleichzeitig so auszubilden, dass die Tunnelvortriebe problemlos die Wand durchfahren konnten. Es wurde gleich zu Beginn der Ausführungsplanung Anstrengungen unternommen, die beiden Bodengutachten gemäß Abbildung 8 und 9 zu harmonisieren und so bessere Kennwerte zur Berechnung der Erddrücke und somit eine Reduktion selbiger zu erhalten. In gemeinsamen Abstimmungen wurde sich darauf verständigt, mit dem Ersteller des Gutachtens direkt zu kommunizieren, da nur eine Chance bestand bessere Rechenwerte zu verwenden, wenn er sein Bodengutachten anpassen würde und in einer neuen Revision bessere Werte liefern würde. Dementsprechend wurde mit der damals beauftragten ARGE Wasser, Umwelt, Geologie (WUG) Kontakt aufgenommen und das weitere Vorgehen diskutiert. Auch der mittlerweile am Bauvorhaben eingebundene geotechnische Sachverständige (GEPRO Dresden) wurde in diese Diskussion mit einbezogen, da durch ihn die neu ermittelnden Kennwerte in der bautechnischen Prüfung bestätigt und geprüft werden mussten. Weiterhin wurde in Diskussion mit den zuständigen Prüfingenieuren und dem Aufsteller des Gutachtens die Forderung, die Wand mit erhöhtem Erddruck zu berechnen, relativiert und abgeändert. Gemäß der nachfolgenden Tabelle sollte die Wand mit den gelb markierten Ansätzen berechnet und nachgewiesen werden. Abbildung 10: Auszug DIN 4085 [5] Im weiteren Verlauf konnten die Prüfingenieure und Gutachter davon überzeugt werden, dass diese Norm für diesen Fall nicht angewendet werden musste, da Verformungen in der Anschlagwand bzw. im Baugrund dahinter nicht von Relevanz waren. Die Startbaugrube befand sich auf freiem Feld ohne Nachbarbebauung, die es zu schützen galt. Es wurde daraufhin gestattet, die Wand nur mit aktivem Erddruck zu berechnen. Weiterhin konnte in langen Gesprächen und unter Zuhilfenahme von vergleichenden Berechnungen und Beobachtungen an den Nachbarbaulosen in vergleichbarem Baugrund eine Lösung gefunden werden, die alle Beteiligten zufrieden stellte. Man konnte sich darauf einigen, dass für das Festgestein in der unteren Wandhälfte das tunnelbautechnische Gutachten anzuwenden war und die Rechenwerte aus selbigem für das Festgestein anzuwenden waren. Die von der ARGE WUG angegebenen schlechteren Ersatz-Kennwerte resultierten aus einer anderen Aufgabenstellung, die Sachverhalte zu Beginn der Entwurfsplanung vor über 20 Jahren berücksichtigte und keine felsmechanischen Themen abhandelte. Nach ersten Berechnungen wurde dann festgestellt, dass aufgrund der extrem günstigen felsmechanischen Eigenschaften und unter Ansatz von 100 Prozent aktivem Erddruck wenig bis überhaupt keine Erddruck mehr auf die Wand wirken würde. 146 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 GfK-Bauweisen bei Tunnelanschlagssituationen Abbildung 11: Auszug Prüfbericht WUG Es wurde daher gemeinsam vereinbart, für diese Fälle einen Mindesterdruck-Ansatz gemäß dem Prüfbericht in Abbildung 11 auf die Wand anzusetzen, um ein erhöhtes Sicherheitsniveau zu bekommen. Die Änderung dieser Berechnungsgrundlagen war ein großer Erfolg, da hierdurch die Wand erstmals so nachgewiesen werden konnte, dass Sie bautechnisch herstellbar war. 4.2 Optimierung Wasserdruckansatz Gemäß dem Bauwerksbericht war die Anschlagwand entgegen den vorangehend gezeigten Entwurfszeichnungen unter Ansatz von Wasserdruck über die gesamte Wandhöhe zu berechnen. Diese Forderung führte zu einer erheblichen Last-Einwirkung auf die Anschlagwand. Es war somit auch zu Beginn klar, dass hier einiges Optimierungspotential vorhanden war, um die Anzahl der GfK-Anker zu reduzieren und somit weiter in Richtung erfolgreicher Umsetzung des Entwurfs gearbeitet werden konnte. Zunächst wurden Gespräche geführt, warum dieser Wasserdruckansatz überhaupt in der Form gefordert wird, obwohl die Anschlagwand in Vortriebsrichtung links von einer wasserdurchlässigen Trägerbohlwand und rechts davon der Einschnitt der BAB 8 in etwa auf Niveau der Baugrubensohle liegt. Normalerweise sollte das für eine Entwässerung des Baugrundes hinter der Wand ausreichend sein. Seitens des Aufstellers des Bauwerksberichtes wurde dann erläutert, dass dies zwar richtig sei, aber durch vertikale Klüfte sich Wasserdruck in dieser Höhe durch zulaufendes Oberflächenwasser anstauen könnte, da das Gebirge sich nicht schnell genug selbst über das Kluftgefüge entwässern könne. Zudem sei es sehr wahrscheinlich, dass durch Verwitterungsprozesse das Kluftgefüge mit gering durchlässigem verwitterten Ton- und Mergelstein gefüllt sei. Es wurde hierauf entgegnet, dass jedoch die horizontalen Scherfugen mit ca. -3° von der Wand weg fallen und zumindest dieser Sickerweg vorhanden sein sollte. Weiterhin wurden Drainagebohrungen in einem engen Raster vorgeschlagen, die bis zur Tiefe einer errechneten Ersatz-Sickerlinie und/ oder bis zur Hinterkante des errechneten Gleitkörpers reichten. Nachfolgend eine Beispielgrafik zur Ermittlung der Länge. Abbildung 12: Beispiel Ermittlung Drainagelänge Zusätzlich wurden noch weitere konstruktive Maßnahmen vorgeschlagen. So sollte der Böschungsbereich hinter der Anschlagwand mit Folie abgedeckt werden, um Oberflächenwasser fernzuhalten. Mit diesen Argumenten konnte erreicht werden, dass mit einem geringeren, als dem ursprünglich angegebenen Bemessungswasserstand gerechnet werden konnte. Hierdurch wurde eine weitere Reduzierung an erforderlichen Ankerpunkten möglich. 5. Entwicklung neuer GfK- Baumethoden zur Lösung bautechnischer Probleme Zunächst einmal war erfreulich, dass durch die vorangehenden Maßnahmen zum ersten Mal eine Ausführungsplanung möglich war, die innerhalb der bautechnischen Rahmenbedingungen und der Bauzeit sowie in einem vernünftigen Kostenrahmen möglich war. In der nun ersten prüffähig einreichbaren Ausführungsplanung waren nun noch 86 Ankerpunkte mit den Serienbauteilen der Minova K60-32 GfK-Ankern möglich. Diese erste Version wurde nun aufgrund des hohen Zeitdrucks zur Vorprüfung eingereicht und parallel mit allen Beteiligten abgestimmt. Die erste Euphorie im Planungsteam wurde jedoch schnell gebremst, da seitens des Tunnelvortriebs immer noch Bedenken bestanden, diese vielen GfK- Anker zu durchfahren. Abbildung 13: 1. Version Ausführungsplan Das Rad wurde somit wieder etwas zurück gedreht und es mussten weitere Verbesserungen zur Reduzierung der Ankeranzahl gefunden werden. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 147 GfK-Bauweisen bei Tunnelanschlagssituationen 5.1 Ersatz der gering tragfähigen GfK-Kopfkonstruktion Zunächst wurde das aktuell schwächste Glied der Kraftableitung, nämlich der Ankerkopf, untersucht, da man sich hier das meiste Optimierungspotential versprach. Wie in Abbildung 7 gezeigt, hat der Kopf im Vergleich zum Ankerstab nur etwa 1/ 6 der Tragfähigkeit. Insofern war hier schon genug Potential vorhanden, um alle Probleme zu lösen. Weiterhin war durch die Auflagen aus der UiG- und ZiE-Prüfung bereits klar, dass jegliche Ausführungsart mit Versuchen, Gutachten und Prüfungen nachgewiesen werden musste. Insofern war man auch frei, etwas völlig Neues zu entwickeln, da es an dem Prozess und dem Aufwand zur Genehmigung keinen Unterschied gemacht hätte. In internen Besprechungen kam die Idee auf, die notwendigen Kräfte über Verbund und Reibung im Bohrpfahl abzutragen und so einen höher tragenden Pfahlkopf innerhalb des Pfahls herzustellen oder zumindest einen Teil der Kräfte hierüber abzuleiten. Man hätte hierbei quasi eine Kombination aus Ankerkopf und verspanntem Ankerhals erhalten, welche in Summe tragfähiger als der reine Kopf wäre. Nach ersten überschlägigen Berechnungen in der folgenden Abbildung wurde ersichtlich, dass die Reibung und der Verbund alleine ausreichen würden, um sämtliche Ankerkräfte abzutragen. Abbildung 14: Überschlägige Berechnung Weiterhin hatte man durch diese Vorgehensweise einen weiteren Vorteil, da hierdurch die Verwendung von herkömmlichen GfK-Bewehrungsstäben ohne Gewinde der Firma Schöck möglich waren, welche bis zum Durchmesser 25 mm eine bauaufsichtliche Zulassung besaßen und somit zugelassene Berechnungsmethoden, Ausführungsanweisungen und Materialien vorhanden waren. Hierdurch erhoffte man sich eine extreme Beschleunigung der Erteilung einer ZiE, da nunmehr nur die Übertragung der Baumethode in die Geotechnik erfolgen und nicht erst mit der Grundlagenforschung begonnen werden musste. Es wurde daher festgelegt, dass der Vorschlag einen „innenliegenden Ankerkopf“ mit Reibung und Verbund in Übereinstimmung mit der Zulassung der Schöck-Combarstäbe weiter verfolgt wird. Diese erste Idee wurde allerdings von den Prüfingenieuren verworfen, da normativ nur die Druckzone eines Stahlbetonbauteils für Verbundverankerung angesetzt werden darf. Aufgrund der Ablehnung wurde entschieden, dass die notwendige fehlende Verbundlänge über ein aufgesetztes Betonbauteil in Zylinderform ergänzt wird und man so eine Kopfkonstruktion herstellt, die außerhalb der Zugzone liegt und durch Längenvariation auch höher belastet werden könnte. Es konnten hierdurch auch GfK-Anker mit doppeltem Zugglied verwendet werden, da man nun in der Verteilung der Kraft variabler war. Hierdurch stellten sich zunächst extrem positive Effekte auf die Ankeranzahl ein, da die Kopf-Länge und somit die Tragkraft variierbar war. Die folgende Abbildung zeigt die Dimensionierung und Ausbildung des Kopfbauteils. Abbildung 15: Dimensionierung Ankerkopf Dies war statisch gesehen eine einwandfreie Lösung, da hierdurch hohe Kräfte abgetragen werden konnten und nicht mehr die Bauteile die Bemessung limitieren, sondern die Randbedingungen wie Baugrund und Bauablauf. Leider traten aber auch neue Fragestellungen aufgrund dieser neuen entwickelten Baumethode auf. 5.2 Normativer Rahmen der neuen GfK-Bauweise Zunächst einmal stellte sich dem Planungsteam, dem ZiE-Gutachter und den Prüfingenieuren die Frage, was dieses neue GfK-Bauteil nun für ein Charakter hatte und welchen normativen Regelungen hierfür überhaupt anwendbar waren. War das neue Bauteil überhaupt noch ein 148 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 GfK-Bauweisen bei Tunnelanschlagssituationen Anker? Die Klärung dieser Fragestellung war zunächst extrem wichtig, da hiervon zum einen Bemessungs- und Ausführungsvorgaben, die Schnittstelle zur Einbindung in den Baugrund und letztendlich die Prüfung der Bauteile abhingen. Dies alles musste zur Verfeinerung der Methode klar sein, da sich hieraus ggf. weitere Fragestellungen ableiten würden. Sehr schnell kam man gemeinsam zum Schluss, dass es sich bei der neuen Baumethode nicht mehr um einen GfK-Anker, sondern um einen Micro-Pfahl mit einem GfK-Zugglied und einem Ortbetonkopf kandelt. Insofern waren hierdurch schon einmal wesentliche Teile wie die Kopfausbildung in Beton, die Prüfung und die Bemessung der äußeren Tragfähigkeit bekannt und normativ geregelt. Dies wirkte sich auch positiv auf die ZiE- Beantragung aus, da hierdurch schon genormte „Leitplanken“ bestanden. Es herrschte somit weitestgehend Klarheit, bei vielen wichtigen Fragestellungen. 5.3 Ausführung der Kopfkonstruktion Wie in Abbildung 15 gezeigt, hatte man zunächst eine einwandfreie Lösung zum Abtrag von beliebig hohen Pfahlkräften. Was die Abbildung jedoch auch zeigt und was auch vom ZiE-Gutachter angesprochen wurde war, dass bei dieser Art der Kopfausbildung Spaltzugkräfte auftreten, wie sie bei einer herkömmlichen Pfahlkopfeinbindung in eine Bodenplatte etc. auch zu berücksichtigen sind. Dies war nun wirklich ein Problem, da natürlich auch diese Teile aus GfK sein mussten, um die ursprünglichen Probleme mit Stahlbauteilen nicht wieder aufkommen zu lassen. Das Problem hierbei war, dass man GfK-Stäbe nicht in einem so kleinen Biegeradius formen kann. Man war hier auf ca. 30 cm Biegeradius begrenzt. Eine Lösung mit Bügelbewehrung kam nicht in Frage, da für die Ecken der Bügel natürlich das gleiche galt und aus diesem Grund nur kurze Stäbe mit entsprechender Verankerungslänge im Wechsel eingelegt werden können. Diese beiden Möglichkeiten führten dazu, dass die Köpfe so oder so Dimensionen annehmen würden, die herstelltechnisch nicht mehr zu bewältigen waren. Der Vorschlag des Prüfingenieurs ging so weit, dass er überlegte, ein GfK-bewehrtes Betonbalkengitter vor die Pfahlwand zu setzten, in dessen Kreuzungspunkten die Pfahlköpfe lagen und der Spaltzug über die hierdurch mögliche vertikale und horizontale GfK-Bewehrung des Rostes abgetragen würde. Dieser Vorschlag wurde verworfen, da er zu einem ein finanzielles Fiasko geworden wäre und zum anderen die Bauzeit nicht mehr gehalten werden konnte. Es musste aus den genannten Gründen eine Lösung für das Thema „Spaltzug“ gefunden werden, da die Lösung dieses Problems ausschlaggebend für die erfolgreiche Umsetzung der neuen Baumethode war. Man kam dann auf die Idee, die Spaltzugbewehrung im Zylinder durch eine außenliegende Umwicklung des Zylinders mit Carbon-Sheets zu ersetzen. Diese Möglichkeit wurde sofort weiter verfolgt, da im eigenen Hause eine Spezialabteilung für Kohlefaser-Verstärkung und Sanierung von Betonbauteilen existiert. Besonders vorteilhaft war, dass die genannten Techniken im Haus bereits eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung besitzen und somit die Vorteile für eine zugelassene Bauweise auch für diesen Fall anwendbar waren. Dies war eine deutliche Verbesserung hinsichtlich der ZiE, da die GfK-Bügel und Wendelbewehrung keine Zulassung besitzen und somit hier aufwändiger zu Prüfen und Nachzuweisen gewesen wären. Sämtliche Prüfer und der ZiE-Gutachter stimmten dieser Ausführung zu, da auch sie die Vorteile der zugelassenen Bauweise erkannten. Da nun aber die Herstellung auf der Baustelle in den Vordergrund trat, kamen weitere Fragestellungen auf. Wie sollte so ein Bauteil hergestellt werden? Ein KG-Rohr auffädeln, ausgießen mit Vergussbeton und anschließendes Umwickeln mit Carbon-Sheets schien zunächst einmal wenig befriedigend, da dies einen zeitintensiven Prozess unter Baustellenbedingungen bedeutete. Relativ schnell war man hier nun bei einer Fertigteillösung, um den Kopf im Vorfeld herstellen zu können, ihn an der Wand mit einer Montageschraube zu befestigen und anschließend nur das „Montageloch“ zu vergießen. Gleichzeitig kam hierbei auch die Idee auf, dass Innere des Kopfzylinders konisch zu gestalten, was durch die Ausführung als Fertigteil problemlos möglich war. Nachfolgend ein Schnitt durch die Kopfkonstruktion mit den genannten Optimierungen. Abbildung 16: Schnitt Fertigteilkopf Dies hatte den immensen Vorteil, dass durch die „Keilwirkung“ bzw. Druckflächenbetrachtung mehr Kraft aufgenommen werden konnte, als bei einer geraden Verbund-Bauweise. Hierdurch konnte im Nachgang auch die Länge des Bauteils weiter reduziert werden. Dies war nun zunächst einmal eine Lösung, die zum ersten Mal alle Beteiligten zufrieden stellte und auch die erste umsetzbare Ausführungsplanung war. Somit war die Zielsetzung zwar mit höheren Kosten durch extrem teure Fertigteile erreicht, jedoch auch in Verbindung mit weniger herzustellenden Pfahlmetern. Durch diesen Umstand hielt sich der finanzielle Verlust in Grenzen und die Bauzeit blieb in etwa gleich. Nachfolgende Abbildung zeigt diese Ausführungsvariante, die zur Anwendung kommen sollte. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 149 GfK-Bauweisen bei Tunnelanschlagssituationen Abbildung 17: 5. Version Ausführungsplan 5.4 Optimierung hinsichtlich Kosten und Ausführbarkeit In der Prüfungsphase der Planung kam jedoch die berechtigte Frage auf, wie denn der Anfahrvorgang und der maschinelle Anschlag der Tunnelröhren mit den vorstehenden Köpfen in Einklang zu bringen sei. Der Einwand war, dass die Köpfe ca. 60 cm vor der Wand stehen und wenn das sich drehende Schneidrad der TVM die Köpfe erfasst, alle auf einmal wegbrechen würden und die Wand somit über den Großteil ihrer Höhe schlagartig keine Stützung mehr hätte, da die TVM den Spalt nicht schnell genug „zufahren“ könnte. Dadurch bestand die realistische Gefahr, dass die Wand einbrechen könnte und somit wäre der ganze Tunnelvortrieb schon vor Einfahrt zum Erliegen gekommen. Natürlich war dies ein nicht hinnehmbares Risiko für Personal und den Verkehr auf der benachbarten BAB 8. Die schnelle Lösung war, einfach eine Vorsatzschale aus Spritzbeton in Stärke der Kopflänge im Anschlagbereich aufzubringen, so dass wenn die Köpfe abgeschert werden, das TVM-Schild die Wand über den Beton stützt. Diese Idee wurde schnell verworfen, da sie zum einen sehr teuer in der Herstellung aber zum anderen auch gar nicht umsetzbar war. Für den Anfahrvorgang waren Anfahrdichtungen in Form von Stahltöpfen vorgesehen und bereits gefertigt. Die angedachte Problemlösung hätte jedoch dazu geführt, dass genannte Dichtungen um 60 cm verlängert werden müssten. Dies hätte einen extremen Zeit- und Kostenverlust bedeutet. Auch wären in der Wand wieder GfK-Pfähle dazu gekommen, da die Dichtung an der Wand montiert würde und durch die Verlängerung ein höheres Gewicht hätte, welches von der Pfahlwand wieder getragen werden müsste. Nach langen Überlegungen wurde die Idee entwickelt, den Kopf wieder in den Pfahl zu verlegen und den Konus in selbigem abzubilden. Hierdurch könnten die vorangehenden normativen Einschränkungen mit der Druckzone umgangen werden, weil eine andere Art der Kraftübertragung vorläge. Es waren hiermit auch alle Beteiligten einverstanden, da es hier um einfache Nachweisführung aus dem Betonbau gehen würde. Auch das Thema „Spaltzug“ würde hierbei nicht mehr zum Tragen kommen, da die Krafteinleitung innerhalb eines Pfahlbewehrungskorbes erfolgen würde, der entsprechend ausgestaltet, diese Kräfte mit aufnehmen konnte. Parallel zu den Abstimmungen wurde geprüft, wie der Konus im Pfahl umgesetzt werden könnte. Seitens der Planer wurde vorgeschlagen, diesen über abgestufte Kernbohrungen herzustellen. Dies hatte den positiven Effekt, dass man noch zusätzlich Kreisringflächen hatte, die als Druckflächen angesetzt werden konnten. Erste Berechnungen zeigten sogar, dass hierdurch gar kein Konus mehr notwendig war und alles wieder über Verbund und die Kreisringflächen möglich war. Das hatte den Vorteil, dass sich der Spaltzug durch die fehlende Keilfläche verringert und die gestaffelte Bohrung über dies noch einfacher herzustellen war. Abbildung 18: Innenliegender Pfahlkopf Diese Ausführung war der Durchbruch und der sprichwörtliche große Wurf. Alle Prüfingenieure und Gutachter segneten diese Ausführung ab. Es gab keine Kostenintensive Vorsatzschale mit Dichtungsverlängerung oder ein teures Kopf-Fertigteil mit Carbon-Verstärkung. Nun waren wirklich alle Beteiligten zufrieden und die Variante wurde zur Prüfung eingereicht und in den angesprochenen finalen ZiE-Antragsprozess weitergereicht. 6. Formelle Genehmigung der Baumethoden mit UiG und ZiE 6.1 Ablauf der UiG und ZiE-Erlangung Wie bereits in Kapitel 3.3 angesprochen, unterlag die im Entwurf gewählte GfK-Bauweise der Auflage, dass hierfür eine UiG der Bahn beantragt werden musste. Dass Problem hierbei war, dass zunächst eine fertige und geprüfte Ausführungsplanung vorliegen musste. Sämtliche Einbauteile mussten in der Bauprodukteliste benannt sein. Es mussten alle baubetrieblichen Rahmenbedingungen geklärt und sämtliche Arbeitsanweisungen beigelegt werden. Es war nahezu unmöglich, alles in der aufgerufenen Bauzeit zu erfüllen. Besonders im Hinblick auf die vorangehend genannten Probleme und der Tatsache, dass man viele Randbedingungen noch gar nicht abschließend kannte, da sämtliche Planungen, Prüfungen und AV noch in vollem Gange waren. Auf Grund der Zeitschiene wurde vereinbart, die erste Planung vorab einzureichen und zu prüfen, um wenigstens den Beantragungsprozess in Gang zu bringen und geltende Grundlagen vorab abzustimmen. Problematisch hierbei war vor allem, dass am Ende einer dreimonatigen Vor-Prüfungsphase zur UiG die Auflage ausgesprochen wurde, eine Zulassung im Einzelfall beim 150 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 GfK-Bauweisen bei Tunnelanschlagssituationen Eisenbahn-Bundesamt zu beantragen. Dies bedeutet unter anderem, dass ein bauaufsichtlich zugelassener Gutachter mit Zulassung beim Eisenbahnbundesamt eine Begutachtung der Baumethode vornehmen und die Ergebnisse der Berechnungen in einer unabhängigen Prüfung bestätigen muss. Gleichzeitig wurde eine Materialprüfung der nicht zugelassenen Baustoffe gefordert und die Prüfung von nicht genormten Baumethoden an Großversuchen angeordnet. Dies bedeutete zunächst einmal, dass Bauzeit und Baukosten nicht mehr kontrollierbar waren. Im Einzelnen bedeutete dies zunächst die Anfertigung eines Gutachtens mit mehreren hundert Seiten in mehreren Entwurfsstadien, da der Gutachter bereits den beschriebenen Entwicklungsprozess der Baumethode begleitete. Weiterhin eine, aus diesem Begleitungsprozess heraus resultierende, ständige Überarbeitung der Ausführungsplanungen aufgrund der gutachterlichen Ergebnisse und Nachrechnungen. Umso erfreulicher war, dass mit der Version 6 des Gutachtens letztendlich alle in der Theorie abgehandelten Problemstellungen vom Gutachter positiv bestätigt werden konnten und somit die Ausführungsplanung in den finalen Prüflauf gehen konnte. Auch von den bautechnischen Prüfern gab es keine Einwände mehr, da alle angesprochenen hindernden Umstände berücksichtigt wurden. Zur finalen Erteilung der ZiE und der dann folgenden Freigabe zur Ausführung fehlte somit nur noch der angeordnete Großversuch, um die Berechnungsergebnisse in der Praxis zu bestätigen. 6.2 Großversuch Baumethode Die erste Auflage des Großversuchs war, dass das gesamte System Pfahlkopf im GfK-Bohrpfahl und Verbund GfK-Zugglied im Pfahlkopf getestet werden sollte. Es wurde verlangt, dass ein Versuch im Maßstab 1: 1 erfolgen sollte. Dies war zunächst ein Problem, da man hierfür zunächst einen Pfahl bohren und eine Baugrube ausheben müsste, um die Prüfung durchzuführen. Da dies so nicht möglich war, wurde vereinbart, dass ein Versuchsbalken hergestellt wird, der hinsichtlich Bewehrung, Verformung etc. genau die gleichen Eigenschaften wie der spätere Bohrpfahl aufweisen sollte. Abbildung 19: Herstellung Versuchsbalken Eine weitere Maßgabe war, dass nicht die Kopfkonstruktion im Pfahl versagen sollte, sprich die Stäbe aus dem Pfahl gerissen werden sondern entweder der „Bohrpfahl“ oder der GfK-Stab zerstört werden sollten. Abbildung 20: Versuchsaufbau Abbildung 20 zeigt den Versuchsaufbau und die Versuchsdurchführung. Zum Nachweis der Verankerung wurde eine Serie mit 3 Probepfählen angeordnet, welche dann mittels einer Hohlkolbenpresse aus dem Pfahl gezogen werden sollten. Wichtig dabei war, dass die Presse nicht direkt auf dem Balken abgesetzt werden sollte, da auch die Durchbiegung des Pfahls simuliert werden musste. Dies war wichtig, weil der Prüfingenieur den Einfluss der Zug- und Druckzone im Pfahl abgebildet haben wollte. Das folgende Bild zeigt die Auswertung des Versuchs am Beispielpfahl 3. Abbildung 21: Versuchsergebnis Pfahl 3 Die Versuchsergebnisse waren ein voller Erfolg der sämtliche Berechnungen noch übertraf. Das in Abbildung 21 gezeigte Limit der Tragfähigkeit von ca. 1,1 MN entspricht der Bruchlast der eingesetzten GfK-Stäbe. Darüber hinaus begann bei dieser Kraft schon der Pfahl zu versagen. Der innenliegende Ankerkopf blieb bei dieser Last jedoch weitestgehend unbeschädigt. Es ist daher davon auszugehen, dass die gewählte Verankerung im Pfahl eine wesentlich höhere Tragfähigkeit hatte, die mit dem gewählten Versuchsaufbau jedoch nicht mehr getestet werden konnte. Dies spielte jedoch ohnehin keine Rolle mehr, da das Versuchsziel bei weitem erfüllt war. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 151 GfK-Bauweisen bei Tunnelanschlagssituationen Nach Vorlage der Versuchsergebnisse war die Erteilung einer ZiE nur noch Formsache, da alle Annahmen und Berechnungen bestätigt und in der Praxis verifiziert waren. Folgerichtig wurde die ZiE für den neuen GfK-Micro-Pfahl mit verstecktem Pfahlkopf etwa zwei Wochen später erteilt und die Ausführung wurde gemäß den eingereichten und nun auch grün geprüften Ausführungsplänen freigegeben. Alle Beteiligten waren froh, dass die ca. 8 Monate dauernde Bearbeitungszeit und die Mehrkosten nicht umsonst waren und zu einer erfolgreichen Umsetzung einer technisch anspruchsvollen Bauaufgabe, einer ungewöhnlichen Baumethode und vielleicht sogar zu der Entwicklung eines neuen Pfahlsystems geführt haben. Jetzt war es nur noch wichtig, diese Ergebnisse zu bestätigen und auch die Praxistauglichkeit im Baustellenbetrieb zu gewährleisten. 7. Praxisanwendung und Prüfung der GfK-Micro-Pfähle Gemäß den Auflagen in der nun erteilten Zulassung mussten noch weitere Versuche vor Ort ausgeführt werden, um die Tragfähigkeit des neuen Pfahlsystems in Interaktion mit dem Baugrund zu bestätigen. Aus diesem Grund wurde zunächst eine herkömmliche geotechnische Eignungsprüfung am Einbauort gefordert. Darüber hinaus mussten gemäß der Pfahlnorm und aus Forderungen der eigenen Qualitätssicherung weitere Probebelastungen im weiteren Bauablauf ausgeführt werden. Dies schien zunächst kein Problem zu sein, da es sich bei den geforderten Prüfungen um Standartprozesse handelte, die nahezu bei jedem Projekt sowieso ausgeführt werden müssen. Relativ schnell stellte sich dann heraus, dass es doch ein Problem werden würde, da nicht klar war, wie man den GfK-Pfahl, der zwei Stäbe hatte über die Hohlkolbenpresse mit der Prüfkraft beaufschlagen sollte. Eine Verschraubung hinter der Presse war grundsätzlich nicht mehr möglich, da es sich nicht mehr um einen Gewindestab handelte. Im nächsten Schritt überlegte man, wieder die CfK-Fertigteil-Köpfe einzusetzen. Dies hätte zwar technisch funktioniert, war aber in der Praxis nicht so leicht umsetzbar, da man hierdurch für die Eignungsprüfung zunächst einmal drei Hohlkolbenpressen eingebaut und die Fertigteile dann ausgegossen werden müssten. Anschließend könnte die Prüfung nach erhärten der Vergussmasse ca. 7 Tage später ausgeführt werden. Dies war auch nicht möglich, da hierdurch sämtliche Prüfpressen der Einheit für eine Woche aus dem Verkehr gezogen würden. Es musste also zunächst einmal eine eigens für dieses Pfahlsystem anwendbare Krafteinleitungs-Kupplung entwickelt werden. Abbildung 22: Gewinde-Doppelkupplung Die Abbildung zeigt die gewählte Lösung. Es wurde zunächst eine Endkappe hergestellt, die mit einem Gewinde-Rohr mit entsprechender Länge verschweißt wurde. Anschließend wurde das Rohr mit hochfestem Beton vergossen. Hierdurch erhält man zumindest eine zeitliche Trennung von Herstellung der Prüfeinrichtung und der eigentlichen Bauteilprüfung. Da es sich bei dieser Kupplung um ein sicherheitsrelevantes Bauteil handelte, welches mit hohen Kräften beaufschlagt wird, musste dieses vor dem Einsatz in Personennähe ebenfalls geprüft werden. Nachfolgend werden der Prüfaufbau und die Versuchsdurchführung gezeigt. Abbildung 23: Prüfung Kupplung Auch diese Versuche konnten erfolgreich durchgeführt werden und es war klar, wie die Bauteilprüfungen vor Ort erfolgen würden. Der Aufbau der Prüfeinrichtung und die Vorbereitung der Probepfähle vor Ort war wiederum auch kein großes Problem mehr, da die gewählte Variante einfach auszuführen war. Es musste nur genügend zeitlicher Vorlauf eingeplant und die Prüfkupplung bis zum Ende der Prüfung gegen Beschädigung geschützt werden. Diese genannten Bedingungen waren im Bauablauf ohne weiteres einhaltbar. Alle Prüfungen und Probebelastungen wurden ohne zeitlichen Mehraufwand und ohne Probleme durchgeführt. 152 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 GfK-Bauweisen bei Tunnelanschlagssituationen Abbildung 24: Probebelastung GfK-Pfahl Die obige Abbildung zeigt die Durchführung einer Probebelastung eines GfK-Pfahls. Es konnte eine Pfahltragfähigkeit von 600 KN ohne weiteres nachgewiesen werden. Insofern war auch die Praxistauglichkeit der neuen Baumethode eindeutig nachgewiesen und der Bau der Anschlagwand mit den GfK-Pfählen konnte erfolgreich abgeschlossen werden. 8. Fazit 8.1 Generell Das neue GfK-Pfahlsystem hat sich im weiteren Bau der Baugruben als extrem Praxistauglich gezeigt. Es traten keinerlei Probleme in der Herstellung, in der Prüfung noch in der Nutzung der Baugrube auf. Das neue System ist leicht herzustellen und in der Ausführung auch relativ anspruchslos. Die gewählte Art und Weise besticht durch ihre Einfachheit und übertraf die Erwartungen an die Umsetzung auf der Baustelle bei weitem. Aus diesen Gesichtspunkten heraus kann das System uneingeschränkt weiter empfohlen werden. Die einzige Hürde ist die formelle Genehmigung dieser Bauweise im Vorfeld. Ist dies jedoch rechtzeitig geklärt, bestehen keine Probleme bei der Umsetzung mehr. 8.2 Vor- und Nachteile Nachfolgend werden noch Stichpunktartig einige Vor- und Nachteile gezeigt, die das GfK-Pfahlsystem hat. Vorteile: - Kopfkonstruktion ist innerhalb des Pfahls und so geschützt vor Beschädigung. Hierdurch Abminderungen der Prüfkräfte möglich. - I.d.R. kein Hebegerät und weniger Transporte für Zugglied erforderlich, da sehr leicht. - Micropfahl stellt kein Hindernis für kommende Bauwerke dar. Hierdurch Vorteile im innerstädtischen Bau, wo i.d.R. teure rückbaubare Ankersysteme eingesetzt werden müssen. - Kann als Dauerpfahl ausgeführt werden, da kein Bauteil korrodieren kann. - Beliebig hohe Kräfte ableitbar, da durch Zuggliedanzahl und Größe der Kernbohrung angepasst werden kann. - Platz innerhalb der Baugrube kann besser ausgenutzt werden, da keine Bauteile in die Grube ragen. Nachteile: - Handhabung muss etwas sorgfältiger erfolgen, da GfK keine Querkräfte und Knicken verträgt. - Längere Fertigungszeiten für GfK-Stäbe. - Nur bedingt vorspannbar, da Vorspannkraft bis zur Erhärtung der Vergussmasse aufgebracht sein muss. - Verwendung muss vorab geklärt werden, da keine bauaufsichtliche Zulassung. Quellenangaben [1] http: / / www.bahnprojekt-stuttgart-ulm.de [2] Ausschreibungsunterlagen PFA 2.1.a/ c Teil F [3] Prospekt FiReP Minova CarboTech GmbH [4] Prüfbericht EMPA Dübendorf CH, Minova Carbo- Tech GmbH [5] Normenportal Beuth-Verlag 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 153 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln Gianpiero Balbi Bundesamt für Straßen ASTRA, 3063 Ittigen, Schweiz Jean-Marc Waeber Bundesamt für Straßen ASTRA, 3063 Ittigen, Schweiz Zusammenfassung Um gleichzeitig die Verfügbarkeit und die Gebrauchstauglichkeit eines Autobahnnetzes sicherzustellen, sind beim Ausbau und bei der Instandsetzung von Straßentunneln innovative und anspruchsvolle ingenieurtechnische Lösungen erforderlich. Anhand von Erfahrungen aus der Projektierung und Baupraxis stellt das Bundesamt für Straßen ASTRA zwei innovative Projekte vor: 1. Tunnel-im-Tunnel-Methode: Erweiterung eines zweispurigen Straßentunnels auf drei Fahrspuren unter Verkehr. 2. Sanierung der Innenverkleidung eines Straßentunnels durch partiellen Abtrag der bestehenden Innenschale, Einbau eines Abdichtungssystems und Anbringung einer neuen Innenverkleidung in Nachtarbeit bei Gewährleistung von zwei Fahrspuren tagsüber. 1. Einleitung Das Bundesamt für Straßen ASTRA ist die Schweizer Fachbehörde für die Straßeninfrastruktur und den individuellen Straßenverkehr. Seit dem Inkrafttreten der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA) im Jahre 2008 ist nunmehr einzig das ASTRA für den Betrieb, den Unterhalt und den Ausbau des Nationalstraßennetzes zuständig. Um die Verfügbarkeit und Gebrauchstauglichkeit des Nationalstraßennetzes zu gewährleisten, prüft das ASTRA regelmäßig den Zustand von Ingenieurbauwerken nach Normen und Standards und plant die nötigen Instandsetzungsmaßnahmen gemäß der «UPlaNS-Philosophie» (UPlaNS = Unterhaltsplanung der Nationalstraßen). Das Streckennetz ist dabei in Unterhaltsabschnitte von 5 bis 15 km Länge eingeteilt. Die Bauetappen in einem Abschnitt sind maximal 5 km lang. Infrastrukturen werden derart instandgehalten, dass während mindestens 15 Jahren keine weiteren baulichen Maßnahmen mehr auf demselben Abschnitt stattfinden müssen. Dadurch können Verkehrsbehinderungen räumlich und zeitlich reduziert werden. Aufgrund der anspruchsvollen und wechselhaften Topografie der Schweiz sind Tunnel von erheblicher Bedeutung. Mindestens ein Viertel der Straßentunnel wurden vor mehr als 40 Jahren gebaut und erfordern daher eine immer konsequentere Wartung. In einigen Fällen ist es notwendig, die Verkleidung teilweise oder sogar vollständig zu sanieren oder anzupassen, wie zum Beispiel bei einer Spurerweiterung. Fallweise ist der festgestellte Zustand derart ungenügend, dass spezifische bauliche Maßnahmen allein nicht mehr ausreichen, um eine langfristige Verbesserung der Qualität der Straßeninfrastruktur wirtschaftlich sicherzustellen. Solche Zustandsverschlechterungen sind in der Regel auf eine ungenügende Abdichtung zurückzuführen, wobei Wasser in den Verkehrsraum eindringt. Es ist von grundlegender Bedeutung, bei Instandsetzungsarbeiten im Straßennetz die volle Kapazität einer Autobahn sicherzustellen und ihren Betrieb dabei weder einzuschränken noch zu unterbrechen. Angesichts des stetig zunehmenden Straßenverkehrsaufkommens (Abbildung 1) und der fortschreitenden Verschlechterung des Zustands der Infrastrukturen, insbesondere der Tunnel, wird diese Aufgabe jedoch immer schwieriger und anspruchsvoller. Dank innovativer Technologien und des Einsatzes entsprechender Techniken können Unannehmlichkeiten für die Straßenbenützer minimiert und ein reibungsloser Verkehrsfluss gewährleistet werden. In den Jahren 2004-2005 wurde am Genfersee zwischen Montreux und Villeneuve, einem der verkehrsreichsten Autobahnabschnitte der Schweiz, jeweils eine der beiden Röhren des Glion-Tunnels vollständig für den Verkehr gesperrt. Die Verkehrsführung im Gegenverkehr in der offenen Röhre führte in der Folge auf dem Abschnitt während mehrerer Monate zu gravierenden Staus mit Wartezeiten von bis zu 90 Minuten. 154 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln Abbildung 1: Entwicklung des durchschnittlichen Tagesverkehrs auf den Nationalstraßen Die negativen Folgeszenarien aus der Sanierung des Glion-Tunnels werden sich in der Schweiz nicht mehr wiederholen. Die neue Interventionsphilosophie des ASTRA sieht vor, den Großteil der Arbeiten nachts auszuführen, damit der wesentlich dichtere Tagesverkehr nicht beeinträchtigt wird. Bei einer bevorstehenden Tunnelerweiterung könnte man sogar erwägen, die Arbeiten bei laufendem Verkehr durchzuführen, was die Bauzeiten erheblich verkürzen würde. Interventionsarbeiten, die ausschließlich nachts ohne Verkehr oder tagsüber bei laufendem Verkehr durchgeführt werden, bedingen zwar einerseits viele anspruchsvolle und kostspielige organisatorische und logistische Überlegungen. Doch andererseits rechtfertigen sich diese Mehrkosten durchaus, da sich die durch Staus verursachten Unannehmlichkeiten für die Verkehrsteilnehmer und die damit verbundenen hohen volkswirtschaftlichen Kosten reduzieren lassen. Angesichts dieses Sachverhalts will das ASTRA neue Lösungen zur Sanierung von Straßentunneln unter Betrieb fördern. Im Folgenden werden wir sehen, an welchen Innovationen in der Schweiz gearbeitet wird. 2. Tunnel-im-Tunnel-Methode 2.1 Einleitung Der 1974 am nördlichen Ufer des Genfersees auf der N9 eröffnete Autobahnabschnitt Vennes-Chexbres (Abbildung 2) ist einer der ältesten der Schweiz. Seit seiner Erstellung wurden keine größeren Arbeiten mehr vorgenommen, und die meisten Bauteile entsprechen den Normen und Standards der damaligen Zeit. Seit 2008 wurden mehrere Studien und Untersuchungen durchgeführt, die aufzeigen, dass sich einige Bauwerke in schlechtem Zustand befinden. Zur Bekämpfung der chronischen Verkehrsüberlastung ist nun zwischen Vennes und dem Halbanschluss Belmont der Bau eines durchgehenden Pannenstreifens vorgesehen. Dieser kann bei Bedarf zur Verbesserung des Verkehrsflusses als dritte Fahrspur freigegeben werden. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 155 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln Abbildung 2: N9 zwischen Vennes und Belmont Zu diesem Zweck hat das ASTRA ein Erhaltungsprojekt für den gesamten Autobahnabschnitt zwischen Vennes und Chexbres in die Wege geleitet, einschließlich der Erweiterung der beiden Röhren des Belmont-Tunnels. Dieses Projekt sieht während der Schließung der einen Tunnelröhre in der parallelen Röhre eine 4+0-Verkehrsführung vor, d.h. die Erweiterung auf insgesamt vier Fahrspuren (zwei pro Fahrtrichtung). Es galt aus den negativen Erfahrungen aus der Sanierung des Glion-Tunnels Lehren zu ziehen. Um eine Verkehrsüberlastung auf dem lokalen Straßennetz während der Sanierungsarbeiten zu vermeiden, wurde eine Methodik gewählt, mit welcher immer zwei Fahrspuren pro Fahrtrichtung bestehen bleiben. Dies geschieht mittels einer Art Tunnel, der im bestehenden Tunnel erstellt wird. Dadurch wird eine klare Trennung zwischen der Baustelle und dem Verkehrsraum ermöglicht. Nach umfassendem Variantenstudium wurde entschieden, keine dritte Tunnelröhre zu erstellen, sondern die derzeitige Straßenachse zu erhalten und die beiden bestehenden Röhren zu erweitern. Dieses Vorgehen mag zwar unkonventionell sein und gewagt erscheinen, erweist sich aber bei näherer Betrachtung sowohl aus wirtschaftlicher wie auch aus logistischer und technischer Sicht als beste Lösung. Die Besonderheit dieses Projekts besteht darin, dass die Erweiterung der beiden Tunnelröhren bei laufendem Verkehr rund um die Uhr durchgeführt wird. Ausgenommen sind sporadische Unterbrüche in der Nacht zugunsten der Bauausführung. Um die Sicherheit in jeder Arbeitsphase zu gewährleisten, ist es notwendig, den Baustellenbereich vom Verkehrsbereich zu trennen. Die für den Belmont-Tunnel gewählte Vorgehensweise wurde in der Schweiz noch nie angewendet. Es finden sich jedoch etliche Beispiele für ähnliche Methoden, wie etwa die Erweiterung von Eisenbahntunneln in Deutschland und - mit dem Nazzano- und dem Montedomini-Tunnel - zwei erwähnenswerte Beispiele aus Italien. In den folgenden Abschnitten werden zunächst einige bereits realisierte Projekte vorgestellt und anschließend wird das Projekt zur Erweiterung des Belmont-Tunnels im Detail analysiert. 2.2 Erweiterung von Eisenbahntunneln In Europa sind viele zweigleisige Eisenbahntunnel in Betrieb, die nicht mehr den Anforderungen eines modernen Eisenbahnbetriebs (z.B. Querschnittsgröße) und den höheren Sicherheits- und Komfortstandards entsprechen. Die Sanierung der Tunnel ist oftmals dringend, doch der laufende Schienenverkehr sollte dabei nicht beeinträchtigt werden. In Deutschland und in anderen europäischen Ländern wurde eine Methode entwickelt, bei der die Arbeiten (Abbruch des bestehenden Rings, Ausbruch für die Erweiterung und Bau eines neuen permanenten Innenrings) unter dem Schutz einer mobilen Stahlkonstruktion durchgeführt werden. Es handelt sich dabei um eine Art Schutzschild, in welchem der Schienenverkehr weiterhin auf einem einzigen Gleis verläuft (Abbildungen 3 und 4). Diese Methode wurde bereits in einigen Erweiterungsprojekten erfolgreich eingesetzt, und es sind interessante Entwicklungen wie etwa die gleichzeitige Sicherstellung des Schienenverkehrs auch bei elektrifizierten Strecken zu erwarten. Der mobile Schutzschild verhindert nämlich eine direkte Verbindung zwischen der Lokomotive und den elektrischen Leitungen. 156 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln Abbildung 3: Tunnel Langenau und Hollrich (Quelle: Deutsche Bahn AG / Baresel Tunnelbau GmbH) Abbildung 4: Tunnelerweiterungsmaschine GTA TEM 8400 (Quelle: GTA Maschinensysteme GmbH) 2.3 Nazzano und Montedomini (Italien) In Italien wurde für die Erweiterung der Fahrbahnen der Autobahnen A1 und A14 erstmals nicht die teure Trassenvariante eingesetzt, bei der zu den bestehenden Tunnelröhren eine zusätzliche, neue Röhre erstellt wird. Vielmehr kam eine Methode zum Einsatz, mit der die bestehenden Tunnelabschnitte ohne Verkehrsunterbrechung erweitert werden konnten: Beim Nazzano-Tunnel auf der A1 geschah dies zwischen 2004 und 2007 und beim Montedomini-Tunnel auf der A14 zwischen 2013 und 2015. Bei diesen Projekten wurde die Erweiterung mit einer Verkleidung aus vorgefertigten Tübbingen durchgeführt, die wie ein «aktives Gewölbe» funktionieren. Diese Segmente tragen die Gebirgskräfte ab und leiten sie über die Widerlager weiter in den Untergrund. Dazu werden die Segmente untereinander verbunden und über spezielle Aussparungen im Schlusstübbing leicht vorgespannt (Abbildung 5). Die Erweiterung wurde in folgenden Schritten realisiert: Zunächst wurde ein mechanisches Pre-Cutting um den zukünftigen Ausbruch herum durchgeführt. Anschließend wurde die alte Verkleidung abgerissen, dann erfolgte der Ausbruch und schließlich wurde das Profil des Erweiterungsbaus sowie die Verkleidung aus vorgefertigten Tübbingen erstellt. Zum Schluss wurde das Sohlgewölbe ausgeführt. Abbildung 5: Vergleich zwischen den Bauabschnitten Nazzano und Montedomini (Quelle: Rocksoil S.p.A.) Die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer wurde durch einen speziellen Schutztunnel, einen sogenannten «Schutzschild für den Verkehr» gewährleistet, der die Arbeitsbereiche von den für den Verkehr vorgesehenen Bereichen des Tunnels trennte. Somit konnten alle Arbeiten auch bei laufendem Verkehr durchgeführt werden. Beim Nazzano-Tunnel wurde dieser Schutz durch eine mobile Stahlhülle gewährleistet, die mit dem Voranschreiten der Ausbruchsarbeiten bewegt wurde (Abbildung 6). Abbildung 6: Nazzano-Tunnel: Schutztunnel für laufenden Verkehr (Quelle: Rocksoil S.p.A.) Im Montedomini-Tunnel hingegen erfolgte die Trennung der Baustelle vom Verkehr durch einen festen Schild aus Stahlbetonfertigteilen, der den Schutz auf einer Länge von 400 m, d.h. über den Bereich der Tunneleinfahrt hinaus, gewährleistete (Abbildungen 7 und 8). Diese 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 157 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln Maßnahme verbesserte die Baustellenlogistik maßgeblich, vor allem aber führte sie zu einer höheren Sicherheit während aller Arbeitsphasen, da die Baustelle über die gesamte Länge des Tunnels vollständig vom Verkehr getrennt war und nicht nur auf einer begrenzten Strecke wie beim Nazzano-Tunnel. Abbildung 7: Montedomini-Tunnel, Schutztunnel für laufenden Verkehr (Quelle: Rocksoil S.p.A.) Abbildung 8: Montedomini-Tunnel, Schutztunnel für den Verkehr sowie mechanische Vorschneide- und Montagemaschinen für die vorgefertigten Tübbinge der Verkleidung (Quelle: Rocksoil S.p.A.) 2.4 Belmont-Tunnel (Schweiz) Auf der Autobahn N9 zwischen Vennes und Chexbres haben die beiden Röhren des Belmont-Tunnels eine Länge von ca. 400 m und verfügen über je zwei Fahrspuren in Fahrtrichtung (Abbildungen 9 und 10, Phase 1). Die Überdeckung der Tunnel ist relativ gering. Das Normalprofil der bestehenden Tunnel umfasst ein vor Ort gegossenes halbkreisförmiges Betongewölbe mit einem Radius von 4,85 m, eine 7,75 m breite Fahrbahn und zwei Bankette. Der Portalbereich ist von einer relativ dicken Moränenschicht bedeckt, unter der sich subalpine tertiäre Molasseformationen mit dünnen Kohlebänken befinden, die einst bergmännisch abgebaut wurden. Das Vorhandensein dieses Stollensystems ist ein wichtiger Punkt des Erweiterungsprojekts, insbesondere im Hinblick auf die Ausbruchsarbeiten. Abbildung 9: Aktueller Zustand der Portale des Belmont-Tunnels vor dem Erweiterungsprojekt Das Projekt umfasst eine Erweiterung des Querschnitts zugunsten einer Fahrbahn von letztlich 12,10 m Breite mit zwei Fahrspuren und einem Pannenstreifen, der bei hohem Verkehrsaufkommen und für Notfallsituationen umgenutzt werden kann. Eine solche Breite ermöglicht in jeder Röhre die Aufrechterhaltung von je zwei Fahrspuren in beiden Fahrtrichtungen - dies für den Fall, dass eine Röhre wegen Wartungsarbeiten oder wegen eines Unfalls geschlossen werden muss. Die Arbeiten beginnen bei laufendem Verkehr mit der Erweiterung des Gewölbes in einer der beiden Röhren (Abbildung 10, Phase 2). Die Sicherheit während der Erweiterungsarbeiten wird durch eine ähnliche Schutzkonstruktion wie beim Montedomini-Tunnel gewährleistet. Nach der Erweiterung der ersten Röhre und wenn die temporäre Fahrbahn mit einer Breite von 12,10 m erstellt ist, wird der Verkehr in die erweiterte Röhre mit insgesamt vier Fahrspuren, je zwei pro Fahrtrichtung, verlagert (Abbildung 10, Phase 3). Alle Erweiterungsarbeiten der zweiten Röhre können somit vollständig ohne Verkehr durchgeführt werden (Abbildung 10, Phase 4). In dieser Phase gewährt die größere Fahrbahnbreite und die gleichzeitige Geschwindigkeitsreduktion optimale Sicherheit für die Fahrbahn mit Gegenverkehr. Sind die Arbeiten an der zweiten Röhre beendet, wird der Verkehr in beide Fahrtrichtungen (Baustellenverkehrsführung 4+0) in diese Röhre verlagert, um die Arbeiten an der ersten Röhre abzuschließen, diesmal ohne Verkehr (Abbildung 10, Phase 5). 158 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln Abbildung 10: Belmont-Tunnel, Arbeitsphasen des Erweiterungsprojekts 2.4.1 Ausbruch und Abstützung der Tunnel Das Erweiterungsprojekt des Belmont-Tunnels unterscheidet sich von den Erweiterungen des Nazzano-Tunnels und des Montedomini-Tunnels vor allem bezüglich der definitiven Verkleidung. Während für die beiden Projekte in Italien eine Verkleidung mit «aktivem Gewölbe» gewählt wurde, die den Einsatz von temporären Verkleidungen reduziert, sind für den Belmont-Tunnel eher traditionelle und weniger mechanisierte Arbeitsverfahren geplant. Eine temporäre Verkleidung gewährleistet die Stabilität des Tunnelausbruchs und ermöglicht das Erstellen der definitiven Verkleidung, die erst nach dem Einbau der geplanten Entwässerungs- und Abdichtungsschicht erfolgt. Außerdem wird die Verkleidung eher traditionell sein und wird im Gegensatz zu Nazzano und Montedomini mittels einer Tunnelschalung ohne vorgefertigte Tübbinge angebracht. Die ungünstigen geologischen und geotechnischen Eigenschaften sowie die Tatsache, dass unter Wohngebieten gearbeitet wird, erfordern den Einsatz subhorizontaler Rohrschirme aus Metallrohren von ca. 15 bis 20 m Länge. Da die vorhandene Verkleidung nicht bewehrt ist, ist ihr Rückbau weniger aufwendig und kann auf verschiedene Weise durchgeführt werden. So können die vorgesehenen Maschinen auf beiden Seiten der Schutzstruktur oder sogar darauf positioniert werden, wenn im Mittelteil des Gewölbes gearbeitet wird. Die Ausbruchsverfahren und der Mechanisierungsgrad werden in der Endphase des Projekts festgelegt. 2.4.2 Schutztunnel für laufenden Verkehr Der Schutztunnel trennt den Straßenverkehr Tag und Nacht vollständig von der Baustelle. Er wird in die bestehende Röhre sozusagen als Tunnel im Tunnel «eingebaut». Diese Konstruktion besteht aus vorgefertigten Stahlbetonelementen, die hintereinander angeordnet sind und eine Größe aufweisen, welche den Unterhalt von zwei Fahrspuren mit reduzierter Breite (2 x 3,50 m) über die gesamte Länge des Tunnels innerhalb dieser Konstruktion gewährleistet (Abbildung 11). Abbildung 11: Abmessungen des Schutztunnels Die Abmessung des Tunnels muss den Einbau aller für seinen Betrieb erforderlichen Einrichtungen berücksichtigen, einschließlich Beleuchtung, Brandmeldung, Funk- und Videoüberwachung. Die Fundamente sind so konzipiert, dass sie den kontrollierten Durchfluss von allfälligem Drainagewasser ermöglichen und das Risiko von ausfließendem Wasser auf der Fahrbahn minimieren. Die Anordnung dieser Elemente ermöglicht es, auf jeder 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 159 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln Seite der Fahrspur Bordsteine und Randstreifen zur Verkehrslenkung zu integrieren. Gegenüber der Lösung mit dem mobilen Schutztunnel begrenzter Länge bietet der über die gesamte Länge des Tunnels installierte feste Schutztunnel folgende Vorteile: - Optimierung der Baustellenlogistik - Optimierung der Belüftung des Baustellenbereichs und des Fahrraums (unabhängige Belüftung der Bereiche) - reduzierte Wahrnehmung der Arbeit (Störung, Ablenkung) durch die Verkehrsteilnehmer 2.4.3 Architektonische Gestaltung der Portale Das Erweiterungsprojekt des Belmont-Tunnels sieht eine Verdoppelung des Querschnitts der Verkehrsfläche vor. Dies wirkt sich auch auf die umgebende Landschaft aus, die sich seit ihrem Bau 1974 erheblich verändert hat, insbesondere was den Siedlungsbau betrifft. Da sich die Portale in der Nähe eines UNESCO-Weltkulturerbes befinden, nämlich der terrassierten Weinberge des Lavaux am Genfersee, ist ihre Integration in dies Landschaft von grundlegender Bedeutung. Im Rahmen der Architektur- und Landschaftsstudie der Portale des Belmont-Tunnels (Abbildung 12) wurden somit drei Ziele festgelegt: - Integration von Architektur, Landschaft und Umwelt - Einhaltung von Normen und Richtlinien für den Lärm- und Brandschutz - Nachhaltigkeit in Bezug auf Bau- und Unterhaltskosten Abbildung 12: Architektonische Gestaltung der Portale (Quelle: Nunatak Architectes Sàrl) 2.4.4 Arbeitsprogramm Derzeit wird geschätzt, dass sich die Erweiterung des Belmont-Tunnels über einen Zeitraum von etwa sechs Jahren erstrecken wird. Dies liegt jedoch weniger an der Erweiterungsmethode, sondern eher daran, dass die Kapazität des gesamten Autobahnabschnitts zwischen Vennes und Belmont ausgebaut werden soll. Der Termin für den Beginn der Arbeiten ist aufgrund zahlreicher Einsprachen gegen das öffentlich aufgelegte Projekt noch nicht absehbar. Anpassungen in der nächsten Projektierungsphase sind nicht auszuschließen. 3. Sanierung der Innenverkleidung eines Straßentunnels 3.1 Einleitung Viele Autobahntunnel in der Schweiz, aber auch im übrigen Europa, müssten umfassend saniert werden. Sie haben ein kritisches Alter erreicht, weshalb zwangsläufig mit Schwächen in der Unterkonstruktion und Mängeln in der Abdichtung gerechnet werden muss. Mangelnde Stabilität eines Tunnels ist indessen selten der Hauptgrund für einen Eingriff in die Verkleidung. Meistens sind es die nicht mehr den geltenden Normen entsprechenden Innenmaße, die eine Sanierung nötig machen, oder Wassereintritte in den Verkehrsraum, die den Tunnelbetrieb stören (Abbildung 13). Solche Wassereintritte können darauf zurückgeführt werden, dass entweder seinerzeit keine Abdichtung vorgesehen war, oder aber darauf, dass diese Abdichtung mit der Zeit spröd und undicht geworden ist. Abbildung 13: Tunnel auf der N16: Gerissenes Gewölbe mit Wassereintritte in den Verkehrsraum Auf dem zwischen 1960 und 1970 im Berner Jura erstellen Autobahnabschnitt der N16 zwischen La Heutte und Bözingenfeld (Abbildung 14) befinden sich viele Tunnel in schlechtem Zustand. Das Eindringen von Wasser in den Verkehrsraum ist nur eines der Probleme. Die Bauwerke entsprechen auch nicht mehr den geltenden Normen und Standards des ASTRA. Außerordentliche Wartungsarbeiten großen Umfangs drängen sich auf. Die unbewehrten Betongewölbe dieser Tunnel wurden direkt gegen den Felsen gegossen, ohne dass zuvor ein Abdichtungssystem eingebaut worden wäre. In der Regel wird in solchen Fällen der innere Betonring abgerissen, ein Abdichtungssystem installiert und schließlich eine neue Verkleidung gegossen. Wassereintritte können ernsthafte Verkehrsstörungen verursachen - vor allem dann, wenn sie zur Bildung gefährlicher Eiszapfen im 160 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln Tunnelgewölbe oder zu Eisflächen auf der Fahrbahnoberfläche führen (Abbildung 15). Riss- oder Schleierinjektionen wären hier keine dauerhafte Lösung: Der längerfristige Erfolg dieser Maßnahmen ist nicht nachgewiesen und das Kosten-Nutzen-Verhältnis nicht immer günstig. Rissinjektionen können hingegen eine ausgezeichnete Lösung sein, wenn kurzfristig und kostengünstig Wassereintritte abgedichtet werden müssen. Abbildung 14: N16 zwischen La Heutte und Bözingenfeld Abbildung 15: Tunnel auf der N16: Bildung von Eiszapfen am Gewölbe des Tunnels Gemäß den Allgemeinen Bestimmung der Unterhaltsplanung des ASTRA müssen für die Autobahnabschnitte mit hohem Verkehrsaufkommen in Spitzenzeiten immer zwei Fahrspuren in beide Fahrtrichtungen verfügbar sein. Ein vollständiger Rückbau des Betoninnenrings kann keine Standardlösung sein, denn die verbleibende temporäre Verkleidung kann die Stabilität nicht garantieren, und die Abbrucharbeiten können die Verkehrsteilnehmer gefährden. Auch eine sichere Öffnung des Tunnels tagsüber könnte nicht garantiert werden. So mussten Alternativen gefunden werden, die ein mit einem Neubau vergleichbares Resultat ergeben und gleichzeitig die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer ohne Verkehrsbeeinträchtigung garantieren. Der letztlich berücksichtigte Lösungsansatz bestand darin, die vorhandene Innenschale partiell abzutragen, ein Abdichtungssystem einzubauen und anschließend eine neue Innenverkleidung aus Ortbeton anzubringen. Zum Evaluieren dieser neuen, innovativen Methode, die dereinst auf verkehrsreichen, strategisch wichtigen Autobahnabschnitten zum Einsatz kommen sollte, boten sich auf dem wenig befahrenen Abschnitt der N16, einer Nationalstraße dritter Klasse, optimale Testbedingungen. Obwohl eine permanente Verkehrsumleitung über eine alternative Straße möglich gewesen wäre, wurde beschlossen, die Verkehrsführung unter realen Bedingungen zu simulieren, d.h. den Verkehr durch die Anlage tagsüber aufrechtzuerhalten. Die Verkehrsumleitung erfolgt nur in der Nacht, wenn tatsächlich Tunnelarbeiten ausgeführt werden. Damit kann festgestellt werden, ob die Sanierung eines Tunnels unter diesen bestimmten Verkehrsbedingungen möglich und sinnvoll ist. Die neue Methode muss gleichzeitig folgende Anforderungen erfüllen: - Fräsarbeiten am Bauwerk, ohne dass die Tragsicherheit des Tunnels übermäßig beeinträchtigt wird - Ableitung des Bergwassers, um Überdruck zu vermeiden, der die Tragsicherheit des Tunnels gefährden könnte - Sicherstellen eines Abdichtungssystems - Einbau einer neuen, definitiven Betonverkleidung - Gewährleisten, dass tagsüber beide Fahrspuren geöffnet sind Das ASTRA hat beschlossen, dafür drei Pilotprojekte zu starten. 3.2 Pilotprojekt Nr. 1: Sanierung des Tunnels T3 mit traditionellem Betongewölbe Bei der Sanierung des im Bau befindlichen Tunnels T3 (196 m) kommt ein innovatives Verfahren unter bisher unerprobten Rahmenbedingungen zum Einsatz. Damit wird dieses Projekt zu einer Weltpremiere. Das Gewölbe von Tunnel T3 besteht aus 5 m langen, unbewehrten Betonringen, die direkt - das heißt ohne Abdichtungssystem - an der Außenseite des Innenrings gegen das Gebirge gegossen wurden (Abbildung 16). 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 161 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln Abbildung 16 - Querschnitt durch den Tunnel T3 vor den Sanierungsarbeiten Der Tunnel T3 kreuzt die Portlandkalkfelsen der Twannbach-Formation. Stratigraphische Diskontinuitäten und tektonische Risse führen zu potenziell instabilen Felsformationen, die das Gewölbe des Tunnels belasten könnten (Abbildung 17). Das Volumen des instabilen Gesteins ist Grundlage für die Nachweise der Tragsicherheit der temporären Sicherungsmaßnahmen und für die Dimensionierung der neuen Verkleidung. Abbildung 17: Charakteristischer Querschnitt und Wirkung der Felsformationen auf das Trägergewölbe (Quelle: MFR Géologie - Géotechnique SA) Der Phasenablauf sieht wie folgt aus: - Vorgängiger Einbau einer Systemankerung - Abfräsen des Gewölbes aus unbewehrtem Beton - Verlegung einer Drainageschicht über die gesamte Fläche - Anbringen einer neuen Abdichtung mit zwei Möglichkeiten (je über eine Länge von 100 m): - durch Spritzen eines flüssigen Abdichtungssystems - herkömmliche synthetische Abdichtungsbahnen - Gießen eines neuen Innenrings Fräsarbeiten am Tunnelgewölbe führen zwangsläufig zu einer Schwächung der vorhandenen Verkleidung und damit zu einer Verringerung der Tragsicherheit des Tunnels selbst. Zur allmorgendlichen Verkehrsfreigabe wird die Stabilität des geschwächten Gewölbes jeweils mittels temporärer systematischer Felsnagelungen gewährleistet (Abbildung 18). Diese reduzieren den Druck der Felsformation auf das gefräste Gewölbe. Eine Vernagelung wird vor dem Fräsen über die gesamte Länge des Tunnels durchgeführt (Abbildung 19). Die Eigenschaften der Nägel (Anzahl, Länge und Durchmesser der Stäbe) werden entsprechend dem Durchtrennungsgrad des Kalksteinmassivs angepasst, der bei den geologischen Untersuchungen vor den Fräsarbeiten festgestellt wurde. Angesichts der großen Unsicherheit bezüglich der Trennflächen des Gesteins muss jedoch um den Tunnel herum immer eine minimale systematische Vernagelung ausgeführt werden. Abbildung 18: Querschnitt mit temporären Sicherungsbolzen im Felsmassiv Abbildung 19: Ausführung der Systemankerung vor den Fräsarbeiten Spezialmaschinen sind in der Lage, einen unbewehrten Betonring kontrolliert abzubrechen, und garantieren eine präzise (±5 mm) und sorgfältige Ausführung (Abbildung 20). Außerdem gewährleisten sie eine gleichmäßige Endoberfläche, die das Aufbringen der darauffolgenden Schichten erleichtert. 162 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln Abbildung 20: Fräsarbeiten im Tunnel T3 Fräsen ist eine Methode, die sich bereits in anderen europäischen Ländern etabliert hat, insbesondere in Italien. Im Bereich der Tunneleinfahrten kann diese Technik jedoch oft nicht angewendet werden, da deren Verkleidung meistens aus bewehrtem Beton besteht. In diesem Fall kann der Rückbau mit der Hydrojet-Methode durchgeführt werden. Die Hauptprobleme der bestehenden Struktur von Tunnel T3 sind hauptsächlich auf Wasseraustritte durch zahlreiche Risse in der Verkleidung zurückzuführen. Die Entwässerung dieser Gesteinsschichten ist daher von größter Bedeutung. Zwei Optionen wurden im Projekt berücksichtigt: ein System von radialen Entwässerungsstreifen und eine auf der gesamten Oberfläche des Gewölbes angebrachte allgemeine Drainage. Bei beiden Varianten wäre es möglich, die Wirkung durch zusätzliche radiale Bohrungen im Bereich der Trennfugen zwischen den Blöcken des Gewölbes zu verstärken. Für den Tunnel T3 wurde die zweite Variante, nämlich ein konventionelles Drainage- und Abdichtungssystem (vollflächig) gewählt. Die Abdichtung wird nach dem Verlegen der Drainageschicht aufgetragen. Für den Tunnel T3 wurden zwei verschiedene Technologien getestet: ein gespritztes flüssiges Abdichtungssystem einerseits (Abbildung 21) und, für die andere Hälfte des Tunnels, herkömmliche synthetische Abdichtungsbahnen (Abbildung 22). Zunächst wurde das gespritzte Abdichtungsverfahren wegen seiner Vorteile bezüglich Ausführungsgeschwindigkeit und Logistik bevorzugt. Im weiteren Projektverlauf zeigte sich jedoch, auch weil man sich für die Verlegung eines ganzflächigen Entwässerungssystems entschieden hatte, dass herkömmliche Kunststoffbahnen die größeren Vorteile bieten. Es ist erwiesen, dass das Aufspritzen eines Abdichtungssystems auf eine Drainagebahn qualitativ nicht vergleichbar ist mit dem Auftragen auf eine harte, homogene Oberfläche wie Beton oder Mörtel. Obwohl die Variante der aufgespritzten flüssigen Abdichtung die frühzeitige Verlegung einer Schicht aus aufgespritztem Mörtel oder Beton und damit einen zusätzlichen Arbeitsschritt - und eine um 4 cm größere Dicke - erfordert, wurde im Rahmen des Pilotprojekts für den Tunnel T3 beschlossen, diese Technologie dennoch zu prüfen. Sie wurde bereits weltweit bei einigen Neubauten und bei Sanierungsarbeiten eingesetzt, jedoch noch nie bei Tunneln der schweizerischen Nationalstraßen. Die Vorteile der aufgespritzten flüssigen Abdichtung wären viel deutlicher ausgefallen, wenn man sich für ein System mit radialen Entwässerungsstreifen entschieden hätte. Dieses hätte es nämlich ermöglicht, den größten Teil der Abdichtung direkt auf die gefräste Verkleidung aufzubringen. Allerdings wäre man in diesem Fall mit einem weiteren Problem konfrontiert worden, nämlich damit, dass die gespritzte Flüssigabdichtung auf eine trockene oder nur leicht feuchte Oberfläche hätte aufgebracht werden müssen, was bei der rissigen Verkleidung von Tunnel T3 offensichtlich sehr aufwendig gewesen wäre. Abbildung 21 - Variante mit aufgespritztem flüssigem Abdichtungssystem (Quelle: IUB Engineering AG) Abbildung 22 - Variante mit herkömmlichen synthetischen Abdichtungsbahnen (Quelle: IUB Engineering AG) 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 163 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln Nach dem Aufbringen der Abdichtung wird ein neues, 20 cm dickes, aus selbstverdichtendem Beton erstelltes Gewölbe den Tunnel langfristig abstützen. Das neue Gewölbe wird in einem Arbeitsgang mit einer mobilen Schalung bei verkehrsfreiem Betrieb in der Nacht erstellt (Abbildung 23). Um dem Druck des selbstverdichtenden Betons während des Betonierens entgegenwirken zu können und gleichzeitig die Stabilität des bestehenden Gewölbes nach dem Rückbau des Widerlagers für den Einbau der Entwässerungsleitung zu gewährleisten, ist es notwendig, spezielle Anker am Fuß der Schalung anzubringen. Solche Anker ermöglichen es de facto, die Abmessungen herkömmlicher Tunnelschalungen zu minimieren, die den Durchgang von zwei Fahrspuren tagsüber nicht zulassen würden. Abbildung 23 - Modifizierte Schalung zur Verlegung der Verkleidung aus selbstverdichtendem Beton Im Rahmen des Pilotprojekts für den Tunnel T3 wird auf einem begrenzten Abschnitt eine weitere Lösung getestet, die tagsüber den zweispurigen Verkehr sicherstellen soll, nämlich die Verwendung von ultraschnellem, selbstverdichtendem Beton. Um die horizontalen Schubkräfte während der Betonierphase aufzufangen, sind mobile horizontale Stützen vorgesehen, die jeweils vor der Verkehrsöffnung des Tunnels demontiert werden (Abbildung 24). Zu diesem Zeitpunkt muss der Beton des Innenrings bestimmte mechanische Eigenschaften erreicht haben (innerhalb von ca. 2-3 Stunden) und die horizontalen Schubkräfte müssen bereits über den Innenring abgetragen worden sein. Die Schalung bleibt weiterhin an Ort und wird erst am nächsten Tag abgebaut. Derzeit werden auch noch andere Varianten geprüft. Die Arbeiten am Tunnel T3 haben am 20. März 2019 begonnen und werden voraussichtlich ein Jahr dauern. Die Besonderheiten des Pilotprojekts von Tunnel T3 können wie folgt zusammengefasst werden: - Nachtarbeit und Wiedereröffnung beider Fahrspuren in den frühen Morgenstunden - Einsatz einer Sonderschalung zur Sicherung von zwei Fahrspuren am Tag - Einbau einer aufgespritzten Flüssigabdichtung in einem Straßentunnel - Tunnelgewölbe aus ultraschnellem, selbstverdichtendem Beton Abbildung 24 - Schalungsabstützung beim Verlegen der Verkleidung mit ultraschnell abbindendem selbstverdichtendem Beton 3.3 Pilotprojekt Nr. 2: Sanierung eines Tunnels mit Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) Wie der Tunnel T3 haben auch die Tunnel T5 (123 m) und T7 (114 m) Probleme mit Wasseraustritten. Die Sanierungsstrategie für einen der beiden Tunnel besteht in der Optimierung der oben beschriebenen Grundvariante durch Reduzierung der Dicke der Verkleidung, indem Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) anstelle herkömmlichen Betons eingesetzt wird. Dieses Pilotprojekt hat zum Ziel, bei diesem Tunnel eine größere Restwandstärke nach dem Fräsen zu erhalten als bei der Grundvariante von Tunnel T3. Damit könnten die vorangehenden temporären Unterstützungsmaßnahmen signifikant reduziert oder gar ganz eliminiert werden. Außerdem wären die Arbeitsschritte weniger aufwendig und schneller, da die zu fräsende Dicke deutlich geringer ist. Die Dicke dieser Verkleidung wird auf etwa die Hälfte der Dicke von herkömmlichem Beton geschätzt, d.h. etwa 10 bis 12 cm oder sogar noch weniger, statt der 20 cm beim vorgängig analysierten Tunnel T3. Das Gewölbe aus UHFB wird den Tunnel außerdem weiter stärken, da es an das vorhandene Gewölbe gebunden wird und eine monolithische Endstruktur bildet (Abbildung 25). Dass die geringere Porosität, die höhere Dichte und damit die höhere Undurchlässigkeit von UHFB für aggressive Stoffe und Wasser möglicherweise keine weitere Abdichtung zwischen dem Außenring und der Verkleidung erfordert, ist ein weiterer Vorteil dieses Verfahrens. Dank der hohen Qualität von UHFB würde auch die Notwendigkeit eines Schutzsystems für die Innenfläche wegfallen. Ausgenommen bleibt die weiße Farbschicht aus beleuchtungstechnischen Gründen. Für die Entwässerung des Bergwassers können lokal radiale Streifen aus genoppten Bahnen vorgesehen werden. Da jedoch keine Abdichtung vorhanden ist, sind 164 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln die vertikalen Arbeitsfugen zwischen zwei Betonieretappen kritische Stellen. Aus diesem Grund müssen diese Arbeitsfugen dicht sein. Bisher wurde UHFB weltweit noch nie für den Bau eines Tunnelgewölbes eingesetzt. Dieses außergewöhnliche Verfahren ist umso herausfordernder, wenn man bedenkt, dass das Eingießen des Betons in einem einzigen Arbeitsschritt erfolgt und die zweispurige Verkehrsführung tagsüber beibehalten werden kann. Aufgrund der Risiken, die ein mögliches Misslingen während der Bauphase mit sich bringen könnte, wird derzeit abgeklärt, ob die Machbarkeit im Maßstab 1: 1 in einem Testtunnel ohne Verkehr geprüft werden sollte. Abbildung 25: Detail des Querschnitts der UHFB-Variante 3.4 Pilotprojekt Nr. 3: Sanierung eines Tunnels mit vorgefertigten Tübbingen aus Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) Das dritte und letzte Pilotprojekt auf dem Autobahnabschnitt N16 optimiert die Grundvariante von Tunnel T3 durch den Einsatz von vorgefertigten Tübbingen aus UHFB anstelle einer herkömmlichen Tunnelschalung. Die vorgefertigten Tübbinge mit kreisrundem Querschnitt sind einfach und schnell zu montieren und können als verlorene Schalung wie auch als tragende Fertigelemente bei der Verkleidung von Tunneln eingesetzt werden (Abbildung 26). Die Bauzeiten werden so reduziert und der Platz für eine Betonschalung im Tunnel kann eingespart werden. Die hohe Qualität der vorgefertigten Tübbinge garantiert eine hervorragende Oberfläche und eine lange Lebensdauer. Abbildung 26: Beispiel für die Verlegung von vorgefertigten Tübbingen in einem Tagbautunnel (Quelle: Musilli S.p.A.) Die der Verlegung der vorgefertigten Tübbinge vorausgehenden Arbeitsschritte sind gegenüber der Grundvariante von Tunnel T3 mehrheitlich identisch. Um die Tragsicherheit des gefrästen Gewölbes, das nach wie vor den verschiedenen Gebirgseinflüssen ausgesetzt ist, sicherzustellen, ist eine temporäre systematische Verankerung zur Kompensation der abgetragenen Verkleidung vorgesehen. Diese Maßnahme kann reduziert werden, wenn die Tübbinge, um die Begrenzungslinien nicht zu beeinträchtigen, eine geringere Dicke aufweisen. Sind die vorgefertigten Elemente aufgestellt, können sie auf der Außenseite mit selbstverdichtendem Beton hinterfüllt werden. Die endgültige Dicke der nachfolgenden Verkleidung muss die Langzeitstabilität gewährleisten können. Die Unsicherheiten bezüglich Dichtheit der zahlreichen Vertikal- und Längsfugen sprachen für ein Drainage- und Abdichtungssystem über die gesamte Fräsfläche. Auf die statischen Vorteile einer monolithischen Struktur (Verbund der alten mit der neuen Verkleidung) musste verzichtet werden. Diese wäre nur möglich, wenn keine diskontinuierliche Oberfläche wie eine Noppenfolie oder eine Abdichtungsbahn vorhanden wäre und der Füllbeton somit direkt gegen das bestehende Gewölbe gegossen werden und mit den vorgefertigten Tübbingen auf der Innenseite eine monolithische Struktur gebildet werden könnte. Die Methode mit den vorgefertigten Tübbingen wurde auf internationaler Ebene bereits angewendet, jedoch mit größeren Dicken und bei vollständiger Sperrung des Tunnels (Abbildung 27). Eine weitere Option für künftige Pilotprojekte wird geprüft. Sie besteht darin, verstärkte vorgefertigte Tübbinge als tragende Verkleidung mit einer größeren Dicke (20-30 cm) zu verwenden, vergleichbar mit den Dicken bei Tunneln, die mit Tunnelbohrmaschinen gefräst werden. Diese Methode wird derzeit in Eisenbahntunneln (z.B. von der Rhätischen Bahn als «Normalbauweise Tunnel») eingesetzt, könnte aber grundsätzlich auch bei 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 165 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln Straßentunneln angewendet werden (z.B. beim Montedomini-Tunnel). Abbildung 27 : Beispiel eines Tunnels mit vorgefertigten Tübbingen (Quelle: Crezza S.r.l.) 3.5 Arbeitsplan Das Pilotprojekt Nr. 1 läuft zurzeit im Tunnel T3 der Autobahn N16. Alle Arbeiten erfolgen nachts von 20.30 bis 5.00 Uhr an fünf Tagen der Woche. Voraussichtlich werden die Arbeiten im März 2020 nach einer Gesamtdauer von 12 Monaten abgeschlossen sein. Über die Pilotprojekte 2 und 3 soll die Grundvariante von Tunnel T3 optimiert werden. Beide Projekte befinden sich noch in der Entwicklung und können im Laufe der Zeit weiteren Änderungen und Optimierungen unterliegen. Dieser Artikel gibt folglich nur den aktuellen Stand der Planung wieder. 4. Fazit Die für den Belmont-Tunnel gewählte Erweiterungsmethode markiert einen technologischen Wendepunkt im Bereich der Projekte zum Ausbau der Verkehrskapazität. Die angewandte Methodik gewährleistet nämlich den reibungslosen Verkehr rund um die Uhr, während aller Arbeitsphasen und mit optimaler Sicherheit. Baustelle und Verkehrsbereich sind dabei klar voneinander getrennt. Die drei Pilotprojekte auf der N16 treiben ihrerseits die Entwicklung von Methoden zur Instandsetzung von Tunneln voran, deren Resultat mit einem Tunnelneubau vergleichbar ist. Beiden Eingriffstypen gemeinsam ist, dass sie den strengen Anforderungen des ASTRA betreffend Erhaltungsplanung der Nationalstraßen entsprechen, indem sie auch zu den täglichen Spitzenzeiten die Verfügbarkeit von mindestens zwei Fahrspuren gewährleisten. Zwar befinden sich die zahlreichen Tunnel in der Schweiz in einem guten bis akzeptablen Zustand, doch darf nicht vergessen werden, dass der Prozess der strukturellen und funktionalen Verschlechterung stetig voranschreitet. Daher ist es wichtig, alternative und innovative Methoden zu entwickeln, welche die Unannehmlichkeiten für die Verkehrsteilnehmer während der Instandsetzungsarbeiten minimieren. Offene, moderne und technisch kompetente Bauherren ermöglichen es, neue und unkonventionelle Methoden einzusetzen und zu testen. Es gilt zu verhindern, dass Behörden die Entwicklung neuer und alternativer Bauweisen erschweren, nur weil diese in den Regelwerken oder im Gesetz noch nicht verankert sind. Es muss sichergestellt werden, dass die benötigten Freiräume vorhanden sind, um etwas zu wagen - natürlich unter Wahrung der vollen Sicherheit und unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Ressourcen, die nicht unbegrenzt sind. Einerseits sollten die zuständigen Behörden die technologische Entwicklung durch Verfahrenserleichterungen fördern. Andererseits ist es die Aufgabe von Universitäten und Fachhochschulen, zukünftige Ingenieure so auszubilden, dass sie in der Lage sind, neuartige Bauwerke zu konzipieren. Die Ingenieure sollten sich aber auch dafür einsetzen, unser großes Erbe an bestehenden Bauwerken, die immer dringendere und komplexere Eingriffe erfordern, zu erhalten und aufzuwerten. Die zukünftigen jungen Ingenieure bringen frischen Wind und neue Erkenntnisse ein, während die heutige Ingenieursgeneration ihre Erfahrung aus der Praxis beisteuert. Diese Zusammenarbeit wird - davon sind wir überzeugt - auch weiterhin zu hervorragenden Ergebnissen führen. Literaturverzeichnis [1] Belfiore A.; Cangiano M.; Lunardi P.: Il metodo Nazzano tra passato e futuro - Storia e risultati della prima sperimentazione mondiale del sistema di ampliamento delle gallerie in presenza di traffico, 2011 [2] Belfiore A.; Galatà A.; Lunardi G.; Palchetti F.: Dall’ampliamento in sede della galleria “Nazzano” all’ampliamento in sede della galleria “Montedomini”: l’evoluzione della specie, 2014 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 167 Kombilösung Karlsruhe - Bau des Straßentunnels in der Kriegsstraße M.Sc. Isabelle Niesel Ed. Züblin AG, Zentrale Technik, Technisches Büro Tiefbau Stuttgart Dipl.-Ing. C. Maier Ed. Züblin AG, Zentrale Technik, Technisches Büro Tiefbau Stuttgart Zusammenfassung Die Herstellung des 1,6 km langen Straßentunnels in offener Bauweise in der Karlsruher Kriegsstraße gliedert sich in 9 Baufelder, die abschnittsweise hergestellt werden. Die angrenzende innerstädtische Bebauung, der aufrechtzuerhaltende Verkehr und der hohe Grundwasserspiegel machen die Baugrubenumschließung dabei zu einer anspruchsvollen Herausforderung. Dabei stellt die Wahl einer geeigneten Abdichtung der durchlässigen Sande und Kiese einen entscheidenden Faktor für den Erfolg der Baumaßnahme dar. Im Folgenden wird das Projekt hinsichtlich des Baugrubenkonzepts vorgestellt und auf einzelne besondere Randbedingungen eingegangen. 1. Einleitung 1.1 Allgemeines Der zweizellige Tunnel in der Kriegsstraße ist Teil des zweiten Teils der sogenannten Kombilösung, mit dem die Karlsruher Innenstadt eine Entlastung vom oberirdischen Autoverkehr erfährt, um ein leistungsfähiges Schienennetz für den ÖPNV herstellen zu können. Abbildung 1: Übersicht, Lage des Projekts im Stadtplan Die Bauarbeiten in der Kriegsstraße haben im April 2017 begonnen und die Fertigstellung ist für Mitte 2021 geplant. Dann wird die Kriegsstraße zwischen Mendelssohnplatz und Karlstor für den Durchgangsverkehr auf einer Strecke von ca. 1,6 km unterirdisch verlaufen. Der Straßentunnel wird als Rechteckstahlbetonrahmen in offener Bauweise erstellt. Die Arbeiten unterteilen sich in neun Bauabschnitte, die jeweils ausgehoben, gebaut und wiederverfüllt werden. Als Verbau kommt in weiten Teilen eine Dichtwand mit eingestellter Spundwand zur Ausführung. In Bereichen mit bestehenden Bauwerken in der Verbauachse und naher Bestandsbebauung werden die Verbauwände überwiegend aus überschnittenen Bohrpfählen hergestellt. Die angrenzende innerstädtische Bebauung, der während der Bauzeit aufrechtzuerhaltende Verkehr und der hohe Grundwasserspiegel machen die wasserdichte Baugrubenumschließung dabei zu einer anspruchsvollen Herausforderung. Ein besonderes Augenmerk fällt dabei auf die tiefliegende Weichgelsohle. Die geeignete Abdichtung der durchlässigen Sande und Kiese durch das Weichgel stellt einen entscheidenden Faktor für den Erfolg der Baumaßnahme dar. 168 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Kombilösung Karlsruhe - Bau des Straßentunnels in der Kriegsstraße Abbildung 2: Regelquerschnitt Straßentunnel 1.2 Verkehr und Bauabschnitte Für die Aufrechterhaltung des Fußgänger- und Autoverkehrs in Nord-Südrichtung und die Aufrechterhaltung wichtiger Versorgungsleitungen wird die Baumaßnahme in 9 Bauabschnitte unterteilt. Damit können stets Fußgängerquerungen und Wendeschleifen für den Autoverkehr in den freien Baufeldern eingerichtet werden. Abbildung 3: Grundgriss mit Bezeichnung der Bauabschnitte Für ein freies Baufeld muss der Verkehr zunächst umverlegt werden. Dies erfolgt in einer Seitenlage, sodass das Baufeld durch die Fahrspuren umschlossen wird. Der Abstand wird in der Regel größer 1,0 m gewählt wodurch ein vereinfachter Lastansatz von 10 kN/ m 2 gemäß EAB ausreichend ist. Im Baufeld O3 und O4 musste der Verkehr aufgrund der beengten Platzverhältnisse über einen Kopfbalken bzw. eine in die Baugrube ragende Kragplatte geführt werden. Zudem sorgen Behelfsbrücken für den Schienenverkehr für eine Aufrechterhaltung des ÖPNV. Abbildung 4: Seitenlage Verkehr im Baufeld O1 während den Bauarbeiten 1.3 Baugrund und Grundwasser Unter geringmächtigen Deckschichten bzw. Auffüllungen stehen die kiesig, sandigen Abfolgen, im Wesentlichen sandige Kiese mit vereinzelten Sandsteinschaltungen der oberen kiesig sandigen Abfolge (OksA) an. Die unterlagernde mittlere sandig kiesige Abfolge (MskA) schließt sich direkt an die OksA an. Diese wird in der Regel aus sandigen Kiesen und Grobkiesen bis kiesigen Sanden gebildet. Es zeigt sich folgender schematischer Schichtaufbau: - Auffüllungen - Kiese und Sande - Tone/ Schluffe - Pleistozäne Tone, Schluffe, Sande 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 169 Kombilösung Karlsruhe - Bau des Straßentunnels in der Kriegsstraße Abbildung 5: Baugrundtechnischer Geländeschnitt (grau: Auffüllungen, gelb: mitteldicht gelagerte Kiese und Sande, orange: mitteldicht bis dicht gelagerte Kiese und Sande, rot: dicht bis sehr dicht gelagerte Kiese und Sande) Die bei der Erkundung angetroffenen GW-Stände lagen zwischen 109,84mNN und 111,01mNN. Für die Baumaßnahme wurden die bauzeitlichen Bemessungswasserstände je nach Lage der Bauabschnitte zwischen 110,85mNN und 111,90mNN gewählt, mit einem Flurabstand von ca. 3 bis 4m. Die Grundwasserfließrichtung ist im ungestörten Zustand in Richtung des Rheins nach Nordwesten gerichtet. Die durchschnittlichen Durchlässigkeiten über das gesamte Schichtpaket der Kiese und Sande inkl. der lokal vorhandenen Tone weisen nur geringe Schwankungen auf und liegen im Bereich von kf = 3,0 - 6,1 · 10-4 m/ s. 1.4 Bestand In weiten Teilen des Baufeldes sind Bestandsbauwerke vorhanden. Zwei bestehende Unterführungs-/ Trogbauwerke der Kriegsstraße werden durch die Baugrube umschlossen und im Zuge des Aushubs abgebrochen. Im Baugrund verbliebene Verbauten wie Spundwände und Anker aus der Erstellung der bestehenden Bauwerke und auch der Nachbarbebauung erschweren die Herstellung zusätzlich. Umfangreiche Leitungsumverlegungen werden im Vorfeld durchgeführt. Abbildung 6: Abbruch der bestehenden Unterführung Ettlinger Tor im Zuge des Aushubs im Bauabschnitt W3 und W4 Im Hinblick auf bestehende Gebäude und naheliegende Leitungen wurden als rechnerische Grenzwerte 25 mm Kopfverformung und 30 mm im Feld zugelassen, in Einzelfällen sind 10 mm einzuhalten. 2. Wahl des Baugrubenverbaus Aufgrund der genannten Randbedingungen hat man sich dazu entschieden, zwei verschiedene Verbauarten zu wählen. In Bereichen mit zu erwartenden Hindernissen aus dem Bestand kommt eine überschnittene Bohrpfahlwand mit D = 1,2 m zum Einsatz. In Bereichen, in denen kein Bestand vorhanden ist, wird die kostengünstigere Verbauart einer Dichtwand mit eingestellter Spundwand ausgeführt. 2.1 Dichtwand/ Spundwand Es werden in der Regel Schlitztiefen von bis zu 18 m hergestellt, in Tiefteilen werden auch bis zu 25 m erreicht. Die statische und dichtende Funktion des Verbaus wird geteilt. Die Spundwände werden lediglich bis zur statisch notwendigen Einbindetiefe eingebracht. Die horizontale Abdichtung unterhalb der Spundwand bis zur Weichgelsohle (WGS) wird durch die Dichtwand gewährleistet. Abbildung 7: Schlitzarbeiten im Bauabschnitt W2 170 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Kombilösung Karlsruhe - Bau des Straßentunnels in der Kriegsstraße Diese wirtschaftliche Bauweise wurde in einem Nebenangebot durch die Arge Züblin / Schleith angeboten und beauftragt. Zur Herstellung werden zunächst Leitwände in Ortbetonbauweise als Hilfskonstruktion zur Führung des Aushubwerkzeugs und zur Stützung des oberen Teils des Schlitzes hergestellt. Die Leitwände halten während des Dichtwandaushubs auch die Träger des Vorverbaus. Für die Dichtwandherstellung wird eine Dichtwandmasse verwendet, welche während der Schlitzarbeiten als Stützflüssigkeit dient und nach Herstellung des Schlitzes aushärtet und die dichtende Funktion des Verbaus übernimmt. Abbildung 8: Baugrubenschnitt einer Dichtwand mit eingestellter Spundwand Nach Fertigstellung eines Schlitzes werden die Doppelbohlen eingesetzt. Das Einfädeln und Ablassen der Bohlen erfolgt i.A. über Schwerkraft, falls erforderlich mittels eines kleinen Rüttlers. Jede Doppelbohle wird mittels zweier Auflagerstangen abgehängt und ggf. ausgerichtet. Das Schloss der letzten Bohle innerhalb einer Lamelle wird durch einen Breitflanschträger gesichert. Durch den Träger werden Beschädigungen am Schloss beim Schlitzen der Nachbarlamelle verhindert. Abbildung 9 zeigt den fertiggestellten Schlitz mit dem Träger als Schlossschutz. Abbildung 9: Abhängung der Spundwände im Schlitz mit Träger als Schlossschutz Abbildung 10: Abhängung der Spundwände nach Öffnen des Folgeschlitzes Nach zwei Tagen Aushärtezeit können die Lagesicherungen der Spundwände entfernt und die Folgelamellen geschlitzt werden. Ab diesem Zeitpunkt ist die Dichtwandmasse soweit stichfest, dass kein Material mehr ausläuft und sich mit der Frischsuspension vermischt. Beim Ausheben des Anschlussstichs an die fertige Nachbarlamelle wird der Greifer direkt am eingestellten Träger entlanggeführt. Nach Erreichen der Endtiefe wird der Träger ausgebaut. Dabei wird der Träger zunächst seitlich in Richtung des offenen Schlitzes herausgebrochen und erst danach gezogen. So wird sichergestellt, dass in der entstehenden Fuge ein sicherer Anschluss der Nachbarlamelle erfolgen kann. In Abbildung 10 ist eine mögliche Ausprägung des Anschlussbereichs nach dem Trägerziehen dargestellt. 2.2 Bohrpfahlwand Zur Ausführung kommt eine überschnitte Bohrpfahlwand mit Pfählen mit einem Durchmesser von 120 cm und einem Überschnitt von 30 cm. Die Pfahlwand umfasst eine Abwicklungslänge von ca. 1,1 km. Die Pfähle werden über die statisch erforderliche Länge hinaus bis 50cm unter die planmäßige Unterkante der Weichgelsohle verlängert, um die Baugrubenabdichtung zu vervollständigen. In großen Teilen sind Bestandsbebauung wie stillgelegte und verdämmte Kanäle, Anker oder Bauwerke zu durchörtern. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 171 Kombilösung Karlsruhe - Bau des Straßentunnels in der Kriegsstraße Abbildung 11: Herstellung der Bohrpfahlwand im Bereich der späteren Kragplatte im Bauabschnitt O3 Abbildung 12: Baugrubenschnitt einer Bohrpfahlwand, Bauabschnitt O3 Kragplatte 3. Baugrubenabdichtung 3.1 Dichtwand Die fertige Dichtwand muss neben den Anforderungen aus den gültigen Vorschriften einer Qualität entsprechen, so dass die Dichtigkeitsanforderung an das Gesamtsystem von Q zul ≤ 1,5 l/ s · 1000 m² erfüllt wird. Zur Erfüllung dieser Anforderung kommt den Anschluss- und Eckbereichen eine besondere Bedeutung zu. Hier besteht die Gefahr, dass der Greifer bei einem einseitigen „Abschälen“ von Boden ausweicht und damit Fehlstellen innerhalb der Dichtwand erzeugt werden. Da die Spundwände nicht über die gesamte Schlitzlänge eingestellt werden, verbleibt damit zwischen UK-Spundwand bis zur UK-Dichtwand alleinig die Dichtwand als abdichtendes Element. Zur Minimierung des Risikos werden die Schlitze als Eckschlitze ausgeführt und in den Anschlussbereichen zusätzliche Injektionsmöglichkeiten durch Manschettenrohre vorgesehen. 3.2 Weichgelsohle Die Weichgelsohle sorgt für die vertikale Abdichtung der Baugrubenumschließung und muss je nach statischen Erfordernissen zwischen 7 und 11m unterhalb der Baugrubensohle angeordnet werden. Zur Herstellung der Weichgelsohlen werden von einem Voraushubniveau oberhalb des Grundwassers in einem regelmäßigen Raster Bohrungen niedergebracht. Nach der Fertigstellung der Injektionsbohrungen werden die Injektionslanzen in die Bohrlöcher eingebaut. Zum Einsatz kommen Hart-PVC-Injektionsrohre mit Verpressventilen, welche am unteren Ende der Lanzen angeordnet sind. Pro Bohrloch werden mehrere höhenversetzte Injektionslanzen (Schläuche) eingebaut. Abbildung 13: Bohransatzpunkte im Raster 1,70m x 1,90m im Bauabschnitt O1 Vor Beginn der eigentlichen Weichgelinjektion wird ein obenliegender „Deckel“ aus hydraulischem Bindemittel mit einer Dicke von ca. 0,30 m hergestellt. Dieser Deckel verhindert das unkontrollierte Aufsteigen des Weichgels. Als Bindemittel kommt das Produkt DiWa-Mix 230 zum Einsatz. Die Verpressung dieses Bindemittels erfolgt über die höchste Lanze des Lanzenbündels. Nach einem Vorlauf von mindestens 3 Tagen erfolgt anschließend die Injektion des Weichgels. Um Anisotropien in der Ausbreitung des Weichgels im Boden zu berücksichtigen, werden die zu injizierenden Mengen so dimensioniert, dass theoretisch das gesamte erreichbare Porenvolumen von ca. 25% durch Injektionsgut ausgefüllt wird. Die Annahme der Verteilung des Injektionsguts in Form eines Rotationsellipsoids beruht darauf, dass die hori- 172 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Kombilösung Karlsruhe - Bau des Straßentunnels in der Kriegsstraße zontale Durchlässigkeit im Karlsruher Baugrund höher ist als die vertikale Durchlässigkeit ist. Das Raster folgt einem gleichseitigen Dreieck. Der Abstand der Bohrungspunkte wurde im Vorfeld definiert und in einem Probefeld durch einen Pumpversuch überprüft. Abbildung 14: Beispiel einer Weichgellanze Abbildung 15: Prinzipdarstellung der Injektionslanzen im Bauabschnitt O1 Vor Beginn der Injektionsphase wird eine Baustellenmischung des Weichgels hergestellt, um die örtlichen Gegebenheiten (z.B. Temperatureinfluss, Wasser etc.) zu berücksichtigen. Seitens des Umweltamts Karlsruhe wurde ein Mischungsverhältnis mit Härteranteil von 1,7%, 2% und 2,5% freigegeben, basierend auf Versuchen der MFPA Leipzig. Es wird jedoch versucht, den Härteranteil so gering wie möglich zu halten. 4. Stand der Arbeiten Zum aktuellen Zeitpunkt - Mitte Januar 2020 sind in den Bauabschnitten O1, O2 und W2 die Massivbauarbeiten vollständig abgeschlossen. In dem Baufeld W3 sind die Verbauarbeiten abgeschlossen, die Massivbauarbeiten sind in vollem Gange. In den Bauabschnitten O3, O4, O5 W4 und W1.2 ist die Herstellung der Spundwände und Bohrpfahlwände abgeschlossen. Mit dem Aushub und den Ankerarbeiten hat man dort begonnen. Die Weichgelsohle ist in den Bauabschnitten O4 und W4 bereits fertiggestellt. In den fertiggestellten Baugruben konnten die zulässigen Fördermengen während der Restwasserhaltung eingehalten werden, was auf eine erfolgreiche Abdichtung der Gesamtbaugruben schließen lässt. Abbildung 16: Massivbauarbeiten im Bauabschnitt W3 Mit der Herstellung der Verbauten des Bauabschnitts W1.3 (Anschluss an den bestehenden Trog im Westen der Baumaßnahme) und W3.1 (Herstellung einer Betriebszentrale und eines unterirdischen Anschlusses des Straßentunnels an das Einkaufszentrum Ettlinger Tor) wird Anfang bis Mitte 2020 begonnen. Mit den Erfahrungen aus der Herstellung der Weichgelsohlen und Verbauwände in den ersten Bauabschnitten werden stets die Bauabläufe hinterfragt und optimiert. Unterstützt werden Arbeiten durch die partnerschaftliche und konstruktive Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten. Literaturverzeichnis [1] KASIG (2015), Baubeschreibung AP03 Tunnel- und Straßenbau in der Kriegsstraße / Ludwig-Erhard-Allee. 09.11.2015 [2] Ingenieurbüro Roth & Partner (2014), Geotechnischer Bericht, Kombilösung Straßenbahn in der Kriegsstraße mit Straßentunnel, 11.08.2014 [3] DGGT (2012). Empfehlungen des Arbeitskreises „Baugruben“ 5.Auflage, Verlag Ernst und John, 2012 [4] Vogt N. & Stiegler R. (2003). Vertikales Gleichgewicht einer in den Suspensionsschlitz eingehängten Spundwand, Felsbau 21, 2003 Hochwasserschutz 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 175 Erfahrungen bei Planung und Bau von Hochwasserrückhaltebecken Dr.-Ing. Barbara Tönnis Tractebel Hydroprojekt GmbH, Rießnerstraße 18, 99427 Weimar, Deutschland Zusammenfassung Am Oberlauf der Wipper, direkt oberhalb der Ortschaft Wippra im Landkreis Mansfeld-Südharz, entsteht das gesteuerte Hochwasserrückhaltebecken Wippra mit einem ökologisch durchgängigen Durchlassbauwerk. Das neue Absperrbauwerk besteht aus einem Damm mit Durchlassbauwerk, in dem die Betriebsauslässe und die Hochwasserentlastung integriert sind. Von der Tractebel Hydroprojekt GmbH wurden die vorliegende Entwurfsplanung in konstruktiven Details optimiert und die Ausführungsplanung sowie die Vergabeunterlagen für vier Lose erstellt. Das Stützkörpermaterial stammt aus einem neu erschlossenen Steinbruch, dessen Genehmigungsverfahren unabhängig vom Verfahren des HRB durchgeführt und später als dieses abgeschlossen wurde. Für den Steinbruch musste eine Felssicherung geplant und durch eine geotechnische Baubegleitung mit Monitoring überwacht werden. Die zeitliche Verfügbarkeit der Einbaumassen, deren Menge und Qualität erforderte von allen am Bau Beteiligten eine hohe Flexibilität hinsichtlich Untersuchung von Planungsvarianten, Durchführung zusätzlicher Untersuchungen und Einbautechnologien. 1. Einführung Hochwasserrückhaltebecken (HRB) bestehen in der Regel aus einem Absperrbauwerk und einem Komplexbzw. Durchlassbauwerk. Das Komplexbzw. Durchlassbauwerk vereint den Grundablass/ Öko-Durchlass und die Betriebsauslässe mit der Hochwasserentlastungsanlage. Das Komplexbauwerk ist eine massive Stahlbetonkonstruktion. Die Gründung erfolgt in Abhängigkeit von den Bauwerksabmessungen auf einer mehrere Meter dicken Fundamentplatte. Die Außenflächen der Wände werden mit einer Neigung von 10: 1 bis 15: 1 ausgebildet. Zur Sickerwegsverlängerung wird an den Außenflächen der Wände ein vertikaler Betonsporn („Sickerkragen“) vorgesehen. Obwohl Absperrbauwerke von Hochwasserrückhaltebecken oft auf durchlässigem Untergrund errichtet werden, erfolgt kein direkter Anschluss des „Dichtungselementes“ an den undurchlässigen Untergrund. Dies hätte zur Folge, dass die natürliche Grundwasserströmung im Talquerschnitt dauerhaft unterbunden wäre, was aus ökologischen Gesichtspunkten nicht vertretbar ist. Bei mineralischen Dichtungen wird oft ein Sporn zur Sickerwegverlängerung vorgesehen, der bis in eine zu ermittelnde Tiefe unter die Dammaufstandsfläche reicht, die Grundwasserströmung jedoch nicht unterbindet. Die Sickerwegverlängerung kann jedoch auch als Dichtwand oder Spundwand ausgebildet werden. Am Beispiel des HRB Wippra im Harz werden Erfahrungen der Tractebel Hydroprojekt GmbH (THP) aus den Planungsphasen Lph 5-8 und dem Bau vorgestellt. Vorhabenträger ist der Talsperrenbetrieb Sachsen-Anhalt (TSB) mit Sitz in Blankenburg. 2. Konstruktive Details Die Abbildung 1 zeigt den Lageplanausschnitt des HRB Wippra. In Abbildung 2 sind die Dammaufstandsfläche und das Komplexbauwerk im Bauzustand in einem Luftbild dargestellt. An das Baufeld grenzen Waldflächen und verschiedene Schutzgebiete (FFH, SPA, NSG, …). Der Damm mit geneigter Oberflächendichtung hat eine Kronenlänge von ca. 190 m, eine Höhe von ca. 17 m und ist in der Dammaufstandsfläche ca. 120 m breit. Abbildung 1: Lageplanausschnitt 176 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Erfahrungen bei Planung und Bau von Hochwasserrückhaltebecken Die Außenwände wurden vom Entwurfsverfasser mit 40: 1 sehr steil ausgebildet. Im Rahmen der Ausführungsplanung wurde die Neigung der Wände von THP auf 20: 1 geändert. Eine übliche Neigung würde zu großen Wanddicken im Bereich der Fundamentplatte führen, die gemäß der statischen Bemessung des Bauwerks nicht erforderlich sind. Aufgrund der Steilheit der Außenwände musste durch THP der geplante Dichtungsanschluss der mineralischen Dichtung an das Massivbauwerk durch zusätzliche konstruktive Maßnahmen optimiert werden. Deutlich zu erkennen sind in Abbildung 2 die zusätzlich angeordneten vertikalen Betonsporne am HWE-Schacht und eine Spundwand, die anstelle eines Dichtungssporns im Tal als Sickerwegverlängerung im Untergrund eingebaut wurde. Vom Entwurfsverfasser war im Tal und an den Hängen ein Dichtungssporn geplant, für dessen Herstellung im Tal jedoch eine leistungsstarke bauzeitliche Wasserhaltung und zusätzliche Transporte notwendig geworden wären. Daher wurde von THP im Rahmen der Ausführungsplanung eine vertikale Dichtebene im Tal vorgesehen. Abbildung 2: Luftbild der Baustelle im Mai 2017 Weitere zusätzliche Maßnahmen sind das Verziehen der mineralischen Dichtung an das Massivbauwerk und der Einbau von mittelbis ausgeprägt plastischem Ton in diesem Anschlussbereich. Das Massivbauwerk wird somit an beiden Längsseiten, ausgehend von der wasserseitigen Flügelwand bis zum luftseitigen Ende des HWE-Schachtes, auf ganzer Höhe in Breite von mindestens 1 m bis 5 m mit mittelbis ausgeprägt plastischem Ton (D1-Material) umhüllt (s. Abbildung 3 und Abbildung 4). Abbildung 3: Einbau von mittelbis ausgeprägt plastischem Ton (D1-Material) Im Anschluss an den eingebauten mittelbis ausgeprägt plastischen Ton (D1-Material) wird gemäß dem Regelquerschnitt des Dammes die geplante Dichtung aus leichtbis mittelplastischen Ton (D2-Material) eingebaut (s. Abbildung 4 und Abbildung 5). Abbildung 4: Baustelle im September 2017 [TSB] Der Anschluss der mineralischen Dichtung an das Massivbauwerk ist durch die schrägen Wände, die Betonsporne und das Einhüllen des Massivbauwerkes in mittelbis ausgeprägt plastischen Ton (D1-Material) optimiert worden. Dennoch wurde vom Prüfstatiker zusätzlich gefordert, anstelle des üblichen Anfeuchtens der Betonwand unmittelbar vor dem Einbau der Dichtung, einen Voranstrich mit einer Bentonitsuspension auszuführen. Somit entspricht die Dichtungskonstruktion jetzt den Forderungen der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW): „An den Kontaktflächen zwischen Bauwerk und Dammschüttung besteht bei Dammdurchströmung die Gefahr der Fugenerosion bzw. der rückschreitenden Erosion. Solche Erosionsvorgänge müssen durch konstruktive Maßnahmen minimiert werden, z. B. - durch Einbau von aufquellenden Mitteln, - geneigt ausgebildete Außenwände von Bauwerken (Neigung z. B. 20: 1 bzw. 10: 1), damit sich das Schüttmaterial auf den Bauwerkskörper auflegt und so den Anpressdruck erhöht …“ 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 177 Erfahrungen bei Planung und Bau von Hochwasserrückhaltebecken im Anschlussbereich Massivbauwerk außerhalb Anschlussbereich Massivbauwerk Abbildung 5: Regelquerschnitte des Dammes Für den Anschlussbereich der Dicht- oder Spundwand an das Massivbauwerk wurde eine Sonderlösung vorgesehen. Die Dicht- oder Spundwand wird in einem Halbrahmen aus Beton („Betonschuh“) verwahrt und im Zuge der Umhüllung der Außenwände mit dem D1-Dichtungsmaterial abgedeckt (s. Abbildung 2, Abbildung 4 und Abbildung 6). Abbildung 6: Verwahrung der Dicht- oder Spundwand im Anschlussbereich an das Massivbauwerk 3. Dammschüttmaterial Die Ausführungsplanung und die Erstellung der Vergabeunterlagen erfolgten vor Vorlage der Planfeststellungsbescheide. Vom Vorhabenträger wurden mehrere Genehmigungsverfahren für das HRB und für die Seitenentnahmen der Dammschüttmaterialien durchgeführt (s. Abbildung 7). Die Genehmigungsverfahren für die Seitenentnahmen verzögerten sich durch eine Klage, so dass die Baustelle stillstand. Alternativ wurde daher der Fremdbezug der Dammschüttmaterialien untersucht. Mögliche Transportstrecken wurden bautechnisch, naturschutzfachlich und bzgl. der Erstellung von zusätzlichen genehmigungsrelevanten Unterlagen bewertet. Als Kompromiss wurde auf die Seitenentnahme Dichtungsmaterial verzichtet. Für die Seitenentnahme Stützkörpermaterial mussten baubegleitend Nacherkundungen erfolgen, da weder zum Material noch zu den Lagerbedingungen Informationen vorlagen. Abbildung 7: Lage der Seitenentnahmen und des Dammstandortes 178 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Erfahrungen bei Planung und Bau von Hochwasserrückhaltebecken Der Abbau erfolgte gemäß den planfestgestellten Unterlagen aus 2015. Im Juli 2017 ist ein Felsblock (ca. 100 t) oberhalb der 1. Abbauebene abgeglitten. Daraufhin wurden von THP weitere Kartierungen und Standsicherheitsberechnungen durchgeführt. Im Ergebnis waren zur Gewährleistung einer normgerechten Standsicherheit die Böschungen abzuflachen, die Bermen zu verbreitern und in kritischen Bereichen vernagelte Steinschlagschutznetze einzubauen (s. Abbildung 8, Abbildung 9 und Abbildung 10). Die Sicherung erfolgte aushubbegleitend, wobei die maximale Abschlagshöhe 0,5 m unter der jeweiligen Nagelreihe betrug. Weiterhin erfolgte durch die ingenieurgeologische Baubegleitung eine abbaubegleitende Fortschreibung der Kartierung. Abbildung 8: Seitenentnahme Entwurfspl. 2015 Abbildung 9: Seitenentnahme Änderungspl. 2017 Abbildung 10: Seitenentnahme Stand 20.08.2019 Abbildung 11: Felsblock 100 t Stand 07/ 08 2017 In das Dammbauwerk sind ca. 114.000 m³ Gesteinsmassen einzubauen. Im Zuge der Lagerstättenerkundung in 2017 wurde festgestellt, dass die Gesamtmassen im Abbaufeld ca. 116.000 m³ betragen. Davon sind ca. 22.000 m³ als für den Dammbau nicht nutzbare Überlagerungsmassen aus Lockergestein (GU*) abgeschätzt worden. Das Massendefizit wurde durch Liefermassen ausgeglichen. Die für den Dammbau nicht nutzbaren Überlagerungsmassen fielen während abbaubegleitend an. Entsprechende Lagerflächen standen nicht zur Verfügung. Zur Minimierung der zu entsorgenden Überlagerungsmassen wurden Varianten zum Einbau des Materials im Dammquerschnitt untersucht (s. Abbildung 12 und Abbildung 13). 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 179 Erfahrungen bei Planung und Bau von Hochwasserrückhaltebecken Da die nicht nutzbaren Überlagerungsmassen bereits frühzeitig fielen wurde der Einbau im Dammquerschnitt im Bereich der Talsohle südlich des Komplexbauwerkes Hangschuttmaterial umgesetzt (s. Abbildung 13). Weitere Einbauorte liegen im luftseitigen Vorland des Dammes unter den Betriebsweg (s. Abbildung 14). Abbildung 12: Einbau Überlagerungsmassen GU* im Dammquerschnitt rechter Hang Abbildung 13: Einbau Überlagerungsmassen GU* in der Dammaufstandsfläche Abbildung 14: Einbau Überlagerungsmassen GU* in der Dammaufstandsfläche 180 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Erfahrungen bei Planung und Bau von Hochwasserrückhaltebecken Im Vorfeld des Dammbaus wurden vier Probefelder zur Optimierung der Einbautechnologie angelegt (s. Abbildung 15): - PF 1.1 im Bereich Dichtkörper mit Schotter 0/ 125 unter-/ oberhalb Dichtung (ausgeführt) - PF 1.2 im Bereich Dichtkörper mit Schotter 0/ 45 unter-/ oberhalb Dichtung - PF 2.1 im Bereich des Stützkörpers - PF 2.2 im Bereich der Spundwand à Verdichtung der temporären Aushubsohle ohne Vibration mittels Stampffußwalze! Durch den geplanten Einbau der Überlagerungsmassen GU* wurde ein weiteres Probefeld luftseitig der Spundwandachse im Bereich der Aufstandsebene des Dammes angelegt, mit folgendem Aufbau: - Probefeld GU*: 30 cm Material GU* - Ausgleichsebene: 10 - 20 cm Material GU* - Planum: Material 0/ 125 mm Abbildung 15: Probefelder zu Optimierung der Einbautechnologie Abbildung 16: Statischer Plattendruckversuch im Probefeld zu Optimierung der Einbautechnologie bei Einbau Überlagerungsmassen GU* Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigten, dass die vorgesehene Technologie zum Einbau der Überlagerungsmassen GU* als Stützkörpermaterial im Dammquerschnitt geeignet ist. Literatur DIN 19700-10 Stauanlagen, gemeinsame Festlegungen. Juli 2004 DIN 19700-11 Stauanlagen, Talsperren. Juli 2004 DIN 19700-12 Stauanlagen, Hochwasserrückhaltebecken. Juli 20 04 Arbeitshilfe zur DIN 19700 für Hochwasserrückhaltebecken. Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW), Oktober 2007 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 181 Bau eines Hochwasserschutzdamms auf gering tragfähigem Untergrund Olaf Düser Dr. Ebel & Co. Ingenieurgesellschaft für Geotechnik und Wasserwirtschaft mbH St.-Ulrich-Straße 21 88410 Bad Wurzach - Arnach Zusammenfassung In einem Teilprojekt des Hochwasserschutzprogramms Mindeltal wurde der Hochwasserschutz einer Ortslage durch einen Dammkörper realisiert. Die ursprünglich geplante Trassenlage des Damms lag in Bereichen mit gut tragfähigem Baugrund. Im Zuge von Umplanungen musste eine neue Trassenlage gefunden werden, die nun allerdings durch einen Bauabschnitt mit sehr geringer Untergrundtragfähigkeit führt. Aufgrund eines sehr beengten Baukorridors und ungünstiger Grundwasserverhältnisse kam ein Bodenersatz des gering tragfähigen Untergrunds nicht in Frage. Nach Diskussion diverser Bauvarianten wurde festgelegt, den Dammkörper schwimmend zu gründen. Für den Baustellenbetrieb und die Dammstandsicherheit wurde die Dammaufstandsebene mit hydraulisch wirkendem Bindemittel stabilisiert, und es wurden Geogitter zur Bewehrung eingebaut. Bei dieser Baumethode war mit großen Dammsetzungen zu rechnen. Zur Gewährleistung des Freibords wurde deshalb in den Damm eine Spundwand integriert, die bis in den tragfähigen Untergrund reicht. Die Hochwasserschutzeinrichtung ist inzwischen planmäßig realisiert. 1. Einleitung Geplant war zunächst die Ausführung eines 2÷3 m hohen Dammkörpers mit Böschungsneigungen um 1: 2,5 und einer Kronenbreite von 3 m. Der Freibord liegt bei einem Meter. Der Damm wird nur bei Hochwasserereignissen angestaut. Das Gelände wasser- und luftseitig wird landwirtschaftlich genutzt. Die planmäßige Dammkonstruktion mit binnenseitigem Begleitweg ist Abbildung 1 zu entnehmen. Baugrunderkundungen im Bereich der ursprünglich vorgesehenen Dammtrasse zeigten ausreichend tragfähigen Untergrund für die geplante Konstruktion. Die Standsicherheit konnte für die angetroffenen Baugrundverhältnisse nachgewiesen werden. Abbildung 1: Geplante Dammkonstruktion mit binnenseitigem Begleitweg. Im Zuge der weiteren Planungen wurde die Dammtrasse in einem Teilbereich verlegt. In Abbildung 2 sind der ursprüngliche Trassenverlauf A (Länge um 600 m) und der letztlich zur Ausführung gekommene Trassenverlauf B (Länge um 500 m) dargestellt. Später für den neuen Trassenabschnitt B1 ausgeführte Baugrunderkundungen zeigten u.a. mächtigere gering tragfähige Schichten im Untergrund. Erschwerend kam hinzu, dass im Bereich der gering tragfähigen Böden nur ein schmaler Baukorridor zur Verfügung stand. 182 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Bau eines Hochwasserschutzdamms auf gering tragfähigem Untergrund Abbildung 2: Ursprünglich geplante Trassenlage A und die zur Ausführung gekommene Trassenlage B für den Hochwasserschutzdamm sowie Bereich B1 mit größerer Torf-/ Anmoormächtigkeit. 2. Baugrund Im Bereich der Trasse A stehen unter Oberboden geringmächtige Aueablagerungen, teils mit stark organischen Partien, sowie bereichsweise schluffig-kiesige Auffüllungen und darunter Talkies an. Im Trassenbereich B1 stehen unter dem Oberbodenhorizont mächtigere Schichten in Form von Torf und Anmoor an. Bereichsweise erreichen diese Schichten Mächtigkeiten bis zwei Meter. Darunter folgt der Talkies. Der Grundwasserdruckspiegel im Trassenbereich B1 wurde ca. 0,8 m unter Geländeniveau erkundet. Den Hauptgrundwasserleiter stellt der stark wasserdurchlässige Talkies dar. Jahreszeitlich bedingt sind aufgrund des hydrogeologischen Regimes deutliche Potenzialschwankungen zu erwarten. Torf und Anmoor sind als äußerst kompressibel, sehr gering scherfest und gering bis sehr gering wasserdurchlässig einzustufen. Weiterhin sind in diesen Schichten auch nach Abschluss der Konsolidation infolge statischer Auflast (Belastung durch den Dammkörper etc.) durch Mineralisation andauernde Vertikalverformungen zu erwarten. 3. Randbedingungen an das Erdbauwerk Die Systembreite des in Abbildung 1 dargestellten Dammbauwerks musste unbedingt eingehalten, besser sogar noch unterschritten werden. Eine temporäre Verbreiterung des Baukorridors, z.B. während der Bauzeit, war nicht möglich. Bei Gründung des Dammbauwerks auf dem sehr gering tragfähigen und stark kompressiblem Baugrund sind Bauwerksverformungen zu begrenzen. Gemäß DIN 4084 muss in der vorliegenden Baugrundsituation ein Ausnutzungsgrad µ von unter 0,7 eingehalten werden. Der Freibord ist auch bei längerfristig auftretenden Bauwerkssetzungen gesichert einzuhalten. Der Dammkörper ist aus wasserhemmenden Erdstoffen aufzubauen, um die Sickerwassermengen zu begrenzen. Das natürliche Grundwasserregime darf durch die Baumaßnahme nicht nachteilig beeinflusst werden. Im Einstaufall wird der Grundwasserspiegel luftseitig des Dammkörpers ansteigen; der Sohldruck auf die gering tragfähigen Schichten steigt dabei auf ein Niveau an, bei dem hydraulische Geländeaufbrüche zu erwarten sind. Deshalb sind in den binnenseitigen Dammfuß Einrichtungen zur Sohldruckentspannung zu integrieren. Die Druckentspannung ist filterstabil gegenüber den umgebenden Erdstoffen aufzubauen. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 183 Bau eines Hochwasserschutzdamms auf gering tragfähigem Untergrund 4. Lösung für eine standsichere Dammausbildung Diskutiert wurde ein Bodenersatz der sehr gering tragfähigen Baugrundschichten gegen tragfähiges, gering wasserdurchlässiges Material. Eine standsichere Lösung ist beispielhaft in Abbildung 3 dargestellt. Abbildung 3: Dammkörper auf Bodenersatz. Bei dieser Lösung sind allerdings erhebliche Grundwasserhaltungsmaßnahmen mit negativer Beeinflussung der Umgebung einzukalkulieren. Weiterhin müsste der Baukorridor für den Bodenersatz über die maximal zulässige Breite hinaus vergrößert werden. Eine derartige Konstruktionsart konnte unter Berücksichtigung der Randbedingungen gemäß Kapitel 3 nicht weiterverfolgt werden. Nach Abstimmung zwischen den Fachdisziplinen Geotechnik und Wasserbau wurde unter Berücksichtigung der zuvor aufgeführten Randbedingungen eine standsichere Konstruktion entwickelt, bei der die maximale Systembreite sogar noch unter der erlaubten liegt. Die Konstruktion ist in Abbildung 4 wiedergegeben. Abbildung 4: Dammkörper auf stabilisierter Baugrundschicht mit Spundwand und Geogittern. Der Arbeitsablauf für den Dammaufbau wurde unter Berücksichtigung einer Zwischenkonsolidierungszeit (Abbau des Porenwasserüberdrucks in den organischen und bindigen Schichten) folgendermaßen ausgeführt: 1 Abschub und Lagerung Mutterboden. 2 Bereichsweiser Austausch des Torfs im Deckschichtbereich gegen schluffigen Kies/ Sand (Bodengruppe GU* gemäß DIN 18196). Auftrag und Einfräsen des Mischbindemittels. 3 Verdichtung der stabilisierten Baugrundschicht. 4 Herstellung der Sohldruckentspannung. 5 Auslegen der ersten Geogitterlage auf dem stabilisierten Erdplanum. Freihalten einer Rammtrasse im Bereich des späteren Spundwandeinbaus. 6 Einbau der ersten Lage Dammbaumaterial, Herstellung der binnenseitigen Fußdränage. Als Dammbaumaterial können sowohl schluffige Kies-Sand-Gemische (Bodengruppen GU÷GU* gemäß DIN 18196) als auch Kies-Sand-Gemische mit wenig Feinkorn (Bodengruppe GW gemäß DIN 18196) verwendet werden. Die Spundwand fungiert bei Verwendung von wasserdurchlässigen Dammbaustoffen als Innendichtung. 184 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Bau eines Hochwasserschutzdamms auf gering tragfähigem Untergrund 7 Einbau der zweiten Lage Geogitter (Rammtrasse freihalten). 8 Einbau der zweiten, dritten und ggf. vierten Lage Dammbaumaterial. 11 Einbau der Spundbohlen. Die Anordnung erfolgt mit Staffelung gemäß E41 der EAU 2012, Staffelmaß 1 m. Das Fußniveau jeder zweiten Doppelbohle liegt um einen Meter gegenüber der benachbarten Doppelbohle. 12 Weiterer Dammaufbau. Die Bindemittelart und -dosierung wurde nach Laborversuchen und Probeeinsatz in Testfeldern im Vorlauf der Baumaßnahme festgelegt. Die Geogitter wurden so dimensioniert, dass unter Berücksichtigung einer Beständigkeit von mindestens 100 Jahren bei einer maximalen Längendehnung von 2 % eine Zugkraft von mindestens 24 kN/ m aufgenommen werden kann. Das aus dem Bindemitteleinsatz resultierende basische Milieu ist bei der Dimensionierung der untersten Geogitterlage zu berücksichtigen. Als geotextiles Filter wurde ein Wasserbauvlies verbaut, das auf Filterstabilität gegenüber den Bodentypen A, B und C gemäß TLG 2018 geprüft war. Literatur DIN 4084: Baugrund- Geländebruchberechnungen, Beuth-Verlag, Berlin 01.2009 EAU 2012: Empfehlungen des Arbeitsausschusses „Ufereinfassungen“, Häfen und Wasserstraßen, 11. Aufl., Verlag Ernst & Sohn, Berlin 2012 TLG 2018: Technische Lieferbedingungen für Geotextilien und geotextilverwandte Produkte an Wasserstaßen, Ausgabe 2018, BAW-Karlsruhe Geotextilien 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 187 Wirtschaftliche Geogitter-Bauweisen beim Neubau der Hochgeschwindigkeitsstrecke Wendlingen-Ulm Markus Hempel NAUE GmbH & Co. KG, Espelkamp, Deutschland Zusammenfassung Der Neubau der rund 60 km langen Hochgeschwindigkeitsstrecke Wendlingen - Ulm befindet sich derzeit als Teilprojekt des Großprojektes Stuttgart-Ulm der Deutschen Bahn in der Realisierung. Im Rahmen der Neubaustrecke (NBS) Wendlingen - Ulm kommen in erheblichem Umfang Geogitter in zahlreichen Anwendungen zum Einsatz. Die Geogitter werden dabei sowohl in dauerhaften Anwendungen als auch in temporären Baubehelfen verbaut. Die Geogitter-Bauweisen, u.a. als Dammbasisbewehrung, als Tragschichtbewehrung oder als Kunststoffbewehrte Erde, stellen grundsätzlich eine sehr wirtschaftliche und ökologische Alternative zu herkömmlichen Bauweisen dar. 1. Das Großprojekt Stuttgart-Ulm der Deutschen Bahn AG Das Großprojekt Stuttgart-Ulm der Deutschen Bahn AG setzt sich aus den beiden derzeit im Bau befindlichen Teilprojekten Stuttgart 21 und der Neubaustrecke (NBS) von Wendlingen nach Ulm zusammen. Das Teilprojekt Stuttgart 21 umfasst unter anderem den Neubau von 57 km Schienenwegen, davon 33 km in Tunneln. Die Streckenlänge des Teilprojekts NBS Wendlingen-Ulm beträgt 59,6 km, davon 30,4 km in Tunneln. Die NBS ist für den Personenfern- und Regionalverkehr mit einer Höchstgeschwindigkeit von 250 km/ h sowie für den Güterverkehr vorgesehen. Die Strecke ist ein Bestandteil der Achse Nr. 17 der Transeuropäischen Netze (Paris-Budapest/ Bratislava). Bei der Realisierung des Großprojektes kommen in erheblichem Umfang Geogitter in zahlreichen Anwendungen zum Einsatz: - Dammbasisbewehrung im Karstgebirge - Verrieselungsschutz im Karstgebirge - Tragschichtbewehrung für Tübbinglagerflächen - Kunststoffbewehrte Erde unter temporärer Tübbingfabrik und Bahnstrecke - Geogitterbewehrte Stützkonstruktionen im Bereich eines Rettungsplatzes und der Zufahrt 2. Geogitter als Dammbasisbewehrung im Karstgebirge auf der Albhochfläche Im mittleren Streckenabschnitt des Planfeststellungsabschnitts (PFA) 2.3 beginnt bei NBS-km 65,865 der ca. 260 m lange Damm D7 mit einer maximalen Damm-höhe von ca. 8 m. Durch die vorlaufende Karsterkundung wurde im Bereich des Dammes auf einer Länge von ca. 150 m eine tiefgründige Karstwanne festgestellt. Die Karstwanne war neben Felsblöcken und Verwitterungsmassen in erheblichem Umfang mit weich bis steifen, mittelbis ausgeprägt plastischen Alblehmen gefüllt. Auf Grund der örtlichen Baugrundverhältnisse wurde zunächst ein tiefreichender Bodenaustausch, d.h. bis ca. 4,0 m unter Geländeoberkante (GOK) vorgesehen. Da die Erkundung aber Alblehmmächtigkeiten bis über 10,5 m unter GOK zeigte, verblieben somit bereichsweise bis zu 6,5 m mächtige Alblehmschichten. Aufgrund des planmäßigen Verbleibs des Alblehms unterhalb des Bodenaustausches wurden Setzungs- und Konsolidationsberechnungen durchgeführt. Es war nachzuweisen, dass die rechnerischen Restsetzungen nach einer einjährigen Überschüttung von 2,0 m den Anforderungen der Ril 836 [1] genügen. Darüber hinaus wurden die geotechnischen Nachweise für den Damm gegen Böschungsbruch und Dammfußgleiten geführt. Bedingt durch den Verbleib des Alblehms unterhalb des Bodenaustausches waren dabei für den Bauzustand, d.h. für das Schütten des max. ca. 8 m hohen Dammes, undränierte bzw. nur teilkonsolidierte Verhältnisse anzusetzen. Um für den Bauzustand unter teilkonsolidierten Verhältnissen die Standsicherheit gemäß DIN 4084 [2] gewährleisten zu können, war eine Dammbasisbewehrung rechnerisch erforderlich. Die für den Bauzustand erforderliche Dammbasisbewehrung wurde aus gelegten Geogittern aus Polyesterstäben mit geschweißten Knoten hergestellt (Bild 1). Somit konnte durch diese Geogitter-Bauweise sowie den Einsatz entsprechend zugfester Geogitter die Dammschüttung ohne zeitliche Verzögerungen durchgeführt werden und auf eine kosten- und zeitintensive Tiefgründung des Dammes verzichtet werden. 188 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Wirtschaftliche Geogitter-Bauweisen beim Neubau der Hochgeschwindigkeitsstrecke Wendlingen-Ulm Bild 1: NBS Wendlingen-Ulm, PFA 2.3, Damm D7, Herstellung und Überschüttung der Dammbasisbewehrung (Quelle: NAUE) 3. Geogitter als flexibler Verrieselungsschutz im Karstgebirge auf der Albhochfläche Auf der Albhochfläche verläuft die Trasse durch verkarstetes/ verkarstungsfähiges Gebirge mit einem potentiellen Risiko von Karsthohlräumen. Im Rahmen der Entwurfsplanung wurden daher umfangreiche Untersuchungen zur bautechnischen Beherrschung der Karstproblematik durchgeführt. Im Ergebnis zeigte sich, dass während des Baus sowohl mit dem Auftreten unterschiedlichster Karstphänomene als auch mit extrem wechselhaftem Baugrund gerechnet werden musste. Die Bauausführung wurde daher mit Detailerkundungen lokaler Karsterscheinungen durch weitere direkte Aufschlüsse begleitet. Um die verschiedenen potentiell auftretenden Karsterscheinungen schon im Rahmen der Planung zu berücksichtigen, wurde in den Bereichen mit Lockergestein der Einbau von Geogittern zur Überbrückung potentieller Erdeinbrüche als flexibler Verrieselungsschutz vorgesehen. In den Bereichen mit anstehendem Fels wurde eine Verrieselungsschutzschicht mit einer Dicke von mindestens d = 15 cm aus unbewehrtem Beton vorgesehen. Bild 2: NBS Wendlingen-Ulm, PFA 2.3, Anordnung der Geogitterbewehrung als Verrieselungsschutz (Quelle: INVER Auszug aus der Ausführungsplanung) Grundsätzlich soll durch diese Maßnahmen bei Verkarstungen bzw. Spaltenbildungen geringer Öffnungsweite ein Nachrieseln von im Ober-, Unterbau und Untergrund eingebauten Lockergesteinen (Dammschüttmaterial, Frostschutzschicht (FSS)) verhindert werden. In Bild 2 ist die Anordnung eines Geogitters als Verrieselungsschutz im Regelquerschnitt dargestellt. Darüber hinaus wurde für die insgesamt fünf Regenklär- und Versickerbecken (Bild 3) auf der Albhochfläche ebenfalls ein flexibler Verrieselungsschutz aus Geogittern vorgesehen. Die zwingend für die Versickerung erforderliche Wasserdurchlässigkeit der Verrieselungsschutzschicht konnte somit sichergestellt werden. Die zur Gewährleistung einer ausreichenden Versickerung auch gezielt verbleibenden Klüfte und Spalten im Karstuntergrund werden durch die Geogitter planmäßig überbrückt. Bild 3: NBS Wendlingen-Ulm, PFA 2.3, Systemzeichnung eines Regenklär- und Versickerbeckens (Quelle: DB Projekt Stuttgart-Ulm) Bei der Bemessung des flexiblen Verrieselungsschutzes wurden die Geogitter so dimensioniert, dass eine potenziell auftretende und/ oder nicht detektierte Karstspalte mit einer horizontalen Öffnungsweite von d = 30 cm über eine Nutzungsdauer von 100 Jahren gesichert werden kann (Bild 4). Durch die Anordnung der Geogitter sollen ggf. auftretende Verformungen durch Erdeinbrüche im Untergrund mit einer langfristig maximalen zulässigen Dehnung von 2% überbrückt werden, so dass die Verformungen im Bereich der Fahrbahnoberfläche möglichst gering bleiben. Für die vorgesehenen Geogitter muss eine Herstellerbezogene Produktqualifikation (HPQ) der Deutschen Bahn gemäß DB Standard (DBS) 918039 [3] für den entsprechenden Anwendungsfall vorliegen. Die Berechnungen erfolgten auf der Grundlage der DIN 1054: 2010-12 [4] und EBGEO [5]. Da die Erdeinbrüche nicht unmittelbar nebeneinander zu erwarten sind, kann dieser Ansatz als realitätsnah betrachtet werden. Es wurde das Berechnungsverfahren BGE nach [6] bzw. [5] verwendet, bei dem ein biaxiales Lastabtragungsmodell mit einer isotropen Geokunststoffbewehrung berücksichtigt wurde. Das Lastabtragungsmodell wurde mit Seitenreaktion betrachtet, so dass ein gewisser Lastabtrag über Seitenreaktion zwischen dem Bruchtrichter und dem anstehenden Boden erfolgt. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 189 Wirtschaftliche Geogitter-Bauweisen beim Neubau der Hochgeschwindigkeitsstrecke Wendlingen-Ulm Bild 4: Prinzipskizze zur Überbrückung eines Erdeinbruchs mit Geogittern (Quelle: EBGEO [5]) Die rechnerische Überbrückung von potenziellen Erdeinbrüchen konnte bei einer Beschränkung der Dehnungen auf 2% und einer Nutzungsdauer von 100 Jahren mithilfe einer Lage eines gelegten Geogitters aus Polyesterstäben mit verschweißten Knoten vom Typ Secugrid nachgewiesen werden - im Bereich der Einschnitte mit einem isotropen Geogitter mit einer Höchstzugkraft von 40 kN/ m und im Bereich der Regenklär- und Versickerbecken mit Höchstzugkräften von 120 kN/ m in Maschinenrichtung (md) und 40 kN/ m quer zur Maschinenrichtung (cmd). Die Geogitter müssen bei dieser Anwendung grundsätzlich außerhalb des einbruchgefährdeten Bereiches mit den rechnerisch ermittelten Verankerungslängen weitergeführt werden. Dabei ist die Geogitterverlegung so auszuführen, dass der Lastausbreitungsbereich der Eisenbahnverkehrslasten abgedeckt wird. Die Verankerungslängen sind grundsätzlich außerhalb des Lastausbreitungsbereiches vorzusehen. 4. Geogitter zur temporären Tragschichtbewehrung für Tübbinglagerflächen am Boßler- und Albvorlandtunnel Der Albvorlandtunnel mit einer Länge von 8.176 m sowie der Boßlertunnel mit einer Länge von 8.806 m zählen nach der Fertigstellung zu den zehn längsten Eisenbahntunneln in Deutschland. Die Tunnel bestehen aus zwei eingleisigen Tunnelröhren, die je Tunnel mit insgesamt rund 50.000 Tübbing-Segmenten im maschinellen Tunnelvortrieb hergestellt werden. Die für den Bau erforderlichen Tübbing-Segmente werden dabei im Bereich des Tunnelportals gelagert (Bild 5). Da im Bereich der Tübbinglagerflächen zum Teil sehr heterogene Untergrundverhältnisse erkundet wurden, wurde eine Tragschichtbewehrung mit Geogittern vorgesehen. Durch den Einsatz der Geogitter wird zum einen die Grundbruchsicherheit der Lagerfläche erreicht und zum anderen werden potenzielle Differenzsetzungen weitestgehend reduziert. Die Tübbinglagerfläche am Boßlertunnel wird von wechselnd tragfähigen bis gering tragfähigen Untergründen unterlagert. Gemäß Baugrundgutachten wurden die wechselnden Untergrundbedingungen in drei sogenannte Homogenbereiche zusammengefasst. Bild 5: NBS Wendlingen-Ulm - Ausschnitt der Tübbinglagerfläche am Boßlertunnel (Quelle: www.bahn projekt-stuttgart-ulm.de) Unter Berücksichtigung der jeweiligen Baugrundverhältnisse sowie der vorgegebenen Lasten und Abmessungen der Einzelfundamente für die Lagerung der Tübbing-Segmente erfolgte die Bemessung der erforderlichen Geogitter Bewehrungslagen analog EBGEO [5] im GZ 1B unter Berücksichtigung der DIN 1054 [4] und DIN 4017 [7]. Neben der Grundbruchsicherheit wird in diesem Bemessungsansatz auch das Kriterium Durchstanzen überprüft und ausreichend bemessen. Die Bemessung ergab in Abhängigkeit der anstehenden Baugrundverhältnisse unterschiedliche Systemaufbauten. So kamen sowohl zweilagig als auch dreilagig bewehrte Systemaufbauten unter Verwendung gelegter Geogitter aus Polyesterstäben mit geschweißten Knoten zum Einsatz (Bild 6) Bild 6: Herstellung der Tübbinglagerfläche Boßlertunnel (Quelle: NAUE) 190 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Wirtschaftliche Geogitter-Bauweisen beim Neubau der Hochgeschwindigkeitsstrecke Wendlingen-Ulm 5. Geogitterbewehrte Stützkonstruktionen am Boßlertunnel als temporäre Bauwerke Neben der geogitterbewehrten Tübbinglagerfläche kamen am Boßlertunnel weitere kunststoffbewehrte Stützkonstruktionen (KBE) als temporäre Bauwerke zum Einsatz. Für den Transport der Tübbing-Segmente von der Lagerfläche zur Tunnelvortriebsmaschine wurde eine rund 1.500 m lange temporäre Bahnstrecke auf einer geogitterbewehrten Stützkonstruktion errichtet (Bild 7). Bild 7: Herstellung der KBE für die Tübbingbahn am Boßlertunnel (Quelle: NAUE) Das Tübbingwerk als temporäre Feldfabrik für die Produktion der Tübbing-Segmente wurde direkt auf einer rund 6 m hohen geogitterbewehrten Stützkonstruktion aufgebaut (Bild 8). Bild 8: Herstellung der KBE für die Tübbingbahn am Boßlertunnel (Quelle: NAUE) Für diese Stützkonstruktionen kam ein spezifisches Außenhautsystem zum Einsatz. Die Außenhaut wird dabei durch einen Geogitterumschlag mit innen liegender Vliesstoffeinlage stabilisiert. Die auf die Böschungsneigung angepassten unverzinkten Stahlgitterelemente dienen dabei zunächst als verlorene Schalung sowie als formgebendes Element. Für die statische Berechnung der Gesamtstandsicherheit des Erdkörpers werden die Stahlgitterelemente nicht berücksichtigt. Durch den Rückumschlag der Geokunststoffbewehrung in die Konstruktion zurück entsteht ein hochbelastbarer Erdkörper, dessen Form individuell anpassbar ist. Eine statische Bemessung ist nach DIN 1054 [4], DIN 4084 [2] und EBGEO [5] in jedem Fall durchzuführen. Die Systembewehrung orientiert sich dabei hauptsächlich an den bodenspezifischen Eigenschaften sowie an den Lastannahmen. Die Vorteile dieser Stützkonstruktionen aus kunststoff-bewehrter Erde (KBE) sind nicht nur auf die konstruktiv-technischen Eigenschaften und die Verwendbarkeit günstigen Baumaterials (Boden) zurückzuführen, sondern umfassen auch die nahezu 100%ige Recyclingfähigkeit der Konstruktion. 6. Dauerhafte KBE-Konstruktion im Bereich des Rettungsplatzes und der Zufahrt am Albabstiegstunnel Im Rahmen des Einsatzkonzeptes für den Brand- und Katastrophenschutz wurde am Tunnelportal Dornstadt des Albabstiegstunnels ein Rettungsplatz mit einer direkten Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz vorgesehen. Der Rettungsplatz war gemäß den Vorgaben der DIN 14090 [8] auszuführen. Die Zu- und Abfahrt zum Rettungsplatz war demnach in einer Fahrbahnbreite von 6 m zu errichten. Gemäß der Entwurfsplanung sollte der Unterbau des Rettungsplatzes sowie der Zufahrt aus scherfestem, gebrochenem Tunnelausbruchmaterial 0/ 56 aufgebaut und mit einem zugfesten Geotextil ummantelt werden. In Anlehnung an die DIN 14090 [8] sollte bei der Bemessung des Rettungsplatzes eine Einzellast von 140 kN berücksichtigt werden. Die Böschungsneigung war mit einer Regelböschungsneigung von 1: 1,5 geplant. Die Standsicherheit der Böschung bei Aufbringung der o.g. Einzellast mit einem Minimalabstand von 0,75 m von der Böschungsschulter konnte mit einer KBE-Konstruktion mit polsterförmigem Umschlag der Geogitter an der Böschungsfront rechnerisch nachgewiesen und realisiert werden. Die Bemessung und Nachweisführung erfolgte nach DIN 1054: 2010 [4] im Teilsicherheitskonzept unter Anwendung der DIN 4084 [2] sowie der EBGEO [5]. Im Ergebnis wurden zwei Lagen des Geogittertyps Secugrid mit Höchstzugkräften von 120 kN/ m (md) und 40 kN/ m (cmd) mit einem Lagenabstand von 0,50 m unter Berücksichtigung des beschriebenen Außenhautsystems mit Einbindelängen der Geogitter von 5 m und 7 m rechnerisch erforderlich. Gemäß Entwurfsplanung sollte die Dammschüttung sowohl für den Rettungsplatz als auch für die Rettungsplatzzufahrt aus scherfestem, gebrochenem Tunnelausbruchmaterial 0/ 56 hergestellt werden. Dabei sollte die unterste 50 cm Lage mit einem Geogitter verstärkt und auf einem Geotextil als Trennlage verlegt werden. Nach der vorliegenden Baugrunderkundung lag die Aushubsohle in den quartären Abschwemmmassen, für die ein mittlerer Verformungsmodul von Ev2 = 7,5 MN/ m² 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 191 Wirtschaftliche Geogitter-Bauweisen beim Neubau der Hochgeschwindigkeitsstrecke Wendlingen-Ulm angesetzt werden konnte. Auf der Oberkante der Dammschüttung wurde ein Verformungsmodul von Ev2 = 45 MN/ m² gefordert. Im Ergebnis der Bemessung konnte nachgewiesen werden, dass die geforderten Tragfähigkeiten und Standsicherheiten durch den Einbau einer Lage Geogitter vom Typ Secugrid mit einer Höchstzugkraft von 40 kN/ m (md und cmd) sowie eines robusten Vliesstoffs als Trennlage realisiert werden konnten. 7. Fazit Durch den vielfältigen Einsatz von Geogittern in zahlreichen Anwendungen konnten im Rahmen der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm technisch sehr zuverlässige und äußerst wirtschaftliche Bauweisen realisiert werden. In den dauerhaften Anwendungen, z.B. beim Rettungsplatz am Albabstiegstunnel, können die hohen Anforderungen an die Tragfähigkeit für schweres Bergungsgerät im Havariefall permanent sichergestellt werden. In den temporären Anwendungen stellen die KBE-Konstruktionen nach Ende der Nutzungsdauer eine sehr umweltschonende Bauweise dar, da die einzelnen Baustoffe sortenrein zurückgewonnen werden können und zu 100% recyclingfähig sind. Der Rückbau wurde in einem Teil der beschriebenen Anwendungsfälle bereits begonnen. Quellenverzeichnis: [1] DB Netz AG: Ril 836 Erdbauwerke und sonstige geotechnische Bauwerke planen, bauen und instandhalten. [2] DIN 4084, Ausgabe: 1981-07 Baugrund; Gelände- und Böschungsbruchberechnungen. [3] DB Netz AG: DB Standard DBS 918039 - Technische Lieferbedingungen Geokunststoffe für den Eisenbahnbau. Frankfurt am Main, Oktober 2015. [4] DIN 1054, Ausgabe: 2010-12. Baugrund - Sicherheitsnachweise im Erd- und Grundbau. [5] EBGEO - Empfehlungen für den Entwurf und die Berechnung von Erdkörpern mit Bewehrungen aus Geokunststoffen. Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Geotechnik. Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2010. [6] Schwerdt, S., Meyer, N., Paul, A. (2004): Die Bemessung von Geokunststoffbewehrungen zur Überbrückung von Erdeinbrüchen (B.G.E. Verfahren). Bauingenieur 79, H.9. [7] DIN 4017: 2006-03: Baugrund - Berechnung des Grundbruchwiderstands von Flachgründungen. [8] DIN 14090: Flächen für die Feuerwehr auf Grundstücken. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 193 Realisierung von besonderen regionalen Baumaßnahmen - schnell und kostengünstige Lösungen durch vormontierte Kunststoff-bewehrte Erde Sebastian Schiller MSc. Geow. Bermüller und Co. GmbH, Nürnberg Ralf Ziegler Dipl.-Ing (FH) Bermüller und Co. GmbH, Nürnberg Zusammenfassung Stahlbasierte vormontierte Kunststoff-Bewehrte-Erde Systeme können für komplexe Bauaufgaben kostengünstige und ökologische Lösungen bieten. Die Vorteile in der Flexibilität, Handhabungssicherheit und Baugeschwindigkeit werden an drei konkreten Projekten aufgezeigt. 1. Einführung Der gestiegene Flächenbedarf für Infrastruktur- und Erschließungsmaßnahmen hat sich in den letzten Jahrzenten im Infrastrukturbau zu einem wesentlichen Eckpunkt in der Bauplanung entwickelt. Daher ist es notwendig, für übersteile Böschungen und Wandkonstruktionen möglichst platzsparende Baulösungen zu finden. Kunststoff-bewehrte Erde Systeme bieten hierbei die Möglichkeit, kostengünstig und ressourcenschonend übersteile Böschungskonstruktionen mit ansprechender Frontgestaltung zu errichten. Das primäre Ziel der KBE ist, durch Einlegen von Zugbändern die Standsicherheit von übersteilen Konstruktionen zu gewährleisten. Hierbei hat sich in den letzten Jahren die Verwendung besonders robuster Bewehrungsmaterialien wie Stahl und ein hoher Grad an Vormontage der einzelnen Elemente bewährt. Nachfolgend sollen drei regionale Projekte mit besonderen Aufgabenstellungen genauer vorgestellt und hierbei die Vorteile von vormontierten, stahlbasierten bewehrten Erde Konstruktionen erläutert werden. Abbildung 1: GREEN TERRAMESH Element mit vormontierten Bauteilen. [MACCAFERRI, 2014] A Gedrilltes sechskantiges Stahldrahtgittergeflecht mit Duplexschutz B Quer eingezogene Spanndrähte C Erosionsschutzmatte aus PP-Gewebe D Neigungsdreieck als Aufstellhilfe E Spannhaken (nicht vormontiert) zum Einstellen der Frontneigung F C-Klammern (nicht vormontiert) zur Verbindung der Elemente am vertikalen und horizontalen Stoß und somit errichten einer geschlossenen Front G Geschweißte Baustahlmatte als verlorene Schalung 194 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Realisierung von besonderen regionalen Baumaßnahmen - schnell und kostengünstige Lösungen durch vormontierte Kunststoff-bewehrte Erde 2. Blaichach - Übersteiler Damm aus bewehrter Erde als Auflager für einen Brückeneinschub. Die Kreisstraße OA 29 verläuft im Landkreis Oberallgäu zwischen den Gemeinden Blaichach und Burgberg. Sie stellt eine wichtige Verbindung zwischen der Kreisstraße OA 5 und der Staatsstraße St 2007 dar. Teil der Kreisstraße ist das Brückenbauwerk über die Iller und die Bundesstraße B19. Die auf 1,7 km auszubauende OA 29 entsprach nicht mehr den Anforderungen an eine moderne Verkehrsachse. Die Fahrbahnbreite betrug bereichsweise lediglich 5,00 m. An der Brücke über die Iller und die B 19 bestand Sanierungsbedarf. Die Fußgänger wurden ohne ausreichenden Gehweg über die Brücke geführt. 2.1 Ausgangssituation und Aufgabenstellung Die Kreisstraße wird in Dammlage zum Brückenbauwerk geführt und überquert die Iller und die Bundesstraße. Der Damm hat eine Höhe zwischen 2,50 m und 7,30 m. Er wurde im Zuge des Ausbaus um bis zu 1,00 m erhöht. Durch die Trassierung der Ausbauplanung und dem neuen Straßenquerschnitt ergab sich im ursprünglichen Entwurf eine vergrößerte Dammaufstandsfläche. Im Zuge der Planung wurde festgelegt, dass die bestehenden Grundstücksgrenzen und somit der Dammfuß nicht verändert werden. Eine Verbreiterung des Damms durch die vorgesehene Schüttung war daher nicht mehr möglich. Abbildung 2: Überquerung der Bundesstraße B19 und der Iller. 2.2 Lösung Die Verbreiterung des Damms sollte auf Grund der geänderten Randbedingungen mittels dem Bauverfahren der bewehrten Erde erfolgen. Eine im Projekt zu berücksichtigende Herausforderung stellte der parallel laufende Brückenbau dar. Die Brücke sollte mittels Taktschiebeverfahren vom östlichen Damm aus erstellt werden. Hierzu musste ein Taktkeller auf einem Zwischenniveau des Damms errichtet werden. Erst in einem zweiten Ausbauschritt konnte der Damm zu einem späteren Zeitpunkt auf sein endgültiges Niveau gebracht werden. Das System GREEN TERRAMESH konnte hierzu optimal verwendet werden, ohne dass ein zusätzlicher Baubehelf erforderlich geworden wäre. Abbildung 3: Anrampung an das Brückenbauwerk mit bereits einsetzender Begrünung. 3. Schwäbisch Gmünd - Erweiterung eines Werksgeländes in dichter Bebauung. Der metallverarbeitende Industriebetrieb fertigt am jetzigen Produktionsstandort seit dem Jahr 2007. Aufgrund der hohen Auslastung wurde eine Erweiterung des Werksgeländes mit neuen Fabrikationshallen und Lagerflächen erforderlich. 3.1 Ausgangssituation und Aufgabenstellung Das Werksgelände mit einer Größe von ca. 4,1 ha liegt an einem nach Süden flach abfallenden Hangbereich. Südlich der bestehenden Hallen stand im unmittelbaren Anschluss eine geeignete Grundstücksfläche zur Verfügung. Um einen reibungslosen und effektiven Produktionsablauf zu ermöglichen war es erforderlich, die Erweiterungsfläche auf Höhe der bestehenden Fertigungshallen anzuordnen. Der Höhenunterschied zwischen Altbestand und Neubaufläche betrug dabei bis zu 5,0 m. Auf der Neubaufläche war seit der Errichtung des bestehenden Werksgeländes ca. 22.000 m³ Erdreich aus vorangegangenen Baumaßnahmen aus stark wassergesättigten Schluffen und Tonen gelagert. Auf der gesicherten Bodenmiete war die Errichtung einer ca. 10 m hohen neuen Fabrikationshalle sowie neue Logistik—und Lagerflächen vorgesehen. Hierbei sollte unter Einhaltung der aus dem Bebauungsplan vorgegebenen Grenzabstände einen möglichst minimalen Abstand zur Grundstücksgrenze einhalten werden, um die zur Verfügung stehende Grundstücksfläche effektiv auszunutzen. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 195 Realisierung von besonderen regionalen Baumaßnahmen - schnell und kostengünstige Lösungen durch vormontierte Kunststoff-bewehrte Erde Als ursprüngliche Planungsüberlegung von Seiten der Stadtverwaltung und des Auftraggebers wurde eine umlaufende betonierte Winkelstützmauer vorgeschlagen. Aufgrund der großen Sicherungshöhe von bis zu 5 m hätte sich eine sehr ungünstige optische Situation für die Nachbarschaft ergeben. Es wären zudem umfangreiche Erdarbeiten in der Erdmiete erforderlich gewesen, um die Einbindelänge des Stützwandfußes herstellen zu können. Abbildung 4: Geplantes Baufeld zur Werkserweiterung mit bestehender Erdmiete. [Tauw, 2019] 3.2 Lösung Zum Einsatz kam daher das voll begrünbare Böschungssicherungssystem GREEN TERRAMESH aus verzinktem und kunststoffummantelten Stahldrahtgittergeflecht mit integrierter Erosionsschutzmatte. Die Steilböschungen wurde aus 6 - 7 Lagen GREEN TER- RAMESH Light mit einer Mächtigkeit von jeweils 0,70 m und einer Frontneigung von 60 Grad errichtet. Dabei wurden Böschungen mit einer Höhe von 4,5 m bis 5,0 m gesichert. Die bergseitige Einbindelänge der einzelnen Lagen betrug dabei je nach statischer Erfordernis 2,0 m bis 4,0 m. Im Frontbereich wurde eine 30 cm Oberboden-Schotteschicht mit Grassameneinmischung zur Begrünung der Böschungsoberfläche eingesetzt. Hinter der Stützkonstruktion wurde eine Drainage DN 150 mit Kiespackung und Filtervlies zur Verhinderung von Stau- und Schichtenwasserhorizonten mit Auslauf in einen Versickerungsgraben vor der Stützkonstruktion angeordnet. Die neue Halle wurde mittels Brunnenfundemten über Ortbetonsäulen bis in den unterhalb der Bodenmiete anstehenden, gewachsenen tragfähigen Boden gegründet. Von Süden war die Errichtung einer Feuerwehrzufahrt erforderlich, welche auf einer Strecke von ca. 30 m den Höhenunterschied von ca. 5,0 m überwinden musste. Auch hier konnte aufgrund der hohen Anpassungsfähigkeit des Green Terramesh Systems eine ansprechende Lösung erzielt werden. Abbildung 5: Fertiggstellte Werkserweiterung mit 60° Steilböschung. [Tauw, 2019] 4. Braunsbach - Sanierung eines Hangrutsches nach einem Sturzflutereignis Die Gemeinde Braunsbach liegt im Kochertal im Landkreis Schwäbisch-Hall. Durch eine stationäre Gewitterzellenlinie, welche zu Starkniederschlägen (ca. 40 mm/ h) führte, kam es am 29.06.2016 zu Sturzfluten im Orlacher-Bach und im Schlossbach, welche im gesamten Bachverlauf und dem Ortskern starke Schäden hervorriefen. Abbildung 6: Böschung nach Sturzflut und Hangrutschung. 4.1 Ausgangssituation und Aufgabenstellung Nach der Sturzflut musste nicht nur die beschädigte Bausubstanz wiederinstandgesetzt und 42.000 m³ Geröll aus dem Ort entfernt werden, sondern auch die L1036 zwischen Braunsbach und Orlach saniert und der Bach mit einem Wildbachverbau aus Tosbecken und Geröllfängen für zukünftige Starkniederschläge gerüstet werden. Im Zuge dieser Maßnahme war vorgesehen im Oberlauf des Baches an der L1036 kurz nach dem Ortsausgangsschild in Orlach die hier abgegangene Straßenböschung in großen Teilen durch eine Bodenvernagelung in Kombination mit einer Winkelstützmauer zu sichern. 196 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Realisierung von besonderen regionalen Baumaßnahmen - schnell und kostengünstige Lösungen durch vormontierte Kunststoff-bewehrte Erde Im weiteren Verlauf war zudem die Erweiterung einer Bestandsgabionenwand durch eine Geogitter rückverhängte Gabionenwand geplant. Ziel sollte eine möglichst naturnahe, sichere und dabei unkompliziert herstellbare Lösung für die Böschungssicherung sein. Zur Beräumung des Tosbeckens im zu sichernden Abschnitt sollte außerdem unterhalb der L1036 ein Wirtschaftsweg angelegt werden. 4.2 Lösung Die Firma BECO Bermüller schlug daraufhin die Böschungssicherung durch eine bewehrte Erde in Umschlagtechnik vor. Aufgrund des hohen Grads an Vormontage und der Materialrobustheit wurde sich für das metallische Geokunststoffsystem GREEN TERRA- MESH entschieden. Der Aufbau der Wand begann in dem Bereich, in dem ursprünglich eine Winkelstützmauer vorgesehen war, am tiefsten Punkt im westlichen Bereich des Bachbettes und wurde nach Osten hin mit Bermen aufgefächert aufgebaut. Die Wand weißt im höchsten Abschnitt 20 Lagen GREEN TERRAMESH in 70° auf. Durch den hohen Grad an Vormontage und die damit einhergehende einfache Handhabung des Systems konnte ein zügiger Baufortschritt gewährleistet werden. Durch den exakten Erdbau der ausführenden Firma konnte so in schneller Zeit eine selbst im Bauzustand optisch sehr ansprechende Böschungssicherung erstellt werden. Abbildung 7: Fertiggestellte Steilböschung mit Bermen. Bildnachweise Abb. 1: Typical drawing - RSS03 - GTM REV 5; Sheet 3; MACCAFERRI; 2014 Abb. 4: Aufnahme Hr. Schwalb; Tauw; 2019 Abb. 5: Aufnahme Hr. Schwalb; Tauw; 2019 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 197 Neubau B 31 zwischen Immenstaad und Friedrichshafen Geschiebemergel und der Einfluss von Wasser auf die angewandten Bauweisen Dipl.-Ing. Holger Jud Smoltczyk & Partner GmbH, Stuttgart, Deutschland Dipl.-Ing. Peter Ströhle Aßfalg Gaspard Partner Ingenieurgesellschaft mbH, Bad Waldsee, Deutschland Zusammenfassung Seit 2016 erfolgt zwischen Immenstaad und Friedrichshafen der Neubau eines rund 7 km langes Teilstück der Bundesstraße B 31 durch die DEGES und steht kurz vor der Fertigstellung. Neben großflächigem Erdbau für die Strecke kamen Gewerke des Spezialtiefbaus für Verbau und Gründungen der vielen Brückenbauwerke und Sonderlösungen, wie dauerhafte Hangentwässerungen, zum Einsatz. Die Strecke verläuft größtenteils im bereits oberflächennah anstehenden Geschiebemergel bzw. dessen Verwitterungsschichten. Im Zuge der Bearbeitung der Geotechnischen Berichte wurde eine Erkundungskampagne mit umfangreichem Laborprogramm durchgeführt. Die aus den geotechnischen Untersuchungen abgeleiteten bautechnischen Empfehlungen, deren planerische Umsetzung sowie die Ausführung verschiedener Gewerke des Spezialtiefbaus und des Erdbaus, werden im Vortrag insbesondere im Hinblick auf den Einfluss von Wasser beschrieben und bewertet. Dies erfolgt anhand exemplarischer Erfahrungen an den Baumaßnahmen für die B 31. 1. Projektbeschreibung Die B 31 ist eine der am stärksten befahrenen Bundesstraßen im Regierungsbezirk Tübingen und dient vorrangig als Verteilerschiene für den zwischenörtlichen, überörtlichen und überregionalen Verkehr am nördlichen Bodenseeufer. Abbildung 1: B 31 - Streckenverlauf und Bauwerke Der rund 7,1 km lange Streckenabschnitt schließt im Bereich Immenstaad/ Grenzhof an die bestehende B 31 an. Sie umfährt die Teilorte Fischbach, Spaltenstein und Schnetzenhausen (Stadt Friedrichshafen) jeweils nördlich und endet im Osten an dem in Friedrichshafen bereits ausgebauten Knotenpunkt Colsmannstraße, siehe Abbildung 1. Aus städtebaulichen Gründen - insbeson- 198 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Neubau B 31 zwischen Immenstaad und Friedrichshafen Geschiebemergel und der Einfluss von Wasser auf die angewandten Bauweisen dere zum Schutz des künftigen Wohnumfeldes - ist im Bereich Waggershausen ein 700 m langer, zweiröhriger Tunnel vorgesehen, der von der Stadt Friedrichshafen voll finanziert wird. Darüber hinaus beinhaltet der Abschnitt insgesamt 13 Ingenieurbauwerke und drei Anschlussstellen zu deren Herstellung bis zu 12 m tiefe Baugruben, umfangreiche Erdarbeiten mit dauerhaften Hangeinschnitten, Entwässerungsmaßnahmen und bis 8 m hohen Dammbauwerken sowie unterschiedliche Gewerke des Spezialtiefbaus zur Gründung und Baugrubensicherungen erforderlich waren. 2. Baugrund und Grundwasser Die gesamte Neubaustrecke durchfährt eine Landschaft, deren hügelige Geländeformen sehr stark eiszeitlich geprägt sind. Früher, bis zum Beginn der Nacheiszeit vor etwa 10.000 Jahren, war das Gelände von den mächtigen Eismassen des Rheingletschers bedeckt, der bei Bregenz aus den Alpen ins Vorland austrat und hier eine Mächtigkeit von über 800 m erreichte. Diese letzte Vergletscherung des Alpenvorlandes erstreckte sich fast bis zum heutigen Bad Saulgau nach Norden und entstand in der jüngsten, insgesamt etwa 100.000 Jahre andauernden, sogenannten Würm-Eiszeit, benannt nach einem Fluss in Bayern. 2.1 Erkundung Zur Erkundung wurden entlang der Trasse und am Standort der Bauwerke insgesamt - 49 Kernbohrungen mit knapp 900 Bohrmetern - 18 Kleinrammbohrungen mit rund 100 m und - 15 Baggerschürfe ausgeführt. Abbildung 2: Baugrundaufbau (10fach überhöht) km 4+800 bis km 5+500 2.2 Baugrundaufbau Abgesehen von nur in geringem Umfang angetroffenen künstlichen Auffüllungen setzt die Schichtfolge von oben mit natürlichen Deckschichten ein, die meist von den umliegenden Hängen abgeschwemmt und im Talgrund abgelagert wurden. Die geologisch jungen Deckschichten werden zuweilen von ebenfalls quartären, jedoch deutlich älteren Beckensedimenten unterlagert, die sich in eiszeitlichen Stauseen an den Randlagen der Gletscher gebildet haben. Die Ablagerungen aus tonigen Schluffen und Grobschluffen, in die in dünnschichtiger Wechsellagerung mm-dünne Feinsand- und Tonlagen eingeschaltet sind weisen eine unterschiedliche Mächtigkeit zwischen wenigen Metern in den Randbereichen und fast 30 m in tieferen Rinnen, z.B. am Streckenanfang, im Lipbachtal auf. Darunter - oft auch direkt unter den Deckschichten folgen bis in große Tiefe eiszeitliche Geschiebemergel. Sie sind die Hinterlassenschaft des abgeschmolzenen Gletschers und entstanden durch die Aufarbeitung des vom Eis überfahrenen und in die Gletscherbasis eingearbeiteten Untergrundes. Ganz überwiegend bestehen die Geschiebemergel aus grauen bis olivgrauen, feinsandigen Schluffen und schluffigen Feinsanden, in die meist geringe Anteile an Kalksteingeröllen eingelagert sind. Auf kurze Entfernung zwischen den Bohrungen rasch wechselnd, überwiegen örtlich in unterschiedlichen Tiefen auch die Kies- und Sandlagen. Findlinge von Stein- oder Blockgröße sind charakteristisch für den hier anstehenden Geschiebemergel. Abbildung 2 zeigt exemplarisch den Baugrund u.a. beim Bauwerk 9, Brücke über den Mühlbach. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 199 Neubau B 31 zwischen Immenstaad und Friedrichshafen Geschiebemergel und der Einfluss von Wasser auf die angewandten Bauweisen 2.3 Grundwasser Grundwasser wurde in den Talauen direkt unter Gelände in den Deckschichten und in den Beckensedimenten angetroffen. Häufig wurden weitere Wasserzutritte auch in tieferen Schichten des Geschiebemergels beobachtet, wobei das Grundwasser nach Anbohren und Ausbau zur Grundwassermessstelle teils bis über Gelände anstieg, also artesisch gespannt ist. Grundwasserleiter im Geschiebemergel sind dabei meist in unterschiedlichen Tiefen vorkommenden Kies- und Sandlagen, die häufig nur wenig ergiebig sind, aber häufig hydraulischen Anschluss an die an den umgebenden Hängen mehrere Meter höher anstehenden Grundwasserleiter haben. 2.4 Ergebnisse von Labor- und Feldversuchen Für die die Baumaßnahmen maßgeblich bestimmenden Geschiebemergel wurden umfangreiche Laborversuche durchgeführt, um bodenmechanische Kenngrößen festlegen zu können: An insgesamt 42 Proben, siehe Abbildung 3, wurden die Zustandsgrenzen bestimmt, die den Geschiebemergel als fein- und gemischtkörnigen Boden und mit einem mittleren Wassergehalt an der Fließgrenze von w L = 24 %, und an der Ausrollgrenze von w P = 12 %, als leichtplastischer Ton (TL) am Übergang zu Sand-Ton-Gemischen (ST) klassifizieren. Trotz der großen Probenzahl war die Bandbreite der Ergebnisse nur gering. Abbildung 3: Zustandsgrenzen des Geschiebemergels Im Körnungsband zeigen die untersuchten Proben jedoch deutlich größere Schwankungen, siehe Abbildung 4. Die Scherfestigkeit und der Steifemodul wurden durch Scherversuche, Triaxialversuche und Oedometerver-suche ermittelt, siehe Tabelle 1, wobei insbesondere die Verarbeitung von Proben mit erhöhten Sandanteilen schwierig war. Die Scherfestigkeiten wurden daher auch durch Feldversuche überprüft, siehe Abbildung 5. Abbildung 4: Bandbreite der ermittelten Korngrößenverteilung im Geschiebemergel Reibungswinkel φ´ [°] 27,5 Kohäsion c´ [kN/ m²] 10-20 Steifemodul E s [MN/ m²] für Setzungsberechnungen - Erstbelastung E S1 - Wiederbelastung E S2 10-20 20-40 Tabelle 1: Charakteristische Scherfestigkeiten und Steifemoduln im Geschiebemergel Abbildung 5: In-Situ Scherversuch Die ermittelten Scherfestigkeiten liegen damit auch im Bereich der in der Literatur genannten Werte. 3. Bauen im Geschiebemergel Nahezu alle erforderlichen Gewerke des Erd- und Grundbaus greifen unterschiedlich tief in die Schichten des Geschiebemergels bzw. in dessen Verwitterungsprodukte ein. Teilweise wurde Grundwasser aufgeschlossen. In ei- 200 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Neubau B 31 zwischen Immenstaad und Friedrichshafen Geschiebemergel und der Einfluss von Wasser auf die angewandten Bauweisen nigen Streckenabschnitten war auf Grund der gegebenen Randbedingungen mit Grundwasser zu rechnen, konnte jedoch bedingt durch die geringe Ergiebigkeit, die geringe Wasserdurchlässigkeit und den Einsatz einer Verrohrung bei der Erkundung nicht direkt bestimmt werden. In anderen Streckenabschnitten war mit Grundwasser nicht zu rechnen. Für die Ausführung der einzelnen Gewerke war bei der Wahl der Verfahren die Beherrschung der Risiken aus dem Einfluss des Wassers bestimmend. Dabei sind die aus der Wechselschichtung von sandigen und tonigen Schluffen des Geschiebemergels in Verbindung mit dem angeschlossenen Potential stark heterogene hydrogeologischen Verhältnisse zu beachten. Diese Problematik wird durch die ohnehin stark wasserempfindlichen, leicht plastischen Tone bzw. Sand-Ton-Gemische noch erheblich verschärft. 3.1 Pfahlherstellung Bohrpfähle wurden überwiegend als Gründungspfähle für die Brückenwiderlager hergestellt. Bei BW 50 kamen Pfähle als Stützwand zum Einsatz, siehe nachfolgender Abschnitt. Die Bohrpfahlherstellung wird von mehreren Faktoren beeinflusst. Bohrhindernisse oder abrasive Böden waren hier nicht bei der Verfahrensauswahl bestimmend, jedoch hat das anstehende Grundwasser, vor allem an Standorten mit artesisch gespannten Grundwasserverhältnissen, z. B. am Standort der Bauwerke BW 9 und BW 11, große Bedeutung. Die sorgfältige Beherrschung der Ausführung bei anstehenden Wechsellagerungen und Grundwasser trägt wesentlich zum Erfolg der Baumaßnahme bei. Das Brückenbauwerk BW 11, Zubringer der Anschlussstelle Schnetzenhausen, liegt in einer Talaue. Der in rund 12 m Tiefe anstehende tragfähige Geschiebemergel wird von mächtigen grobschluffigen Beckensedimenten mit überwiegend weicher Konsistenz überlagert. Die Brückengradiente liegt rund 8 m über dem anstehenden Gelände. Das im tragfähigen Geschiebemergel anstehende Grundwasser ist artesisch gespannt und deshalb auch bis rund 2 m über Gelände ansteigen. Zur Vorwegnahme von Setzungen aus den bis zu 8 m hohen Rampenschüttungen wurde eine Vorschüttung mit einem zeitlichen Vorlauf von knapp einem Jahr hergestellt. Wegen des artesischen Grundwassers und damit beim Bohren der Wasserstand im Bohrrohr nicht unter den Grundwasserstand absinkt wurden die Gründungspfähle von BW 11 von einem Vorschüttungsniveau rund 3 m über Gelände gebohrt. Somit konnte bei sorgfältiger Herstellung, das heißt ausreichend vorlaufender Verrohrung und stetige Aufrechterhaltung des Grundwasserspiegels in der Verrohrung ab Erreichen des Geschiebemergels, das Aufbrechen der Pfahlsohle in allen Gründungspfählen sicher verhindert werden. Da beim benachbarten BW 9, wo die topographische und die hydrogeologische Situation sowie der Baugrundaufbau vergleichbar ist, wurde die Bohrpfahlherstellung in derselben Art und Weise wie bei BW 11 durchgeführt. Die Gründungspfähle von BW 11 und einer weiteren Brücke über die B 31, BW 18, waren zum Einen die ersten Bohrpfähle dieser Baumaßnahme mit geplanter Gründung im tragfähigem Geschiebemergel und wurden zum Anderen nahezu zeitgleich hergestellt. Zur Bestätigung der rechnerischen bzw. planerischen Annahmen wurden an Bauwerkspfählen Pfahlprobebelastungen durchgeführt. Die der Planung zugrunde liegenden Pfahlwiderstandswerte im Geschiebemergel von: - Mantelreibung: q s,k = 130 kN/ m² und - Spitzendruck: q b,k = 2.100 kN/ m² konnten damit nachgewiesen werden. Eine Bestimmung der Grenzwerte erfolgte im Versuch jedoch nicht. 3.2 Dauerhafte Geländeeinschnitte Im Bereich des Hermannsbergs muss mit der Trasse in den nach Norden ansteigenden Hang eingeschnitten werden. Der Hangeinschnitt wird durch eine rund 150 m lange Stützwand gesichert, die den vertikalen Abschluss einer insgesamt bis zu knapp 10 m hohen Einschnittsböschung bildet, siehe Abbildung 6. Im Einschnittsbereich stehen unterschiedlich mächtige Deckschichten über Geschiebemergel an. Die Qualität der anstehenden Schichten ist stark unterschiedlich und ließ teils Schluffe mit steifer und halbfester Konsistenz erwarten und andererseits häufig sandigere Bereiche, in denen die Schluffe aufgrund der Wasserführung dann eine weiche bzw. weich bis steife Konsistenz aufwiesen. Aufgrund der Erkundungsergebnisse und der Topographie war davon auszugehen, dass Wasserzutritte vom Hermannsberg her bis etwa 5 m über Gradiente erfolgen und damit für die Standsicherheit der Stützwand, der darüber liegenden Böschung in Bau- und Endzuständen von maßgeblicher Bedeutung sind, zumal bereichsweise aus Platzgründen die Böschungsneigung auf 1: 1,5 ausgebildet werden musste. Aus durchgeführten Pumpversuchen wurde erwartungsgemäß ebenfalls eine unterschiedlich starke Ergiebigkeit und Wasserdurchlässigkeit ermittelt, die das erwartete Bild eines heterogenen Grundwasserleiters bestätigten. Die Herstellung des Einschnittes konnte unter den gegebenen Randbedingungen nur unter Berücksichtigung einer vorauslaufenden Entspannung des in den durchlässigen Schichten teils gespannt anstehenden Grundwassers erfolgen. Zur Ausführung kam eine permanente aufgelöste Bohrpfahlwand in Kombination mit Sickerschlitzen bzw. Sickerpfahlscheiben. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 201 Neubau B 31 zwischen Immenstaad und Friedrichshafen Geschiebemergel und der Einfluss von Wasser auf die angewandten Bauweisen Abbildung 6: Hangeinschnitt am Hermannsberg Bei der Herstellung der Bohrpfahlwand bzw. der Sickerschlitze dient eine Zwischenaushubsohle als Arbeitsebene. Wegen der Grundwasserverhältnisse, des Erfordernisses zur Entwässerung tief in den Hang eingreifen zu müssen und den auch vorübergehend nur bedingt standfesten Böden wurden die Sickerscheiben aus überschnittenen „Dränbeton-Pfählen“ hergestellt. Nach Fertigstellung der Entspannungsmaßnahmen konnte der Aushub im Schutze einer geregelten Wasserableitung erfolgen. Die Dräneinrichtung entwässert den Hangeinschnitt dauerhaft in die hier vorgesehene Planumssickerschicht (PSS). Die Einschnittsböschung ist seit knapp zwei Jahren fertiggestellt. Abhängig der Jahreszeit und Niederschlägen wird die Wassermenge zeitverzögert am Fuß der Stützwand in der Längsentwässerung der PSS gefasst. Die Wassermenge ist zeitweise ergiebig und zeitweise fast nicht vorhanden. Die Wasserempfindlichkeit des anstehenden Bodens und die heterogenen Grundwasserverhältnisse werden an anderen Stellen der Trasse deutlich. Beispielhaft zeigt Abb. 7 einen Böschungsbruch an einer rund 5 m hohen talseitigen Böschung in vergleichbaren Baugrundverhältnissen. Eine planmäßige Entwässerung dieser Einschnittsböschung war wegen der talseitigen Lage nicht vorgesehen, da keine Wasserzutritte zu erwarten waren. Grund für die Rutschung war hier vermutlich die Entspannung von Porenwasserüberdruck, ein Grundwasserzufluss ist in diesem Bereich nicht erkennbar. Abbildung 7a bis c: Böschungsbruch an talseitigen Einschnittsböschung vor und nach der Sanierung 3.3 Erdbau im Zuge des Straßenbaus Leichtplastische Böden, wie der hier anstehende, auszuhebende und wiederzuverwendende Geschiebemergel, sind sehr witterungsempfindlich. Eine Wasseraufnahme im aufgelockerten Zustand, zum Beispiel aus Niederschlägen, oder dynamische Belastung des Baustellenverkehrs auf dem Planum im Kapillarsaum des Grundwassers, verursachen einen raschen, festigkeitsmindernden Übergang in die breiige Konsistenz, womit die Böden nicht mehr befahrbar und nicht mehr ohne zusätzliche Maßnahmen einbaufähig sind. Um eine für die Baustelle ausreichende Befahrbarkeit und eine langfristige Stabilisierung des Planums zu erreichen, wurde dieses einheitlich mit einem Mischbindemittel mit gleichen Anteilen Zement und Kalk (1: 1) verbessert. Auch für den Wiedereinbau des Aushubmaterials aus Deckschichten und Geschiebemergel in die Straßendämme der B 31 wurde mit dem Ziel eines homogenen Dammkörpers das Erdmaterial mit Mischbindemittel (1: 1) verbessert. 202 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Neubau B 31 zwischen Immenstaad und Friedrichshafen Geschiebemergel und der Einfluss von Wasser auf die angewandten Bauweisen Unter Berücksichtigung der technischen Vorgaben aus den Regelwerken, wie den ZTV E-StB, und bei Beachtung der bevorstehenden Witterungsverhältnisse kann Erdbau mit witterungsempfindlichen Böden und der oben genannten Bindemittelverbesserung erfolgreich durchgeführt werden. Die wesentlichen technischen Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung der ursprünglichen bodenmechanischen Eigenschaften für witterungsempfindliche Böden sind ein Quergefälle des (bauzeitlichen) Planums von mindestens 6 %, das glatte Abwalzen der Tagesleistung, der unmittelbare Wiedereinbau nach dem Ausbau oder Schutzmaßnahmen des Erdmaterials im Zwischenlager und eine fachgerechte, dem Baubetrieb angepasste, offene Wasserhaltung. Abbildung 8: Massenbewegung des Geschiebemergels Für die Baumaßnahme wurden insgesamt 660.000 m³ Erdmassen bewegt, siehe Abbildung 8. Dabei überwiegt der Anteil von witterungsempfindlichem Geschiebemergel. Als Weitere aber durchaus kontrollier- und realisierbare Besonderheit ist das teilweise bis auf Planumsniveau anstehende Grundwasser, welches ein direktes Befahren des im Planum anstehenden Geschiebemergels oder der Deckschichten während der Bauzeit erschwert bis kaum möglich macht. In diesen Bereichen wurde vor Kopf lokal verfügbares Material der Körnung 0/ X eingebaut, welches aufgrund seiner ausreichenden Durchlässigkeit zugleich als Planumssickerschicht verwendet werden konnte. Letzteres wurde durch in-situ Versuche nachgewiesen, siehe Abbilung 9. Abbildung 9: Versuchsaufbau Versickerungsversuche Neben dem üblichen Vorgehen, wie Probefeldbau mit Probeverdichtung, Eignungsprüfungen des bindemittelverbesserten Bodens, das Erstellen einer Arbeitsanweisung mit Beschreibung des Arbeitsverfahrens sowie die Durchführung und Dokumentation der Eigenüberwachungsprüfungen, sind eine geotechnische Fachbauüberwachung sowie Kontrollprüfungen des Auftraggebers für Baumaßnahmen dieser Größe unerlässlich. 3.4 Temporäre Baugrubenverbauten 3.4.1 Baugrubenböschungen In großen Bereichen der Strecke, insbesondere wo die steifen und halbfesten, teils festen Geschiebemergel bereits wenig unter der Geländeoberfläche anstanden, kamen freie Böschungen zum Einsatz. Aus den Erkundungen war dort nicht mit Grundwasser zu rechnen und es war auch aus der Einschätzung der Geländemorphologie nicht zu erwarten. Die im Projekt gemachten Erfahrungen waren jedoch stark unterschiedlich. Abb. 10 zeigt Böschungen im Geschiebemergel mit einer Böschungsneigung von 60° und einer Böschungshöhe von Geländeoberkante zur Berme bzw. zum Zwischenaushubniveau von etwa 5 m. Die Böschungen bis zur Berme sind damit unter Berücksichtigung der angesprochen Baugrund- und Grundwasserverhältnisse nach DIN 4124 ohne rechnerische Nachweise ausführbar. Abbildung 10a/ b: Temporäre Baugrubenböschung 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 203 Neubau B 31 zwischen Immenstaad und Friedrichshafen Geschiebemergel und der Einfluss von Wasser auf die angewandten Bauweisen Hinweise auf Wasserführung waren an beiden Böschungen direkt nach Anschnitt nicht zu erkennen. Dies wurde dann bei nachlaufenden Begehungen bestätigt, regelmäßige Wasseraustritte wurden nicht festgestellt. Dennoch traten an einigen Stellen kurz nach dem Freilegen und trotz einer engen Begleitung der Aushubarbeiten Rutschungen ein, wie in Abb. 10b dargestellt. Wie an anderen Stellen im Projekt auch wurden nach Ausräumen der Rutschmassen nahezu senkrechte Bruchfugen mit meist halbfester Konsistenz freigelegt, die bekannte Wechsellagerung aus sandigeren und tonigeren Bereichen im Geschiebemergel bestätigte sich und in den Flächen um eingelagerte Steine und Blöcke waren häufig leichte Vernässungen erkennbar. Bei Rückrechnungen der eingetretenen Rutschungen konnte die eingetretene Scherfuge nur dann nachmodelliert werden, wenn die Scherfestigkeit im Bereich der aus Labor- und Feldversuchen bestimmten Größenordnung lag und zusätzlich antreibende Kräfte aus Porenwasserüberdrücken zum Ansatz gebracht wurden. Da ein durchgehender Grundwasserleiter nicht vorhanden ist, lässt sich das eingetretene Rutschbild erklären und nachvollziehen, wenn in den Wechsellagerungen angenommen wird, dass „eingeschlossene“ Wasserlinsen in durchlässigeren Bereichen bei der durch Aushub gegebenen Reduzierung von Horizontalspannungen zu vertikalen Mikrorissen führt und so die Scherfestigkeit so stark reduziert, dass ein Bruch einsetzt. Eingeschlossenes Schichtenwasser führt so trotz geringer Ergiebigkeit zu einer maßgeblichen Reduzierung der Scherfestigkeit. 3.4.2 Verankerungen/ Vernagelungen Die Wasserempfindlichkeit von leichtplastischen Tonen zeigt sich insbesondere dort, wo erhöhte Sandgehalte den Boden in Verbindung mit mechanischer Bearbeitung zum Fließen bringen. Bodenfließen zeigt nachfolgende Abb. 11, nach dem Aufschneiden der Spundbohle wird durch Wasserüberdruck Bodenmaterial aus der Öffnung herausgedrückt. Die empfohlene Vakuumwasserhaltung zur Stabilisierung der fließgefährdeten Böden oder Maßnahmen zur Vermeidung des Ausfließens wurden nicht ausgeführt. Abbildung 11: Fließende Böden nach Aufschneiden der Ankerlöcher Zum Erreichen einer ausreichenden Ankertragfähigkeit ist neben einem auf die Untergrundverhältnisse abzustimmenden Bauablauf auch die Wahl von Bohrverfahren auf die gegebenen Verhältnisse anzupassen. Das Einfließen von Boden ins Bohrrohr ist auch beim Anschneiden gespannter Grundwasserlinsen mit ständig aufrecht zu erhaltenem Überdruck, z.B. durch Einsatz von Zementsuspension als Spülmittel und dem Abteufen der Bohrungen im Doppelkopfverfahren, zu verhindern. Abbildung 12: Ausgebauter „Selbstbohr“-Nagel Vergleichende Erfahrungen wurden auch bei der Herstellung von Bodennägeln mit verlorener Bohrkrone gemacht, siehe Abbildung 12. Vernagelungen kamen zur Sicherung von Böschungen oberhalb des Grundwassers im Geschiebemergel zum Einsatz. Trotz standfester Bohrlöcher wurde eine reproduzierbare Tragfähigkeit nur erreicht, wenn das Bohrloch konstant mit Zementsuspension gestützt war. Nägel, die ins trockene Bohrloch eingebaut und nachträglich verpresst wurden, konnten in den Zugprüfungen trotz halbfester Konsistenz des Geschiebemergels nahezu keine Last aufnehmen. Nach dem Ausbau konnte an derart hergestellten Nägeln gezeigt werden, dass kein vollständiger Verpresskörper hergestellt war. Dies ist vermutlich auf vergleichbare Mechanismen wie bei den Baugrubenböschungen beschrieben, also Auflockerungen durch eingesperrte, gespannte Grundwasserlinsen zurückzuführen. 3.4.3 Trägerbohlverbau Die Herstellung von Trägerbohlverbauten ist besonders im nicht wasserführenden Baugrund geeignet. Auf Grundlage der Erkundungsergebnisse bei der geplanten Grundwasserwanne Eichenmühlenweg, BW 30, wurde dort ein mehrfach rückverankerter Trägerbohlverbau gewählt. Das rund 100 m lange und bis zu 7 m unter Geländeniveau verlaufende Trogbauwerk schneidet dort in die tonigen und feinsandigen Schluffe der Deckschichten und des Geschiebemergels ein. Vereinzelte Kalksteineinlagerungen wurden erkundet. Während der im Vorfeld dieses Bauwerks erforderlichen Umverlegung einer Wasserversorgungsleitung stellte sich die Baugrundsituation als ungünstig für den späteren Trägebohlverbau dar. Wassereintritte und Verbrüche im Leitungsgraben erschwerten die Umver-legung dieser Leitung. 204 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Neubau B 31 zwischen Immenstaad und Friedrichshafen Geschiebemergel und der Einfluss von Wasser auf die angewandten Bauweisen Mit Hilfe von im Vorfeld zusätzlich hergestellten Entspannungsbohrungen, Verfüllung der Trägerbohrungen mit wasserdurchlässigem Material, kleinen Ausschachtungstiefen sowie den bis dahin gewonnen Erfahrungen beim Herstellen von Baugruben im Geschiebemergel konnte der Trägerbohlverbau im trockenen Sommer 2018 ohne Schwierigkeiten hergestellt werden. Nach der Trockenperiode war die Grundwasserentspannung der grobkörnigen und nun wasserführenden Bereiche durch den Verbau indirekt sichtbar und gegeben. Die vereinzelt auftretenden geringen Wassermengen behinderten den weiteren Bauablauf nicht. 4. Zusammenfassung Bei allen Gewerken des Spezialtiefbaus und im Erdbau stellt Wasser ein für die Planung vom Geotechnischen Sachverständigen zu bewertendes Risiko dar. Dies ist insbesondere in feinkörnigen Böden besonders schwierig, da bei der Erkundung häufig die tatsächlichen Grundwasserverhältnisse auf Grund der geringen Wasserdurchlässigkeit und der geringen Ergiebigkeit nur durch sehr aufwändige Maßnahmen oder u.U. gar nicht richtig erfasst werden können. Neben den Erkundungsergebnissen sind daher auch Faktoren der Geländemorphologie und lokale Erfahrungen erforderlich, um für die Planung und Ausführung geeignete Empfehlungen erarbeiten zu können. Im Zuge des Neubauabschnitts der B 31 bestimmte der Einfluss des Grundwassers im wasserempfindlichen Geschiebemergel in vielen Bereichen die Planung und die Ausführung. Trotz teilweise schwieriger Randbedingungen konnten auch dauerhafte Entwässerungsmaßnahmen erfolgreich hergestellt werden, siehe Abbildung 13. Abbildung 13: Sickerschlitze im Einschnitt Unerwartete Grundwasser bzw. Grundwasserdruckverhältnisse führten teilweise an temporären Böschungen zu unerwarteten Rutschungen, die im Zuge der Ausführung saniert werden konnten. Geothermie 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 207 Betrieb einer Erdwärmesonde im Grenzbereich Giulia Giannelli Jürgen Braun IWS/ VEGAS, Universität Stuttgart, Stuttgart, Deutschland Zusammenfassung Frost-Tau-Wechsel beim Betrieb von Erdwärmesonden kann zu einer Beschädigung des Verfüllmaterials der EWS führen. Um einer potentiellen Frostbildung in einer EWS vorzubeugen wird die minimale Zulauftemperatur oft basierend auf Erfahrungswerten und numerischen Modellrechnungen begrenzt. Schwerpunkt vorliegender Arbeit ist es wissenschaftlich festzustellen, unter welchen allgemeinen Bedingungen eine Frostbildung im Sondenraum stattfindet. Der Durchfrostungsprozess unterschiedlicher Verfüllbaustoffe sowie Bodenmaterialien wurde auf kleiner Skala untersucht, um eine allgemeine Methode zur Ermittlung der Durchfrostung zu entwickeln und zu validieren. In Abhängigkeit verschiedener Lastfälle lieferte eine in einem künstlichen Aquifer aufgebaute EWS durch eine hochaufgelöste Instrumentierung erstmals zeitlich und räumlich aufgelöste Temperaturgradienten und Profile innerhalb einer EWS. Szenarien mit unterschiedlichen Anordnungen der Rohre im EWS-Querschnitt, realistischer Temperaturspreizung an kritischen Tiefen, sowie Abdichtungen mit unterschiedlichen Verfüllmaterialien werden derzeit auf einer mittleren Skala durchgeführt. 1. Einleitung Die erlaubte Betriebstemperatur einer EWS hat einen direkten Einfluss auf Investitions- und Betriebskosten einer EWS. So führen Einschränkungen der minimal zulässigen Temperatur einerseits zu einer Erhöhung der erforderlichen Sondenlänge und steigern damit die Installationskosten; andererseits kann der Betrieb einer Erdwärmesonde in einem zu niedrigen Temperaturbereich zu erhöhten Betriebskosten durch einen geringeren Wirkungsgrad der Wärmepumpen führen. Insbesondere letzterer Faktor könnte verschärft werden, wenn der Untergrund nicht regeneriert wird und seine Temperatur im Laufe der Jahre sinkt. Darüber hinaus muss die Qualitätssicherung einer Erdwärmesonde während ihrer gesamten Lebensdauer stets gewährleistet werden. Beim Betrieb von Erdwärmesonden im niedrigen Temperaturbereich kann es jedoch zu Wasserwegsamkeiten auf Grund von Frost-Tau-Wechsel und damit zu einer nachteiligen Veränderung des Ringraums der Erdwärmesonde kommen [1,2]. Zusätzlich sind aufgrund der temperaturinduzierten Dehnung des Verfüllmaterials Spaltbildungen zwischen Sondenrohren und Verfüllmaterial sowie zwischen Verfüllmaterial und dem umliegenden porösen Medium möglich. In Anbetracht dessen ist es sinnvoll, für die kältesten Tage des Jahres Betriebstemperaturen unter 0 °C zu betrachten, solange diese nicht kontinuierlich oder so niedrig sind, dass sie die Effizienz der Wärmepumpe beeinträchtigen und solange ein frostfreier Betrieb der EWS gewährleistet bleibt. Die Definition des frostfreien Betriebs einer EWS ist jedoch aus Praxissicht oft unklar und wird in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt (Abbildung 1). In Sachsen-Anhalt wird zum Beispiel eine minimale „mittlere Temperatur in der Sonde“ bei Spitzenlast gefordert, statt eine „Eintrittstemperatur“ wie in den Vorgaben der VDI 4640. In Hessen ist ein frostfreier Betrieb nur in wasserwirtschaftlich sowie hydrogeologisch ungünstigen Gebieten erforderlich und dies ist laut Vorgaben gewährleistet, wenn die minimale Temperatur -3 °C nicht unterschreitet. In Baden-Württemberg wird allgemein eine Minimalaustrittstemperatur der Wärmepumpe von -3° C zur Sicherstellung eines frostfreien Betriebs vorgeschrieben [3] (LQS-EWS BW 2015). In diesem Zusammenhang gibt es zwei verschiedene Ansätze, die von verschiedenen Forschungsgruppen behandelt werden. Ein Ansatz besteht darin, eine Vorrichtung zu entwickeln, die es ermöglicht, die Frost-Tau-Wechsel Beständigkeit jedes Verfüllbaustoffes, d.h. jeder Mischung, durch Randbedingungen zu überprüfen, die für eine geothermische Anwendung geeignet sind. Mit dem Anhang E der aktuellen VDI-Richtlinie 4640 [4] (VDI 4640 2019) beginnt man, die Grundlagen für solch ein standardisiertes Verfahren zu legen. Ein vom Land Baden-Württemberg gewählter Ansatz besteht darin, zu überprüfen, bzw. zu validieren, ob/ dass die hier geltende Grenze von -3°C als minimale EWS-Zulauftemperatur einen frostfreien Betrieb gewährleistet. Dazu wird eine Reihe von realistischen ungünstigen Szenarien experimentell durchgeführt. Im Rahmen dieses zweiten Ansatzes ist die vorliegende Arbeit einzuordnen. 208 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Betrieb einer Erdwärmesonde im Grenzbereich Abb. 1: Darstellung der in regionalen Leitlinien angegebene Anforderungen für EWS-Verfüllbaustoffe (Braun et al. 2019). 2. Methode und experimentelle Untersuchungen Parallele Temperatur- und TDR-Messungen an einem Betonkörper aus dem für den Technikumversuch ausgewählten Verfüllbaustoff zeigten eine direkte Korrelation des Beginns der Eisbildung (Keimbildung) mit einem lokalen, kurzzeitigen Temperaturanstieg (Temperaturspitze). Somit konnte im Rahmen der vorliegenden Untersuchungen eine Methode entwickelt werden, mit Hilfe derer erstmals die Eisbildung innerhalb einer EWS für verschiedene Szenarien experimentell nachgewiesen werden kann. Die allgemeine Gültigkeit der Methode wurde auf kleiner Skala für andere Verfüllbaustoffe sowie Bodenproben untermauert. Die Experimente wurden auf verschiedenen Skalen durchgeführt. Insbesondere kleine Experimente haben Vorteile, darunter Wiederholbarkeit und Vielseitigkeit, obwohl deren Randbedingungen nicht direkt übertragbar sind. Sie ermöglichen es, die Faktoren zu identifizieren, die den Gefrierprozess am stärksten beeinflussen und aufzuzeigen, wie Materialien mit unterschiedlichen Eigenschaften unterschiedlich reagieren. Die im technischen Großversuch durchgeführten Untersuchungen sowie die Bewertung der beobachteten Prozesse gestalten sich oftmals anspruchsvoller. Hierbei handelt es sich um einen einmaligen Versuchsaufbau, so dass, sobald eine Sondenkonfiguration und ein Verfüllmaterial im Ringraum verwendet wurden, diese Parameter nicht mehr geändert werden können. In diesen Experimenten ist es jedoch möglich, die Betriebsparameter der Sonde, wie minimale Zulauftemperatur und Turbulenz in den PE-Rohren, zu variieren und die aufgebaute Sonde unter realistischeren Randbedingungen zu untersuchen, wie z.B. Anbindung der Sonde an das umliegende poröse Medium, Durchfluss durch den Aquifer und radiale Gefrierrichtung aus dem Wärmeträgerfluid in den Rohren nach außen. Der Einfluss von Geometrie, der Anordnung der Rohre im EWS-Querschnitt und unterschiedlicher Verfüllbaustoffe auf den Gefrierprozess wird im Rahmen mittelskaliger Versuche untersucht. 2.1 Kleinskalige Untersuchungen In kleinskaligen Versuchen wurde der Frostprozess sowohl in ausgehärteten Verfüllbaustoffen als auch in Bodenproben mittels Temperaturmessungen und teilweise mit Messungen der Dielektrizitätskonstante untersucht. Die Eignung verschiedener Arten von Temperatursensoren für die Aufzeichnung von Gefrier- und Tauvorgängen wurde verglichen. Die Proben wurden in geschlossenen Gefäßen vorbereitet. Ein Teil der Proben wurde zur Bestimmung des Porenwassergehalts mithilfe von Tauchwägung und Trocknung verwendet, während die übrigen 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 209 Betrieb einer Erdwärmesonde im Grenzbereich Proben mit Pt100-Sensoren oder verschiedenen Thermoelementsensoren sowie TDR-Sonden ausgestattet wurden. Die Proben wurden in einem Behälter durch ein umströmendes Wärmeträgerfluid unter zyklischer Abkühlung beaufschlagt, dabei wurden zwei unterschiedliche Abkühlungsprogramme mit Minimaltemperaturen von -3 °C bzw. von -5 °C verwendet. 2.2 Technikumversuch im Großmaßstab Für die experimentellen Untersuchungen des frostfreien Betriebs einer Erdwärmesonde im Grenzbereich in einem Technikumversuch im Großmaßstab wurde ein thermisch verbesserter dotierter Verfüllbaustoff und eine symmetrische Anordnung der PE-Rohre im Ringraum betrachtet. Dazu wurde eine mit dem oben genannten Verfüllbaustoff verpresste Doppel-U-Erdwärmesonde (D=0,15 m, L=4,5 m) in einem künstlichen Sandgrundwasserleiter (L=9 m x B=6 m x H=5 m) aufgebaut und unter unterschiedlichen Randbedingungen, z.B. unterschiedlichen Zulauftemperaturen oder wechselnden Reynolds-Zahlen (Turbulenzen) kontinuierlich sowie intermittierend bestrieben. Dabei wurden die Durchfrostung des EWS-Ringraums und die Abkühlung des umliegenden porösen Mediums basierend auf den gemessenen Temperaturverläufen untersucht. 2.3 Mittelskalige Versuche (2D-Versuche) Um die Informationslücke aus dem Technikumversuch zu schließen, wurden in VEGAS mittelskalige Versuche, repräsentativ für den Abschnitt einer von einem porösen Material umgebenen Erdwärmesonde entwickelt. Die Versuche erlauben unter unterschiedlichen Randbedingungen (Szenarien) die Temperaturuntersuchungen innerhalb des EWS-Ringraums sowie im direkten Nahfeld (15 cm) der Sonde. Im COMSOL wird eine EWS für unterschiedliche geologische und hydraulische Bedingungen mit einer Zulauftemperatur von -3°C beaufschlagt und die Temperatur entlang der Sonde (in Zulauf und Rücklaufrohr) berechnet. Die Ergebnisse für bestimmte ausgewählte Tiefen dienen als Randbedingungen für die mittelskaligen Versuche. Der 1,4 m lange Abschnitt der EWS und das umliegende poröse Medium können sich aufgrund der Festigkeit des mittelskaligen Versuchsbehälters sowie der oberen Abdichtungsschicht und des Deckels nicht verformen. Trotzdem entspricht der auf die Sonde ausgeübte Druck in den Versuchen nicht vollständig dem teilweise höherem in-situ Druck, der sich eventuell positiv auf die Sondenstabilität auswirken und somit möglicherweise eine Rissbildung vermindern könnte. Dieser Aspekt ist jedoch für das betrachtete Ziel, frostfreie Betriebsbedingungen einer EWS zu ermitteln, im Vergleich zur Anbindung des EWS-Ringraums am porösen Medium vernachlässigbar. Folgende Parameter sind im Versuchsaufbau einstellbar: Geometrie des Bohrlochs und der Sondenrohre (symmetrisch, asymmetrisch innerhalb sowie am Rand des Bohrlochs), Materialien für Verfüllbaustoffe und Sondenrohre, Strömungsgeschwindigkeit in den Sondenrohren, Art und Initialtemperatur des Untergrunds, Betriebsarten der EWS und Temperaturspreizung zwischen Zulauf- und Rücklaufrohr. Die Experimente bilden die Grundlage für begleitende numerische Simulationen durch die Projektpartner IGS und Solites. Hierbei werden thermisch-hydraulisch-mechanisch gekoppelte Phänomene betrachtet, um die Grenzen der Laborexperimente zu überwinden und allgemeingültige Aussagen zu minimalen EWS-Zulauftemperaturen und zur Risikoabschätzung von EWS-Schäden im Grenzbetrieb zu treffen. 3. Ergebnisse 3.1 Kleinskalige Untersuchungen Die Hydratationsbedingungen, d.h. die Aushärtungstemperatur und die Luftfeuchtigkeit, beeinflussen den Wassergehalt der Betonproben. Betonproben, die mit zyklischen Abkühlungen bis zu -3 °C beaufschlagt wurden, blieben frostfrei. Bei den Proben, die bis -5 °C abgekühlt wurden, wurde ein Frost-Tau-Wechsel Prozess beobachtet. Im Gegensatz dazu fand die Durchfrostung in reinen Sandproben bereits bei Abkühlungen über -3 °C statt. Abgesehen von wenigen Ausnahmen ergeben sich für Verfüllbaustoffe Unterkühlungstemperaturwerte im Bereich von -5 °C für den ersten Nukleationsprozess und Gefriertemperaturwerte im Bereich -0.9 bis -0.3 °C, je nach betrachtetem Verfüllbaustoff. Für gesättigte Sandproben liegt die Nukleationstemperatur über -3 °C und die Gefriertemperatur entspricht der von reinem Wasser in freier Phase und beträgt 0°C. Wenn die Proben nicht vollständig regeneriert sind, wird die Nukleation in den Poren erleichtert und findet schon bei Temperaturen über -3 °C statt. Gefrierendes Kapillarwasser stellt sich als wahrscheinliche Ursache für aufgezeichnete Temperatureffekte heraus. Die Ergebnisse sind ausführlich in der Poster-Session [5] (Giannelli und Adams, 2019) vorgestellt. 3.2 Technikumversuch Im Technikumversuch wurde gezeigt, dass die Keimbildung im Zentrum der Sonde (zwischen den Sondenrohren) stattfindet. Ob diese Eisbildung zu Schäden an der EWS führt, und wenn ja, wie diese Schäden aussehen, konnte im Rahmen der Experimente nicht nachgewiesen werden, da dies einen Ausbau der Sonde erfordert hätte. Im Nahbereich der Sonde konnte bei keinem der durchgeführten Szenarien Frostbildung nachgewiesen werden. Ergebnisse des Forschungsvorhabens „EWS-Frost“ [6] (Giannelli und Braun 2018) zeigen, dass auch unter Berücksichtigung der „Minus 3°C“-Regel bei gewissen Betriebszuständen Frostgefährdung in einer EWS besteht. 210 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Betrieb einer Erdwärmesonde im Grenzbereich Während bei Zulauftemperaturen von -3 °C und transienten Strömungsbedingungen in der Sonde eine Frostbildung erst nach 100 Stunden Dauerbetrieb nachgewiesen wurde, konnte bei Zulauftemperaturen von -3 °C und turbulenter Strömungsbedingungen in der Sonde bereits nach 5 bzw. 13 Stunden Dauerbetrieb unter Grundwasserströmung bzw. stagnierendem Grundwasser Frostbildung beobachtet werden. Wenn die EWS bei den beschriebenen Bedingungen intermittierend betrieben wurde, gefror die Verfüllung ähnlich wie im Dauerbetrieb, dies hing jedoch stark von der Dauer der Stillstandphase ab. Bei intermittierendem Betrieb mit Zulauftemperatur von -2,5 °C bleibt die Sonde frostfrei. 3.3 2D-Versuche Zur weiteren Bewertung der „Minus 3°C“-Regel werden derzeit bei VEGAS im Verbund mit den Partnern Solites und IGS im Rahmen des Vorhabens „Validate Frost“ weitere experimentelle und numerische Untersuchungen durchgeführt. Zur Bestimmung möglicher Frostbildung und daraus resultierenden Beschädigungen der Ringraumabdichtung durch Frost-Tau-Wechsel werden unterschiedliche Doppel-U-Erdwärmesonden in PVC-Rohre eingebaut, mit Temperatursensoren auf zwei Messebenen (40 cm Abstand) versehen und verpresst. Nach mindestens 28 Tagen wird das PVC-Rohr entfernt, die Sonde wird in einen zylindrischen Behälter (L = 140 cm, ID = 50 cm) eingebaut und der umliegende Raum des Versuchsbehälters durch poröses Material befüllt, von unten aufgesättigt und mit Bentonit nach oben abgeschlossen, so dass eine Umlagerung des porösen Mediums im Ringraum während des Versuchs verhindert wird. Während der Befüllung des Ringraums werden weitere Temperatursensoren installiert. Insgesamt werden je Ebene 10 Sensoren eingebaut, vier im Sand und sechs im Ringraum; weitere Sensoren sind im Zu- und Ablauf der Sonde eingebaut. Die Experimente werden unter kontrollierten Außentemperaturen durchgeführt, zusätzlich werden die Säulen nach Einstellung der Initialtemperatur (8-12°C) isoliert. Die Zu- und Rücklaufrohre der EWS werden an jeweils separate Thermostate angeschlossen (Re > 4000), damit eine vorab definierte Temperaturspreizung sichergestellt werden kann. Nach einer festgelegten Anzahl von Frost- Tau-Wechseln mit entsprechender Temperaturaufzeichnung, wird der Aquifer drainiert, die Wandung des Versuchsbehälters geöffnet und das Verfüllmaterial der EWS visuell auf Schadstellen untersucht. Zur Bestimmung von Läufigkeiten entlang der Bohrlochwandung und der Sondenrohre aufgrund von Temperaturschrumpfungen in Sonde und Gebirge, wird danach der Versuchsaufbau modifiziert. Der Ringraum zwischen EWS und Versuchsbehälter wird durch Flüssigboden (mit einer Steifigkeit ähnlich eines Tons in einer vorab festgelegten Tiefe) verfüllt und dadurch ein Aquitard gebildet. An der Unter- und an der Oberseite des Zylinders wird der Raum zwischen Zylinderboden bzw. -deckel durch eine Grobsandschicht und Bentonitabdichtung gebildet und jeweils mit einem Festpotentialbehälter verbunden, so dass der gesamte Zylinder als Permeameter betrieben werden kann. Veränderung der Durchlässigkeiten sowie visuell strukturelle Veränderungen in der EWS und im umgebenden Boden können somit festgestellt werden. Literaturangaben [1] ANBERGEN, H., FRANK, J., MÜLLER, L. und SASS, I.: Freeze-Thaw-Cycles on Borehole Heat Exchanger Grouts: Impact on the Hydraulic Properties, Geotechnical Testing Journal, 37, Issue 4, (2014). [2] REUSS, M. et al.: Qualitätssicherung bei Erdwärmesonden und Erdreichkollektoren, Technischer Bericht Bayerisches Zentrums für Angewandte Energieforschung e.V. (ZAE Bayern), FKZ 0327453A, (2012). [3] UMWELTMINISTERIUM BADEN-WÜRTTEM- BERG: Leitlinien Qualitätssicherung Erdwärmesonden (LQS EWS BW), (2015). [4] VDI Gesellschaft Energie und Umwelt: Titel VDI 4640 „Thermische Nutzung des Untergrunds“ - Blatt 2 „Erdgekoppelte Wärmepumpeanlage“, Richtlinie, 29, (2019). GIANNELLI, G. und BRAUN, J.: Einfluss des Betriebs von Wärmepumpen auf potentielle Durchfrostung einer Erdwärmesonde - EWS-Frost - (L75 14 011), Technischer Bericht VEGAS, TB02/ 2016 (VEG 71), (2018). [5] GIANNELLI, G., ADAMS, V.: Untersuchungen von Frost-Tau-Wechsel auf Verpressmaterial, Der Geothermiekogress DGK 2919, Poster, (2019). [6] BRAUN, J., GIANNELLI G., RIEGGER, M., MOORMANN, C., BUHMANN, P., MUSTAFA, M.: Vertiefte Evaluierung der „Minus 3 °C Grenze“ beim Betrieb von Erdwärmesonden - (L75 180 08/ 09/ 10), Statuskolloquium Umweltforschung Baden-Württemberg, Vortragsfolien, (2019). 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 211 Parameter sensitivity analysis on thermal response tests (TRT) under complex condition of high groundwater flow using thermo-hydro coupled numerical model Matin Liaghi, M.Sc. Universität Stuttgart, Institut für Geotechnik, Stuttgart, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Bernhard Westrich Universität Stuttgart, Institut für Geotechnik, Stuttgart, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Moormann Universität Stuttgart, Institut für Geotechnik, Stuttgart, Deutschland Abstract Detailed knowledge of subsurface thermal properties is a key factor for an efficient and optimum design of a Borehole Heat Exchanger (BHE). Thermal response test (TRT) is the commonly used method for a reliable determination of the heat transport parameters of the underground. In this method heat transport mechanism is considered to be pure conduction. This assumption is considered as the main limitation of this approach, which might lead to deviations. Consequently, applying this method the determination of subsurface thermal properties under groundwater advection is related to some difficulties. In this paper, parameter sensitivity analysis has been performed by assist of a three dimensional thermo-hydro coupled model. The thermal properties of the subsurface is evaluated with comparison to the TRT test results in a BHE which is installed in different geological layers under high groundwater advection effect. After validation of the numerical model, it has been used to perform a parameter study on different influential parameters on TRT results. The magnitude of influence for each parameter is quantified and discussed in this study. 1. Introduction The rising cost of fossil and fuels and their global negative impacts on the climate of the planet leads to increase the importance of utilization of shallow geothermal energy systems [1, 2].Ground source heat pump (GSHP) systems are considered as supplies of the energy to diminish the primary energy use in commercial and residential buildings for space heating and cooling. Several studies are performed in this field, which considering a GSHP in cold climate region [3] as well as a mild climate region [4]. Providing an efficient and optimized design of BHE for a specific site location strongly depends on the level of the detailed information about the underground thermal properties. The most commonly used method to assist the design of Borehole Heat Exchangers (BHE) is the thermal response test (TRT), which is used to assess the thermal properties of the subsurface. The exact evaluation of a TRT, especially in complex conditions concerning geology and groundwater flow is highly important for designing a BHE. A TRT is performed on a heat exchanger probe, by injecting a constant amount of energy into [5] or extracted from the ground [6] by circulating fluid with a defined heat input using heat pump over a period of time. The inlet and outlet water temperature along with water flow rate are measured continuously being later used to analyse the reaction of the subsurface to the temperature. By using TRT, it is possible to evaluate the effective thermal conductivity, which is a combination of subsurface and filling material thermal conductivity. The effective thermal conductivity resulting from TRT considers all the heat transport in the subsurface including both conduction and convection (in the presence of groundwater). Based on [7] the theoretical basis of TRT and its further interpretation has been studied in many investigations since 1990th such as [8], [9] and many others. The line source theory is known as the most popular method to evaluate a thermal response test. This theory is based on Kelvin line source equation [10]. In this model, the subsurface is considered as a homogeneous and isotropic medium with a uniform initial temperature field, which the BHE is implemented inside that as an infinite 212 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Parametersensitivityanalysisonthermalresponsetests(TRT)undercomplexconditionofhighgroundwaterflowusingthermo-hydrocouplednumericalmodel line source with radially purely conductive heat flux per unit length. Another approach to analyze the heat transfer between the BHE and its surrounding domain is the cylindrical heat source approach. In this method, the BHE with a specific diameter is considered to be placed in an infinite homogeneous domain. This approach considers a constant initial temperature for the whole domain and a definite heat flux per unit surface from the cylinder to the adjacent medium. These TRT interpretation methods depict some deficiencies due to different reasons as following: 1. Ignoring the heterogeneity of the subsurface. 2. Assuming a constant initial temperature for the whole domain and neglecting the natural geothermal temperature gradient of the earth [11]. 3. Neglecting the axial heat flux especially at the surface of the ground due to the ambient temperature fluctuations. 4. Purely conductive heat transport and ignoring convective heat transport due to groundwater flow [12]. A numerical simulation can assist the investigation to overcome the limitations and improve the accuracy of TRT interpretation. 2. Hans-Rehn-Stift case study The Institute of Geotechnical engineering (IGS) at University of Stuttgart has been working on a geothermal project of Hans-Rehn-Stift since 2017. The Hans-Rehn- Stift is a residential facility for elderly people, which is placed in the city of Stuttgart. Its evaluation is part of the ´GeoSpeicher´-project in Baden Württemberg state of Germany. 2.1 Project conditions The heat supply of the facility is ensured by various types of heat supply such as a combined heat and power plant, solar thermal energy and an air heat pump. In addition, the base load of the heat demand is covered by a geothermal probe field, consisting of 21 (double U-pipe) geothermal probes. 20 of these BHEs have the depth of about 90 m and one of them is extended up to 190 m and used for thermal response test and studying the geology and hydrology properties of the field and later operated as a part of the system for energy production. The underground along the BHEs is formed mainly by 2 layers of limestone and sandstone and a thin layer of claystone. The thermal properties of the soil layers were chosen from VDI-RICHTLINIEN (VDI 4640) (2015) and are shown in Table 1. Table 1 Soil layers thermal properties Figure 1. Geological stratification of subsurface and different underground zones Noteworthy to mention that above thermal properties belong to the saturated soil and not dry soil. 2.2 TRT condition To obtain the natural undisturbed temperature profile of the subsurface before any TRT operation, the temperature of the fluid inside the pipe through the 190 depth of the BHE was measured. To ensure an undisturbed temperature profile along the depth of the ground, it was waited long enough after installation of the BHE that the whole system reached the steady state condition. This phase of study is called initial state. Afterwards, the TRT test has been performed for the Hans-Rehn-Stift. Most important information for the TRT test is documented in Table 2. Parameter sensitivity analysis on thermal response tests (TRT) under complex condition of high groundwater flow using thermo-hydro coupled numerical model 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 213 Parametersensitivityanalysisonthermalresponsetests(TRT)undercomplexconditionofhighgroundwaterflowusingthermo-hydrocouplednumericalmodel Table 2 Details information of TRT test After completion of the TRT, two measurements were carried out: first one after 2 h and the second one after 26 h. As it is explained above, these measurements were performed inside the inlet pipe of the probe through the whole depth using ´NIMO-T´ temperature device. The TRT results are interpreted using line source theory obtaining an effective thermal conductivity of 8.7 W/ m · K. It is concluded that this significantly high thermal conductivity is due to groundwater flow. A groundwater velocity of 1.2 m/ d was estimated for this field. However, groundwater flow makes it difficult to interpret the thermal response test with regard to the absolute value of the heat conductivity, since the convective portion of the heat transport is not taken into account in the evaluation model. Therefore, the importance of the numerical investigation to assist the interpretation of the TRT becomes more significant. The numerical model can provide a better possibility to quantify more accurately the effective thermal conductivity of the subsurface under the effect of high convection groundwater flow. Furthermore, it can provide a better estimation of groundwater velocity. In this paper, a numerical simulation has been used to study the thermal response test for the Hans-Rehn-Stift to propose a better estimation for subsurface thermal properties as well as groundwater velocity using parameter study. 3. Numerical model A numerical thermal-hydraulically coupled model was developed in the software environment COMSOL Multiphysics version (5.3). Figure 2. Numerical model domain geometry and boundaries. 3.1 Basic approach The model geometry as shown in Figure 2 includes a calculation section with 200 m depth, 10 m length, and 7 m width. Within the three-dimensional calculation domain, a geothermal probe (BHE) with 190 m depth and 20 cm diameter was implemented in the coordinates of , . The dimension was chosen so that the temperature distribution of the BHE is not influenced by the model boundaries. The groundwater flow into the model domain is applied using the difference hydraulic head on the two sides of the domain (h1, inlet boundary) and (h2, outlet boundary) based on Darcy’s law (Eq.1) to generate the target filter velocity of 1.2 in the high convection zone. No flow condition (-n · ρu = 0) is set for the remaining boundaries of the domain. In the numerical model, the heat transfer in the porous medium is coupled with the groundwater flow (Eq. 2), assuming equilibrium temperature between the porous medium and water. The temperature of the groundwater flow is applied as a constant temperature boundary of 11 °C at the inflow. Based on the field measurements at the initial state before Parameter sensitivity analysis on thermal response tests (TRT) under complex condition of high groundwater flow using thermo-hydro coupled numerical model 214 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Parametersensitivityanalysisonthermalresponsetests(TRT)undercomplexconditionofhighgroundwaterflowusingthermo-hydrocouplednumericalmodel performing any TRT test, 11 °C is considered as the initial temperature of the domain in the groundwater zones (5 - 80 m) and top section (0 - 5) of the model (Fig. 3). For the depth from 80 m up to 200 m, the natural temperature gradient of the subsurface in this region is applied using Eq. 3. Where H is the depth in each specific location in the subsurface. The effect of the ambient temperature on the near surface depth is considered into the model by applying a heat flux boundary temperature, which contains temperature, air pressure and wind velocity based on recorded data of the nearest weather station to the project site (Leinfelden-Echterdingen). At the bottom of the model, based on the natural temperature gradient computation a constant temperature boundary of 17°C has been defined. Thermal insulation boundary is set for the remaining surfaces as (-n · q = 0). For conducting the mesh structure of the numerical model, the top surface of the model is discretized by means of free triangle mesh and then it is swept down to the bottom of the domain, generating 292,210 prism elements. Based on the fact, that temperature gradient in the radial direction is significantly higher than the vertical gradient, accordingly the mesh distribution is also much finer in radial direction in comparison to the axial direction. To prove the property of the discretization, the final mesh structure has been chosen according to the convergence of the outlet temperature within 0. 7%. 3.2 Initial state Based on a geo-hydrological report for this project the groundwater velocity of 1.2 m/ d was assumed for the numerical model by means of constant potential heads. To model the initial state the simulation was carried out as a transient problem with a simulation duration of 5 months. For this phase of the study, there is no fluid circulation in the pipes of the BHE, therefore the temperature profile within the pipes should be representative of the initial temperature profile in the subsurface before TRT test. Figure 3 shows the comparison between the measured temperature profile in the field and the calculated temperature profile within the geothermal probe pipe before the start of the TRT test. Figure 3. Initial temperature profile of the subsurface before the start of the TRT. Figure 3 depicts a good agreement between the numerical results and field measurements. The influence of the groundwater flow can be seen in depth from 6 m up to 80 m, causing a constant temperature of 11 °C in this section. The lower section from 80 m until 190 m, where located in the conduction zone without any groundwater effects, the natural geothermal temperature gradient is formed. Furthermore, the numerical model was successful to capture the influence of the ambient temperature which leads to temperature anomaly up to 6 m depths near the surface. The Temperature profile according to Figure 3 was then taken as initial temperature for the TRT phase. 3.3 TRT state Considering TRT operation in the field, the numerical model was conducted to simulate the exact same conditions as in the field. 162 h circulation of the fluid and 10,000 W energy input in each time step were implemented into the numerical model. For comparison between the numerical model and the TRT test, two measurements were used, one after 2 h and the second one after 26 h after the end of the heat supply. The results of the measurements and the simulation are shown in Figure 4. Parameter sensitivity analysis on thermal response tests (TRT) under complex condition of high groundwater flow using thermo-hydro coupled numerical model 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 215 Parametersensitivityanalysisonthermalresponsetests(TRT)undercomplexconditionofhighgroundwaterflowusingthermo-hydrocouplednumericalmodel As can be seen in Figure 4, there is a better agreement between the simulation and field measurement after 26 h (b) than after 2 h (a). The reason is that, as the more time passes after the stop of the test, the system is getting more close to the steady state situation especially due to the high convection effect (39 m - 80 m), which transports the excess heat around the BHE due to the TRT test to downstream. The stepwise reduction of the temperature from 6 m to 18 m and from 18 m to 39 m is due to different hydraulic conductivity values and accordingly different groundwater velocities. The wavy shape of the TRT temperature profile at the surface could be due to mixing of the fluid inside the pipe during the measurement. Difference between the exact time of the measurement in the field and extracting the results from the numerical model especially after 2 h, could mention as another source of the deviation. During this time the system exposed to the fast transition to the steady condition. Figure 4. Comparison of TRT field measurements vs. numerical simulation: (a) after 2 h and (b) after 26 h. On the other hand, it seems that 2 h was not enough time for the simulation to reduce the temperature of the fluid inside the pipe. Therefore, a parameter study was conducted to investigate the influence of some parameters, i.e. inflow rate inside the pipes, pipe cover thickness, thermal conductivity and groundwater velocity. The parameter study was focused on the situation 2 h after TRT because of the fact that the heat transfer between BHE and ambient soil is much higher than after 26 h and hence more suitable to detect the sensitivity of the thermodynamics parameters which are to be separately quantified. 3.3.1 Inlet flow rate inside the pipes As it is discussed, numerical results show a higher temperature in the system especially 2 h after TRT. Circulation inlet flow rate inside the BHE can be considered as a potential reason for this phenomenon. Lower inlet flow rate leads to lower energy input to the system and consequently lower temperature in the subsurface due to TRT test. Therefore, lower flow rates range of 1 m3 up to 1.3 m3 have been considered for a parameter study. Figure 5 shows the average temperature value over the total length of the inlet pipe due to different circulation flow rate. Figure 5. Parameter study on inlet flow rate effect (2 h after TRT). Figure 5 shows that 23 % reduction of circulation flow in the BHE lead to a negligible reduction (0.09 °C) of average temperature through the length of the inlet pipe of the BHE. This can be explained by the fact that the flow inside the pipes is turbulent for this range of the inlet flows. Due to the turbulent flow inside the pipes there is the maximum heat transfer from the running flow inside the pipes to the its adjacent domain. Therefore, changing the inlet flow magnitude could not make a significant change in the final results. 3.3.2 Pipe cover thickness In a BHE, U-shape pipes are installed inside a cylindrical frame filled with the grout material. The thickness of the concrete over the pipes has a direct effect on thermal resistance and accordingly on heat transfer through the pipes to the adjacent domain and the other way around. As there is no information about the pipe cover thickness for the BHEs in Hans-Rehn-Stift project, the typical cover of 15 mm was chosen for the numerical calculations. A parameter study is performed to evaluate the influence of the cover thickness with the range of 5 mm up to 40 mm on the average temperature along the inlet pipe (Fig 6). Parameter sensitivity analysis on thermal response tests (TRT) under complex condition of high groundwater flow using thermo-hydro coupled numerical model 216 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Parametersensitivityanalysisonthermalresponsetests(TRT)undercomplexconditionofhighgroundwaterflowusingthermo-hydrocouplednumericalmodel Figure 6. Parameter study on pipe cover thickness effect (2 h after TRT). There is a linear relation between the pipe cover thickness and average temperature through the pipe. It can be figured out each 5 mm more grout cover leads to about 0.2°C increase of the average temperature. By increasing pipes cover they are less exposed to the high convection effect due to groundwater flow in the soil domain around the BHE, thus, the temperature in the pipe shows slightly higher values. Long depth of BHEs pipes could lead to some deformation of the pipe inside the grout body and accordingly different heat transfer rate which is not possible to take into account in the numerical model and ends up to some deviation between numerical calculation and recording results. 3.3.3 Thermal conductivity As shown in Figure 1, the thickness of the claystone layer in comparison to the entire domain is relatively small and accordingly its effect is negligible. Therefore in the numerical simulation, just the main layers of limestone and sandstone were considered. Based on VDI criteria (Table 1) the proposed saturated thermal conductivity mean values for these soils are 2.70 and 2.80 W/ m · K. Therefore the value of 2.70 W/ m · K was considered as the thermal conductivity value for the entire domain. For the parameter study, the thermal conductivity is varied in a range from 2.4 W/ m · K up to 3.6 W/ m · Kfor these type of soils based on VDI table. The results of the parameter study for the relevant situation (2 h after TRT) are shown in Figure 7. Based on Figure 7, the influence of thermal conductivity is limited in the special case of the Hans-Rehn-Stift due to the leading convection effect in the zone with high groundwater flow and therefore the influence of thermal conductivity is negligible. Figure 7 (a) shows the nonlinear relation between the thermal conductivity and the temperature inside the pipe of the BHE. 50 % increase in thermal conductivity value leads to only 2.2 % changes in temperature values. On the other hand, results show almost a linear relation between the thermal conductivity and the temperature change inside the pipe in the conduction zone. Fig. 7(b) illustrates 7.4 % changes in the temperature inside the pipe due to a 50 % change in thermal conductivity values. Correspondingly, the higher influence of thermal conductivity in the low convection zone due to lower groundwater velocity can be explained. Figure 7. Parameter study on thermal conductivity effect (2 h after TRT). 3.3.4 Groundwater velocity To investigate the influence of the groundwater velocity on the TRT, the range of the velocity between 1.2 m/ d up to 2 m/ d in high convection zone was studied by adjusting different hydraulic head and the results are shown in Figure 8. Despite the thermal conductivity, Figure 8 shows the influence of groundwater velocity in the entire domain, especially in convection zones. 33 percent increase in groundwater velocity from 1.2 m/ d to 1.6 m/ d leads to 3.7 % and 2.3 % decrease in temperature in high convection and conduction zones respectively. Furthermore, this effect is even more significant in the low convection zone between the depths 21 m and 40 m, where the influence reaches up to 4.4 %. The reason is that in the lower convection zone the groundwater velocity is small and therefore there is a low convective transport effect. Consequently, the system is further from the steady condition and has more potential for the change due to higher groundwater velocity. Parameter sensitivity analysis on thermal response tests (TRT) under complex condition of high groundwater flow using thermo-hydro coupled numerical model 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 217 Parametersensitivityanalysisonthermalresponsetests(TRT)undercomplexconditionofhighgroundwaterflowusingthermo-hydrocouplednumericalmodel Figure 8. Parameter study on groundwater velocity effect (2 h after TRT). This proves the importance of the right estimation of groundwater velocity due to its significant impact on the heat transport process and accordingly on designing ground heat exchangers. At the end, by considering the parameter study using a numerical model, the values of 3.3 W/ m · K and 1.7 m/ d have been chosen for the thermal conductivity and groundwater velocity respectively. Figure 9 shows the final results and improvement of the numerical simulation especially for the relevant situation of 2 h after TRT (Figure 9a). Figure 9. Comparison between numerical simulation final results and TRT test: (a) after 2 and (b) after 26 . 4. Conclusion A numerical model approach was developed to simulate the heat transport due to a thermal response test (TRT) in a borehole heat exchanger (BH) under high groundwater flow velocity. The numerical model was successfully compared with the recorded temperature data of a TRT test in Hans-Rehn-Stift project. The model was used for further investigation on this case study, where the line source assumptions illustrate several shortages in case of interpretation of the TRT. The influence of different parameters on the TRT under high advection effect due to high groundwater velocity has been investigated using the parameter study. It is shown that in the case of turbulent flow the magnitude of inflow rate in the pipes does not make any significant difference in the final results and it is negligible. Pipe cover added thickness has bigger effects than inlet flow on the TRT results. Investigations in this study show that the extra cover of 5 mm leads to about 0.2 °C difference in the average temperature of the results. Therefore, a better estimation of the pipe cover thickness leads to a more reliable investigation of TRT tests using a numerical model. The parameter study shows that in the absence of groundwater flow or low convection effect, thermal conductivity plays a primary role in heat transport and should be taken into account as a decisive parameter. On the other hand, its influence is negligible under high groundwater flow advection. Despite the thermal conductivity, groundwater velocity must be considered as a decisive parameter in both convection and conduction zones. Numerical simulations show that the filter velocity is the only parameter with significant effect in high groundwater convection effect situation. Based on the numerical simulations a value of 1.7 m/ d has been estimated for the groundwater velocity in Hans- Rehn-Stift project considered in the case study investigated. 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Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Parametersensitivityanalysisonthermalresponsetests(TRT)undercomplexconditionofhighgroundwaterflowusingthermo-hydrocouplednumericalmodel Dutch perspective, ASHRAE Transactions: Research; 108(1): 263e72, 2002 [7] Sanner, B.; Hellström, G.; Spitler, J.; Gehlin, S.: Thermal Response Test - Current Status and World- Wide Application. Proceedings World Geothermal Congress, Tukey, 2005 [8] Hellström, G.: Ground heat storage, thermal analysis of duct storage systems, I. Theory. 262 p., LTH, 1991 [9] Claesson, J.; and Eskilson, P.: Conductive heat extraction to a deep borehole, thermal analysis and dimensioning rules. Energy 13/ 6, pp. 509-527, 1988 [10] Carslaw, H.S.; Jaeger, J. C.: Conduction of heat in solids. 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Bernd Kister geotechnical engineering and research, 69151 Neckargemünd Zusammenfassung Saisonale Speicher können bei der zukünftigen Energieversorgung durch die Einspeisung von Solarwärme oder Abwärme aus technischen Prozessen und der daraus resultierenden CO 2 -Emissionsminderung durch einen geringeren Verbrauch fossiler Brennstoffe eine wichtige Rolle spielen. Für die saisonale Speicherung großer thermischer Energie-mengen wurden vier unterschiedliche Konzepte entwickelt. Die Eigenschaften der verschiedenen Speichertypen müssen bei der Entscheidung für einen Speichertyp mit der Anforderung bezüglich der Speichertemperatur, den gesetzlichen Rahmenbedingungen, den natürlichen Rahmenbedingungen sowie dem zur Verfügung stehenden Raum in Einklang gebracht werden. Auch der unterschiedliche Stand der Technik und die bisher gemachten Erfahrungen sind dabei zu berücksichtigen. Bei Erdwärmesonden spielen die Art des Ausbaus und die Auswahl der Baustoffe eine große Rolle für die Leistung einer Anlage. Für Sondenrohre bzw. Kollektoren stehen neue Modelle zur Verfügung. Ihre Eigenschaften werden diskutiert und mit den gängigen Modellen, einfache U-Rohr EWS und Doppel-U-Rohr EWS, verglichen. 1. 1. Einleitung Saisonale Speicher sollen im Idealfall im Sommer gewonnene Sonnenenergie aufnehmen, abspeichern und dabei gleichzeitig ein Gebäude kühlen. Im Winter soll dann die gespeicherte Energie wieder für die Heizung von Gebäuden zur Verfügung stehen. Zu diesem Zweck wurde in den letzten rund 25 Jahren eine Vielzahl von unterschiedlichen Speichern entwickelt und gebaut. Viele dieser Speichertypen wurden als Prototypen im Rahmen von Forschungsprojekten erstellt. Für den Architekt oder Bauingenieur, der in der Regel kein Spezialist für solche Speicher ist, aber einen saisonalen Speicher in sein Projekt integrieren will oder soll, stellt sich dann häufig die Frage nach einer Speicherlösung, die einerseits nicht in ein Forschungsprojekt mündet und andererseits technisch ausführbar, langlebig und finanzierbar ist. Es stellt sich somit die Frage nach Kriterien anhand denen eine Auswahl getroffen werden kann. Eine zusätzliche Schwierigkeit bei der Auswahl einer Speicherlösung ergibt sich daraus, dass einerseits Anforderungen aus dem Bereich der Haus- und Gebäudetechnik zu erfüllen sind und andererseits rechtliche Rahmenbedingungen, örtliche geologische und hydrologische Gegebenheiten sowie physikalische Grundlagen zu berücksichtigen sind. Auch der für eine Speicherlösung zur Verfügung stehende Platz spielt eine Rolle. 2. Saisonalen Speicherung von Solarwärme Bei der Langzeitbzw. saisonalen Speicherung von Solarwärme gelten folgende Grundsätze (Schmidt & Mangold, 2008): - Die Sonne liefert in den Monaten Mai bis September rund zwei Drittel der in einem Jahr in Deutschland eingestrahlten Solarenergie. - Der Hauptteil des jährlichen Wärmeverbrauchs von Wohngebäuden liegt dagegen mit deutlich über zwei Dritteln in der Heizperiode zwischen Oktober und April. Abb. 2.1: Langzeit-Wärmespeichertypen nach Schmidt et al. (2003) Um große Teile der heute für die Heizperiode auf-gewendeten fossilen Energien einzusparen, muß daher Solarenergie im Sommer gewonnen und in saisonalen Wärmespeichern bis in den Winter gespeichert werden. Für die 220 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Saisonale Erdwärmespeicher - Forschungsprojekt oder Standardlösung? saisonale Speicherung großer thermischer Energiemengen wurden vier unterschiedliche Konzepte entwickelt (Abb. 2.1): - Heißwasserspeicher, - Kies/ Wasser-Speicher, - Aquifer-Wärmespeicher - Erdsonden bzw. Erdsondenfelder. 2.1 Heißwasser-Wärmespeicher Heißwasser-Wärmespeicher bestehen aus einem großen Behälter, der mit Wasser als Speichermedium betrieben wird. Je höher die Temperatur des gespeicherten Wassers ist bzw. je größer das Volumen ist, umso mehr Energie kann gespeichert werden. Um Wärmeverluste zu minimieren, müssen diese Wärmespeicher gedämmt werden. Aufgrund dieser weitgehenden thermischen Isolierung ist der Einfluss der thermischen Eigenschaften des diese Speicher umgebenden Mediums auf den Heißwasser-Wärme-speicher gering. Da trotz der thermischen Isolierung Wärmverluste nicht vollständig verhindert werden können, sollte das Verhältnis von Oberfläche zu Volumen des Speichers möglichst klein gewählt werden. Um die trotz Isolierung abgestrahlte “Restwärme” mit zu nutzen, schlägt Jenni bei kleineren Speichern vor, die Wärmespeicher im Gebäude zu intergrieren (Abb. 2.2). Abb. 2.2: Saisonaler Wärmespeicher Typ “Jenni” integriert im Gebäude (Quelle: Jenni Energietechnik AG). Bei entsprechender Materialauswahl können Heißwasser-Wärmespeicher bei sehr hohen Temperaturen betrieben werden, d.h. bis zu 90°C. Sie eignen sich daher sehr gut, wenn mit hohen Temperaturen, z.B. aus Kraft-Wärme-Kopplungsprozessen oder Sonnenkollektoren, gearbeitet werden soll. Werden Temperaturen benötigt, die über der im Speicher vorhandenen Temperatur liegen, müssen zusätzliche Wärmeerzeuger zur Nachheizung integriert werden. Abb. 2.3: Solar unterstützte Nahwärmeversorgung mit Heißwasser-Wärmespeicher (Schmidt & Mangold, 2008) Heißwasser-Wärmespeicher sind aufgrund ihrer Eigenschaften (ungiftig, hohe spezifische Wärme) heute in verschiedensten Größen verfügbar. Ein saisonaler Heißwasser-Wärmespeicher für ein Einfamilienhaus erfordert eine Speichergröße von mindestens 20 m³ Wasser. Für eine größere Anzahl von Wohneinheiten müssen diese Speicher entsprechend groß gewählt werden (Abb. 2.3). Die Dimensionen ausgeführter Behälter- und Erdbecken-Wärmespeicher variieren zwischen 100 m³ bis über 10 000 m³. Zu den größten in Deutschland ausgeführten Projekten gehört ein Heiß-wasser-Wärmespeicher in Friedrichshafen - Wiggenhausen mit 12’000 m3 für 391 Wohneinheiten und einen Kindergarten (Ochs et al.; 2006; Benner et al., 2003). Generell ist bei diesem Speichertyp zu prüfen, ob die statischen Lasten aus dem Gewicht des Speichers vom Untergrund aufgenommen werden können. Das Dämmmaterial für diese Speicher ist entsprechend der statischen und thermischen Belastung auszuwählen. Der Wandaufbau muß einerseits dicht gegenüber dem Wärmespeichermedium sein und andererseits soll das Eindringen von Feuchtigkeit aus dem Erdreich in die Wärmedämmung verhindert werden. Dies ist daher besonders wichtig, da Untersuchungen gezeigt haben, dass die effektive Wärmeleitfähigkeit von Wärme-dämmstoffen unter Feuchteeinfluss bei hohen Temperaturen (60° - 80°) um bis zu fünf mal höher sein kann als der Bemessungswert nach DIN 4108 (Ochs et al, 2006). Abbildung 2.4 zeigt beispielhaft den Wandaufbau für einen Erdbecken-Wärmespeicher. Die Mehrzahl der bisher realisierten großen Behälter-Wärmespeicher wurde aus Platzund/ oder architektonischen Gründen ganz oder partiell In den Untergrund gebaut. Die Kosten für die Erd- und Spezialtiefbaumaßnahmen können hierbei die Kosten für den eigentlichen Speicherbau überschreiten und in ungünstigen Fällen sogar mehr als 60% der Gesamtkosten ausmachen (Ochs et al., 2006). 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 221 Saisonale Erdwärmespeicher - Forschungsprojekt oder Standardlösung? Abb. 2.4: Beispiel für den Wandaufbau und die Wärmedämmung bei einem Erdbecken-Wärme-speicher (Ochs, 2013) 2.2 Kies/ Wasser-Wärmespeicher Bei Kies/ Wasser-Wärmespeichern wird als Speichermedium ein Gemisch aus Kies, Sand oder Erde und Wasser verwendet. Das Speichermedium befindet sich in einem Erdbecken bzw. einer Grube. Die Grube wird durch Kunststoffbahnen wasser- und wasserdampfdicht ausgekleidet und dann mit Kies, Sand oder Erde bzw. einer Kombination aus diesen Materialien sowie Wasser gefüllt. Die Be- und Entladung des Wärmespeichers erfolgt direkt, z. B. mit Brunnenpaaren bzw. perforierten Rohren, oder indirekt, z. B. mit Rohr-schlangen im Speicherinneren, die als Wärmeüber-träger dienen (Marx et al., 2011). Kies/ Wasser-Wärmespeicher sind durch die Kiesfüllung druckstabil. Es ist daher keine tragende Deckenkonstruktion erforderlich, wie bei einem Heißwasser-Wärmespeicher. Das Areal über dem Speicher kann somit genutzt werden. Allerdings ergeben sich durch die Kiesfüllung auch Nachteile, denn die volumenspezifische Wärmekapazität ist kleiner als bei reinem Wasser (nur ca. das 0,5 bis 0,75-fache von reinem Wasser). Um die gleiche Wärmemenge speichern zu können, wie in einem Heißwasser-Wärmespeicher, muss das Speichervolumen aufgrund der geringeren Wärmekapazität des Kies - Wasser - Gemisches im Vergleich zu Wasser, um bis zu 50% vergrößert werden. Ein weiterer Nachteil dieses Speichertyps besteht darin, dass im Falle einer Leckage der Dichtungsbahnen der Wärmespeicher nicht bzw. nur unter großem Aufwand repariert werden kann. Wie die Heißwasser-Wärmespeicher, so können auch Kies/ Wasser-Wärmespeicher bei sehr hohen Temperaturen betrieben werden, d.h. in Abhängigkeit von der Temperaturstandfestigkeit der inneren Abdichtung, bis zu Maximaltemperaturen von ca. 90 °C. Bei der Mehrzahl der bisher ausgeführten Pilotanlagen zur solar unterstützten Nahwärmeversorgung mit vergrabenen Langzeit-Wärmespeichern (Heißwasser-Wärmespeicher und Kies/ Wasser-Wärmespeicher) sind die Wärmeverluste höher als bei der Planung berechnet. Ursachen hierfür sind (Ochs, 2013): - Wärmeverluste durch veränderte Temperaturverläufe aufgrund geänderter Lasten oder Systemkonfigurationen gegenüber dem Planungsstand. - Geringere Temperaturschichtung als ursprünglich angenommen. - Höhere Wärmeverluste im meist ungedämmten Bodenbereich aufgrund höherer Rücklauf- und somit Speicherbodentemperaturen. - Die Wärmeleitfähigkeit der eingesetzten Wärmedämmung wurde bei bisherigen Aus-legungen als konstant angenommen. Neuere Untersuchungen haben aufgezeigt, dass sich die Wärmeleitfähigkeit der Wärmedämmung signifikant mit zunehmendem Wassergehalt der Wärmedämmung erhöht. Der Effekt ist bei hohen Temperaturen (ab 40 °C) noch ausgeprägter. - Die Qualität der Wandaufbauten ist teilweise unzureichend ausgeführt. International sind über 30 Projekte dokumentiert, wobei sich die Mehrzahl in Europa und dort in Deutschland und in den skandinavischen Ländern befinden (Ochs, 2013). 2.3 Aquifer-Wärmespeicher Beim Aquifer-Wärmespeicher werden, wie der Name schon sagt, grundwasserführende Schichten genutzt. Zum Betrieb eines Aquifer-Wärmespeichers müssen daher geeignete geologische und hydrogeologische Bedingungen vorhanden sein. Hierzu gehört eine ausreichende Ergiebigkeit des Grundwasserleiters, ein Durchlässigkeitsbeiwert kf von mindestens 10-5 m/ s, eine gute Dichtheit der begrenzenden Schichten und eine sehr geringe Fließgeschwindigkeit im Grundwasserleiter. Da Aquifer-Wärmespeicher nicht wie Behälter-Wärme-speicher isoliert werden können, spielen bei diesem Speichertyp auch die geothermischen Bedingungen eine Rolle. In unseren Breiten werden die obersten 10 bis 20 m des Untergrunds durch das jahreszeitliche Klima beeinflusst, d.h. sie unterliegen einer jahreszeitlichen Temperaturschwankung (vgl. Abb. 2.5). Unterhalb dieser Zone liegt die Temperatur bei ca. 10°C und steigt dann mit zunehmender Tiefe an. Die als geothermische Tiefenstufe bezeichnete Temperaturzunahme mit der Tiefe beträgt im Normalfall 3°C pro 100 m. In Deutschland werden geothermische Einrichtungen als oberflächennah bezeichnet, wenn sie sich oberhalb einer Tiefe von 400 m befinden. Daraus ergibt sich für oberflächennahe Aquifer-Wärmespeicher ohne Wärmeeinspeisung oder hydrothermalen Einfluß eine maximal mögliche nutzbare Temperatur von ca. 20°C. Für eine Direktheizung mit etwa 60°C müsste der Aquifer folglich in einer Tiefe von ca. 2000 m liegen. 222 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Saisonale Erdwärmespeicher - Forschungsprojekt oder Standardlösung? Abb. 2.5: Beispiel für den jährlichen Temperaturverlauf in einem Boden in unterschiedlichen Tiefen (Williams & Gold, 1976) Speicher, welche auf einem nicht direkt nutzbaren Temperaturniveau betrieben werden, und deshalb immer mittels einer Wärmepumpe entladen werden müssen, werden als Niedertemperaturspeicher bezeichnet. Die Wärmepumpe hebt die gespeicherte Energie auf ein nutzbares Temperaturniveau und benötigt hierfür eine höherwertige Antriebsenergie. Bei einem Aquifer-Wärmespeicher wird über einen oder mehrere Entnahmebrunnen dem Speicher Grundwasser entnommen. Im Sommerbetrieb wird dieses Wasser mittels eines Wärmeüberträgers erwärmt und über einen oder mehrere Schluckbrunnen wieder in den Untergrund eingeleitet. Die Ausspeicherung im Winter erfolgt dann durch eine Umkehrung der Durch-strömungsrichtung (Abb. 2.6). Im Aquifer entsteht um die Brunnen eine Warmbzw. eine Kaltzone. Der Abstand der Brunnen ist so zu wählen, dass kein “thermischer Kurzschluss” entsteht. Abb. 2.6: Betriebsweise eines Aquifer-Wärmespeichers (Sanner, 2004) Der Aquifer-Wärmespeicher stellt einen Eingriff in das Grundwasser dar. Die rechtlichen Grundlagen für Eingriffe in das Grundwasser und dessen Nutzung und damit auch für alle Nutzungen der oberflächennahen Geothermie sind in Baden Württemberg das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) und das Wassergesetz Baden-Württemberg (WG). Als oberster Grundsatz gilt hier, dass Arbeiten zur Erschliessung des Grundwassers zu untersagen sind, wenn mit einer nachteiligen Veränderung des Grundwassers zu rechnen ist. Hieraus ergibt sich für die oberflächennahe Nutzung, dass die maximalen Beladetemperaturen eines Aquifer-Wärme-speichers in der Regel stark begrenzt sind, um die Grundwasserqualität und den Grundwasserchemismus nicht negativ zu beeinflussen. Insbesondere bei Temperaturen oberhalb von etwa 50°C kann es zu bio-logischen und geochemischen Veränderungen des Grundwassers und damit zu Ausfällungen im Grundwasserleiter sowie den Brunnenfiltern kommen. Letzt-endlich kann dies zum Versagen der gesamten Anlage führen. Aus diesen Gründen werden oberflächennahe Aquifer-Wärmespeicher in der Regel in einem kleinen Temperaturintervall ΔT < 15°C, d.h. mit Temperaturen zwischen 5°C und 20°C betrieben. Die Speicherung von Wärme auf einem tiefen Temperaturniveau hat jedoch auch den Vorteil, dass keine grossen Temperaturdifferenzen zur Umgebung entstehen und somit die Wärmeverluste gering sind. Wenn Aquifer-Wärmespeicher mit höheren Temperaturen betrieben werden sollen, erfolgt dies in größeren Tiefen und in Aquiferen, für die keine anderweitige Grundwassernutzung vorgesehen ist. Für die Nutzung von tiefliegenden Aquiferen als Aquifer-Wärme-speicher ist zudem zu beachten, dass für die Durchführung von Bohrungen mit Teufen von mehr als 100 m eine bergrechtliche Freigabe nach dem Bundesberg-gesetz (BBergG) erforderlich ist. Für den Nahwärmeverbund der Parlamentsgebäude im Spreebogen in Berlin wurden zwei separate Aquifere als Aquiferspeicher erschlossen (Abb. 2.7). Ein in einer Tiefe von ca. 60 m liegender Aquifer dient dabei als Kältespeicher. Ein zweiter, in ca. 320 m Tiefe gelegener Aquifer dient als Wärmespeicher (Sanner et al., 2005). Abb. 2.7: Lage der Aquifer-Wärmespeicher (ATES) unter dem Reichstagsgebäude in Berlin (Sanner et al., 2005) Mit Aquiferspeichern können große Speichervolumina zu relative geringen Kosten erschlossen werden. Allerdings sind vor der Realisation sehr aufwändige geologische und hydrogeologische Abklärungen durch-zuführen. Die Investitionskosten für solche Speicher ergeben sich daher hauptsächlich aus den Kosten für die Erkundung des Untergrundes. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 223 Saisonale Erdwärmespeicher - Forschungsprojekt oder Standardlösung? 2.4 Erdwärmesonden bzw. Erdsondenfelder Im Gegensatz zu Aquifer-Wärmespeichern sind Erdwärmesonden oder Erdsonden Teil eines geschlossenen Kreislaufsystems, d.h. das Wärmeträgermedium hat hier keinen direkten Kontakt zum Untergrund. Über Rohrleitungen in einer Bohrung wird das Wärme-trägermedium in den Untergrund geführt, nimmt dabei Wärme auf oder gibt sie an den Untergrund ab und wird dann zur weiteren Nutzung wieder zurück zur Oberfläche geführt. Erdwärmesonden (EWS) werden in der Regel als U-Rohr-EWS, Doppel-U-Rohr-EWS oder als EWS mit einem Koaxialrohr ausgeführt (Abb. 2.8). Abb. 2.8: Typische Erdwärmesonden: a) einfache U-Rohr-EWS; b) Doppel-U-Rohr-EWS; c) EWS mit Koaxialrohr Neben den in Abb. 2.8 dargestellten Standardgeometrien wurden auch komplexere Geometrien entwickelt, um einen höheren Wirkungsgrad zu erzielen. Das Ziel ist dabei meist durch eine größere Kontaktfläche den Wärmestrom zu erhöhen. So wurde z.B. der Wirkungs-grad von Multi-U-Rohr-Sonden untersucht. Die Wär-mestromrate in einer Sonde mit 3 U-Rohren wies dabei gegenüber einer einfachen U-Rohr-Sonde eine um ca. 25% höhere Wärmetransferrate auf. Eine weitere Erhöhung der Anzahl der U-Rohre in einer Sonde führte jedoch zu keiner wesentlichen Steigerung mehr (vgl. Zhao et al., 2016). Liu et al. (2015) schlagen als Weiterentwicklung der U-Rohr-Sonden eine EWS mit 3 Rohren für den Zufluss in die Bohrung und einem Rohr mit vergrößertem Querschnitt für den Rückfluss vor (Abb. 2.9). Der thermische Bohrlochwiderstand der neuen I3-Typ-EWS war im Experiment 15.8% bzw. 31.1 % geringer als bei einer Doppel-U-Rohr-EWS bzw. bei einer einfachen U-Rohr-EWS. Ljungqvist et al. (2013) entwickelten einen Sondenkollektor der als TIL-GHEX-Sonde bezeichnet wird (Thermal Insulated Leg - Ground Heat Exchanger). Der TIL-GHEX-Kollektor besteht aus einem thermisch isolierten Rohr mit einem Durchmesser von 40 mm in der Mitte, welches von 6 bis 12 Rohren mit einem kleineren Durchmesser von 16 mm umgeben ist (Abb. 2.10). Abb. 2.9: I3-Typ-EWS nach Liu et al. (2015) mit 3 Rohren für den Zufluss in die Sonde und einem Rohr mit vergrößertem Querschnitt für den Rückfluss Abb. 2.10: Uponor TIL-GHEX- Kollektor (Ljungqvist et al., 2013) 224 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Saisonale Erdwärmespeicher - Forschungsprojekt oder Standardlösung? Ljungqvist et al. (2013) geben an, dass durch diese Anordnung der Rohre der thermische Bohrloch-widerstand signifikant reduziert und damit die Wärme-transferrate erhöht wird. Die Kosten für den Kollektor seien zwar höher als bei einer einfachen U-Rohr-Sonde, aber durch den neuen Sondentyp könnten die Bohrungen bis zu 50% kürzer ausgeführt werden, so dass die Kosten für die EWS insgesamt geringer ausfallen würden als bei einer U-Sonde. Eine ähnliche Struktur mit einem Zentralrohr und mehreren koaxial angeordneten Aussenrohren weist der von Wagner (2017) als Ringrohrsonde bezeichnete Sondentyp auf (Abb. 2.11). Die Aussenrohre sind auf der Aussenseite eines schwach durchlässigen Gewebe-schlauchs befestigt. Das Rohrbündel wird mit dem Gewebeschlauch zusammengefaltet und in die Bohrung verbracht. Im Anschluss wird der Gewebeschlauch von unten nach oben verfüllt. Durch das Verfüllen des Gewebeschlauchs werden die Aussenrohre zur Bohr-lochwandung hin verschoben und es ergibt sich so zum einen eine größere Kontaktfläche für den Wärmestrom und zum anderen ein vergleichsweise großer Abstand zum Zentralrohr. Abb. 2.11: Schnitt durch eine Muster-Ringrohrsonde (Wagner, 2017) Die Gesamtkosten für die Ringrohrsonde sollen in etwa gleich hoch sein wie bei einer Doppel-U-Rohr-Sonde. Die um bis zu 3-fach höheren Material- und Herstellungskosten für den Kollektor der Ringrohrsonde sollen durch die geringeren Verfüllkosten annähernd ausgeglichen werden. Als maximale Sondenlänge wird von Wagner (2017) eine Teufe von 150 m angegeben. In der Literatur werden auch Koaxialrohre mit komplexer Geometrie beschrieben (vgl. Abb. 2.12). Bei der Aufteilung des äusseren Ringraums dieser Sonden geht es darum, neben einem höheren Wärmeaustausch durch eine größere Fläche, auch eine turbulente Strömung in den kleineren Rohrsegmenten zu erzielen. Durch die unmittelbare Nähe von Innenrohr und Aussenrohr-segmenten ist eine thermische Isolierung des Innenrohrs von Vorteil. Abb.2.12: Beispiele für Koaxialrohre mit komplexem Querschnitt (Bild links aus Urchueguía et al., 2019; Bild rechts aus Acuna & Palm, 2010) Die Geothex-Koaxialsonde ist ein weiterer komplexer Sondentyp. Sie besteht aus einem thermisch isolierten Innenrohr. und einem Aussenrohr, in dem spiralförmig verlaufende Rippen angeordnet sind (Abb. 2.13). Durch diese Konstruktion ergibt sich nach Witte (2012) ein sehr kleiner thermischer Widerstand der Sonde und zwar auch dann, wenn laminare Strömung in der Sonde auftritt. Zudem wird angegeben, dass bei einer Durchflußmenge von ca. 0.5 m3/ Stunde die Druckverluste in der Sonde vergleichbar sind mit den Werten einer U-Rohr-Sonde. Abb. 2.13: Geothex-Koaxialsonde mit thermisch isoliertem Innenerohr und spiralförmig verlaufenden Rippen im Aussenrohr (Quelle: Geothex BV) (Witte, 2012) Allen Sonden-Bauarten ist gemein, dass sie üblicherweise in senkrecht erstellten Bohrungen ausgeführt werden und daher der Platzbedarf an der Geländeoberfläche gering ist. Dafür reichen die Sonden jedoch bis in erhebliche Tiefen von z.T. mehreren hundert Metern, d.h. die Bohrungen müssen in der Regel mehrere geo-logische Schichten und eventuell auch mehrere Grundwasserleiter durchfahren. Dies birgt jedoch auch immer die Gefahr von Kurzschlüssen zwischen Grundwasserleitern, zum einen schon durch den Bohrvorgang selbst und zum anderen durch eine unvollständige Verfüllung der EWS. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 225 Saisonale Erdwärmespeicher - Forschungsprojekt oder Standardlösung? Aufgrund von Schadensfällen durch EWS-Bohrungen in der Vergangenheit (Staufen, Kamen, Böblingen, etc.) und den damit verbundenen Irritationen über die Sicherheit der oberflächennahen Geothermie, wurden in Baden-Württemberg Leitlinien zur Qualitätssicherung bei Erdwärmesonden erlassen (LQS EWS, 2018). Diese Leitlinien sind auch Teil des Verfahrens zur wasserrechtlichen Erlaubnis bei der unteren Wasser-behörde. In den LQS EWS sind unter anderem Vorgaben zu folgenden Punkten festgelegt: - Zertifizierung des Bohrunternehmens und Qualifikation des Bohrpersonals, - Haftpflichtversicherung der Bohrfirma mit einer Deckungssumme von mindestens 8 Millionen Euro, - Mindestabstand zur Grundstücksgrenze, - Dokumentation der EWS-Bohrung, - Eigenschaften und Verarbeitung der Baustoffe sowie deren Prüfung, - Sondeneinbau und Abdichtung. Zum Bohrdurchmesser vermerken die Leitlinien, dass der Bohrdurchmesser so zu wählen ist, dass das Sondenbündel einschließlich des erforderlichen Abdichtungs- und Überwachungsequipments problemlos eingebracht und der verbleibende Ringraum vollständig abgedichtet werden kann. Bei EWS-Bohrungen, die Gips- oder Anhydritzonen erreichen können, legen die Leitlinien fest, dass die Bohrung beim Antreffen des Gipsspiegels abzubrechen ist. Für einen Langzeit-Wärmespeicher bzw. einen saisonalen Wärme- und Kältespeicher sind mehrere EWS notwendig. Ab einer Mindestanzahl von 5 EWS und einer Heizleistung von mehr als 30 kW spricht man von einem Sondenfeld (LQS EWS, 2018). Sonden-felder können aus einer sehr großen Anzahl von EWS bestehen (> 100). Sie können dann ganze Häusergruppen oder große Gebäude wie Mehrfamilienhäuser, Industrie- und Verwaltungsgebäude, Hotels, Mehrzweckgebäude usw. Beheizen bzw. Kühlen. Durch ein Sondenfeld kann ein sehr großer “Boden-körper” als Speichermedium aktiviert werden. Wie bei einem Aquifer-Speicher, so gibt es auch bei einem Sondenfeld keine thermische Isolierung nach aussen, d.h. wenn ein solcher Speicher aufgeladen wird auf Temperaturen, die oberhalb des natürlichen Temperaturniveaus liegen, findet ein Wärmetransport in das Umfeld des Speichers statt. Im Gegensatz zu Aquiferspeichern, bei denen der Wäremtransport konvektiv über das Wasser stattfindet, erfolgt der Wärmetransport im Untergrund in der ungesättigten Zone über Wärme-leitung. Dieser Prozeß erfolgt sehr viel langsamer und ist vom Temperaturgradient abhängig. Generell läßt sich bei den Sondenfeldern, ähnlich wie bei den Heißwasser- und Kies/ Wasser-Speichern, die Aussage treffen, dass das Verhältnis von Oberfläche zu Volumen des Speichers möglichst klein gewählt werden sollte, d.h. eine Anordnung der Sonden in einer Kreis-fläche ist einer Anordnung in einer rechteckigen Fläche vorzuziehen und der Durchmesser des Sondenfeldes sollte im Idealfall dabei etwas kleiner sein als die Bohrtiefe. Die einzelnen EWS eines Sondenfeldes beeinflussen sich auch gegenseitig. Die Anzahl, Anordnung und der Abstand der EWS zueinander sind daher sowohl für den Nutzungsgrad des Sondenfeldes als auch für das Langzeitverhalten von großer Bedeutung. Der gegenseitige thermische Einfluß zwischen einzelnen EWS in einem Sondenfeld ist zunächst bei Inbetriebnahme noch sehr gering, nimmt mit der Zeit aber immer stärker zu. Andererseits nimmt der thermische Einfluss einer EWS auf ihre Nachbarsonden mit zunehmendem Abstand zwischen den Bohrungen ab und wird vernachlässigbar, wenn der Abstand der Sonden größer als die Tiefe der Bohrungen ist (Pesl et al. 2008). Bei einem Sondenfeld, welches als saisonaler Speicher genutzt wird, wird der Abstand der einzelnen EWS durch die Zeitdauer von Laden und Entladen, die physikalischen Eigenschaften des Untergrundes (Wärmekapazität, Wärmeleitfähigkeit) sowie die bei der Auslegung ermittelte Sondendichte bestimmt. Ein stationärer Zustand wird dabei in der Regel nicht erreicht. Auch bautechnische Aspekte sowie die Form und Größe des zur Verfügung stehenden Grundstücks beeinflussen die Auslegung eines Sondenfeldes. Für Sondenfelder, die im Niedertemperaturbetrieb gefahren werden, wird in der VDI 4640, Blatt 3 (2001) noch ein Sondenabstand im Bereich von 2 bis 5 m als typisch angesehen. Das Bayerische Landesamt für Umwelt (BLU) gibt hingegen an, dass der Abstand der Sonden untereinander mindestens 6 m, besser 10 m betragen sollte (2013). Auch der Leitfaden zur Nutzung von Erdwärme mit Erdwärmesonden in Baden-Württemberg (LQS EWS, 2018) sieht in der Regel einen Sondenabstand von 10 m vor. Handregeln, wie diejenige von Eskilson (1987), die einen Abstand von mindestens halber Sondenlänge angibt, überbewerten, insbesondere bei EWS über 100 m, hingegen den Platzbedarf und schränken die Verwendbarkeit der Technologie unangemessen ein. Bei größeren Sondenfeldern erfolgt die Auslegung des Sondenfeldes, d.h. die Festlegung der Sondenabstände und Sondentiefen heute in der Regel mit Hilfe von Simulationsprogrammen (vgl. z.B. Huber & Pahud, 1999; Sauer et al., 2008; Bayer et al., 2014; Schulte et al., 2016). Ist die Wärmeleitfähigkeit des Untergrunds bekannt, so lassen sich so sehr viel genauere Angaben zur Auslegung von Erdwärmesondenfeldern machen. Für die Errichtung und den Betrieb von Erdwärme-sondenanlagen sind die gleichen rechtlichen Rahmen-bedingugnen einzuhalten wie bei den Aquifer-Speichern, d.h. das Wasserhaushaltsgesetz (WHG), in Baden-Württemberg das Wassergesetz für Baden-Württemberg (WG) sowie das Bundesberggesetz (BBergG). Schädliche Veränderungen der physika-lischen, chemischen oder biologischen Beschaffenheit des Wassers und des Untergrunds durch den Betrieb von Erdsonden sind zu vermeiden. In Wasserschutzgebieten ist der Bau und Betrieb von Erdwärmesonden in der Regel verboten. 226 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Saisonale Erdwärmespeicher - Forschungsprojekt oder Standardlösung? 3. Wärmetransport, thermischer Bohrlochwiderstand und Einflussgrößen Der Wärmetransport zu und in einer Erdwärmesonde lässt sich in zwei Phasen unterteilen - den Wärmetransport im ungestörten Untergrund und - den Wärmetransport von der Bohrlochwandung bis zum Wärmeträgerfluid im Sondenrohr. Der Wärmetransport im Boden in der ungesättigten Zone wird im Wesentlichen durch zwei Parameter, die Wärmeleitfähigkeit des Bodens und den Wassergehalt im Boden bestimmt. Der Wärmetransport von der Bohrlochwand in das Wärmeträgerfluid im Sondenrohr wird bestimmt durch die thermischen Eigenschaften des Verfüllmaterials, des Sondenrohrmaterials sowie der Sondengeometrie, d.h. Anordnung des Sondenrohrs bzw. der Sondenrohre im Bohrloch, sowie der Gestaltung der Sondenrohre. Diese Größen ergeben zusammen mit der Strömungsart (laminar oder turbulent) den thermischen Bohrloch-widerstand der Sonde. Um die Wärmetransportrate einer EWS zu erhöhen ohne gleichzeitig die Tempera-turdifferenz zwischen Untergund und Wärmeträgerfluid zu erhöhen, ergeben sich somit drei grundsätzliche Vorgehensweisen: 1. Der konvektive Wärmetransport im Wärme-trägerfluid im Sondenrohr wird erhöht. Dies lässt sich durch eine Veränderung des Strömungsregimes von laminar zu turbulent erreichen. 2. Die Wärmeverluste zwischen Zufluss- und Abfluss-Sondenrohr werden reduziert, d.h. ein thermischer Kurzschluss wird weitgehend verhindert. 3. Die Verwendung eines Verfüllmaterials mit hoher Wärmeleitfähigkeit. Dies führt zu einem besseren Wärmetransport zwischen Sondenrohr und Bohrlochwand. Für Nicht-Koaxialsonden, wie einfache U-Rohr-EWS und Doppel-U-Rohr-EWS führen die Forderungen 2 und 3 jedoch zu einem Widerspruch, den die Verwendung eines Verfüllmaterials mit hoher Wärmeleitfähigkeit führt bei diesem Sondentyp gleichzeitig auch zu einem höheren Wärmestrom zwischen Zufluss- und Abfluss-Sondenrohr (Abb. 3.1). Gesteinstyp Wärmeleitfähigkeit λ [W/ (m*K)] spez. Wärmekapazität ρc [MJ/ (m3 * K)] Dichte ρ [1000 * kg/ m3] Wertebereich empfohlener Rechenwert Wertebereich empfohlener Rechenwert Ton, trocken 0.4 - 1.0 0.6 1.5 - 1.6 1.5 1.8 - 2.0 Ton, wassergesättigt 0.9 - 2.3 1.4 2.0 - 2.8 2.3 2.0 - 2.2 Sand, trocken 0.3 - 0.8 0.5 1.3 - 1.6 1.4 1.8 - 2.2 Sand, wassergesättigt 1.5 - 4.0 2.3 2.2 - 2.8 2.4 1.9 - 2.3 Kies/ Steine, trocken 0.4 - 0.5 0.4 1.3 - 1.6 1.4 1.8 - 2.2 Kies/ Steine, wassergesättigt 1.6 - 2.0 1.7 2.2 - 2.6 2.3 1.9 - 2.3 Moräne fest gelagert 1.7 - 2.4 1.8 1.5 - 2.5 2.0 1.9 - 2.5 Torf 0.2 - 0.7 0.4 0.5 - 3.8 1.6 0.5 - 0.8 Tabelle 3.1: Bodenkennwerte gemäß Schweizer Norm SIA 384/ 6 für Lockergestein Abb. 3.1: Temperaturfeld um eine Doppel-U-Rohr-Sonde in einem horizontalen Schnitt, Rohrdurch-messer: 32 mm, Bohrlochdurchmesser: 115 mm, Wärmeleitfähigkeiten: Verfüllmaterial 1 W/ (m*K), Untergrund 2 W/ (m*K), Wärmeeintrag: 50 W/ m Bohrlochstrecke (Hellström, 1998) 3.1 Wärmeleitfähigkeit des Untergrunds Die Wärmeleitfähigkeit oder thermische Leitfähigkeit, λ [W/ (m*K)], beschreibt die Fähigkeit eines Materials zum Energietransport durch Wärmeleitung. Bei einem porösen Material, wie einem Lockergestein, hängt die Wärmeleitfähigkeit von der Wärmeleitfähigkeit des Feststoffes (λs), der Porosität (Φ) und dem Sättigungsgrad (Sr) ab. In Tabelle 3.1 sind Werte für die Wärmeleitfähigkeit verschiedener Lockergesteine zusammengefasst. Die Wärmeleitfähigkeit l eines Bodens nimmt mit zunehmendem Sättigungsgrad zu (Bild 3.2). Es lassen sich grob 3 Phasen unterscheiden. Wenn der Sättigungsgrad sehr gering ist, findet zunächst allenfalls eine Benetzung der Kornoberflächen statt und die Wärmeleitung erfolgt über die Korn-zu-Korn-Kontakte (Bild 3.3, links). Mit zunehmendem Sättigungsgrad entstehen Flüssigkeitsbrücken an den Korn-zu-Korn-Kontakten, d.h. die Fläche über die eine Wärmeleitung erfolgen kann, nimmt zu und damit auch die thermische Leitfähigkeit (Bild 3.3, Mitte). 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 227 Saisonale Erdwärmespeicher - Forschungsprojekt oder Standardlösung? Schliesslich sind die Porenräume weitgehend mit Flüssigkeit gefüllt und es findet keine weitere Erhöhung der thermischen Leitfähigkeit mehr statt (Bild 3.3, rechts). Daraus ergibt sich, dass sowohl eindringendes Wasser als auch Austrocknungsvorgänge (z.B. durch Erhöhung der Temperatur) zu einer Veränderung der Wärmeleitfähigkeit führen. Abb. 3.2: Zusammenhang zwischen Wärmeleitfähigkeit und Sättigungsgrad eines Kieses nach Fricke et al. (1992). Die obere und untere Kurve repräsentieren die Grenzkurven für die Messdaten, die mittlere Kurve entspricht dem Mittelwert der Messdaten. Abb. 3.3: Sättigungsphasen eines granularen Stoffs: a) die Flüssigkeit benetzt lediglich die Partikel, b) es bilden sich Flüssigkeitsbrücken an den Korn-zu-Korn- Kontakten, c) die Flüssigkeit füllt den Porenraum weitgehend aus (Fricke et al.; 1992) Durch ein hohes Wärmetransportvermögen des Untergrunds kann die Wärme besonders gut zu den Sonden gelangen bzw. von dort in den Untergrund abgeführt werden. Andererseits bedeutet ein hohes Wärmetrans-portvermögen gleichzeitig auch größere Wärmebzw. Kälteverluste des Speichers an seine Umgebung. 3.2 Thermischer Bohrlochwiderstand Der thermische Bohrlochwiderstand gibt den Temperaturverlust beim Übergang von Wärme aus dem Gebirge auf das Wärmeträgermedium oder umgekehrt an. Zur mathematischen Beschreibung des Bohrlochwider-stands kann nach Eskilson & Claesson (1987) unter Annahme stationärer Bedingungen der horizontale, auf Konvektion und Wärmeleitung basierende Wärme-transport im Bohrloch mit Hilfe einer Dreieckschaltung thermischer Widerstände, auch als Δ-Modell bezeichnet, beschrieben werden. Bauer (2011) hat in seiner Dissertation zweidimensionale Widerstands-Kapazitäts-Modelle (WKM) für Erdwärmesonden entwickelt, welche die hohe Genauigkeit bei stationären Berechnungen und die Flexibilität des Δ-Modells mit den transienten Fähigkeiten eines WKM vereinen. In Abb. 3.4 sind diese Modelle für eine EWS mit einem Koaxialrohr, eine einfache U-Rohr-EWS sowie eine Doppel-U-Rohr-EWS dargestellt. Abb. 3.4: Horizontale Querschnitte und zugehörige Widerstands-Kapazitäts-Modelle für Koaxialsonde, einfache U-Rohr-EWS und Doppel-U-Rohr-EWS; Ti: Fluidtemperatur; Tgi: Temperatur des Füllmaterials; Tb: Temperatur der Bohrlochwand; Cg: Thermische Kapazität; Rii: Thermischer Widerstand (Bauer, 2011) Abb. 3.4 zeigt die Anordnungen der Sondenrohre, wie sie üblicherweise den Berechnungsmodellen bei solchen Sonden zugrunde gelegt werden. Versuche, die am Steinbeis Forschungsinstitut für solare und zu-kunftsfähige thermische Energiesysteme ausgeführt wurden, haben jedoch gezeigt, dass die tatsächliche Anordnung der Sondenrohre in einer Bohrung bei Doppel-U-Rohr-EWS von der für die Bemessung angenommenen Position der Sondenrohre signifikant abweichen kann und dies selbst dann, wenn Abstandhalter in einem Abstand von nur 1 m eingebaut wurden (Riegger et al., 2013, Abb. 3.5). Von Acuna & Palm (2010) wurden numerische Berechnungen zum thermischen Bohrlochwiderstand für eine einfache U-Rohr-EWS und eine komplexe Koaxialsonde vorgestellt. Abb. 3.6 zeigt den Einfluss der Position der Sondenrohre auf den thermischen Bohrlochwiderstand. 228 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Saisonale Erdwärmespeicher - Forschungsprojekt oder Standardlösung? Abb. 3.5: Querschnittsbilder einer Doppel-U-Rohr-EWS mit Abstandshaltern in einem Tiefenbereich, in dem die Abstandshalter in einem Abstand von nur 1 m eingebaut waren. Die beiden Bilder machen deutlich, wie stark sich die Positionen der Sondenrohre im Bohrloch bereits innerhalb eines Meters ändern können (Riegger et al., 2013). Abb. 3.6: Vergleich der aus numerischen Berechnungen ermittelten thermischen Bohrlochwiderstände für eine einfache U-Rohr-EWS und eine komplexe Koaxialsonde in Abhängigkeit von der Lage der Sondenrohre im Bohrloch (Acuna & Palm, 2010) Die Sondenrohre werden beim Einbau in das Bohrloch von einer Rolle bzw. Haspel in das Bohrloch abgelassen. Die Aufwicklung auf eine Rolle führt jedoch zu Krümmungen beim Sondenrohr, die beim Abrollen und Einbringen des Sondenrohrs in die Bohrung nicht vollständig rückgängig gemacht werden können. Die Versuche am Steinbeis Forschungsinstitut für solare und zukunftsfähige thermische Energiesysteme haben aufgezeigt, dass eine Zentrierung der Sondenrohre im Bohrloch trotz Abstandhaltern oder Zentriehilfen nicht erfolgte. 3.3 Rohrströmung Ein wesentlicher Faktor für eine optimale Wärmeübertragung vom Erdreich auf das Wärmeträgerfluid ist die Strömungsgeschwindigkeit des Wärmeträgerfluids im Sondenrohr. Die Strömungsgeschwindigkeit sollte bei minimaler Pumpenleistung noch zu einer turbulenten Strömung im Rohr führen. Bei einer laminaren Rohr-strömung verlaufen die Stromlinien parallel. Die Strömungsgeschwindigkeit ist in der Mitte des Rohrs am grössten und nimmt zum Rand hin parabelförmig ab. Da sich die geringste Strömungsgeschwindigkeit im Bereich der Rohrinnenfläche befindet und bei einer laminaren Strömung keine Durchmischung stattfindet, findet auch nur ein vergleichsweise geringer Wärme-austausch zwischen Wärmeträgerfluid und Rohrwand statt. Im Falle einer turbulenten Strömung reduziert sich zwar die maximale Strömungsgeschwindigkeit und es erhöht sich die notwendige Pumpenleistung, dafür findet aber eine Durchmischung des Wärmeträgerfluids durch Wirbelbildung und damit verbunden ein insgesamt höherer Wärmeaustausch statt. Mit Hilfe der dimensionslosen Reynoldszahl Re lässt sich abschätzen, ob eine Strömung laminar oder turbulent verläuft. Sie ist gegeben durch: Dabei ist r die Dichte des Fluids, v die Strömungsgeschwindigkeit, η die dynamische Viskosität des Fluids und l eine für den betrachteten Strömungsvorgang charakteristische Länge. Im Falle einer Strömung in einem Rohr entspricht l dem Rohrdurchmesser. Die Strömungsgeschwindigkeit wird durch Messen der Durchflussmenge pro Zeit bestimmt, d.h. es handelt sich hier um eine mittlere Strömungsgeschwindigkeit. Der sprunghafte Übergang von der laminaren zur turbulenten Rohr-Strömung erfolgt bei etwa Rekrit ≈ 2000. Der genaue Wert der Reynoldszahl für den Übergang von der laminaren zur turbulenten Strömung lässt sich jedoch nur experimentell ermitteln. Auch spielt die Wandrauigkeit für den Umschlag von laminar zu turbulent eine Rolle. Generell kann gesagt werden, dass für Reynoldszahlen kleiner 2000 die Rohrströmung laminar sein wird. Witte (2012) hat Laborversuche an einer U-Rohr-Sonde mit einem Aussendurchmesser von 32 mm und einer Wandstärke von 6 mm durchgeführt. Bei diesen Versuchen wurden sowohl der Strömungszustand und die Reynoldszahl ermittelt als auch der thermische Bohrlochwiderstand gemessen. Für eine laminare Strömung lag die Reynoldszahl unter 1500, für eine turbulente Strömung über 2900. Der gemessene Bohrlochwiderstand war bei der laminaren Strömung um rund 60% höher als bei der turbulenten Strömung. Um eine turbulente Strömung auch bei geringen Strömungsgeschwindigkeiten in einer U-Rohr-Sonde zu erhalten, haben Kurevija et al. (2019) Versuche mit einem Sondenrohr durchgeführt, welches auf der Innenseite mit Rippen ausgestattet ist (Abb. 3.7). Mit diesem als TurboCollectorTM bezeichneten Sondenrohr in einer einfachen U-Rohr-EWS konnte im Vergleich zu einer Doppel-U-Rohr-EWS mit glatter Rohrwand der thermische Widerstand reduziert und der Wärmeertrag um 6.5% gesteigert werden. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 229 Saisonale Erdwärmespeicher - Forschungsprojekt oder Standardlösung? Abb.3.7: Sondenrohr TurboCollectorTM mit Rippen auf der Innenseite (Kurevija et al., 2019) Im direkten Vergleich zweier Doppel-U-Rohr-EWS, einmal mit glatter Innenwand und einmal mit der gerippten Innenwand des TurboCollectorTM, betrug der Unterschied beim Wärmeertrag sogar 18.7%. Raymond et al. (2015) haben aufgezeigt, dass bei einer Koaxialsonde eine Erhöhung der Durchflussmenge und dem damit verbundenen Umschlag der Strömung von laminar zu turbulent im Ringraum der Sonde, dazu führen kann, dass sich der thermische Bohrloch-widerstand um bis zu 32% reduziert und sich die Leistung der EWS dadurch entsprechend erhöht (Abb. 3.8). Abb. 3.8: Änderung des Bohrlochwiderstands mit der Durchflussmenge für zwei Koaxialsondenquerschnitte, der Knick in den Kurven erfolgt durch den Umschlag der Strömung von laminar zu turbulent im Ringraum der Sonden (Raymond et al., 2015) Als Wärmeträgerfluid wird bei EWS häufig Wasser eingesetzt, da es im Falle einer Havarie der Anlage damit zu keinen Umweltschäden kommt. Ausserhalb von Wasserschutzgebieten wird in Baden-Württemberg der Einsatz von Glykol in einer wässrigen Lösung bis zu einem Anteil von 25 % als vertretbar eingestuft, wenn eine dauerhaft schädliche Veränderung des Grundwassers durch zusätzliche Schutzvorkehrungen zur Begrenzung von Leckagemengen vermieden wird. Generell dürfen in Wärmeträgerfluiden keine biologisch schwer abbaubaren Stoffe, keine chlorierten Verbindungen und keine Schwermetallsalze als Zusatzstoffe (z. B. als Korrosionsinhibitor) verwendet werden. Reines Wasser als Wärmeträgerfluid in der EWS kann eine Verlängerung der EWS um bis zu 50% notwendig machen. Mit einem thermisch verbesserten Verfüllmaterial kann diese Mehrlänge jedoch wieder reduziert werden. Dies führt zwar zu höheren Baukosten, aber der Betrieb mit reinem Wasser ist effizienter und lohnt sich über die Gesamtlebensdauer gesehen. 3.4 Rohrmaterial Als Werkstoff für die Sondenrohre wird in der Regel Polyethylen (PE) eingesetzt. Die Rohre müssen den auftretenden Systemdrücken (Differenz zwischen Innen und Aussendruck der EWS) standhalten, korrosions-beständig sein und gute Schweisseigenschaften auf-weisen (vgl. z.B. AWP-T1, 2007). Für den Werkstoff PE100- RC wird von verschiedenen Herstellern eine Wärmeleitfähigkeit von l = 0,40 W/ (m*K) bei 20° C angegeben. Die minimal zulässige Temperatur solcher Rohre liegt bei -20° C, die maximal zulässige Temperatur bei 40° C. Für höhere Temperaturen können Sondenrohre aus Polybutylen eingesetzt werden. Bei sehr hohen Temperaturen und grossen Tiefen bleibt lediglich der Einbau von Metall-Verrohrungen. Tiefe Koaxialsonden sind nur mit Metall-Verrohrungen herstellbar. Bei diesen Verrohrungen ist das Problem der Hinterfüllung nur schwer zu lösen. Eine fehlerhafte oder gar fehlende Hinterfüllung führt jedoch zu grossen, thermischen Kontaktwiderständen, wodurch nur relativ bescheidene Quellentemperaturen realisierbar sind (Huber, 2005). 3.5 Verfüllmaterial Der Hohlraum zwischen Sondenrohr und Bohrloch-wand muss vollständig und lückenlos verfüllt werden. Nicht vollständig verfüllte EWS erbringen die erwartete Entzugsleistung nicht und die erforderliche Heizleistung der Wärmepumpe bei Niedertemperatursystemen wird dann nicht mehr erreicht. In der Schweiz wurde bei Stichprobenkontrollen bei der Ausführung von EWS festgestellt, dass bei angekündigten Kontrollen 15% der Bohrungen Mängel an der Hinterfüllung aufwiesen. Bei nichtangekündigten Kontrol- 230 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Saisonale Erdwärmespeicher - Forschungsprojekt oder Standardlösung? len betrug der Anteil der Bohrungen mit Mänglen an der Hinterfüllung sogar 38%. Bis zu einer Tiefe von 150 m gilt die Realisierung von EWS im Allgemeinen als problemlos, dafür nehmen die Schwierig-keiten ab Tiefen von 250 m deutlich zu (Hess et al., 2016). Die im Zusammenhang mit Erdwärmesonden aufge-tretenen Schadensfälle haben in Baden-Württemberg zur Entwicklung verschiedener Verfahren für die Qualitätskontrolle sowohl während der Bauphase als auch nach der Installation von Erdwärmesonden geführt (LQS EWS, 2018). Bereits während des taggleichen Hinterfüllvorgangs und nach bereits erfolgter Hinterfüllung muss kontrolliert werden, ob die Hinterfüllung auf der gesamten Länge des Ringraumes der EWS vollständig vorhanden ist. Die vorgeschriebene Überwachung des Hinterfüllvorgangs basiert methodisch entweder auf der Messung des durch die Verfüllung hervorgerufenen Druckanstiegs oder auf der Messung einer Dotierung der Hinterfüllsuspension. Materialien, die für die Hinterfüllung einer EWS ein-gesetzt werden sollen, müssen die folgenden Vorgaben erfüllen: - Die Stabilität der Mischung muss gewährleistet sein, d.h. die Mischung soll genügend thixotrop sein und weder Sedimentation noch Entmischung ermöglichen. - Der Baustoff soll dauerhaft einen Durch-lässigkeitsbeiwert kf ≤ 1x10-9 m/ s erreichen, um die Abdichtung und Wiederherstellung der Trennhorizonte sicherzustellen. Dieser Wert für kf muss auch nach der Frost-Tau-Prüfung vorhanden sein. - Die Angaben des Herstellers zur Dichte der verpressfertigen Suspension sind einzuhalten. Die Mindestdichte der angesetzten Suspension muss 0.3 g/ cm3 größer als die Dichte der ein-gesetzten Bohrspülung sein. Bei Baustellenmischungen muss das spezifische Gewicht der Suspension zwischen 1,1-1,2 g/ cm³ beim Eintritt in das Bohrloch betragen und es muss ein Mischprotokoll erstellt werden. - Die Dauerhaftigkeit, d.h. die Sulfatbeständig-keit in Gebieten mit sulfathaltigem Gestein muss gegeben sein. - Die Umweltverträglichkeit des Baustoffs muss gewährleistet sein, d.h. die Bestandteile der Hinterfüllung dürfen nicht umweltgefährdend sein. Für die Hinterfüllung von EWS wurden bzw. werden verschiedene Baustoffe eingesetzt. Generell lässt sich zwischen werksfertigen Verfüllbaustoffen und Baustellenmischungen unterscheiden: - Zement-Bentonit-Mischungen aus dem Brunnenbau und für Hohlraumabdichtungen (sogenannte „Dämmer“) - Baustellenmischungen aus Zement, Bentonit und Quarzsand in unterschiedlicher Zusammensetzung - Thermisch verbesserte Fertigprodukte für Erd-wärmesonden Der Wärmeleitfähigkeit eines Baustoffs für die Hinterfüllung einer EWS kommt eine große Bedeutung beim thermischen Bohrlochwiderstand zu. Standardbaustoffe erreichen hier meist keine Wärmeleitfähigkeit deutlich über einem Wert von λ = 0.8 W/ m*K. Mit thermisch optimierten Verfüllmaterialien lassen sich hingegen Wärmeleitfähigkeiten von ca. 2 W/ m*K erzielen. Wie vorstehend bereits ausgeführt erhöht sich bei einfachen U-Rohr-EWS und Doppel-U-Rohr-EWS durch die Verwendung thermisch optimierter Verfüllmaterialien aber auch der Wärmestrom zwischen den Rohrschenkeln (Kurzschlusseffekt, vgl. Abb. 3.1). Um einen optimalen Wärmefluss zwischen Untergrund und Sondenrohr zu erreichen, schlägt die LQS EWS (2018) vor, dass die Wärmeleitfähigkeit des Verfüllmaterials mindestens so hoch sein soll, wie die Wärmeleitfähig-keit des die Sonde umgebenden Untergrunds. Abb. 3.9 zeigt die Verbesserung der thermischen Eigenschaften einer Erdwärmesonde bei Verwendung eines thermisch optimierten Verfüllmaterials mit der doppelt so hohen Wärmeleitfähigkeit, wie der eines Standardbaustoffs mit einem Wert von λ = 0.8 W/ m*K (Ebert et al.; 2000). Abb. 3.9: Auswirkung einer Variation der Wärme-leitfähigkeit λV des Verfüllmaterials auf die Wärme-widerstände für Kurzschluss-Effekt Rk, Übertragung ans Erdreich Ru und separiertes Bohrloch Rs sowie auf die Übertragungsleistung für langfristige (Qu) und kurzfristige (Qu,s) Temperaturänderungen. Es wurde die in Abb. 3.10 dargestellte Sondengeometrie zugrunde gelegt (dB= 150 mm; dR= 32 mm; WR= 3 mm; D=122 mm; außerdem λR =0.4 W/ m*K, αF= 1000 W/ m²K, 1/ αRV = 1/ αVE = 0) (Ebert et al., 2000) 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 231 Saisonale Erdwärmespeicher - Forschungsprojekt oder Standardlösung? Abb. 3.10: Geometrie und Bezeichnungen der von Ebert et al. (2000) untersuchten Doppel-U-Rohr-EWS Durch die Steigerung der Wärmeleitfähigkeit λV redu-ziert sich zwar Rk stärker als Ru, aufgrund der sich einstellenden Temperaturverhältnisse ergab sich trotzdem eine Steigerung der Übertragungsleistung. Diese betrug für den Einsatz der Erdwärmesonden für saisonale Wärmespeicherung (Betrachtung von Qu) immerhin 11%. Bei dem Einsatz von Erdwärmesonden im kurzzeitigen Wechselbetrieb (Betrachtung von Qu,s) oder in thermisch leicht regenerierbarem Erdreich ergab sich sogar eine Steigerung von 26% (Ebert et al., 2000). 3.6 3.6 Einfluss des Bohrlochdurchmessers Von Ebert et al. (2000) wurde zudem eine Parameterstudie zum Einfluss des Bohrlochdurchmessers bei einer EWS durchgeführt. Betrachtet wurden 3 Bohr-lochdurchmesser dB = 120 mm, 150 mm und 220 mm. Es wurde ein einheitlicher Abstand von der Bohrloch-wand von (dB- D)/ 2 = 14 mm gewählt, um einerseits eine problemlose Einbringung der Sondenrohre zu gewährleisten und andererseits einen möglichst großen Abstand der Vor- und Rücklaufrohre zueinander zu erreichen. Die Ergebnisse für die drei Bohrlochdurchmesser zeigt Abb. 3.11. Abb. 3.11: Variation des Bohrlochdurchmessers dB bei festem Abstand der Rohre (dR= 32 mm; WR= 3 mm) vom Bohrlochrand (dB-D)/ 2 = 14 mm. Bezeichnungen gemäss Abb. 3.10, Rk = Kurzschluss-Widerstand, Ru = Wärmewiderstand Erdreich, Rs = Bohrlochwider-stand, Qu = Übertragungsleistung, Qu,s = Übertragungsleistung für kurzzeitige Temperaturänderungen (Ebert et al., 2000) Luo et al. (2013a) haben ebenfalls den Einfluss des Bohrdurchmessers bei Doppel-U-Rohr-Sonden untersucht. Hierbei handelt es sich aber um eine experimentelle Studie und die Schenkelabstände bei den Sondenrohren blieben mit 70 mm konstant (Abb. 3.12). Es wurden insgesamt 18 Bohrungen installiert, die sich aufgrund der drei verwendeten Bohrlochdurchmesser von 121 mm, 165 mm und 180 mm in drei Sondenfeld-Segmente mit jeweils 6 EWS unterteilen. Der Abstand der Bohrungen beträgt 6 m und die Anlage wird zum Heizen und Kühlen eines Bürogebäudes mit einer Nutzfläche von 1530 m2 genutzt. Abb. 3.12: Schematische Darstellung der von Luo et al. (2013a) verwendeten EWS-Geometrien Das verwendete Verfüllmaterial für die Bohrungen hat eine Wärmeleitfähigkeit von 2.35 W/ (m*K). Die Wärmeleitfähigkeit des Untergrundes wurde mit dem Thermal Response Test (TRT) zu 2.5 - 2.6 W/ (m*K) ermittelt und liegt damit über dem Wert der Wärme-leitfähigkeit des Verfüllmaterials. Luo et al. (2013a) stellten bei ihren Untersuchungen fest, dass die saisonale Kühlleistung durch den Wärme-austausch über die EWS bei den EWS mit dem Bohr-durchmesser 165 mm gegenüber den EWS mit dem Bohrdurchmesser 121 mm um 3.2% höher lag. Für die EWS mit einem Bohrdurchmesser von 180 mm lag die Kühlleistung sogar um 7.1% höher gegenüber den EWS mit dem Bohrdurchmesser 121 mm. Aus den beiden vorliegenden Untersuchungen ergibt sich, dass zumindest bei Doppel-U-Rohr-Sonden ein größeres Bohrloch Vorteile beim Wärmeaustausch mit dem Untergrund bieten kann. 4. Vergleich U-Rohr-Sonden/ Koaxialsonde Ein Vergleich einer komplexen EWS-Koaxialsonde, bestehend aus einem Mittelrohr mit Durchmesser 60 mm und 8 kleineren Aussenrohren mit einem Durchmesser von 20 mm, mit einer einfachen U-Rohr-EWS bzw. einer Doppel-U-Rohr-Sonde wird von Hellström (1998) vorgestellt. Er gibt an, dass sich für die komple- 232 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Saisonale Erdwärmespeicher - Forschungsprojekt oder Standardlösung? xe EWS-Koaxialsonde ein thermischer Bohr-lochwiderstand ergab, der geringer ist als für die beiden anderen Sondentypen: - Einfache U-Rohr-EWS 0.11 K/ (W/ m) - Doppel-U-Rohr-EWS 0.06 K/ (W/ m) - Komplexe Koaxialsonde 0.03 K/ (W/ m) Häfner & Wagner (2012) haben in einer numerischen Studie zu unterschiedlichen Bauarten von EWS festgestellt, dass in einem einjährigen Dauerbetrieb Koaxialsonden und Mehrrohrsonden im Leistungsvergleich besser abschneiden als U-Rohr-Installationen. Der Leistungsunterschied kann nach Häfner & Wagner (2012) bis zu 50% betragen. Abb. 4.1 zeigt auch, dass der Einsatz von Zement als Verfüllbaustoff mit l = 1.7 W/ (m*K) bzw. thermisch aktivierten Verfüllbaustoffen mit l = 2.3 W/ (m*K) zwar zu einer Leistungssteigerung bei allen EWS führt, diese jedoch bei den Koaxialsonden und Mehrrohrsonden kleiner ausfällt als bei den U-Rohr-Installationen. Abb. 4.1: Vergleich der geothermischen Leistung im theoretischen Dauerbetrieb nach einem Jahr (Wasserzirkulation). Als Bezugsgröße (100%) dient die Leistung einer U-Rohr-Sonde von 1.26 kW (Häfner & Wagner, 2012) Raymond et al. (2015) haben ebenfalls eine numerische Studie durchgeführt, um unterschiedliche Bauarten von EWS zu vergleichen. Auch sie kommen zum Schluss, dass durch den Einsatz von Koaxialsonden anstatt von U-Rohr-Sonden die Leistung gesteigert bzw. die erforderliche Sondentiefe reduziert werden kann. Für ein synthetisches thermisches Lastprofil, welches allerdings vom Kühlzyklus dominiert war, ermittelten Raymond et al. (2015) eine um bis zu 23% kürzere Sondenlänge für Koaxialsonden im Vergleich zu U-Rohr-Sonden. Neben dem kleineren Bohrlochwiderstand bei den Koaxialsonden führen Raymond et al. (2015) an, dass das Wasservolumen in den betrachteten Koaxialsonden bis zu 28 mal größer war als in den U-Sonden und sich daraus eine deutlich höhere Wärmekapazität bei diesen Sonden ergibt (vgl. Abb. 4.2). Abb. 4.2: Vergleich des Energiebetrags, der notwendig ist, um das Wasser in den dargestellten EWS-Querschnitten um 1 K zu erwärmen (Raymond et al., 2015). 5. Zusammenfassung Saisonale Speicher können bei der zukünftigen Energieversorgung durch die Einspeisung von Solarwärme oder Abwärme aus technischen Prozessen und der daraus resultierenden CO2-Emissionsminderung durch einen geringeren Verbrauch fossiler Brennstoffe eine wichtige Rolle spielen. Für die Auswahl eines saisonalen Speichertyps gibt es vier Hauptkriterien: - Der Temperaturbereich mit dem der Speicher betrieben werden soll, - die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die die Erstellung eines bestimmten Speichertyps erlauben oder verbieten, - die natürlichen Rahmenbedingungen (geologische und hydrogeologische Eigenschaften des Untergrunds) sowie - der zur Verfügung stehende Raum. Wenn der Speicher mit sehr hohen Temperaturen bis zu 90° betrieben werden soll, so wird die Wahl auf einen Heißwasserspeicher oder einen Kies/ Wasser-Speicher fallen. Theoretisch kämen auch tiefliegende Aquifer-Speicher in Frage. Bei hohen Temperaturen von bis zu 90° ist jedoch auch bei einem Aquifer-Speicher in einer Tiefe von 500 bis 600 m mit mineralischen Ausfällungen zu rechnen, da es sich um ein offenes System handelt und die natürliche Temperatur aufgrund der normalen geothermischen Tiefenstufe in dieser Tiefe lediglich bei ca. 25 bis 30°C liegen wird. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 233 Saisonale Erdwärmespeicher - Forschungsprojekt oder Standardlösung? Voraussetzung für Aquifer-Speicher sind zudem günstige geologische und hydrogeologische Untergrundbedingungen, die nicht überall vorhanden sind. Für Aquifer-Speicher im oberflächennahen Bereich sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen recht eng gefasst, da sie direkt in das Grundwasser eingreifen. Letzteres dürfte auch die bisher sehr geringe Anzahl solcher Speicher in Deutschland erklären. Erdsondenfelder erfordern eine größere Anzahl von Bohrungen und mit zunehmender Tiefe steigt auch der Preis pro Bohrmeter. Hinzu kommt, dass bei Bohrungen mit einer Tiefe von über 100 m die Vorgaben des Bundesberggesetzes (BBergG) zu erfüllen sind. Der Vorteil von Erdsondenfeldern liegt andererseits im relative geringen Flächenverbrauch an der Gelände-oberfläche bei gleichzeitiger Erschließung von großen Speichervolumina. Als Niedertemperaturspeicher können Erdsondenfelder ausserhalb von Grundwasser-schutzzonen meist überall installiert werden. Die meisten EWS werden heute als Doppel-U-Rohr- Sonden ausgeführt. Die Sondenrohre werden von verschiedenen Herstellern angeboten und sind preisgünstig. Allerdings gibt es auch bei den Sondenrohren bzw. Kollektoren neue Entwicklungen, die zu geringeren thermischen Bohrlochwiderständen und damit zu einer besseren geothermischen Leistung einer EWS führen. Diese Sondenrohre sind jedoch meist deutlich teurer als als die Standardrohre, die für Doppel-U-Rohr-Sonden verwendet werden. Abb. 5.1: Investitionskosten bisher realisierter Großwärmespeicher als Funktion des Speichervolumens (Quelle: Solites Steinbeis Forschungsinstitut für solare und zukunftsfähige thermische Energiesysteme, Stuttgart) Durch die bessere Wärmeausbeute mit neuen Sondenkonstruktionen lassen sich andererseits Bohrmeter einsparen und so die Mehrkosten bei den Sondenrohren und Kollektoren durch Einsparungen bei den Bohrkosten wieder redu-zieren oder eventuell sogar ausgleichen. Nachteilig bei neuen Sondenkonstruktionen ist, dass sie in den Simulationswerkzeugen in der Regel noch nicht berück-sichtigt sind und erst wenige Erfahrungen vorliegen. Der thermische Einfluss von Wärmebzw. Kälte-speichern auf den Untergrund bleibt in der Regel dann gering, wenn die Wärmebilanz im Untergrund im Jahresverlauf ausgeglichen ist und die Speicher-temperatur auf nicht mehr als 20 °C erhöht wird. Bei Mittel-und Hochtemperatur-Wärmespeichern (20 °C bis 90 °C Speichertemperatur) ist im Einzelfall zu prüfen, ob die durch die Wärmeverluste des Speichers entstehende Erwärmung des Untergrunds am jeweiligen Standort hingenommen werden kann. Für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit eines Speichers ist die Einbindung in das Gesamtsystem maßgeblich. Abb. 5.1 zeigt die Investitionskosten bisher realisierter Großwärmespeicher als Funktion des Speichervolumens umgerechnet in m3 Wasseräqui-valent. Erdsondenfelder weisen hiernach ein günstiges Verhältnis von Investitionskosten zu Speichervolumen auf. Behälterspeicher (Kies/ Wasser-Speicher und Heiß-wasserspeicher) sind demnach eher als eine teure Lösung anzusehen. 234 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Saisonale Erdwärmespeicher - Forschungsprojekt oder Standardlösung? 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KG, Düsseldorf, Deutschland Zusammenfassung Im Zuge der Stadtentwicklungsmaßnahme Kö-Bogen II entsteht im Zentrum von Düsseldorf in unmittelbarer Nähe sensibler Nachbarbebauung ein Gebäudekomplex mit ca. 17 m tief in den Baugrund einbindenden Untergeschossen. Bei der zur Herstellung der Untergeschosse erforderlichen Baugrube handelt es sich um eine mit zwei Stahlbetondeckeln ausgesteifte Trogbaugrube in Schlitzwandbauweise mit Einbindung der Lamellen in die tertiären, gering wasserdurchlässigen Feinsande. Im Bereich des Büro- und Geschäftshauses sind Volldeckel unter Berücksichtigung von Primärstützen (Schlitzwand-Barette und Großbohrpfähle jeweils mit eingestellten Fertigteilstützen) geplant, um Ober- und Untergeschosse parallel herstellen zu können. Infolge der früheren Nutzung des Baufelds waren im Zuge der Spezialtiefbaumaßnahmen Hindernisse infolge alter Bauwerksreste und teilweise verbliebenem Altverbau besonders zu berücksichtigen. Insbesondere durch die Baugrubentiefe in Verbindung mit der sensiblen Nachbarbebauung war ein umfassendes und kontinuierliches geotechnisches Monitoring wesentlicher Bestandteil der Ausführung. 1. Beschreibung der Baumaßnahme Die CENTRUM Projektentwicklung GmbH / B&L Gruppe realisieren mit Baubeginn im März 2017 im Zuge der Entwicklungsmaßnahme Kö-Bogen II im Zentrum von Düsseldorf unterhalb des Gustaf-Gründgens-Platzes den Neubau einer Tiefgarage mit fünf Untergeschossen sowie nach Süden hin - angrenzend an die neue Tiefgarage - den Neubau eines fünfgeschossigen Büro- und Geschäftshauses, das sogenannte „Ingenhoven-Tal“ (Bild 1). Das Baufeld umfasst insgesamt eine Grundfläche von ca. 13.670 m². Die unterhalb des Büro- und Geschäftshauses geplanten, bis auf das Niveau der fünfgeschossigen Tiefgarage einbindenden, Untergeschosse reichen vom südlichen Rand der neuen Tiefgarage nach Süden hin, bis zu einem am Rand des Baufeldes für die Grundwasserkommunikation vorgesehenen großvolumigen Strömungskanal. Diesbezüglich waren umfangreiche hydraulische Berechnungen ein wesentlicher Bestandteil der Planungs- und Genehmigungsphase. Bild 1: Visualisierung „Ingenhoven-Tal“ Für die Errichtung der Tiefgarage bzw. der weiteren Untergeschosse ist der Aushub einer bis zu 17 m tiefen Baugrube erforderlich. Die exponierte Lage des Baufelds mit sensiblen benachbarten Bauwerken und Infrastruktureinrichtungen in Verbindung mit den vorherrschenden Baugrund- und Grundwasserverhältnissen bedingte die Herstellung einer verformungsarmen und wasserdichten Baugrube. Aufgrund der vorliegenden projektspezifischen Randbedingungen wurde die Baugrube als zweifach ausgesteifte Trogbaugrube in Schlitzwandbauweise mit Einbindung 240 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Kö-Bogen II - Außergewöhnliche Architektur trifft komplexe Bauweise in besonderer Lage der Lamellen in den tief liegenden natürlichen Grundwassergeringleiter (Tertiär) geplant und ausgeführt. 2. Baugrund- und Grundwasserverhältnisse Gemäß den Ergebnissen der durchgeführten Baugrunderkundungen liegt im Bereich des Baufeldes folgender genereller Baugrundaufbau vor (Bild 2). Bild 2: Schema Baugrundaufbau Unterhalb der überwiegend befestigten Gelände-oberfläche (ca. 36,00 mNN) wurden bis in Tiefen von ca. 3,1 bis 10,0 m angeschüttetes bzw. umgelagertes Bodenmaterial erkundet. Darunter folgen bis in Tiefen von ca. 23,0 bis 26,0 m einheitlich die Sand-, Kiessand- und sandigen Kiesschichten der Rheinterrasse. Diese quartären, stark wasserdurchlässigen Lockergesteine werden im Raum Düsseldorf bis in großer Tiefe von tertiären gering wasserdurchlässigen Feinsanden unterlagert. Die Grundwasserverhältnisse werden im Bereich des geplanten Bauvorhabens vor allem von dem aus dem Hinterland nach Westen bis Nordwesten auf den ca. 900 m entfernten Rhein hin gerichteten Grundwasserstrom bestimmt, der sich innerhalb der gut wasserdurchlässigen Sande und Kiese des Quartärs bewegt. Bei hohen Rheinwasserständen infiltriert das Flusswasser in die quartären Sand- und Kiesschichten, wodurch der Grundwasserspiegel im Uferbereich rasch ansteigt und sich das Fließgefälle und die Fließrichtung umkehren. Infolge dieser Verhältnisse treten im geplanten Baubereich große Schwankungen des Grundwasserstands in einer Größenordnung von bis zu maximal 7,0 m auf. 3. Baugrube und Gründung 3.1 Planerische Herausforderungen In unmittelbarer Umgebung des Baufelds befinden sich sensible Nachbarbebauungen (Dreischeibenhochhaus DSH, Düsseldorfer Schauspielhaus SSH, U-Bahn-Tunnel Wehrhahn-Linie, Kö-Bogen Straßentunnel, etc.), die im Rahmen des Planungs- und Ausführungsprozesses besonders zu berücksichtigen waren (Bild 3). Bild 3: Lage der Baumaßnahme Zudem war es erforderlich, die bestehende dreigeschossige Tiefgarage unterhalb des Gustaf-Gründgens-Platzes, die im Jahre 1969 im Schutze eines rückverankerten Bohlträgerverbaus mit Holz- und Kanaldielenausfachung sowie einer Bodeninjektionsausfachung hergestellt wurde und eine im Süden vorhandene Hochbebauung mit einem Untergeschoss vollständig zurückzubauen. Infolge der früheren Nutzung des Baufelds waren im Zuge der Spezialtiefbaumaßnahmen Hindernisse in Form alter Bauwerksreste und teilweise verbliebener Altverbauten (Kellerwände, im Grundwasser liegende Bodenplatte der Bestandstiefgarage, Stahlträger und Verpressanker) zu durchörtern. 3.2 Konzeption und Ausführung Die Baugrube wurde umlaufend unter Berücksichtiugng eines verformungsarmen und weitgehend wasserdichten Verbaus in Form einer Schlitzwand (d = 80 cm), die bis in die tertiären Feinsande reicht, in Verbindung mit einer innenliegenden Restwasserhaltung konzipiert. Die Baugrubenaussteifung erfolgte über zwei Teildeckel/ Volldeckel in Höhe der Decken über dem 2. UG und 4. UG der neuen Tiefgarage. Die Teildeckel inkl. Temporärstützen (Bohrpfähle mit temporären Stahlstützen) waren im Bereich der Bestandstiefgarage angeordnet. Im Bereich des Büro- und Geschäftshauses wurden auf Primärstützen (Schlitzwand-Barette und Großbohrpfähle jeweils mit eingestellten Fertigteilstützen) aufgelagerte Volldeckel realisiert, um Ober- und Untergeschosse parallel herstellen zu können. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 241 Kö-Bogen II - Außergewöhnliche Architektur trifft komplexe Bauweise in besonderer Lage Die Herstellung eines Großteils der Schlitzwand (Bild 4) sowie der Temporär- und Primärstützen erfolgte überwiegend von einer ca. 6 m unter Geländeoberkante befindlichen Arbeitsebene. Die Gründungstiefen der Nachbargebäude lagen unterhalb dieser ersten Arbeitsebene. Zwischen SSH und DSH sowie entlang der Bleichstraße und Schadowstraße wurden Trägerbohlwände mit Holz- und Spritzbetonausfachung sowie eine tangierende Bohrpfahlwand zur Sicherung des Geländesprungs ausgeführt. Mittels der Bohrpfahlwand wurde ein dort vorhandener Abwasserkanal gesichert. Während der Abbruch- und Aushubarbeiten wurde die Wand zunächst durch eine Berme gestützt, später dann durch Schrägsteifen gegen die Schlitzwand mit eingestellten Steckträgern ausgesteift. Im westlichen Bereich erfolgte eine einseitige Abgrabung des Kö-Bogen Tunnels unter Berücksichtigung der Stützwirkung der dort bestehenden Verbauwand. Im Anschlussbereich der städtischen Spindel zur neuen Tiefgarage wurde die bestehende Schlitzwand ebenfalls als Verbau genutzt. Bild 4: Herstellung Schlitzwand Im Zuge der Herstellung der ersten Arbeitsebene erfolgte der Rückbau der ersten zwei Untergeschosse der Bestandstiefgarage. Das 3. UG wurde vorab kraftschlüssig mit bohrfähigem Material verfüllt. Die Verbautrasse der neuen Schlitzwand befand sich überwiegend außerhalb des Lichtraumes der bestehenden Tiefgarage bzw. im unmittelbaren Anschluss an die Außenkante der aufgehenden alten Wände im Bereich des ehemaligen ca. 1,0 m breiten Arbeitsraumes. Aus diesem Grund war vorlaufend zur Schlitzwandherstellung ein Rückbau von Hindernissen in Form von Räumungsbohrungen erforderlich. Eine besondere Situation ergab sich entlang des sensiblen Bauwerks Schauspielhaus (Bild 5). Hier erfolgte die Herstellung der neuen Schlitzwand innerhalb der Bestandstiefgarage. Auf Grund der zu durchörternden Stahlbetonsohle der alten Tiefgarage war es nicht möglich, die Schlitzwand in einem Arbeitsschritt herzustellen. Vor der vollständigen Verfüllung des 3. UG war es daher erforderlich, im Bereich der späteren Verbautrasse Magerbeton einzubringen. Vor der endgültigen Herstellung der Schlitzwand wurde die spätere Verbautrasse inklusive der Stahlbetonhindernisse überbohrt und danach mit schlitzfähigem Material verfüllt. Bild 5: Baugrubensituation im Bereich des SSH Eine besondere Herausforderung war die Herstellung der insgesamt 98 Primärstützen für das Geschäftshaus (Bild 6). An die Einbaugenauigkeit dieser Stützen wurden höchste Anforderungen gestellt, die eine umfassende Überarbeitung der gängigen Einbautechnologie und umfangreichen Gerätebau durch die Arbeitsgemeinschaft Kö-Bogen II, bestehend aus den ausführenden Unternehmen HOCH- TIEF Infrastructure GmbH und BAUER Spezialtiefbau GmbH, erforderlich machte. Bei den Primärstützen handelte es ich um Fertigteilstützen mit Abmessungen von 40x100, 50x120 und 40x150 cm bei Längen von ca. 12,5 m. Insgesamt wurden nahezu 90 unterschiedliche Typen, mit ca. 19 t Einzelgewicht, eingebaut. Aufgrund der eingeschränkten Platzverhältnisse auf der Baustelle war eine Just-In-Time-Belieferung erforderlich. Bild 6: Temporär- und Primärstützen 242 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Kö-Bogen II - Außergewöhnliche Architektur trifft komplexe Bauweise in besonderer Lage Nach Herstellung der Schlitzwand und sämtlicher Gründungskörper erfolgte der Bau der 1. Aussteifungsebene für die Schlitzwand. Im Schutze dieses Teildeckels/ Volldeckels wurde dann der Rückbau des verfüllten 3. Untergeschosses der Bestandstiefgarage sowie der fortschreitende Aushub bis zur 2. Arbeitsebene vorgenommen und auf diesem Niveau die 2. Aussteifungsebene hergestellt. Nach Fertigstellung des 1. und 2. Teildeckels/ Volldeckels erfolgte der restliche Aushub bis zur planmäßigen Baugrubensohle von 19,00 mNN (Bild 7). Bild 7: Aushub unterhalb der Deckel 3.3 Wasserechtliche Belange Die bis in eine Tiefe ca. 17 m unter Geländeoberkante geplanten Untergeschosse unterhalb des Geschäftshauses reichen vom südlichen Rand der neuen Tiefgarage nach Süden hin bis zu einem am südlichen Rand des Baufeldes für die Grundwasserkommunikation vorgesehenen großvolumigen Strömungskanal. Die Wirkung dieses Strömungskanals in Verbindung mit den bereits bestehenden Sperrbauwerken im direkten Einflussbereich des Baufelds sowie die daraus resultierenden hydraulischen Auswirkungen wurden durch umfangreiche numerische Simulationen unter Einsatz des im Auftrag des Umweltamts der Landeshauptstadt Düsseldorf entwickelten Grundwassermodells untersucht und mit dem aktuellen Ausgangszustand abgeglichen. Als Ergebnis ist festzuhalten, dass die rechnerisch ermittelten Änderungen der Grundwasserstände, verglichen mit dem Ausgangszustand, bei allen betrachteten Zuständen relativ gering sind und sich keine signifikanten Aufstaueffekte einstellen. Die Änderungen liegen im natürlichen Grundwasserschwankungsbereich bei MGW und weit unterhalb der Grundwasserschwankungen zwischen Niedrig- und Hochwasser. Des Weiteren wurde der Einfluss der Grundwasserströmung auf die Stabilität und Integrität des Korngerüstes untersucht (Bild 8), da eine Vergrößerung des Porenraums zu Sackungen an der Geländeoberfläche führen kann. Hierbei ist festzuhalten, dass die rechnerisch ermittelte Erhöhung der Fließgeschwindigkeiten in Engstellenbereichen unterhalb kritischer Werte lag und somit Kornumlagerungen nicht zu erwarten waren. Zum Abgleich mit den Ergebnissen der Prognoseberechnungen werden die Fließgeschwindigkeiten, insbesondere in den sensiblen Engstellenbereichen, zukünftig messtechnisch überwacht. Bild 8: Fließgeschwindigkeiten aus Modellrechnung mit Strömungskanal (delta h Ingenieurgesellschaft) Zuammenfasssend ist festzuhalten, dass eine unzulässige Beeinflussung oder gar Gefährdung baulicher Einrichtungen im Umfeld auf Grund der rechnerisch prognostizierten Veränderungen im Grundwasserregime auszuschließen war. 3.4 Monitoring Vorlaufend zu den Abbruch- und Tiefbauarbeiten erfolgte eine detaillierte Beweissicherung sämtlicher im unmittelbaren Einflussbereich befindlicher Tunnelbauwerke, Abwassersammler, Wohn-, Büro- und Geschäftshäuser. Zur Feststellung und Beurteilung der Einflüsse der Baugrubenherstellung auf die Umgebung, insbe-sondere auf die benachbarten Bauwerke und das Grundwasser, aber auch im Hinblick auf unver-meidbare bauzeitliche Immissionen aus Erschütte-rungen, Lärm und Staub, wurde ein umfangreiches Monitoring- und Störfallkonzept ausgearbeitet. Wesentliche Bestandteile des Baugrubenmonitorings waren: - Automatisiertes elektronisches Tachymetersystem zur Überwachung der Verformungen der angrenzenden Nachbarbauwerke. - Inklinometer zur Überwachung der Verbauverformungen. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 243 Kö-Bogen II - Außergewöhnliche Architektur trifft komplexe Bauweise in besonderer Lage - Gleitmikrometer im unmittelbaren Anschlussbereich an den Schlitzwandverbau zur Erfassung horizontaler und vertikaler Verschiebungen. - Porenwasserdruckmessungen zur Überwachung des Potentialabbaus innerhalb der tertiären Feinsande am Schlitzwandfuß. - Grundwassermonitoring zur Überwachung des Einflusses der Restwasserhaltung auf die Grundwasserverhältnisse im Umfeld und zur Beurteilung der Menge und Güte des Grundwassers im Hinblick auf die Einspeisung in den natürlichen Vorfluter (Landskrone). Sämtliche Messergebnisse wurden fortlaufend unter Berücksichtiung der Prognoseberechnungen ausgewertet, grafisch in Form von Diagrammen mit Bezug zum Baufortschritt dargestellt, gutachterlich beurteilt und anschließend den zuständigen Behörden und überwachenden Stellen in Form von Statusberichten übermittelt. Die Ergebnisse der Verformungsmessungen zeigten, dass die nach Fertigstellung der Bodenplatte gemessenen Verformungen überwiegend unterhalb der prognostizierten Werte bzw. festgelegten Alarmwerten lagen. Der über die Tiefe mittels der Inklinometer gemessene Verformungsverlauf der Schlitzwand (Biegelinie) stimmte mit wenigen Ausnahmen darüber hinaus gut mit den auf theoretischer Basis ermittelten Verformungslinien überein, sodass hierdurch die gewählten bodenmechanischen Berechnungsansätze bzw. das Bemessungsmodell in ausreichender Näherung bestätigt wurden. 4. Aktueller Stand der Arbeiten Die Rohbauarbeiten in den Untergeschossen wurden im September 2019 fertiggestellt. Derzeit laufen die Arbeiten bezüglich Ausbau und Fassade (Bild 9). Bild 9: Aktueller Stand der Arbeiten (09/ 2019) Besonders hervorzuheben ist der 09.05.2019. An diesem Tag wurde nach erfolgreicher Realisierung der gewählten Deckelbauweise sowohl die Grundsteinlegung als auch das Richtfest gemeinsam gefeiert (Bild 10). Bild 10: Grundsteinlegung und Richtfest am 09.05.2019 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 245 Untersuchungen bezüglich der Ursachen von Differenzen zwischen prognostizierten und gemessenen Verformungen während komplexer Bauabläufe Dr. Claudia Klotz, Dr. Gebreselassie Berhane, Dipl Ing. (FH) Tomas Vardijan Ed. Züblin AG, Direktion Zentrale Technik, Technisches Büro Tiefbau Stuttgart, Deutschland Zusammenfassung Im Rahmen des Projektes Stuttgart 21, PFA 1.1 Talquerung mit Hauptbahnhof muss unter anderem das an das Baufeld direkt angrenzende LBBW-Gebäude währen der Baumaßnahme gesichert werden. Die Untersuchungen konzentrierten sich dabei auf zwei maßgebende Gründungselemente, die im Folgenden vorgestellt werden. Beide Beispiele zeigen die Möglichkeiten von „state of the art“ -Verformungsprognosen komplexer innerstädtischer Bauprojekte mit der FE-Methode. Damit können Bauabläufe simuliert und Verformungsprognosen realitätsnah im Stuttgarter Baugrund erstellt werden. Das aufgezeigte Vorgehen dient der Risikoreduktion z.B. im Umfeld sensibler Bestandsbebauungen und fördert die Akzeptanz auch für sehr anspruchsvolle Bauprojekt. 1. Einleitung 1.1 Sicherungsmaßnahmen an der Südwestecke des LBBW Gebäudes An der südwestlichen Gebäudeecke des LBBW-Gebäudes befinden sich zwei pfahlgegründete Gebäudestützen (Stütze 1+ 2) im Einflussbereich der Baugruben (Abbildung 1). Neben der Hauptbaugrube für den neuen Tiefbahnhof wurden im Umfeld der Gebäudestützen in mehrere Bauschritten kleinräumige Baugruben mit verformungsarmen Verbauten hergestellt. Die Verformung der Stützen in den verschiedenen Bauphasen wurde in der Planungsphase mit Hilfe der FE Methode und dem Bodenmodell Hardening Soil Small Strain in 2013 prognostiziert. und betrug für die maßgebende Stütze 1 bis zu ca. 15 mm Setzung. Im Zuge der Baumaßnahme wurden jedoch im Rahmen der Bauausführung Hebungen bis ca. 10 mm gemessen. Ziel einer Untersuchung im Jahr 2017 war es, den gemessenen Hebungsverlauf an der Stütze 1 noch während der Bauausführung mittels aktualisierte FE Modelberechnung nachzuvollziehen und eine Prognose für die weiteren Bauzustände zu erstellen. Im ersten Schritt wurde dazu ein neues detailliertes FE Modell mit dem umgesetzten Bauablauf und der tatsächlich gemessenen Grundwasserstände erstellt. Im Zuge der Berechnungen wurden die Bodenparameter der anstehenden Gipskeuperschichten (Kohäsion und Dilatanzwinkel) variiert und zusätzlich ein neues Stoffgesetz, das sogenannte Generalized Hardening Soil (GHS) Bodenmodell angewendet. Hierdurch wurden die Verformungsergebnisse hinsichtlich der Messungen wesentlich verbessert, bildeten aber den Verformungsverlauf immer noch unzureichend ab. Erst mit Einführung einer horizontalen Verformungsbedingung an den modellierten Verbauwänden konnten die Messungen näherungsweise nachvollzogen werden. 1.2 Sicherungsmaßnahmen an der Südostecke des LBBW Gebäudes An der Südostecke des LBBW Gebäudes liegt im Baufeld BA9 des neuen Tiefbahnhofs das Streifenfundament eines auskragenden Gebäudeteils der LBBW (Abbildung 1). Das Streifenfundament liegt im Nahbereich der Baugrube des Tiefbahnhofs und muss bauzeitlich umfangreich gesichert werden. Im Zuge der Ausführungsplanung wurden verschiedene Varianten für die Baugrubensicherung sowie die Auswirkungen verschiedener Verbauarten und unterschiedlicher Bauabläufe auf die Gebäudeverformungen mittels FE-Berechnungen untersucht. Im Zuge der Bauausführung wurde analog der Stütze 1+2 im Sinne der Beobachtungsmethode ein umfangreiches Messprogramm am Bauwerk und Verbau realisiert und die Messwerte laufend mit den Berechnungsergebnissen verglichen. 246 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Untersuchungen bezüglich der Ursachen von Differenzen zwischen prognostizierten und gemessenen Verformungen während komplexer Bauabläufe Abbildung 1: Übersicht LBBW -Eckstützen und Streifenfundament 2. Numerische Untersuchungen zu den Differenzen zwischen prognostizierten und gemessenen Verformungen für die Eckenstützen des LBBW-Gebäudes 2.1 Ursprüngliche Verformungsprognose und Verformungsmessungen Das Gebäude der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) steht im geringen Abstand zum neuem Tiefbahnhof. Verformungsuntersuchungen für die Baugrube und das Gebäude haben gezeigt, dass es durch die Bauaktivitäten am neuen Bahnhof zu unverträglich Setzungen an zwei Außenstützen des LBBW- Gebäudes kommen kann. Zur Sicherstellung der äußeren Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit der Gründungspfähle wurden Manschettenrohrinjektionen umgesetzt, die zum einen das Ziel haben evtl. Hohlräume zu verschließen und den Boden zu vergüten, zum anderen aber auch die Rückstellung von evtl. Stützensetzungen ermöglichen sollen. Die Verformungen für Stütze 1 und Stütze 2 wurden ursprünglich im Jahr 2013 prognostiziert. Ziel der Modellierung im 2013 war eine Abschätzung der zu erwartenden Verschiebungen der Stützengründung infolge der geplanten Bauhilfsmaßnahmen zu erhalten Insbesondere wurde untersucht, wie sich die Manschettenrohrinjektionen in ihrer Tendenz auf die Setzungen auswirken. Die Verschiebungen wurden mittels der Finite-Elemente-Methode in ebenen Berechnungsschnitten für die relevanten Bauphasen berechnet. Dabei wurden Schnitte in unterschiedlichen Richtungen untersucht, um eine quasi-räumliche Betrachtung zu ermöglichen. Es war in der Planung und Ausführung dafür Sorge zu tragen, dass die Stützenverformungen das für sie zulässige Maß von -11 mm Setzung und +2,0 mm Hebung nicht überschreiten. Die Messergebnisse während der Bauausführung weichen im großen Umfang von den errechneten Werten ab. Der Baugrubenaushub (Endaushub) in der Baugrube Baurampe (Abbildung 2) wurde am 20.02.2017 abgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt wurde an der Stütze 1 eine Hebung von ca. +10 mm gemessen. Dem gegenüber wurde für die Stütze 1 für den maximalen Aushub in der Baurampe BS-B-Baugrube eine Stützensetzung von ca. -15 mm mit dem ursprünglichen Model prognostiziert. 2.2 Baumaßnahmen im unmittelbaren Einflussbereich der Stützengründungen Im unmittelbaren Einflussbereich der betroffenen Stützengründungen wurden insgesamt vier Baumaßnahmen in folgender Reihenfolge durchgeführt: 1)Baugrube 1 (B1)- Rohrvortrieb DN500, Start- und Zielbaugrube; 2) Baugrube 2 (B2)teilgeböschte Baugruben zur Herstellung des Hauptsammlers West; 3) Baugrube 3 (B3)- Herstellung Baustraßenrampe BS-B und 4) Baugrube 4 (B4)- Herstellung Baugrube für Fernheiz- und Medienkanal. Abbildung 2: Baumaßnahmen im unmittelbaren Einflussbereich der Stützengründungen des LBBW Gebäudes 2.3 Numerische Untersuchungen zu den Differenzen zwischen prognostizierten und gemessenen Verformungen Die Anpassung der ursprünglichen Berechnungen wurde im Jahr 2017 mit dem Programm Plaxis 2D-AE.02 2014 durchgeführt. In den FEM-Berechnungen wurden die Spannungen und Verformungen im Baugrund mit zwei Stoffmodellen berechnet: Hardening Soil -Small Modell (HS-Small) und Generalized Hardening Soil Modell (GHS) berechnet. Für das HS-Small-Stoffmodel, außer der Scherfestigkeit und Wichte, sind noch weitere Kennwerte, insbesondere zur Beschreibung der Bodensteifigkeit, erforderlich um das Bodenverhalten realitätsnäher abzubilden. Das HS-Modell besitzt eine nichtlineare Spannungs-Dehnungs-beziehung und die Fließgrenze ändert sich mit dem Spannungszustand [1]. GHS ist ein angepasstes HS- 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 247 Untersuchungen bezüglich der Ursachen von Differenzen zwischen prognostizierten und gemessenen Verformungen während komplexer Bauabläufe Small-Modell und berücksichtigt die mittleren Hauptspannungen anstelle der kleinen Hauptspannungen bei der Ermittlung der spannungsabhängigen Bodensteifigkeit [2]. Bis knapp unter die Unterkante der Pfahlkopfplatten der Stützen 1 und 2 steht ein aufgefülltes Bodenmaterial an. Darunter folgen bereits die Schichten des Gipskeupers in Form des Dunkelroten Mergels bis ca. 19 m unter Gelände, die wiederrum vom Bochinger Horizont, den Grundgispschichten und dem Lettenkeuper unterlagert wird. Der mittels Manschettenrohrinjektion verbesserte Boden wurde als geometrisch abgegrenzter Körper mit verbesserten, homogenen Eigenschaften im Berechnungsmodell berücksichtigt und mit dem linear elastischen, ideal plastischen Mohr-Coulomb-Stoffmodell abgebildet Abbildung 3: FE Modell für die Baumaßnahmen im unmittelbaren Einflussbereich der Stützengründungen des LBBW Gebäudes Das neu verwendete FE- Modell basiert auf dem ursprünglichen FE -Modell von 2013. Es wurde jedoch in der Folge wesentlich erweitert, von allem in Bezug auf den Bauablauf und die Grundwasserschwankungen im Quartär und Dunkelroten Mergel gemäß GW-messungen während der Bauzeit. Während der Messungen des Grundwassers seit 2014 wurden Schwankungen bis 3,66m festgestellt (Abbildung 5). Die GW-Stände vor dem LBBW-Gebäude waren beeinflusst durch nahegelegene Baumaßnahmen der Stadtbahnlinie U12. In das FE Modell fließen die Wasserstände entsprechend den Messungen ein. Gleichzeitig wurden im FE Modell die gespannten Grundwasserverhältnisse des Mineralwassers im Lettenkeuper berücksichtigt. Zur Überwachung der LBBW-Stützen während der Bauarbeiten des Projektes Stuttgart 21 wurden ein Schlauchwaagensystem, ein Gleitmikrometer (GMM) und drei Inklinometer installiert. Des Weiteren erfolgt ein umfangreiches geodätisches Messprogramm mit einer tachymetrischen Messung und einem Feinnivellement. Abbildung 4 zeigt die Präzisionsnivellementmesspunkten für die Stützen 1, 2 und dem Keller der LBBW. Das Messprogramm am LBBW-Gebäude wurde am 20.08.2014 begonnen. Seitdem wurden umfangreiche Datenmengen erzeugt. Abbildung 4 Präzisionsnivellementmesspunkten Stützengründungen und Keller LBBW In Abbildung 5 sind die mittels Feinnivellment gemessenen Verformungen der Stütze 1 während der Baumaßnahmen zu den unterschiedlichen Bauphasen (A1 bis A10) zusammen mit den Grundwasserschwankungen über die Zeit dargestellt. Die natürlichen GW-Schwankungen, die Wasserabsenkung während des Aushubs und die Modellierung des Mineralwassers sind in dem neuen Modell berücksichtigt (Abbildung 5). Die Messdaten des Feinnivellements zum Vergleich mit den FE Berechnungen waren bis zum 14.01.2017. Der letzte Aushub A11 wurde ebenfalls mit den FE Berechnungen prognostiziert im Nachgang am 22.02.2017 mittels Feinnivellmnet gemessen wurde danach auf die Baustelle gemessen und mit den FE Berechnungen abgeglichen. Abbildung 5: Nivellementmessungen an der Stütze 1 (A1 bis A10) mit den Grundwasserschwankungen 2.4 Ergebnisse Ziel der Untersuchung war es, die gemessenen Hebungen rechnerisch nachvollzuziehen, das FE-Modell an den gemessenen Hebungen zu kalibrieren sowie eine Prognose der Verformungen infolge weiterer Baumaßnahmen zu ermöglichen (Aushub 11). Es wurden über acht Varianten hintereinander untersucht. Die folgenden Varianten sind relevant für die Ergebnisse: - Anpassung Kohäsion aller Schichten des Gipskeupers, von c‘ = 40 kPa auf c‘ = 50 kPa. - Anpassung Dilatanzwinkel aller Schichten des Gipskeupers, ψ = 10 ° auf ψ = 15°. - Verwendung des GHS-Bodenmodells. Ein direkter Vergleich zwischen dem HS-Small- und dem GHS-Modell (Abbildung 6) ergibt weiterhin Setzungen, jedoch um rd. 6,2 mm geringer. Auch die Kombination 248 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Untersuchungen bezüglich der Ursachen von Differenzen zwischen prognostizierten und gemessenen Verformungen während komplexer Bauabläufe aller Anpassungen (c = 50 kPa, ψ = 15°, obere Grenze der Bodensteifigkeit (20% mehr)) unter Anwendung des GHS-Modells ergibt weiterhin eine Absolutsetzung von ca. -6,7 mm (Endaushub) an der Stütze 1. Es ist ersichtlich, dass die Differenz zwischen den gemessenen und den errechneten Verformungen zwar sich gegenüber andere die ersten Varianten deutlich verringert hat, es werden jedoch immer noch Setzungen anstelle Hebungen errechnet. Andererseits wurde es festgestellt, dass die Verbauwände der Baugrube Provisorium Hauptsammler West (B1) und Unterhaupt Hauptsammler West (B2) kaum horizontale Verformung in Richtung der Baugrube zeigten. Sobald diese Tatsache auf das Berechnungsmodell übertragen wurde, indem der Verbau horizontal festgehalten wird, ergeben sich erstmalig in allen Aushubphase errechnete Hebungen für die Stütze 1. Zwar sind die errechneten Hebungen nicht deckungsgleich mit den gemessenen Hebungen, sie zeigen jedoch dieselbe Verformungsrichtung wie die Messungen an der Stütze 1. Abbildung 6: Nivellementmessungen an der Stütze 1 (A1 bis A10) mit den Grundwasserschwankungen Angesicht der massiven Baumaßnahmen (Injektionen, verlorene Verbauten, kleinräumiges Bauen), alte Gründungen und Pfahlwände zwischen der Baugrube und der Stütze 1 und die Einfluss von die Differenzen im Temperatur Winter/ Frühling und Sommer/ Herbst werden die Berechnungsergebnisse als realistisch und nachvollziehbar bewertet. 3. Sicherungsmaßnahmen an der Südostseite des LBBW Gebäudes 3.1 Einführung Im Rahmen des Projektes Stuttgart 21, soll unter anderem auch das bestehende Streifenfundament des LBBW-Gebäudes im Bauzustand gesichert werden. Gemäß Untersuchungen des Bauherrn beträgt die Differenzverformung zwischen Streifenfundament und Keller, welche ohne Schäden am Gebäude aufgenommen werden kann, Ds = ±3,0 mm. Zur Sicherung des Gebäudeteils wurde eine HDI-Tiefergründung des Streifenfundamentes vorgesehen. Die Baugrubensicherung für das Trogbauwerk war bauseits als rückverankerten Trägerbohlverbau geplant. Die entsprechende Ausführungsplanung zeigte, dass die prognostizierten Verformungen am Streifenfundament LBBW größer zu erwarten sind als zugelassen. Durch Bauaktivitäten und vor allem durch den großflächigen tiefen Baugrubenaushub für das Trogbauwerk konnte es zu unverträglichen Setzungen des Streifenfundaments bzw. zu unverträglichen Differenzverformungen zwischen Streifenfundament und Keller des LBBW-Gebäudes kommen. Daher sollte das Verbaukonzept geändert und Maßnahmen zur Begrenzung der Verformungen bzw. Verformungsunterschiede des LBBW-Gebäudes getroffen wurden. Folgendes sollte umgesetzt werden: a) Anordnung eines steifen Verbaus (überschnittene Bohrpfahlwand mit zusätzlicher Ankerlage, 4 Ankerlagen); b) Anordnung von Kompensationsinjektionen (MRI); c) Entfall der HDI-Tiefergründung und d) Umsetzung eines Voraushubkonzepts zur Verringerung von Hebungen Der im Bereich der Injektionsstrecke anstehende Baugrund besteht aus den Schichten des Dunkelroten Mergels. Diese werden in den Bohrprofilen als Schlufftonsteine, blättrig, sehr mürb bis mürb, z.T. halbfest bis fest, zersetzt, beschrieben. Zur Überwachung der Verformungen wurde ein Messsystem installiert, welches eine engmaschige Überwachung der auftretenden Setzungen ermöglicht. Abbildung 7: Baumaßnahmen neben dem Streifenfundament LBBW 3.2 FE-Modelle für die Verformungsprognose Die Berechnung der Verformungen wurde mit dem Programm Plaxis 2D-AE.02 2014 durchgeführt. In den FEM-Berechnungen werden die Spannungen und Verformungen im Baugrund mit dem Mohr Coulomb Modell und sog. HS-Small-Stoffmodell berechnet. Der mittels Manschettenrohrinjektion verbesserte Boden wird als geometrisch abgegrenzter Körper mit verbesserten, homogenen Eigenschaften im Berechnungsmodell berücksichtigt. Der verbesserte Bereich wird mit dem linear elastischen, ideal plastischen Mohr-Coulomb-Stoffmodell berechnet, da sich die Bodeneigenschaften nach Injektion derart verändert haben sollten, dass eine Abbildung mit dem HS-Small-Modell nicht mehr zwingend erforderlich ist. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 249 Untersuchungen bezüglich der Ursachen von Differenzen zwischen prognostizierten und gemessenen Verformungen während komplexer Bauabläufe Die Lasten des Streifenfundaments und des LBBW Kellergeschosses wurde auf Grundlage von Grundrissen, Schnitten, Ansichten sowie aus Ergebnissen von Tragwerksberechnungen ermittelt. Die Verformungen der statischen Schnitte 2-2 (MQ16.2) und 3-3 (MQ16.1) wurden mit dem FEM-Programm Plaxis 2D prognostiziert. Abbildung 8: Grundriss Streifenfundament LBBW mit dem dazugehörigen Messprogramm Abbildung 9: Statischer Schnitt MQ16.2 Abbildung 10: Statischer Schnitt MQ16.1 3.3 Modellierung Maßnahmen an der Südostseite des LBBW Gebäudes mit FE Methode In den Berechnungen wurde der Baubemessungswasserstand HGW10 = +237,5 müNN zu Grunde gelegt. Das Grundwasser in der Baugrube wird mit dem Aushub 0,50 m unter Baugrubensohle schrittweise abgesenkt, während unterhalb der Grundgipsschichten der volle Wasserdruck des Lettenkeuperaquifers (Mineralwasser) wirkt. Die Grundgipsschichten wirken in der Berechnung als trennende Schicht des quartären Grundwassers zum darunterliegenden Lettenkeuper, sodass diese zum Schutze des Mineralwassers so gering wie möglich bis gar nicht beeinflusst werden dürfen. Die Absenkungskurve wurde anhand von analytischen Berechnungen (der Reichweite) ermittelt. Nach der Berechnung des Ausgangsspannungszustanwurden in den ersten fünf Phasen die GW-Schwankungen und Verkehrslasten modelliert. In den Phasen 3 und 4 wurde die Schwankung des Grundwasserspiegels zwischen HGW200 und bauzeitlichem Bemessungswasserstand HGW10 modelliert. Nach den Vorgeschichte 5 wird das Gebäude LBBW in drei Bauphasen hergestellt. Danach sind die Verformungen zu null gesetzt. Es folgt die Bauaktivitäten für die Baustrasse, Herstellung Verbau, kleinteiliger Aushub oberhalb Streifenfundament LBBW, Aufbringen einer Auflast und der Voraushub +247,0 müNN bis +242,2 müNN. Nach den Voraushub und Herstellung der Ankerlage 1 erfolgt der weitere Aushub für die Herstellung der MRI. Danach wird die Auflast an GOK entfernt. Ab Aushub 4 folgen weitere Zwischenaushübe bis Erreichen der Baugrubensohle, die Errichtung des neuen Tiefbahnhofs, die Arbeitsraumverfüllung und Entspannen der temporären Injektionsanker. 250 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Untersuchungen bezüglich der Ursachen von Differenzen zwischen prognostizierten und gemessenen Verformungen während komplexer Bauabläufe In den folgenden Abbildungen ist die Modellierung in Plaxis für die Schnitt MQ16.1 und Schnitt MQ 16.2 dargestellt. Abbildung 11: Modellierung Endaushub Schnitt MQ16.2 in Plaxis Abbildung 12: Modellierung Endaushub Schnitt MQ 16.1 in Plaxis 3.4 Ergebnisse Die Differenz zwischen den berechneten Verformungen am LBBW-Streifenfundament und LBBW-Keller sind pro Bauphase in Abbildungen 13 und 14 dargestellt. Während die Baumaßnahmen wurde die Differenz zwischen Streifenfundament und Keller, welche den Wert von Ds = ±3,0 mm nicht überschnitten dürfen gemessen. Die Auflast wurde auf die Baustelle nicht entfernt. Auf diesen Grund wurden die prognostizierten Werte in den Diagrammen angepasst (rote Linie). Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass die mittels Feinnivellement gemessenen Verformungen (grün) geringere Setzungen als prognostiziert anzeigen. Die abweichenden Messungen der Schlauchwaagen kann in erster Linie auf Temperatureinflüsse, auf die im Außenbereich installierte Schlauchwaage zurückgeführt werden. Abbildung 13: Schnitt MQ 16.2 -Verformungsprognose und Messungen Abbildung 14: Schnitt MQ 16.1- Verformungsprognose und Messungen 4. Fazit Die Beide Beispiele zeigen eindrucksvoll die Möglichkeiten von „state of the art“ -Verformungsprognosen komplexer innerstädtischer Bauprojekte mittels der FE-Methode. Damit können Bauabläufe simuliert und Verformungsprognosen realitätsnah im Stuttgarter Baugrund erstellt werden. Das aufgezeigte Vorgehen dient der Risikoreduktion z. B. im Umfeld sensibler Bestandsbebauungen und kann aus Sicht des Autors die Akzeptanz auch für sehr anspruchsvolle Bauprojekte fördern. Quellenverzeichnis [1] Benz, T. (2007): Small-Strain Stiffness of Soils and its Numerical Consequences. Promotion [2] Petalas, A. (2013): The Generalized Hardening Soil Model. (Plaxis Manual) 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 251 Eine 13 m tiefe Baugrube für den neuen DB Tower mit nur einer Ankerlage unter besonderen geologischen Bedingungen Dr.-Ing. Simon Meißner, Maximilian Kies (M. Eng.) Prof. Quick und Kollegen, Groß-Gerauer-Weg 1, 64295 Darmstadt Dipl.-Ing. Markus Escher BBV Systems GmbH, Industriestraße 98, 67240 Bobenheim-Roxheim Dipl.-Ing. Markus Wegerl Züblin Spezialtiefbau GmbH, Europa-Allee 50, 60327 Frankfurt am Main Zusammenfassung Der DB Tower in Frankfurt am Main besteht aus einem 66 m hohen Hochhaus mit angrenzender Sockelbebauung auf einer durchgehenden 3-geschossigen Unterkellerung. Die Hochhauslasten werden über eine Kombinierte Pfahl-Plattengründung in den Baugrund eingeleitet. Der Baugrund besteht im Projektgebiet aus quartären Schichten, welche von pliozänen Sanden/ Schluffen unterlagert werden. Unterhalb der pliozänen Schichten folgen die tertiären Schichten des geringdurchlässigen Landschneckenmergels sowie der Frankfurt Formation. Das Grundwasser steht ca. 4 m unter Gelände an. Im Rahmen der Ausführungsplanung der Baugrube wurde von Züblin Spezialtiefbau GmbH für die 13 m tiefe Baugrube unter Berücksichtigung einer optimierten Terminschiene eine Planung ausgearbeitet, die gegenüber dem Ausschreibungsentwurf mit bereichsweise dreifach rückverankertem Baugrubenverbau eine Planung mit nur einer Ankerlage oberhalb des Grundwasserspiegels enthält. Der statisch anspruchsvolle Entwurf sah eine wasserundurchlässige Schlitzwand mit einer Tiefe von bis zu 45 m und einer Einbindung in die geringdurchlässigen Tone vor. Aufgrund der bei der einlagigen Rückverankerung erforderlichen hohen Ankerkräfte und den besonderen geologischen Randbedingungen wurden Staffelanker BBV-multibond ® vorgesehen. Zur Ermittlung belastbarer Planungsgrundlagen und Verifizierung der Tragfähigkeit des innovativen Ankersystems in den tertiären Schluffen, Tonen und Sanden, wurde im Vorfeld ein umfangreiches Prüfprogramm ausgeführt. 1. Projekt Das Projekthochhaus DB Tower, bestehend aus dem Towerbereich und einer Sockelbebauung, wird in Frankfurt am Main realisiert werden. Das zu bebauende Gelände befindet sich in der Europa-Allee. Die zu bebauende Fläche beläuft sich auf insgesamt rund 4.000 m². Diese setzen sich aus der Grundfläche des Towers mit ca. 1500 m² und der Grundfläche der Sockelbebauung von ca. 2.500 m² zusammen. Der Tower besteht aus insgesamt 16 Obergeschossen. Dadurch ergibt sich eine Bauwerkshöhe von ca. 66 m. Tower und Sockelbebauung werden vollflächig mit 3 Untergeschossen unterkellert. Die Tiefe der Baugrube beträgt bis zu 13 m unterhalb der Geländeoberkante. Die Bodenplatte weist im Kernbereich eine Dicke von 2,0 m und im Außenbereich eine Dicke von 1,5 m auf. Die Gründung erfolgt mittels einer Kombinierten Pfahl-Plattengründung mit 36 Pfählen mit einer Länge von 25 m und einem Durchmesser von 1,2 m. Bild : Animationsbild DB Tower Frankfurt 252 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Eine 13 m tiefe Baugrube für den neuen DB Tower mit nur einer Ankerlage unter besonderen geologischen Bedingungen Bild : 3D-Planung Baugrube mit Nachbarbebauung 2. Baugrund- und Grundwasserverhältnisse Das Gebiet des ehemaligen Hauptgüterbahnhofs liegt innerhalb des Mainzer Beckens am Nordrand der großtektonischen Grabenstruktur des Rheintalgrabens. Unter künstlichen Auffüllungen folgen die Schichten des Quartärs mit unterschiedlichen Dicken. Die Schichten des Quartärs bestehen aus fluviatilen Terrassensedimenten des Mains (Sande, Kiese und Schluffe) sowie aus äolischen Lössablagerungen und dessen Umlagerungs- und Verwitterungsprodukten. Abweichend von den üblichen bekannten Baugrundverhältnissen in der Innenstadt von Frankfurt werden im Projektgebiet die quartären Schichten von pliozänen Sanden/ Schluffen unterlagert. Die pliozänen Schichten trennen das Quartär von den tertiären Schichten des Miozäns. Unterhalb der pliozänen Schichten folgen die Schichten des Landschneckenmergels sowie der Frankfurt Formation. Beide Schichten bestehen aus einer unregelmäßigen Abfolge von Tonen, Kalksteinbänken, Algenriffen und Hydrobiensandlagen. Die Unterkante der pliozänen Böden verläuft erfahrungsgemäß wellig. Im Projektgebiet konnten zusätzlich Störungen und Verwerfungen dokumentiert werden. Auf Grundlage der Baugrunderkundung sowie vorliegender Archivunterlagen lässt sich der Baugrund im Projektgebiet somit in die folgenden Bodenschichten gliedern: - Schicht I Auffüllung - Schicht II Quartäre Lehme - Schicht III Quartäre Sande und Kiese - Schicht IV pliozäne Sande und Schluffe - Schicht V Landschneckenmergel - Schicht VI Frankfurt-Formation Bild : Geotechnischer Schnitt DB Tower 3. Staffelankersystem BBV-multibond ® 3.1 Funktionsweise Bei klassischen Ankersystemen führt die Verlängerung des Verpresskörpers über 7 m bis 8 m nicht zu einer wesentlichen Erhöhung der Gesamttragfähigkeit, da die Grenzscherfestigkeit des Baugrundes bereits auf den ersten Metern der Verpressstrecke aktiviert wird. In Abhängigkeit vom anstehenden Baugrund bildet sich ein mehr oder minder ausgeprägter Lasteinleitungsschwerpunkt, welcher sich bei Lasterhöhung durch „progressiven Bruch“ in Richtung des erdseitigen Endes des Verpresskörpers verschiebt. Der Widerstand in der Scherfuge zwischen Verpresskörper und Baugrund reduziert sich auf eine deutlich geringere Restscherfestigkeit. [4] Bild : progressiver Bruch (schematisch) Die Aktivierung einer größeren Verpresskörperlänge durch gestaffelte innere Lasteinleitung (Staffelanker) ist geotechnisches Grundlagenwissen [4], [5]. Bild : Lastabtragung Staffelanker (schematisch) 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 253 Eine 13 m tiefe Baugrube für den neuen DB Tower mit nur einer Ankerlage unter besonderen geologischen Bedingungen Gleiche Dehnung der unterschiedlich langen „freien“ Teil-Ankerlängen führt jedoch zur Einleitung von unterschiedlichen Teil-Lasten in den Verpresskörper. Zur Erzeugung normgeforderter, annähernd gleicher Teilankerkräfte sind bei den existierenden Lösungsansätzen komplizierte Pressensysteme, komplexe Spann- und Prüfabläufe, teilweise kombiniert mit einer verfahrenstechnisch aufwendigen Trennung der Verpresskörper durch Packer, erforderlich. Aus diesen Gründen sind Staffelanker trotz der immensen Traglastvorteile bis heute nur vereinzelt zur Anwendung gekommen. Ein neues, ingenieurmäßig einfaches Verfahren zur Planung, Herstellung und Prüfung von Staffelankern führte zu dem patentierten Prinzip BBV-multibond ® . Bild : Prinzip BBV-multibond ® Durch die spezielle Angleichung der Teilankersteifigkeiten des Staffelankers können bei gleichzeitig aufgebrachtem und gleichem Dehnweg annähernd gleich große Teilankerkräfte erzeugt werden. Verbleibende geringfügige Kraftdifferenzen werden durch einen Korrekturfaktor (eS) berücksichtigt. Die Grenzlinien für die Eignungs- und Abnahmeprüfungen werden anhand eines theoretisch errechneten Ersatzankers (La*=Ltf*+Ltb*) ermittelt und überprüft. Bild : theoretischer Ersatzanker nach dem Prinzip BBV-multibond ® (schematisch) Durch die spezielle Abstimmung der Steifigkeiten der Teilanker und die Verwendung des theoretischen Ersatzankers nach dem Prinzip BBV-multibond®, kann der gesamte Staffelanker d.h. der kurze Teilanker und der lange Teilanker gemeinsam, normkonform geprüft und festgelegt werden. Bild : Prinzip Prüfen und Festlegen von Staffelankern Typ BBV-multibond® Der besondere Vorteil gegenüber dem Prüfen/ Spannen von Teilankern liegt in der Überprüfung des real vorhandenen Gesamtsystems mit herkömmlicher Pressentechnik und ohne zusätzlichen Prüfaufwand. Das gleichzeitige und gleichförmige Einleiten der annähernd gleich großen Teilanker-Kräfte in einen gemeinsamen Verpresskörper verhindert unzulässige Scher-/ Quer-Zugspannungen im Zementstein und erzeugt eine Verstetigung der Rissverteilung. Der erforderliche Nachweis zur Lastableitung mehrerer, hintereinander liegender Lasteinleitungsstrecken innerhalb eines gemeinsamen Verpresskörpers wurde an Dauerankern mit gestaffelten freien Teilankerlängen durch Systemprüfungen Typ B gemäß DIN EN 1537 erbracht. In Referenz zu DIBt-Zulassungsversuchen für BBV-Litzendaueranker bis 31 Litzen wurde die Verstetigung der Rissverteilung und die sichere Aktivierung der doppelten Verpresskörperlänge nachgewiesen. Bild : geöffneter, innerer und äußerer Verpresskörper des gestaffelten Dauerankers [6] 3.2 Anker-Eignungsprüfungen- Planung Im Vorfeld der Bauausführung wurde die Eignung des Staffelankersystems anhand umfangreicher Eignungsprüfungen gemäß des Prüfkonzeptes für Kurzzeitanker in bindigen Böden verifiziert. Dem Prüfvorgang wurden die DIN EN 1537: 2014-07 und DIN SPEC 18537: 2017- 11 zugrunde gelegt. Alle Probeanker wurden in unmittelbarer Nähe der Baugrundaufschlussbohrungen hergestellt. Die Verpressstrecken lagen in den pliozänen Bodenschichten. Diese Schicht setzt sich zusammen aus Sanden und Kiesen, Schluffen und Tonen sowie z.T. mit organischen Bestandteilen. Über das Baufeld verteilt wurden drei Testfelder in Abhängigkeit der Baugrundschichtung wie folgt gewählt: - Testfeld 1: Im Südwesten des Baufelds (Anker 1 und 2) befindet sich im Bereich der Bohrung BK 15. Die Verpresskörper der Probeanker liegen vorwiegend in den tertiären Schichten, die als schluffige Feinbis Mittelsande mit teilweise organischen Anteilen angesprochen wurden (Bild 10). - Testfeld 2: Im Südosten des Baufelds (Anker 4) liegt im Bereich der Bohrung BK/ GWM 31. Die Verpresskörper befinden sich im Bereich einer Wechsellagerung aus tertiären sandigen Schluffen, schluffigen Tonen und Sanden mit teilweise organischen Anteilen (Bild 10). - Testfeld 3: Im Nordosten des Baufelds (Anker 6) befindet sich im Bereich der Bohrung BK 12. Der Ver- 254 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Eine 13 m tiefe Baugrube für den neuen DB Tower mit nur einer Ankerlage unter besonderen geologischen Bedingungen presskörper des Probeankers liegt in den tertiären, schluffigen Sanden/ Schluffen und einer lokalen Tonschicht (Bild 10). Bild : Lage der Probeanker im Verhältnis zu den erbohrten Schichtgrenzen Es wurden je zwei Staffelanker mit einer resultierenden Verpressstrecke von 11 m (2x 5,5 m) und von 14 m (2x 7 m) geplant. Jede (Teil-)Verpressstrecke wurde nachinjiziert. Tabelle 1: Details der Staffelanker Zur Realisierung des optimierten statischen Entwurfs mit nur einer Ankerlage waren gesicherte Anker-Prüflasten von ca. 1400 kN erforderlich. Die Herausziehwiderstände klassischer Ankersysteme in den pliozänen Baugrundverhältnissen wurden deutlich geringer abgeschätzt. Die Anforderung an das Staffelankersystem BBV-multibond® war, die Eignung für die 2-fache Tragfähigkeit gegenüber den Erfahrungswerten sicher nachzuweisen. Für die Eignungsprüfungen wurden die Staffelanker für aufbringbare Prüflasten von 1.800 kN ausgelegt. Bild : Prüfung der Probeanker im Mai 2018 Die Herstellung der Probeanker, Durchführung und Auswertung der Eignungsprüfung erfolgte durch die Züblin Spezialtiefbau GmbH zusammen mit dem Technischen Büro Tiefbau Duisburg (TBT-DU). Das Ingenieurbüro Prof. Quick und Kollegen - Ingenieure und Geologen GmbH war mit der Fremdüberwachung der Eignungsprüfung beauftragt. Die Dimensionierung der Staffelanker und Berechnung der theoretischen Ersatzlängen La* und Ltb* erfolgte durch BBV Systems GmbH. 3.3 Anker-Eignungsprüfungen- Ergebnisse 3.3.1 Kriterium Kriechmaß (Multibondanker) Entsprechend DIN SPEC 18537 ist nachzuweisen, dass das Kriechmaß auf der Prüfkraftstufe den Wert 1 mm (zwischen der 20. und 60. Minute) im Kurzzeitversuch bzw. den Wert 2 mm im Versuch mit verlängerter Beobachtungszeit (≥ 120 min) nicht überschreitet. Alle Multibond-Anker (Lv =14,0 m und Lv =11,0 m) erfüllten das Kriterium des Kriechmaßes bei einer Prüflast von 1.800 kN sicher. Das maximale Kriechmaß ks,max der getesteten Multibond-Anker lag zwischen 0,2 mm und 1,4 mm (< 2,0 mm) bei einer maximalen Beobachtungszeit von 60 min. Auch das Kriechmaß von max. 1 mm auf der Prüflaststufe zwischen der 20. und 60. Minute wurde eingehalten. Somit war die Grenzlast der Multibond-Anker bei der maximalen Prüflast von 1.800 kN noch nicht erreicht. Der reale Herausziehwiderstand Rak konnte nicht ermittelt werden. Bild : Kriechmaßentwicklung Probeanker Nr. 1 (Lv = 14 m) Bild : Kriechmaßentwicklung Probeanker Nr.4 (Lv=11m) 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 255 Eine 13 m tiefe Baugrube für den neuen DB Tower mit nur einer Ankerlage unter besonderen geologischen Bedingungen Die äußerst geringen Kriechmaße [kS,max ≤ 0,2 mm bei einer Prüflast von 1.800 kN] zeigen auch für die Multibondanker mit Verpressstrecken von 11 m (Ltb = 2x5,5 m) noch vorhandene Tragreserven in den schluffigen Sanden und Tonen des Tertiärs. 3.3.2 Kriterium Grenzlinie (Multibondanker) Gemäß DIN SPEC 18537 muss die rechnerische freie Stahllänge Lapp oberhalb einer Kraft von 70% der maximalen Prüfkraft PP bzw. des festgestellten Herausziehwiderstands Rak im zulässigen Bereich zwischen der unteren Grenze (0,8 x Ltf +Le) und der oberen Grenze (Ltf+Le+0,5Ltb) liegen. Alternativ kann die rechnerische freie Stahllänge über die elastischen Verschiebungsanteile kontrolliert werden (Kriterium der Grenzlinien). Zur Berechnung der Grenzlinien und „Lapp“ wurden die Längen des theoretischen Ersatzankers (La*= Ltf*+Ltb*) verwendet. Die elastischen Verschiebungen (smin ≤ sel ≤ smax) lagen bei allen Multibondankern im zulässigen Bereich. Nachstehend ist die Entwicklung der Ankerkopfverschiebungen in Abhängigkeit der Ankerkraft graphisch dargestellt (Bild 14 und 15). Bild : graphische Kontrolle der freien Ersatz-Stahllänge gem. SPEC 18537, Probeanker Nr. 1 (Lv =14m) Die Auswertungen zeigen bei den Multibondankern mit einer Verpressstrecke Lv = 14 m (2x7 m), als auch mit Lv = 11 m (2x5,5m) eine Lasteinleitung am Optimum der „c“-Linie. Der theoretische Lasteinleitungsschwerpunkt liegt somit am Beginn der Lasteinleitungsstrecken. Bild : graphische Kontrolle der freien Ersatz-Stahllänge gem. SPEC 18537, Probeanker Nr. 4 (Lv =11m) Die Lasten der Teilanker wurden sicher in den Verpresskörper eingeleitet. In Bezug auf das Kriterium der oberen Grenzlinie „a“ besitzt der Gesamtanker noch eine sehr ausgeprägte Reserve. Die bei der Berechnung der normativen Grenzlinien verwendeten Längen des theoretischen Ersatzankers wurden verifiziert. 3.4 Fazit Anker-Eignungsprüfungen Die Prüfergebnisse zeigen, dass eine Verdopplung der Prüflast von klassischen „Erfahrungs“-Ankern durch das Staffelankersystem BBV-multibond® auch in diesen komplexen Baugrundverhältnissen sicher möglich ist. Sind die Randbedingungen vergleichbar, können 2fache Lasten, durch 2-fach aktivierte Mantelfläche, folgerichtig ein vergleichbares Kriechverhalten bei gleichem Sicherheitsniveau erreichen. Tragfähigkeit Staffelanker ≈ 2 x Tragfähigkeit Erfahrungsanker Die geprüften Staffelanker Typ BBV-multibond® haben die Kriterien der Eignungsprüfung gemäß DIN SPEC 18537 für die maximale Prüfkraft von 1.800 kN erfüllt. Nach DIN SPEC 18537 ist der charakteristische Herausziehwiderstand Rak eines Ankers erreicht, wenn das Kriechmaß ks einen Wert von 2,0 mm überschreitet. Maßgebend ist dabei der niedrigste Wert Ra, der bei einem der geprüften Anker festgestellt wird. Der charakteristische Herausziehwiderstand Rak der Multibondanker konnte nicht erreicht werden. 256 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Eine 13 m tiefe Baugrube für den neuen DB Tower mit nur einer Ankerlage unter besonderen geologischen Bedingungen Bild : Detail Prüfpresse / Probeanker Wird der charakteristische Herausziehwiderstand Rak nicht erreicht, so gilt die maximal erreichte Prüfkraft Pp als Rak. Somit ergibt sich der bei dieser Eignungsprüfung ermittelte charakteristische Herausziehwiderstand Rak zu 1.800 kN. Die Ergebnisse der Eignungsprüfungen bestätigen die Konformität des Staffelankersystems BBV-multibond® zu den normativen Vorgaben und Prüfkriterien der DIN EN 1537 / SPEC 18537. Die Auswertungen der Kriechmaße als auch der freien Ersatzstahllänge auf Prüflast von 1.800 kN zeigen für die pliozänen Sande und Schluffe noch vorhandene Tragreserven der Staffelanker. Die zur Realisierung des optimierten statischen Entwurfs mit nur einer Ankerlage erforderlichen Anker-Prüflasten von ca. 1400 kN waren gesichert nachgewiesen. Bild : Abnahmeprüfung / Bauwerksanker Bild : ungestörter, durchgängiger Aushub nach Spannen der (einzigen) Ankerlage 4. Baugrubenplanung Die Herstellung der Untergeschosse erfolgte im Schutze einer wasserundurchlässigen Trogbaugrube. Die Abmessungen der Baugrube betragen ca. 90 m x 50 m, die Grundfläche der Baugrube beträgt ca. 4.450 m² Die Baugrubensohle liegt ca. 13 m unter Geländeoberfläche und 9 m unterhalb des bauzeitlichen Grundwasserstandes (Bild 3). Als Baugrubensicherung wurde umlaufend eine 0,80 m dicke Schlitzwand hergestellt, die bis in den gering durchlässigen tertiären Ton (Landschneckenmergel, natürliche Dichtsohle) einbindet. Die Unterkante der Schlitzwand ergibt sich aus hydrogeologischen Erfordernissen, d.h. es war eine ausreichende Einbindung in den gering durchlässigen tertiären Ton zu gewährleisten. Hierzu war eine Tiefe der Schlitzwand von ca. 30 m erforderlich. Im nordwestlichen Bereich musste die Schlitzwand aufgrund der vorgenannten geologischen Verwerfungen bis in eine Tiefe von 45 m abgeteuft werden (Bild 19) [2]. Der Grundwasserspiegel wurde innerhalb der wasserundurchlässigen Trogbaugrube im Endaushubzustand abgesenkt bzw. entspannt (Restwasserhaltung). Bild : 3D-Planung (optimiert) Baugrube 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 257 Eine 13 m tiefe Baugrube für den neuen DB Tower mit nur einer Ankerlage unter besonderen geologischen Bedingungen Der Ausschreibungsentwurf sah eine zum Teil 3-fach rückverankere Schlitzwand vor (Bild 20). Durch den Einsatz von Staffelankern BBV-multibond® konnte eine Optimierung von 3 Ankerlagen auf 1 Ankerlage in der Ausführungsplanung erzielt werden (Bild 21). Bild : Ausschreibungsentwurf mit Erfahrungsankern Bild : optimierte Ausführungsplanung mit Staffelanker BBVmultibond ® Für das Projekt DB-Tower bedeutete die Optimierung durch den Einsatz von Staffelankern BBV-multibond ® : - Einsparung von 2 Ankerlagen, in Teilbereichen einer Ankerlage (gegen drückendes Grundwasser) - (Fast) Alle Anker konnten oberhalb des Bauwasserspiegels, d.h. nicht gegen drückendes-Grundwasser gebohrt werden. - Ersparnis von 2 Zwischenaushubebenen - mehrere Wochen Bauzeitersparnis Alle Abnahmeprüfungen der insgesamt 185 Bauwerksanker (2 x Ltb=2x7 m =14 m, PPrüf = < 1400 kN) wurden mit einem Prüflastfaktor von 1,5 erfolgreich durchgeführt und bestätigten die positiven Ergebnisse der Eignungsprüfungen. Ergänzend hierzu wurden Ankergruppenprüfungen ebenfalls erfolgreich ausgeführt. Ergänzend zu den analytischen, erdstatischen Berechnungen der Verbauwand wurden für die Bewertung der Verschiebungen der Verbauwand numerische Berechnungen mittels Plaxis 2D und Plaxis 3D durchgeführt [1]. Die Verschiebungen im Westbereich wurden mit einem 2D numerischen Schnitt ermittelt. Die Verformungen im Nord- und Ostbereich wurden mit einem gesamtheitlichen 3D-Modell in ausgewählten Schnitten ermittelt. Die bodenmechanischen Kennwerte und der Wasserdruckansatz, die als Parameter in den numerischen Untersuchungen Eingang gefunden haben, wurden aufgrund der komplexen geotechnischen Baugrundverhältnisse insbesondere der pliozänen Schichten in Abstimmung mit dem geotechnischen Prüfer vorsichtig gewählt. In den numerischen Modellen wurden die Schlitzwand und die Verpressanker gemäß [1], die angrenzenden baulichen Anlagen mit den Gründungselementen und Lasten sowie der Bauablauf detailliert berücksichtigt. Die horizontalen Verschiebungen des östlichen Baugrubenschnitts sind in Bild 22 dargestellt. Die Verträglichkeit der Verschiebungen konnte für die benachbarten baulichen Anlagen nachgewiesen werden. Ergänzend zu diesen Berechnungen kam die Beobachtungsmethode zum Einsatz. Bild : Darstellung der horizontalen Verschiebungen im 2D-Modell - Vollaushub Die horizontalen Verschiebungen im westlichen und tiefsten Teil der Baugrube wurden mit einem 3D-Modell ermittelt (Bild 23). Auch hier konnte die Verträglichkeit der berechneten Verschiebungen für benachbarte bauliche Anlagen nachgewiesen werden. Bild : Darstellung der horizontalen Verschiebungen im 3D-Modell - Vollaushub 258 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Eine 13 m tiefe Baugrube für den neuen DB Tower mit nur einer Ankerlage unter besonderen geologischen Bedingungen 5. Gründungsdesign Die Lasten des Towers werden mittels einer Kombinierten Pfahl-Plattengründung in den Baugrund eingeleitet. Die Berechnungen zur Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit erfolgten in einem 3D-numerischen FE-Modell gemäß den Empfehlungen in [1]. Das entwickelte Gründungsdesign besteht aus insgesamt 35 Gründungspfählen mit einer Länge von 25 m in Verbindung mit einer 2,0 m (Kern) und 1,5 m dicken Bodenplatte. Bild : Setzungen im numerischen Modell Aus den numerischen Berechnungen resultieren ca. 4,5 cm Setzungen im Bereich des Hochhauses für den setzungserzeugenden Lastkombination. Im Bereich des Flachbaus wurden die Setzungen mit maximal 3,3 cm prognostiziert. Unter Berücksichtigung der numerischen Berechnungsergebnisse hinsichtlich Winkelverdrehung und Verkantung konnte die Gebrauchstauglichkeit der aufgehenden Bebauung gewährleistet werden. Der Pfahl-Plattenkoeffizient für die Gründung des DB-Tower ergab sich zu einem Wert von aKPP = 0,71. 6. Messergebnisse Der Baugrubenaushub wurde mit einem umfangreichen Messprogramm bestehend aus geodätischen und hydrogeologischen Messungen, Ankerkraftmessungen und Inklinometermessungen begleitet. Im Vorfeld wurden detailliert Schwellen-, Eingreif- und Alarmwerte in Anlehnung an die EAB und auf Grundlage prognostizierter Werte ausgearbeitet und ein Alarm- und Handlungsplan erstellt. Grundsätzlich wurden keine der vorab definierten Grenzwerte überschritten. Es zeigten sich kleinere Verschiebungen der Verbauwände als in den numerischen Berechnungen prognostiziert (Bild 24). Ursächlich hierfür ist der vorsichtige Ansatz von bodenmechanischen Kennwerten. Dies wird ebenfalls durch die Auswertung der Ankerkraftmessungen bestätigt. Hier zeigt sich, dass nach Festlegung der Anker die Ankerkräfte im Zuge des weiteren Baugrubenaushubs nicht ansteigen (Bild 26). Bild : Inklinometermessergebnisse Bild : Ankerkraftmessungen 7. Zusammenfassung Im Frankfurter Europaviertel wird zurzeit der DB Tower mit einer bis zu 13 m tiefen Baugrube errichtet. In Zusammenarbeit mit allen Projektbeteiligten konnte durch die Züblin Spezialtiefbau GmbH ein optimiertes Baugru- 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 259 Eine 13 m tiefe Baugrube für den neuen DB Tower mit nur einer Ankerlage unter besonderen geologischen Bedingungen bensystem u.a. mit nur einer Lage von Staffelankern Typ BBV-multibond® geplant und ausgeführt werden. Für eine Planungssicherheit wurden im Vorfeld umfangreiche Eignungsprüfungen durchgeführt. Unter Berücksichtigung dieser erfolgreichen Prüfungen, einer qualifizierten, hochwertigen Bauausführung der konstruktiven Zusammenarbeit aller Planungsbeteiligten konnte die Baugrube termingerecht an den Bauherrn übergeben werden. Die Bauausführung wurde mit umfangreichen Messungen der Verbauwand begleitet. Nach vollständiger Herstellung der Baugrube wurde die Qualität der Planung und der Bauausführung durch die bisherigen Messungen nachgewiesen. Es konnte gezeigt werden, dass die numerischen Berechnungen zuverlässige Prognosen liefern. Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz von Multibond Ankern ist neben der sach- und fachgerechten Herstellung der Anker unter Auswahl des optimalen Bohrverfahrens, eine kompetente, auf Erfahrung basierende planerische Berücksichtigung der statischen und konstruktiven Randbedingungen . Die Züblin Spezialtiefbau GmbH verfügt hierbei zusammen mit der Zentralen Technik der Ed. Züblin AG über langjährige Erfahrungen bei der Planung und Herstellung von Ankern im Frankfurter Baugrund. Bild : 13 m tiefe Baugrube mit nur einer Ankerlage unter besonderen geologischen Bedingungen im Endaushub Literaturverzeichnis [1] Arbeitskreis AK 1.6, „Numerik in der Geotechnik“. 2014. Empfehlungen des Arbeitskreises Numerik in der Geotechnik. Berlin: Wilhelm Ernst & Sohn, Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co.KG, 2014. ISBN 978-3-433-030806. [2] Kies, M.; Meißner, S.; Michael; Schmitt, J. Risikoanalysen für geotechnische Fragestellungen bei der Planung und Ausführung von Baugruben, Gründungen und Tunnelbauwerken, Bauen in Boden und Fels, 2020 [3] Brinkgreve, R.B.J., Kumarswamy, S. und Swolfs, W.M. 2015. Plaxis 2015 Reference Manual. AN DELFT, Netherlands: s.n., 2015. [5] Hanisch, J., Katzenbach, R. und König, G. Kombinierte Pfahl-Plattengründung. Berlin: Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH, 2002. 3-433-01606-2. [4] Ostermayer, H. Verpreßanker, Grundbautaschenbuch, 1991 4. Auflage, Teil 2. Ernst & Sohn, Berlin [5] Barley, A.D. (1997) Ground anchorages and anchored structures London: Keller Concrete [6] Buschlinger, M., Escher, M. 2015. Zulassungsversuche BBV Litzendaueranker Typ L31, BBV Systems GmbH [7] Quick, H., Meißner S., Michael, J. “Zwei Hochhäuser in direkter Nachbarschaft zu einer geplanten U-Bahn”, 26. Darmstädter Geotechnik-Kolloquium - Darmstadt, 07.03.2019. [8] Meißner, S. “Modellierung der Interaktion von Tragwerk und Gründung am Bespiel FOUR in Frankfurt”, Weiterbildungsprogramm TU Kaiserslautern 18.09.2019. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 261 Turm am Mailänder Platz, Stuttgart - Planung einer Baugrube unter Berücksichtigung eines einseitig freigelegten Stadtbahntunnels Dr.-Ing. Jörg Schreiber Ed. Züblin AG, Direktion Zentrale Technik, Technisches Büro Tiefbau Stuttgart, Deutschland M.Sc. Erik Linke Ed. Züblin AG, Direktion Zentrale Technik, Technisches Büro Tiefbau Stuttgart, Deutschland Zusammenfassung Bei dem Projekt Turm am Mailänder Platz handelt es sich um den Bau eines Hochhauses im Stuttgarter Europaviertel. Die besondere Herausforderung für die Planung der Baugrube bestand in den beiden bereits in Betrieb befindlichen Stadtbahntunneln der U12, die das Baufeld diagonal kreuzen. Um das dritte Untergeschoss des Gebäudes bis unmittelbar an den nördlichen Tunnel herstellen zu können, musste dieser fast vollständig seitlich frei gelegt werden. Das zweite Untergeschoss überragt dann mit seiner vergrößerten Grundfläche beide Tunnelröhren, so dass die Tunnel unterhalb des Gebäudes verlaufen. Im Folgenden wird das Baugrubenkonzept mit dem Schwerpunkt auf die durch die Tunnel resultierenden baubetrieblichen und statischen Aspekte vorgestellt. 1. Einleitung 1.1 Projekt Der Turm am Mailänder Platz ist mit 66 Metern Höhe der dritte und letzte genehmigte Hochpunkt im Stuttgarter Europaviertel. Er ist unweit des Hauptbahnhofes und direkt am Milaneo Einkaufszentrum sowie der Stadtbibliothek gelegen. Der Bau wurde im Herbst 2018 begonnen und befindet sich derzeit in der Rohbauphase. Abbildung 1: Turm am Mailänder Platz 1.2 Baufeld Eine Besonderheit des 1.768 m² großen Baugrundstückes besteht darin, dass hierauf bereits zwei U-Bahntunnel in offener Bauweise hergestellt worden sind, die sich seit 2017 im Betrieb befinden. Die Abbildung 2 zeigt die Geometrie des Gebäudegrundrisses und den ungefähren Verlauf der beiden Tunnel, die sich unter dem späteren Gebäude erstrecken. Abbildung 2: Gebäudegrundriss und Lage der Tunnel (gestrichelt), Blickrichtung nach Norden Im Norden und Nord-Westen ist das Baufeld durch die tunnelartige Wagenladungsstraße begrenzt, die der Ver- 262 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Turm am Mailänder Platz, Stuttgart - Planung einer Baugrube unter Berücksichtigung eines einseitig freigelegten Stadtbahntunnels sorgung des gesamten Areals dient. Unmittelbar östlich der Baugrube befindet sich die Moskauer Straße mit dem Eingang zur Stadtbibliothek. Südlich ist ein noch unbebautes Grundstück gelegen, das während der Bauzeit teilweise als BE-Fläche und Bodenlager verwendet wird. 2. Realisiertes Baugrubenkonzept Im westlichen Bereich (Heilbronner Straße/ Wagenladungsstraße) wurde ein frei auskragender Trägerbohlverbau mit einem Geländesprung von knapp 5,0 m hergestellt, da aufgrund der Tiefgründung der bereits vorhandenen Wagenladungsstraße sowie der noch zu errichtenden Verlängerung um den Tunnelblock 17 keine Möglichkeit für eine Rückverankerung bestand. Abbildung 3: Baugrubenkonzept (Revit-Modell), Blickrichtung nach Nordost Entlang der bestehenden Wagenladungsstraße wurden die vorhandenen Gründungspfähle unter der Außenwand teilweise freigelegt und mit Spritzbeton ausgefacht, um sie temporär als Verbauwand nutzen zu können. Hierzu musste die Stahlbetonkonstruktion einschließlich der Pfähle für die geänderte Belastungssituation statisch nachgewiesen werden. Die Baugrubensicherung auf der Ostseite wurde mit einem vierfach rückverankerten Trägerbohlverbau ausgeführt. Dabei ist ein Geländesprung von etwas mehr als 14 m zu sichern. Die Stadtbahntunnel der U12 kreuzen hier den Verbau diagonal und verlaufen dann weiter durch die Untergeschosse der benachbarten Stadtbibliothek. Abbildung 4: Baugrubenkonzept mit Ankerplanung, Blickrichtung nach Südwest Im südlichen Teil des Baufeldes bilden die U-Bahntunnel zum Teil die Begrenzung der Baugrube bzw. ermöglichen im Sinne eines Stützbauwerkes den Höhensprung zwischen dem Aushubniveau für das dritte UG und das zweite UG (siehe Abbildung 3). Die Bodenplatte des zweiten UG wird in Teilbereichen nur wenige Dezimeter oberhalb der Tunneldecken hergestellt. Zur Vermeidung unzulässiger Lastzustände und Verformungen kommen hier Setzungsplatten zum Einsatz, durch die eine Lastfreischaltung der Tunneldecken erreicht wird. Neben und zwischen den beiden Tunneln werden die Gebäudelasten aus der Lastverteilerplatte mit Bohrpfählen in den Untergrund abgetragen, um Mitnahmesetzungen der Tunnel zu minimieren. Hinsichtlich der aus der Baugrubenherstellung resultierenden Bauzustände waren umfangreiche Standsicherheits- und Verformungsberechnungen für die Tunnel erforderlich, die im Abschnitt 7 detaillierter behandelt werden. 3. Baugrund 3.1 Bodenmodell Die höchste Geländeoberkante im Baufeld zum Zeitpunkt des Projektstarts lag im Bereich der Moskauer Straße bei ca. 256 mNN. In diesem Bereich wurde in jüngster Vergangenheit eine rund 7 m hohe steile Böschung aufgeschüttet, um die Stadtbibliothek über die Moskauer Straße zu erschließen. Der darunter befindliche Baugrund kann vereinfacht anhand des folgenden repräsentativen Schichtmodells für den Bereich der nördlichen Tunnelblöcke erläutert werden: 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 263 Turm am Mailänder Platz, Stuttgart - Planung einer Baugrube unter Berücksichtigung eines einseitig freigelegten Stadtbahntunnels Abbildung 5: Vereinfachtes Baugrundmodell Ungefähr bis zum großflächigen Aushubniveau von ca. 242 mNN stehen künstliche Auffüllungen an. Darunter stehen in der Regel direkt die Schichten des Gipskeupers an, da die quartären Deckschichten im Baufeld nur noch lokal begrenzt vorhanden sind. Überwiegend setzt der Gipskeuper mit dem Bochinger Horizont ein. Nur vereinzelt wird er noch von den Schlufftonsteinen des Dunkelroten Mergel überlagert. Der Bochinger Horizont besteht aus schluffig bis kiesigen Schlufftonsteinen mit einer geringen bis sehr geringen Druckfestigkeit. Zum Teil sind sie zu Schluff verwittert. Die Mächtigkeit des Bochinger Horizontes schwankt im Baufeld zwischen 3 m und 6,5 m. Darunter liegen die Schlufftonsteine der sogenannten Grundgipsschichten. Auch sie sind zum Teil zu Schluff entfestigt und weisen ein halbfeste oder - untergeordnet steife und feste Konsistenz auf. Die Mächtigkeit der Grundgipsschichten beträgt zwischen rund 7 m und 10 m. Unterhalb der Grundgipsschichten folgt der Lettenkeuper. 3.2 Bodenparameter Die vom geotechnischen Sachverständigen ermittelten und in den Berechnungen angesetzten Bodenkennwerte sind in der nachfolgenden Tabelle zusammengefasst. Da für die Dunkelroten Mergel, den Bochinger Horizont und die oberen 4 m der Grundgipsschichten die gleichen Rechenparameter angegeben wurden, sind diese Böden nachfolgend und im FE-Modell als „oberer“ Gipskeuper zu einer Schicht zusammengefasst worden. Als „unterer“ Gipskeuper wird im FE-Model der Teil der Grundgipsschichten definiert, der sich mehr als 4 m unterhalb der Unterkante des Bochinger Horizontes befindes (siehe Abbildung 5). Tabelle 1: Bodenparameter 4. Grundwasser Da der bauzeitliche Bemessungswasserstand mit 240 mNN unterhalb der Baugrube liegt, waren keine Maßnahmen zur Grundwasserabsenkung innerhalb der Baugrube und auch kein wasserdichter Verbau erforderlich. 5. Wagenladungsstraße 5.1 Einleitung Nördlich des Baufeldes befindet sich die Wagenladungsstraße, die der Andienung des Areals dient und über die nach Fertigstellung die Tiefgarage erreichbar ist. Zwar wurde bei der Bemessung der Wagenladungsstraße bereits die Errichtung einer Nachbarbebauung berücksichtigt, jedoch ergab sich nun bei der Planung der Baugrube eine um bis zu 1,85 m tiefere Aushubsohle als in der ursprünglichen Statik der Wagenladungsstraße angenommen. Infolge der tieferen Aushubsohle wurden die Gründungspfähle der Wagenladungsstraße freigelegt, sodass eine nachträgliche Bemessung erforderlich wurde. In der Bemessung wurde die äußere und innere Tragfähigkeit der Gründungspfähle sowie die innere Tragfähigkeit der Wagenladungsstraße für die geänderte Situation im Bauzustand nachgewiesen. 264 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Turm am Mailänder Platz, Stuttgart - Planung einer Baugrube unter Berücksichtigung eines einseitig freigelegten Stadtbahntunnels 5.2 Nachweisführung Der maßgebende Schnitt zur Nachweisführung mit der tiefsten Aushubsohle ergibt sich im Bereich der Tunnelblöcke 10 und 11. Abbildung 6: Aushubsohlen vor der Wagenladungsstraße Anhand der vorliegenden Statik zur Wagenladungsstraße wurde die Bemessung der Tunnelblöcke nachmodelliert und nachvollzogen. Für zwei wesentliche Lastfallkombinationen wurden sämtliche Lastfälle, Lagerbedingungen und Bettungsfedern simuliert. Die Kontrolle der Schnittgrößenverläufe und Reaktionskräfte zeigten für beide Lastfallkombinationen eine hinreichend genaue Übereinstimmung der Ergebnisse mit der Ursprungsstatik, sodass auf Grundlage dieser „kalibrierten“ Nachberechnung die veränderte Belastungssituation der freigelegten Pfähle nachgewiesen wurde. Die Freilegung der Gründungspfähle führt zu einem Ausfall der horizontalen Pfahlbettung auf der einen Seite und einem zusätzlichen Erddruck von der anderen Seite (s. Abbildung 7). Zwischen den Gründungspfählen wurde eine Spritzbetonausfachung zur Sicherung des Baugrunds, der innerhalb des Tunnels verlaufenden Straße und der Leitungen ausgeführt. Abbildung 7: Zusätzlicher Erddruck auf Gründungspfähle infolge Freilegung In der Nachbemessung konnte gezeigt werden, dass die statisch erforderliche Bewehrung gegenüber der tatsächlich vorhandenen Bewehrung erheblich geringer ist und somit die innere Tragfähigkeit der Gründungspfähle weiterhin gegeben ist. Die Schnittgrößen des Rahmenbauwerks waren ebenfalls vermindert. Die Einhaltung sämtlicher Werte ist im erheblichen Maße auf die in der Bestandsstatik berücksichtigte seitliche Anschüttung der Wagenladungsstraße über die gesamte Tunnelhöhe zurückzuführen (s. Abbildung 8). Der Entfall dieses Erddrucks führt zu einer signifikanten Entlastung des Tragwerks und somit zu Reserven, die für einen tieferen Aushub verwendbar sind. Die äußere Tragfähigkeit der Gründungspfähle wurde in der Bestandsstatik erst ab einer Tiefe unterhalb der jetzigen Baugrubensohle betrachtet und wurde somit ebenfalls nicht maßgebend. Abbildung 8: Entfallender Erddruck auf die Wagenladungsstraße 6. Trägerbohlwand zur Moskauer Straße Entlang der Moskauer Straße wurde eine Trägerbohlwand mit insgesamt vier Ankerlagen zur Sicherung eines Höhensprungs von ca. 14 m ausgeführt. Viel mehr als die Bemessung stellte die Konstruktion und die Ausführung der Trägerbohlwand besondere Herausforderungen dar. Diverse Leitungen (Stromtrassen, Abwasserkanal, Fernwärme, Schächte), die Stadtbibliothek, die Tunnelröhren der U-Bahn und entsprechend erforderliche Sicherheitsabstände waren bei der Planung der Träger und der Anker zu berücksichtigen. Die beengten Platzverhältnisse ließen z. T. nur die Herstellung von horizontalen Ankern zu. Weiterhin wurden Druckrohranker eingesetzt, die eine Lasteinleitung am Ende des Verpresskörpers bewirken, um so den Lasteinleitungspunkt weiter von benachbarten Leitungen zu entfernen (s. Abbildung 9). Die dreidimensionale Modellierung vereinfachte die Planung der komplexen Geometrie und Ankerführung erheblich (s. Abbildung 4). Die Reaktionsschnelligkeit im Falle unvorhersehbarer Ereignisse zeigte sich bei der 3D-modellbasierten Planung als besonderer Vorteil. So konnten z. B. in einigen Fällen Anker nicht auf die erforderliche Prüfkraft angespannt werden, sodass Ansatzpunkte und Ankerneigung der Ersatzanker unter Beachtung der komplexen Randbedingungen kurzfristig zur Verfügung gestellt werden mussten. Die visuelle Kontrollmöglichkeit durch Einblendung von Toleranzkörpern bei der Ankerherstellung, Mindestabständen der Anker untereinander oder zu Bauwerken und Leitungen führte zu einer schnellen Verfügbarkeit der erforderlichen Angaben. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 265 Turm am Mailänder Platz, Stuttgart - Planung einer Baugrube unter Berücksichtigung eines einseitig freigelegten Stadtbahntunnels Abbildung 9: Einsatz von horizontalen Ankern und Druckrohrankern unter schwierigen geometrischen Voraussetzungen 7. Stadtbahntunnel 7.1 Einleitung Abbildung 10 gibt einen Überblick über die Lage der Tunnelblöcke innerhalb der Baugrube. Die Elementlänge der einzelnen Tunnelblöcke beträgt 10 m. Abbildung 10: Lage der Tunnelblöcke Der nördliche Tunnel 634 musste im Zuge der Aushubarbeiten einseitig freigelegt werden. Aufgrund des daraus resultierenden asymmetrischen Erddruckes erfährt der Tunnel eine geringe horizontale Verschiebung. Abbildung 11: Bauzustand mit einseitig frei gelegtem Tunnel 634 Die resultierende Horizontalkraft aus dem Erddruck wird bei den Tunnelblöcken 634.34 bis 634.36 sowohl über die Sohlreibung als auch durch die bereits vor dem Aushub neben dem Tunnel hergestellten Gründungspfähle aufgenommen. Für den Block 634.37, der in der Verbauachse liegt, waren darüber hinaus zusätzliche Stützmaßnahmen und Berechnungen erforderlich. 7.2 Nachweise der Tunnelblöcke im Regelbereich 7.2.1 Konzept In Abbildung 3 und Abbildung 4 ist eine Reihe von Gründungspfählen zu erkennen, die in geringem Abstand entlang des nördlichen Tunnels verläuft. Die Pfahlreihe wird beim einseitigen Freilegen des Tunnels als indirekte seitliche Stützung der Tunnelsohle aktiviert und wirkt sich reduzierend auf die Verformungen aus. Für die Bemessung der späteren Gründungspfähle mussten daher die sich aus dem Bauzustand ergebenden Biege- und Querkraftverläufe entsprechend ermittelt und berücksichtigt werden. 7.2.2 FE-Modell Die Verformungen für die Blöcke im Regelbereich wurden anhand von vergleichsweise einfachen 3D-Plaxis-Modellen ermittelt. Bei der verwendeten Geometrie handelt es sich hauptsächlich um eine mit 10 m Tiefe in Tunnellängsrichtung extrudierte 2D-Geo-metrie mit lediglich einer Ergänzung: Die Gründungspfähle wurden als kreisrunde Volumenkörper mit Interfaces an den Außenflächen modelliert. Abbildung 12 zeigt das Modell in der für den Tunnel maßgebenden Berechnungsphase mit dem Endaushub der Baugrube. Vergrößert im Detail dargestellt ist die Ansicht der fünf ca. 8 m langen Gründungspfähle (D = 1,2 m) mit ausgeblendetem Boden. 266 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Turm am Mailänder Platz, Stuttgart - Planung einer Baugrube unter Berücksichtigung eines einseitig freigelegten Stadtbahntunnels Abbildung 12: Modell eines Tunnelblockes mit benachbarten Gründungspfählen Als Stoffgesetz wurde für alle Böden das „Hardening Soil Model“ verwendet. Im Falle des Gipskeuper kam zudem die Erweiterung „Small Strain Stiffness“ zum Einsatz (siehe Tabelle 1: Bodenparameter). 7.2.3 Ergebnisse Wesentliches Ziel der FE-Berechnungen waren die Verformungsprognosen. Darüber hinaus konnten die Modelle verwendeten werden, um zusätzlich zu den mit konventioneller Statik-Software bereits geführten Standsicherheitsnachweisen die Gesamtstandsicherheit mittels der Methode der Phi-C-Reduktion zu bestätigen. Abbildung 13 zeigt die Horizontalverschiebungen transversal zum Tunnel. Abbildung 13: Horizontalverschiebungen transversal zum Tunnel (Skala: +1,5 mm bis -3,5 mm) Die maximalen Tunnelverschiebungen für das oben gezeigte Tunnelelement betragen an der Tunneloberseite ca. 3 bis 4 mm und an der Tunnelunterseite ca. 2 mm. Die Ergebnisse wurden in Abstimmung mit dem Tunnelbetreiber u. a. an das damalige Planungsbüro für die Stadtbahntunnel zur statischen Bewertung weitergeleitet. Die anhand der vereinfachten Modelle für den Regelbereich gewonnenen Ergebnisse waren in einer frühen Projektphase eine wichtige Entscheidungsgrundlage für die Abstimmung der Baugrubenplanung mit allen Projektbeteiligten, da zuvor nicht eindeutig gesichert war, dass das einseitige Freilegen der Tunnel statisch zulässig ist. 7.3 Nachweis des Tunnelblockes 634.37 innerhalb des Verbaus 7.3.1 Konzept Die in Abbildung 11 gezeigte Situation zeigt den Regelfall, bei dem die Tunnelblöcke 634.34 bis 634.36 den Horizontaldruck ohne eine zusätzliche direkte Abstützung aufnehmen können. Im Falle von Block 634.37 ist die Belastungssituation deutlich ungünstiger, da eine Ecke des Blockes den Verbau durchdringt und hier der Erddruck aus einer Höhendifferenz von über 14 m auf die Erdseite des Blockes wirkt (siehe Abbildung 14 und Abbildung 15). Abbildung 14: Lage von Block 634.37 im Grundriss Die nachfolgende Skizze veranschaulicht im Schnitt die Situation, die sich im Endaushubzustand für die hinter dem Verbau liegende und mit ca. 8 m Boden überschüttete Blockecke ergibt. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 267 Turm am Mailänder Platz, Stuttgart - Planung einer Baugrube unter Berücksichtigung eines einseitig freigelegten Stadtbahntunnels Abbildung 15: Prinzipskizze: Schnitt durch Block 634.37 In Abbildung 16 ist die am Block 634.37 verwendete Abstützkonstruktion inklusive der Stützberme dargestellt. Während der Installation der Abstützkonstruktion verblieb zunächst eine Stützberme, um den Tunnelblock in Position zu halten. Für den Einbau der Schrägsteife war lediglich ein lokal begrenzter Einschnitt in die Stützberme erforderlich. Abbildung 16: Abstützkonstruktion für Block 634.37 Erst nachdem die fertige Stahlkonstruktion kraftschlüssig mit Pagel an die Tunnelaußenwand und das Widerlager auf der Bodenplatte angeschlossen worden war, konnte die Stützberme entfernt werden. Der vertikale Stahlträger wurde bereits bei der Herstellung des Gründungspfahls einbetoniert und diente nach der Aktivierung der Abstützkonstruktion als Zugelement für die Aufnahme der resultierenden Umlenkkraft. Abbildung 17: Entfernung der Stützberme mit dem Minibagger 7.3.2 3D FE-Modell Für die zu erbringenden Nachweise in den Bauzuständen wurden die von der Baugrubenherstellung betroffenen Blöcke der Stadtbahntunnel samt ihrer Umgebung in Plaxis 3D modelliert. Das komplexe 3D-Modell ermöglichte im Unterschied zu dem zuvor gezeigten einfachen Modell auch Aussagen über Differenzverformungen zwischen Blöcken. Die Blöcke waren zu diesem Zweck gegenseitig verschieblich gelagert. Da für einige der Blöcke durch die Aushubentlastung Hebungen zu erwarten waren, konnte insbesondere der Übergangsbereich zu einem überschütteten Nachbarblock kritisch werden. Die Modellierung der Interfaces erlaubte sowohl die gegenseitige Verschiebung als auch ein Auseinanderklaffen der Blöcke in den Fugen. Abbildung 18 zeigt das 3D-Modell im Endaushubzustand. Es wurden alle Bauzustände inklusive der Zwischenaushübe für alle Ankerlagen einschließlich der Phasen zum Aktivieren der Vorspannkräfte simuliert. Abbildung 18: 3D-Modell zur Untersuchung von Block 634.37, Endaushubzustand mit bereits hergestelltem Bodenplattenabschnitt 268 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Turm am Mailänder Platz, Stuttgart - Planung einer Baugrube unter Berücksichtigung eines einseitig freigelegten Stadtbahntunnels In dem FE-Modell wurden sämtliche Verpressanker, Verbauträger und Tunnelblöcke innerhalb des Modellausschnittes mit ihrer exakten Geometrie generiert. Zu diesem Zweck konnten z. B. im Falle der Anker die räumlichen Anfangs- und Endkoordinaten für die freie Ankerlänge und den Verpresskörper aus dem 3D-Revit-Modell exportiert und zur Modellbildung in Plaxis verwendet werden. Abbildung 19: 3D-Modell zur Untersuchung von Block 634.37 (Boden ausgeblendet) Die Generierung sämtlicher Modell-Elemente erfolgte durch das Einlesen von Befehlszeilen in den „Commands Runner“ (Abbildung 20). Die Zeilen waren zuvor automatisiert auf Basis der Geometriedaten des Revitmodells erstellt worden. Durch diese Arbeitsweise entfällt praktisch die klassische Modellerstellung unter Nutzung der grafischen Oberfläche mit den seitlichen Werkzeugleisten. Abbildung 20: Verwendung des Commands Runner zum Einlesen von extern generierten Befehlszeilen 7.3.3 Ergebnisse aus dem 3D-Modell Nachfolgend sind die Verformungsergebnisse für den Endaushubzustand in x-, y- und z-Richtung dargestellt. Bei allen Ergebnissen handelt es sich um die Gesamtverschiebungen, die ab dem Projektstart Turm am Mailänder Platz rechnerisch auftreten. Alle voran gegangenen Verformungen aus den Berechnungsphasen zur Simulation der Tunnelherstellung, der anschließenden Wiederverfüllung sowie der Herstellung der Böschung vor der Bibliothek sind darin nicht enthalten. Abbildung 21: Verschiebungen in y-Richtung (Skala: -0,50 bis 3,75 mm) Die Verformungen in y-Richtung entsprechen näherungsweise den transversalen Tunnelverschiebungen. Die Ergebnisse des einfacheren 3D-Modells (siehe Abschnitt 7.2) werden vom größeren 3D-Modell mit knapp 4 mm sehr gut bestätigt. Abbildung 22: Verschiebungen in x-Richtung (Skala: -1,3 bis 0,6 mm) Die Verformungen in x-Richtung zeigen, dass die Differenzen der Längsverschiebungen innerhalb der Blockfugen in einer Größenordnung von etwa einem Zehntelmillimeter liegen. Der absolute Maximalwert der Längsverschiebungen ergibt sich an der Blockfuge 634.36 / 634.35 mit ux = -1,3 mm. Abbildung 23: Verschiebungen in z-Richtung (Skala: -0,5 bis 3,75 mm) 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 269 Turm am Mailänder Platz, Stuttgart - Planung einer Baugrube unter Berücksichtigung eines einseitig freigelegten Stadtbahntunnels Für die Setzungen bzw. Hebungen ergibt sich ein ähnliches Bild: Die Differenzverformungen in den Fugen sind vernachlässigbar gering. Der Maximalwert der Hebungen ist mit ca. 4 mm sowohl unkritisch für den Betrieb der Stadtbahn als auch in statischer Hinsicht für die Tunnelblöcke. Ursache für die Hebung ist einerseits der großflächige Aushub der Baugrube aber auch der im Modell berücksichtigte Rückbau der Böschung entlang der Moskauer Straße. 8. Monitoring Für das Projekt wurde ein umfangreiches Monitoringprogramm entwickelt und umgesetzt. Dazu gehörte u. a. eine geodätische Lageüberwachung der Tunnelblöcke. Die bis zum jetzigen Zeitpunkt gemessenen Verformungswerte liegen alle unterhalb der Schwellenwerte. Die Abstützkonstruktion ist inzwischen rückgebaut und die Herstellung der Untergeschosse weit fortgeschritten. In lateraler Richtung wurden die Schwellenwerte auf +5 mm und -5 mm festgelegt. Die maximal gemessenen Querverschiebungen der Tunnelblöcke liegen bei 2 mm und damit unterhalb der berechneten Verformungswerte. In vertikaler Richtung waren die Schwellenwerte mit +10 mm und -10 mm definiert. Von den fünf Prismen, die jeweils innerhalb eines Tunnelmessquerschnittes angeordnet waren, gab es teilweise Einzelmesswerte, die fast bist an den Schwellenwert von +10 mm heranreichten. Allerdings handelte es sich dabei offenbar um Ausreißer, da in diesen Fällen die anderen vier Prismen des gleichen Messquerschnittes diese Bewegungen nicht bestätigten. Gemessen am Gesamtbild der Messwerte haben sich für die Blöcke 634.36 und 634.37 Hebungen von ca. 4 mm gezeigt, wobei die Einzelmesserwerte innerhalb eines Querschnittes i. d. R. mit bis zu +/ -2 mm um den gemessenen Mittelwert variieren. Für die weiteren Blöcke ergaben sich erwartungsgemäß geringere Hebungen. 9. Schlussfolgerungen und Ausblick Die vorab mittels der FE-Berechnungen prognostizierten Verformungen und die inzwischen gemessenen Verformungen passen insbesondere bei den Hebungen sehr gut zusammen. Dies ist nicht unbedingt selbstverständlich, da einerseits während der Realisierung einer Baugrube Effekte - z. B. aus dem Baubetrieb - auftreten, die sich anhand eines FE-Modells und der dabei verwendeten „wished-in-place“-Methode nur unzureichend erfassen lassen und es sich andererseits bei den angesetzten charakteristischen Bodenkennwerten um vorsichtige Schätzwerte handelt. Insgesamt sind die Horizontalverschiebungen der einseitig frei gelegten Tunnelblöcke äußerst gering ausgefallen, insbesondere wenn man bedenkt, dass die Schwankungen der Messwerte innerhalb des Korridors von +/ -2 mm wohl wesentlich durch Messtoleranzen erzeugt werden. Es konnten für die Horizontalverschiebungen keine signifikanten Messwertänderungen beobachtet werden, die eine konkrete Auswirkung des Erdaushubs angezeigt hätten. Eine wahrscheinliche Ursache für die praktisch nicht messbare Horizontalverschiebung der Tunnelblöcke liegt in der Verwendung von bindemittelverbessertem Boden bei der damaligen Rückverfüllung der Baugrube nach dem Bau der beiden Tunnel. Da die Geometrie der damals qualifiziert verfüllten Arbeitsräume zwischen und neben den Tunneln nicht zweifelsfrei anhand der Pläne zu klären war, wurden auf der sicheren Seite liegend für die Verformungsberechnungen nur die Eigenschaften einer nicht mit Bindemitteln verbesserten Verfüllung angenommen. Baugrund/ Erkundung 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 273 Ergänzende Baugrunderkundung bei unerwarteten Baugrundverhältnissen - Besondere Randbedingungen und Erkenntnisse Dr.-Ing. Thomas Rumpelt Smoltczyk & Partner GmbH, Stuttgart, Deutschland M. Eng. Jörgen Keller Smoltczyk & Partner GmbH, Stuttgart, Deutschland Dr. rer. nat. Lisa Krienen Smoltczyk & Partner GmbH, Stuttgart, Deutschland Zusammenfassung Im Zuge der Planung und Einholung der Bohrgenehmigung für eine Baugrunderkundung für ein einfach unterkellertes Verwaltungsgebäude im Osten Karlsruhes wurden die Erkundungsbohrungen wegen der geplanten Erdwärmenutzung in einer Wasserschutzzone durch Auflagen der Behörden tiefer als bei vergleichbaren Bauprojekten ausgeführt. Dies hatte zur Folge, dass entgegen den Erwartungen unter den anstehenden quartären Rheinkiesen und -sanden in einer Tiefe von bis 20 m Tertiäre Tone und Tonmergelsteine angetroffen wurden. So konnte statt der zunächst angedachten künstlichen Dichtsohle nun diese als natürliche Sohlabdichtung der ins Grundwasser einbindenden Baugrube genutzt werden. Zur Optimierung der Spundbohlenlängen und Erhöhung der Planungssicherheit wurde eine ergänzende Baugrunderkundung mittels Ankerbohrgeräte in einem Achsraster von 10 m durchgeführt. Die Arbeiten konnten trotz strenger ökologischer Auflagen zügig und rechtzeitig vor der Vergabe der Verbauarbeiten durchgeführt werden. Der Vergleich der Tertiäroberfläche vor und nach der ergänzenden Erkundung belegt die Erforderlichkeit der ergänzenden Erkundung. 1. Ausgangssituation 1.1 Lage Das Baugelände liegt rund 3 km nordöstlich des Karlsruher Schlosses, im sogenannten, an den KIT Campus Ost angeschlossenen, Technologiepark. Großräumig liegt das Bauvorhaben am östlichen Rand des Oberrheingrabens im Randschollenbereich. Das Baugelände liegt in der Schutzzone III B des Wasserschutzgebietes Hardtwald. Das anstehende Gelände liegt auf einer Höhe von rund 114 mNHN und somit knapp 4 m über dem mittleren Grundwasserspiegel. 1.2 Bauvorhaben Geplant ist der Bau eines Büro- und Verwaltungsgebäudes mit angeschlossenem Parkhaus, welche jeweils sieben aufgehende Geschosse und ein Untergeschoss aufweisen. Die langgezogene Baugrube weist Abmessungen von von etwa 35 m mal 181,5 m mit einer Fläche von 6.350 m2 auf. Die Baugrube wird flächig rund 5,5 m in den Baugrund einbinden, wobei mehrere Tieferführungen wie z. B. Aufzugsunterfahrten, Fettabscheider und Pumpensümpfe eine Tiefe von bis zu 9,5 m erreichen. 1.3 Geologie Gemäß der Hydrogeologischen Kartierung und Grundwasserbewirtschaftung im Raum Karlsruhe-Speyer 2006 des Umweltministeriums Baden-Württemberg und des Ministeriums für Umwelt, Forsten, und Verbraucherschutz Rheinland-Pfalz [1] liegt das Baufeld an einer von mehreren Verwerfungen, die den Oberrheingraben im Randbereich durchziehen (Abbildung 1). 274 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Ergänzende Baugrunderkundung bei unerwarteten Baugrundverhältnissen - Besondere Randbedingungen und Erkenntnisse Abbildung 1: Übersichtslageplan (aus [1]) mit Lage des Bauvorhabens und der Verwerfungen Entsprechend dem nahegelegenen Querschnitt 4 (Abbildung 2) ist im Untersuchungsgebiet von einem rund 15 m bis 20 m mächtigen Oberen Grundwasserleiter (OGWL) auszugehen, der sich in diesem Bereich aus der Oberen kiesig-sandigen/ Mittleren sandig-kiesigen Abfolge (OksA/ MskA) zusammensetzt. Darunter befindet sich der Untere Grundwasserleiter (UGWL) der überwiegend aus der Unteren sandig-schluffigen Abfolge (UssA) besteht. Diese Abfolge entspricht dem Pliozän (nach neuer Nomenklatur: Fluviatiles Jungtertiär bzw. Iffezheim-Formation). Sie liegt in einer Tiefe von rund 65 m bis 100 m den älteren Tertiären Festgesteinen (Miozän und Oligozän) aus Ton- und Mergelsteinen auf. Abbildung 2: Querschnitt 4 (aus [1]) mit Lage des Bauvorhabens 2. Erkundungsphase 2.1 Planung und Genehmigung Da, wie oben beschrieben, von mindestens 65 m mächtigen quartären Flussablagerungen aus Kies und Sand sowie jungtertiären Sanden und Schluffen auszugehen war, wurden für die Erkundung 5 Kernbohrungen und 5 Schwere Rammsondierungen mit jeweils 15 m Tiefe bei den Behörden beantragt. Lokale Vertiefungen bis -9,5 m waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt. Aufgrund der geplanten und ebenfalls beantragten Geothermienutzung wurde die Verlängerung einer Bohrung auf 30 m bei den Behörden angefragt. Da für Erdwärmesonden eine Tiefenbegrenzung bis Basis des Oberen oder Mittleren Grundwasserleiters besteht und es im Umfeld keinen Bohraufschluss bis in besagte Tiefen gab, wurde es nach Rücksprache mit dem LGRB als Auflage der Stadt Karlsruhe mindestens 3 Kernbohrungen auf die Tiefe von 30 m abzuteufen. Hier galt auch die Auflage, zu erwartende, dem UGWL zuzuordnende, durchlässige Bereiche in der Iffezheim-Formation zu verifizieren. Das Antreffen des UGWL hätte spätere Erdwärmesondenbohrungen auf 18 m bis zur Basis des OGWL begrenzt. 2.2 Durchführung und Auswertung Im August 2018 wurde mit den Kernbohrungen auf dem Baufeld begonnen. Auf den ersten 15 m bis 20 m wurden, wie erwartet Sande und Kiese der OksA angetroffen. Ab dieser Tiefe wurden jedoch zuoberst halbfeste bis fest, ausgeprägt plastische Tone erkundet. Diese setzten sich bis zur Endteufe von 30 m mit diversen Farbwechseln fort (Abbildung 3 und Abbildung 4). Abbildung 3: Kernfotos BK1 (10 m - 20 m) 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 275 Ergänzende Baugrunderkundung bei unerwarteten Baugrundverhältnissen - Besondere Randbedingungen und Erkenntnisse Abbildung 4: Kernfotos BK1 (20 m - 30 m) Auf Wunsch des Bauherrn wurden im Zuge der Bohrarbeiten zwei Bohrungen auf 40 m abgeteuft, um die Aussagekraft hinsichtlich der Geothermienutzung zu maximieren. Bei allen 5 Kernbohrungen wurden ab einer Tiefe von 15 m bis 20 m die Tone und Tonmergelsteine angetroffen. Die Iffezheim-Formation mit ihren sandig-schluffigen Bereichen wurde somit nicht angetroffen und ein zweiter Grundwasserleiter konnte ausgeschlossen werden. Die Ton- und Mergelsteine mit teilweise eingelagerten Kalksteinknollen wurden zusätzlich auf sulfathaltiges Gestein überprüft, um bei späteren Erdwärmesondenbohrungen ein Quellen und den damit zusammenhängenden Hebungen oder Quelldrücken ausschließen zu können. Beim Einordnen der tertiären Festgesteine fällt in Abbildung 2 auf, dass auf der Randscholle östlich der vom Baufeld östlich gelegenen Verwerfung die Tertiären Festgesteine in ähnlicher Tiefenlage angetroffen wurden. Dies lässt vermuten, dass sich die östliche Verwerfung nicht bis zum Baufeld fortsetzt oder sie nördlich hiervon zur westlich gelegenen Verwerfung der Grabenscholle verläuft. Folglich konnte aus bautechnischer Sicht von einer zuerst ausgegangenen Sohlabdichtung, wie sie im Karlsruher Raum größtenteils praktiziert wird, auf einen natürlichen Stauer zurückgegriffen werden, da dieser nun in greifbarer Nähe lag (Abbildung 5). Aufgrund der späteren Geothermienutzung wurde als rückbaubare Verbauwand eine Spundwand gewählt, da die vom quartären Grundwasser umströmten Erdwärmesonden hauptsächlich im Sommer zur Kühlung der Server genutzt werden. Abbildung 5: Geologischer Geländeschnitt 3. Ergänzende Erkundung der Tertiäroberfläche 3.1 Planung und Genehmigung Nach Feststellung eines flächigen, natürlichen Stauers in einer Tiefe zwischen 15 m und 20 m waren ergänzende Erkundungsbohrungen erforderlich, da die Anzahl der bestehenden Erkundungsbohrungen zur Bestimmung der genauen Tertiäroberfläche nicht ausreichten, um die Spundbohlenlängen optimieren zu können. Außerdem stützte sich das Baugrundmodell zum Teil auf Rammsondierprofile und es zeigten sich größere Höhendifferenzen in der Höhenlage der Ter-tiäroberfläche auf, die für die sichere Einbindung in den Stauer eine große Einbindelänge und somit erhöhten Aufwand zur Einbringung der Wand erfordern würde. Eine auf der sicheren Seite liegende Bohlenlänge wäre unwirtschaftlich und bei hoch anstehendem Tertiär nur mit erhöhtem technischem Aufwand verbunden. Zusätzlich muss zur Sicherstellung der Dichtigkeit der Baugrube eine sichere Einbindung in den Stauer gewährleistet werden können. Ein enger Zeitrahmen von zwei Monaten sowie ökologische Randbedingungen erschwerten die Wahl und Genehmigung der Nacherkundung. Auf der 433 m langen Verbauachse wurden alle 10 m ein Aufschluss durchgeführt, um jegliche Rinnenstrukturen, die bei der erosiven Tertiäroberfläche zu vermuten waren, abzudecken. Indirekte Aufschlussverfahren wie Ramm- oder Drucksondierungen konnten nicht die sichere Einbindung in das Tertiär gewährleisten, da in den anstehenden Kiesen auch mit Steinen oder Blöcken zu rechnen ist und die Gefahr des Aufsitzens somit zu groß war, zumal eine Fehlinterpretation nicht auszuschließen war. Somit wurde das direkte Aufschlussverfahren in Form von verrohrten Vollkernbohrungen mit Wasserspülung mittels Ankerbohrgerät gewählt, da sie im Vergleich zu 276 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Ergänzende Baugrunderkundung bei unerwarteten Baugrundverhältnissen - Besondere Randbedingungen und Erkenntnisse Kernbohrungen eine wirtschaftliche Alternative darstellen um einen Schichtwechsel festzustellen. Außerdem war das Ankerbohrgerät kurzfristig verfügbar und die Bohrungen konnten mit einer verhältnismäßig hohen Geschwindigkeit abgeteuft werden. Hinsichtlich der Bohrgenehmigung musste für die nach § 7 Abs. 2 Nr. 14 b BNatSchG streng geschützten Zauneidechsen, die in diesem Gebiet leben, eine Verfahrensbeschreibung mit Lage der Fahrspuren des Ankerbohrgeräts erstellt werden, da Vergrämungsarbeiten erst in den warmen Sommermonaten durchgeführt werden konnten und die Arbeiten bereits Anfang Mai 2019 beginnen sollten. Zum Erwirken einer vorzeitigen Bohrgenehmigung mussten somit zum Schutze der Tiere auf den Fahrspuren des Ankerbohrgeräts sowie des andienenden Minibaggers schützende Matten ausgelegt werden. Hierbei wurde auf ausgediente Gummiförderbänder (Abbildung 6) zurückgegriffen. Abbildung 6: Ankerbohrgerät auf Gummiförderbänder zum Schutz der Zauneidechsen 3.2 Durchführung und Auswertung Nach Genehmigung wurden die Bohrarbeiten Anfang Mai begonnen. Die 41 Bohrungen (d = 133 mm) mit insgesamt knapp 730 Bohrmetern konnten innerhalb von fünf Arbeitstagen abgeteuft und sachgerecht wieder verfüllt werden. In dieser Zeit mussten auch die schweren Förderbänder von Hand umgelegt werden. Die stratigraphische Aufnahme der Bohrungen erfolgte anhand des ausgespülten Bohrkleins. Den Übergang zum tertiären Tonmergelstein, der an der Oberfläche als ausgeprägt plastischer Ton ausgebildet ist, konnte der Maschinenführer bereits während des Bohrens am Anpress- und Spüldruck erkennen. Die kurz darauf ausgespülten Tonstücke bestätigten das Erreichen des Tertiärs (Abbildung 7). Auf den unteren Bohrmetern in den Rheinkiesen erschwerten größere Steine den Bohrfortschritt, die jedoch verdrängt oder zerbohrt werden konnten. Nachdem das Tertiär sicher erbohrt wurde, wurde das Bohrgestänge gezogen und das Bohrloch innerhalb der Außenverrohrung mit Tonpellets bzw. dem Bohrgut wieder verfüllt. Abbildung 7: Ausgespülter Ton über Kiese und Sande Nach Abschluss der Bohrungen konnte mittels der dokumentierten Tiefenlagen ein neues Oberflächenmodell des Tertiärs erstellt werden. Zur Bestimmung der Bohlenlängen wurden Schnitte entlang der Verbauachse gelegt (Abbildung 8). Beim Vergleich der Baugrundmodelle vor und nach der ergänzenden Erkundung konnten Diskrepanzen der Oberfläche von bis zu 2 m festgestellt werden. Die stärkste Steigung der Tertiäroberfläche betrug rund 1,5 m auf 10 m. Zur Berücksichtigung der beobachteten Schwankungen in der Höhenlage der Schichtgrenze und zur Sicherung der Dichtigkeit der Baugrubenumschließung wurde für die Ausführungsplanung und der Dimensionierung der Spundbohlen eine Einbindetiefe von mindestens 1,0 m in das Tertiär gemäß dem ergänzten Baugrundmodell gefordert. Diese wurde anhand der Protokolle und den zum Teil erforderlichen Nachrammungen so auch ausgeführt und bestätigt. Die Baugrube ist mittlerweile planmäßig und technisch wasserdicht hergestellt worden. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 277 Ergänzende Baugrunderkundung bei unerwarteten Baugrundverhältnissen - Besondere Randbedingungen und Erkenntnisse Abbildung 8: Tertiäroberfläche: Profile in den Verbauachsen und Schichtlagerungskarte 4. Geothermische Erkundung Das zukünftige Verwaltungsgebäude soll über regenerative Energien beheizt und gekühlt werden. Die Grundversorgung soll hierbei über die Nutzung der oberflächennahen Geothermie mit Erdwärmesonden gedeckt werden. Für die Dimensionierung des Erdwärmesondenfelds, das sich unterhalb des Gebäudes befinden wird, und zur Auslegung der Geothermieanlage wurde auf dem Baufeld die Pilotbohrung 1 abgeteuft und zu einer Erdwärmesonde ausgebaut. Von Seiten der Behörden wurde, aufgrund der Bedenken bezüglich des Vorhandenseins von Sulfatgesteinen in den tieferen tertiären Schichten, die Bohrtiefe auf 40 m unter Gelände begrenzt. Des Weiteren ist wegen der Lage des Bauvorhabens im Wasserschutzgebiet nur der Einsatz von Wasser als Wärmeträgerflüssigkeit in den Erdwärmesonden erlaubt. Nach Herstellung der Pilotbohrung und Einbringung der Doppel-U-Erdwärmesonde mit einem Hybridkabel wurde das Bohrloch mit einer dotierten Verpresssuspension bestmöglich abgedichtet. Das Hybridkabel dient später der geothermischen Erkundung des Untergrunds. Die Überwachung des Verpressvorgang erfolgte simultan über ein Suszeptibilitätsmesssystem. Somit konnte festgestellt werden, dass trotz mehrmaligem Nachverpressen die Suspension teilweise in die quartären Rheinkiesen/ -sande wegfloss und die Verfüllung auf einem Abschnitt von 3 m nicht möglich war. Zur Erkundung des geothermischen Potentials erfolgte nach Einhaltung einer Ruhephase, ein Enhanced Geo- Thermal Response Test (EGRT-Test). Bei dieser Messtechnik wird die Temperaturverteilung entlang einer Glasfaserleitung mittels eines Lasers bestimmt. Die optischen Eigenschaften der Glasfaser ermöglichen eine temperaturabhängige Reflexion von optischen Abbildung 9: Tiefenprofil der elektrischen Wärmeleitfähigkeit 278 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Ergänzende Baugrunderkundung bei unerwarteten Baugrundverhältnissen - Besondere Randbedingungen und Erkenntnisse Signalen, die vom Laser ausgehen, und hinsichtlich ihrer Frequenzverteilung analysiert werden. Somit ist über die Messung der Reflexionszeit eine genaue Lagebestimmung möglich. Durch das Anlegen einer Heizspannung an die elektrischen Leiter des Hybridkabels wird eine definierte Heizleistung in den Untergrund eingebracht und eine Temperaturänderung hervorgerufen, die über das Glasfaserkabel aufgezeichnet wird. Anhand des Aufheizverhaltens als auch des Abkühlverhaltens nach großer Zeit kann die effektive Wärmeleitfähigkeit des umgebenen Gesteins abgeleitet werden. Vor Einbringung der Heizspannung werden die Ausgangstemperaturen des Untergrunds aufgenommen. Unterhalb des jahreszeitlich beeinflussten Bereichs bis 7 m unter Gelände zeigt der Temperaturverlauf eine ungestörte Durchschnittstemperatur von 12,31 °C. Das über die Aufheizung und Abkühlung ermittelte Tiefenprofil der effektiven Wärmeleitfähigkeit stimmt gut mit der aufgenommenen Schichtenfolge überein (Abbildung 9). Die effektive Wärmeleitfähigkeit beträgt im Bereich der Rheinsande 1,87 W/ m/ K und steigt in den Rheinkiesen auf 3,39 W/ m/ K an. Dieser Anstieg ist auf einen höheren Grundwasserfluss im kiesigen Grundwasserleiter zurückzuführen. Mit Erreichen der undurchlässigen, tertiären Tonmergelsteinen verringert sich die effektive Wärmeleitfähigkeit auf 1,68 W/ m/ K. Somit ergibt sich eine mittlere Wärmeleitfähigkeit von 2,12 W/ m/ K. Die Ausschöpfung des geothermischen Potentials profitiert von der konvektiven Wärmeleitung im grundwassergesättigten Bereich der quartären Schichten, jedoch auch einer annehmbaren Regenerationsfähigkeit der tertiären Schichten, die eine relativ schnelle Abkühlung nach der Aufheizung zeigen. Bei guten regenerativen Eigenschaften des Untergrunds ist die gegenseitige Beeinflussung der Erdwärmesonden geringer. Dies ist ein wichtiger Faktor hinsichtlich des langjährigen Betriebs der Geothermieanlage. 5. Fazit Ist bei Bauvorhaben eine hohe Planungssicherheit hinsichtlich des Baugrundmodells gefordert, um wirtschaftliche Lösungen zu entwickeln, sind zur genaueren Erkundung von Schichtgrenzen direkte Aufschlüsse unverzichtbar. Hier bilden verrohrte Vollkernbohrungen eine wirtschaftliche Alternative zu Kernbohrungen. Der Informationsgewinn ist zwar zwangsläufig geringer jedoch können sie deutlich schneller abgeteuft werden und sind zum Bestimmen eines Schichtübergangs von nichtbindigen zu bindigen Böden geeignet. Das Beispiel verdeutlicht hier in überzeugender Weise, dass die Oberfläche eines Stauers in kurzer Zeit verlässlich bestimmt werden kann. Die Mehrkosten für die Erkundung und die Tieferführung der Baugrube in den Stauer lagen im Endeffekt immer noch deutlich unter denen für eine künstliche Dichtsohle. Abschließend empfiehlt es sich bei geringer Aufschlussdichte im Untersuchungsgebiet trotz Wettbewerb unter Baugrundgutachter tiefer als üblich zu erkunden, um naturgegebene Möglichkeiten nicht ungenutzt zu lassen. Ein Blick über den Tellerrand lohnt sich, hier natürlich in glücklicher Fügung, um an eine optimale technische und wirtschaftliche Lösung zu gelangen. 6. Danksagung Wir bedanken uns bei der Bauherrschaft, der Vector Informatik GmbH, Stuttgart, sowie bei den Planungsbeteiligten, insbesondere den Tragwerksplanern, Boll und Partner Ingenieurgesellschaft mbH & Co. KG, den Architekten, Schmelzle und Partner mbB, den Haustechnikplanern, IGH Stuttgart GmbH & Co. KG, der Bauüberwachung, Ernst2 und der Implenia Spezialtiefbau GmbH sowie auch den Behörden für die konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit bei der Bearbeitung des spannenden Projekts. Literaturangaben [1] Umweltministerium Baden-Württemberg und Ministerium für Umwelt, Forsten und Verbraucherschutz Rheinland-Pfalz: Hydrogeologische Kartierung und Grundwasserbewirtschaftung im Raum Karlsruhe - Speyer, 3. Bericht Fortschreibung 1986 - 2005, Datum der Bearbeitung: 2006 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 279 Geophysikalische Untersuchungen für die Vorplanung und Begleitung von Bauprojekten im Karst und innerstädtischen Bereich Dipl.-Geophysiker Thomas Hohlfeld & Dipl.-Geograph Florian Köllner GGL Geophysik und Geotechnik Leipzig GmbH Zusammenfassung Der Einsatz von geophysikalischen Verfahren bietet umfangreiche Möglichkeiten, einen entscheidenden Beitrag bei der Beantwortung komplexer geotechnischer Fragestellungen zu leisten. Über die Verknüpfung von punktuellen geotechnischen Aufschlüssen mit flächenhaften oder räumlichen geophysikalischen Verfahren, kann eine wesentlich genauere Datenbasis für die Planung der nachfolgenden Untersuchungen, wie z.B. des gezielten Ansatzes von direkten Aufschlüssen, erzeugt werden. In diesem Beitrag wird anhand von zwei Beispielen aus der Praxis erläutert, welchen Beitrag der Einsatz geophysikalischer Verfahren im Rahmen der Vorplanung und Begleitung von Bauprojekten liefern kann. Modernste geophysikalische Messtechnik sowie die kombinierte Lage- und Höhenvermessung durch DGPS und/ oder Tachymetrie erlauben die Schaffung einer umfangreichen digitalen Datenbasis, auf die im Planungsprozess fragestellungsbezogen zurückgegriffen werden kann. 1. Geophysikalische Verfahren Die nachfolgenden Betrachtungen konzentrieren sich auf die geophysikalischen Verfahren der Geoelektrik, der Gravimetrie und des Georadars. Die gleichfalls für diese Fragestellungen nutzbaren Verfahren der Seismik und der Bohrlochgeophysik werden hier nicht näher erläutert. 1.1 Widerstandsgeoelektrik Geoelektrische Messungen erfassen die Verteilung des spezifischen elektrischen Widerstands im Untergrund. Zur Messung wird in der Regel eine Vierelektrodenanordnung verwendet. Dabei wird an zwei Elektroden ein alternierender Gleichstrom in den Boden eingespeist (Stromelektroden A und B) und an zwei anderen Elektroden die Potentialdifferenz erfasst (Messsonden M und N). Aus den gemessenen Größen Spannung und Stromstärke sowie einem aus der Messgeometrie abgeleiteten Konfigurationsfaktor lässt sich der scheinbare spezifische elektrische Widerstand berechnen. Für die Erkundung in horizontaler und vertikaler Richtung wird nach dem aktuellen Stand der Technik das Verfahren der 2D-geoelektrischen Widerstandsmessung (auch geoelektrische Tomografie oder Sondierungskartierung genannt) eingesetzt. Bei den hier beschriebenen geoelektrischen Messungen werden mehrere Kabelbäume mit Elektroden in einem bestimmten Abstand auf den Profilen ausgelegt. Danach startet ein Messzyklus mit einer Multi-Elektroden-Apparatur, bei dem vom kleinsten Abstand zwischen zwei Elektroden bis zum maximal möglichen Abstand eine Vielzahl von unterschiedlichen Aufstellungsweiten an jedem Punkt des Profils vermessen werden kann. In Abbildung 1 ist das schematische Messprinzip der geoelektrischen Tomografie dargestellt. Abb. 1: Dargestellt ist eine Prinzipskizze einer 2D-geoelektrischen Messung mit der Anordnung der Elektroden nach Schlumberger. Die Elektroden sind in der Form A-M-N-B angeordnet. Die Elektroden A und B dienen zur Stromeinspeisung und die Elektroden M und N zur Spannungsmessung. 280 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Geophysikalische Untersuchungen für die Vorplanung und Begleitung von Bauprojekten im Karst und innerstädtischen Bereich Das Verfahren erlaubt eine detaillierte Erkundung des geologischen Schichtenaufbaus des Untergrunds sowohl in lateraler als auch in vertikaler Richtung entlang der vermessenen Profile. Durch eine Vermessung auf mehreren Parallelprofilen lassen sich auch räumliche Aussagen zum Untergrund (3D-Modellierung) gewinnen. Die geoelektrische Tomographie eignet sich sehr gut zur Detektion von Störungen und Verkarstungen. In der Regel zeichnen sich diese durch niedrige spezifische elektrische Widerstände aus, indem sie sich von den hohen spezifischen elektrischen Widerständen des umgebenden Gesteins unterscheiden. Bei der Planung von geoelektrischen Messungen muss allerdings berücksichtigt werden, dass die Auflösung mit der Zunahme der erforderlichen Erkundungstiefe deutlich abnimmt. Als Faustformel kann gelten, dass eine geoelektrische Erkundung von Störungen und Hohlräumen mit hoher Auflösung bis etwa 20 m Tiefe und mit guter Auflösung bis etwa 50 m Tiefe durchführbar ist. Auch in größeren Tiefen können aussagekräftige Ergebnisse bei günstigen Randbedingungen, wie z.B. bei hoch leitfähigen Strukturen, erzielt werden. 1.2 Gravimetrie Bei gravimetrischen Messungen erfolgt eine hochempfindliche Erfassung der Erdschwerebeschleunigung, aus der direkt eine Aussage zur Dichteverteilung im Untergrund abgeleitet werden kann. Werden geringe Punktabstände (circa 1 bis 5 m) verwendet und gleichzeitig hohe Anforderungen an Messgenauigkeit und Auflösungsvermögen gestellt, spricht man üblicherweise von mikrogravimetrischen Messungen. Das Messprinzip der gravimetrischen Messungen ist in Abbildung 2a bis c dargestellt. Abbildung 2a zeigt einen Schnitt durch eine Auflockerungsstruktur (zum Beispiel eine Doline), die mit Material gefüllt ist, welches eine geringere Dichte besitzt als das umgebende Material. Bei den gravimetrischen Messungen werden hochempfindliche Instrumente - sogenannte Gravimeter - eingesetzt, die im Allgemeinen aus einem Masse-Feder-System bestehen. Entsprechend der mit dem Newtonschen Gravitationsgesetz beschriebenen gegenseitigen Anziehung von Massen ergibt sich über der Rinne eine geringere Streckung der Feder des Messsystems als über dem dichteren Umgebungsgestein (siehe Abbildung 2b). Die dazugehörige Messkurve ist im Teil c) von Abbildung 2 dargestellt. Abb. 2: Dargestellt ist hier das Prinzip der Gravimetrie an einer Auflockerungsstruktur (z.B. einer Doline) nach LINDNER & CASTEN (1997) Gravimetrie; in: Handbuch zur Erkundung des Untergrundes von Deponien und Altlasten, Band 3: Geophysik, Berlin; Springer Verlag. Der Einsatz insbesondere mikrogravimetrischer Messungen hat sich für das Auffinden von Verkarstungszonen oder Hohlräumen als geeignet erwiesen, da Hohlräume, die wasser- oder luftgefüllt sind, sowie zugehörige Auflockerungszonen stets Massenbzw. Dichtedefizite darstellen (Dichte von Luft 0 g/ cm3, von Wasser 1,0 g/ cm3 und des umgebenden Materials 2,0 bis 2,7 g/ cm³). Somit zeichnen sich solche Strukturen im üblicherweise zu erkundenden Tiefenbereich von circa 10 bis 15 m bei entsprechender Größe als ein Minimum im Schwerefeld ab. Ein Hohlraum kann nach einer Faustregel mit einer gravimetrischen Erkundung dann erfasst werden, wenn das Verhältnis von Überdeckung zu Hohlraumdurchmesser kleiner ist als etwa 3 : 1. Für diese Abschätzung wird ein möglichst großer Kontrast der physikalischen Parameter vorausgesetzt (also ein luftgefüllter Hohlraum). Bei Hohlräumen mit einer Wasser- oder Feinkornfüllung reduziert sich dieses Verhältnis auf etwa 2 : 1 bzw. sogar 1 : 1. Somit erweist es sich für den Einsatz des Verfahrens als günstig, dass der für die Sicherheit des Bauuntergrunds kritischste Fall (offener Hohlraum) die stärkste gravimetrische Anomalie erzeugt. Stärkere Erschütterungen, zum Beispiel von Baumaschinen, können die gravimetrischen Messungen stören oder im Extremfall gar verfälschen und sollten deshalb während der Messungen vermieden werden. 1.3 Georadar Mit Georadarmessungen können Veränderungen der elektrischen Eigenschaften des Untergrundes, im Speziellen der Dielektrizitätskonstante ε sowie der elektri- 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 281 Geophysikalische Untersuchungen für die Vorplanung und Begleitung von Bauprojekten im Karst und innerstädtischen Bereich schen Leitfähigkeit σ, durch das Aussenden und Empfangen elektromagnetischer Wellen linien- und flächenhaft abgebildet werden. Elektromagnetische Wellen werden mit einer Antenne an der Oberfläche abgestrahlt, an geologischen Schichtgrenzen und anthropogenen Objekten im Untergrund reflektiert oder gestreut und wiederum an der Oberfläche mit einer Antenne empfangen. Sowohl die Tiefenreichweite als auch das Auflösungsvermögen hängen dabei entscheidend von den elektrischen Eigenschaften des Untergrundes sowie den ausgewählten Arbeitsfrequenzen ab, die für den ingenieurtechnischen Bereich zumeist zwischen 100 und 1000 MHz liegen. Unter Vernachlässigung materialspezifischer Werte der Dielektrizitätskonstante, Leitfähigkeit und Dämpfung des Untergrundes wird beispielsweise mit der 400 MHz-Antenne, für eine mittlere Wellengeschwindigkeit von 0,13 m/ ns, eine mittlere Wellenlänge von ungefähr 0,3 m und eine vertikale Auflösung bis 0,15 m erwartet. Die erreichbaren Erkundungstiefen liegen für das 400 MHz Antennensystem typischerweise bei 2 bis maximal 4 m. Werden Bauwerksstrukturen im Kontext der Materialprüfung untersucht, kommen Frequenzen > 1000 MHz mit Wellenlängen im Subdezimeterbereich zum Einsatz. Ein wesentlicher Vorteil des Georadars gegenüber anderen geophysikalischen Messmethoden liegt in der hochgradigen Effizienz des Verfahrens begründet: Die kompakte Bauart der zumeist als Dipolantenne konzipierten Systeme, mit Sender und Empfänger in einer Einheit, erlaubt eine zügige Befahrung des Untergrundes oder des Mauerwerkes durch einen Messingenieur. Abb. 3: Dargestellt ist hier das Prinzip der Methode. Schichtgrenzen, Fundamente sowie Rohre und Leitungen sind typische Strukturen und Objekte, die mit dem Georadar im Kontext einer Baugrunderkundung lokalisiert werden. Nach Blindow (2005) Gravimetrie; in: Handbuch zur Erkundung des Untergrundes von Deponien und Altlasten, Band 3: Geophysik, Berlin; Springer Verlag. Die Antennensysteme können außerdem an Fahrzeuge montiert werden, so dass versiegelte Beton-, Pflaster- oder Asphaltflächen genauso schnell oder gar schneller messbar sind, als Wiesen und Feldwege. In der Praxis sind somit profilweise angelegte, kontinuierliche Messungen durch das Schieben oder Ziehen des Antennensystems möglich, die je nach Messraster auch eine hochdetaillierte flächenhafte Strukturabbildung des Untergrundes ermöglichen. Mit dem Georadar können so mehrere Kilometer Strecke an einem Tag vermessen werden. 2. Praxisbeispiele der geophysikalischen Verfahren 2.1 Hohlraumerkundung an der A6 bei Nürnberg In unmittelbarer Nähe zur Autobahn A6 wurden am Bauwerk BW 822C sowohl in Fahrtrichtung Nürnberg als auch in Fahrtrichtung Amberg Setzungen und dolinenartige Erdnachbrüche festgestellt (siehe Abbildung 4). Das Untersuchungsgebiet befindet sich geologisch innerhalb der Fränkischen Alb (Mittlere Frankenalb). Nach der geologischen Karte von Bayern wird die lokale Geologie des Gebiets von dunkelgrauen Riff-Dolomiten der Mittleren Kimmeridge-Schichten (Malm Delta, ki2, d, ri) bestimmt. Überdeckt werden die jurassischen Kalke von Alblehm mit Kreidesandresten. Im östlichen Untersuchungsgebiet steht Tafelbankiger Dolomit (ki2, d, b) an. Die Autobahn A6 wurde im untersuchten Gebiet aufgeschüttet. Abb. 4: Umzäunter, zugeschütteter Erdfall unmittelbar am Brückenbauwerk BW 822C. Mit Hilfe von geophysikalischen Messungen sollen als Teil der Baugrunderkundung Informationen über weitere Verkarstungserscheinungen (Hohlräume, Auflockerungszonen, alte verfüllte Erdfälle u. ä.) im Bereich des Bauwerks BW 822C gewonnen werden. Für die Erkundung der Karstphänomene wurden mikrogravimetrische und 2D-geoelektrische Messungen ausgeführt. Bei dem hier vorgestellten Projekt erfolgten die gravimetrischen Messungen auf einem Punkt- und Profilraster von 2 m x 2 m, dass im Bereich der Erdfälle auf 1 m x 1 m, teilweise sogar auf 0,5 m x 0,5 m verdichtet wurde. Die geoelektrischen Messungen erfolgten auf insgesamt 6 Profilen, bestehend aus 5 parallel zur A6 verlaufenden Profilen in WNW-OSO Richtung (zwei auf der Südseite der Autobahn, drei auf der Nordseite der Autobahn). Die 282 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Geophysikalische Untersuchungen für die Vorplanung und Begleitung von Bauprojekten im Karst und innerstädtischen Bereich Länge dieser Profile beträgt jeweils 200 m. Sie wurden so angelegt, dass sich die Mitten der Profile auf Höhe des Weges und somit des Erdfalls befinden, sodass dort die höchste Eindringtiefe erreicht werden konnte. Zusätzlich wurde ein 100 m langes Profil (Profil P06) orthogonal zu den anderen Profilen entlang des Weges und unter dem Bauwerk gemessen. Das im Ergebnis der gravimetrischen Messungen berechnete Lokalfeld zeigt einige Bereiche, die durch negative Anomalien (hier blau dargestellt) geprägt sind (siehe Abbildung 5). Im Bereich des Erdfalls zeigen sich positive Schwerewerte. Dies ist auf die Verfüllung des Erdfalls mit Beton zurückzuführen. In unmittelbarer Umgebung sind westlich und östlich des Wirtschaftsweges negative Anomalien ersichtlich, die auf weitere Auflockerungen hinweisen können. Diese können aufgrund der aufgefüllten Böschungsbereiche allerdings nur gemeinsam mit der Geoelektrik und den Bohrergebnissen interpretiert werden. Neben diesen womöglich anthropogen verursachten Anomaliebereichen zeigen sich weitere Minima, die auf Auflockerungsbzw. Störungszonen hindeuten. Die relevanten Minimalzonen sind in Abbildung 5 rot umrandet. Abb. 5: Gravimetrisches Lokalfeld nördlich der Autobahn. Die Ergebnisse der geoelektrischen Messungen sind beispielhaft für die Profile P04 und P06 dargestellt (siehe Abbildung 6). Auf beiden Messprofilen sind markante Störungsbereiche zu erkennen. Auf Profil P04 sind im Bereich der Kernbohrung KB01 bei etwa Profilmeter 106 - 108 zum Teil sehr stark geklüftete Dolomitbereiche beschrieben, die diese Widerstandsverringerung innerhalb der hochohmigen Zone erklären. In diesem Teil des Messgebiets, der sich nur wenige Meter nordöstlich des Erdfalls befindet, muss deshalb von einer Störungszone und/ oder einer Auflockerungszone bzw. Hohlraumbildung ausgegangen werden. Auch im Bereich zwischen Profilmeter 34 - 42 und 80 - 86 lassen sich laterale Anomalien erkennen, die auf stärkere Klüftung und möglicherweise auch Auflockerungszonen hindeuten können. Auch auf Profil P06 sind insbesondere im Bereich der Unterführung sehr niedrige Widerstände registriert worden. Von PM 30 bis PM 70 ist deshalb mit einem stärker geklüfteten und verwitterten Bereich zu rechnen, der möglicherweise auch bereits größere Auflockerungszonen beinhaltet. Abb. 6: Vertikalschnitte der geoelektrischen Widerstandsmodellierung für das Längsprofil P04 (inkl. Kernbohrung KB01) und das Querprofil P06. Nach den Ergebnissen der geophysikalischen Untersuchungen (Geoelektrik und Gravimetrie) sind im Messgebiet vor allem nördlich der Autobahn Hinweise auf Bereiche mit starker Klüftung und Verwitterung sowie Störungszonen vorhanden, die teilweise bereits zu Auflockerungen oder Hohlräumen geführt haben, analog zu den Entwicklungen im Bereich des Erdfalls. Im Bereich des Erdfalls ist eine stärkere Klüftung / Verwitterung bis in größere Tiefe vorhanden. Nach den geoelektrischen Messergebnissen unterhalb des Bauwerkes der BAB A6 ist dort von einer stark verwitterten Zone auszugehen, die möglicherweise bereits mit größeren Auflockerungen korrespondiert. In den Ergebnissen der geoelektrischen Messungen und gravimetrischen Untersuchungen zeigen sich in einigen Abschnitten des Messgebiets Hinweise auf eine stärkere Verwitterung des anstehenden Kalksteins. Hier erfolgt eine Überprüfung des Untergrundes mit direkten Aufschlüssen, da diese Verwitterungen eine Vorstufe von möglichen Auflockerungszonen oder auch Hohlräumen darstellen (Abb. 7). Abb. 7: Lagekarte der festgestellten Anomalien nach den Ergebnissen der Gravimetrie und Geoelektrik 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 283 Geophysikalische Untersuchungen für die Vorplanung und Begleitung von Bauprojekten im Karst und innerstädtischen Bereich 2.2 Strukturerkundung am Gördelerring in Leipzig Für eine erweiterte Baugrunduntersuchung sind am Gördelerring im Innenstadtbereich von Leipzig flächenhafte Georadarmessungen durchgeführt worden. Diese verfolgten vor allem das Ziel, technische Bestandsstrukturen der heute überbauten Frankfurter Brücke im Übergang zum Ranstädter Steinweg sowie Altfundamente des 1776 erbauten und 1943 zerstörten „Alten Theaters“ im baugrundbzw. ertüchtigungsrelevanten Tiefenbereich bis ca. 2 m unter GOK zu lokalisieren. Standardmäßig durchgeführte direkte Baugrundaufschlüsse erreichten aufgrund vorhandener Hindernisse häufig nur geringere Tiefen. Auf einer Messfläche von ca. 300 x 30 m Größe sind mit dem Georadar als zerstörungsfreie geophysikalische Messmethode in einem variablen Messraster von 1 bis 2 m in 2 Tagen ca. 8 000 Profilmeter erfasst worden (siehe Abb. 8). Parallel zur Georadarmessung mit dem 400 und dem 200 MHz-Antennensystem erfolgte eine synchronisierte Positionserfassung mit DGPS. Neben den Strukturen aus historischen Dokumenten und Planungsunterlagen können mit dem Georadar generell einzelne Objekte im Baugrund lokalisiert und in ihrer Größe beschrieben werden. Dies ist vor allem für die Aufwandsabschätzung bei der Ertüchtigung eines solchen Verkehrsknotens von immenser Bedeutung, da z.B. die Entfernung alter Fundamente u.U. mit größerem maschinellem und zeitlichem Aufwand verbunden sein kann. Abb. 8: Lage der Georadarprofile, der Altstrukturen sowie des Gewässerverlaufs der Wölbpleisse. Im Ergebnis konnte u.a. die Lage der Frankfurter Brücke, deren Doppelbogenstruktur im südlichen Brückenteil in Abb. 9 in einem Radargrammvertikalschnitt dargestellt ist, konkretisiert werden. Zur bisher angenommenen genauen Lage bestanden z.T. erhebliche Abweichungen. Außerdem konnte für den Bereich der Frankfurter Brücke die Mächtigkeit des im Wesentlichen nutzbaren Baugrundes auf 0,8 bis 1,0 m unter GOK abgeschätzt werden (siehe auch Abb. 9). Unterhalb dieser Tiefe sind Hindernisse und/ oder Brückenstrukturen vorhanden. Abb. 9: Radargramm mit interpretierten Strukturen (Reflexionen) in einer Graustufenansicht (oben). Diese können dem Querschnitt des Brückenaufbaus z.T. zugeordnet werden. An verschiedenen Stellen, wie für den westlichen (linken) Bogen, weichen die Reflexionsstrukturen von den Bestandsunterlagen ab. Neben (Alt-)Fundamentstrukturen sind die Georadar-Ergebnisse der innerstädtischen Erkundung geprägt von einer Vielzahl von Leitungsfunden, die sich in den Radargrammen in Form von Diffraktionshyperbeln zeigen (siehe Abb. 10), aus deren Scheitellage sich Lage und Tiefen senkrecht überfahrener Leitungen ableiten lassen. Besonders deutliche Diffraktionen treten dabei an metallischen Leitungen auf, da der Kontrast der dielektrischen Eigenschaften zum umgebenden Untergrund besonders groß ist. Abb. 10: Radargramm mit Diffraktionshyperbeln der Leitungsscheitel und durchgehender Reflexion, die die Unterkante des Regelaufbaus markiert Mit Georadarmessungen kann speziell im innerstädtischen Bereich ein sinnvoller Beitrag zur Baugrunderkundung geleistet werden. Diese ermöglichen die zerstörungsfreie flächenhafte Erkundung von Bestands- oder Altstrukturen, die bei Neubau- oder Ertüchtigungsvorhaben ein erhebliches technisches Risiko darstellen können. Die Lokalisierung und Beschreibung solcher Strukturen führen zu einer realistischen Abschätzung des Arbeits- und Zeitaufwandes für die Baumaßnahme. Neben Fundamentstrukturen können auch Leitungen in Lage und Tiefe beschrieben und damit die Bestandsdo- 284 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Geophysikalische Untersuchungen für die Vorplanung und Begleitung von Bauprojekten im Karst und innerstädtischen Bereich kumentation überprüft und aktualisiert werden. Gerade vor dem Hintergrund der Medienvielfalt verschiedener Versorgungsträger im innerstädtischen Bereich erscheint dies sehr sinnvoll. Die Ergebnisse der Georadarmessung können, aufgrund der parallel erfolgenden Vermessung mit DGPS, direkt in Lagebzw. Bestandspläne aufgenommen und in die digitale Datenbasis eingepflegt werden. 3. Zusammenfassung Die hier vorgestellten drei geophysikalischen Methoden Geoelektrik, Gravimetrie und Georadar können sowohl als Methodenkombination, wie im Praxisbeispiel 1, als auch als Einzelverfahren einen wichtigen Beitrag für die Vorplanung und Begleitung von Bauvorhaben leisten. Die Geoelektrik und die Gravimetrie sind in den dargestellten Fallbeispielen vor allem mit der Erkundung karstbedingter Hohlräume in Verbindung gebracht worden. Bei der Erkundung derartiger Strukturen haben sich diese beiden Verfahren nachweislich sehr gut bewährt und als optimale Verfahrenskombination erwiesen. Hinweise sowohl zu den Möglichkeiten als auch den physikalisch bedingten Grenzen sind in den Beschreibungen der beiden Verfahren enthalten. Das Georadar erweist sich vor allem im innerstädtischen Bereich über versiegelten Flächen als nützliches Instrument für die zerstörungsfreie Lokalisierung von Hindernissen und zur Strukturerkundung. Seine kompakte Bauweise und effizienter Einsatz ermöglichen eine flächenhafte Erkundung von Tiefenbereichen bis 2 m unter GOK. Dabei bieten Asphalt- und Betonoberflächen gute Bedingungen für eine Ankopplung der Antennensysteme an den Untergrund bei gleichzeitig geringer Dämpfung der elektromagnetischen Wellen, was das Erreichen des hier dargestellten Tiefenbereichs sicherstellt. Das Georadar kann damit den Verlauf von indirekten Baugrundaufschlüssen bestimmten Schichtgrenzen flächenhaften untersuchen, auffällige Bereiche für direkte Aufschlüsse ausfindig machen und vor allem Lage und Tiefe von Altstrukturen identifizieren. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 285 Der LCPC-Versuch zur Bestimmung der Abrasivität von Boden Dipl.-Ing. Annette Richter Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Deutschland Zusammenfassung Mit Einführung der Homogenbereiche fordert die VOB/ C für Bohr-, Rohrvortriebs- und Horizontalspülbohrarbeiten die Angabe der Abrasivität von Boden, bestimmt durch den LCPC-Versuch nach der französischen Norm NF P 18-579 [1]. Im nachfolgenden Beitrag werden anhand der für die Abrasivität maßgebenden Bodeneigenschaften und der Versuchstechnik die Anwendungsgrenzen dieses Versuches und die damit gegebene Diskrepanz zur VOB-Forderung aufgezeigt. 1. Einleitung In der Geotechnik ist unter dem Begriff der Abrasivität von Boden die Eigenschaft bzw. die Fähigkeit des Bodens zu verstehen, welche bei vorwiegend abrasiver Einwirkung einen Verschleiß (Oberflächenveränderungen und/ oder Masseverlust) an metallischen Gegenständen wie Geräte und Werkzeuge hervorruft, siehe Bild 1. Die Abrasivität von Boden in Interaktion mit dem Baubetrieb und der Maschinentechnik bestimmt dabei wesentlich die Effektivität der eingesetzten Geräte und Werkzeuge. Bild 1: Werkzeugverschleiß eines Rundschaftmeißels (Grieswald [2]) und einer Bohrschnecke nach Verwendung in stark abrasiven Boden (Beckhaus et al. [3]) 2. Maßgebende Bodeneigenschaften In den letzten Jahren wurden z. B. von der TU Wien (Drucker [4], [5]), der TU München (Thuro et al. [6]) und der RWTH Aachen (Feinendegen et al. [7]) zahlreiche Forschungsarbeiten veröffentlicht, in denen man sich mit der Abrasivität von Boden i. A. und speziell mit der Bestimmung der maßgebenden Bodeneigenschaften sowie deren Einfluss auf die Abrasivität befasst. Dazu wurden folgende hier skizierte Zusammenhänge festgestellt: - Mineralogische Zusammensetzung bzw. äquivalenter Quarzgehalt: - Je höher die Mineralhärte desto größer die abrasive Wirkung - Korngröße: - Je größer das Einzelkorn desto größer die abrasive Wirkung - Kornform und Kornrundung, Gehalt an Bruchkorn: - Je scharfkantiger das Einzelkorn desto größer die abrasive Wirkung - Zudem Einfluss auf Lagerungsdichte, Verzahnungsverhalten und Neigung zum Kornbruch - Kornverteilung: - Weitgestufter Boden i. d. R. abrasiver als eng gestufter Boden - Je nach Kornverteilung unterschiedliche Abhängigkeiten, die den Abrasiv-Verschleiß beeinflussen können, möglich (z. B. gemischtkörniger Boden verstärkt abhängig vom Wassergehalt) - Wassergehalt: - Schmierwirkung: abrasivitäts-mindernd - Scheinbare Kohäsion: bei einem bestimmten Wassergehalt maximale Bindungskraft und damit maximale abrasive Wirkung - Verfestigungen, Lagerungsdichten, Kohäsion und Reibung: - Je größer desto größer die abrasive Wirkung 286 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Der LCPC-Versuch zur Bestimmung der Abrasivität von Boden Eine wichtige Quintessenz der Forschungsarbeiten ist, dass zur Bestimmung der Abrasivität des Bodens die Bodeneigenschaften sowohl des Einzelkorns als auch des Kornverbands in ihrer Gesamtheit zu betrachten sind. Welche Bodeneigenschaft im Zusammenspiel die tatsächlich dominierende Eigenschaft ist und welche Abhängigkeiten überwiegen, kann dabei nur im Einzelfall bestimmt bzw. abgeschätzt werden. Abrasiv-Kennwerte die im Labor ermittelt werden, können diese Gesamtheit nicht abbilden. Sie können allenfalls ein Verschleißpotential angeben, welches in Interaktion mit dem Baubetrieb und der Maschinentechnik einen Verschleiß am Gerät bzw. Werkzeug verursachen kann. 3. Versuchsmethoden zur Bestimmung der Abrasivität von Boden 3.1 Allgemein Für die Bestimmung der Abrasivität von Boden stehen je nach Korngröße und Verschleißart unterschiedliche Verfahren zur Verfügung. Der Anwendungsbereich einiger dieser Verfahren ist am Beispiel eines sandigen Kieses im Diagramm von Drucker [4] in Bild 2 dargestellt. Es wird verdeutlicht, dass im Gegensatz zu z. B. der Mineralhärte als Abrasivitätsmaß (Anwendungsbereich Grobschluff bis Grobkies) der LCPC-Abrasivitätsversuchs auf einen nur sehr engen Anwendungsbereich (Feinkies ≥ 4mm) beschränkt ist. Bild 2: Sieblinie eines sandigen Kieses (Donauschotter) und Stand der Technik für Aussagen über die Abrasivität des Korngemischs, aus Drucker [4] Aufgrund der unterschiedlichen Versuchsverfahren und der unterschiedlichen Gewichtung der Bodeneigenschaften sowie deren Abhängigkeiten ist es nicht möglich die Einzelversuchsergebnisse der unterschiedlichen Verfahren zu einer auf die gesamte Kornverteilung bezogenen „Gesamtabrasivität“ quantitativ zusammen zu führen. 3.2 LCPC-Verschleißtopfversuch nach NF P 18-579 Bei dem Verschleißtopfverfahren (Bild 3) wird der Prüfkörper (Drehflügel, Bild 3, 3.) an einer Welle befestigt und in einem mit körnigem Bodenmaterial gefüllten Versuchsbehälter (Bild 3, 4.) über den Elektromotor (Bild 3, 1.) mit einer definierten Drehgeschwindigkeit gedreht. Die Beanspruchung im Verschleißtopf soll dabei den mechanischen Bearbeitungsbzw. Abbauprozess in situ abbilden. Für eine regellose Abfolge von Gleit-, Roll- und Schlagkontakten bei ständiger Überwindung der Scherfestigkeit des Bodens ist eine Mindestgröße der Bodenkörner erforderlich, da ansonsten die größeren Körner in der Matrix der kleineren Körner eventuell nur „schwimmen“ und am Probekörper nicht die geforderte Verschleißform verursachen. Andererseits ist die Maximalgröße der Körner über die Größe des Einfülltrichters (Bild 3, 2.) und über die Behältergröße vorgegeben. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 287 Der LCPC-Versuch zur Bestimmung der Abrasivität von Boden Bild 3: Verschleißtopfprüfgerät aus Thuro et al. [8] Ein Verschleißtopfverfahren ist u. a. der, ursprünglich zur Bestimmung von Abrieb und Brechbarkeit künstlich aufbereiteter Gesteinskörnungen im Laboratoire Central des Ponts et Chaussées entwickelte und in der NF P 18- 579 [1] geregelte, LCPC-Verschleißtopf-versuch. Diese Norm definiert den Versuchsbehälter (Bild 4), den Prüfkörper (Drehflügel, Palette: Einsatzstahl C15, HRB 60- 75 mit den Abmessungen 50 x 25mm (±0,5mm) x 5mm (±0,2mm)), das zulässige Probenmaterial (Korndurchmesser von 4,0 - 6,3 mm, 500 g ± 2 g, ofengetrocknet) sowie die Versuchsdurchführung (5 min mit 4500 Umdrehungen pro Minute) und Versuchsauswertung (Bestimmung der Verschleißmasse des Drehflügels wm, Differenz aus Ausgangsmasse und Masse nach 5 min Versuchsdurchführung). Bild 4: LCPC-Verschleißtopf aus der französischen Norm NF P 18-579 [1] Der aus diesem Versuch resultierende Abrasivitätskoeffizient A BR berechnet sich aus dem Quotienten der Verschleißmasse des Drehflügels w m in Gramm zu der Ausgangsmasse der Bodenprobe M nach der aktuellen Norm mit M in Gramm zu: Bild 5 zeigt ein LCPC-Versuchsstand mit den einzelnen Gerätekomponenten, Welle mit Drehflügel (Bild 5, rechts oben) und festgeschraubter Versuchstopf (Bild 5 rechts unten) sowie in Bild 6 dargestellt den Einfülltrichter (Bild 6 links oben), das zulässiges Material mit Korndurchmesser 4 bis 6,3 mm (Bild 6 links unten), die Prüfkörper vor und nach dem Versuch (Bild 6, rechts oben) sowie den Versuchstopfinhalt nach Versuchsende (Bild 6 rechts unten). Zahlreich durchgeführte Untersuchungen, z. B. der TU Wien (Drucker [5]), zeigen eine Abhängigkeit des Versuchs von den folgenden Geräterandbedingungen: - Material des Drehflügels, sowie dessen Größe und Form (Eckausbildungen) - Drehgeschwindigkeit und - Versuchsdauer Um eine sowohl laborinterne als auch laborübergreifende Vergleichbarkeit und Bewertung der Versuchsergebnisse zu erhalten sind die versuchstechnischen Randbedingungen klar zu definieren und einzuhalten. Insbesondere gilt dies für das Material des Drehflügels, welches aktuell, aufgrund der eher ungebräuchlichen Stahlgüte C15, von den Laboren nicht einheitlich verwendet wird. Hier besteht daher die Notwendigkeit einer „neuen Festlegung“. Bild 5: LCPC-Versuchsstand (links) mit den Gerätekomponenten: Welle mit Drehflügel (rechts, oben) und festgeschraubter Versuchstopf (rechts, unten) 288 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Der LCPC-Versuch zur Bestimmung der Abrasivität von Boden Bild 6: LCPC Gerätekomponenten: Einfülltrichter (links, oben), zulässiges Material (links, unten), Prüfkörper vor und nach dem Versuch (rechts, oben) sowie Versuchstopfinhalt nach Versuchsende (rechts, unten) Durch die in der Norm NF P 18-579 festgelegte Versuchsdurchführung und Versuchsauswertung werden die Verformungen des Drehflügels, die letztendlich auch einen Werkzeugverschleiß darstellen, nicht berücksichtigt. Eine Klassifikation des Abrasivitätskoeffizienten ABR, welches eine verbale Beschreibung des Bodens ermöglichen würde, ist ebenfalls nicht gegeben. Betrachtet man die, für die Abrasivität maßgebenden Bodeneigenschaften, so können mittels LCPC-Verschleißtopfverfahren nur die Mineralogische Zusammensetzung und bedingt die Reibungsparameter (Kohäsion und Reibungswinkel) berücksichtigt werden. Nicht bzw. nur sehr bedingt berücksichtigt sind aufgrund des begrenzten Anwendungsbereichs Korngröße und Kornverteilung, Kornform und Kornrundung, sowie Verfestigungen. Wassergehalt und Lagerungsdichte werden nicht berücksichtigt. Es ist daher offensichtlich, dass der LCPC-Versuch allein das Verschleißpotential des Bodens selbst im zulässigen Kornbereich von 4,0 - 6,3 mm nicht vollständig erfassen kann. 4. Diskrepanz zwischen dem Stand der Wissenschaft und der VOB/ C Die VOB/ C fordert zur Bestimmung der Abrasivität von Boden, d. h. von Ton, Schluff, Sand und Kies die Angabe des ABR - Werts ermittelt aus dem LCPC-Versuch. Zusätzlich zu den erwähnten Unzulänglichkeiten des LCPC-Versuchs ist für diesen nur Boden im Korngrößenbereich zwischen 4,0 und 6,3 mm (Feinkies) zulässig. Größeres Korn kann zwar auf den Anwendungsbereich gebrochen werden, inwieweit sich aber die unterschiedlichen Effekte „kleineres Korn“ dafür aber „scharfkantiger“ neutralisieren ist fragwürdig. Die Verwendung von Korngrößen < 4 mm ist auf Basis der Versuchstechnik nicht zulässig. Die Unzulänglichkeit der Abrasivitätsbestimmung von Boden unter Verwendung des LCPC-Versuchs zeigt sich am Beispiel eines i. A. häufig vorkommenden quarzreichen grobsandigen und eines feinsandigen Mittelsands, dessen Kornanteil < 4 mm sehr hoch ist. Während der LCPC-Versuch an diesem Bodenmaterial einen nur sehr geringen A BR -Wert ergibt und damit als eher schwach abrasiv einzustufen ist, deutet der äquivalente Quarzgehalt hingegen auf ein stark abrasives Verhalten hin. Zwei im Ergebnis widersprüchliche Aussagen. 5. Umsetzung der VOB/ C Vorgabe im BAW -Merkblatt Im BAWMerkblatt Einteilung des Baugrunds in Homogenbereiche nach VOB/ C [9] wird die VOB Vorgabe bezüglich der Abrasivitätsbestimmung von Boden, trotz der vielen Unklarheiten und Unzulänglichkeiten, versucht durch eine Variantenbetrachtung bzgl. der Kornverteilung umzusetzen. Je nach Variante (Varianten A, B und C) erfolgt eine unterschiedliche Probenaufbereitung für den LCPC-Versuch. Die Probenaufbereitung hat dabei einen nicht vernachlässigbaren Einfluss auf den zu ermittelnden Abrasivitätsbeiwert ABR, siehe z. B. Feinendegen [7], so dass die Probenvorbereitung der drei Varianten im BAWMerkblatt genau festgelegt ist. Bis zur weiteren Klärung seitens der VOB ist es somit zumindest möglich einheitlich strukturierte Versuche durchzuführen. Die Probenaufbereitung der Variante A (sandige Kiese oder gröber) berücksichtigt nur die Körnung mit Korndurchmesser > 4 mm, so dass hier eine „normkonforme“ Versuchsdurchführung nach der französischen Norm NF P 18-579 [1] möglich ist. Bei Variante B (kiesige Sande) und Variante C (Sande) muss aufgrund des hohen Anteils an Körnung mit Korndurchmesser < 4 mm diese in der Probenaufbereitung, bis zur Grenze zu den bindigen Bodenarten (bis Korndurchmesser 0,063 mm), mit berücksichtigt werden. Eine normkonforme Versuchsdurchführung ist hier nicht möglich. Bindige Bodenarten können in diesem Versuch nicht untersucht werden und sind abzutrennen. 6. Fazit und Ausblick Der tatsächlich auftretende Verschleiß kann nicht ausschließlich durch die Abrasivität des Bodens bewertet werden. Zudem sind für die Bestimmung der Abrasivität von Boden alle maßgebenden Bodeneigenschaften in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen. Sollte die Forderung der VOB/ C, die Abrasivität von Boden mit dem LCPC- Versuch zu bestimmen, weiter bestehen bleiben, ergeben sich die nachfolgenden Fragestellungen bzgl. Probenaufbereitung, die zu klären sind: - Wie ist mit dem Kornanteil > 6,3 mm zu verfahren? Falls dieser Kornanteil zugelassen werden soll, ist 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 289 Der LCPC-Versuch zur Bestimmung der Abrasivität von Boden z. B. eine einheitliche Probenzerkleinerung (z. B. Backenbrecher, Hammer) zu definieren und in der Normung festzulegen. - Wie ist mit dem Kornanteil < 4 mm zu verfahren, der aus versuchstechnischen Gründen nicht für den LCPC-Versuch geeignet ist? - Wie setzt sich die 500 g - Probemasse z. B. aus einem Homogenbereich kiesiger Sand zusammen? Muss sich die Probe im gleichen Verhältnis wie die Kornverteilung des Bodens zusammensetzen, oder sind entsprechend viele Bohrmeter zu erbohren, bis 500 g Boden mit Kornanteil 4 bis 6,3 mm erreicht sind? Neben den erforderlichen Festlegungen zur Probenaufbereitung sollten für eine laborinterne aber auch laborübergreifende Vergleichbarkeit und Bewertung des Abrasivitätskoeffizienten ABR zudem die Geräte- und Versuchsbedingungen (z. B. Drehflügel: Material, Form und Reinigung) genau definiert werden. Um die entstandene Lücke zwischen der Forderung der VOB und dem Stand der Wissenschaft zu schließen sowie für die Praxis fachlich fundierte Versuche zu empfehlen bzw. zu entwickeln wurde im Sommer 2019 der DGGT-Arbeitskreis „Verschleiß und Verklebung“ gegründet. Literaturverzeichnis [1] NF P 18-579, 2013: Granulats- Détermination des coefficients d´abrasivité et de broyabilité (P 18-579). [2] Grieswald, Heike, D. (Hg.) (2019): Analyse der Abrasivität an verbrauchten Rundschaftmeißeln. Bohrtechnik/ Spezialtiefbau. bauma bbr (04-2019). [3] Beckhaus, Karsten; Thuro, Kurosch (Hg.) (2008): Abrasivität in der Großbohrtechnik, Versuchstechnik und praktische Erfahrungen. 30. Baugrundtagung. Dortmund, 24. - 27. September. Deutsche Gesellschaft für Geotechnik. [4] Drucker, Petra (Hg.) (2010): Einfluss der Abrasivität von Lockergestein auf den maschinellen Rohrvortrieb. Symposium Grabenlos. Saalfeldern, 19. - 20. Oktober 2010. Symposium Grabenlos. [5] Drucker, Petra (2013): Über die Abrasivität von Lockergestein und den Werkzeugverschleiß im Spezialtiefbau. Technische Universität Wien, Wien. [6] Thuro, Kurosch; Singer, John; Käsling, Heiko; Bauer, Markus (Hg.) (2006): Abrasivitätsuntersuchungen an Lockergestein im Hinblick auf die Gebirgslösung. 29. Baugrundtagung. Bremen, 27. - 29. September. Deutsche Gesellschaft für Geotechnik. Essen. [7] Feinendegen, Martin; Ziegler, Martin (2018): Zur Aussagekraft des LCPC-Versuchs für die Festlegung von Homogenbereichen. In: Geomechanics and Tunnelling 11 (2), S. 113-122. [8] Thuro, Kurosch; Käsling, Heiko (Hg.) (2010): Bestimmung der Gesteinsabrasivität - Versuchstechnik und Anwendung. 31. Baugrundtagung. München, 3. - 6. November. Deutsche Gesellschaft für Geotechnik. Essen. [9] BAW (2017): BAWMerkblatt Einteilung des Baugrunds in Homogenbereiche nach VOB/ C (MEH). Karlsruhe: Bundesanstalt für Wasserbau (BAW-Merkblätter, - Empfehlungen und - Richtlinien). 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 291 Vortriebe mit Tunnelbohrmaschinen im Lockergestein: Einteilung des Baugrunds in Homogenbereiche im Kontext der aktuellen Normung Prof. Dr.-Ing. Christoph Budach Professor für Geotechnik, TH Köln, Köln, Deutschland Dr.-Ing. Carsten Pohl Abteilungsleiter Infrastrukturbau, ELE Beratende Ingenieure GmbH, Essen, Deutschland Dr.-Ing. Lars Röchter Abteilungsleiter Planung Tunnelbau und Geotechnik, Niederlassung Tunnelbau, Vössing Ingenieurgesellschaft mbH, Düsseldorf, Deutschland Zusammenfassung Die erfolgreiche Nutzung von Tunnelbohrmaschinen im Lockergestein ist sowohl von den geotechnischen Projektrandbedingungen als auch von der dafür gewählten Tunnelbohrmaschine abhängig. Aufgrund der Überarbeitung der für Untertagebauarbeiten und somit auch für Arbeiten mit Schildmaschinen relevanten DIN 18312 gelten neue Anforderungen an die Beschreibung des Baugrunds. Der zu durchörternde Baugrund ist nun in Homogenbereiche mit Angabe festzulegender Bandbreiten ausgewählter geotechnischer Kennwerte zusammenzufassen. Der vorliegende Beitrag geht auf die wesentlichen Merkmale bei der Einteilung des Baugrunds in Homogenbereiche bei maschinellen Vortrieben im Lockergestein ein. Es werden geotechnische Leitparameter vorgestellt, die für die Verfahrenstechnik der Tunnelbohrmaschinen und somit für die dargestellte beispielhafte Unterteilung des Baugrunds in Homogenbereiche wesentlich sind. Der Beitrag soll Geotechnischen Sachverständigen, Planern und Auftraggebern helfen, die für die jeweiligen projektspezifischen Randbedingungen maßgebende Einteilung in Homogenbereiche vorzunehmen. 1. Einleitung Der aufzufahrende Baugrund wurde bis zur Überarbeitung der DIN 18312 (Untertagebauarbeiten) im Jahre 2015 u. a. iIn Vortriebsklassen (VK) für die vereinbarten Bauverfahren eingeteilt (vgl. [1] bzw. [2]). Dabei wurde für Bauverfahren mit Schildmaschinen (SM) nach DIN 18312: 2012 in - Vortriebsklasse SM 1 - (Ausbruch ohne Stützung der Ortsbrust) - Vortriebsklasse SM 2 - (Ausbruch mit teilgestützter Ortsbrust) und - Vortriebsklasse SM 3 - (Ausbruch mit vollgestützter Ortsbrust) unterschieden. Mit der Einführung der VOB/ C 2015 wird üblicherweise die Ablösung der Boden- und Felsklassen durch Homogenbereiche verbunden. Tatsächlich wurde in einigen ATV-Normen die „Einstufung in Boden- und Felsklassen“ durch die „Einteilung von Boden und Fels in Homogenbereiche“ ersetzt. Dieses Merkmal der Überarbeitung der VOB/ C trifft jedoch nicht auf alle ATV-Normen zu. Die im vorliegenden Beitrag behandelte DIN 18312 enthielt vor 2015 keine Definition von Boden- oder Felsklassen. Mit der Aktualisierung ausgewählter Normen in 2015 bzw. Überarbeitungen in 2016 bzw. 2019 ist der Baugrund entsprechend seines Zustandes vor dem Lösen in Homogenbereiche zu unterteilen. So sind Homogenbereiche zum Beispiel für Erdarbeiten [3], Bauleistungen wie Untertagebauarbeiten [4] und Rohrvortriebsarbeiten [5] anzugeben (vgl. u. a. [6]). Gemäß DIN 18312: 2019 ist der Homogenbereich als ein räumlich begrenzter Bereich, der aus einzelnen oder mehreren Boden- oder Felsschichten besteht, definiert, der für Untertagebauarbeiten vergleichbare Eigenschaften aufweist (vgl. [4]). Aufgrund dieser Definition ist die Einteilung des Baugrunds in verschiedene Homogenbereiche von der zu wählenden Verfahrenstechnik abhängig. Zudem sollen bei der Unterteilung in Homogenbereiche umweltrelevante Inhaltsstoffe beachtet werden. Im Rahmen des Geotechnischen Berichts sind 292 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Vortriebe mit Tunnelbohrmaschinen im Lockergestein: Einteilung des Baugrunds in Homogenbereiche im Kontext der aktuellen Normung zwar Änderungen der jeweiligen Eigenschaften des Baugrunds während bzw. nach dem Lösen z.B. aufgrund des Einsatzes von Konditionierungsmitteln zu beschreiben, allerdings ist für die Unterteilung in Homogenbereiche der Zustand des Baugrunds vor dem Lösen maßgebend (vgl. [4]). Grundlage der Unterteilung des Baugrunds in Homogenbereiche sind sowohl die stichprobenartigen Baugrundaufschlüsse als auch die durchgeführten Feldversuche bzw. Laboruntersuchungen. Im Rahmen der Homogenbereiche sind für verschiedene geotechnische Kennwerte Bandbreiten anzugeben. Diese können sich je nach Bauleistungen auch unterscheiden. Auf Grundlage dieser Kennwerte erfolgt für Vortriebe mit Schildmaschinen im Vollschnittabbau eine Unterteilung in Vortriebsklassen, wobei aufgrund der aktuellen DIN 18312: 2019 in folgende Vortriebsklassen zu unterscheiden ist: - Vortriebsklasse VS 1 - (Ausbruch ohne Stützung der Ortsbrust) - Vortriebsklasse VS 2 - (Ausbruch mit flüssigkeitsgestützter Ortsbrust) und - Vortriebsklasse VS 3 - (Ausbruch mit erddruckgestützter Ortsbrust) Die Vortriebsklassen sind in DIN 18312: 20196 nicht mehr Kapitel 2 (Stoffe, Bauteile) zugeordnet, sondern nun in Kapitel 3 (Ausführung) enthalten. Dies deutet ebenfalls darauf hin, dass die Einstufung in Vortriebsklassen nicht mehr nur von den Eigenschaften des Bodens abhängt. Somit ist der Weg eröffnet auch andere Eigenschaften hinzuzuziehen. Gemäß [12] ist das Verhalten des Gesamtsystems, bestehend aus Gebirge und gewähltem Vortriebsverfahren, von maßgeblicher Bedeutung für die Wahl des optimalen Verfahrens, wobei die Definition der Vortriebsklasse ebenfalls mit zur Festlegung des Verfahrens gezählt wird. Auch gemäß DIN 18312: 20196 wird das Bauverfahren mit der Wahl der Vortriebsklasse vorgegeben. Die Vorgabe hat durch den AG zu erfolgen. Hieraus wird ersichtlich, dass der AG sich spätestens für die Ausschreibung detaillierter als in der Vergangenheit mit dem Systemverhalten befassen muss. In der Vergangenheit wurde der Begriff „Homogenbereich“ bereits bei Tunnelbauprojekten eingesetzt; er unterschied sich jedoch in der jeweiligen Definition. So wurde z.B. gemäß [7] die jeweilige Tunneltrasse in solche Homogenbereiche bzw. Abschnitte eingeteilt, bei denen diese „einen Bereich mit gleichbleibender Gebirgscharakteristik“ darstellten. Für die Unterteilung des anstehenden Baugrunds in Homogenbereiche wurden nur geotechnische Randbedingungen berücksichtigt, während hingegen der Einfluss der Verfahrenstechnik auf die Unterteilung des anstehenden Bodens in Homogenbereiche üblicherweise nicht maßgebend war. Aufgrund dessen ist die aktuelle Definition der Homogenbereiche gemäß DIN 18312: 2019, die die Interaktion zwischen Tunnelbohrmaschine und Baugrund berücksichtigt, neu. Die Unterteilung der Homogenbereiche nach [4] dient zur Planung der Verfahrenstechnik und aufgrund dessen auch zur Kalkulation bzw. Abrechnung der Bauleistung. Projekte mit unterschiedlichen geologischen Schichten an der Ortsbrust haben entlang des Längsschnitts meist zwei oder mehrere Baugrundschichtungen an der s.g. „gemischten Ortsbrust“ anstehen. Bedingt durch Tunnelbohrmaschinen mit üblicherweise großem Durchmesser resultieren entsprechend große Volumina an abzubauendem Baugrund, welche bei der Einteilung des Baugrunds (im Sinne der DIN 18312: 2019) in Homogenbereiche zu berücksichtigen sind. Aufgrund geotechnischer Kennwerte und umwelttechnischer Inhaltsstoffe bestehen unterschiedliche Möglichkeiten der Einteilung des Baugrunds in Homogenbereiche. Ausgewählte Möglichkeiten werden im Rahmen dieses Beitrags aufgeführt. 2. Nach DIN 18312: 2019 anzugebende Kennwerte 2.1 Übersicht der anzugebenden Kennwerte Die für die jeweiligen Homogenbereiche anzugebenden Kennwerte bzw. Eigenschaften müssen nicht durch Laborversuche bestimmt werden, sondern können auch auf Basis von Erfahrungen abgeleitet werden. In nachfolgender Tabelle 1 sind die im Geotechnischen Bericht anzugebenden Kennwerte und Eigenschaften aufgeführt. Zudem sind Normen oder Empfehlungen angegeben, mit denen im Streitfall diese Kennwerte für Vortriebe mit Schildmaschinen im Lockergestein zu überprüfen sind. Wenn mehrere Verfahren zur Bestimmung möglich bzw. angegeben sind, ist das maßgebende Verfahren durch Benennung der Norm oder Empfehlung im Vorfeld festzulegen. In der Tabelle 1 wurden zudem die Empfehlungen ergänzt, die der aktuellen Bestimmung der Eigenschaften entspricht. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 293 Vortriebe mit Tunnelbohrmaschinen im Lockergestein: Einteilung des Baugrunds in Homogenbereiche im Kontext der aktuellen Normung Eigenschaften und Kennwerte Empfehlung zur Bestimmung der Eigenschaften und Kennwerte ortsübliche Bezeichnung - Korngrößenverteilung mit Körnungsbändern DIN EN ISO 17892-4 Massenanteil Steine, Blöcke und große Blöcke DIN EN ISO 14688-1 Feuchtdichte DIN EN ISO 17892-2; DIN 18125-2 undränierte Scherfestigkeit DIN 4094-4, DIN EN ISO 17892-7, DIN EN ISO 17892-8 Wassergehalt DIN EN ISO 17892-1 Plastizitäts- und Konsistenzzahl DIN EN ISO 17892-12 Lagerungsdichte DIN EN ISO 14688-2, DIN 18126 Abrasivität NF P18-579 Bodengruppe DIN 18196 organischer Anteil DIN 18128 mineralogische Zusammensetzung der Steine und Blöcke DIN EN ISO 14689 Kohäsion DIN EN ISO 17892-9, DIN EN ISO 17892-10 Sensitivität DIN 4094-4 Tabelle 1: Im Geotechnischen Bericht anzugebende Eigenschaften und Kennwerte gemäß [4] sowie Empfehlungen für ihre Bestimmung bzw. deren nachfolgende Empfehlungen 2.2 Angabe der Abrasivität von Lockergesteinen Die Angabe zur Abrasivität des Lockergesteins ist in Deutschland mit der Übersetzung der Norm NF P 18 - 579 neu. Aufgrund der hohen Relevanz der Abrasivität von Lockergesteinen bei Vortrieben mit Tunnelbohrmaschinen wird nachfolgend auf die Bestimmung der Abrasivität von Lockergesteinsböden eingegangen, die für die Unterteilung des Baugrunds in Homogenbereiche relevant sein kann. Zur Beschreibung der Abrasivität bei der Interaktion zwischen Lockergesteinen und Abbauwerkzeug bzw. einwirkendem Baugerät steht mit der Norm NF P 18- 579: 2013 eine Untersuchungsmethode zur Verfügung, die umgangssprachlich auch LCPC 1 -Versuch genannt wird (vgl. [8]). 1 LCPC = Laboratoire Central des Ponts et Chaussées Für die Bestimmung des Abriebwerts A BR gemäß Norm NF P 18-579: 2013 wird eine getrocknete Materialprobe (500 g) der Körnung zwischen 4,0 mm und 6,3 mm genutzt. Durch die fünf minütige Rotation eines Stahlflügels in dieser Materialprobe kann nach Versuchsdurchführung der Gewichtsverlust des Stahlflügels bestimmt und auf die Probenmasse bezogen werden, so dass der Abriebwert A BR in g/ t berechnet werden kann. Es wird empfohlen, bei normkonformer Durchführung dieses Versuchs diese Bezeichnung A BR zukünftig zu nutzen, um so herauszustellen, dass die Randbedingungen bei den Versuchen gemäß Norm NF P 18-579: 2013 genutzt wurden. Zudem kann mittels Wägung des Rückstands der Probe auf einem 1,6 mm Sieb nach Versuchsdurchführung der Brechbarkeitskoeffizient B R berechnet werden. Die aktuelle Norm sieht keine Kategorisierung der Ergebnisse vor, so dass einschlägige Literatur genutzt und angegeben werden sollte, um eine Klassifikation der Ergebnisse vorzunehmen. Basierend auf [8] kann der Abriebwerts A BR gemäß der nachfolgenden Tabelle klassifiziert werden. Abriebwerts A BR [g/ t] Klassifizierung/ Bezeichnung 0-50 nicht abrasiv 50-100 kaum abrasiv 100-250 schwach abrasiv 250-500 abrasiv 500-1250 stark abrasiv 1250-2000 extrem abrasiv Tabelle 2: Klassifizierung des Abriebwerts A BR in Anlehnung an [8] Basierend auf [8] kann auch der Brechbarkeitskoeffizient klassifiziert werden (vgl. Tabelle 3). Brechbarkeitskoeffizient B R [%] Klassifizierung/ Bezeichnung 0-25 sehr schwach 25-50 mittelschwach 50-75 mittel 75-100 mittelstark größer 100 sehr stark Tabelle 3: Klassifizierung des Brechbarkeitskoeffizienten B R in Anlehnung an [8] Der Versuch zur Ermittlung des Abriebwerts A BR wird aktuell in der Fachwelt kontrovers diskutiert, da die Versuchsdurchführung bzw. -randbedingungen eine Übertragung der Untersuchungsergebnisse in die Praxis nur schwer ermöglicht (vgl. u. a. [9], [10]). 294 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Vortriebe mit Tunnelbohrmaschinen im Lockergestein: Einteilung des Baugrunds in Homogenbereiche im Kontext der aktuellen Normung 2.3 Geotechnische Leitparameter Für die generelle Unterteilung des projektspezifischen Baugrunds in Homogenbereiche können in Anlehnung an [11] geotechnische Leitparameter, die auf die Einteilung einen großen Einfluss haben, betrachtet werden. Für die Einteilung des Baugrunds in Homogenbereiche bei Vortrieben mit Schildmaschinen können die folgenden Leitparameter genutzt werden, da diese auf der einen Seite als Kennwerte gemäß DIN 18312: 2019 anzugeben sind und auf der anderen Seite bei der Auswahl von Tunnelbohrmaschinen gemäß der Empfehlung zur Auswahl von Tunnelbohrmaschinen des Deutschen Ausschuss für Unterirdisches Bauen (DAUB) [12] eine zentrale Rolle spielen: - Korngrößenverteilung mit Feinkornanteil - Konsistenz (Konsistenzzahl) bzw. Lagerungsdichte - Abriebwert A BR und Brechbarkeitskoeffizient B R 3. Allgemeine planerische Aspekte bei der Unterteilung des Baugrunds in Homogenbereiche Bei den auszuführenden Bauleistungen ist für die Einteilung des anstehenden Baugrunds in Homogenbereiche eine enge Abstimmung zwischen dem Geotechnischen Sachverständigen sowie dem Planer des Bauherrn erforderlich. Seitens [13] wurde ein empfohlener Ablauf zur Zusammenarbeit zwischen Geotechnischem Sachverständigen und Planer entwickelt, dessen Inhalt in Bild 1 aufgeführt ist. Bild 1: Empfohlener Ablauf für die allgemeine Zusammenarbeit zwischen Planer und Geotechnischem Sachverständigen bei der Unterteilung des Baugrunds in Homogenbereiche in Anlehnung an [13], [14] Dieser Ablauf sieht vor, dass das zu berücksichtigende Bauverfahren bzw. das Bauziel vom Planer im ersten Schritt abgeschätzt wird. Die erforderliche Baugrunderkundung sowie der Geotechnische Bericht sind darauf abgestimmt. Auf Grundlage der Baugrunderkundung empfiehlt der Geotechnische Sachverständige eine Einteilung des anstehenden Baugrunds in Homogenbereiche. Zur Qualitätssicherung erfolgt zudem ein Abgleich der Homogenbereiche mit der aktuellen Planung sowie eine mögliche Fortschreibung der Planung bzw. des Geotechnischen Berichts. Zum Abschluss erfolgt auf Basis der abgestimmten Planung bzw. der abgestimmten Homogenbereiche das Erstellen einer Leistungsbeschreibung. 4. Unterteilung von Boden in Homogenbereiche anhand eines Beispiels mit einem Vortrieb mit einer Schildmaschine 4.1 Randbedingungen des Beispiels Auf Grundlage eines Beispiels werden nachfolgend unterschiedliche Möglichkeiten der Unterteilung des anstehenden Bodens in Homogenbereiche vorgestellt. Dabei sieht das Beispiel vor, dass zunächst ein Vortrieb vollflächig in kiesigen Sanden erfolgt (s. Bild 2). Danach stehen zwei Schichten (kiesige Sande bzw. Ton) an der Ortsbrust an und ungefähr in der Mitte des Vortriebs wird ein Vortrieb vollflächig im Ton erwartet. Anschließend wird wieder ein Übergangsbereich, bestehend aus den beiden zuvor beschriebenen Schichten, prognostiziert und am Ende des Vortriebs ist aufgrund der Baugrunderkundung ein Vortrieb vollflächig im Ton umzusetzen. Der geotechnische Längsschnitt sowie die Korngrößenverteilung der zwei zu durchörternden Schichten sind in Bild 2 dargestellt. Bild 2: Geotechnischer Längsschnitt des beispielhaften Projekts sowie Korngrößenverteilungen der zu durchörternden Schichten 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 295 Vortriebe mit Tunnelbohrmaschinen im Lockergestein: Einteilung des Baugrunds in Homogenbereiche im Kontext der aktuellen Normung Als Vereinfachung wurde im gewählten Beispiel für die anzutreffenden Sande bzw. Tone angenommen, dass diese die Einbauklasse Z0 nach LAGA M20 aufweisen. Aufgrund dessen bestehen für das Aushubmaterial keine umwelttechnischen Einschränkungen bei der Verwertung. Auf Basis der Eigenschaften des Baugrunds und in Abhängigkeit der möglichen Verfahrenstechnik ist der Boden in Homogenbereiche in einzuteilen. Der vorliegende Baugrund könnte nach [12] generell sowohl mit einer Tunnelbohrmaschine mit flüssigkeitsgestützter Ortsbrust (Vortriebsklasse VS 2) bzw. Abkürzung SLS (siehe [15]) als auch mit erddruckgestützter Ortsbrust (Vortriebsklasse VS 3) bzw. Abkürzung EPB (siehe [15]) aufgefahren werden. 4.2 Varianten zur Unterteilung des Baugrunds in Homogenbereiche im Rahmen des Beispiels Die anstehenden Schichten (Sande und Tone) unterscheiden sich naturgemäß aufgrund der Korngrößenverteilung. So könnten beim Einsatz von Tunnelbohrmaschinen mit flüssigkeitsgestützter Ortsbrust in Tonen Verklebungen auftreten (siehe auch [16]), die im Rahmen von Vortrieben in Schichten ohne bzw. nur mit geringem Anteil an Feinkorn keine bzw. nur eine unbedeutende Rolle spielen. Die Konsistenz der anstehenden bindigen Böden spielt ebenfalls bei Verklebungen eine wesentliche Rolle, da diese in Abhängigkeit der jeweiligen bodenspezifischen bzw. verfahrensbeeinflussten Konsistenzzahl des Bodens an der Ortsbrust, in der Abbaukammer bzw. in den Förderleitungen entstehen können (siehe u. a. [17]). Bei Tunnelbohrmaschinen mit Erddruckstützung (EPB) können in feinkörnigen Böden ebenfalls Verklebungen einen erheblichen Einfluss auf den Vortrieb bzw. die Vortriebsleistung haben (siehe [18], [19]). Bei den grobkörnigen kiesigen Sanden und möglichen Konditionierungsmitteln treten in der Regel keine Verklebungen auf. Der Baugrund kann hinsichtlich des Leitparameters Korngrößenverteilung eingeteilt werden. Die erste beispielhafte Möglichkeit (Variante 1) der Unterteilung ist die Unterteilung nach Bild 3. Dabei stellen beide Schichten einen eigenen Homogenbereich dar. Allerdings ist so in den Abschnitten des Vortriebs, in denen zwei Schichten an der Ortsbrust anstehen, keine direkte Zuordnung des Homogenbereichs möglich. Um eine Kalkulation bzw. Abrechnung zu ermöglichen, sollten die Homogenbereiche bei dieser Wahl der Einteilung in einer LV-Position zusammengefasst werden. Für diese Variante bieten sich als Kalkulationsbzw. Abrechnungseinheit Vortriebsmeter oder Volumen aller abzubauender bzw. abgebauten Schichten an. Bei dieser Unterteilung werden wahrscheinliche Unterschiede zwischen prognostizierten und tatsächlichen Baugrundschichtungen andere Volumina bzw. Längen als erwartet aufgefahren, so dass die anbietende bzw. ausführende Firma Teile des Baugrundrisikos übernimmt. Bild 3: Unterteilung des Baugrunds in Homogenbereiche ohne Spezifizierung der Verhältnisse an der gemischten Ortsbrust (Variante 1) Um eigene Leistungspositionen pro Homogenbereich zu berücksichtigen und auf diese Weise eine eindeutige Kalkulationsbzw. Vertragsgrundlage zu gewährleisten, eignet sich im Rahmen des Beispiels eine weitergehende Einteilung des Bodens aufgrund der Korngrößenverteilung (Variante 2). In Bild 4 ist diese Möglichkeit dargestellt. Der vollflächige Vortrieb im Sand stellt den Homogenbereich A; der vollflächige Vortrieb im Ton stellt den Homogenbereich B - wie in Variante 1 - dar. Nun wird der Bereich der gemischten Ortsbrust (Sand und Ton) weiter in den Homogenbereich C unterteilt. Im Homogenbereich C wird die Bandbreite der Kennwerte - insbesondere der Korngrößenverteilung aufgrund der zwei anzutreffenden Schichten - sehr groß ausfallen (vgl. Bereich zwischen den Korngrößenverteilungen des Sands und des Tons). Daher ist eine eindeutige Zuordnung des Homogenbereichs C im Unterschied zu den Homogenbereichen A und B ggf. schwierig. Bei dieser Einteilung des Bodens sind je Homogenbereich LV-Positionen möglich, die auch im Leistungsverzeichnis berücksichtigt werden sollten. In diesem Fall bieten sich als Abrechnungseinheit die Volumina der abgebauten Homogenbereiche an. Aufgrund der Bestimmung der Korngrößenverteilungen können die Homogenbereiche unterschieden werden. Unterschiede zwischen den Volumina an prognostizierten und tatsächlichen Homogenbereichen werden auf diese Weise vertraglich berücksichtigt. Bild 4: Unterteilung des Baugrunds in drei Homogenbereiche mit Berücksichtigung von mehreren Schichten an der Ortsbrust (Variante 2) Um neben dem Leitparameter der Korngrößenverteilung auch das bodenmechanische Verhalten des Bodens im Homogenbereich C vertieft zu betrachten, kann eine detailliertere Einteilung des Homogenbereichs C gewählt werden (Variante 3). So kann bei einer EPB-Maschine und einer verfahrensbedingten Durchmischung des an- 296 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Vortriebe mit Tunnelbohrmaschinen im Lockergestein: Einteilung des Baugrunds in Homogenbereiche im Kontext der aktuellen Normung stehenden Baugrunds in der Abbaukammer das Stützmedium in Abhängigkeit des Verhältnisses der anstehenden Schichten bindige oder nicht-bindige Eigenschaften haben. Damit diese Eigenschaften besser beschrieben werden können, eignet sich eine weitere Einteilung des Homogenbereichs C. Daher sollte der Bereich des Homogenbereichs C, in dem ein dominierender Anteil an nichtbindigem Material auftritt, dem Homogenbereich C1 bzw. der Bereich des Homogenbereichs C, in dem ein dominierender Anteil an bindigem Material auftritt, dem Homogenbereich C2 zugeordnet werden (vgl. Bild 5). Bei dieser Unterteilung der Homogenbereiche sind je Homogenbereich LV-Positionen möglich, die auch im Leistungsverzeichnis berücksichtigt werden sollten. Als Abrechnungseinheit bieten sich die Volumina der abgebauten Homogenbereiche an. Aufgrund der Bestimmung der Korngrößenverteilungen können die Homogenbereiche unterschieden werden. Unterschiede zwischen den Volumina an prognostizierten und tatsächlichen Homogenbereichen werden auf diese Weise vertraglich berücksichtigt. Bild 5: Unterteilung des Baugrunds in vier Homogenbereiche mit Berücksichtigung von mehreren Schichten an der Ortsbrust (Variante 3) Zudem ist theoretisch eine Einteilung des Baugrunds in Homogenbereiche aufgrund des Leitparameters Konsistenz / Lagerungsdichte bzw. Abriebwert A BR und Brechbarkeitskoeffizient B R möglich. 5. Vorschlag zur Einteilung des Baugrunds in Homogenbereiche bei Vortrieben im Lockergestein Die Homogenbereiche stellen für den Auftragnehmer die Basis für die Planung des Geräteeinsatzes und somit für die Kalkulation und die Abrechnung der Bauleistung dar. Ferner stellen Homogenbereiche die Grundlage für die Auswahl von Tunnelbohrmaschinen dar, die im Vorfeld eines Tunnelbauprojekts im Lockergestein mit Tunnelbohrmaschinen mit aktiver Ortsbruststützung richtungsweisend für den Erfolg eines Projekts ist. Für die Einteilung des Baugrunds in Homogenbereiche sind einerseits die geotechnischen Kennwerte und andererseits die einzusetzende Verfahrenstechnik zu berücksichtigen. Daher eignen sich oben beschriebene Leitparameter (Korngrößenverteilung mit Feinkornanteil), Konsistenz (Konsistenzzahl) bzw. Lagerungsdichte sowie Abriebwert A BR und Brechbarkeitskoeffizienten B R . Da bei Vortrieben mit Lockergestein oftmals an der Ortsbrust verschiedene Schichten anstehen, ist eine detaillierte Betrachtung der Übergangsbereiche bezüglich der Leitparameter sowie der Verfahrenstechnik der Tunnelbohrmaschine wichtig. Für eine klare vertragliche Kalkulationsbzw. Vertragsgrundlage wird daher empfohlen, die Homogenbereiche jeweils in separaten Leistungspositionen im Rahmen des Bauvertrags zu berücksichtigen. Es wird weiterhin empfohlen, für die Einteilung des Baugrunds in Homogenbereiche im Lockergestein den in nachfolgendem Bild 6 dargestellten Ablauf zu berücksichtigen. Dabei wird im 1. Schritt eine geotechnische Voruntersuchung (gemäß DIN EN 1997-2, Kapitel 2.3), durchgeführt. Auf dieser Basis wird das prinzipielle Vortriebsverfahren (hier: Vortrieb mit Tunnelbohrmaschinen) und die prinzipiell geeigneten Vortriebsklassen (VS 1, VS 2 und VS 3) durch den Planer abgeschätzt. Im 2. Schritt wird für die Entwurfsplanung anschließend die geotechnische Hauptuntersuchung (gemäß DIN EN 1997-2, Kapitel 2.4) in Verbindung mit DIN 4020 durchgeführt. Im 3. Schritt wird der Geotechnische Bericht erstellt, der auch einen Vorschlag zur Einteilung des Bodens in Homogenbereiche anhand der o.g. Leitparameter beinhaltet. Basierend auf dem Geotechnischen Bericht trifft der Planer die optimale Auswahl der Tunnelbohrmaschine sowie der Vortriebsklasse nach Durchführung der in [12] angegebenen Analysen. Dafür wird der Baugrund in Tunnellängsrichtung in Vortriebsabschnitte unterteilt, um abschnittsweise die Interaktion Baugrund-TBM zu betrachten (vgl. [15]). Im 5. Schritt erfolgt anschließend ein Vergleich des aktuellen Stands der Planung mit dem Geotechnischen Bericht auch hinsichtlich der Unterteilung in Homogenbereiche. Abschließend (6. Schritt) erstellt der Planer die Unterlagen (Leistungsbeschreibung und Leistungsverzeichnis) für die Ausschreibung der Untertagebauarbeiten. Auf diese Weise berücksichtigen die Leistungspositionen nicht nur die jeweiligen Vortriebsklasse und die Vortriebsabschnitte, sondern auch die jeweiligen Homogenbereiche. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 297 Vortriebe mit Tunnelbohrmaschinen im Lockergestein: Einteilung des Baugrunds in Homogenbereiche im Kontext der aktuellen Normung Bild 6: Empfohlenes Vorgehen zur Unterteilung des Baugrunds in Homogenbereiche bei Nutzung von Schildmaschinen im Lockergestein mit Darstellung der Verantwortlichkeit, in Anlehnung an [14] Durch das oben beschriebene Vorgehen werden die Besonderheiten des maschinellen Tunnelvortriebs im Boden dank der optimalen Abstimmung zwischen Planer und Geotechnischem Sachverständigen berücksichtigt. Diese Vorgehen in Verbindung mit der Empfehlung zur Auswahl von Tunnelbohrmaschinen [12] und einer geeigneten Unterteilung des Baugrund in Homogenbereiche auf Grundlage der jeweiligen projektspezifischen Randbedingungen und in Verbindung mit den jeweiligen Vortriebsklassen bzw. -abschnitten ermöglicht eine klare Kalkulationsbzw. Vertragsgrundlage. Literaturverzeichnis [1] DIN 18312: 2012: VOB Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen - Teil C: Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ATV) - Untertagebauarbeiten, Beuth-Verlag, September 2012 [2] DIN 18196: 2011: Erd- und Grundbau - Bodenklassifikation für bautechnische Zwecke, Beuth-Verlag, Mai 2011 [3] DIN 18300: 2019 VOB Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen - Teil C: Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ATV) - Erdarbeiten, Beuth-Verlag, September 2019 [4] DIN 18312: 2019 VOB Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen - Teil C: Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ATV) - Untertagebauarbeiten, Beuth-Verlag, September 2019 [5] DIN 18319: 2019 VOB Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen - Teil C: Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ATV) - Rohrvortriebsarbeiten, Beuth-Verlag, September 2019 [6] Fuchs, Haugwitz (2017): Homogenbereiche - Aus Bodenklassen werden Homogenbereiche technische und rechtliche Auswirkungen auf die VOB Teil C, Bundesanzeiger Verlag [7] Bundesanstalt für Straßenwesen (2007): Zusätzliche Technische Vertrags-bedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten (ZTV-ING), Stand 2007/ 12 [8] Thuro, Singer, Käsling, Bauer (2006): Abrasivitätsuntersuchungen an Lockergesteinen im Hinblick auf die Gebirgslösung, Beiträge zur 29. Baugrundtagung 2006, S.283 - 290 [9] Plinninger, Alber (2016): Abrasivitätsuntersuchung von Boden und Fels im Kontext der neuen VOB/ C, Bauingenieur 91(5): 200-207,· Juni 2016 [10] Ziegler, M.; Feinendegen, M.: Zur Aussagekraft des LCPC-Versuchs für die Festlegung von Homogenbereichen, Geomechanics and Tunnelling 11 (2018), No.2, S. 113 - 122 [11] Große, A. (2018): Entwicklung der Beschreibung des Baugrundes nach VOB Teil C und erste Erfahrungen, in Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) Kolloquium Einteilung des Baugrunds in Homogenbereiche - 30. Januar 2018 in Hannover, S. 3 - 13 [12] Deutscher Ausschuss für unterirdisches Bauen e. V (DAUB), (2010): Empfehlungen zur Auswahl von Tunnelvortriebsmaschinen, Stand 10/ 2010 bzw. aktuelle Überarbeitung 2019/ 2020 [13] Kayser (2018): Geotechnische Prinzipien bei der Umsetzung der Homogenbereiche nach VOB/ C für den Verkehrswasserbau nach MEH, in Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) Kolloquium Einteilung des Baugrunds in Homogenbereiche - 30. Januar 2018 in Hannover, S. 15 - 19 [14] Budach, C., Pohl, C.; Röchter, L.: Einteilung des Baugrunds in Homogenbereiche bei Vortrieben mit Schildmaschinen, tunnel, 5, 2019, Bauverlag, Gütersloh [15] Maidl, U.; Wehrmeyer, G.: Auswahl von Tunnelbohrmaschinen - Variable-Density-Technologie, Bodenverwertung und -deponierung, Neuauflage der DAUB-Empfehlung, Forschung + Praxis 48, STUVA-Tagung 2019 298 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Vortriebe mit Tunnelbohrmaschinen im Lockergestein: Einteilung des Baugrunds in Homogenbereiche im Kontext der aktuellen Normung [16] Thewes, M.: Adhäsion von Tonböden beim Tunnelvortrieb mit Flüssigkeitsschilden, Dissertation, Bericht aus Bodenmechanik und Grundbau, Bergische Universität Wuppertal, Fachbereich Bauingenieurwesen, Band 21, 1999, Shaker Verlag [17] Budach, C.; Placzek, D.; Kleen, E.: Quantitative Bestimmung des Verklebungspotentials feinkörniger Böden auf Basis von Adhäsionsspannungen, geotechnik, Vol.1, 2019, S. 2 - 10 [18] Ziegler, M.; Feinendegen, M.; Englert, K.: Verklebungen beim maschinellen Tunnelvortrieb: Bewertungsverfahren und deren bautechnische Aussagekraft sowie juristische Aspekte zu vertraglichen Regelungen, Forschung + Praxis 46: STUVA-Tagung, 2015, Ernst & Sohn, S. 163 - 171 [19] Hollmann, S.; Thewes, M.: Bewertung der Neigung zur Ausbildung von Verklebungen und zum Anfall von gelöstem Feinkorn bei Schildvortrieben im Lockergestein, 18. Tagung für Ingenieurgeologie und Forum für junge Ingenieurgeologen, S. 237- 244, 2011 Bauen im Bestand 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 301 Monitoringkonzept für korrosionsgeschädigte Winkelstützmauern Matthias J. Rebhan Technische Universität Graz, Graz, Österreich Franz Tschuchnigg Technische Universität Graz, Graz, Österreich Roman Marte Technische Universität Graz, Graz, Österreich Alois Vorwagner Austrian Institute of Technology, Wien, Österreich Maciej Kwapisz Austrian Institute of Technology, Wien, Österreich Zusammenfassung Durch das zunehmende Alter der Infrastrukturbauwerke entlang des Straßennetzes kann eine signifikante Zunahme von Schadensfälle bzw. Mangelerscheinungen festgestellt werden. Neben den geotechnischen Schadensbildern sind dies bei Betonbauwerken hauptsächlich Schäden, welche die Dauerhaftigkeit (Betonabplatzungen, Aussinterungen) betreffen. Zudem sind vorallem bei hoch biegebeanspruchten Stützbauwerken (z.B. Winkel- und Spornmauern) Schäden im Bereich der Biegebewehrung zu erkennen. Diese werden durch die Korrosion der Hauptbewehrung im Bereich der Arbeitsfuge verursacht und können zu einer drastischen Abnahme der Tragfähigkeit und daraus folgend auch zu einem Versagen derartiger Bauwerke führen. Eine Erfassung und Beurteilung derartiger Schäden ist nur bedingt möglich. Durch die massiven Querschnitte von Stützbauwerken gelangen zerstörungsfreie Untersuchungsmethoden an ihre physikalischen Anwendungsgrenzen. Des Weiteren ist der Einsatz zerstörender Untersuchungsmittel wie Kernbohrungen nur in einer sehr begrenzten Anzahl möglich. In vorliegendem Beitrag soll daher die Konzeptionierung bzw. auch die versuchstechnische und numerische Validierung eines Monitoringkonzeptes für korrosionsgeschädigte Betonbauteile vorgestellt werden. Dieses basiert auf der Anbringung von Neigungs- und Dehnungsaufnehmern an der Bauwerksvorderseite. Durch eine paarweise und gestaffelte Anordnung dieser Sensortypen ist eine Unterscheidung zwischen Einflussgrößen wie Temperatur, Belastung und Schädigung auf das Bauwerksverhalten möglich. Daraus folgend können korrosionsgeschädigte Bauwerke überwacht bzw. die Veränderung des Verhaltens dieser Bauwerke kann aufgezeigt werden. 1. Korrosionsgeschädigte Winkelstützmauern Bei Winkelstützmauern handelt es sich im Allgemeinen um hochgradig bewehrte Konstruktionen aus Stahlbeton. Die Vorteile einer derartigen Konstruktionsweise sind eine schlanke, und damit material- und ressourcensparende Ausführung. Vorallem bei der Errichtung von Straßentrassen kamen und kommen derartige Bauwerke zur Sicherung und Herstellung von Geländesprüngen zu Anwendung. Zur Herstellung der vertikalen und horizontalen Schenkel einer Winkelstützaber auch Spornmauer sind im Allgemeinen Arbeitsfugen erforderlich. Diese sind durch schalungs- und herstellungstechnische Anforderungen definiert und im Übergangsbereich von Fundament zu Wandschenkel aber auch Wandschenkel zu Sporn (vgl. Bild 1 Links) angeordnet. In diesem Bereich ist, auf Grund der Biegebeanspruchung dieser schlanken und meist hochbelasteten Konstruktionen, ebenfalls die Hauptbiegebewehrung situiert. Durch das Vorhandensein einer Fuge in diesem Bereich kann es daher zu einem Verlust der Depassivierungseigenschaften (vgl. Kapitel 1.1) und damit zu einer Schädigung der Bewehrung kommen. Zudem gestaltet sich die Prüfung und Beurteilung (vgl. [1] & [2]) derartiger Schäden als äußerst schwierige und anspruchsvolle Aufgabe. 302 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Monitoringkonzept für korrosionsgeschädigte Winkelstützmauern 1.1 Korrosionsschäden Durch das Öffnen bzw. Klaffen einer Arbeitsfuge kommt es zu einem Freiliegen der Bewehrungselemente in diesem Bereich. Vorallem bei Winkelstützmauern kann ein derartiges Schadensbild zufolge unterschiedlicher Ursache auftreten. Dies kann aus einer unzureichenden Planung und Dimensionierung der Bauteile resultieren. So wurden beispielsweise oftmals zu geringe Erddruckansätze bei der Bemessung der Inneren Standsicherheit [3] der vertikalen Wandschenkel angesetzt. Daraus resultierend kommt es zu einer Überbeanspruchung der Konstruktion, welche in weiterer Folge zu einem Klaffen der Fuge führen kann. Bild 1: Links: Querschnitt einer Winkelstützmauer mit Position der Arbeitsfugen und schematischer Darstellung der Hauptbiegebewehrung; Rechts: Ansicht einer korrodierten Arbeitsfuge Zusätzlich können auch ausführungstechnische Mängel wie Kiesnester oder eine zu geringe Betondeckung in diesem Bereich zu Korrosionsschäden an der Hauptbewehrung führen. Bild 2: Freigelegte Bewehrung im Bereich einer Arbeitsfuge (adaptiert nach [4]) Die streuenden Korrosionsschäden in Bild 2 zeigen, dass hier eine sehr unregelmäßige Schädigung der Bewehrung vorliegen kann, welche eine Erfassung dieser äußerst schwierig und anspruchsvoll gestaltet. 1.2 Bauwerksuntersuchungen Wie bereits in Kapitel 1.1 angeführt, liegen bei Winkelstützmauern im Bereich der Anschlussbewehrung in der Arbeitsfuge oftmals weit streuende Korrosionsschäden vor. Diese ist an der Rückseite eines oftmals mehrere Dezimeter mächtigen Betonbauteiles situiert und ist rückseitig durch den zu stützenden Erdkörper verdeckt. Bei der Anwendung zerstörungsfreier Untersuchungsmethoden wie Radar, Ultraschall oder auch der Potentialfeldmessung zeigt sich, dass die Erfassung derartiger Schäden (vgl. [5]) nur bedingt bzw. mit großen Einschränkungen möglich ist. Mit zerstörenden Untersuchungsmethoden wie der Herstellung von Kernbohrungen oder HDW-Sichtschlitzen ist eine direkte visuelle Beurteilung des Bauteilaufbaues und auch einer Korrosionsschädigung (vgl. Bild 3) möglich. Bild 3: Korrodierte Bewehrung in einer Kernbohrung 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 303 Monitoringkonzept für korrosionsgeschädigte Winkelstützmauern Derartige Untersuchungen sind jedoch im Allgemeinen mit einer invasiven Schädigung des Bauteiles und damit einer möglichen Reduktion der Tragfähigkeit verbunden. Zudem bieten diese Untersuchungen lediglich einen punktuellen Einblick in die Schädigung und ermöglichen daher nur bedingt einen Rückschluss auf die Schädigung bzw. die Verteilung der Schädigung entlang der Fuge. 2. Monitoringkonzept Bei einem klassischen Monitoring geotechnischer Bauwerke können Lageänderungen wie Verschiebungen, Setzungen oder Verdrehungen erfasst werden. Diese können durch eine Vielzahl an Effekten und Einwirkungen verursacht werden. Einerseits sind dies Beanspruchungen aus Erddruck, Wasserdruck, Verkehrslast oder Temperatureinwirkungen. Andererseits können erfassbare Veränderungen des Bauwerksverhaltens auch zufolge einer Schädigung des Bauwerkes (z.B. Korrosion im Bereich der Arbeitsfuge) ausgelöst werden. Daher ist es bei einem Monitoringkonzept für korrosionsgeschädigte Bauwerke erforderlich, sowohl zwischen last- und temperaturbedingten Einflüssen, als auch zwischen schädigungsbedingten Effekten zu unterscheiden. Durch die paarweise Anordnung von Neigungs- und Dehnungsaufnehmern (vgl. Bild 4) an der Bauwerksvorderseite kann dieser Ansatz umgesetzt werden. Bild 4: Messkonzept; Links: Sensorlayout an einer Winkelstützmauer; Rechts: Erfassbare Effekte in Abhängigkeit der Position des Sensors (adaptiert nach [6]) Während die Neigungsaufnehmer klassisch eine Veränderung der Verformung (bzw. Krümmung) des Bauwerkes erfassen, können die Dehnungsaufnehmer an der Bauwerksvorderseite einen Rückschluss auf den Dehnungszustand des Betonquerschnittes geben. So können beispielsweise im Bereich der Arbeitsfuge angebrachte Dehnungsaufnehmer eine mögliche Korrosionsschädigung bzw. eine daraus resultierende Umlagerung innerhalb des Querschnittes (vgl. [7]) erfassen, wohingegen derartige Sensoren am Kopf der Wand bei einer Korrosionsschädigung keine Messwertänderung aufzeigen würden. Bei der Anordnung der Sensorpaare sind hier folgende Punkte zu beachten: - Mehrere Messquerschnitte sollten angeordnet werden, um eine gesamtheitliche Erfassung des Bauwerkes (bzw. eines Blockes) sicherzustellen; - Die gerissenen und ungerissenen Bereiche des Querschnittes sind vorallem in Bezug auf die unterschiedlichen Steifigkeiten zu berücksichtigen. In Bezug auf ein Monitoring von (Bestands-)Bauwerken bzw. auch zur Interpretation möglicher Veränderung stellt die Erfassung von Temperatureffekten eine große Herausforderung dar. Durch eine verteilte Anordnung der Sensoren entlang des Querschnittes wäre es beispielsweise möglich, das periodische, durch Temperatureinwirkungen auftretende Verhalten des Bauwerkes (vgl. 304 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Monitoringkonzept für korrosionsgeschädigte Winkelstützmauern Bild 4 rechts) zu erfassen und damit in der Interpretation des Bauwerksverhaltens einen großen Mehrwert zu geben. Bei der Anordnung und auch der Planung eines derartigen Monitoringkonzeptes sollte jedoch beachtet werden, dass die Erfassung von Korrosionsschäden im Bereich der Arbeitsfuge aus geometrischen Gründen (Schalungsansatz) nicht immer möglich ist. Generell sei zu dem hier kurz beschriebenen Monitoringkonzept angemerkt, dass damit im Allgemeinen lediglich das Verhalten des Bauwerkes (und nur bedingt des Untergrundes) erfasst werden kann. So können Schadensbilder wie diese beispielsweise bei einem Gleiten des Bauwerkes oder bei einer gleichmäßigen Setzung auftreten, nur eingeschränkt damit erfasst werden. Hierzu ist die Anwendung klassischer Monitoringlösungen (geodätische Messungen) erforderlich. Bild 5: Versuchsaufbau zur Nachbildung von Korrosionsschäden 3. Versuchstechnische Nachbildung einer Korrosionsschädigung Zur Validierung bzw. auch zur Erprobung des in Kapitel 2 beschriebenen Monitoringkonzeptes wurden mehrere Versuchsaufbauten und Versuchsreihen durchgeführt. In Bild 5 ist ein invertierter 4-Punkt-Biegeversuch zu erkennen. Mit diesem wurde der vertikale Wandschenkel einer Winkelstützmauer (als Kragträger in Form einer Plattenhälfte) abgebildet. Dazu wurde eine 25 cm starke, 137 cm breite und 500 cm lange Stahlbetonplatte mit einem Bewehrungsgrad von r = 0,66 % (Ø14/ 10) an zwei Auflagerpunkten (Achse A und G) gehalten und mit einer hydraulischen Presse im Bereich der Achse D belastet. Durch die Anbringung einer Lastverteilungseinrichtung konnte ein konstantes Biegemoment in Plattenmitte erzeugt werden. Die Korrosionsschädigung wurde durch eine Korrosionsfuge in Plattenmitte bewerkstelligt. In dieser wurde durch die Methode des elektrochemischen Abtrages eine gleichmäßige Reduktion des Bewehrungsdurchmessers erzielt. Zur Überprüfung des Messkonzeptes wurde ein redundantes Messlayout appliziert, welches im Wesentlichen aus vier Neigungssensoren an der Oberseite der Platte (04a bis 04d) und drei Dehnungsaufnehmern an der Unterseite (05c bis 05e) bestand. Mit diesen konnten sowohl die Neigungsänderungen entlang der Plattenmittelachse erfasst werden, als auch der Einfluss auf die Betonstauchungen. Neben der Aufbringung einer Korrosionsschädigung konnten mit diesem Versuchsaufbau auch last- und temperaturbedingte Einflüsse auf das Bauteil bewerkstelligt werden. Eine genauere Dokumentation des Versuchsaufbaues findet sich in [5] und [8]. 4. Untersuchungsergebnisse In Bild 6 sind einige Ergebnisse des in Kapitel 3 angeführten Versuchsstandes dargestellt. Auf der Abszisse des Diagrammes ist die durch die Neigungssensoren 04a - 04d (vgl. Bild 5) erfasste Veränderung der Plattenneigung an der Oberseite dargestellt. Auf der Ordinate ist die dazugehörige Kraft (Achse D in Bild 5) angeführt. Die Ergebnisse sind hier sowohl für die Versuchsreihe (gemessen - durchgezogene Linien) als auch für die numerische Simulation einer Korrosionsschädigung (simuliert gestrichelte Linien) in einem Diagramm dargestellt. Im rechten Bereich des Diagrammes lässt sich ein konstanter Anstieg der Neigungen zufolge einer Korrosionsschädigung erkennen. Wobei hier die Belastung des Versuchsaufbaues nicht verändert wurde. Der linke Bereich des Diagrammes zeigt, dass eine Zunahme der Belastungen ebenfalls durch einen Anstieg der Neigungsänderung erkennbar ist. Zudem zeigt sich, dass beispielsweise eine Laststeigerung auch mit den verwendeten numerischen Modellen 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 305 Monitoringkonzept für korrosionsgeschädigte Winkelstützmauern und Stoffgesetzen (vgl. [5] und [9]) entsprechend abgebildet werden kann und hier eine gute Übereinstimmung zwischen den Versuchsergebnissen und den numerischen Berechnungen vorliegt. Die Ergebnisse der Untersuchungen und auch einer numerischen Simulation des Versuches zeigen, dass durch eine Erfassung der Neigungsänderung generell auf lastbzw. korrosionsbedingte Einflüsse rückgeschlossen werden kann. Unter praktischen Gesichtspunkten ist hierbei jedoch zu beachten, dass es zu einer Überlagerung unterschiedlicher Effekte wie beispielsweise einer Temperatureinwirkung gemeinsam mit einer Korrosionsschädigung kommen wird. Zur Identifikation unterschiedlicher Effekte können daher die Messergebnisse der Dehnungsmessungen an der Bauwerksvorderseite (Betonstauchungen siehe Sensoren 05c - 05e in Bild 5) herangezogen werden. Die dafür erforderliche Herangehensweise bei der Interpretation ist in Bild 4 in der rechten Tabelle dargestellt. Ergebnisse einer derartigen Auswertung und der dazugehörigen Interpretation sind in [8] und [9] sowie dem Abschlussbericht des Forschungsprojektes SIBS [5] angeführt. Bild 6: Neigungsänderungen bei Zunahme der Korrosionsschädigung und bei Laststeigerung 5. Zusammenfassung & Ausblick Mit den hier vorliegenden Ausführungen zeigt sich, wie anspruchsvoll und herausfordernd der Umgang mit bestehenden Stützbauwerken ist. Bereits die Erfassung des Bauwerkszustandes, als Grundlage für eine aussagekräftige Bewertung und Beurteilung, stellt eine fordernde Aufgabe für Ingenieure und Ingenieurinnen dar. Vor allem bei durch Korrosion verursachten Schäden gestaltet sich die Einschätzung des Schadensausmaßes und des Schadensfortschrittes als schwierig und kann oftmals nicht eindeutig geklärt werden. Mit dem vorliegenden Paper wurde die Anwendung eines neuen Monitoringkonzeptes zur Erfassung von Korrosionsschäden bei Winkelstützmauern aufgezeigt. Dieser Ansatz konnte mit einer versuchstechnischen und künstlichen Nachbildung einer Korrosionsschädigung auf seine Anwendbarkeit hin untersucht werden. Dabei zeigte sich, dass ein richtig konzeptioniertes Messlayout sowohl die Erfassung von Korrosionseinflüssen als auch die Auswirkungen einer Laständerung bzw. einer Temperatureinwirkung ermöglicht. Vertiefte Untersuchungen zu der hier angeführten Versuchsreihe aber auch zur numerischen Abbildung einer Korrosionsschädigung und deren Auswirkungen auf den Erddruck sind im Abschlussbericht des Forschungsprojektes SIBS [5] angeführt. 6. Danksagung Die Untersuchungen und Forschungstätigkeiten in diesem Bereich der Geotechnik und des Bauens im Bestand konnten und werden dank des durch die FFG geförderten Forschungsprojektes SIBS - „Sicherheitsbewertung bestehender Stützbauwerke“ - durchgeführt. Der Dank für die Unterstützung in diesem Projekt geht an die Vereinigung Österreichischer Bohr-, Brunnen- und Spezialtiefbauunternehmungen (VÖBU), die Autobahnen- und Schnellstraßen- Finanzierungs- Aktiengesellschaft (Asfinag) und die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), sowie an das gesamte Forschungsteam sowie die Wirtschaftspartner und Unterstützer des Forschungsprojektes. Literaturverzeichnis [1] RVS 13.03.61; Qualitätssicherung bauliche Erhaltung, Überwachung, Kontrolle und Prüfung von Kunstbauten, Nicht geankerte Stützbauwerke; Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie; Wien; 07.01.2014 [2] ÖGG Empfehlungen zur vertieften Prüfung und Beurteilung bestehender, unverankerter Stützbauwerke; Salzburg; 2018 [3] Koppelhuber C.; Vergleich der Erddruckansätze auf Stützbauwerke; Masterarbeit Institut für Bodenmechanik und Grundbau der Technischen Universität Graz; 10.10.2017; Graz [4] Vollenweider; Evaluation de l’état des murs de souténement béton à semelles Etude pilote; Rapport de synthèses des phases 1 et 2; Schweizerische Eidgenossenschaft, 2014 [5] Abschlussbericht Forschungsprojekt SIBS; Arbeitsgruppe SIBS; VÖBU; Wien; 2019 [6] Rebhan et. al.; Korrosionsschäden an Winkelstützmauern - versuchstechnische und rechnerische Nachbildung; Geomechanics and Tunneling 12; Ernst & Sohn Verlag; Berlin; 2019 306 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Monitoringkonzept für korrosionsgeschädigte Winkelstützmauern [7] Rebhan et. al.; Safety assessment of existing retaining structures; Geomechanics and Tunneling 10; Ernst & Sohn Verlag; Berlin; 2017 [8] Rebhan, M. J.; Korrosionsschäden bei Winkelstützmauern; Dissertation; Technische Universität Graz; Institut für Bodenmechanik, Grundbau und Numerische Geotechnik; Graz; 2019 [9] Kwapisz, M.; Vorwagner, A.; Lechner, A.; Rebhan, M. J.; Investigations on Existing Concrete Cantilever Walls Subjected to Reinforcement Corrosion; Proceedings of the 2017 fib Symposium - High Tech Concrete - Where Technology and Engineering Meet; Seiten 2083-2091; Maastricht; 2017 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 307 Reaktivierung einer 45 Jahre alten Schlitzwand als Baugrubensicherung Konrad Westermann Gruner AG, Basel, Schweiz Pasquale Grasso Gruner AG, Basel, Schweiz Laurent Pitteloud Gruner AG, Basel, Schweiz Zusammenfassung Für den Neubau eines Forschungszentrums wurde eine 45 Jahre alte Schlitzwand erneut reaktiviert und mit 1.739 Ankern aus dem Bestand heraus gesichert, um eine 140 m lange, 70 m breite und 22 m tiefe Baugrube in Basel zu erstellen. Die Baugrube liegt im innerstädtischen Bereich, am Rande des Industrie- und Forschungsareals eines Pharmakonzerns mit sensibler Nachbarbebauung. Die bestehende Schlitzwand wurde ausgiebig materialtechnologisch untersucht. Zur Sicherung gegen den Erddruck und den bis zu 12 m hohen Wasserdruck im stark durchlässigen Baugrund wurden 6 Ankerlagen eingebaut. Zur termingerechten Fertigstellung waren bis zu 12 Kellerbohrgeräte gleichzeitig im Einsatz, die aus den bestehenden Untergeschossen des Bestands arbeiten mussten. Aufgrund der engen Platzverhältnisse wurde an rund 200 Ankern Bohrlochvermessungen durchgeführt, um Kollisionen mit anderen Ankern, Bauwerken oder Leitungen zu verhindern. Dazu wurde die Baugrube mit allen Ankern in einem 3D-Modell konstruiert und mit Hilfe von automatisierten Prozessen, die Ergebnisse der Ankervermessungen eingepflegt, die Bohrungen kontrolliert und eine zeitnahe Rückmeldung an die Baustelle gegeben. Der Endaushub der Baugrube konnte im August 2019 erreicht werden, wobei die Verformungen der Baugrubenwand innerhalb der prognostizierten Werte lagen. 1. Allgemeines 1.1 Projektübersicht Das Projekt pRED-Center liegt am westlichen Ende des Roche Areals in Basel und besteht überirdisch aus vier Gebäuden: Ein Konferenzgebäude, ein Bürogebäude sowie zwei Laborhochhäusern. Unterirdisch sind alle vier Gebäude über eine mehrgeschossige Tiefgarage verbunden. Die 140 m lange, 70 m breite und 22 m tiefe Baugrube des pRED-Centers ist im Süden und im Westen durch Straßen begrenzt. Auf der Ostseite grenzt die Baugrube direkt an das empfindliche Nachbargebäude Bau 95. Der empfindliche pharmazeutische Betrieb in Bau 95 musste während der gesamten Arbeiten aufrechterhalten und nicht beeinträchtigt werden. Auf der Nordseite grenzt die Baugrube an ein weiteres Neubauprojekt auf Roche-Areal (BSN Bau 08 und 11). Abbildung 1 zeigt den Planungsperimeter des pRED-Projektes und die bestehenden Nachbargebäude. Die Erstellung des Neubaus erfordert den vollständigen Abbruch des bestehenden Gebäudes Bau 74. Die 6 Untergeschosse des bestehenden Bau 74 sind von einer Baugrubensicherung in Form einer Schlitzwand umgeben, die zur Sicherung der neuen Baugrube wiederverwendet wurde. Abbildung 1: Übersicht Projekt pRED-Center mit farbigen Neubaumaßnahmen. 308 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Reaktivierung einer 45 Jahre alten Schlitzwand als Baugrubensicherung 1.2 Schlitzwand Die bestehende Schlitzwand wurde 1973 erstellt. Die einzelnen Lamellen haben eine nominelle Wandstärke von 80 cm und wurden in Elementbreiten von 2,50 und 5,0 m mit Greifern ausgehoben. Die Unterkante der Schlitzwand liegt zwischen 25 und 35 m unter der GOK. Die Schlitzwand wurde als wasserundurchlässiger Verbau ausgeführt und über die Einbindung in die Molasse eine Unterströmung der Wand verhindert. Die Schlitzwand war 45 Jahre lang die Sicherung der Untergeschosse gegen das Erdreich. Während der Bauzeit wurde die Schlitzwand durch Anker gesichert. Die Decken des Hochbaus wurden bis an die Schlitzwand betoniert und im Anschluss wurden alle Anker entspannt und abgedichtet. 1.3 Baugrund Der anstehende Baugrund lässt sich in drei stratigraphische Einheiten unterteilen. Direkt unter der Geländeoberkante befindet sich eine künstliche Auffüllung in dünner Schicht. Darunter liegt eine dicke, tragende Schicht aus dicht gelagerten Niederterrassenschottern, die bis in eine Tiefe von ca. 240,00 - 237,00 m. ü. M. hinabreicht (die Geländeoberkante in nächster Nähe des Bau 74 liegt bei etwa 257,70 m. ü. M.). Innerhalb dieser Schotterschicht treten harte, stark verkittete bzw. zementierte Bereiche, sog. Nagelfluhbänke, auf. Unter den Schottern befindet sich ein tragfähiger Untergrund aus sich abwechselnden Schichten von Cyrenenmergel und Elsässermolasse. Diese Schicht aus veränderlich festem Gestein wird im Folgenden als Molasse bezeichnet. Der mittlere Grundwasserspiegel liegt bei 246,00 m. ü. M. (ca. 11.7 m unter OK Terrain), wobei dieser bei Hochwasser auf 247.60 m. ü. M. (ca. 10.2 m unter OK Terrain) ansteigen kann. Das Grundwasser zirkuliert in der stark durchlässigen Schicht des Niederterrassenschotters und hat ein Gefälle nach Süden hin zum Rhein. Tabelle 1: Bodenkennwerte Abbildung 2: Schnitt auf der Südseite mit Baugrundmodell gem. geologischem Gutachten 2. Vergangenheit Die Herausforderungen bei der Erstellung der Baugrubenumschliessung im Jahr 1973 und die Erfahrungen während der Ausführung sind in [1] eindrucksvoll beschrieben. Im Folgenden werden einige Besonderheiten kurz angesprochen und zitiert. 2.1 Plastisches Gelenk Bereits bei der Erstellung der Schlitzwandlamellen wurden Inklinometerrohre eingebaut und damit die Verformungen der Baugrubenwand überwacht. Dadurch wurde bei der Erstellung der dritten Ankerlage die Bildung eines plastischen Gelenks in der Schlitzwand rechtzeitig erkannt (siehe Abbildung 3) und der überlastete Bereich mit zusätzlichen Ankern gesichert. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 309 Reaktivierung einer 45 Jahre alten Schlitzwand als Baugrubensicherung Abbildung 3: Inklinometermessung im Bereich der überbeanspruchten Wand (Bildung plastisches Gelenk), aus [1]. 2.2 Einbetonierter Schlitzwandgreifer Bei den Greiferarbeiten im anstehenden Nagelfluh und der Molasse kam es immer wieder zu Verklemmungen. Dreimal musste der Schlitzwandgreifer durch das Graben eines Parallel-Schlitzes wiedergewonnen werden. Im Nordosten konnte ein Schlitzwandgreifer gar nicht mehr geborgen werden. Da der Schlitzaushub fast auf Endaushubtiefe war, wurde der Schlitzwandgreifer aufgegeben und mit der Lamelle einbetoniert. An dieser Stelle bindet die zusammenhängende Schlitzwandlamelle damit ca. 3 m weniger in den Baugrund ein. Abbildung 4: Teil des einbetonierten Schlitzwandgreifers der auf Höhe des Endaushubs freigelegt wurde. 2.3 Undichtigkeiten Bereits bei der Erstellung der Schlitzwand mussten im Bereich oberhalb der Molasse klaffende oder undichte Schlitzwandfugen saniert werden. Zur Entwässerung wurden Drains angeordnet und armierte Betonschürzen vor den Fugen betoniert, um dem starken Wasserandrang Herr zu werden. Abbildung 5 zeigt ein besonders drastisches Beispiel einer 30 cm breiten klaffenden Fuge in der Schlitzwand und deren Sanierungsmaßnahme. Abbildung 5: Oben: Klaffende Fuge in der Schlitzwand mit starken Wasserandrang; Unten: Sanierung der klaffenden Fuge mit einer Drainage und Betonschürze, beide aus [1]. 310 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Reaktivierung einer 45 Jahre alten Schlitzwand als Baugrubensicherung 3. Bestandsuntersuchung 3.1 Laserscanning Zur Kontrolle der Einhaltung der Baulinie des geplanten Neubaus wurde die Schlitzwandoberfläche mit einem 3D Laserscan aufgenommen und dokumentiert. Generell liegt die Innenkante der Schlitzwand außerhalb der Baulinie. An verschiedenen Stellen überschreiten jedoch Lamellen aufgrund ihrer Schiefstellung im Grundriss die Baulinie. Abbildung 6 zeigt beispielhaft den Verlauf der Schlitzwandlamellen über die Untergeschosse. Erkennbar ist die Verdrehung der Lamellen untereinander mit zunehmender Tiefe. Abbildung 6: Exemplarischer Verlauf der Schlitzwandoberfläche aus dem 3D-Scan über die Untergeschosse. 3.2 Bohrkerne Um im Voraus die Betonfestigkeit der Schlitzwand zu ermitteln wurde in jedem Untergeschoss an mindestens drei verschiedenen Messstellen jeweils drei Bohrkerne gewonnen. Für die somit gewonnenen 93 Bohrkernen wurde die Verteilung der Betonfestigkeit ermittelt. Die genaue Ermittlung der Betonfestigkeit war von besonderer Bedeutung, da die Schub- und Durchstanznachweise mit Standardfestigkeitswerten und unter Berücksichtigung der schwach bewehrten Schlitzwand kaum zu führen waren. Um während der Ausführung eine größere Auflösung der Schlitzwandqualität zu haben und damit mögliche lokale Schwächezonen der Schlitzwand zu detektieren, ist die Druckfestigkeit direkt an der Manteloberfläche der Bohrkerne aus den Kernbohrungen der Anker mittels Rückprallhammer ermittelt worden. So wurde die Druckfestigkeit von etwa 980 Bohrkernen geprüft und dokumentiert. Davon wurden ca. 100 Stück im Baulabor einer einaxialen Druckprüfung unterzogen. Dadurch konnte eine Korrelation zwischen der Oberflächendruckfestigkeit und der Zylinderdruckfestig hergestellt werden. 3.3 Betonfestigkeiten Die Schlitzwand wurde seinerzeit im Kontraktorverfahren betoniert, so dass durch den mit der Tiefe zunehmenden Druck im Frischbeton die Verdichtung erfolgte. Dadurch erreichte der Beton in den unteren Geschossen aufgrund des größeren Drucks eine höhere Festigkeit. Auf Basis der gemessenen Festigkeiten in der Voruntersuchung wurden Bereiche der Schlitzwand in aktuelle Betonfestigkeitsklassen eingestuft (Siehe Tabelle 2). Wegen der Streuung der Messwerte wurde in der Statik für Krafteinleitungsbereiche (Durchstanzen) auf der sicheren Seite nur die nächst kleinere Druckfestigkeitsklasse angesetzt und für die Biegenachweise eine Betonfestigkeitsklasse C30/ 37. Betonsorte C45/ 55* C40/ 50** Gültigkeitsbereich Ch. Wert der Zylinderdruckfestigkeit [N/ mm 2 ] 45 40 UG1, UG2, UG3 Mittelwert der Zylinderdruckfestigkeit [N/ mm 2 ] 53 48 UG1, UG2, UG3 Betonsorte C50/ 60* C45/ 55** Gültigkeitsbereich Ch. Wert der Zylinderdruckfestigkeit [N/ mm 2 ] 50 45 UG4, UG5, UG6 Mittelwert der Zylinderdruckfestigkeit [N/ mm 2 ] 58 53 UG4, UG5, UG6 * Erwartungswert ** Ansatz für Durchstanzen Tabelle 2: Einstufung der Druckfestigkeit des Schlitzwandbetons aus den Voruntersuchungen. Aus den Untersuchungen an den Kernbohrungen der Anker beträgt die Druckfestigkeit des Betons der Schlitzwand im Mittel 62 N/ mm2 bei den Laborversuchen und 34 N/ mm2 bei den Versuchen mittels Rückprallhammer an den gleichen Kernbohrungen. Die gewonnenen Resultate aus den Laborversuchen weisen im Vergleich zu den Rückprallhammerversuchen durchschnittlich einen um den Faktor 1.78 höhere Druckfestigkeit auf. In Abbildung 7 sind die Druckfestigkeiten der Proben aus dem Baulabor und aus der Rückprallhammeruntersuchung sowie deren Mittelwerte dargestellt. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 311 Reaktivierung einer 45 Jahre alten Schlitzwand als Baugrubensicherung Abbildung 7: Druckfestigkeitsprüfung Beton Schlitzwand - Werte Rückprallhammer und Laborversuch (Korrelation). Die Auswertung sämtlicher Rückprallhammerversuche (Druckfestigkeit beaufschlagt mit dem Korrelationsfaktor 1.78) und deren Vergleich mit der erforderlichen Mindestfestigkeit gem. Tabelle 2 kann der Abbildung 8 entnommen werden. Für die bessere Übersicht sind die Proben für die jeweiligen Untergeschossen farblich gegliedert. Zudem sind die Mittelwerte der Druckfestigkeit des Betons f cm abzüglich deren einfache, zweifache und dreifache Standardabweichung σ dargestellt. Abbildung 8: Betondruckfestigkeit der Schlitzwand im Vergleich zu den charakteristischen Werten der für die Statik angenommenen Festigkeitsklassen. 3.4 Stahlfestigkeiten Auch die Zugfestigkeit und die Korrosion des Bewehrungsstahls in der bestehenden Schlitzwand wurden an den Messstellen der Voruntersuchung ermittelt. Über die Betondeckung und den Chloridgehalt in Abhängigkeit der Eindringtiefe wurde auf die Korrosionsgefährdung der restlichen Schlitzwandbereiche geschlossen. Durch die Rippung des Bewehrungsstahls konnte eindeutig das Produkt Roto des Herstellers Ferrowohlen bestimmt werden. Für diese Stahlsorte III dürfte gem. [1] eine Stahlfestigkeit von f sd = 400 N/ mm² und eine Duktilitätsklasse A-B angenommen werden. Für die Statik wurde jedoch nur eine Stahlfestigkeit für den Betonstahl III von f sd = 390 N/ mm². Die Versuche an den untersuchten Bewehrungseisen bestätigen diese Werte (siehe Abbildung 9). Die Untersuchung der Betonüberdeckung lieferte erwartungsgemäß eine deutliche Streuung aufgrund des Herstellverfahrens der Schlitzwand. Vereinzelt war die Bewehrung der Schlitzwandlamellen auf der Innenseite sichtbar. Im Mittel konnte jedoch eine Betonüberdeckung von mindestens 41 mm berücksichtigt werden (siehe Abbildung 10). Bei der Untersuchung des Chloridgehalts wurde nur im 6. Untergeschoss der Grenzwert von 0.050 Clb (Massen-% / Beton) überschritten (siehe Abbildung 11). Der hohe Chlorideintrag weist auf eine potentielle Korrosionsgefährdung der Bewehrung hin. Die hohen Werte sind auf einen vorhandenen Riss in der Schlitzwandlamelle an der Messstelle zurückzuführen und sind damit nur lokal kritisch. Probe d0 [mm] R p0,2 [N/ mm 2 ] R m [N/ mm 2 ] e u [%] 1 26 530 649 12.9 13 26 529 632 16.3 18 30 518 - - 27 16 458 561 18.8 29 24 497 609 16.5 Abbildung 9: Ergebnisse der Zugfestigkeit des Betonstahls der Schlitzwand. Objekt Tiefenprofil Chloridgehalt Clb [Massen-% / Beton] Bezeichnung 0-15 mm 15-30 mm 30-45 mm 6. UG 0.15 0.14 0.43 5. UG 0.029 0.048 0.045 4. UG 0.026 0.017 0.015 2. UG 0.064 0.040 0.040 Abbildung 11: Chloridprofile für die untersuchten Untergeschosse. 312 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Reaktivierung einer 45 Jahre alten Schlitzwand als Baugrubensicherung Messstelle kleinste Überdeckung [mm] größte Überdeckung [mm] durchschnittliche Überdeckung [mm] 1 28 99 76 2 23 99 66 4 40 96 62 7 47 99 78 8 7 66 32 10 36 89 61 12 44 99 79 18 35 90 51 19 23 99 41 20 23 66 42 24 38 99 82 26 40 94 61 27 31 99 51 Abbildung 10: Bewehrungsüberdeckung der Schlitzwand an den untersuchten Messstellen. 4. Planung 4.1 Zu kurze Einbindelänge Neben der Beschreibung und den Angaben in [1] lagen keine Angaben zur Statik und Bemessung der Schlitzwand von 1973 vor. Vermutlich wurde die Molasse als unverschieblicher Felshorizont in der damaligen Statik angesetzt (Wandfuss horizontal und vertikal festgehalten). Für die neue Statik wurde der gesamte Boden dagegen als Lockergestein modelliert (siehe Tabelle 1). Vermutlich wurde auch damals ein geringerer Anteil des Erdruhedrucks in der Statik berücksichtigt. Das neue Aushubniveau lag ungefähr auf der gleichen Höhe wie damals. Jedoch wurde damals ein 8 m breiter Stützkeil am Rande der Baugrube zur Schlitzwand hin belassen, der in der neuen Planung vollständig auf allen Seiten zu entfernen war, um eine ebene, durchgängige Bodenplatte zu erstellen. Auf Basis der neuen Randbedingungen ergab sich in der Statik in manchen Schnitten eine erforderliche Einbindelänge der Schlitzwand, die grösser als die vorhandene Einbindelänge ist. Nachdem die Überlegungen von einer Verlängerung der Schlitzwand nach unten beispielsweise über Mikropfähle oder Injektionsarbeiten verworfen wurden, wurde beschlossen durch eine stärkere Verankerung der Schlitzwand eine Erddruckumlagerung von unterhalb der Baugrubensohle nach oben zu erzwingen und damit den „fehlenden“ Erdwiderstand vor der Wand durch die Ankerlagen auszugleichen. Da die tatsächliche Einbindelänge der Schlitzwand bekannt war, wurde der maximal mobilisierbare Erdwiderstand des Wandfuss als Ersatzlast auf Höhe der Baugrubensohle angesetzt. In der Figur der Erddruckumlagerung wurde der Erddruck unterhalb der BGS bis zur theoretisch erforderlichen Einbindetiefe umgelagert. Als Ergebnis wurden die unteren Ankerlagen in Bereichen mit zu geringer Einbindetiefe der Schlitzwand in einem engeren Raster gesetzt. 4.2 Bewehrungsansätze Die Schlitzwandlamellen sind abgestuft bewehrt und im Bereich der alten Anker mit Zusatzbewehrung verstärkt. Leider befindet sich die Zusatzbewehrung nicht auf Höhe der neuen Ankerlagen und wurde deswegen nicht berücksichtigt. Zudem wurde pro Element die Bewehrungsmenge reduziert, um ein Durchtrennen der Bewehrung durch die Ankerkernbohrung zu berücksichtigen. Die Schwächung der Wand wurde damit in der neuen Baugrubenstatik berücksichtigt. Die Bügelbewehrung wurde nicht berücksichtigt, da damals lediglich ein Bügel Ø12 mm alle 300 mm im Bewehrungskorb angeordnet wurde. 4.3 Durchstanznachweis Aufgrund der punktuellen Lagerung durch die Anker wurde gemäss SIA 262 [3] der Durchstanznachweis der Schlitzwand untersucht. Aufgrund der geringen Rotationsfähigkeit der Wand wurden hohe Widerstandskräfte rechnerisch ermittelt. Gemäss [3] muss eine Mindestrotation erreicht werden, um damit die Bewehrung beim Durchstanzen zu aktivieren. Es wurde untersucht, auf welchem reduzierten Sicherheitsniveau der Durchstanznachweis unter Berücksichtigung der minimalen Plattenrotation erfüllt ist und diese reduzierte Sicherheit akzeptiert. Während dem Vorspannen der Anker konnte im Sinne der Beobachtungsmethode das Verhalten der Schlitzwand gemessen und geprüft werden, ob Zusatzmaßnahmen erforderlich sind. 4.4 Umlagerung Die Baugrubenumschliessung des Projekts pRED wurde mit 4 bis 5 Ankerlagen rückverankert und daher ein erhöht aktiver Erddruck gem. EAB EB22 Ziffer 3 [5] angesetzt. Durch die regelmäßige Verankerung wird eine realitätsnahe Erddruckumlagerung berücksichtigt (siehe Abbildung 12). Laut der EB 70 Absatz 6 [5] ist eine Umlagerung des Erddrucks unterhalb der Baugrubensohle nach oben möglich, sofern die Umlagerung durch konstruktive Massnahmen begünstigt wird. Die gestellten Anforderungen der EB 70 [5] sind durch die dichte Anordnung der Anker erfüllt, da damit eine Versteifung der Wand im Bereich der Anker (zwischen ersten Ankerlage und Baugrubensohle) erzwungen wird. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 313 Reaktivierung einer 45 Jahre alten Schlitzwand als Baugrubensicherung Die Lastfigur des Erddrucks im Projekt pRED wird grundsätzlich wie folgt angenommen: Von der Geländeoberkante aus bis zur Höhe der ersten Ankerlage bildet sich eine dreiecksförmige Erddruckverteilung. Von der ersten Ankerlage bis zur Aushubsohle wird dank der versteifenden Wirkung der Anker der Erddruck rechteckförmig umgelagert. Ab der Baugrubensohle nimmt der Erddruck bis zum Wandfuss dreiecksförmig wieder ab. In Abbildung 12 ist die gewählte Lastfigur des Erddruckes auf der Baugrubenwand schematisch dargestellt. Abbildung 12: Angenommene trapezförmige Erddruckverteilung auf die Schlitzwand gemäss EAB EB 70 4.5 BIM-Modell Aufgrund der Vielzahl an Ankern und der Randbedingungen (Werkleitungen, Nachbarbauwerke, Anker des Nachbarprojekts Bau 08+11) war bereits in der Planung klar, dass es bei Ankerausfällen während der Ausführung anspruchsvoll wäre, Ersatzstandorte zu definieren. Daher wurde die gesamte Baugrubensicherung, alle relevanten Werkleitungen, Untergeschosse der Nachbargebäude und die Sicherungselemente der Nachbarbaugrube von Bau 08+11 in einem gemeinsame 3D-Modell modelliert. Die Anker wurden über ein eigens dafür programmiertes Skript automatisch im 3D-Modell generiert. Zusätzlich zur Bauteilgeometrie wurden auch Toleranzen für die Ankerbohrungen (SIA 267 [4]: 3% Abweichung) modelliert und das Potential für Ankerkollisionen ermittelt. Für die Ausführung wurden für alle in Frage kommenden Ankerkonflikte Bohrlochvermessungen vorgesehen, um den tatsächlichen Verlauf der Ankerbohrung im 3D-Modell abzubilden und damit Kollisionen zu verhindern. Abbildung 13: 3D-Modell der Schlitzwand mit allen Ankern, sowie der Nachbarbaugrube Abbildung 14: Beispiel für den Konfliktbereich sich überschneidender Anker (Weiß: vorhandene Bohrlochvermessungen, Grün: erstellte Anker, Gelb/ Violett: umgeplante Anker) 5. Ausführung Während des oberirdischen Rückbaus fanden in den Untergeschossen die Ankerarbeiten zur neuen Sicherung der bestehenden Schlitzwand aus dem Jahr 1973 statt. Aufgrund des engen Zeitplans kamen dabei bis zu 12 Ankerbohrgeräte (Kellerbohrgeräte) zeitgleich zum Einsatz, um die insgesamt 1.739 Anker zu erstellen. 5.1 Beengte Platzverhältnisse Alle Anker wurden aus den bestehenden Untergeschossen heraus erstellt. Dafür musste Teilabbrüche bestehender Wände erfolgen, um einen Zugang für die Ankerbohrgeräte zu schaffen. Gleichzeitig durften tragende Bauteile nicht beschädigt werden und somit mussten die Arbeiten unter teilweise sehr beengten Verhältnissen erstellt (eingeschränkte Höhe, Stützen und Wände) wer- 314 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Reaktivierung einer 45 Jahre alten Schlitzwand als Baugrubensicherung den. Diese führten oft zu Anpassungen einzelner Anker in ihrer Lage und Neigung, um die Herstellung überhaupt zu ermöglichen. Aufgrund der engen Platzverhältnisse und der vielen Ankerbohrgeräte im gleichzeitigen Einsatz erfolgte eine permanente CO2-Überwachung, um eine Gefährdung aller Personen durch die Abgase der Geräte zu verhindern. Trotz Frischluftzufuhr und aktiver Abluftabführung kam es zu einem erheblichen Temperaturanstieg in besonders beengten Bereichen der Untergeschosse und einer damit einhergehenden starken Belastung der Arbeiter. Abbildung 15: Extrem beengte Platzverhältnisse mit erschwerter Bewetterung 5.2 Erhöhte Bohrgenauigkeit und Bohrlochvermessung Für die Bohrgenauigkeit der Ankerbohrungen wurde die Regelung nach SIA 267 im LV verschärft und vom Unternehmer eine Bohrgenauigkeit von 2% gem. LV verlangt. Aufgrund der hohen Ankeranzahl und des geringen Abstands der Anker untereinander musste diese Abweichung in der horizontalen Richtung eingehalten werden. In der vertikalen Richtung wurde bereits in der Planung eine Abweichung bis zu 3% berücksichtigt. Der geringe horizontale Ankerabstand erforderte eine Staffelung der Anker in der Länge, um Wechselwirkungen zwischen den Verpresskörpern zu minimieren und die Tragfähigkeit nicht zu reduzieren. Daher wurden Ankerlängen von bis zu 34 m erstellt. Durch den Einsatz von Kleinbzw. Kellerbohrgeräten und die beschränkten Platzverhältnisse wurden meist nur 1 m-Rohrschüsse verwendet. Dies führte in Kombination mit harten Nagelfluhbänken bzw. dem variierenden Übergangsbereich zwischen Schotter und Molasse im Baugrund zu teils sehr starken Abweichungen der Bohrungen. Insgesamt wurden 190 der 1.739 Ankerbohrungen vermessen. Durch den digitalen Datenaustausch der Ergebnisse der Bohrlochvermessung konnte der gemessene Bohrlochverlauf im 3D-Modell voll integriert werden. Bei Messungen auf der halben Ankerlänge konnte der weitere Verlauf der Bohrung extrapoliert und kurzfristig eine Kollision abgewendet oder die Fortführung der Bohrung freigegeben werden. Die statistische Auswertung der Bohrlochvermessungen zeigt deutlich, dass die in der Planung berücksichtigte Abweichung von 2% in der horizontalen realistisch war. In der vertikalen Richtung hielten nur etwa 40% der gemessenen Ankerbohrungen die ausgeschriebene Toleranz ein. Selbst die nach SIA planerisch zu berücksichtigende Abweichung von 3% hielt jede dritte Ankerbohrung nicht ein. vertikal horizontal Abweichung < 2% ? 77 Stk. 169 Stk. 41% 89% Abweichung < 3% ? 127 Stk. 186 Stk. 67% 98% Tabelle 3: Ergebnis der Abweichungen der Ankerbohrungen auf Basis der Bohrlochvermessungen Abbildung 16: Vertikaler Verlauf der gemessenen Ankerbohrungen. Gelb: zul. Soll-Abweichung gem. Ausschreibung; Rot: zul. Soll-Abweichung gem. [4]. Abbildung 17: Horizontaler Verlauf der gemessenen Ankerbohrungen. Gelb: zul. Soll-Abweichung gem. Ausschreibung; Rot: zul. Soll-Abweichung gem. [4]. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 315 Reaktivierung einer 45 Jahre alten Schlitzwand als Baugrubensicherung 5.3 Verlorene Ankerbohrungen Aufgrund der starken Abweichungen bei den Ankerbohrungen kam es bei 30 Ankern zum Abriss des Rohrstrangs der Verrohrung. 14 Anker wurden durch andere Ankerbohrungen angebohrt bzw. beschädigt. Viele Anker mussten an die Randbedingungen vor Ort (Wände/ Stützen im Bestand, Lafette nicht positionierbar) oder infolge des Ersatzes für verlorene Bohrungen angepasst werden. Insgesamt wurden daher 220 Anker kurzfristig umgeplant. Dies war nur auf Basis des 3D-Modells möglich. Abbildung 18: Beispiel der Ankerumplanung im Bereich des Luftschutzbunkers (Ansicht auf Schlitzwand aus Bestand heraus). Abbildung 19: Beispiel der Ankerumplanung im 3D-Modell infolge mehrerer verlorener Ankerbohrungen (Rot). 5.4 Drückendes Wasser und Schlitzwandfugen Die Baugrubensohle der ca. 22 m tiefen Baugrube lag bis zu 12 m unter dem anstehenden Grundwasserspiegel (Hochwasser). Die untersten vier Ankerlagen mussten daher gegen drückendes Grundwasser erstellt und die Ankerköpfe teilweise mehrfach abgedichtet werden. Für das Bohren gegen drückendes Wasser wurde von der ausführenden Firma ein Konzept zur Abdichtung während der Ankerbohrung mittels Quetschdichtung vorgeschlagen. Eine Moosgummi-Scheibe wird mittels eines Stahlrings an der Schlitzwand fixiert und der Ringspalt zwischen Verrohrung und Kernbohrung durch das zusammendrücken des Gummis geschlossen (siehe Abbildung 20). Zusätzlich wurde ein Preventer am Ankerbohrgerät angeordnet, um das anfallende Wasser zu fassen (siehe Abbildung 21). Beide Massnahmen haben jedoch keine überzeugende Wirkung gezeigt und es kam zu einem signifikanten Wasserandrang während der Ankerbohrarbeiten. Abbildung 20: Abdichtung bei der Ankerbohrung mittels Quetschdichtung. Abbildung 21: Ankerbohrgerät mit angeschlossenem Preventer. 5.5 Fehlstellen Im Zuge der Ankerarbeiten und des Rückbaus traten Fehlstellen der alten Schlitzwand zu Tage (siehe Abbildung 24). Teilweise war die Bügelbewehrung der Schlitzwandlamellen auf der Innenseite freigelegt (keine Betonüberdeckung), teilweise traten Leckagen in Bereichen von Kiesnestern auf, die durch Betonschürzen gesichert und abgedichtet wurden (siehe Abbildung 26). Da die neue Aushubsohle unter der von 1973 liegt, wurden an kritischen Stellen zwischen einzelnen Lamellen 316 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Reaktivierung einer 45 Jahre alten Schlitzwand als Baugrubensicherung Vakuumfilterbrunnen angeordnet, um einen hydraulischen Grundbruch bzw. einen Einbruch im Bereich der Schlitzwandfuge zu verhindern (siehe Abbildung 23). Weiter dienten die Vakuumfilterbrunnen der Vermeidung eines hydraulischen Grundbruchs bei der Ausführung von Großbohrpfählen zur Gründung des neuen Bauwerks. Abbildung 22: Alte Betonschürze vor einer Schlitzwandfuge. Abbildung 23: Verlauf der Schlitzwandlamellen auf Höhe der neuen Gründungssohle mit Vakuumfilterbrunnen bei „gefährdeten“ Schlitzwandfugen. Abbildung 24: „Offene“ Schlitzwandfuge. Abbildung 25: Sickerbeton unter einer alten Betonschürze auf Höhe der damaligen Gründungssohle. Abbildung 26: Angetroffene Leckage einer Fehlstelle der Schlitzwand infolge der Rückbauarbeiten und Abdichtung der Leckage mittels Kunstharz. 6. Fazit Die Wiederverwendung der 45 alten Schlitzwand aus dem Jahr 1973 zur Sicherung der Baugrube für das pRED-Center wurde erfolgreich realisiert und damit eine enorme Kostenersparnis für den Bauherrn erreicht. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 317 Reaktivierung einer 45 Jahre alten Schlitzwand als Baugrubensicherung Durch die detaillierte Planung der Baugrubenumschliessung und die Aufarbeitung in einem 3D-Modell konnten unvorhersehbare Konflikte und Problemstellungen in der Ausführung schnell und sicher gelöst werden. Abbildung 27: Ketteninklinometermessung auf der Westseite. Blaue Linie: Endmessung der Verformung; Blauer Bereich: Verlauf der gemessenen Verschiebungen über die gesamte Bauzeit. Für den anstehenden Baugrund und unter den gegebenen Einschränkungen haben sich die Vorgaben gem. SIA für die Bohrlochabweichungen als mehrheitlich realistisch erwiesen, wobei ein signifikanter Unterschied zwischen der horizontalen und der vertikalen Abweichung festzustellen ist und immerhin ein Drittel der Ankerbohrungen die geforderte Toleranz nicht einhalten. Die anfänglichen Schwierigkeiten beim Nachweis des Durchstanzens konnten durch die ausgiebigen Untersuchungen an der Substanz der Schlitzwand und die daraus abgeleitete Korrelation zwischen Beton- und Oberflächenfestigkeit aus dem Weg geräumt werden. Dadurch konnte auf erhebliche Zusatzmassnahmen im Sinne der Beobachtungsmethode im Bereich der Anker verzichtet werden. Der Umgang in der Statik mit der zu geringen Einbindetiefe und der Bemessung der Schlitzwand hat sich als erfolgreich herausgestellt. Die Verformungen der Baugrubenwände (siehe Abbildung 27) lagen alle innerhalb des prognostizierten Bereichs. Literatur: [1] Rückverankerte Baugrubenumschliessung im Grundwasser als bleibender Bestandteil des Bauwerkes mit permanenter Drainage, U. Schäfer, SIA-Heft 1/ 1975, Band 93, 1975 [2] Weisungen für die Überprüfung von Kunstbauten, Mechanische Eigenschaften von Betonstahl, Tiefbauamt Graubünden, 2012 [3] SIA 263: Betonbau, 2013 [4] SIA 267: Geotechnik, 2013 [5] Empfehlung des Arbeitskreises Baugruben (EAB), 5. Auflage, Deutsche Gesellschaft für Geotechnik e. V. (DGGT), Essen, 2012. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 319 Sanierung der Pfahlgründung bei der Eisenbahnüberführung (EÜ) Füllbach Dipl.-Ing. Almuth Große GuD Geotechnik und Umweltgeologie GmbH, Leipzig, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Kurt-M. Borchert GuD Geotechnik und Dynamik Consult GmbH, Berlin, Deutschland Zusammenfassung Aufgrund unerwarteter Setzungen und nach Auswertung ergänzender Baugrundaufschlüsse war die Standsicherheit und die Gebrauchstauglichkeit der EÜ Füllbach nicht mehr gegeben. Zur Wiederherstellung wurde eine Baugrundverbesserung im Bereich des Pfahlmantels und Pfahlfußes mittels Zementinjektion nach DIN EN 12715 und DIN SPEC 18187 geplant und ausgeführt. Bei Probebelastungen an Probepfählen konnte nach Ausführung der Injektionen eine Tragfähigkeitserhöhung von 70 % bis 100 % bei den Pfählen nachgewiesen werden. Durch die im Bereich der Pfahlgründung des Bauwerks ausgeführten Hebungsinjektionen konnten auch die eingetretenen Setzungen zurückgeführt werden. 1. Einleitung Im Jahr 2013 wurden unerwartete Zustandsveränderungen (Setzungen) an der EÜ Füllbach nach Hinterfüllung der Widerlager und der Dammschüttung festgestellt. Die Setzungen betrugen an den Widerlagerwänden zwischen 10 und 30 mm und am Ende der Flügelwände zwischen 30 und 80 mm sowie an den Pfeilern zwischen 9 und 13 mm. Ergänzende Baugrunduntersuchungen und Berechnungen ergaben, dass die noch aus den Ausbaulasten des Bauwerkes und den Verkehrslasten zu erwartenden Verformungen größer wären als für den Überbau und die Lager etc. verträglich. Nach diesen Berechnungen war ein Teil der Pfähle vor dem geplanten Einbau der Gleise für den Bahnbetrieb bereits an der Grenze der Gebrauchstauglichkeit. Für einige Pfähle konnte unter Berücksichtigung der neuen Erkenntnisse aus den ergänzenden Baugrunduntersuchungen keine ausreichende Standsicherheit nachgewiesen werden. Die Aufgabenstellung für das von August 2016 bis Mai 2017 laufende Projekt war, eine Sanierungsmaßnahme zu planen und in der Bauausführung zu überwachen. Damit sollte die Standsicherheit der Gründung wiederhergestellt und die geforderte Gebrauchstauglichkeit wieder gewährleistet werden. Dies sollte primär durch eine Ertüchtigung des Baugrundes und ohne bauliche Eingriffe an dem Bauwerk selbst erfolgen. 2. Ausgangssituation 2.1 Baugrund- und Grundwasserverhältnisse Das Bauwerk liegt am Nordrand der süddeutschen Großscholle, die aus Gesteinen des Mesozoikums besteht. Der tiefere Untergrund wird von Tonstein, der Lehrbergschichten und von Sand-, Schluff- und Tonstein des Schilfsandstein gebildet. Bei den im Labor untersuchten Proben aus dem zersetzten und entfestigten Festgestein wurde ein geringes Wasseraufnahmevermögen festgestellt, woraus auf eine geringe Quellneigung zu schließen ist. Die oberflächennahen Schichten, werden durch Flusssand/ -kies mit hohen bindigen und teilweise organischen Anteilen sowie Auelehm mit weicher bis steifer, teils breiiger Konsistenz gebildet. Die ursprünglich als Felszersatz-/ Felsentfestigungszone bezeichnete Schicht wurde in einer nach Eintritt des Schadens im Jahr 2013 ausgeführten ergänzenden Baugrunduntersuchung in die Felszersatzzone und die Felsentfestigungszone unterteilt, dabei wurde die Schichtunterkante der entfestigten Zone tiefer erkundet als in dem der Planung zugrundeliegenden Baugrund- und Gründungsgutachten. Das sich daraus ergebende Baugrundmodell ist in Bild 1 dem der Planung zugrundeliegenden Modell (grüne Linien) gegenübergestellt. 320 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Sanierung der Pfahlgründung bei der Eisenbahnüberführung (EÜ) Füllbach Bild 1: Längsschnitt der Brücke und Baugrundmodelle Der angewitterte Fels besteht aus einer Wechsellagerung von Sand-, Ton- und Schluffstein. Da die bis dato ausgeführte Baugrunduntersuchung keine Angaben zum Trennflächengefüge im Festgestein, wie die Raumstellung, die Anzahl, die Öffnungsweiten und die Füllung der Trennflächen beinhalteten, erfolgten bei der im Jahr 2016 ergänzenden Baugrunduntersuchung geophysikalische Untersuchungen im Bohrloch, wie Kaliber- und Dichtemessungen und ein akustischer Bohrlochscan. Die für die Schichtung ermittelten Einfallwinkel sind überwiegend söhlig, liegen zwischen 0° und 10°. Die der Klüfte schwanken zwischen 20° und 90°. Den oberen Grundwasserleiter bildet die Schicht 2, Flusssand/ -kies. Der Grundwasserstand wurde bei der Baugrunderkundung in einer Tiefe von 3,0 m bis 3,6 m unter Gelände, das sind etwa 283,6 m NN und 284,6 m NN, angetroffen. Bei einer Kernbohrung wurde in der Felszersatzzone in 7,0 m Tiefe unter Gelände, bei etwa 280,2 m NN, ein zweiter Grundwasserleiter angetroffen. Das Grundwasser in diesem Grundwasserleiter war gespannt. Aus der Beobachtung einer in der Nähe gelegenen Messstelle war der höchste Grundwasserstand bei 287,4 m NN anzusetzen und damit in Höhe der Geländeoberkante. Die Untersuchung der Wasserprobe nach DIN 4030 ergab einen starken Betonangriff aufgrund des Sulfatgehaltes. Bild 2: Draufsicht Bauwerk, Quelle: IGL, Putz + Partner Außerdem wurden Pumpversuche im Festgestein durchgeführt. Diese ergaben Durchlässigkeiten zwischen 2 und 5 x 10 -5 m/ s. Die mit diesem WD-Test ermittelten Lugeonwerte liegen zwischen 17 LU und 480 LU. 2.2 Bauwerk Das Bauwerk wurde von Mitte 2007 bis Ende 2008 zur Anbindung der Stadt Coburg an das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8 (VDE 8, Berlin - München) errichtet. Es überführt das Gleis der südlichen Verbindungskurve über den Füllbach, westlich der Gemeinde Niederfüllbach. Diese Anbindungsstrecke war zum Zeitpunkt der Sanierungsmaßnahme noch nicht im Betrieb. Die Gleise auf dem Bauwerk waren noch nicht verlegt. Das Bauwerk hat eine Länge von 110,2 m, der Überbau ist 7,17 m breit. Statisch handelt es sich um einen vorgespannten fünffeldrigen Durchlaufträger, mit massivem Plattenquerschnitt. Die Stützweite der beiden Endfelder beträgt 15 m, die der drei Mittelfelder 20 m, Bild 2. In den Achsen 10 bis 50 liegt der Überbau auf Elastomer- und in der Achse 60 auf einem Verformungsgleitlager. In der Achse 10 befindet sich die Längsfesthaltung. Aufgrund der oberflächennah anstehenden, nicht tragfähigen Böden wurde die Gründung der Brückenauflager über Bohrpfähle geplant und ausgeführt. Die Pfählen wurden 10: 1 geneigt an den Pfeilern und sowohl 8: 1 geneigt als auch lotrecht an den Widerlagern geplant und 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 321 Sanierung der Pfahlgründung bei der Eisenbahnüberführung (EÜ) Füllbach hergestellt. Entsprechend der Planung wurden Bohrpfähle mit einem Durchmesser von 90 cm und Pfahllängen zwischen 11,0 m und 13,5 m hergestellt. Die Einbindung der Pfähle sollte planmäßig in dem angewitterten Felshorizont erfolgen. Dabei war nach der statischen Bemessung eine Mindesteinbindung von 1,0 m vorgesehen. Die ergänzenden Baugrunduntersuchungen 2013 und 2016 ergaben jedoch, dass der Fels, in den die Pfähle einbinden, entfestigt ist. An einer Widerlager- und der benachbarten Pfeilerachse wurde unterhalb des Pfahlfußes eine in den entfestigten Fels eingelagerte Schicht aus bindig zersetztem Fels angetroffen, die ausgeprägte Lockergesteinseigenschaften aufwies. 3. Lösungsansätze für die Gründungssanierung 3.1 Düsenstrahlverfahren Bei den vorangegangenen Untersuchungen war als mögliche Sanierung vorgeschlagen worden, eine Baugrundverbesserung in den nicht bis gering tragfähigen Böden, Auelehm bzw. Flusssand/ -kies unterhalb der Pfahlkopfplatten mittels Düsenstrahlverfahren anzuwenden. Durch die Verbesserung dieser Schicht sollte die Zusammendrückbarkeit reduziert bzw. aufgehoben werden und somit der zusätzliche Lasteintrag durch negative Mantelreibung aus diesen Schichten zurückgesetzt werden. Prinzipiell ist die Anwendung des Düsenstrahlverfahrens in dem anstehenden Auelehm und dem Flusssand/ -kies möglich. Allerdings lagen zum Auelehm und Flusskies keine Untersuchungsergebnisse aus den bis dato ausgeführten Baugrunduntersuchungen zum organischen Anteil vor. Für den Flusssand/ -kies wurde in den Baugrund- und Gründungsgutachten ein Glühverlust von 4 % angegeben. Um letztendlich das erforderliche Düsenstrahlverfahren und die Herstellparameter festzulegen, wären sowohl ergänzende Baugrunduntersuchungen zum organischen Anteil dieser beiden Schichten als auch Probesäulen erforderlich geworden. Des Weiteren ergaben die Voruntersuchungen, dass die Herstellung der Düsenstrahlkörper unter den Pfahlkopfplatten ohne ein Durchbohren dieser Bauteile nur eingeschränkt möglich ist. Eine Randbedingung für die Planung war, dass in das bestehende Bauwerk in keiner Weise baulich eingegriffen wird. Die Bilder 3 und 4 zeigen die mögliche Anordnung der Düsenstrahlkörper in den Pfeilerachsen. Bild 2: Draufsicht Bauwerk, Quelle: IGL, Putz + Partner Bild 3: Draufsicht Pfeiler Bild 4: Schnitt Pfeiler Als eine weitere Möglichkeit der Baugrundverbesserung wurde die Erhöhung der äußeren Tragfähigkeit der Gründungspfähle durch die Herstellung von Düsenstrahlkörpern in der Verwitterungszone des Felses betrachtet. Um in dieser Schicht die Baugrundverbesserung mittels DSV-Körpern herzustellen, wäre ein Aufdüsen des entfestigten Felses erforderlich gewesen. Bei diesem Bodenhorizont handelt es sich jedoch um eine Wechsellagerung aus Sand-, Schluff- und Tonstein. Der Verwitterungsgrad wechselt zwischen zersetzt bis entfestigt, wobei auch 322 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Sanierung der Pfahlgründung bei der Eisenbahnüberführung (EÜ) Füllbach angewitterte Bereiche erkundet wurden. Zur Prüfung der Anwendbarkeit des Verfahrens und der erreichbaren Durchmesser der Düsenstrahlkörper wären Probesäulen in dieser Schicht erforderlich. Aufgrund der großen Tiefenlage dieser Schicht > 10 m bei den Pfeilern bzw. > 17 m an den Widerlagern war ein Freilegen der Probesäulen zur Durchmesserbestimmung, der Untersuchung der erreichbaren Homogenität und der Druckfestigkeit nicht möglich. Hierfür wären Kernbohrungen in großem Umfang erforderlich gewesen, die von der Geländeoberkante hätten ausgeführt werden müssen. Da diese Baugrundverbesserung im unmittelbaren Lastabtragungsbereich der Pfähle ausgeführt worden wäre, hätte diese zwangsläufig zu Störungen im Lastabtrag geführt. Zur Minimierung des Einflusses hätten die Durchmesser der Düsenstrahlkörper so klein gewählt werden müssen, dass der Baugrund nur an einem Teil des Pfahlmantels bzw. Pfahlfußes gestört wird. Nach der ermittelten Auslastung der Pfähle wurde von maximal einem Viertel des Pfahlquerschnittes ausgegangen, in dem eine Störung tolerierbar gewesen wäre. 3.2 Injektion Als Alternative wurde eine mehrstufige Manschetteninjektion um den Pfahlmantel und unterhalb des Pfahlfußes zur Baugrundverbesserung untersucht. Bei der zu verbessernden Schicht handelte es sich um den entfestigten Fels. Die Injektion sollte überwiegend in den Klüften erfolgen, die teilweise oder vollständig mit Ton befüllt waren. Somit war davon auszugehen, dass der anstehende Baugrund nur z. T. mit der auf Zement basierenden Suspension penetriert wird und die Poren/ Klüfte gefüllt werden. Zur Abschätzung des vorliegenden möglichen Injektionsvolumens wurde der Anteil der Trennflächen, die injiziert werden können, basierend auf den Ergebnissen der bohrlochgeophysikalischen Messungen prozentual über die Tiefe ermittelt. Dabei wurde die Anzahl der Trennflächen je Meter mit einer Öffnungsweite von 5 mm angesetzt. Berücksichtigt wurden hierbei sowohl die offenen als auch die geschlossenen Klüfte, da nach der Bohrkernansprache die Füllung der Klüfte teils aus weichem bis steifem Ton bestand, der im Rahmen der Injektion ggf. verdrängt hätte werden können. Außerdem wurden die in der Geophysik detektierten Schwächezonen der Schichtung mit herangezogen. Im Bild 5 ist exemplarisch das sich daraus ergebenden Balkendiagramm für eine der vier Aufschlussbohrungen dargestellt. Bild 5: Trennflächenanteil der Bohrung BK 1/ 16 Insgesamt lag der Trennflächenanteil zwischen 0,5 % und 13,5 %, wobei der Anteil der offenen Trennflächen und der Schwächezonen in der Schichtung zwischen 0,5 % und 12,5 % liegt. Der Anteil der offenen Klüfte schwankt bei den Aufschlussbohrungen über die Tiefe stark. Es werden Bereiche detektiert, in denen keine offenen Klüfte bei der Geophysik erkundet worden sind. Der Anteil der Schwächezonen in der Schichtung hingegen ist relativ gleichmäßig über die untersuchte Tiefe. 3.3 Vergleich der beiden Varianten Für die Injektionen nach DIN EN 12715 lag keine eisenbahntechnische Zulassung vor. Es war ein CSM-Verfahren in Abstimmung mit dem Eisenbahnbundesamt und den beteiligten EBA-Prüfingenieuren erforderlich. Für die Ausführung der Düsenstrahlsäulen im entfestigten Fels gilt die vom DIBt vorliegende Zulassung nicht. Auch hier wäre eine ZiE bzw. das CSM-Verfahren notwendig gewesen. Bei der Betrachtung der Verfahrensrisiken wurde eingeschätzt, dass mit dem Injektionsverfahren im entfestigten Fels das Tragverhalten des Bauwerks geringer beeinflusst wird als durch das Düsenstrahlverfahren. Bei einer Ausführung des Düsenstrahlverfahrens war mit Verformungen am Bauwerk zu rechnen, die aufgrund der bereits festgestellten Setzungen bzw. Setzungsdifferenzen zwischen den Widerlagern und den Pfeilern weitestgehend auszuschließen waren. Die mögliche Erhöhung der Tragfähigkeit durch Injektionen ist durch Probebelastungen nachweisbar und durch Folgeinjektionen können Hebungen des Bauwerkes kontrolliert ausgelöst und damit Setzungen ausgeglichen werden. Der Vergleich der Vor- und Nachteile sowie Risiken und Kosten unter Einbeziehung der Umweltbelange (Einzugsbereich Biber) ergab als Vorzugsvariante die Baugrundverbesserung im Bereich des Pfahlmantels und des Pfahlfußes mittels Injektion nach DIN EN 12715 im Zusammenhang mit DIN SPEC 18187. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 323 Sanierung der Pfahlgründung bei der Eisenbahnüberführung (EÜ) Füllbach 4. Probefelder 4.1 Übersicht Es wurden zwei Probefelder ausgeführt. Im Probefeld I erfolgte durch Probeinjektionen eine Verifizierung des ausgewählten Einpressstoffes bzw. Injektionsgutes bzw. der Injektionsparameter sowie die Ermittlung der möglichen Reichweite der Injektion. Basierend auf den Erkenntnissen aus den Probeinjektionen wurde das Injektionsregime festgelegt, dass in einem zweiten Probefeld, Probefeld II, an Probepfählen ausgeführt wurde. 4.2 Injizierbarkeit Im Januar 2017 wurden die Probeinjektionen im Probefeld I ausgeführt. Dabei erfolgte zur Variation der Anordnung und Art der Manschettenrohre sowie der Injektionsparameter eine weitere Unterteilung in vier Probefelder I-1 bis I-4. Der Abstand der Injektionsstufen wurde zwischen 0,5 m und 0,33 m variiert. Als Injektionsgut kam Blitzdämmer 750 der HeidelbergCement AG zum Einsatz. Die Abbruchkriterien für die Probeinjektionen waren zum einen ein maximaler Druck von 25 bar und zum anderen ein maximales Volumen, das auf Basis einer angenommenen Reichweite von 0,5 m und dem bei den geophysikalischen Untersuchung ermittelten Trennflächenanteil von 10 % bzw. 30 % festgelegt wurde. Das Abbruchkriterium war generell das Erreichen des vorgegebenen maximalen Volumens des eingebrachten Injektionsgutes. Ein Druckanstieg nach dem Aufspringen der Mantelmischung wurde bis zum Erreichen des maximalen Volumens nicht festgestellt. Damit wurde nachgewiesen, dass der entfestigte Fels injizierbar ist und die Baugrundverbesserung in der geplanten Form ausgeführt werden konnte. Des Weiteren erfolgte in einzelnen Injektionsbohrungen eine erste Nachinjektion, als Phase 2 bezeichnet, sowie eine zweite Nachinjektion, als Phase 3 bezeichnet. Bei diesen Nachinjektionen wurden die Pumpraten variiert. Bei den Nachinjektionen konnten zwar die vorgegebenen Mengen injiziert werden, es musste aber der Druck mit jeder Phase erhöht werden, um die vorgegebene Pumprate. zu erreichen. Daraus konnte auf eine mit jeder Injektionsphase voranschreitende Füllung der Kluftkörper geschlussfolgert werden. Zur Überprüfung des Injektionserfolges wurden Kernbohrungen im Bereich der Probefelder I ausgeführt. Ab einer Tiefe von 10 m unter Gelände wurden Kerne aus dem entfestigten injizierten Fels mittels Seilkernbohrung entnommen. Die entnommenen Kerne wurden in Kernkisten ausgelegt und bemustert. Anhand der Bohrungen konnte festgestellt werden, dass die geplante Reichweite von 0,5 m mit dem gewählten Injektionsgut und den Injektionsparametern erreichbar ist. Bei einem Stufenabstand von 33 cm und einer Nachinjektion war der Anteil der verfüllten Trennflächen am höchsten. Auf Basis der bei den Probefeldern I gewonnenen Ergebnisse wurden folgende Randbedingungen für die Injektion an den Probepfählen festgelegt: - Reichweite der Injektion 0,5 m (zur Anordnung der Manschettenrohre) - Manschettenrohr mit einem Stufenabstand von 33 cm - Eindringinjektion mindestens zwei Phasen - maximales Injektionsvolumen je Phase 30 l/ Stufe - Pumprate von ≤ 2,5 l/ min 4.3 Tragfähigkeit Zur Bestimmung der Tragfähigkeitserhöhung durch die Injektion waren noch vor den Probeinjektionen vier Probepfähle hergestellt worden. Diese wurden an den Widerlagern in Achse 10 und Achse 60 angeordnet, da dort bislang die größten Verformungen eingetreten waren. Die Maße der Probepfähle sowie der Baugrundrandbedingungen entsprachen den vorhandenen Bauwerkspfählen, so dass hierdurch die Bedingungen der späteren Nachrechnungen repräsentativ berücksichtigt wurden. Der Nachweis der Pfahltragfähigkeit erfolgte durch dynamische und eine statische Pfahlprobebelastung gemäß EA Pfähle. Um die durch die Injektionen erreichbare Tragfähigkeitserhöhung quantifizieren zu können, war es erforderlich, zunächst die Tragfähigkeit der Pfähle im unverbesserten Baugrund festzustellen. Deshalb wurde zuerst an allen vier Probepfählen eine dynamische Probebelastung ausgeführt und die erreichbare Traglast ermittelt. Kriterium hierfür war eine Verformung des jeweiligen Probepfahles von mindestens 3 mm. Nach der Ausführung der ersten beiden Phasen, die Phasen 1 und 2 der Eindringinjektion an den Pfählen B, C sowie D und einer Aushärtezeit der Injektion von ca. 14 Tagen wurde erneut an allen vier Probepfählen eine dynamische Probebelastung ausgeführt. Der Pfahl A, an dem keine Injektionen ausgeführt wurden, wurde als Referenzpfahl erneut belastet, um einschätzen zu können, inwieweit durch die vorangegangene Probebelastung und der damit verbundenen Verformungen eine Erhöhung der Tragfähigkeit eingetreten ist. Nach der letzten Injektionsphase (Phase 3), wurden alle vier Pfähle erneut probebelastet. Zur Erfassung des Tragverhaltens wurde je Test ein Pfahl-Boden-Modell mit dem erweiterten Verfahren der Systemidentifikation CAPWAP (CASE Pile Wave Analysis Program), Version 2014 von Pile Dynamics Inc., USA, erstellt. Mittels einer vollständigen Modellbildung auf Grundlage der eindimensionalen Wellentheorie und Annahmen für den Bodenwiderstand wurde dabei das dynamische Verhalten des Pfahls unter der Stoßeinleitung berechnet. Anschließend erfolgte die Untersuchung des Pfahl-Boden-Modells in Hinsicht auf sein Last-Verformungsverhalten unter statischer Belastung, wobei zeitabhängige Effekte („Kriechen“) prinzipiell nicht berücksichtigt wurden. Im Ergebnis liegt bi diesem Vorgehen u. 324 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Sanierung der Pfahlgründung bei der Eisenbahnüberführung (EÜ) Füllbach a. die statische Tragfähigkeit, aufgeteilt in Spitzendruck und in Mantelreibungsverteilung über die Tiefe, vor. Für die Kalibrierung der CAPWAP-Modelle der ausgeführten dynamischen Probebelastungen und zur genaueren Untersuchung des Verformungsverhaltens der Pfähle nach der Baugrundverbesserung wurde nach der dritten dynamischen Probebelastung eine statische Probebelastung am Pfahl B ausgeführt. Die Belastung erfolgte zentrisch und axial mittels Hydraulikzylinder. Bezüglich der Instrumentierung wurde das Kriterium „hohe Anforderungen“ gemäß EA-Pfähle (2. Auflage) zugrunde gelegt. Das heißt, es erfolgte eine separate Erfassung des Pfahlfußwiderstandes und der Längsverteilung der Pfahlmantelreibung. Hierfür wurden die Verschiebung des Pfahlkopfes, die aufgebrachte Belastung, die Pfahldehnung in verschiedenen, über die Pfahllänge verteilten Querschnitten, der Pfahlspitzendruck sowie die Zeit gemessen. Alle physikalischen Größen wurden redundant elektronisch und mechanisch ermittelt. Die CAPWAP-Modelle der ersten und zweiten dynamischen Probebelastung wurden auf der Grundlage der im selben Baufeld ausgeführten statischen Probebelastung neu kalibriert. Dabei wurde festgestellt, dass sich der Anteil der Mantelreibung in der injizierten Schicht deutlicher verbessert hat als der Spitzendruck. Pfahl A B C D UK Pfahl [m NN] 274,5 273,3 Gesamtwiderstand R c,m [kN] 2.950 3.260 3.948 3.793 Anteil Mantelreibung [kN] 2.234 2.661 3.235 3.097 Anteil Spitzendruck [kN] 691 598 713 696 Tabelle 1: Ergebnisse der ersten Probebelastung (ohne Injektion) Pfahl A B C D UK Pfahl [m NN] 274,5 273,3 Gesamtwiderstand R c,m [kN] 3.197 5.305 6.125 6.129 Erhöhung Gesamtwiderstand um 8,4 % 62,7 % 55,1 % 61,6 % Anteil Mantelreibung [kN] 2.390 4.605 5.261 5.285 Erhöhung Mantelreibung um 7 % 73,1 % 62,6 % 70,6 % Anteil Spitzendruck [kN] 808 700 863 845 Erhöhung Spitzendruck um 17 % 17 % 21 % 21,4 % Tabelle 2: Ergebnisse der zweiten Probebelastung (nach 2 Phasen) und Vergleich zur ersten Probebelastung Pfahl A B C D UK Pfahl [m NN] 274,5 273,3 Gesamtwiderstand R c,m [kN] 3.050 5.740 6.624 7.507 Erhöhung Gesamtwiderstand um 3,4 % 76,1 % 67,8 % 97,7 % Anteil Mantelreibung [kN] 2.230 4.983 5.676 6.312 Erhöhung Mantelreibung um 0 % 87,2 % 75,5 % 103,8 % Anteil Spitzendruck [kN] 820 757 948 1.195 Erhöhung Spitzendruck um 18,7 % 26,6 % 33 % 71,7 % Tabelle 3: Ergebnisse der dritten Probebelastung (nach 3 Phasen) und Vergleich zur ersten Probebelastung Im Weiteren wird nur noch auf die Ergebnisse der dynamischen Probebelastungen nach der Neukalibrierung eingegangen. Die Kalibrierung erfolgte dabei gemäß der EA Pfähle, Abschnitt 10.6. Die Vorgehensweise umfasste die Angleichung der aus den dynamischen Pfahlprobebelastungen mittels CAPWAP-Analyse errechneten Widerstand-Setzungs-Linien an die entsprechende mit der statischen Pfahlprobebelastung gewonnene, um die Kriechanteile reduzierte Kurve für Pfahl B. Hierfür waren die Modellparameter für die dynamischen Pfahlprobebelastungen durch mehrere Iterationsschritte anzupassen. Die auf diesem Wege ermittelten Parameter für Pfahl B wurden dann entsprechend auf die Modelle der Pfähle A, C und D übertragen. Bild 6: vergleichende Darstellung Widerstand-Setzungs-Linie aus den statischen und dynamischen Probebelastungen am Pfahl B Die Pfahlprobebelastung nach der Phase 1 und 2 der Eindringinjektion ergab eine deutliche Erhöhung des Gesamtwiderstandes bei den Pfählen B, C und D gegenüber den Ergebnissen der Probebelastungen vor den In- 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 325 Sanierung der Pfahlgründung bei der Eisenbahnüberführung (EÜ) Füllbach jektionen. Die über die Mantelreibung abtragbare Kraft erhöhte sich um i. M. 70 %. Die Erhöhung des Spitzendrucks lag in der Größenordnung der beim Referenzpfahl festgestellten Erhöhung infolge nochmaliger Belastung. Diese Erhöhung ist auf die Vorbelastung aus der ersten Probebelastung zurückzuführen. Nach der Phase 3 der Eindringinjektion wurde eine dritte Probebelastung ausgeführt, wobei eine weitere Erhöhung festgestellt werden konnte. Bei den Pfählen B und C erhöhte sich die Tragfähigkeit aus der Mantelreibung um i. M. 80% und aus dem Spitzendruck um i. M. 30%. Bei Pfahl D wurde eine deutliche Erhöhung des abtragbaren Spitzendruckes um 70% und bei der Mantelreibung sogar um 100% festgestellt. Die Erhöhung der Tragfähigkeit beim Referenzpfahl war nur marginal gegenüber der zweiten Probebelastung und resultierte ausschließlich aus dem Spitzendruck, wobei dieser sich gegenüber der zweiten Probebelastung nur geringfügig vergrößert hatte. Da die bei der statischen Probebelastung nachgewiesene Belastbarkeit mit 7.000 kN größer war als die in den dynamischen Probebelastungen ermittelten Gesamtwiderstände, wurden für die Festlegung der charakteristischen Werte der Pfahltragfähigkeiten die Werte aus der dynamischen Probebelastung herangezogen. Die Ermittlung erfolgte auf Basis der Mittelbzw. Minimalwerte unter Berücksichtigung der Streuungsfaktoren nach EA Pfähle. Der bei dem Referenzpfahl, Pfahl A, jeweils ermittelte scheinbare „Zuwachs“ aus der nochmaligen Belastung wurde ermittelt und die sich aus dem beschriebenen Vorgehen ergebenden charakteristischen Werte entsprechend korrigiert. Für den Nachweis der Standsicherheit der sanierten Gründung wurden aus diesen Ergebnissen charakteristische Werte für die Pfahlmantelreibung in allen Schichten sowie charakteristische Werte für den Spitzendruck für den entfestigten Fels sowohl für eine Eindringinjektion mit zwei Phasen als auch für die Eindringinjektion mit drei Phasen angegeben, so dass für die einzelnen Bauwerkspfähle aufgrund der erforderlichen Tragfähigkeit festgelegt werden konnte, ob zwei oder drei Injektionsphasen erforderlich sind. q k Zuwachs q k korrigiert q k korrigiert nach Injektion Pfahl A korr. nach 2 Phasen nach 3 Phasen Schicht 3a q s, k vor Injektion [kN/ m²] 61 q s, k nach Injektion [kN/ m²] 106 74% 6% 68% 91 103 Schicht 3b q s, k vor Injektion [kN/ m²] 63 q s, k nach Injektion [kN/ m²] 288 359% 15% 344% 237 279 q b, k vor Injektion [kN/ m²] 869 q s, k nach Injektion [kN/ m²] 1100 27% 19% 8% 871 937 Tabelle 4: charakteristische Werte für die Mantelreibung und den Spitzendruck nach den Phasen 2 und 3 der Eindringinjektion, exemplarisch für die Schichten 3a und 3b Da die Setzungen aus der Schüttung der Anschlussdämme nach dem bis dato erfolgten Messungen nahezu abgeschlossen waren und weitere Setzungen, z. B. aus Grundwasserabsenkungen, soweit ausgeschlossen werden konnten, war die Berücksichtigung einer negativen Mantelreibung in den Schichten 1 und 2 für die Nachrechnung der Pfahlgründung nicht erforderlich. 5. Injektion an den Bauwerkspfählen Im Zeitraum März bis Mai 2017 wurden die Injektionen an den Bauwerkspfählen ausgeführt. Die Überwachung der bei den Arbeiten eintretenden Verformungen an den Auflagern des Bauwerkes erfolgte mittels Schlauchwaagensystem. Dies war beidseitig in Längsrichtung auf dem Bauwerk montiert und durch einen außerhalb liegenden Referenzpunkt angebunden. Die Daten wurden von der Baustelle auf einen Server übertragen und auf einer passwortgeschützten projektspezifischen Internetseite visualisiert. Die aktuellen Messwerte wurden im Grundriss des Bauwerkes dargestellt und in wählbaren Zeitintervallen aufgezeichnet (Bild 7). Bild 7: Verformung an einer Widerlagerachse während der Injektion 326 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Sanierung der Pfahlgründung bei der Eisenbahnüberführung (EÜ) Füllbach Um die Messwerte der Schlauchwaage temperaturunabhängig zu verifizieren und einen möglichen Ausfall des Schlauchwaagensystems kurzfristig überbrücken zu können, erfolgte parallel an dem Auflager, an dem Injektionsmaßnahmen ausgeführt wurden, und an den benachbarten Auflagern die Überwachung der Verformung mittels GeoLaser in Verbindung mit einem im Abstand von 15 m zum Bauwerk stationierten Rotationslaser. Zur Plausibilitätskontrolle erfolgte des Weiteren eine geodätische Messung mittels Präzisionsnivellement im wöchentlichen Turnus, bei der auch die Stabilität des Referenzpunktes des Schlauchwaagensystems überprüft wurde. In Abstimmung mit dem Bauherrn und dem Tragwerksplaner wurden Schwellen-, Eingreifsowie Alarmwerte für die einzelnen Achsen festgelegt. Da die Eingreifbzw. Alarmwerte in einigen Achsen erreicht worden sind, musste die Reihenfolge der Injektion mehrfach angepasst werden. In fünf der sechs Achsen konnten die erforderlichen zwei bzw. drei Injektionsphasen vollständig eingebracht werden, um die notwendige Tragfähigkeitserhöhung zu erreichen. In einer Achse wurden die Phasen 1 und 2 planmäßig injiziert. Aufgrund der dabei eingetretenen Hebungen musste das vorgesehene Injektionsregime modifiziert werden. Die geplante Phase 3 wurde lediglich in den Injektionsstufen oberhalb des Pfahlfußes, am Pfahlmantel, vollständig ausgeführt. Damit konnten zum Nachweis der vertikalen Tragfähigkeit der Pfähle in dieser Achse die Bemessungswerte für die Mantelreibung aus der Probebelastung nach Phase 3 und für den Nachweis des Spitzendruckes der Bemessungswert aus der Probebelastung nach Phase 2 angesetzt und die Tragfähigkeit nachgewiesen werden. 6. Fazit Die im Zuge der Injektionsarbeiten 2017 erzeugten Hebungen führten die in 2013 festgestellten relevanten Setzungen zurück. Die Differenzsetzungen zwischen den Widerlagern und den Brückenpfeilern wurden ebenfalls kontrolliert und erfolgreich ausgeglichen. Die Nachweise der Standsicherheit und der Gebrauchstauglichkeit konnten mit den aus den Probebelastungen abgeleiteten Bemessungswerten geführt werden. Bild 8: Belastungsfahrten auf dem Bauwerk (Quelle: DB Netz AG) Nach erfolgreich ausgeführten Belastungsversuchen (Bild 8) nahm die Neubaustrecke VDE 8 im Dezember 2017 den geplanten Betrieb auf. Gründungen 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 329 Verschub einer Brücke auf Spundwandlager: Ausführungsbeispiel zum Nachweis der Vertikalkräfte bei Spundwänden Damir Dedic Ed. Züblin AG, Zentrale Technik, Technisches Büro Tiefbau, München, Deutschland Michael Jänke Ed. Züblin AG, Zentrale Technik, Technisches Büro Tiefbau, München, Deutschland Zusammenfassung Beim Neubau einer S-Bahn Brücke in der Nähe von München wurde ein Brückenneubau zunächst neben dem bestehenden Bahndamm errichtet und anschließend in einer Sperrpause in die endgültige Lage eingeschoben. Der anstehende Baugrund weist in den oberen Schichten keine ausreichende Tragfähigkeit für die Verschub- und Gründungsmaßnahme auf, weshalb hierfür eine innovative Lösung nötig war. Dafür wurde der rund 800 Tonnen schwere Überbau inklusive Verschubeinrichtung auf zwei vorab eingebauten Spundwandachsen aufgeständert. Der Verschub und der damit verbundene vertikale Lastabtrag der Brücke erfolgte lediglich über die zwei Spundwandachsen. Im Rahmen dieses Beitrags werden die Besonderheiten der Baumaßnahme im Hinblick auf das vertikale Tragverhalten von Spundwänden, anhand der gesammelten Erfahrungen, sowohl für die Planung als auch für die Ausführung, dargestellt. 1. Projektvorstellung 1.1 Bauvorhaben Die Gemeinde Poing ist ein Vorort im Osten Münchens und ist über das S-Bahn-Netz an die Metropolregion angeschlossen. Gemäß einem Verlangen der Gemeinde, soll die bestehende zweigleisige Eisenbahnüberführung (EÜ) rückgebaut und durch eine neu Eisenbahnüberführung ersetzt werden. Dabei treten die Gemeinde Poing und die DB Netz AG als gemeinsamer Bauherr auf. Abbildung 1: Neu geplante EÜ als Rahmenbauwerk Im geplanten Kreuzungsbereich verlaufen die beiden Streckengleise von München kommend in einer langen Geraden von Südwest nach Nordost auf einem ca. 4,0 Meter hohen Bahndamm. Die neu zu errichtende EÜ ist als Rahmenbauwerk mit einer Spannweite von 18 Meter konzipiert. Aufgrund der angetroffenen zum Teil als weich angesprochenen Bodenschichten soll das Bauwerk auf Bohrpfählen tiefgegründet werden. Die ebenfalls neu zu errichtende unterführende Straße wird aufgrund des hohen Grundwasserstandes als Grundwasserwanne im Nachgang ausgeführt. Der Eingriff in den Schienenverkehr soll bei der stark frequentierten Strecke auf ein Minimum gehalten werden. Als Bauverfahren wurde deshalb eine Herstellung der Brücke in Deckelbauweise mit Herstellung des Überbaus neben dem bestehenden Bahnkörper und anschließendem Verschub geplant. 1.2 Geologie Die Geologie des Projektgebiets ist durch die Sedimente der Risseiszeit geprägt. Im Bereich der Eisenbahnüberführung ist unterhalb der anthropogenen Auffüllung, gefolgt von quartären Kiesen, das Altmoränenmaterial anzutreffen. Je nach Feinkornanteil liegt die Moränen- 330 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Verschub einer Brücke auf Spundwandlager: Ausführungsbeispiel zum Nachweis der Vertikalkräfte bei Spundwänden ablagerung als kiesig-sandiger Ton oder schluffige Sande und Kiese vor, die in den Geschiebemergel über gehen. Abbildung 2: Idealisiertes Bodenprofil [14] Der aufgeschüttete Bahndamm weist in Wechsellagerungen künstliche Bodenauffüllungen in Form von sandig, schluffigen Kiesen bzw. kiesig, sandigen Schluffen auf. Die Wechsellagerungen weisen insgesamt eine weiche bis steife Konsistenz bzw. deren kiesdominierte Schichten eine lockere Lagerungsdichte auf [14]. Der Bahndamm kann daher als gering tragfähig bezeichnet werden. Ein Querschnitt des angetroffenen Bodens ist in Abbildung 2 dargestellt. In den oberen Tiefenmeter des gewachsenen Bodens weisen die Kiese nur eine geringe Tragfähigkeit auf. Tieferliegende Kiesschichten haben allerdings eine mitteldicht bis dichte Lagerung. Unterhalb der Kiese wurden, in unterschiedlichen Tiefen, Moränenablegungen in Form von Geschiebemergel (stark sandige Tone) in halbfester Konsistenz angetroffen. Die oberen Kiese führen ab einer Tiefe von ca. 2.0 m ungespanntes Grundwasser. Der Bemessungswasser-stand ist somit knapp unterhalb der Geländeoberfläche. 2. Brückenherstellung in seitlicher Lage Erneuerungen von Eisenbahnbrücken im bestehenden Netz der Bahn stellen immer einen erheblichen Eingriff in den betrieblichen Ablauf dar. Die Sperrung der Gleise soll stets auf ein Minimum reduziert werden. Das Herstellen der Brücke in seitlicher Lage und Einschub während einer kurzen Sperrpause sind daher häufig eingesetzte Bauverfahren bei der Erneuerung von Eisenbahnbrücken [13]. Die gängigsten Systeme für Einschubrahmen werden in der RiL 804.9040 aufgeführt. 2.1 Rahmenbauweise Die gängiste Variante ist das Erstellen von integralen, fugen- und lagerlosen Rahmenbauwerken und der Einschub in einer Sperrpause. Die Brücke ist zum Beginn des Verschubvorgangs als Stahlbetonrahmen inklusive Flügelwände, Überbauabdichtung und Geländer nahezu vollständig fertig gestellt (Abbildung 3). Abbildung 3: Brückenherstellung & Verschub in Rahmenbauweise Der Einschub erfolgt mit Hydraulik Pressen auf eigens erstellten Verschubbahnen oder Gleitebenen, die unterhalb der Brücke auf Fertigteil-Fundamenten angeordnet werden (Abbildung 4). Die Verschubbahnen beinhalten den Verschubträger und die Fertigteil-Fundamente. Die Fertigteil-Fundamente haben i.d.R. Abmessungen von ca. 1,5 x 1,0 x 0,3 m. Abbildung 4: Verschubträger auf Fertigteil-Fundamenten Bei der Rahmenbauweise kommt i.d.R. eine Flachgründung mit ggfs. erforderlichem Bodenaustausch zum Einsatz. Bei einer notwendigen Tiefgründung ist das Bauverfahren nur bedingt geeignet. 2.2 Deckelbauweise Bei einer erforderlichen Tiefgründung und hoch anstehendem Grundwasser kann die Deckelbauweise sinnvoll sein. Basis der Deckelbauweise ist die Konzeption integraler Rahmenbauwerke, die als monolithischer Rahmen in zwei getrennten Abschnitten, Widerlager inkl. Tiefgründung und Überbau(platte), hergestellt werden [13]. Eine bildliche Abfolge der beschriebenen Deckelbauweise ist in den Abbildungen 5 bis 8 dargestellt. Zunächst werden in einer Sperrpause vom bestehenden Gleisbereich aus Bohrpfähle eingebracht, die im Endzustand der Tiefgründung des Bauwerks dienen. Zeitgleich werden vor und hinter den Bohrpfählen Spundwände zur 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 331 Verschub einer Brücke auf Spundwandlager: Ausführungsbeispiel zum Nachweis der Vertikalkräfte bei Spundwänden Sicherung der Baugruben und zur Aufnahme von Hilfsbrücken eingebracht (Abbildung 5). Abbildung 5: Bauverfahren „Deckelbauweise“ - Herstellung Gründungspfähle (grau) & Spundwandlager inkl. Totmann (rot) Anschließend wird in Seitenlage außerhalb des Gleisbereichs und ohne Beeinträchtigung des Bahnbetriebs der Überbau in Stahlbetonbauweise auf der vorgefertigten Verschubbahn erstellt. Die Herstellung der Widerlager inkl. Flügelwände erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt. Für den Einschub der Überbauplatte in Endlage wird eine weitere Sperrzeit benötigt (Abbildung 6). In dieser Sperrpause erfolgt auch der Teilaushub des bestehenden Bahndamms. Unmittelbar nach Positionierung des Überbaus werden die Hilfsbrücken einseitig auf dem eingeschobenen Überbau und auf den äußeren Spundwänden aufgelagert. Danach werden die Gleise wieder eingebaut und die Strecke für den Zugverkehr freigegeben [13]. Abbildung 6: Bauverfahren „Deckelbauweise“ -Einschub vorgefertigte Brückenplatte und Einbau Hilfsbrücken Unter dem „rollendem Rad“ erfolgt innerhalb der kleinen Baugruben unter den Hilfsbrücken die Herstellung der Rahmenecken bzw. die monolithische Verbindung zwischen Großbohrpfählen und dem Überbau (Abbildung 7). Für das Betonieren der Rahmenecken ist eine Sperrzeit notwendig. Abbildung 7: Bauverfahren „Deckelbauweise“ - Herstellung Widerlager und Flügelwände unter „rollendem Rad“ Nach vollständiger Aushärtung der betonierten Rahmenecken werden die Hilfsbrücken ausgebaut und die Bauwerkshinterfüllung eingebaut. Zum Abschluss der Baumaßnahme erfolgen die Herstellung des Regeloberbaus und der Einbau der bahntechnischen Gewerke [13]. Anschließend kann die Unterführung bzw. die Grundwasserwanne hergestellt werden (Abbildung 8). Abbildung 8: Bauverfahren „Deckelbauweise“ - Fertiggestellte Rahmenbrücke Die Deckelbauweise eignet sich in Hinblick auf die Erneuerung von bestehenden Eisenbahnbrücken, besonders bei folgenden Randbedingungen [13]: - hoher Grundwasserspiegel - beschränktes Baufeld (Bauen im Bestand - dichte Bebauung) - ungeeigneter Baugrund für Flachgründung - Überbauung eines Fließgewässers - stark befahrener unterführter Verkehrsweg - stark frequentierte Bahnstrecke mit kurzen Sperrzeiten und hoher Streckengeschwindigkeit 3. Ausgeführte Variante Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten bei der Baumaßnahmen in Poing (unzureichender Tragfähiger Boden, hoher Grundwasserspiegel & stark frequentierter Bahnstrecke) wurde die neue EÜ im Herstellverfahren „Deckelbauweise“ ausgeführt. 3.1 Verschublagerdetail Die Baugrundaufschlüsse konnten im Bereich des Bahndamms und unterhalb der geplanten Verschubbahn keinen ausreichend tragfähigen Boden aufweisen. Es konnte daher nicht gewährleistet werden, dass der Verschubvorgang und 332 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Verschub einer Brücke auf Spundwandlager: Ausführungsbeispiel zum Nachweis der Vertikalkräfte bei Spundwänden das Absetzten des 800 Tonnen schweren Überbaus auf dem Bahndamm ohne unverträgliche Setzungen stattfindet. Deshalb wurde das Verschubkonzept angepasst, indem vorab Spundwände auf der gesamten Länge der Verschubachse eingebracht wurden. Der Verschubträger (ausgesteifter HEB-Träger) wurde auf die Spundwand angeschweißt. Somit erfolgt der Einschub auf zwei Spundwandlagern (siehe Abbildung 9). Zwischen dem Verschubträger und einem nach unten gerichtetem U-Profil (sog. Schlitten) wurde das Teflongleitlager eingebracht. Teflon verringerten den Gleitwiderstand, sodass nur ca. 2-4 % der vertikalen Last als Horizontale Verschubkraft erforderlich sind. Abbildung 9: Detail Verschubbahn auf Spundwand Beim Verschub gleitet der Schlitten (auf dem sich die Überbauplatte befindet) auf dem ausgesteiften HEB-Träger. Der Einschub und dementsprechend auch der vertikale Lastabtrag der Brücke erfolgt über die Spundwandlager. Die flachgegründeten Verschubplatten wurden somit durch tiefgegründete Spundwände ersetzt. Abbildung 10: Auflagerung Überbau(platte) auf Verschubträger/ Spundwand Um ein nachträgliches anheben / herabsetzten des Brückenüberbaus zu ermöglichen wurden zwischen Verschubträger und Unterkante Brückenüberbau 5 Pressen pro Brückenseite eingebaut. Der Aufbau des Verschubeinheit ist Abbildung 9 und 10 dargestellt. 3.2 Einschub der Brücke Anhand der folgenden Auszüge aus der 3D Planung und Bilder Vorort soll der ausgeführte Bauablauf erläutert werden: - Herstellung der Bohrpfähle (blau) und Einbringen der Spundwände (rot) in Sperrpause auf vorab vergrößertem Bahndamm (Orange) Abbildung 11: Einbau Pfähle (Blau) & Spundwände inkl. Totmann (Rot) Abbildung 12: Herstelung von Pfählen & Spundwänden mit 4 Geräten in Streckensperrung - Herstellung Überbau in verschobener Lage auf vorab eingebrachten Spundwänden inkl. der Verschubbahn 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 333 Verschub einer Brücke auf Spundwandlager: Ausführungsbeispiel zum Nachweis der Vertikalkräfte bei Spundwänden Abbildung 13: Herstellung Überbau in seitlicher Lage Abbildung 14: Fertiggestellte & aufgeständerter Überbau auf Verschubbahn - In Sperrpause: Rückbau der Gleise, Teilaushub Bahndamm und Einschub des Überbaus mit Auflagerung auf den vorab vorbereiteten Verschubbahnen. Abbildung 15: Einschub Überbau(-platte) & Teilaushub Bahndamm Abbildung 16: Einschub Überbauplatte auf (Spundwand-) Verschubbahn - Einbau der Hilfsbrücken und Gleise, anschließende Freigabe der Brücke für Schienenverkehr. Überbau lagert nach wie vor nur auf den Spundwänden auf. Abbildung 17: Einbau Hilfsbrücken und Gleise Abbildung 18: Eingebaute Hilfsbrücken und Gleise auf Überbau(platte) - Widerlager und Flügelwände unter „rollendem Rad“ herstellen. Nach vollständiger Aushärtung der betonierten Widerlager, Hilfsbrücken ausbauen und die Bauwerkshinterfüllung einbauen. Abschließend Herstellung des Regeloberbaus und Einbau der bahntechnischen Gewerke. 334 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Verschub einer Brücke auf Spundwandlager: Ausführungsbeispiel zum Nachweis der Vertikalkräfte bei Spundwänden Abbildung 19: Herstellung Widerlager & Flügelwände unter „rollendem Rad“ 4. Zum Nachweis der vertikalen Tragfähigkeit von Spundwänden Wie in dem vorherigen Kapitel beschrieben ist die Verschubbahn auf einer Spundwand aufgeständert. Der Stahlbetonüberbau hat ein Eigengewicht von ca. 800 Tonnen. Während des Verschubs und während der Herstellung der Widerlager unter „rollendem Rad“ wird die Gesamte vertikale Last von den Spundwänden aufgenommen. Entsprechend der hohen Anforderung gilt ein besonderes Augenmerk dem Nachweis der vertikalen Tragfähigkeit von Spundwänden. Abbildung 20: Widerstände und Einwirkungen bei Vertikalbelastung einer Spundwand Beim Nachweis der Abtragung der Vertikalkräfte in den Untergrund ist nachzuweisen, dass die von oben nach unten gerichtet lotrechte Einwirkung von der Spundwand in den Untergrund abgeleitet werden kann und die Wand nicht versinkt. Σ V d ≤ R d mit - V d = Bemessungswert der senkrechten Beanspruchung - R d = Bemessungswert des Widerstandes der Wand Bei dem beschriebenen Projekt ist die vertikale Last im Wesentlichen das Eigengewicht des Brückenüberbaus zzgl. der Ausbaulasten und die Verkehrslasten aus 2-Gleisigem Zugverkehr. Für den Nachweis der vertikalen Lastabtragung bieten die einschlägigen Regelwerke teilweise stark voneinander abweichende Nachweisformat [8] die im folgenden Kapitel beschrieben werden. Grundsätzlich gibt es für die Nachweisführung zwei unterschiedliche Modelle (Abbildung 21). - Methode „Erddruck“ berücksichtigt die nach oben gerichtete Vertikalkomponente der Auflagerkraft Bvk als Widerstandsgröße. Eine zusätzliche Mantelreibung wird im Bereich der statisch erforderlichen Einbindelänge nicht berücksichtigt. - Methode „Mantelreibung“ berücksichtigt eine definierte Mantelreibung, einseitig auf der Länge der statisch erforderlichen Einbindelänge als Widerstandsgröße. Der Ansatz der Widerstände gemäß Methode „Mantelreibung“ führt in der Regel zu kürzeren Einbindelängen [11] und ist in der Praxis gängiger. Bei der Ermittlung der wirksamen Fußaufstandsfläche gibt es mehrere Ansätze, die je nach Regelwerk zu unterschiedlichen Spitzendrücken führen können. Mit Änderung des Nachweisformats in der aktuellen EAB (5. Auflage, 2012) ergeben sich im Vergleich zur 4. Auflage der EAB (2006) i.d.R. wesentlich größere Einbindelängen. Dieser Sachverhalt soll mit der kommenden 6. Auflage der EAB (2020) teilweise wieder angepasst werden [12]. Abbildung 21: Ansatz der Einwirkungen und Widerstände für den Nachweis gegen Versagen bodengestützter Wände durch Vertikalbewegung [5] Für alle hier beschriebenen Regelwerke bildet sich grundsätzlich der vertikale Gesamtwiderstand der Spundwand Rk aus Spitzenwiderstand qb,k und Mantel-reibung qs,k multipliziert mit den jeweils rechnerisch ansetzbaren Flächen. R k = A b · q b,k + A s · q s,k 4.1 EAB 2006 - 4. Auflage Die Erfahrungswerte für Mantelreibung und Spitzendruck für Spundwände sind in der EAB (2006), Anlage 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 335 Verschub einer Brücke auf Spundwandlager: Ausführungsbeispiel zum Nachweis der Vertikalkräfte bei Spundwänden A10 wiederzufinden. Dabei gilt, dass der Ansatz der Erfahrungswerte nur dann berechtigt ist, wenn folgende Bedingungen für den unter der Baugrubensohle anstehenden Boden zutreffen: Nichtbindige Böden müssen mindestens - eine Lagerungsdichte D > 0,40 bei einer Ungleichförmigkeitszahl C U < 3 - oder D > 0,55 bei C U > 3 - oder einen Sondierspitzenwiderstand q c ≥ 10 MN/ m² aufweisen. Bei bindigen Böden soll eine annähernd halbfeste Beschaffenheit vorhanden sein. Des Weiteren ist es möglich die Erfahrungswerte um 25% zu erhöhen, falls der Boden folgende Bedingungen erfüllt: Bei nichtbindigen Böden müssen mindestens - D > 0,55 bei CU < 3 - oder D > 0,65 bei CU > 3 - oder q c ≥ 15 MN/ m² vorliegen Bei bindigen Böden wird eine annähernd feste bzw. harte Beschaffenheit verlangt. Der Erfahrungswert für den Spitzendruck q b,k ergibt sich nach folgender Gleichung: q b,k = 600 +120· (t g - 0,5) m in kN/ m² t g = tatsächliche Einbindetiefe der Wand unterhalb BGS Der Spitzendruck ist somit tiefenabhängig. In Abhängigkeit der Spundwandgeometrie wird die umhüllende Fußfläche mit einem Faktor [9] reduziert. Die wirksame Aufstandsfläche ist: A b = χ · h in m²/ m Abbildung 22: wirksame Fußaufstandsfläche Ab & Anpassungsfaktor χ gemäß RADOMSKI [9] Die Mantelreibung wird, bei der Voraussetzung das ein ausreichend tragfähiger Boden vorhanden ist, mit q s,k = 60 kN/ m² berücksichtigt. Der Gesamtwiderstand der Spundwand ist somit: R k = A b · (600,0 + 120,0 · (t g - 0,5)) +A s · 60,0 4.2 EAB 2012 - 5. Auflage Im Vergleich zur 4. Auflage der EAB wurden bei der 5. Auflage der EAB (2012) sowohl die Erfahrungswerte für Mantelreibung q s,k und Spitzendruck q b,k als auch die Vorgehensweise zu Ermittlung der anzusetzende Fußaufstandsfläche Ab angepasst. Der Fußwiderstand wird nicht mehr mit der wirksamen Aufstandsflächen und zugeordneten Erfahrungswerten für den Spitzenwiderstand, sondern mit der Schneidenfläche und dem Sondierwiderstand der Drucksonde ermittelt [11]. Auf eine Zunahme des Spitzenwiderstands mit der Tiefe wurde verzichtet. Abbildung 23: wirksame Aufstandsfläche A b und Mantelfläche A s [4] Änderungen ergaben sich auch bei den Erfahrungswerten für die charakteristische Mantelreibung der EAB in der 5. Auflage gegenüber der 4. Auflage. Als Datengrundlage standen hauptsächlich Bauvorhaben aus dem Norddeutschen Raum zur Verfügung [6]. Für bindige Böden werden keine Erfahrungswerte in der aktuellen Auflage genannt. Tabelle 1: Erfahrungswerte für den charakteristischen Spitzendruck q b,k und für die charakteristische Mantelreibung q s,k von Spundwänden in nichtbindigen Böden [4] Aufgrund der Anpassung der Erfahrungswerte und der Änderung der Vorgehensweise zur Ermittlung der anzusetzenden Fußaufstandsfläche Ab ergeben sich im Vergleich zur 4. Auflage der EAB (2006) häufig wesentlich größere Einbindelängen. Die Unterschiede sind in Abbildung 20 dargestellt [11]. Abbildung 24: Vergleich Rd der EAB (2012) und EAB (2006) mit Variation der Lagerungsdichte in nichtbindigem Boden [11] 4.3 Entwurf EAB 2020 - 6.Auflage Aufgrund der bedeutenden Unterschiede hinsichtlich der erforderlichen Einbindelänge der Spundwand von der EAB 2012 zur EAB 2006 wurde durch den Arbeitskreis 336 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Verschub einer Brücke auf Spundwandlager: Ausführungsbeispiel zum Nachweis der Vertikalkräfte bei Spundwänden „Baugruben“ die Anpassung zur Regelung der vertikalen Tragfähigkeit von Baugruben beschlossen [12]. Dabei soll das Nachweisformat der EAB 2012-5. Auflage unverändert bleiben. Die 6. Auflage der EAB soll lediglich wieder an das Sicherheitsniveau bzw. an die Wirtschaftlichkeit der 4.Auflage angelehnt werden. Die Erfahrungswerte der Mantelreibung im nicht bindigen Boden werden aus der EAB 5. Auflage (2012) ohne Veränderungen übernommen. Zusätzlich werden Erfahrungswerte für bindige Böden eingeführt [12]. Damit wird eine für praktische Anwendung vorhandene Lücke der 5. Auflage der EAB geschlossen. Die Erfahrungswerte des Spitzendrucks werden im Vergleich zur EAB 5. Auflage um 20-25 % erhöht. Tabelle 2: Erfahrungswerte für den charakteristischen Spitzendruck q b,k und für die charakteristische Mantelreibung q s,k von Spundwänden in nichtbindigen Böden [12] Tabelle 3: Erfahrungswerte für den charakteristischen Spitzendruck q b,k und für die charakteristische Mantelreibung q s,k von Spundwänden in bindigen Böden [12] Zusätzlich erfolgt der Hinweis, dass bei einer abgegrabenen Wand ein erhöhter horizontaler Spannungszustand gegeben ist und deswegen die die Erfahrungswerte der Mantelreibung nach Tabelle 2 und 3 zwischen Baugrubensohle und theoretischem Fußpunkt der Verbauwand verdoppelt werden dürfen. Bei numerischen Untersuchungen konnte eine Erhöhung der Mantelreibung gegenüber der beim Erdruhedruckzustand von 260 bis 400 % nachgewiesen werden [7]. Der Ansatz der Verdopplung der Mantelreibung kann ebenfalls in der EAU (2012) wieder gefunden werden [5]. 4.4 EA-Pfähle/ DIN 1054 Da in der aktuellen Auflage der EAB (2012) keine Erfahrungswerte für bindige Böden gegeben werden, kann auf die Nachweisführung gemäß DIN 1997-1 bzw. DIN 1054 zurückgegriffen werden [1]. Generell ändert sich an der Nachweismethode gegenüber der EAB (2012) nichts, jedoch wird zur Bestimmung der Erfahrungswerte für Mantelreibung und Spitzendruck auf die aktuelle Auflage der EA-Pfähle verwiesen [2]. Da zur Ermittlung der Fußaufstandsfläche bei Spundwänden in der EA-PFÄH- LE keine Aussagen gemacht werden, wird die wirksame Fläche nach EAB (2012) angesetzt (Abbildung 23). Die Tabellen 5.1 bis 5.4 in der EA-Pfähle enthalten sowohl für nichtbindige als auch für bindige Böden eine Spanne von Erfahrungswerten für den Grenzzustand der Tragfähigkeit (ULS) und der Gebrauchstauglichkeit (SLS). Die gegebenen Werte beziehen sich auf eingerammte Pfähle aus Stahlbeton und Spannbeton. Mit Hilfe der Modellfaktoren nach Becker & Kempfert [6] können die Werte auch auf Spundwände übertragen werden. - Modellfaktor für den Spitzendruck η b = 1,30 - Modellfaktor für die Mantelreibung η s = 0,45 In Bezug auf den Nachweis der vertikalen Lastabtragung von Spundwänden zeigt die Nachweisführung gemäß EA-Pfähle unter Berücksichtigung der Modellfaktoren gemäß Becker & Kempfert [6] ähnliche Ergebnisse wie der Entwurf des Nachweisformats der 6.Auflage der EAB (2020). 4.5 Vergleichsrechnung der erforderlichen Einbindetiefe Aufgrund der unterschiedlichen Ansätze der Erfahrungswerte erfolgt an dieser Stelle ein Vergleich der erforderlichen Einbindetiefe gemäß den in Kapitel 4.1 bis 4.4 beschriebenen Regelwerken. Zusätzlich wird die erforderliche (Spundwand-)Einbindelänge gemäß den Vorgaben/ Erfahrungswerten des Baugrundgutachtens [14] hinzugezogen. Dabei wird die Methode „Mantelreibung“ betrachtet. Folgende Eingangsparameter werden für die Vergleichsrechnung angesetzt: V d,max = 900 kN/ m (g d,Brücke + q d,Zug ) Lagerungsdichte qc ≥ 25 MN/ m Spundwandprofil Larsen 606 n 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 337 Verschub einer Brücke auf Spundwandlager: Ausführungsbeispiel zum Nachweis der Vertikalkräfte bei Spundwänden Abbildung 25: Vergleich der erforderlichen Einbindetiefe der Spundwand unterhalb der Baugrubensohle infolge der Last aus Brückenüberbau & Schienenverkehr Die Vergleichsrechnung zeigt, dass eine Berechnung nach EAB 2006 - 4.Auflage die geringste Einbindelänge ergibt. Im Vergleich zur 5.Auflage ist bei diesem Bauvorhaben ein Zuwachs der Einbindelänge von ca. 60 % zu vermerken. Die Werte gemäß Baugrundgutachten orientieren sich stark an der aktuell gültigen EAB 2012 - 5. Auflage. Der neue Entwurf der EAB 2020 - 6. Auflage [12] zeigt eine Reduzierung der Einbindetiefe um ca. 30% im Vergleich zur aktuellen EAB und ist vergleichbar mit den Ergebnissen der EA-Pfähle. 5. Zusammenfassung In den kommenden Jahren werden viele sanierungsbedürftige Brücken in Deutschland erneuert. Dabei ist das Herstellen der Brücke in seitlicher Lage und Einschub während einer kurzen Sperrpause eine bevorzugte Variante. Das Bauverfahren der Deckelbauweise ist bei der Voraussetzung gewisser Randbedingungen, eine sinnvolle Lösung zur Herstellung neuer Eisenbahnüberführungen. Der Verschub und die temporäre Auflagerung des Überbaus auf Spundwänden ist, wie dieser Beitrag zeigt, ein möglicher Lösungsansatz. Bei dem Bauvorhaben „Erneuerung der EÜ in Poing“ konnte der Verschub des rund 800 Tonnen schweren Überbaus erfolgreich bewerkstelligt werden. Die Tiefgründung der Verschubbahn auf Spundwänden erwies sich als richtige Lösung. Die Vorgehensweise bot sich insbesondere daher an, da für die Herstellung einer darauffolgenden Grundwasserwanne der unterführten Gemeindestrasse eine Trogbaugrube erforderlich ist. Die Spundwandtrog kann somit weitestgehend aus den Spundwänden der Verschubbahn ausgebildet werden. Die zu erwartenden Setzungen während des Verschubs betrugen ca. 5 mm und haben sehr gut mit den rechnerisch ermittelten Setzungen übereingestimmt. Literaturverzeichnis [1] DIN 1054: 12-2010; Baugrund - Sicherheitsnachweise im Erd- und Grundbau - Ergänzende Regelungen zu DIN EN 1997-1 [2] EA Pfähle 2012; Empfehlungen des Arbeitskreises „Pfähle“, Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e.V., Ernst & Sohn, 2. Auflage [3] EAB 2006; Empfehlungen des Arbeitskreises „Baugruben“, Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e.V., Ernst & Sohn, 4. Auflage [4] EAB 2012; Empfehlungen des Arbeitskreises „Baugruben“, Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e.V., Ernst & Sohn, 5. Auflage [5] EAU 2012; Empfehlungen des Arbeitskreises „Ufereinfassungen, Häfen und Wasserstraßen“, Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e.V., Ernst & Sohn,11. Auflage [6] Becker, P; Kempfert, H-G.: Zum Stand der vertikalen Tragfähigkeit von Spundprofilen aus Erfahrungswerten. Geotechnik 31 (2008), H.1 S.35-40. [7] Becker, P: Zum Nachweis der Abtragung von Vertikalkräften bei Verbauwänden. Bautechnik 94 (2017), H.3 S.190-199. [8] Schallück, C; Torben, P; Henke, S: Neuregelung des Nachweises der vertikalen Tragfähigkeit von Spundwänden in der EAU. Geotechnik 35 (2012), H.3 S.159-167. [9] Radomski, H; Untersuchungen über den Einfluss der Querschnittsform wellenförmiger Spundwände auf die statischen und rammtechnischen Eigenschaften. Mitteilungen des Instituts für Wasserwirtschaft, Grundbau und Wasserbau der Universität Stuttgart, Heft 10 (1968) [10] Bergholz, K; Herten, M: Proberammungen und Probebelastungen von Spundwänden am DEK-Nord. BAW Mitteilunge Nr. 95 (2012), S.125-138. [11] Baier, J: Vergleichsrechnungen zum Nachweis der Vertikalkräfte bei Spundwänden, Bachelorarbeit HTW Berlin (2017) [12] Kempfert, H-G; Becker, P; Kinzler, S: Bericht des Arbeitskreises Baugruben: Entwurf EB 85 und Anhang A 10. Bautechnik 95 (2018). H. 9 S. 684-692 [13] SSF Ingenieure: Erneuerung von bestehenden Eisenbahnbrücken (abgerufen am 05.11.2019), https: / / www.ssf-ing.de/ fileadmin/ web_data/ Down loads/ Broschueren/ Deutsch/ Erneuerungen_von_ bestehenden_Eisenbahnbruecken_DE.pdf [14] MMH Ingenieurgemeinschaft: Geotechnischer Untersuchungsbericht Strecke München Ost - Simbach (5600), Eisenbahnüberführung in km 17,040 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 339 Rheinbrücke auf Mikropfählen - Aufwändige Probebelastungen an engständigen Pfahlgruppen Joachim Meier Implenia Spezialtiefbau GmbH, Technical Competence Center -Verfahrenstechnik, Mannheim Christoph Borchert und Stefan Otten Borchert-Ingenieure GmbH & Co KG, Essen Sebastian Böhm Implenia Spezialtiefbau GmbH, Gst. Frankfurt am Main Zusammenfassung Im Zuge der Gesamtinstandsetzung der Mülheimer Brücke in Köln wird die Neugründung der Vorlandbrücken mit Mikropfählen vom Durchmesser 300 mm realisiert, die in sehr engem Raster angeordnet sind. Nach EA Pfähle ergeben sich bei diesen Abständen unwirtschaftliche und übermäßig konservative Abminderungsfaktoren für die Gruppenwirkung. Die tatsächliche Tragfähigkeit der geplanten Pfahlgruppen wurde daher vor Ort in aufwändigen Probebelastungen bestimmt. Dazu war unter anderem die technisch anspruchsvolle, synchrone Beaufschlagung von 5 Pfählen, sowie Einzelpfahlprüfungen unter Wechselbelastung erforderlich. Auch an die Messwerterfassung wurden besondere Anforderungen gestellt. Um den Normalkraftverlauf im Stahltragglied über der Tiefe abzubilden, wurden die Probepfähle mit insgesamt 545 Stück miniaturisierten Schwingsaitenaufnehmern bestückt, die während der Probebelastungen kontinuierlich elektronisch aufgezeichnet wurden. Die Bodenparameter konnten aufgrund dieser Ergebnisse so optimiert werden, dass namhafte Einsparungen möglich wurden. Die Umsetzung des Gründungskonzeptes in seiner Gesamtheit wurde durch die günstigeren Ansatzwerte erst ermöglicht. 1. Projektübersicht 1.1 Bauwerk Die Mülheimer Brücke, die nördlichste der 6 Kölner Rheinbrücken, wurde nach ihrer Zerstörung im 2. Weltkrieg von 1949-1951 unter Leitung von Wilhelm Riphahn, Fritz Leonhardt und Walter Pelikan als „echte Hängebrücke“ mit einer orthotropen Platte als Fahrbahnträger wieder aufgebaut. Dadurch konnte das Gewicht im Vergleich zur Vorkriegsbrücke von 14.800 auf 5780 Tonnen reduziert werden. Ursprünglich nahm der Brückenträger nur die Richtungsfahrbahnen und Gehwege auf. Von 1976 bis 1977 erfolgte der Umbau zur Integration einer zweigleisigen Stadtbahnlinie zwischen den Fahrbahnen. Die Grundinstandsetzung, in deren Verlauf die hier besprochenen Probebelastungen erforderlich wurden, erfolgt unter Verkehr, wobei die Richtungsfahrbahnen zeitweise wechselseitig gesperrt werden. An beiden Ufern schließen Vorlandbrücken an die eigentliche Strombrücke an. Diese werden mit veränderter Geometrie und Lagerung neu gebaut. Dazu sind neue Pfeiler unter dem alten Überbau herzustellen. Auf Ihnen wird der neue Überbau errichtet, die alten Pfeiler werden abgebrochen. Die Gründung der neuen Pfeiler muss also unter beschränkter Höhe von ca. 4,20 m erfolgen, was die Herstellung von Großbohrpfählen unmöglich macht. Wegen der großen Lasten, die auch als Schwell- und Wechsellasten auftreten, sah der Entwurf Mikropfähle als doppelt korrosionsgeschützte Einstabverpresspfähle mit einem Bohrdurchmesser von 300 mm vor, die zum Teil geneigt auszuführen sind. 340 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Rheinbrücke auf Mikropfählen - Aufwändige Probebelastungen an engständigen Pfahlgruppen Die Ausführungsplanung liegt bei der Arbeitsgemeinschaft Planung Mülheimer Brücke, bestehend aus Leonhardt, Andrä und Partner (LAP), Stuttgart und Arcadis Germany, Essen. Als geotechnischer Sachverständiger fungiert das Ingenieurbüro Borchert-Ingenieure aus Essen. Die Werkplanung, unter anderem der Belastungseinrichtung, erfolgte im technischen Büro der Implenia Spezialtiefbau GmbH. Die Abteilungen Verfahrenstechnik und Messtechnik des Technical Competence Center in der Implenia Spezialtiefbau GmbH planten und begleiteten die Versuche von der Entwicklung und Montage des Schwingsaitenaufnehmersystems über die Bohrtechnik bis zur Versuchsdurchführung. Unterstützt wurden Sie dabei vom Institut für Geotechnik der Universität Stuttgart (IGS, vormals FMPA) und der Geo-Team Ingenieurgesellschaft mbH, Dortmund. Die Herstellung der Mikropfähle und Durchführung der Probebelastungen wurde von der Geschäftsstelle Rhein Ruhr der Implenia Spezialtiefbau GmbH durchgeführt, die auch mit allen Gründungsarbeiten im Zuge der Grundinstandsetzung beauftragt ist. Generalunternehmer für die Gesamtmaßnahme ist die Implenia Construction GmbH, NL Düsseldorf. 1.2 Baugrund Die quartären Kiese und Sande der Rheinterrasse werden hier unterlagert von tertiärer Braunkohle, die in faserig-blättriger Struktur vorliegt. Eine Durchörterung des tertiären Grundwasserstauers musste vermieden werden. Die Mikropfähle sind daher in der Einbindetiefe beschränkt. Über den quartären Kiesen und Sanden befinden sich anthropogene Auffüllungen, denen keine bemessungsrelevanten Bettungsziffern und Widerstände zugewiesen werden können. Sie haben eine Mächtigkeit gemäß Ausschreibung von rund 4 m. In situ wurde jedoch eine um mehrere Meter schwankende Oberkante der tragfähigen Kiese und Sande festgestellt. Das lässt sich einerseits durch Bachbetten oder Gräben erklären, die im Laufe der Zeit anthropogen verfüllt wurden, andererseits muss berücksichtigt werden, dass die kontinuierliche Bohrgutförderung per Schnecke keine höhenscharfe Aufschlussmethode darstellt. In der Folge wurden zusätzliche Aufschlussbohrungen in den Probefeldern hergestellt, die in die Auswertung eingingen. 1.3 Folgerungen für Entwurf und Bemessung Bedingt durch die beschränkte wirksame Einbindelänge können die Lasten nur dann mittels Mikropfählen eingeleitet werden, wenn die Pfahlachsabstände auf 90 cm reduziert werden. Das bringt neue Probleme hinsichtlich der Pfahlgruppenwirkung, aber auch der Bohrtoleranz mit sich. Berücksichtigt man die Abminderungsfaktoren für Pfahlgruppenwirkung gemäß EA-Pfähle, so ergibt sich für den hier erforderlichen Achsabstand von 0,9 m ein Faktor von weniger als 0,8. Mit Blick auf die Bohrtoleranz ist zu sagen, dass zwei benachbarte Pfähle mit Entwurfslänge, die gegenläufig, aber innerhalb der Toleranz abweichen, sich zwangsläufig treffen. Abb. 1 Auswirkungen von Toleranzen in engständigen Pfahlgruppen Streicht man von der Einbindelänge in den tragfähigen Baugrund die Längen weg, für die der Mindestabstand nicht eingehalten ist, kommen unterschiedliche, jedoch für die Bemessung der Gründung gleichermaßen unbrauchbare, wirksame Längen heraus: - Bei Ansatz der Toleranzen gemäß DIN SPEC 18539 bleiben dann von den 16 Metern Bohrlänge nur noch ca. 30 cm für die Lastabtragung übrig. - Bei Ansatz der Toleranzen gemäß DIN EN 14199 ergibt sich für vertikale Pfähle eine wirksame Lasteinleitungslänge von ca. 8,5 m, bei schwach geneigten Pfählen wären es noch 2,2 m und bei stark geneigten Pfählen blieben nur ca. 20 cm. Dem wurde begegnet, indem die Ansatzpunkttoleranz durch Verwendung betonierter Bohrschablonen von 7,5 cm auf 3 cm verringert wurde. Weiter wurden die Vorschubgeschwindigkeit und der Andruck reduziert und zusätzliche Inklinometermessungen des Bohrlochverlaufs mit Extrapolation auf Endteufe vorgenommen. Die Ergebnisse wurden jeweils am nächsten Vormittag dem Auftraggeber zur Bewertung und ggf. Einplanung zusätzlicher Pfähle übergeben. Am wirksamsten ist natürlich eine Verkürzung der Pfahllängen, die jedoch nur über einen günstigeren Mantelreibungsansatz zu erreichen ist. Um eine Beeinflussung bereits verpresster Pfähle durch das Injektionsgut der Nachbarpfähle zu vermeiden, wurde eine bestimmte Herstellreihenfolge festgelegt, wonach eine Wartezeit von mindestens 6 Stunden einzuhalten ist, wenn benachbarte Pfähle einen Abstand von 1,5 m oder weniger aufweisen. Diese Maßnahmen erwiesen sich 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 341 Rheinbrücke auf Mikropfählen - Aufwändige Probebelastungen an engständigen Pfahlgruppen während der Herstellung der Probepfähle und der bisher hergestellten Bauwerkspfähle als wirksam. Es kam bislang nicht zu abweichungsbedingten Umplanungen. 2. Bohrtechnik Wie oben erwähnt, steht für die Herstellung von 16 - 18 m langen, doppelt korrosionsgeschützten Einstabverpresspfählen nur eine lichte Arbeitshöhe von rund 4,20 m zur Verfügung. Diese wurde nur erreicht, indem ein Voraushub bis Unterkante der späteren Fundamente eingeplant wurde. Insbesondere unter dem Gleistrog der Rheinbahn auf der rechten Rheinseite waren zunächst stellenweise nur 2,5 m lichte Höhe vorhanden. Abb. 2 Lichte Arbeitshöhe unter dem Gleistrog Da man, allein für die Kopplung vorverpresster, doppelt korrosionsgeschützter Stahltragglieder eine Länge von mindestens 0,8 m benötigt, muss der Einbau mit einem separaten Hebegerät erfolgen. Die Lafette stört dabei zumeist, weshalb ein seitlich aus der Bohrachse verschieblicher Bohrschlitten gewählt wurde. Um Bohrrohre mit einer Einzellänge von 1,5 m auflegen zu können, braucht man ein kurz bauendes Bohrsystem auf einer Lafette mit -relativ zur Lafettenlänge - möglichst langem Vorschubweg. Um eine 300 mm-Bohrung bis 20 m tief in reibungsbegabte Kiese und Sande zu bringen, muss das Bohrgerät hohe Drehmomente bereitstellen. Gleichzeitig aber muss es in eine