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Kolloquium Bauen in Boden und Fels
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2510-7755
expert verlag Tübingen
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2024
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Herausgegeben von Christian Moormann Carola Vogt-Breyer 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels Fachtagung über aktuelle Herausforderungen der Geotechnik Tagungshandbuch 2024 Exklusiv für Tagungsteilnehmer: Kostenfreier Zugriff auf die elektronische Ausgabe des Tagungshandbuches mit nützlichen Zusatzfunktionen und einer Anleitung zum Aktivieren des Codes auf gutschein.narr.digital 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels 30. und 31. Januar 2024 Technische Akademie Esslingen Herausgegeben von Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Moormann Prof. Dr.-Ing. Carola Vogt-Breyer 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels Die Fachtagung über aktuelle Herausforderungen in der Geotechnik Tagungshandbuch 2024 Medienpartner: Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das vorliegende Werk wurde mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autoren oder Herausgeber übernehmen deshalb eine Haftung für die Fehlerfreiheit, Aktualität und Vollständigkeit des Werkes und seiner elektronischen Bestandteile. © 2024. Alle Rechte vorbehalten. expert verlag Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen eMail: info@verlag.expert Internet: www.expertverlag.de Printed in Germany ISBN 978-3-381-11811-3 (Print) eISBN 978-3-381-11812-0 (ePDF)) Technische Akademie Esslingen e. V. An der Akademie 5 · D-73760 Ostfildern eMail: bauwesen@tae.de Internet: www.tae.de 5 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 5 Vorwort Der Ausbau der Infrastruktur sowie die Verdichtung in den Ballungsräumen führen dazu, dass die Bedeutung des Bauens in Boden und Fels sowie die Anforderungen an nachhaltige Konzepte und Bauverfahren bei der Errichtung und Erhaltung unterirdischer Bauwerke zunehmen. Für Neubauten und bestehende Einrichtungen im Bestand ergeben sich dadurch in geotechnischer Hinsicht bedeutende ingenieurtechnische Herausforderungen, die beim Kolloquium Bauen in Boden und Fels dargestellt und diskutiert werden. Die alle zwei Jahre an der Technischen Akademie Esslingen (TAE) stattfindende Fachtagung mit begleitender Ausstellung hat sich in den letzten 25 Jahren sukzessive als führende Veranstaltung in Süddeutschland und dem angrenzenden deutschsprachigen Ausland etabliert. Das Kolloquium Bauen in Boden und Fels richtet sich an Ingenieure und Naturwissenschaftler, die in planenden oder beratenden Büros, ausführenden Firmen, Verwaltungen, Hochschulen und Verbänden an der Weiterentwicklung von Techniken und Verfahren in der Geotechnik arbeiten. Der Programmausschuss unter Leitung von Herrn Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Moormann, Universität Stuttgart und Frau Prof. Dr.-Ing. Carola Vogt-Breyer, Hochschule für Technik Stuttgart hat für das 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels am 30. und 31. Januar 2024 etwa 45 Plenar- und Fachvorträge zu folgenden Themen ausgewählt: • Nachhaltigkeit in der Geotechnik • Bauen im Bestand • Baugruben • Gründungen • Grundbau/ Baugrundverbesserungen • Tunnelbau • Wasser- und Verkehrswegebau • Innovationen/ Forschung • Verfahren und Produkte Der vorliegende Tagungsband enthält die vorab eingereichten Beiträge zu den Vorträgen und gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik sowie neueste Entwicklungen und Trends in der Geotechnik. Weitere Informationen unter www.tae.de/ 50018. 7 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 7 Inhaltsverzeichnis 0.0 Plenarvorträge 0.1 EN 1997: 2024 - Die zweite Generation des Eurocode 7 13 Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Moormann, Adriaan van Seters 0.2 Nachhaltigkeit im Infrastrukturbau - CO 2 -Bilanzierung von Infrastrukturprojekten 25 Dipl.-Ing. (FH) Tomas Vardijan, Dr.-Ing. Claudia Klotz 0.3 BIM im Spezialtiefbau - aktueller Stand am Beispiel Central Business Tower, Frankfurt 35 Raphael Baur, M. Eng., Dipl.-Ing. (FH) Bettina Bastian 0.4 Schadensanalyse eines Autobahndammes im Moor - Projektdaten, analytische Berechnungen und Numerische Untersuchungen 41 Prof. Dr.-Ing. Maik Schüßler, Prof. Dr.-Ing. Frank Rackwitz, Dr.-Ing. Daniel Aubram, Melina Gralle, M. Sc., Prof. Dr.-Ing. Ralf Glasenapp 0.5 Geotechnische Herausforderungen beim Querverschub des 48.000-t schweren Ersatzneubaus der Neckartalquerung der BAB A6 bei Heilbronn 55 Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Moormann, Dr.-Ing. Patrik Buhmann, Dr.-Ing. Bodo Billig, Stefan Krieger 0.6 Bahndamm Ramerberg - Planung und zeiteffizientes Bauen für die Wiederherstellung nach einem Dammrutsch 65 Dr.-Ing. Raoul Hölter, Sarah Hägele, M. Sc., Prof. Dr. Paul Gehwolf, Dipl.-Ing. Thomas Barciaga 1.0 Nachhaltigkeit in der Geotechnik 1.1 Planung und Optimierung des Sondenfeldes einer oberflächennahen Geothermieanlage für ein Logistikzentrum 75 Dr. Max Kewel, Martin Sekulla, M. Sc. 1.2 Zwei-Phasen-Weichgelsohlen als nachhaltige Alternative zu Dichtsohlen im Düsenstrahlverfahren 83 Dr.-Ing. Lukas Knittel, Dr.-Ing. Ivo Kimmig, Dipl.-Ing. Tobias Adler 2.0 Grundbau/ Baugrundverbesserungen 2.1 Deep-Dry-Mixing zur Ermöglichung einer Schlitzwandherstellung in weichen marinen Sedimenten 93 Dipl.-Ing. Yannick Scherpereel, B. Sc., Luca Fischer, M. Eng. 2.2 Ausbau der A8 bei Pforzheim 103 Lukas Riedl, M. Eng., Sabrina Kirsch, M. Eng., Dipl.-Ing. Stephan Böker 2.3 Untersuchung des Langzeitquellens an pyrithaltigen Boden-Bindemittelgemischen im Bahnprojekt Stuttgart 21 115 Dr.-Ing. Axel Möllmann, Dr.-Ing. Marc Raithel, Tim Kristandt, M. Sc., Patrick Höfler M. Sc., Florian Jäger M. Eng., Dipl.-Ing. (FH) Gebhard Bantle, Dipl.-Ing. (FH) Michael-Werner Bruss, Sibylle Christine Reustle 88 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 3.0 Innovationen/ Forschung 3.1 Ergebnisse von aktuellen Forschungsvorhaben zur Bestimmung der Abrasivität von Lockergesteinen 125 Prof. Dr.-Ing. Christoph Budach, Dipl.-Ing. Katrin Lipka, Prof. Dr.-Ing. Peter Erdmann, Prof. Dr. Danka Katrakova-Krüger 3.2 Thermisches Verfahren zur Verhinderung von Anhydritquellungen 133 Dipl.-Geol. Uwe Dannwolf, B. Sc., Heiner Fromm 3.3 Erfahrungen zur Festigkeitsbestimmung von Mergelgesteinen mit dem Nadelpenetrometer 139 Moritz Aderhold, M. Sc., Prof. Dr.-Ing. Michael Alber, Dr. Ralf J. Plinninger 3.4 Untersuchung elektroosmotischer Effekte auf Adhäsion und Gleitreibung eines bindigen Modellbodens 145 Michael Ried, M. Eng., Prof. Dr.-Ing. Thomas Neidhart 3.5 Lastfall Impakt auf Steinschlagschutzdamm: Welcher Berechnungsansatz darf’s denn sein? 157 Dr.-Ing. Bernd Kister 3.6 Prozessoptimierung und Automatisierung von FE-Berechnungen in der Geotechnik 171 Marijn De Volder, M. Sc., Dr. nat. techn. Jia Lin, Dipl.-Ing. Thomas Wieser 4.0 Tunnelbau 4.1 Neue Bahnstrecke Dresden-Prag: Erzgebirgstunnel - Variantenuntersuchungen in der Vorplanungsphase 179 Dr.-Ing. Anna-Lena Hammer, Dr. techn. Gerold Lenz, Roman Sabata, Dr. Andreas Laudahn 4.2 Numerische Berechnungen zum Tunnel Silltal als Teil des Brenner Basistunnels 189 Dipl.-Ing. Dr. techn. Tassilo Weifner 4.3 Das Konzept einer direkten, passiven Freiflächentemperierung in Verbindung mit einer geothermischen Bergwassernutzung 195 Till Kugler, M. Sc., Tim Hochstein, M. Sc., Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Moormann 4.4 Anforderungen an die Probennahme und Durchführung zusätzlicher Laboruntersuchungen beim maschinellen Tunnelbau im Lockergestein 203 Prof. Dr.-Ing. Christoph Budach, Dr. Pierre Müller, Dr.-Ing. Jörg Holzhäuser, Akad. Dir. Dipl.-Ing. Martin Feinendegen 9 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 9 5.0 Wasser- und Verkehrswegebau 5.1 Wiedereröffnung Marienschlucht am Bodensee - Geotechnische Planung und messtechnische Überwachung 215 Dipl.-Ing. (FH) Achilles Häring 5.2 Helgoland - Erkundungsarbeiten unter Hochseebedingungen 223 Dipl.-Ing. (FH) Holger Jud, Dipl.-Geol. Klaus Warber 5.3 Bewertung der Funktionsfähigkeit und Lebensdauer von geotextilen und mineralischen Filtern in tidebeeinflussten Wasserstraßen bei Verockerungsneigung 231 Lukas Tophoff, M. Sc., Prof. Dr.-Ing. Holger Schüttrumpf, Prof. Dr.-Ing. Frank Heimbecher, Dipl.-Ing. Norbert Kunz 5.4 Festlegung charakteristischer Grundwasserstände für Tragfähigkeitsnachweise von Wasserbauwerken 241 Dipl.-Ing. Kerstin Ratz 5.5 Standsicherheit von Böschungen unter temporär auftretendem Wasser 247 Dr.-Ing. Gerd Festag, Prof. Dr.-Ing. Jens Gattermann, Sabrina Denne, M. Sc. 5.6 Zum räumlichen Einfluss des Erddrucks auf die Belastung kombinierter Spundwände 253 Dr.-Ing. Jannik Beuße 6.0 Bauen im Bestand 6.1 Innerstädtische Baugruben - Projektbeispiele mit Lösungsmöglichkeiten zum Bauen im Bestand 261 Dipl.-Ing. Christoph Maier, Dipl.-Ing. (FH) Tomas Vardijan, Dipl.-Ing. (FH) Hans-Jörg Krauter 6.2 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung 267 Sergio Camacho, M. Sc., Dipl.-Ing. (FH) Frank Deuchler 6.3 Stadionumbau unter laufendem Spielbetrieb: Mercedes-Benz Arena 283 Dr.-Ing. Annette Lächler, Dr. Jan Niklas Franzius, Dipl.-Ing. DIC CEng MICE 10 10 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 7.0 Baugruben 7.1 Innovatives Konzept für eine der tiefsten Baugruben von Frankfurt am Main - Baugrube Station „Güterplatz“ im Zuge der Verlängerung der Stadtbahnlinie U5 293 Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Moormann, Ruzica Marijanovic, M. Sc., Dipl.-Ing. Thomas Beckmann, Dr.-Ing. Patrik Buhmann, Dipl.-Ing. Sven Kirchner, Dr.-Ing. Alexandra Weidle 7.2 Verlängerung Unterfahrung Gebhard-Müller-Platz, Stuttgart 303 Dipl.-Ing. (FH) Tomas Vardijan, Fabian Seidel, M. Sc. 7.3 Komplexe Schlitzwandanwendung an der ETH Zürich: HPQ - Das Physikgebäude der Zukunft 307 Dipl.-Ing. Franz-Werner Gerressen, Alexander Blatt, M. Sc., Dipl.-Bauing. ETH Marc Freiburghaus, M. Sc., Dipl.-Bauing. FH Daniel Sohm, Dipl.-Ing. ETH David Estoppey, M. Sc. 7.4 Spezialtiefbau auf engstem Raum - Die Herstellung einer 13 m tiefen Baugrube im Bestand 315 Dipl.-Ing. Oliver Bernecker 7.5 Baugrube in Beckenton 323 Dr.-Ing. Igor Arsic 8.0 Gründungen 8.1 Realisierung eines Hochhauses über einer U-Bahn-Schutzzone - Präsidium Frankfurt 333 Prof. Dr. Simon Meißner, Maximilian Kies, M. Eng., Prof. Dr. Joachim Michael 8.2 Auswirkungen von Grundwasserhaltungen auf bestehende Kombinierte Pfahl-Plattengründungen in Frankfurt am Main 341 Frederic Manche, B. Eng., Maximilian Kies, M. Eng., Prof. Dr.-Ing. Simon Meißner, Prof. Dr.-Ing. Jürgen Schmitt 8.3 Neckartalbrücke Horb - Geotechnische Herausforderungen auf anspruchsvollem Baugrund 347 Dipl.-Ing. Michael Kupka, Dipl.-Geol. Dr. Martin Brodbeck 9.0 Verfahren und Produkte 9.1 CO 2 -reduzierte Bauprodukte im Spezialtiefbau - Berechnungsmethoden, Planungs- und Ausführungsbeispiele 355 Dr.-Ing. Hursit Ibuk, Harry Blaskowitz 9.2 Verfahrensprinzip der Baugrundverbesserung nach dem CSV-Verfahren 363 Andreas Stallhofer, M. Eng. 10.0 Anhang 10.1 Programmausschuss 369 10.2 Autorenverzeichnis 371 Plenarvorträge 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 13 13 EN 1997: 2024 - Die zweite Generation des Eurocode 7 Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Moormann Universität Stuttgart, Institut für Geotechnik Vorsitzender des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e.V. (DGGT), Head of Delegation im TC 250/ SC 7 Adriaan van Seters Chairman des TC 250/ SC 7, Eurocode 7, Fugro NL Land B.V., Niederlande Zusammenfassung Nach einer dreizehnjährigen Entwicklungs- und Bearbeitungsphase wird die zweite Generation des Eurocode 7 im Herbst 2024 bzw. im Februar 2025 in drei Teilen neu erscheinen. Diese zweite Generation des Eurocode 7 wird die Baugrunderkundung, die Bestimmung von geotechnischen Kennwerten und insbesondere die Bemessung von geotechnischen Bauwerken für die nächsten Jahrzehnte in Europa und damit auch in Deutschland prägen. Die neue Fassung des Eurocode 7, kurz: EN-1997, hat gegenüber der aktuellen ersten Fassung eine grundlegende Überarbeitung erfahren. Er wird zukünftig drei Teile umfassen: Im Teil 1 „General rules“ werden alle grundsätzlichen Regelungen zur geotechnischen Bemessung enthalten sein; der Teil 2 „Ground properties“ entspricht bezüglich des Themenschwerpunktes dem bisherigen Teil 2 „Erkundung und Untersuchung“, wird aber strukturell stark verändert und u. a. um Regelungen für Untersuchungen im Felsen ergänzt. Der Teil 3 „Geotechnical structures“ wird die bisher im Teil 1 enthaltenen Abschnitte zu Flach- und Tiefgründungen, zu Böschungen und Dämmen, zu Stützbauwerken und Verankerungen, aber auch zusätzliche Abschnitte z. B. über Bewehrte Erde und Baugrundverbesserungen enthalten. Der vorliegende Beitrag stellt den Auf bau und wesentliche Bemessungsgrundlagen des EN 1997 entsprechend der aktuell vorliegenden Entwurfsfassung vor, wobei der Schwerpunkt auf den bemessungsrelevanten Teilen 1 und 3 liegt. 1. Einführung Seit vielen Jahren wird auf europäischer Ebene die zweite Generation der Eurocodes für das Bauwesen erarbeitet. In diesem Kontext erfährt auch der Eurocode 7, EN-1997, eine grundlegende Überarbeitung. Diese Überarbeitungsphase kommt nun zu ihrem Abschluss und die einzelnen Teile der verschiedenen Eurocodes werden sukzessive veröffentlicht. Für den Eurocode 7 „Geotechnical Design“, der zukünftig drei Teile umfassen wird, i.e. den Teil 1 „General rules“, den Teil-2 „Ground properties“ und den Teil 3 „Ground structures“ bedeutet dies, dass die Teile 1 und 2 im August 2024 und der Teil 3 im zweiten Quartal 2025 als finale Norm-Dokumente veröffentlicht werden (Abb. 1). Die derzeitige, in der Ingenieurpraxis in der Anwendung befindliche erste Generation der Eurocodes geht auf Fassungen zurück, die bereits im Jahr 2004 als europaweit anzuwendende Normen zur Bemessung im Bauwesen in den Mitgliedländern des CEN eingeführt wurde. Die zentrale Norm für die geotechnische Bearbeitung von Projekten in Deutschland ist aktuell der Eurocode 7 (EC 7), DIN EN 1997 in der Fassung von September 2009 mit dem Titel: “Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik“ und den zwei Teilen: • Teil-1: Allgemeine Regeln • Teil-2: Erkundung und Untersuchung des Baugrunds. Die nationale Einführung dieser Eurocodes wurde in vielen Ländern durch Nationale Anwendungsdokumente ergänzt, so auch in Deutschland. Hierzu wurden im Fachbereich Grundbau, Geotechnik des DIN die DIN-1054 „Baugrund - Sicherheitsnachweise im Erd- und Grundbau“ und die DIN 4020 „Geotechnische Untersuchungen für bautechnische Zwecke“ überarbeitet und als „Ergänzende Regelungen zu DIN- EN- 1997-1 bzw. -2“ eingeführt. Dabei wurden gegenüber den früheren nationalen Normen alle Regelungen gestrichen, die schon in der EN 1997-1 enthalten waren, und die zugehörigen national zu bestimmenden Parameter (NDP) der EN 1997-1 festgelegt, wie z. B. die Teilsicherheitsbeiwerte und die in Deutschland anzuwendenden Nachweisverfahren. Im Ergebnis wurden im Jahr 2011 im Handbuch Eurocode 7 „Geotechnische Bemessung - Band 1 Allgemeine Regeln“, die EN 1997-1, der Nationale Anhang und die überarbeitete DIN 1054 „Baugrund - Sicherheitsnachweise im Erd- und Grundbau - Ergänzende Regelungen zu DIN EN 1997-1“ zusammengefasst, um dem Anwender die jetzt gültigen Bemessungsregeln nutzerfreundlich in einem Dokument zu Verfügung zu stellen. Mit dem Mandat M/ 466 der Europäischen Kommission an das CEN (Europäisches Komitee für Normung) vom Mai 2010 wurde bereits die zukünftige Weiterentwicklung der Eurocodes initiiert, Basierend auf der Antwort von CEN/ TC-250 auf dieses Mandat M/ 466 entstand ab 2012 das Mandat M/ 515, auf dessen Basis TC-250 im Jahr 2013 ein Arbeitsprogramm für die Überarbeitung der Eurocodes vorgelegt hat, dass 77 Einzelaufgaben umfasste. 14 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 EN 1997: 2024 - Die zweite Generation des Eurocode 7 Abb. 1 Normenstruktur und Regelungsinhalte der zweiten Generation des Eurocode 7, Teil 1 bis 3, und des Eurocode 0 Auf dieser Basis erhielt das CEN/ TC-250 im Frühjahr 2015 den Auftrag und auch die finanzielle Unterstützung, die Eurocodes analog zu diesem Arbeitsprogramm zu überarbeiten und damit auch den Eurocode 7 in seiner zweiten Generation zu erstellen. Über die Ergebnisse dieser Arbeit wird nachfolgend, motiviert durch den Umstand, dass die Normenentwürfe nun final vorliegen, berichtet. 2. Zweite Generation des Eurocode 7 2.1 Zeitliche Entwicklung Die zweite Generation des Eurocode 7, die sich derzeit in der Phase der finalen Abstimmung befindet, ist das Ergebnis einer mehr als dreizehnjährigen Entwicklung. Abbildung-2 zeigt diese Entwicklung im Überblick und erläutert das Vorgehen am Beispiel des Kapitels 6 ´Piled Foundation´ im Eurocode 7, Teil 3; dies vor dem Hintergrund, dass der Autor dieses Thema als Obmann des Pfahlausschusses besonders intensiv begleitet hat. Bereits im Mai 2010 hat die Europäische Kommission mit dem Mandat M/ 466 die zukünftige Weiterentwicklung (´Evolution´) der in dem europäischen Normenausschuss CEN/ TC 250 ´Structural Eurocodes´ von neun Subcommittees (SC 1 bis SC 9) betreuten neun Bemessungsnormen im Bauwesen (EN 1991 bis EN 1998 bzw. EC 1 bis EC 9) sowie der Norm EN 1990 (EC 0) initiiert. Im CEN (Europäisches Komitee für Normung) wirken dabei insgesamt 29 Mitgliedsstaaten mit, darunter auch Großbritannien und die Schweiz. Das Mandat M/ 466 beinhaltete zwei wesentliche Aufgaben: a. die Erstellung neuer Eurocodes bzw. neuer Teile für bestehende Eurocodes, um bisher nicht geregelte Bauweisen und Strukturen (z. B. Glasstrukturen, Faserverbundwerkstoffe, …) abzudecken, und b. die Weiterentwicklung der bestehenden Eurocodes mit den Teilzielen, u. a. • die Anzahl der sogenannten ´Nationally Determined Parameters´ (NDPs), hierzu zählen Teilsicherheitsbeiwerte, Modellfaktoren, Streuungsfaktoren etc., die national nachgeregelt, d. h. abweichend festgelegt werden können, zu reduzieren; • aktuelle Entwicklungen und Forschungsergebnisse zu berücksichtigen; • neue ISO-Normen zu berücksichtigen; • die bestehenden Regelungen zu vereinfachten und die Benutzerfreundlichkeit zu erhöhen. Der für den Eurocode 7 verantwortliche SC 7 hat darauf hin zu spezifischen Themen 14 ´Evolution Groups´ gegründet, die in dem Zeitraum 2011 bis 2015 die bestehenden Kapitel des aktuellen Eurocodes 7 der ersten Generation überprüft haben und sich zu-dem neuen, bisher nicht im EC 7 abgedeckten Themen wie ´Ground Improvement´, ´Tunneling´ und ´Rock Mechanics´ gewidmet haben mit dem Ziel, Konzepte und Perspektiven für eine zukünftige Überarbeitung und Fortschreibung des Eurocode 7 zu entwickeln. In dieser ersten Phase hat die Evolution Group EG 7 ´Pile Design´ (Obmann: Prof. Ch. Moormann) grundsätzliche Anregungen zur Entwicklung und Neustrukturierung des Kapitels 7 „Pfahlgründungen“ des derzeitigen EC 7-1 erarbeitet. Parallel erarbeitete das CEN auf Basis einer weiteren Anforderung (Mandat M/ 515) der Europäischen Kommission ein detailliertes Arbeitsprogramm, das bezogen auf den Eurocode 7 sechs Aufgabenfelder vorsah, zu denen u. a. ´Harmonization and Ease-of-use´, aber auch die Erarbeitung neuer Regelungen u. a. für ´Reinforced Ground´, ´Ground Improvement´, ´Rock Mechanics´ und ´Dynamic Design´ vorsah. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 15 EN 1997: 2024 - Die zweite Generation des Eurocode 7 Abb. 2 Evolution der zweiten Generation des Eurocode 7 am Beispiel des Kapitels ´Piled foundations´ aus dem EN 1997-3 (Moormann 2022b) Auf dieser Basis hat die Europäische Kommission 2014 beschlossen, die „Evolution of Next Generation of Eurocodes“ zu betreiben und zu finanzieren. Dabei wurden die Harmonisierung der unterschiedlichen nationalen Regelungen mit Verringerung der NDPs und die Vereinfachung der Handhabung des Regelwerkes als besondere Anforderungen hervorgehoben. Damals vorgesehen war für den Eurocode 7 eine Überarbeitungszeit von 2015 bis 2019 und eine Veröffentlichung der zweiten Generation der Eurocodes Ende 2020. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch beschlossen, dass der Eurocode 7 zukünftig, d. h. in der zweiten Generation aus drei Teilen bestehen wird: • Teil 1 „General Rules“, • Teil 2 „Ground Properties“ und • Teil 3 „Geotechnical Structures“. Ausgehend von dem positiven Votum der Europäischen Kommission nahmen 2015 alle Subcommittees des CEN/ TC 250 ihre konkrete Bearbeitung der Eurocodes auf, so auch der für den Eurocode 7 zuständige SC-7. Im CEN/ TC 250/ SC 7 wurde in diesem Kontext im Laufe des Jahres 2015 für die konkrete Erarbeitung der neuen Norm die Arbeit umstrukturiert: unter dem Dach von entsprechend der zukünftigen Unterteilung des Eurocode 7 drei Working Groups (WG) wurden zahlreiche Task Groups (TG) gebildet, die in dem Zeitraum 2015 bis 2020 die Arbeit der mit der eigentlichen Ausarbeitung der Normentexte betrauten Project Teams (PT) im Sinne des kritisch-konstruktiven Reviews und der kontinuierlichen Unterstützung begleiten sollten (Abb. 2). Während die Project Teams jeweils nur aus 4 bis 6 ausgewählten und vertraglich gebundenen Experten bestanden, die für die Entwicklung und Ausarbeitung des Normentextentwurfs verantwortlich waren, waren die Task Groups deutlich größere Gremien, in denen alle 29 Mitgliedsstaaten Vertreter entsenden konnten. Die Task Group WG 3/ TG 3 ´Pile Foundations´ (Obmann Prof. Ch. Moormann) begleitete dabei exemplarisch die Fortschreibung der Regelungen für die Pfahlgründungen. Bei der Auswahl der Mitarbeiter und Leiter in den Project Teams wurde auf eine ausgeglichene Repräsentanz der Nationen und Regionen geachtet. Eine große Zahl der Experten kam dabei aus Deutschland. Im Ergebnis dieser Phase wurde zunächst von den Project Teams PT 1 und PT 2 der Eurocode 7, Teil 1, und dann von dem Project Team PT 3 der Eurocode 7, Teil 2, sowie von den Project Teams PT 4 und PT 5 der Eurocode 7, Teil 3, im Entwurf vorgelegt. Das Kapitel 6 ´Piled Foundations´ im zukünftigen Teil 3 des Eurocode 7 wurde dabei von dem Project Team PT 4 (Obmann: Prof. Ch. Moormann) erarbeitet. In dieser Phase wurden die Entwürfe für alle drei Teile des Eurocode 7 von den Task Groups, aber auch wiederholt von den nationalen Spiegelausschüsse intensiv kommentiert. Auf das Kapitel „Pfahlgründungen“ entfielen dabei stets besonders viele Kommentare. So gingen auf den im Oktober 2019 vorgelegten ´Final Draft´ des Clause 6: ´Piled Foundations´ im Ergebnis des Reviews durch die nationalen Spiegelausschüsse allein 1.035 Kommentare ein. 16 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 EN 1997: 2024 - Die zweite Generation des Eurocode 7 Abb. 3 Aktuelle Struktur des europäischen Normenausschusses SC 7 zur Finalisierung der zweiten Generation des Eurocode 7 (Moormann 2022a) Das vorläufig abschließende Dokument des EN 1997-3 wurde unter Berücksichtigung dieser Kommentare im Mai 2020 veröffentlicht. Dabei konnten gegenüber zwischenzeitlichen, stark kritisierten Versionen eine deutliche Straffung und inhaltliche Optimierung erreicht werden. Eine vorläufig letzte Fassung aller drei Teile des Eurocodes 7 wurde im Ergebnis eines weiteren Kommentierungs- und Harmonisierungsprozesses Ende April 2021 veröffentlicht. Diese Fassung war formal die Grundlage für die ´Formal Enquiry´, die den nationalen Spiegelausschüssen die letzte Gelegenheit zur inhaltlichen Kommentierung bot und die im 4. Quartal 2022 stattfand. Den Zeitraum von April 2021 bis September 2022, in denen die Normentwürfe u. a. mit einer deutsch- und französischsprachigen Übersetzung für den ´Formal Enquiry´ vorbereitet wurden, nutzte das zuständige europäische Normungsgremium SC 7, um selber die vorliegenden Entwürfe des EN 1997 noch einmal zu überprüfen und weiter zu harmonisieren. Hierzu hat sich der SC 7 mit seinen Task Groups im Jahr 2021 umstrukturiert (Abb. 3). Während die Task Group TG A die Dokumente finalisiert, werden die Entwürfe des Eurocode 7 in der Task Group TG B durch deren Anwendung auf Bemessungsbeispiele u. a. durch eine Gruppe junger Ingenieure aus ganz Europa geprüft bzw. getestet. Die Task Group TG-C erarbeitet Richtlinien bzw. Leitfäden zu besonderen Themen, die die Anwendung der neuen Normengeneration des EC-7 vereinfachen sollen, und TG-D prüft die Kapitel des prEN 1997-3, also des neuen Eurocode 7, Teil 3, auf Konsistenz. Zu den für das Thema „Pfähle“ relevanten Task Groups zählt insbesondere die TG-D2 ´Foundations´ (Abb. 3). In dieser Phase wurde zu einzelnen, spezifischen Aspekten Verbesserungs- und Änderungsvorschläge (´Change Requests´) erarbeitet, mit denen der Entwurfsstand optimiert wurde. Diese Change Requests sind als auf europäischer Ebene geeinigte Kommentare in die Formal Enquiry eingeflossen. Auch in diesen Prozess waren deutsche Delegierte in allen Arbeitsgruppen und Ebenen maßgeblich involviert. Aktuell befindet sich die Bearbeitung des Eurocodes 7 in einem finalen Bearbeitungszustand. Im vierten Quartal 2022 fand die sogenannte Entwurfsumfrage (´Formal Enquiry´) statt, die den nationalen Spiegelausschüssen und der Fachöffentlichkeit die letzte Gelegenheit zur inhaltlichen Kommentierung bot. Die Kommentare wurden im Zeitraum Januar bis August 2023 in die Normentwürfe eingearbeitet, die dann inklusive deutsch- und französischsprachiger Übersetzung für die Schlussumfrage (´Formal Vote´) vorbereitet werden. Dieses ´Formal Vote´ wird dann für die Teile 1 und 2 des EN-1997 im April und Mai 2024 stattfinden, so dass mit der Veröffentlichung dieser beiden Teile des Eurocode 7 durch das CEN im August 2024 zu rechnen ist. Für den Teil 3 des Eurocode 7 hat der deutsche Spiegelausschuss im Mai 2023 eine sechsmonatige Verlängerung der Bearbeitungszeit beim TC-250 beantragt. Diesem Antrag wurde zugestimmt, so dass der aktuelle Zeitplan für den Teil 3 vorsieht, dass das finale Dokument bis zum 14.02.2024 an das CEN geht, das den Formal Vote dann 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 17 EN 1997: 2024 - Die zweite Generation des Eurocode 7 für den August 2024 vorbereiten wird, so dass die zweite Generation des Eurocode 7 ab dem zweiten Quartal 2025 vollständig verfügbar sein wird. Auf nationaler Ebene muss die Veröffentlichung des Eurocode 7 spätestens bis zum 30. September 2027 erfolgen. Der Zeitplan zur Erstellung der Nationalen Anhänge ist auf deutscher Seite noch festzulegen. 2.2 Eurocode 0 und Eurocode 7: 2024 mit drei Teilen Der Eurocode 7 (EN 1997) wird in seiner zweiten Generation wie erläutert aus drei Teilen bestehen: Teil 1 ´General Rules´, Teil 2 ´Ground Properties´ und Teil 3 ´Geotechnical Structures´. Wie Abbildung 1 verdeutlicht, gewinnt in der 2. Generation der Eurocode EN 1990 für die Geotechnik an Bedeutung, da er zukünftig nicht nur Bemessungsgrundlagen für die Tragwerksplanung, sondern auch für die Geotechnik beinhaltet, für die Inhalte aus dem heutigen EC 7-1 in den EC 0 „wandern“. Im Eurocode 0 werden im Hinblick auf das Pile Design u. a. sowohl die Consequence Classes als auch die Teilsicherheitsbeiwerte g F und g E auf Einwirkungen und Beanspruchungen für die Verification Cases VC1 bis VC4 (früher: Design Classes) definiert, und zwar ausdrücklich auch für geotechnische Nachweise. Der neue Eurocode 7, Teil 1, auf den nachfolgend näher eingegangen wird, wird nur noch die Grundlagen der Bemessung in der Geo-technik regeln. Dazu zählen die Prinzipien und Anforderungen hinsichtlich Sicherheit, Gebrauchstauglichkeit, Robustheit und Dauerhaftigkeit von geotechnischen Konstruktionen. In EN 1997-1 werden in diesem Sinne u. a. die Geotechnischen Kategorien (´Geotechnical Category GC´), die auf Bodenkennwerte anzusetzenden Teilsicherheiten g M , die Konsequenzfaktoren K M und K R , Anforderungen zur Berücksichtigung von Grundwasser und auch die grundsätzlichen Anforderungen an den Nachweis der Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit geotechnischer Konstruktionen spezifiziert. Die neue Version der Eurocode 7, Teil 2, trägt den Titel „Ground properties“ (Baugrundeigenschaften). Die Änderung des Titels von vormals „Ground investigation“ (Baugrunderkundung) ist mit einer vollständigen Neuordnung der inhaltlichen Struktur des Dokumentes verbunden, das nunmehr darauf ausgerichtet ist, die Bestimmung der einzelnen boden- und felsmechanischen Kennwerte zu regeln. Die aktuell noch im Anhang des Eurocode 7, Teil 2 enthaltenen Berechnungsverfahren, z. B. für die empirische Ableitung von Pfahlwiderständen aus CPT-Versuchen, werden zukünftig sinnvollerweise in den Teil 3 des EC 7 integriert sein. Der neue Eurocode 7, Teil 3, auf den nachfolgend ebenfalls detaillierter eingegangen wird, hat für die Anwendung in der Ingenieurpraxis vermutlich die größte unmittelbare Relevanz, da er für die Bemessung aller geotechnischen Konstruktionen die erforderlichen Nachweise im Grenzzustand der Tragfähigkeit (ULS) und im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit (SLS) spezifiziert, Berechnungsmodelle vorgibt und allgemein alle für die Bemessung relevanten Aspekte regelt. 3. EN 1997-1: 2024 ´Geotechnical rules´ Eurocode 7, Teil 1, formuliert Prinzipien und Anforderungen hinsichtlich Sicherheit, Gebrauchstauglichkeit, Robustheit und Dauerhaftigkeit von geotechnischen Bauten. Für alle Eurocodes wird vorausgesetzt, dass sie von angemessen qualifiziertem und erfahrenem Personal, definiert in EN 1990, Annex B4 angewendet werden. Nachfolgend werden auf bauend auf (Weihrauch et al. 2022) wesentliche Regelungen und Neuerungen im EN-1997-1 vorgestellt. 3.1 Grundsätzliche Festlegungen In EN 1997-1 finden sich einige grundlegende Festlegungen, zu denen auch Begriffsdefinitionen gehören. Diesbezüglich werden nachfolgende besonders relevante Begriffe exemplarisch erläutert: • zone of influence: Sie beschreibt die Ausdehnung des Bereiches, der in der Umgebung von geotechnischen Bauten Einfluss auf die Struktur nimmt und von der Struktur beeinflusst wird. Bei der Baugrunduntersuchung muss diese zone of influence erkundet werden. • geotechnical design model: Geotechnische Überlegungen und Nachweise beruhen auf Modellen. Ein geotechnical design model enthält zunächst geometrische Beschreibungen der Ausdehnung und Lage von Bereichen des Baugrunds (Homogenbereiche), verbunden mit der Beschreibung der Eigenschaften und den Parametern von Stoffmodellen und beschreibt auch die Grundwassersituation. Solche Modelle müssen verifiziert und validiert werden, auch dafür werden im EC 7 Anforderungen gestellt. • Verification Case (VC): Die auf eine Konstruktion einwirkende Last oder Beanspruchung wird je nach betrachteter Bemessungssituation mit unterschiedlichen Teilsicherheitsbeiwerten verknüpft. Die VCs, früher Design Case (DC) genannt, und die zugehörigen Teilsicherheitsbeiwerte sind in EN 1990 wie folgt definiert: - Verification Case 1 (VC 1) is used both for structural and geotechnical design. - Verification Case 2 (VC2) is used for the combined verification of strength and static equilibrium, when the structure is sensitive to variations in permanent action arising from a single-source. - Verification Case 3 (DC3/ VC3) is typically used for the design of slopes and embankments, spread foundations, and gravity retaining structures. - Verification Case se 4 (DC4/ VC4) is typically used for the design of transversally loaded piles and embedded retaining walls and (in some countries) gravity retaining structures. Bei VC 1 wird unterschieden, ob eine Einwirkung günstig oder ungünstig wirkt, was mit verschiedenen Teilsicherheitsbeiwerten verknüpft ist. • values of ground properties: hier wird zwischen derived values, characteristic values, representative values, design values und best estimate values unterschieden. Ein derived value ist ein Wert, der aus Theorie, Korre- 18 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 EN 1997: 2024 - Die zweite Generation des Eurocode 7 lation oder Testergebnissen ermittelt wurde. Ein nominal value ist dagegen ein Wert, der mit gesundem Ingenieurverstand auf der sicheren Seite liegend vorsichtig abgeschätzt wird. Bei einem characteristic value liegt der Wertermittlung eine statistische Untersuchung zu Grunde und er entspricht in der Regel einem 5 %- oder 95 %-Fraktilwert. Aus einem charakteristischen oder nominalen Wert wird ein representative value gebildet, wobei eine Multiplikation mit einem Konversionsfaktor vorgenommen wird, mit dem z. B. Alterungseffekte berücksichtigt werden können. Dem Anwender ist freigestellt, ob er dem repräsentativen Wert einen charakteristischen oder einen nominalen Wert zu Grunde legt. Durch Multiplikation mit einem Teilsicherheitsbeiwert wird aus dem repräsentativen Wert der design value gebildet. Mit einem best estimate value of a ground property wird ein Wert bezeichnet, der den tatsächlichen Wert mit höchster Wahrscheinlichkeit trifft, z. B. aus Rückrechnungen und mit dem Ziel, möglichst zutreffende Verformungen zu ermitteln. • Bei Grundwasserdruck ist ebenfalls zwischen repräsentativen Werten und Bemessungswerten zu unterscheiden. Der in Deutschland häufig verwendete „Bemessungswasserspiegel“ mit typischen Jährlichkeiten zwischen 50 und 200 Jahren für den Fall, dass ausreichend lange Messreihen herangezogen werden können, oder andernfalls ein mit den Verantwortlichen abgestimmter vorsichtiger Schätzwert bewirkt einen repräsentativen Wasserdruck. Für die Festlegung des Bemessungswerts des Wasserdrucks sind daraus folgend drei Alternativen vorgesehen: - direkte Festlegung, - Festlegung eines Zuschlags zum repräsentativen Wert der piezometrischen Druckhöhe, - Anwendung eines Teilsicherheitsbeiwertes auf den Druck oder auf die Auswirkungen des Wasserdrucks. 3.2 Basis of design (Bemessungsgrundlagen) 3.2.1 Geotechnical reliability (Zuverlässigkeit) Die Zuverlässigkeit geotechnischer Konstruktionen nach transparenten Kriterien sicherzustellen, ist eine im europäischen Mandat verankerte zentrale Aufgabe des EC 7, der dazu verschiedene Kriterien vorgibt. • Alle geotechnischen Konstruktionen sollen Geotechnical Complexity Classes (GCC) zugeordnet werden, womit die Unsicherheit und Variabilität hinsichtlich der Baugrundverhältnisse und der Sensibilität bezüglich von (Grund-)Wasser sowie Komplexität der Boden-Bauwerk- Interaktion bewertet werden. • Außerdem fordert EN 1990 eine Zuordnung zu Consequence Classes (CC), womit die Bedeutung der Konstruktionen im Fall eines Versagens erfasst wird. Die CC wirkt sich mit einem Faktor K F auf die Teilsicherheitswerte für Einwirkungen aus. Die Faktoren K F sind NDP und es ist angedacht, sie in Deutschland auf den Wert 1 zu setzen. • Aus der Kombination von GCC und CC ergibt sich eine Zuordnung zur Geotechnical Category (GC), die aber auch durch unmittelbarere Zuordnung (siehe Tabelle mit Merkmalen in DIN 1054/ 4020) ermittelt werden kann. Die GC hat Auswirkungen auf die Erkundung und das Qualitätsmanagement von Entwurf und Ausführung. 3.2.2 Allgemeine Anforderungen Ohne besonders große Regelungstiefe werden Anforderungen gestellt an: • Robustheit: Forderung nach Duktilität; Vermeidung großer Schäden durch verhältnismäßig kleine und unplanmäßige Zusatzeinwirkungen oder durch Toleranzüberschreitungen; • Dauerhaftigkeit: insbesondere infolge Einwirkungen aus der Umgebung und Umwelt; • Nachhaltigkeit: Ressourcenschonung, Lebenszyklusbetrachtung, Recycling; • Qualitätsmanagement: Regelung hinsichtlich Kontrollen, Prüfungen, z. T. in Abhängigkeit von der Geotechnischen Kategorie durch Festlegung von - Design Qualification and Experience Level, - Design Check Level, - Inspection Level, - Validierung des Geotechnischen Design Models sowie aller Informationen aus dem Geotechnical Investigation Report (GIR) und der Nachweis-Modelle. 3.2.3 Basic variables; Actions, Influences, Material properties • Actions: Berücksichtigung permanenter und variabler Einwirkungen, von cyclic und dynamic actions sowie accidental actions. • Influences: Es sind auch Einflüsse zu berücksichtigen, die keine unmittelbaren Einwirkungen darstellen, z. B. aus Klima, Grundwasserschwankungen, Hohlräumen, chemischem Angriff, biologischer Aktivität. • Material and Product Properties: Regelungen zu repräsentativen Eigenschaften, charakteristischen Werten (mit Anhang A zu statistischen Grundlagen), nominalen und best-estimate Werten. 3.2.4 Mögliche Nachweise der Standsicherheit Um mit dem geotechnischen Entwurf die Standsicherheit geotechnischer Konstruktionen nachzuweisen, sind mehrere Methoden im EC 7 verankert. • Design by calculation: Bei diesem Ansatz werden Grenzzustandsnachweise geführt, mit denen nachzuweisen ist, dass Einwirkungen oder Beanspruchungen, die mit Teilsicherheitsbeiwerten erhöht werden, kleiner sind als Widerstände, die mit Teilsicherheitsbeiwerten vermindert werden bzw. mit reduzierten Materialkennwerten errechnet werden. • Design by prescriptive rules: Vereinfachte Nachweisführung durch national vorgegebene Erfahrungs- oder Bemessungswerte, z. B. durch Anwendung von 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 19 EN 1997: 2024 - Die zweite Generation des Eurocode 7 Tabellen, wie sie in Deutschland für zulässige Sohldruckspannungen verwendet werden. • Design by testing: Auch durch Feldversuche bzw. Probebelastungen kann gezeigt werden, dass ein Bauteil oder ein Bauwerk nicht versagt, wie dies z. B. bei Anker- oder Pfahlprobebelastungen üblich ist. • Design by observational method: Anwendung der Beobachtungsmethode in Form einer Bauausführung mit messtechnischer Begleitung, Dabei wird der Bauablauf schrittweise gestaltet und nach jedem Schritt geprüft, ob die Messwerte im vorher errechneten Bereich verbleiben. Sobald festgestellt wird, dass Warnwerte oder Grenzwerte erreicht oder überschritten werden, wird der Bauablauf derart angepasst, dass im weiteren Verlauf die Messwerte im vorher als zulässig nachgewiesenen Bereich verbleiben. Die Anwendung der Beobachtungsmethode setzt ein duktiles Verhalten des Systems voraus, bei dem genügend Puffer für die Anpassung der Bauverfahren bleibt, wenn dies aufgrund bedenklicher Messwerte erforderlich ist, und plötzliches Versagen ohne messbare Vorankündigung ausgeschlossen ist. Mögliche angepasste Bauverfahren und messbare Auswirkungen im Baugrund oder der geotechnischen Konstruktion, z. B. Verformungen, Kräfte oder Spannungen mit zugehörigen Erwartungs- und Grenzwerten müssen vor der Bauausführung mit Anwendung der Beobachtungsmethode detailliert geplant werden. 3.2.5 Limit states (Grenzzustände) Clause 8 des EN-1997-1 beschäftigt sich mit den Grenzzuständen der Tragfähigkeit (ULS), die teilweise hier nur aufgelistet und später in Teil 3 des EC 7 detailliert behandelt werden. Nachweise gegen den Verlust des vertikalen Gleichgewichts und hydraulische Versagensarten werden jedoch an dieser Stelle des Teils 1 geregelt. Der auch in EN 1990 geforderte Nachweis gegen ´ failure due to excessive deformations of the ground´ ist in Deutschland aktuell nicht als solcher in den Regelwerken erfasst. Es geht darum auszuschließen, dass ein Bauwerk dadurch versagt, dass der Baugrund unverträglich große Verformungen erfährt, sei es durch die Belastung des Bauwerks selbst oder durch benachbarte Einwirkungen. Dabei geht es nicht um Baugrundversagen. Mit der Regelung soll sichergestellt werden, dass ein Einsturz unterirdischer Hohlräume, der Kollaps von entsprechend strukturierten Böden wie z. B. Löss, Baugrundverflüssigung, oder Verformungen durch chemische Umwandlungen wie bei Anhydrit nicht zu Bauwerksversagen führen. Zur Diskussion steht aber auch, die Baugrundverformungen infolge von um Teilsicherheitsbeiwerte erhöhte Einwirkungen aus dem Bauwerk selbst als unschädlich nachzuweisen. Gegenüber dem Gebrauchstauglichkeitsnachweis, dass Verformungen des Baugrunds infolge der repräsentativen Bauwerksbelastungen im verträglichen Rahmen bleiben, stellt der Nachweis gegen excessiv deformations ein deutlich vorsichtigeres Vorgehen dar. Statt einen Nachweis zu führen, wird es häufig zielführend sein, durch eine Baugrundverbesserung oder konstruktive Maßnahmen exzessive Verformungen auszuschließen. Beim Nachweis gegen ´loss of rotational equilibrium´ geht es z. B. um das Kippen eines Turmfundamentes auf hartem Fels, in dem kein Baugrundversagen gibt, aber eine klare Kippkante angenommen werden kann. In nachgiebigem Boden muss ein Umkippen dadurch verhindert werden, dass kein Grundbruch unter exzentrischer, geneigter Einwirkung auftritt. Der Nachweis gegen den Verlust des vertikalen Gleichgewichts infolge von Auftrieb gilt nicht nur für hohle Baukörper, sondern auch für undurchlässigen Baugrund, unterhalb dessen Wasserdruck führender durchlässiger Baugrund ansteht. Hier ist ein Vergleich destabilisierender Auftriebskräfte mit stabilisierenden Eigengewichts- und Reibungskräften, aber auch mit Bauteilwiderständen z. B. durch Anker zu führen. Die geforderten und geregelten Nachweise gegen hydraulisches Versagen erfassen den hydraulischen Grundbruch sowie internal erosion und piping. Das Nachweisformat beim hydraulischen Grundbruch ist etwas anders, als es bisher gebräuchlich war, die Ergebnisse und Konsequenzen ändern sich aber nicht. Die Regelungen gegen Versagen infolge zyklischer Einwirkungen enthalten nur Hinweise auf zu berücksichtigende Phänomene aber keine zu führenden Nachweise. Den numerischen Verfahren, die inzwischen eine überragende Bedeutung bei Nachweisen in der Geotechnik aufweisen, wird ausführliche Beachtung gegeben. Im Hinblick auf Standsicherheitsnachweise sind hier zwei Nachweisverfahren von Bedeutung, der Material Factor Approach (MFA) und der Effect Factor Approach (EFA). Beim MFA wird gezeigt, dass auch mit um Teilsicherheitsbeiwerte abgeminderten Materialparametern der Festigkeit noch ein Gleichgewicht möglich ist. Beim EFA werden um mit Teilsicherheitsbeiwerten erhöhte Beanspruchungen mit um mit Teilsicherheitsbeiwerten verminderte Widerstände im Bauteil oder im Baugrund verglichen. Der EC 7 fordert im Regelfall, dass beide Nachweisverfahren angewendet werden und das ungünstigere Ergebnis zu berücksichtigen ist, aktuell wird aber im SC 7 diskutiert, hier nationale Freiräume zu belassen. In Clause 9 des EN-1997-1 werden die Grenzzustände der Gebrauchstauglichkeit (SLS) behandelt. Verformungen des Baugrunds unter Gründungen werden weiterhin ohne Berücksichtigung von Teilsicherheitsbeiwerten für Einwirkungen oder für Baugrundsteifigkeiten ermittelt. Die Kriterien zur Überprüfung, welche Verformungen verträglich sind, sind neuerdings in EN 1990 geregelt, nicht mehr im EC 7. Auch hydraulische Aspekte der Gebrauchstauglichkeit sollen erfasst werden. 3.2.6 Implementation of design, testing, reporting Diese Themen sind in EN 1997-1 in den Clauses 10 bis 12 geregelt. Es wird die Wichtigkeit unterstrichen, die für den geotechnischen Entwurf wichtigen Aspekte, Voraussetzungen und Erkenntnisse in die Phase der Bauausführung zu übertragen. Supervision (Aufsicht und 20 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 EN 1997: 2024 - Die zweite Generation des Eurocode 7 Kontrolle), Inspection (Überprüfung) und Monitoring (Überwachung) sind die Werkzeuge dafür. Auch die Maintenance (Wartung) während der Nutzungszeit des geotechnischen Bauwerks gehört in diesen Zusammenhang. Es verwundert, dass die genannten Aktivitäten nur im EC 7 behandelt werden, nicht aber in den materialbezogenen europäischen Baunormen. Testing muss regelkonform geplant und ausgewertet werden. Es kann dazu dienen, Baugrundparameter zu ermitteln, die Ausführbarkeit des Entwurfs, den Widerstand geotechnischer Konstruktionen gegen Einwirkungen und die erreichte Qualität zu überprüfen. Das Reporting dient der Transparenz und Nachprüf barkeit auf der Basis von Dokumentationen. EC 7 legt wesentliche Punkte fest, die im Ground Investigation Report (GIR), dem Geotechnical Design Report (GDR), dem Geotechnical Construction Report (GCR) und für Tests dokumentiert werden müssen. Hier werden Anforderungen festgelegt, nicht (nur) Empfehlungen gegeben. 4. EN 1997-3: 2025 ´Geotechnical structures´ 4.1 Inhalt und Gliederung Der neue Teil 3 des Eurocode 7 trägt wie erläutert den Titel ´Geotechnical Structures´ und wurde im Wesentlichen aus den bisherigen Kapiteln 5 bis 12 des bestehenden EN 1997-1 entwickelt, wobei die bisherigen Regelungen grundlegend überarbeitet und ergänzt wurden (Bond et al. 2019b). Zusätzlich wurden fünf Kapitel vollständig neu erarbeitet, die erstmals im Regelungsbereich des Eurocode 7 die Bemessungsaufgaben ´Reinforced fill strutures´, ´Soil nailed structures´, ´Rock bolts and surface support´ und ´Groundwater control´ umfänglich abdecken. Die Struktur des EN 1997-3: 2024 wird somit 13 Kapitel (´Clauses´) umfassen, die sich entsprechend Tabelle 1 gliedern. Tabelle 1 verdeutlicht ferner, wie die Kapitel des aktuellen EN 1997-1, also der bestehenden 1. Generation in den neuen Teil 3 überführt wurden. Dementsprechend wurde beispielsweise das heutige Kapitel 7 ´Pile foundations´ in den neuen Clause 6 ´Piled foundations´ überführt, dabei aber grundlegend überarbeitet. Im Sinne der Benutzerfreundlichkeit (´Ease of use´) wurde für die Kapitel 4 bis 12 des neuen EN 1997- 3 eine einheitliche Struktur, d. h. eine einheitliche Gliederung der Ab-schnitte gewählt, die der Struktur des neuen EN 1997- 1 folgt und in Abbildung 4 dargestellt ist. In den neuen Abschnitten x.3 ´Materials´ erfolgt primär ein Verweis auf EN 1997-2 ´Ground properties´, es wird aber auch auf durch andere ECs bisher nicht abgedeckte materialspezifische Regelungen z. B. zu Geokunststoffen, Suspensionen, Mörtel, etc. verwiesen. In dem ebenfalls neuen Abschnitten x.4 ´Ground-water´ wird primär auf die Regelungen in EN 1997-1, Kapitel 6, verwiesen, die in EN 1997-3 um wenige zusätzliche Regelungen für spezifische Anwendungen bei den einzelnen geotechnischen Konstruktionen ergänzt werden. Tab. 1: Struktur des neuen EN 1997-3: 2024 im Abgleich mit dem bestehenden EN 1997-1: 2004 EN-1997-3: 2024 EN-1997-1: 2004 1 Scope - 2 Normative references - 3 Terms, definitions, and symbols - 4 Slopes, cuttings, and embankments 11 ´Overall Stability´ und 12 ´Embankments´ 5 Spread foundations 6 ´Spread Foundations´ 6 Piled foundations 7 ´Pile Foundations´ 7 Retaining structures 9 ´Retaining Structures´ 8 Anchors 8 ´Anchorages´ 9 Reinforced fill structures neu (Abs. 5.5 ´Ground improvement & reinforcement´) 10 Soil nailed structures neu 11 Rock bolts and surface support neu 12 Ground improvement neu (Abs. 5.5) 13 Groundwater control neu (Abs. 5.4 ´Dewatering´) Annexes A-G (zu Clauses 4, 5, 6, 7, 8, 9 und 12) In dem Abschnitt x.5 ´Geotechnical analysis´ jedes Kapitels werden die Rechenmodelle und Berechnungsansätze spezifiziert, die den Anspruch haben, im europäischen Maßstab weit verbreitet und allgemein akzeptiert zu sein. Teils stammen diese Berechnungsansätze aus den Anhängen des aktuellen Eurocode 7, Teil 1 und 2, teils sind diese neu. Ein Beispiel ist der für Flachgründungen relevante Abschnitt 5.5, der jetzt u. a. Formeln für die Ermittlung des Grundbruch- und Gleitwiderstandes enthält. Ein zweites Beispiel ist der für Stützbauwerke relevante Abschnitt 7.5, in dem man nun einen Ansatz für die Ermittlung des aktiven Erddrucks findet. Die Eingangsparameter finden sich in beiden Fällen in den jeweils maßgeblichen Anhängen des EN 1997-3, alternativ können diese national festgelegt werden, so wie dies in Deutschland in diesem Fall mit den Normen DIN 4017 für den Grundbruch und DIN 4085 für den Erddruck der Fall ist und bleiben wird. In den Abschnitten 6 ´Ultimate Limit States´ aller Kapitel des Teils 3 werden für jede Anwendung die zu betrachtenden Nachweise sowie für jeden Nachweis die maßgebenden Nachweiskombinationen, d. h. der maßgebende Verification Case und das zugehörige Nachweisformat (RFA/ MFA) sowie für den Resistance Factor Approach die Teilsicherheitsbeiwerte für die geotechnischen Widerstände spezifiziert. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 21 EN 1997: 2024 - Die zweite Generation des Eurocode 7 Abb. 4 Inhaltliche Struktur der zweiten Generation des Eurocode EN 1997-3: 2024 im Abgleich mit EN 1997-1: 2024 (Moormann 2022b) Das Vorgehen für Nachweise im Grenzzustand der Tragfähigkeit kann damit wie folgt zusammenfasst werden: Im EN 1990 werden sowohl die Consequence Classes (mit Consequence Factors K F / K M ) als auch die Teilsicherheitsbeiwerte g F / g E auf Einwirkungen und Beanspruchungen für die Verification Cases VC1 bis VC4 definiert und zwar auch für die geotechnischen Nachweise. In EN 1997-1 finden sich dann die Teilsicherheitsbeiwerte g M (M1/ M2) auf die Materialkennwerte, während im EN 1997-3 die Definition des Nachweisformats für jede Anwendung/ Struktur sowie die Teilsicherheitsbeiwerte g R für die Widerstände spezifiziert werden (Estaire et al. 2019). Analoges gilt für die Abschnitte x.7 ´Serviceability limit states´. Die neuen Abschnitte x.8 ´Implementation of design´ widmen sich der Übertragung der Bemessung in die Ausführung, wobei hier primär auf die Ausführungsnormen des Spezialtief baus (TC 288) verwiesen wird und ergänzende Regelungen zu ´Inspection, Monitoring and Maintenance´ aufgenommen wurden. Die neuen Abschnitte x.9 ´Testing´ sind insbesondere für die Kapitel 6 ´Pile foundations´, 8 ´Anchors´ und 12 ´Ground Improvement´ relevant und beinhalten u. a. Verweise auf Ausführungsnormen für Anker- und Pfahlprobebelastungen (EN ISO 22477). In den neuen Abschnitten x.10 ´Reporting´ erfolgt primär ein Verweis auf die Regelungen in EN 1997-1, Kapitel 12, die um wenige zusätzliche Regelungen für spezifische Anwendungen ergänzt werden. 4.2 Neuerungen in EN 1997-3 Nachfolgend sollen einige ausgewählte wesentliche Änderungen und Neuerungen in EN-1997-3 gegenüber der bestehenden EN-1997-1 exemplarisch vorgestellt und erläutert werden. Clause 4: ´Spread foundations´ Für die Bemessung von Flachgründungen wurden detailliertere Regelungen und Formeln für die Ermittlung des Grundbruchwiderstands und des Gleitwiderstands aufgenommen. Die Nachweisformate für exzentrisch belastete Fundamente wurden modifiziert. Clause 6: ´Piled foundations´ Das Kapitel für die Pfahlgründungen wurde umfassend überarbeitet (Moormann 2016a). Ergänzende Regelungen finden sich u. a. bezüglich der Einwirkung auf Pfähle aus Bodenverformungen, wobei die Vorgaben für die Ermittlung der negativen Mantelreibung weitgehend den bestehenden Empfehlungen der ´EA-Pfähle´ entsprechen (Moormann 2016b). Während sich die aktuelle Fassung des Kapitels 6 im EN-1997-1 ausschließlich mit der Bemessung von Einzelpfählen beschäftigt (Moormann 2018), werden in der Revision konsequent Pfahlgruppen und Kombinierte Pfahl- Plattengründungen (KPP) gleichberechtigt behandelt, d. h. Anforderungen an die Berechnung spezifiziert und ein Nachweisformat formuliert. Damit werden KPPs zukünftig gleichberechtigt zu Flach- und Pfahlgründungen normativ im EC-7 geregelt. Harmonisiert werden konnte auch das Nachweisformat für Pfähle. Danach wird jetzt in Europa einheitlich für axial beanspruchte Pfähle der Resistance Factor Approach genutzt, so wie dies u. a. in Deutschland schon immer Usus war (Moormann 2016b), während für lateral beanspruchte Pfähle im Regelfall der Material Factor Approach anzuwenden ist. Clause 9: ´Reinforced fill structures´ Das neu erstellte Kapitel 9 regelt erstmalig die Nachweisformate und Berechnungsmodelle für alle Arten von be- 22 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 EN 1997: 2024 - Die zweite Generation des Eurocode 7 wehrten Konstruktionen, zu denen in Analogie zur EB- GEO bewehrte Stützkonstruktionen, Dämme mit einer Basisbewehrung (z. B. auf wenig tragfähigem Untergrund), die Bewehrung oberflächennaher geschichteter Systeme und bewehrte Erdkörper über punktförmigen Traggliedern oder auch Sicherung vor Erdeinbrüchen zählen. Dabei werden Bewehrungen aus Geokunststoffen und Stahl berücksichtigt. Clause 10: ´Ground reinforcing structures´ In dem neu entwickelten Kapitel 10 finden sich insbesondere Regelungen für die Bemessung von Bodenvernagelungen, die bisher weder in EC-7 noch auf nationaler Ebene normativ geregelt sind. Während frühere Entwürfe sich nur auf die Elemente solcher Systeme wie Boden- und Felsnägel und das Facing wie Spritzbetonschale, Netze o.ä. bezog, wurde das Kapitel zuletzt dahingehend überarbeitet und fortentwickelt, dass auf dieser Basis Bodenvernagelungen als integrale Konstruktionen ganzheitlich bemessen werden können. Clause 12: ´Ground improvement´ Das Kapitel 12 ´Ground Improvement´ ist ebenfalls vollständig neu. Nach viele Jahre währenden Diskussionen, wie Baugrundverbesserungen im Hinblick auf die Vielzahl von verschiedenen Verfahrenstechniken und Anwendungen überhaupt strukturiert in eine europäische Bemessungsnorm aufgenommen werden können, hat man sich letztlich dafür entschieden eine Klassifikation nach den Bemessungsansätzen vorzunehmen. Es erfolgt daher eine grundlegende Unterscheidung in ´Diffused Ground Improvement´ (´A´), bei denen der verbesserte Baugrund mit seinen veränderten Eigenschaftenn weiterhin als Kontinuum betrachtet werden kann, und ´Discrete Ground Improvement´ (´B´), bei denen diskret wirkende Elemente in den Baugrund eingebracht werden, die eine deutlich höhere Steifigkeit bzw. Scherfestigkeit gegenüber dem umgebenden Baugrund besitzen (Tabelle 2). Insbesondere die Abgrenzungskriterien und Bemessungsansätze für Baugrundverbesserungen des Typs BII ´Discrete ground improvement with rigid inclusions´ waren dabei Gegenstand intensiver Diskussionen. Letztlich ist es aber gelungen, für alle Klassen von Baugrundverbesserungen Ansätze für die Bemessung wie auch für die Nachweisformate im EN 1997-3 zu etablieren. Tabelle-2: Klassifikation von Baugrundverbesserungen nach EN-1997-3: 2024, Clause 12. Class A - Diffused B - Discrete I AI - Diffused with no measureable unconfined compressive strength The improved ground has an increased shear strength or stiffness higher than that of the original ground. The improved ground can be modelled as a ground with improved properties. BI - Discrete with non-rigid inclusions Inclusions, installed in the ground, with higher shear capacity and stiffness compared to the surrounding ground. The unconfined compressive strength of the inclusion is not measurable. II AII - Ground improvement zone with measureable unconfined compressive strength The improved ground is modified from its original natural state, has a measurable unconfined compressive strength and is significantly stiffer than the surrounding ground. Usually, it comprises a composite of a binder and ground. BII - Discrete with rigid inclusions Rigid inclusions, installed in the ground, with unconfined compressive strength and significantly higher stiffness than the surrounding ground. The inclusions can be an engineered material such as timber, concrete/ grout or steel or a composite of a binder and ground. Clause 13: ´Groundwater control´ Das neue Kapitel 13 befasst sich mit allen Formen der ´Groundwater control´, i.e. Grundwasserhaltungsmaßnahmen, künstliche Dichtelemente etc. Die Regelungen haben dabei eher den Charakter allgemeiner Empfehlungen, denn konkreter Bemessungsvorgaben, so dass dieses Kapitel nur bedingt überzeugt. 5. Resümee und Ausblick In der Gesamtschau wird der Eurocode 7 der zweiten Generation weitgehend mit der aktuellen nationalen Bemessungspraxis gemäß des deutschen Handbuchs Eurocode 7, Band 1, kompatibel sein, so dass mit Einführung der zweiten Generation des Eurocode 7keine tiefgreifenden Veränderungen bei der geotechnischen Bemessung zu erwarten sein werden, wohl aber umfangreiche Änderungen bei Anforderungen und Nachweisen im Detail. In diesen Kontext ist auch zu berücksichtigen, dass alle Tabellen als ´Nationally Determined Parameters´ (NDP) markiert sind und daher von den nationalen Spiegelausschüssen nicht nur die Zahlenwerte der hier dokumentierten Parameter national angepasst werden können, sondern auch die Struktur der Tabellen modifiziert und zum 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 23 EN 1997: 2024 - Die zweite Generation des Eurocode 7 Beispiel durch weitere Zeilen oder Spalten mit zusätzlichen Werten, beispielsweise für vorübergehende Bemessungssituation, ergänzt werden können. Erste Vergleichsberechnungen zeigen, dass für wesentliche repräsentative Bemessungsaufgaben mit den Default- Werten des EN 1997-3: 2025 vergleichbare Ergebnisse zu der aktuellen Fassung des Normenhandbuchs Eurocode 7, Band 1, erzielt werden. Es ist als Fortschritt zu werten, dass zahlreiche regelmäßige Bemessungsaufgaben, wie Baugrundverbesserungen, Bodenvernagelungen, bewehrte Erdkörper, Kombinierte Pfahl-Plattengründungen etc. nunmehr europaweit einheitlich durch den Eurocode 7 abgedeckt werden. Literatur Bond, A.J., Formichi, P., Spehl, P., van Seters, A.J. (2019a): Tomorrow’s geotechnical toolbox: EN 1990: 202x Basis of structural and geotechnical design. Proc. 17th European Conf. on Soil Mechanics and Geotechnical Engineering, ECSMGE 2019, Reykjavik, Iceland Bond, A.J.; Jenner, C.; Moormann, Ch. (2019b): Tomorrow’s geotechnical toolbox: EN 1997-3: 202x Geotechnical Structures. Proc. 17th European Conf. on Soil Mechanics and Geotechnical Engineering, ECSMGE 2019, Reykjavik, Iceland Estaire, J., Arroyo, M., Scarpelli, G., Bond, A.J. (2019). Tomorrow’s geotechnical toolbox: Design of geotechnical structures to EN 1997: 202x. Proc. 17th European Conf. on Soil Mechanics and Geotechnical Engineering, ECSMGE 2019, Reykjavik, Iceland Franzén, G., Arroyo, M., Lees, A., Kavvadas, M., van Seters, A.J., Walter, H., Bond, A.J. 2019. Tomorrow’s geotechnical toolbox: EN 1997-1: 202x General rules. Proc. 17th European Conf. on Soil Mechanics and Geotechnical Engineering, ECSMGE 2019, Reykjavik, Iceland Franzén, G; van Seters, A. (2022): Eurocode 7 - a toolbox for geotechnical engineering. Proc. of 20th Int. 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Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 EN 1997: 2024 - Die zweite Generation des Eurocode 7 Moormann, Ch. (2022a): Jahresbericht 2021 des Arbeitskreises „Pfähle“ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik (DGGT). Bautechnik 99, Heft 2, 2022, S. 150-154 Moormann, Ch. (2022b): Pile design according to EN 1997-3: 2024 - Overview of Clause 6: Pile foundations. SC7 ISSMGE NEN Webinar „Pile design in the second generation of Eurocode 7”, 19.10.2022, Tagungsunterlagen, 29 p. Moormann, Ch. (2023a): Jahresbericht 2022 des Arbeitskreises „Pfähle“ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik (DGGT). Bautechnik 100, Heft 2, 2023, S. 1-8, https: / / doi.org/ 10.1002/ bate.202300001 Moormann, Ch. (2023b): Pile design in the second generation of Eurocode 7 - Neue Entwicklungen in der Normung für die Bemessung und Ausführung von Pfählen. Pfahl-Symposium 2023, Fachseminar: 16./ 17. Februar 2023, Mitteilungen des Instituts für Geomechanik und Geotechnik der Technischen Universität Braunschweig, Heft 113, Band 1, S. 1-40 Norbury, D., Arroyo, M., Foti, S., Garin, H., Reiffsteck, P., Bond, A.J. (2019): Tomorrow’s geotechnical toolbox: EN 1997-2: 202x Ground investigation. Proc. 17th ECSMGE 2019, Reykjavik, Iceland, ISBN 978-9935-9436-1-3. Weihrauch, S.; Moormann, Ch.; Wudtke, R.-B.; Vogt, N. (2022): Aktuelle Entwicklungen zur Finalisierung der zweiten Generation des Eurocode 7. Vorträge der 37. Baugrundtagung 2022 in Wiesbaden, 05.-07.10.2022, DGGT, ISBN 978-3-946039-09-9, S. 245-256 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 25 Nachhaltigkeit im Infrastrukturbau - CO 2 -Bilanzierung von Infrastrukturprojekten Dipl.-Ing. (FH) Tomas Vardijan Ed. Züblin AG, Direktion Zentrale Technik, Technisches Büro Tiefbau Stuttgart Dr.-Ing. Claudia Klotz Ed. Züblin AG, Direktion Zentrale Technik, Technisches Büro Tiefbau Stuttgart Zusammenfassung Die Ökobilanzierung als Methode zur Bewertung der umweltbezogenen Nachhaltigkeit ist in den letzten Jahren für den infrastrukturellen Baubereich immer stärker in den Fokus gerückt. Im vorliegenden Beitrag werden zunächst die grundlegenden Aspekte für die ganzheitliche Quantifizierung des CO 2 -Fußabdrucks im Infrastrukturbau im Allgemeinen, und im speziellen für temporäre Bauhilfsmaßnahmen erläutert. Im Vortrag wird deutlich, welche Überlegungen im Sinne der DIN EN 17472 unter Einhaltung der beiden Nachhaltigkeitszielen „Treibhausgasreduktion und Ressourcenschonung in Infrastrukturprojekten einhergehen und wie Verarbeitungsprozesse der Bilanzierung von Materialien und Bauteilen strukturiert hinzugefügt werden können. Der Vortrag zeigt darüber hinaus gehend, dass nachhaltiges Planen, Bauen und Betreiben aus vielen Einzelbetrachtungen besteht, und stellt die Vergleichbarkeit von Berechnungen innerhalb von Variantenuntersuchungen als wichtige Voraussetzung für die Planung unter Nachhaltigkeitsaspekten in den Vordergrund. 1. Einleitung 1.1 State of the art „Die Welt von morgen bauen“ - diese Vision hat eine klare Nachhaltigkeitsperspektive. Etwa 50 % des Gesamtenergieverbrauchs und rund 38 % der weltweiten CO 2 - Emissionen entfallen auf die Bauindustrie. Vor diesem Hintergrund braucht die Welt von morgen eine dauerhafte, CO 2 -arme und klimaresiliente Infrastruktur, die in möglichst nachhaltiger Weise gebaut wird. Aktuell sehen wir uns als Gesellschaft einer ganzen Reihe von Herausforderungen gegenüber. Zum einen ist der Klimawandel eine omnipräsente und langfristige Gefahr, die nur mit Mitarbeit aus allen Bereichen abgefangen werden kann. Zum anderen machen kurzfristigere Krisen wie Lieferengpässe und Inflation vielen Branchen Probleme. Man kann diesen Aspekten mit gezielten Maßnahmen begegnen, die kurz- oder mittelfristig Entlastung schaffen - wirkliche Lösungen finden wir jedoch nur, wenn wir das große Ganze betrachten und die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Gefahren sehen. Es gilt, nicht nur auf Probleme zu reagieren, sondern direkt so zu handeln, dass Krisen gar nicht erst entstehen. Mit dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft ist es möglich Produkte und Materialien solange wir möglich zu nutzen, Abfälle und Umweltverschmutzung zu vermeiden und die Ressourcen zu schonen. 1.2 Sichtbarmachen der Nachhaltigkeit im Infrastrukturbau Im Entwurf eines Gebäudes sind eine Vielzahl von Parametern zu beachten: Neben gestalterischer Qualität, Raumprogramm, Genehmigungsfähigkeit oder Investitionskosten rückt die Umweltqualität ins Zentrum. Ausgelöst durch die Klimakrise und steigender Ressourcenknappheit ist es notwendig, Ressourcen- und Energieverbrauch sowie Treibhausgasemissionen zu vermeiden. Die Umweltqualität von Gebäuden stellt die ökologische Dimension im nachhaltigen Planen und Bauen dar. Sie beinhaltet die Ermittlung, Bewertung und Beeinflussung von Treibhausgasemissionen sowie weiterer Umweltindikatoren. Doch wie können diese gemessen und qualifiziert gemindert werden? Eine planungsbegleitende angewandte Ökobilanzierung hilft, Materialien und Konstruktionsweisen zu optimieren. Die Ökobilanzierung baut auf sog. Umweltproduktdeklarationen (Environmental Product Declaration - EPD) für Bauprodukte und Baumaterialien gemäß DIN EN 15804 [1] auf. EPDs sind auf wissenschaftlicher Basis abgeleitete Kennzahlen für Umweltauswirkungen, die den Lebenszyklus des Materials oder Produkts explizit betrachten. Die hier primär relevante Kenngröße ist das globale Erwärmungspotenzial (Global Warming Potential - GWP global) als Maßzahl des relativen Beitrags zum Treibhauseffekt in kg CO 2 -Äquivalent. Die hier verwendeten Angaben wurden der vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen zur Verfügung gestellten Datenbank ÖKOBAUDAT [2] entnommen. Der Lebenszyklus wird nach DIN EN 17472 [3] in vier Module A-D eingeteilt, mit A „Herstellung und Errichtung“, B „Nutzung“, C „Ende der Nutzung“ und D „Vorteile und Belastungen außerhalb der Systemgrenze“, siehe [Abb.1]. 26 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Nachhaltigkeit im Infrastrukturbau - CO2-Bilanzierung von Infrastrukturprojekten Abb. 1: Darstellung modularer Informationen für die verschiedenen Phasen der Bewertung von Ingenieurbauwerken [3] Im Beitrag werden die beiden Nachhaltigkeitsziele fokussiert: • Reduzierung der CO 2 - Emissionen • Ressourcenschonung Die Verfolgung mehrere Ziele birgt immer die Gefahr von Zielkonflikten. Im hier gegebenen Beitrag kann z. B. die Herstellung von Recyclingmaterial als Beitrag zur Ressourcenschonung Emissionen freisetzten, die bei der Verwendung natürlicher Ressourcen ggf. nicht, oder nicht in dieser Größe anfallen würden. Von den Autoren wird zur Abbildung der Auswirkungen und zur Bewertung der Zielerreichung aus mehreren Handlungsoptionen, die Anwendung mehrerer Kennzahlen vorgeschlagen. Anhand eines fiktiven Beispiels werden die vier Kennzahlen diskutiert, mit denen die Nachhaltigkeit für Projekte des Spezialtief baus sichtbar gemacht und Varianten hinsichtlich der gesetzten Nachhaltigkeitszielen qualifiziert verglichen werden können: 1. Materialeinsatz im Projekt (gemessen in kg CO 2 Äq. für die Module A1- A3). 2. CO 2 -Bilanz im gesamten Lebenszyklus (gemessen in kg CO 2 Äq für die Module A - D). 3. Bewertung der Kreislaufpotentiale des Materialeinsatzes (gemessen mit der Noten 0 - 10). 4. Energieverbrauch erneuerbar / nicht erneuerbar (gemessen in MJ). 2. Beispiel -Nachhaltigkeit im Infrastrukturbau 2.1 Einführung Als Ziel der Bewertung der umweltbezogenen Nachhaltigkeit werden wie bereits erläutert festgelegt: • Reduzierung der CO 2 -Emissionen • Ressourcenschonung Weitere Ziele sind denkbar, z. B. im Rahmen von Zertifizierungen. Diese werden hier jedoch nicht weiter thematisiert. Das Nachweiskonzept für die Zielereichung folgt der Gleichung [Gl.1]: (1) mit: NHI i - Nachhaltigkeitsindikator i [i = 1 bis 4]. Ref - Referenzvariante (z. B. „übliche“ Bauweise, Ausschreibungsentwurf). Var - Optimierungsvariante. Die Nachhaltigkeitsindikatoren i werden in diesem Beitrag untereinander nicht gewertet. Im Rahmen von Bauprojekten hat dies jedoch zu erfolgen. Die Gewichtung der Nachhaltigkeitsindikatoren untereinander kann von Bauherrn, Gesetzeslage, Lokalität, Ressourcenverfügbarkeit abhängig sein. Für das fiktive Beispiel wird folgendes funktionale Äquivalent gewählt: • Baugrube mit gegebenem Grundriss mit einem Untergeschoss, Baugrubentiefe 4,5m. • keine Anforderungen an Gebrauchstauglichkeit und Wasserundurchlässigkeit des Verbaus. Räumliche Systemgrenze: Aus dem Ingenieurbauwerk „Baugrube“ wird die Verbaukonstruktion sowie die Herstellung des Verbaus herausgelöst betrachtet. Weitere Bauaktivitäten, wie z. B. Baugrubenaushub, Wasserhaltung oder Betrieb sind nicht Teil der Betrachtung. Die Zulässigkeit dieser Einschränkung der Systemgrenzen ist projektbezogen in Abhängigkeit der untersuchten Optimierungsvarianten stets zu prüfen. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 27 Nachhaltigkeit im Infrastrukturbau - CO2-Bilanzierung von Infrastrukturprojekten Zeitliche Systemgrenze: Nur temporäre Nutzung des Verbaus, Standzeit < 2 Jahre. Austauschhäufigkeit der Komponenten wird zu 1,0 festgelegt. Im hier gegebenen fiktiven Beispiel werden zwei Bauvarianten einer zusammengesetzten Verbauwand berechnet und verglichen: • Variante 1 (Referenz): Trägerbohlwand (TBW) und aufgelöste Bohrpfahlwand (BPW): freiauskragend [Abb.2]. • Variante 2: Trägerbohlwand (TBW) und aufgelöste Bohrpfahlwand (BPW): einfach rückverankert [Abb.3]. Abb. 2: Beispiel Variante 1aufgelöste BPW freiauskragend Abb. 3: Beispiel Variante 2- TBW einfach rückverankert 2.2 Materialeinsatz im Projekt Die Evaluierung des Materialreinsatzes kann grundsätzlich hinsichtlich der Masse oder dem Volumen erfolgen. Aufgrund unterschiedlicher Dichten im Materialeinsatz kann es hier aber zu Verschiebungen in der Bewertung kommen. In Anbetracht der gesellschaftlichen CO 2 -Reduzierungsziele und im Sinne einer einheitlichen Kennzahl erfolgt im Weiteren die Evaluierung des Materialeinsatzes abweichend anhand des CO 2 -Fußabdrucks für die Herstellungsphase, Lebenszyklusmodule A1-A3 (Rohstoffversorgung, Transport und Herstellung). Ziel ist es, den Einsatz von Ressourcen und Materialien zu hinterfragen und evtl. Optimierungspotentiale zu benennen, um den Materialeinsatz, gemessen in CO 2 -Äquivalenten zu minimieren. Folgenden Eingangsdaten und weitere Spezifikationen wurden für den Ressourceneinsatz betrachtet, siehe [Tab.1] und [Tab.2]. Tab. 1: Eingangsdaten Variante 1 Tab. 2: Eingangsdaten Variante 2 28 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Nachhaltigkeit im Infrastrukturbau - CO2-Bilanzierung von Infrastrukturprojekten Die Berechnung erfolgt nach DIN EN 17472 für die Nachhaltigkeitsbewertung von Ingenieurbauwerken. Für die CO 2 -Bilanzierung sind in [Tab.3] die Emissionsfaktoren für das globale Erwärmungspotenzial (GWP) zusammengestellt. Tab. 3: Verwendeten Werte GWP für Produktionsstadium Die Ergebnisse für beide Varianten sind in [Tab.4] zu finden. Tab. 4: CO 2 -Fußabdruck für beide Varianten [kg CO 2 Äq/ m²] Der CO 2 -Fußabdruck für die Herstellungsphase (Baustoffe) für Variante 1 (Referenzvariante) beträgt 179,15 tCO 2 Äq. In Variante 2 (Optimierungsvariante) reduziert sich der CO 2 - Fußabdruck zu 97,11 tCO 2 Äq. Die Berechnungen zeigen, dass der Materialeinsatz in Variante 2 mit dem Faktor 0,54 optimiert und damit das gesetzte Nachhaltigkeitsziel erreicht werden konnte, [Gl.2]. (2) 2.3 CO 2 Bilanz im gesamten Lebenszyklus Für eine vollständige CO 2 -Bilanzierung wird ein Ingenieurbauwerk in seinem gesamten Lebenszyklus, d. h. von der Entstehung über die Errichtungs- und Nutzungsphase bis zum Abriss und sogar darüber hinaus bei der Verwertung und dem Recycling der verwendeten Baustoffe bilanziert. Des Weiteren ist der CO 2 -Fußabdruck unter Berücksichtigung aller relevanten Emissionsquellen zu ermitteln. Bauaktivitäten lassen sich insbesondere unterteilen in: • Baustoffe (A1-A3) • Baustofftransporte (A4) • Geräteeinsatz (A5) • Geräteabnutzung (A5) In begründeten Fällen kann es legitim sein auf die Betrachtung einzelner Emissionsquellen zu verzichten, z. B. in Variantenuntersuchungen mit immer gleichen Emissionen. Die Bilanzierung von Herstellprozessen muss darüber hinaus erfassen können, dass Transport und Verarbeitung mehrfach auftreten können. Für eine qualifizierte Auswertung der Berechnung ist es unerlässlich, dass die einzelnen Emissionen ihrem Verursacher zugeordnet werden können. Als Verursacher kommen z. B. Bauteile, Lebenszyklusabschnitt, Gerät oder Herstellvorgang in Frage. Zur Berücksichtigung aller obigen Anforderungen an eine CO 2 - Berechnung hat sich ein hierarchisches System (Baumstruktur) bewährt, siehe [Abb.4]. Die Baumstruktur umfasst in diesem Beispiel fünf Ebenen und summiert die Umweltauswirkungen einzelner Produkte bzw. Bauteile auf; ausgehend von der untersten Ebene 5 (Baustoff) bis zur obersten Ebene 1 (Baumaßnahme). Im gegebenen Beispiel werden die Herstellungsphase (Modul A1-A3) sowie die Errichtungsphase (Modul A4 und Modul A5) bilanziert, siehe [Tab.5] und [Tab.6]. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 29 Nachhaltigkeit im Infrastrukturbau - CO2-Bilanzierung von Infrastrukturprojekten Abb. 4: Struktur CO 2 - Bilanz (Baumstruktur) Für den Baustofftransport vom Hersteller zum Verwendungsort (Modul A4) sind folgenden Transportentfernungen berücksichtigt: • Transport Beton: 10km. • Transport Bewehrungsstahl/ Profilstahl: 100km. • Transport Bauholz: 50km. • Transport Spannstahl: 200km. Die Gesamtemissionen, die durch Transporte entstehen, lassen sich mit nachfolgend zusammengestellten Faktoren ermitteln: • Treibstoffverbrauch in Liter, den das Transportmittel für einen Kilometer der jeweiligen Strecke verbraucht. Der Verbrauch unterscheidet sich in Abhängigkeit der Beladung; hier wird zwischen voller Beladung und Leerfahrt unterschieden. • Die Emissionen für den Transport ergeben sich durch Multiplikation der Gesamtstrecke mit dem Gesamttreibstoffverbrauch und Emissionsmenge je Liter des Treibstoffs. Tab. 5: Variante 1 - CO 2 -Fußabdruck für Herstellung und Transportphase Tab. 6: Variante 2 - CO 2 -Fußabdruck für Herstellung und Transportphase Für die Montage und den Herstellungsprozess (Modul A5) sind folgenden Bauprozesse berücksichtigt: • Herstellung Bohrungen für Pfähle und Träger, Verbrauch: 6,0l Diesel/ m. • Herstellung Verpressanker, Verbrauch: 2,5l Diesel/ m. Die Ermittlung der Umweltwirkungen der Geräte (Modul A5) erfolgt anhand der technischen Datenblätter sowie eigener Annahmen, wie beispielsweise dem Leergewicht, sowie der Lebensdauer des Geräts für die Verarbeitung der Hauptmaterialien. In [Abb.5] und [Abb. 6] sind die CO 2 Emissionen für Herstellung der Baustoffe, Abnutzung Geräte, Gerätebetrieb und Transport der Materialien zur Baustelle für Variante 1 und Variante 2 zusammengefasst. 30 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Nachhaltigkeit im Infrastrukturbau - CO2-Bilanzierung von Infrastrukturprojekten Abb. 5: CO 2 Emissionen für Variante 1 (Module A1-A3, A4 und A5) Abb. 6: CO 2 Emissionen für Variante 2 (Module A1-A3, A4 und A5) In der [Tab.7] sind beide Variante in Bezug zu den Lebenszyklusmodulen A1-A3, A4 und A5 gesetzt. Tab. 7: Vergleich Gesamt GWP Variante 1 und Variante 2 Der gesamtheitliche CO 2 -Fußabdruck für Variante 1 (Referenzvariante) beträgt 203,09 tCO 2 Äq und für Variante 2 (Optimierungsvariante) 122,3 tCO 2 Äq Die Berechnungen zeigen, dass der Materialeinsatz, Transport und Herstellungsprozess in Variante 2 (Optimierungsvariante) mit dem Faktor 0,6 gegenüber der Referenz optimiert und damit das gesetzte Nachhaltigkeitsziel erreicht werden konnte, [Gl. 3]. (3) 2.4 Bewertung der Kreislaufpotentiale des Materialeinsatzes und der Bauteile Für temporär genutzte Materialien gilt es insbesondere ressourcenschonende und recyclingfähige Konstruktion zu wählen. Im Wesentlichen kann der verantwortungsvolle Einsatz von Materialien gemessen werden unter Angabe von: • Recyclinganteilen. • Darstellung von Mehrfachnutzungen, Weitergabe von Materialien/ Bauteilen. • Nutzung von Sekundärrohstoffen, geringer Anteil an verlorenen Materialien und Abfall. Mit dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft ist es möglich Produkte, Materialien und Bauteile so lange wie möglich zu nutzen, Abfälle und Umweltverschmutzung zu vermeiden und so Ressourcen zu schonen. Temporäre Baumaßnahmen, z. B. Baugruben zeichnen sich vor allem aus durch die Leistungsfähigkeit der ausführenden Firma bzgl. Logistik und verfügbarer Ressourcen (z. B. Lagerhaltung). Im Falle von Bau grubenverbauten wird jede ausführende Firma trotz immer gleicher Bauherrenvorgaben in Abhängigkeit ihrer eigenen Ressourcen immer andere Bewertungen anstellen. Für die Bewertung der temporären Baumaßnahme sind insbesondere folgende Informationen relevant: • Herkunft der Materialien und Bauteile (Pre-Life) • Optimale Nutzung während Ausführung (Use- Stage) • End of Life der Bauteile und Materialien (End-of-Life) Ausgehend von der Bauausführung als Zentrum der Betrachtung werden im Pre-Life die Herkunft der temporär genutzten Materialien und Bauteile für das auszuführende Projekt bewertet. Materialien können Sekundärrohstoffen oder natürliche Ressourcen entstammen. Bauteile können gebraucht der neuwertig sein. Die Ausführungsphase eines Projektes entspricht hier der Nutzungsphase (Use-Stage). In dieser Phase kann die ausführende Firma die Austausch- und Einsatzhäufigkeit der eingesetzten temporären Bauteile optimieren. Im End-of-Life wird am Projektende die Verwertung der eingesetzten temporären Bauteile und Materialien gesteuert, z. B. schonender Rückbau und Weitergabe der Bauteile an eine neue Baustelle. Weitere Detaillierungen in der Bewertung, wie sie z. B. im Hochbau bei der Bewertung der Kreislaufwirtschaft gängig sind, werden hier nicht weiter vorgeschlagen, z. B. die Trennbarkeit zusammengesetzter Materialien sowie der monetäre Aufwand zur kreislaufgerechten Verwertung. Im Falle temporärer Maßnahmen ist die Verwertung am Lebensende (Projektende) oftmals Bestandsteil des Bauvertrags und damit technisch und monetär im Angebot der ausführenden Firma berücksichtigt. Die obigen Kriterien können nach einem Punktesystem bewertet und zu einer Kennzahl aggregiert werden, siehe [Abb.7] (Skala: 0 bis 10 mit 10 erreicht man das ungünstigste Szenario im Sinne der Kreislaufwirtschaft). 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 31 Nachhaltigkeit im Infrastrukturbau - CO2-Bilanzierung von Infrastrukturprojekten Abb. 7: Kennzahl für die qualitative Bewertung der Kreislaufwirtschaft Die qualitative Bewertung der Kreislaufwirtschaft erfolgt anhand von vier Berechnungen: • Variante 1 -Referenzvariante. • Variante 1- Optimierungsvariante. • Variante 2 -Referenzvariante. • Variante 2- Optimierungsvariante. Aufgrund von Massenverschiebungen zwischen Variante 1 und 2 und damit unterschiedlicher Gewichtung der Materialien, können die Varianten 1 und 2 nicht unmittelbar miteinander verglichen werden. Jede Variante ist für sich betrachtet zu optimieren. Für die Referenzvarianten wurde folgendes Szenario berücksichtigt: • Der Zuschlagsstoff für den Beton der Pfähle, Fußplombe und Spritzbeton (Pre-Life) besteht aus natürlichen Ressourcen. • Die Stahlprofile sind neuwertig (Pre-Life). • die Stahlprofile und Holz werden auf der aktuellen Baustelle nur ein mal eingesetzt (Use - Stage). • die Stahlprofile sind im Baugrund verloren (Post-Life bauliche Nutzung). • Beton / Stahl und Holz werden in End -of- Life des Materials nicht recycelt oder energetischen verwertet. Für die Optimierungsvarianten wurde folgendes Szenario berücksichtigt: • Materialien mit Recyclinganteilen für die Herstellung die Pfähle, Fußplombe, Spritzbeton und Zementmörtel (Pre-Life). • 50 % der eingesetzten Stahlprofile sind von einer anderen Baustelle übertragen worden (Pre-Life). • die Stahlprofile und das Holz werden zu 50 % auf der aktuellen Baustelle wieder eingesetzt (Use - Stage). • Beton / Stahl und Holz werden in End -of- Life des Materials gemäß EPDs recycelt oder einer energetischen Verwertung zugeführt. In [Abb.8] sind die Ergebnisse der Auswertung der Kreislaufwirtschaft für Variante 1 dargestellt. Variante 1-Optimierungsvariante zeigt durch einen optimierten Materialeinsatz eine Verbesserung in der Kreislaufwirtschaft. Abb. 8: Kennzahl für die qualitative Bewertung der Kreislaufwirtschaft Variante 1 In [Abb.9] sind die Ergebnisse der Auswertung der Kreislaufwirtschaft für Variante 2 dargestellt. Variante 2-Optimierungsvarainte zeigt durch einen optimierten Materialeinsatz eine Verbesserung in der Kreislaufwirtschaft Abb. 9: Kennzahl für die qualitative Bewertung der Kreislaufwirtschaft Variante 2 In [Tab. 8] sind die Spezifikationen in Bezug auf das Pre- Life und der End-of-Life Phasen für Variante 1-Referenzvariante und Optimierungsvariante abgebildet. 32 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Nachhaltigkeit im Infrastrukturbau - CO2-Bilanzierung von Infrastrukturprojekten Tab. 8: Informationen für die Auswertung der Kennzahl-Kreislaufwirtschaft für Variante 1 In [Tab. 9] sind die Spezifikationen in Bezug auf das Pre- Life und der End-of-Life Phasen für Variante 2-Referenzvarainte und Optimierungsvariante abgebildet. Tab. 9: Informationen für die Auswertung der Kennzahl- Kreislaufwirtschaft für Variante 2 Die Kennzahl „Kreislaufwirtschaft“ liefert für Variante 1-Referenzvariante einen Wert von 9,84, für Variante 1-Optimierungvariante den Wert 8,21. Die Berechnungen zeigen, dass in der Bewertung der Kreislaufpotentiale für die Materialien / Bauteile in Variante 1 - Optimierungsvariante eine Verbesserung in der Note zur Variante 1-Referenzvariante erreicht und damit das gesetzte Nachhaltigkeitsziel erreicht wird, [Gl.4]. (4) Die Kennzahl „Kreislaufwirtschaft“ liefert für Variante 2-Referenzvariante einen Wert von 9,93, für Variante 2-Optimierungvariante den Wert 8,54. Die Berechnungen zeigen, dass in der Bewertung der Kreislaufpotentiale für die Materialien/ Bauteilen in Variante 2 -Optimierungsvariante eine Verbesserung in der Note zur Variante 2- Referenzvariante erreicht und damit das gesetzte Nachhaltigkeitsziel erreicht wird, [Gl.5]. (5) Die Optimierungsvarianten 1 und 2 bringen eine Verbesserung im Sinne der Kreislaufwirtschaft. Die hierfür erforderlichen Maßnahmen haben jedoch Einfluss auf den CO 2 -Fußabdruck die Varianten. So ist der CO 2 -Fußabdruck von R-Beton in Abhängigkeit seiner Herstellung ggf. schlechter zu bewerten als der Einsatz von natürlichen Zuschlagsstoffen. Die Berücksichtigung von Mehrfachverwendung in der CO 2 - Bilanz ist abhängig von den gewählten Systemgrenzen und mit dem Auftraggeber explizit zu vereinbaren. Berücksichtigung kann dieses Potential z. B. im Modul D finden. 2.5 Energieverbrauch erneuerbar/ nicht erneuerbar Die vierte Kennzahl für die Auswertung von nachhaltigen Infrastrukturprojekte ist der Energieverbrauch. Die Energie wird als schützenswerte Ressource, unabhängig ob erneuerbar oder nicht erneuerbar, betrachtet. Die Unterteilung in erneuerbar und nicht erneuerbar birgt die Chance zur Optimierung des Energiemixes. Als Primärenergieinhalt (abgekürzt PE) wird der zur Herstellung eines Produktes oder einer Dienstleistung erforderliche Gesamtbedarf an energetischen Ressourcen bezeichnet und ist die Summe aus PERT und PENRT. Im PERT wird der Primärenergieinhalt aller erneuerbaren Ressourcen (Biomasse) aufgeteilt in: PERE: erneuerbare Primärenergie als Energieträger enthält nur die energetisch genutzten Ressourcen (Wind/ Sonnenenergie) und PERM: erneuerbare Primärenergie zur stofflichen Nutzung (Biomasse). PENRT bildet die totale nicht-erneuerbare Primärenergie ab und ist aufgeteilt in: PENRE: nicht-erneuerbare Primärenergie als Energieträger: Erdöl, Braunkohle, Steinkohle und Uran. PENRM: nicht-erneuerbare Primärenergie zur stofflichen Nutzung. In den folgenden Tabellen sind die Berechnungen für Variante 1 und Variante 2 für PERT und PENRT zu finden. Tab. 10: Energie erneuerbar/ nicht erneuerbar für Variante 1 Tab. 11: Energie erneuerbar/ nicht erneuerbar für Variante 2 Für die Herstellungsprozesse wurde die nicht erneuerbare (PENRT) Energie anhand des Treibstoffverbrauchs (Diesel) wie folgt berechnet: 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 33 Nachhaltigkeit im Infrastrukturbau - CO2-Bilanzierung von Infrastrukturprojekten • Herstellung Pfähle: 66.624,77 MJ-Variante 1 und 50.077,44 MJ für Variante 2. • Herstellung Träger: 74.088,0 MJ-Variante 1 und 44.755,2 MJ für Variante 2. • Herstellung Verspressanker: 56.700,0 MJ-Variante 2. In [Abb. 10] sind die Werte für den Energieverbrauch für die beide Varianten graphisch dargestellt. Der Energiebedarf für Variante 1 (PE) hat ein Wert von 2.392.359,0 MJ und für Variante 2 (PE) 1.659.871MJ. Abb. 10: Energieverbrauch- Variante 1 und Variante 2 Die Berechnungen zeigen, dass der Energieverbrauch für Materialeinsatz, Transport und Herstellungsprozesse in Variante 2 (Optimierungsvariante) mit dem Faktor 0,7 optimiert und damit das gesetzte Nachhaltigkeitsziel erreicht werden konnte, [Gl. 6]. (6) 2.6 Zusammenfassung der Ergebnisse In einem fiktiven Beispiel wurden die CO 2 -Fußabdrücke sowie weitere Nachhaltigkeitsindikatoren von zwei Bauvarianten einer Verbauwand berechnet und miteinander verglichen. Die Nachweise haben gezeigt, dass die optimierten Varianten im Sinne der gewählten Nachhaltigkeitsziele eine Verbesserung darstellen. Dies wurde im Wesentlichen erreicht durch die Optimierung des statischen Systems und des gewählten Szenarios für die Kreislauwirtschaft. 3. Ausblick Anhand unterschiedlicher Bauvarianten für ein und dieselbe Bauaufgabe wird quantifizierend aufgezeigt, welche Möglichkeiten zur Reduktion von Treibhausgasen und Ressourcenschonung bereits heute für die Planung und Ausführung zur Verfügung stehen und wie Nachhaltigkeit abgebildet werden kann. Die aus einer Ökobilanzierung gewonnenen Erkenntnisse sind aber erst dann erfolgreich, wenn sie auch in der Praxis umgesetzt werden. Zur Optimierung des Projektziels, durch größtmögliche CO 2 -Reduktion und minimiertem Ressourceneinsatz, sollte die Einbindung der geeigneten Planungs- und Baupartner durch den Bauherrn so früh wie möglich erfolgen. Literatur [1] DIN EN 15804: 15804: 2012+A2: 2019, Nachhaltigkeit von Bauwerken-Umweltproduktdeklarationen-Grundregeln für die Produktkategorie Bauprodukte. [2] Ökobaudat: Datenbank, Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen. [3] DIN EN 19472: 2022, Nachhaltigkeit von Bauwerken -Nachhaltigkeitsbewertung von Ingenieurbauwerken - Rechnenverfahren. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 35 BIM im Spezialtiefbau - aktueller Stand am Beispiel Central Business Tower, Frankfurt Raphael Baur, M. Eng. Ed. Züblin AG, Stuttgart Dipl.-Ing. (FH) Bettina Bastian Ed. Züblin AG, Stuttgart Zusammenfassung Die Nutzung von 3D-Modellen und BIM im Spezialtief bau spielt im Zuge des Planungsprozesses eine immer bedeutendere Rolle. Die modellbasierte Planung bringt dabei für die Ausführungsplanung Vorteile, allerdings auch gewisse Herausforderungen mit sich, die anhand des Projektbeispiels Central Business Tower (CBT) in Frankfurt aufgezeigt werden. Bei komplexen geometrischen Randbedingungen und einer Vielzahl von Abhängigkeiten und Schnittstellen zu anderen Gewerken zeigen sich die Vorteile dieser Arbeitsweise: Abhängigkeiten und Zusammenhänge können visualisiert, dokumentiert und gelöst werden. Hinsichtlich der Planableitung aus dem Modell sind derzeit gewisse Grenzen vorhanden, die eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Arbeitsweise notwendig machen. 1. Projektvorstellung Im Herzen des Frankfurter Bankenviertels entsteht der Central Business Tower. Das neue Bürohochhaus wird mit einer Höhe von ca. 205 m das Stadtbild Frankfurts prägen. Für den Central Business Tower werden umfangreiche Tief baumaßnahmen erforderlich. Mit 5 Untergeschossen gehört die Baugrube des CBT zu den tiefsten Baugruben Frankfurts. Die Planung und Herstellung der innerstädtischen Baugrube brachte dabei zahlreiche Herausforderungen mit sich. Die Baugrubentiefe beträgt etwa 25 Meter, um genügend Platz für die Bodenplatte und die Untergeschosse zu schaffen. Als Teil der Kombinierten Pfahl-Platten-Gründung (KPP) wurden insgesamt 86 Gründungspfähle mit einem Durchmesser von 1,86 Metern hergestellt. Zusätzlich zu den Gründungspfählen wurden 276 Bohrpfähle mit einem Durchmesser von 1,5 Metern als überschnittene Bohrpfahlwand hergestellt. Diese sind ebenfalls Teil der KPP. Die Pfahllängen der Sekundärpfähle betragen etwa 40 bis 50 Meter, während die Primärpfähle eine Länge von etwa 25 Metern aufweisen. Der Verbau wird nicht nur während der Bauphase, sondern auch als Teil des Endbauwerks genutzt. Dabei wird der Erddruck von der Bohrpfahlwand und der Wasserdruck vom Kellerkasten aufgenommen. Die Baugrube wird in Deckelbauweise hergestellt, wofür Primärstützen notwendig wurden. Die Primärstützen gliedern sich in Verbund-, Fertigteil und temporärer Stahlstützen. Aufgrund der beengten Platzverhältnisse und der zu erhaltenden Bestandsfassade, die mittels einer Fassadensicherung gestützt wird, werden hohe Anforderungen an die Herstellgenauigkeit und Verformungen gestellt. Projektbeteiligte: Der Bauherr des Central Business Towers ist die Landesbank Hessen-Thüringen Girozentrale (HELABA). Die Ausführung erfolgt durch die ARGE Central Business Tower, bestehend aus der Ed. Züblin AG, Direktion Stuttgart und Dobler Metallbau GmbH. Die Spezialtief bauarbeiten wurden durch die Züblin Spezialtief bau GmbH durchgeführt. Die Planung von Rohbau und Baugrube erfolgte in den Technischen Büros ‚Konstruktiver Ingenieurbau‘ und ‚Tief bau‘ der Ed. Züblin AG ab Leistungsphase 5. Hierfür wurde die Genehmigungsplanung des Bauherrn zur Verfügung gestellt. Im Technischen Büro Tief bau wurden neben der Hauptbaugrube und der Gründung zusätzlich Bauzustände, Kranstandorte und Vorverbauten geplant. 36 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 BIM im Spezialtiefbau - aktueller Stand am Beispiel Central Business Tower, Frankfurt Abb. 1: Webcam-Ausschnitt: Baugrube, Nachbarbebauung, Fassade, fortschreitender Rohbau (Stand 11/ 2023) Während für das zu errichtende Bauwerk inkl. HKLS (Heizung, Klimatechnik, Lüftung, Sanitär), Gebäudeautomation, Elektrotechnik und Küchenplanung konkrete Auftraggeber-Informationsanforderungen (AIA) vorlagen und infolgedessen ein BIM-Abwicklungsplan (BAP) für diese Gewerke erarbeitet wurde, gab es für die Spezialtief baumaßnahmen keinerlei Anforderungen an die Planungsmethode. Aufgrund der vielen Schnittstellen zwischen Verbau/ Gründung und Rohbau und der komplexen Randbedingungen erfolgte die Planung des Spezialtief baus trotzdem ebenfalls modellbasiert in Kooperation mit dem Tragwerksplaner der LPH 5. Sämtliche Planunterlagen für die Ausführung wurden aus den erstellten Modellen abgeleitet. 2. Modelle und Anwendungsfälle in der Planung 2.1 Modellerstellung Für die Entwicklung des Spezialtief baumodells war nur ein Teil der zahlreichen zu erstellenden 3D-Modelle relevant. So wurden neben dem Rohbaumodell auch Krane, die Baustelleinrichtung sowie die Modelle der Fassade und ihrer Sicherungsmaßnahmen einbezogen. Die Modelle für den Massivbau und die Spezialtief baumaßnahmen wurden mit der Software Autodesk Revit 2021 auf der Plattform BIM360 in einer gemeinsamen Projektumgebung erstellt. Dieser Umstand (closedBIM) machte die Koordination von Bauwerks- und Baugruben-/ Gründungsmodell einfach. Die weiteren Modelle wurden teilweise von externen Planern mit anderer Software erstellt. Für deren Integration in die Revit-Modelle wurden ifc-Modelle aus der nativen Software exportiert. Die Verwendung dieses Dateiformates erfordert hohen Abstimmungsbedarf zwischen den Beteiligten, um einen möglichst reibungslosen Modellaustausch zu gewähren. Eine kurze Testphase zu Beginn des Projektes ist hier sehr hilfreich. Der Detaillierungsgrad der Modellierung entsprach einer Tiefe, die für die Planableitung bis zu einem Maßstab von 1: 50 ausreichend war. 2.2 Bestandserfassung Neben oberirdischem Bestand (wie Nachbargebäude oder in diesem Fall eine zu erhaltende Fassade auf dem Baufeld) ist im Spezialtief bau je nach Aufgabenstellung auch die Berücksichtigung von bestehenden unterirdischen Strukturen erforderlich. Dazu gehören beispielsweise der Baugrund, Leitungen und Schächte oder die Gründung von Nachbarbebauung. Im beschriebenen Projekt war es für die Planung erforderlich, einen Teil der Bestandsbebauung und die innerstädtische Infrastruktur (Leitungen, Kanäle, Schächte) im Modell zu berücksichtigen. Baugrund Aufgrund der Vertragskonstellation, dass die Zentrale Technik (Technisches Büro Tief bau) lediglich für die Ausführungsplanung (Leistungsphase 5) beauftragt war, wurde auf eine 3D-Baugrundmodellierung in dieser Phase verzichtet, da die Interpretation der Schichtverläufe bereits in die Genehmigungsplanung (Leistungsphase 4) eingeflossen war. Die Baugrundschichtung wurde aus diesem Grund aus der Leistungsphase 4 übernommen. Jedoch wurde bereits im Zuge der Angebotsbearbeitung ein 3D-Schichtenmodell des Baugrundes inkl. Baugrubensohle zur Massenermittlung und zur Visualisierung von möglichen Schichtgrenzen- und Böschungsverläufen erstellt. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 37 BIM im Spezialtiefbau - aktueller Stand am Beispiel Central Business Tower, Frankfurt Abb. 2: Baugrundmodell aus der Angebotsbearbeitung Für das Ausführungsmodell wurde jedoch die Topografie des Geländes aus einem aktuellen Geländeaufmaß modelliert und bei der Verbauplanung berücksichtigt. Bestandsbebauung Die zu erhaltende Fassade auf dem Baufeld wurde im Vorfeld der Maßnahme durch einen externen Vermesser aufgenommen und in einem 3D-Modell umgesetzt. Die Planung und Modellierung der Sicherungsmaßnahme erfolgte durch einen externen Tragwerksplaner. Abb. 3: integriertes Modell der Bestandsfassade samt Sicherung (Modelle: externe Planer) Da durch die Deckelbauweise lediglich eine Ankerlage mit relativ geringer Länge notwendig war, war es hinsichtlich der Nachbarbebauung und deren Gründung ausreichend, diese in einer zweidimensionalen Grundriss- Darstellung zur Kollisionsprüfung heranzuziehen. Sparten Die eigentliche „Bestandserfassung“ im Sinne einer Modellierungsleistung beschränkte sich beim Projekt CBT also auf die Bestandsleitungen im Nahbereich des Verbaus. Dafür wurden 2D-Bestandsunterlagen herangezogen und die relevanten Sparten und Schächte hinsichtlich ihrer Höhenlage, Abmessungen und Lage im 3D-Modell umgesetzt. Abb. 4: bestehende Leitungen und Kanäle 2.3 Visualisierungen Die Visualisierung des Bauvorhabens mithilfe der koordinierten (sprich: zusammengeführten) 3D-Modelle brachte für die Umsetzung der Deckelbauweise, bei der ein deutlich höherer Koordinations- und Abstimmungsaufwand zwischen Spezialtief bau und Rohbau notwendig ist, große Vorteile mit sich. Komplexe statische, geometrische und bauablauftechnische Zusammenhänge und Problemstellungen konnten durch die gemeinsame Sichtung der dreidimensionalen Darstellung in Abstimmungen und Planungsbesprechungen einfacher verdeutlicht, allen Beteiligten besser verständlich gemacht und dadurch schneller gelöst werden. 2.4 Bemessung und Nachweisführung Dieser Anwendungsfall wurde beim CBT lediglich für die Rückverankerung genutzt. Während für die Bemessung der Anker im Statikprogramm „ideale“ Randbedingungen zugrunde gelegt werden (konstante Ankerabstände und Neigungen), können diese in der Konstruktion nicht immer eingehalten werden: Nicht selten bedingen bestehende Strukturen wie Schächte, Kanäle oder unterirdische Nachbarbebauung mit zwingend einzuhaltenden Mindestabständen eine Abweichung von der betrachteten Bemessungssituation: es werden Verschwenkungen im Grundriss, angepasste Ankerneigungen oder größere Abstände erforderlich. Diese Anpassungen verursachen meist größere Ankerlasten, die die zulässigen Werte überschreiten. Mithilfe der modellbasierten Arbeitsweise konnte der Prozess der Identifikation solcher Anker und eine Lösung durch Va- 38 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 BIM im Spezialtiefbau - aktueller Stand am Beispiel Central Business Tower, Frankfurt riation der geometrischen Randbedingungen beschleunigt werden. Neben der Modellierung der Anker mit ihren tatsächlich erforderlichen geometrischen Randbedingungen wurden auch die für das jeweilige Bauteil in der Bemessung angesetzten Werte und ermittelten Lasten eingepflegt. Dadurch konnten die tatsächlich zu erwartenden Lasten aufgrund geänderter Randbedingungen direkt ermittelt und mit hinterlegten Nachweisbedingungen und Grenzwerten bereits in der Modellierungssoftware überprüft werden. Eine optische Hervorhebung und textliche Warnung zeigten direkt bei Anpassung von Parametern ein Einhalten oder Überschreiten von zulässigen Werten an. So konnte entweder die Ankergeometrie variiert oder falls dies nicht möglich war die entsprechenden Nachweise in der Statik nachgeliefert werden. Mussten Konstrukteur und Ingenieur bisher in mehreren iterativen Runden die Ankergeometrie anpassen und Berechnungen durchführen, konnten sie beim CBT während gemeinschaftlicher Sichtungen des Modells die kritischen Bauteile betrachten, durch Modifikation der Geometrie deren Anzahl verringern und dadurch die Zeit für Abstimmungen und Nachweise minimieren. Auch die Fehleranfälligkeit beim Übertrag von Zahlenwerten aus der Berechnungssoftware in die CAD-Umgebung und umgekehrt konnte auf ein Minimum reduziert werden. 2.5 Koordination der Fachgewerke Mithilfe der umfassenden Modellierung der Einzelgewerke in einer gemeinsamen Projektumgebung und des regelmäßigen interdisziplinären Modell-austausches konnten gewerkeübergreifende Anschlüsse, wie der Anschluss der Baustraße an den Verbau, die Kranfundamente sowie der Anschluss der Decken und der Bodenplatte an den Verbau bereits frühzeitig geplant und koordiniert werden. Im Zuge der Ausführungsplanung wurde auch eine modellbasierte Kollisionsprüfung der Spezialtief baugewerke durchgeführt. Hierbei wurden Anker, Leitungen und Bestandsgebäude (Bestandsfassade) auf Kollision geprüft. Bei der die Kollisionsprüfung mit dem Rohbau (Kellerkasten des Hochhauses mit 5 Untergeschossen) wurden Kollisionen zwischen der Baugrubensicherung unter Berücksichtigung der Herstelltoleranzen und dem Kellerkasten sowie mit dem geplanten Kopf balken geprüft. Auch die Lage der Gründungspfähle im Voutenbereich der Bodenplatte konnte geprüft werden. Abb. 5: Herstellung der Bohrpfahlwand (Züblin Spezialtief bau GmbH) 2.6 Erstellung von Ausführungsplänen inkl. Mengenermittlung Für die Ausführungsplanung ist die Planableitung ein essenzieller Bestandteil. Für das vorliegende Projekt wurden sämtliche Pläne für die Bohrpfahlwand, die Gründungspfähle, die Anschlüsse der Kopf balken, die Vorverbauten, die Wasserhaltung, Fundamente und der Stahlbau aus den 3D-Modellen abgeleitet. Die Planableitung beinhaltet auch die Ausgabe sämtlicher notwendiger Tabellen auf den Ausführungsplänen. Lediglich Details wurden teilweise in 2D erstellt. Mithilfe der modellbasierten Planung können gerade komplexe geometrische Strukturen wie Versprünge, Rundungen und Verschneidungen besser geplant und dargestellt werden, z. B. durch Platzierung von Isometrien auf den Planunterlagen. Im Zuge der Modellierung und Planableitung wurden jedoch auch Schwachstellen bzw. Mehraufwand augrund der modellbasierten Arbeitsweise sichtbar. So müssen neue, noch nicht im Bauteilkatalog enthaltene Bauteile zunächst modelliert und attribuiert werden. Dies kann je nach Bauteil zeitaufwändig sein und bei engen Terminen zu Problemen führen. Des Weiteren sind gerade bei schiefen Schnitten und bei der Darstellung von Ansichten in Rundungsbereichen Fragestellungen hinsichtlich der Darstellung auf den abgeleiteten Plänen zu klären. Winkelangaben, tatsächliche Bauteilabmessungen und Bemaßungen stoßen hier schnell an ihre Grenzen, wodurch teilweise eine Nachbearbeitung der Pläne erforderlich wird. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 39 BIM im Spezialtiefbau - aktueller Stand am Beispiel Central Business Tower, Frankfurt Die Bewehrungsplanerstellung für die Pfähle erfolgte außerhalb der Revit-Umgebung. Ggf. ergeben sich hier in Zukunft weitere Möglichkeiten für Schnittstellen für eine bessere Abstimmung zwischen Verbau- und Bewehrungsplanung. Abb. 6: Übersicht über das Baufeld (Züblin Spezialtiefbau GmbH) 3. Anwendungsfälle auf der Baustelle Der vorliegende Beitrag konzentriert sich auf die Modellnutzung in der Planung. Dennoch sollen hier die BIM-Anwendungsfälle, die vom operativen Personal der Züblin Spezialtief bau GmbH genutzt und umgesetzt wurden, nicht unerwähnt bleiben: So wurde das Modell für die Baufortschrittskontrolle als Grundlage für das Controlling genutzt und die Baustellendokumentation mit dem Modell verknüpft. Abb. 7: modellbasierte Baufortschrittskontrolle (Züblin Spezialtief bau GmbH) Abb. 8: Verknüpfung von Baustellendokumenten mit dem Modell (Züblin Spezialtief bau GmbH) 4. Fazit In Summe bietet die modellbasierte Arbeitsweise auch im Planungsprozess große Vorteile, vor allem bei komplexen geometrischen Randbedingungen. Gerade in Planungsbesprechungen und Abstimmungen ist die dreidimensionale Visualisierung des Projektes ein großer Vorteil. Da die meisten BIM-Softwareprodukte den Fokus auf die Modellierung richten, gibt es hinsichtlich der Planableitung jedoch noch Herausforderungen, die eine Weiterentwicklung der Arbeitsweise bzw. der Softwareanwendungen notwendig machen. Die zur Verfügung stehenden, marktüblichen Technologien für die modellbasierte Projektbearbeitung (Modellierungssoftware, Projektplattformen) sind weit entwickelt, jedoch müssen für bestimmte Anforderungen immer wieder projektspezifische Lösungen mithilfe zusätzlicher Werkzeuge oder Programmierungen gefunden werden. Grundsätzlich ist festzustellen, dass es oft noch keine oder nur selten Anforderungen an BIM-Modelle für Spezialtief baumaßnahmen seitens der Auftraggeber gibt, auch wenn das Bauvorhaben selbst mithilfe von BIM geplant und ausgeführt werden soll. Neben den technologischen Grenzen und mangelnder Anforderungen von außen ist der „Faktor Mensch“ nicht zu unterschätzen: Alle Projektbeteiligten müssen sich mit neuen Technologien und Arbeitsweisen auseinandersetzen und können nicht auf gewohntes, altbewährtes zurückgreifen. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 41 Schadensanalyse eines Autobahndammes im Moor - Projektdaten, analytische Berechnungen und Numerische Untersuchungen Prof. Dr.-Ing. Maik Schüßler Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, Berlin Prof. Dr.-Ing. Frank Rackwitz, Dr.-Ing. Daniel Aubram, Melina Gralle, M. Sc. Technische Universität Berlin Prof. Dr.-Ing. Ralf Glasenapp Berliner Hochschule für Technik Zusammenfassung Die Bundesautobahn A 20 quert ca. 40 km östlich von Rostock das Moorgebiet der Trebelniederung. Im Oktober 2017 und im Januar/ Februar 2018 kam es auf einer Länge von ca. 80 m zum grundbruchartigen Versagen der Dammkonstruktion. Im Rahmen eines von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) initiierten Forschungsvorhabens erfolgte durch die TU Berlin eine wissenschaftliche Beurteilung des Schadenfalls. Neben den Recherchen in der Literatur und den Unterlagen zur Planung und Ausführung der Baumaßnahme wurden zielgerichtet sowohl im Feld als auch im Labor Untersuchungen ausgeführt und diese hinsichtlich ihrer Ergebnisse mit vorliegenden Untersuchungsergebnissen abgeglichen. Einige Ergebnisse der Untersuchungen und ergänzender Berechnungen werden nachfolgend vorgestellt und daraus ableitend Empfehlungen zum Einsatz von Stabilisierungssäulen in weichen organischen Böden gegeben. 1. Einführung Die Bundesautobahn (BAB) A 20 wurde im Rahmen der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ als sogenannte Ostseeautobahn gebaut. Ca. 40 km östlich von Rostock quert die BAB A 20 auf einer Länge von etwa 1,4 km das Moorgebiet der Trebelniederung mit einer 530-m langen Talbrücke und sich daran anschließenden Anschlussdämmen mit einer Gesamtlänge von 870 m [s. Abb. 1]. Die vierstreifige Autobahn wurde im Jahr 2005 in diesem Bereich dem Verkehr übergeben. Abb. 1: Übersichtsplan BAB A 20 aus [1] mit eingetragenem Schadensbereich 2017/ 2018 Aufgrund zuvor festgestellter und messtechnisch erfasster Vertikalverschiebungen der Fahrbahnoberfläche westlich der Trebelbrücke wurde die linke Richtungsfahrbahn (RF Richtung Lübeck) gesperrt. Am 09.10.2017 kam es auf einer Länge von ca. 40 m zum Versagen der Dammkonstruktion (siehe 1. Bruch in Abb. 2) und es erfolgte die Vollsperrung der Autobahn. In der Nacht vom 31.01.2018 auf den 01.02.2018 erweiterte sich der Schaden im Bereich der linken RF (siehe 2. Bruch in Abb. 2) und in der Nacht vom 11.02.2018 zum 12.02.2018 kam es zum dritten Bruch im Bereich der gegenüber liegenden rechten RF (Richtung Szczecin). Abb. 2: Schadensbereiche westlich der Trebelbrücke (Norden unten) (Bildquelle: [2]) Im Rahmen eines von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) initiierten Forschungsvorhabens sollte im Nachgang eine wissenschaftliche Beurteilung des Schadenfalls erfolgen, wovon einige Ergebnisse im Folgenden dargestellt werden. Zum Zeitpunkt des Beginns der Arbeiten durch die TU Berlin war das westliche Dammbauwerk mit dem Schadensbereich bereits vollständig zurückgebaut. 42 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Schadensanalyse eines Autobahndammes im Moor - Projektdaten, analytische Berechnungen und Numerische Untersuchungen 2. Gründungssystem Die Beauftragung der Gründung der Dammbauwerke erfolgte auf Basis einer teilfunktionalen Leistungsbeschreibung, wobei das Gründungssystem die planfestgestellten Randbedingungen (u. a. minimale bis keine Kompression des Mooruntergrundes, kein Vollbodenaustausch) einhalten musste. Das Verfahren der Untergrundverbesserung mittels CSV-Säulen (Coplan Stabilisierungsverfahren) erfüllte grundsätzlich diese Voraussetzungen. Jedoch wurde es in einem derartigen Umfang und mit den anspruchsvollen Randbedingungen bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht hergestellt. Im Zuge des Baus der BAB A 20 wurden im Bereich der Trebelquerung planmäßig ca. 80.000 CSV-Säulen und zusätzlich weitere 7.000 CSV-Säulen mit einer Gesamtlänge von ca. 700.000-m für die Gründung des Dammkörpers in den Untergrund eingebracht. Das Prinzip der Herstellung ist in Abb. 3 dargestellt. Abb. 3: Herstellung von CSV-Säulen (Prinzipdarstellung aus [1]) An der BAB A 20 wurden nach dem Auf bringen einer Arbeitsebene mit konstruktiv angeordnetem Geokunststoff auf dem vorhandenen Gelände die CSV-Säulen mit einem Durchmesser ≥ 15 cm ausgeführt und in einem Viereckraster mit Kantenlängen von ca. 0,7 m bis ca. 1,2- m angeordnet. Die Länge der Säulen wurde so gewählt, dass sie in den tragfähigen Boden unter den anstehenden Weichschichten des Moores einbinden. Über den Säulenköpfen wurde eine bindemittelverbesserte und geokunststoffbewehrte Schicht angeordnet [s. Abb. 4]. Sie dient zur Begrenzung der Horizontalverformungen infolge der an der Dammbasis auftretenden Spreizspannungen. Abb. 4: Prinzipquerschnitt Dammbauwerk BAB A 20 mit Messinstrumentierung aus [3] Zur messtechnischen Überwachung der Verformungen wurden Vertikal- und Horizontalinklinometer installiert sowie geodätische Messpunkte eingerichtet. 3. Untergrundverhältnisse 3.1 Geologie Das Untersuchungsgebiet liegt im nordöstlichen mecklenburgischen Flachland in einer leicht welligen bis fast ebenen Grundmoränenlandschaft. Das prägende Bild der Landschaft ist auf die Saale- und insbesondere auf die Weichsel-Kaltzeit zurückzuführen. Die Grundmoränenflächen wurden durch abfließende Schmelzwässer zerschnitten und es entstanden Täler, wie das Trebeltal. Im Holozän kam es zur Versumpfung der Flusstäler in deren Folge sich großflächig mehrere Meter mächtige Flusstalmoore (Niedermoore) entwickelten. 3.2 Baugrundschichtung In Abb. 5 ist auszugsweise ein Baugrundschnitt im Bereich der Schadstelle nach Eintritt des ersten Bruches dargestellt. Die tieferen Untergrundverhältnisse sind hier nicht vollständig wiedergegeben. Unter dem vorhandenen Dammkörper befindet sich auf Grund der geologischen Entstehungsgeschichte des Gebietes ein holozäner Niedermoortorfkörper. Dieser besteht überwiegend aus mäßig bis stark zersetzten Torfen mit Mächtigkeiten bis 4 m. Unter den Torf bildungen zeichnen sich größtenteils sedimentierte Mudden ab. Die bei den Untersuchungen vorgefundenen Mudden bestehen überwiegend aus Detritusmudden, Kalkmudden und vereinzelt Schluffmudden im Schadensbereich mit ca. 2 m Mächtigkeit. Auf Grund der Genese werden die Torfe und Mudden von organo-mineralischen Beckensedimenten unterlagert. Die Schluffe und Tone sind sehr unterschiedlich aufgebaut. Im Bereich der Schadstelle lässt sich feststellen, dass unter den Torfen und Mudden organogene Schluffe mit einer Mächtigkeit bis zu 2 m liegen und darunter die Tone mit bis zu 5 m Mächtigkeit folgen. Die vorgenannten Schichten werden durch pleistozäne Sande mit Einlagerungen von Geschiebemergel unterlagert. Abb. 5: Baugrundlängsschnitt im Bereich der Schadstelle (RF Richtung Szczecin) aus [3] 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 43 Schadensanalyse eines Autobahndammes im Moor - Projektdaten, analytische Berechnungen und Numerische Untersuchungen Zur Überprüfung der Untergrundverhältnisse wurden im Jahr 2019 zwei Bohrungen (d = 219 mm) ca. 150 m westlich der Schadstelle bis ca. 13 m unter Gelände ausgeführt. Die Untersuchungsergebnisse der TU Berlin sind in Tab. 1 aufgeführt. Tab. 1: Bodenmechanische Klassifikationskennwerte an ungestörten Proben Bodenparameter Torf Mudde Schluff/ Ton Wassergehalt, wn [M.-%] 594 … 766 52 … 189 24 … 29 Porenzahl, e [-] 11,2 … 13,8 1,57 … 4,9 0,64 … 0,76 Glühverlust, Vgl [M.-%] 62 … 85 3 … 9 3 … 5 Kalkgehalt, VCa [M.-%] 0,8 … 1,7 82 … 91 20 … 59 Bei den untersuchten Torfen und Mudden handelt es sich um stark kriechfähige Böden, welche ein langanhaltendes Verformungsverhalten aufweisen. Insgesamt ist festzustellen, dass die im Nachgang ermittelten Untersuchungsergebnisse der TU Berlin die Ergebnisse vorangegangener Untersuchungen des Projekts grundsätzlich bestätigen. Lediglich bei der undränierten Kohäsion lagen geringfügige Abweichungen zur ungünstigen Seite vor. Die ermittelten dränierten Scherparameter j‘ und c' lagen im Vergleich mit den Angaben früherer Untersuchungen auf der sicheren Seite. 3.3 Hydrogeologie Im Hinblick auf die hydrogeologischen Verhältnisse stellt sich im Tal der Trebel wegen der Dreiteilung des Schichtenauf baus eine Stockwerksgliederung in der Wasserführung im Trebeluntergrund ein. Der Torfkörper bildet das oberste wasserführende Stockwerk. Die unterlagernde Mudde, die organogenen Schluffe und Tone sind sehr gering grundwasserleitend bzw. wasserundurchlässig und stellen eine hydraulische Sperrschicht zwischen dem Torf und den unteren Sanden dar. Die unteren Sande bilden großflächig das Hauptgrundwasserstockwerk mit einem starken Grundwassergefälle von der angrenzenden Hochfläche zur Trebelniederung. Das Grundwasser steht hier gespannt an. Im zentralen Bereich des Tals fließt die Trebel, die den Hauptvorfluter darstellt und dort den Torfkörper mit Wasser versorgt. Unmittelbar vor Ausführung der Gründung 2001 und auch 2017 wurde das Grundwasser im Bereich der Schadstelle auf Ordinaten zwischen 0,5 und 0,8 m HN (ehemalige Geländeoberkante ~1,0 m HN, Abb. 5) festgestellt. Das Tal der Trebel weist im Hinblick auf das Angriffspotential des Grundwassers günstige Bedingungen auf, da auf Grund von Grundwasserbewegungen umgesetzte Stoffe abtransportiert und neue reaktionsfähige Stoffe an die Gründung gelangen können. Insbesondere Moorwasser kann kalklösende Kohlensäure, freie Mineralsäuren, Huminsäuren und Sulfate enthalten, die betonangreifend wirken und das Abbindeverhalten beeinflussen können. 2019 wurde Wasser aus dem Bereich des Torfes entnommen, an die TU Berlin geliefert und chemisch analysiert. Hier wurde keine betonangreifende Wirkung festgestellt. Zur Gewässerbeschaffenheit der Trebel lagen Ergebnisse physikalisch-chemischer Untersuchungen vor. Für eine grobe Einschätzung konnte auch hier festgehalten werden, dass die Werte allesamt im nicht betonangreifenden Bereich liegen. Für alle untersuchten Wässer lagen die festgestellten Parameter in einem Bereich, der für eine Betonherstellung als unkritisch zu bezeichnen ist. 4. Gründung des Dammbauwerkes 4.1 Tragelemente Stabilisierungssäulen sind Tragglieder, die unbewehrt und schlank sind sowie hydraulisch abbinden. Die beim Bau der BAB A 20 ausgeführten CSV-Säulen (Combined soil stabilisation with vertical columns bzw. Coplan Stabilisierungsverfahren) sind den Trockenmörtelsäulen zuzuordnen. Bei dem verwendeten Material für die CSV- Säulen handelt es sich um ein Trockengranulat bestehend aus 25 % CEM I 42,5 R und 75 % Sand der Körnung 0-4 mm. Die Zementart zeichnet sich durch eine hohe Hydrationswärme, hohe Frühfestigkeit und eine normale Nacherhärtung aus. Zur Überprüfung der Anordnung und des Zustandes der CSV-Säulen wurde ein Baggerschurf als vorlaufende Maßnahme für einen späteren Spundwandkasten ausgeführt. Dieser Spundwandkasten konnte jedoch nicht planmäßig hergestellt werden, sodass die Säulen lediglich im Überbohrverfahren geborgen werden konnten [s. Abb. 6]. Abb. 6: Baggerschurf (westlich der Schadstelle 2019, linkes Bild) und Säulen (geborgen im Überbohrverfahren 2020, rechtes Bild) Die Maßhaltigkeit der Lage der Säulen gegenüber den Planunterlagen konnte mit dem ausgeführten Baggerschurf teilweise als wenig übereinstimmend eingeschätzt werden. Mit dem Überbohrverfahren konnten die Säulen nur stückweise geborgen werden, sodass eine Aussage zur Integrität nicht möglich war. In den im Überbohrverfahren 2020 geborgenen Säulen erfolgte ein detailliertes geometrisches Aufmaß. Weiterhin erfolgte eine Entnahme von Säulenresten 2018 während der Herstellung der Bohrpfähle für die Behelfsbrü- 44 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Schadensanalyse eines Autobahndammes im Moor - Projektdaten, analytische Berechnungen und Numerische Untersuchungen ckengründung. Der Säulendurchmesser wurde für die anstehenden Bodenschichten wie folgt ermittelt: • Arbeitsebene: i. M. 17,6 cm • Torf: i. M. 22,4 cm • Mudde / Ton (sehr weich): i. M. 20,6 cm • Ton (weich bis steif): i. M. 16,1 cm Der geplante Durchmesser von mindestens 15 cm wurde demnach im Wesentlichen über die gesamten Säulenlängen in allen Bodenschichten erreicht. 4.2 Eigenschaften der CSV-Säulen 4.2.1 Wassereindringvorgang in das Trockengranulat Zur Untersuchung des Eindringvorganges des Wassers in das Trockengranulat und der Auswirkung eines Wasserentzugs aus dem umliegenden Boden wurden Modellversuche ausgeführt. Hierzu wurde ein Glaskasten mit den Kantenlängen 40 cm x 30 cm und einer Höhe von 30 cm verwendet. An der Glasscheibe wurde eine Halbsäule aus dem Trockengranulat mit einem Durchmesser von 150 mm eingebaut und der Kasten mit Torf und Grundwasser aus Tribsees mit einem Wassergehalt von 750 % aufgefüllt. Der Eindringvorgang wurde fotografisch über die Zeit dokumentiert [s. Abb. 7]. Abb. 7: Modellversuch zum Eindringvorgang des Wassers aus umgebendem Torf in das Trockengranulat (t = Zeit nach Ziehen des Schutzrohres und Eindringen des Wassers in die Säule) Nachdem das Trockengranulat bereits nach kurzer Zeit vollständig mit Wasser aus dem umgebenden Torf gesättigt war, wurden zur Untersuchung der Auswirkung einer möglichen Wassergehaltsreduzierung die Wassergehalte des Torfs bestimmt. Der ursprüngliche Wassergehalt reduzierte sich hierbei lediglich auf ca. 700 bis 735%. Die Reduktion des Wassergehalts ist hinsichtlich einer Verbesserung der bodenmechanischen Eigenschaften des Torfes nicht nennenswert. 4.2.2 Druckfestigkeit des Säulenmaterials Die Bestimmung der Druckfestigkeit erfolgte an Probekörpern aus den Säulenresten und aus den geborgenen Säulen. Es wurden Zylinder- und Würfeldruckfestigkeiten ermittelt. Die Ergebnisse der festgestellten Würfeldruckfestigkeiten sind in Abb. 8 dargestellt. Abb. 8: Würfeldruckfestigkeit in Abhängigkeit von der Rohdichte Weiterhin wurden zur Untersuchung des Abbindeverhaltens und der Entwicklung der Druckfestigkeit über die Zeit Probekörper im Labor hergestellt. Als Zugabewasser wurde eine Versuchsserie mit Leitungswasser und eine Versuchsserie mit Wasser, gewonnen im Bereich des Torfes der Trebelniederung, verwendet. Die Versuchsergebnisse zeigten, dass nach 7 Tagen etwa 60% der Druckfestigkeit beim Moorwasser und ca. 80% beim Leitungswasser zur 28-Tage-Druckfestigkeit erreicht sind. Über einen Zeitraum von fast einem Jahr nahm dann die Festigkeit beim Moorwasser deutlich zu und erreichte die Werte der Proben mit Leitungswasser bei 112 Tagen. Mit diesen Versuchen fanden die Ergebnisse der Versuche an den Probekörpern aus den Säulenresten und aus den geborgenen Säulen ihre Bestätigung. 4.2.3 Vertikale Tragfähigkeit der CSV-Säulen Die vertikale Tragfähigkeit der CSV-Säulen wurde während der Bauausführung mit Gruppenprobebelastungen an einer Gruppe von jeweils vier Säulen nachgewiesen, nachdem Prüfungsversuche von Einzelsäulen nicht zielführend waren. In den Bestandsunterlagen sind insgesamt 22 Versuche dokumentiert. Die Säulengruppen wurden jeweils bis zur doppelten Gebrauchslast von 520-kN belastet. Als Gegengewicht wurde ein Seilbagger verwendet. Die Setzungen unter Gebrauchslast lagen zwischen 3 und 22-mm. In Abb. 9 ist die Belastungseinrichtung für eine Gruppenprobebelastung und die Last-Setzungslinie einer einzelnen Säule aus der Vierergruppe aus dem Bereich der Schadstelle dargestellt. Unter Gebrauchslast von 65 kN (ermittelt durch Rückrechnung aus der Gesamtlast aufgrund unzureichender Instrumentierung der Probebelastung) wurden hier ca. 10 mm Setzung ermittelt. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 45 Schadensanalyse eines Autobahndammes im Moor - Projektdaten, analytische Berechnungen und Numerische Untersuchungen Abb. 9: Seilbagger als Gegengewicht zur Belastung einer Säulengruppe (Bild links, aus [1]) und Last-Setzungslinie einer Einzelsäule aus dem Bereich der Schadstelle (Bild rechts) Mit den Gruppenprobebelastungen konnte die vertikale Tragfähigkeit der CSV-Säulen nachgewiesen werden. Anzeichen von Knicken der Säulen waren nicht zu erkennen. 5. Straßenoberbau und Unterbau Nach Eintritt des Schadensfalles erfolgte bis Mai 2018 der vollständige Rückbau von Straßenoberbau und -unterbau (Dammbauwerk) bis auf eine Ordinate von 2,3 m HN. 5.1 Straßenoberbau Im Bereich der Trebelquerung wurde die BAB A 20 in Asphaltbauweise ausgeführt. Nach dem zum Zeitpunkt der Bauausführung geltenden Regelwerk wurde der Oberbau mit einer 26 cm dicken bituminösen Decke auf einer hydraulisch gebundenen Tragschicht / Verfestigung ausgeführt. Im Jahr 2015 und 2016 wurden im Bereich der späteren Schadstelle Erhaltungsmaßnahmen am Asphaltoberbau ausgeführt. Nach den vorliegenden Untersuchungsergebnissen wurde die Dicke der Asphaltschichten bis 35 cm (RF Richtung Szczecin) und bis 50-cm (RF Richtung Lübeck) festgestellt. Demnach wurden Vertikalverformungen bis 24 cm ausgeglichen. 5.2 Unterbau Der Unterbau (Dammbauwerk) wurde prinzipiell zweigeteilt vorgesehen (siehe Abb. 4). Der untere Bereich sollte aus erdstatischen Gründen als bindemittelverbessertes Bodenpaket hergestellt werden. Die Oberkante des bindemittelverbesserten Bodenpakets war in den Planunterlagen festgelegt. Darüber, im oberen Bereich, konnten entsprechend dem straßenbautechnischen Regelwerk anderweitige Dammschüttmaterialien eingebaut werden. Der Schichtenauf bau des Dammes wurde im Zuge des Rückbaus untersucht und ist teilweise dokumentiert. Im Bereich der Schadstelle wurde die Oberkante des bindemittelverbesserten Bodenpakets zwischen 2,1 und 3,6 m HN eingemessen. Planmäßig sollte diese hier bei 3,72 m HN liegen. Gemäß der vorliegenden Dokumentation wurde die Schicht in diesem Bereich mit einer zu geringen Mächtigkeit eingebaut. Eine belastbare Bewertung des Dammauf baus und der bindemittelverbesserten Schicht war aufgrund der lückenhaft vorhandenen Unterlagen jedoch nicht möglich. 5.3 Ehemalige Arbeitsebene Die Herstellung der Arbeitsebene mit einer geplanten Dicke von 0,65 m (Arbeitsplanum in Abb. 3) erfolgte auf dem ursprünglichen Gelände nach dem Auslegen eines Vlies- und eines Geokunststoffs, welche aus konstruktiven Gründen angeordnet wurden. Bei den sehr stark kompressiblen Torfen führt das Auf bringen einer Sandschüttung zwangsläufig zu Setzungen. Zur qualitätsgerechten Herstellung der CSV-Säulen muss die Arbeitsebene ein annähernd gleiches Niveau aufweisen. Hierzu müssen aufgetretene Setzungen ausgeglichen werden. Dies führt zu erneuten Belastungen und daraus resultierenden weiteren Setzungen. Zur Überprüfung der tatsächlichen Mächtigkeit der Arbeitsebene wurden die 2017 ausgeführten Bohrergebnisse und hier die festgestellte Oberkante des Torfes mit der ehemaligen Geländehöhe verglichen. Für die Arbeitsebene wurden Mächtigkeiten zwischen 1,5 und 2,95 m ermittelt. 6. Hydrologie Die Hydrologie wird von dem regionalen Niederschlagsaufkommen geprägt. Für die Messstation Tribsees Süd des Deutschen Wetterdienstes (DWD) lagen die jährlichen Niederschläge für den Zeitraum von 1991 bis 2017 vor. Der mittlere jährliche Niederschlag liegt hier bei 634 mm. 2016 war mit 452 mm Niederschlag das trockenste Jahr im Messzeitraum. In Abb. 10 sind die Tagesniederschläge der Jahre 2016 und 2017 am Standort Tribsees dargestellt. Abb. 10: Tagesniederschläge 2016 und 2017 am Standort Tribsees (DWD-Datenreihe) 2017 war gegenüber 2016 ein wesentlich feuchteres Jahr. Auffallend sind hier größere Niederschläge mit über 30 mm pro Tag. Die größte Niederschlagsmenge wurde am 05.10.2017 mit 52 mm gemessen. Dies war nach gemessenen 64,6 mm am 29.07.2011 die zweitgrößte Niederschlagsmenge seit 1991. Im Zeitraum vom 04. bis 07.10.2017, d.-h. bis zwei Tage vor dem ersten Dammbruch [s. Abb. 2] summierte sich die Niederschlagsmenge auf 88 mm. Das Niederschlagsangebot wirkt sich auf das oberste wasserführende Stockwerk aus. Im Zuge der Flusstalmoorrenaturierung der mittleren Trebel wurden Grundwasserpegel im Bereich der Torfe verfiltert und Messreihen für die Jahre 2013 bis 2017 aufgezeichnet. Auffallend waren 46 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Schadensanalyse eines Autobahndammes im Moor - Projektdaten, analytische Berechnungen und Numerische Untersuchungen in beiden Pegeln langanhaltende Tiefstände im Jahr 2016 mit einem Absinken des Grundwasserspiegels bis zu 1 m. 7. Verformungsmessungen 7.1 Allgemeines Zur Überwachung der horizontalen und vertikalen Damm- und Untergrundbewegungen wurden im Bereich der Trebelniederung 7 Messquerschnitte in Form von Vertikal- und Horizontalinklinometern eingerichtet [s. Abb. 4]. Die Messungen begannen unmittelbar vor Beginn der Dammschüttung im Mai 2002 und wurden im November 2004 beendet. Anschließend erfolgte keine weitere Nutzung der Messeinrichtungen bis Juni 2017. Ab diesem Termin wurden die Inklinometermessungen fortgesetzt und zusätzlich die Fahrbahnoberfläche geodätisch überwacht. Die gesamten Messergebnisse eines Vertikalinklinometers aus dem Bereich der Schadstelle sind in Abb. 11 dargestellt. 7.2 Messergebnisse bis November 2004 Die maximal gemessenen Vertikalverformungen mittels Horizontalinklinometer nach 2 Jahren Liegezeit lagen zwischen 13 und 71 mm (eine Ausnahme 162 mm). Im Bereich der Schadstelle wurden die maximalen Vertikalverformungen in Dammmitte mit 59 mm gemessen. Ein Großteil der Verformungen stellte sich unmittelbar nach Auf bringen der Dammschüttung ein. Bis zum Messende nahmen bei 4 von 7 Messstellen die Verformungen weiter zu. Dort war keine signifikant abnehmende Tendenz erkennbar. An den Vertikalinklinometern wurden im gleichen Zeitraum maximale Kopfverformungen zwischen 29 und 100 mm gemessen. Die größten Kopfverformungen wurden am Messquerschnitt im Bereich der späteren Schadstelle registriert [s. Abb. 11]. 7.3 Messergebnisse im Zeitraum 2005 bis 2016 Für den Zeitraum 2005 bis 2016 liegen keine Messergebnisse vor. In den Jahren 2015 und 2016 wurden im Bereich der Schadstelle Sanierungsmaßnahmen ausgeführt. Wurde bei den Sanierungsmaßnahmen die planmäßige Straßenoberfläche wiederhergestellt, müssen demnach Vertikalverformungen bis ca. 240 mm ausgeglichen worden sein (siehe Abschnitt 5.1). 7.4 Messergebnisse ab 2017 Anfang des Jahres 2017 wurden wiederum Verformungen an der Fahrbahnoberfläche im Bereich der späteren Schadstelle auf der linken RF (Richtung Lübeck) festgestellt. Ab März 2017 wurden 3 Reihen mit 45 Messpunkten auf der Fahrbahn eingerichtet und regelmäßig gemessen. Die vom Bau vorhandenen Messquerschnitte wurden ab Juni 2017 (Vertikalinklinometer im Bereich der Schadstelle) und die übrigen Messquerschnitte ab November 2017 - sofern möglich - wieder gemessen. Eine Messung der Horizontalinklinometer wurde im April 2018 ausgeführt. Zwischen 2004 und 2018 wurden außerhalb der Schadstelle Zunahmen der Vertikalverformungen zwischen 24 und 68 mm festgestellt. An den Vertikalinklinometern wurden im Zeitraum 2004 bis 2017 in Höhe der ehemaligen Arbeitsebene Zunahmen der Horizontalverformungen zwischen 58 bis 247 mm gemessen. Die größte Zunahme von 247 mm wurde kurz vor dem 1. Bruch im Bereich der Schadstelle gemessen [s. Abb. 11]. Abb. 11: Vertikalinklinometer im Bereich der Schadstelle aus [3] Die geodätischen Höhenmessungen auf der Fahrbahn erfolgten an den jeweiligen Außenrändern des Seitenstreifens und in der Mitte des 1. Fahrstreifens im Bereich der späteren Schadstelle. Die Nullmessung fand am 22.03.2017 statt. Von März bis Anfang August 2017 wurden maximal 70 mm Vertikalverschiebungen an der Fahrbahnoberfläche gemessen. Im August 2017 erfolgte im Auftrag der Straßenbauverwaltung des Landes Mecklenburg-Vorpommern die Herstellung eines Baggerschurfes im Schutze von mobilen Verbauelementen im Bereich des Seitenstreifens auf einer Länge von ca. 22 m mit einer Breite von ca. 1,5 m und einer Tiefe bis zu 5 m. Danach nahmen die Vertikalverschiebungen im Bereich der Schurfmitte auf 320 mm zu. Die ungünstige Ausbildung des Schurfes parallel zur Dammschulter hat das Verformungsverhalten negativ beeinflusst bzw. maßgeblich beschleunigt. Die letzte Messung der Punkte auf der Fahrbahnoberkante erfolgte am 04.10.2017. Zu diesem Zeitpunkt war der Schurf wieder verfüllt. Der Straßenoberbau (Asphalt) war nicht geschlossen. Ein ungehinderter Wasserzufluss zum Schurf bereich mit konzentrierter Wassereinleitung in den Damm war demnach möglich. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 47 Schadensanalyse eines Autobahndammes im Moor - Projektdaten, analytische Berechnungen und Numerische Untersuchungen 8. Analytische Berechnungen 8.1 Projektstatik Der Nachweis der Gesamtstandsicherheit für den Straßendamm wurde in der Planung für den Anfangszustand (undräniert) und den Endzustand (dräniert) nachgewiesen. Für die mit CSV-Säulen stabilisierte Weichschicht wurden gewichtete mittlere Scherfestigkeitsparameter, bestehend aus den Kennwerten für Torf/ Mudde und die stabilisierenden CSV-Säulen, nach den Flächenverhältnissen ermittelt. Mit diesen Modellbildungen konnten ausreichende Standsicherheiten nachgewiesen werden. 8.2 Vergleichende Berechnungen und Parametervariationen Für die im Rahmen der nachträglichen Untersuchungen durchgeführten vergleichenden Berechnungen und die Parametervariationen wurde die Software der Fa. GGU genutzt. Für die Betrachtungen zur Gesamtstandsicherheit kam das Programm GGU STABLITY Vers. 13.05 und für die Betrachtungen an einer Einzelsäule das Programm GGU LATPILE Vers. 8.12 zur Anwendung. 8.3 Gesamtstandsicherheit Das Programm GGU STABLITY ermöglicht die Berechnung der Gesamtstandsicherheit unter Berücksichtigung von Stabilisierungssäulen. Das Berechnungsverfahren wurde erst in den letzten Jahren entwickelt und ist in [4] ausführlich beschrieben. Ausgehend von einem Berechnungsquerschnitt im Bereich der Schadstelle wurde vergleichend ein ungeschädigter Querschnitt mit in die Betrachtungen einbezogen. Alle Berechnungen wurden für die Bemessungssituation BS-P nach EC 7 ausgeführt. Es wurden durchgehend kreisförmige Gleitflächen angenommen. Da die Säulenanordnung über den Querschnitt und auch in Dammlängsrichtung nicht einheitlich ist, mussten hier vereinfachende Annahmen getroffen werden. Im Querschnitt wurden die Abstände im Randbereich zu 1,0 m und im Kernbereich zu 0,7 m angesetzt. Für die Dammlängsrichtung wurde einheitlich ein Abstand von 0,9 m gewählt. Der Säulendurchmesser wurde mit 0,2 m angenommen. Die Berechnungen wurden begonnen mit einem Damm ohne CSV-Säulen. Die Berechnungen zeigen, dass ohne baugrundverbessernde Maßnahmen keine ausreichende Standsicherheit nachweisbar ist. Die Fortführung der Berechnungen erfolgte mit den eingebauten CSV-Säulen. Mit dem planmäßigen Vorhandensein der bindemittelverbesserten Schicht von 2,5 m wurde hier ein Ausnutzungsgrad von µ = 0,64 für den Endzustand errechnet. Weitere Berechnungen wurden unter Variation folgender Parameter durchgeführt: • Arbeitsebene bis 2,85 m erhöht • Absenkung des Grundwasserspiegels um 1 m • kein Geogitter und keine bindemittelverbesserte Schicht Der Ausnutzungsgrad lag bei diesen Berechnungen zwischen µ = 0,57 bis 0,79 für den Endzustand. Mit den ausgeführten Berechnungen wurde ausnahmslos eine ausreichende Standsicherheit mit den CSV-Säulen nachgewiesen. Es muss jedoch beachtet werden, dass in diesen Berechnungen keine Verformungen und daraus resultierende weitere Beanspruchungen berücksichtigt werden können. Um das Versagensszenario des Dammes näher zu untersuchen, wurde eine weitere Modifikation des Berechnungsmodells vorgenommen. Hierbei wurde davon ausgegangen, dass die Säulen über die Zeit, beginnend am Dammfuß hin zum Damminneren, versagt haben. Als Ursachen kommen hierfür die im Damm wirkenden Spreizkräfte und horizontale Kriechverformungen am Dammfuß in Betracht. Das Versagen der Säulen wurde simuliert, indem die Säulen aus dem Berechnungsmodell nacheinander entfernt wurden. In Abb. 12 ist das Ergebnis der Gleitkreisberechnung nach Entfernung der ersten 7 Säulenreihen dargestellt. In diesem Zustand stellt sich ein Dammfußgrundbruch ein. Abb. 12: Gleitkreisberechnung nach Entfernung der ersten 7 Säulenreihen im Bereich der Schadstelle (GGU-Berechnung) 8.4 Berechnungen einer horizontal gebetteten Säule Die Ergebnisse der Vertikalinklinometermessungen am Dammfuß [s. Abb. 11] haben gezeigt, dass die Säulen sehr stark auf Biegung beansprucht werden. Die Verformungsfiguren ähneln hier sehr stark der Biegelinie eines elastisch gebetteten Balkens. Ein Versagen durch Verdübelung einer Gleitfuge hätte ein gänzlich anderes Bild gezeigt. Aufgrund der Vertikalbelastung der Säulen ist von einachsiger Biegung mit Längskraft auszugehen. Die Spannungen am Säulenrand können im vorliegenden Fall nach folgender Gleichung ermittelt werden: [1] An der Stelle des maximal auftretenden Momentes dürfen die Randspannungen die zulässigen Biegezugspannungen des Säulenmaterials nicht überschreiten, da ansonsten ein Versagen des unbewehrten Querschnitts eintritt. Die Normalkraft N der Säulen ergibt sich aus der zugeordneten Säuleneinzugsfläche, deren Auflast und den 48 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Schadensanalyse eines Autobahndammes im Moor - Projektdaten, analytische Berechnungen und Numerische Untersuchungen von den Säulen übernommen Lastanteil. Bei den Säulen am Dammfuß ist die Normalkraft mit Null anzunehmen. Bei einer Dammhöhe von 6 m und einem Lastanteil von 90% lässt sich die Normalkraft einer Säule zu ca. 50 kN ermitteln. 8.4.1 Bestimmung der Biegezugfestigkeit des Säulenmaterials Untersuchungen zur Biegezugfestigkeit des Säulenmaterials wurden mittels Dreipunktbiegeversuchen nach DIN EN 196-1: 2016-11 ausgeführt. Das Verfahren ist für Mörtelprismen vorgesehen. Beim Säulenmaterial ist ein Größtkorn von 4 mm vorhanden, so dass dieses Prüfverfahren mit Probekörperabmessungen von 40/ 40/ 160 mm geeignet ist. Abb. 13: Biegezugfestigkeit in Abhängigkeit von der Rohdichte Die Werte der festgestellten Biegezugfestigkeiten streuen sehr stark [s. Abb. 13]. Mit Werten bis 9 N/ mm² wurden auch sehr hohe Werte erreicht. Eine Abhängigkeit von der Rohdichte ist erkennbar. Die im Labor hergestellten Probekörper erreichen nach 8 Tagen Biegezugfestigkeiten zwischen 2,8 N/ mm² und 4,5 N/ mm² und nach 28 Tagen Werte zwischen 5,0 N/ mm² und 5,5-N/ mm². Nach 8 Tagen sind demnach im Mittel ca. 70% der 28-Tage Biegezugfestigkeiten vorhanden. Auffallend in Abb. 13 sind teilweise sehr niedrige Werte < 2 N/ mm². Die Biegezugversuche sind sehr anfällig gegenüber Probestörungen (Mikrorisse). Derartige Probestörungen können durch das Herstellen der Probekörper durch Aussägen aus dem sehr spröden Säulenmaterial verursacht worden sein. Die festgestellten niedrigen Werte sind demnach nicht zwangsläufig auf das Säulenmaterial an sich zurückzuführen. Bei Berücksichtigung von 75 plausiblen Versuchsergebnissen ergab sich ein Mittelwert von 5,15 N/ mm². 8.5 Aufnehmbares und vorhandenes Biegemoment Für verschiedene Säulendurchmesser und Normalkräfte wurden Berechnungen zum aufnehmbaren Biegemoment ausgeführt. Das aufnehmbare Biegemoment ist sehr stark vom Säulendurchmesser abhängig. Zwischen dem planmäßigen (15 cm) und den im Mittel festgestellten Säulendurchmesser (20 cm) steigt das aufnehmbare Biegemoment auf über das Doppelte an. Bei gleicher Biegezugspannung und verschiedener Normalkraft steigt auch das aufnehmbare Biegemoment an. Bei einer Normalkraft von 50 kN kann das aufnehmbare Biegemoment auf das 1,3-fache gegenüber fehlender Normalkraft gesteigert werden. Für die Betrachtungen an einer horizontal gebetteten Einzelsäule wurde das Programm GGU LATPILE Vers. 8.12 genutzt. Unter der vereinfachenden Annahme, dass die Messergebnisse der Vertikalinklinometer die Biegelinien der Säulen repräsentieren, wurden die gemessenen Horizontalverformungen nachvollzogen [s. Abb. 14]. Abb. 14: Gemessene und berechnete Horizontalverformungen (links) und Modellbildung (rechts) Bei Ansatz einer horizontalen Einzellast von 2 kN am Säulenkopf ergab sich eine Kopfverformung der Säule von 53 mm. Das dazugehörige maximale Biegemoment wurde mit 5,4 kNm ermittelt. Ein Vergleich des errechneten mit dem aufnehmbaren Biegemoment zeigte, dass bereits bei den ermittelten Kopfverformungen der Säulenquerschnitt mit einem Durchmesser von 20 cm versagt. Die errechnete Kopfverformung von 53 mm war im Bereich der Schadstelle bereits zum Abschluss der Messungen 2004 überschritten [s. Abb. 11]. Auch wenn bereits 2 Jahre nach Dammfertigstellung einige Säulen im Randbereich gebrochen waren, muss dies nicht zwangsläufig zum Versagen des Gesamtdammes führen. Dies haben die Berechnungen zur Gesamtstandsicherheit gezeigt. Kritisch wird es erst, wenn eine bestimmte Anzahl an Säulen versagt. 9. Numerische Untersuchungen Zur genaueren Beurteilung des Schadenfalls der BAB A-20 sollte der Einfluss verschiedener Faktoren auf das Verformungsverhalten des Straßendammes untersucht und mit den Messwerten der Inklinometer verglichen werden. Das Trag- und Verformungsverhalten des Straßendammes ist aufgrund der Interaktion zwischen den einzelnen Bestandteilen aus Dammbauwerk, Gründung und Untergrund sowie der Eigenschaften der Weichschichten äußerst komplex. Für eine genauere Untersuchung der Verformungen von Baubeginn bis Versagen wurden dafür numerische Simulationen an einem dreidimensionalen Modell durchgeführt. 9.1 Voruntersuchungen Als Voruntersuchungen wurden Parameterstudien an einem Rechenmodell einer Säuleneinheitszelle durchgeführt. Dafür wurde ein axialsymmetrisches Modell einer 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 49 Schadensanalyse eines Autobahndammes im Moor - Projektdaten, analytische Berechnungen und Numerische Untersuchungen runden Säule samt umliegendem Boden in dem Finite- Elemente(FE)-Programm Plaxis 2D, Vers. 2019 erstellt. Um den Einfluss herstellungsbedingter Abweichungen verschiedener Abmaße und Festigkeiten der Baumaßnahme zu untersuchen, wurden verschiedene Modellparameter im Rahmen einer Sensitivitätsanalyse variiert. Eine Untersuchung der Lage der bindemittelverbesserten Schicht ergab, dass eine Verschiebung um 3-m oberhalb der Säulenköpfe die gleiche Wirkung wie das Vernachlässigen dieser Schicht aufweist. In beiden Fällen wurden die Setzungen des Bodens um denselben Betrag erhöht, während der Lastanteil der CSV-Säulen um denselben Betrag verringert wurde und die Setzungen der Säulen unbeeinflusst blieben. Eine Variation der Dicke der bindemittelverbesserten Schicht zeigte keinen Einfluss auf das Lastverteilungs- und Setzungsverhalten, solange diese direkt oberhalb der Säulenköpfe angeordnet war. Über eine Änderung der Länge der CSV-Säulen wurde die Lagerungsart der Säulenfüße zwischen schwimmend innerhalb der Tonschicht und aufstehend auf oder einbindend in der tragfähigen Sandschicht variiert. Die Variationen zeigten, dass die Lastverteilung zwischen CSV-Säulen und Boden unabhängig der Lagerungsart war. Während die Änderung von einbindender zu aufstehender Lagerung keinen Einfluss auf das Setzungsverhalten hatte, führte eine schwimmende Lagerung zu erhöhten Setzungen von Säule und Boden ohne dabei die Setzungsdifferenz zu beeinflussen. Des Weiteren wurde der Einfluss der Säulenherstellung sowie der Konsolidierung untersucht. Da sowohl die Simulation der Säulenherstellung mittels Hohlraumaufweitung als auch die Berücksichtigung eines erhöhten Spannungsverhältnisses nach der Herstellung keinen Einfluss auf das Lastverteilungs- und Setzungsverhalten zeigten, wurden die Effekte der Herstellung als vernachlässigbar eingestuft. Eine Berücksichtigung der Konsolidierung mittels gekoppelter Analyse führte bei einbindend gelagerten CSV-Säulen zu geringeren Setzungen als eine dränierte Berechnung, weshalb die Durchführung einer dränierten Berechnung auf der sicheren Seite liegt. 9.2 Modell- und Simulationsgrundlagen Anhand der Erkenntnisse der Voruntersuchungen wurde mit dem FE-Programm Plaxis 3D Vers. 20.1.0.98 unter Ausnutzung der Querschnittssymmetrie das halbe Modell des Straßendammabschnitts mit einer Modellänge von 75-m in Dammquerrichtung erstellt [s. Abb. 15]. Die Breite des Modells in Dammlängsrichtung wurde unter Annahme eines ebenen Verzerrungszustandes auf drei Kernsäulenreihen festgelegt, was 2,22 m entspricht. Der Untergrund wurde bis zu einer Tiefe von -30-m modelliert. Als Randbedingungen wurden die horizontalen Verschiebungen für die vertikalen Modellränder und sämtliche Verschiebungen für den unteren Modellrand gesperrt. Der runde Querschnitt der CSV-Säulen mit dem planmäßigen Durchmesser von 15 cm wurde zur Vermeidung von Konvergenzprobleme durch Unregelmäßigkeiten des FE-Netzes in Rechtecke umgerechnet, wobei eine Äquivalenz der Flächenverhältnisse und der Biegesteifigkeiten eingehalten wurde. Die Säulen wurden, wie planmäßig vorgesehen, 1- m tief in den tragfähigen Boden unterhalb der Weichschichten eingebunden. Abb. 15: a) Finite-Elemente-Modell des halben Straßendammabschnitts und b) Lage der Kern- und Randsäulen und Inklinometer im Modell mit Plaxis 3D Für die dreidimensionale Modellierung der Boden- und Dammschichten sowie der CSV-Säulen wurden Volumenelemente verwendet, während das Geogitter über programminterne „Geogrid“-Elemente modelliert wurde. Um einen Vergleich mit den Messergebnissen der Inklinometer zu ermöglichen, wurden an den entsprechenden Stellen masselose Balkenelemente angeordnet [s. Abb. 15]. Zur Berücksichtigung des zeitabhängigen Verhaltens der kriechfähigen Böden wurde für den Torf und die Mudde das programminterne „Soft-Soil-Creep“-Stoffmodell [5] verwendet. Bei der darunterliegenden Tonschicht ergab die Auswertung der Stoffmodellparameter aus den Laborversuchen, dass das Kriechen vernachlässigt und das „Soft-Soil“-Stoffmodell [5] angesetzt werden konnte. Das Materialverhalten der restlichen Schichten des Untergrunds sowie des Unterbaus aus Arbeitsebene, bindemittelverbesserte Schicht und Dammschüttung wurde elasto-plastisch mit Bruchbedingung nach Mohr-Coulomb modelliert. Den steifen CSV-Säulen und dem Geogitter wurden linear-elastische Materialeigenschaften zugewiesen. Die Stoffmodellparameter wurden für die Säulen aus den Ergebnissen der durchgeführten Laborversuche bestimmt und für das laut Bestandsunterlagen eingebaute Geogitter aus Datenblättern des Herstellers entnommen. 50 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Schadensanalyse eines Autobahndammes im Moor - Projektdaten, analytische Berechnungen und Numerische Untersuchungen Anhand der Unterlagen der Baumaßnahme wurden die Zeitschritte der numerischen Simulationen über die Dauer der einzelnen Arbeitsschritte des Bauablaufs sowie die dokumentierten Liegezeiten diskretisiert. Neben dem Bauablauf und dem Zeitpunkt der Verkehrsfreigabe wurden zur Vergleichbarkeit weitere Zeitschritte berechnet, die den Zeitpunkten der Inklinometermessungen bis kurz vor Versagen des Straßendammes entsprechen. 9.3 Einfluss der Ausgleichsschüttung In einem ersten Modell wurde die Oberkante der CSV- Säulenköpfe mit direktem Kontakt zur bindemittelverbesserten Schicht angenommen. Als Vergleich wurden Berechnungen an einem Modell durchgeführt, in dem die Säulenköpfe in der Arbeitsebene um 20 cm herabgesetzt wurden. Diese Änderung entspricht einem Ausgleich der Arbeitsebene oberhalb der CSV-Säulenköpfe, welcher laut vorliegender Dokumentation in den meisten Bereichen des Dammes notwendig wurde. Ein Vergleich der Ergebnisse zeigte, dass der Verlauf der Horizontalverformungen sich den Messungen des Vertikal-inklinometers annäherte. Bei herabgesetzten Säulenköpfen erhöhten sich die Setzungen, wodurch die Werte in Dammmitte eher der Größenordnung der Messwerte des Horizontalinklinometers entsprachen. Die Setzungen wurden zum Dammfuß hin allerdings deutlich überschätzt. Da die Ergebnisse für das Modell mit herabgesetzten Säulenköpfen näher an den Messergebnissen lagen, wurde diese Anordnung für die weiteren Untersuchungen festgelegt. 9.4 Einfluss der bindemittelverbesserten Schicht Die oberhalb der Säulenköpfe angeordnete bindemittelverbesserte Schicht dient als lastverteilende Tragschicht, welche abhängig der Ausprägung einer Gewölbewirkung einen Großteil der einwirkenden Lasten aus Dammeigengewicht und Verkehr auf die steifen CSV-Säulen umlagert. Im numerischen Modell wurde die Mächtigkeit der bindemittelverbesserten Schicht mit 1-m angesetzt, da diese im Schadensbereich gemäß der vorliegenden Dokumentation geringer als die geplanten 2,5- m ausgeführt wurde. Um ein mögliches Reißen dieser Schicht zu untersuchen, wurde der Einfluss aus Rissbildungen oder einer klaffenden Fuge in Dammmitte über Interfaces simuliert. Durch die Modellierung einer klaffenden Fuge stimmten die berechneten Werte der Kopfverformungen deutlich besser mit den Messwerten des Vertikalinklinometers überein. Der Verlauf der berechneten Setzungen zeigte eine qualitativ bessere Übereinstimmung mit den Horizontalinklinometermessungen, wobei die Werte in Dammmitte allerdings deutlich überschätzt wurden. Begutachtungen der Schadensstelle belegten, dass die bindemittelverbesserte Schicht inhomogen war und keine konstante Festigkeit aufwies, weshalb ein Ansetzen der planmäßigen Festigkeit als zu hoch eingeschätzt wurde. Durch Variation des Parameters der Kohäsion c' wurde der Einfluss der Festigkeit der bindemittelverbesserten Schicht untersucht. Ein Vergleich der Ergebnisse von Berechnungen mit der planmäßigen Festigkeit von 500-kN/ m 2 und verringerten Festigkeiten von 100-kN/ m 2 , 50-kN/ m 2 , 10-kN/ m 2 und von 3-kN/ m 2 zeigten einen großen Einfluss auf das Verformungsverhalten des Straßendammes. Eine geringe Festigkeit von 3-kN/ m 2 bzw. 10-kN/ m 2 entspricht der Größenordnung eines Sandes bzw. schluffigen Sandes, während Werte ab 50-kN/ m 2 nur über eine Verbesserung mit Bindemitteln erreicht werden. Wie in Abb. 16 zu sehen ist, traten bei geringen Festigkeiten der bindemittelverbesserten Schicht stark variierende Verformungen innerhalb des Dammbauwerks auf, während eine hohe Festigkeit zu einer gleichmäßigen Setzung führte. Der Straßendamm rutscht am Dammfuß ab und es stellt sich ein Verformungsbild ein, das zu dem grundbruchartigen Versagen der BAB A 20 passt. Abb. 16: Netzverformungen des Finite-Elemente-Modells bei einer Festigkeit der bindemittelverbesserten Schicht von 3 kN/ m 2 Ein Vergleich der horizontalen Verformungen einzelner CSV-Säulen am Ende der Berechnung zeigte bei allen Varianten eine Zunahme der Kopfverformungen mit steigender Entfernung der Säulen von der Dammmitte. Bei geringen Festigkeiten zeigten die horizontalen Verformungen der Säulen den Verlauf eines unten eingespannten Kragarms [s. Abb. 17]. Je höher die Festigkeit, desto stärker ist eine zusätzliche Einspannung am Säulenkopf zu erkennen, was die Lage der maximalen Horizontalverschiebung leicht nach unten verschiebt. Die numerischen Ergebnisse einer Säule im Randbereich lagen bei abgeminderter Festigkeit der bindemittelverbesserten Schicht deutlich näher an der maximal gemessenen Horizontalverformung des Vertikalinklinometers von 350-mm im Bereich der Schadstelle. Somit kann vermutet werden, dass die planmäßigen Festigkeiten der bindemittelverbesserten Schicht im Schadensbereich nicht erreicht wurden oder die Dicke dieser Schicht dort deutlich geringer als geplant war. Außerdem fiel auf, dass die horizontalen Kopfverformungen der CSV-Säulen von der Mitte zur Schulter des Dammes stetig zunahmen, aber sich für die Säulen im Randbereich des Dammes nicht weiter erhöhten. Somit konnte vermutet werden, dass diese Randsäulen am Ende der Berechnung keinen Widerstand mehr leisteten, was mit den analytischen Berechnungen zur Reduzierung der Säulenanzahl (Abschnitt 8.3) übereinstimmt. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 51 Schadensanalyse eines Autobahndammes im Moor - Projektdaten, analytische Berechnungen und Numerische Untersuchungen Abb. 17: Horizontale Endverformungen einer Randsäule am Dammfuß bei Variation der Festigkeit der bindemittelverbesserten Schicht (500 kN/ m 2 , 100-kN/ m 2 , 50 kN/ m 2 , 10 kN/ m 2 , 3 kN/ m 2 ) Bei geringen Festigkeiten der bindemittelverbesserten Schicht entsprach der Verlauf der Setzungen qualitativ nicht den Messungen der Horizontalinklinometer, da die größte Setzung in der Nähe der Dammschulter anstatt der Dammmitte berechnet wurden. Diese Diskrepanz ließ Unstimmigkeiten mit der Symmetriebedingung des halben Modells vermuten, weshalb die numerischen Untersuchungen an der TU Berlin aktuell an einem Modell des Gesamtdammquerschnitts mit dem FE-Programm Ansys fortgeführt werden. 9.5 Einfluss des Geogitters Die Berücksichtigung des Geogitters zeigte beim Vergleich der numerischen Ergebnisse eines Modells mit und ohne Geogitter nur einen vernachlässigbar kleinen Einfluss auf das vertikale und horizontale Verformungsverhalten des Straßendammes. Die Auswertung der Normalkraftbeanspruchung des Geogitters zeigte bei geringer Festigkeit der bindemittelverbesserten Schicht Maximalwerte von bis zu 100-kN/ m und bei hoher Festigkeit nur bis zu 3 kN/ m. Bei abgeminderter Festigkeit der bindemittelverbesserten Schicht wird die Bemessungsfestigkeit des Geogitters von 60 kN/ m überschritten und das Geogitter versagt. Ein Versagen des Geogitters würde zu zusätzlichen Beanspruchungen der bindemittelverbesserten Schicht und der CSV-Säulen führen. Die Maximalwerte der Normalkräfte traten in Dammquerrichtung etwa im Bereich der Dammschulter auf und nahmen zur Mitte und zum Fuß des Dammes wieder ab. 10. Betrachtungen zur Nachhaltigkeit Die weltweite Bedeutung der Moorböden als CO 2 -Speicher ist mittlerweile bekannt. Insbesondere entwässerte Moorböden können in Abhängigkeit von ihrer Nutzung bis zu ca. 25 t CO 2 -Äq. pro Hektar freisetzen [6]. Ein Belassen der Moorböden im Untergrund bei Straßenbaumaßnahmen ist daher angeraten. Das Gründungssystem mittels CSV-Säulen kann diese Bedingung erfüllen und ist aus dieser Sicht zu befürworten. Der Bindemitteleinsatz ist jedoch kritisch zu beurteilen. Im Bereich der BAB A 20 wurden bei einer Gesamtlänge von ca. 700.000 m und einem mittleren Durchmesser der CSV-Säulen von 0,2 m sowie einer anzunehmenden Dichte von ca. 2 t/ m³ ca. 40.000 t Trockengranulat verbaut. Bei einem Masseanteil von 25% CEM I 42,5 R und einer zum Zeitpunkt der Errichtung der BAB A 20 herstellungsbedingten CO 2 -Emission von ca. 900 kg pro Tonne Zement [7] ergeben sich ca. 10.000 t CO 2 . Bei Einsatz eines Zements CEM II 32,5 R wäre zum damaligen Zeitpunkt eine Reduzierung der herstellungsbedingten CO 2 -Emission um ca. 25% möglich gewesen. Derartige Einsparungen dürfen jedoch nicht zu einer wesentlichen Einschränkung der bautechnischen Eigenschaften führen. Zur Überprüfung dieses Sachverhaltes wurden an der HWR Berlin Versuche mit einem CEM II 32,5 R ausgeführt. Das Mischungsverhältnis wurde beibehalten. Es wurden drei Versuchsreihen mit insgesamt 27 Probekörpern (Prismen 40/ 40/ 160 mm) mit Leitungswasser hergestellt. Die Lagerung erfolgte unter Wasser. Zur Überprüfung des zeitlichen Erhärtungsverhaltens wurden wöchentlich indirekte Prüfungen zur Bestimmung der Festigkeits- und Verformungsverhaltens mittels der Versuchseinrichtung RA 100 Concrete der Fa. TESTING vorgenommen. Die zeitliche Entwicklung der ermittelten Würfeldruckfestigkeiten ist in Abb. 18 für die Mittelwerte der Einzelversuche aufgetragen. Abb. 18: Zeitliche Entwicklung der Würfeldruckfestigkeit ermittelt mittels indirekter Versuche an Proben hergestellt mit CEM II 32,5 R Erwartungsgemäß liegen die Werte der Druckfestigkeit deutlich unterhalb derer mit CEM I 42,5 R (vgl. Abb. 8). Eine Zunahme der Festigkeit (Nacherhärtung) ist hier auch nach 28-Tagen erkennbar. Für das Gründungssystem sind die festgestellten Würfeldruckfestigkeiten jedoch als ausreichend zu bewerten. Eine direkte Ermittlung der Würfeldruckfestigkeit und die Bestimmung der Biegezugfestigkeit in Drei-Punkt- Biegeversuchen erfolgte im Probenalter von ca. vier (Versuchsreihe A und B) bzw. ca. acht Wochen (Versuchsrei- 52 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Schadensanalyse eines Autobahndammes im Moor - Projektdaten, analytische Berechnungen und Numerische Untersuchungen he C). Die ermittelten Biegezugfestigkeiten sind in Abb. 19 dargestellt. Abb. 19: Biegezugfestigkeit in Abhängigkeit von der Rohdichte an Proben hergestellt mit CEM II 32,5 R Aus Abb. 19 ist ersichtlich, dass die Biegezugfestigkeit abhängig von der Dichte des Materials ist (siehe hierzu auch Abb. 13). Ein Vergleich der Regressionen der Abb. 13 und 19 zeigt, dass mit einem CEM II 32,5 R zwischen ca. 70 und 80% der Biegezugfestigkeit gegenüber einem CEM I 42,5 R erreicht werden. Dies wäre bei Einsatz eines alternativen Bindemittels z. B. bei der Festlegung zulässiger Horizontalverformungen der Säulen zwangsläufig zu berücksichtigen. Das mit dem eingesetzten Zement ausgeführte Gründungssystem kann nicht als klimafreundlich im Sinne herstellungsbedingter CO 2 -Emission bezeichnet werden. Der Einsatz eines alternativen Zementes mit einer besseren CO 2 -Bilanz ist mit gewissen bautechnischen Einschränkungen möglich. Eignungsuntersuchungen hierzu sind jedoch notwendig. 11. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Die zur Planung des betroffenen Dammabschnitts im Trebeltal vorliegende Baugrundbeschreibung wurde hinsichtlich Baugrundschichtung, Bodenansprache und angegebener Kennwerte durch die eigenen nachträglichen Untersuchungen im Wesentlichen bestätigt. Diese Untersuchungen waren jedoch nur außerhalb des Schadensbereiches möglich. Die ursprünglich zur Herstellung der Säulen erforderliche Arbeitsebene ist in den meisten Bereichen viel dicker als geplant angetroffen worden und teilweise über 2 m mächtig. Offenbar machten größere Setzungen während der Herstellung der CSV-Säulen einen Ausgleich der Arbeitsebene erforderlich. Die aus verschiedenen Tiefen geborgenen Säulenstücke wurden umfassend untersucht. Es konnte eine ausreichende Festigkeit des Säulenmaterials ermittelt werden. Die Durchmesser der geborgenen CSV-Säulen zeigten eine große Streuung. Im Bereich der organischen Schichten wiesen die Säulen einen größeren Querschnitt auf als geplant. Weiterhin wurde in einem Modellversuch der Verfestigungsvorgang der einzelnen Säulen mit Torf aus dem Bereich des Dammes simuliert. Die Auswertung ergab, dass eine vollständige Eindringung des Grundwassers in das Säulengranulat erfolgte und die auf diese Weise hergestellte Säule auch eine ausreichende Festigkeit besaß. Die bindemittelverbesserte Schicht wurde nach den Angaben in der Dokumentation zum Dammrückbau im Bereich der Schadstelle mit einer zu geringen Mächtigkeit eingebaut. Eine belastbare Bewertung ist aufgrund der lückenhaften Dokumentation jedoch nicht möglich. Mit den ausgeführten analytischen Berechnungen zur Gesamtstandsicherheit des Dammes wurde ausnahmslos eine ausreichende Standsicherheit mit den CSV-Säulen nachgewiesen. Da dies praktisch jedoch nicht gegeben ist, wurde eine weitere Modifikation des Berechnungsmodells dahingehend vorgenommen, dass mehrere Säulenreihen aus dem Modell entfernt wurden. Nach Entfernen der 7. Säulenreihe stellt sich ein Dammfußgrundbruch ein. Aus der Annahme gleicher Verformungen der Säulen entsprechend den Ergebnissen der Vertikalinklinometermessungen am Dammfuß lässt sich eine sehr starke Biegebeanspruchung folgern. Nachrechnungen am Modell des elastisch gebetteten Balkens und Spannungsermittlungen mit den aus den Versuchen ermittelten Biegezugspannungen und der Vergleich mit der am Säulenmaterial bestimmten Biegezugfestigkeit haben gezeigt, dass die auftretenden Biegemomente teilweise nicht von den Säulen aufgenommen werden können. Gemäß den Auswertungen der Vertikalinklinometermessungen trat dies bereits sehr früh ein. Ein Versagen einzelner Säulenreihen am Dammfuß führt jedoch noch nicht zum Versagen des Gesamtdammes. Durch das Absinken des Grundwasserspiegels von bis zu einem Meter im Jahr 2016 in Verbindung mit den festgestellten überplanmäßigen Mächtigkeiten der Arbeitsebene können großflächige Zusatzbelastungen sowohl in vertikaler als auch in horizontaler Richtung auftreten. Insbesondere am Dammfuß müssen derartige horizontale Belastungen durch den anstehenden Torf aufgenommen werden. Daraus folgen jedoch zusätzliche Verformungen, welche ein Versagen der Säulen bei einem bereits kritischen Zustand nach sich ziehen können. Ein derartiges Versagensszenario führt zu den festgestellten Verformungen an der Fahrbahnoberfläche. Nach Herstellung und Wiederverfüllung des erwähnten Baggerschurfes im Bereich der späteren Schadstelle nahmen die Vertikalverschiebungen in diesem Bereich extrem zu. Die Säulen wurden maßgeblich in vertikaler Richtung entlastet. Dies führt dazu, dass das aufnehmbare Biegemoment reduziert wird und Säulen im Grenzbereich ihrer Ausnutzung versagen können. Damit hat die Ausführung des Schurfes das Verformungsverhalten negativ beeinflusst und maßgeblich beschleunigt. Außerdem wurde der Asphaltoberbau nach Wiederverfüllung des Schurfes nicht geschlossen und ermöglichte somit einen ungehinderten Wasserzufluss in den Damm. Im Zeitraum vom 04. bis 07.10.2017 lag die Gesamtniederschlagsmenge bei 88 mm. Infolge der Wassersättigung des Verfüllmaterials des Schurfes kann sich im Damm ein Wasserdruck auf bauen. Die Wirkung dieses Wasser- 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 53 Schadensanalyse eines Autobahndammes im Moor - Projektdaten, analytische Berechnungen und Numerische Untersuchungen druckes hat schlussendlich zum Versagen der Dammkonstruktion geführt. Der erste Bruch ereignete sich zwei Tage nach dem Ende der Starkniederschläge am 09.10.2017. Der zweite und insbesondere der dritte Bruch waren dann eine Folgeerscheinung des ersten Bruchs. Das CSV-Verfahren sollte bei Anwendung in sehr weichen Böden nicht als Untergrundbzw. Baugrundverbesserung eingeordnet werden (unbewehrte Pfahlgründung). Die Anwendungsgrenzen müssen in Abhängigkeit vom Boden definiert werden. Eine Anwendung in Torfen/ Mudden kann nicht empfohlen werden. Herkömmliche klassische Bemessungsverfahren bilden das Zusammenspiel aus sehr weichen Böden und steifen Säulen nicht realitätsnah ab. Dem Nachweis der Horizontalverformungen bzw. des Horizontalkraftabtrags kommt eine besondere Bedeutung zu. Dieser Nachweis ist sehr komplex und die Ergebnisse müssen baupraktisch mit geeigneten Versuchsanordnungen überprüft werden. Eine messtechnische Überwachung während der gesamten Bau- und Nutzungszeit ist insbesondere bei stark kriechfähigen Böden unerlässlich. In den vorgestellten analytischen Berechnungen ist die Simulation von Verformungen und den daraus folgenden zusätzlichen Beanspruchungen nur eingeschränkt möglich. Zum besseren Verständnis des Verhaltens des Dammes im Schadensbereich wurden Finite-Elemente-Berechnungen durchgeführt, die auch nach dem Abschlussbericht zum Schadenfall in aktuellen Forschungsarbeiten der TU Berlin weitergeführt werden. Die Ergebnisse der numerischen Untersuchungen zeigten zum einen den Einfluss einer Ausgleichsschüttung oberhalb der CSV-Säulenköpfe auf das Setzungsverhalten. Ohne direkten Kontakt zwischen Säulenköpfen und bindemittelverbesserter Schicht werden die Setzungen betragsmäßig erhöht und nähern sich dadurch den im Schadensbereich gemessenen Werten des Horizontalinklinometers an. Zum anderen wurde der Einfluss der Festigkeit der bindemittelverbesserten Schicht auf die Setzungen des Dammbauwerks und die horizontalen Verformungen der CSV-Säulen verdeutlicht. Die Ergebnisse der Modelle mit abgeminderter Festigkeit dieser Schicht (3 und 10 kN/ m 2 ) wiesen bessere Übereinstimmungen mit den Vertikal- und Horizontalinklinometermessungen im Schadensbereich kurz vor dem Versagen auf. Die horizontalen Kopfverformungen der CSV-Säulen nahmen dabei mit steigendem Abstand zur Dammmitte bis kurz hinter die Dammschulter stark zu und blieben bis zum Dammfuß nahezu konstant. Daraus konnte geschlussfolgert werden, dass die Säulen im Randbereich den Dammverformungen keinen Widerstand mehr leisten, was die Ergebnisse der analytischen Berechnungen bestätigte. Literatur [1] Hecht, T.: Bauen auf organischen Böden. BTU Cottbus 2010. [2] Mosebach, B., ZDF, 27. Februar 2018: [Online]. Available: https: / / www.zdf.de. [Accessed 15. Mai 2019] [3] Rackwitz, F.,Aubram, D., Glasenapp, R. & Schüßler, M.: Wissenschaftliche Beurteilung des Schadenfalls an der BAB A 20 bei Tribsees. Abschlussbericht, TU Berlin 2021. [4] Gömmel, R.: Berücksichtigung unbewehrter pfahlartiger Tragglieder beim Nachweis der Gesamtstandsicherheit. Dissertation TU Berlin 2019. [5] Neher, H. P.: Zeitabhängiges Materialverhalten und Anisotropie von weichen Böden: Theorie und Anwendung. Stuttgart: Institut für Geotechnik, In: Mitteilung des Instituts für Geotechnik 60 2008. [6] Reichelt, F.: Treibhausgas-Emissionen aus organischen Böden in Brandenburg. Greifswald Moor Centrum-Schriftenreihe 02/ 2021 (Selbstverlag, ISSN 2627-910X) [7] Verein Deutscher Zementwerke: CEM II- und CEM III/ A - Zemente im Betonbau, Nachhaltige Lösungen für das Bauen mit Beton. Düsseldorf: Verlag Bau+Technik GmbH 2008. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 55 Geotechnische Herausforderungen beim Querverschub des 48.000-t schweren Ersatzneubaus der Neckartalquerung der BAB A6 bei Heilbronn Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Moormann Universität Stuttgart, Institut für Geotechnik Dr.-Ing. Patrik Buhmann MGC - Moormann Geotechnik Consult, Stuttgart Dr.-Ing. Bodo Billig HOCHTIEF Infrastructure GmbH, Essen Stefan Krieger Die Autobahn GmbH des Bundes, Niederlassung Südwest, Heilbronn Zusammenfassung Mitte Januar 2022 wurde mit dem Querverschub des Überbaus der Vorlandbrücke des Neckartalübergangs bei Heilbronn eine zentrale Maßnahme des sechsstreifigen Ausbaus der Bundesbautobahn A6 zwischen der Ausfahrt Wiesloch/ Rauenberg und dem Autobahnkreuz Weinsberg erfolgreich ausgeführt. Der Querverschub des 824-m langen und 48.640-t schweren nördlichen Teils der Autobahnbrücke um 21,74-m hat Technikgeschichte geschrieben, da es der bis dato weltweit größte Querverschub eines Brückenüberbaus war. Berichtet wird über die in diesem Kontext zu bewältigenden besonderen geotechnischen Herausforderungen. So musste für den Querverschub eine detaillierte Setzungsprognose erfolgen. Dabei war zu berücksichtigen, dass unter einigen der als Flachgründung ausgeführten Fundamenten unplanmäßig Auelehm verblieben war. Auf der Basis umfangreicher Nacherkundungen, Laborversuchen und dreidimensionaler numerischer Simulationen unter Berücksichtigung der komplexen Baugrund-Tragwerkinteraktion während des systemvarianten Querverschubs erfolgte eine Verformungs- und Beanspruchungsprognose, auf deren Basis bauliche Ertüchtigungen des Verschubrahmens und der Fundamente geplant und umgesetzt wurden. Einige Fundamente der 23 Pfeilerachsen mussten auf Grund des verbliebenen Auelehms im Düsenstrahlverfahren unterfangen werden. In der Folge kam es an den Pfeilerachsen unerwartet teilweise zu Hebungen, die auf der Basis umfangreicher chemischer, mineralogischer und mechanischer Untersuchungen auf sekundäre Ettringitbildungen in der Zementsteinmatrix der Düsenstrahlkörper zurückgeführt werden konnten. Für den Querverschub und die nachfolgende Betriebsphase wurde der weitere Hebungsverlauf prognostiziert und das reale Verhalten durch geodätische Messungen messtechnisch bestätigt. 1. Einführung Im Zuge der Maßnahme ´Verfügbarkeitsmodell BAB A6, Wiesloch/ Rauenberg - AK Weinsberg´ wurde die stark frequentierte Bundesautobahn BAB- A6, eine wichtige Ost-West-Verbindung zwischen der Ausfahrt Wiesloch/ Rauenberg und dem Autobahnkreuz Weinsberg in den Jahren 2017 bis 2023 unter laufenden Verkehr sechsstreifig ausgebaut und an die heutigen Anforderungen angepasst. Als eine der Hauptverkehrsachsen im europäischen Transitverkehr besitzt die A6 eine große Bedeutung. Das Projekt mit einer Gesamtlänge von 47- km wurde in öffentlich-privater Partnerschaft an die Projektgesellschaft ´Via6West´, bestehend aus den Unternehmen HOCHTIEF, DIF Infrastructure IV und JOHANN BUNTE Bauunternehmung, vergeben. Dabei ist der private Partner ´ViA6West´ nicht nur für den Ausbau und die Erneuerung der Autobahn, sondern auch für deren Betrieb und die Erhaltung über 30 Jahre verantwortlich. Der Bund bleibt Eigentümer der Autobahn. Abb.-1 Blick von Westen auf die Vorlandbrücke der Neckartalquerung vor dem Querverschub des nördlichen Überbaus (© Via6West ) 56 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Geotechnische Herausforderungen beim Querverschub des 48.000-t schweren Ersatzneubaus der Neckartalquerung der BAB A6 bei Heilbronn Die vom Bund getragenen Projektkosten belaufen sich inklusive der Aufwendungen für die Erhaltung und den Betrieb über 30 Jahre auf insgesamt rund 1,3 Milliarden Euro. 2. Neubau der Neckartalquerung Der 1,3-km lange Neckartalübergang, der die Talaue zwischen Neckarsulm und Heilbronn im Zuge der Autobahn A6 überspannt, ist das Kernstück des Ausbaus. Der alte Neckartalübergang von 1967 musste auf Grund seines Alters und der Belastung durch den überdurchschnittlichen Lkw-Anteil auf der wichtigen Ost-West-Achse und hierdurch bedingter Materialermüdung komplett ersetzt werden. Der neue Neckartalübergang nördlich von Heilbronn bzw. Neckarsulm besteht aus zwei Großbrücken: Der eigentlichen, 513,1-m langen Neckarbrücke als Stahlverbundkonstruktion (Achsen 240 bis 290, wobei Achse 290 das östliche Widerlager ist) und der sich westlich anschließenden 823,9-m langen Vorlandbrücke als Spannbetonkonstruktion (Achsen 10, i.e. das westliche Widerlager, bis Achse 230). Dabei gibt es jeweils ein eigenes Bauwerk für jede Richtungsfahrbahn, d. h. für die nördliche Fahrbahn in Richtung Walldorf bzw. Mannheim und für die südliche Fahrbahn in Richtung Weinsberg bzw. Nürnberg. Für die im vorliegenden Beitrag im Fokus stehende Vorlandbrücke sah der Entwurf zwei nebeneinanderliegende Spannbetonbrücken mit 22 Feldern und einer Regelstützweite von 38,0-m vor. Dabei blieb die bestehende Autobahnachse erhalten. Abb.-2 Nördlicher Überbau der Vorlandbrücke der Neckartalquerung in provisorischer Seitenlage vor dem Querverschub (links), rechts der unter Verkehr stehende neue südliche Überbau (© Via6West) Im Zuge des Ersatzneubaus der Vorlandbrücke ist der Überbau der späteren Richtungsfahrbahn Walldorf zunächst unter Aufrechterhaltung des Verkehrs auf der Bestandsbrücke in nördlicher Seitenlage mit Vorschubrüstung auf Hilfspfeilern und Hilfsgründungen errichtet worden. Über diesen Überbau in provisorischer Seitenlage lief dann ab April 2019 über mehr als zwei Jahre in beide Richtungen der Verkehr, währenddessen der Rückbau der Bestandsbrücke und die Herstellung des südlichen Überbaus in seiner endgültigen Lage erfolgten. Nach Umverlegung des Verkehrs auf den neuen südlichen Überbau wurde der Überbau der nördlichen Vorlandbrücke Mitte Januar 2022 im Querverschub auf seine Endlage verschoben (Abb. 1 und 2). Dabei wurde die gesamte 823,9-m lange Vorlandbrücke mit einem Gesamtgewicht von 48.460-t als Ganzes parallel um 21,74- m nach Süden verschoben. Für den Querverschub wurden an elf von insgesamt 23 Brückenachsen (davon ein Widerlager) der Vorlandbrücke Hydraulikpressen, so genannte Litzenheber, montiert, die die Brücke in höchster Präzision über ein System aus Teflon-beschichteten Stahlplatten auf sogenannten Verschubbahnen gleichmäßig in Richtung Süden zogen. Nach den vorliegenden Informationen wurde noch nie zuvor ein so großes und so schweres Bauwerk so weit versetzt, so dass mit diesem Querverschub Technikgeschichte geschrieben wurde. Mitte Februar 2022 wurde dann noch der nördliche Überbau der eigentlichen Neckartalbrücke in einem separaten Vorgang querverschoben, der mit einem Eigengewicht von rund 20.000-t allerdings deutlich leichter war, als der Überbau der Vorlandbrücke. Der vorliegende Beitrag fokussiert sich auf die Vorlandbrücke und hier auf die im Kontext mit dem Querverschub des nördlichen Überbaus zu bewältigenden besonderen geotechnischen Herausforderungen, und hierbei insbesondere auf die folgenden beiden Aspekte: (1) Für den Querverschub musste eine detaillierte Setzungsprognose erfolgen. Dabei war zu berücksichtigen, dass unter einigen der als Flachgründung ausgeführten Fundamenten unplanmäßig Auelehm verblieben war. Auf der Basis umfangreicher Nacherkundungen, Laborversuchen und dreidimensionaler numerischer Simulationen unter Berücksichtigung der komplexen Baugrund-Tragwerkinteraktion während des systemvarianten Querverschubs erfolgte eine Verformungs- und Beanspruchungsprognose, auf deren Basis bauliche Ertüchtigungen des Verschubrahmens und der Fundamente geplant und umgesetzt wurden. (2) Einige Fundamente der 23 Pfeilerachsen mussten auf Grund des verbliebenen Auelehms im Düsenstrahlverfahren unterfangen werden. In der Folge kam es an einigen dieser Pfeilerachsen unerwartet zu teilweise signifikanten Hebungen, die auf der Basis umfangreicher chemischer, mineralogischer und mechanischer Untersuchungen auf sekundäre Ettringitbildungen in der Zementsteinmatrix der Düsenstrahlkörper zurückgeführt werden konnten. Für den Querverschub und die nachfolgende Betriebsphase wurde der weitere Hebungsverlauf prognostiziert und das reale Verhalten durch geodätische Messungen messtechnisch bestätigt. 3. Baugrund- und Grundwassersituation im Bereich der Vorlandbrücke Der Baugrundauf bau im Projektgebiet der Neckartalquerung gliedert sich grundsätzlich in eine aus Auffüllungen 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 57 Geotechnische Herausforderungen beim Querverschub des 48.000-t schweren Ersatzneubaus der Neckartalquerung der BAB A6 bei Heilbronn (lokal), Auelehm, Neckarkies und zur Tiefe hin aus Lettenkeuper und schließlich Oberen Muschelkalk bestehende Folge. Bedingt durch zwei tektonische Störungen folgen bereichsweise unter den Schichten des Neckarkieses auch die Schichten des Gipskeupers. Der Auelehm wurde als wechselnd feinsandiger, zum Teil auch sandiger Schluff (TL, TM, TA, SU) von meist steifer, untergeordnet auch weicher Konsistenz angetroffen. In den Bohrprofilen werden vereinzelt und damit lokal organische Anteile beschrieben. Die Mächtigkeit des Auelehms variiert meist zwischen 1,5-m und 2,5-m. Der unter dem Auelehm folgende Neckarkies wird als wechselnd sandiger, teilweise auch stark sandiger und schwach schluffiger Kies (GW, GI) aus Kalksteingeröllen beschrieben, der vorwiegend mitteldicht, bereichsweise aber auch nur locker gelagert ist. Bereichsweise wurden in den Neckarkiesen auch stark schluffige Partien (GU, GU*) angetroffen. Die Basis des Neckarkieses und damit der Quartären Deckschichten liegt im Bereich der Vorlandbrücke meist 6-m bis 8-m unter Gelände. Der unterlagernde Lettenkeuper, der für die Standsicherheitsbetrachtungen und Setzungsberechnungen von eher untergeordneter Relevanz ist, besteht aus einer Abfolge von Tonsteinen mit zwischengelagerten Dolomitsteinbänken, wobei neben harten und mäßig harten Partien die Tonsteine in Lagen auch zu Schluff verwittert sein können. Oberster Grundwasserleiter ist der Neckarkies, der im Bereich der Neckaraue bzw. Vorlandbrücke bei etwa 147 bis 148-mNN eingemessen wurde. Unter Berücksichtigung eines Zuschlags korrelieren die bauzeitlich relevanten Grundwasserstände im Wesentlichen mit dem Gründungsniveau der Flachgründung der Vorlandpfeiler. Weitere Grundwasserstockwerke sind im Lettenkeuper und im Oberen Muschelkalk ausgebildet. 4. Gründung und Verschub der Vorlandbrücke 4.1 Gründungskonzept Mit Ausnahme der Pfeiler einer durch tektonische Störungen beeinflussten Achse, für die eine Tiefgründung realisiert wurde, wurden für alle anderen Pfeiler der Vorlandbrücken Flachgründungen in den Neckarkiesen geplant. Die Restmächtigkeit der Neckarkiese bis zur Oberfläche des Lettenkeupers liegt zwischen 2,5-m und 4,5-m. Unter der Voraussetzung, dass die Gründung der Pfeiler durchgehend in den Neckarkiesen erfolgt, wurde von dem Baugrundgutachter für die Dimensionierung der Flachgründungen ein aufnehmbarer Sohldruck von s zul = 500-kN/ m² vorgegeben. Auf dieser Basis wurde für die zwei Pfeiler des Überbaus einer Achse in Endlage jeweils ein gemeinsames Fundament mit Grundrissabmessungen von meist 6,0-m x 16,0-m bis 6,0-m x 18,0-m bei einer Fundamenthöhe von meist 2,2-m vorgesehen und ausgeführt. Auch die Gründung für die provisorische Seitenlage des nördlichen Überbaus wurde als Flachgründung ausgeführt. 4.2 Auelehm in Restmächtigkeit Nach Herstellung der Fundamente und Brückenpfeiler kann es bei der Betonage des südlichen Überbaus an dem Fundament einer Achse-zu rasch zunehmenden zeitvarianten Setzungen, die zudem betragsmäßig größer waren als prognostiziert. Eine Überprüfung der Baugrundverhältnisse durch ergänzende Aufschlüsse zeigte, dass unter dem Gründungsniveau der Flachgründung in dieser Achse noch Auelehm in Restmächtigkeit anstand und das Fundament damit nicht wie angenommen vollflächig im Neckarkies gründete. Bei einer ergänzenden Überprüfung der Baugrundverhältnisse an den ausgeführten Fundamenten weiterer Pfeilerachsen wurde in der Folge ebenfalls teilweise unter der Gründungssohle verbliebener Auelehm festgestellt. Im Rahmen dieser Überprüfung wurden je Fundament im Regelfall sechs Rammkernsondierungen (´RKS´) bis etwa 5-m unter Gelände ausgeführt, die in einem Abstand von etwa 1,0-m bis 1,4-m von der Fundamentaußenkante in der Verfüllung der Baugruben seitenräumen angeordnet wurden (Abb.-3). Ferner wurden im Bedarfsfall in einer zweiten Stufe zum Ausschluss gering tragfähiger Bodenschichten unter der Gründungssohle rund um das Fundament und dabei unmittelbar neben dem Fundament Trockenbohrungen (´B´) durch die Sauberkeitsschicht niedergebracht; in Einzelfällen wurde zudem eine weitere Trockenbohrung im Flächenschwerpunkt des Fundamentes durch das Fundament ausgeführt (Abb. 3). In der Summe ergab sich so eine hohe Erkundungsdichte, die für jedes bereits ausgeführte Fundament eine detaillierte Bewertung der Baugrundsituation und insbesondere der Existenz, Ausdehnung, Mächtigkeit und Eigenschaften einer möglicherweise verbliebenen Restmächtigkeit von Auelehm ermöglichte (Abb.-3). 58 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Geotechnische Herausforderungen beim Querverschub des 48.000-t schweren Ersatzneubaus der Neckartalquerung der BAB A6 bei Heilbronn Abb.-3 Fundament mit ergänzenden Erkundungsmaßnahmen und deren Auswertung im Hinblick auf unter der Gründungssohle bereichsweise verbliebenen Auelehm Im Ergebnis wurde an acht zu diesem Zeitpunkt bereits hergestellten Fundamenten der Vorlandbrücken der nördlichen und der südlichen Richtungsfahrbahn mit vergleichsweise mächtigen (Restmächtigkeiten von etwa ³- 0,5¸1,0- m) in einer Teilfläche unter der Gründungssohle verbliebenen Auelehmpartien eine Baugrundverbesserung im Düsenstrahlverfahren ausgeführt. Dabei wurden in einem regelmäßigen Raster über die gesamte Grundrissfläche der Fundamente verteilt vergleichsweise kurze Düsenstrahlsäulen hergestellt, mit denen ein Anschluss der Fundamente an den den Aue-lehm und den nachfolgenden Neckarkies unterlagernden Lettenkeuper realisiert wurde (Abb.-11). Je Fundament wurden zwischen 32 und 41 Düsenstrahlsäulen mit einem Solldurchmesser von 1,8-m hergestellt. Die mittleren Säulenlängen liegen bei 2,1-m bis 3,7-m. 4.3 Analytische Nachweise An weiteren Pfeilerachsen bzw. Fundamenten der nördlichen und der südlichen Richtungsfahrbahn wurden geringermächtige Auelehmpartien in Teilbereichen der Flachgründungen festgestellt, so dass für diese Fundamente zu überprüfen war, ob eine den Anforderungen der Gebrauchstauglichkeit (SLS) und der Standsicherheit bzw. Tragfähigkeit (ULS) entsprechende Gründungssituation im Ist-Zustand, d. h. ohne ergänzende Sanierungsmaßnahmen dauerhaft gegeben ist. Hierzu wurden für die Fundamente in den einzelnen betroffenen Achsen differenzierte Setzungsberechnung unter Abbildung der erkundeten räumlichen Baugrundsituation und unter Berücksichtigung von zeitabhängigen Konsolidations- und Kriechvorgängen des in Teilbereichen der Gründungsfläche verbliebenen Auelehms erstellt. Auf dieser Basis erfolgte eine sachverständige Bewertung der dauerhaften Gebrauchstauglichkeit der Flachgründungen im derzeitigen Zustand. Darüber hinaus wurde rechnerisch nachgewiesen, dass der unter der Gründungssohle verbliebene Auelehm den Grenzzustand der Tragfähigkeit dieser Flachgründung nicht nachteilig beeinflusst. Hierzu wurde neben der Sicherheit gegen Grundbruch und gegen Gleiten insbesondere der Nachweis der Sicherheit gegen seitliches Herausquetschen des Auelehms rechnerisch untersucht. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 59 Geotechnische Herausforderungen beim Querverschub des 48.000-t schweren Ersatzneubaus der Neckartalquerung der BAB A6 bei Heilbronn Abb.-4 Modelle zum Nachweis der Sicherheit gegen seitliches Herausquetschen des Auelehms: a) vereinfachtes analytisches Modell, b) numerisches Modell Für den letzteren Nachweis wurde ein Nachweiskonzept entwickelt, dass neben einer einfachen analytischen Nachweisführung auch numerische Untersuchungen umfasste. Das in Abbildung 4a skizzierte einfache analytische Modell vernachlässigt zum einen die Adhäsion in der Kontaktfläche zwischen der Fundamentunterkante und dem Auelehm und zum anderen die Reibung in der Kontaktfläche zwischen der Unterkante des Auelehms und der Oberkante des Neckarkieses. Zum anderen vernachlässigt dieses Modell, dass der seitlich des Fundamentes oberhalb des Gründungsniveaus anstehende bzw. verfüllte Boden nicht nur eine Bodenauflast bzw. Vertikalspannung auf den Auelehm bewirkt, der dem seitlichen Herausquetschen des Auelehms entgegenwirkt, sondern bei einem Herausquetschen des Aue-lehms weitere Schubbzw. Scherspannungen in diesem seitlichen Bodenmaterial mobilisiert würden. Die rechnerische Berücksichtigung dieser weiteren Widerstände, deren Mobilisierung auch verformungs- und damit steifigkeitsabhängig ist, ist mit einem analytischen Modell nicht bzw. nur eingeschränkt möglich. Es wurden daher numerische Simulationen als Grundlage für die Nachweisführung durchgeführt (Abb.- 4b). Zunächst wurde auf der Basis eines reduzierten zweidimensionalen numerischen Berechnungsmodells der Nachweis erbracht, dass die Ergebnisse der numerischen Modelbildung vergleichbar mit denen des analytischen Berechnungsansatzes sind. In einem zweiten Schritt wurden dann die zusätzlichen Effekte, wie die Adhäsion bzw. Reibung an der Ober- und Unterseite des Auelehms, die zu lediglich 50-% ihres realen Wertes angesetzt wurden, sowie die Reibung des seitlich des Fundamentes vorhandenen Materials berücksichtigt. Die Nachweisführung erfolgt für den Grenzzustand GEO3, da das seitliche Herausquetschen des Auelehms unter Berücksichtigung des zu erwartenden Versagenszustandes einem Scherversagen des Bodens zuzuordnen ist. Ergänzend hierzu wird in einer weiteren Untersuchung der Grenzzustand GEO3 durch die Beaufschlagung der Einwirkungen mit einem Teilsicherheitsbeiwert g g = 1,35 modifiziert, um die Robustheit des Systems zu erhöhen. Die Sicherheit des Systems gegen Herausquetschen des Auelehms wurde dann im Rahmen einer j-c-Reduktion ermittelt. In den Fällen, in denen die normativ geforderte Sicherheit gegen das seitliche Herausquetschen des Auelehms numerisch nicht nachgewiesen werden konnte, wurde vorgesehen, zur Erhöhung der Standsicherheit eine Auflast seitlich des Fundamentes aufzubringen. Für den nördlichen Überbau war bei allen Nachweisen zu berücksichtigen, dass es infolge dessen geplanten Querverschubs zu einer sehr schnellen, bodenmechanisch gesehen quasi schlagartigen Erhöhung der Einwirkungen auf die Fundamente in Endlage des Überbaus von rund 7.500-kN auf rund 30.000-kN je Fundament kommt. Damit ergibt sich infolge des Querverschubs ein Zuwachs der mittleren Sohlnormalspannung in einer Größenordnung von rund Ds v,k -=-+210-kN/ m², der für den Nachweis der Sicherheit gegen seitliches Herausquetschen des Auelehms maßgebend ist. Die dauerhafte setzungswirksame Einwirkung beträgt je Fundament etwa 28.500-kN und führt zu einer mittleren charakteristischen Sohlspannung von rund s v,k -=-265-kN/ m², die für die Setzungsberechnungen berücksichtigt wurde. Bei den Nachweisen wurden die wesentlichen Bodenkennwerte im Sinne einer Sensitivitätsanalyse in Bandbreiten variiert. Dieses Vorgehen wurde auf alle Achsen des nördlichen und südlichen Überbaus angewendet, bei denen nach den Ergebnissen der geotechnischen Nacherkundungen davon auszugehen war, dass unter der Gründungssohle der Flachgründungen in einer Restmächtigkeit Auelehm oder auch ein stärker schluffiger Neckarkies verblieben war. Im Ergebnis konnte festgestellt werden, dass die an die Fundamente bezüglich ihrer Gebrauchstauglichkeit und Standsicherheit gestellten Anforderungen dauerhaft uneingeschränkt erfüllt werden und auf weitergehende Maßnahmen verzichtet werden kann. Die Gleichwertigkeit der Gründungen gegenüber der ursprünglichen Planung konnte damit als gegeben nachgewiesen werden. Abb.-5 Foto von Überbau, Verschubbahn und Pfeilern des nördlichen Überbaus in provisorischer Seitenlage (links) und Endlage (Mitte), rechts der südliche Überbau in Endlage 60 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Geotechnische Herausforderungen beim Querverschub des 48.000-t schweren Ersatzneubaus der Neckartalquerung der BAB A6 bei Heilbronn Abb.-6 Ansicht von Überbau, Pfeilern und Fundamenten des nördlichen Überbaus in provisorischer Seitenlage (links) und Endlage (rechts) mit Verschubbahn, Hilfspfeilern und Koppelbalken 4.4 Räumliche numerische Simulationen Die vorbeschriebenen Untersuchungen berücksichtigten den durch den geplanten Querverschub des nördlichen Überbaus bedingten kurzfristigen erheblichen Lastzuwachs für die Fundamente der Endlage des nördlichen Überbaus, nicht jedoch den Vorgang des Querveschubs als einen mehrstufigen, zeit- und systemvarianten Prozess (Abb. 5 und 6). Vor diesem Hintergrund erfolgte in einem weiteren Schritt eine differenziertere Betrachtung des Setzungsverhaltens der Fundamente des nördlichen Überbaus sowie des Verhaltens und der inneren Beanspruchung des Querverschubrahmens während des Querverschubs. Dabei war vorgegeben, dass der Vorgang des Querverschubs sowie die Bewertung der Gebrauchstauglichkeit und der Standsicherheit der Gründungen während dieses Vorganges detaillierter mit einem numerischen Simulationsmodell untersucht wird. Die geotechnische Simulation stellte dabei eine Ergänzung zu den statisch-konstruktiven Untersuchungen des Tragwerksplaners dar, der das statische System aus Fundamenten, Bauwerks- und Hilfspfeilern sowie Querverschubrahmen und Koppelbalken für den Vorgang des Querverschubs bereits detailliert untersucht und statisch bemessen hatte. Während in dieser statisch-konstruktiven Bemessung die Interaktion zwischen Fundamenten und Bodenkontinuum mit dem Bettungsmodulverfahren und unter Ansatz eines über die Gründungsfläche gleich großen und in allen Phasen des Querverschubs konstanten Bettungsmoduls vereinfacht simuliert wurde, sollten mit dem geotechnischen Simulationsmodell insbesondere die geotechnischen Aspekte wie das nichtlineare von Spannungsgeschichte und Spannungszustand abhängige elastoplastische Materialverhalten der Böden, die reale Baugrundsituation mit bereichsweise in Restmächtigkeit unter dem Fundament verbliebenem Auelehm sowie Konsolidationseffekte im Zuge des system- und zeitabhängigen Querverschub-Vorganges möglichst wirklichkeitsnah abgebildet und die Auswirkungen auf den Querverschubrahmen beurteilt werden. In der Folge wurde ein numerisches Simulationsmodell erstellt, mit dem das räumliche Bodenkontinuum und der gesamten Querverschubrahmen, bestehend aus der Verschubbahn, Hilfs- und Bauwerksstützen sowie den Fundamenten der Seitenlage und der Endlage nebst dem sie verbindenden Koppelbalken (siehe Abb. 6) geometrisch zutreffend in einem Gesamtmodell mit hohem Detailierungsgrad abgebildet wurde (Abb. 7). Abb.-7 Isometrische Darstellung des dreidimensionalen numerischen Simulationsmodells mit Bodenkontinuum und dem Querverschubrahmen Dabei war es wesentlich, das statische System im Detail zutreffend abzubilden. So war zu berücksichtigen, dass sich zwischen dem Querverschubbalken (Querschnitt: h/ B = 2,25-m x 2,50-m) und den Köpfen der Bauwerkspfeiler durch eine „Folieneinlage“ realisierte druckfeste Verbindungen befinden, d. h. es können Normalkräfte in Richtung des Querverschubbalkens, jedoch keine Querkräfte übertragen werden (Querkraftgelenk), so dass hier während des Querverschubs die Entwicklung von Vertikalversätzen möglich ist (Abb.-8). Zwischen den beiden Fundamenten der Seiten- und der Endlage war ein 3,75- m langer Koppelbalken (Querschnitt: h/ B = 1,2-m x 3,0-m) angeordnet, der sowohl an das Fundament der Seitenlage als auch an das Fundament der Endlage biegesteif angeschlossen war. Der Baugrund wurde mit seinem dreischichtigen Auf bau aus Auelehm, Neckarkies und Lettenkeuper entsprechend des erkundeten variablen Schichtverlaufs abgebildet und dabei auch der unter der Gründungssohle bereichsweise verbliebene Auelehm mit seiner erkundeten Restmächtigkeit zutreffend simuliert. Die Fundamente der Seiten- und Endlage des nördlichen Überbaus und der Koppelbalken wurden als Volumenkörper abgebildet, während die aufgehende Struktur der Verschubkonstruktion sowie die endgültigen Bauwerksstützen als Stabelemente mit entsprechenden Querschnittsabmessungen modelliert wurden (Abb.-8). 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 61 Geotechnische Herausforderungen beim Querverschub des 48.000-t schweren Ersatzneubaus der Neckartalquerung der BAB A6 bei Heilbronn Abb.-8 Modellbildung des Verschubrahmens inklusive Ausbildung Rahmenknoten und Querkraftgelenke sowie Berücksichtigung der Bauwerksstützenarchitektur Zur möglichst realistischen Prognose der Verformungen und Beanspruchungen während des Querverschubs wurde der gesamte Bauablauf ausgehend vom Primärspannungszustand und in der Folge beginnend mit dem Aushub der Fundamente über den eigentlichen Querverschub bis zum Rückbau des Koppelbalkens und des Fundamentes der Seitenlage in einer ´step by step´-Analysis abgebildet. Die Simulation des Querverschubs und seiner Verschubzustände erfolgte unter Berücksichtigung der realen Zeitabläufe und der sich dabei einstellenden zeitvarianten Konsolidierungsvorgänge, wobei in Abstimmung mit der bauausführenden Arge davon ausgegangen wurde, dass der Zeitbedarf für den vollständigen Querverschub bei etwa 16 Stunden liegt. Die Simulationen wurden voll gekoppelt durchgeführt, d. h. die Spannungs-Verformungs-Berechnung ist mit der Strömungsberechnung gekoppelt und wird integral gelöst. Hierdurch können die Entwicklung von Porenwasserüberdrücken und räumliche Konsolidationsvorgänge auch in ihrer zeitlichen Entwicklung zutreffend abgebildet werden. Zur stofflichen Modellierung des Auelehms kam das Hardening Soil Model zum Ansatz. Hinsichtlich der als Eingangswerte anzusetzenden bodenmechanischen Kennwerte wurde zunächst eine Referenzvariante betrachtet, die im Sinne einer Gesamtbewertung aller vorliegenden Informationen aus verschiedenen Phasen der Baugrunderkundung sowie aus Rückrechnungen zu dem zwischenzeitlich messtechnisch dokumentierten Setzungsverhalten der Brückenfundamente ein ´best estimate´syb-Szenario abbildet, also zu dem Erwartungswert von Verformungen und Sicherheiten führt. Ergänzend wurden im Sinne einer Sensitivitätsanalyse weitere Varianten untersucht, bei denen die Steifigkeiten des Auelehms und des Neckarkieses sowie die hydraulische Durchlässigkeit des Auelehms variiert wurden. Abbildung- 9 zeigt für die Referenzvariante die numerisch prognostizierten Vertikalverschiebungen der Verschubbahn während des Querverschubs für verschiedene Verschubzustände (V0 bis V6) von der Seitenlage im Norden zur Endlage im Süden. Erkennbar sind die sich im Zuge des Querverschubs von Nord nach Süd einstellenden Verformungen in Form von Setzungen und die sukzessive Ausbildung von kleinen vertikalen Ver sätzen an den Querkraftgelenken, also in den Fugen zwischen dem Querverschubbalken und den Bauwerkspfeilern (siehe Abb.- 8). Diese zur Beurteilung des Querverschubs wesentlichen Differenzverformungen der Verschubbahn sind mit £- 6 mm bzw. max. 9- mm hinreichend klein. Eine Variation der Eingangswerte im Rahmen der beschriebenen Sensitivitätsanalyse ergab vergleichsweise geringe Auswirkungen auf die prognostizierten Verformungen. Abb.-9 Numerisch prognostiziere Vertikalverschiebungen der Verschubbahn während des Querverschubs inklusive Versätzen in Querkraftgelenken (Referenzvariante) In der Summe zeigten die Untersuchungen mit dem geotechnischen Gesamtmodell unter Abbildung wichtiger zusätzlicher geotechnischer Aspekte eine gute Übereinstimmung mit den Ergebnissen des statisch-konstruktiven Modells des Tragwerkplaners. Die ermittelten Verformungen infolge Querverschub waren für die Referenzvariante kleiner als die zulässigen Grenzwerte, die von dem Tragwerksplaner im Hinblick auf die Anforderungen des Überbaus und den Verschubvorgang definiert worden waren. Abb.-10 3D-Modell: Nachweis der Sicherheit gegen das seitliche Herausquetschen des Auelehms während des Querverschubs - verformtes System nach j-c-Reduktion (Verformungen überhöht dargestellt) Das dreidimensionale Simulationsmodell wurde ferner für eine differenziertere Nachweisführung gegen das seitliche Herausquetschen von unter den Fundamenten verbliebenen Auelehms im undrainierten Zustand während des Querverschubs genutzt (Abb.-10). Im Abgleich mit den an einem vertikal ebenen, zweidimensionalen Berechnungsmodell (Abb.-4b) ausgeführten Untersu-chun- 62 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Geotechnische Herausforderungen beim Querverschub des 48.000-t schweren Ersatzneubaus der Neckartalquerung der BAB A6 bei Heilbronn gen konnten mit dem 3D-Modell deutlich geringere Ausnutzungsgrade nachgewiesen werden und so im Ergebnis auf das zunächst an einigen Pfeilerachsen geplante Aufbringen einer temporären Auflastschüttung verzichtet werden. 5. Hebungen an den im Düsenstrahlverfahren unterfangenen Fundamenten Wie in Abschnitt 4.2 erläutert, wurde an acht Fundamenten der Vorlandbrücken, bei denen unter der Gründungssohle in einer Teilfläche Auelehm mit Restmächtigkeiten ³-0,5¸1,0 m verblieben war, eine Baugrundverbesserung im Düsenstrahlverfahren ausgeführt. Abbildung 11 zeigt exemplarisch für ein Fundament im Grundriss die Anordnung der kurzen Säulen, mit denen diese Fundamente an den den Auelehm und den folgenden Neckarkies unterlagernden Lettenkeuper angeschlossen wurden. Die Herstellung der Düsenstrahlkörper erfolgte im Wesentlichen im 3-Phasen-Verfahren. Abb.-11 Anordnung der Düsenstrahlsäulen unter einem Fundament mit relevanten Restmächtigkeiten Auelehem Im Zuge einer nachfolgenden geodätischen Überwachung wurden unerwartet Hebungen an einigen dieser unterfangenen Fundamente festgestellt. Da diese Hebungen zunächst signifikant zunahmen und in der Folge mit bis zu 34-mm eine sowohl im Hinblick auf die zulässigen Differenzsetzungen zwischen benachbarten Pfeilerachsen als auch für den zu diesem Zeitpunkt noch anstehenden Querverschub des nördlichen Überbaus bautechnisch potentiell relevante Größenordnung erreichten, wurden Untersuchungen zur Klärung der Ursache für diese Hebungen, die auf Volumendehnungen der Düsenstrahlkörper zurückgeführt wurden, durchgeführt. In diesem Kontext wurden an den besonders betroffenen Fundamenten Kernbohrungen in ausgewählten gedüsten Randsäulen ausgeführt und die entnommenen Bohrkerne hinsichtlich ihrer mineralogischen und chemischen Eigenschaften umfassend untersucht. Daneben wurden in dem neben den Düsenstrahlsäulen anstehenden Baugrund Kernbohrungen ausgeführt, um Bodenproben zur Bestimmung der mineralogischen und chemischen Eigenschaften der anstehenden Bodenschichten zu entnehmen. Die Ergebnisse der Untersuchungen ergaben, dass die beobachteten Hebungen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf sekundäre Ettringitbildung in der Zementsteinmatrix der Düsenstrahlkörper zurückzuführen sind. So wurde in Bohrkernen aus den Achsen, an denen die größten Hebungen beobachtet wurden, mit der Rasterelektromikrosokopie (REM) erhebliche Mengen Ettringit festgestellt, das sowohl in Rissen der Bindemittelmatrix als auch an den Grenzflächen zwischen Gesteinskörnern und Bindemittelmatrix nachgewiesen wurde. Diese Ettringit- Anreicherungen können aufgrund ihrer Ausbildung in Rissen kein Ettringit der primären Hydratation sein, sondern wurden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit sekundär gebildet. Dies spiegelt sich auch in dem mit der Röntgendiffraktometrie (XRD) ermittelten mineralogischen Phasenbestand der Bindemittelmatrix dieser Bohrkerne wieder, bei der ein deutlich erhöhter Bindemittelanteil sowie Portlandit, Ettringit und ein merklicher Anteil Hydrogrossular festgestellt wurde. Letzteres ist ein Hochtemperaturhydratationsprodukt des Bindemittels und ein Indikator für eine sehr hohe frühe Hydratationstemperatur [8]. Eine hohe frühe Hydratationstemperatur ist wiederum eine wichtige Voraussetzung für die Bildung von sekundärem Ettringit. Betroffen von den sekundären Ettringitbildungen waren primär nur die Partien der Düsenstrahlsäulen, die als kiesfreier oder kiesarmer Zementstein ausgebildet sind; dies sind die oberen, im Auelehm gedüsten Abschnitte der Säulen. In diesem Bereich der Düsenstrahlsäulen wurden auf Grund des hieraus resultierenden relativ hohen Bindemittelgehalts im Säulenmaterial hohe Temperaturen bei der Hydratation erreicht, die eine spätere Ettringitbildung ermöglichten. Die Entwicklung früher hoher Temperaturen bei der Hydratation in diesem Bereich der Säulen wurde zusätzlich dadurch begünstigt, dass die Säulen - anders als die tieferen im wasserführenden Neckarkies liegenden Säulenbereiche - im oberen Bereich von nur teilgesättigtem Auelehm umgeben sind, so dass die Ableitung von Hydratationswärme in den umgebenden Boden in diesem oberen Säulenbereich deutlich langsamer erfolgte. In den tieferen Untersuchungsbereichen, also den betonartigen Partien der Säule mit hohem Neckarkiesanteil waren geringere bzw. gar keine relevanten Ettringitanreicherungen zu beobachten. Andere Einflussfaktoren für die Ettringitbildung [4¸7] konnten ausgeschlossen werden, da die über die gesamte Höhe der Düsenstrahlsäulen untersuchten Bodenproben keine Hinweise auf Sulfat oder Gips zeigten, im Grundwasser keine erhöhten Sulfatgehalte machzuweisen waren und auch die mineralogische und chemische Analyse des bei den Düsenstrahlarbeiten eingesetzten Hochofenzements keine Auffälligkeiten erbrachte. Laborversuche an Bohrkernen aus den Düsenstrahlsäulen bestätigten, dass die Düsenstrahlkörper auch an den Achsen mit großen Hebungen trotz der sekundären Ettringitbildung eine ausreichende Zylinderdruckfestigkeit und Steifigkeit besaßen, die die statischen Anforderungen deutlich übertrafen. Auf der Basis der geodätischen Messungen und Laborerfahrungen wurde der weitere Hebungsverlauf prognostiziert. Auch wenn nach [9, 10] ein Potential für begrenzte, weitere Hebungen primär aus der weiteren verspäteten 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 63 Geotechnische Herausforderungen beim Querverschub des 48.000-t schweren Ersatzneubaus der Neckartalquerung der BAB A6 bei Heilbronn Ettringitbildung im oberen Bereich der Düsenstrahlsäulen verblieb, konnte auf der Basis dieser Untersuchungsergebnisse die uneingeschränkte Funktionalität der Düsenstrahlunterfangungen bestätigt werden, so dass in der Folge der Querverschub ausgeführt werden konnte. Das durch geodätische Messungen dokumentierte reale Verhalten bestätigte die Verformungsprognosen. 6. Schlussbemerkungen Die Setzungen der Fundamente und die Verformungen des Querverschubrahmens wurden während des Querverschubs am 13./ 14. Januar 2022 engmaschig überwacht und die gemessenen Werte fortlaufend mit den Prognosewerten abgeglichen. Die dabei gemessenen Verformungen überschritten die prognostizierten Werte nicht, waren vielmehr überwiegend kleiner, so dass der Querverschub erfolgreich realisiert werden konnte. In der Folge war zu beachten, dass der Koppelbalken und das Fundament in Seitenlage eine stabilisierende Wirkung im Hinblick auf den bereichsweise unter den Fundamenten der Endlage des nördlichen Überbaus erkundeten Auelehm haben. Der Zeitpunkt des Rückbaus des Koppelbalkens (nach Abschluss des Querverschubs) und der dafür erforderlich werdende Eingriff (Aushub) unter der Geländeoberfläche wurde daher auf der Basis ergänzender numerischer Berechnungen ermittelt. Die zusätzliche Auflast infolge des querverschobenen nördlichen Überbaus beeinflusste die Entwicklung der Volumendehnungen infolge sekundärer Ettringitbildung positiv; nach dem Querverschub wurden nur noch geringe zusätzliche Hebungen beobachtet. Trotz der besonderen geotechnischen Herausforderungen ist die neue Neckartalquerung der BAB A6 damit uneingeschränkt standsicher und gebrauchstauglich. Literatur [1] Normenhandbuch Eurocode 7, Band 1: „Allgemeine Regeln“, DIN EN 1997-1: 2009-09 einschließlich DIN EN 1997-1/ NA: 2010-12 (Nationaler Anhang) und DIN 1054: 2010-12 (Baugrund - Sicherheitsnachweise im Erd- und Grundbau - Ergänzende Regeln zu DIN EN 1997-1) [2] Burland, J.B.; Wroth, C.P., 1974: Settlement of buildings and associated damage. Proc. Conference „Settlement of structures“. Pentech Press, London, S. 611-654 [3] Kramer, J., 1978: Senkungsschäden an Hochbauten durch Fremdeinflüsse. Grundbau und Bodenmechanik an der Universität Essen - GHS, Forschungsberichte aus dem Fachgebiet Bauwesen, Nr. 4. [4] Moormann, Ch., Knopp, J. (2015): Kenngrößen zur Risikoabschätzung des Ettringittreibens von sulfathaltigen Böden in Verbindung mit Bodenbehandlungen. Fachtagung der Gütegemeinschaft Bodenverbesserung und Bodenverfestigung, 20.01.2015, Kassel, Tagungsunterlagen, 8-S. [5] Knopp, J., Moormann, Ch. (2016): Ettringittreiben in bindemittelbehandelten sulfathaltigen Böden. Tagungsband 10. Kolloquium Bauen in Boden und Fels, 19./ 20.01.2016, TAE, Ostfildern, 417-422 [6] Knopp, J., Moormann, Ch. (2016): Ettringite swelling in the treatment of sulfatecontaining soils used as subgrade for road construction. 3rd International Conference on Transportation Geotechnics, 4.-7. September 2016, Guimar-es, Portugal, Procedia Engineering, Volume 143, 2016, 128-137 [7] Knopp, J., Moormann, Ch. (2017): Influence of the binder content and type of binder on ettringite swelling in the treatment of sulfate-containing soils. Proc. 19th Int. Conf. in Soil Mechanics and Geotechnical Engineering (ICSMGE), Seoul 2017, 2547-2550 [8] Garbev, K. (2003): Struktur, Eigenschaften und quantitative Rietveldanalyse von hydrothermal kristallisierten Calciumsilikathydraten (C-S-H- Phasen), Dissertation, Naturwissenschaftlich-Mathematische Gesamtfakultät, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, 2003. [9] Kelham, S. (2002): Effects of Cement Parameters on Expansion Associated with DEF, International RILEM TC 186-ISA Workshop on Internal Sulfate Attack and Delayed Ettringite Formation, Villars (Schweiz), 2002, 198-211 [10] Bollmann, K. (2000): Ettringitbildung in nicht wärmebehandelten Betonen. Dissertation an der Fakultät Bauingenieurwesen der Bauhaus-Universität Weimar, 2000. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 65 Bahndamm Ramerberg - Planung und zeiteffizientes Bauen für die Wiederherstellung nach einem Dammrutsch Dr.-Ing. Raoul Hölter Dr. Spang Ingenieurgesellschaft für Bauwesen, Geologie und Umwelttechnik mbH, Planung Statik, Witten Sarah Hägele, M. Sc. Dr. Spang Ingenieurgesellschaft für Bauwesen, Geologie und Umwelttechnik mbH, Geotechnik, München, Prof. Dr. Paul Gehwolf Dr. Spang Ingenieurgesellschaft für Bauwesen, Geologie und Umwelttechnik mbH, Geotechnik, München Dipl.-Ing. Thomas Barciaga Dr. Spang Ingenieurgesellschaft für Bauwesen, Geologie und Umwelttechnik mbH, Planung Statik, Witten Zusammenfassung Im Zuge eines Dammrutsches musste die Bahnstrecke 5700 zwischen Wasserburg und Rott gesperrt werden und ca. 90-m des Bahndamms bei Ramerberg saniert werden. Um den unterbrochenen Bahnverkehr schnellstmöglich wieder in Betrieb nehmen zu können, galt es eine zeiteffiziente Lösung zu finden, den insgesamt 15 m hohen Bahndamm wiederherzustellen und dauerhaft zu sichern. Durch die Projektrandbedingungen und den straffen Zeitplan war ein starkes Ineinandergreifen der einzelnen Leistungsphasen von der Erkundung bis hin zur Ausführungsplanung inkl. Ausschreibung und Vergabe erforderlich. Um dies zu ermöglichen, wurde ein bindemittelstabilisierter Bahndamm erstellt, der durch eine mittels Totmannkonstruktion rückverhängte Bohrpfahlwand gestützt wird. Die Aufteilung in einen ersten Bauabschnitt zur Wiederherstellung des Bahndammes und einen zweiten zur Errichtung der Bohrpfahlwand, ermöglichte die Wiederinbetriebnahme der Bahnstrecke nach 9 Monaten, während die Bauarbeiten für die finale Sicherung noch fortgeführt wurden. 1. Einführung Die eingleisige, nicht elektrifizierte DB-Strecke 5700, Rosenheim - Mühldorf, verläuft im Projektgebiet östlich der Gemeinde Ramerberg bei ca. km 20,4 auf einem ca. 15- m hohen Damm. Im Zuge von Baumaßnahmen am Böschungsfuß kam es zu einer Rutschung des Bahndammes dieser Strecke. Als Folge traten massive Gleisabsenkungen auf (s. Abb. 1) und die Bahnstrecke zwischen Wasserburg und Rott musste gesperrt und ca. 90-m des Bahndamms bei Ramerberg wiederhergestellt werden. Im Rahmen dieses Beitrages werden die komplexen örtlichen geotechnischen und hydrogeologischen Verhältnisse dargestellt, die das Böschungsversagen begünstigt haben könnten und die es bei der Wahl des Lösungskonzeptes zu berücksichtigen galt. Anschließend folgen Überlegungen, die zu dem ungewohnten Sicherungskonzept geführt haben, bestehend aus Wiederherstellung des Bahndammes mit bindemittelstabilisiertem Boden, einer mittels Totmannkonstruktion rückverhängter Bohrpfahlwand sowie den dahinter befindlichen Entwässerungssäulen. Hierbei soll speziell auf die Totmannkonstruktion sowie die Vorschüttung, die gleichzeitig als Arbeitsebene dient, eingegangen werden. Durch die gewählte Ausführungsvariante konnte eine Inbetriebnahme unmittelbar nach Wiederauf bau des Bahndamms und vor der Errichtung der finalen Sicherungsmaßnahme ermöglicht werden. Die Herstellung der erforderlichen, erfolgt hierbei nachträglich unter laufendem Rad . 2. Projektrandbedingungen 2.1 Geologie und Hydrogeologie Im Projektgebiet bestand der Bahndamm oberflächennah aus gemischtkörnigen Auffüllungen, die im Liegenden bis etwa +445,5 m NHN (s. Abb. 5) von unregelmäßigen quartären Ablagerungen unterlagert wurden. Darunter folgen spätwürmzeitliche Beckenablagerungen, die ab einer Höhenkote von ca. +437 m NHN in tiefreichende Moränenablagerungen übergehen in denen lokal organische Linsen angetroffen wurden. Abb. 1: Drohnenaufnahme der Versagensstelle mit sichtbaren Abbruchschollen und freiliegendem Gleis 66 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Bahndamm Ramerberg - Planung und zeiteffizientes Bauen für die Wiederherstellung nach einem Dammrutsch Die gemischtkörnigen quartären Böden stellen im Projektgebiet den Grundwasserleiter dar. Die spätwürmzeitlichen Beckenablagerungen bilden den Grundwasserstauhorizont. Aufgrund der Neigung der Schichten von West nach Ost, während der Damm nahezu in Nord-Süd-Richtung verläuft, ist die Grundwasserfließrichtung nach Osten in die Attel gegeben, welche ca. 100 m östlich der Böschung verläuft und als Vorfluter fungiert. Da auf der Ostseite des Bahndammes die Beckenablagerungen an der Oberfläche austreten, ist dort ebenso ein Wasseraustritt zu beobachten. Infolge von starker Durchnässung, nehmen die Beckenablagerungen anstelle der ansonsten steifen bis halbfesten Konsistenz, eine breiige bis weiche Konsistenz an, was einhergeht mit einer massiven Verringerung der Tragfähigkeit und Scherfestigkeit dieser Schicht, die die Standsicherheit des gesamten Dammes beeinträchtigt. Diesem Umstand wurde Rechnung getragen, indem die Scherparameter dieser maßgebenden Bodenschicht in der Planung der Sicherungsmaßnahme mit einem effektiven Reibungswinkel von j‘ k -=-25° und einer effektiven Kohäsion von c’ k = 2,0 kN/ m² angesetzt wurden. Eine inverse Berechnung des Böschungsversagens bestätigte diese Annahmen. Bei der Wahl einer Sicherungsmaßnahme galt es daher, die Eigenschaften dieses Bodens zu berücksichtigen und konstruktiv sicherzustellen, dass Grund- und Schichtenwasser sowohl bauzeitlich als auch dauerhaft sicher abgeführt werden. Durch die geringe Scherfestigkeit der Beckenablagerung ist es kaum möglich, diese mit schweren Baugeräten zu befahren, wie z. B. Ramm- oder Bohrgeräten. Eine dynamische Verdichtung war im Bereich dieser Schicht aus diesem Grund ebenso zu vermeiden. Bei einer eingerammten Spundwand als Totmannwiderlager hätte zudem für dieses Material nur ein geringer Bettungsmodul angesetzt werden können, was eine Verformungsbegrenzung erschwert hätte. Zudem war davon auszugehen, dass dieses Material keine ausreichende Mantelreibung geliefert hätte, um eine Rückverhängung mittels Verpressankern auszuführen. 2.2 Technisch-geometrische Randbedingungen Um den unterbrochenen Bahnverkehr schnellstmöglich wieder in Betrieb nehmen zu können, galt es eine zeiteffiziente Lösung zu finden, um den Bahndamm wiederherzustellen und dauerhaft zu sichern. Somit galt es die Vorgabe zu berücksichtigen, dass zunächst der Bahndamm wiederherzustellen war und anschließend erst die Einrichtung einer dauerhaften Sicherungsmaßnahme. Als geometrische Randbedingung galt es die Grenze zwischen Bahn- und Privatgrundstück zu berücksichtigen und eine anschließend ebene Fläche auf Höhenkote von +440,5-m NHN zu erreichen, was einen Einschnitt in die Geometrie des Bestandsdammes von ca. 5 m entsprach. Die Bemessung der einzelnen Komponenten des Sicherheitskonzeptes erfolgte nach den Vorgaben der maßgebenden DB-Richtlinien 804, 836 und 853 [1] - [3], die z. B. hinsichtlich der Rissbreitenbeschränkung, Berücksichtigung von Bemessungssituationen oder Verformungstoleranzen erhöhte Anforderungen stellen. Weil eine Andienung per Gleis offensichtlich nicht möglich und keine ausreichende Lagerfläche in unmittelbarer Nähe des Baufeldes verfügbar war, musste zudem eine Baustellenlogistik geplant werden, der den vollständigen Abtrag des Bahndammes über eine Länge von ca. 115 m, das Zwischenlagern und anschließende Wiedereinbau des Materials zzgl. einer Rampe bis zur Dammkrone per LKW zuließ (s. Abb. 5). Da unmittelbar mit Eintreten des Schadensereignisses und Anwendung der Sofortmaßnahme die Planung der Dammsicherung und die Baugrunderkundung parallel begannen, ergab sich ein iterativer Prozess, der eine enge Abstimmung zwischen Bodengutacher, Planer und Bauherren erforderte. 3. Lösungsansatz 3.1 Sofortmaßnahme Als Sofortmaßnahme wurde der Böschungsfuß mit örtlich verfügbarem Material auf eine Höhe von ca. 2- m angeschüttet um ein weiteres Abrutschen des Dammes zu verhindern. Im Anschluss, und mitlaufend zum Planungs- und Erkundungsbeginn, wurde bereits die Ertüchtigung der Flächen am Dammfuß mit einem Flächenfilter (s. Abb. 2 & Abb. 5) als Sofortmaßnahme durchgeführt. Ebenso erfolgte die Rodung des Bahndamms sowie der Rückbau des Gleises. Gleichzeitig wurde ein umfangreiches Monitoring eingerichtet, dass weitere Verformungen des Dammes erfassen sollte. 3.2 Dauerhafte Sicherung Für den Endzustand wurde vorgesehen, den Damm auf seinen obersten 10 m unter einer Neigung von 1: 1,5 wiederherzustellen, was i. e. der Ursprungsgeometrie entspricht, jedoch, zur Erhöhung der Steifigkeit und Scherfestigkeit, nun aus bindemittelstabilisiertem Material. Unterhalb wird der Geländesprung durch eine 5 m hohe Bohrpfahlwand gestützt, sodass ein größerer Eingriff auf das Nachbargrundstück vermieden wird und eine ebene Hoffläche bis zur Bohrpfahlwand auf Höhenkote +440,5 - m - NHN entsteht. Die Rückverhängung der Bohrpfahlwand erfolgt mittels Stahlzuggliedern und einer Totmannkonstruktion aus Winkelstützelementen unterhalb des Bahndammes. Die Sicherung des Bahndammes erfolgte nach einheitliches Gesamtkonzept, während die Ausführung in zwei Abschnitte unterteilt wurde: - Der Wiederaufbau des Bahndamms zur Wiederinbetriebnahme des Bahnverkehrs: Teilmaßnahme Erdbau; - Die dauerhafte Sicherung des Geländesprungs mittels rückverhängter Bohrpfahlwand: Teilmaßnahme Spezialtiefbau. Auf diese Weise wurde das Ziel der schnellstmöglichen Wiederinbetriebnahme berücksichtigt. Um das Ineinandergreifen der beiden Teile der Maßnahme sicherzustellen, war jedoch insbesondere die Planung der Ausfüh- 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 67 Bahndamm Ramerberg - Planung und zeiteffizientes Bauen für die Wiederherstellung nach einem Dammrutsch rungsschnittstellen zwischen Erdbau und Spezialtief bau frühzeitig festzulegen, wie nachfolgend erläutert. Abb. 2: Einbau des Flächenfilters, im Hintergrund: Bruchschollen des Bahndammes erkennbar 3.2.1 Bahndamm Durch das o. g. Auf bringen einer Anschüttung bis +445,5-m NHN, die im weiteren Bauablauf zur Bohr- und Arbeitsebene ausgebaut wurde, war die Gesamtstandsicherheit des Dammes zunächst gesichert und die Wiederherstellung des Bahndammes konnte ausgeführt werden. Hierzu wurde eine Bodenverbesserung des Bahndammmaterials mittels Bindemittelstabilisierung vorgesehen. Der Bahndamm wurde bis auf Niveau der angeschütteten Arbeitsebene abgetragen und für den Wiedereinbau zwischengelagert. Da auf dieser Höhenkote die spätwürmzeitlichen Beckenablagerung vorlag, wurde eine Schicht Grobschlag eingearbeitet, um auf diesem nicht tragfähigen Untergrund eine Befahrbarkeit zu erreichen. Auf diese Grundlage wurde der 50 cm mächtige Flächenfilter über die komplette Fläche des Bahndammes mit einem Gefälle in Richtung zukünftiger Bohrpfahlwand aufgebracht (s. Abb. 4, rechts). Auf der Westseite des Bahndammes hat dieser seinen Fußpunkt beim Übergang ins Ursprungsgelände bei minimal +450,0-m-NHN. Das Gelände zwischen Aushubsohle und Ursprungsgelände steigt somit auf dieser Seite des Dammes um ca. 4,5-m an. Diese Höhendifferenz wurde mittels einer Böschung und darin eingebrachter Brunnen (s. Abb. 4, links) gesichert. Im Anschluss steigt das Gelände dort in westlicher Richtung leicht an. Der Wiederauf bau des Bahndammes erfolgte, nach entsprechender Eignungsprüfung, durch Einbringen eines Mischbindemittels aus 30 % Kalk und 70 % Zement, welches lagenweise eingefräst und verdichtet wurde. Im Rahmen der Eignungsprüfung wurden neben den Versuchen zur Klassifikation des Aushubmaterials, Proctor- und Einaxiale Druckversuche mit 3 %, 5 % und 8 % Bindemittel durchgeführt. Das abgetragene Material wurde hinsichtlich Wiederverwendbarkeit gemäß ZTV E-Stb 17 [4] überprüft, ggf. separiert und anschließend vor dem Wiedereinbau durchmischt, um ein homogenes Material für den gesamten Bahndamm zu erhalten und Steifigkeitsunterschiede auszuschließen. Im Rahmen der Eignungsprüfung konnte festgestellt werden, dass die Mindestmenge von 3 % Bindemittel ausreichend ist, um sowohl die Anforderungen an die Druckfestigkeit nach FGSV M BMB [5] von q u ≥ 0,5 MN/ m² als auch an die sich aus den statischen Berechnungen ergebenden Anforderungen an die Scherfestigkeit einzuhalten (j‘ k -=-27,5°, c’ k = 25 kN/ m²). Abb. 3: Darstellung der Dammsicherung im Endzustand 68 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Bahndamm Ramerberg - Planung und zeiteffizientes Bauen für die Wiederherstellung nach einem Dammrutsch Der Flächenfilter diente als Aufstandsfläche für die Winkelstützelemente der Totmannkonstruktion. Diese wurden als nahezu durchgehende Wand (s. Abb. 6/ Abb. 7) am westlichen Rand des Flächenfilters aufgestellt und anschließend an der Vorderseite mit dem bindemittelstabilisierten Boden angefüllt. Somit diente dieser verbesserte Boden nicht nur der Gewährleistung der Standsicherheit des Bahndammes, sondern auch als Widerlager der Totmannkonstruktion. Um die Stahlzugglieder zu verlegen, die die Winkelstützelemente mit der geplanten Bohrpfahlwand verbinden, wurden in den bindemittelstabilisierten Boden lokale Gräben eingefräst. Die Zugglieder vom Typ SAS Fels- und Bodenanker d = 63,5 mm wurden darin im Abstand von 2,0 m in unverdichtetem Einkornkies gebettet verlegt und hinter den Winkelstützelementen verankert. Hierzu wurden in den Winkelstützelementen mittig 15 cm große Öffnungen vorgesehen, durch die die Stahlzugglieder mit einer Neigung von 5° geführt wurden und anschließend mittels Keilplatte und Ankerplatte (s. Abb. 6) in korrekter Ausrichtung korrosionsgeschützt verschraubt wurden. Nach Fertigstellung des Bahndammes lagen die Enden der Stahlzugglieder im Abstand von 2 m unmittelbar unter der Böschungsoberfläche des Dammes zur späteren Verlängerung und Einbindung in den Kopf balken der Bohrpfahlwand. Eine Verlegung über ihre volle Länge war zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, da dies zur Kollision mit der Herstellung der Bohrpfahlwand geführt hätte. Das Verlegen der Stahlzugglieder hatte daher mit besonderer Präzision zu erfolgen, um sicherzustellen, dass sie nach ihrer Verlängerung in der vorgesehenen Lage in die Mitte der bewehrten Sekundärpfähle münden. Die Winkelstützelemente wurden unmittelbar auf der Der BE-Fläche bewehrt, eingeschalt und betoniert und anschließend an ihren Bestimmungsort im späteren Bahndamm transportiert. Dies geschah aus zeitlichen Gründen. Die Bestellung von Fertigteilen hätte mehr zeitlichen Vorlauf für das Herstellwerk benötigt. Eine Ortbetonbauweise wäre ebenfalls zeitaufwändiger gewesen, da erst nach Erstellen des Flächenfilters das Flechten der Bewehrungskörbe und das Einschalen hätte beginnen können. Abb. 4: Einbau Flächenfilter nach vollständigem Abtrag des Bahndammes Abb. 5: Darstellung des Bauzustandes nach Wiederauf bau des Bahndammes 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 69 Bahndamm Ramerberg - Planung und zeiteffizientes Bauen für die Wiederherstellung nach einem Dammrutsch Mit der gewählten Vorgehensweise konnte unmittelbar nach Prüffreigabe mit der Herstellung der Winkelstützelemente begonnen werden, sodass diese im Zuge der Erdarbeiten zum Zeitpunkt des Erreichens der Aushubsohle bereitstanden. Innerhalb von 2 Tagen waren sämtliche Elemente aufgestellt (s. Abb. 7) und der Wiederaufbau des Dammes konnte beginnen. Nachdem das Abtragen des Bahndammes ca. 6 Wochen benötigt hatte, dauerte der Wiederauf bau des Dammes, der Auffahrtsrampe (s. Abb. 6) und des Gleises ca. 5 Wochen. Die Wiederinbetriebnahme des Gleises erfolgte eine Woche später am 23.06.2023, ca. 13 Wochen nach Beginn des Dammabtrages. Zwischen Schadensereignis und Baubeginn, somit die HOAI-Leistungsphasen 1 bis 7 sowie die geotechnische Erkundung samt Gutachten lagen letztendlich weniger als 6 Monate. Wie in Abb. 8 zu sehen ist, steht neben dem neu errichteten Bahndamm noch die 5 m hohe und 10 m breite Arbeitsebene zzgl. 5 m breiter Böschung, die einerseits als Arbeitsebene für die weiteren Arbeiten dient, zugleich aber für die Standsicherheit des Dammes erforderlich ist. Um den Rückbau dieser Arbeitsplattform zu ermöglichen, wurde eine rückverhängte Bohrpfahlwand geplant, die neben der Standsicherheit des Bahndammes auch Anforderungen der Gebrauchstauglichkeit erfüllen musste, weswegen eine zulässige horizontale Verformung des Wandkopfes auf 2 cm begrenzt wurde. Abb. 6: Teilangefüllte Winkelstützelemente mit angebrachter Keilplatte und bereitliegende Ankerplatten mit angeschweißtem Stahlrohr 3.2.2 Bohrpfahlwand Maßgebend für das Verformungsverhalten der Bohrpfahlwand ist das Bettungsverhalten des Bodens im Bereich des Erdwiderlagers sowie das Dehnungsverhalten des Stahlzuggliedes. Das Stahlzugglied wurde aus diesem Grund mit einem Durchmesser von 63,5 mm und einer Stahlgüte S670/ 800 deutlich stärker gewählt als aus reinen Gründen der Tragfähigkeit erforderlich. Die überschnittene Bohrpfahlwand wurde mit einem Bohrdurchesser von 1,3 m geplant und als im Baugrund gebettetes System berechnet. Aufgrund der geringen Scherfestigkeit der im Rahmen der Erkundung angetroffenen Schichten und des einzuhaltenden Verformungskriteriums, ergab sich eine erforderliche Gesamtlänge von 20,8 m, um das o. g. Verformungskriterium einzuhalten. Der oberste Meter der Bohrpfahlwand wurde als 1,5 m breiter bewehrter Stahlbetonkopf balken geplant, in den die Stahlzugglieder einbinden und auf dem eine Absturzsicherung geplant wurde. Abb. 7: Aufstellen der Winkelstützelemente als Teil der Totmannkonstruktion Abb. 8: Wiedererrichteter Bahndamm mit Rampen und Arbeitsebene 3.2.3 Entwässerung So wie die Wasseraustritte in der Böschung maßgebend zu ihrem Versagen beigetragen haben, so ist die sichere Abführung von Niederschlagssowie Grund- und Schichtwasser entscheidend für die bauzeitliche und dauerhafte Standsicherheit des Dammes. Der o. g. Flächenfilter an der Unterkante des bindemittelstabilisierten Bahndammes verläuft an der Westseite des Dammes hinter den Winkelstützelementen entlang der Böschung des temporären Aushubs hoch bis fast unter die GOK, sodass sämtliches Schichtenwasser im Bereich zwischen +444,5 m NHN und der westlichen GOK bei ca. +450,0 - m - NHN erfasst wird. Das Oberflächenwasser der Westseite des Bahndammes wird in einem offenen Gerinne am westlichen Böschungsfuß gesammelt und an einem Durchlass außerhalb des Projektgebietes durch den Bahndamm zum östlich gelegenen Vorfluter geführt. Die Entwässerung des Flächenfilters erfolgte bauzeitlich über eine Drainageleitung an seinem östlichen Rand. Für den Endzustand wurde die Drainageleitung zurückgebaut und an gleicher Stelle, also unmittelbar hinter der Bohrpfahlwand, jeweils hinter den Sekundärpfählen, geokunststoffummantelte Kiespfähle von ebenfalls 1,3- m 70 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Bahndamm Ramerberg - Planung und zeiteffizientes Bauen für die Wiederherstellung nach einem Dammrutsch Durchmesser angeordnet, die bis unter die Aushubsohle bei +440,5 m NHN reichen (s. Abb. 9). Mit diesen Säulen kann neben dem im Flächenfilter gefassten Wasser auch mögliches darunter verlaufendes Grund- und Schichtenwasser erfasst werden und auf diese Weise sichergestellt werden, dass kein Wasserdruck auf die Rückseite der Bohrpfahlwand wirkt. Die Entwässerung dieser Kiessäulen erfolgt durch Drainageöffnungen und Rohrleitungen DN160 in jedem unbewehrten Primärpfahl am Fuß der Bohrpfahlwand. Die Oberflächenentwässerung der Ostseite des Bahndammes wurde unabhängig von der Tiefenentwässerung geplant, um ein Verschlammen der Kiessäulen zu verhindern. Hierfür wurde am Fuß der Dammböschung hinter dem Kopf balken ein lokaler Aushub des Böschungsfußes geplant, sodass hinter dem Kopf balken und auf den Kiespfählen zunächst der Flächenfilter wiederhergestellt wird, der eine Entwässerung in die Kiespfähle ermöglicht. Darüber, durch ein Vlies getrennt, wird eine Mulde aus Magerbeton erstellt, die einen wasserundurchlässigen Übergang von Kopf balken bis zur Böschungskante sicherstellt. Diese Entwässerungsmulde ist zu den Viertelspunkten der Bohrpfahlwand geneigt, an denen sie in drei Fallrohre mit Schachtdeckel entwässert, die in die Kiessäulen eingestellt sind. Diese Fallrohre werden unten verschlossen und mit einer eigenen Drainageöffnung durch die Bohrpfahlwand hindurch entwässert. Erst an diesem Punkt werden beide Entwässerungsströme am Fuß der Bohrpfahlwand zusammengeführt und dem nächsten Vorfluter, der östlichen verlaufenden Attel zugeführt, wodurch das Oberflächenwasser nicht den Kies durchströmt. Das Erstellen und Rückverhängen der Bohrpfahlwand übernimmt die stabilisierende Wirkung der Anschüttung & Bohrplattform nach ihrem Rückbau. Der Rückbau der Bohrplattform hat hierbei in Abstimmung zwischen Erdbau und Spezialtief bau geplant zu werden. Um einen vollflächigen Wasserdruck auf die Bohrpfahlwand zu vermeiden, bevor die Drainageöffnungen erstellt wurden, wird jeweils ein einzelner Pfahl freigelegt und die Drainageleitung erstellt, bevor die Erdarbeiten vor dem nächsten Pfahl weitergehen können. Um ein Bohren gegen drückendes Wasser und damit ein Ausspülen des Säulenmaterials zu verhindern, wurden in sämtlichen Kiessäulen Pegelrohre vorgesehen (s. Abb. 9), die ein Absenken des Wasserspiegels vor Erstellung der Drainageöffnungen ermöglichen. An beiden Enden der Bohrpfahlwand wird die Arbeitsebene nicht vollständig zurückgebaut, sondern Böschungskegel stehen gelassen, die einen Übergang in das anschließende Gelände ermöglichen. Abb. 9: Entwässerung Bohrpfahlwand im Endzustand 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 71 Bahndamm Ramerberg - Planung und zeiteffizientes Bauen für die Wiederherstellung nach einem Dammrutsch 4. Monitoring Zur Kontrolle der Gleislage wurde im Rahmen der Planung der Wiederherstellung des Bahndammes ein Monitoringkonzept für die Gleise und den Bahndamm erstellt. Zusätzliches Ziel des Monitorings ist die Bestätigung, dass durch die ergriffenen Sicherheitsmaßnahmen die Verformung des Dammes dauerhaft unterbunden wurden. In regelmäßigen Abständen fand sowohl eine innere Gleisvermessung mittels Messkleinwagen und eine äußere mittels Tachymetermessung statt. Ergänzend wurden 38 Punkte der angrenzenden Böschungen mittels Kreuzankern markiert, die ebenfalls mittels Tachymetermessung überwacht werden, um mögliche Verformungen zu erfassen. Außerdem wurden drei Horizontalinklinometer im Flächenfilter von der Totmannkonstruktion bis zur Vorderkante der Arbeitsplattform verlegt. Die Kürzung der Inklinometer im Rahmen der Erstellung der Bohrpfahlwand wurde vorab bereits berücksichtigt. Hierzu wurden Inklinometerschächte an den Positionen erstellt, an denen die Inklinometer nach Erstellung der Bohrpfahlwand enden (s. Abb. 10). Somit bleiben die Inklinometer zugänglich und die Messungen können sowohl nach der Inbetriebnahme der Strecke als auch während des Abtrags der Bohrplattform und darüber hinaus durchgeführt werden. Abb. 10: Inklinometerschacht; im Hintergrund: Winkelstützelemente sowie vorbereitete Stahlzugglieder mit Korrosionsschutz Literatur [1] Ril 804, Eisenbahnbrücken (und sonstige Ingenieurbauwerke) planen, bauen und instandhalten, DB Netz AG, 2023. [2] Ril 836, Erdbauwerke und sonstige geotechnische Bauwerke planen, bauen und instandhalten, DB Netz AG, 2022. [3] Ril 853, Instandsetzung, Teil- und Voll Erneuerung von Tunnelbauwerken, DB Netz AG, 2022. [4] ZTV E-Stb 17, Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen für Erdarbeiten im Straßenbau, Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV), 2017. [5] FGSV M BmB, Merkblatt über Bodenbehandlungen mit Bindemitteln, Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV), 2021. Nachhaltigkeit in der Geotechnik 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 75 Planung und Optimierung des Sondenfeldes einer oberflächennahen Geothermieanlage für ein Logistikzentrum Geothermie als ressourcenschonender Wärme- und Kältelieferant Dr. Max Kewel Dr. Spang Ingenieurgesellschaft für Bauwesen, Geologie und Umwelttechnik mbh, Witten Martin Sekulla, M. Sc. Dr. Spang Ingenieurgesellschaft für Bauwesen, Geologie und Umwelttechnik mbh, Witten Zusammenfassung Der Einsatz erdwärmegekoppelter Wärmepumpensysteme zur Wärme- und Kälteproduktion hat das Potential, ein wichtiger Baustein der Wärmewende zu werden. Aus diesem Grund entschied sich die MAGURA Bosch Parts & Services GmbH beim Neubau ihrer Firmenzentrale in Nürtingen dafür, eine Geothermieanlage zu errichten, welche sowohl den Wärmeals auch große Teile des Kühlbedarfs decken sollte. Mithilfe von numerischen Simulationen wurden verschiedene Konfigurationen von Erdwärmesonden (kurz EWS) auf ihr Langzeitverhalten hin untersucht und miteinander verglichen. 1. Einführung Die MAGURA Bosch Parts & Services GmbH & Co. KG plant den Neubau einer Logistikhalle mit einem 2-geschossigen Bürotrakt im Gewerbegebiet Am Großen Forst in 72622 Nürtingen. Die Wärme- und Kälteversorgung soll unter anderem durch Nutzung von Erdwärme erfolgen. Als Wärmetauscher wird ein Erdwärmesondenfelds im Bereich der geplanten Logistikhallen und den angrenzenden Freiflächen geplant. Die Sonden werden aufgrund limitierender geologischer Verhältnisse eine Endteufe von 135 m nicht überschreiten. Um eine effiziente geothermische Wärme- und Kühlleistung zu realisieren, wurden deshalb im Vorfeld der Baumaßnahme sowohl umfangreiche numerische Simulationen als auch ein in-situ Test zur Bestimmung der thermischen Eigenschaften des Untergrunds durchgeführt. 2. Bauprojek Magura Bosch Abb. 1: Computer generiertes Luftbild des fertiggestellten 1. Bauabschnitt. Die Logistikhalle ist mit einer Grundfläche von ca. 10.000 m² geplant. Im Süden, an die Logistikhalle anschließend, wird in einem späteren Bauabschnitt eine Erweiterung der geplanten Logistikhalle um einen ca. 25 m breiten und ca. 75 m langen Hallenkomplex in Erwägung gezogen. Weiterhin sollen auf dem Gelände ein Logistikhof und ca. 200 Stellplätze für LKW und PKW entstehen. Das Baugelände wird derzeit landwirtschaftlich als Ackerfläche genutzt. 2.1 Energiekonzept Gemeinsam mit dem Auftraggeber und dem Planer der technischen Gebäudeausrüstung wurde entschieden, unterschiedliche Anteile des Wärme- und Kältebedarfs durch das geothermische Reservoir bereitzustellen. Die Geothermie in Kombination mit Wärmepumpen wird 100 % der benötigten Wärme liefern. Demgegenüber werden nur 60 % der in Folge Kühlung anfallenden Wärme passiv, das heißt ohne Verwendung der Wärmepumpe, zurück in den Untergrund geleitet. Der restliche Kühlbedarf wird mittels freier Kühlung, also unter Verwendung der kälteren Außenluft, gedeckt. Zur weiteren Effizienzsteigerung wird die Abwärme der Kühlung im Falle von simultanem Wärme- und Kältebedarf direkt der Wärmepumpe zugeführt. 2.2 Bedarfsermittlung Der Jahresbedarf wird mithilfe einer thermischen Simulation bestimmt. Hierbei zeigt sich, dass die maximale Heizleistung ca. 650 kW und die maximale Kühlleistung ca. 260 kW beträgt. Weiterhin werden ca. 5000 Arbeitsstunden Heizung und ca. 4000 Arbeitsstunden Kühlung prognostiziert. Aus dem höheren Leistungsniveau und der längeren Arbeitszeit ergibt sich insgesamt, dass ca. 4,6-mal mehr Heizenergie (719 MWh) als Kühlenergie 76 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Planung und Optimierung des Sondenfeldes einer oberflächennahen Geothermieanlage für ein Logistikzentrum (155 MWh) benötigt wird. Wichtig ist hier, dass, wenn auch in unterschiedlichen Mengen, immer sowohl Kühl-, als auch Wärmebedarf besteht. Abb. 2: Prognose des monatlichen Heiz- und Kühlbedarfs. 3. Geologische Voruntersuchungen Zu Beginn galt es festzustellen, ob die Nutzung von oberflächennaher Geothermie unter den gegebenen geologischen Standortbedingungen grundsätzlich möglich ist. Dazu wurde auf geologisches Kartenmaterial sowie auf das online abruf bare Informationssystem oberflächennahe Geothermie zurückgegriffen [1]. Hierzu wurde ein vorläufiges geologisches Profil des Baugrunds bis in eine Tiefe von 300 m unterhalb der Geländeoberfläche (GOF) erstellt, welche folgend in Tab. X zusammengefasst werden. 3.1 Allgemeine Geologie Das Projektgebiet befindet sich auf der Filderfläche, einer Ebene im Vorland der Schwäbischen Alb auf Gesteine des Keupers sowie des unterersten Juras aufgeschlossen sind. Abb. 3: Verteilung der Wärmeleitfähigkeit auf Basis des Enhanced Geothermal Response Tests. Tab. 2: Prognostiziertes Bohrlochprofil für die Filderfläche bis in eine Tiefe von 300 m Schicht Gesteins-/ Bodenart Teufenlage (m UGOK) Oberboden und Quartär Schluff, trocken 0-10 Schwarzer Jura Tonstein 10-60 Kalk-/ Sandstein Knollenmergel Schluffstein 60-100 Stubensandstein Sandstein 100-165 Schlufftonstein Obere Bunte Schluffstein 165-300 Für die Auslegung der Geothermieanlage sind vor allem die Anhydridführenden Schichten des Oberen Bunten Mergels relevant, da diese quellfähigen sind und somit zu Hebungen und damit einhergehenden bohr undausbautechnischen Schwierigkeiten führen können. Das Landesamt für Geologie Rohstoffe und Bergbau (LGRB) empfiehlt deshalb, die Bohrtiefe auf 146 m UGOK zu beschränken, um ausreichend Abstand zu den o.g. Schichten zu bewahren. Aus Sicherheitsgründen wurde entschieden, die Endteufe der Erdwärmesonden auf 135 m uGOK zu limitieren. Die Untergrundverhältnisse sind nach [2] der hydrogeologischen Einheit III „Unterjura“ und V „Höherer Mittelkeuper“ zuzuordnen mit einem geringen, in Hanglage mittleren Grundwasserdargebot. 3.2 Geothermische Bedingungen Der geothermische Gradient, also die Zunahme der Temperatur mit der Tiefe, ist zentral, da dieser Parameter das initiale Temperaturprofil angibt. Die durch Wärmeentzug bzw. Kälteeintrag hervorgerufene Änderung des Temperaturfeldes gilt es vorherzusagen. Weiterhin bestimmt der Gradient, wie viel Energie aus Tieferen Schichten geliefert wird. Je höher der Gradient desto stärker wird das Erdwärmesondenfeld aus tieferen Schichten mit Energie versorgt und desto größer ist maximale Temperatur, die die Sole annehmen kann. Eine hohe Soletemperatur korreliert wiederum direkt mit einem effizienteren Wärmepumpenbetrieb. Der Energieaustausch zwischen Erdwärmesonden und dem Untergrund findet ausschließlich konduktiv statt. Dies bedeutet, dass der Temperaturänderung mathematisch durch die (inhomogene) Diffusionsgleichung (1) beschrieben wird. Der Proportionalitätsfaktor, welcher die zeitliche mit der räumlichen Temperaturänderung in Gl. (1) linear in Beziehung setzt, ist die Temperaturleitfähigkeit (2) 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 77 Planung und Optimierung des Sondenfeldes einer oberflächennahen Geothermieanlage für ein Logistikzentrum Abb.4: Linke Spalte: Die drei Varianten nach denen die EWS zu Arrays zusammengefasst wurden. Rechte Spalte: Das zu den Varianten gehörende Betriebsschema der einzelnen Arrays. Diese wiederum setzt sich aus der Dichte ρ, der spezifischen Wärmekapazität c und der Wärmeleitfähigkeit λ zusammen. Das Produkt aus Dichte und spez. Wärmekapazität ist für Geomateriale im Gegensatz zur Wärmeleitfähigkeit fast konstant, sodass λ der Parameter ist, welcher die Temperaturänderung maßgeblich beeinflusst. Die zu erwartenden thermischen Eigenschaften der anstehenden geologischen Schichten lassen sich dem Internetportal des Landesamtes für Geologie, Rohstoffe und Bergbau Baden-Württembergs (LGRB) entnehmen (Tabelle 3). Auf dieser Basis wurden zu Projektbeginn erste Berechnungen durchgeführt. Allerdings sollten laut VDI 4640 [4] die thermischen Eigenschaften von Anlagen mit einer Leistung von mehr als 30 kW, die aus einer Vielzahl von EWS bestehen, mithilfe eines Geothermal bzw. Enhanced Geothermal Response Test (EGRT) [5] gemessen werden. Der EGRT liefert standortgenaue und tiefenaufgelöste thermische Leitfähigkeiten, welche notwendig sind um etwaige kostspielige Fehlplanungen zu vermeiden. Der EGRT wurde an einem 140 m tiefen Bohrloch im Zentrum des zukünftigen Sondenfeldes durchgeführt. Während des Tests wird Wärme durch heißes Wasser in die Erdwärmesonde eingespeist. Durch Messung der Heizleistung lässt sich die insgesamt eingetragene Wärmemenge quantifizieren. Der Vergleich der zeitlichen Temperaturänderung beim Auf heizen mit einer analytischen Lösung der Diffusionsgleichung, ermöglicht die Berechnung der Wärmeleitfähigkeit. Weiterhin kann das Temperaturabklingverhalten nach Beendigung der Heizphase zur Bestimmung der Wärmeleitfähigkeit verwendet werden. Die Temperaturmessung erfolgt mithilfe eines entlang des Bohrlochs verlegten Glasfaserkabels, welches die Temperatur als Funktion der Teufe misst. Generell zeigt sich, dass die Tiefenverteilung der Wärmeleitfähigkeit großen Schwankungen unterworfen ist, was die abwechslungsreiche Geologie der Region widerspiegelt (siehe Abbildung 3). Die durchschnittliche Wärmeleitfähigkeit beträgt ca. 3 W/ m/ K. Tabelle 3 zeigt, dass die vorläufigen Wärmeleitfähigkeiten die tatsächlich gemessenen, mit Ausnahme des Knollenmergels, zum Teil deutlich unterschätzen. Ohne den EGRT wäre das geothermische Potential dementsprechend ebenfalls unterschätzt worden. Tab. 3: Vergleich der durchschnittlichen Wärmeleitfähigkeit aus Literaturwerten und dem Resultat des EGRT für die anstehenden Gesteinsformationen Schicht Wärmeleitfähigkeit (W/ m/ K) Literatur EGRT Oberboden und Quartär 0,5 1,59 Schwarzer Jura 2,3 2,95 Knollenmergel 1,85 1,74 Stubensandstein 2,0 2,97 Obere Bunte Mergel 1,7 1,7 Die ungestörte Durchschnittstemperatur der relevanten Tiefenlagen betrug laut EGRT 15.39 °C und der geothermische Gradient beträgt ca. 0.057 K/ m, was ein vergleichsweise hoher Wert ist (normal sind 0.025-0.03 K/ m), auch wenn in Voruntersuchungen ein noch höherer Gradient von 0,07 k/ m prognostiziert wurde. Die relativ hohen Wärmeleitfähigkeiten und der ebenfalls überdurchschnittliche geothermische Gradient, ergeben ein hohes Potential für ein Erdwärmesondenfeld. 78 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Planung und Optimierung des Sondenfeldes einer oberflächennahen Geothermieanlage für ein Logistikzentrum 4. Das Erdwärmesondenfeld Als potentielle Fläche für das Erdwärmesondenfeld kommen sowohl die Grundfläche des zukünftigen Logistikhalle als auch die angrenzende Be- und Entladungsfläche in Frage. So ergibt sich eine Gesamtfläche von 120 m x 80 m. Limitierend ist hierbei ein Mindestabstand der Sonden zueinander von i.d.R. 10 m, um mögliche Einflüsse bzw. Wechselwirkungen zu verhindern bzw. zu minimieren. Außerdem sollte ein Randabstand zur Grundstücksgrenze von 6 m eingehalten werden. Unter Berücksichtigung der aufgeführten Einschränkungen sowie der anfallenden Wärme- und Kältebedarfe für den Neubau, wird ein Raster von je 12 Erdwärmesonden in nahezu von Ost nach West verlaufender Achse und je 8 Erdwärmesonden in ungefährer Nord-Süd-Richtung erstellt. Die Sonden werden mit einem Abstand von jeweils 10 m zueinander angeordnet. Es ergibt sich so im genannten Raster ein Erdwärmesondenfeld mit insgesamt 96 Sondenstandorten. Aufgrund von im Sondenraster liegenden Gründungselementen im Bereich der Lagerhalle, ergeben sich im Raster geringfügige Verschiebungen für einzelne Sonden aus dem regelmäßigen Raster heraus. Die Erdwärmesonden bestehen jeweils aus Doppel-U- Rohren, welche über ein thermisch gut leitendes Hinterfüllmaterial mit der Bohrlochwand in Kontakt stehen (Abbildung 5). Abb. 4: Schematischer Auf bau einer Erdwärmesonde in Ausführung als Doppel-U-Rohr (verändert nach [6]) 4.1 Variantenstudie Nachdem die generelle Eignung des Baugrunds bestätigt werden konnte, wurde versucht, eine optimal an das Anforderungsprofil angepasste Konfiguration des Erdwärmesondenfelds (aus dem Englischen oft Array genannt) zu finden. Wichtig war sowohl einen effizienten Wärmeals auch Kühlbetrieb zu gewährleisten. Weiterhin sollte die Anordnung eine gewisse Flexibilität ermöglichen, so dass man auf zukünftige Bedarfsänderungen reagieren und Optimierungen in der Anlagensteuerung implementieren kann. Aus der Anforderung, gleichzeitig zu kühlen und zu heizen, ergibt sich, dass das Erdwärmesondenfeld in mehrere Kreisläufe unterteilt werden muss, die jeweils mit einer Wärmepumpe verknüpft sind. Abbildung 3 zeigt, die 3 Varianten, welche im Rahmen dieses Projektes näher untersucht wurden. In der einfachsten Variante für ein gleichmäßiges Raster wird jede zweite EWS miteinander verbunden, sodass ein schachbrettartiges Muster entsteht (Variante 1). In den Wintermonaten entziehen beide Arrays gleichzeitig Wärme, wobei der geringe Kühlbedarf, wenn nötig, über eines der Arrays gedeckt wird. Das Reservoir wird gleichmäßig beansprucht. Eine zweite Variante (Variante 2), teilt das Sondenfeld in ein innen- und ein außenliegendes Array auf. Nur in das innere, aus 24 Sonden bestehende Array wird Kühlenergie eingeleitet. Man erhofft sich dadurch eine höher effiziente Heizperiode, da die sommerliche Wärmeenergie im Zentrum der Erdwärmesonde gespeichert wird und sich dann diffusiv, also langsam, auf den Bereich der 72 Sonden des äußeren Arrays ausbreitet. Die letzte Variante (Variante 3) sieht vor, das Erdwärmesondenfeld in 4 Arrays zu unterteilen, welche jeweils aus 2 parallel verlaufenden EWS-Reihen á 24 Sonden bestehen. Jedes Array erfüllt Jahreszeit abhängig unterschiedliche Aufgaben, was sich im vergleichsweise komplexen Betriebsschema in Abbildung 3 erkennen lässt. Die Besonderheit dieser Anordnung ist, dass sich je Array alle Phase (Heizen, Kühlen, kein Betrieb) innerhalb eines Jahres gezielt abwechseln. So können die Arrays individuell optimal für die im Jahresverlauf anfallenden Wärme- und Kältebedarfe optimiert werden. Ein Array, welches im Sommer die Hauptkühllast tragen soll, wird dafür im Herbst und Winter stärker herabgekühlt. So kann die die passive Kühlung effizienter Wärme abführen. Gleichzeitig tragen die anderen 3 Arrays die Grundlast und werden weniger „aggressiv“ herabgekühlt bzw. erhitzt. Im Hinblick auf die vom Auftraggeber geforderte Flexibilität der Betriebssteuerung des Erdwärmesondenfeld, bietet Variante 3 die größten Anpassungsmöglichkeiten. Um das Langzeitverhalten der hier diskutierten Varianten zu untersuchen und miteinander zu vergleich, ist es notwendig numerische Simulationen durchzuführen. 4.2 Berechnungen Feflow Für die thermische Modellierung komplexer Untergrundmodelle wird von FEFLOW die Wärmeleitungsgleichung herangezogen und mithilfe von Rand- und Anfangsbedingungen unter Anwendung der Finiten-Elemente-Methode (FEM) gelöst [5]. Feflow bietet den Vorteil, dass es die zwei grundlegenden Prozesse, welche bei der Wärmeübertragung durch EWS auftreten, getrennt rechnet. Das lokale Problem im Bohrloch wird durch eine analytische Lösung berechnet, wohingegen die Wärmeausbreitung im Sondenfeld durch die Finite-Elemente-Methode approximiert wird. Würde man auch das geometrisch komplexe System aus Doppel-U-Rohr und Hinterfüllmaterial für jede EWS einzeln rechnen, vervielfachte sich der Re- 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 79 Planung und Optimierung des Sondenfeldes einer oberflächennahen Geothermieanlage für ein Logistikzentrum chenaufwand und Fragestellungen wie die in diesem Artikel betrachtet, wären praktisch nicht zu untersuchen. 4.3 Zielwerte der Simulation Das Ziel der Simulation ist grundsätzlich ein möglichst hoher Entzugsanteil des Wärme- und insbesondere des Kältebedarfs. Innerhalb einer Simulationsdauer von 50 Jahren soll sich ein stationärer Zustand der lokalen Untergrundtemperatur einstellen bzw. abzeichnen, d. h. bei jahreszeitlich variierenden Entzugszyklen erfolgt nach einigen Jahrzehnten eine Ausbalancierung des lokalen Temperaturniveaus, welches in den Beobachtungspunkten abzulesen ist. Schlussendlich ist die technische Durchführbarkeit, insbesondere hinsichtlich der angesetzten Durchflussraten und der korrespondierenden Spreizung zwischen Ein- und Ausgangstemperatur des Sondenfluids, zu prüfen. Die Einschränkungen durch die VDI 4640 betrifft insbesondere die Eingrenzung eines gewissen Temperaturniveaus des Erdkörpers. Gemäß VDI 4640 darf die Fluideintrittstemperatur im Dauerbetrieb den Bereich ± 10 K relativ zur Temperatur des ungestörten Untergrunds nicht überschreiten, bei Spitzenlast ± 15 K. Weiterhin sollte die Temperatur des zur Sonde zurückkehrenden Fluids im Dauerbetrieb den Grenzbereich ± 11 K Temperaturänderung nicht überschreiten. Im Spitzenbetrieb sind ± 17 K Temperaturänderung gegenüber der Ursprungstemperatur zulässig, min. -3 °C und max. 21 °C. Die Temperatur des Untergrunds sollte grundsätzlich zwischen 0 und 20 °C betragen. Die Temperaturspreizung des Fluids zwischen Ein- und Austritt aus der Erdwärmesonde sollte erfahrungsgemäß 5 K nicht überschreiten. 5. Ergebnisse Die Daten der Finite-Element Berechnungen werden für alle Modelle an den gleichen Stützpunkten des Modells in derselben Tiefe von 5m ausgelesen (siehe Abbildung 5). In dieser Tiefe sind die größten Temperaturschwankungen zu erwarten. Hier geben Beobachtungspunkte BP2, BP4, BP6 und BP8 die Bedingungen in unmittelbarer Nähe einer EWS wieder. Beobachtungspunkte BP1, BP3, BP5 und BP9 liegen im Zentrum des von den vier umliegenden EWS aufgespannten Quadrats und repräsentieren somit die Bedingungen innerhalb des geothermischen Reservoirs. In Bezug auf die Variante 2 sind die Daten von BP1, BP2, BP3 und BP4 dem inneren und BP5, BP6, BP8 und BP9 dem äußeren Array zuzuordnen. Für die Variante 3 sind BP5 und BP6 Array 1, BP3 und BP4 Array 2, BP1 und BP2 Array 3 und BP8 und BP9 Array 4 zuzuordnen. Beprobungspunkt BP7 liegt mehrere 10er Meter außerhalb des Sondenfeldes und dient zu Überprüfung der Auswirkung auf die weitere Umgebung. Abb. 5: Lage der Beobachtungspunkte mit Referenz zur Aufteilung der Sondenfelder in Variante 2 (roter gestrichelter Kasten) und Variante 3 (schwarze gestrichene Kästen) Abb. 6: Obere: Temperaturverlauf innerhalb eines Jahres für die Arrays in Variante 1,2 und 3. Untere Spalte: Netto monatliche Energiebilanz (negative bedeutet Wärmeentzug) der einzelnen Arrays. 80 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Planung und Optimierung des Sondenfeldes einer oberflächennahen Geothermieanlage für ein Logistikzentrum 5.1 Vergleich der Jahreslinien Je nach Unterteilung des Erdwärmesondenfeldes wurde der Gesamtbedarf verschieden aufgeteilt, sodass sich mitunter stark voneinander differenzierende Temperaturverläufe herausbilden (siehe Abbildung 6). Dennoch ist die netto Energiebedarf pro Monat in allen Modellen identisch. Der hohe Energiebedarf zu Beginn des Jahres sorgt dafür, dass die Temperaturen im Reservoir bei allen Varianten um mehrere Grad sinken. Die gleichmäßigere Aufteilung von Kühl- und Wärmelast der Schachbrettvariante zeigt sich in der gleichmäßigeren Temperaturentwicklung zwischen beiden Arrays. Da das innere Array in Variante 2 im Sommer für die Kühlung benutzt wird, heizt es sich wesentlich stärker auf. Weiterhin erkennt man, dass sich auch das äußere Array im Laufe des Sommers erwärmt, sogar dann noch wenn ihm Energie entzogen wird. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Energie vom inneren in den äußeren Bereich nachströmt. Somit erzielt man mit dieser Variante einen tatsächlichen Speichereffekt. Der zuerst durchaus chaotisch anmutende Jahresgang der einzelnen Arrays der Variante 3 spiegelt die komplexe Verteilung der Heiz- und Kühllasten wider. Es ist gut zu erkennen, dass es möglich ist, die 4 Arrays des Erdwärmesondenfeldes zeitgleich, zumindest für Zeiträume einiger Wochen, auf sehr unterschiedlichen Temperaturniveaus zu fahren. Das generelle Temperaturniveau vor Beginn der für die Gesamteffizienz wichtigen Heizperiode von November bis März ist bei Variante 3 am höchsten. 5.2 Vergleich des Langzeitverhaltens Abbildung 7 gibt Aufschluss über die Temperaturentwicklung über den Betrachtungszeitraum von 50 Jahren. Innerhalb dieses Zeitraumes blieb das in Abbildung 4 dargestellte Betriebsschema unverändert. Generell lässt sich sagen, dass sich in keinem Szenario nach 50 Jahren ein Gleichgewicht zwischen Energieentzug und durch der aus der Umgebung nachgelieferten Energie einstellt, da die zeitliche Änderung aller Temperaturkurven nach 50 Jahren kleiner 0 ist (stationär: dT/ dt = 0). Allerdings unterschreitet keine Variante die vorgeschriebenen Temperaturuntergrenzen (und wird dies auch über den Betrachtungszeitraum hinaus nicht tun). Anhand des Verlaufs der beiden Arrays in Variante 1 lässt sich sehr gut darstellen, dass die monatlichen Entzugsmengen auf den Gesamttrend keinen Nennenswerten Einfluss haben. Vielmehr ist es so, dass die Nettoenergie, welche einem Array entzogen wurde bestimmt, wie stark sich, auf der Skala von Jahrzenten, dieses Array abkühlt. Aus diesem Grund kühlt sich das innere Array in Variante 2 wesentlich weniger stark ab als das äußere Array. In Variante 3 ist wird Kühlenergie hauptsächlich nach Array 4 geleitet, wodurch es sich über den Betrachtungszeitraum signifikant schwächer abkühlt. Abb. 7: Obere Spalte: Langezeitverhalten der verschiedenen Arrays. Untere Spalte: Temperaturspreizung innerhalb der Arrays der verschieden Varianten. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 81 Planung und Optimierung des Sondenfeldes einer oberflächennahen Geothermieanlage für ein Logistikzentrum Bei gleichmäßig über das gesamte Erdwärmesondenfeld aufgeteilter Energieentnahme zeigt sich weiterhin, wenn auch nicht stark ausgeprägt, dass sich der innere Bereich gegenüber dem äußeren Bereich eines Arrays stärker abkühlt, da Wärmetransport von außerhalb des Sondenfeldes weniger effektiv dem Energieentzug entgegenwirkt. Markant ist, dass die Temperaturspreizung zwischen ein- und austretender Sole in allen Fällen über den gesamten Betrachtungszeitraum konstant ist, jedoch untereinander sehr stark schwankt (Abbildung 7, unten). Anhand der Spreizung lässt sich erkennen, dass die vorgegebene Fließrate der Sole reduziert werden kann. Eine hohe Spreizung steigert generell die Effizienz einer Sole-Wasser Wärmepumpe und ist, im Rahmen der Vorgaben der VDI 4640, zu begrüßen. Abb.8: Durchschnittliche Abkühlung innerhalb des Betrachtungszeitraums für die 3 betrachteten Varianten Errechnet man für jedes Variante die mittlere Temperaturabsenkung über den Berechnungszeitraum aller Beobachtungspunkte, die im Sondenfeld liegen, lässt sich abschätzen, wie stark sich das Sondenfeld als ganzes entwickelt hat (Abbildung 8). Hier zeigt sich, dass sich das Sondenfeld in Variante 1 am wenigsten (ca. 8.1 K) und in Variante 3 am stärksten abgekühlt hat (9.1 K). Über den Gesamtzeitraum betrachtet, scheint sich in der simplen Anordnung die dem System entzogene Energie am besten zu regenerieren. 6. Fazit Für das Heizen und Kühlen einer Logistikhalle mittels Geothermie, wurden verschiedene Erdwärmesondenanordnung sowohl für ihren Betrachtungszeitraum von 50 Jahren als auch auf ihr Verhalten innerhalb eines Jahres untersucht. Variante 3, in der das Sondenfeld in 4 parallel verlaufende Arrays aufgeteilt wurde, bietet Flexibilität in der Steuerung und präzisen Konditionierung der Arrays, so dass jedes einzelne Array zeitgleich optimal zu Kühl oder Heizzwecken eingesetzt werden kann. Vor allem die Tatsache, dass ein Großteil des Sondenfeldes zu Beginn der wichtigen Heizperiode seine Maximaltemperatur erreicht, trägt zur Effizienzsteigerung bei. Zusammen mit dem Auftraggeber wurde entschieden, die komplexe aber flexibel anpassbare Variante 4 als endgültige Sondenkonfiguration zu wählen. Auf diese Weise ist man auch noch nach Bau des Erdwärmesondenfeldes in der Lage, weitreichende Anpassungen in der individuellen Steuerung der Arrays vorzunehmen. Literatur [1] Daten- und Kartendienst der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg, http: / / www.lubw.baden-wuerttemberg.de, Abfrage vom 05.11.2021. [2] Geologische Karte von Baden-Württemberg, Maßstab 1 : 50.000, Internetpräsenz des Landesamtes für Geologie, Rohstoffe und Bergbau Baden-Württemberg, Abfrage vom 19.01.2022. [4] Thermische Nutzung des Untergrunds: Grundlagen, Genehmigungen, Umweltaspekte (VDI 4640), VDI-Gesellschaft Energietechnik Fachausschuss Regenerative Energien (FARE), Düsseldorf, Juni 2008. [5] FEFLOW 3 Finite Element Subsurface Flow & Transport Simulation System: White papers Vol. V, DHI-WASY GmbH, Berlin, 2010. [6] Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e. V. Empfehlungen Oberflächennahe Geothermie - Planung, Bau, Betrieb und Überwachung - EA Geothermie, 2015 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 83 Zwei-Phasen-Weichgelsohlen als nachhaltige Alternative zu Dichtsohlen im Düsenstrahlverfahren Dr.-Ing. Lukas Knittel Keller Grundbau GmbH, Renchen Dr.-Ing. Ivo Kimmig Keller Grundbau GmbH, Renchen Dipl.-Ing. Tobias Adler Keller Grundbau GmbH, Renchen Zusammenfassung Die Entwicklung im Spezialtief bau zeigt, dass, begünstigt durch verschiedene Gegebenheiten, für Abdichtungsaufgaben wieder verstärkt Weichgel als Alternative zum Düsenstrahlverfahren eingesetzt wird. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass ausführende Firmen wie die Keller Grundbau GmbH neue Rezepturen entwickelt haben, welche hinsichtlich Umweltaspekten unbedenklich sind, die geltenden Grenzwerte und Auflagen einhalten und bauaufsichtlich zugelassen wurden. Darüber hinaus lassen sich für die beim Düsenstrahlverfahren unvermeidlich anfallende Rückflusssuspension, auf Grund ihrer Zusammensetzung und chemischen Eigenschaften, immer weniger Entsorgungsmöglichkeiten finden und die Kosten dafür steigen teils drastisch an. Zunehmend geraten bei Nachhaltigkeitsbetrachtungen auch die deutlich geringeren CO 2 -Emissionen in den Fokus, welche bspw. Zwei-Phasen-Weichgelsohlen im Vergleich zu Düsenstrahlsohlen aufweisen. Durch den Vergleich der CO 2 -Bilanz beider Verfahren, basierend auf aktuellen Emissionsfaktoren und gleichen bautechnischen Randbedingungen, wird anhand eines fiktiven Beispielprojektes mit einer tiefliegenden Dichtsohle (Fläche 1000 m 2 , Sohlstärke 1 m) gezeigt, dass beim Einsatz des Düsenstrahlverfahrens, im Vergleich zur Weichgelinjektion, um den Faktor 8 höhere CO 2 -Emissionen freigesetzt werden. Somit stellen Zwei-Phasen-Weichgelsohlen sowohl aktuell als auch zukünftig, bei geeigneten geotechnischen und baugrundspezifischen Randbedingungen, eine äußerst zuverlässige und nachhaltige Alternative dar. 1. Einführung Durch das Einpressen fließfähiger Medien in den Boden kann eine Verfestigung oder Abdichtung des Porensystems erzielt werden, was derzeit in zahlreichen baupraktischen Fragestellungen nach den aktuell gültigen Regelwerken [4,5,17] Anwendung findet. Bereits in den 1960er Jahren wurden umfangreiche Untersuchungen von Müller-Kirchenbauer [9] und Gelbert [6] hinsichtlich der Reichweite und des zeitlichen Verlaufs der Verpressung im Boden durchgeführt. Schulze [11] führte Ende der 1980er Jahre die grundlegenden theoretischen Arbeiten zu Injektionen von Müller-Kirchenbauer und Gelbert fort. Im Rahmen systematischer Untersuchungen hinsichtlich derjenigen Aspekte, die die Zuverlässigkeit von Injektionssohlen mitbestimmen, wurden Feinstzement-suspensionen als Einpressmittel betrachtet. Zeitgleich wurden alleine in Berlin von 1990 bis 1995 zahlreiche Bauvorhaben mit Weichgelinjektionssohlen und ca. 100.000 m 3 Injektionsvolumen ausgeführt. Aufgrund der damit möglicherweise verbundenen Boden- und Grundwassergefährdung hatte die in Berlin zuständige Genehmigungsbehörde 1995 einen Zulassungsstopp für Baumaßnahmen mit Weichgelsohlen erlassen, was zu einem großen Markteinbruch der Injektionssohlen führte. Als notgedrungene Alternative zur Weichgelinjektion kamen Düsenstrahlsohlen zum Einsatz, welche nach Kudella [8] verschiedene Unsicherheiten hinsichtlich deren Dichtigkeit aufwiesen und deren vermeintliche Leckage nur schwer probabilistisch zu erfassen sind. Brauns et al. [2] zeigten 2001, dass eine Veränderung des pH-Wertes stattfindet, jedoch diese mit keiner wesentlichen Beeinflussung der Grundwasserqualität infolge einer Weichgelinjektion einhergeht. Brameshuber und Vollpracht [1] veri-fizierten die Auslaugungsprozesse bei einer Frischbeton und Zementinjektion und führten Modellsimulationen der Schadstoffausbreitung im Grundwasser durch. Nach [10] stellen Gele auf Basis von Natrium-Wasserglas keine dauerhaften Anwendungen dar und eignen sich damit lediglich für den temporären Einsatz. Gele weisen im Regelfall keine Festigkeit im eigentlichen Sinn auf, dennoch kann eine nennenswerte Erhöhung der Kohäsion nach [15] festgestellt werden. Daher sind die auf diese Weise hergestellten Dichtebenen und -körper statisch oder mechanisch nur bedingt belastbar. Die hohe Viskosität verhindert insbesondere eine Erosion durch den anstehenden Wasserdruck. Hauptanwendungsgebiet für Weichgele sind tiefliegende Dichtsohlen, welche dann zur Anwendung kommen, wenn mit der Baugruben-umschließung keine undurchlässige Bodenschicht in einer wirtschaftlich sinnvollen Tiefe erreicht werden kann oder dies aufgrund von Umweltauflagen nicht zugelassen wird. Der Grund dafür liegt häufig darin, dass 84 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Zwei-Phasen-Weichgelsohlen als nachhaltige Alternative zu Dichtsohlen im Düsenstrahlverfahren dies zu einem unerwünschten, dauerhaften Absperren von Grundwasserleitern und den damit verbundenen nachteiligen Begleiterscheinungen führt. Die Tiefenlage der Sohle wird dabei so gewählt, dass die Auftriebssicherheit des unterhalb des Aushubniveaus verbleibenden Bodenkörpers gewährleistet ist und das vorhandene Eigengewicht ausreicht, um den unterhalb der Sohle anstehenden Wasserdruck auszugleichen. Weichgele verdrängen, bei ihrer Injektion in den Boden zur Abdichtung des Baugrunds, das vorhandene Grundwasser im Porenraum der Körner und verschließen diesen nach dem Gelieren. Dadurch wird die Wasserdurchlässigkeit des Bodens stark reduziert und bei Überlappung der einzelnen Injektionskörper entstehen so geringdurchlässige Bereiche oder Körper, die geeignet sind, z. B. den Wasserzutritt in Baugruben auf ein beherrschbares und für die Umweltverträgliches Maß zu reduzieren. Dieser Beitrag beschäftigt sich daher mit den Anwendungsmöglichkeiten von Zwei-Phasen-Weich-gelsohlen als nachhaltige Alternative zu Dichtsohlen, welche im Düsenstrahlverfahren hergestellt werden. Dabei liegt der Fokus auf den umweltrechtlichen Anforderungen sowie den wirtschaftlichen Möglich-keiten. 2. Zwei-Phasen-Weichgelsohlen Die folgenden Zusammenhänge bei Injektionssohlen wurden von Pandrea et al. bereits in [10] zusammen-gefasst. Grundstoff für Weichgele sind wässrige Lösungen von Silikaten. Als Silikat wird dazu meist Natron-Wasserglas und ein Härter als Gelbildner verwendet. Der Gelbildner bestimmt im Wesentlichen die chemischen und damit auch umweltrelevanten Eigenschaften des Weichgels und ist das wesentliche Unterscheidungsmerkmal der unterschiedlichen, am Markt angebotenen Weichgele. Begünstigt durch den hohen pH-Wert des Silikats, wird im unmittelbar von der Injektion beeinflussten Bereich, ein sehr hoher (stark alkalischer) pH-Wert von ca. 12,5 erzeugt, welcher u. a. zu einer sehr hohen elektrischen Leitfähigkeit im Grundwasser führen kann. Durch eine Veränderung des pH-Wertes kann dabei eine negative Beeinflussung von Flora und Fauna im Boden verursacht werden. Daher fordern die aktuellen Zulassungsgrundsätze, dass der pH-Wert in den Wasserproben (Prüffraktionen) den Wert von 10,5 nicht überschreiten darf und innerhalb von 28 Tagen wieder auf den Ausgangswert des Prüfwassers zurückgehen muss. Des Weiteren zeigt eine hohe elektrische Leitfähigkeit als Summenparameter einen hohen Ionengehalt an, mithin also viele gelöste Stoffe, die ggf. im Trinkwasser schädlich sein können. Die Firma Keller Grundbau GmbH hat daher das NEU- TROGEL ® (im Folgenden als Neutrogel bezeichnet) entwickelt [14], welches umweltrechtliche Bedenken ausräumt und bauaufsichtlich zugelassen ist. Der Hauptvorteil von Neutrogel liegt darin, dass der pH-Wert des Injektionsmaterials über die gesamte Reaktionszeit nahezu konstant im leicht sauren Bereich liegt, sodass die Prüfwasserfraktionen im Endeffekt pH-Werte im Bereich um den neutralen Punkt ergeben. Nach einem umfangreichen Monitoring in Verbindung mit labortechnischen Untersuchungen von injizierten Bodenproben [15] sowie großmaßstäbliche in situ Messungen an freigelegten Injektionskörpern, konnte die Grundwasserverträglichkeit und im Allgemeinen die Anwendbarkeit von Neutrogel für den Einsatz in Dichtsohlen bestätigt werden. 2.1 Bemessung und Herstellung einer Injektionssohle Damit eine Injektionssohle planmäßig hergestellt werden kann, ist es zunächst erforderlich eine gering wasserdurchlässige vertikale Baugrubenumschließung bis mindestens zur Unterkante der späteren Dichtsohle herzustellen. Hierzu werden in der Regel folgende Systeme eingesetzt: • Spundwände, die mit einer Schlossabdichtung eingebaut werden • Schlitzwände als Betonschlitzwände (Zwei-Phasen- Schlitzwand) • Schlitzwände als Dichtungsschlitzwand mit eingestellten Spundwänden, die statisch wirken. • Überschnittene Bohrpfahlwände Als Vorbereitung für die Injektion werden die Injektionsrohre in einem regelmäßigen Raster, vorwiegend in Form von gleichseitigen Dreiecken (siehe Abb. 1), bis in die auftriebssichere Tiefe eingebaut. Abb. 1: Injektionsraster als gleichseitiges Dreieck Als Nachweis der Auftriebssicherheit ist das Spannungsgleichgewicht (GZ UPL, BS-T) g w · (t − d 1 ) · 1,05 < g · d 2 + g r · (d 3 + d 4 ) · 0,95 entsprechend den in Abb. 2 dargestellten geometrischen Bedingungen zu erbringen. Hierbei entspricht g w der Wichte des Wassers, g der Feuchtwichte und g r der Sättigungswichte. Der Wasserdruck unterhalb der Injektionssohle ist dabei mit w definiert. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 85 Zwei-Phasen-Weichgelsohlen als nachhaltige Alternative zu Dichtsohlen im Düsenstrahlverfahren Abb. 2: Nachweis der Auftriebssicherheit einer Injektionssohle Beim Standardverfahren des Einbaus der Injektions-rohre wird in der Regel eine Rammlanze mit einer verlorenen Spitze (sog. Rammschuh) in den Boden einvibriert bzw. gerüttelt und die Injektionsrohre von oben in das offene Gestänge eingestellt (siehe Abb. 3). Dabei werden Injektionsleitungen mit Fußventil oder mehrfach beaufschlagbaren Manschettenrohren eingebracht. Eine genaue Einmessung der Bohransatzpunkte, Bohrvertikalität und Absetzung in der entsprechenden Tiefe ist für den späteren Injektionsvorgang von entscheidender Bedeutung. Die Rammlanze wird dann unter Zugabe der Mantelmischung (Zement-Bentonit-Suspension) gezogen und der Ringraum bei eingestelltem Injektionsrohr verpresst. Durch die Mantelmischung wird erreicht, dass das Injektionsgut nicht nach oben ausbrechen kann, sondern sich tatsächlich in der geplanten Tiefe ausbreitet. Rückstellproben der Mantelmischung werden im Zuge der Qualitätssicherung genommen. Abb. 3: Einbringung der Rammlanzen unter Zugabe einer Mantelmischung bestehend aus einer Zement- Bentonit-Suspension beim Edeka-Center in Offenburg Die Injektionslanzen werden in einem Dreiecksraster eingebracht, das einem gleichseitigen Dreieck entspricht (Abb. 1). Dies gewährleistet einen gleichmäßigen Abstand der Injektionspunkte. Der Abstand der Bohrungen wird an die Bohrtiefe, die Bodenverhältnisse, das Porenvolumen und die Art des Injektionsmittels angepasst und liegt i.d.R. zwischen 1,0 und 2,0 m. Dabei wird nach Abb. 1 ein Verhältnis Fläche/ Punkt = 0,866 · a 2 mit Abstand b-=-0,866 · a angestrebt. Nach dem Abbinden der Mantelmischung (in der Regel nach ca. 2-3 Tagen) können die Injektionsrohre mit Injektionsmittel beaufschlagt werden. Bei der Wahl der Injektionsmittel müssen die Injektionsgrenzen beachtet werden, wie sie in Abb. 4 dargestellt bzw. aus Schulze [12,13] entnommen werden können. Nach Uhlendahl [16] ist beim Einsatz von Silikatgelen (Wasserglas) die Anwendung bis in den Feinsandbereich mit einem Grobschluffanteil von max. 10 % möglich. Abb. 4: Anwendungsgrenzen und Korngrößenbereiche verschiedener Injektionsverfahren. Abb. Keller Grundbau GmbH Die Verteilung des Injektionsgutes auf die einzelnen Injektionsstufen hängt von der Bodenart und der Dicke der Injektionssohle ab. In der Regel werden die Injektionen in zwei Stufen ausgeführt, um kein Aufsprengen oder Verdrängen, wie in [7] beschrieben, zu erzielen. In der ersten Stufe erfolgt die Injektion einer Zement-Bentonit- Suspension zur Abdichtung und Verfüllung der groben Bodenporen. Es entsteht in dieser Injektionsstufe eine Art „Injektionsdeckel“, der ein Ausweichen des Weichgels in höhere Schichten verhindert. Die nachfolgende Injektion mit Weichgel kann dann in die feinen Bodenporen eindringen und so zu einer dichten Sohle führen. Standardmischung: Wasser, Zement und Bentonit, ggf. als Fertigmischung. In der zweiten Stufe wird die Injektion des eigentlichen Dichtmittels Weichgel, dass in die feinen Poren des Bodens eindringt und die endgültige Dichtigkeit herstellt, durchgeführt. Dabei besteht die Standardmischung aus Wasser, Natronwasserglas und Gelbildner bzw. Härter. Zu jedem Injektionszeitpunkt werden dabei die Pumprate und Einpressmenge aufgezeichnet. Im Anschluss an die Injektion erfolgt das Leerpumpen der Baugrube bzw. die Restwasserhaltung. Die Absenkung des Grundwassers im Bereich der Baugrube geschieht dabei am einfachsten mittels Schwerkraftbrunnen, die nach Abschluss der Injektionsarbeiten hergestellt werden. Hierbei ist darauf zu achten, dass die Brunnenunterkante mindestens 1 m über der theoretischen Ober- 86 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Zwei-Phasen-Weichgelsohlen als nachhaltige Alternative zu Dichtsohlen im Düsenstrahlverfahren kante der Injektionssohle angeordnet wird um Beschädigungen an der Injektionssohle zu vermeiden. Beim Beginn des Pumpens wird zunächst das Wasser bis unmittelbar unter die spätere Aushubsohle abgepumpt. Der dann erreichte Beharrungszustand wird als Restwasserhaltung bezeichnet. Die Prüfung der Dichtigkeit des Gesamtsystems der Baugrubenumschließung in Verbindung mit der Injektionssohle durch einen Pumpversuch vor Beginn des Aushubes ist empfehlenswert, um zu zeigen, ob die Dichtigkeitsanforderungen erfüllt sind. 2.2 Projektbeispiele 2.2.1 Konventionelle Weichgelsohle Die Trans-Europa-Naturgas-Pipeline TENP I, welche die Schweiz über Deutschland mit Belgien und den Niederlanden verbindet, soll in verschiedenen Teilab-schnitten durch einen Neubau der TENP III ersetzt werden. Im Zuge dieser Maßnahme wurde im Frühjahr 2023 der Neubau einer Molchschleusenstation sowie von Verbindungsleitungen in Au am Rhein (Baden-Württemberg) von der Open Grid Europe GmbH geplant. Unterhalb der in Betrieb befindlichen Gasleitung wurden vier Spundwandlückenschlüsse im Düsenstrahlverfahren mit 2,20 m Breite und 5 m Länge sowie eine Zwei-Phasen-Weichgelsohle mit 1.400 m 2 und 1 m Dicke hergestellt (siehe Abb. 5). Als Schutz für die bestehende Gasleitung wurden zunächst KG-Rohre händisch eingebaut, durch welche dann die Injektionslanzen eingerammt werden konnten. Abb. 5: Luftbildaufnahme des Bauvorhabens Trans-Europa-Naturgas-Pipeline TENP I der Open Grid Europe GmbH in Au am Rhein (Bild: C. Grosse) Die Baustelleneinrichtung und die Vorgehensweise bei der Einbringung des Injektionsguts erfolgte analog des in Abschnitt 2 beschriebenen Vorgehens. 2.2.2 Weichgelsohle mit Neutrogel Für den Neubau des unterkellerten Gebäudekomplexes „IKA-Inforum“ in Karlsruhe bestand die Notwendigkeit zur Herstellung einer technisch dichten Baugrube bestehend aus Spundwänden und Dichtsohle mit einer Grundfläche von ca. 3.600 m 2 . Aufgrund von hohen Auflagen an den Gewässerschutz wurde im Leistungszeitraum Juni bis August 2020 eine tiefliegende Dichtsohle mit Neutrogel hergestellt (siehe Abb. 6). Nach dem Einbau von ca. 2.000 Injektionslanzen erfolgte eine Zwei- Phasen-Injektion. In der ersten Phase wurde mit einer Zement-Bentonit-Suspension der Porenraum des Sandbodens grob geschlossen. In der zweiten Phase wurden dann mit Neutrogel auch die restlichen Poren geschlossen und abgedichtet. Das Produkt Neutrogel stellte dabei sowohl eine wirtschaftliche als auch wasserrechtlich unbedenkliche Lösung für die geplante Injektionssohle dar, da dabei handelsübliches Natronwasserglas als Silikat und ein in der Lebensmittelindustrie weit verbreiteter, natürlicher, organischer Stoff als Gelbildner verwendet wird. Vorteil dieses Gelbildners ist, dass dieser sowohl als Granulat als auch in gelöster Form ohne besondere Maßnahmen des Arbeitsschutzes über einen längeren Zeitraum gelagert werden kann [10]. Abb. 6: IKA-Inforum der Klaus Tschira Stiftung gGmbH im Karlsruher Institut für Technologie (KIT) 3. Nachhaltigkeit im Fokus Mit dem Ziel Treibhausgasemissionen als Beitrag zum Klimaschutz zu reduzieren, wurde seitens der EU ein europäisches Emissionshandelssystem für CO 2 e-Zertifikate sowie umfangreiche Berichts- und Kennzeichnungspflichten zu Emissionen infolge von Herstellung und Gewinnung von Produkten eingeführt. Zukünftig werden energieintensive Produkte daher einerseits zu höheren Kosten und andererseits zu einer geringeren gesellschaftlichen Akzeptanz führen. Im Spezialtief bau betrifft dies vor allem Baustoffe wie Zement und Stahl und energieintensive Verfahren mit hochmotorisierten Maschinen. Für einen detaillierten Einblick in die Entwicklung und Vorgehensweise bei der CO 2 e-Bilanzierung im Spezialtief bau sei u. a. auf die Arbeit von Buddenberg et al. [3] verwiesen. Vor dem Hintergrund zukünftig verstärkt ressourcenschonende Lösungen im Spezialtief bau anbieten zu können, sollen im vorliegenden Beitrag, anhand eines fiktiven Beispielprojekts, die CO 2 e-Emissionen für eine Dichtsohle mit Weichgel/ Neutrogel (Unterschied nicht signifikant) und für eine Dichtsohle im Düsenstrahlverfahren vorgestellt und verglichen werden. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 87 Zwei-Phasen-Weichgelsohlen als nachhaltige Alternative zu Dichtsohlen im Düsenstrahlverfahren 3.1 Randbedingungen Beispielprojekt Um die Vergleichbarkeit der Verfahren zu gewährleisten, werden im Folgenden zunächst einheitliche Randbedingungen festgelegt. Bei dem Beispielprojekt handelt es sich um eine rechteckförmige Baugrube mit Abmessungen von 50 m × 20 m, Sohlfläche entsprechend 1000-m 2 , welche mit einer Baugrubenumschließung aus einfach rückverankerten Stahl-Spundwänden (Anker u. Spunddielen bleiben in der Bilanz unberücksichtigt) erstellt wurde. Die Baugrubensohle kommt 5 m unter GOK zum Liegen. Der anstehende Baugrund besteht bis ca. 3 m unter GOK aus gering mächtigen gemischtkörnigen Auffüllungen und Aueablagerungen, welche bis in größere Tiefe von mitteldicht bis dicht gelagerten Sand-Kies-Gemischen unterlagert sind. Der Grundwasserstand wurde temporär bei 1 m u. GOK festgestellt. Zur Gewährleistung der Auftriebssicherheit ist die Erstellung einer tiefliegenden Dichtsohle mit einer Stärke von 1,0 m bei einer Unterkante von 10 m u. GOK vorgesehen. Das fiktive Bauvorhaben befindet sich in einer Entfernung von 50 km zum nächstgelegenen Bauhof, was den Transport von Geräten und Material betrifft. Ein (Trink-) Wasseranschluss und ein Baustromanschluss sind vor Ort vorhanden. 3.2 Vergleich der CO 2 -Bilanz Die Grundlage für die Bilanzierung von Emissionen stellen die sog. Emissionsfaktoren (EF) dar. EF geben an, wie viel Kilogramm oder Tonnen Treibhausgase beim Einsatz einer definierten Menge eines Energieträgers oder zur Erzeugung bzw. Nutzung von Produkten freigesetzt werden. Emissionsfaktoren werden zumeist in Masseneinheiten (z. B. kg) CO 2 pro Menge eines Energieträgers angegeben, die entweder in Massen- oder Volumeneinheiten angegeben werden. Die im Folgenden verwendeten Emissionsfaktoren beruhen auf Angaben aus dem EFFC DFI Carbon Calculator sowie öffentlichen Datenbanken wie Ökobaudat und sind in der Tabelle 1 aufgeführt. Tab. 1: Verwendete Emissionsfaktoren Bezeichnung Bezugseinheit Emissionsfaktor in kgCO 2 e/ Einheit Zement CEM I t 860 Bentonit t 475 Wasserglas t 412 Härter t 454 Wasser t 0,13 HDPE-Rohre t 1920 LKW (> 33 t, Straße) km 0,94 Elektrizität kWh 0,401 Diesel l 3,24 Maschinen t 3667 PKW km 0,21 Für den Vergleich der beiden Produkte Weichgel/ Düsenstrahl zur Herstellung einer Dichtsohle (siehe Tab. 2) wird die sog. „Cradle to gate“-(Wiege zu Werkstor/ Baustelle-) Methodik angewandt. D. h. es werden die Emissionen der Herstellungsphase (Rohstoffgewinnung, -verarbeitung, Transport) und der Transport zur Baustelle mit Einbau berücksichtigt. Dies entspricht den Modulen A1-A3 gem. DIN EN 15804 (vgl. [3]) und ist für die meisten Maßnahmen im Spezialtief bau ausreichend. Im Detail werden in Tabelle 2 die folgenden Abschnitte verglichen: 1. Herstellung der Materialien 2. Transport der Materialien 3. Transport von Baumaschinen und Material 4. Energie durch Verarbeitung und Einbau 5. Transport durch Entsorgung (Erdaushub, etc.) 6. Herstellung der Geräte Der Vergleich der beiden Verfahren hinsichtlich der CO 2 - Emissionen zeigt für das fiktive Beispielprojekt, dass zur Herstellung einer Dichtsohle im Düsenstrahlverfahren etwa mit einem Faktor 8 höheren Treibhausgasemissionen im Vergleich zur Weichgelinjektion gerechnet werden muss. Maßgeblich dafür ist die erforderliche Masse an Zement, weshalb beim Düsenstrahlverfahren der Materialanteil für 95 % der Gesamtemissionen verantwortlich ist. Dies hängt verfahrensbedingt u. a. damit zusammen, dass zur Herstellung von 1 m 3 DSV-Körper nahezu das gleiche Volumen an Rückfluss erzeugt wird. 88 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Zwei-Phasen-Weichgelsohlen als nachhaltige Alternative zu Dichtsohlen im Düsenstrahlverfahren Tab. 2: Vergleich der CO 2 -Emissionen für die Herstellung einer tiefliegenden Dichtsohle mit 1000 m 2 und 1 m Stärke mittels Weichgelinjektion und im Düsenstrahlverfahren Verfahren Weichgelinjektion Düsenstrahlverfahren 1) Material Zement-Bentonit-Mischung für Mantelmischung und zur Porenraumverfüllung: Zementsuspension (CEM I; w/ z = 1,0) zum Bohren und Düsen. Pro m 3 Suspension ergibt sich für die Mischung ein Emissionsfaktor von 636 kgCO 2 e. Material Masse EF tCO 2 e Material Masse EF tCO 2 e Zement CEM I 115 t 860 98,90 Zementsuspension 1.750 m 3 636 1.113,0 Bentonit 11 t 475 5,23 Wasserglas-Mischung bestehend aus Wasser, Wasserglas und Härter zur Porenraumverfüllung. Pro t Suspensionsgut ergibt sich für die Mischung ein Emissionsfaktor von 115 kgCO 2 e. Injektion 60 t 115 6,90 Injektionsrohre und Rammschuhe: HDPE-Rohre 1,1 t 1920 2,11 Stahlteile 1,1 t 565 0,62 2) Materialtransport 3 LKW zur Silo-Befüllung mit Wasserglas und Härter (hin u. zurück, 100 km einfache Strecke). 1 LKW zur Lieferung von Injektionsrohren und Rammschuhen (hin u. zurück, 100 km einfache Strecke). 50 Sattel-LKW zur Befüllung des Zementsilos (hin u. zurück, 60 km einfache Strecke). LKW-Transport 800 km 0,94 0,75 LKW-Transport 6.000 km 0,94 5,64 3) Produktion Betankung eines Radladers und eines Rammgeräts mit Diesel. Annahme: 15 AT jeweils 300 Liter. Betankung eines Minibaggers, eines Bohrgeräts und einer Hochdruckpumpe mit Diesel. Annahme: 20 AT jeweils 400 Liter. Diesel 4.500 l 3,24 14,58 Diesel 8.000 l 3,24 25,92 Versorgung von Pumpencontainern, Mischanlage, Aufenthaltsu. Magazincontainer sowie Sonstiges über 150 kW Baustromanschluss. Annahme: 15 AT jeweils 10 Stunden. Versorgung von Mischanlage, Schlammpumpe, Aufenthaltsu. Magazincontainer sowie Sonstiges über 150 kW Baustromanschluss. Annahme: 20 AT jeweils 10 Stunden. Elektrizität 22.500 kWh 0,401 9,02 Elektrizität 30.000 kWh 0,401 12,03 4) Geräte/ Personal- Transporte An- und Abtransport der Baustelleneinrichtung: 2 LKW mit Aufenthaltsu. Magazincontainer (2 × hin u. zurück, einfache Strecke 50 km) 2 LKW mit Pumpencontainern, Mischanlage, Zubehör, etc. (2 × hin u. zurück, einfache Strecke 50 km) 1 LKW mit Tankauflieger (2 × hin u. zurück, einfache Strecke 100 km) 2 LKW mit Silo (2 × hin u. zurück, einfache Strecke 100 km) 1 LKW mit Rammgerät (2 × hin u. zurück, einfache Strecke 50 km) An- und Abtransport der Baustelleneinrichtung: 2 LKW mit Aufenthaltsu. Magazincontainer (2 x hin u. zurück, einfache Strecke 50 km) 1 LKW mit Hochdruckpumpe u. Mischplattform (2 x hin u. zurück, einfache Strecke 50 km) 1 LKW mit Bohrgerät und Zubehör (2 x hin u. zurück, einfache Strecke 50 km) LKW-Transport 2.200 km 0,94 2,07 LKW-Transport 800 km 0,94 0,75 An- und Abfahrt zur Baustelle des Personals (5 Personen) mit eigenem PKW über 3 Wochen. Annahme: einfache Strecke im Mittel 300 km. An- und Abfahrt zur Baustelle des Personals (5 Personen) mit eigenem PKW über 4 Wochen. Annahme: einfache Strecke im Mittel 300 km. PKW 9.000 km 0,21 1,89 PKW 12.000 km 0,21 2,52 5) Entsorgung Abtransport Injektionsrohre nach dem Aushub der Baugrube. 1 LKW hin u. zurück mit einfacher Strecke 50 km. Abtransport des verfestigten DSV-Rückfluss (ca. 1.500 t) im Zuge der Aushubarbeiten zur Verwertung. 75 LKW hin u. zurück mit einfacher Strecke 50 km. LKW-Transport 100 km 0,94 0,09 LKW-Transport 7500 km 0,94 7,05 6) Herstellung Geräte Das Gesamtgewicht der Geräte (Radlader 10 t, Ramme 30 t, Mischanlage 7 t, Pumpencontainer 2 × 12 t) beträgt 71 t. Annahme: Einsatzdauer der Geräte pro Jahr über 10 Jahre beträgt ca. 150 AT/ Jahr. Anteilig: 15 AT/ (10 × 150) = 0,01. Das Gesamtgewicht der Geräte (Minibagger 10 t, Bohrgerät 36 t, Mischplattform 7 t, Hochdruckpumpe 18 t) beträgt 65 t. Annahme: Einsatzdauer der Geräte pro Jahr über 10 Jahre beträgt ca. 150 AT/ Jahr. Anteilig: 20 AT/ (10 × 150) = 0,013. Maschinen 0,71 t 3667 2,60 Maschinen 0,85 t 3667 3,12 Summe 144,76 tCO 2 e 1.170,03 tCO 2 e 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 89 Zwei-Phasen-Weichgelsohlen als nachhaltige Alternative zu Dichtsohlen im Düsenstrahlverfahren Beispielhaft muss bei der Herstellung einer DSV-Sohle die Düsmenge, welche in der Tiefe unten eingebracht wird, oben als Rückfluss entsorgt werden. Dabei fällt bei einer Durchflussmenge von etwa 400 l/ min und 10 min Ziehzeit ein Rückfluss von 4000 l an. Da seit August 2023 eine neue Mantelverordnung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) in Deutschland Gültigkeit hat, welche den Eintrag von Schadstoffen durch Sickerwasser in den Boden und das Grundwasser begrenzt und Verunreinigungen ausschließt, ist die Rückflussentsorgung zunehmend mit Schwierigkeiten bzw. insbesondere gestiegenen Kosten verbunden. 4. Zusammenfassung und Ausblick Im vorliegenden Beitrag wird aufzeigt, dass der Einsatz von Weichgel für Injektionssohlen eine nachhaltige Alternative zum Düsenstrahlverfahren darstellt. Dazu werden zunächst die historische Entwicklung von Porenrauminjektionen, die Wirkungsweise und Anwendungsmöglichkeiten und die Untersuchung des Einflusses von Injektionen auf die Grundwasserqualität vorgestellt. Weiter wird das von der Firma Keller Grundbau GmbH entwickelte NEUTROGEL ® vorgestellt, welches gegenüber anderen Injektionsmaterialien den Vorteil hat, dass der pH-Wert während der gesamten Reaktionszeit im leicht sauren Bereich liegt, sodass nach dem Gelieren, in Prüfwasserfraktionen, pH-Werte im Bereich um den neutralen Punkt gemessen werden. Die Bemessung und die Herstellung von Zwei-Phasen-Weichgelsohlen wird detailliert beschrieben und anhand von zwei Beispielprojekten in Au am Rhein und Karlsruhe vorgestellt. Mit dem Fokus darauf, dass die Bilanzierung von Treibhausgasemissionen zukünftig auch im Spezialtief bau eine wesentliche Rolle spielen wird, wird anhand eines fiktiven Beispielprojekts untersucht, welche äquivalenten CO 2 -Emissionen sich für eine tiefliegende Dichtsohle im Düsenstrahlverfahren und alternativ mit Weichgelinjektion ergeben. Beim Vergleich der CO 2 -Bilanzen beider Verfahren, basierend auf aktuellen Emissionsfaktoren und gleichen bautechnischen Randbedingungen, werden mit dem Düsenstrahlverfahren um den Faktor 8 höhere CO 2 -Emissionen, im Vergleich zur Injektionssohle mit Weichgel erhalten. Demnach stellen Zwei-Phasen-Weichgelsohlen zum einen bewährte Mittel zur Sohlabdichtung von Baugruben dar und sind zum anderen als nachhaltige Alternative zur Düsenstrahlsohle zu betrachten. Auch für zukünftige Bauvorhaben, mit zunehmender Fokussierung auf Nachhaltigkeit und entsprechenden Erfordernissen aus Gebäudezertifizierungen und Fördermaßnahmen, werden heute bereits geeignete Produkte und Verfahren im Spezialtief bau angeboten. Die Verfahrenswahl sollte dabei ergebnisoffen und hinsichtlich Umweltaspekten unter einer ganzheitlichen Betrachtung erfolgen. Am Beispiel der Weichgelinjektion können so wasserrechtliche Bedenken ausgeräumt und Emissionen vermindert werden. Da auch in Zukunft das Düsenstrahlverfahren für Abdichtungs- und Unterfangungsmaßnahmen vielfach das geeignete und oft alternativlose Verfahren sein wird, ist die Reduktion von materialbedingten Emissionen ein zentrales Thema. Seitens Forschung und Bauindustrie sind daher innovative Lösungen zur Materialeinsparung allgemein sowie zum Einsatz alternativer oder recycelter Bindemittel gefragt. Danksagung Für die baupraktischen Hinweise, Kalkulations-grundlagen und kritische Durchsicht bedanken wir uns bei Herrn Dipl.-Ing. J. Uhlendahl, Herrn L Semmler, M. Sc., Dipl.-Ing. P. Pandrea und Herrn Dipl.-Ing. S. Binde. Gleichermaßen Herrn Dr.-Ing. S. Buddenberg für die Bereitstellung von Informationen und Hilfestellung bei der CO 2 -Bilanzierung. Literatur [1] Brameshuber, W., Vollpracht, A. (2007). Beeinflussung der Grundwasserqualität durch Frisch-beton und Zementinjektion. Bautechnik 84, Heft 2. [2] Brauns, J., Eiswirth, M., Hötzl, H., Kast, K., Ohlenbusch, R., Schnell, K. (2001). Nachweis der Umweltverträglichkeit von Weichgelinjektionssohlen. Bautechnik 78, Heft 7. [3] Buddenberg, S., Böhle B., Pandrea, P. (2023) Vollständige CO2-Bilanz im Spezialtiefbau - Systematik und Beispiele. 19. Geotechnik-Tag in München, Deutschland. [4] DIN EN 12715 (2021). Ausführung von Arbeiten im Spezialtiefbau - Injektionen. [5] DIN 4093 (2015). Bemessung von verfestigten Bodenkörpern - Hergestellt mit Düsenstrahl, Deep- Mixing oder InjektionsVerfahren. [6] Gelbert, K. (1971). Filtergesetze plastischer Injektionsmassen bei der Durchströmung von Lockergesteinen. Institut für Boden- und Felsmechanik, Universität Karlsruhe, Heft 49. [7] Kudella, P. (1994). Mechanismen der Bodenverdrängung beim Einpressen von Fluiden zur Baugrundverfestigung. Institut für Boden- und Felsmechanik, Universität Karlsruhe, Heft 132. [8] Kudella, P. (2001). Wie sicher sind Düsenstrahl-Injektionssohlen? Bautechnik 78, Heft 12. [9] Müller-Kirchenbauer (1964). Zur Mechanik der Fließsandbildung und des hydraulischen Grundbruches. Institut für Boden- und Felsmechanik, Universität Karlsruhe, Heft 17. [10] Pandrea, P., Bohn, C., Reitzig, J. (2019). Umweltneutrale Weichgele zur Abdichtung im Untergrund - Stand der Technik. 15. Hans Lorenz Symposium, Berlin. [11] Schulze, B. (1992). Injektionssohlen - Theoretische und experimentelle Untersuchungen zur Erhöhung der Zuverlässigkeit. Institut für Boden- und Felsmechanik, Universität Karlsruhe, Heft 126. 90 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Zwei-Phasen-Weichgelsohlen als nachhaltige Alternative zu Dichtsohlen im Düsenstrahlverfahren [12] Schulze, B. (2002). Merkblatt für Einpressarbeiten mit Feinstbindemitteln in Lockergestein (Teil 1) Bautechnik 79, Heft 8. [13] Schulze, B. (2002). Merkblatt für Einpressarbeiten mit Feinstbindemitteln in Lockergestein (Teil 2) Bautechnik 79, Heft 9. [14] Silikatgel „Neutrogel“ zum Einpressen in den Untergrund (2019). Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung, Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt). [15] Trunk, U., Braun, J., Rüdlin, Ch., Pandrea, P. (2023). Bestimmung der Scherfestigkeit und Steifigkeit von Gel-Sand-Injektionsprobekörpern. Bautechnik 100, Heft 3. [16] Uhlendahl, J. (2018). Injektions- und Düsenstrahltechnik im Spezialtiefbau. Buchbeitrag in Spezialtiefbau, Herausgeber: K. Eichler, TAE. [17] VOB/ C DIN 18309 (2019). Teil C: Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ATV). Einpressarbeiten. Grundbau/ Baugrundverbesserungen 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 93 Deep-Dry-Mixing zur Ermöglichung einer Schlitzwandherstellung in weichen marinen Sedimenten Dipl.-Ing. Yannick Scherpereel, B. Sc. Züblin Spezialtiefbau GmbH, Wien, Österreich Luca Fischer, M. Eng. Züblin Spezialtiefbau GmbH, Wien, Österreich 1. Einleitung 1.1 Projekt A63 Castle Street Improvement Das Projekt A63 Castle Street Improvement ist ein Infrastrukturprojekt in der Stadt Kingston Upon Hull (kurz „Hull“) im Vereinigten Königreich. Hull hat etwa 300.000 Einwohner und zählt zu den größeren Städten in Großbritannien. Mitten durch die Innenstadt verläuft die Autobahn A63, die einen wichtigen Versorgungshafen im Osten mit dem Großraum Manchester, Liverpool und Leeds (genannt „Northern Powerhouse“) im Westen verbindet, in dem mehr als 10-Millionen Menschen leben. Abb. 1: Mytongate-Barriere (eigene Aufnahme) Zu Stoßzeiten ist die bestehende Mytongate-Kreuzung einem sehr hohen Verkehrsaufkommen von über 45,000 Fahrzeugen pro Tag ausgesetzt. Um die Mytongate-Barriere (Abb. 1) zu beseitigen, wird geplant, die A63 über eine Länge von etwa 400 m um 6 m in Ost-West-Richtung abzusenken und eine niveaufreie Nord-Süd-Verbindung über eine Brücke zu schaffen. Das fertige Projekt ist in den Visualisierungen in Abb. 2 und Abb. 3 zu sehen. Das Projektgebiet ist gekennzeichnet durch einen sehr hohen Grundwasserspiegel von bis zu 0,8 m unter GOK (abhängig von den Gezeiten). Bei der Absenkung der A63 ist somit einerseits eine dichte Baugrubenumschließung mithilfe einer Schlitzwand gegen das horizontale Einströmen von Grundwasser, als auch eine DSV-Dichtsohle gegen das vertikale Einströmen von Grundwasser notwendig. Um den dynamischen Belastungen durch die Schwankungen des Grundwassers entgegenzuwirken, wird die gesamte Unterführung mit Zugpfählen in den tieferen tragfähigen Kreidekalk (in einer Tiefe zwischen 21,0 m und 26,0 m unter GOK) rückverankert. Im nahegelegenen Albert Dock wird ein Tidenhub von bis zu 6,0- m gemessen. Diese Gezeiten sind in direkter Kommunikation mit dem tieferen Kreidekalk. In den oberen Bodenschichten wurden bei Grundwasser-Messtellen Porenwasserdruckschwankungen von bis zu 3,2 m (Druckhöhe) gemessen. Abb. 2: A63 Castle Street Improvement - Mytongate Junction (National Highways, et al., 2017) 94 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Deep-Dry-Mixing zur Ermöglichung einer Schlitzwandherstellung in weichen marinen Sedimenten Abb. 3: Mytongate Junction - Absenkung der A63 (links) (National Highways, et al., 2017) Abb. 4: Regelquerschnitt der geplanten Unterführung (rechts) (National Highways, et al., 2017): Schlitzwand (blau), Zugpfähle (rot) und horizontale DSV-Sohle (grün) In Abb. 4 ist ein Regelquerschnitt des Projektes sichtbar, in dem beidseitig die Schlitzwand dargestellt ist (blau). Am unteren Ende ist die horizontale DSV-Sohle (grün) mit integrierten Auftriebspfählen (rot) sichtbar. 1.2 Geologie Die Böden entlang der englischen Ostküste, vor allem entlang der Überschwemmungsgebiete des Humbers (Abb. 5 und Abb. 6), sind seit Generationen für ihre schlechten Eigenschaften bekannt. Diese weichen marinen Sedimente brachten in der Vergangenheit bereits mehrere Auftraggeber, Planer und ausführende Firmen zum Verzweifeln. Abb. 5: Überschwemmungsgebiete des Humbers (links) (Fischer, 2021) Abb. 6: Flugaufnahme der Überschwemmungsgebiete (rechts) (eigene Aufnahme) Beeinflusst durch die Gezeiten (bis zu 6 m Unterschied zwischen Ebbe und Flut) wurden im Laufe der Jahre sehr feine schluffige, sandige und tonige marine Sedimente abgelagert. Diese feinkörnigen Sedimente („Cohesive Alluvium“ in Abb. 7) liegen in breiiger bis weicher Konsistenz vor, reichen am Projektstandort bis in eine Tiefe von 15 m und haben einen veränderlich hohen organischen Anteil. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 95 Deep-Dry-Mixing zur Ermöglichung einer Schlitzwandherstellung in weichen marinen Sedimenten Abb. 7: Geologischer Längenschnitt (Arup, et al., 2017) - schraffiert dargestellt ist die horizontale DSV-Sohle der Unterführung Zusätzlich befinden sich in diesen feinkörnigen Ablagerungen enggestufte Sandlinsen („Granular Alluvium“ in Abb. 7), die in der Vergangenheit ebenfalls zu Problemen führten, da sie mit den Gezeiten kommunizieren und sich der Porenwasserdruck mehrmals täglich ändert. Der Grundwasserspiegel im kohäsiven Alluvium schwankt somit zwischen 0,8 m unter GOK und 4,0 m unter GOK. Das kohäsive Alluvium kann noch einmal unterschieden werden zwischen: • C3 - 1,0 m bis 2,5 m mächtige Deckschicht aus sandigem Ton in steifer Konsistenz • C1 - Unter der Deckschicht schluffiger sandiger Ton bzw. toniger Schluff in durchwegs breiiger bis weicher Konsistenz (jedoch wurden einzelne Lagen bis zu einer halbfesten Konsistenz erkundet) mit einer Mächtigkeit von etwa 6,0 m bis 12,0 m • C2 - Unter 7,0 m unter GOK bis zur Oberfläche der Grundmoräne („Glacial Till“ in Abb. 7) nimmt der organische Anteil zu. Nicht selten wird in dieser Schicht Torf („Peat“) angetroffen. Die Bodenwichte variiert in der Regel zwischen 17,5 und 19,0 kN/ m³, wobei ab einer Tiefe von etwa 7,0 m unter GOK mit zunehmendem Wassergehalt Werte zwischen 14,0 und 16,0 kN/ m³ festgestellt wurden. Torfschichten haben eine typische Wichte zwischen 11,0 und 12,5 kN/ m³ (Arup, et al., 2017). Auf alle tieferen, dem Alluvium unterlagerten Schichten, wird nicht im Besonderen eingegangen. Sie spielen zwar eine Rolle unter Betrachtung des Gesamtprojektes, jedoch eine untergeordnete Rolle für das Deep-Dry- Mixing zur Ermöglichung der Schlitzwandherstellung in den weichen marinen Sedimenten. 1.3 Erfahrungen aus der Vergangenheit bei ähnlichen Böden Erfahrungen bei ähnlichen Böden liegen aus mehreren Projekten vor. Ein Schlitzwand-Projekt an der Nordsee (locker gelagerte Sande in Wechsellagerung mit Schluff-, Ton- und Torfschichten) zeigte während der Herstellung bei einer Schlitz-Öffnungsweite von bis zu 8,0 m und einer Tiefe von 40,0 m horizontale Verformungen von über 25 mm sowie vertikale Verformungen von über 10 mm in einem Abstand von 4,5 m zur Schlitzwandachse. Selbst bei einem größeren Abstand ab 10 m zur Schlitzwandachse wurden noch über 4 mm vertikale Verformungen gemessen (Lächler, et al., 2006). Beim Betonieren wurde in diesen Böden zwar beobachtet, dass die Verformungen (während des Aushubs zum offenen Schlitz hin) wieder zurückgehen, jedoch wurde auch beobachtet, dass die Wichte des Frischbetons ausreicht, um den weichen Boden zu verdrängen. Beachtliche Kubaturen an Überprofil von bis zu 40 % Mehrverbrauch wurden an manchen Projekten gemessen. Abb. 8: Horizontale Verformungen über die Tiefe in einem Abstand von 4,5 m zur Achse des offenen Schlitzes (links) (Lächler, et al., 2006) in ähnlichen Böden 96 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Deep-Dry-Mixing zur Ermöglichung einer Schlitzwandherstellung in weichen marinen Sedimenten Abb. 9: Vertikale Verformungen in einem Abstand von 4,5 m zur Achse des offenen Schlitzes (rechts) (Lächler, et al., 2006) in ähnlichen Böden 2. Planung Da man wusste, dass man aufgrund der vorherrschenden Bodenverhältnisse mit erheblichen Verformungen bereits bei der Herstellung der Schlitzwand rechnen musste, und die Umgebung aufgrund der Einbauten (Gasleitungen, Glasfaserleitungen, Kanäle) und der innerstädtischen Bebauung sehr sensibel auf kleinste Verformungen reagieren wird, hat man aus folgenden Gründen eine vorauseilende Bodenstabilisierung vor der Herstellung der Schlitzwand gewählt: • Äußere Standsicherheit des offenen Schlitzes Basierend auf den Bodenkennwerten und dem hohen Grundwasserspiegel konnte die äußere Standsicherheit des offenen Schlitzes nur mit einer Bodenstabilisierung (Erhöhung der undrainierten Scherfestigkeit) nachgewiesen werden. Die natürliche undrainierte Scherfestigkeit von min. 8-kN/ m² musste dadurch für einen Einzelstich (3,4-m) auf 30-kN/ m² sowie für einen größeren offenen Schlitz (7,5 m) auf 40 kN/ m² erhöht werden. • Verringerung der vertikalen sowie horizontalen Verformungen während der Herstellung Die Innenstadt von Hull hatte bereits vor dem Projekt mit erheblichen Setzungen zu kämpfen. Nachdem der Großteil der Setzungen am Projekt während des Aushubs prognostiziert wird, musste die zulässige horizontale und vertikale Bodenverformung während der Herstellung der Schlitzwand auf 10 mm beschränkt werden. • Verringerung des Überprofils Ein Überprofil der Schlitzwand hat nicht nur einen Mehrverbrauch an Beton zur Folge, sondern kann auch eine Nachbearbeitung (Abstemmen, Abfräsen) der Schlitzwand bedeuten, sofern das Überprofil die erlaubten Toleranzen überschreitet. Die flächige Bodenstabilisierung wurde beidseitig der Schlitzwandachse in einem Korridor von 4,0 m Breite geplant (Abb. 10 und Abb. 11). Sechs tangierende Säulenreihen (mit 80 cm Durchmesser) in einem Dreiecksraster sorgen für die flächige Abdeckung. Aufgrund der sehr detaillierten geologischen Erkundung konnte die notwendige Stabilisierungstiefe an die tatsächliche Lage der Grundmoräne angepasst werden (Abb. 12). Abb. 10: Trockene Bodenstabilisierung im Querschnitt (links) - gelb: DDM-Säulen; blau: Schlitzwand (Züblin Spezialtief bau Ges.m.b.H., 2021) Abb. 11: Trockene Bodenstabilisierung im Lageplan (rechts) - gelb: DDM-Säulen, blau: Schlitzwand (Züblin Spezialtief bau Ges.m.b.H., 2021) 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 97 Deep-Dry-Mixing zur Ermöglichung einer Schlitzwandherstellung in weichen marinen Sedimenten Nach Herstellung der Schlitzwand (inklusive Bodenstabilisierung) und der Zugpfähle ist es notwendig, die horizontale DSV-Abdichtung kraftschlüssig mit den Zugpfählen und der Schlitzwand zu verbinden. Wie in Abb. 10 ersichtlich, ist es somit erforderlich, dass der stabilisierte Boden mit dem Düsenstrahlverfahren wieder erodiert werden kann. Somit werden an diesem Projekt folgende Bedingungen wirksam: • Minimale undrainierte Scherfestigkeit: 30 kN/ m² / 40 kN/ m² (3,4 m offener Schlitz / 7,5-m offener Schlitz) • Maximale undrainierte Scherfestigkeit: 150 kN/ m² (im Projekt festgelegte Grenze, innerhalb dieser das Düsenstrahlverfahren noch möglich ist) Abb. 12: Trockene Bodenstabilisierung im geologischen Längsschnitt - hellgrau: Bodenstabilisierung (Züblin Spezialtief bau Ges.m.b.H., 2021) In der Ausführung zeigten sich diese engen Schranken als sehr großes Risiko, da man es mit sehr heterogenen Bodenverhältnissen zu tun hatte. Die Ziel-Scherfestigkeit muss einerseits hoch genug sein, um nicht zu überproportionalen Verformungen oder zu einem Versagen der äußeren Standsicherheit des offenen Schlitzes zu führen, andererseits nicht zu hoch, sodass die Bodenstabilisierung nicht mehr mit dem Düsenstrahlverfahren erodiert werden kann und keine kraftschlüssige Verbindung gewährleistet werden kann. Frühzeitig einigte man sich deshalb auf die Ausführung eines Probefeldes vorab, um die Verfahren zu verifizieren. 3. Probefeld 3.1 Überblick Am Probefeld am westlichen Ende des Projektgebiets sollten alle Verfahren, die am Hauptprojekt angewendet werden, erprobt werden und daraus wertvolle Erkenntnisse gewonnen werden. Mitunter sollten folgende Fragen beantwortet werden: • Welche Bindemittel sind für eine trockene Bodenstabilisierung in diesen Böden zweckmäßig und welcher Bindemittelgehalt ist notwendig? • Wie funktioniert die Schlitzwandherstellung im stabilisierten Boden? Welche Erkenntnisse hinsichtlich Verformungen und Überprofil können gewonnen werden? • Welche Mantelreibung kann zwischen Zugpfählen und DSV-Sohle erreicht werden? (nicht Gegenstand dieses Beitrags) • Welche Mantelreibung kann zwischen Zugpfählen und Kreidekalk bzw. Zugpfählen und Grundmoräne erreicht werden? (nicht Gegenstand dieses Beitrags) • Welchen DSV-Durchmesser erreicht man im natürlichen Boden bzw. im stabilisierten Boden? (nicht Gegenstand dieses Beitrags) Durch intelligente Instrumentierung und Messysteme wie z. B. Dehnmessstreifen, thermische Integritätsprüfung (TIP-Testing), faseroptische Messsysteme, Inklinometer, Messketten oder Cross-Hole-Sonic-Logging konnte auf alle diese Fragen eine Antwort gefunden werden. Am rechten unteren Rand ist in Abb. 13 (gelb/ schwarz) das Probefeld der Schlitzwand durch den stabilisierten Boden sichtbar. 98 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Deep-Dry-Mixing zur Ermöglichung einer Schlitzwandherstellung in weichen marinen Sedimenten Abb. 13: Probefeld; Bodenstabilisierung (gelb); DSV (blau); Pfahl-Zugversuche (rot-grün); Schlitzwand (schwarz) (eigene Aufnahme) 3.2 Deep-Dry-Mixing (DDM) Deep-Dry-Mixing ist ein Trockenmischverfahren, bei dem ein Trockenpulver aus Kalk, Zement, eine Mischung aus beidem oder in seltenen Fällen auch Gips oder Hüttensand in den Boden untergemischt wird. Dieses Verfahren wurde ursprünglich in Skandinavien zur Stabilisierung von sehr weichen organischen Tonen entwickelt. Die üblichen Säulendurchmesser liegen bei 0,6 m - 1,0 m (maximal 2,5 m), die Ausführungstiefe liegt in Skandinavien traditionell etwas seichter, mit entsprechender Gerätetechnik können die Säulen aber bis zu 25-m tief ausgeführt werden (Fischer, 2021). Charakteristischerweise bieten sich für das Trockenmischverfahren weiche Böden mit einem natürlichen Wassergehalt von mehr als 40 % an. In diesen Böden ist das Verfahren sehr effektiv und es können typischerweise mit einem Bindemittelgehalt von 100-400 kg/ m³ Scherfestigkeiten von 150-500 kN/ m² erreicht werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass nahezu kein Überschussmaterial durch den Mischprozess entsteht (Kirsch & Bell, 2013). 3.2.1 Gerätetechnik Für das DDM wird üblicherweise ein Bohrgerät bzw. Teleskopmäkler sowie ein Pressure Feeder verwendet. Der Pressure Feeder ist ein Vorratsbehälter, der mittels Druckluft das Bindemittel über Schläuche zum Bohrgerät und zum Mischwerkzeug selbst führt. Ein mobiler Bindemittelsilo versorgt den Pressure Feeder laufend mit Bindemittel (Abb. 14). Am Werkzeug direkt wird die erforderliche Bindemittelmenge in den Boden untergemischt. Der Bohrmeister kann durch die Liveübertragung der Daten auf den Bildschirmen im Bohrgerät die Bindemittelmenge jederzeit anpassen. Damit schweres Gerät auf dem weichen kohäsiven Alluvium sich überhaupt bewegen kann, wurde eine Arbeitsplattform geschüttet. Für dieses Projekt wurde speziell ein hybrides Mischwerkzeug (Abb. 15) entwickelt, das die verdichtete Arbeitsplattform durchörtern kann, sowie gleichzeitig aber die notwendige Mischenergie auf bringt, um die weichen marinen Sedimente homogen mit dem Bindemittel zu vermischen (Fischer, 2021). Abb. 14: Gerätetechnik DDM; mobiler Bindemittelsilo (links); Bohrgerät mit Pressure Feeder (rechts) (eigene Aufnahme) 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 99 Deep-Dry-Mixing zur Ermöglichung einer Schlitzwandherstellung in weichen marinen Sedimenten Abb. 15: Hybrides Mischwerkzeug (eigene Aufnahme) In Abb. 16 ist ein Herstellprotokoll einer Säule dargestellt. Die rote Linie zeigt die erreichte Tiefe der Säule, die blaue Linie den in jeder Bodenschicht eingebrachten Bindemittelgehalt, die orange Linie den Luftdruck und die schwarze Linie den hydraulischen Gerätedruck. Abb. 16: Auszug aus einem Herstellprotokoll einer DDM-Säule (eigenes Protokoll) 3.2.2 Laborversuche Zu Beginn musste das geeignete Bindemittel für die Bodenstabilisierung gefunden werden. Dazu wurden Kalk, Kalk-Zement, Zement, Zement-Hüttensand und Kalk-Zement-Hüttensand in Bindemittelanteilen zwischen 3 % und 10 % im Labor dem natürlichen Boden zugemischt und getestet. Triaxialversuche nach 7 und 28 Tagen ergaben eine erste Abschätzung über die erreichten Festigkeiten. Die Ergebnisse sind in Abb. 19 dargestellt. Im optimalen Bereich zwischen 30 kN/ m² und 150-kN/ m² wäre eigentlich ungelöschter Kalk als Bindemittel. Jedoch hat man mit Laborversuchen und schlussendlich auch am Probefeld feststellen müssen, dass es zwischen Kalk und Bentonit zu einem Ionenaustausch und somit zu einer plötzlichen Separation des Bentonits bei der Schlitzwandherstellung kommt. Abb. 17: Separation des Bentonits am Probefeld (links); funktionierende Bentonitsuspension (rechts) Abb. 18: Erhöhtes Absetzmaß im Labor durch Separation des Bentonits Das Bindemittel, das die geringste Reaktion mit Bentonit zeigte, sowie innerhalb der Grenzen war, war Hüttensand/ Zement. Dieses wurde schließlich für die Bodenstabilisierung gewählt. An den Laborproben sowie an den durchgeführten Drucksondierungen konnte man erkennen, dass es zwar schnell zu einer Sofortreaktion 100 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Deep-Dry-Mixing zur Ermöglichung einer Schlitzwandherstellung in weichen marinen Sedimenten (innerhalb 24 Stunden) kommt, sich die Festigkeit aber noch weiterentwickelt. In der Literatur gibt es dafür Erfahrungswerte für die Langzeitfestigkeit, die typischerweise etwa das 1,4 bis 1,5-fache der 28 Tage Festigkeit erreicht (Kirsch & Bell, 2013). Diese Langzeitfestigkeit musste für das Bauprojekt ebenfalls berücksichtigt werden, da das Düsenstrahlverfahren zeitlich deutlich 1 Jahr nach Herstellung der Schlitzwand zur Ausführung kommt. Zusätzlich gibt es in der Literatur Erfahrungswerte, dass die tatsächliche erreichte Scherfestigkeit 50-100 % der Laborergebnisse sein können. (Kirsch & Bell, 2013). Am Probefeld sowie am Hauptprojekt ausgeführte Drucksondierungen (Abb. 20) zeigten, dass es zu einer akzeptablen Erhöhung der undrainierten Scherfestigkeit im kohäsiven Alluvium gekommen ist. Durch die Erprobung im Labor als auch am Probefeld konnte das optimale Bindemittel sowie der optimale Bindemittelgehalt schon vor Beginn des Hauptprojektes gewählt und somit Risiken für das Hauptprojekt minimiert werden. Abb. 19: Ergebnisse der Laborversuche: ALV-C = kohäsives Alluvium (C1); ALV-C Organic = kohäsives Alluvium mit erhöhtem organischem Anteil (C3); in Rot hervorgehoben das gewählte Bindemittel Abb. 20: Auswertung der undrainierten Scherfestigkeiten nach 7, 14, 28, 56 und 112 Tagen mithilfe Drucksondierungen 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 101 Deep-Dry-Mixing zur Ermöglichung einer Schlitzwandherstellung in weichen marinen Sedimenten 3.3 Schlitzwandaushub 3.3.1 Horizontale Verformungen Abb. 21: Horizontale Verformungen an Inklinometer IN32; dargestellt die einzelnen Inklinometermessungen während der Herstellung des Schlitzes Für den Schlitzwandaushub wurden Inklinometer in Abständen von 1,0 m und 5,0-m zur Schlitzwandachse installiert. Nach Aushub wurde der Schlitz noch eine-Woche lang offen gehalten, um Informationen zu sammeln, wie der Boden dadurch reagiert. Die horizontalen Verformungen konnten an allen Punkten innerhalb von 10 mm gehalten werden (Abb. 21): • Nach Aushub des offenen Schlitzes (in diesem Fall ein Einzelstich von 3,4-m) waren die horizontalen Verformungen an jedem Punkt unter 2 mm. • Eine Woche nach Aushub wurden bis zu 10 mm horizontale Verformungen gemessen - mit Zunahme der Zeit stiegen die Verformungen deutlich an. 3.3.2 Überprofil An den Bewehrungskörben wurden TIP-Sensoren (TIP = Thermal Integrity Profile) angebracht, um die Hydratationswärme zu messen. Diese Aufzeichnungen der Temperaturen über die Tiefe geben Auskunft über die Form des betonierten Schlitzwandelements. Eine gerade Linie zeigt gleiche Temperaturen und somit eine „geradlinige Schlitzwand“, eine Ausbauchung gibt Anzeichen auf ein Überprofil. In Abb. 22 und Abb. 23 ist jeweils ein aufgenommenes Temperaturprofil in der Schlitzwand dargestellt. Links ohne geeignete Bodenstabilisierung sowie rechts mit erfolgreicher Bodenstabilisierung. Abb. 22: Aufgenommenes Temperaturprofil in der Schlitzwand ohne geeignete Bodenstabilisierung (links) Abb. 23: Aufgenommenes Temperaturprofil in der Schlitzwand mit erfolgreicher Bodenstabilisierung (rechts) 102 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Deep-Dry-Mixing zur Ermöglichung einer Schlitzwandherstellung in weichen marinen Sedimenten 4. Fazit Durch die Planung einer geeigneten Bodenstabilisierung vor dem Schlitzwandaushub konnten horizontale und vertikale Verformungen während der Herstellung sowie das Überprofil der Schlitzwand deutlich reduziert werden. Besonderes Augenmerk muss dabei der Bindemittel-Bentonit-Interaktion geschenkt werden. Die meisten gängigen Bindemittel in der Bodenstabilisierung führen zu einer Bentonitkontamination. Durch die richtige Wahl des Bindemittels und/ oder durch entsprechende Zusatzmittel für das Bentonit kann das Risiko einer Segregation reduziert werden und diese Problematik gelöst werden. Literatur Arup, National Highways & Balfour Beatty, 2017. A63 Castle Street Improvement - Ground Investigation Report, London: Ove Arup & Partners Ltd. Fischer, L., 2021. Verfahrensanweisung Deep Dry Mixing (DDM) mit Datenanalyse der hergestellten DDM-Säulen am Bauvorhaben A63 Castle Street in Kingston Upon Hull, UK. Hochschule Karlsruhe: Fakultät für Architektur und Bauwesen. Kirsch, K. & Bell, A., 2013. Ground Improvement. Third Edition Hrsg. 6000 Broken Sound Parkway NW, Suite 300, Boca Raton, FL 33487-2742: CRC Press, Tylor & Francis Group. Lächler, A., Neher, H. P. & Gebeyehu, G., 2006. A comparison between monitoring data and numerical calculation of a diaphragm wall construction in Rotterdam. Proceedings of the International Conference on Numerical Simulation of Construction Processes in Geotechnical Engineering for Urban Environment, 23-24 März. National Highways, Arup & Balfour Beatty, 2017. A63 Castle Street - Underpass - Approval in Principle, London: Ove Arup & Partners Ltd. Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H., 2021. A63 Castle Street Improvement - Dry Deep Mixing Columns - Southern Diaphragm Wall - Longitudinal Section. Wien: Zentrale Technik. Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H., 2021. A63 Castle Street Improvement - Dry Deep Mixing Columns Ch 1340-1420 - Plan View. Wien: Zentrale Technik. Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H., 2021. A63 Castle Street Improvement - Dry Deep Mixing Columns Ch 1460 - 1660 - Typical Cross-Section. Wien: Zentrale Technik. Autor: Vorname, Name: Yannick Scherpereel Titel: Dipl.-Ing. Firma, Abteilung: Züblin Spezialtief bau Ges.m.b.H., Bereich Insond Adresse: Donau-City-Straße 1, A-1220 Wien Tel: +43 (0)676 65 94 203 Fax: +43(0)1 22422 2604 mail: yannick.scherpereel@zueblin.at internet: http: / / www.zueblin.at Co-Autor: Vorname, Name: Luca Fischer Titel: M. Eng. Firma, Abteilung: Züblin Spezialtief bau Ges.m.b.H., Bereich Insond Adresse: Donau-City-Straße 1, A-1220 Wien Tel: +49 (0)170 2003932 Fax: +43(0)1 22422 2604 mail: luca.fischer@zueblin.de internet: http: / / www.zueblin.at 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 103 Ausbau der A8 bei Pforzheim Ausführungsplanung einer verankerten Lisenenwand zur Sicherung eines ca. 20 m tiefen Einschnitts Lukas Riedl, M. Eng. Ed. Züblin AG, Stuttgart Sabrina Kirsch, M. Eng. Züblin Spezialtiefbau GmbH, Stuttgart Dipl.-Ing. Stephan Böker Ed. Züblin AG, Stuttgart Zusammenfassung Der vorliegende Beitrag behandelt die Planung einer in etwa 280 m langen und über 20 m hohen als Lisenenwand ausgeführten Hangsicherung, welche im Zuge des Ausbaus der A8 bei Pforzheim hergestellt wird. Bei einer Lisenenwand werden vertikale Stahlbetonpfeiler (Lisenen) hergestellt und diese dauerhaft in den Baugrund verankert. Im Lockergestein oder im verwitterten Fels ist für die Herstellung der Lisenen eine zusätzliche temporäre Hangsicherung erforderlich, welche bei dem hier vorgestellten Bauwerk als Spritzbetonvernagelung ausgeführt wird. Der Beitrag gibt einen Einblick in die Ausführungsplanung eines solchen Bauwerks und geht auf ausgewählte Besonderheiten und Fragestellungen ein. Dies sind beispielsweise Themen wie die kleinräumig stark wechselnden geologischen Randbedingungen oder die Besonderheit, dass zwei unterschiedliche Sicherungssysteme (Verankerung und Spritzbetonvernagelung) auf gleichem Raum und zur gleichen Zeit hergestellt werden. Des Weiteren wird auf die Optimierung des Bauwerks im Zuge der Ausführungsplanung eingegangen. 1. Einführung Derzeit wird die A8 bei Pforzheim auf einer Länge von ca. 4,8 km von bisher vier auf sechs Fahrstreifen (plus Standstreifen) ausgebaut. Der Ausbauabschnitt befindet sich zwischen den Anschlussstellen Pforzheim-Nord und Pforzheim-Süd und wird aufgrund der Durchfahrung des Enztals als Enztalquerung bezeichnet. Auftraggeber ist die Autobahn GmbH des Bundes. Aufgrund der Trassenverbreiterung sowie der Anpassung der Gradiente ist der Neubau einer Reihe von Ingenieurbauten erforderlich. Zur Verbesserung des Lärmschutzes werden zudem eine ca. 400 m lange Lärmschutzeinhausung sowie mehrerer Lärmschutzwände- und wälle hergestellt. Im Jahr 2021 erfolgte die Vergabe der Arbeiten an die Strabag GmbH, Direktion Baden-Württemberg, wobei der Ingenieurbau von der Ed. Züblin AG und der Spezialtief bau von der Züblin Spezialtief bau GmbH übernommen wurde. Für die Aufstellung der Ausführungsstatiken- und Pläne für das Gewerk Spezialtief bau wurde das konzerneigene Technische Büro Tief bau (TBT) von Züblin beauftragt. Von Stuttgart in Richtung Karlsruhe fahrend, steigt die Gradiente der Bestandsfahrbahn nach der Überquerung der Enz im Bereich des sogenannten Karlsruher Hangs deutlich steiler an als es nach dem heutigen Standard für Autobahnneubauten üblich ist. Aufgrund der im Zuge des Ausbaus reduzierten Längsneigung und vergrößerten Fahrbahnbreite wird ein Hangeinschnitt erforderlich, welcher auf der Seite der Fahrtrichtung Stuttgart zum Teil über 20 m unterhalb des Bestandsgeländes liegt. Durch den Bauherrn wurde zur Sicherung dieses Höhensprungs eine Lisenenwand ausgeschrieben. Abb. 1 zeigt die Lage des Bauwerks zum Zeitpunkt des Baubeginns im Frühjahr 2023 (Blickrichtung Süd-Ost). Der Endaushub liegt in etwa 10 m unterhalb der ursprünglichen Fahrbahnoberkante. Im Folgenden wird das Konzept des Bauwerks erläutert und auf ausgewählte Aspekte der Ausführungsplanung eingegangen. Abb. 1: Lage des Bauwerks [1] 104 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Ausbau der A8 bei Pforzheim 2. Konzeption des Bauwerks Als Lisenenwand (auch Rippenwand) wird ein System zur Hangsicherung bezeichnet, bei welchem vertikale, verankerte Stahlbetonpfeiler (Lisenen) hergestellt werden. Diese dienen der vertikalen Lastverteilung der Ankerkräfte. Die Oberfläche des Untergrunds zwischen den Lisenen kann je nach Beschaffenheit ungesichert bleiben (kompakter Fels), muss oberflächlich mit Spritzbeton vergütet oder zusätzlich gesichert werden. Falls erforderlich, bestehen für die Sicherung der Oberfläche zwischen den Lisenen verschiedene Möglichkeiten, welche in [2] beschrieben werden. In Abb. 2 ist das Prinzip des an der A8 auszuführenden dauerhaften Systems im horizontalen Schnitt dargestellt. Abb. 2: Prinzip Lisenenwand in der Draufsicht [2] Die Entwurfsbearbeitung für das Bauwerk erfolgte durch die Ingenieurgemeinschaft A8 Pforzheim. Der Entwurf sieht eine 1: 5 (79 ° zur Horizontalen) geneigte Wand mit Spritzbetonsicherung der Oberfläche vor. Die Lisenen werden im Zuge des Aushubs abschnittsweise in Schritten von ca. 5 m in Ortbetonbauweise hergestellt. Im Entwurf vorgesehen waren Lisenen mit je zwei bzw. einem Litzenverpressanker (unterste Lage). In Summe waren 9- Ankerlagen (mit einem vertikalen Abstand von ca. 2,50-m) und 5 Lisenenabschnitte geplant. Um die Standsicherheit eines Lisenenabschnitts mit ca. 5 m Höhe sicherzustellen, wurde eine temporäre Hangsicherung mittels Spritzbetonvernagelung vorgesehen. Die Nägel wurden als temporäre Bauteile ausgeschrieben und können daher nicht im Endzustand berücksichtigt werden. Die Ausführungsplanung für die temporäre und dauerhafte Hangsicherung vom TBT aufgestellt, während die Massivbauplanung der Lisenen an ein externes Büro vergeben wurde. Die in Abb. 3 dargestellte Skizze zeigt die tragenden Elemente der oberen drei Abschnitte der Lisenenwand im Querschnitt (entsprechend Ausführungsplanung). Folgender Arbeitsablauf ergibt sich für das dargestellte System: 1. Abschnittsweise Herstellung Spritzbetonvernagelung bis zur UK des 1. Lisenenabschnitts. BGS. Nagelwand (Aushub, Spritzbeton und Nagelherstellung). Parallel erfolgten das Bohren und der Einbau der Anker. 2. Herstellen der Lisenen und Festlegen der Anker im 1.-Lisenenabschnitt 3. Weitere abwechselnde Herstellung von Nagelwand und Lisenen bis zum Erreichen des Endaushubs. Abb. 4 zeigt die Lisenenwand nach Fertigstellung des zweiten Abschnitts und die Fortsetzung des Aushubs zur Herstellung des dritten. Für den horizontale Achsabstand zwischen den Lisenen und somit auch der Anker wurden 2,50 m festgelegt. Die Wand wird durch eine Zwischenberme unterteilt. In Längsrichtung erstreckt sich das Bauwerk über 280 m, wobei die Höhe im Endzustand im Mittleren Bereich ca. 20 m und an den Randbereichen ca. 10 m beträgt. Beidseitig schließen massive Schwergewichtsstützwände an. Abb. 3: Skizze Querschnitt Lisenenwand Abb. 4: Fertiggestellter 2. Abschnitt Lisenenwand 3. Baugrund Während auf der Stuttgarter Seite (südliche Seite) des Enztals oberflächennah die Buntsandsteinformation ansteht, wird diese auf Seiten des Karlsruher Hangs (nördliche Seite) von den Gesteinen des Muschelkalks überlagert. Es treten hier die Schichten des Oberen, Mittleren und Unteren Muschelkalks auf. Da der geotechnische Bericht vor der Festlegung auf die Sicherung des Hanganschnitts mittels Lisenenwand erstellt wurde, enthielt dieser keine spezifischen Informationen in Bezug auf das Bauwerk. Hangseitig lag lediglich ein Bohrprofil zur Ableitung der Schichtenfolge entlang der Abwicklung der Wand über 280 m vor. Da innerhalb des Bereichs auch mehrere Verwerfungen vermutet wurden, war es zwingend erforderlich, Nacherkundungen auszuführen, um eine belastbare Bemessung durch- 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 105 Ausbau der A8 bei Pforzheim führen zu können. In Abstimmung zwischen Auftragnehmer, Auftraggeber und dem Aufsteller des geotechnischen Berichts, wurden, unter Berücksichtigung der Bauwerksabmessungen und der vorgesehenen Lage der Anker, acht zusätzliche Bohrungen abgeteuft. Unterhalb des in geringer Mächtigkeit aufgeschlossenen Hanglehms steht zunächst der verwitterte und in tieferer Lage der unverwitterte Oberer Muschelkalk an. Darunter folgt die Verwitterungszone des Mittleren Muschelkalks. In Abb. 5, a) bis c), ist der angetroffene Muschelkalk in unterschiedlichen Verwitterungszuständen erkennbar. Die Gesteine des Muschelkalks sind in unterschiedlicher Ausprägung verkarstet. In Tab. 1 sind die für die Bemessung herangezogenen Kennwerte aufgelistet. Diese entsprechen im Allgemeinen den Mittelwerten der im Geotechnischen Bericht angegebenen Bandbreiten. Tab. 1: Mittlere bodenmechanische Kennwerte Schicht Verwitterungsstufe Reibungswinkel j‘ Kohäsion c‘ Wichte (feucht) g ‘ Wichte (Auftrieb) g ‘ [°] [kN/ m 2 ] [kN/ m 3 ] [kN/ m 3 ] Verwitterungszone Oberer Muschelkalk 3-4 30 5 21 11 Oberer Muschelkalk 1-2 45 - 27 17 Verwitterungszone Mittlerer Muschelkalk 3-5 27,5 10 21 11 a) b) c) Abb. 5: Muschelkalk: a) Kalksteinbruchstücke als Verwitterungsprodukt; b) Tone/ Schluffe als Verwitterungsprodukt; c) Schwach verwitterter Oberer Muschelkalk Abb. 6: Ausschnitt aus Abwicklung Ausführungsplanung 106 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Ausbau der A8 bei Pforzheim Entsprechend den Angaben im geotechnischen Bericht wurden aufgrund der Höhenversprünge der Schichtgrenzen im Bereich der Lisenenwand sechs die Bauwerksachse schneidende, Verwerfungen vermutet, wobei der vertikale Versatz zwischen 2 m und 30 m beträgt. Dies hat zur Folge, dass für die Festlegung der Bemessungsschnitte Annahmen auf der sicheren Seite getroffen werden müssen, da trotz der durch die Nacherkundungen reduzierten Abstände zwischen den Aufschlüssen, erhebliche Unsicherheiten bzgl. des Verlaufs der Schichtgrenzen bestehen. Abb. 6 zeigt einen Ausschnitt aus der Abwicklung des Ausführungsplans, in welchem die vermuteten Schichtgrenzen farblich gekennzeichnet sind. Der Übergang der Schichtgrenzen ist jedoch nicht immer eindeutig bestimmbar und verläuft fließend. Da die Schichtmächtigkeit der verwitterten oder unverwitterten Bereiche einen erheblichen Einfluss auf die zu führenden Standsicherheitsnachweise hat (vgl. Scherparameter), besteht die Gefahr, dass eine zu einfach und zu sehr auf der sicheren Seite gewählte Schichtfolge, zu einer unwirtschaftlichen Bemessung führt. Entsprechend dem vermuteten Verlauf der Schichtgrenzen, wurden über die Abwicklungslänge der Lisenenwand fünf geologische Bemessungsprofile festgelegt. Für die Bemessung der Verankerung wurden im geotechnischen Bericht Ankerkräfte für eine Verpresskörperlänge von 6,0 m angegeben (s. Tab. 2). Die Werte entsprechen den maximalen charakteristischen Gebrauchskräften und nicht den maximalen Herausziehwiderständen. Aufgrund der wechselhaften Schichtenfolge ist eine seriöse Vorhersage, in welcher Schicht der Verpresskörper eines Ankers zum liegen kommt, kaum möglich. Würde ein Verpresskörper fälschlicherweise dem unverwitterten Oberen Muschelkalks zugeordnet werden, so würde die Gefahr bestehen, dass der Herausziehwiderstand des Ankers um 100 % überschätzt wird. Aus diesem Grund wurde die maximale Gebrauchskraft konservativ für alle Anker auf 500 kN beschränkt. Tab. 2: Max. Gebrauchskräfte Verankerung Schicht Max. Gebrauchskraft [kN] 5a - Verwitterungszone Oberer Muschelkalk 500 5b - Oberer Muschelkalk 1000 6 - Verwitterungszone Mittlerer Muschelkalk 500 4. Planung der Hangsicherung Im folgenden Kapitel soll ein Einblick in die Erstellung der Ausführungsplanung der Hangsicherung gegeben werden. Hierbei wird im Besonderen auf die maßgebenden Komponenten Vernagelung, Verankerung und Spritzbetonsicherung eingegangen. 4.1 Allgemein Die Besonderheit bei der Planung der Lisenenwand liegt darin, dass zwei unterschiedliche Sicherungsmethoden eingesetzt werden, welche zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedliche Zwecke erfüllen. Die Sicherungen können jedoch nicht unabhängig voneinander geplant werden, da die Wahl der Arbeitsebenen für die Herstellung eines Lisenenabschnitts bzw. die Lisenenlänge und -lage einen maßgebenden Einfluss auf die Ausbildung beider Elemente haben. Unter anderem müssen folgende Punkte bei einer durchdachten Wahl der Arbeitsebenen aufeinander abgestimmt werden: • Vertikale Nagelabstände • Vertikale Ankerabstände • Lage der Arbeitsebenen für Anker- und Nagelherstellung • Einfluss auf die Arbeitsabläufe auf der Baustelle • Berücksichtigung bereits festgelegter Anker bei der Bemessung nachfolgend auszuhebender Nagelwandabschnitte. Es besteht zum Beispiel die Möglichkeit, die Höhe der Lisenenabschnitte etwas zu vergrößern, um dadurch einen Abschnitt und eine Arbeitsfuge einzusparen, was sowohl für die Planung als auch für den Massivbau einen reduzierten Arbeitsaufwand bedeuten würde. Im Gegenzug führt dies jedoch dazu, dass die mittels Spritzbetonvernagelung zu sichernde Höhe größer wird und in der Folge engere Nagelraster längere Nägel erforderlich werden. Weiter führt die größere Arbeitshöhe zu Mehraufwand bei Betonage und Festlegung der Anker. Diese Fragestellungen wurden im vorliegenden Fall vorab zwischen Planer und Baustelle abgestimmt, wobei als Entscheidungsgrundlage verschiedenste Varianten untersucht und berechnet wurden. Beim vorliegenden Bauwerk wurde an der Stelle mit der maximalen Höhe und der ungünstigsten Baugrundschichtung eine Anordnung mit fünf Lisenenabschnitten, welche jeweils mit zwei Ankern bestückt sind, gewählt. Diese teilen sich auf in drei Abschnitte oberhalb (Abschnitt 1.1 bis 1.3) und zwei unterhalb (Abschnitt 2.1 bis 2.2) der vorgesehenen Berme. Abb. 7 zeigt einen Querschnitt der Ausführungsplanung, wobei die genannten Abschnitte gekennzeichnet sind. Der Abschnitt 2.3 liegt unterhalb der untersten Lisene und dient als temporäre Baugrubensicherung für die Herstellung der Straßenentwässerung. In Bereichen mit günstigerer Baugrundschichtung und etwas geringerer Wandhöhe wurde abweichend zum dargestellten System beispielsweise eine Anordnung mit zwei Lisenenabschnitten mit fünf Ankerlagen oberhalb der Berme sowie ein Lisenenabschnitt mit drei Ankerlagen unterhalb der Berme gewählt. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 107 Ausbau der A8 bei Pforzheim Abb. 7: Querschnitt mit Abschnitten Lisenen/ Nagelwand Abb. 8: Verlauf Wandoberkante im Randbereich Die Oberkante des Bauwerks folgt, wie in Abb. 8 zu erkennen, dem Gelände, was unterschiedliche, zu berücksichtigende Wandhöhen zur Folge hat. Bei der Festlegung der statischen Schnittbereiche waren nun neben der Geometrie auch die wechselnden geologischen Randbedingungen zu berücksichtigen. Um deshalb nicht unzählige statische Schnitte mit hohem zeittechnischem Aufwand berechnen zu müssen, sind Vereinfachungen auf der sicheren Seite erforderlich. Für die Lisenenwand ergaben sich allerdings trotz Vereinfachungen insgesamt 12 statische Schnitte. Je nach Auswirkung auf die Wirtschaftlichkeit der Planung wurde jedoch maßgebende Bemessungen geführt, welche auf der sicheren Seite für mehrere Schnitte gültig sind. 4.2 Vernagelung Nach der Herstellung der ersten Voraushubebene folgt zunächst der Einbau der Bodennägel. Diese bestehen aus einem Zugglied aus Stahl (hier Gewindestahl) und weisen über die gesamte Länge durch Verpressen mit Zementsuspension einen kraftschlüssigen Verbund mit dem Boden auf. Die Wirkungsweise entspricht daher einer Bewehrung des Bodens. Hinweise zur Bemessung von Hangsicherungen mit Bodennägeln gibt die DIN 1054, Abs. 11.5.4 (Einwirkungen und Beanspruchungen) [3]. Da keine detaillierten normativen Vorgaben für die Bemessung existieren, sind diese in den bauaufsichtlichen Zulassungen für das System Bodenvernagelung enthalten (s. Tab. 3). Inhaltlich bestehen zwischen den Zulassungen der verschiedenen Hersteller in Bezug auf die Bemessung keine Unterschiede. Für Felsnägel existieren keine entsprechenden Zulassungen oder eng gefasste Richtlinien für die Bemessung. Für weiterführende Informationen bzgl. der Bemessung von Nagelwänden sei auf [4] verwiesen. Die Planung der temporären Vernagelung erfolgte anhand der Vorgaben der bauaufsichtlichen Zulassung für Bodennägel [5]. Da im Bereich des Bauwerks vorwiegend zu Lockergestein verwitterter Fels erwartet wurde, war eine Zuordnung zum System Bodenvernagelung geboten. Für die Planung der in Abb. 7 dargestellten fünf Lisenenabschnitte (1.1 bis 2.2) waren pro Berechnungsschnitt fünf verschiedene Nagelwände zu bemessen. Bei 12 statischen Schnitten ergäbe sich theoretisch eine Ge- 108 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Ausbau der A8 bei Pforzheim samtzahl von 60 Berechnungen. Trotz erheblichen Vereinfachungen und Zusammenfassung von Bereichen mit nur gering unterschiedlichen Randbedingungen verblieben immer noch 16 separate Berechnungen für die Vernagelung. Für die Bemessung wurde das Programm DC-Nagel verwendet. Das Programm bietet die Möglichkeit, alle in Tab. 3 aufgelisteten Nachweise automatisiert zu führen, genutzt wurde es allerdings nur für die Nachweise im Grenzzustand GEO-2 und GEO-3. Die Software ermittelt hierbei automatisiert sämtliche Lasten und zu untersuchenden Bruchkörper. Bei der Berechnung von zusammengesetzten Bruchmechanismen mit gerader Gleitlinie, welche meist maßgebend für die Festlegung der Nagelparameter sind, kann der Anwender allerdings keinen Einfluss auf die Auswahl der zu untersuchenden zusammengesetzten Bruchmechanismen mit gerader Gleitlinie und kreisförmigen Gleitlinien nehmen und diese auch nur bedingt prüfen (Tabelle mit allen untersuchten Körpern vorhanden). Es wurden daher einzelne Vergleichsberechnungen mit der Software GGU Stability durchgeführt, welche diesbezüglich einen größeren Funktionsumfang bietet. Die Ergebnisse zeigten bei der Untersuchung von zusammengesetzten Bruchmechanismen eine gute Übereinstimmung zwischen beiden Programmen. Bei der zusätzlich üblichen Untersuchung von kreisförmigen Gleitlinien erwies es sich als problematisch, dass kein Einfluss auf die Wahl der zu untersuchenden Bruchkörper genommen werden kann, worauf im folgenden Absatz nochmals eingegangen wird. Abb. 9 zeigt beispielhaft den Berechnungsausdruck der Nagelwand für die Herstellung des dritten Lisenenabschnitts (Abschnitt 1.3 entsprechend Abb. 7). Dargestellt ist hierbei der maßgebende zusammengesetzte Bruchmechanismus mit gerader Gleitlinie sowie der maßgebende Gleitkreis. Da die oberen Lisenen zu diesem Zeitpunkt bereits fertiggestellt sind, können die ersten vier Ankerlagen mit der zugehörigen Festlegekraft in der Berechnung berücksichtigt werden. Es ist zu erkennen, dass der maßgebende zusammengesetzte Bruchmechanismus durch die Verankerung so weit in bergseitige Richtung verschoben wird, dass dieser aufgrund der flach geneigten unteren Begrenzungslinie unproblematisch ist. Der Nachweis wäre in diesem Fall auch ohne die zusätzlichen Nägel im unteren Bereich erfüllbar. Erforderlich sind diese demzufolge lediglich zur Aufnahme des auf die Wandschale wirkende Erddrucks. Betrachtet man den Ausnutzungsgrad der maßgebenden kreisförmigen Gleitfläche, so entsteht bei einem Ausnutzungsgrad von 1,02 zunächst der Eindruck einer sportlichen Bemessung. Tatsächlich zeigt sich hier jedoch beispielhaft die Problematik einer mangelnden Steuerungsmöglichkeit der zu untersuchenden Bruchkörper. Die Tangente des dargestellten Gleitkreises erreicht in der oberen Hälfte der Wandhöhe die Senkrechte und wird daher ab dieser Stelle durch eine vertikale Gerade abgeschnitten. Entlang dieser Geraden wirken rechnerisch keine rückhaltenden Scherkräfte und die Anker sind aufgrund des Schnittwinkels von Anker und Gleitlinie wirkungslos bzw. müssten sogar abtreibend angesetzt werden. Tatsächlich wirken entlang der Geraden, insbesondere aufgrund der erhöhten Normalspannung infolge der Ankerkräfte, Scherkräfte, weshalb der dargestellte Gleitkreis tatsächlich nicht maßgebend ist. Der maßgebende Gleitkreis müsste in etwa den geraden Gleitlinien des zusammengesetzten Bruchkörpers folgen und einen zumindest ähnlichen Ausnutzungsgrad ergeben. Als Folge der mangelnden Kontrollmöglichkeiten über die untersuchten Bruchkörper besteht somit das Risiko einer Überbemessung der Nägel. Tab. 3: Erforderliche Nachweise für Bodenvernagelung aus [5] Nachweis Grenzzustand/ Nachweisverfahren Abschnitt in vernagelte Stützkonstruktion Grundbruch GEO-2 DIN EN 1997-1 DIN 1054 Gleiten GEO-2 6.5.2 6.5.2 Stark exzentrische Belastung GEO-2 6.5.3 6.5.3 Gesamtstandsicherheit GEO-3 6.5.4 6.5.4 Nägel Materialversagen STR 11.5.1 11.5.1 Herausziehen GEO-3 A 11.5.4.2 Außenhaut Teilflächenbelastung, Durchstanzen etc. A 11.5.4.1 Anmerkung: Die Teilsicherheitsbeiwerte sind DIN 1054, Tabellen A 2.1 bis A 2.3 zu entnehmen. Abb. 9: Bemessung Vernagelung Abschnitt 1.3 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 109 Ausbau der A8 bei Pforzheim Abb. 10: Nagelabstände in der Ansicht Entsprechend den bauaufsichtlichen Zulassungen ist bei Bodenvernagelungen ein maximaler Nagelabstand von 1,5 m in vertikaler und horizontaler Richtung zulässig. Größere Abstände werden jedoch erlaubt, wenn ein „räumlicher Standsicherheitsnachweis“ geführt wird. Eine konkrete Definition oder ein Verweis, wie solch ein räumlicher Nachweis zu führen ist, liegt jedoch nicht vor und ist auch in weiterführenden Quellen nicht zu finden. Aufgrund der temporären Funktion der Nägel und da der Boden über weite Bereiche felsige bzw. felsähnliche Eigenschaften aufweist, war es naheliegend, in Teilbereichen eine Vergrößerung der Nagelabstände anzustreben, um den geforderten „räumlichen Nachweis“ zu erfüllen. Die Forderung aus der bauaufsichtlichen Zulassung wurde in diesem Fall so interpretiert, dass lediglich die Spritzbetonschale als räumliche Platte zu bemessen ist (s. Abs. 4.4). Hierdurch wird sichergestellt, dass der Boden zwischen den Nägeln gehalten ist und die Last aus Erddruck „räumlich“ zu den punktuellen Auflager der Nagelköpfe abgetragen wird. Die Rückhängung der Lasten am Nagelkopf in den Baugrund ist durch die erforderlichen Nachweise sichergestellt. Bei größer werdendem Abstand der Nägel kann allerdings hierbei kritisiert werden, dass das System nicht mehr der Definition einer Bodenvernagelung entspricht, da die Dichte der Nägel zu gering ist, um einem monolithischen Bodenblock (bewehrter Erdkörper) aufgrund des Verspannungseffekts der Nägel zu entsprechen. Vielmehr geht das System über in eine mittels Verpresspfählen rückverankerte Spritzbetonschale. Die Anwendung der für die Bodenvernagelung erforderlichen Nachweise auf dieses System ist jedoch nach wie vor mechanisch schlüssig. Aufgrund der unklaren Regelung in den Zulassungen wurde das genannte Vorgehen mit dem bautechnischen Prüfer und dem geotechnischen Sachverständigen abgestimmt und daraufhin umgesetzt. Die gewählten Nagelabstände betragen in vertikaler Richtung zwischen 1,50 m und 2,20 m. In horizontaler Richtung müssen die Nägel in Abhängigkeit der Lisenen positioniert werden, weshalb lediglich sinnvolle Abstände von 2,50 m und 1,25 m im Mittel (1,00 m und 1,50 m) möglich sind. Abb. 10 zeigt einen Ausschnitt der Wandansicht mit unterschiedlichen Nagelabständen. Die vertikalen Abstände am Übergang der Lisenenabschnitte von über 2,50 m sind keine rechnerisch berücksichtigten Werte, da die oberen Nägel beim Nachweis der unteren nicht berücksichtigt werden. Stattdessen wird berücksichtigt, dass die Spritzbetonschale an den oberhalb fertiggestellten Lisenen gestützt wird (s. Abs. 4.4). Aufgrund des erläuterten Vorgehens war es möglich, einen erheblichen Anteil der ursprünglich vorgesehenen Nagelmengen eingespart. Ursächlich dafür sind hauptsächlich die über überlegte Anordnung der Lisenenabschnitte, die Vergrößerung der Nagelabstände sowie der Mehraufwand für eine kleinteilige, den lokalen Randbedingungen angepasste Bemessung. 4.3 Verankerung Die Bemessung der Verpressanker erfolgte für den Endzustand in der Bemessungssituation BS-P. Die Anker wurden in den Voraushubzuständen zwar berücksichtigt, allerdings maximal mit der Bemessungslast im Endaushub. Die Ermittlung der maßgebenden Bemessungsankerkraft der Anker erfolgt durch folgende Betrachtungen: • Erddruckermittlung mit aktivem Erddruck • Nachweis der Gesamtstandsicherheit (GEO-3) Die Ermittlung des Erddrucks erfolgte mit der Software DC-Baugrube. Bei der Erddruckermittlung ist vor allem die Festlegung einer Umlagerungsfigur relevant. Gemäß DIN 1054, Abs. A 11.5.4 [3] darf der Erddruck bei vernagelten und verankerten Stützkonstruktionen im Allgemeinen rechteckförmig angenommen werden. Bei einer Wandhöhe von über 20 m und Zwischenberme ist es jedoch fraglich, ob der Erddruck im unteren Bereich nicht deutlich unterschätzt wird. Wird hingegen die klassische Dreiecksverteilung angenommen, so werden die Ankerkräfte im unteren Bereich übermäßig groß. Gewählt wurde schließlich das Vorgehen, den Erddruck für die Wandbereiche ober- und unterhalb der Berme separat zu ermitteln und nur innerhalb der zwei Bereiche eine konstante Erddruckumlagerung anzunehmen (somit über maximal ca. 14 m Höhe). Abb. 11: Nachweis der Gesamtstandsicherheit im Endzustand Für den Nachweis der Gesamtstandsicherheit der Verankerung wurde wieder das Programm DC-Nagel verwendet. Auch wenn es aus der Benennung nicht hervorgeht, 110 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Ausbau der A8 bei Pforzheim so eignet sich dieses auch, um für Verpressanker kreisförmige und zusammengesetzte Bruchmechanismen zu untersuchen sowie zur Bestimmung der erforderlichen Ankerkräfte und -längen. In Abb. 11 ist ein Berechnungsausdruck für den Nachweis der Gesamtstandsicherheit dargestellt. Analog zur Erläuterung für den Nachweis der Vernagelung ist auch an dieser Stelle der vom Programm gefundene maßgebende Gleitkreis zu hinterfragen und liegt tendenziell auf der sicheren Seite. Bei der Festlegung der Lage der Ankerköpfe wurde der Horizontalabstand aus der Entwurfsplanung mit 2,5 m beibehalten. Vertikal ergaben sich Abstände von ca. 2,0 m bis 3,5 m. Die innere Bemessung der Verpressanker erfolgte entsprechend den normativen Vorgaben. Aufgrund der Bemessungsankerkräfte im Bereich von 400 bis 625 kN ergab sich eine erforderliche Anzahl von vier bis fünf Litzen (0,6“, St 1570/ 1770) pro Anker. Die gewählten Ankerlängen liegen zwischen 18 m (untere Lagen) und 30 m (obere Lagen). In den unteren Lagen können kürzere Anker verbaut werden, da in diesem Bereich die maßgebenden Gleitlinien näher an der Wandschale verlaufen und somit die Verpresskörper kürzerer Anker bereits außerhalb der Bruchkörper liegen. 4.4 Spritzbetonschale Die bewehrte Spritzbetonschale wird mit fortlaufendem Aushub hergestellt und dient während der Bauphase als Außenhaut für die Vernagelung und im Endzustand als Sicherung des offenen Bereichs zwischen den Lisenen. Es handelt sich demnach um zwei unterschiedliche statische Systeme, wobei in beiden Fällen die maximale Nagelbzw. Ankerkraft aus der Erddruckbetrachtung und dem Nachweis der Gesamtstandsicherheit zu berücksichtigen ist. Für die Bemessung der Spritzbetonschale auf die Beanspruchung aus der Vernagelung wird innerhalb eines statischen Schnitts für jeden Lisenenabschnitt eine FE-Plattenbemessung durchgeführt (s. auch Abs. 4.2 in Bezug auf den geforderten räumlichen Nachweis). Als Berechnungsmodell wurde ein vertikaler Streifen der Spritzbetonschale mit der Breite eines halben Nagelabstands gewählt. Da die Wand horizontal als unendlich durchlaufend angesehen werden kann, werden die vertikalen Ränder als eingespannt angenommen. Abb. 12 zeigt schematisch die Ansicht des entsprechenden Berechnungsausschnitts und die angenommenen statischen Randbedingungen für horizontale Nagelabstände von 2,50 m. Die Platte wird durch eine flächige Last aus Erddruck beansprucht und ist auf den Nagelköpfen und den bereits hergestellten Lisenen aufgelagert (nicht bei der Herstellung des ersten Lisenenabschnitts). Für die Lastermittlung wurden die beim Nachweis der Gesamtstandsicherheit ermittelten Nagelkräfte in Reaktionslasten an der Spritzbetonschale entsprechend der Einzugsfläche eines Nagels umgerechnet. Abb. 12: Berechnungsausschnitt Spritzbetonbemessung Abb. 13: Lastfigur Spritzbetonbemessung Die so ermittelten Flächenlasten wurden mit den berechneten Erddrücken verglichen und das Maximum für die Spritzbetonbemessung angesetzt. Da zu erwarten ist, dass sich der Lastabtrag zwischen Boden und Spritzbetonschale im Bereich der Nagelköpfe konzentriert, wird eine Umwandlung in eine pyramidenförmige Flächenlast vorgenommen (s. Abb. 13). Es wird demnach eine Gewölbebildung im Baugrund angenommen, wie es auch bei der Bemessung der Ausfachung von Trägerbohl- oder Bohrpfahlwänden, allerdings in einaxialer Richtung, üblich ist (s. EAB EB 47, Abs.3 [6]). Im Bereich der fertiggestellten Lisene wurde der berechnete Erddruck vereinfacht in eine prismatische Lastfigur umgewandelt. Das erläuterte Vorgehen wurde vorab mit dem bautechnischen Prüfer und dem geotechnischen Sachverständigen abgestimmt. Für die Bemessung der Platte wurde das Programm Dlubal RFEM verwendet. Ausgewertet wurden die maximal erforderlichen Bewehrungsmengen im Feld- und Stützbereich je Nagelreihe, woraus sich die einzubauende Mat- 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 111 Ausbau der A8 bei Pforzheim tenbewehrung an Erd- und Luftseite ergibt. Aufgrund der bis zu fünf übereinanderliegenden Wandabschnitte und der unterschiedlichen geometrischen Randbedingungen sowie Beanspruchungsgrade in Wandlängsrichtung ergaben sich auch an dieser Stelle unzählige Berechnungsvarianten, welche sinnvoll zu reduzieren waren. Gleichzeitig musste jedoch darauf geachtet werden, die Bewehrungs- und Spritzbetonmassen möglichst gering zu halten. Eine zusätzliche äußere Beanspruchung erfährt die Spritzbetonschale dadurch, dass die Schalung für die Stahlbetonlisenen in dieser verankert wird. Daher erfolgte eine zusätzliche Plattenbemessung unter Berücksichtigung des Frischbetondrucks und der Rückhängung über den Schalungsanker. Die erforderlichen Bewehrungsmengen aus Erddruck und Nagelkraft sowie aus Frischbetondruck und Schalungsanker wurden zur Berücksichtigung des ungünstigsten Falls (Schalungsanker liegt im Feld zwischen zwei Nägel) addiert. Abb. 14: Schalungsanker in Spritzbetonschale verankert Im Endzustand ist die Spritzbetonhaut durchgehend auf den Lisenen aufgelagert, weshalb eine Bemessung als Durchlaufträger ausreichend war. Hierbei wurde ebenfalls eine Gewölbebildung zwischen den Lisenen angenommen und eine dreiecksförmige Lastverteilung gewählt. 5. Aspekte der Ausführung Die Herstellung der Lisenen findet trotz Unterteilung in kleinteilige Abschnitte in bis zu 7,7 m Höhe (maximale Lisenenhöhe) statt. Arbeiten in dieser Höhe sind mit großem zeitlichem Aufwand verbunden. Die Verpressanker werden daher bereits im Zuge des Aushubs von Zwischenaushubebenen aus hergestellt. Um die Arbeiten in der Höhe weiter zu minimieren, wurde von Seiten der Baustelle angestrebt, die Abnahmeprüfung vor der Herstellung der Lisenen durchzuführen. Da zu diesem Zeitpunkt noch kein Ankerauflager vorhanden ist, wurde die in Abb. 15 sichtbare Lastverteilungsplatte hergestellt und die erforderlichen Nachweise für eine ausreichende Lastverteilung und -abtragung geführt. Nach Fertigstellung der Lisenen werden die Anker nur noch festgelegt. Abb. 15: Abnahmeprüfung der Anker auf Spritzbeton Abb. 16: Eingeschalte Lisene Für die Herstellung der Lisenen wird eine dreiseitige Schalung verwendet, wobei an der Rückseite die Spritzbetonwand als Negativschalung dient. Dies hat zur Folge, dass für die Oberfläche des Spritzbetons erhöhte Anforderungen an die Herstellungsgenauigkeit definiert werden mussten. Um die dreiseitige Schalung während der Betonage an der Spritzbetonwand zu fixieren, wurde vonseiten der Baustelle eine Verankerung der Schalung in den Spritzbeton vorgesehen. Die Verankerung erfolgt durch in den Spritzbeton integrierte Einbauteile (s. Abb. 14). Die Beanspruchung der Spritzbetonschale aufgrund des über die Schalungsanker kurzgeschlossenen Frischbetondrucks erforderte eine zusätzliche statische Bemessung (s. Abs. 4.4). In Abb. 16 sind die im Spritzbeton verankerten Schalungsanker an den Seiten der eingeschalten Lisene zu erkennen. Ein nicht unerheblicher Anteil des Arbeitsaufwands für die Herstellung der Spritzbetonvernagelung ergibt sich aus dem Einbau der Mattenbewehrung. Da die Spritz- 112 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Ausbau der A8 bei Pforzheim betonschale in der Bemessung als zweiachsig gespannte Platte berücksichtigt wurde, sind die Matten durchgehend in horizontale und vertikale Richtung zu Übergreifen. In Abb. 17: Spritzbetonschale ist zum Beispiel die Ausführung eines dreimaschigen Stoßes zu erkennen. Da die Stöße in der luft- und bergseitigen Lage versetzt angeordnet werden und der Arbeitsraum nach unten aufgrund der Arbeitsebene begrenzt ist, ergeben sich erhebliche Zwänge, was den Einbau der Matten betrifft. Eine Stückelung der Matten führt stets zu einem unerwünschten Mehraufwand. Es ist daher sinnvoll, dass während der Planung solche Überlegungen bei der Festlegung von Nagelabständen und zulässigen Abschlagshöhen unterhalb der letzten Nagelreihe miteinbezogen werden. Eine vollumfängliche Planung unter Berücksichtigung aller auf der Baustelle vorhandenen Zwänge ist allerdings bei Vernagelungen kaum möglich und auch nicht zielführend. Vielmehr sollte vorab abgestimmt werden, welche Belange planerisch berücksichtigt und welche bauseitig gelöst werden. Abb. 17: Spritzbetonschale In Teilbereichen mit hohen Nagelkräften wurden im Bereich des Nagelkopfs erdseitig größere Bewehrungsmengen erforderlich, als durch eine Listenmatte (Q-Matte) abgedeckt werden kann. Damit nicht großflächig eine zweilagige Bewehrung inklusive Stoß ausgeführt werden muss, wurden lediglich Zulagen im Bereich der Nagelköpfe vorgesehen. In Abb. 17 ist der Übergang zwischen fertiggestellter Spritzbetonvernagelung und dem noch einzuspritzendem Abschnitt unterhalb dargestellt. Zu erkennen sind hierbei die Nägel mit Kalottenplatte (a), der bereits hergestellte Verpressanker (b), die eingebauten Schalungsanker hinter der Bewehrung (c1) und an der Spritzbetonoberfläche (c2) sowie die erforderlichen Drainageöffnungen (d). Für die Nagelköpfe wurden an dieser Stelle Kalottenplatten verwendet, da diese parallel zur Wand eingebaut werden können und nicht zwingend orthogonal zur Nagelachse ausgerichtet sein müssen. 6. Fazit Im vorliegenden Beitrag wurde eine im Bau befindliche, als Lisenenwand ausgebildete Hangsicherung an der A8 bei Pforzheim vorgestellt und Einblicke in verschiedene Aspekte der Ausführungsplanung gegeben. Da für die Herstellung der Lisenen in Ortbetonbauweise eine temporäre Sicherung der bereits abgeschlagenen Wandhöhe erforderlich ist, war im vorliegenden Fall eine Kombination aus temporärer Spritzbetonvernagelung und dauerhafter Verankerung mit Lisenen auszuführen. Die Kombination der beiden konstruktiven Sicherungselemente und deren Abhängigkeit zueinander sowie die Dimensionen des Bauwerks führten dazu, dass es sich nicht um eine ganz alltägliche Planungsaufgabe handelte. Es wurde gezeigt, dass eine kritische Prüfung der vorhandenen geotechnischen Grundlagen durch den Aufsteller der Ausführungsplanung unumgänglich ist und im Zweifel zusätzliche Informationen gewonnen werden müssen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn wie im hier gezeigten Fall die aufeinanderfolgenden Bodenschichten stark unterschiedliche Scherfestigkeiten aufweisen. Bei der Bemessung der Hangsicherung mussten stark wechselnde geologische und geometrische Randbedingungen berücksichtigt werden. Diese hatten wiederum Einfluss auf die aufeinander abzustimmenden Bauteile Vernagelung, Verankerung, Lisenen und Spritzbeton. Die Planung einer sinnvollen und wirtschaftlichen Konstruktion erforderte ein iteratives Vorgehen bei der Berechnung der einzelnen Komponenten. Eine enge Abstimmung mit der bauausführenden Seite ist hierbei unerlässlich. Der Aufwand für die Planung solch einer Konstruktion mit den üblichen analytischen Berechnungsansätzen sollte nicht unterschätzt werden, da die Führung aller erforderlicher Nachweise nicht von den üblichen verfügbaren Softwarelösungen im Gesamtpaket abgedeckt ist und zum Teil für einen Berechnungsschnitt eine Vielzahl von Berechnungsdateien angelegt werden muss. Die Diskussion einer alternativen, in Bezug auf den Berechnungsaufwand Aufwand wahrscheinlich lohnenden, Nachweisführung mithilfe der FEM wurde an dieser Stelle nicht geführt, wäre jedoch sicherlich interessant. Im Zuge der Planung war stets abzuwägen, ob sich eine aufwendige kleinteilige Bemessung lohnt oder vereinfachte Annahmen zu qualitativ ähnlichen Ergebnissen führt. Aufgrund der gewählten Herangehensweise wurden erhebliche Optimierungen ermöglicht. Konkret war dies vorwiegend aufgrund einer überlegten Anordnung der abschnittsweise herzustellenden Lisenen, durch welche die für den Endzustand erforderlichen Daueranker auch für bauzeitliche Zustände sinnvoll herangezogen werden konnte, möglich. Des Weiteren spielte es eine maßgebende Rolle, dass größere Nagelabständen als die in den technischen Zulassungen spezifizierten 1,50 m in horizontale und vertikale Richtung geplant wurden. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 113 Ausbau der A8 bei Pforzheim Sollen die Abstände von Bodennägeln über das Raster von 1,50 × 1,50 m hinaus vergrößert werden, so ergibt sich die Problematik, dass die bauaufsichtlichen Zulassungen dies zwar erlauben, für diesen Fall jedoch einen räumlichen Standsicherheitsnachweis fordern, welcher nirgends definiert ist. Unter der Prämisse, nachhaltige Bauweisen zu fördern, wäre es dringend erforderlich, für diese Fragestellung anerkannte Regeln der Technik zu schaffen. In der aktuellen Situation empfiehlt sich aufgrund der unklaren Regelung, wie im vorliegenden Fall geschehen, eine Vorabstimmung mit dem bautechnischen Prüfer und dem geotechnischen Sachverständigen durchzuführen. Zusammenfassend stellte die Planung der Lisenenwand eine herausfordernde Aufgabe dar, bei welcher viele Abhängigkeiten zu berücksichtigen und auf die Bauausführung abzustimmen waren. In Bezug auf die Nachweisführung mussten zahlreiche Überlegungen über die üblichen Standardvorgehensweisen hinaus angestellt werden. Abb. 18: Panoramaaufnahme Lisenenwand Literatur [1] „AdB, Projektseite Enztalquerung,“ [Online]. Available: https: / / www.autobahn.de/ die-autobahn/ projekte/ detail/ enztalquerung#aktueller-baufortschritt. [Zugriff am 13 11 2023]. [2] H. Brandl, „Stützbauwerke und konstruktive Hangsicherungen,“ in Grundbautaschenbuch, Teil-3, 8. Aufl., Berlin, Ernst und Sohn, 2018. [3] DIN 1054: 2021-04, Baugrund - Sicherheitsnachweise im Erd- und Grundbau - Ergänzende Regelungen zu DIN EN 1997-1. [4] L. Wichter und W. Meiniger, Verankerungen, Vernagelungen und Mikropfähle in der Geotechnik, Ernst und Sohn, 2022. [5] Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung, Bodenvernagelung System „Spantec“, Deutsches Institut für Bautechnik, 2022. [6] Empfehlungen des Arbeitskreises „Baugruben - EAB, 6. Auflage, Ernst und Sohn, 2021. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 115 Untersuchung des Langzeitquellens an pyrithaltigen Boden- Bindemittelgemischen im Bahnprojekt Stuttgart 21 Dr.-Ing. Axel Möllmann Dr. Spang Ingenieurgesellschaft für Bauwesen, Geologie und Umwelttechnik mbH, Esslingen am Neckar Dr.-Ing. Marc Raithel Kempfert + Raithel Geotechnik GmbH, Würzburg Tim Kristandt, M. Sc. DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH, Stuttgart Patrick Höfler M. Sc., Florian Jäger M. Eng., Dipl.-Ing. (FH) Gebhard Bantle Strabag GmbH, Dettingen unter Teck Dipl.-Ing. (FH) Michael-Werner Bruss, Sibylle Christine Reustle TPA GmbH Gesellschaft für Qualitätssicherung und Innovation, Stuttgart Zusammenfassung Um den Maßgaben des Kreislaufwirtschaftsgesetzes und in Zukunft der Ersatzbaustoffverordnung gerecht zu werden, war es im Planfeststellungsabschnitt 1.3a des Bahnprojekts Stuttgart 21 am Stuttgarter Flughafen vorgesehen, dass beim Vortrieb des Flughafentunnels gewonnene Ausbruchmaterial des Schwarzen Juras als Baustoff für die Erstellung der Erdbauwerke der Neubaustrecke wiederzuverwenden. Die Schichten des Schwarzen Juras sind überwiegend als veränderlich festes Gestein zu bewerten und enthalten Pyrit, der durch Oxidation zu Sulfat umgewandelt und in Verbindung mit hydraulischem Bindemittel zu einer Ettringitbildung und damit zu Quellhebungen führen kann. Zur Ermittlung des Quellverhaltens schlägt die Literatur eine Prüfvorschrift hinsichtlich einer Gefährdung von sulfathaltigen Böden bei Einsatz von Zement als Bindemittel vor. Nach Durchführung von Sulfatbestimmungen und der Durchführung von Quellhebungsversuchen mit variabler Auflast und Langzeit- Quellhebungsversuchen konnte gezeigt werden, dass mit dem sulfatbeständigen Zement unter den einwirkenden Auflasten keine bautechnisch relevanten Quellhebungen erzeugt werden. 1. Einführung Die Flughafenanbindung mit Tunnel samt Flughafenbahnhof sowie ihren Erd- und konstruktiven Ingenieurbauwerken ist ein elementarer Baustein von Stuttgart 21, der in Zukunft den Stuttgarter Flughafen, die Landesmesse sowie den gesamten Filderraum mit rund 250.000 Einwohnern an das Schienennetz des Fern- und des Regionalverkehrs anbindet. So entsteht auf den Fildern eine Verkehrsdrehscheibe für Baden-Württemberg. Das Projekt Stuttgart 21 steht für einen modernen und zukunftsfähigen Bahnknoten, der weitreichende Verbesserungen des Schienennetzes im Südwesten ermöglicht: neue direkte Verbindungen, Kapazität für mehr Züge und kürzere Reisezeiten im bundesweiten Fernverkehr sowie im Nahverkehr. Der Regionalverkehr profitiert zudem von vielen neuen umsteigefreien Verbindungen sowie verbesserten Anschlüssen auf den Fernverkehr. Zudem ist Stuttgart 21 die Voraussetzung für den Deutschlandtakt im Südwesten. Der neue Flughafentunnel ermöglicht gemeinsam mit dem 9,4 Kilometer langen Fildertunnel, dass sich die Fahrzeit vom Stuttgarter Hauptbahnhof zur Landesmesse und zum Flughafen von heute 27 Minuten auf sechs bis acht Minuten verkürzen wird. Die Anbindung aus beiden Richtungen (Stuttgart Hbf und Ulm) erfolgt voraussichtlich im Jahr 2027. Die Anbindung des Flughafentunnels im Planfeststellungsabschnitt (PFA) 1.3a wird über ca. 5 km Bahndämme und Einschnitte, sowie sieben Brücken realisiert. Die Freie Strecke wurde für eine Entwurfsgeschwindigkeit von 250 km/ h mit einer Festen Fahrbahn als Schienenoberbau hergestellt. Um die für eine feste Fahrbahn notwendige Tragfähigkeit und Standsicherheit zu gewährleisten, wurden seit 2020 ca. 500.000 m³ Boden qualifiziert verbessert im Unterbau des Bahnkörpers verbaut. Das Kreislaufwirtschaftsgesetz gibt vor, die im Bauverfahren anfallenden Böden nach Nachweis der technischen Eignung wiederzuverwenden. Aufgrund von Sulfatgehalten von 0,3 M-% (3.000 ppm) Sulfat im Feststoff, mussten gem. ZTV E-StB 2017 [1] und dem Anhang D des Merkblatts über Bodenbehandlungen mit Bindemitteln der FGSV 2021 [2] zusätzliche Untersuchungen zum Nachweis der Eignung des sulfathaltigen Bodens für den Unterbau des Bahnkörpers durchgeführt werden. Da der „Sulfatangriff“ ausschließlich für Betonbauwerke beschrieben wurde und es für die qualifizierte Bodenver- 116 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Untersuchung des Langzeitquellens an pyrithaltigen Boden-Bindemittelgemischen im Bahnprojekt Stuttgart 21 besserung keine allgemeingültigen Regeln gibt, mussten im Rahmen des Projektes baubegleitend über standardisierte Eignungsprüfungen hinausgehende Untersuchungen zur qualifizierten Verbesserung der Böden und der Nachweisführung der Dauerhaftigkeit geführt werden. 2. Quellverhalten von sulfathaltigen Böden 2.1 Ettringit-/ Thaumasitbildung Der schädliche Einfluss von Sulfat auf Beton ist bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bekannt. Hierbei wird zwischen äußerem und innerem Sulfatangriff unterschieden. Zahlreiche Literaturen beschäftigen sich mit der treibenden, äußeren Reaktion, der Ettringitbildung, wobei besonders die in jüngster Zeit durchgeführten Arbeiten von Moormann [3] und [4] von der Universität Stuttgart genannt werden müssen. Die Thaumasitbildung als lösende, innere Reaktion ist wissenschaftlich weniger gut erforscht. Hier wurde maßgeblich auf die Dissertationen von Mulenga [5] und Köhler [6] zugegriffen. Grund für die weniger starke Repräsentation von Thaumasit in der Forschung liegen vor allem an den eher spezifischen Bedingungen dieser Reaktion, da bei Thaumasit maßgeblich die Geologie bzw. Mineralogie des Gründungsmediums für die Reaktion verantwortlich ist, wohingegen die Ettringitbildung ein wichtiger Aspekt der Zementchemie darstellt. 2.2 Quellen von Boden-Bindemittelgemischen Für die Quellreaktion von Ettringit reagiert Calciumaluminat und Sulfat in Gegenwart von Wasser. Nachfolgend kann die Formel für diesen Prozess nachvollzogen werden. Die Bedingungen, welche eine solche Reaktion ermöglichen, sind somit recht spezifisch. Zunächst benötigt die Reaktion Calciumaluminat (C 3 A). Diese wichtige Komponente ist in vielen Zementen enthalten und sorgt unter anderem für eine schnelle Aushärtung. Je mehr Aluminat im Bindemittel enthalten ist, desto mehr potentielles Reaktionsmaterial ist vorhanden. Des Weiteren wird zusätzliches Sulfat benötigt. Dies kann sowohl in dem für das Bodenbindemittelgemisch verwendeten Boden vorhanden sein, aber auch das Gründungsmillieu kann Einfluss nehmen. Sulfat tritt häufig in limnisch abgelagerten Sedimentgesteinen auf. Hier kann sich unter anoxischen Bedingungen Pyrit (FeS 2 ) bilden, wie es typischerweise in vielen Sedimenten des schwarzen Juras auftritt. Unter Atmosphäreneinfluss wandelt sich dieses Mineral zu Sulfat SO 4 um. Wenn das Bodenbindemittelgemisch in wasserführenden Schichten zu liegen kommt, sind alle chemischen Bedingungen für weitere Ettringitbildungen und somit potenziell schädigenden Treibreaktionen erfüllt. Für ein Entgegenwirken der Treibreaktion ist das Entziehen von Reaktionsparametern unerlässlich, weswegen beispielsweise ein sulfatresistenter Zement (SR, früher HS-Zement) mit einem möglichst geringen Aluminat-Gehalt eine Option darstellt. 2.3 Entwicklung des Regelwerkes Die allgemeine Gefahr einer Ettringit-/ Thaumasitbildung bzw. des Sulfattreibens ist zwar im Betonbau aufgrund der dort vorhandenen Schäden seit über 100 Jahren durchaus geläufig, und auch schon lange im Regelwerk erfasst (z. B. DIN 4030-2 [11]), diese Erkenntnis wurde aber erst spät im Hinblick auf das Regelwerk für Bodenverfestigungen und Bodenverbesserungen umgesetzt. In der neueren Literatur (z. B. [12], [13], [3]) wird zwar darauf hingewiesen, dass im In- und Ausland zahlreiche Schadensfälle durch Bindemittelbehandlung sulfathaltiger Böden bekannt sind und dass in der Fachliteratur seit den 70er Jahren vor einer Bindemittelbehandlung sulfathaltiger Böden gewarnt wird. Im Wesentlichen handelt es sich dabei aber um englischsprachige Literatur aus dem angelsächsischen Raum, der Problemfälle und Schäden in den dortigen Regionen behandelt. Für den deutschsprachigen Raum waren dagegen zunächst nur wenige Veröffentlichungen vorhanden bzw. wenig Schadensfälle bekannt. Hierbei seien z. B. die Veröffentlichung insbesondere über Schäden an der A7 in [14] und der A81 in [15] genannt. Auch in den für Bindemittelstabilisierungen im Erdbau maßgebenden Regelwerken, der ZTV E-StB aus dem Jahr 1997 [16] und dem Merkblatt über Bodenverfestigungen und Bodenverbesserungen mit Bindemitteln [17] aus dem Jahr 2004 waren zunächst keine entsprechenden Hinweise, Warnungen und Regelungen zur Bindemittelstabilisierung in sulfathaltigen Böden enthalten. Im Regelwerk findet sich erst ab der ZTV E-StB 2009 [18] ein erster allgemeiner Hinweis und in der ZTV E- StB 2017 [1] dann eine spezifische Regelung, dass es bei sulfathaltigen Böden bei Zugabe von Bindemitteln zur Bildung von Ettringit und Thaumasit mit Entfestigungen und Quellhebungen kommen kann und dass daher die Eignung bei einem Sulfatgehalt > 0,3 M.-% besonders zu untersuchen ist. Im Eisenbahnbau ist diese Regelung hinsichtlich der besonderen Untersuchung bei Bindemittelzugaben in sulfathaltigen Böden im Zusammenhang mit der Begrenzung der Quellhebungen nach Ril 836 [19] (dort im Modul 4101 Anhang 07) zu beachten. Um eine Gefährdung eines Erdbauwerks mit Fester Fahrbahn durch Quellhebung einzugrenzen, sind diese nur bis maximal 3 % bzw. 5 mm zulässig. Der entsprechende Nachweis kann nach Ril 836 über Quellhebungsversuche im Oedometer, ggf. unter Berücksichtigung der Auflastspannung aus der Überbauung erbracht werden. 2.4 Geologie Im süddeutschen Schichtstufenland gelegen, umfasst der PFA 1.3a insbesondere das Schwarze Jura (Lias α 1-3), welches im Filderbereich oberflächlich verwittert und anschließend von pleistozänen, äolischen Lösssedimenten überdeckt wurde. Die anstehenden Schichten lagern annährend söhlig, mit einem Einfallen von ca. 0 bis 5 ° Richtung E-NE [20]. Die Basis des Schwarzen Jura bildet die Psilonotenton- Formation (Lias α 1), welche hauptsächlich aus dunkel- 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 117 Untersuchung des Langzeitquellens an pyrithaltigen Boden-Bindemittelgemischen im Bahnprojekt Stuttgart 21 grauen Tonmergelsteinen und untergeordnet grauen, in der Mächtigkeit variierenden Kalk- und Sandsteinbänken besteht. Die Psilonotenton-Formation erreicht im Bereich der Fildern Mächtigkeiten von 10-12 m. Die Angulatenton- und -sandstein-Formation (Lias α 2) setzt sich in der Sandfazies vorrangig aus feinbis dickbankigen, gelben bis graugelben Sandsteinbänken zusammen, wohingegen die Tonfazies von grauen bis dunkelbraunen Tonmergelsteinen bis Mergelsteinen geprägt wird und Mächtigkeiten bis zu 15 m erreicht. Obenauf lagert die Arietenkalk- Formation (Lias α 3). Diese setzt sich aus braunen bis grauen bis gelbbraunen Tonmergelsteinen und grauen Kalksteinbänken zusammen, welche oberflächlich stellenweise angewittert, teils stark bis vollständig verwittert auftreten und steife bis halbfeste Böden bilden. Auf den Fildern sind Mächtigkeiten der Arietenkalk-Formation von über 12 m anzutreffen. Abhängig von der Verwitterung wurden die als veränderlich feste Gesteine anzusprechenden Horizonte des Schwarzen Juras, z. B. die Ton- und Mergelsteine, zu Böden umgewandelt. Insbesondere in Übergangsbereichen zwischen den quartären und jurassischen Horizonten wurden die Gesteine großteilig in Böden umgewandelt. Auf dem Schwarzjura und dessen Verwitterungsprodukten lagern Lösssedimente, hier als Filderlehm angesprochen. Die aufgeschlossenen Mächtigkeiten des Verwitterungssediments schwanken zwischen 0,1 m und 4,8 m. Die angetroffenen Filderbzw. Hanglehme sind zumeist hellbraune, schwach feinsandige bis feinsandige Schluffe/ Tone mit steifer bis halbfester Konsistenz. Hydrogeologisch wird der bautechnisch relevante Untergrund im Bereich des Bahnkörpers vorwiegend durch die Kluftwasseraquifere der Angulatensandsteine und Arietenkalke des Lias α 2 und 3 geprägt. Begrenzt durch die dichten Tonmergelsteine des Lias α 2 und 3, sind die Aquifere des Schwarzen Jura im Bereich des PFA 1.3a hydraulisch miteinander verbunden [21] . 3. Sulfatbestimmung Die Sulfatbestimmung des Probenmaterials wurde, bevor das Material bindemittelverbessert eingebaut wurde, in mehreren Schurfkampagnen durchgeführt. Zunächst wurden Haufwerke der zu untersuchenden Lithologien angelegt. Anschließend wurden entsprechend der LAGA PN 98 [20] Mischproben entnommen. Diese Mischproben wurden luftdicht verschlossen und an ein chemisches Prüflabor geschickt. Hier wurde der Sulfatgehalt im Feststoff entsprechend der DIN EN 196-2: 2013-10 [21] bestimmt. Anhand der so erlangten Erkenntnisse konnte eine Sulfatkonzentration von bis zu 0,7777 M.-% nachgewiesen werden. Während der Maßnahme wurden fortlaufend Rückstellproben entnommen und auf ihren Sulfatgehalt untersucht. So sollte überprüft werden, ob neue Extremwerte erreicht werden, die ggf. einen Handlungsbedarf nach sich ziehen würden. 4. Herstellung der Probekörper Die Herstellung der Versuchskörper erfolgte zunächst durch ein Einmischen von 3 M.-% SR-Zement als Bindemittel gemäß Eignungsprüfung und Reaktion des Bindemittels mit dem Boden für eine Stunde gemäß TP-BF-Stb B 11.1 [22]. Anschließend wurde das Boden-Bindemittelgemisch in einen kreiszylindrischen Oedometerring mit gewählten Innenabmessungen von einem Verhältnis d-/ -l-=-3,5 eingebaut, Der Oedometerring soll dabei ausreichend starr sein und aus korrosionsfreiem, poliertem Metall bestehen. Die Mantelfläche soll glatt und frei von Unregelmäßigkeiten sein. Die Endflächen wurden eben hergestellt und bildeten mit der Prüfkörperachse einen rechten Winkel. Anschließend wurde das Boden-Bindemittelgemische im Oedometer verdichtet und bei Feuchtraumbedingungen für 28 Tage gelagert. Abb. 1: Bodenprobe im Oedometerring 5. Durchführung und Auswertung der Quellhebungsversuche Aufgrund der unterschiedlichen Überdeckungen des eingebauten Boden-Bindemittelgemischs wurden Quellhebungsversuche mit variabler Auflast und kürzerer Beobachtungsdauer und Versuche mit konstanter Auflast und längerer Beobachtungsdauer durchgeführt. Im Quellhebungsversuch wird die axiale Dehnung ε unter einer vorgegebenen konstanten Druckspannung s bestimmt. Die Quelldehnung, die sich unter der versuchstechnisch notwendigen Mindestspannung von s 0 = 5-kN/ m² einstellt wird mit ε q,0 bezeichnet. Die Quellung wird nach dem Abklingen der Setzungen durch die Auflast eingeleitet. Dazu wird die Oedometerzelle langsam mit destilliertem Wasser gefüllt. Die Wasserzufuhr erfolgt über die Filterplatten, die über und unter der Bodenprobe angeordnet sind. Hierbei stellt die Probenhöhe unmittelbar vor Wasserzugabe die Anfangshöhe l 0 dar. Die sich einstellende Axial-Verformung Δl wird in regelmäßigen Abständen, bis zum Abklingen der Verformungen gemessen. 118 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Untersuchung des Langzeitquellens an pyrithaltigen Boden-Bindemittelgemischen im Bahnprojekt Stuttgart 21 Abb. 3: Grafische Darstellung des zeitlichen Verlaufs der Dehnungen im Quellhebungsversuch mit fallenden Auflasten 160 kN/ m², 120kN/ m²/ 80kN/ m², 40kN/ m², 20kN/ m², 5 kN/ m² Abb. 2: Probe in der Versuchseinrichtung Die Dehnung ε ergibt sich als Quotient aus der axialen Quellverformung Δl und der Probenanfangshöhe l 0 : Beim Quellhebungsversuch werden für alle Messungen die Dehnungen ε errechnet und über die Zeit t aufgetragen. 5.1 Quellhebungsversuche mit variabler Auflast Beim Versuch unter abfallenden Auflasten wurden die Lasten jeweils 6 Tage gehalten. Danach wurde die nächstniedrige Laststufe eingestellt. Durch die Wartezeit von 6 Tagen wurde gewährleistet, dass eine mögliche Quellung bereits abgeschlossen ist, bevor eine Laständerung vorgenommen wird. Um die Quellhebung nach erfolgter Entlastung zu ermitteln, wurde zunächst die nach der Entlastung einsetzende Hebung abgewartet. Da diese elastische Rückformung, als größter Verformungsanteil nur wenige Minuten dauert, ist dieser Prozess in Abb. 3 als Sprung zu sehen. Die Quellhebung wird bis zum Zeitpunkt kurz vor der folgenden Entlastung als Dh ermittelt und für die einzelnen Laststufen angegeben. Durch die im Versuch gewählten hohen Auflasten, wurden entsprechend hohe Setzungen hervorgerufen. Bei der Laststufe 160kN/ m² konnte somit keine Quellhebung festgestellt werden. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 119 Untersuchung des Langzeitquellens an pyrithaltigen Boden-Bindemittelgemischen im Bahnprojekt Stuttgart 21 5.2 Langzeit-Quellhebungsversuche Bei den Langzeit-Quellhebungsversuchen wurden zwei gleichartige Proben mit einer konstanten Auflast von 40 kPa beansprucht und zunächst über 22 h ohne Wasserzugabe konsolidiert. Diese Auflast ist repräsentativ für den ca. 2,0 m mächtigen, bindemittelstabilisierten Unterbau der Neubaustrecke. Anschließend erfolgte die Wasserzugabe und die Messung der Quellhebung mit einer Genauigkeit von 1/ 1.000 mm. Langzeit-Quellhebungsversuche wurden in zwei Versuchsreihen mit unterschiedlichen Sulfatgehalten, Bindemittelgehalten und Auflasten durchgeführt, von denen hier nur die Ergebnisse mit höherem Sulfatgehalt vorgestellt werden. In Abb. 4 sind die Ergebnisse der Quellhebungsversuche der zweiten Versuchsreihe mit dem höchsten Sulfatgehalt aufgeführt. In beiden Proben sind keine Quellhebungen zu Beginn der Wasserzugabe messbar. Im Vergleich zum Setzungsverlauf vor der Wasserzugabe ist eine leicht verlangsamte Zunahme der Setzung erkennbar. Nach ca. 5-Tagen nach Wasserzugabe ist bei beiden Proben eine kurzzeitige Hebung feststellbar, bei Probe 1 von 0,04 % und bei Probe 2 von 0,01 %. Diese sind nach ca. 5 bzw. 2 Tagen wieder abgeklungen und die Setzungen schreiten voran. Dieses Verhalten wiederholt sich bei der Probe 1 nach ca. 20 Tagen nach Wasserzugabe nochmals. Auffallend ist, vor beiden Zeitpunkten der kurzzeitigen abnehmenden Setzungen gibt es eine Phase der verstärkten Zunahme der Setzungen. Es treten über den gesamten Beobachtungszeitraum von 49 Tagen nach Wasserzugabe keine Quellhebungen auf. Die Setzungen nach Wasserzugabe liegen bei 0,20 % bzw. 0,18 %. Abb. 4: Gemessene Langzeit-Quellhebungen an zwei gleichartigen Proben im logarithmischen Maßstab Es ist festzuhalten, dass die Versuchsergebnisse der im Labor durchgeführten Langzeit-Quellhebungsversuche nach einer Dauer von 49 Tagen keine Anzeichen einer Quellhebung durch Ettringitbildung zeigen. Es können keine langfristigen, absoluten Quellhebungen festgestellt werden. Die Verwendung eines Zements mit hohem Sulfatwiderstand zeigt sich hiernach als geeignet. Nach Witt [8] geht einer Thaumasitbildung eine Ettringitbildung mit vorangegangenem Quellen voraus. Da in den durchgeführten Langzeit-Quellhebungsversuchen jedoch keine zeitverzögerte Quellhebung zu erkennen ist, die auf eine Ettringitbildung hindeutet, wird auch die beobachtete Setzung nicht auf eine Thaumasitbildung zurückgeführt. Eine Entfestigung der Böden ist in den vorliegenden Versuchsergebnissen nicht zu beobachten. Es ist festzuhalten, dass die hier für den Wiedereinbau vorgesehene Stratigraphie des Psilonotentons den Versuchen folgend nicht zu den anfälligen Geologien gehört, für die ein schädigender Einfluss durch Sulfate zu erwarten ist. Der durch Versuche ermittelte höchste Sulfatgehalt aus 5 Proben des Tunnelausbruchmaterials liegt mit 0,7777 M.-% oberhalb des Grenzwerts von 0,3 M.- %, für den gemäß ZTV E-StB 17 [1] die Eignung besonders zu untersuchen ist, und oberhalb des Grenzwerts von 0,5 M.-%, für den gemäß Knopp [23] von einem mittleren bis hohen Risiko einer Sulfatschädigung auszugehen ist. Dennoch zeigen die Versuche keine relevanten Quellhebungen. 6. Hebungsprognosen und Bauausführung Bei der Bauausführung entsteht neben den klassischen Anforderungen an eine qualifizierte Bodenverbesserung 120 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Untersuchung des Langzeitquellens an pyrithaltigen Boden-Bindemittelgemischen im Bahnprojekt Stuttgart 21 ein zusätzlicher Aufwand beim Einbau von sulfathaltigen Böden mit einem SR-Zement. Diese Mehraufwendungen sind auf verschiedene Themenbereiche zurückzuführen. Als erstes wird es notwendig, das vorhandene Bodenmaterial mit einer repräsentativen Anzahl an Proben hinsichtlich des Sulfatgehaltes zu untersuchen. Hier gilt es zu beachten, dass der Sulfatgehalt durch die Lagerung von Haufwerken infolge der Oxidation von Pyrit mit der Zeit zunimmt. Aus diesem Grund sind die Haufwerke entweder nur sehr kurz zu lagern oder es sind große Haufwerke mit viel Volumen bei verhältnismäßig geringer Oberfläche zu bilden, um so den Oxidationsprozess einzudämmen. Ziel ist es an dieser Stelle, den größten Wert als „Worstcase“ zu ermitteln. Da zum Zeitpunkt der Probenahme für die Sulfatbestimmung noch unklar ist, mit welchem Material tatsächlich die Quellhebungsversuche mit variabler Auflast und die Langzeitquellhebungsversuche durchgeführt werden, muss an jeder Probestelle eine ausreichend große Probenmenge entnommen werden. Während des Einbaus sind fortlaufend, in vorher abgestimmter Häufigkeit weitere Proben zur Kontrolle des Sulfatgehaltes zu entnehmen. Diese Überprüfung hat stets vor dem Einbau des Materials zu erfolgen. Um Schäden zu vermeiden, darf nur ein Material eingebaut werden, bei welchem der Sulfatgehalt unter dem Material der Langzeitquellhebungsversuche liegt. Bei höheren Sulfatgehalten ist ein neuer Langzeitquellhebungs-versuch nötig. Eine exakte Vorplanung, wann welche Massen eingebaut werden und wie viele Sulfatbestimmungen deshalb notwendig werden, ist unerlässlich. Die Überprüfung der Haufwerksgrößen kann mit Hilfe von Drohnen erfolgen. Die Einbaumengen können am Einbauquerschnitt ermittelt werden. Erst nach der fortlaufenden Sulfatkontrolle kann der jeweilige Bereich des Haufwerks bzw. das jeweilige Haufwerk mit dem SR-Zement verbessert und eingebaut werden. Beim Einbau ist zwingend die reduzierte Verarbeitungszeit gegenüber einem Kalk oder Mischbindemittel zu beachten. Insbesondere warme Temperaturen erschweren durch die sehr kurze Verarbeitungszeit den Einbau des Materials. Nur ein ordnungsgemäß abgebundener Zement ermöglicht ein langlebiges Bauwerk, weshalb die Einbauzeiten zwingend einzuhalten sind. Die ermittelten Quellhebungen wurden zurate gezogen, um eine Prognose hinsichtlich des zu erwartenden Einflusses auf den finalen Bahnkörper zu treffen. Hierfür wurde ein fiktiver Querschnitt simuliert, der den Materialparametern entsprach. Unter Berücksichtigung der verschiedenen Lastbedingungen konnte so die maximale zu erwartende Quellhebung bestimmt werden. Da in der höchsten Laststufe (160 kN/ m²) kein weiteres Quellverhalten festgestellt wurde, konnte gezeigt werden, dass in keinem Regelquerschnitt eine unzulässige Hebung von 5-mm zu erwarten ist. 7. Ausblick Mit der Einführung der Ersatzbaustoffverordnung im August 2023 wurden die Maßgaben des Kreislaufwirtschaftsgesetzes in eine länderübergreifende Verordnung gefasst. Hiermit soll die Schonung natürlicher Ressourcen und der Reduzierung von logistisch bedingten CO 2 -Ausstößen forciert werden. Um die Ziele einer Kreislaufwirtschaft zu erreichen, müssen Lücken in der Nachweisführung der bautechnischen Eignung von Böden und veränderlich festen Gesteinen geschlossen werden. In Baden-Württemberg sind beispielsweise in den jurassischen Braun- und Schwarzjura-, sowie in den triassischen Keuper-, Muschelkalk-Gesteinsfolgen häufig Sulfatgehalte von über 0,3 M-% zu verzeichnen, so liegen etwa die dichtest besiedelten Bereiche Baden-Württembergs auf sulfathaltigen Böden und Gesteinen. Um die Wirkungsweise von Ettringit- und Thaumasit- Quellen besser zu verstehen, bedarf es weiterer Forschung. In erster Linie sollten weitere mineralogische Untersuchungen durchgeführt werden. Insbesondere die Auswirkung von unterschiedlichen pH-Werten, klimatische Bedingungen, variierenden Wassergehalten und dem Gesamtchemismus des Boden-Bindemittelgemischs sind zu betrachten. Außerdem müssen weitere bodenmechanische Untersuchungen für variierend zusammengesetzte Boden-Bindemittelgemische (diverse Bindemittelarten und -mengen, Verdichtungsgrade des Probekörpers, Permeabilität bei variierenden Sieblinien) durchgeführt werden, um die Gefährdung von Hebungen besser einschätzen zu können. Literaturangaben [1] Zusätzliche technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Erdarbeiten im Straßenbau: ZTVE- StB 17 Fassung 2017, FGSV-Verlag. [2] Merkblatt über Bodenbehandlungen mit Bindemitteln M BmB, FGSV 551, 2021, FGSV-Verlag. [3] Moormann, Ch., Knopp, J.: Kenngrößen zur Risikoabschätzung des Ettringittreibens von sulfathaltigen Böden in Verbindung mit Bodenbehandlungen. Fachtagung der Gütegemeinschaft Bodenverbesserung und Bodenverfestigung (GBB), 20.01.2015, Kassel, Tagungsunterlagen. [4] Knopp, J.; Moormann, Ch.: Ettringite Swelling in the Treatment of Sulfate-Containing Soils Used as Subgrade for Road Constructions, ICTG 2016, Procedia Engineering, Volume 143, Pages 128-137, 2016. [5] Mulenga, D. M.; Stark, J.; Nobst, P.: Thaumasite formation in concrete and mortars containing fly ash. Proceedings of the First Int. Conf. on Thaumasite in Cementitious Materials, BRE, 2002. [6] Köhler, S.: Thaumasitbildung in Modellsystemen und die Bedeutung des Ettringits. TU München, 2009, http: / / mediatum.ub.tum.de/ node? id=684203. [7] Göske J.; Pöllmann, H.; Wenda, R.: Ettringit- und Thaumasittreiben in Betonwerkstoffen. Beton- und Stahlbetonbau 102, 2007, Heft 5, 321-329. [8] Witt, K.-J.: Wirkungsmechanismen und Effekte bei der Bodenstabilisierung mit Bindemitteln. 8. Erdbaufachtagung, 2012. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 121 Untersuchung des Langzeitquellens an pyrithaltigen Boden-Bindemittelgemischen im Bahnprojekt Stuttgart 21 [9] Witt, K.J.: Reaktionen und Effekte bei der Bodenstabilisierung mit Bindemitteln, VSVI Seminar Nr. 2017. [10] Brameshuber, W.: Sulfatwiderstand von Beton - Auslegung, Prüfung, Ausführung; Institut für Bauforschung der RWTH Aachen. 2014. [11] DIN 4030-2, Beurteilung betonangreifender Wässer, Böden und Gase -, Teil 2: Entnahme und Analyse von Wasser- und Bodenproben; Deutsches Institut für Normung e.V., Beuth-Verlag, 06/ 2008. [12] Krysta, M.; Hecht, T.: Erfahrungen mit Schäden durch Ettringit-/ Thaumasittreiben im Straßenbau. Konstruktiver Ingenieurbau 03/ 2018, S7ff. [13] Knopp, J., Moormann, C.: Ettringittreiben in bindemittelbehandelten, sulfathaltigen Böden. 10. Kolloquium Bauen in Boden und Fels, TAE, Ostfildern 2016, S. 417-422. [14] Ringlein, W.: Erfahrungen mit Bodenverfestigungen und Bodenverbesserungen in Nordbayern in BAST 24. Erfahrungsaustausch über Erdarbeiten im Straßenbau, 1984, S. 25 - 48. [15] Keller, P.; Mosthof, A.; Laptev, V. und Gilde, S.: Gipskeuper: Baugrundrisiken durch Bildung von Ettringit-Thaumasit. Bauen in Boden und Fels 3. Kolloquium TA Esslingen, 2002, S. 387-400. [15] Zusätzliche technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Erdarbeiten im Straßenbau: ZTVE- StB 94 Fassung 1997, FGSV-Verlag. [16] Merkblatt über Bodenverfestigungen und Bodenverbesserungen mit Bindemitteln 2004, FGSV-Verlag. [17] Zusätzliche technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Erdarbeiten im Straßenbau: ZTVE- StB 09 Fassung 2009, FGSV-Verlag. [18] Richtlinie 836 Erdbauwerke und sonstige geotechnische Bauwerke planen, bauen und instand halten, 2013, DB Netz AG. [19] Geyer, O.F., Gwinner, M.P., Geologie von Baden- Württemberg, 5. Auflage, Schweizerbart, Stuttgart, 2011. [20] ARGE Wasser, Umwelt und Geotechnik, Großprojekt Stuttgart 21, PFA 1.3a, Filderbereich mit Flughafenanbindung, Teilabschnitt 1.3a, Neubaustrecke mit Station NBS, 5. EKP - Geologische, hydrogeologische, geotechnische und wasserwirtschaftliche Stellungnahme, Teil 2: Geotechnik (Freie Strecke), 28.12.2017. [21] LAGA PN 98; Richtlinie für das Vorgehen bei physikalischen, chemischen und biologischen Untersuchungen im Zusammenhang mit der Verwertung/ Beseitigung von Abfällen, Länderarbeitsgemeinschaft Abfall, 2004. [22] DIN EN 196-2: 2013-10, Prüfverfahren für Zement - Teil 2: Chemische Analyse von Zement; Deutsches Institut für Normung e.V., Beuth-Verlag, 06/ 2008. [23] Technische Prüfvorschriften für Boden und Fels im Straßenbau, TP BF-StB B 11.1, Teil B 11.1: Eignungsprüfungen für Bodenverfestigungen mit hydraulischen Bindemitteln, FGSV-Verlag, Köln, 2012. [24] Knopp, J., Einfluss des Sulfat- und Bindemittelgehalts auf das Ettringittreiben in Zusammenhang mit Bodenbehandlungen, 34. Baugrundtagung, Beiträge der Spezialsitzung „Forum für Junge Geotechnik-Ingenieure“, Bielefeld, 15.09.2016. Innovationen/ Forschung 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 125 Ergebnisse von aktuellen Forschungsvorhaben zur Bestimmung der Abrasivität von Lockergesteinen Prof. Dr.-Ing. Christoph Budach Technische Hochschule Köln - Fakultät für Bauingenieurwesen und Umwelttechnik, Institut für Baustoffe, Geotechnik, Verkehr und Wasser, Lehr- und Forschungsgebiet Geotechnik und Tunnelbau Dipl.-Ing. Katrin Lipka Technische Hochschule Köln - Fakultät für Bauingenieurwesen und Umwelttechnik, Institut für Baustoffe, Geotechnik, Verkehr und Wasser, Lehr- und Forschungsgebiet Geotechnik und Tunnelbau Prof. Dr.-Ing. Peter Erdmann Technische Hochschule Köln - Fakultät für Anlagen, Energie- und Maschinensysteme, Institut für Bau- und Landmaschinentechnik Prof. Dr. Danka Katrakova-Krüger Technische Hochschule Köln - Fakultät für Informatik und Ingenieurwissenschaften, Institut für allgemeinen Maschinenbau/ Labor für Werkstoffe, Gummersbach Zusammenfassung Die Bestimmung der Abrasivität von Lockergestein ist für die Planung von Tunnelbau- und Spezialtief bauprojekten von hoher Bedeutung. Durch eine möglichst realistische Abschätzung der Abrasivität bzw. dem sich daraus ergebenden Verschleiß an Werkzeugen wird die Planungssicherheit von Bauzeit und -kosten erhöht und somit das Konfliktpotential im Projekt zwischen Auftraggeber und -nehmer reduziert. Aktuell ist eine Klassifizierung von Böden anhand des Abriebwerts A BR , der im sog. LCPC-Versuch gem. französischer Norm NF P 18-579 ermittelt wird, erforderlich. Um die Einflussfaktoren auf die Ergebnisse des LCPC-Versuchs zu untersuchen, wurden an der TH Köln im Lehr- und Forschungsgebiet Geotechnik und Tunnelbau verschiedene Versuchsreihen durchgeführt, bei der Einflussfaktoren variiert und die durch die Norm vorgegebenen Randbedingungen gezielt überschritten wurden. Erkenntnisse aus diesen Versuchen werden im Folgenden vorgestellt. Darüber hinaus wird ein Ausblick auf Untersuchungen im Rahmen des Forschungsrojekts Verschleißreduzierung an Werkzeugen von mobilen Arbeitsmaschinen (VerA) gegeben. Durch die Zusammenarbeit des Lehr- und Forschungsgebiets Geotechnik und Tunnelbau, des Instituts für Bau- und Landmaschinentechnik und des Labors für Werkstoffe der TH Köln werden weitere Versuche zur Bestimmung der Abrasivität bzw. des Verschleißes durchgeführt. Dabei wird das LCPC-Gerät, aber auch das an der TU Wien entwickelte Abrasimeter zum Einsatz kommen. Mittels der an der TH Köln durchgeführten Untersuchungen sollen so wichtige Erkenntnisse für die Praxis in Bezug auf die Abrasivität von Lockergesteinen gesammelt werden. 1. Einführung - Aktuell geltende Regelungen zur Bestimmung der Abrasivität von Lockergesteinen Bei der Planung von Untertagebauarbeiten hat die Abrasivität der zu durchörternden Lockergesteine einen maßgebenden Einfluss auf den Verschleiß und die Auslegung der eingesetzten Werkzeuge sowie auf die Bauzeit- und Kostenermittlung. Um den durch die Abrasivität der Böden bedingten Verschleiß und die dadurch resultierenden Standzeiten der Abbauwerkzeuge abschätzen zu können, werden in der Entwurfs- und Planungsphase geotechnische Parameter, die die anstehenden Böden bezüglich ihrer Abrasivität klassifizieren, herangezogen. Gemäß DIN 18312 [1] sind mit dem aus dem französischen Regelwerk bekannten Test nach NF P 18-579 [2] (umgangssprachlich LCPC-Test genannt) Versuche durchzuführen bzw. Kennwerte anzugeben. Dabei wird der Masseverlust eines Stahlflügels bei Rotation in einer Bodenprobe der Kornfraktion 4,0 mm - 6,3 mm ermittelt, so dass eine Bestimmung des Abriebwerts A BR möglich ist. Basierend auf den Ergebnissen kann eine Klassifizierung nach der Empfehlung Nr. 24 des Arbeitskreises 3.3 der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik (DGGT) in sieben Stufen zwischen „extrem niedrig abrasiv“ und „extrem hoch abrasiv“ erfolgen [3]. Im Rahmen der „Empfehlung zur Auswahl von Tunnelbohrmaschinen“ des Deutschen Ausschusses für Unterirdisches Bauen wird zudem die Angabe eines Abriebwertes empfohlen, der die Bandbreite der Korngröße von 0 mm - 6,3 mm berücksichtigt, um so nicht nur Ergebnisse der sehr begrenzten Kornfraktion des Bodens zwischen 4,0 mm und 6,3 mm zu berücksichtigen [4]. Dieser Wert wird als A BR,0-6,3 bezeichnet. Zudem erarbeitet der Arbeitskreis „Verschleiß und Verklebung“ der DGGT aktuell eine Empfehlung zum Verschleiß, die voraussichtlich vorsieht, dass Böden mit einem Korndurchmesser von 2,0 mm bis 8,0 mm untersucht werden (vgl. [5]). 126 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Ergebnisse von aktuellen Forschungsvorhaben zur Bestimmung der Abrasivität von Lockergesteinen Nach [2] wird auch der Brechbarkeitskoeffizient B R angegeben, bei dem das prozentuale Verhältnis der Masse des untersuchten und durch den Prüfflügel beanspruchten Bodens mit einem Korn < 1,6 mm bezogen auf die Masse der Ausgangsprobe bestimmt wird. 2. Randbedingungen des LCPC-Versuchs Die Abrasivitätseigenschaften eines Lockergesteins bzw. der daraus resultierende Verschleiß sind u. a. von den Parametern Korngrößenverteilung, Kornrundung sowie Mineralogie abhängig. Darüber hinaus haben die Lagerungsdichte, die Umgebungsbedingungen und der Wassergehalt im Boden einen maßgebenden Einfluss. In der folgenden Abbildung 2 verdeutlicht der rot markierte Bereich die Korngrößen 4,0 mm bis 6,3 mm, die als Probenmaterial nach [2] zur Ermittlung des A BR -Wertes aus der gesamten Bodenprobe genutzt werden. Es wird also nur ein Feinkiesanteil untersucht. Größere Körner können gebrochen werden, so dass dieser Bodenanteil nach dem Brechen Korngrößen im Bereich zwischen 4,0 mm und 6,3 mm aufweist. Der Bereich der ursprünglichen Korngröße größer 6,3 mm ist in Abbildung 2 gelb gekennzeichnet. Zudem ist der Bereich zwischen 0 mm und 6,3 mm in grün umrandet, der nach [4] bzw. der Bereich zwischen 2,0 mm und 8,0-mm blau gekennzeichnet, der nach [5] untersucht werden kann. Abb. 1: Maßgebender Korngrößenbereich für den LCPC-Versuch in Abhängigkeit der Vorschrift bzw. Empfehlung (rot und gelb nach [2], grün nach [4] und blau nach [5]) Da zum Beispiel die Lagerungsdichte grobkörniger Böden mit dem LCPC-Versuch nicht gezielt verändert werden kann, wurde seitens der TU Wien ein Abrasimeter entwickelt [6], welches auch im ÖBV-Merkblatt „Merkblatt zur Abrasivitätsbestimmungen von grobkörnigem Lockergestein“ beschrieben ist [7]. Durch die Entwicklung des Abrasimeters der TU Wien können so auch gröbere Kornfraktionen in einer Bodenprobe untersucht werden. Darüber hinaus kann eine Lagerungsdichte sowie das Vorkommen von Wasser oder anderen Medien simuliert werden. Die realen Bedingungen im Baugrund werden damit deutlich besser als im LCPC-Versuch nachgebildet. Neben den genannten Bodenparametern nehmen auch die Randbedingungen der Versuchsdurchführung Einfluss auf die Ergebnisse des LCPC-Versuchs. Das Prüfgerät muss den Vorgaben (z. B. hinsichtlich der Abmessungen des Topfes, Drehgeschwindigkeit, Versuchsdauer, etc.) entsprechen. Außerdem ist die Qualität des Prüfflügels von hoher Bedeutung. Neben den Abmessungen und der Herstellungsweise des Prüfflügels ist auch die Stahlhärte mit HRB 60 - 75 vorgegeben (vgl. [3]). Bislang wurde noch nicht überprüft, inwieweit in diesem Bereich liegende, unterschiedliche Härten des Prüfflügels Einfluss auf den Abriebwert A BR bei Antreffen eines natürlichen Bodens haben. 3. LCPC-Versuche mit Variation der Korngrößenverteilung, der Kornform und der Härte der Prüfflügel 3.1 Versuchsprogramm und verwendete Bodenproben An der TH Köln wurden Bodenproben mit unterschiedlichen Korngrößenverteilungen in zwei Versuchsreihen mittels LCPC-Geräts untersucht. Die ersten Versuche erfolgten bei Variation der unterschiedlichen Böden mit zunächst verfügbaren Prüfflügeln (vgl. [8]), die jedoch nicht die nach [3] geforderten Härten aufwiesen. Bei diesen Versuchen wurde als Größtkorn der zu diesem Zeitpunkt maßgebliche Korndurchmesser von 6,3 mm (gemäß [2] bzw. [4]) berücksichtigt. Bei der zweiten Versuchsreihe wurden für die Untersuchungen normgerecht hergestellte Prüfflügel verwendet. Bei diesen Versuchen wurde zusätzlich der nach [5] vorgeschlagene Korngrößenbereich von 2,0 mm bis 8,0 mm betrachtet (vgl. [9]). Die Bodenproben wurden aus einzelnen Kornfraktionen von Feinsand bis Mittelkies in unterschiedlichen Anteilen zusammengemischt und bestanden gemäß Angabe des Lieferanten mindestens zu 96% aus Quarz, so dass bei gleicher mineralogischer Zusammensetzung die Korngrößenverteilung der untersuchten Böden gezielt variiert wurde. Bei diesen Untersuchungen lagen in der Regel runde Körner vor. Zudem konnte eine Variation durchgeführt werden, in dem diese Körner durch einen Backenbrecher gebrochen wurden. Neben den gezielt variierten Böden wurde auch ein CEN-Sand nach [10] untersucht, um eine normativ festgelegte bzw. hergestellte Korngrößenverteilung zu untersuchen. Nachfolgend sind die Sieblinien der einzelnen Körnungen aufgeführt, die im Rahmen der Untersuchungen genutzt wurden. Durch die Nutzung der Korngrößenverteilungen wurde künstlich hergestelltes Material mit Korndurchmessern zwischen 0,063 mm bis 8,0 mm untersucht (vgl. Abbildung 2). 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 127 Ergebnisse von aktuellen Forschungsvorhaben zur Bestimmung der Abrasivität von Lockergesteinen Abb. 2: Darstellung der in den Untersuchungen genutzten Korngrößenverteilungen Die untersuchten Prüfflügel der ersten Versuchsreihe wurden nach den Versuchen stichpunktartig in der Mitte des Prüfflügels einer Härteprüfung unterzogen und wiesen Härten zwischen HRB 80 und 89 auf. Die Prüfflügel der zweiten Versuchsreihe wiesen nach Herstellerangaben Härten von HRB 66,6 auf, so dass ein Vergleich des Einflusses der Härte des Prüfflügels auf den ermittelten Masseverlust des Prüfflügels möglich war. Zudem wurden bei dieser Versuchsreihe vereinzelt die Härten der Prüfflügel bestimmt. Die Sieblinie der Bodenproben wurde vor und nach dem LCPC-Test durch eine Siebung ermittelt, so dass die Veränderung der Korngrößenverteilung nachvollzogen werden konnte. Auf eine Angabe des Brechbarkeitskoeffizienten B R nach [2] wurde verzichtet, da einige Böden bereits vor dem Versuch Kornfraktionen kleiner 1,6 mm aufwiesen. Aufgrund der Durchführung der Versuche können so Rückschlüsse auf den Einfluss der Korngrößenverteilung, der Kornform und der Härte des Prüfflügels geschlossen werden. 3.2 Versuchsergebnisse Für die durchgeführten Versuche ergaben sich die in der nachfolgenden Tabelle dargestellten Ergebnisse. Dabei ist die jeweilige Korngrößenverteilung bzw. deren Bezeichnung und auch der ermittelte A BR -Wert zu erkennen, wobei dieser Wert als A BR im Bereich zwischen 0,063 mm und 8,0 mm anzusehen ist, da auch Körner kleiner 4 mm (nach [2]) bzw. kleiner 2 mm (nach [5]) untersucht wurden. Ferner ist die Härte der Prüfflügel angegeben, die durch stichpunktartige Messungen ermittelt wurden (1. Versuchsreihe) bzw. aus dem vom Lieferanten zur Verfügung gestellten Qualitätszeugnis oder zusätzlichen Prüfungen (2. Versuchsreihe) hervorgingen. Tab. 1: Ergebnisse ausgewählter Untersuchungen Boden Korngröße [mm] A BR - Wert [g/ t] Härte [HRB] Versuchsreihe [Nr.] Mittelsandiger Feinsand 0,063 - 0,5 24 n. e. 1 Feinsandiger Mittelsand 0,063 - 0,5 20 87 1 Mittelsand 0,125-0,5 48 n. e. 1 Sand 0,063 - 2,0 368 86 1 Mittelsandiger Grobsand 0,125 - 2,0 332 n. e. 1 CEN-Normsand 1 0,08 - 2,0 352 n. e. 1 CEN-Normsand 2 0,08 - 2,0 394 85 1 CEN-Normsand 3 0,08 - 2,0 392 n.e. 1 Grobsand 0,25 - 2,0 410 n. e. 1 feinkiesiger Sand 0,063 - 5,6 880 85 1 feinkiesiger Mittel- und Grobsand 0,125 - 5,6 1020 n. e. 1 grobsandiger Feinkies 0,25 - 5,6 1030 86 1 Feinkies 1 1,0 - 3,2 666 86 1 Feinkies 2 1,0 - 3,2 656 n. e. 1 Feinkies 3 1,0 - 3,2 554 88 1 Feinkies 4-6,3 4,0 - 5,6 1066 89 1 Feinsand 0,063 - 0,25 16 66,6 2 Mittelsand 0,25 - 0,63 6 66,6 2 Grobsand 0,63 - 2,0 470 66,6 2 Feinkies I 2,0 - 4,0 856 66,6 2 Feinkies II 4,0 - 6,3 1246 66,6 2 Feinkies II 4,0 - 6,3 1264 66,6 2 Feinkies II 4,0 - 6,3 1280 66,6 2 Mittelkies 6,3 - 8,0 1454 66,6 2 Fein- und Mittelsand 0,063 - 0,63 14 66,6 2 Mittel- und Grobsand 0,25 - 2,0 496 66,6 2 Feinkies 2,0 - 6,3 1148 66,6 2 Fein- und Mittelkies 4,0 - 8,0 1410 66,6 2 Sand 0,063 - 2,0 468 66,6 2 Grobsand und Feinkies 0,63 - 6,3 1274 66,6 2 Fein- und Mittelkies 2,0 - 8,0 1297 66,6 2 Mittelsand bis Feinkies 0,25 - 6,3 1138 66,6 2 Grobsand bis Mittelkies 0,63 - 8,0 1290 66,6 2 Feinsand bis Feinkies 0,063 - 6,3 1200 66,6 2 Mittelsand bis Mittelkies 0,25 - 8,0 1478 66,6 2 Feinsand bis Mittelkies 0,063 - 8,0 1458 66,6 2 CEN-Normsand 1 0,063 - 2,0 410 65,9 2 CEN-Normsand 2 0,063 - 2,0 422 66,6 2 CEN-Normsand 3 0,063 - 2,0 392 66,6 2 n. e. = nicht ermittelt 128 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Ergebnisse von aktuellen Forschungsvorhaben zur Bestimmung der Abrasivität von Lockergesteinen Mit den normgerecht hergestellten Prüfflügeln wurden Mehrfachmessungen (je drei) sowohl mit dem Feinkies der Korngrößenverteilung zwischen 4,0 mm und 6,3 mm als auch mit dem CEN-Sand durchgeführt. Basierend auf den Ergebnissen bzw. Mittelwerten ergaben sich Standardabweichungen von bis zu 18 g/ t, so dass diese Abweichung in der Regel die Klassifizierung gemäß [3] nicht beeinflusst. Die vom Hersteller angegebene Härte von HRB 66,6 wurde überprüft. Die Ergebnisse der unbenutzten Prüfflügeln lagen mit Härten im Bereich von HRB 65 bis HRB 66 nahe dem vorgegebenen Wert. 3.3 Interpretation der Ergebnisse in Bezug auf die Korngrößenverteilung Die für die Versuche der Versuchsreihe 2 genutzten Sieblinien sind in der nachfolgenden Grafik dargestellt. Die Sieblinien sind dabei entsprechend der aus dem LCPC- Test resultierenden Ergebnisse und der Klassifizierung nach [3] farblich unterschiedlich abgebildet. Der Zusammenhang zwischen Farbwahl und den ermittelten A BR - Werten (A BR,0-8 ) ist der Legende zu entnehmen. Abb. 3: Sieblinien der untersuchten Böden mit farblicher Darstellung der Klassifizierung des Abriebwerts A BR nach [3] im Bereich der Korngrößen zwischen 0,063 mm - 8 mm (in Anlehnung an [8, 9]) Aus den farblich dargestellten Korngrößenverteilungen in Abb. 3 wird deutlich, dass vor allem das in den grobkörnigen Bodenproben vorhandene Größtkorn einen erheblichen Einfluss auf die Klassifizierung der Abrasivität nach [3] hat. So ist zu erkennen, dass die untersuchten sandigen Böden mit einem Größtkorn von 2 mm maximal eine „niedrige“ Klassifizierung erreichen, die grobkörnigen Böden mit einem Größtkorn von 6,3-mm (d. h. maximal Feinkies) eine „sehr hohe“ Klassifizierung und untersuchte Böden mit Anteilen an Mittelkies und einem Größtkorn von 8,0 mm eine Klassifizierung von „extrem hoch abrasiv“ (vgl. Legende in Abb. 3) haben. Nachfolgend sind diese Ergebnisse für die untersuchten Böden tabellarisch zusammenfassend dargestellt (vgl. Tabelle 2). Tab. 2: Klassifizierung der Ergebnisse von mit normgerechten Prüfflügeln durchgeführten Versuchen Größtkorn [mm] Klassifizierung nach [3] < 2 maximal „niedrig“ > 2 mm und < 6,3 mm „sehr hoch“ > 6,3 mm und < 8,0 mm „extrem hoch“ Neben dem Verschleiß des Prüfflügels ist auch die Brechbarkeit des Bodens zu betrachten. Während die Brechbarkeit im Bereich des Feinsandes kaum bis gar nicht bemerkbar ist, da sich die Korngrößenverteilungen vor und nach dem Versuch kaum unterscheiden, ist die Brechung des Probenmaterials während des LCPC-Versuchs bei deutlich grobkörnigeren Böden erkennbar, optisch, wie in Abb. 4 zu sehen ist, aber auch anhand der beispielhaften Sieblinie, siehe Abb. 5. Abb. 4: Bodenprobe 4 mm - 6,3 mm vor und nach dem LCPC-Test Abb. 5: Sieblinien der Bodenproben 4 mm - 6,3 mm vor und nach dem LCPC-Test (in Anlehnung an [9]), blau: Sieblinie vor dem Versuch; rot: Sieblinien nach dem Versuch 3.4 Interpretation der Ergebnisse in Bezug auf die Kornrundung Zur Untersuchung des Einflusses der Kornrundung wurden in der zweiten Versuchsreihe Bodenproben mit den Korngrößen 4,0 mm - 6,3 mm und 6,3 mm - 8,0- mm zusammengestellt. Das Probenmaterial der gebrochenen Körnung wurde vor dem Sieben mithilfe eines Backenbrechers erzeugt und von Hand sortiert. Zudem wurden die Proben mit runden Körnern aus den zur Verfügung gestellten Kornfraktionen in Anlehnung an DIN EN 933- 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 129 Ergebnisse von aktuellen Forschungsvorhaben zur Bestimmung der Abrasivität von Lockergesteinen 5 sortiert [10]. Abbildung 6 zeigt die zwei Bodenproben mit der gleichen Korngröße 6,3 mm - 8,0 mm, jedoch mit unterschiedlichem Rundungsgrad: links ausschließlich gebrochene Körner, rechts vollständig gerundete Körner. Abb. 6: Optischer Vergleich von gebrochener Körnung und gerundeter Körnung gleicher Korngröße [9] Die Ergebnisse der LCPC-Versuche sind in nachfolgender Tabelle dargestellt. Dabei wird zwischen den vollständig gebrochenen Körnungen, den runden Körnungen und hinsichtlich der Korngrößenverteilung unterschieden. Tab. 2: Ergebnisse ausgewählter Untersuchungen nach [9] Boden Korngröße [mm] A BR -Wert [g/ t] Rund 1 4,0 - 6,3 1044 Rund 2 6,3 - 8,0 1274 Gebrochen 1 4,0 - 6,3 1398 Gebrochen 2 6,3 - 8,0 1718 Der direkte Vergleich der Ergebnisse der Versuche mit gebrochener und gerundeter Körnung bei gleicher Korngröße und gleichem Quarzanteil zeigt, dass der A BR -Wert bzw. die Abrasivität eines Bodens stark von dem Rundungsgrad der Körnung abhängig ist. So lag der ermittelte A BR -Wert beim gebrochenen Korn um bis zu ca. 35-% höher als beim runden Korn gleicher Korngröße, so dass sich infolge der Ergebnisse auch eine andere Klassifizierung nach [3] ergeben kann. 3.5 Prüfflügel In den o. g. zwei Versuchsreihen wurden Prüfflügel aus zwei verschiedenen Lieferchargen mit unterschiedlichen Härten verwendet. Wird ein härterer Prüfflügel eingesetzt, so ist der Verschleiß dieses Prüfflügel üblicherweise geringer als bei einem Prüfflügel mit geringerer Härte. Die Unterschiede in den Ergebnissen des Abriebwerts sind bei Untersuchung des gleichen Bodens (z. B. Normsand) zu erkennen (vgl. Tabelle 1). Während bei den Prüfflügeln mit hoher Härte (hier bei einem Versuch HRB 85) beim Normsand Abriebwerte zwischen 352 g/ t und 394 g/ t bzw. einem Mittelwert von ca. 379 g/ t erzielt wurden, lagen die Ergebnisse der Untersuchungen mit Prüfflügeln mit geringerer, aber normgerechter Härte zwischen 392 g/ t und 422 g/ t bei einem Mittelwert von 408 g/ t. Hier wurde bei einem Prüfflügel die Härte von HRB 65,9 bestimmt. Aufgrund dessen kann von einem Unterschied von ca. 7 % bei den Ergebnissen aufgrund der Wahl eines unterschiedlichen Prüfflügels bei dem betrachteten Boden in diesem Härtebereich ausgegangen werden. Es kann gefolgert werden, dass je höher die Härte des Prüfflügels ist, desto geringer ist der Abrieb und desto niedriger fällt das Ergebnis für den Abriebwert aus. 3.6 Erkenntnisse aus den durchgeführten Untersuchungen Anhand der durchgeführten Untersuchungen ist zu erkennen, dass es bei grobkörnigen Böden einen klaren Zusammenhang zwischen dem Größtkorn des untersuchten Bodens und dem Ergebnis des LCPC-Versuchs bzw. der Klassifikation nach [3] gibt. Zudem hat die Kornform einen erheblichen Einfluss auf das Ergebnis des Versuchs. Daher sollte zukünftig auch die Kornform der in den Versuchen genutzten Böden vermerkt werden. Es sollte abgeschätzt werden, inwieweit sich Ergebnisse des LCPC-Tests aufgrund anderer im Projekt auftretenden Kornformen, die auch durch einen verfahrenstechnischen Einfluss bedingt sein können, verändern. Erste Vergleichsuntersuchungen mit unterschiedlichen, aber ähnlichen Härten der Prüfflügel zeigten nur geringe Unterschiede in den Ergebnissen. Welchen Einfluss eine Variation der in der Vorschrift festgelegten Härte zwischen HRB 60 - 75 z. B. bei einem Boden mit der Korngrößenverteilung von 2 mm - 8 mm auf die Ergebnisse hat, wurde noch nicht untersucht. Aufgrund unterschiedlicher Versuchsrandbedingungen und für Vergleichszwecke erscheint es sinnvoll, dass auch bei den Ergebnissen Bezeichnungen gewählt werden, aus denen die Randbedingungen hervorgehen. So bietet sich eine Bezeichnung als A BR bei Nutzung der Kornfraktion von 4,0 mm bis 6,3 mm, als A BR,0-6,3 bei Nutzung der Kornfraktion von 0 mm bis 6,3 mm bzw. als A BR,2-8 bei Nutzung der Kornfraktion von 2,0 mm bis 8,0 mm an (nach [5]). 3.7 Geplante Untersuchungen mit dem LCPC-Test Im Hinblick auf die durchgeführten Versuche mit dem LCPC-Test besteht weiterhin Forschungsbedarf. So sollen in weiteren Versuchen Böden mit unterschiedlicher Mineralogie untersucht werden, um die Ergebnisse in Abhängigkeit der dominierenden Mineralogie bzw. des Äquivalenten Quarzgehalts aufzuzeigen. Zudem soll der Einfluss der Kornform weiter untersucht werden. So sollen Untersuchungen durchgeführt werden, bei denen der Anteil an gebrochenen Körnern variiert wird. Es wurden Untersuchungen mit Prüfflügeln unterschiedlicher Härte und einem CEN-Sand durchgeführt. Zukünftig sollen mit Böden mit Korndurchmesser > 2 mm und Prüfflügeln mit gezielt variierten Härten aus dem Bereich gemäß [2] bzw. darüber hinaus Versuche durchgeführt werden, um die bisher ermittelten Ergebnisse zu verifizieren. 130 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Ergebnisse von aktuellen Forschungsvorhaben zur Bestimmung der Abrasivität von Lockergesteinen Zusätzlich soll in Anlehnung an [11] überprüft werden, ob unterschiedliche Medien im LCPC-Versuch genutzt werden können. 4. Geplante Untersuchungen zur Bestimmung der Abrasivität von Lockergesteinsböden bzw. des Verschleißes von Abbauwerkzeugen 4.1 Forschungsprojekt Verschleißreduzierung an Werkzeugen von mobilen Arbeitsmaschinen (VerA) Im Sommer 2023 begann an der TH Köln das bis 2025 laufende Forschungsprojekt „VerA“ (Verschleißreduzierung an Werkzeugen von mobilen Arbeitsmaschinen), das durch die interdisziplinäre Forschung der Fachbereiche Geotechnik und Tunnelbau, Simulation in der Bau- und Landmaschinentechnik sowie der Werkstofftechnik neue Erkenntnisse über die Bestimmung der Abrasivität von Lockergesteinen aufzeigen soll. Bei diesem Forschungsprojekt werden verschiedene Versuche mit dem LCPC- Gerät und erstmalig auch in Deutschland Versuche mit dem an der TU Wien entwickelten Abrasimeter durchgeführt. Zudem werden unterschiedliche Werkstoffe eingesetzt. Auf Basis bisheriger Untersuchungen erfolgt eine Simulation des LCPC-Tests (vgl. [12]). Auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse wird ein Versuchsstand in den Laboren des Instituts für Bau- und Landmaschinentechnik entwickelt, in dem ein Verschleißprozess an einem Werkzeug unter realen Bedingungen nachgebildet werden kann. Der Ablauf des Forschungsprojekts ist in nachfolgender Abbildung dargestellt. Abb. 7: Ablauf des Forschungsprojekts VerA (Verschleißreduzierung an Werkzeugen von mobilen Arbeitsmaschinen) Ziel des Forschungsprojekts VerA ist die Entwicklung einer Methodik, mit der die Abrasivität von Böden genauer beschrieben werden kann. Darüber hinaus sollen Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen der Abrasivität des Bodens und dem Verschleiß von Abbauwerkzeugen gewonnen werden, um Werkzeuge für den Erdbau, Spezialtief bau oder den Tunnelbau zu optimieren. 4.2 Ringversuch LCPC Um die Ergebnisse des LCPC-Test zukünftig besser bewerten zu können, führt das Lehr- und Forschungsgebiet Geotechnik und Tunnelbau in Kooperation mit dem Arbeitskreis 1.11 „Verschleiß und Verklebung“ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik (DGGT) einen Ringversuch mit LCPC-Geräten für Lockergestein durch. Bei diesem Ringversuch sollen die Einflüsse bei der Durchführung ermittelt werden, indem insgesamt jeweils neun LCPC-Versuche bei den teilnehmenden Instituten bzw. Firmen mit zwei unterschiedlichen Böden bei Verwendung von eigenen und gestellten Prüfflügeln durchgeführt werden. Ergänzend dazu wird den Teilnehmern ein Fragebogen zur Verfügung gestellt. Die Ergebnisse des Ringversuchs sollen mit anonymisierten Daten veröffentlicht werden. Der Ringversuch soll so Planern, Auftraggebern und Auftragnehmern helfen, die Ergebnisse des LCPC-Versuchs aufgrund der Durchführung besser bewerten bzw. einordnen zu können. Firmen bzw. Institute, die an dem Ringversuch teilnehmen möchten, können sich bei den Autoren melden. 5. Ausblick Durch die Untersuchungen an der TH Köln im Lehr- und Forschungsbereich Geotechnik und Tunnelbau sowie im Rahmen des interdisziplinären Forschungsvorhabens „VerA“ (Verschleißreduzierung an Werkzeugen von mobilen Arbeitsmaschinen) werden die Forschungsaktivitäten bzgl. der Beschreibung der Abrasivität von grobkörnigen Böden und des Verschleißes von Abbauwerkzeugen weiter verstärkt. Die Forschungsaktivitäten in diesem Bereich sollen an der TH Köln verstetigt werden, so dass die Untersuchungen an der TH Köln helfen, den Baugrund bestmöglich beschreiben und geeignete Werkzeuge auswählen zu können. Literatur [1] DIN 18312: 2019-09 (2019). VOB Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen - Teil C: Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ATV) - Untertagebauarbeiten. [2] AFNOR - NF P 18-579 (2013). Granulats - Détermination des coefficients d‘abrasivité et de broyabilité (Gesteinskörnungen - Bestimmung der Koeffizienten der Abrasivität und Mahlbarkeit) [3] Käsling, H.; Düllmann, J.; Plinninger, R. J. (2022) Bestimmung der Abrasivität von Festgesteinen mit dem LCPC-Versuch - Empfehlung Nr. 24 des Arbeitskreises 3.3 - Versuchstechnik Fels - der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e. V. geotechnik 45, H. 2, S. 117-121. [4] Deutscher Ausschuss für Unterirdisches Bauen (DAUB) (2021): Empfehlung zur Auswahl von Tunnelbohrmaschinen [5] Feinendegen, M., Babendererde, T., Drucker, P., Holzhäuser, J., Langmaack, L., Richter, A. (2023): 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 131 Ergebnisse von aktuellen Forschungsvorhaben zur Bestimmung der Abrasivität von Lockergesteinen Empfehlung(en) „Verschleiß und Verklebung im Lockergestein“ ein erster Ausblick, Tagungsband zu Fachsektionstage Geotechnik der DGGT, S. 268 - 273 [6] Drucker, P (2013): Über die Abrasivität von Lockergestein und den Werkzeugverschleiß im Spezialtiefbau, Dissertation, Wien, 2013. [7] Österreichische-Bautechnik-Vereinigung (2013): „Merkblatt zurAbrasivitätsbestimmungen von grobkörnigem Lockergestein“, ÖBV-Merkblatt, Wien [8] Budach, C.; Katrakova-Krüger, D.; Siebert, B.; Erdmann, P.: Untersuchungen zur Bestimmung der Abrasivität von grobkörnigen Böden im maschinellen Tunnelbau, 63. Tribologie-Fachtagung Themenschwerpunkt: Erdbohrungen und Tunnelbau [9] Brungs, L. (2023). Untersuchungen zur Abrasivität grobkörniger Böden im Kontext der aktuellen Normung und Empfehlungen (unveröffentlichte Bachelorarbeit im Fachbereich Geotechnik und Tunnelbau). Technische Hochschule Köln, Köln. [10] DIN EN 933-5: 2023-01 (2023): Prüfverfahren für geometrische Eigenschaften von Gesteinskörnungen - Teil 5: Bestimmung des prozentualen Anteils an gebrochenen Körnern in groben Gesteinskörnungen und Gesteinskörnungsgemischen. [11] Feinendegen, M., Ziegler, M. (2018): Zur Aussagekraft des LCPC-Versuchs für die Festlegung von Homogenbereichen, Geomechanics and Tunnelling 11, S. 113 - 122 [12] Erdmann, P.; Budach, C.; Katrakova-Krüger, D.; Siebert, B.: Untersuchungen zur Bestimmung der Abrasivität von grobkörnigen Böden im maschinellen Erd- und Tunnelbau, Fachtagung Baumaschinentechnik 2022 in Dresden, Tagungsband, S. 305 - 323 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 133 Thermisches Verfahren zur Verhinderung von Anhydritquellungen Dipl.-Geol. Uwe Dannwolf, B. Sc. RiskCom GmbH, Kochel am See Heiner Fromm Dr. Spang GmbH, Frankfurt/ Main Zusammenfassung Anhydrit kann durch Wasserzutritt und chemische Umwandlung zu Gips sein Volumen um bis 61 % vergrößern. Hieraus können z. B. große Hebungen um mehrere Dezimeter an der Oberfläche oder sehr große Belastungen auf unterirdische Bauwerke resultieren. Anhydrit gehört damit zu einem der kritischsten Gesteine im Untertagebau und kann bei Nichtbeachtung zu Schäden, Nutzungseinschränkungen und hohen Sanierungsosten oder zu aufwändigen, kostenintensiven Präventivmaßnahmen (z. B. Acrylatgelinjektionen) führen Bekannte Faktoren, die die Quellung von Anhydrit neben dem Wasserzutritt beeinflussen, ist der Kristallisationsdruck. Hoher Druck z. B. Überlagerungsdruck, zusätzliche Spannungen oder ein negativer Porenwasserdruck verändern die chemischen Gleichgewichte zwischen Anhydrit und Gips. Wesentlich ist aber die Gebirgstemperatur, da sich bei Temperaturen von 49 °C der Umwandlungsprozess verlangsamt und zum Stillstand kommt. Diese Temperaturabhängigkeit wurde im Rahmen einer aktuellen, privatwirtschaftlich finanzierten Forschungsarbeit durch systematische Quellexperimente erforscht, um den Zusammenhang zwischen der Volumen-Änderung während der Anhydrit/ Gips-Transformation in Abhängigkeit der Umgebungstemperatur zu quantifizieren. Durch eine einmalige Installation von externen Wärmequellen wie z. B. Heizlanzen, Heizplatten oder flächig verlegten Heizdrähten kann der Untergrund so beeinflusst werden, dass eine weitere Umwandlung von Anhydrit in Gips gestoppt oder von vornherein verhindert wird. Die Art der Wärmeeinbringung sowie das Heizverfahren zur Verhinderung von Anhydritquellungen ist seit 2014 patentiert (Nummer DE102014213056). Anwendungsmöglichkeiten sind z. B. Tunnelanlagen (Bestand und Neubau) sowie Autobahnen und Brückengründungen aber auch Hebungen im Zusammenhang mit undichten Geothermiebohrungen. Beim beschriebenen Verfahren handelt sich um eine insbesondere bei Nutzung von erneuerbaren Energien - ressourcenschonende Lösung zur Vermeidung von Gipshebungen und den damit verbundenen Schadens- und Reparaturkosten. 1. Einführung 1.1 Ausgangssituation und Motivation Sulfathaltiges Tongestein, das sogenannte Anhydrit, gehört wegen seiner eklatanten Quellfähigkeit zu einem der kritischsten Gesteine im Untertagebau. Unzählige im Gipskeuper errichtete Bauwerke erleiden kostspielige Schäden, deren Sanierungsmaßnahmen oft äußerst zeitaufwändig und mitunter nur temporär sind. In Europa sind vor allem Tunnelbauwerke im Jura in der Schweiz und in Frankreich sowie im Großraum Stuttgart in Süddeutschland von Quellhebungen betroffen [1]. Weitere prominente, sanierungsanfällige Bauwerke sind u. a. folgende Tunnel: • Wagenburg-Tunnel Stuttgart (> 100 cm Hebungen) • Engelbergbasistunnel Leonberg (>130 cm Hebungen) • Zudem gilt der Autobahneinschnitt Oberndorf (A81) mit 200 cm Hebung als regelmäßiger Sanierungsfall. Ein prominentes Beispiel ist die badische Gemeinde Staufen, in welcher durch Geothermiebohrungen Hebungsrisse auftraten. Weitere Beispiele aus der flachen Geothermie finden sich in Böblingen, Leonberg und im Kreis Hohenlohe. Bei Tunneln sind es insbesondere Sohlhebungen, hervorgerufen durch Anhydrit bedingte Quellungen, die innerhalb kurzer Zeiträume, sogar bereits während der Bauausführung, auftreten können. In der Regel aber erfolgen kritische Hebungen im Sohlgewölbe erst über lange Zeiträume. Obwohl das Phänomen bereits seit über 150 Jahren bekannt ist, liegen bislang nur wenig publizierte Untersuchungen bezüglich der Quellung anhydritischer Tongesteine vor. Erwähnenswert sind hier die Veröffentlichungen von [2], [3], [4], die sich mit dem System CaSO4 - H2O befassten, allerdings unterschiedliche Ergebnisse produzierten. Zum Beispiel konnte bei diesen sowie weiteren Untersuchungen [5] die Übergangstemperatur von Gips zum Anhydrit nicht exakt definiert werden; es wurden Übergangstemperaturen von Anhydrit zu Gips zwischen 38 °C und 63,5 °C publiziert. Ausgehend von einer Umwandlungstemperatur von 58 °C wurden von uns Bemühungen unternommen, um die Problematik zu verstehen. Die folgenden qualitativen Schlussfolgerungen werden jedoch in der Literatur allgemein akzeptiert: 134 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Thermisches Verfahren zur Verhinderung von Anhydritquellungen • eine Druckerhöhung erhöht die Gleichgewichtskonzentrationen von Anhydrit und Gips in unterschiedlichem Ausmaß [6], [7]; • die Anwesenheit von Salzen wie NaCl in der Lösung beeinflusst sowohl die Gleichgewichtskonzentrationen als auch die Temperatur, bei der Anhydrit und Gips koexistieren [8], [13]; • die Aktivitätszahl des Wassers beeinflusst die Umwandlungstemperatur. So steigt bei steigenden Aktivitätszahlen auch die Umwandlungstemperatur; • die Anhydrit-Gleichgewichtskonzentration nimmt mit steigender Temperatur ab, während sich die Gips- Gleichgewichtskonzentration nur geringfügig mit der Temperatur ändert [9], [10], [11]. 2. Zielsetzung, Grundlagen 2.1 Zielsetzung Ziel unserer Untersuchungen ist es, baupraktikable Lösungen zu entwickeln und anhydritbedingte Quellhebungen in zukünftigen oder bestehenden Bauwerken durch Temperaturerhöhung des Untergrunds zu reduzieren. Dazu waren zunächst oben genannte Wissenslücken im Forschungsgebiet der Anhydritquellung im Zusammenhang mit der Temperatur durch experimentell angelegte Untersuchungen zu schließen. Es wurden dazu systematische Quellexperimente mit dem Ziel durchgeführt, den Zusammenhang zwischen der Massen- (oder Volumen-)Änderung während der sogenannten Anhydrite to Gypsum Transformation (im folgenden AGT genannt) zu quantifizieren. Das quantitative Verständnis eines solchen Zusammenhangs liefert eine Grundlage für die konzeptionelle Gestaltung einer neuartigen Methode zur Unterdrückung der AGT bei unterirdischen Bauwerken. 3. Grundlagen a. Mechanismen und Prozesse im Zusammenhang mit quellenden Tonsulfatgesteinen In natürlichen sulfathaltigen Tonsteinen können zwei Quellvorgänge gleichzeitig auftreten, zum einen durch physikalische Quellung und zum anderen durch AGT [13]. Während die Tonmatrix zu einer schnellen Quellhebung beiträgt, ist die Hydratation von Anhydrit im Gestein hingegen ein eher langsamer Prozess. Im ungestörten Zustand, wie bei Bohrkernen nach längerer Lagerung bei konstanter Temperatur und Luftfeuchtigkeit, befinden sich die Gesteinsproben in einem thermodynamischen Gleichgewicht. Da die Tonpartikel hydrophil also wasseranziehend sind, ändert sich der Sättigungsgrad einer Probe bei Benetzung oder vollständigem Eintauchen in Wasser rasch, was zu einer Verringerung des negativen Porenwasserdrucks und damit zu einer Dekompression der Probe führt, d. h. es kann eine schnelle Anfangsdehnung beobachtet werden. Die AGT kann nicht von Anfang an stattfinden, da die Gleichgewichtskonzentration von gelösten Calcium- und Sulfationen erst die des Gipses erreichen muss, sodass der Gips auszufallen beginnt (siehe Abbildung 1). Damit AGT auftreten kann, muss die Tonmatrix Wasser aufnehmen (durch mechanische Quellung aufgrund der Verringerung des negativen Porenwasserdrucks), sodass es mit den Anhydritpartikeln in Kontakt kommen kann. Daher kann das schnelle anfängliche Quellungsphänomen auf die Quellung des Tons zurückgeführt werden, während die Tonmatrix das für die AGT verwendete Wasser liefert [12]. Abb. 1: a) physikalische Tonquellung durch Hydratation der Tonplättchen. b) chemische Sulfatquellung (AGT). (nach Butscher et al. 2015) 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 135 Thermisches Verfahren zur Verhinderung von Anhydritquellungen b. Gleichgewichtskonzentrationen von Anhydrit und Gips Die Gleichgewichtskonzentrationen von Anhydrit und Gips sind vom Einfluss von gelösten Salzen (Aktivitätszahl), der Spannung und dem auf das Gestein wirkenden Porenwasserdruck sowie insbesondere von der Temperatur abhängig. Thermodynamische Berechnungen erfolgten durch Serafeimidis und Anagnostou [13]. Hier wurden die Gleichgewichtskonzentrationen von Anhydrit und Gips unter den Annahmen von destilliertem Wasser (keine Fremdionen), atmosphärischen Bedingungen, neutralem Porenwasserpotenzial und Nullspannung, die auf die Partikel wirkt, berechnet. Die Ergebnisse sind in Abbildung 2 für einen Temperaturbereich dargestellt, der für die in dieser Arbeit verwendeten Laborbedingungen relevant ist (d. h. 25-50 °C ). Abb. 2: Gleichgewichtskonzentrationen von Anhydrit und Gips in Abhängigkeit von der Temperatur (nach Serafeimidis und Anagnostou, 2014b). Es ist aus Abbildung 2 zu erkennen, dass die Gleichgewichtskonzentration von Gips zwischen den Temperaturen von 0 °C und 60 °C geringfügig ansteigt (d. h. von ca. 15,0 mol/ m³ auf ca. 16 mol/ m³), während die Gleichgewichtskonzentration von Anhydrit von ca. 33 mol/ m³ bei 0 °C auf ca. 14 mol/ m³ bei 60 °C sinkt. Beide Gleichgewichtskonzentrationen schneiden sich bei ca. 16 mol/ m³ bzw. bei 49,5 °C, was als Übergangstemperatur für diese Bedingungen angesehen wird (Schnittpunkt zwischen der Löslichkeitskurve von Anhydrit bzw. Gips in Abbildung 2). Diese theoretische Ableitung galt es nunmehr experimentell zu bestätigen. 4. Versuchsaufbau: Material, Vorbereitung, Durchführung Für die Untersuchungen des temperaturabhängigen Quellverhaltens wurden natürliche Gesteinsproben verwendet. Die Probekörper stammen aus Bohrkernen eines Tunnelartigen Bauwerks (im folgenden HN genannt), einer Gipsabbaugrube in Obrigheim (Neckar-Odenwald- Kreis) und aus Bohrkernen und Cuttings der Stadt Staufen (Breisgau-Hochschwarzwald). Das Probenmaterial bestand hauptsächlich aus Ton und Anhydrit. Für alle Versuche zur Untersuchung des temperaturabhängigen Quellverhaltens wurden oben genannte Proben zu Pulver gemahlen und homogenisiert. Dies erfolgte, um Unsicherheiten durch inhomogene Zusammensetzungen innerhalb der Bohrkerne zu reduzieren, die Reproduzierbarkeit (durch Einhaltung gleicher Probenvorbereitungs- und Prüfverfahren) zu gewährleisten und den Quellprozess durch AGT von dem durch Ton weitestgehend zu isolieren. Bei der Probenvorbereitung wurde das gemahlene Material in einen Stahlring mit 7 cm Durchmesser und 2 cm Höhe eingebracht und durch ein Proctorhammer á zehn Schlägen in drei Durchläufen mit gleicher Axialkraft bis 1 MPa zu zylindrischen Scheiben verdichtet. Diese Scheiben verblieben in den Stahlringen, in denen sie verdichtet wurden und wurden in Ödometerzellen eingebaut. Die Proben wurden dann im trockenen Zustand in ein Wasserbecken mit einer konstanten Temperatur eingelassen. Um Temperaturnester zu vermeiden, wurde das Wasserbecken mittels Tauchsieder und integrierter Umwälzpumpe vorgeheizt und zum Zirkulieren gebracht. Im Anschluss wurden die Proben mit entionisiertem Wasser gewässert, womit der eigentliche Quellversuch begann. Dabei wurde die axiale Quelldehnung jeder Probe, mittels Messschieber gemessen und dokumentiert. Quellungsmessungen wurden gemäß Ableseintervall nach DIN EN ISO 17892-5 durchgeführt. Der Versuchsauf bau wird in Abbildung 3 gezeigt. Die Versuche wurden beendet, indem die Probekörper aus der Apparatur herausgenommen wurden. Unmittelbar nach der Entnahme wurden die Proben gewogen. Abb. 3: Versuchsauf bau der Ödometermessungen im Wasserbecken 5. Ergebnisse Eine Reihe Ödometertests wurde bei 53,5 ºC im Wasserbecken durchgeführt. Anfänglich trat hier die physikalisch bedingte Quellung sofort ein und war binnen 2 Stunden vollständig abgeschlossen. 136 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Thermisches Verfahren zur Verhinderung von Anhydritquellungen Abb. 4: Ödometerquellversuch bei 53,5 °C zur Unterscheidung zwischen Ton- und Anhydritquellung Zur Bestimmung der Übergangstemperatur wurde die Temperatur im Wasserbecken in einem Intervall von ca. 24 Stunden auf 52 ºC, 51 ºC, 49,5 ºC und schließlich auf 49 ºC abgesenkt. Im Bereich von 53,5-49,5 ºC war keine axiale Quelldehnung zu beobachten. Bei weiterem Absenken auf 49 ºC trat nach ca. 20 Stunden auf dieser Temperaturstufe eine Quelldehnung von 0,01 mm ein, was darauf schließen lässt, dass die AGT bei dieser Übergangstemperatur von 49-49,5 ºC einsetzt. Diese Übergangstemperatur entspricht den thermodynamischen Berechnungen von Serafeimidis und Anagnostou (2014b) sowie Innorta et al. (1980). Weitere Langzeitversuche wurden mit verschiedenen Temperaturstufen durchgeführt wie Abbildung 5 aufzeigt. Insgesamt nehmen die absoluten Hebungen sowie die Quellsteigung mit steigender Temperatur ab; ab 49 °C finden keine Hebungen mehr statt. Abb. 5: Ödometermessungen in Abhängigkeit der Temperatur Abb. 6: Verlangsamung der Quellungsrate Vergleicht man die einzelnen Temperaturstufen so lässt sich feststellen, dass ein Anstieg der Gesteinstemperatur auf ca. 41-43 ºC die Quellungsrate halbieren würde, während eine Temperatur von 45-47,5 ºC die Quellung um den Faktor 10 verlangsamt (siehe Abbildung 6). Daraus schlussfolgern wir: • Die Quellung von Anhydrit bleibt oberhalb einer Temperatur von ≥ 49,5 ºC aus; • Die Quellungsrate verlangsamt sich und Quellungsdruck verringert sich bei Erwärmung auf <49,5 ºC; • Eine Gesteinstemperatur von <49,5 ºC führt zwar zu Energieeinsparungen, aber erreicht nur eine Verlangsamung des Quellungsprozesses. 6. Umsetzung der Ergebnisse an einem Beispielbauwerk Tunnel Die Umsetzung der Forschungsarbeiten dient auch als Grundlage zur Implementierung (Planung und Ausführung) des patentierten Verfahrens der künstlichen Bodenerwärmung bei Tunnelbauwerken im quellfähigen Gestein. Dazu wurde ein beispielhafter Tunnelquerschnitt ausgewählt (siehe Abbildung 7) und eine thermische 2 D Berechnung mittels Geoslope’s Temp/ w Software durchgeführt. Sowohl eine stationäre und eine instationäre Simulation von vertikal eingebrachten Heizelementen wurde durchgeführt. Es wurde dabei der Heizelementabstand zwischen 5 und 20 m variiert, wobei sich ein 10 m Horizontalabstand zwischen den Heizelementen als praktikabel darstellt. Abb. 7: Skizze zur Implementierung von Heizelementen in einem Tunnelquerschnitt Bei diesem Abstand zeigt sich, dass bereits nach ca. 60 Tagen die Anhydritschicht auch zwischen den Heizelementen weitgehend auf Temperaturen größer 40 °C aufgeheizt hat. Nach einem Jahr Betriebszeit ist die Wärmeausbreitung umfassend groß, so dass die Hebungen zum Erliegen kommen. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 137 Thermisches Verfahren zur Verhinderung von Anhydritquellungen Abb. 8: Temperaturausbreitung nach 60 Tagen Heizzeit in der Heizelementebene Abb. 9: Temperaturausbreitung nach 365 Tagen Heizzeit in der Heizelementebene Daraus ergibt sich zur Schadensabwehr ein kontinuierlicher Heizbetrieb mit einem Energieverbrauch von ca. 78.000 kWh/ Jahr. Für einen Bereich 1.000 m² (z. B. Testfeld) sind lediglich neun Heizelemente notwendig. Es gibt verschiedene Wärmequellen, die sich prinzipiell für den Einbau in Tunnel eignen (siehe Abbildung 10) Abb. 10: verschiedene Wärmequellen zum Einbau in Tunneln 138 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Thermisches Verfahren zur Verhinderung von Anhydritquellungen Die mit der Einbringung und dem Betrieb von Wärmequellen verbundenen Installations- und Betriebskosten sind um ein Vielfaches geringer als aufwändige Sanierungsarbeiten. Der Einbau von Wärmequellen ist von kurzer Dauer und bei laufendem Betrieb möglich. Insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Bestrebung zur Vermeidung der „grauen Energie“ bei der Erstellung von Bauwerken sehen wir in der hier skizzierten Lösung eine charmante, ressourcenschonende, alternative Lösung zur Vermeidung von Gipshebungen und Vermeidung von Schadens- und Reparaturkosten. Sie zeichnet sich durch niedrige Capex-Kosten und niedrige Risikokosten aus. Die Kosten für den Betrieb der Schadensabwehr sind überschaubar und lassen operationell abdecken. Insgesamt ergibt sich eine signifikante Reduktion von bilanziellen Rückstellungen. Je mehr erneuerbarer Strom in der Umgebung vorhanden ist, desto nachhaltiger ist die hier vorgestellte Alternativlösung. Literatur [1] Amstadt und Kovári (2001): Untertagbau in quellfähigem Fels. ETHZ Forschungsauftrag 52/ 94 auf Antrag des Bundesamtes für Strassen (ASTRA). IGT, ETH Zürich. [2] van’t Hoff J.H., Armstrong E.F., Hinrichsen W., Weigert F., Just G. (1903): Gips und Anhydrit. In: Zeitschrift für Physikalische Chemie, Vol. 45; pp. 257-306. [3] Hardie, L.A. (1967): The Gypsum-Anhydrit Equilibrium at one atmospheric pressure, The American Mineralogist, Vol 52, Jan-Feb 1967. [4] Nagra (1979): Anhydrit als Wirtgestein ür die Endlagerung radioaktiver Abfälle in der Schweiz, Technischer Bericht 12. [5] Berdugo, I., E. Romero, M. Saaltink & M. Albis: On the behaviour of the Ca-SO4-H2O system. Rev. Acad. Colomb. Cienc. 32(125): 545-557, 2008. [6] MacDonald, G. J. F. 1953. Anhydrite-gypsum equilibrium relations. Am. J. of Science, Vol. 251. [7] Rolnick L.S. (1954): „The stability of gypsum and anhydrite in the geologic environment“. Disseration, MIT. [8] Marshall, W.L. und Slusher, R. (1966) „Thermodynamics of Calcium sulphate dihydrate in aqueous sodium chloride solutions, 0-110 °C“. J Phys Chem [10], [9] Posnjak, E. 1938. „The system CaSO4“. Am. J. of Sc. 5th edition, Vol. 35-A. [10] Innorta G., Rabbi E., Tomadin L. (1980) The gypsum-anhydrite equilibrium by solubility measurements. In: Geochimica et Cosmochimica Acta, Vol. 44(12); pp. 1931-1936. [11] Raju, K., Atkinson, G. 1990. „Thermodynamics of ‘scale’ mineral solubilities. 3. Calcium sulfate in aqueous NaCl“. J. of Chem. and Engin. Data, Vol. 35 [12] Butscher, C., Mutschler, T. und Blum, P. (2016). „Swelling of Clay-Sulfate Rocks: A Review of Processes and Controls“. In: Rock Mechanics and Rock Engineering [13] Serafeimidis K., Anagnostou G. (2014b) On the crystallisation pressure of gypsum. In: Environmental Earth Sciences, Vol. 72(12); pp. 4985-4994. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 139 Erfahrungen zur Festigkeitsbestimmung von Mergelgesteinen mit dem Nadelpenetrometer Moritz Aderhold, M. Sc. Ruhr-Universität Bochum Prof. Dr.-Ing. Michael Alber Alber GeoMechanik, Dortmund Dr. Ralf J. Plinninger Dr. Plinninger Geotechnik, Bernried Zusammenfassung Die zutreffende Beurteilung der Einaxialen Druckfestigkeit stellt eine der Kernaufgaben der Geotechnik im Kontext der Planung und Ausführung von Tief-, Tunnel- und Spezialtief bauarbeiten dar. Für viele geringfeste und veränderlich feste Gesteine, wie z. B. Tonsteine, Mergelsteine, Tuffe, oder stärker verwitterte Gesteine ist allerdings die Probengewinnung, der Erhalt des natürlichen Wassergehalts, die Probenpräparation und schließlich die Prüfung mit herkömmlichen Laborversuchsverfahren, wie dem Einaxialen Druckversuch, herausfordernd, wenn nicht gar unmöglich. Bereits 1980 wurde in Japan das Nadelpenetrometer als feldtaugliches Prüfverfahren zur Abschätzung der Einaxialen Druckfestigkeit derartiger Gesteine entwickelt. Obwohl das Verfahren in einer 2014 veröffentlichten ISRM Suggested Method verankert ist, ist der Einsatz des Nadelpenetrometers und der damit ermittelte Nadelpenetrometerindex (NPI) in Deutschland und Mitteleuropa im Fels eher unüblich. Dass das Verfahren sinnvoll und gewinnbringend einsetzbar ist, soll anhand umfangreicher Messdaten erläutert werden, die bei der Begleitung eines anspruchsvollen Spezialtief bauprojekts in verschiedenen Mergelgesteinen der Münsterländer Kreidebucht erhoben wurden. Ausgehend von diesen Erfahrungen stellt der Beitrag eine Analyse des potentiellen Anwendungsbereichs vor und diskutiert die Ableitung von Schätzwerten der Einaxialen Druckfestigkeit 1. Herausforderung: Festigkeitsbestimmung geringfester und veränderlich fester Gesteine Viele tonmineralführende Sedimentgesteine wie Tonsteine, Schluffsteine, Sandsteine, Mergelsteine oder stark verwitterte Gesteine sind veränderlich fest, d. h., sie zeigen die Eigenschaft, in einem bautechnisch relevanten Zeitraum auf Änderungen von Wassergehalt und/ oder der Temperatur mit Festigkeitsreduzierung (bis hin zum Zerfall) zu reagieren. Die Probengewinnung, der Erhalt des natürlichen Wassergehalts, Probenpräparation und schließlich die Prüfung mit herkömmlichen Laborversuchsverfahren, wie dem einaxialen Druckversuch sind in derartigen Gesteinen herausfordernde, wenn nicht gar unmögliche Aufgaben. Bei nicht fachgerechter Probennahme und -behandlung sind ausreichend Möglichkeiten für eine Veränderung des Feuchtezustands gegeben, sodass eine Schwächung des Gesteinsgefüges vor der Prüfung (siehe Beispiel in Abb. 1) stattfinden kann und die ermittelten Parameter damit unzutreffend (d. h. meist zu niedrig) bestimmt werden. Während dieser Umstand für statische Fragestellungen ggf. noch toleriert werden kann - die ermittelten Kennwerte liegen hierfür auf der „sicheren Seite“ - haben sich in der Vergangenheit zahlreiche Probleme bei Fragen der Bohrbarkeit und Lösbarkeit ergeben, bei denen zu niedrig ermittelte Festigkeitskennwerte zu optimistische Ansätze nach sich zogen (u. a. Plinninger, Spaun & Nickmann, 2012). Gerade für die Untersuchung derartiger geringfester und veränderlich fester Gesteine am Übergang zu Lockergesteinen kann daher die Weiterentwicklung der Versuchstechnik neue Möglichkeiten eröffnen. Abb. 1: Haarrisse in einem Mergelstein. Das Vorhandensein derartiger Risse macht die Festigkeitsprüfung an einem solchen Probekörper obsolet (Foto: Plinninger). 140 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Erfahrungen zur Festigkeitsbestimmung von Mergelgesteinen mit dem Nadelpenetrometer 2. Das Nadelpenetrometer Beim Nadelpenetrometer (Abb. 2) handelt es sich um ein transportables (Gewicht rd. 700 g) und weitgehend zerstörungsfreies, indirektes Verfahren zur Festigkeitsbestimmung geringfester Gesteine. Das Versuchsverfahren wurde erstmals 1980 in Japan eingesetzt (JSCE-RMC, 1980). Obwohl mit der Veröffentlichung der entsprechenden ISRM Suggested Method (2014) eine internationale Prüfempfehlung vorliegt, wird das Verfahren in Deutschland und Mitteleuropa bis dato nach eigener Einschätzung eher selten eingesetzt. Abb. 2: Auf bau des Nadelpenetrometers gemäß ISRM Suggested Method (2014). Der Nadelpenetrometerindex (engl. „Needle Penetration Index“, NPI) wird bestimmt, indem eine gehärtete Stahlnadel definierter Geometrie mit einer Kraft (F) von 100 N in das Gestein eingedrückt wird, wobei die Eindringtiefe (D) ermittelt wird. Er ermittelt sich als 100 : D für Gesteine, bei denen die Kraft von 100 N nicht für ein vollständiges Eindringen ausreicht, bzw. als F : 10 für Gesteine, bei denen eine Eindringtiefe von 10 mm bei einer Kraft < 100 N erreicht wird. Der maximal ermittelbare Messwert beträgt NPI = 100. 3. Erfahrungen mit dem Einsatz des Nadelpenetrometers in Oberkreidemergeln 3.1 Geologische Verhältnisse Die hier dargestellten Untersuchungsergebnisse stammen aus der geotechnischen Begleitung einer Spezialtief baumaßnahme im Ostteil der kreisfreien Stadt Münster in Westfalen (Land NRW). Für die Tieferlegung einer Bundesstraße war ein rd. 1 km langes Trogbauwerk aus überschnittenen Bohrpfählen im Durchmesserbereich von überwiegend Æ 1200 herzustellen. Die größte Pfahllänge betrug rd. 16 m (Abb. 3). Das Projekt liegt im Zentrum des sogenannten „Münsterländer Kreidebeckens“, einem Landschaftsraum, der sich durch einen Untergrund aus marinen Kalk- und Mergelgesteinen auszeichnet, die während der Oberkreide vor ca. 100 - 66 Mio. Jahren in einem flachen Schelfmeer unter subtropischen Klimaverhältnissen abgelagert wurden. Im Projektareal werden die Kreidegesteine durch graue, teilweise schluffige Kalkmergel- und Tonmergelsteine und graue Kalksteinzwischenlagen aus der Zeit des oberen Untercampans (ca. 83,6 - 72 Mio. Jahre) repräsentiert. Infolge großflächiger Erosion nach dem Rückgang des Meers (an der Grenze Kreide / Tertiär) finden sich derartig junge Sedimente lediglich noch im zentralen Münsterland und in den höheren Lagen der Beckumer Berge, wo sie die Grundlage der Beckumer Zementindustrie bilden. Abb. 3: Herstellung der Bohrpfahlwand (Foto: ARGE Geotechnik B51). 3.2 Überblick über das Untersuchungsprogramm Der Einsatz des Nadelpenetrometers war Teil eines umfangreichen Dokumentations- und Untersuchungsprogramms, das während der Bauausführung für das o.a. Projekt abgewickelt wurde. Grundlage der Untersuchung war die baubegleitende geologisch-geotechnische Dokumentation von Pfahlbohrungen gemäß DIN EN ISO 14688-1 und 14689. Abb. 4: Eimerprobenahme aus dem Bohrgut (Foto: ARGE Geotechnik B51). Zur näheren Untersuchung der Festigkeitseigenschaften wurden aus dem Bohrgut im Bereich der unverwitterten Kreidegesteine i.d.R. drei horizontierte Eimerproben je Pfahl entnommen (Abb. 4). Diese wurden entweder rückgestellt oder innerhalb 48 Stunden vor Ort mittels Punktlast- und Nadelpenetrometer-Versuchen untersucht. Zusätzlich wurden größere Blockproben aus dem Bohrgut entnommen und der Ruhr-Universität Bochum (Abtei- 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 141 Erfahrungen zur Festigkeitsbestimmung von Mergelgesteinen mit dem Nadelpenetrometer lung Ingenieurgeologie/ Felsbau) für Einaxiale Druckversuche überstellt. In Summe wurden für das Projekt 158 Serien Nadelpenetrometer-Tests (Abb. 5), 193 Serien Punktlastversuche („irregular lump tests“ gem. DGGT-Empfehlung Nr. 5; Abb. 6) und 36 Einaxiale Druckversuche gem. DGGT- Empfehlung Nr. 1 inklusive Bestimmung von Dichte, Wassergehalt und Kalkgehalt durchgeführt. Abb. 5: Einsatz des Nadelpenetrometers auf der Baustelle (Foto: ARGE Geotechnik B51). Abb. 6: Einsatz des Punktlastversuchs auf der Baustelle (Foto: ARGE Geotechnik B51). 3.3 Ergebnisse und Korrelationen Für die Prüfungen wurde ein Nadelpenetrometer vom Typ Maruto SH-70 eingesetzt. Je Probe wurden 5 Einzeltests durchgeführt und zu einem Mittelwert verrechnet. Die ermittelten NPI-Werte decken eine Bandbreite zwischen NPI = 2 bis NPI = 93, bzw. rd. 1-35 MPa ab. Nachdem an ein und demselben Probenmaterial sowohl Nadelpenetrometer-Tests, als auch Punktlastversuche und ggf. Einaxiale Druckversuche durchgeführt wurden, lassen sich für die untersuchten Gesteine aussagekräftige Regressionsanalysen durchführen. In Abbildung 7 sind die ermittelten NPI-Werte den Ergebnissen der entsprechenden Einaxialen Druckversuche gegenübergestellt, Abbildung 8 zeigt die Korrelation der NPI-Werte mit den aus den jeweiligen Punktlastversuchen abgeleiteten Schätzwerten der Einaxialen Druckfestigkeit UCS*. Abb. 7: Korrelation der im Einaxialen Druckversuchen direkt bestimmten Einaxialen Druckfestigkeit (UCS) und dem Nadelpenetrometerindex (NPI). Abb. 8: Korrelation des aus den Punktlastversuchen abgeleiteten Schätzwerts der Einaxialen Druckfestigkeit (UCS*) und dem Nadelpenetrometerindex (NPI). Obwohl die Korrelation mit dem Punktlastversuch auf einer deutlich höheren Anzahl an Messdaten (n=157) basiert, als die Korrelation mit den Einaxialen Druckversuchen (n=36), zeigen beide Diagramme vergleichbare Trends und eine sehr gute Bestimmtheit (R² = 0,91 bzw. 0,90). Der durch die Steigung der Ausgleichgerade determinierte mittlere Korrelationsfaktor beträgt für den Vergleich auf Basis der Einaxialen Druckversuche k = 0,439. Für den Vergleich auf Basis der Punktlastversuche beträgt der mittlere Korrelationsfaktor k = 0,346. Insbesondere die aus den Punktlastversuchen ermittelte Regression stimmt damit gut mit den in der ISRM Suggested Method dargestellten Ergebnissen von Okada et al. (1985) überein (strichlierte, gelbe Ausgleichsgerade in Abb. 7 und 8). 142 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Erfahrungen zur Festigkeitsbestimmung von Mergelgesteinen mit dem Nadelpenetrometer 4. Bewertung des Verfahrens 4.1 Anwendungsbereich Das Nadelpenetrometer ist sinnvoll nur innerhalb eines eng umrissenen Spektrums von Gesteinen und Festigkeiten einsetzbar. Neben den auch im vorliegenden Erfahrungsbericht dargestellten Mergelgesteinen (d. h. Tonmergelsteine, Mergelsteine und Kalkmergelsteine) werden in der Literatur positive Einsatzerfahrungen auch aus anderen Sedimentgesteinen, wie Tonsteinen, Schluffsteinen, Sandsteinen, Grauwacken, Konglomeraten, Kalksteinen, Tuffen, Bims und Braunkohle (Lignit) beschrieben. Inwieweit bei den beschriebenen grobklastischen Gesteinen (Sandsteinen, Konglomeraten) tatsächlich eine zuverlässige Prüfung möglich ist, ohne dass die Versuche durch das Antreffen hochfester Klasten verfälscht werden, ist nach Überzeugung der Autoren kritisch zu hinterfragen. Derartige Probleme treten bei feinkörnigen Sedimenten, wie Ton-, Schluff- und Mergelsteinen i.d.R. nicht auf. Die Einsatzerfahrungen aus dem Projekt Münster zeigen, dass dort ein Festigkeitsbereich bis ca. 35 MPa sinnvoll abgedeckt werden kann. Die ISRM Suggested Method (2012) gibt hinsichtlich des Einsatzspektrums folgende Empfehlung: „Obwohl das Verfahren bereits in Gesteinen mit einer Einaxialen Druckfestigkeit von bis zu 35 MPa verwendet wurde, wird allgemein empfohlen, es nur für Gesteine mit einer Festigkeit < 20 MPa zu verwenden. Um realistische Ergebnisse zu erhalten, sollte die Eindringtiefe der Nadel mehr als 1 mm betragen, ohne dass dabei Schäden an der Nadel auftreten.“ 4.2 Vorteile des Verfahrens Die maßgeblichen Vorteile des Nadelpenetrometers liegen in der Möglichkeit, das Verfahren problemlos im Gelände und auf der Baustelle einzusetzen (Bild 7). Die Prüfung selbst kann ohne weitere Probenvorbereitung an Handstücken und Bohrkernen, aber auch an Aufschlüssen (Böschungen, Tunnellaibung, etc.) durchgeführt werden. Durch die Prüfung werden die Proben nur minimal und lokal geschädigt, so dass weitere felsmechanische Untersuchungen an den Probestücken nicht von vorneherein ausgeschlossen sind. Gegenüber dem Prallhammer nach Schmidt ist das Nadelpenetrometer (Messprinzip „Eindringen eines Indenters in das Gesteinsgefüge“) bei vergleichbarer Größe und Transportfähigkeit mutmaßlich besser in der Lage, den festigkeitsdeterminierenden Grad der Kornbindung zu ermitteln, als der Prallhammer (Messprinzip: „Elastisches Rückfedern bei dynamischem Schlag“). Gegenüber dem Punktlastverfahren zeichnet sich das Nadelpenetrometer durch eine deutlich bessere Transportfähigkeit und noch geringere Anforderungen an das Probenmaterial aus. Im Gegensatz zum Punktlastverfahren kann der Nadelpenetrometer-Test sogar direkt und in-situ eingesetzt werden. 4.3 Ableitung von Festigkeitskennwerten Die in Absatz 3.3 dargestellten Korrelationen lassen den Schluß zu, dass mit dem Verfahren plausible Schätzwerte der Einaxialen Druckfestigkeit (UCS*) gewonnen werden können. Die Korrelation zwischen NPI und Einaxialer Druckfestigkeit ist abhängig von den Eigenschaften der getesteten Gesteine und ggf. auch den eingesetzten Prüfgeräten. Abb. 9: Gegenüberstellung der sechs in der ISRM Suggested Method (2014) angeführten Umrechnungsformeln und der in den Oberkreidemergeln des Projekts Münster ermittelten Regression. Die Vielzahl der in der Fachliteratur vorgeschlagenen Umrechnungsformeln alleine in der ISRM Suggested Method (2012) werden 6 verschiedene Gleichungen dargestellt (Abb. 9) - und die geringe Erfahrungsbasis, die in Deutschland mit dem Verfahren existiert, lassen es auf absehbare Zeit unabdingbar erscheinen, für derartige Bewertungen ausschließlich statistisch belastbare, projekt- und gesteinsspezifische Vergleichsuntersuchungen heranzuziehen. Dem Nachteil der nur indirekten Kennwertermittlung steht dabei der Vorteil gegenüber, derartige Kennwerte auch für Gesteine zu gewinnen, die aufgrund der starken Veränderlichkeit nicht oder nur mit großem Aufwand im direkten Druckversuch prüf bar sind. Zudem lässt sich mit dem Verfahren verhältnismäßig einfach eine entsprechend größere und statistisch ggf. besser belastbare Datenbasis generieren. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 143 Erfahrungen zur Festigkeitsbestimmung von Mergelgesteinen mit dem Nadelpenetrometer 5. Ausblick Indirekte Festigkeitsprüfverfahren, wie das Nadelpenetrometer können die direkte Festigkeitsprüfung im Einaxialen Druckversuch nie restlos ersetzen. Mit seinem stark begrenzten Einsatzbereich von bis zu maximal rd. 40 MPa ist das Nadelpenetrometer auch nicht in der Lage, in globale Konkurrenz zu etablierten Feldprüfverfahren, wie dem Punktlastversuch zu treten. Für die meisten magmatischen und metamorphen Gesteine ist das Verfahren a priori ungeeignet. Die Untersuchung geringfester und veränderlich fester Gesteine ist eine geotechnische Herausforderung, die bis heute nichts an Relevanz verloren hat. Aufgrund der geringen Anforderungen an das Probenmaterial und die Möglichkeit, das Verfahren in situ in „bergfrischem“ Gestein mit annähernd natürlichem Wassergehalt einzusetzen, stellt das Nadelpenetrometer in diesem Anwendungsbereich daher ein interessantes Hilfsmittel dar, das die etablierten Verfahren sinnvoll ergänzen kann. Gerade zum Punktlastversuch stellt das Nadelpenetrometer eine passende Ergänzung dar, das Kennwerte für diejenigen Gesteinen liefern kann, die aufgrund ihrer geringen Festigkeit selbst bei diesem Verfahren problematisch in Formatierung und Prüfung sind - z. B. aufgrund (zu) tiefen Eindringens der kegelförmigen Prüfspitzen des Punktlastgeräts. Die in Absatz 4.3 gegenübergestellten Regressionskurven verdeutlichen allerdings, dass es für eine zutreffende Ableitung von Schätzwerten der Einaxiale Druckfestigkeit bis auf Weiteres unabdingbar sein wird, statistisch aussagekräftige, projektbzw. gesteinsspezifische Korrelationen zu erarbeiten ähnlich, wie es beispielsweise auch in der geltenden DGGT-Empfehlung Nr. 5 (2010) für das Punktlastverfahren gefordert wird. Literatur [1] DGGT - Deutsche Gesellschaft für Geotechnik e.V. (2004): Neufassung der Empfehlung Nr. 1 des Arbeitskreises 3.3 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e.- V.: Einaxiale Druckversuche an zylindrischen Gesteinsprüfkörpern, Bautechnik, 81, 10: S. 825 - 834, Berlin (Ernst & Sohn). [2] DGGT - Deutsche Gesellschaft für Geotechnik e.V. (2010): Empfehlung Nr. 5 des Arbeitskreises 3.3. „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e.V.: Punktlastversuche an Gesteinsproben, Bautechnik, 87, 6: S. 322 - 330, Berlin (Ernst & Sohn). [3] DIN - Deutsches Institut für Normung e.V. (2018): DIN EN ISO 14688-1: Geotechnische Erkundung und Untersuchung-- Benennung, Beschreibung und Klassifizierung von Fels- - Teil- 1: Benennung und Beschreibung (ISO- 14689-1: 2017); Deutsche Fassung EN-ISO-14688-1: 2018, Berlin (Beuth). [4] DIN - Deutsches Institut für Normung e.V. (2018): DIN EN ISO 14689: Geotechnische Erkundung und Untersuchung-- Benennung, Beschreibung und Klassifizierung von Fels- (ISO 14689: 2017); Deutsche Fassung EN ISO 14689: 2018, Berlin (Beuth). [5] Geologisches Landesamt Nordrhein-Westfalen (1990): Geologische Karte von Nordrhein-Westfalen 1: 100000, Blatt C 4310 Münster mit Erläuterungen, 2. Auflage, Krefeld. [6] ISRM - International Society for Rock Mechanics (2014): ISRM Suggested Method for the Needle Penetration Test.- Journal of Rock Mechanics & Rock Engineering, 47, S. 1073-1085, New York (Elsevier). [7] JSCE-RMC (1980): A suggested method for investigation and testing of soft rocks. in: Japan Society of Civil Engineers, Rock Mechanics Committee, The 4th Sub-committee, Tokyo (in japanischer Sprache). [8] Plinninger, R.J., Spaun, G. & Nickmann, M. (2012): Geotechnische Aspekte der Beprobung und Untersuchung veränderlich fester Gesteine.in: Vogt, C. & Moormann, C. (Hrsg., 2012): Tagungshandbuch zum 8. Kolloquium „Bauen in Boden und Fels“ der TA Esslingen, 17. und 18. Januar 2012, S. 425-432 (Technische Akademie Esslingen). 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 145 Untersuchung elektroosmotischer Effekte auf Adhäsion und Gleitreibung eines bindigen Modellbodens Ein elektrisches Gleichspannungsfeld zur Veränderung der Mechanik zwischen Boden und Stahl Michael Ried, M. Eng. Ostbayerische Hochschule Regensburg, Lehrgebiet Geotechnik und Bahnbau Prof. Dr.-Ing. Thomas Neidhart Ostbayerische Hochschule Regensburg, Lehrgebiet Geotechnik und Bahnbau Zusammenfassung In der Bauausführung und Maschinentechnik sieht man sich immerwährend mit Haft- und Reibkräften zwischen Stahloberflächen und bindigen Böden konfrontiert. Im (Spezial-)tief bau und auch im Tunnelbau führt die Adhäsionsneigung bindiger Böden an Aushubwerkzeugen zu massiven wirtschaftlichen Einbußen der jeweiligen Baumaßnahme und ist mit großem energetischem Aufwand für die Reinigung der Werkzeuge verbunden. In den vergangenen Jahren wurde über den Einsatz eines elektrischen Gleichspannungsfeldes mehrfach eine vielversprechende Lösung diskutiert. Die durch den elektroosmotischen Effekt hervorgerufene Wasserdiffusion hin zur positiv geladenen Kathode führt zu einer signifikanten Reduktion der Adhäsion zwischen Stahloberfläche und bindigem Boden. Dabei wird die Haftspannung tangential wie auch senkrecht zur Werkzeugoberfläche durch elektrische Ströme beeinflusst. Innerhalb dieser vorgestellten Arbeit wurde ein Rotationsscherversuch entwickelt, mit dem die elektroneninduzierte Veränderung der mechanischen Interaktion zwischen Boden und Stahloberfläche systematisch untersucht und quantifiziert wurde. 1. Einführung Das Phänomen der Elektroosmose ist hinlänglich bekannt und findet in unterschiedlichen Fachbereichen Anwendung. Durch eine elektrische Spannung aus einer externen Stromquelle oder auch verschiedenen elektrischen Potentialen von Metallen kommt es zu einer Wasserbewegung innerhalb kleiner Kanäle - den Kapillaren. Dieser Mechanismus kann sich im Boden zu Nutze gemacht, um diesen schneller zu konsolidieren, zu entfeuchten oder auch um die Reibeigenschaften zwischen Boden und Stahl zu verändern. Insbesondere Letzteres hat durch die einfache und kostengünstige Umsetzung viel ungenutztes Potential. Die Spannung und Stromstärke, die für den Effekt benötigt werden, sind je nach Konzeptionierung sehr gering und stellen keine Gefahr für den Menschen dar. Voraussetzung für die Anwendung der Elektroosmose ist eine wässrige Ionenlösung, eine elektrische Ladung der Kapillarwände wie auch ausreichend kleine Durchmesser der Kapillarporen. Diese Voraussetzungen sind in bindigen Böden stets gegeben. Im Kontext dieser Arbeit wurde das Verfahren genutzt, um die Adhäsions- und Reibeigenschaften bindigen Lockergesteins zu verändern und zu quantifizieren. Wie aus verschiedenen Untersuchungen hervorgeht, besteht ein klarer Zusammenhang zwischen dem Wassergehalt bzw. der Konsistenz des Bodens und den Haft- und Scherverhältnissen [1], [2], [3]. Durch das externe Anlegen einer Gleichspannung ist es möglich, die Haftfuge zu trocknen oder sie durch Wasserzutritt zu verändern. Hierbei ist die Polung der Stahloberfläche in der Fuge wichtig. Die Fließrichtung in natürlichen Böden geht stets von der Anode zur Kathode - der Boden an der Anode trocknet aus, der Wassergehalt an der Kathode nimmt zu. Für die Untersuchung des Einflusses elektrischer Ströme auf die mechanische Interaktion zwischen Boden und Stahloberflächen, ist ein Versuch nötig, der neben den üblichen physikalischen Einflussparametern wie Belastungsrichtung, Normalspannung und Reibwert zusätzlich das Anlegen eines elektrischen Gleichspannungsfeldes ermöglicht. Ziel musste es sein, alle Versuchsparameter isolieren und identifizieren zu können. Unter diesen Voraussetzungen kann der elektroosmotische Effekt zwischen Boden und Stahl genau beschrieben und untersuchen werden. 2. Theoretische Grundlagen 2.1 Adhäsion senkrecht zur Haftfuge (Normalenadhäsion) Für die Bestimmung der klar abgrenzbaren praktischen Adhäsion senkrecht zur Haftfuge a N ergibt sich eine simple globale Berechnungsgrundlage. Gl. (2.1) Die zunächst einfach erscheinende Ermittlung von a N unterliegt allerdings in lokaler Betrachtung einigen Einflussfaktoren. 146 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Untersuchung elektroosmotischer Effekte auf Adhäsion und Gleitreibung eines bindigen Modellbodens Nennenswert tritt Adhäsion ausschließlich bei bindigen Böden auf, wenn sie sich nach zugrundeliegendem Haftmechanismus auch bei nichtbindigen Böden erklären und beobachten lässt. Insbesondere bei ausgeprägt plastischen Tonböden lassen sich sehr große Haftkräfte zwischen Stahloberflächen und dem Boden messen. Hierbei übersteigt die Adhäsion zumeist die Zugfestigkeit des Bodens deutlich, was bei relativer Belastung nicht zum Bruch in der Haftfuge, sondern im Boden selbst zur Folge hat. Dies führt zu Anhaftung von Boden an Stahl, weithin als problematische und verfahrensbeeinträchtigende Verklebungen bekannt. Für bindige Böden kann unter Scher- und Druckbelastung ein starkes Plastifizieren beobachtet werden. Bei genauer Betrachtung wird schnell deutlich, dass es durch starke und auch längere Vorbelastungen zu Verformungen in der Fuge zwischen Boden und Belastungsoberfläche kommt. Das bedeutet eine größere Haftfläche, die bei exakter wissenschaftlicher Betrachtung berücksichtigt werden muss. Das Kapillarmodell liefert das theoretische Grundgerüst der Betrachtungen für die Adhäsion senkrecht zur Haftfuge. Die Kapillarspannung respektive der Kapillardruck ergibt sich nach der Laplace-Gleichung aus dem Druckgradienten zwischen Umgebungsdruck und Flüssigkeitsdruck. Gl. (2.2) Mit: : = Kapillardruck [kPa] : = Umgebungsdruck [kPa] : = Flüssigkeitsdruck [kPa] : = Oberflächenspannung der Kapillarflüssigkeit kPa] : = Radius des Festkörpers bzw. der benetzten Fläche [m] : = Meniskusradius der Kapillarflüssigkeit [m] 2.2 Adhäsion parallel zur Haftfuge (Tangentialadhäsion) Die tangential wirkenden Scherkräfte bei Relativbewegungen innerhalb der Scherfuge spielen in der Geotechnik in vielerlei Anwendung, wie Planung, Bemessung und auch Bauausführung, eine entscheidende Rolle. Insbesondere für die Bemessung sind genau jene Kräfte entscheidend für die Nachweisführung. Aber auch der Widerstand bspw. bei Großdrehbohrgeräten nimmt im Bauwesen Einfluss und hat Auswirkungen auf den Bauablauf. In der klassischen geotechnischen Nachweisführung sind die Reibwerte durch mit der Tiefe zunehmenden Spannungen vor allem in nichtbindigen Böden besonders hoch. Dennoch lassen sich in der praktischen Umsetzung hohe Reibwiderstände auch für bindige Böden beobachten. Meist sind insbesondere bei kleinen Relativbewegungen die Kräfte besonders groß und nehmen bei kohäsivem Boden nach einer Grenzdehnung schnell wieder ab. Dieses Phänomen kann ausschließlich bei bindigen Böden beobachtet werden. Zurückzuführen ist dieser Effekt auf das adhäsive Verhalten des Feinkornanteils in diesen Böden. Im Gegensatz zur Normalenadhäsion sind die die Haftmechanismen nicht rein auf kapillare Unterdruckverhältnisse zurückzuführen, sondern stellen vielmehr ein Wechselspiel aus verschiedenen Wirkprinzipien dar. Vor allem der Verzahnung zwischen Stahloberfläche und Boden kommt hier eine Bedeutung zu. Man hat sich bei dieser Beschreibung die Mohr-Coulombsche Bruchbedingung zu Nutze gemacht, die im engeren Sinne die Scherfestigkeit τ des Bodens beschreibt. Hierbei wird durch den Wandreibungswinkel δ die Proportionalität zur wirkenden Normalspannung σ N hergestellt. Als konstanten, von der Spannung unabhängigen Summanden wird bei der Scherfestigkeit des Bodens die Kohäsion c addiert. Gl. (2.3) In Analogie zur Scherfestigkeit des Bodens wurde ein Modell entwickelt, das nicht nur einen Anteil der Gleitreibung berücksichtigt, sondern auch einen Haftanteil, der häufig als tangentiale Adhäsion a t bezeichnet wird. Insbesondere bei bindigen Böden kann der Scherwiderstand zwischen Boden und Stahl nicht allein auf den zum Reibungskoeffizienten tan( δ ) proportionalen Term zurückgeführt werden. Neben der spannungsabhängigen Gleitreibung wird dabei auch ein tangentialer Adhäsionsanteil berücksichtigt, der als konstant angesehen wird [4]. Gl. (2.4) 2.3 Der elektroosmotische Fluss im Boden Die Voraussetzungen für einen elektroosmotischen Effekt sind in bindigen Böden stets gegeben. Legt man ein elektrisches Gleichspannungsfeld an, entsteht eine umgekehrte galvanische Zelle, wobei der Boden zwischen den beiden Elektroden als in beide Richtungen durchlässige Membran angesehen werden kann. Die Kraft, die für die Bewegung der Ionen und Wassermoleküle verantwortlich ist, bildet das Fundament der Elektrostatik: Sie führt dazu, dass sich gleichnamige Ladungen abstoßen und sich unterschiedliche Ladungen anziehen. Das bedeutet, legt man ein elektrisches Gleichspannungsfeld um eine Bodenprobe, kommt es innerhalb der Kapillare zu einer Elektronenmigration und damit verbunden zu Wasserbewegungen. Zusammengefasst ist dieses Phänomen als Teil der Elektrokinetik zu verstehen und ist hinreichend mathematisch beschreibbar. Durch die Voraussetzung eines Mikrokanals führt der Viskosität der Lösung geschuldet das parallele elektrische Feld zu einem konstanten Fluss der Lösung innerhalb des Bodens. Bei größer werdenden Durchmessern verliert das elektrische Feld seine Wirkung, da die Viskosität einer wässrigen Lösung zu gering ist, als dass das Gleichspannungsfeld in der Lage wäre, einen Wasserfluss in großen Porenräumen zu induzieren. Je nach Ladung der Kapillaroberfläche führt dies entweder zu einem Fluss in Richtung Anode oder in 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 147 Untersuchung elektroosmotischer Effekte auf Adhäsion und Gleitreibung eines bindigen Modellbodens Richtung Kathode. Ist die Oberfläche positiv geladen lagern sich in hoher Konzentration negativ geladene Anionen an den Partikeln an, sind die Kleinstteilchen negativ geladen, wie im Regelfall von Tonmineralien, führt dies zur Anlagerung von positiv geladenen Kationen. Das hat zur Konsequenz, dass sich eine positiv geladene diffuse Doppelschicht in der Nähe der Kapillarwandung bildet. Die diffuse Schicht ist für die Elektroosmose von zentraler Bedeutung, da die Elektronenmigration durch die Leitfähige Lösung einen Sogeffekt auf die geladene und bewegliche Ionenschicht ausübt - vgl. Abb. 1. Durch die Viskosität der wässrigen Lösung führt dies zu einem laminaren Strömungsprofil in der Kapillare, wodurch das eingangs erwähnte Phänomen einer Zubzw. Abnahme des Wassergehalts im Bereich der Kathode und Anode erklärbar wird. Unter Zuhilfenahme der Helmholtz-Smoluchowski-Gleichung für eine idealisierten Kapillare erhält man für den elektroosmotischen Wasserfluss die Strömungsgeschwindigkeit v. Gl. (2.5) Mit: : = Strömungsgeschwindigkeit [m/ s] : = Elektrische Feldstärke [V/ m] : = Dielektrizitätskonstante [-] : = Dielektrizitätskonstante des Vakuums [-] : = Zeta-Potential [V] : = dynamische Viskosität [kg/ m∙s] Gl. (2.6) Zur Berechnung des Durchflusses D in [m 3 / s] wird konventionell das Produkt aus Strömungsgeschwindigkeit und Fläche gebildet. Danach ergibt sich der Volumenstrom des elektroosmotischen Flusses innerhalb einer einzelnen Kapillare zu: Abb. 1: Strömungsprofil durch ein induziertes Gleichspannungsfeld innerhalb sehr kleiner Kapillare; entnommen aus: [5] nach [6] Durch den Wasserfluss, der durch das elektrische Gleichspannungsfeld hervorgerufen wird, können die Einflussparameter auf die Adhäsionsneigung beeinflusst werden. Für die Normalenadhäsion wird der Kapillarradius des Wassermeniskus vergrößert und so die Kapillarspannung nach Gl. 2.2 verringert. Ab einer Zersetzungsspannung, worauf hin eine Elektrolyse stattfinden kann, wird Wasserstoff an der Kathode gebildet. Für diesen Fall wird der kapillare Unterdruck in der Grenzschicht durch die Gasbildung zusätzlich aufgebrochen. Für die Tangentialadhäsion bedeutet ein elektroosmotischer Wasserzutritt die Zustandsveränderung des Bodens. Der Boden wird in der Grenzschicht aufgeweicht und geht in einen suspensionsähnlichen Zustand mit äußerst geringem Scherwiderstand über - die Stahloberfläche wird dadurch gewissermaßen geschmiert. 3. Versuchskonzept 3.1 Konstruktion und Aufbau Als Testgerät wurde ein bewährter Interface-Shear-Tester der Fa. GDS-Instruments verwendet. Dieses Gerät erlaubt durch eine sehr aufwendige Regelungstechnik Verformungen und Belastungen sehr genau aufzuzeichnen. Der entwickelte Versuch basiert auf den Konstruktionsdetails der Fa. GDS und wurde an der OTH.R mit einer neu entwickelten Scherzelle um die Möglichkeit des Aufbringens einer konstanten und dauerhaften elektrischen Gleichspannung erweitert. Die elektrische Entkopplung von dem Trägergerät war für die sensiblen Kraft- und Wegsensoren von Bedeutung, da man durch elektrische Ströme und elektrostatische Aufladungen Gefahr liefe, die Messergebnisse zu beeinflussen. Für den vorliegenden Versuch wurde sich auf die primär mechanischen Parameter tangentiale und Normalenadhäsion sowie Restscherreibung konzentriert. In Zukunft sollten Messungen des Porenwasserdrucks und der Saugspannungen zusätzlich mit aufgezeichnet werden. Die Messung von elektrischen Spannungen sind noch nicht integriert, sondern mussten extern aufgezeichnet werden. 148 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Untersuchung elektroosmotischer Effekte auf Adhäsion und Gleitreibung eines bindigen Modellbodens Abb. 2: Elektroosmotische Bodenzelle mit Messinganode (Gold) Die Wasserdruckverhältnisse nehmen Einfluss auf die Adhäsion, weshalb ein Porenwasserdruckabbau über eine Drainage an der Unterseite der Probe gewährleistet wird. So können bei einer aufgebrachten Konsolidationsspannung die entstehenden Porenwasserüberdrücke einseitig abgebaut werden. Die Messinganode hat den gleichen Durchmesser wie die Kathode als Prüfoberfläche auf der gegenüberliegenden Probenseite. So wird ein homogenes Gleichspannungsfeld installierbar. Der Durchmesser der Anode (= Innendurchmesser Zelle) und Kathode (= Durchmesser Prüfteller) sind gleich groß. Es sollte eine unbegrenzte Drehung der Scherzelle möglich sein und gleichzeitig der Stromfluss konstant übertragen werden können. Hiermit wurde es möglich, neben der statischen Haftreibung auch die Restscherreibung oder auch Gleitreibung zwischen Prüfoberfläche und bindigem Boden aufzuzeichnen. Abb. 3: Prüfstempel mit Edelstahlkathode, elektrisch von Stempel und Trägergerät isoliert Der Anschluss der Kathode erfolgte über einen Kupferkontakt, welcher mit der von der Trägerkonstruktion elektrisch entkoppelten Scherplatte verbunden ist. Eine Klemme überträgt den elektrischen Strom des Netzteils. Der Anschluss an die Kraftmessdose ist radial unbeweglich. Die Relativbewegung wird rein über den fixierten Boden innerhalb der sich drehenden Zelle realisiert. Durch einen Drehmomentsensor lässt sich der tangentiale Scherwiderstand aufzeichnen und die Kontakt-Widerstands-Arbeitslinie grafisch abbilden. Der Versuchsauf bau zur Messung der tangentialen Scherwiderstände dient durch eine veränderte Belastungsrichtung gleichermaßen der Aufzeichnung der Zugwiderstände. Abb. 4: Versuchsauf bau Die Kraftmessdose des Gerätes kann sowohl Druckspannungen als auch Zugspannungen messen. Zur Untersuchung der Normalenadhäsion a N zwischen Prüfoberfläche und bindigem Boden wird die Zugkraft auf die gesamte Fläche bezogen. Beim Auf bringen einer Zugkraft lässt sich die Adhäsion senkrecht zur Prüfoberfläche ermitteln. Stellt sich ein Riss im Boden selbst ein und der Boden bleibt an der Oberfläche haften, kann überdies die innere Zugfestigkeit eines bindigen Bodens ermittelt und die Haftneigung qualifiziert werden. Die Oberfläche des Edelstahltellers wurde auf dessen Rautiefe nach der Politur und stichprobenartig nach der Versuchsdurchführung überprüft. Bei den Messungen ergaben sich mittlere Rautiefen von 1,6 - 2,8 μm. Diese Tiefen liegen im Bereich der Maximalabmessungen der einzelnen Tonminerale. Die Silikatschichten des getesteten Montmorillonit fallen in den Größenbereich von < 2μm, wodurch es zu Einflüssen aus der Kohäsion des Bodens auf den tangentialen Scherwiderstand kommt. 3.2 Bodenauswahl und Probeneinbau Ursprünglich sollte für die Adhäsions- und Scherreibungsuntersuchungen ein Boden verwendet werden, der als Rohton für die Produktion von Na-aktiviertem Bentonit verwendet wird. Es zeigte sich allerdings, dass durch die Korngrößenverteilung und Überkorn des natürlichen Bodens die Messergebnisse nicht reproduzierbar waren. Durch kleine Veränderungen in der 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 149 Untersuchung elektroosmotischer Effekte auf Adhäsion und Gleitreibung eines bindigen Modellbodens Kornzusammensetzung in der Grenzschicht zwischen Stahloberfläche und Boden wurden die Messergebnisse stark beeinflusst, dass keine Vergleiche gezogen werden konnten. Daher wurde ein Modellboden gewählt, der durch die einheitlichen Qualitätsstandards einer industriellen Produktion stets die gleiche Zusammensetzung und nahezu die gleichen Eigenschaften liefert. Als Grundlage für die Bodenuntersuchungen zum Adhäsionsverhalten bindiger Böden wurde deswegen ein Na + aktiviertes Bentonit gewählt, das aufgrund seiner sehr großen spezifischen Oberfläche und seinem hohem Quellpotential eine starke Adhäsion in senkrechter und tangentialer Richtung ausbildet [1], [2], [7], [8]. Der Modellboden stellt einen oberen Grenzwert der in der Natur vorkommenden Adhäsionserscheinungen dar. Jeder bindige Boden besitzt Feinkornanteile, die bekanntermaßen zu einer starken Adhäsion neigen. Der Modellboden entwickelt bei einem entsprechenden Wassergehalt sehr feine Bodenkapillare aus. Darüber hinaus besitzt Na + -Bentonit ein hohes Zeta-Potential. Feine Kapillarsysteme und ein hohes Zeta-Potential sind die Voraussetzung für die Anwendung eines elektrischen Spannungsfeldes innerhalb eines Bodens und für ausgeprägte elektroosmotische Effekte. Der Boden wurde bei einem Wassergehalt von 100% direkt in der Zelle konsolidiert. Trotz des enorm hohen Wassergehaltes wies der Modellboden dabei eine steife Konsistenz auf. Durch die stark ausgeprägte Wasserbindekapazität des natriumaktivierten Bentonits waren geringe Wasserzugaben nicht zielführend, da sich dabei das Tonpulver nicht homogenisieren ließ und die Porigkeit der Bodenprobe zu hoch war. Eine Sättigung von unten über Sensoren ist durch die Schnellkupplung an der Versuchszelle möglich. In diesen Untersuchungen wurde auf eine Sättigungsphase verzichtet, könnte aber in Zukunft Gegenstand ergänzender Untersuchungen werden. Nach dem Herstellen einer glatten Probenfläche ohne Großporen und Lunker konnte der Prüfstempel mit der Prüfoberfläche aufgesetzt werden und mit der Vorbelastungsphase begonnen werden. 3.3 Versuchsdurchführung Bei den Versuchen musste für ein Ausbilden der Adhäsionskräfte und für einen formschlüssigen Kontakt mit der Prüfoberfläche die Probe vorbelastet werden. Die Kontaktzeit betrug dabei 24 Stunden. Nach dieser Zeit konnten die wesentlichen Setzungen und Quellprozesse abklingen. In der Anfangsphase der Vorbelastung könnten stärkere Setzungen oder auch Quellhebungen die Messergebnisse um Adhäsion und Gleitreibung verändern. Es wurde bei geringen Axialspannungen in der Vorbelastung ein Quelldruck beobachtet, der höher als die Auflast lag. Über die detaillierte Aufzeichnung der Vorbelastungsphase konnten diese Phänomene graphisch sichtbar gemacht und so die eigentlichen Versuche erst nach den signifikanten Verformungen gestartet werden. Während der Vorbelastung bei einer konstanten Normalspannung σ N wurde die Bodenzelle mit der aufgesetzten Prüfoberfläche vor Austrocknung geschützt. Um zusätzliche Quellhebungen zu vermeiden, wurde dabei auf eine aktive Befeuchtung verzichtet und lediglich der Luftzutritt über einen PVC-Kragen reduziert. Für jede Parametervariation dienten drei identische Versuche als Datengrundlage. Zwei der Versuche wurden in einem externen edv-gesteuerten Oedometerstand vorbelastet. Beim Umbau in den Inter-Face-Shear-Tester wurde die Probe wiederbelastet. Sobald die elastischen Setzungen wieder abgeklungen waren, konnte mit den Scherversuchen begonnen werden. Beim Umsetzen der Bodenzelle mit aufgesetztem Prüfstempel durfte die Kotaktoberfläche nicht von der Probe gelöst werden. Die sich über die Vorbelastung eingestellten Adhäsionskräfte durch Formschluss und Kapillaradhäsion würden so aufgebrochen werden und die Ergebnisse untereinander nicht vergleichbar. Bei der im IFST vorbelasteten Probe konnte direkt nach der Vorbelastung von 24h mit dem Versuchsprogramm begonnen werden. Abb. 5: Fertiggestellte Prüfoberfläche der Bodenprobe und Überprüfung der Einwaage Für die Verifikation des entwickelten Versuchs sollten zunächst Nullversuche durchgeführt werden, bei der die Normalspannung σ N sowohl in der Vorbelastung als auch der eigentlichen Versuche variiert wurde. Hieraus konnte eine Normalspannung festgelegt werden, bei der die Streuung der Ergebnisse am geringsten ausfiel. Durch sehr kleine Normalspannungen kommt es zu keiner ausreichenden Plastifizierung des Bodens, sodass nicht von einer vollständigen Kontaktfläche zwischen Stahl und Boden ausgegangen werden kann. Nachdem überdies in der Literatur die unterschiedliche Rotationsgeschwindigkeit eines Kreisscherversuchs häufig kritisch gesehen wird, dienten die unterschiedlichen Geschwindigkeiten als Einordnung dafür, welchen Einfluss die Belastungsgeschwindigkeit auf die Zug- und Scherwiderstände haben [1], [9]. Aus den Nullversuchen wurde ein eindeutiges Regime für alle weiteren Scher- und Zugversuche unter Einfluss eines elektrischen Gleichspannungsfeldes abgeleitet. 150 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Untersuchung elektroosmotischer Effekte auf Adhäsion und Gleitreibung eines bindigen Modellbodens Bei den elektroosmotischen Versuchen lag die Spannung 5 Minuten vor der Scherbelastung an. Auch während der Versuchsdurchführung wurde das homogene Gleichspannungsfeld aufrechterhalten. Dabei wurde die Stromstärke I in Ampere dokumentiert. Als Bezugsgröße zur Scherspannung diente nicht die Relativverformung in der Kraftresultierenden des Kreisrings, sondern der Drehwinkel α , der unabhängig vom Radius r ist. Abb. 6: Angenommene Kraftverteilung über den Kreisquerschnitt mit M R als Scherwiderstand in Nm Gl. (2.1) Umgeformt nach τ lässt sich folgender Zusammenhang herstellen: Gl. (2.2) Mit: Gl. (2.3) An die Scherversuche anschließend wurden mit kurzer Verzögerung von 5 Minuten die Zugversuche durchgeführt. Nach Durchführung der Zugversuche wurden etwaige Anhaftungen an der Prüfoberfläche dokumentiert und neben den Messwerten des Inter-Face-Shear-Tester zusätzlich gewogen und quantifiziert. Darüber hinaus wurde die Veränderung des Wassergehaltes an der Probenunterseite (Anode) und Probenoberseite (Kathode) bestimmt und ausgewertet. 4. Versuchsergebnisse 4.1 Scher- und Zugversuchsergebnisse für U = 0V Für die eindeutige Zuordnung der Ergebnisse und Aussagen wurde eine Begriffsdefinition vorgenommen. Der maximale Scherwiderstand, der gemessen werden konnte, wird hier als maximale Haftreibung τ A bezeichnet. Die charakteristische Adhäsionsspitze, die nach einer Grenzverformung abgeklungen ist, wird als Adhäsionspeak τ A-R benannt. Der Restscherwert soll als Gleitreibung τ R bezeichnet werden. Abb. 7: Darstellung der Begriffsdefinitionen für die einzelnen Scheranteile anhand eines Einzelversuchs bei σ N = 100kPa Innerhalb der Nullversuche für die späteren elektroosmotischen Grundlagenversuche konnte für den vorliegenden Modellboden bei einem Wassergehalt von 100% die Adhäsionsgerade herausgearbeitet werden - vgl. Abb. 7 . Durch eine Normalspannungsvariation ergab sich ein klarer linearen Zusammenhang des Scherwiderstands τ A von der Normalspannung σ N . Dabei wurde auf eine Nullstellenextrapolation nach Schubert [10] , Hollinderbäumer [11] und Thewes [1] verzichtet. Abb. 8: Zusammenhang von durchschnittlicher maximaler Haftreibung und Normalspannung beschrieben durch die Ausgleichsgerade der Versuchswerte zur tangentialen Adhäsion τ A = a T + σ N ∙tan(δ) 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 151 Untersuchung elektroosmotischer Effekte auf Adhäsion und Gleitreibung eines bindigen Modellbodens Die Streuung der Einzelversuche für ein Normalspannungsniveau lag dabei in einem Bereich von ± 5%. Insbesondere für die hohen Normalspannungen lagen die gemessenen Scherwiderstände sehr nah zusammen. Die mittlere Standardabweichung lag bei 1,08 kPa und damit bei 4,7 - 9,3%. Die geringe Streuung der Versuchswerte diente als Verifikation des konstruierten Versuchs. Abb. 9: Anteil des Adhäsionspeaks τ A-R [•] am Gesamtscherwiderstand mit zunehmender Tendenz bei steigender Normalspannung Interessanterweise unterschied sich die Ausprägung des Adhäsionspeak von den einzelnen Versuchen. Bei niedrigen Normalspannungsniveaus fiel der Peak τ A-R geringer aus als bei den hohen Normalspannungsniveaus. Dies unterstreicht die Annahme des Plastifizierens von Tonmineralen in die Vertiefungen der polierten Prüfoberfläche. Durch hohe Normalspannungsniveaus wird ein ausgeprägterer Formschluss zwischen Boden und Prüfoberfläche provoziert. Die Gleit- oder Restscherreibung τ R ist weniger von σ N abhängig als der Adhäsionspeak τ A-R . Die Steigung der linearen Ausgleichgerade für τ R verläuft deutlich flacher als diejenige des Adhäsionspeaks τ A-R . Die Geschwindigkeitsvariation innerhalb dieser Versuchsserie ergab keinen klaren Zusammenhang der Scherwiderstände mit der Belastungsgeschwindigkeit. Für die Spannungsverteilung über die Kreisfläche kann davon ausgegangen werden, dass die linear zunehmende Bahngeschwindigkeit keinen nennenswerten Einfluss auf den Widerstand nimmt. Abb. 10: Maximale Haftspannung unter einer Geschwindigkeitsvariation bei σ N = 100kPa Für die Ermittlung der grundsätzlichen Normalenadhäsion a N bzw. der Zugfestigkeit des Bodens wurden an die Scherversuche eine Zugbelastungsphase ohne gleichzeitige Rotation nachgeschalten. Die Zugversuche dienen gleichzeitig als Einschätzung der Verklebungsneigung des Bodens. Nach den Zugversuchen sind etwaige Anhaftungen dokumentiert und gewogen worden. Die Masse des Bodens wurde nachträglich von den gemessenen Zugkräften abgezogen, um die tatsächliche Zugfestigkeit des bindigen Modellbodens zu ermitteln. Im Gegensatz zum Konuszugversuch, dessen Ergebnisse als Maß für das Verklebungspotential dienen und Scher- und Zugkräften gleichzeitig aufgebracht werden, sollte bei dieser Untersuchung die Scher- und Zugphase getrennt voneinander untersucht werden [3] . Abb. 11: Mittlerer Zugwiderstand des Bodens von 12,251 kPa Die Scherfuge verlief bei allen Versuchen durch den Boden selbst, weshalb die reine Zugfestigkeit des Bodens ermittelt wurde. Damit lag die Normalenadhäsion a N zwischen Stahloberfläche und Boden stets über der Zugfestigkeit des Modellbodens. Auch wenn die Versuche bei lediglich einem Spannungsniveau keinen Trend ergeben 152 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Untersuchung elektroosmotischer Effekte auf Adhäsion und Gleitreibung eines bindigen Modellbodens haben, ist ersichtlich, dass ohne Vorbelastung keine Adhäsion und auch keine Anhaftungen entstehen können. Insofern ist von einer Grenzspannung auszugehen, ab der es zu nennenswerter Adhäsion kommt. Diese Grenzspannung scheint unter dem Minimalwert der hier untersuchten Normalspannung von 25 kPa zu liegen. Die Analyse der Menge des anhaftenden Bodens zeigt, dass die gewogenen Massen unter steigender Normalspannung zunehmen. Für das Verklebungspotential eines bindigen Bodens an festen Werkstoffen bestätigt sich der von Schlick [12] und Thewes [1] angenommene Trend einer Zunahme der Bodenverklebungen mit wachsender Normalspannung σ N . Abb. 12: Bodenanhaftungen in Gramm nach der Zugphase Mit bisherigen Versuchen ist es selten möglich, die tatsächliche maximal auf bringbare Zugspannung zu ermitteln. Durch den sich einstellenden Unterdruck in der Grenzschicht Boden-Stahloberfläche, der höher zu sein scheint als die Zugfestigkeit des Bodens, ließen sich die genauen Werte für die Festigkeit in senkrechter Belastungsrichtung ermitteln. Durch die geringe Streuung legt dies die Annahme nahe, dass ab einer Axialspannung von minimal 25 kPa bereits der maximale Zugwiderstand des Modellbodens mobilisiert wird. Analog zu den Scherversuchen wurden alle Parameter konstant gehalten. Die Auswertung erfolgte nach Gl. 2.1. 4.2 Scher- und Zugversuchsergebnisse für U ≠ 0 V Die eigentliche Versuchsentwicklung innerhalb dieser Arbeit dient der Untersuchung des elektroosmotischen Effektes auf das Adhäsions- und Reibungsverhalten zwischen bindigem Boden und Stahl. Mithilfe des Versuchs kann im Gegensatz zu bisherigen Tests das Adhäsions- und Reibungsverhalten mit einer hohen Auflösung aufgezeichnet und die Parameter Tangentialadhäsion, Normalenadhäsion und Gleitreibung abgebildet und ermittelt werden. Für die Quantifizierung der mechanischen Effekte wurde die elektrische Gleichspannung variiert und versucht, eine Abhängigkeit des Scherwiderstands von der Stromspannung herzustellen. Die Stromspannung liefert dabei allerdings eine unzureichende Abhängigkeit, da nach Gl. 2.6 der elektroosmotische Fluss von der elektrischen Feldstärke E abhängt. Vor diesem Hintergrund wurde bei allen Versuchen eine über die Stahloberfläche annähernd konstante Feldstärke sichergestellt. Die Feldstärke ergibt sich aus der Division der elektrischen Spannung durch den Abstand der Elektroden in Metern. Bisher wurden die mechanischen Veränderungen durch ein elektrisches Gleichspannungsfeld nur über Indexversuche wie der schiefen Ebene untersucht - bei den Untersuchungen war keine Arbeitslinie abzuleiten [13] . Innerhalb der vorliegenden Arbeit wurde dahingegen die elektrische Gleichspannung systematisch variiert und mit jeweils drei Versuchen die Auswirkung auf den Scherwiderstand untersucht. Die Scherversuche ergaben eine eindeutige Arbeitslinie, mithilfe derer der Scherweg und der Scherwiderstand graphisch auswertbar sind - vgl. Abb. 13 . Abb. 13: Einzelversuch bei U = 2,5V mit Darstellung des Scherwiderstands und Scherwegs Es konnte ein deutlich sichtbarer Trend herausgearbeitet werden, der die exponentielle Abnahme des statischen Scherwiderstandes mit einer steigenden Stromspannung darstellt - siehe Abb. 14 . Bereits ab einer Spannung von 2,5 V respektive einer elektrischen Feldstärke von 83,3 V/ m nimmt der Scherwiderstand um knapp 42% ab. Bei einer Spannung von 10 V sind lediglich noch 8% der ursprünglichen maximalen Haftspannung messbar. Abb. 14: Abnahme der maximalen Haftreibung mit Zunahme der elektrischen Gleichspannung bei σ N = 100kPa, normiert 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 153 Untersuchung elektroosmotischer Effekte auf Adhäsion und Gleitreibung eines bindigen Modellbodens Jeder sichtbare Datenpunkt besteht wie in den vorherigen Versuchen aus drei Einzelversuchen und erhöht die statistische Belastbarkeit - siehe Abb. 15 . Die Streuung der Versuchswerte nimmt dabei mit der Höhe der Spannung ab, was damit erklärt werden kann, dass die Konsistenz des Bodens in der Grenzschicht ab 7,5 V einen Minimalwert erreicht und in einen suspensionsähnlichen Zustand übergeht. Der kohäsionsinduzierte Widerstand wird damit nicht mehr durch die Verzahnung zwischen Boden und Stahloberfläche generiert, sondern vielmehr durch die Viskosität der Bodensuspension. Der ausgeprägte Peak im Scherwiderstand zwischen Stahloberfläche und Boden ist ab 5 V nicht mehr zu erkennen. Die statische Haftreibung wird durch das elektrische Gleichspannungsfeld auf das Restscherniveau reduziert, worauf hin generell hinterfragt werden sollte, ob hierbei noch von adhäsivem Bodenverhalten gesprochen werden kann. Abb. 15: Boxplot der Einzelversuche bei unterschiedlichen elektrischen Gleichspannungsniveaus Die Ergebnisse aus den Scherversuchen bestätigten die Hypothese eines verminderten Scherwiderstands, Adhäsion und auch Gleitreibung zwischen Boden und Stahl. Sie lassen überdies erste Prognosen zu, wie stark der Scherwiderstand bei gleichbleibenden Bodenverhältnissen unter einer bestimmten Feldstärke reduziert werden kann. Ein elektrisches Feld und die sich einstellenden elektroosmotischen Prozesse können die Scherverhältnisse in großem Maße beeinflussen. Für alle geotechnischen Maßnahmen, die eine Interaktion zwischen Stahl und Boden bedeuten, sollte dies von Interesse sein, da sowohl der Widerstand im Bauzustand wie auch im Endzustand eines Tief bauwerks durch geringen Aufwand verändert werden kann. Für den Vergleich zwischen der Adhäsion senkrecht zur Prüfoberfläche ohne elektrische Gleichspannung und dem Haftwiderstand mit elektrischem Feld waren ähnlich dem vorherigen Programm ergänzende Versuche nötig. Es wurden bei diesen Versuchen ausschließlich der elektrische Spannungsparameter variiert. Die Variation des Einstellwertes wurde durch die vorgeschalteten Rotationsscherversuche vorgegeben. D. h. es wurde das Adhäsionsverhalten für 2,5; 5; 7,5 und 10 V untersucht. Die Normalenadhäsion nahm bei jeweils drei Versuchen für das jeweilige Spannungsniveau mit Zunahme der elektrischen Spannung deutlich ab. Bereits ab einer Spannung von 2,5 V oder 83,33 V/ m fiel die maximale Zugspannung um durchschnittlich 85% ab. Durch die Wasserdiffusion in die Grenzschicht erhöht sich die Dicke des Wasserfilm zwischen Stahlplatte und Boden. Damit wächst der Meniskusradius der Kapillarschicht an und der Unterdruck fällt ab - vgl. Gl. 2.2. Abb. 16: Abnahme des Zugwiderstandes bzw. der Normalenadhäsion mit steigender Normalspannung bei σ N = 100kPa, normiert Im Unterschied zu den Versuchen ohne elektrisches Gleichspannungsfeld löste sich die Prüfplatte ab 2,5 V nahezu rückstandsfrei vom Boden ab. Der kegelförmige Riss innerhalb des Bodens bei den Tests ohne elektroosmotische Effekte konnte in keinem Versuch beobachtet werden - vgl. Abb. 17 . Das bedeutet: Die Zugfestigkeit des Bodens wurde niemals überschritten. Die gemessene Adhäsion von durchschnittlich unter 1 kPa war somit eine tatsächliche Haftkraft zwischen Stahl und Boden. Die Normalenadhäsion muss maßgeblich für das Phänomen von Tonverklebungen an Stahl verantwortlich sein, die durch geringe elektrische Spannungen verhindert werden können. Bei keinem der Versuche mit einem elektrischen Gleichspannungsfeld konnten nennenswerte Tonanhaftungen erkannt und gemessen werden. Abb. 17: Messung der Tonanhaftungen nach der Versuchsdurchführung mit 2,5 V (links) und 0 V (rechts) Nach Gl. 2.6 kommt es durch den elektroosmotischen Fluss zu veränderten Wasserbzw. Feuchteverhältnissen an der Anode und Kathode. Der Boden an der Anode trocknet dabei aus, wohingegen der Wassergehalt an der 154 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Untersuchung elektroosmotischer Effekte auf Adhäsion und Gleitreibung eines bindigen Modellbodens Kathode ansteigt. Nach den Zugversuchen wurde deshalb beim Bodenausbau eine Bodenprobe im Bereich der Kathode und Anode schabend genommen. Die Proben wurden für 24 h bei 105°/ C getrocknet und deren Wassergehalt bestimmt. Nach den Versuchen konnte eine deutliche Zunahme des Wassergehaltes mit steigender elektrischer Feldstärke festgestellt werden. Der Wassergehalt an der Kathode stieg dabei von 100% (Einbauwert) bis auf knapp 170% bei einer elektrischen Feldstärke von 333,33 V/ m an. Dieser beeindruckende zeitabhängige Effekt läuft innerhalb von 20 Minuten ab und sorgt für eine extreme Veränderung der Wasserverhältnisse in der Phasengrenze. Es verwundert unter Betrachtung der adhäsionsbestimmenden Konsistenz daher nicht, dass sowohl Scherwiderstand als auch Zugwiderstand wie auch Anhaftungen durch die elektroosmotischen Prozesse stark beeinflusst werden. Neben den veränderten Wasserverhältnissen in der Phasengrenze sollte auch die Wasserstoffgasbildung zu einer nennenswerten Reduktion der Haftspannungen führen. Der entstehende Druck durch die Volumenzunahme im elektrolytischen Prozess an der Prüfoberfläche reduziert den kapillaren Unterdruck bzw. hebt ihn der Vermutung nach auf. Die Spaltung von Wasser in Wasserstoff (Kathode) und Sauerstoff (Anode) beginnt ab einer elektrischen Grenzspannung - der Zersetzungsspannung. Die Grenzspannung setzt unter normalen Bedingungen im chemischen Labor ab ca. 1,2 V ein. Für die Verhältnisse in dem vorliegenden Modellboden sollte geklärt werden, ab wann die Elektrolyse tatsächlich einsetzt und wie sich die elektrische Stromstärke in Abhängigkeit der elektrischen Spannung und Zeit verhält. Es lohnt künftig eine Untersuchung, wie sich die Reibungsverhältnisse zwischen Boden und Stahl unterhalb der Grenzspannung verändern. Damit können die beiden Phänomene, die zur Reduktion des Widerstandes führen, isoliert werden. Unterhalb der Zersetzungsspannung kommt es zu keiner Gasbildung und es sollte nur die Wasserdiffusion in die Grenzschicht zur Reduktion der Scher- und Zugspannungen führen. Für die Risikobewertung der Anwendung eines elektrischen Gleichspannungsfeldes, wurde zusätzlich die Wasserstoffentwicklung über die Versuchszeit analysiert. Nach dem Faradayschen Gesetz ist der Stoffumsatz einer elektrochemischen Reaktion proportional zu Zeit und Stromstärke. Es kann somit ein linearer Zusammenhang zwischen der Stromstärke nach einer bestimmten Zeit und der entstehenden Wasserstoffmenge hergestellt werden. Gl. (2.9) Nach t abgeleitet ergibt sich für den Volumenstrom bzw. Molstrom: Gl. (2.10) Molstrom: Gl. (2.11) Volumenstrom: Gl. (2.12) Für das Volumen: Gl. (2.13) Nach diesem Zusammenhang entsteht im Maximum bei 10 V elektr. Spannung und einer durchschnittlichen Stromstärke von 0,4133 A über 20 min eine Wasserstoffmenge von 0,085 l. Für die Risikobeurteilung ist die potenzielle Brennenergie des entstehenden Wasserstoffgases von Interesse. Gl. (2.14) Mit: : = Ladungsdichte [A∙s] : = Stromstärke [A] : = Zeit [s] : = Ladungszahl (zwei efür H2) [-] : = Faraday-Konstante 96485,3 [C/ mol] : = Normliter bei 0°C oder 273 K : = Brennenthalpie pro Volumen [kJ/ NL] Nach Gl. (2.14) ergibt dies für 0,085l Wasserstoff eine maximale Brennenergie von 1,06 kJ. Zum Vergleich: Ein Liter Benzin hat einen Brennwert von 32,1 MJ - Faktor 3 x 10 4 größer. Bei einer Konzentration von 18% pro Raumvolumen besteht eine Explosionsgefahr. Außerhalb geschlossener Räume oder begrenzter Volumina kann der entstehende Wasserstoff damit nicht zur Explosion gebracht werden [14] . 5. Zusammenfassung Nach einzelnen Versuchsparametern isoliert wurden erste belastbare Erkenntnisse gewonnen. Insbesondere die Größe der elektrischen Feldstärke für eine nennenswerte Reduktion des Scher- und Zugwiderstand zwischen Stahloberfläche und einem bindigen Modellboden wurde bei diesen Untersuchungen herausgearbeitet. Bereits bei elektrischen Gleichspannungen von 2,5V reduzierte sich die maximale Scherspannung um über 40%. Die Zugspannung verringerte sich bei der gleichen elektrischen Feldstärke um über 80%. Dabei wurde nicht nur beobachtet, dass die Haftspannung bei einer ziehenden Relativbewegung deutlich abfiel. Es wurde darüber hinaus festgestellt, dass die Tonanhaftungen, die ohne ein elektrisches Feld an der Prüfoberfläche haften blieben, vollständig verhindert wurden. Die aus den Versuchen 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 155 Untersuchung elektroosmotischer Effekte auf Adhäsion und Gleitreibung eines bindigen Modellbodens entstandenen Korrelationen konnten erste Abschätzung und Prognosen liefern, wie groß der Nutzen von elektrischem Strom zur Beeinflussung des mechanischen Widerstandes zwischen Stahl und Boden ist. Die Tests stellen vielversprechende Einsatzmöglichkeiten in Aussicht, durch die sich die Maschinentechnik optimieren und die Bauausführung effizienter werden lässt. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund steigender Materialkosten und Zinsen sollte sich die Bautechnik nicht nur durch digitale Prozesse weiterentwickeln, sondern auch vermeintliche praktische Gesetzmäßigkeiten durch neue Entwicklungen überwinden. Literatur [1] M. Thewes, „Adhäsion von Tonböden beim Tunnelvortrieb mit Flüssigkeitsschilden“, Shaker, Aachen, 1999. [2] U. Burbaum, „Adhäsion bindiger Böden an Werkstoffoberflächen von Tunnelvortriebsmschinen“, Darmstadt, 2009. [3] M. Feinendegen, M. Ziegler, R. Azzam, G. Spagnoli und T. Fernández-Steeger, „Ein neues Verfahren zur Bewertung des Verklebungspotenzial beim maschinellen Tunnelvortrieb mit Erddruckschilden“, Baugrundtagung, München, 2010. [4] S. Beretitsch, „Kräftespiel im System Schneidwerkzeug-Boden“, Karlsruhe, 1992. [5] R. Zorn, „Elektrokinetische Bodensanierung: Numerische Modellierung des Stofftransportes unter Einfluss eines elektrischen Gradienten“, Karlsruhe, 2005. [6] J. K. Mitchell, „Potential use of electro-kinetics for hazardous waste site remediation“, Electrokinetic Treatment and Its Application in Environmental-Geotechnical Engineering for Hazardous Waste Site Remediation, pp. 1-20, 1986. [7] A. Khabazzi Basmenj, M. Ghafoori, A. Cheshomi und Y. K. Azandariani, „Adhesion of clay to metal surface; Normal and tangential measurement“, Geomechanics and Engineering, Vol. 10, No. 2, pp. 125-135, 2016. [8] A. R. Zimnik, L. R. Van Baalen, P. Verhoef und D. Ngan-Tillard, „The adherence of clay to steel surfaces“, in ISRM International Symposium 2000 , Delf, 2018. [9] D. Wolfrum, „Wechselwirkungsverhalten vonthermisch beanspruchten Rohren undzeitweise fließfähigen, selbstverdichtenden Verfüllbaustoffen“, Dissertation, Hannover, 2020. [10]- H. Schubert, „Die Rolle der Wechselwirkungskräfte zwischen Partikeln für das Prozessverhalten und die Eigenschaften von feinen Partikelkollektiven“, Freiberger Forschungs-Heft, Nr. A 778, pp. 10-35, 1989. [11] E. W. Hollinderbäumer , „Anbackungen feuchter Schüttgüter - Haftmechanismen und Lösungsmöglichkeiten für praktische Probleme“, VDI Forschungsberichte, Bd. Reihe 3, Nr. Nr. 344, 1994. [12] G. Schlick, „Adhäsion im Boden - Werkzeug - System“, Karlsruhe, 1989. [13] G. Spagnoli, „Electro-chemo-mechanical manipulations of clays regarding the clogging during EPB-tunnel driving“, Dissertation, Aachen, 2011. [14] TUEVNORD, „Wasserstoff: Eigenschaften, Sicherheit und Gefahren“, 05.03.2023, https: / / www. tuev-nord.de/ de/ unternehmen/ energie/ wasserstoff/ wasserstoff-eigenschaften-sicherheit-gefahren/ . 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 157 Lastfall Impakt auf Steinschlagschutzdamm: Welcher Berechnungsansatz darf ’s denn sein? Dr.-Ing. Bernd Kister geotechnical engineering and research, Neckargemünd Zusammenfassung Sieben Berechnungsansätze wurden hinsichtlich ihrer Eignung für den Lastfall „Impakt auf einen Steinschlag-schutzdamm“ analysiert. Für vier Bauwerkstypen von Steinschlagschutzdämmen wurden Deformationen bzw. Verschiebungen mit diesen Ansätzen ermittelt. Dabei zeigte sich eine erhebliche Streuung bei den Ergebnissen, insbesondere dann, wenn bei den Berechnungsansätzen Interpretationsspielräume genutzt wurden. Auch größere Abweichungen von vorliegenden Versuchsergebnissen waren zu verzeichnen. Nicht jeder Modellansatz ist für jeden Dammtyp geeignet. Eine generelle Empfehlung für einen bestimmten Modellansatz kann zurzeit nicht gemacht werden. 1. Einführung Zum Schutz vor Stein- und Blockschlag werden, insbesondere bei hohen Impaktenergien, seit mehr als 50 Jahren Steinschlagschutzdämme erstellt. Zunächst wurden für diesen Zweck reine Erddämme erstellt. Im Laufe der Jahre kamen komplexere Damm-konstruktionen hinzu, wie z. B. Dämme mit vorgesetztem Blockmauerwerk auf der Bergseite. In jüngerer Zeit kamen Konstruktionen mit Geogitter-bewehrung hinzu. Diese drei Bauwerkstypen stellen heute den Grossteil beim Inventar der Steinschlagschutzdämme dar (vgl. z. B. Lambert & Kister, 2017). Für den Lastfall «Impakt auf einen Steinschlag-schutzdamm» wurden in den vergangenen Jahren zum Teil sehr unterschiedliche Berechnungsmodelle entwickelt. Die Rechenansätze, die für den Lastfall Impakt auf einen Steinschlagschutzdamm angewendet werden bzw. wurden, lassen sich grob in drei Typen unterteilen: • Penetrationsmodelle, deren Ziel es ist eine Eindringtiefe zu ermitteln. • Modellansätze, die auf der Definition eines Bruchkörpers basieren. • Eine Kombination der beiden vorgenannten Modelle. Vereinzelt wurden auch numerische Berechnungen für den Lastfall «Impakt auf einen Steinschlag-schutzdamm» durchgeführt. Allerdings beschränkt sich die Ausführung solcher Berechnungen bisher auf Forschungseinrichtungen. Die Projektierung von Steinschlagschutzdämmen wird hingegen in der Regel von Ingenieurbüros ausgeführt, denen diese Werkzeuge sowie das hierfür notwendige spezielle Knowhow nicht zur Verfügung stehen. In einem Projekt, welches vom Bundesamt für Umwelt (BAFU), Schweiz, gefördert wurde, wurden verschiedene Berechnungsansätze hinsichtlich ihrer Eignung für die vorgenannten drei Bauwerkstypen an realen Bauwerken untersucht. Ausgehend von den den Berechnungsansätzen zugrundeliegenden Annahmen, wurde auch untersucht welche Interpretations-spielräume die unterschiedlichen Modellansätze noch zulassen. Hierzu gehört z. B. auf welche Art und Weise vorgesetztes Blockmauerwerk bei den einfachen Berechnungsansätzen mitberücksichtigt werden kann. 2. Wesentliche Einflussgrößen Impakt An der Hochschule Luzern wurde im Rahmen von zwei Forschungsprojekten (Kister & Lambert, 2017; Kister, 2015) eine große Anzahl von klein- und halb-maßstäblichen Versuchen zum Impakt auf Steinschlag-schutzdämme ausgeführt. Die Versuchsergebnisse haben aufgezeigt, dass die folgenden Einflussgrößen wesentlich für den Impaktprozess und die Frage nach der Tragsicherheit bzw. der Gebrauchstauglichkeit eines Schutzdammes sind: • die totale Blockenergie, • das Verhältnis von Rotationsenergie zu Translationsenergie, • der Aufschlagbzw. Auftreffwinkel, • die Form des Blocks und • der Stärke des Schutzdamms auf der Höhe des Impakts. Aus den durchgeführten Versuchen lässt sich ableiten, dass beim Impakt eines Blocks auf einen Damm in einem sehr kurzen Zeitintervall mindestens 80 % der Translationsenergie des Blocks auf den Damm übertragen und dort in Kompression, Wärme und Wellenenergie umgewandelt wird (Abb. 1, vgl. auch Kister & Lambert, 2017). Peila et al. (2007) führten Rückrechnungen von Impaktversuchen auf Steinschlagschutzdämme mit Geogitterbewehrung aus. Diese Berechnungen nach der Methode der Finiten Elemente zeigten ein ähnliches Ergebnis, d. h. ca. 82 % der Impaktenergie wurden in Verformung und Wärme umgewandelt. 18 % der Impaktenergie wurde durch Reibungsarbeit in den Geogitterebenen abgebaut. 158 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Lastfall Impakt auf Steinschlagschutzdamm: Welcher Berechnungsansatz darf ’s denn sein? 0.0 10.0 20.0 30.0 40.0 50.0 60.0 70.0 80.0 90.0 100.0 0.00 0.05 0.10 0.15 0.20 E trans [%] time [s] G_2121_9_11-1 G_2121H_9_11-1 G_2121F_8_11-1 G_2121FF_9_11-1 Envelope E1 Envelope E2 E 1 = 100 - 5000 * t E 2 = 24 - 100 * t Abb. 1: Reduktion der Blockenergie im Verlauf des Impaktprozesses bei einem zylinderförmigen Impaktkörper für Modelldämme mit und ohne Mauerwerk auf der Bergseite, Böschungsneigung 2: 1. Für das Verhältnis von Rotationsenergie zu Trans-lationsenergie ermittelten Usiro et al. (2006) in Feld-versuchen mit natürlichen Blöcken Werte zwischen 0.025 und 0.2, im Mittel ein Wert von ca. 0.1. Eine weitere wichtige Einflussgröße beim Impakt-prozess ist neben der Blockrotation auch die Form des Blocks. Während Blöcke mit eher abgerundeter Form und hoher Rotationsenergie die Tendenz haben entlang der Dammböschung nach oben zu steigen und den Damm zu überspringen (Abb. 2), führen kantige Blöcke mit geringer Rotation meist nur eine geringe Bewegung in Richtung Dammkrone aus (Abb. 3). Abb. 2: Beispiel für den Einfluss der Blockform und der Rotationsenergie des Blocks auf das Freibord FB. Böschungswinkel 69 °, Versuch mit einem zylinder-förmigen stark rotierenden Impaktor, FB ca. 0.6 * 2 r. Das Freibord FB ist nicht ausreichend, der Block über-windet den Damm (Kister & Lambert, 2017). Abb. 3: Beispiel für den Einfluss der Blockform und der Rotationsenergie des Blocks auf das Freibord FB. Böschungswinkel 69 °, Versuch mit einem kantigen Impaktor mit sehr geringer Rotation, FB ca. 0.5 * 2 r. Das Freibord ist in diesem Fall ausreichend, der Block überwindet den Damm nicht (Kister & Lambert, 2017). Der Aufschlag- oder Impaktwinkel α, der sich aus der Kombination von Blocktrajektorie und Neigungswinkel der Dammböschung ergibt, ist ein weiterer wichtiger Parameter beim Impaktprozess (Abb. 4). Dies gilt sowohl für die Fragestellung der Tragsicherheit und eine eventuell durch den Impakt hervorgerufenen Bruchfuge als auch bei der Fragestellung nach der Gebrauchs-tauglichkeit im Hinblick auf ein Überspringen bzw. Überrollen der Dammkrone. Abb. 4: Definition des Aufschlagbzw. Auftreffwinkels α bezogen auf die Lotrechte zur Dammböschung Ein positiver Aufschlagwinkel, d. h. die Blocktrajektorie liegt unterhalb der Lotrechten zur Dammböschung, führt zu einem aufwärts gerichteten Geschwindigkeitsvektor (Abb. 4) und damit zu einer hangaufwärts gerichteten Bewegung, die die Rotation des Blocks unterstützt. Ist der Aufschlagwinkel hingegen negativ, d. h. die Blocktrajektorie befindet sich oberhalb der Lotrechten 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 159 Lastfall Impakt auf Steinschlagschutzdamm: Welcher Berechnungsansatz darf ’s denn sein? zur Dammböschung, führt dies zu einem hangabwärts gerichteten Geschwindigkeitsvektor, der der rotierenden Bewegung des Blocks entgegenwirkt. Bei schlanken Dammkonstruktionen, z. B. mit Blocksteinmauerwerk sowohl auf der Bergals auch der Talseite, können infolge des Impakts geneigte Scher-flächen im Dammkörper auftreten (Abb. 5). Der Verlauf dieser Scherflächen ist näherungsweise parallel zur Blocktrajektorie beim Aufprall. Abb. 5: Geneigte durchgehende Scherfläche (blau Linie) im Dammkörper infolge eines Impakts. Die Neigung der Scherfläche entspricht näherungsweise der Trajektorie des Blocks (rot) beim Aufprall (Kister & Lambert, 2017). Hofmann et al. (2017) geben an, dass bei ihren Modellversuchen an Modelldämmen mit Geogittern die Auswertungen darauf hin deuten, dass eine „zunächst geneigte Bruchfläche“ entsteht, die durch die Geogitter verläuft. Die Neigung der Bruchfläche entspricht dabei in etwa der Richtung des Impakts. Bei Versuchen an der Hochschule Luzern an Modelldämmen mit einer eher gedrungenen Form konnten zwar auch horizontale oder annähernd horizontale Scherflächen im Dammkörper beobachtet werden, diese waren jedoch nicht durchgehend. Vielmehr konnten temporäre Verschiebungsfelder beobachtet werden, die sich durch den Dammkörper hindurch bewegten (Abb. 6) und z.T. bei Erreichen der talseitigen Böschung dort zu Auflockerungen führten. Abb. 6: Temporäres Verschiebungsfeld infolge eines Impaktversuchs an einem Modelldamm mit der Böschungsneigung 1: 1. Das Bild zeigt die Blockposition am Beginn des Zeitintervalls Dt = 2 ms, die Verschiebungen sind als mittlere Verschiebungen aus dem Zeitintervall Dt = 2 ms zu verstehen (Kister, 2015) 3. Berechnungsansätze Die Aufgabe eines Steinschlagschutzdamms ist es den Bemessungsblock aufzuhalten. Grundsätzlich sind dabei zwei Szenarien zu betrachten: • Der Block durchschlägt den Schutzdamm oder schädigt den Schutzdamm so stark, dass durch die hervorgerufene Instabilität des Schutz-damms eine Gefährdung auftritt. • Der Block überwindet den Schutzdamm durch Überrollen bzw. Überspringen. Im Rahmen der Ausarbeitung eines Merkblatts „Erfahrungen und Hinweise zur Projektierung von Steinschlagschutzdämmen“ (BAFU, in Vorbereitung) wurden Berechnungsansätze zur Stabilität eines Dammes unter dem Lastfall Impakt hinsichtlich ihrer Eignung überprüft. D. h. die nachfolgend aufgeführten Berechnungsansätze beziehen sich auf den erstgenannten Fall, d. h. auf die Stabilität des Bauwerks bzw. seine Tragsicherheit beim Impakt. Zur Über-prüfung der Gebrauchstauglichkeit des Bauwerks im Hinblick auf ein mögliches Überrollen oder Über-springen des Damms durch den Bemessungsblock sind diese Modellansätze hingegen nicht geeignet. Die nachfolgend aufgelisteten sehr unterschiedlichen Berechnungsansätze wurden hinsichtlich ihrer Eignung an verschiedenen Bauwerkstypen getestet: • Ansatz nach Hofmann und Mölk (2012) resp. ONR 24810 • Ansatz nach Kister und Fontana (2011) • Ansatz nach Gerber (2020) bzw. Gerber und Volkwein (2012) • ASTRA-Formel für Galeriebauwerke (2008) • Ansatz nach Ronco et al. (2009) • Ansatz nach Kretz (2018) • Formeln von Kar (1978) 160 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Lastfall Impakt auf Steinschlagschutzdamm: Welcher Berechnungsansatz darf ’s denn sein? Die diesen Berechnungsansätzen zugrundeliegenden Daten und Überlegungen wurden in einem Anhang zum Merkblatt ausführlich dokumentiert und diskutiert. Die nachfolgenden Ausführungen geben nur einen Ausschnitt aus diesem Anhang wieder. 3.1 Ansatz nach Hofmann und Mölk (2012) resp. ONR 24810 Für ihren Berechnungsansatz haben Hofmann & Mölk (2012) eine durch den Impakt aktivierte Dammfläche A a definiert (Abb. 7). Diese aktivierte Dammfläche ist an der Unterseite durch eine horizontale Gerade begrenzt, die auf dem Niveau der Unterkante des Blocks beim Aufprall verläuft. Abb. 7: Durch den Impakt aktivierter Dammbereich (grau eingefärbt) mit einer unten ebenen horizontalen Begrenzung (Hofmann & Mölk, 2012) Hofmann & Mölk (2012) verwenden für ihren 2D-Modellansatz eine dimensionslose Größe, die sie als „bezogene Energie“ E* bezeichnen. Diese bezogene Energie ist wie folgt definiert: E trans [kJ]: translatorische Blockenergie g D [kN/ m 3 ]: Raumlast des Bodens 2r [m]: Durchmesser des Impaktkörpers A a [m 2 ]: die durch den Impakt aktivierte Fläche h a [m]: Höhe der aktivierten Dammfläche. Es ist zu beachten, dass in diese Formel die Höhe h a der aktivierten Fläche einmal direkt und ein weiteres mal über die Fläche A a eingeht. Die dritte Dimension wird hingegen bei diesem Ansatz nicht berücksichtigt, Neben den geometrischen Abmessungen des aktivierten Dammbereichs geht als einziger Materialparameter des Schutzdamms die Raumlast g D des Bodens in die Berechnung der Größe E* ein. Über ein mittels kleinmaßstäblicher Impaktversuche aufgestelltes dimensionsloses Diagramm (Abb. 8) wird mittels der bezogenen Energie E* der Quotient aus Eindringtiefe δ und Kronenbreite des Damms b bestimmt. Mit der bekannten Kronenbreite des Damms lässt sich dann die Eindringtiefe δ bestimmen. Abb. 8: Dimensionslose Darstellung aus den Versuchsergebnissen von Hofmann & Mölk: bezogene Energie E* in Relation zu der auf die Dammkronenbreite b normierten Eindringtiefe δ für verschiedene Dammausbildungen (Hofmann & Mölk, 2012) Für die Abschätzung der statischen Ersatzkraft zur Bemessung des Schutzdamms geben Hofmann & Mölk (2012) die Gleichung an, wobei m b die Blockmasse und v b die Block-geschwindigkeit sind. Die so ermittelte statische Ersatzkraft wird dann gleichverteilt auf eine Länge umgerechnet, die einem Vielfachen n des Block-durchmessers entspricht. Eine ausführliche Diskussion dieses Modellansatzes findet sich im Anhang des Merkblattes (BAFU), aber z. B. auch bei Kister (2015) bzw. Lambert & Kister (2017). Hofmann et al. haben 2017 eine modifizierte Fassung der Graphik in Abb. 8 veröffentlicht. Die Modifizierung betrifft Schutzdämme mit Geogitterbewehrung. So sollen z. B. Erddämme mit Bewehrung aus Geokunst-stoffen zur Sicherung der Böschungsneigung, aber ohne die Zusatzanforderung für eine größere Querverteilung der Einwirkungen der blauen Fläche im Diagramm in Abb. 8 zugeordnet werden, d. h. sie werden bezüglich der Eindringtiefe δ wie reine Erddämme behandelt. Gemäss den gegebenen Definitionen der Mindest-anforderungen an die Bewehrung für geogitterbewehrte Steinschlagschutzdämme nach Hofmann et al. (2017) würden auch die von Peila et al. (2007) in Groß-versuchen untersuchten geogitterbewehrten Dämme in die blaue Diagrammfläche „verschoben“. Bei den Versuchen von Peila et al. (2007) wurde jedoch der unbewehrte Damm durchschlagen während der mit Geogittern bewehrte Damm dem Impakt standhielt. Diese Versuchsergebnisse widersprechen somit der modifizierten Fassung des Diagramms. 3.2 Ansatz nach Kister und Fontana (2011) Der Berechnungsansatz „Energie - verrichtete Arbeit“, der von Kister und & Fontana (2011) vorgeschlagen wurde, beruht auf dem Impulserhaltungssatz der Newtonschen Mechanik und geht unter Anderem von den folgenden Annahmen aus 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 161 Lastfall Impakt auf Steinschlagschutzdamm: Welcher Berechnungsansatz darf ’s denn sein? • Der Bruchkörper ist homogen, Geometrie des Bruchkörpers und seine Dichte werden als bekannt vorausgesetzt, so dass die Masse m D des Bruchkörpers berechnet werden kann. • Es wird ferner angenommen, dass nur der Bruchkörper selbst vom Impakt betroffen ist, der „Rest“ des Damms wird nicht in die Betrachtungen einbezogen (Abb. 9) Abb. 9: Schematische Darstellung ideal plastischer Stoß zwischen Block und Bruchkörper, nach dem Stoß bleiben beide Körper zusammen und bewegen sich mit der gleichen Geschwindigkeit. Der Vorteil dieses einfachen physikalischen Modells besteht darin, dass die Ausgabeparameter aus Steinschlagsimulationen, d. h. Translationsenergie bzw. Geschwindigkeit des Blocks, direkt in das Modell übernommen werden können. Eine Zwischen-betrachtung mittels einer statischen Ersatzkraft entfällt hierbei. Ein weiterer Vorteil dieses Modellansatzes besteht darin, dass die Grundfläche des Bruchkörpers beliebig geneigt sein kann, so dass Bruchkörper, wie in Abb. 5 gezeigt, berücksichtigt werden können. Hinzu kommt, dass es sich um ein echtes 3D-Modell handelt. Nach der Impulserhaltung der Physik gilt für einen ideal plastischen Stoß: p = m b ⋅ v b = (m b + m D ) ⋅ v n p [kg ∙ m/ s]: Impuls m b [kg]: Masse Block v b [m/ s]: Blockgeschwindigkeit m D [kg]: Masse Bruchkörper v n [m/ s]: theoretische Geschwindigkeit von Bruchkörper mit Block nach dem Stoß Mit Hilfe der Impulserhaltung ergibt sich wobei E b die translatorische Energie des Blocks vor dem Stoß und E n die gemeinsame translatorische Energie von Block und Bruchkörper nach dem Stoß darstellen. Die beim Impakt in Verformung und Wärme umgewandelte kinetische Energie lässt sich dann nach der Formel bestimmen. Das Modell sieht nun vor, dass die Energie E n von Block und Bruchkörper nach dem plastischen Stoß, die nicht in Verformung und Wärme umgewandelt wurde und somit als kinetische Energie zur Verfügung steht, an den Berandungsflächen des Bruchkörpers in Reibungsarbeit umgesetzt wird. Über die Reibungsarbeit W R lässt sich dann ein Verschiebungsweg s des Bruchkörpers berechnen: W R =F R ⋅ s = F n ⋅ tan ⋅ s = η ⋅ E n F n ist die wirkende Normalkraft und der Reibungs-winkel an der Grundfläche des Bruchkörpers. Reibung an den Seiten des Bruchkörpers wurde in der ursprünglichen Fassung des Modells zunächst vernachlässigt, kann aber analog zur Grundfläche berücksichtigt werden. η kann als Partialfaktor angesehen werden, mit dem die Unschärfe des Modells berücksichtigt werden kann. Bei der ursprünglichen Fassung des Modells wurde auf eine Aufweitung des Bruchkörpers verzichtet. Aufgrund der Untersuchungen von Linder (1977) zum Scher-bereich bei Rammpfählen sowie den Versuchen von Blovsky (2002) an Modelldämmen mit einem Pendelschlaggerät (Abb. 10) wird für eine Aufweitung des Bruchkörpers bei Dämmen ohne Geogitter-bewehrung ein Wert von ca. 20° vorgeschlagen. Abb. 10: Aus den Versuchen von Blovsky (2002) an Modelldämmen mit einem Pendelschlaggerät lässt sich die Aufweitung des „Bruchkörpers“ zur Talseite hin zu ca. 20 ° abschätzen 162 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Lastfall Impakt auf Steinschlagschutzdamm: Welcher Berechnungsansatz darf ’s denn sein? Eine Erweiterung des Modells auf Dämme mit einer Geogitterbewehrung wurde bisher nicht vorgenommen. 3.3 Ansatz nach Gerber (2020) bzw. Gerber und Volkwein (2012) Der Ansatz von Gerber basiert im Wesentlichen auf durchgeführten Freifallversuchen. Ziel des Freifall-versuchs ist die Ermittlung der Eindringtiefe des Impaktors in den Untergrund. Dabei wird der Untergrund als homogener Halbraum oder als geschichteter Halbraum angesehen. Zur Ermittlung der Eindringtiefe d eines Blocks in den Schutzdamm wird von Gerber (2020) die Formel d = 0.1 ∙ M E −0.4 ∙ m 0.4 ∙ v 0.8 angegeben. wobei die Einheit des Moduls M E in kN/ m 2 , die Einheit der Blockmasse m in kg und die Einheit der Blockgeschwindigkeit v in m/ s anzugeben sind. Nach Gerber handelt es sich bei dem in der Formel angegebenen M E -Wert jedoch nicht um den in der Geotechnik verwendeten statischen Elastizitätsmodul eines Lockergesteins, ermittelt in einem Lastplattenversuch, sondern um einen „fiktiven“ Wert, der „nur rund die Hälfte“ des statischen M E -Werts betragen soll. Bei dem Impakt auf einen Damm handelt es sich um einen hochdynamischen plastischen Vorgang. Die Verwendung eines elastischen Parameters zur Beschreibung dieses Vorgangs in einem Lockergestein ist daher fraglich, insbesondere da es sich beim M E -Wert auch noch um ein statisches Elastizitätsmodul handelt. Untersuchungen verschiedener Autoren haben zudem gezeigt, dass das Verhältnis von dynamischen zu statischen Elastizitätsmoduli bzw. Steifemoduli immer grösser 1 ist und nicht kleiner 1. Freifallversuche sind grundsätzlich nicht für die Dimensionierung von Dämmen geeignet, da die geometrischen Bedingungen, insbesondere die Randbedingungen, von einem Damm mit drei freien Oberflächen deutlich abweichen. 3.4 ASTRA-Formel für Galeriebauwerke (2008) Die ASTRA-Formel ist eine empirische Formel zur Berechnung einer statischen Ersatzkraft, abgeleitet aus Freifallversuchen auf eine mit Lockergestein bedeckte Betonplatte (Abb. 11). In Ermangelung von Berechnungsmodellen, welche die Dammgeometrie berücksichtigten, wurde zunächst versucht die ASTRA-Formel für Galeriebauwerke (2008) auf die Aufgaben-stellung „Impakt auf einen Steinschlagschutzdamm“ anzuwenden. Abb. 11: Modell zur Ermittlung der statischen Ersatzkraft F k für Galeriebauwerke (ASTRA, 2008). Die Lockergesteinseindeckung dient hier zur Verteilung der Lasten auf der Betonplatte. Die statische Ersatzkraft F k am Aufprallort wird nach der ASTRA-Richtlinie wie folgt ermittelt: mit: F k [kN]: charakteristischer Wert der Kraft am Aufprallort e [m]: Schichtstärke der Eindeckung (vgl. Abb. 11) r [m]: Radius der Ersatzkugel M E,k [kN/ m2]: charakteristischer Wert des statischen M E -Moduls des Eindeckungs-materials k [°]: charakteristischer Wert des Reibungswinkels des Eindeckungsmaterials m k [t]: charakteristischer Wert der Masse des Steinblocks v k [m/ s] charakteristischer Wert der Aufprall-geschwindigkeit Für die Eindringtiefe d des Blocks in die Locker-gesteinsbedeckung gilt: Der Ansatz wurde schon mehrfach auf Schutzdämme angewendet, ist aber für Dämme nicht geeignet, da der Parameter e, Mächtigkeit der Eindeckung, im Falle eines Damms nicht definiert und auch keine Betondecke vorhanden ist. Zudem bestehen zwischen Geometrie und Randbedingungen des Modells in Abb. 11 und den Ge- 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 163 Lastfall Impakt auf Steinschlagschutzdamm: Welcher Berechnungsansatz darf ’s denn sein? gebenheiten bei einem Impakt auf einen Damm signifikante weitere Unterschiede. Ein weiteres Problem mit der ASTRA-Formel besteht darin, dass mit zunehmender Schichtmächtigkeit e der charakteristische Wert der Kraft am Aufprallort exponentiell abnimmt. Da sich die Eindringtiefe gemäss der vorstehenden Formel reziprok zur Kraft verhält, bedeutet dies, dass die Eindringtiefe mit zunehmender Schichtmächtigkeit signifikant zunimmt und für große Werte von e zu unrealistisch großen Eindringtiefen führt, ohne dass sich die Blockenergie dabei ändert. Die ASTRA-Formel ist daher für die Anwendung auf den Lastfall „Impakt auf Steinschlagschutzdamm nicht geeignet, da die Dammstärke am Aufprallort selbst im Bereich der Dammkrone deutlich grösser ist als die Schichtstärke einer Eindeckung bei einem Galerie-bauwerk. Eine ausführliche Diskussion der ASTRA-Formel bezüglich ihrer Anwendbarkeit auf Steinschlag-schutzdämme findet sich auch bei Kister (2015) bzw. Lambert & Kister (2017). 3.5 Ansatz nach Ronco et al. (2009) Ausgehend von den Versuchen die in den Veröffentlichungen von Peila et al. (2002) bzw. Peila et al. (2007) beschrieben werden sowie numerischen Berechnungen nach der Methode der Finiten Elemente schlagen Ronco et al. (2009) vor, die Gesamt-verformung eines mit Geogittern bewehrten Damms aus zwei Anteilen, der plastischen Deformation δ p und dem maximalen Verschiebungsweg ξ des Bruchkörpers A entlang der Geogitter, der vom Impakt betroffenen Schichten zu ermitteln (Abb. 12). Der von Verschiebungen betroffene Bereich wird entsprechend den Ergebnissen von Verformungsberechnungen nach der Finiten Elemente Methode in der Draufsicht als trapezförmige Fläche angesehen. Den Ausbreitungswinkel ψ geben Ronco et al. mit 45 ° an. Abb.12: Schematische Darstellung der Verformungs-anteile eines mit Geogittern bewehrten Damms nach dem Impakt nach Ronco et al. (2009). Die plastische Deformation δ p soll als Quotient der abgeminderten Blockenergie und der maximalen Kraft F max , die während der Abbremsphase wirkt, ermittelt werden. Die Abminderung soll nach Ronco et al. (2009) 85 % der Impaktenergie für einen Impakt mit Energien kleiner 5‘000 kJ und 80 % der Impaktenergie für einen Impakt mit Energien von mehr als 5000 kJ betragen. Dies wurde aus den ausgeführten Versuchen von Peila et al. (2007) abgeleitet. Für die maximale Kraft F max soll eine Formel verwendet werden, die den Kraftstoß eines starren Körpers auf einen unendlichen elastischen Halbraum beschreibt (Montani et al., 1997). μ ist hierbei der Abminderungsfaktor und beträgt 0.85 bzw. 0.80. Die Parameter im Einzelnen und ihre Einheiten sind: Elastizitätsmodul M E,k [kN/ m 2 ] Radius des Blocks r [m] Kinetische Energie E kin [kJ] Der Faktor 1.765 ist der Form des Versuchsblocks von Montani geschuldet. Die plastischen Deformation δ p in Metern erhält man nach der Formel: Für die Ermittlung der Gleitverschiebung ξ der durch Geogitter abgegrenzten Bodenpakete werden diese als starre Körper angesehen (Abb. 12). Für die Berechnung wird die Blockenergie E kin mit dem Faktor (1-μ) abgemindert, da nur dieser Anteil noch für eine Verschiebung entlang der Geogitterebenen zur Verfügung steht. Der Verschiebungsweg ξ ergibt sich dann nach Ronco et al. (2009) aus der Gleichsetzung von abgeminderter Energie und Arbeit, die verrichtet werden muss, um die Verschiebung ξ zu erreichen: (1 − μ) ∙ E kin = W R = ξ ∙ F R Die Gesamtverformung ergibt sich als Summe aus der plastische Deformation δ p und dem Verschiebungsweg ξ. Mit den so ermittelten Anteilen aus Deformation und Verschiebung soll dann die Standsicherheit des verformten Damms überprüft werden. Auch in diesem Modell wird wieder auf eine statische Ersatzkraft zurückgegriffen, die als einzigen Parameter des Dammmaterials ein statisches Elastizitätsmodul verwendet und aus Freifallversuchen abgeleitet wurde. 3.6 Ansatz nach Kretz (2018) Kretz (2018) hat den Ansatz von Ronco et al. (2009) übernommen und zwei Änderungen daran vorgenommen. Zum einen hat er dem Abminderungs-faktor μ nicht mehr einen festen Betrag zugewiesen, sondern berechnet den Energieanteil E p , der für die plastischen Verformungen verantwortlich ist, mit Hilfe des Modells „ideal plasti- 164 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Lastfall Impakt auf Steinschlagschutzdamm: Welcher Berechnungsansatz darf ’s denn sein? scher Stoß“ (vgl. Kister & Fontana, 2011). Der Energieanteil E p ergibt sich damit zu: M 1 ist hierbei die Masse des Blocks und M 2 die Masse des beanspruchten Dammquerschnitts. Zum anderen wird die statische Ersatzkraft F p nicht nach der Formel von Montani et al. (1997) berechnet. Kretz (2018) verwendet stattdessen die Formulierung des AS- TRA-Ansatzes für Galeriebauwerke. F p = 2.8 ∙ l e −0.5 ∙ r e 0.7 ∙ M E,k 0.4 ∙ tan k ∙ E p 0.6 Im Unterschied zur ASTRA-Formel, bei der die vollständige translatorische Energie des Blocks eingesetzt wird, verwendet Kretz nur den Energieanteil E p . Die weiteren Parameter sind nach Kretz: l e : die Länge der möglichen Bahn des Blocks durch den Dammkörper, r e : der Ersatzradius des Blocks, M E,k : der charakteristische Wert des Zusammendrückungsmoduls unter Erstbelastung k : der charakteristische Wert des Scherwinkels des Dammschüttmaterials. Die Eindringtiefe δ p wird dann wie folgt berechnet: Die horizontale Verschiebung einer Schicht mit der Mächtigkeit des Blockdurchmessers wird dann in einem zweiten Schritt betrachtet (Abb. 13). Für die Berechnung des Gleitweges ξ dieser Schicht wird von Kretz ebenfalls ein starrer Körper angenommen, der sich gegenüber dem „Rest“ des Dammes verschieben kann. Die Verschiebung ist proportional der Energiedifferenz aus translatorischer Energie E kin und plastischer Verformungsenergie E p . Die talseitige Auslenkung ξ dieses Bruchkörpers wird dann nach der folgenden Formel berechnet: wobei R den gesamten Widerstand aus den Scherflächen des Bruchkörpers darstellt, d. h. Reibung auf der Grundfläche, den Seitenflächen und der Oberseite des Bruchkörpers sowie gegebenenfalls Widerstände aus einer Bewehrung. Die Gesamtverschiebung des Blocks ergibt sich dann wiederum aus den beiden Anteilen δ p und ξ δ = δ p + ξ Im Unterschied zu Ronco et al. (2009), die ihren Ansatz aufgrund der horizontalen Gleitebenen infolge der Geogitter, auf Schutzdämme mit Geogitterbewehrung beschränkt haben, geht Kretz (2018) davon aus, dass sein modifizierter Ansatz auch bei reinen Erddämmen und bei Dämmen mit vorgesetztem Blockmauerwerk angesetzt werden kann. Abb. 13: Zwei-Phasen-Modell nach Kretz (2018) Kretz kombiniert die beiden Modellvorstellungen „ideal plastischer Stoß“ und „ASTRA-Formel“. Damit enthält der Ansatz von Kretz auch die Schwächen aus beiden Modellvorstellungen. Hinzu kommt, dass der Modellansatz ebene, horizontale Gleitbzw. Bruch-ebenen vorsieht, wie bei Ronco et al. (2009) für Dämme mit Geogitterbewehrung. Für schlanke Dämme ohne Geogitterbewehrung ist ein solcher Bruchkörper jedoch nicht realistisch, wie die Versuche an der Hochschule Luzern gezeigt haben (vgl. Abb. 5). Kretz bezeichnet seinen Modellansatz als „rheologisches Bemessungsmodell“. Als rheologische Modelle werden Modelle bezeichnet, die die rheologischen Eigenschaften, d. h. das Fließverhalten eines Materials beschreiben bzw. berücksichtigen. Ein solcher Materialparameter ist jedoch nicht Teil dieses Modells, daher kann hier auch nicht von einem rheologischen Bemessungsmodell gesprochen werden. 3.7 Formeln von Kar (1978) Für Schutzdämme wurde die Formel von Kar von Maccaferri (2009) in Betracht gezogen. Daher soll nachfolgend auf diesen Modellansatz eingegangen werden. Kar 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 165 Lastfall Impakt auf Steinschlagschutzdamm: Welcher Berechnungsansatz darf ’s denn sein? (1978) gibt zur Ermittlung der Eindringtiefe x die folgenden Formeln an: x [cm]: Eindringtiefe 2r [cm]: Durchmesser des Projektils v [m/ s]: Geschwindigkeit des Projektils m [kg]: Masse des Projektils E [kN/ m 2 ]: Elastizitätsmodul des Projektils E s [kN/ m 2 ]: Elastizitätsmodul Stahl N [-]: Formfaktor des Projektils α 1 [-]: Korrelationsfaktor = 27‘183 (dimensionsabhängig) s d [kN/ cm 2 ]: einaxiale Druckfestigkeit des Untergrunds bzw. Zielobjekts Die Formeln von Kar (1978) enthalten fünf Parameter zur Beschreibung der Eigenschaften des Projektils, aber lediglich einen Parameter, s d , zur Beschreibung der mechanischen Eigenschaften des Untergrundes. Gemäss Kar beschreibt der Parameter s d die einaxiale Druckfestigkeit des Materials. Für Lockergestein ist die einaxiale Druckfestigkeit jedoch nicht definiert. Für den Einsatz der Formel bei Steinschlagprozessen wird für den Parameter N üblicherweise angenommen, dass der Wert eines Projektils mit halbkugelförmiger Spitze angesetzt werden kann. Für einen geschichteten Untergrund, wie ihn z. B. auch ein Erddamm mit vorgesetztem Blockmauerwerk darstellt, wird zunächst die Berechnung der Eindringtiefe mit der Druckfestigkeit der obersten Schicht ausgeführt. Wenn die berechnete Eindringtiefe grösser ist als die Mächtigkeit dieser obersten Schicht, wird die verbleibende Geschossgeschwindigkeit nach der obersten Schicht ermittelt. Mit dieser verbliebenen Geschwindigkeit wird dann eine erneute Berechnung durchgeführt und so die Eindringtiefe in der nächsten Schicht bestimmt. Die gesamte Eindringtiefe ergibt sich somit aus der Mächtigkeit der obersten Lage plus der Eindringtiefe in die 2. Schicht. Bei der Verwendung von Formeln für ballistische Geschosse ist zu beachten, dass sie oft empirisch aus Versuchen abgeleitet wurden, d. h. sie sind häufig dimensionsbehaftet und schwierig auf andere Verhältnisse zu übertragen. 4. Untersuchte Beispiele Die vorstehend beschriebenen Modellansätze wurden, soweit es die Modelleigenschaften zuließen, bei 4 Dammtypen angewendet. Bei Beispiel 1 handelt es sich um einen Schutzdamm mit einem bilinearem Böschungsverlauf auf der Bergseite. Im unteren Teil der Böschung befindet sich ein vorgesetztes Blockmauerwerk, der obere Teil besteht aus Lockergestein. Es wurden die Fälle Impakt auf den Lockergesteinsbereich und Impakt auf das Block-mauerwerk untersucht. Die Abbildungen 14 bis 17 zeigen die Eindringtiefen des Blocks in den Dammkörper für die Modellansätze nach Hofmann & Mölk (2012), Kister & Fontana (2011), Gerber (2020) und Kretz (2018). Der Bruchkörper für den Modellansatz Kister & Fontana wurde so gewählt, dass die Ergebnisse mit den Ergebnissen aus den Modellansätzen von Hofmann & Mölk bzw. Kretz vergleichbar sind. Abb. 14: Aktivierter Dammbereich mit einer horizontalen unteren Begrenzung, in Rot die Position der Ersatzkugel nach dem Impakt (mittlerer Wert) nach Hofmann &Mölk (2012). Abb. 15: Aktivierter Dammbereich mit einer horizontalen unteren Begrenzung und eingetragenem Verschiebungsweg für den Block entlang der horizontalen Bruchfuge nach Kister & Fontana (2011) Abb. 16: Darstellung der berechneten Eindringtiefe nach Gerber (2020) 166 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Lastfall Impakt auf Steinschlagschutzdamm: Welcher Berechnungsansatz darf ’s denn sein? Abb. 17: Aktivierter Dammbereich mit einer horizontalen unteren Begrenzung und eingetragenem Wert für die Eindringtiefe δp für den Block entlang der Bruchfuge nach Kretz (2018). Die unterschiedlichen Modellansätze führen zu einer sehr großen Bandbreite für die berechneten Eindring-tiefen bzw. Verschiebungswege. Bei den Modell-ansätzen mit Bruchkörpern wird das Ergebnis einer Berechnung maßgeblich von der Wahl der Größe des Bruchkörpers (mit oder ohne Aufweitung) bestimmt. Zu beachten ist ferner, dass bei den Ansätzen von Hofmann & Mölk und von Gerber jeweils eine Eindringtiefe berechnet wird, jedoch in unter-schiedlichen Richtungen. Eine eventuell auftretende talseitige Verschiebung wird in diesen Modellen nicht berücksichtigt. Beim Ansatz von Kister & Fontana wird hingegen nur die Verschiebung des starren Bruchkörpers betrachtet ohne Berücksichtigung der plastischen Verformung. Das Modell von Kretz berücksichtigt beide Anteile, führt im Vergleich zum Modell von Kister & Fontana bei gleicher Größe des Bruchkörpers jedoch zu deutlich größeren Verschiebungen des Bruchkörpers. Tabelle 1: Beispiel 1, Vergleich der ermittelten Werte für die Deformationen bzw. Verschiebungen, Aufprall auf Lockergestein, Bruchfuge horizontal Modellansatz Kommentar δ p [m] ξ [m] δ [m] Hofmann & Mölk - - 1.5 m min.: 1.2 m max.: 1.8 m Kister & Fontana Variante 1: horizontale untere Begrenzung, ohne Aufweitung, ohne Reibung an den Seitenflächen - - 5.42 m Variante 3a: wie Variante 1, jedoch nur horizontaler Belastungsanteil - - 4.39 m Variante 4a: wie Variante 1, jedoch mit Reibung an den Seitenflächen und nur horizontaler Belastungsanteil - - 3.63 m Variante 2: horizontale untere Begrenzung, Auf-weitung 20°, ohne Reibung an den Seitenflächen - - 1.56 m Variante 3b: wie Variante 2, jedoch nur horizontaler Belastungsanteil - - 1.27 m Variante 4b: wie Variante 2, jedoch mit Reibung an den Seitenflächen und nur horizontaler Belastungsanteil - - 1.15 m Kretz Variante 1: horizontale untere Begrenzung, ohne Aufweitung, mit Reibung an den Seitenflächen 0.82 m 8.97 m 9.79 m Variante 2: wie Variante 1, jedoch nur horizontaler Belastungsanteil 0.76 m 7.27 m 8.03 m Variante 3: horizontale untere Begrenzung, Auf-weitung 20°, ohne Reibung an den Seitenflächen 0.88 m 2.81 m 3.69 m Gerber horizontale Bruchfuge nicht definiert - - - 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 167 Lastfall Impakt auf Steinschlagschutzdamm: Welcher Berechnungsansatz darf ’s denn sein? Tabelle 2: Beispiel 2, Vergleich der ermittelten Werte für die Deformationen bzw. Verschiebungen bei Aufprall auf Lockergestein Modellansatz Kommentar δ p [m] ξ [m] δ [m] gemessene Eindringtiefe 0.8 m 0.0 m 0.8 m Hofmann & Mölk Variante 1: Ansatz der totalen Blockgeschwindigkeit - - 3.3 m Variante 2: Ansatz der horizontal wirksamen Blockgeschwindigkeit - - 2.0 m Kister & Fontana Variante 1: horizontale untere Begrenzung, ohne Aufweitung, ohne Reibung an den Seitenflächen - - 1.5 m Variante 2: horizontale untere Begrenzung, ohne Aufweitung, mit Reibung an den Seitenflächen - - 1.27 m Kretz horizontale untere Begrenzung, ohne Aufweitung, mit Reibung an den Seitenflächen 0.67 m 2.5 m 3.17 m Gerber horizontale Bruchfuge nicht definiert - - 1.81 m Der Ansatz nach Kretz ist für Dämme mit vorgesetztem Blockmauerwerk nicht anwendbar, da für das Blockmauerwerk kein M E -Wert definiert ist. Die statische Ersatzkraft F p nach der ASTRA-Formel kann somit nicht berechnet werden und damit auch nicht die plastische Eindringtiefe δ p . Allenfalls ließe sich die talseitige Auslenkung ξ analog zur Vorgehensweise wie beim Ansatz Kister & Fontana (2011) berechnen. Abb. 18 zeigt den Querschnitt des 2. Beispiels, den Schutzdamm Erstfeld nach Angeben von Kretz (2018). In Tabelle 2 sind die mit den verschiedenen Berechnungsmodellen ermittelten Deformationen bzw. Verschiebungen bei Aufprall auf Lockergestein zusammengefasst. Als 3. Beispiel wurde ein schlanker Schutzdamm mit vorgesetztem Blockmauerwerk sowohl auf der Bergseite als auch auf der Talseite gewählt. Für diesen Damm wurden zwei Szenarien betrachtet: • Freibord FB = 1.0 m • Freibord FB = 2.5 m Abb. 18: Querschnitt des Schutzdamms Erstfeld nach Angeben von Kretz (2018) Abb. 19: Geometrie des Schutzdamms mit Block-mauerwerk sowohl auf der Bergals auch auf der Talseite Die Gegenüberstellung der Modellansätze beim 3. Beispiel zeigt, dass die Größe bzw. Masse des Bruchkörpers ausschlaggebend ist für die Deformation des Damms. Auch die Reibung auf den Seitenflächen hat einen Einfluss auf die Verschiebung. Dieser fällt jedoch deutlich geringer aus, zumindest solange davon ausgegangen wird, dass die Reibung über den Erdruhedruck ermittelt werden kann. Auch die Reduzierung der Einwirkung auf den horizontalen Anteil bei Modellen mit einer horizontalen Bruchfuge führt zu einer Reduktion der Verschiebung. Allerdings fällt auch dieser Anteil im Vergleich zum Einfluss der Masse des Bruchkörpers eher gering aus. 168 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Lastfall Impakt auf Steinschlagschutzdamm: Welcher Berechnungsansatz darf ’s denn sein? Tabelle 3: Beispiel 3, Vergleich der ermittelten Werte für die Deformationen bzw. Verschiebungen bei Aufprall auf Mauerwerk, Freibord FB = 1 m. Modellansatz Kommentar δ p [m] ξ [m] δ [m] Hofmann & Mölk Achtung: schlanke Dämme mit Mauerwerk auf der Berg- und der Talseite wurden nicht untersucht - - 0.85 m min.: 0.45 m max.: 1.2 m Kister & Fontana Variante 1: geneigte untere Begrenzung, ohne Aufweitung, ohne Reibung an den Seitenflächen - - 1.54 m Variante 2: geneigte untere Begrenzung, Aufweitung 20°, ohne Reibung an den Seitenflächen - - 0.73 m Kretz Ansatz nicht anwendbar, da M E für Mauerwerk nicht definiert - - - Gerber Ansatz nicht anwendbar, da M E für Mauerwerk nicht definiert - - - Tabelle 4: Beispiel 3, Vergleich der ermittelten Werte für die Deformationen bzw. Verschiebungen bei Aufprall auf Mauerwerk, Freibord FB = 2.5 m. Modellansatz Kommentar δ p [m] ξ [m] δ [m] Hofmann & Mölk Achtung: schlanke Dämme mit Mauerwerk auf der Berg- und der Talseite wurden nicht untersucht, Wert für E* liegt ausserhalb des definierten Bereichs - - 0.54 m Kister & Fontana Variante 1: geneigte untere Begrenzung, ohne Aufweitung, ohne Reibung an den Seitenflächen - - 0.70 m Variante 2: geneigte untere Begrenzung, Aufweitung 20°, ohne Reibung an den Seitenflächen - - 0.28 m Kretz Ansatz nicht anwendbar, da M E für Mauerwerk nicht definiert - - - Gerber Ansatz nicht anwendbar, da M E für Mauerwerk nicht definiert - - - Als viertes Beispiel wurde einer der Dämme mit Geogitter-Verstärkung aus der Versuchsreihe von Peila et al. (2007) gewählt. Die Geometrie dieses Bauwerks zeigt Abb. 20, die Ergebnisse sind in Tabelle 5 zusammengefasst. Bei den Modellansätzen für Schutzdämme mit einer Geogitterbewehrung liegen die berechneten Gesamtverformungen relativ nahe am gemessenen Wert δ = 0.95 m. Betrachtet man bei den Modellansätzen von Ronco et al. (2009) und Kretz (2018) jedoch die einzelnen Anteile, so stellt man fest, dass die Verschiebung ξ bei beiden Modellen geringer ausfällt als der gemessene Wert von 0.80 m. Für den plastischen Anteil δ p ergibt sich hingegen in beiden Modellen ein deutlich zu hoher Wert gegenüber dem aus dem Versuch ermittelten Wert für δ p . D. h. der plastische Anteil an der Verformung wird in den Modellen überschätzt, der Verschiebungsanteil wird unterschätzt. Abb. 20: Geometrie des Bauwerktyps a (Peila et al., 2007) 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 169 Lastfall Impakt auf Steinschlagschutzdamm: Welcher Berechnungsansatz darf ’s denn sein? Tabelle 5: Vergleich der Eindringtiefen bzw. Verschiebungen mit gemessenen Werten bei einem mit Geogittern bewehrten Damm, 1) gemäss Definition Hofmann et al., 2017, 2) mit abgeminderter Zugfestigkeit Modellansatz Hofmann & Mölk Ronco et al. Kretz gemessen Beispiel 4 Peila et al. (2007) mit Geogitter δ = 0.83 m (δ = 0.77 m) 1) δ p = 0.48 m ξ = 0.25 m ξ = 0.4 m) 2) δ p = 0.69 m ξ = 0.63 m δ = 0.95 m ξ = 0.80 m δ p = δ ξ = 0.15 m 5. Schlussfolgerungen Die verschiedenen Modellansätze lassen durchaus einen Interpretationsspielraum zu. Insbesondere wurde aufgezeigt, dass bei den Bruchkörpermodellen die Wahl der Größe und Form des Bruchkörpers sowie die Definition der Widerstände einen großen Einfluss auf das Ergebnis bei den Ansätzen von Kister & Fontana (2011) aber auch bei den Ansätzen von Ronco et al. (2009) und Kretz (2018) haben. Die Wahl eines Bruchkörpers mit senkrechten Seitenflächen und ohne Aufweitung zur Talseite hin führt in der Regel zu sehr hohen und unrealistischen Werten für die Verschiebung des Bruchkörpers. Eine Aufweitung des Bruchkörpers zur Talseite hin von 45° mag für Dämme mit einer Geogitterbewehrung eine plausible Wahl sein, für Dämme ohne eine solche Geogitterbewehrung ist eine solche Aufweitung für einen dynamischen Lastfall nicht als realistisch anzusehen. Aufgrund der Untersuchungen von Linder (1977) zum Scherbereich bei Rammpfählen sowie den Versuchen von Blovsky (2002) an Modelldämmen mit einem Pendelschlaggerät (Abb. 10) wird für die Aufweitung des Bruchkörpers bei Dämmen ohne Geogitterbewehrung ein Wert von ca. 20° vorgeschlagen. Die meisten Modellansätze verwenden eine horizontale untere Begrenzung für den aktivierten Bereich bzw. den Bruchkörper. Ein Bruchkörper mit einer horizontalen unteren Begrenzung kann jedoch auch nur eine horizontale Bewegung ausführen. Daraus ergibt sich, dass auch nur der horizontal wirkende Anteil der Einwirkung bei einer horizontalen Verschiebung des Bruchkörpers wirksam werden kann. In der Regel wird dies jedoch nicht berücksichtigt und bei Berechnungen wird die gesamte Energie in Ansatz gebracht, was zu einer Überschätzung des Verschiebungswegs führt. Aufgrund der Ergebnisse der Modellansätze einerseits und der Versuchsergebnisse andererseits muss festgestellt werden, dass die Abweichungen der einfachen Rechenmodelle von der Realität erheblich sein können. Auch ist nicht jeder Modellansatz für jeden Dammtyp geeignet. Zusätzlich zur Auswahl eines Modellansatzes in einem bestimmten Fall sind gegebenenfalls weitere Überlegungen, z. B. bezüglich der wirkenden Impulsrichtung, anzustellen. Eine generelle Empfehlung für einen bestimmten Modellansatz kann daher zurzeit nicht gemacht werden. Generell ist zu beachten, dass von keinem dieser Modelle der Einfluss der Blockrotation erfasst wird und auch der Aufschlagwinkel bei den meisten Modellansätzen unberücksichtigt bleibt. 6. Verdankung Die hier vorgestellten Ergebnisse sind Teil eines Projektes, welches vom Bundesamt für Umwelt (BAFU), Schweiz, angeregt und finanziell unterstützt wurde. Literatur ASTRA Bundesamt für Straßen: Einwirkungen infolge Steinschlags auf Schutzgalerien Ausgabe V2.03, 2008 BAFU Bundesamt für Umwelt: Merkblatt - Erfahrungen und Hinweise zur Projektierung von Steinschlagschutzdämmen, mit Anhang Berechnungsmodelle, in Vorbereitung Blovsky, St.: Bewehrungsmöglichkeiten mit Geokunststoffen, Dissertation TU Wien, 2002 Gerber, W.: Bericht über die Abbremskräfte bei Steinschlag, Technischer Bericht Nr. 20-1, 2020 Gerber, W.; Volkwein, A.: Fallversuche auf Boden-material, Proceedings of the 12th Congress Interpraevent, Grenoble, 2012 Grimod, A.; Giacchetti, G.: Protection from high energy impacts using reinforced soil embankments: Design and experience, Proceedings of the 2 nd world landslide forum, Rom, 3. - 7. Okt. 2011, Landslide Science and Practice, Vol. 3, pp 189 - 196, 2013 Hofmann, R.; Mölk, M.; Vollmert, L.: Steinschlagschutzdämme - Bemessungsvorschlag für verschiedene Bautypen, geotechnik, 40, Heft 1, pp 35 - 53, 2017 Hofmann, R.; Mölk, M.: Bemessungsvorschlag für Steinschlagschutzdämme, geotechnik, 35, Heft 1, pp 22-33, 2012 Kar, A. K.: Projectile penetration into buried structures, Journal of the Structural Division, 1978 Kister, B.; Lambert, S.: Analysis of Existing Rockfall Embankments of Switzerland (AERES); Part C: Smallscale experiments. Federal Office for the Environment, Bern, 90 p. BAFU, 2017 Kister, B.: Erarbeitung von Grundlagen zur Bemessung von Steinschlagschutzdämmen, Forschungsprojekt AS- TRA 2012/ 003, Sept. 2015 Kister, B.; Fontana, O.: On the evaluation of rock fall parameters and the design of protection embankments - a case study, Interdisciplinary Rockfall Workshop 2011, Innsbruck-Igls, 2011 Kretz, A.: Steinschlagschutzdämme - Vorschlag und Vergleich eines rheologischen Bemessungsmodells, Swiss Bull. Angew. Geol., Vol. 23/ 2, 2018 Lambert S., Kister B.: Analysis of Existing Rockfall Embankments of Switzerland (AERES); Part A: State of 170 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Lastfall Impakt auf Steinschlagschutzdamm: Welcher Berechnungsansatz darf ’s denn sein? Knowledge. Federal Office for the Environment, Bern, 55 p, BAFU, 2017 Lambert, S.; Kister, B.: Analysis of Existing Rockfall Embankments of Switzerland (AERES); Part B: Analysis of the collected data and comparison with up-to-date knowledge. Federal Office for the Environment, Bern, 21 p, BAFU, 2017 Montani, S.; Descoeudres, F.; Bucher, K.: Numerical analysis of rock blocks impacting a rock shed covered by a soil layer, Numerical models in geomechanics, Ed.: Pietruszczak & Pande, Balkema, 1997 Peila, D.; Oggeri, C.; Castiglia, C.; Recalcati, P.; Rimoldi, P.: Testing and modelling geogrid reinforced soil embankments subject to high energy rock impacts, Geosynthetics - 7th ICG, 2002 Peila, D.; Oggeri, C.; Castiglia, C.: Ground reinforced embankments for rockfall protection: design and evaluation of full scale tests, Landslides, 4, 2007 Usiro, T.; Kusumoto, M.; Onishi, K.; Kinoshita, K.: An experimental study related to rockfall movement mechanism, Doboku Gakkai Ronbunshu FVOL. 62, No. 2, pp 377-386, 2006 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 171 Prozessoptimierung und Automatisierung von FE-Berechnungen in der Geotechnik Marijn De Volder, M. Sc. Strabag AG, Zentrale Technik, Wien, Österreich Dr. nat. techn. Jia Lin Strabag AG, Zentrale Technik, Wien, Österreich Dipl.-Ing. Thomas Wieser Strabag AG, Zentrale Technik, Wien, Österreich Zusammenfassung Im Zeitalter des digitalen Fortschritts und der zunehmenden Notwendigkeit nachhaltigen Bauens, erweisen sich Prozessoptimierungen und Automatisierungen von Finite-Elemente-Berechnungen (FEM) in der Geotechnik als essenziell. Diese Arbeit beschreibt die Entwicklung einer BIM-to-FEM Schnittstelle zur Effizienzsteigerung und Genauigkeit geotechnischer Berechnungen, realisiert durch die Integration von „ProVI“, eine Verkehrsinfrastruktur Planungssoftware, „Plaxis 2D“, einem etablierten FE-Programm, und Python. 1. Einführung Die Finite-Elemente-Methode ist ein unverzichtbares Werkzeug in der geotechnischen Planung und Analyse geworden, welches die Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit von Konstruktionen untersucht. Die traditionelle Handhabung dieser Methode ist jedoch zeit- und ressourcenintensiv, insbesondere für große Projekte wie Tunnel- oder Dammbauten, bei denen mehrere Querschnitte berechnet werden müssen. Deshalb ist die Notwendigkeit einer Automatisierung zur Prozessoptimierung unterstreicht. Mit der hier vorgestellten Python-Programmierung kann die FEM-Software Plaxis mit der CAD-Software ProVI verbunden werden. Mehrere Querschnitte können automatisch gelesen, berechnet und nachbearbeitet werden. Durch die Kombination mit dem Trassierungsplan können die Ergebnisse jeder Bauphase ausgegeben werden. 2. Porzessoptimierung 2.1 Software PLAXIS 2D ist eine führende Finite-Elemente-Software für 2D-Geotechnik- und Felsmechanikanalysen, die sich durch Leistungsfähigkeit und Benutzerfreundlichkeit auszeichnet. Sie wird global von Ingenieurbüros und bausowie geotechnischen Institutionen für Projekte wie Aushubarbeiten, Böschungen, Fundamente, Tunnelbau, Bergbau und mehr genutzt. Mit PLAXIS 2D können grundlegende Verformungs- und Stabilitätsanalysen in Boden und Gestein effizient durchgeführt werden. Plaxis bietet eine API-Schnittstelle, mit der Python- Skripte zur Steuerung der Plaxis-Modellierung verwendet werden können. Alle Funktionen für die Ein- und Ausgabe von Plaxis können mit Python-Skripten gesteuert werden, ohne dass manuelle Eingaben erforderlich sind. ProVI ist eine führende BIM-Software für die Planung von Verkehrsinfrastrukturen. Sie ermöglicht eine durchgängige digitale Planung. ProVI bietet fortgeschrittene CAD- und BIM-Funktionen für 3D, 4D und 5D-Planungen und steigert durch ein zentrales Datenmodell die Planungseffizienz. Diese Planungssoftware hat Zugang zu geotechnisch relevanten Informationen im gesamten Bauareal eines Straßenbauprojekts. Für einen beliebigen Querschnitt des Dammes umfasst diese Information Folgendes: • Geometrie des Damms • Geometrie des ursprünglichen Geländes und der Grenzen der Untergrundschichten • Zuordnung von Materialien (definiert durch Namen und Farben) zu diesen Bodenschichten 2.2 Methodik Die in dieser Arbeit entwickelte Python-basierte Schnittstelle ermöglicht eine direkte Kommunikation zwischen „ProVI“ und „Plaxis 2D“, wodurch geometrische Daten und Bodenkennwerte für die FEA automatisiert übertragen werden. Zunächst werden alle Bodenschichtinformationen im ProVI-Modell in eine .csv-Datei übertragen. Anschließend wird die .csv-Datei von den Python-Skripten gelesen und die Bohrprofile samt Bodenkennwerten in Plaxis generiert. 172 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Prozessoptimierung und Automatisierung von FE-Berechnungen in der Geotechnik Abb. 1: Bodenschichtmodell in ProVI Ohne Python-Skripte müssten wir alle ProVI-Modelle manuell in Plaxis eingeben. Diese manuelle Eingaben können zu Übertragungsfehlern führen. Durch die Verwendung automatisierter Prozesse, die durch Python- Skripte definiert werden, können wiederholbare Aufgaben automatisiert und Fehler vermieden werden. Abb. 2: Bodenschichtmodell in Plaxis 2D Mehr spezifisch, erfolgt die Erstellung von Querschnittzeichnungen in ProVI durch die Erzeugung einer „QP- Datei“. Diese textbasierte Datei enthält je nach den benutzerdefinierten Einstellungen - Querschnitte in beliebigen Intervallen entlang der Kilometrierung der Trasse. Für jeden Querschnitt listet die Datei dann alle Linien auf, aus denen er besteht, nämlich die Geländeoberkante inklusiv Damm und Bodenschichten. Diese Linien werden wiederum über Punkte definiert, die in einem lokalen, querschnittspezifischen x-, y-Koordinatensystem angegeben sind. Plaxis verwendet Bodenpolygone zur Modellerstellung. Diese werden durch den Befehl „Polygon“ erstellt, wobei die Reihenfolge der Punktangaben entscheidend ist. Nur eine korrekte Anordnung im Uhrzeigersinn oder gegen den Uhrzeigersinn führt zu richtigen Ergebnissen. Das Skript ordnet automatisch die Daten neu, um die korrekte Reihenfolge sicherzustellen und somit einen genauen Polygon-Auf bau zu gewährleisten. Ein Beispiel des Geometrie-Eingabeabschnitts in Plaxis könnte, wie in der folgenden Abbildung dargestellt, aussehen. Abb. 3: Beispiel der Dammgeometrie Um die Bodenkennwerte aus ProVI zu extrahieren, wird die „BAUGRUND-Datei“ verwendet. Das ist eine Datei vom Typ CSV. Jeder Eintrag ist durch ein Nummernzeichen (#) vom nächsten getrennt. Diese strukturierte Anordnung erleichtert die nachfolgende Extraktion der Daten im Python-Skript erheblich. Der obere Abschnitt von Abbildung 4 veranschaulicht eine repräsentative „BAUGRUND-Datei“, wie sie mit einem Standard-Text- 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 173 Prozessoptimierung und Automatisierung von FE-Berechnungen in der Geotechnik editor aus dem Arbeitsverzeichnis betrachtet wird. Von besonderem Interesse in dieser Datei sind der Materialname (in Rot markiert) und die Materialfarbe (definiert im R/ G/ B-Format und in Grün markiert). Die Material- ID, die in Hellblau dargestellt ist, dient als Schlüsselreferenz für die nachfolgende Zuweisung von Materialien zu den Bodenpolygonen. Abb. 4: Beispiel „Baugrund-Datei“ Um den Materialzuweisungsprozess zu verstehen, ist es wichtig zu wissen, wie in ProVI die Dicken der Bodenschichten in den Querschnitten generiert werden. Pro- VI berechnet die Schichtdicken in Querschnitten durch lineare Interpolation der Schichtdicken in den Bohrungen vor und nach dem Querschnitt in Längsrichtung, wie in Abbildung 5 skizziert. BH_left steht für die Bohrung links vom Querschnitt, BH_right steht für die Bohrung rechts vom Querschnitt. Abb. 5: Beispiel Schichtdicken in ProVI Beim Studium des Längsschnitts in Abbildung 5 können drei mögliche Optionen festgestellt werden, wie jede Schicht eines Querschnitts definiert werden kann: • Option A: Das Schichtmaterial tritt nur in der Bohrung links vom Querschnitt auf. • Option B: Das Schichtmaterial tritt nur in der Bohrung rechts vom Querschnitt auf. • Option C: Das Schichtmaterial tritt in beiden Bohrungen auf. Da der Algorithmus, mit dem ProVI das Schichtenmodell aus den Bohrdaten auf baut, nicht bekannt ist, wurde das Skript entworfen, um alle drei dieser Möglichkeiten zu untersuchen und zu entscheiden, welches Material zu welcher Schicht gehört. In der „Baugrund Datei“ sind Bodenkennwerte für das Mohr-Coulomb Stoffgesetz definiert. Wenn abweichend davon andere Stoffgesetze verwendet werden, müssen diese über die Plaxis-GUI ergänzt werden. In die Python-Skripte können auch verschiedene Baumethoden integriert werden, die auf entsprechende Querschnitte angewendet werden. Zu den Baumethoden gehören Bodenaustausch, Bodenverdrängung, Schottersäulen, geokunststoffummantelte Sandsäulen, Pfähle, Entwässerungen von bindigen Böden durch Vertikaldrains, Vorbelastungen durch Bodenüberschüttungen, Reibungsfundament usw. Das Skript entscheidet anhand der Querschnittsnummer, welche Baumethode angewendet werden soll, und fügt diese in das FEM-Modell ein. Der Austausch nicht tragfähigen Bodens unter dem Straßendamm ist eine geotechnische Maßnahme, die darauf abzielt, die Stabilität zu erhöhen. Sie findet Anwendung in Gebieten mit weichen Böden, die zu hohen Verformungen im Bereich des Dammes führen würden. Daher werden Böden mit nachteiligen Eigenschaften entfernt und durch ein Material ersetzt, das eine erhöhte Stabilität bietet. Die Tiefe des Bodenaustauschs kann von einigen Dezimetern bis zu mehreren Metern reichen. Für die Zwecke dieses Skripts erfolgt der Austausch immer über die gesamte Breite des Damms. Abb. 6: Randbedingungen für einen Bodenaustausch Ähnlich wie beim Bodenaustausch haben Reibungsfüße zum Ziel, eine stabile Grundlage für den Damm zu schaffen. Während der Bodenaustausch normalerweise über die gesamte Breite des Damms durchgeführt wird, handelt es sich bei Reibungsfüße nur um eine lokale Maßnahme an den Fußpunkten des Damms. Das Arbeitsprinzip besteht darin, die Scherstabilität im Bereich um den Fußpunkt des Damms zu erhöhen. Dies wird durch den Austausch des Untergrunds mit Materialien mit höheren Scherwiderständen wie Schotter oder scharfkantiges Geröll oder Steinen erreicht. 174 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Prozessoptimierung und Automatisierung von FE-Berechnungen in der Geotechnik Abb. 7: Randbedienungen Reibungsfüße Während der Bodenaustausch und die Reibungslager darauf abzielen, auftretende Verformungen zu reduzieren, zielt die Entwässerung eher darauf ab, die auftretenden Verformungen zu beschleunigen. Auf diese Weise wird der Endzustand der Verschiebungen schneller erreicht, was vorteilhaft ist, um die Bauzeiten zu verkürzen. Das Arbeitsprinzip dieser Maßnahme besteht darin, die vertikale Durchlässigkeit des Untergrunds zu erhöhen. Dadurch können überschüssige Porenwasserdrücke, die durch den Dammbau verursacht werden, schneller reduziert werden. Auf diese Weise werden die Auswirkungen der Konsolidierung beschleunigt, und nachfolgende Baumaßnahmen, die auf bereits eingetretene Verformungen angewiesen sind, früher beginnen. Diese Maßnahme wird in Böden mit geringer natürlicher Durchlässigkeit wie beispielsweise Tonen eingesetzt. Hier hat der Einbau vertikaler Entwässerungen eine große Wirkung auf die Erhöhung der Durchlässigkeit. Abhängig von den Durchlässigkeitseigenschaften des Dammschüttmaterials kann das Entwässerungssystem entweder mit oder ohne eine separate Drainageschicht am Boden des Damms konstruiert werden. Abb. 8: Randbedienungen Drainage Die Konstruktion einer temporären Überschüttung über der geplanten Dammkrone ist eine Maßnahme, die ebenfalls darauf abzielt, das Auftreten von Verformungen zu beschleunigen. Durch das Aufbringen einer zusätzlichen Last, die höher ist als die Belastung des Damms am Ende des Bauprozesses bzw. während seiner Verwendung, benötigen Setzungen und Konsolidierungseffekte weniger Zeit, um ihren Endzustand zu erreichen. Ähnlich wie bei der Entwässerung kann dies nützlich sein, um insgesamt Bauzeit zu sparen. Abb. 9: Randbedingungen Überschüttung Das Skript kann Berechnungsphasen in Plaxis entsprechend einem realen Bauplan unter Berücksichtigung der Bauzeit und Konsolidierungszeit einrichten. Abb. 10: Bauablauf und Plaxis-Berechnungsphasen Wenn ein Berechnungsmodell generiert wird, wird es automatisch vernetzt und berechnet. Die Ausgabeergebnisse werden gespeichert und nachbearbeitet. Die Setzung in jeder Berechnungsphase kann als Punktwolkendatei im .txt- und .scr-Format ausgegeben werden, die von einer CAD-Software zur Nachbearbeitung gelesen werden kann. Um eine Schätzung des überschüssigen Materials für den Dammbau zu berechnen, wird das Volumen zwischen dem unberührten Gelände ohne Verformungen und dem Gelände nach Verformungen berechnet. Abb. 11: Damm ohne Setzungen Abb. 12: Damm mit Setzungen 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 175 Prozessoptimierung und Automatisierung von FE-Berechnungen in der Geotechnik 2.3 Umgang mit komplexem Bodenmodell Die größten Probleme liegen in der Komplexität der Bodenschichtmodelle. Die Bodenschichten verlaufen nicht immer parallel, manchmal verschwinden sie oder sind sie durcheinander. Es können auch Gräben an der Oberfläche vorhanden sein, die sich über mehrere Bodenschichten erstrecken. All dies führt zu numerischen Problemen, wenn das ProVI-Modell in Plaxis importiert wird. Das Problem kann auf zwei Arten behoben werden. Variante 1: Anstatt Polygone zu verwenden, ist es besser, die Bohrprofile in Plaxis zur Definition von Bodenschichten heranzuziehen. Mit der Bohrprofil-methode ist es möglich, nicht durchgängige Bodenschichten zu modellieren. Die von uns in Plaxis definierten Bohrprofile können den realen Bohrprofilen in der geotechnischen Untersuchung entsprechen, müssen es aber nicht. Zur Modellierung komplizierter Bodenschichten können virtuelle Bohrprofile definiert und hinzugefügt werden. Variante 2: Es kann auch eine Datenbereinigung für die ProVI-Modell-Eingabedateien durchgeführt werden. Punkte im ProVI-Modell können hinzugefügt oder gelöscht werden, um die Form der Bodenschichten einfacher und leichter modellierbar zu machen. Da die Datenbereinigung geringfügig ist, hat sie keinen Einfluss auf die Ergebnisse der FEM-Modellierung. Bei dem nachfolgend gezeigten Beispielprojekt ABS-Sande, gab es 43 Damm-Querschnitte im ProVI-Modell. Als die Bodenschichten mit Polygonen modelliert wurden, konnten nur 17 % der Querschnitte erfolgreich in Plaxis importiert werden. Durch die Verwendung von Bohrprofilen oder virtuellen Bohrprofilen konnten 83 % der Querschnitte importiert werden, ohne die Originaldaten zu verändern. Durch eine gewisse Datenbereinigung konnte die Erfolgsquote auf etwa 100 % gesteigert werden. 2.4 Nachhaltigkeit im Bauprozess Die Notwendigkeit einer wirtschaftlichen und nachhaltigen Bauweise zwingt zur Betrachtung verschiedener Varianten in der Planungsphase von Infrastrukturprojekten. Durch die Automatisierung der Berechnungen können eine große Anzahl an Alternativen untersucht werden, um so den umweltschonendsden Dammquerschnitt effizient zu evaluieren, was schlussendlich zu einer ressourcenschonenden Umsetzung führt. Anders als bei der herkömmlichen Modellierung, bei der nur die letzte Bauphase ausgewertet werden kann, kann mit der neuen Methode die Modelländerung zu jedem benötigten Zeitpunkt ausgegeben werden. 2.5 Anwendungsbereiche und Vorteile der Automatisierung Die Automatisierung mittels Python ermöglicht: • Durchführung von Parameterstudien für eine umfassende Planung. • Optimierungen von Infrastruktur-Bauwerken hinsichtlich Ressourcen und Kosten. • Ermittlung von Versagensmechanismen des Gesamtsystems zur Risikominimierung. • Verbesserte Auswertung von Messkonzepten und schnellerer Modellauf bau. • Eine akademisch anspruchsvollere Ergebnisdarstellung gegenüber herkömmlichen Methoden wie Excel. 3. Beispielprojekt Die oben beschriebene Methode wurde beim Projekt ABS-Sande erstmalig erfolgreich verwendet, bei dem zwei Dämme mit einer Länge von 4.200 m bzw. 600 m gebaut wurden. Für den ersten Teil wurden 36 Querschnitte modelliert, für den zweiten Teil 7 Querschnitte. Der Untergrund besteht aus 9 Bodenschichten mit unterschiedlichsten Materialparametern. Abb. 13: Bodenmaterialen für das Projekt ABS-Sande Die Setzungen wurden in jedem Berechnungsquerschnitt ausgewertet um das Volumen zwischen dem unberührten Gelände ohne Verformungen und dem Gelände nach den Verformungen zu bestimmen. Die Messdaten vor Ort wurden mit den Berechnungsprognosen verglichen und zeigten eine große Übereinstimmung. Abb. 14: Vergleich der berechneten Ergebnisse mit Messungen vor Ort 4. Schlussfolgerung Die Anwendung des Python-Tools führt zu einer klaren Zeitersparnis und Qualitätssteigerung bei FE-Berechnungen im Dammbau. Durch die automatisierte Übernahme von Profilen und Bodenkennwerten aus der Software Pro- VI und der automatisierten Berechnung der Querschnitte können eine Unzahl von Berechnungen durchgeführt werden, um so den wirtschaftlichsten und nachhaltigsten Querschnitt zu ermitteln. Aufgrund der erstellten Berichte und grafischen Darstellungen in der Dokumentation werden verbesserte Plausibilitätsprüfungen und Visualisierungen von Bauzuständen ermöglicht. Mit einigen 176 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Prozessoptimierung und Automatisierung von FE-Berechnungen in der Geotechnik Anpassungen kann diese Methode auch erfolgreich für Tunnelbauprojekte eingesetzt werden, indem mehrere Querschnitte in Plaxis 2D automatisch berechnet werden. Die Automatisierung und Optimierung von FEM-Berechnungen stellen einen bedeutenden Fortschritt in der geotechnischen Modellierung dar. Diese Methode fördert eine nachhaltige, effiziente und präzise Arbeitsweise und stellt damit eine wertvolle Ergänzung in der digitalen Transformation der Baubranche dar. 5. Ausblick Weitere Forschungen könnten sich der Integration von 3D-Modellierungen und der Anwendung künstlicher Intelligenz zur noch präziseren Vorhersage von geotechnischen Verhaltensmustern widmen. Wir werden unsere Kraft derzeit in die Verbesserung der vorhandenen Tools für den Dammbau und die Weiterentwicklung derselben für linienhafte Bauwerke wie z. B. Tunnel einsetzen. Literatur [1] Christian Lederhilger, BIM in Geotechnics - Application to Road and Railway Construction, Master Thesis, Technische Universität Graz, October 2018 [2] Michael Giangiulio, BIM-to-FEM: Development of a Software Tool to Increase the Operational Efficiency of Dam Construction Projects, Master Thesis, Technische Universität Graz, November 2021 Tunnelbau 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 179 Neue Bahnstrecke Dresden-Prag: Erzgebirgstunnel - Variantenuntersuchungen in der Vorplanungsphase Dr.-Ing. Anna-Lena Hammer BUNG-PEB Tunnelbau-Ingenieure GmbH, Dortmund Dr. techn. Gerold Lenz iC consulenten Ziviltechniker GesmbH, Bergheim, Österreich Roman Sabata ILF CONSULTING ENGINEERS, s.r.o., Prag, Tschechische Republik Dr. Andreas Laudahn NOMA Consulting, Melbourne, Australien (ehem. ILF Consulting Engineers Austria GmbH) Zusammenfassung Die Bahnverbindung Dresden-Prag ist eine wichtige Verbindung zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik sowie zu den Nachbarländern in Südosteuropa. Die Hauptziele dieser Eisenbahn-Neubaustrecke sind neben der deutlichen Reduzierung der Reisedauer für den Inlands- und internationalen Personen- und Güterverkehr, der Ausbau des mitteleuropäischen Hochgeschwindigkeitsverkehrsnetzes bis in die Tschechische Republik. Mit diesem Projekt wird eine hochwassersichere Alternative zum Elbtal und weitere Voraussetzungen für die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene geschaffen. Herzstück dieses Projekts wird der grenzüberschreitende Basistunnel unter dem Erzgebirge, der „Erzgebirgstunnel“ sein. Während der Vorplanungsphase werden zwei grundlegende Varianten (Teil- und Volltunnel) untersucht. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die Vorplanung der Teil- und Volltunnel-Varianten und präsentiert den Planungsansatz und die Herausforderungen bei der Entwicklung dieser Varianten. 1. Einführung Die bestehende, Mitte des 19. Jahrhunderts erbaute Eisenbahnstrecke zwischen Dresden und Prag verläuft entlang der Flüsse Elbe/ Labe und Moldau/ Vltava. Im Bereich des Böhmischen Mittelgebirges und des Osterzgebirges verläuft die Elbe in einer tiefen, gewundenen Schlucht. Diesem Verlauf ist auch die bestehende Bahntrasse angepasst. Trotz Zweigleisigkeit und Elektrifizierung begrenzen die engen Kurvenradien entlang des Flusses in der Schlucht die Geschwindigkeit des Zugverkehrs. Zudem belastet der intensive Güterverkehr die Anwohner entlang des Flussufers sowie die angrenzenden Naturschutzgebiete durch Lärm, sowohl tagsüber als auch nachts. Angesichts der steigenden Zahl von Güterzügen zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik, für die diese Strecke die Hauptverbindung darstellt, wird ihre maximale Kapazität in den kommenden Jahren ausgeschöpft sein. Aus diesem Grund haben die Regierungen beider Länder beschlossen, den Bau einer neuen Eisenbahnstrecke mit hoher Kapazität und Hochgeschwindigkeitspotenzial zu prüfen. Da das Erzgebirge entlang der gesamten Grenze zwischen Böhmen und Sachsen verläuft, erfordert die Realisierung dieser neuen Bahnverbindung den Bau eines tiefen Basistunnels, um den hohen technischen Anforderungen gerecht zu werden. Die Neubaustrecke ist Bestandteil des transeuropäischen Verkehrsnetzes (Korridor „Orient/ Östliches Mittelmeer“). Die Planung der Neubaustrecke (NBS) Dresden-Prag ist in die sechs Projektabschnitte PA-1.1/ PA-1.2 bis PA-5 untergliedert. Der Erzgebirgstunnel liegt im PA-2 etwa zwischen km-2,0+50 und km-32,2+45 in der Variante „Volltunnel“ bzw. km-7,5+42 und km-34,5+69 in der Variante „Teiltunnel“. Die Grundlagenermittlung und Vorplanungsleistungen wurden von der Ingenieurgemeinschaft Planung PA- 2 NBS Dresden-Prag für die DB Netz AG und die Správa železnic erbracht. Die INGE bestand aus den Ingenieurbüros ILF, BUNG , iC consulenten und Valbek. In dieser Veröffentlichung werden die Herausforderungen und Ergebnisse der Vorplanung in den zwei herausgearbeiteten Varianten „Teil-“ und „Volltunnel“ vorgestellt. Die Vorstellung der Vorzugslösung wird ergänzend im Vortrag präsentiert, da die Entscheidung bis zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses noch nicht feststand. 2. Streckenführung der neuen Eisenbahnstrecke 2.1 Anschlusspunkte an bestehende Eisenbahnstrecken Die Trassierung der Neubaustrecke hängt im Wesentlichen von den Verknüpfungspunkten mit den bestehenden Eisenbahnnetzen auf beiden Seiten des Gebirges ab. Ein wesentlicher Faktor zur Erreichung der angestrebten Mindestgeschwindigkeit von 200-km/ h für Personenzüge ist die Eignung der Anschlussbahnen für diese Geschwindigkeiten. Aus diesem Grund wurde auf deutscher Seite der Anschlusspunkt Heidenau gewählt. Die bestehende Bahnstre- 180 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Neue Bahnstrecke Dresden-Prag: Erzgebirgstunnel - Variantenuntersuchungen in der Vorplanungsphase cke in Richtung Dresden verläuft hier geradlinig und wird nach dem Ausbau einen viergleisigen Parallelverkehr mit der geforderten Geschwindigkeit ermöglichen. Die Situation auf tschechischer Seite ist aufgrund der Topografie komplexer. Das Gebiet südlich des Erzgebirges stellt sich in Form von urbanisierten Tälern mit zahlreichen Industrieansiedlungen, darunter große Braunkohletagebaue, dar. Die neue Eisenbahnstrecke wird durch das regionale Zentrum Ústí nad Labem weiter in Richtung Prag führen. Darüber hinaus ist eine Zweigstrecke geplant, die eine direkte Verbindung zwischen Deutschland und dem westlichen Teil der Region in Richtung der Stadt Teplice und weiter nach Westböhmen herstellt. Aus diesem Grund wurde als Anschlusspunkt auf tschechischer Seite eine Kurve der bestehenden Bahnstrecke Ústí nad Labem - Teplice in der Nähe des Bahnhofs Chabařovice gewählt. Diese Lage ermöglicht den Ausbau der bestehenden Bahnstrecke zwischen dem Tunnelportal und Ústí nad Labem zu einer viergleisigen Strecke mit einer geforderten Geschwindigkeit von mindestens 200-km/ h am Portal und gleichzeitig die Anbindung der für eine Geschwindigkeit von 100-km/ h ausgelegten Abzweigstrecke in westlicher Richtung. Beide Strecken sollen konfliktfrei voneinander abzweigen, weshalb die Tunnelportale auf unterschiedlichen Höhenniveaus liegen müssen. 2.2 Streckenführung zwischen den Anschluss-punkten Hauptkriterien für die Linienführung sind vor allem großzügige Kurvenradien, die die geforderten Zuggeschwindigkeiten von 200-km/ h (bereichsweise 160-km/ h bzw. bis 230-km/ h) ermöglichen, sowie Höhenprofile mit maximalen Längsneigungen von 7,2-‰ (mit Ausnahmen) und minimalen Neigungen von 4-‰ (für den Basistunnel). Diese Anforderungen ergeben sich aus den zu erwartenden Zuglasten, den Leistungsdaten der Lokomotiven und der geforderten Streckenkapazität von 150-Güterzügen und 48-Personenzügen pro Tag. Das Erzgebirge auf tschechischer Seite weist steile und hohe Hänge auf, während auf deutscher Seite das Gefälle moderater ist und sich mehrere kleinere Seitentäler erstrecken. Daher wurde zwischen dem tschechischen Tunnelportal und der Staatsgrenze eine Trasse vorgeschlagen, die beide Standorte möglichst auf dem kürzesten Weg miteinander verbindet. Auf deutscher Seite wurden im Rahmen der Machbarkeitsstudie bis zu sieben verschiedene Trassenalternativen [Abb. 1] entwickelt. Diese Alternativen wurden anschließend unter verschiedenen Gesichtspunkten bewertet, darunter technische Lösungen, Investitionskosten, Umweltauswirkungen, geotechnische Bedingungen und Raumplanung. Zwei dieser Alternativen wurden für die Vorplanung ausgewählt, detaillierter ausgearbeitet und umfassend miteinander verglichen. Eine dieser Alternativen wird als „Volltunnel“ bezeichnet, da die gesamte Strecke zwischen den Portalen Heidenau in Deutschland und Chlumec in der Tschechischen Republik unterirdisch verläuft. Die alternative Variante wird als „Teiltunnel“ bezeichnet, bei der ein Teil der Strecke auf deutschem Gebiet oberirdisch verläuft. Vor dem oberirdischen Streckenabschnitt in Heidenau ist ein kurzer Tunnel vorgesehen, während der restliche Teil im Anschluss an die oberirdische Strecke zwischen der Ortschaft Goes und dem tschechischen Portal als Erzgebirgstunnel verläuft. Die Linienführung beider Varianten [Abb. 2] wurde im Rahmen der Vorplanung weiter angepasst, um lokale Hindernisse zu umgehen. Für beide Varianten wurden technische Lösungen erarbeitet und die Kosten abgeschätzt, um eine fundierte Entscheidungsgrundlage zu schaffen, welche der beiden Varianten in den weiteren Entwurfsphasen weiterentwickelt und schließlich realisiert werden soll. Abb. 1: Variantendarstellung aus der Machbarkeitsstudie [DB Netz AG / Správa železnic] 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 181 Neue Bahnstrecke Dresden-Prag: Erzgebirgstunnel - Variantenuntersuchungen in der Vorplanungsphase Abb. 2: Vorzugsvarianten aus der Machbarkeitsstudie inklusive der BIM-Modellteilung [1] 3. Variantenvergleich „Teiltunnel“ und „Volltunnel“ 3.1 Variante „Teiltunnel“ Als erster Abschnitt ist von Dresden kommend der „Tunnel Heidenau“ vorgesehen, der sich über ca. 2-km in Richtung der Ortschaft Zehista erstreckt. Daran schließt sich eine offene Strecke an, die ein ca. 500-m breites Tal einschließt und den Bau von Überholgleisen in der Nähe der Ortschaft Goes vorsieht. Nach diesem Einschnitt verläuft die Strecke in einem Basistunnel unter dem Erzgebirge für etwa 27-km bis Chabařovice. 3.1.1 Tunnel Heidenau Der „Tunnel Heidenau“ ist ausschließlich in der Teiltunnelvariante vorgesehen und erstreckt sich auf einer Länge von 2,1-km von Heidenau bis zur Ortschaft Zehista in Pirna. Die Trasse verläuft in einem Bogen von Nordwesten nach Südosten und entspricht den vorgeschriebenen Trassierungsparametern. Das Gefälle im Tunnelbereich beträgt 7-‰ von Süd nach Nord. Die maximale Überdeckung beträgt ca. 47-m. Der zweiröhrige Tunnel Heidenau ist in konventioneller Tunnelbauweise geplant. In den Portalbereichen sollen die Tunnelblöcke in offener Bauweise erstellt werden. Zwischen den Tunnelröhren sind insgesamt vier Verbindungsbauwerke zu errichten. Der Tunnelquerschnitt ist auf Grundlage des erforderlichen Lichtraumprofils der deutschen und tschechischen Regularien gewählt. Randbedingungen für die Querschnittswahl sind die Entwurfsgeschwindigkeit (hier: 160 km/ h) und die Oberbauform (Feste Fahrbahn), die Betriebseinrichtungen und die geotechnischen Randbedingungen. Das Südportal, das sich in einer Dammschüttung befindet und auch den Rettungsplatz umfasst, ist in Abb.-3 dargestellt. Das Portal Heidenau-Nord wird in Kapitel 3.3.1 näher beschrieben, da es für beide Tunnelvarianten in ähnlicher Weise konzipiert wurde. Abb. 3: Ausschnitt aus dem BIM-Modell des Südportals des Tunnels Heidenau mit Rettungsplatz [1] 3.1.2 Talbrücke Seidewitz Die Neubaustrecke verläuft nördlich des Ortes Zehista und überquert das Seidewitztal an der Grenze der Ortschaften Pirna und Zehista. Unter Berücksichtigung der Gradientenhöhe beträgt die zu überspannende Talbreite etwa 500-m, während die maximale Talhöhe bei rund 24-m liegt. Die aus einer Variantenuntersuchung mit fünf verschiedenen Brückentypen als Vorzugslösung vorgeschlagene mehrfeldrige Eisenbahnbrücke verläuft parallel zur Straßenbrücke der neu ausgebauten Bundesstraße S-172n. Die Brückenkonstruktion setzt sich aus einem Brückenteil mit drei durchgehenden Trägern zusammen, welche in Serie miteinander verbunden sind. Der zentrale Teil ist als integrale Tragstruktur gestaltet und verfügt über eine Anordnung von drei V-Pfeilern, welche sich ins Landschaftsbild einfügen. In Abb. 4 wird das Design im BIM-Modell sowie die Brückenkonstruktion dargestellt. 182 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Neue Bahnstrecke Dresden-Prag: Erzgebirgstunnel - Variantenuntersuchungen in der Vorplanungsphase Abb. 4: BIM-Modell und 2D-Pläne der Talbrücke Seidewitz [1] 3.1.3 Einschnitt Goes Um die optimierte Trassierung der Teiltunnelvariante umsetzen zu können, ist an der Nordseite des Erzgebirgstunnels in der Nähe des Dorfes Goes ein Einschnitt von etwa 2-km Länge und maximal 40-m Tiefe erforderlich [Abb. 5]. Da sich der südliche Teil des Einschnitts unter dem Grundwasserspiegel befindet, ist ein wasserdichtes Trogbauwerk mit einer Länge von 400-m geplant, um das Eindringen von Wasser in das Gleisbett zu vermeiden und mögliche Auswirkungen auf die natürlichen Grundwasserbedingungen zu minimieren. Die Böschungen des Einschnitts bestehen hauptsächlich aus Sandsteinen, wodurch zusätzliche Maßnahmen zur Böschungsstabilisierung für die geplante Generalneigung von etwa 36° nicht erforderlich sind. Abb. 5: Ausschnitt aus dem BIM-Modell des Einschnittes Goes inkl. Nordportal des Erzgebirgstunnels [INGE PA2 Erzgebirgstunnel] 3.1.4 Erzgebirgstunnel Der Erzgebirgstunnel weist eine Länge über 20-km auf und muss daher aufgrund der eisenbahntechnischen Sicherheitsvorschriften (i.-W. TSI-SRT, EBA-Ril und SZ- Ril 73.7508) mit mindestens einem Evakuierungs- und Rettungspunkt (ERP) ausgerüstet werden. Der Entwurf des Erzgebirgstunnels sieht zwei eingleisige Tunnelröhren vor, die jeweils ≤ 500 m durch Verbindungsbauwerke miteinander verbunden sind. Die Verbindungsbauwerke ermöglichen bei Selbstrettung den Zugang zur parallelen, nicht betroffenen Tunnelröhre. Evakuierungs- und Rettungspunkte sind vor jedem Portal und Notausgangsbauwerk vorgesehen, wobei zusätzlich - aufgrund der Länge des geplanten Tunnelbauwerks von über 20-km - mindestens ein weiterer untertägiger Evakuierungs- und Rettungspunkt anzuordnen ist. Die Zugänglichkeit für Notfalldienste erfolgt über einen geländeseitig angebundenen Rettungsstollen mit maximal 10-% Gefälle, gemäß den Anforderungen der EBA-Tunnelrichtlinie. Die Standortsuche für den Evakuierungs- und Rettungspunkt erfolgte in mehreren Schritten, in Kombination mit der Identifizierung möglicher Portalstandorte und der Trassierung von Rettungsstollen von diesen Standorten aus. Eine mehrstufige Variantenuntersuchung, unter Berücksichtigung von Sicherheitsaspekten, Herstellungsaufwand und Umweltbelangen, führte zur Auswahl der Vorzugsvariante. Diese wird aufgrund ihrer Vorteile in Bezug auf Herstellungsaufwand, Tunnelsicherheit und Zugänglichkeit berücksichtigt. Der Erzgebirgstunnel in der Teiltunnelvariante erstreckt sich über eine Länge von 27- km. Das Portal Goes befindet sich hinter dem Trogbauwerk bei km 7,5+42. Im Vergleich zur Volltunnel-Alternative bleibt die Lage des Portals Chabařovice bei km 34,5+69 unverändert. Der Tunnel wird über den Rettungsstollen von dem zentralen Evakuierung- und Rettungspunkt sowie vom südlichen Portal aus vorangetrieben. Das Gefälle im Tunnelbereich steigt von beiden Portalen aus um 4-‰ an, wobei der höchste Punkt in etwa in der Mitte des Tunnels liegt. Die maximale Überdeckung beträgt ungefähr 580-m. Die zwei Röhren des Erzgebirgstunnels werden zu etwa 80-% im TBM-Vortrieb und zu etwa 20-% im bergmännischen Vortrieb errichtet. Das Tunnelbaukonzept sieht vor, den Tunnel an der nationalen Grenze in Lose aufzuteilen. In den Portalbereichen werden die Tunnelröhren jeweils in offener Bauweise errichtet. Zusätzlich sind 56 Verbindungsbauwerke sowie der Evakuierungs- und Rettungspunkt vorgesehen. Der Abstand zwischen den Tun- 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 183 Neue Bahnstrecke Dresden-Prag: Erzgebirgstunnel - Variantenuntersuchungen in der Vorplanungsphase nelröhren variiert in Abhängigkeit der baulichen Situation, der maximale Abstand befindet sich im Bereich des Evakuierungs- und Rettungspunktes. Generell unterscheidet sich die Planung des Erzgebirgstunnels in der Variante „Teiltunnel“ kaum von der Alternativlösung des „Volltunnels“, welche im folgenden Kapitel erläutert wird. 3.2 Variante „Volltunnel“ Bei der Variante „Volltunnel“ ist zu berücksichtigen, dass diese Variante jeweils für zwei Untervarianten (2- und 4-gleisig) beplant wurde. Die Untervarianten unterscheiden sich durch den Anschluss an den Bestand im vorigen Projektabschnitt PA-1.2 in Heidenau. Der Erzgebirgstunnel ist in beiden Varianten mit zwei eingleisigen Tunnelröhren geplant. Die maßgeblichen Zwangspunkte, die bei der Planung berücksichtigt wurden, sind: • Anschluss an Trasse des benachbarten Planungsabschnitt PA 1.2 • Topografische Verhältnisse • Geologische Störzonen • Beachtung vorhandener Schutzgebiete • Bahnbetriebliche Belange • Notwendige Umfahrungen • Zugangsmöglichkeiten/ Einrichtung von Evakuierungs- und Rettungspunkten (ERP) • Wirtschaftliche Randbedingungen • Trassenkorridor Weiterführung in der Tschechischen Republik (Správa železnic ) • Gleisgeometrische Vorgaben Entlang der Tunneltrasse erstrecken sich kleine Quertäler, für die eine ausreichende Überdeckung nicht gewährleistet ist. Dort sind gezielte Stabilisierungsmaßnahmen erforderlich. Die herausforderndste Situation tritt im Seidewitztal auf, wo über mehrere hundert Meter hinweg eine geringe Überdeckung in kohäsionslosen Sedimenten vorliegt. Weitere Einschränkungen für die Planung stellen der barocke Garten Großsedlitz mit seinen Zugangswegen, die alten Bergwerke im Seidewitztal, der vorhandene Steinbruch in Nentmannsdorf sowie die geologischen Bedingungen, insbesondere die Haupt-Störungszonen dar. Der Erzgebirgstunnel in der Variante „Volltunnel“ besteht ebenfalls aus zwei Einzelröhren, die mit jeweils etwa 30,2 km etwas länger sind als in der Variante „Teiltunnel“. Die beiden Röhren sind alle 500-m durch Verbindungsbauwerke miteinander verbunden, die technischen Räume sind im Abstand von 1000-m platziert. An den Portalen variiert der Abstand zwischen den Tunnelachsen zwischen 23-m bzw. 46-m. Im Verlauf des Tunnels beträgt er etwa 50-m und am Evakuierungs- und Rettungspunkt etwa 70-m. Wie auch in der Variante „Teiltunnel“ wird der größte Teil der beiden Röhren maschinell aufgefahren. Der Tunnel hat einen inneren Radius von 4,45-m (inklusive eines bautechnischen Nutzraumes von 0,3-m), der den deutschen und tschechischen Eisenbahn-Lichtraumprofilen sowie dem Platz für den Fluchtweg und der eisenbahntechnischen Einbauten entspricht. Die Trassierung ermöglicht eine Mindestgeschwindigkeit von 200-km/ h, auf deutscher Seite sind Geschwindigkeiten von bis zu 230-km/ h möglich. Die Gradiente steigt von Norden nach Süden mit einer Neigung von 4-‰ bis zum Hochpunkt nahe der Staatsgrenze, um danach mit einer Neigung von 4-‰ Richtung Portal Chabařovice zu fallen. 3.3 Portalbereiche 3.3.1 Portal Heidenau Nord Das Portal Heidenau Nord stellt die Schnittstelle zum benachbarten Planungsabschnitt PA 1 dar, welches zwischen Dresden und Heidenau verläuft. Unmittelbar vor dem Tunnelportal ist eine Brücke geplant, die über die bestehende S172 führt. Die Übergangsstelle zwischen den beiden Abschnitten befindet sich am Ende dieser Brücke. An dieser Stelle führt die neue Bahnstrecke unter einem sehr spitzen Winkel durch ein steiles Gelände im FFH- Gebiet. Hier ist ein Portalbereich für alle Varianten zu planen, der einen befestigten Rettungsplatz mit Zufahrtsstraßen einschließt. Abb. 6 zeigt den Portalbereich Heidenau Nord in der Variante „Teiltunnel“. Der Einschnitt ist so geplant, dass eine Zuwegung sowohl in der Bauals auch in der Betriebsphase mit möglichst geringen Auswirkungen auf das FFH-Gebiet möglich ist. Hierzu wird der Einschnittsbereich beidseitig mit Ankerwänden gesichert. Abb. 6: Übersicht über den Portalbereich Heidenau Nord mit Gleisachsen, Rettungsplatz und zukünftiger Bahnanbindung an PA 1.2 [INGE PA2 Erzgebirgstunnel] In den beiden Planungen der Variante „Volltunnel“ ist jeweils ein Sonic-Boom-Bauwerk im Portalbereich vorgesehen, um die Mikrodruckwellen Emissionen zu minimieren. Hierzu wird auf einer Länge von 60- m eine Aufweitung der lichten Querschnittsfläche um 50-% notwendig, zusätzlich sind voraussichtlich kaminförmige Schwallöffnungen anzuordnen, die bis an die Geländeoberfläche reichen. 3.3.2 Portal Chabařovice Der Tunnelportalbereich Chabařovice auf tschechischer Projektseite bildet einen entscheidenden Bestandteil der Neubaustrecke, die sich in zwei Äste aufteilt und an die bestehende Strecke anknüpft. Die Entwurfsgeschwindigkeit der Strecke in Richtung Ústí nad LabemÚstí nad Labem liegt bei 200(230)-km/ h. Vor dem Tunnelportal auf der Strecke Dresden - Ústí nad LabemÚstí nad Labem ist eine Abzweigstelle für den Güterverkehr mit einer Entwurfsgeschwindigkeit von mindestens 184 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Neue Bahnstrecke Dresden-Prag: Erzgebirgstunnel - Variantenuntersuchungen in der Vorplanungsphase 100-km/ h vorgesehen. Die Position des Portals und die Notwendigkeit eines höhenfreien Abzweigs nach Westen bedingt, dass die Tunnelröhre in Richtung Deutschland in einem durchgehenden Gefälle von 4-‰ verläuft, während die Röhre in Richtung Tschechische Republik auf den letzten 900-m vor dem Portal ein Gefälle von 6- ‰ nach Norden aufweist und so ein Tiefpunkt im Tunnel entsteht. Die Gestaltung des Portaleinschnitts erfordert ein durchdachtes Entwässerungskonzept. Drei getrennte Systeme sind vorgesehen, um die unterschiedlichen Ebenen und Bereiche zu entwässern. Dies beinhaltet die Ableitung von Tunnelwässern, Rettungsplätzen und Zu-/ Abfahrtsstraßen. Darüber hinaus werden großvolumige unterirdische Löschwasserbehälter vorgesehen, um im Ernstfall von Brandbekämpfung oder Havarien im Tunnel ausreichend Löschwasser bereitzustellen. Die gewählte Portalanordnung [Abb. 7] ermöglicht bergmännische Arbeiten in sicherem Abstand zur Straße I/ 13 und reduziert somit die Auswirkungen auf die Umgebung sowohl während der Bauphase als auch im Betrieb des Tunnels. Abb. 7: Übersicht über den Portalbereich Chabařovice mit Gleisachsen, Rettungsplatz und zukünftiger Bahnanbindung an PA 3 [INGE PA2 Erzgebirgstunnel] 4. BIM im Projekt Bereits in den frühen Leistungsphasen der Grundlagenermittlung und Vorplanung wird das Projekt mit der BIM- Methodik geplant und nimmt damit eine Vorreiterrolle bei Großprojekten im Infrastrukturbereich ein. Diese wird verdeutlicht durch die Integration von BIM für Gutachterleistungen wie Baugrund, Umwelt sowie Schall- und Erschütterung, wobei die Gutachter aktiv in den BIM-Prozess eingebunden sind. [2] Die Anforderungen seitens des Auftraggebers basieren auf den unternehmensweiten BIM-Dokumenten der DB Netz AG, ergänzt um projektspezifische Besonderheiten. Die fortlaufende Anpassung der Standards anhand der gewonnenen Erkenntnisse im Projekt stellt eine Herausforderung dar. Im Neubaustreckenabschnitt werden spezifische Anwendungsfälle (AWF’s) gefordert, darunter Bestandsaufnahme, Bauwerksdatenmodellierung, Variantenvergleiche, Visualisierungen und Kosten-/ Termin-/ Bauphasenplanung. [2] Die BIM-Methodik dient als Informationsquelle in der Planung, ermöglicht frühzeitige Entscheidungen auf Grundlage von Modelldaten und eröffnet neue Möglichkeiten für effiziente Szenarien- und Variantenuntersuchungen. [2] Das Herzstück der BIM-Planung im Projekt ist das Grundlagenmodell, dessen Funktion über die beauftragten beiden Leistungsphasen hinausreichen soll. Das Ziel des Grundlagenmodells ist es demnach, eine konsistente und umfangreiche Grundlage und Informationsquelle für die weitere (BIM-) Planung darzustellen, welche zudem iterativ weiterentwickelt werden kann. Dabei wird der Bestand zumeist in Form von 3D-Volumenkörpern abgebildet, wobei z. B. auch Schutzgebiete mit Tiefenlagen berücksichtigt werden, jedoch auf relevante Bereiche begrenzt sind. Ein übergeordneter Anspruch besteht in der homogenen Datendarstellung über Staatsgrenzen hinweg. Die Teilmodelle des Grundlagenmodells basieren weitestgehend auf teilautomatisiert generierte Modelldaten. Ein klassisches Grundlagenmodell setzt sich aus verschiedenen digitalen Elementen zusammen, darunter digitale Geländemodelle (DGM), Orthofotos, digitale Baugrundmodelle, Informationen zur Bestandsbebauung (CityGML), Schutzgebiete, Liegenschaftskataster, Bestandsstraßen (GIS-Daten), Bestandsleitungen und Umweltkartierung. Im Projekt wurden darüber hinaus weitere Elemente aus externer Planung in das Grundlagenmodell einbezogen. Hierzu gehören laufende oder geplante Bauprojekte Dritter sowie Erkenntnisse aus dem Raumordnungsverfahren. Zusätzlich werden geometrisch darstellbare Hinweise, Auflagen und weitere informative Elemente integriert. Vermessungsdaten, einschließlich des digitalen Geländemodells (DGM) durch Tachymetrie und Drohnenbefliegung, Vermessungslagepläne und ALKIS-Eigentümer-Flurdaten, vervollständigen das erweiterte Grundlagenmodell. Da das Projekt zweisprachig abgewickelt wird, wurden die Modelldaten im Sinne einer konsistenten Datenhaltung (Singe Source of Truth, SSoT) in getrennten Eigenschaftensätzen (PSets) sowohl auf Deutsch als auch auf Tschechisch attribuiert. Hierbei wurde ebenfalls auf eine Teilautomatisierung zurückgegriffen, um die Datenqualität und Homogenität zu erhöhen. 5. Geotechnische Herausforderungen 5.1 Überblick über die geologischen und hydrogeologischen Verhältnisse am Erzgebirgstunnel Im Projektgebiet werden vier geologische Großeinheiten unterschieden (von Nord nach Süd): die Sächsische Kreidesenke, das Elbtalschiefergebirge, das Erzgebirgskristallin sowie der Erzgebirgsabbruch. Der nördliche Teil des Projektgebietes gehört zur Sächsischen Kreidesenke, die im Süden durch die Westlausitzer Störung begrenzt wird. In diesem Abschnitt weisen die Tunnelbauwerke eine Überlagerung von max. 80-m auf. Das anschließende Elbtalschiefergebirge wird nach Süden durch die Mittelsächsische 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 185 Neue Bahnstrecke Dresden-Prag: Erzgebirgstunnel - Variantenuntersuchungen in der Vorplanungsphase Störung abgegrenzt, welche etwa auf der Linie von Großröhrsdorf im Nordwesten nach Bad Gottleuba im Südosten verläuft. Südlich der Mittelsächsischen Störung durchquert die Tunneltrasse zuerst das Erzgebirgskristallin mit einer Überdeckung von mehreren hundert Metern. Hier stehen überwiegend harte Festgesteine an. Im weiteren Verlauf durchörtert die Trassen den Erzgebirgsabbruch, der durch eine mehrere hundert Meter mächtige Großstörungszone gekennzeichnet ist. Der südlichste Abschnitt der Tunneltrasse verläuft in tertiären Sedimenten des Erzgebirgsbeckens mit Überdeckung von einigen Zehnermetern. Um die stark wechselhaften geotechnischen Randbedingungen und die daraus resultierende breite Anzahl an möglichen geotechnischen Parametern im Tunnelabschnitt zwischen dem Portal Chabařovice und dem Erzgebirgsabbruch vorab detailliert überprüfen zu können, ist geplant, einen Erkundungsstollen von Süden aufzufahren. Der Erkundungsstollen soll im Nachgang als Rettungsstollen genutzt werden. In den Kreideschichten fungieren die Mergel- und Tonsteine der Pläner vorrangig als Grundwasserstauer, während in den Sandsteinhorizonten Kluftwasserführung mit geringer Ergiebigkeit erwartet wird. In den Tiefengesteinen der Sächsischen Kreidesenke und auch im Bereich des Elbtalschiefergebirges und des Erzgebirgskristallins werden generell geringe Durchlässigkeiten und Wasserzutritte erwartet, wobei das Auftreten von Störungsstrukturen mit erhöhter Durchlässigkeit und teilweise hohen Wasserdrücken möglich ist. 5.2 Vortriebskonzepte Grundsätzlich wird aus Gründen der Wirtschaftlichkeit auf möglichst weiten Strecken ein kontinuierlicher Vortrieb mittels Tunnelbohrmaschinen vorgesehen. Lediglich der Bereich des Erzgebirgsabbruches wird aufgrund des stark tektonisierten Gebirges ausgehend vom Portal Chabařovice in Spritzbetonbauweise vorgetrieben. Bei der Volltunnelalternative wird darüber hinaus der Abschnitt zwischen dem Portal Heidenau und dem Seidewitztal in Spritzbetonbauweise hergestellt, zumal das Seidewitztal mit seiner geringen Überdeckung als Startpunkt der Maschinenvortriebe Richtung Süden gewählt wurde. Bei der Teiltunnelalternative erfolgt der Vortrieb auf deutscher Seite über den als Zwischenangriff genutzten Rettungsstollen mit zwei Tunnelbohrmaschinen Richtung Norden bis zum Portal Goes, sowie mit zwei Vortrieben in Spritzbetonbauweise Richtung Süden bis zur Staatsgrenze. Vom Portal Chabařovice aus erfolgt zuerst der Vortrieb des zwischen den beiden Tunnelröhren liegenden Erkundungs- und Rettungsstollens. Von diesem ausgehend werden darauf hin im Erzgebirgskristallin die Startkavernen hergestellt und es erfolgen zwei maschinelle Vortriebe Richtung Norden bis zur Staatsgrenze. Die Streckenröhren im Bereich des Erzgebirgsabbruchs werden parallel dazu in Spritzbetonbauweise vorgetrieben. Bei der Volltunnelalternative erfolgt der Vortrieb auf deutscher Seite von einem Zwischenangriff im Seidewitztal mittels zweier Tunnelbohrmaschinen Richtung Süden bis zur Staatsgrenze. Parallel dazu erfolgen zwei konventionelle Vortriebe vom Seidewitztal zum Portal Heidenau. Der Vortrieb auf tschechischer Seite entspricht der Teiltunnelalternative. 5.3 Anforderungen an den TVM-Vortrieb und den Tunnelausbau Auf Grundlage der geologischen Verhältnisse wird aus heutiger Sicht davon ausgegangen, dass die Tunnelröhren mittels Vollschnittmaschinen ohne Stützung der Ortsbrust aufgefahren werden, zumal diese die höchste Vortriebsleistung erwarten lassen. In Tunnelabschnitten, in denen Störzonen oder hohe Wasserdrücke prognostiziert sind, werden vortriebsbegleitende Vorauserkundungen mittels Bohrungen durch das Schild, sowie geophysikalische Erkundungsverfahren vorgesehen. In Bereichen, die mit der TBM nicht gefahrlos aufgefahren werden können, wird die Möglichkeit vorlaufende Injektionskörper mittels Bohrungen durch Schneidrad und Ortsbrust und/ oder mittels Bohrungen durch den Schildmantel vorgesehen. Grundsätzlich wird, soweit statisch und konstruktiv möglich, ein einschaliger, druckdichter Tübbingausbau vorgesehen. Das Risiko etwaiger hoher Bergwasserdrücke im Erzgebirgskristallin mit bis zu 500- m Wassersäule macht jedoch gegebenenfalls eine Druckbegrenzung bzw. Druckentlastung erforderlich. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird für entsprechende Risikobereiche ein zweischaliger, druckentlasteter Ausbau mit Tübbing-Außenschale und Ortbetoninnenschale geplant [Abb. 8]. Die anfallenden Bergwässer werden dabei in einem Drainagesystem gefasst und über eine Längsentwässerung abgeleitet. 186 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Neue Bahnstrecke Dresden-Prag: Erzgebirgstunnel - Variantenuntersuchungen in der Vorplanungsphase Abb. 8: Regelquerschnitt TBM-Vortrieb mit zweischaligem Ausbau [3] 5.4 Bereiche geringer Überdeckung In den Portalbereichen und im Seidewitztal sind Bereiche mit geringer Überdeckung festzustellen. Beispielhaft werden hier Variantenuntersuchungen für den Portalbereich Heidenau Nord näher erläutert. Der Portaleinschnitt Heidenau Nord liegt in einem FFH-Gebiet, welches möglichst geringfügig zu beeinträchtigen ist. Kurz hinter dem geplanten Portal befindet sich eine Senke, die in die geplante Tunneltrasse einschneidet. Hier sind gesonderte Maßnahmen zu berücksichtigen. Für die Ausbildung des Portals Heidenau Nord werden zwei Varianten (Variante Portal „kurz“, Variante Portal „lang“) betrachtet. Die Variante Portal „kurz“ sieht einen kurzen Einschnitt im Portalbereich mit Herstellung eines Deckels im Bereich der Senke vor. Aufgrund der geografischen Gegebenheiten, insbesondere der Steigung im Gelände, ist die Anbindung zur Herstellung des Deckels jedoch ausschließlich über das FFH-Gebiet möglich. Die Variante Portal „lang“ sieht einen langen Einschnitt im Portalbereich und eine Verlegung des bergmännischen Anschlags hinter die Senke vor. Die logistische Andienung kann somit größtenteils außerhalb des FFH-Gebiets erfolgen. Abb. 9 zeigt eine Übersicht der Varianten. Abb. 9: Übergeordneter Variantenvergleich Ausbildung Portal Heidenau Nord [3] Für die Variantenbetrachtung wurden die Bewertungskriterien Flächeninanspruchnahme, technische Ausführung sowie logistische Anbindungsmöglichkeiten herangezogen. Die Bewertungsmatrix ist in Abb. 10 dargestellt. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 187 Neue Bahnstrecke Dresden-Prag: Erzgebirgstunnel - Variantenuntersuchungen in der Vorplanungsphase Abb. 10: Bewertungsmatrix zum Variantenvergleich Ausbildung Portal Heidenau Nord [3] Die Varianten unterscheiden sich insbesondere in den logistischen Anbindungsmöglichkeiten und der Flächeninanspruchnahme. Die Variante Portal „lang“ ermöglicht eine günstige Anbindung an die Bundesstraße mit moderater Steigung. Dagegen ist für die Variante Portal „kurz“ die Anbindung der BE zur Herstellung des Deckels ausschließlich über große Steigungen gegeben und erfordert einen großflächigen Eingriff in das FFH-Gebiet. Daher wurde für die Vorzugsvariante die Variante Portal „lang“ gewählt. 5.5 Einschnitt Goes Bei der Teiltunnelalternative verläuft die Trasse südlich der Talbrücke Seidewitz überwiegend im Einschnitt, in welchem auch der Überholbahnhof Goes angeordnet ist. Aus der gewählten Gradiente ergibt sich am Nordportal des Erzgebirgstunnels eine Einschnitttiefe von ca. 43-m unter GOK. Der südöstliche Teil des Einschnittes am Portal kommt dabei unterhalb des Grundwasserspiegels zu liegen, wobei der Grundwasserspiegel etwa im Bereich der Firste des Sonic-Boom-Bauwerkes liegt. Im Hinblick auf eine Minimierung des Eingriffs in den Grundwasserkörper wurde als Alternative zur Ausbildung einer freien Böschung die Herstellung eines wasserdichten Trogbauwerkes mit einer Länge von ca. 400-m untersucht [Abb. 5]. Im Zuge der Variantenuntersuchungen wurden Strömungsberechnungen mittels 2D-FE-Berechnungen durchgeführt, um die Zuflussmengen in den Einschnitt und die stationären Grundwasser-Spiegellinien zu ermitteln. Der Variantenvergleich wurde unter Maßgabe eines minimalen Eingriffs in den Grundwasserkörper durchgeführt. Die Rechenergebnisse zeigen, dass bei Ausbildung eines Trogbauwerkes keine signifikanten Auswirkungen auf den Grundwasserspiegel zu erwarten sind. Im Hinblick auf eine Minimierung der Aushubkubatur und des landschaftlichen Eingriffs durch den Einschnitt Goes wurden statische Untersuchungen zur Ausbildung der Böschungsneigung durchgeführt. Aufgrund der Einschnittstiefe ist grundsätzlich eine Böschung mit Bermen im Abstand von 7,5-m vorgesehen. Als Grundvariante wurde eine Generalneigung von 36 ° bei einer Bermenneigung von 2: 3 gewählt. Aufgrund der vergleichsweisen günstigen prognostizierten geotechnischen Verhältnisse, gemäß derer die Böschung überwiegend im Sandstein zu liegen kommt, wurde im Zuge einer Variantenuntersuchung die Möglichkeit eines Aufsteilens der Böschung auf eine Generalneigung von 44 ° (Bermenneigung 1: 1) statisch untersucht. Diese Aufsteilung ist zwar statisch möglich, wurde aber aufgrund der vorhandenen Ungenauigkeiten im Baugrundmodell in der Vorplanung nicht weiterverfolgt. 6. Zusammenfassung Der vorliegende Artikel beschäftigt sich mit der Vorplanung der neuen Bahnverbindung zwischen Dresden und Prag, insbesondere dem geplanten Erzgebirgstunnel als Herzstück des Projekts. In der Vorplanungsphase wurden zwei grundlegende Varianten, der Teil- und Volltunnel, eingehend untersucht. Die Streckenführung der Eisenbahnverbindung und die Herausforderungen bei der Umsetzung wurden detailliert erläutert, wobei verschiedene Anschlusspunkte, Tunnelportale und Trassenalternativen berücksichtigt wurden. Zudem wurden die geotechnischen Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Erzgebirgstunnel sowie die vorgesehenen Vortriebskonzepte und Anforderungen an den Tunnelausbau als wesentliche Untervarianten der beiden Grundvarianten präsentiert. 188 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Neue Bahnstrecke Dresden-Prag: Erzgebirgstunnel - Variantenuntersuchungen in der Vorplanungsphase Weiterhin unterstreicht der Artikel die Bedeutung von BIM in der frühen Planungsphase im Projekt und gibt einen Überblick über das BIM-Modell des Projektgebiets. Der Beitrag bietet somit einen umfassenden Einblick in die Vorplanung der neuen Bahnstrecke Dresden-Prag und verdeutlicht die Komplexität sowie die technischen Aspekte, die bei der Umsetzung dieses bedeutenden Infrastrukturprojekts berücksichtigt werden müssen. Danksagung Die Autoren danken der DB Netz AG und der Správa železnic für die Genehmigung zur Veröffentlichung der Vorplanungsergebnisse sowie der produktiven und konstruktiven Zusammenarbeit in diesem Projekt. Literatur [1] Roman Sabata, Anna-Lena Hammer, Andreas Laudahn, Gerold Lenz: New Railway Dresden-Prague: Ore Mountains Tunnel - Variant Study in the Preliminary Design Stage. Underground Construction Prague 2023. [2] Stefan Hanz, Kay Müller, Christoph Kautter: Erzgebirgstunnel: „Big Open BIM“- Tunnelplanung. In: tunnel 1/ 2023, S. 12-23. [3] INGE PA2 Erzgebirgstunnel: Neubaustrecke Projektabschnitt 2 - Dresden-Prag: PA 2 Erzgebirgstunnel, Vorplanungsheft, 2023 (unveröffentlicht). 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 189 Numerische Berechnungen zum Tunnel Silltal als Teil des Brenner Basistunnels Dipl.-Ing. Dr. techn. Tassilo Weifner Brenner Basistunnel BBT SE, Innsbruck, Österreich Zusammenfassung Der Tunnel Silltal, welcher Teil des Tunnelsystems des Brenner Basistunnels ist, wird in Ortbeton als weiße Wanne ausgeführt. Der Tunnel wird derzeit in offener Bauweise aufgefahren und soll später dem natürlichen Geländeverlauf folgend eingeschüttet werden. Im Zuge der Planungsphase des Tunnels zeigte sich, dass aufgrund der prognostizierten Geologie mit sehr variablen Untergrundverhältnissen und der Belastung aufgrund der Einschüttung eine monolithische Bauweise des Tunnels ohne Dehnfugen erforderlich war. Die Gründung des Tunnels sollte ursprünglich als Pfahlplattengründung ausgeführt werden. Für die Optimierung der Tunnelgründung und der Bewehrung wurden numerische Berechnungen unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Untergrundverhältnisse entlang der Tunnelachse durchgeführt. Im Zuge der Bauausführung konnten zwar nachgiebigere, aber homogenere Gründungsverhältnisse festgestellt werden, sodass aufgrund der Ergebnisse weiterer numerischer Berechnungen eine Optimierung der Gründungsmethode durchgeführt werden konnte und eine reine Flachgründung zur Ausführung kam. 1. Einführung Der BBT bildet das Herzstück des Skandinavisch-Mediterranen TEN-Korridors von Helsinki (Finnland) nach Valletta (Malta) und ist im TEN-Strategieplan als Teil des Nord-Süd-Korridors Nr. 5 vorgesehen. Eine besondere Bedeutung nimmt der Brenner Basistunnel als staatenverbindendes Projekt zwischen Österreich und Italien ein. Der Brenner Basistunnel zwischen Tulfes (Österreich) und Franzensfeste (Italien) weist eine Gesamtlänge von 64 km auf, womit die weltlängste unterirdische Eisenbahnverbindung entsteht [1]. Die Bahntrasse des Brenner Basistunnels verläuft vom Bahnhof Innsbruck über eine offene Strecke und wird dann in einen Tunnel in offener Bauweise mit einer Gesamtlänge von 129,5 m geführt, dem in diesem Beitrag behandelten Tunnel Silltal, wobei die Bahntrasse zunächst in einem zweigleisigen Kastenquerschnitt verläuft und sich danach auf zwei Kastenquerschnitte zu je einem Gleis aufteilt (vgl. Abb. 1). Ausgehend von diesen beiden Kastenquerschnitten verläuft die Bahntrasse dann über je eine Eisenbahnbrücke zum Nordportal der beiden Haupttunnel, welche über je 55-km bis zum Südportal in Franzensfeste im Berg verlaufen. Die Lebensdauer des Brenner Basistunnels und somit aller seiner permanenten Bauwerke wurde mit 200 Jahren festgelegt. Daraus resultieren höhere Anforderungen an die Bemessung der einzelnen Bauteile, die Qualität der Ausführung der Arbeiten und letztendlich auch an die Wartung/ Instandhaltung der Bauwerke. Der Tunnel Silltal soll später dem natürlichen Geländeverlauf folgend eingeschüttet werden. Im Zuge der Planungsphase des Tunnels zeigte sich, dass aufgrund der prognostizierten Geologie mit sehr variablen Untergrundverhältnissen und der Belastung durch die sowohl in längsals auch in Querrichtung variable Einschüttung, eine monolithische Bauweise des Tunnels ohne Dehnfugen zwischen den Blöcken erforderlich war. Abb. 1: Visualisierung des Endzustandes im Bereich der Sillschlucht bei Innsbruck. Im Vordergrund die zwei Eisenbahnbrücken, dahinter der Tunnel Silltal; im Hintergrund die Bergiselbrücke der Brennerautobahn und darunter die offene Bahnstrecke. Die sonst übliche blockweise Bauweise mit Dehnfugen (übliche Blocklänge 10 m bis 12 m) hätte hier nämlich zu sehr hohen Verkippungen oder gar Versätzen zwischen den einzelnen Blöcken geführt, welche mit den Anforderungen des Bahnbetriebes nicht vereinbar gewesen wären. 2. Geologie/ Geotechnik 2.1 Geologie Die Geologie im Bereich der Sillschlucht ist von einer fluviatil entstandenem Schlucht geprägt, welche im Hang durch verwitterte Gesteine und im Bereich der Sill durch fluviatile Sedimente geprägt ist. Laut geologischer Prognose sollte m mittleren Bereich des Tunnels Silltal mehr oder weniger kompakter Fels anstehen, wogegen an den beiden Randbereichen Lockergestein anstehen sollte. 190 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Numerische Berechnungen zum Tunnel Silltal als Teil des Brenner Basistunnels Für das Gründungskonzept wurde vorgesehen, für Bereiche in denen kein Fels unter der Sohlplatte ansteht, die Gründung zusätzlich über Einzelbohrpfähle durchzuführen, um auch in diesen Bereichen eine Gründung in den Fels zu erzielen (siehe dazu Abb. 2, braun schraffierte Fläche. vermuteter Felshorizont auf Gründungsebene). Die Bohrpfähle wurden im in der Folge beschriebenen Modell als elastisch gebettete Stäbe abgebildet und waren mit einen Kreisquerschnitt mit einem Durchmesser von 1,20 m geplant. Abb. 2: Grundriss des Tunnels Silltal mit prognostiziertem Felsbereich (braun) 2.2 2.2 Geotechnik Die auftretenden Gebirgsarten (GA) reichen vom blockigen Hangschutt (GA 3), einer Übergangszone vom Festgestein zum Lockergestein (GA 4.1), dem verwitterten Fels (GA 6) bis zum unverwitterten Gebirge (GA 7.1). Die Einzelbohrpfähle wurden ins unverwitterte Gebirge eingebunden. Eine weitere Bodenart war durch das Material für die Auffüllung nach Ende der Betonierarbeiten gegeben. Die Gebirgs- und Bodenkennwerte wurden aus dem geologisch/ geotechnischen Bericht [2] entnommen. Für die Berechnung wurden folgende Kennwerte angesetzt: Abb. 1: Gebirgs- und Bodenkennwerte Parameter E n g j c Einheit N/ mm² ° kN/ mm³ ° MPa Blockiger Hangschutt GA 3 80 0,25 21 37,5 0,01 Übergangszone Festgestein- Lockergestein GA 4.1 500 0,25 23 37,5 0,025 Verwitterter Quarzphylit GA 6 1500 0,20 25 37,5 0,10 Unverwitterter Quarzphylit GA 7.1 2500 0,18 26 40 0,25 Auffüllung - - 22 37,5 0,005 3. 3D Modell 3.1 Modellierung Der Tunnel wurde im Programm SOFISTIK mit 3-dimensionalen BRIC Elementen modelliert. Die ein- und zweigleisigen Kästen wurden aus Rahmenelementen, welche dann in die dritte Dimension extrudiert wurden, modelliert. Der Bereich zwischen dem zweigleisigen Kasten und den beiden eingleisigen Kästen wurde durch einen Übergangsblock modelliert. Die Wände wurden in einer Dicke von 80cm ausgeführt, die Decke wurde in Bereichen mit hoher Erdauflast mit 120cm Dicke ausgeführt; die restlichen Bereiche wurden mit einer Dicke von 80 cm erstellt. Für die Bodenplatte wurde eine Dicke von 1,20m vorgesehen. Das Finite Elemente Modell des Tunnels ist in Abb. 3 dargestellt. Abb. 3: Finite Elemente Modell des Tunnels Silltal 3.2 Lastannahmen Die Tunnelwände werden im Wesentlichen durch Eigengewicht, Verkehrslast, Erdauflast und Erddrücke belastet. Bei den Erddrücken wurden verschiedene Kombinationen aus erhöhtem aktiven Erddruck und Ruhedruck angesetzt. Da die Erddrücke aufgrund der Hanglage bergseitig teilweise wesentlich höher sind als talseitig, wurden auf der Talseite der Erdruhedruck und bergseitig der erhöhte aktive Erddruck angesetzt, um ein Kräftegleichgewicht in horizontaler Richtung zu erreichen. Ansonsten wurde beidseitig der erhöhte aktive Erddruck aufgebracht. Im Falle zu geringer oder keiner Überschüttung wurde auf der sicheren Seite der Verdichtungserddruck bzw. der Erdruhedruck bis zur Oberkante der offenen Bauweise angesetzt, wobei der maßgebend größere Wert berücksichtigt wurde. Der Verdichtungserddruck wurde im Berechnungsmodell in den maßgebenden Bereichen vereinfachend als konstante Gleichlast mit e vh =25 kN/ m² bis zur Oberkante der Decke angesetzt. Temperaturbelastungen aus dem Schwinden des Beton wurde im 3D-Schalenmodell nicht angesetzt, da der Bauablauf ein Betonieren der Blöcke auf Lücke vorsah. Mit der in Abschnitt 3 ermittelten Bewehrung zur 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 191 Numerische Berechnungen zum Tunnel Silltal als Teil des Brenner Basistunnels Begrenzung der Rissbreite aus Zwang können die Gebrauchstauglichkeitseigenschaften ausreichend abgedeckt werden. Der Ansatz einer Zwangsbeanspruchung im Berechnungsmodell mit Nachweis der Rissebeschränkung konnte daher entfallen. Die Kriechzahl j wurde gemäß EC2, Abs. 3.1.4 ermittelt. Die Temperatureinwirkungen wurden gemäß den Vorgaben der Regelplanung der BBT SE [3] unter Berücksichtigung des Bauteilabstandes vom Portal angesetzt, wobei hier nur die Werte für einen Abstand zum Portal unter 3 km zum Tragen kamen. Tabelle zeigt die Temperaturgradienten und die effektiven Temperaturänderungen. Tab. 2: Temperatureinwirkungen gemäß Regeplanung BBT SE [3] Abstand Portal [km] <3 3-10 >10 Temperaturgradient [°C] 5 2 2 DT eff Winter [°C] -16 -10 -6 DT eff Sommer [°C] 16 10 6 In Bereichen, in denen Temperaturlasten ausgeschlossen werden können, z. B. bei der Sohlplatte, wurden keine Temperaturlasten angesetzt. 3.3 Gründung Die Gründung erfolgte zunächst durch eine kombinierte Pfahlplattengründung. in den Randbereichen und durch eine reine Flächengründung mittels Fundamentplatte im zentralen Bereich. Die Flächengründung wurde durch flächig angeordnete Bettungsfedern modelliert. Die Bettung der Sohlplatte wurde im 3D-Schalenmodell mittels folgender Bettungsmoduli des Bodens simuliert (vgl. Tab. 3). Tab. 3: Kennwerte Bettungsmoduli der Sohlplatte gem. [2] Gebirgsart k Blockiger Hangschutt GA 3 80.0000 kN/ m³ Übergangszone Festgestein- Lockergestein GA 4.1 250.000 kN/ m³ Verwitterter Quarzphylit GA 6 400.000 kN/ m³ Unverwitterter Quarzphylit GA 7.1 700.000 kN/ m³ Für die Reibung zwischen Sohlplatte und Sauberkeitsschicht wurde ein Reibbeiwert von m=0,364 (entspricht j=20°) angesetzt. Die Pfähle wurden hingegen durch Einzelfedern abgebildet. Die Ermittlung der Bettung der Bohrpfähle erfolgte unter Berücksichtigung der folgenden Bettungsmoduli. Tab. 4: Kennwerte Bettungsmoduli der Bohrpfähle gem. [2] Gebirgsart k Blockiger Hangschutt GA 3 95.0000 kN/ m³ Übergangszone Festgestein- Lockergestein GA 4.1 600.000 kN/ m³ Verwitterter Quarzphylit GA 6 1660.000 kN/ m³ Unverwitterter Quarzphylit GA 7.1 2.700.000 kN/ m³ Für den Bettungsverlauf wurde -auf der sicheren Seite liegendangenommen, dass die angegebene Bettung nicht unmittelbar am Bohrpfahlkopf vorhanden ist, sondern erst ab einer Tiefe von ca. 3 m die vollständige Bettung aktiviert wird und dazwischen die Bettung linear zunimmt. In Zuge der Modellierung zeigte sich, dass das Verhältnis der Federkennwerte der Flächenbettung und der Einzelfedern der Bohrpfähle wesentlich ist, um eine gemeinsame Tragwirkung der Flächengründung in Form der Fundamentplatte und der Bohrpfähle zu erreichen. Werden die Federkennwerte der Bohrpfähle zu weich angesetzt, erhält man praktisch eine zu hohe Tragwirkung der Flächengründung, was in diesem Fall nicht erwünscht war, da dies zu hohen Belastungen der Stahlbetonkonstruktion des Tunnels geführt hätte. 3.4 Wände/ Decken aus Stahlbeton Der Tunnel in Offener Bauweise wurde als Weiße Wanne geplant. Bei den Decken wurde das Dachprofil bzw. das Quergefälle des Stahlbetondeckels und die damit verbundene Vergrößerung der Querschnitthöhe in den Berechnungen berücksichtigt. Die Stahlbetondecke wird biegesteif an die Wände angeschlossen. Die Stahlbetonbauteile wurden mit Ausnahme der Zwischenwand im Übergangsbereich zwischen dem zweizelligen Querschnitt und den beiden einzelligen Querschnitten, welcher in Ortbeton C35/ 45 ausgeführt wurde, mit Ortbeton C25/ 30 ausgeführt. Als Betonstahl wurde ein Baustahl der Güte B550B verwendet. Die Kennwerte sind in der folgenden Tabelle zusammengefasst. Tab. 5: Kennwerte Stahlbeton Parameter Einheit Bezeichnung E c , E s N/ mm2 f ck , f yk N/ mm2³ Ortbeton C25/ 30 31.000 25 Ortbeton C35/ 45 34.000 35 Baustahl B550B 200.000 550 Die Bemessung der der offenen Bauweise erfolgt unter der Annahme eines linear-elastischen Materialverhaltens im ungerissenen Zustand nach OENORM EN 1992 mit dem Bemessungsmodul BEMESS (V16.01) und AQB (V16.01) der SOFiSTiK AG [4]. 192 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Numerische Berechnungen zum Tunnel Silltal als Teil des Brenner Basistunnels Tab. 6: Teilsicherheitsfaktoren unter Berücksichtigung einer Lebensdauer von 200 Jahren. Faktor Bezeichnung g c =1,60 Teilsicherheitsfaktor Betonwiderstand a cc =0,85 Abminderungsbeiwert zur Berücksichtigung der Langzeiteinwirkung der Betondruckfestigkeit g s =1,20 Teilsicherheitsfaktor Stahlwiderstand Die Teilsicherheitsfaktoren der Bauteilwiderstände für ständige und vorübergehende Bemessungssituationen (BS1 und BS2) werden unter Berücksichtigung einer Lebensdauer des Bauwerkes von 200 Jahren wie in Tab.-6 angegeben angesetzt [5]. 3.5 Begrenzung der Rissbreiten (Weiße Wanne) Die zulässige Rissbreite für die Sohlplatten, die Wände und die Decken wurde auf w cal ≤ 0,20 mm außerhalb bzw. erdseitig und auf wcal ≤ 0,30 mm innerhalb bzw. luftseitig begrenzt. Der Nachweis zur Beschränkung der Rissweite unter Last wurde für jeden SLS-Lastfall direkt von der verwendeten Software nach OENORM B 1992-1-1 geführt. 3.6 Ergebnisse Die maximalen Vertikalverformungen aus den Gebrauchslastfällen ergeben sich zu 20mm in der Mitte der Decke des Blockes 4. Der Block 4 befindet sich zwischen den Tunnelmetern 34,85 und 44,91 im Bereich des zweigleisigen Tunnelkastens. Die Stationierung des Tunnels erfolgt vom Portal Nord (Bahnhof Innsbruck) aus. In der Bodenplatte ergeben sich die maximalen Verformungen ebenfalls im mittleren Bereich des Blockes 4 und zwar 5,1 mm bergseitig und 3,0 mm talseitig. Aus den Tragsicherheitsnachweisen ergaben sich Bewehrungsgehalte von bis zu 90cm²/ m in der Decke im Bereich des Überganges zu den zwei Tunnelkästen. Die Bodenplatte musste mit bis zu 70 cm²/ m bewehrt werden. Die größten Bewehrungsmengen waren auch hier im Bereich des Überganges vom zweigleisigen zu den zwei eingleisigen Querschnitten erforderlich. In den Wänden waren Bewehrungsgehalte bis zu 75 cm²/ m erforderlich. Derartige Bewehrungsgehalte erfordern eine mehrlagige Bewehrung in Quer- und Längsrichtung. Die erforderliche Bügelbewehrung ergab sich in einem Bereich zwischen 10 cm²/ m² und 30cm²/ m², wobei die größten Bewehrungsmengen ebenfalls im Bereich des Überganges vom zweigleisigen zu den zwei eingleisigen Querschnitten erforderlich waren. Im Bereich des Überganges zwischen dem zweigleisigen Kastenquerschnitt und den zwei eingleisigen Querschnitten (vgl. Abb. 4) war zusätzlich eine Durchstanzbewehrung im Bereich der Zwischenwand erforderlich. Hierbei waren Bügel im Ausmaß von 23,5cm²/ m² in der Decke erforderlich und es wären 46-cm²/ m² Bügel in der Bodenplatte notwendig geworden. In der Bodenplatte konnte jedoch eine Voute von 80cm und einer Breite von 3 m unterhalb der Zwischenwand ausgebildet werden, um das Durchstanzen der Zwischenwand durch die Bodenplatte zu verhindern, sodass hier keine Durchstanzbewehrung mehr erforderlich war. Abb. 4: Finite Elemente Modell des Tunnels Silltal, Sicht vom Portal Bahnhof Innsbruck aus auf die Zwischenwand zwischen den zwei eingleisigen Querschnitten. 4. Aktualisierung der Bodenverhältnisse im Zuge der Bauausführung 4.1 Allgemeines Im Zuge der Bauausführung zeigte sich im Jahr 2021, dass entgegen der geologischen Prognose kein Fels auf Gründungsniveau der Fundamentplatte anstand. Dies führte zu einer Neubewertung der Gründungssituation. Dadurch, dass im Zentralbereich nun von ähnlichen Gründungssteifigkeiten wie in den Randbereichen ausgegangen werden konnte, waren jetzt keine Bohrpfähle für die Gründung des Tunnels Silltal (Blöcke 1-12) mehr erforderlich. Pfähle waren nur mehr im Bereich der Widerlagerkonstruktion der Eisenbahnbrücken (Block 13) notwendig. Die erneute Bewertung nach Durchführung von Schürfen und Rammsondierungen im Gründungsbereich des Tunnels ergab, dass auf Niveau der Gründungssohle zwei der in Tab. 1 gelisteten Gebirgsarten anstanden. In den Portal- und Randbereichen war mit der Gebirgsart GA 3 zu rechnen. Im Zentralbereich des Tunnel Silltal stand die Gebirgsart GA 4.1 an. Für diese beiden Gebirgsarten konnten die in Tab. 7 aufgelisteten unteren und oberen Bettungsmoduli angegeben werden. Für die aktualisierten Berechnungen wurde eine Variation der Bettungsmoduli in ungünstiger Form (steifere Bettung im Zentralbereich, weiche Bettung außen) durchgeführt. Im Böschungsrandbereich vereinzelt auftretende Felsnasen im Gründungsbereich konnten durch Reißen abgetragen werden. Diese Bereiche wurden dann mit geeigneten Material aufgefüllt und verdichtet um möglichst gleichmäßige Gründungsverhältnisse zu schaffen und Spannungsspitzen zu vermeiden. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 193 Numerische Berechnungen zum Tunnel Silltal als Teil des Brenner Basistunnels Tab. 7: Aktualisierte Bettungsmoduli für die reine Flächengründung des Tunnels Silltal k [kN/ m³] Gebirgsart vgl. Tab. 1 unterer Wert oberer Wert GA 3 60.000 100.000 GA 4.1 150.000 250.000 Nun wurde ein modifiziertes Finite Elemente Modell mit einer reinen Flachgründung und den aktualisierten Bettungsfedern erstellt und erneut durchgerechnet. Die Berechnungsergebnisse werden im nächsten Abschnitt erläutert. 4.2 Berechnungsergebnisse Die maximalen Vertikalverformungen aus den Gebrauchslastfällen ergeben sich nun mit 27 mm in der Mitte der Decke des Blockes 4. In der Bodenplatte ergeben sich die maximalen Verformungen ebenfalls im mittleren Bereich des Blockes 4 und zwar 7,5 mm bergseitig und 4,0 mm talseitig. Diese Verformungen sind etwas größer als mit der Bohrpfahlgründung in Abschnitt 3. Da der größte Anteil der Vorformungen im Zuge der Einschüttung der Tunnels und somit vor Einbau der Gleise erfolgt, stellen diese relativ hohen Verformungen kein Problem für die Gleislage und somit für den zukünftigen Bahnbetrieb dar. Die Bewehrung musste aufgrund der neuen Berechnungen angepasst werden; es ergab sich hierbei einer Erhöhung der gesamten Bewehrungsmenge von ca. 3 %. Demgegenüber stand aber die Einsparung von ca. 70 Bohrpfählen mit möglichen Längen bis zu 20 m, sodass es im Zuge dieser Optimierung zu einer wesentlichen Kosteneinsparung kam. 5. Zusammenfassung Der Tunnel Silltal, wurde in Ortbeton als weiße Wanne ausgeführt. Der Tunnel wird derzeit in offener Bauweise hergestellt und soll später dem natürlichen Geländeverlauf folgend eingeschüttet werden. Die Gründung des Tunnels sollte ursprünglich als Pfahlplattengründung ausgeführt werden. Im Zuge der Bauausführung im Jahr 2021 zeigte sich, dass entgegen der geologischen Prognose kein Fels auf Gründungsniveau der Fundamentplatte anstand. Dies führte zu einer Neubewertung der Gründungssituation. Aus den weiterführenden Berechnungen ergab sich, dass der Entfall der Bohrpfahlgründung möglich ist. Somit konnte der Tunnel Silltal ohne Pfahlgründung nur mit einer Flachgründung ausgeführt werden; Bohrpfähle waren nur mehr im Bereich der Widerlagerkonstruktion der Eisenbahnbrücken notwendig. Obwohl sich aus den weiterführenden Berechnungen eine geringfügige Erhöhung der gesamten Bewehrungsmenge beim Tunnel Silltal ergab, war insgesamt eine wesentliche Kostenreduktion durch den Entfall der Bohrpfähle beim Tunnel Silltal möglich. Literatur [1] Brenner Basistunnel BBT SE (2023) Homepage, www.bbt-se.com [2] Planungsgemeinschaft BBTN (2019) Geologischgeotechnischer Bericht Sillschlucht, 01-H21-TU- 001-D0939-GTB-13031-59 [3] Brenner Basistunnel BBT SE (2013) Regelplanung, Bemessung Innenschale, Bericht 00-Ü01-GD-001- D0616-III-08-TB_3603-25 [4] SOFISTIK AG Software 2018-2021 [5] Ingenieurbüro Schiessl Gehlen Sodeikat (2012) Stellungnahme Dauerhaftigkeitsbemessung Brenner Basistunnel vom 19.07.2012 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 195 Das Konzept einer direkten, passiven Freiflächentemperierung in Verbindung mit einer geothermischen Bergwassernutzung Till Kugler, M. Sc. Universität Stuttgart, Institut für Geotechnik Tim Hochstein, M. Sc. Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Moormann Universität Stuttgart, Institut für Geotechnik Zusammenfassung Ein regenerativer Ansatz zur Temperierung von Tunnelbetriebsräumen und zur Eis- und Schneefreihaltung von Verkehrsflächen an Tunnelportalen ist die Nutzung der auf das Tunnelbauwerk wirkenden Wärmeströme. Hydrogeothermische Verfahren nutzen die Wärmeenergie des aus der Bergwasserdrainage austretenden Wassers, bevor dieses nach der Energieextraktion in eine Vorflut übergeben wird. Am Grenztunnel Füssen wurde erstmals das innovative Konzept der direkten, passiven Freiflächentemperierung zur Eis- und Schneefreihaltung von Fahrbahnen in einem messtechnisch voll ausgerüsteten Technikum umgesetzt. Mit einer umfangreichen Analyse der Messdaten und numerischen Simulationen wird die Übertragung des Konzeptes auf andere Standorte ermöglicht. 1. Einführung Oberflächentemperierungen, i.e. eine thermische Aktivierung von Asphalt- oder Betonoberflächen ermöglichen eine Schnee- und Eisfreihaltung von Verkehrsflächen unter Verzicht auf eine Schneeräumung bzw. den Einsatz von Taumitteln. Die Verwendung von Wärmeübertragern in Verkehrswegen und Infrastrukturflächen unter Einsatz regenerativer Energien wurde zwischenzeitlich in unterschiedlicher Ausprägung weltweit erprobt [1]. Geothermisch betriebene Freiflächenheizungen werden auch in Deutschland bereits in Kleinanwendungen [2], aber auch im Zusammenhang mit Infrastrukturprojekten [3] erprobt. Die Beaufschlagung der Wärmeübertrager in Verkehrsflächen im Nahbereich von Tunnelportalen mit Bergwasser, d. h. mit aus der Tunneldrainage anfallenden Drainagewässern stellt eine Fortentwicklung dieser Technologie dar. Das von Moormann & Buhmann 2017 in [4] entwickelte Konzept einer direkten, passiven Freiflächentemperierung stellt eine besonders effektive Möglichkeit der Nutzung von Tunneldrainagewässer für die Temperierung von Verkehrsflächen dar, da in diesem Fall das Drainagebzw. Bergwasser unmittelbar die in der Freifläche installierten Leitungen durchströmt. Auf einen wärmepumpeninduzierten Temperaturhub wird gänzlich verzichtet, sodass sowohl ein weiteres Wärmeträgermedium als auch ein Wärmetauscher entbehrlich werden; die hierdurch vermiedenen Wärmeübertragungsverluste steigern die Effizienz solcher Anlagen. Ferner kann in der sommerlichen Nutzung die Temperatur des Fahrbahnaufbaus abgesenkt und einer Spurrillenbildung vorgebeugt werden. Am Nordportal des Grenztunnels Füssen wurde dieses Verfahren erstmals im Rahmen eines Technikums, i.e. einer realmaßstäblichen Anwendung umgesetzt und dabei messtechnisch intensiv überwacht. Im Rahmen eines vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV), vertreten durch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), beauftragten Forschungsprojektes „Erprobung einer geothermischen Bergwassernutzung am Grenztunnel Füssen“ (FE 15.0656/ 2018/ ERB), erfolgte für eine zweijährige Betriebsphase dieses Technikums seitens des Institutes für Geotechnik der Universität Stuttgart eine intensive wissenschaftliche Begleitung und Auswertung, die Durchführung von begleitenden numerischen Simulationen und letztlich im Ergebnis die Erarbeitung einer Implementierungshilfe [5] für Betreiber und Anwender zum Einsatz von direkten, passiven Freiflächenheizungen zur Schnee- und Eisfreihaltung von Fahrbahnoberflächen. Als Grundlage hierfür erfolgte sowohl eine detaillierte messtechnische Evaluierung des Betriebs der Anlage im Winterwie Sommerbetrieb, im saisonalen Betrieb und für spezifische Testszenarien wie auch eine numerische Simulation mit einem eigens entwickelten thermohydraulisch gekoppelten numerischen Simulationsmodell. Dieses Simulationsmodell wurde in einem ersten Schritt durch die Back-analysis des messtechnisch beobachteten Verhaltens des Technikums validiert und in einem zweiten Schritt zur Durchführung von Parameterstudien genutzt. Im Ergebnis ermöglicht dieses Vorgehen eine Übertragung des Konzeptes auf von Füssen abweichende Randbedingungen und damit auf andere Standorte. Die aus dem Betrieb in Füssen gewonnenen Erkenntnisse wurden in eine selbstständig operierende Anlagensteuerung eingepflegt, die lokal gemessene Wetterdaten und das Frühwarnsystem (SWIS) des Deutschen Wetterdienstes (DWD) berücksichtigt, um die Eis- und Schneefreihaltung der Flächen zu gewährleisten. 196 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Das Konzept einer direkten, passiven Freiflächentemperierung in Verbindung mit einer geothermischen Bergwassernutzung 2. Tunnel(geo)thermie Tunnelbauwerke besitzen große erd- und tunnelluftberührte Oberflächen. Aus dem in Deutschland durchschnittlich wirkenden Tiefenstrom, der einen Gradienten von 3-K je 100-m Tiefe [6] hat, und der thermischen Energie, die die Tunnelluft zusätzlich im konvektiven Wärmeübergang an die Tunnelschale übergibt [7], ergibt sich das thermische Potential von Tunnelbauwerken. Die Nutzung dieser thermischen Energie erfolgt entweder mit dem hydrogeothermischen oder dem absorbertechnologischen Verfahren. Bei Letzteren wird der Primärkreislauf durch in der Tunnelschale installierte Absorberleitungen gebildet und an einen Wärmetauscher bzw. Wärmepumpe übergeben. Der Sekundärkreislauf bildet dann erst die tatsächliche Freiflächenheizung. Hydrothermische Verfahren nutzen hingegen die thermische Energie des aus der Tunneldrainage austretenden Bergwassers, welches nach der Energieextraktion in eine Vorflut geleitet wird. Das Wasser wird also nicht wiederverwendet, weshalb das hydrothermische Verfahren ein offenes System darstellt. In Abb.-1 ist eine Darstellung der beim Hydrogeothermischen Verfahren (offenes System) wirkenden Wärmeströme gegeben. Die extrahierte thermische Energie ist ein Nebenprodukt der aus tunnelstatischer Sicht erforderlichen Drainage zum Abbau des auf die Tunnelschale wirkenden Wasserdrucks. Das Verfahren kann nachträglich bei dränierten Bestandstunneln installiert werden. In Abhängigkeit der Überdeckung eines Tunnels besitzt das Bergwasser eine ganzjährig hohe Temperatur, die für alpine Basistunnel in einer Größenordnung von etwa 24 °C [8], teilweise aber auch noch höher als z. B. beim Gotthard-Basistunnel mit 27 °C [9] liegen kann. Da Basistunnel üblicherweise mehrere unterschiedliche Gesteinsformationen mit variierenden thermohydraulischen Eigenschaften durchqueren, kann es sich unter energetischen Gesichtspunkten lohnen, um einer Durchmischung vorzubeugen, einzelne Tunnelsegmente mit höheren Bergwassertemperaturen durch eine separate Leitung zum Portal zu führen [10]. Abb.-1: Tunnelgeothermie: Hydrogeothermische Verfahren (offenes System) - Wärmestrom 3. Nordportal des Grenztunnel Füssen In einem vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMDV), vertreten durch die BASt, beauftragtem Forschungsprojekt [5] wurde die besondere Eignung des Nordportals des Grenztunnels Füssen (Bayern) für eine Erprobung der Temperierung von Freiflächen mittels des direkten, passiven hydrogeothermischen Verfahrens identifiziert. Hierfür wurden die Temperatur und Schüttung des Drainagewassers über ein Jahr lang messtechnisch erfasst, wobei Temperaturen zwischen +8,3 °C und +10,5 °C gemessen wurden; die geringste Schüttung betrug 11-l/ s. Nach VDI-4640 [11] sind bei der Übergabe von Wasser in eine Vorflut Temperaturen von 5°C bzw. 20°C nicht zu unterbzw. überschreiten. Bei Anwendung dieser Grenzwerte ergab sich gemäß (1) rechnerisch ein minimal zuführbarer Wärmestrom für den Heizfall von 152-kW, während der minimal abführbare Wärmestrom für den Kühlfall zu 438- kW ermittelt wurde. (1) Wärmestrom [W] Bergwasserschüttung [m³/ h] Volumetrische spezifische Wärmekapazität des Wassers [kJ/ (m³K)] Temperaturdifferenz des Wassers infolge Energieextraktion [K] Laut [12] reichen 400- W/ m² zur Eis- und Schneefreihaltung von Fahrbahnoberflächen aus, d. h. bei entsprechender Installation könnte rechnerisch für 40 Felder mit einer Fläche von 9 m² die zur Schnee- und Eisfreihaltung notwendige Wärmestromdichte von 400 W/ m² bereitgestellt werden. Ferner wurden auch hydrochemische und hydraulische Untersuchungen durchgeführt, die ebenfalls die Eignung des Nordportals zur Freiflächentemperierung bestätigen. Da die Wassertemperatur einen abiotischen Umweltfaktor darstellt, wurden auch die Auswirkungen auf das nachgeordnete Flora- und Fauna-Habitat untersucht und als positiv bewertet. 3.1 Entwurf der Freiflächentemperierungen Die am Nordportal des Grenztunnel Füssen gelegene Freifläche wurde genutzt, um ein Technikum mit neun quadratischen Testflächen mit Seitenlängen von 3-m zu erstellen. Der Fahrbahnauf bau besteht bei sechs Freiflächen aus Asphalt und bei drei Freiflächen aus Beton (Abb.2). Die bifilar verlegten Rohrkonfigurationen bestehen entweder aus Kupfer oder Kunststoff und unterscheiden sich in deren Tiefenlagen und Schenkelabständen (Abb.-3 und Abb.-4). Die bifilare Verlegung wurde unter dem Gesichtspunkt der möglichst gleichmäßigen Wärmeverteilung an der Geländeoberkante gewählt. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 197 Das Konzept einer direkten, passiven Freiflächentemperierung in Verbindung mit einer geothermischen Bergwassernutzung Abb.-2: Technikum Füssen: gelb markierte Flächen mit Fahrbahnauf bau aus Asphalt, grün markierte Flächen mit Auf bau aus Beton. Das Bergwasser wird mittels einer Pumpe in ein Vorhaltebehälter geleitet und mittels einer Umwälzpumpe über eine Zulaufleitung zu den Freiflächen geführt. Nachdem die Freiflächen durchströmt wurden, fließt das Bergwasser über einen Rücklauf in eine nachgeordnete Vorflut. In den Zulauf- und Rücklaufleitungen der einzelnen Felder sind Temperatursensoren in der Zulaufleitungen zusätzlich noch ein Durchflusssensoren installiert. Mit Gleichung (1) kann hieraus für jedes einzelne Feld die aus dem Bergwasser entzogene bzw. zugeführte Energie ermittelt werden. In Feldmitte und am Rand jedes Feldes wurden zusätzlich noch Sensorebenen oberhalb und unterhalb der Rohrkonfigurationen in den Fahrbahnauf bau integriert. Die Sensorebenen bestehen jeweils aus zwei Temperatursensoren, die in einem vertikalen Abstand von 4-cm übereinander angeordnet sind. Dies ermöglicht die Rückrechnung auf die Größe und die Richtung des Wärmestroms. Insgesamt sind pro Feld acht Temperatursensoren verbaut, mit welchen die im Fahrbahnauf bau wirkenden Wärmeströme ermittelt werden können. Abb.- 3 : Im Technikum realisierte thermisch aktivierte Fahrbahnauf bauten (A… in Asphaltbauweise, B… in Betonbauweise) Abb.-4: In den Testflächen realisierte Rohrleitungskonfigurationen 3.2 Anlagenbetrieb Das primäre Ziel der Anlagensteuerung ist es, die Freiflächen eis- und schneefrei zu halten. Bei direkten, passiven Freiflächenheizungen wird keine Wärmepumpe eingesetzt, sodass die Temperatur des Bergwassers unverändert bleibt. Einzig der Volumenstrom kann über die Pumpensteuerung angepasst werden. In Abhängigkeit des Volumenstroms stellt sich in den Rohrregistern eine laminare oder turbulente Durchströmung ein. Der dimensionslose Wärmeübergangskoeffizient (Nußeltzahl) des strömenden Wassers zur Umgebung nimmt im laminaren Bereich mit Anstieg der Durchströmung leicht zu, beim Übergang zur turbulenten Durchströmung steigt dieser jedoch sprunghaft an [13]. Des Weiteren führt die Erhöhung des Volumenstroms zu einem Anstieg der Strömungsgeschwindigkeit innerhalb der Rohrregister mit der Konsequenz, dass die Verweildauer eines Wasserteilchens innerhalb der Rohrregister abnimmt. Wärmetransmission ist ein instationärer Prozess, d. h., je kürzer die Verweildauer der Wasserteilchen in den Rohrregistern ist, desto geringer ist die Temperaturabnahme im Trägerfluid. Ein Anstieg des Volumenstroms erhöht konsequenterweise die Rücklauftemperatur und reduziert demnach die Temperaturdifferenz zwischen Vor- und Rücklauf. Dies bewirkt eine höhere mittlere Wassertemperatur innerhalb der Rohrregister und somit einen höheren wirkenden Wärmestrom in den Fahrbahnauf bau [14]. Zur Bemessung und Auslegung der Anlage müssen alle auf die Freiflächen wirkenden und nicht regulierbaren Wärmeströme ermittelt und quantifiziert werden. Auf Basis dieser Werte kann mittels der an der Geländeoberkante gebildeten Energiebilanz die zur Eis- und Schneefreihaltung erforderliche Wärmestromdichte ermittelt werden. Die Energiebilanz setzt sich aus allen an der Straßenoberfläche wirkenden Wärmeströmen ( Abb.- 5 ) wie folgt zusammen: (2) Wärmestrom aus Bergwasser 198 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Das Konzept einer direkten, passiven Freiflächentemperierung in Verbindung mit einer geothermischen Bergwassernutzung kurzwelliger Wärmestrom langwelliger Wärmestrom konvektiver Wärmestrom latenter Wärmestrom regeninduzierter Wärmestrom Schneeschmelze geothermischer Tiefenstrom Abb.- 5 : Energiebilanz einer thermisch aktivierten Freiflächenoberfläche Zu allen genannten Wärmeströmen gibt es, sofern alle notwendigen Daten vorliegen, analytische Berechnungsmöglichkeiten. Bei der messtechnischen Überwachung der Testfelder erfolgen Datenerfassung und -übertragung über einen Fernzugriff. Auch wurde eine Wetterstation, die Luftdruck, Windgeschwindigkeit, Lufttemperatur sowie, Niederschlagsmenge und -intensität misst, installiert. Zur visuellen Kontrolle der Anlage wurde eine Kamera angebracht, auf die ebenfalls aus der Ferne zugegriffen werden kann. 3.3 Variation der Strömungszustände Im Rahmen der Testszenarien wurde u. a. die Art der Strömung innerhalb der Absorber variiert. Maßgebendes Kriterium hierbei ist die dimensionslose Reynoldszahl [11]: (3) Fließgeschwindigkeit des Bergwassers [m/ s] Rohrdurchmesser [m] Kinematische Viskosität [m²/ s] Die Strömungsgeschwindigkeit des Bergwassers kann über die Leistungsregelung der Umwälzpumpe eingestellt werden. Die Werte des Rohrdurchmessers bzw. der kinematischen Viskosität sind konstant. Eingehende Untersuchungen ergaben, dass der Wärmeeintrag des Bergwassers in den Fahrbahnauf bau beim Übergang von laminarer zu turbulenter Rohrströmung sprunghaft ansteigt, was mit dem bereits erläuterten Phänomen des Anstieges der Nußeltzahl korreliert. 4. Witterungsabhängige Testszenarien Die Aktivierungszeit ist bei der Anlagensteuerung elementar, d. h. es gilt zu klären, mit welchem zeitlichen Vorlauf die Anlage in Betrieb gehen muss, um Schneebzw. Glättebildung auf der Fahrbahnoberfläche und im Sommer extrem hohen Oberflächentemperaturen vorzubeugen. Hierfür wurden unterschiedliche Testszenarien untersucht. 4.1 Schneefallszenario Zur Auslegung der Anlagensteuerung ist die Kenntnis der Schmelzgeschwindigkeit auf den jeweiligen Feldern notwendig, weshalb ein Szenario konzipiert wurde, mit dem die Schmelzgeschwindigkeiten der Freiflächen untersucht wurde. Abb. 6 : Schneeszenario: Temperaturverlauf der unterschiedlichen Fahrbahnauf bauten um 12: 00 Uhr, Außentemperatur 2 °C. In der Nacht vom 10.02. auf den 11.02.2021 wurde vom Deutschen Wetterdienst (DWD) starker Schneefall angekündigt. Zusätzlich zu den sowieso gemessenen Daten wurde in diesem Zeitraum zusätzlich die Dichte, Intensität und Temperatur des Schnees gemessen. Die Anlage war zu Beginn des Testszenarios bereits in Betrieb. Die Temperatur der unterschiedlichen Fahrbahnauf bauten zu Beginn des Szenarios ist in Abb. 6 dargestellt, es zeigt die Anordnung der Temperatursensoren zwei Sensoren liegen in Feldmitte oberhalb der Rohregister und zwei weitere in Feldmitte unterhalb der Rohrregister. Abb.7: Testfläche A1.5. bei aktiven Betrieb nach Inbetriebnahme (Abschmelzen) einer Schneedecke) Die Rohrregister selbst sind in 67,5 mm Tiefe verlegt. Der bergwasserinduzierte Wärmeeintrag ist auf Höhe der Rohrregister offensichtlich. Am 10.02.2021 wurde die Anlage gegen 20: 00 Uhr ausgeschaltet. Am 11.02.2021 wurde die Anlage gegen 9: 00 Uhr wieder in Betrieb genommen, wobei sich auf den Freiflächen über Nacht eine ca. 10 cm hohe Schneedecke gebildet hatte. Nach Inbetriebnahme der Flächentemperierung war nach ca. 2 Stunden bereits das erste Feld B1.2 (Betonauf bau mit Kupferleitungen) gänzlich schnee- und eisfrei, es folgten A1.5 (Asphaltauf bau mit Kupferleitungen Abb.7 zeigt den Abschmelzvorgang) und danach B1.1 (Betonauf bau und Kunststoffleitungen). Der Ver- 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 199 Das Konzept einer direkten, passiven Freiflächentemperierung in Verbindung mit einer geothermischen Bergwassernutzung suchsauf bau in Feld B1.2 stellt die effizienteste Kombination dar. Parallel wurde die Schneedichte in Abhängigkeit von der Temperatur gemessen. Hierbei wurde offensichtlich, dass mit einer abnehmenden Außentemperatur auch eine Reduktion der Schneedichte einhergeht. Eine zusätzlich durchgeführte Temperaturmessung an einer Referenzfläche ergab bei einer 10- cm hohen Schneedecke eine Bodentemperatur von -0,3 °C, während die Temperatur an der Schneeoberfläche -8,5 °C betrug, es stellte sich somit ein Temperaturgradient von 8,2 K über eine Schneehöhe von 10-cm ein. Abb. 7: Schneedichte über die Außentemperatur Die Abnahme der Schneedichte bei geringen Außentemperaturen ist auf eine Zunahme der Lufteinschlüsse zurückzuführen, die wiederum die wärmedämmende Wirkung des Schnees erhöhen; in der Folge ist mehr thermische Energie notwendig, um diesen „leichteren“ Schnee abzuschmelzen. Für die Steuerung der Anlage bedeutet dies, dass trotz einer geschlossenen Schneedecke an der Fahrbahnoberfläche positive Temperaturen gemessen werden können. Die Steuerung der Anlage kann folglich nicht allein mit aktuell gemessenen Daten erfolgen, vielmehr ist die Berücksichtigung von Wetterprognosen zwingend notwendig sowie eine entsprechende situative Anpassung der Durchströmungsrate als maßgebende Steuerungsgröße. 4.2 Eis- und Glätteszenario Um die Trägheit bzw. Reaktionszeit der Anlage zu erproben, wurde ein Szenario konzipiert, bei dem die Anlage über längere Zeit außer Betrieb genommen wurde, bevor die Anlage dann bei der Ankündigung von Glätte mit adäquater Vorlaufzeit aktiviert wurde. Für den 17.03.2021 um 20: 00 Uhr meldete die Straßenwettervorhersage SWIS des Deutschen Wetterdienstes (DWD) Glätte. Entgegen der Wetterprognose setzte zusätzlich noch Schneefall ein. Um 17: 30 Uhr, d. h. 2,5 Stunden vor der gemeldeten Glättebildung wurde die Anlage mit einer Gesamtdurchströmung für alle Felder von 1,5 l/ s in Betrieb genommen. Abb.- 8 : Temperatur des Fahrbahnauf baus bei Durchführung eines „Kaltstarts“. In Abb.-8 ist zu erkennen, wie die Temperatur des Fahrbahnauf baus des Testfeldes A1.3 mit Inbetriebnahme der Anlage wärmer wird und sich von der Außentemperatur („AT“) entkoppelt. Die Temperatur des Fahrbahnauf baus nimmt mit Sonnenaufgang deutlich zu (in der oberen Lage fast 10K), obwohl die Außentemperatur nur einen Wert von etwa max. 3 °C annimmt. Die Ursache liegt im merklichen Einfluss der langwelligen Sonnenstrahlung auf den Fahrbahnauf bau. In Abb. 9 ist im Vergleich zu ein größerer Temperaturgradient zwischen Rohrleitungen und Fahrbahnoberfläche zu erkennen, der darauf zurückzuführen ist, dass beim „Glätteszenario“, die Anlage wie erläutert zuvor nicht in Betrieb war, wodurch die Temperatur des Fahrbahnauf baus niedriger war als während des Schneeszenarios. Auch ist zu erkennen, dass in den Testfeldern B1.2 und A1.5 (beide Kupferleitungen) die höchste Oberflächentemperaturen erreicht werden. Abb.-9: Temperaturverlauf der unterschiedlichen Fahrbahnauf bauten nach Durchführung eines „Kaltstarts“ am 18.03.2021 um 23: 00 Uhr. 200 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Das Konzept einer direkten, passiven Freiflächentemperierung in Verbindung mit einer geothermischen Bergwassernutzung 4.3 Hitzeszenario Abb.- 10 : Temperaturverlauf eines aus Asphalt bestehenden Fahrbahnauf baus ohne Durchströmung Der Sommer 2021 wurde genutzt, um die Effizienz der Freiflächen zur Kühlung der Fahrbahn zu untersuchen. In Abb.-10 ist der Temperaturverlauf eines aus Asphalt bestehenden Testfeldes ohne Durchströmung dargestellt. Die Temperatur ist in diesem Feld stets höher als die Außentemperatur. Bedingt durch den hohen Emissionsgrad des Asphalts ( erwärmt der radiative Wärmestrom des Sonnenlichtes die Asphaltflächen stärker als der durch die Außentemperatur induzierte konduktive bzw. konvektive Wärmestrom. In Abb.- 11 ist dasselbe Asphaltfeld bei durchströmten Rohrregistern dargestellt, die gemessene Außentemperatur ist hierbei sogar höher als in Abb.-10 . Die im Fahrbahnauf bau gemessenen Temperaturen sind hier bei durchströmten Rohren um 10 K geringer als bei nicht durchströmten Rohren. Abb.- 11 : Temperaturverlauf eines Asphaltfeldes bei aktiver Durchströmung. Abb.- 12 : Einfluss der Durchströmung auf die Oberflächentemperatur In Abb.-12 wird dieser Zusammenhang durch eine übergreifende Auswertung der Oberflächentemperatur in Abhängigkeit der Außentemperatur für den temperierten und nicht temperierten Zustand ausgewertet. Die Darstellung zeigt, dass infolge einer Durchströmung der Flächen deren Oberflächentemperatur im Mittel um mindestens 10 K gesenkt werden kann. 5. Numerische Untersuchungen Abb.- 13 : Numerisches Simulationsmodell Um die das Verhalten der Freiflächenheizung maßgebend beeinflussenden Parameter analysieren und einordnen zu können, wurden zusätzlich zu den experimentellen Untersuchungen numerische Simulationen mit einem gekoppelten hydraulisch-thermischen Modell durchgeführt. Das Modell simuliert das Verhalten der Freiflächen während der Testszenarien und substituiert die in Gleichung (2) genannten aber nur schwer durch Messungen ermittelbare Wärmeströme (z. B. kurz- und langwellige Strahlung). 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 201 Das Konzept einer direkten, passiven Freiflächentemperierung in Verbindung mit einer geothermischen Bergwassernutzung Abb.-14: Vergleich numerisch ermittelte Temperaturen mit gemessenen Temperaturen beim Testfeld B1.2 in der obersten Sensorlage (TMO1) Das Modell, welches mit der Simulationssoftware Comsol erstellt wurde (siehe Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.), besitzt eine Grundfläche von 3 m x 3 m und eine Tiefe von 1 m. Die Materialeigenschaften des Auf baus und der Rohre entsprechen den in Abb. 3 dargestellten Fahrbahnkonfigurationen. Die Validierung der Simulation erfolgt in Perioden, in denen die äußeren atmosphärischen Randbedingungen möglichst präzise bestimmbar sind. In dem folgenden Fall wurde eine turbulente Durchströmung im November 2020 gewählt. Die simuliert Durchströmungsrate entspricht der in diesem Zeitraum gemessenen Durchströmung. Aufgrund der Lage des Technikums hinter einem Bergrücken ist ab Ende Oktober keine direkte Sonneneinstrahlung auf die Freiflächen vorhanden, so dass der Wärmestrom aus kurzwelliger Strahlung ignoriert werden kann. Ferner wurde darauf geachtet, dass in der gewählten Zeitperiode kein Niederschlag (Regen, Schnee) auftrat. Die weiteren in Gleichung (2) aufgeführten Wärmeströme wurden mittels analytischer Formeln, welche detailliert in [6] aufgeführt sind, ermittelt und als thermische Randbedingung in das Modell eingefügt. Ein Vergleich der numerisch ermittelten und gemessenen Temperaturen ist in Abb.-14 dargestellt Die gute Übereinstimmung belegt, dass das Simulationsmodell geeignet ist, die komplexen Wärmeströme zutreffend transient abzubilden. Anhand des validierten numerischen Modells wurden Parameterstudien durchgeführt. Unter anderem wurde untersucht, wie sich eine Vergrößerung des Feldes als auch die Variation der Schenkelabstände, des Materials, der Durchströmungsart usw. auf die Wärmeleistung auswirkt. In Abb.-15 ist exemplarisch der Einfluss der Rohrkonfiguration (siehe Abb.-3) auf die Oberflächentemperatur dargestellt. Es zeigt sich, dass mit der Konfiguration II die höchsten Temperaturen erzielt wird und diese Konfiguration auch unter Würdigung der einzusetzenden Rohrlänge besonders geeignet ist. Eine ausführliche Beschreibung der Parameteruntersuchung ist in [5] dokumentiert. Abb.- 15 : Parameterstudie zum Einfluss unterschiedlicher Rohrkonfigurationen auf die Oberflächentemperatur einer Asphaltfläche. 6. Zusammenfassung Die im Rahmen des Forschungsvorhabens durchgeführten Messungen an dem am Nordportal des Grenztunnels Füssen realisierten Technikums belegen, dass sich das innovative Konzept der direkten, passiven Freiflächentemperierung zur Schnee- und Eisfreihaltung von Verkehrsflächen an Tunnelportalen eignet. Neben einer Eis- und Schneefreihaltung im Winter kann mit einer Kühlung im Sommer die Lebensdauer der Verkehrsflächen positiv beeinflusst werden. Als günstiger Nebeneffekt können durch die Reduktion der Temperatur des Bergwassers die vorgeschriebenen Grenztemperaturen bei der Einleitung des Drainagewassers in die Vorflut eingehalten werden. Die Kombination aus Betonfahrbahn und Rohrregistern aus Kupferrohren mit flacher Verlegetiefe leitet am effektivsten die thermische Energie des Bergwassers in Richtung der Fahrbahnoberfläche. Nach der Aktivierung dauert es ca. 5 bis 6 Stunden, bis die Fahrbahnoberfläche warm genug ist, um die Flächen bei einem Schneefall mittlerer Intensität eis- und schneefrei zu halten, d. h. um den fallenden Schnee kontinuierlich abzuschmelzen. Eine solche Situation ist anzustreben, da in dem Fall, dass sich Schnee nicht auf der Fahrbahnoberfläche ablagert, der wärmedämmenden Effekt des Schnees ein Abschmelzen deutlich erschwert. Die gewonnenen Erfahrungen zeigen, dass das lokal gemessene Wetter nicht immer mit der Wetterprognose übereinstimmt, aber auch das nicht ausschließlich die lokal gemessenen Temperaturwerte zur Bestimmung des Straßenzustandes herangezogen werden dürfen. Bei der Programmierung der automatischen Steuerung der Anlage mittels eines mit ´Python´ programmierten Scripts wurden daher sowohl die Wetterprognosen als auch die lokal gemessenen Klimadaten integriert. Die Fernsteuerung wurde im Winter 2021/ 22 für den Betrieb der Anlage eingesetzt. Dabei konnte gezeigt werden, dass die Flächen durch die Integration der Wetterprognosen in die Steuerung durchgehend eis- und schneefrei gehalten werden können. Die im Rahmen des Projektes entwickelte Implementierungshilfe [5] zum Einsatz von direkten, passiven Freiflächenheizungen zur Schnee- und Eisfreihaltung von Fahrbahnoberflächen soll die Integra- 202 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Das Konzept einer direkten, passiven Freiflächentemperierung in Verbindung mit einer geothermischen Bergwassernutzung tion dieses nachhaltigen Konzeptes erleichtern. Die Implementierungshilfe enthält zu diesem Zweck Empfehlungen und Hinweise zur Planung, der Bemessung und dem Betrieb von direkten, passiven geothermischen Flächenheizungen mittels Tunneldrainagewasser. Wie messtechnisch quantitativ nachgewiesen, erwärmt sich die Fahrbahnoberfläche bei Sonnenschein erwartungsgemäß signifikant über die Umgebungstemperatur hinaus. Im Sinne einer Weiterentwicklung des Konzeptes ist es daher denkbar, dass die Freiflächentemperierung auch als Sonnenkollektor genutzt werden. Die so gewonnene thermische Energie könnte dann direkt durch geeignete Abnehmer genutzt werden bzw. alternativ zur Regeneration von im Nahfeld vorhandenen Erdwärmesonden oder anderen geothermischen Kollektorsystemen verwendet werden [14]. Literaturverzeichnis [1] Ghalandari, T., Hasheminejad, N., van den Bergh, W., Vuye, C. (2021). A critical review on large-scale research prototypes and actual projects of hydronic asphalt pavement systems. Renewable Energy 177, 1421-1437 [2] Herrmann, V., Koch, S. (2017). Schneefreihaltung und Eisfreihaltung einer Grundstückszufahrt: Geothermie in Kombination mit Walzasphaltschichten. Bbr - Fachmagazin für Brunnen und Leitungsbau, 09, 54-57 [3] Feldmann, M., Döring, B., Hellberg, J., Kuhnhenne, M., Pak, D. (2012). Vermeidung von Glatteisbildung auf Brücken durch die Nutzung von Geothermie. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen: Brücken- und Ingenieurbau B 87, Wirtschaftsverlag NW, Bremerhaven [4] Moormann, Ch., Buhmann, P. (2017). Entwurf von hydrogeothermischen Anlagen an deutschen Straßentunneln. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Brücken- und Ingenieurbau B141, Wirtschaftsverlag NW, Bremerhaven [5] Moormann, Ch., Kugler, T. (2022) Erprobung einer geothermischen Bergwassernutzung am Grenztunnel Füssen. Abschlussbericht vom 30.06.2022 zum Forschungsprogramm Straßenwesen, FE 15.0656/ 2018/ ERB (unveröffentlicht) [6] Bauer, M., Freeden, W., Jacobi, H., Neu, T. (2018). Handbuch Oberflächennahe Geothermie. Berlin: Springer Spektrum [7] Buhmann, P. (2019). Energetisches Potential geschlossener Tunnelgeothermiesysteme. Stuttgart: Mitteilungen des Instituts für Geotechnik der Universität Stuttgart, Heft 73 [8] Rybach, L. (2015). Innovative energy.related use of shallow and deep groundwaters - Examples from China and Switzerland. Central European Geology 57, 100-113 [9] Simoni, R. (2013). Gotthard-Basistunnel - Der längste Tunnel der Welt. Beton- und Stahlbetonbau Spezial 2013 - Europas längster Tunnel. DOI: 10.1002/ best.201380002 [10] Geisler, T., Voit, K., Burger, U., Cordes, T., Lehner, F., Götzl, G., Wolf, M., Marcher, T. (2022). Geothermal Potential of the Brenner Base Tunnel—Initial Evaluations. Processes 10 (5), 972-987. [11] VDI 4640 Blatt 2 (2010). Erdgekoppelte Wärmepumpenanlagen. Berlin: Beuth Verlag GmbH [12] Richter, T. (2009). Verwendung von Erdwärme zur Schnee- und Eisfreihaltung von Freiflächen. Hannover: Berichte des Institutes für Bauphysik der Leibniz Universität Hannover [13] von Böckh, P., Wetzel, T. (2014). Wärmeübertragung. Berlin: Springer Vieweg [14] Moormann, Ch., Kugler, T., Kaudinya, I., Hochstein, T. (2023). Hydrogeothermische Anlagen an Tunneln - Potenzial, Nutzungskonzepte und Anwendungs-erfahrungen am Beispiel des Grenztunnels Füssen. In: Taschenbuch für den Tunnelbau 2024, 48. Jahrgang, Deutsche Gesellschaft für Geotechnik e.V. (Hrsg.), Ernst & Sohn (Berlin), S. 280-322, [15] Glatthard, T. (1994). Geothermie in der Schweiz. Vermessung, Photogrammmetrie, Kulturtechnik, Heft 10, Band 92, 453-456. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 203 Anforderungen an die Probennahme und Durchführung zusätzlicher Laboruntersuchungen beim maschinellen Tunnelbau im Lockergestein Prof. Dr.-Ing. Christoph Budach Technische Hochschule Köln, Fakultät für Bauingenieurwesen und Umwelttechnik, Institut für Baustoffe, Geotechnik, Verkehr und Wasser, Lehr- und Forschungsgebiet Geotechnik und Tunnelbau Dr. Pierre Müller Technische Hochschule Köln, Fakultät für Bauingenieurwesen und Umwelttechnik, Institut für Baustoffe, Geotechnik, Verkehr und Wasser, Lehr- und Forschungsgebiet Geotechnik und Tunnelbau Dr.-Ing. Jörg Holzhäuser HIC Holzhäuser Ingenieur Consult GmbH, Ettlingen Akad. Dir. Dipl.-Ing. Martin Feinendegen RWTH Aachen University, Geotechnik im Bauwesen Zusammenfassung: Für die erfolgreiche Nutzung von Tunnelbohrmaschinen (TBM) im Lockergestein ist die Bestimmung der maßgebenden Eigenschaften des Baugrunds wesentlich. Viele der erforderlich anzugebenden Eigenschaften werden im Rahmen der Kennwerte für die Homogenbereiche nach DIN 18312 aufgeführt. Dabei beziehen sich diese Eigenschaften auf den Boden vor dem Lösen. Allerdings spielt beim maschinellen Tunnelbau im Lockergestein die Interaktion zwischen TBM und Baugrund eine entscheidende Rolle für den Projekterfolg wie z.-B. das Verklebungspotential feinkörniger Böden, die Abrasivität vor allem von gemischt- und grobkörnigen Böden bzw. die Scherfestigkeit und die mineralogische Zusammensetzung für eine sinnvolle Verwertung feinkörniger Materialien. Daher werden nachfolgend zusätzliche Laboruntersuchungen beschrieben, die bei Vortrieben mit TBM im Lockergestein sinnvollerweise ergänzend durchgeführt werden sollten, um den Baugrund bzw. die möglichen Eigenschaften des abgebauten Materials bestmöglich zu charakterisieren. Es werden Vorschläge für die erforderliche Anzahl an durchzuführenden Untersuchungen wie auch die erforderliche Güteklasse der Proben gemacht. Auf diese Weise haben Geotechnische Sachverständige, Planer und Auftraggeber die Möglichkeit, zusätzliche Laboruntersuchungen in ausreichender Anzahl und Güte zu realisieren, um so den anstehenden Baugrund bzw. den durch die TBM beeinflussten Baugrund zutreffend beschreiben zu können. 1. Einführung Für die Kalkulation und Abrechnung von Bauleistungen sind verschiedene geotechnische Kennwerte unterschiedlicher Schichten anzugeben, aus denen Homogenbereiche zusammengefasst werden können. Die in DIN 18312 aufgeführten Kennwerte beziehen sich auf den Zustand des Bodens vor dem Lösen (vgl. [1]). Die Angabe der Kennwerte erfolgt üblicherweise auf Basis von Versuchsergebnissen, sie können aber auch aufgrund von Erfahrungen angegeben werden. Damit die Versuche zu zuverlässigen Ergebnissen führen, müssen die Proben eine adäquate Qualität aufweisen. Zudem ist eine ausreichende Anzahl von Versuchen wichtig, um so eine statistische Grundlage zu liefern und die ermittelten Ergebnisse bewerten zu können. Um die erforderliche Probenqualität festzulegen, sind in DIN EN ISO 22475-1 [2] die Güteklassen von Bodenproben für unterschiedliche Laborversuche aufgeführt (vgl. Tabelle 1). So kann die Güteklasse zwischen der Güteklasse 1, z.-B. für Festigkeitsuntersuchungen, und Güteklasse 5, z.-B. zur reinen Bestimmung der Bodenart, liegen. 204 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Anforderungen an die Probennahme und Durchführung zusätzlicher Laboruntersuchungen beim maschinellen Tunnelbau im Lockergestein Tab. 1 Güteklassen von Bodenproben für Laborversuche und zu verwendende Kategorien der Probenahme gemäß Tabelle H.1 aus [2] Bodeneigenschaften Güteklassen von Bodenproben für Laborversuche Bodeneigenschaften, die unverändert sind 1 2 3 4 5 Bodenart * * * * * Korngröße * * * * Wassergehalt * * * Dichte, Porosität, Durchlässigkeit * * Festigkeit, Verformung und Steifigkeit * Eigenschaften, die bestimmt werden können Schichtenfolge * * * * * Schichtgrenzen, grobe Einteilung * * * * Schichtgrenzen, feine Einteilung * * Atterbergsche Konsistenzgrenzen, Korndichte, Gehalt an organischen Bestandteilen * * * * Wassergehalt * * * Dichte, Porosität, Durchlässigkeit * * Festigkeit, Verformung und Steifigkeit * Kategorien der Probenentnahme A B C D E Um die Anzahl der jeweiligen Versuche abschätzen zu können, liefert der Anhang M der DIN EN 1997-2 eine Empfehlung für die Mindestzahl von zu untersuchenden Proben für eine Schicht [3]. Dabei wird unterschieden, ob vergleichbare Erfahrung vorliegt oder nicht und es wird in Abhängigkeit davon für verschiedene Klassifikationsversuche die Mindestzahl angegeben. Dabei beträgt die Probenanzahl je Schicht z.-B. zur Bestimmung der Korngrößenverteilung bei vergleichbarer Erfahrung zwei bis vier Stück. Bei einigen Versuchen ist keine konkrete Anzahl empfohlen; bei Erfordernis ist die Anzahl projektspezifisch festzulegen (vgl. Tabelle 2). Tab. 2 Klassifikationsversuche, empfohlene Mindestzahl von zu untersuchenden Proben für eine Schicht gemäß Tabelle M.1 aus [3] Klassifikationsversuch Vergleichbare Erfahrung nein ja Kornverteilung 4 bis 6 2 bis 4 Wassergehalt Alle Proben Güteklassen 1 bis 3 Index-Versuche zur Bestimmung der Festigkeit Alle Proben der Güteklasse 1 Konsistenzgrenze (Atterberg-Grenzen) 3 bis 5 1 bis 3 Glühverlust (für organische und tonige Böden) 3 bis 5 1 bis 3 Dichte an jedem Elementversuch Lagerungsdichte falls erforderlich Korndichte 2 1 Kalkgehalt falls erforderlich Sulfat Gehalt falls erforderlich pH-Wert falls erforderlich Chlorid-Gehalt falls erforderlich Zerfallsempfindlichkeit falls erforderlich Frostempfindlichkeit falls erforderlich Bei kurzen, oberflächennahen Tunneln sollte die in Tabelle 2 aufgeführte Mindestzahl der zu untersuchenden Proben je Schicht nicht unterschritten werden. Mit steigender Länge des Tunnels und/ oder Komplexität des Baugrunds sollte die Anzahl der direkten Aufschlüsse und der zu gewinnenden Proben projektspezifisch festgelegt werden und die Anzahl der Versuche sollte sinnvollerweise über der in [3] genannten Mindestanzahl liegen. In DIN 18312 ist die Angabe von Kennwerten gefordert, um den Baugrund in Homogenbereiche für Untertagebauarbeiten einzuteilen (vgl. [1]). Beim Vergleich der nach DIN 18312 anzugebenden Kennwerte und den in DIN EN ISO 22475-1 aufgeführten Eigenschaften fällt auf, dass für die Abrasivität und die mineralogische Zusammensetzung, die gemäß DIN 18312 nach NF P18-579 [4] bzw. DIN EN ISO 14689 [5] anzugeben sind, keine Güteklasse bzw. Mindestanzahl an Versuchen genannt sind. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Einführung der Homogenbereiche in verschiedenen Normen 2015 erfolgte (2019 zuletzt aktualisiert) und somit nach der Veröffentlichung der aktuellen DIN EN 1997-2 von 2010 [3]. In der Überarbeitung der DIN EN ISO 22475- 1 von 2022 [2] wurden keine Angaben zu den erforderlichen Güteklassen der Proben für diese Versuche vorgenommen. Da es in der Praxis häufig zu Diskussionen zwischen Planern und Auftraggebern über die Art der 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 205 Anforderungen an die Probennahme und Durchführung zusätzlicher Laboruntersuchungen beim maschinellen Tunnelbau im Lockergestein durchzuführenden Versuche und deren Anzahl kommt, sollte sowohl die Qualität der Proben als auch die Mindestanzahl an Versuchen zukünftig in den Normen genannt sein. Neben den in DIN 18312 geforderten Angaben zu Kennwerten für die Homogenbereiche können bei Vortrieben mit Tunnelbohrmaschinen weitere geotechnische Parameter relevant sein. In Anlehnung an die DAUB-Empfehlung „Auswahl von Tunnelbohrmaschinen“ [6] ist es sinnvoll, die mineralogische Zusammensetzung von Böden zu bestimmen, da diese einen wesentlichen Einfluss auf die Abrasivität (bzw. den Verschleiß) und auch auf die Verklebungsneigung haben kann. Ferner können auch weiterführende Untersuchungen z.-B. mittels Indexversuchen zur detaillierten Beschreibung der Abrasivität bzw. des Verschleißpotenzials und/ oder des Verklebungspotentials durchgeführt werden (vgl. [6]). In [6] spielt die Wasserdurchlässigkeit bei der Auswahl einer geeigneten Tunnelbohrmaschine eine wichtige Rolle. Die Angabe von Kennwerten dieser Eigenschaft ist aber nach DIN 18312 nicht erforderlich. Sollten zur Bestimmung der Wasserdurchlässigkeit Laborversuche erforderlich sein, so müssen die Proben nach DIN EN ISO 22475-1 die Güteklasse 1 oder 2 haben. Eine Mindestanzahl an Versuchen zur Bestimmung der Wasserdurchlässigkeit ist Anhang S.2 in [3] angegeben. Durch die Interaktion zwischen Baugrund und TBM werden üblicherweise die Eigenschaften des Bodens verändert. So wird z.-B. bei Nutzung einer EPB-Maschine ein an der Ortsbrust in steifer Konsistenz anstehender feinkörniger Boden durch Zugabe von Wasser oder anderen Konditionierungsmitteln üblicherweise in eine weiche oder ggf. breiige Konsistenz (nach [7]) überführt. Bei Schildmaschinen mit flüssigkeitsgestützter Ortsbrust beeinflusst die Nutzung von Bentonitsuspensionen zur Stützung und Förderung des Bodens die Eigenschaften des abgebauten Bodens. Durch die nachgeschaltete Separationsanlage wird der Baugrund in verschiedene Kornfraktionen getrennt, so dass diese Kornfraktionen anschließend verwertet werden können. In DIN 18312 wird gefordert, dass „wesentliche Änderung der Eigenschaften und Zustände von Boden und Fels bei und nach dem Lösen, insbesondere in Verbindung mit Luft, Wasser, Stützflüssigkeit oder sonstigen Konditionierungsmitteln“ anzugeben sind [1]. Dies kann z.-B. die Angabe von Scherfestigkeiten eines mit Wasser oder anderen Konditionierungsmitteln veränderten Bodens auf einer EPB-Maschine sein. Da bei der Erstellung des Geotechnischen Berichts die Planungen häufig noch nicht so weit fortgeschritten sind, dass ein Bauverfahren festgelegt ist, fällt die Beschreibung der wesentlichen Änderungen üblicherweise wenig spezifisch aus. In diesem Fall sollten unbedingt zu einem späteren Zeitpunkt weitergehende Untersuchungen durchgeführt bzw. Kennwerte angegeben werden. Aus den zuvor aufgeführten Aspekten resultieren die nachfolgenden Tabellen 3 und 4, in der die aus Sicht der Autoren zu bestimmenden Eigenschaften von Böden bei TBM-Vortrieben im Lockergestein aufgeführt sind. Dabei wird zwischen den Eigenschaften unterschieden, die nach DIN 18312 gefordert sind und den Eigenschaften, die für die wichtigen Aspekte Abrasivität (Verschleiß), Verklebung, Verwertung und Verfahrenstechnik zusätzlich anzugeben sind. Tab. 3: Wesentliche bei TBM-Vortrieben im Lockergestein anzugebende Kennwerte nach DIN 18312 Kennwert nach DIN 18312 Anmerkung ortsübliche Bezeichnung Korngrößenverteilung, Körnungsbänder Massenanteile Steine, Blöcke und große Blöcke Feuchtdichte undrainierte Scherfestigkeit Wassergehalt Plastizitätszahl Konsistenzzahl bezogene Lagerungsdichte Abrasivität nach NF P 18-579 vgl. Kap. 2.1 Bodengruppen nach DIN 18196 Umwelttechnische Einstufung Nach Erfordernis, vgl. DIN 18312, Kapitel 2.2 organischer Anteil Mineralogische Zusammensetzung der Steine u. Blöcke Kohäsion Sensitivität Aktuelle Bezeichnung: „Empfindlichkeit“ gemäß DIN EN ISO 22476-9 206 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Anforderungen an die Probennahme und Durchführung zusätzlicher Laboruntersuchungen beim maschinellen Tunnelbau im Lockergestein Tab. 4: Weitere, bei TBM-Vortrieben im Lockergestein wesentliche Kennwerte weiterer Kennwert Anmerkung Abrasivität Äquivalenter Quarzgehalt vgl. Kap. 3.1.1 Ergänzende Angaben zur Abrasivität vgl. Kap. 3.1.2 und Kap 3.1.3 Verklebung Mineralogie feinkörniger Böden vgl. Kap. 3.2.1 Indexversuche zur Verklebung vgl. Kap. 3.2.2 Verwertung Scherfestigkeit feinkörniger gestörter Böden vgl. Kap. 3.3.1 XRD-Analysen als Grundlage zur Calcinierung feinkörniger Böden vgl. Kap. 3.3.2 Verfahrenstechnik Wasserdurchlässigkeit vgl. Kap. 3.4.1 Dispergierung vgl. Kap. 3.4.2 Für einige der zuvor beschriebenen Untersuchungen existieren aktuell noch keine Angaben zur Probenqualität bzw. Mindestzahl an Versuchen. Daher werden im Rahmen dieses Beitrags Vorschläge für die Güteklassen der Versuchsproben bzw. die Anzahl an durchzuführenden Versuchen gemacht. 2. Ergänzende Informationen für nach DIN 18312 anzugebende Kennwerte - empfohlene Probenentnahmekategorie und Anzahl der Versuche 2.1 Abrasivität nach NF P 18-579 Für die Abschätzung der Abrasivität von grobkörnigem Lockergestein sind nach aktueller DIN 18312 [1] Kennwerte gemäß NF P18-579 [4] im Rahmen des Geotechnischen Berichts anzugeben. Bei dem als „LCPC-Versuch“ bezeichneten Versuch, der am „Laboratoire Central des Ponts et Chaussées“ (LCPC) zur Untersuchung gebrochener Zuschlagsstoffe im Straßenbau entwickelt wurde, werden gemäß Versuchsbeschreibung nur grobkörnige Körner mit einem Durchmesser von 4,0 mm - 6,3 mm untersucht (Körner > 6,3 mm werden zuvor gebrochen) und die Kennwerte für den Abriebwert A BR und für den Brechbarkeitskoeffizienten B R ermittelt. Bei diesem Versuch kann die Kornform einen Einfluss auf die Abrasivität haben. So können gebrochene Körner einen höheren A BR -Wert als runde Körner zur Folge haben. Aus diesem Grund sollte die Probe mindestens eine Güteklasse 3 aufweisen. Da die Abrasivität des Bodens einen wesentlichen Einfluss auf den Verschleiß von Abbauwerkzeugen hat, sollten genügend Versuche durchgeführt werden. So bietet sich in Anlehnung an [3] eine Unterscheidung an, ob Erfahrungen im Projektgebiet vorliegen oder nicht. Falls keine Erfahrungen vorliegen, sollten vier bis sechs Versuche je Schicht durchgeführt werden, andernfalls reichen zwei bis vier Versuche aus. Diese Vorgaben entsprechen den Mindestanzahlen für Korngrößenverteilungen. Die Kennwerte des LCPC-Versuchs in seiner ursprünglichen Form sind zwar nach DIN 18312 gefordert, jedoch in der Fachwelt auch umstritten (vgl. u. a. [8, 9]), da der Versuch nur sehr bedingt für natürlich anstehende Lockergesteine geeignet ist. Neben der Vorgehensweise nach NF P18-579 gibt es weitere Empfehlungen zur Durchführung des LCPC-Versuchs. So sind Spezifikationen zu dem in den Versuchen zu verwendenden Stahlflügel in [11] enthalten. Nach [6] besteht zudem die Möglichkeit, einen Versuch mit den Korngrößen 0,0 mm - 6,3 mm durchzuführen, um nicht nur eine sehr begrenzte Kornfraktion zu nutzen. Schluffe und Sande sind jedoch aufgrund der geringen Masse des Einzelkorns und der sehr großen Drehgeschwindigkeit des Drehflügels von 4.500 U/ min nicht geeignet für den LCPC-Versuch [10]. Weitergehende Überlegungen zur Nutzung des LCPC- Versuchs werden im Arbeitskreis (AK) 1.11. „Verschleiß und Verklebung“ der DGGT angestellt, um entsprechende Empfehlungen zu erarbeiten [10]. Hierbei wird voraussichtlich empfohlen, im LCPC-Versuch einen ungebrochenen Boden mit der Korngröße von 2,0 mm - 8,0 mm zu untersuchen [10]. Wie bei der Ermittlung des nach NF P18-579 zu bestimmenden A BR -Werts sollte auch bei diesen Modifikationen eine Güteklasse 3 der Proben vorhanden sein. Auch die Versuchsanzahlen sollten mindestens zwei bis vier (mit Erfahrung) oder vier bis sechs (ohne Erfahrung) entsprechen. Für Böden, die Feinkorn, überwiegend Mittel- und Grobkiese bzw. Steine/ Blöcke enthalten, ist der LCPC-Versuch nicht geeignet. Daher sind in der Regel weitere Versuche zur Bestimmung der Abrasivität erforderlich, die über die in der DIN 18312 geforderten Kennwerte (Abrasivität nach NF P18-579 bzw. Mineralogische Zusammensetzung der Steine und Blöcke) hinausgehen (siehe Kapitel 3.1). 2.2 Mineralogische Zusammensetzung der Steine und Blöcke Als Steine, Blöcke und große Blöcke werden Bodenbestandteile bezeichnet, die einen minimalen Durchmesser von 63 mm, 200 mm oder 630 mm haben. Gemäß [1] ist hierfür die mineralogische Zusammensetzung anzugeben. Die Bestimmung sollte nach [12] erfolgen, wobei als maßgebendes Kriterium die vorherrschende Korn-/ Kristallgröße anzusehen ist. Für alle übrigen Bestandteile der Lockergesteinsprobe (< 63 mm) ist nach [1] keine Bestimmung der Mineralogie vorgeschrieben. Für die Untersuchungen der mineralogischen Zusammensetzung der Steine und Blöcke sollten die Proben mindestens eine Qualität der Güteklasse 4 aufweisen, da hier die mineralogische Zusammensetzung unverändert ist bzw. Dünnschliffe durchgeführt werden können (vgl. Absatz 5.4.6 aus [2]). Die Versuchsanzahl sollte so gewählt werden, dass eine Mindestversuchszahl von zwei bis vier 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 207 Anforderungen an die Probennahme und Durchführung zusätzlicher Laboruntersuchungen beim maschinellen Tunnelbau im Lockergestein (mit Erfahrung) oder vier bis sechs (ohne Erfahrung) erreicht wird, sofern möglich, da bei direkten Aufschlüssen üblicherweise Steine und Blöcke nicht gezielt erbohrt werden können. 3. Weitere anzugebende Kennwerte - Empfehlungen zur Angabe der Probenentnahmekategorie und Anzahl der Versuche 3.1 Abrasivität Da die in [1] aufgeführten Kennwerte (LCPC-Versuch: für Korngroße 4,0 mm - 6,3 mm bzw. zukünftig 2,0 mm - 8,0 mm; Mineralogie von Steinen und Blöcken, d. h. >63 mm) in der Regel nicht das Gesamtspektrum der anstehenden Bodenschicht umfassen, sind ergänzende Versuche zur Ermittlung der Abrasivität und zur Ableitung des Verschleißpotentials erforderlich. 3.1.1 Äquivalenter Quarzgehalt Mit dem Äquivalenten Quarzgehalt wird die zur Bestimmung der Abrasivität entscheidende Mineralhärte charakterisiert. Der Äquivalente Quarzgehalt wird u. a. als Kennwert zur Auswahl von Tunnelbohrmaschinen nach [6] genutzt. Die Methodik zur Bestimmung des Äquivalenten Quarzgehalts sollte in Abhängigkeit vom Größtkorn erfolgen (vgl. Kapitel 2.2). Demnach ergeben sich in Anlehnung an [12] für Lockergestein drei vorzuschlagende Korngrößenbereiche, die mittels unterschiedlicher Untersuchungsmethoden zu charakterisieren sind. So wird für den - grobkörnigen Korngrößenbereich > 5 mm eine makroskopische Bestimmung der Mineralphasen vorgeschlagen, - während für den Bereich mit vorherrschenden Korngrößen zwischen 0,5 mm und 5 mm petrographische Untersuchungen mittels Dünnschliffmikroskopie bzw. - im feinkörnigen Bereich < 0,5 mm Röntgen(pulver) diffraktometrie-Analysen (XRD) zu empfehlen sind (vgl. [12]). Alternativ dazu kann die XRD-Analyse auch für sämtliche der drei genannten Korngrößenbereiche eingesetzt werden. Zur Auf bereitung der Ausgangsprobe ist dazu ein wiederholendes Brechen z.-B. mit einem Backenbrecher und wiederholendes Teilen der Probenmenge erforderlich, bis ca. 2 g bis 5 g der Korngröße < 0,5 mm als homogenisiertes Versuchsprobenmaterial für die XRD- Analyse vorhanden sind. Während bei enggestuften Böden die Bestimmung des Äquivalenten Quarzgehalts an der Gesamtprobe als genügend angesehen wird, empfiehlt sich bei weitgestuften Böden die Bestimmung des Äquivalenten Quarzgehalts der jeweiligen Kornfraktionen und eine anschließende mengenanteilige Berechnung des Quarzanteils der Gesamtprobe. Hierbei kann die in Kapitel 2.2 erläuterte mineralogische Zusammensetzung der Steine und Blöcke mit einbezogen werden. Bei allen Versuchsansätzen müssen die Proben auf bereitet werden, so dass eine Gewinnung von Proben der Güteklasse 4 und ein Verfahren der Entnahmekategorie D als ausreichend betrachtet werden. Bezüglich des Versuchsumfangs wird für jede relevante Schicht eine Versuchsanzahl von mindestens zwei bis vier (mit Erfahrung) bzw. vier bis sechs (ohne Erfahrung) empfohlen. 3.1.2 Indexversuche zur Bestimmung der Abrasivität In der beim AK 1.11 aktuell in Bearbeitung befindlichen Empfehlung werden voraussichtlich folgende bereits existierende und in unterschiedlicher Verbreitung in der Baupraxis eingesetzte Indexversuche - z.T. mit ergänzenden Festlegungen - zur Bewertung der Abrasivität von Lockergesteinen empfohlen: - der LCPC-Versuch (nach [11] mit Ergänzungen nach [10], siehe Kap. 2.1), - der CERCHAR-Versuch (nach [13] mit Ergänzungen nach [10], - das Wiener Abrasimeter ([14], aktuell in Überarbeitung) und - der Soil Abrasion Test (SAT) ([15]). Bei zahlreichen TBM-Projekten hat sich gezeigt, dass die Abrasivität von Lockergesteinen nicht durch einen einzigen Versuch hinreichend beschrieben werden kann, da insbesondere Indexversuche z. T. sehr enge Anwendungsgrenzen hinsichtlich der für die Versuchsdurchführung geeigneten Korngrößenbereiche aufweisen. Daher wird ggf. eine Kombination von verschiedenen Versuchen erforderlich. Die einzelnen Indexversuche eignen sich für folgende Böden/ Bodenfraktionen: - LCPC-Versuch: grobkörnige Böden mit dem- Hauptanteil Kies (2 - 8 mm) - CERCHAR-Versuch: Grobkies, Steine oder Blöcke - Wiener Abrasimeter: grobkörnige Böden mit dem Hauptanteil Kies (£31,5-mm) - Soil Abrasion Test: Ton, Schluff, Sand und (SAT) Feinkiesanteil (< 4 mm) Die zu wählende Art der Versuche und deren Umfang sind projektspezifisch festzulegen. Da bei den Indexversuchen die Proben für den Einbau in das Versuchsgerät auf bereitet werden, genügt eine Probe der Güteklasse 3 bzw. Kategorie der Probenentnahme C. Auch bei diesen Untersuchungen wird eine Versuchsanzahl je relevanter Schicht (Homogenbereich) von mindestens zwei bis vier (mit Erfahrung) oder vier bis sechs (ohne Erfahrung) je Indexversuch empfohlen. 3.1.3 Kornform Die Form der einzelnen Körnungen kann Einfluss auf die Abrasivität von Böden haben. So sind üblicherweise gebrochene Körner abrasiver als runde Körner. Aus diesem Grund sollte der Anteil der gebrochenen Körner bestimmt werden. Die Bestimmung dieses Anteils kann in Anlehnung an DIN EN 933-5 erfolgen [16]. Die Proben sollten mindestens eine Güteklasse 3 aufweisen. Falls keine Erfahrungen vorliegen, sollten vier bis sechs Versuche je Schicht durchgeführt werden, andernfalls reichen zwei bis vier Versuche aus. 208 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Anforderungen an die Probennahme und Durchführung zusätzlicher Laboruntersuchungen beim maschinellen Tunnelbau im Lockergestein 3.2 Verklebung 3.2.1 Mineralogie feinkörniger Böden Die Verklebungsneigung bindiger Böden wird insbesondere von der Tonmineralogie bestimmt, vgl. u. a. [6, 17]. Hier bieten sich Versuche zur Bestimmung der quantitativen Anteile der Mineralien mittels Röntgendiffraktrometrie an. Dabei sind besonders die Anteile der Tonminerale Kaolinit, Smektit/ Montmorillonit sowie Illit/ Muskovit zu betrachten, da diese unterschiedliche Auswirkungen auf das Verklebungspotenzial haben (vgl. u. a. [17, 18]). Die mineralogische Charakterisierung der Proben bedingt eine Probenauf bereitung, so dass Proben der Güteklasse 4 und eine Probenentnahme mindestens der Klasse D ausreichend ist. Bezüglich der Versuchsanzahl empfiehlt sich eine Mindestversuchsanzahl von zwei bis vier (mit Erfahrung) bzw. vier bis sechs (ohne Erfahrung). 3.2.2 Indexversuche Verklebungen an den Abbauwerkzeugen oder auf den Transportwegen einer TBM führen insbesondere bei Vortrieben in feinkörnigen Böden oder veränderlich festen Gesteinen immer wieder zu großen Behinderungen. Hierbei sind vor allem die beim maschinellen Tunnelbau unvermeidbaren Abbau- und Umwandlungsprozesse zu beachten, die bei den verschiedenen Bauverfahren und unterschiedlichen Verfahrensparametern (Penetration, Zugabe von Additiven, etc.) zu starken Veränderungen der Materialeigenschaften und damit zu sehr unterschiedlichen Ausprägungen der Verklebung führen können. Das aus den Eigenschaften des in situ-Lockergesteins abgeleitete Verklebungspotential stellt somit nicht unbedingt einen direkten Zusammenhang mit dem Auftreten von Verklebungsphänomen her. Eine alleinige Bestimmung der Baugrundeigenschaften ist daher möglicherweise nicht ausreichend [10]. Neben den bisherigen Klassifikationen für das Verklebungspotenzial (vgl. [17, 19, 20]) werden in der Baupraxis in unterschiedlicher Verbreitung die im Folgenden genannten Indexversuche zur Bewertung des teilweise durch Additive veränderten Verklebungspotentials von Lockergesteinen eingesetzt: - der Stempel-Adhäsionsversuch [17, 21], - der Konuszugversuch [18, 22] und - der ATUR-Test [23]. Die zu wählende Art der Versuche und deren Umfang sind projektspezifisch festzulegen. Da bei allen drei Versuchstypen die Proben für den Einbau in das Versuchsgerät auf bereitet werden, genügt eine Probe der Güteklasse 4 bzw. Kategorie der Probenentnahme D. Auch bei diesen Untersuchungen wird eine Versuchsanzahl je relevanter Schicht (Homogenbereich) von mindestens zwei bis vier (mit Erfahrung) oder vier bis sechs (ohne Erfahrung) empfohlen. 3.3 Verwertung 3.3.1 Scherfestigkeit feinkörniger, ggf. von der Verfahrenstechnik veränderter Böden Die undränierte Scherfestigkeit stellt üblicherweise eine entscheidende geotechnische Kenngröße insbesondere für die Verwertung von feinkörnigem Aushubmaterial dar, das durch die Verfahrenstechnik z.-B. einer Tunnelbohrmaschine mit flüssigkeits- oder erddruckgestützter Ortsbrust beeinflusst wurde. Dieser Kennwert kann auch für andere Fragestellungen des Vortriebsprozesses relevant sein. Im Vorfeld eines Projekts sollte z.-B. der Wassergehalt von feinkörnigen Bodenproben variiert werden, um die undränierte Scherfestigkeit mittels einer Laborflügelsonde zu bestimmen und so abschätzen zu können, welche Eigenschaften das feinkörnige Aushubmaterial haben kann. Alternativ wird auch der Einsatz des Fallkegelgeräts vorgeschlagen. Da für die Laborflügelsonde keine spezifische Norm vorliegt, sollten die Messungen in Anlehnung an DIN EN ISO 22476-9, die die Verfahrensweise der Flügelsondierung im Feld beschreibt, durchgeführt werden. Die mittels Fallkegelgeräts bestimmte undränierte Scherfestigkeit kann nach DIN EN ISO 17892-6 angegeben werden. Da die Proben für den Einbau in das Versuchsgerät zur Bestimmung der undränierten Scherfestigkeit auf bereitet werden, genügt eine Probe der Güteklasse 4 bzw. Kategorie der Probenentnahme D. Bezüglich der Anzahl an durchzuführenden Untersuchungen wird eine Versuchsanzahl von mindestens zwei bis vier (mit Erfahrung) bzw. drei bis fünf Versuchsreihen (ohne Erfahrung) pro Schicht, bestehend aus ca. drei bis fünf Einzelversuchen mit gezielt variierter Konsistenz, empfohlen. Im Hinblick auf die gegebene Abhängigkeit der undränierten Scherfestigkeit vom Wassergehalt wird empfohlen, feinkörnige Böden zusätzlich hinsichtlich ihres Wasseraufnahmevermögens nach Enslin/ Neff gemäß DIN 18132: 2012-04 zu charakterisieren. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 209 Anforderungen an die Probennahme und Durchführung zusätzlicher Laboruntersuchungen beim maschinellen Tunnelbau im Lockergestein 3.3.2 Bestimmung der Tonmineralogie feinkörniger Böden als Basis zur Verwertung durch Calcinierung Tonhaltige feinkörnige Bodenarten zeigen nach gezielter thermischer Auf bereitung (Calcinierung) puzzolanische Eigenschaften und stellen somit reaktive Bindemittelkomponenten dar [24]. Auch der bei Tunnelvortrieben abgebaute feinkörnige Boden kann calciniert und z.-B. als Zementersatz genutzt werden [25]. Zur Bewertung der thermischen Aktivierbarkeit sollte eine Klassifizierung der jeweiligen Tonmineralphasen und Bestimmung ihrer quantitativen Anteile erfolgen, da Tonminerale wie Kaolinit, Smektit/ Montmorillonit sowie Illit/ Muskovit eine entscheidende Komponente für den Calcinierungserfolg ausmachen. Hierzu ist eine XRD-Analyse durchzuführen (vgl. u. a. Kapitel 3.2.1). Daher gelten für die Probenentnahmekategorie und die Anzahl der Versuche die Angaben aus Kapitel 3.2.1. In diesem Bereich ist noch weitere Forschung erforderlich, um den nachhaltigen Erfolg bei Einsatz von aus dem Tunnelvortrieb stammenden calcinierten Tonen zu ermöglichen. 3.4 Verfahrenstechnik 3.4.1 Wasserdurchlässigkeit von Böden Die Angabe von Kennwerten der Wasserdurchlässigkeit von Böden ist nach DIN 18312 nicht gefordert. Die Wasserdurchlässigkeit der Böden ist aber z.-B. für die Auswahl und den Betrieb von Tunnelbohrmaschinen ein entscheidendes Kriterium, so dass sie in Anlage 3 in [6] ein Auswahlkriterium darstellt. Aufgrund von vorhandenen Korrelationen zwischen Korngröße und Wasserdurchlässigkeit sind nach Ansicht der Autoren für diesen Parameter keine Laborversuche erforderlich, sondern es können entweder Kennwerte auf Basis von Erfahrungen abgeschätzt oder durch Feldversuche, wie z.-B. Pumpversuche, bestimmt werden. Für Vortriebe mit flüssigkeitsgestützter Ortsbrust ist insbesondere der Korndurchmesser bei 10-prozentigem Massenanteil der Gesamtkörnung (d 10 ) wichtig. Dieser geht beispielsweise in die Bestimmung der mindestens zu erreichenden Scherfestigkeit der einzusetzenden Bentonitsuspension ein. Aus diesem Grund ist dieser Wert in einem Geotechnischen Bericht anzugeben. Ggf. sind für die Analyse der Stützdruckübertragung in Böden mit hoher Durchlässigkeit gesonderte Untersuchungen erforderlich. 3.4.2 Dispergierung von Böden infolge der Verfahrenstechnik Bei TBM-Vortrieben mit flüssigkeitsgestützter Ortsbrust erfährt der abgebaute Boden auf dem Weg von der Ortsbrust bis zur Separationsanlage mehrfache Veränderungen. Eine wesentliche Eigenschaft im Hinblick auf die Abbau- und Transportprozesse ist hierbei die Dispergierungsneigung feinkörniger Lockergesteine, insbesondere auch im Zusammenspiel mit der Stützsuspension. So hat die Dispergierung und damit der gelöste Feinanteil einen enormen Einfluss auf die Auslegung der Fördereinrichtung und der Separationsanlage. In den einschlägigen Regelwerken gibt es keine vorgegebenen Versuche zur Bestimmung der Dispergierung feinkörniger Böden. Nach [6] ist zu untersuchen, „mit welchem Dispergierungsgrad zu rechnen ist, welche Anforderungen der Abraum an die Separierung stellt und welche Kosten oder Umweltauswirkungen damit verbunden sind.“ Forschungsergebnisse zu Untersuchungen zur Dispergierungsneigung finden sich u. a. in [26]. Entsprechende Untersuchungen, z.-B. mit dem modifizierten Siebtrommelversuch (siehe [26]), können projektspezifisch festgelegt werden. 3.5 Übersicht zu Untersuchungen beim maschinellen Tunnelbau im Lockergestein Basierend auf den vorangehenden Überlegungen ergeben sich sowohl für die nach DIN 18312 geforderten Kennwerte als auch für die erläuterten zusätzlichen Laborversuche die jeweilige Güteklasse der Probe (bzw. die damit verbundene Probenentnahmekategorie) und die Mindestzahl an Versuchen in Abhängigkeit von der Projekterfahrung. In der nachfolgenden Tabelle 5 findet sich eine Zusammenstellung, getrennt nach den Kennwerten gemäß DIN 18312 und den zusätzlichen Untersuchungen, die in die Abschnitte Abrasivität (Verschleiß), Verklebung, Verwertung und Verfahrenstechnik unterteilt wurden. Zusätzlich sind in der Tabelle Normen, Empfehlungen und/ oder Literaturangaben enthalten, mit denen eine Versuchsdurchführung bzw. eine Bewertung der ermittelten Kennwerte möglich ist. 210 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Anforderungen an die Probennahme und Durchführung zusätzlicher Laboruntersuchungen beim maschinellen Tunnelbau im Lockergestein Tab. 5: Geotechnische Kennwerte nach DIN 18312 sowie weitere sinnvolle geotechnische Kennwerte, Güteklasse der Proben, Mindestzahl der Versuche je Schicht, Hinweise zur Normung / zu Empfehlungen / zur Literatur und weitere Anmerkungen Güteklasse der Probe Mindestzahl der Versuche je Schicht (Homogenbereich) Normung / Empfehlung / Literatur Anmerkung mit ohne Erfahrung Kennwert nach DIN 18312 ortsübliche Bezeichnung - - - Korngrößenverteilung, Körnungsbänder 4 2 bis 4 4 bis 6 DIN EN ISO 17892-4, DIN EN ISO 14688-1 Massenanteile Steine, Blöcke und große Blöcke 4 2 bis 4 4 bis 6 DIN EN ISO 17892-4 Feuchtdichte 2 an jedem Elementversuch DIN EN ISO 17892-2, DIN 18125-2 undrainierte Scherfestigkeit 4 alle Proben Güteklasse 1 DIN EN ISO 17892-7, DIN EN ISO 17892-8, DIN EN ISO 22476-9 Wassergehalt 3 alle Proben Güteklassen 1-3 DIN EN ISO 17892-1 Plastizitätszahl 4 1 bis 3 3 bis 5 DIN EN ISO 17892-12 Konsistenzzahl 4 1 bis 3 3 bis 5 DIN EN ISO 17892-12 bezogene Lagerungsdichte falls erforderlich DIN EN ISO 14688-2, DIN 18126 Abrasivität nach NF P18-579 3 2 bis 4 4 bis 6 NF P18-579, Klassifizierung nach DGGT, AK 3.3, Empfehlung 24 nur bedingt geeignet, siehe Kapitel 2.1. Deswegen bereitet der AK 1.11 der DGGT eine Empfehlung vor; Informationen in [10] Bodengruppen nach DIN 18196 4 2 bis 4 4 bis 6 DIN 18196 umwelttechnische Einstufung nach LAGA PN 98 nach Erfordernis nach Ersatzbaustoffverordnung, Probennahme üblicherweise nach LAGA PN 98 organischer Anteil 4 1 bis 3 3 bis 5 DIN 18128 Mineralogische Zusammensetzung der Steine u. Blöcke 4 2 bis 4 4 bis 6 DIN EN ISO 14689 Kohäsion 1 alle Proben Güteklasse 1 DIN EN ISO 17892-9, DIN EN ISO 17892-10 Sensitivität 1 alle Proben Güteklasse 1 DIN EN ISO 22476-9 aktuelle Bezeichnung: Empfindlichkeit weiterer Kennwert Ergänzende Angaben zur Abrasivität Äquivalenter Quarzgehalt 4 2 bis 4 4 bis 6 DGGT, AK 3.3, Empfehlung 25 Indexversuche zur Bestimmung der Abrasivität: Die zu wählende Art der Versuche und deren Umfang sind projektspezifisch festzulegen. Aufgrund der z.T. sehr engen Anwendungsgrenzen hinsichtlich der Korngrößenbereiche sind in der Regel verschiedene Versuche zu kombinieren. - Abriebwert ABR 4 2 bis 4 4 bis 6 DGGT, AK 1.11, Empfehlung (in Vorbereitung); Informationen in [10] in Verbindung mit DGGT, AK 3.3; Empfehlung 24 aus LCPC-Versuch (2,0 - 8,0 mm): geeignet für grobkörnige Böden mit dem Hauptanteil Kies (ungebrochen) - CERCHAR-Versuch DGGT, AK 1.11 (in Vorbereitung); Informationen in [10] in Verbindung mit DGGT, AK 3.3; Empfehlung 23 aus CERCHAR-Versuch: geeignet für Grobkies, Steine, Blöcke, große Blöcke - Wiener Abrasivitätsindex AIWtr, AIWn ÖBV-Merkblatt (2013); DGGT, AK 1.11 (in Vorbereitung); Informationen in [10] aus Wiener Abrasimeterversuch: geeignet für grobkörnige Böden mit dem Hauptanteil Kies (< 31,5 mm) - SAT-Wert DGGT, AK 1.11 (in Vorbereitung); Informationen in [10] in Verbindung mit [15] aus Soil Abrasion Test (SAT): geeignet für Korngröße 0-4 mm: Ton, Schluff, Sand, Feinkiesanteil (< 4mm) Anteil an gebrochenen Körnern 3 2 bis 4 4 bis 6 in Anlehnung an DIN EN 933-5 Verklebung Mineralogie feinkörniger Böden 4 2 bis 4 4 bis 6 DGGT, AK 3.3, Empfehlung 25 Indexversuche zur Verklebung 4 2 bis 4 4 bis 6 DGGT, AK 1.11 (in Vorbereitung); Informationen in [10] Verwertung Scherfestigkeit feinkörniger, gestörter Böden zur Verwertung 4 2 bis 4 3 bis 5 DIN EN ISO 17892-6, DIN EN ISO 22476-9 XRD-Analysen als Grundlage zur Calcinierung feinkörniger Böden 4 2 bis 4 4 bis 6 DGGT, AK 3.3, Empfehlung 25 Verfahrenstechnik Durchlässigkeit Abschätzung oder Feldversuche Dispergierung projektspezifisch festzulegen [26] 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 211 Anforderungen an die Probennahme und Durchführung zusätzlicher Laboruntersuchungen beim maschinellen Tunnelbau im Lockergestein 4. Zusammenfassung und Ausblick Für die erfolgreiche Nutzung von Tunnelbohrmaschinen im Lockergestein ist die Bestimmung der maßgeblichen Eigenschaften des Baugrunds wesentlich. Viele der erforderlichen anzugebenden Eigenschaften werden im Rahmen der Kennwerte für die Homogenbereiche nach DIN 18312 aufgeführt. Daneben werden weitere Kennwerte benötigt, um einen Vortrieb im Lockergestein erfolgreich realisieren zu können. Hierfür sind im Rahmen des Beitrags zahlreiche weitere Kennwerte identifiziert und beschrieben worden. Weiterhin wurden die dafür benötigten Laborversuche und deren Mindestzahl sowie die benötigte Güteklasse der Proben abgeleitet. Bei kurzen, oberflächennahen Tunneln sollte die in DIN EN 1997-2 aufgeführte Mindestanzahl der zu untersuchenden Proben je Schicht nicht unterschritten werden und mit steigender Länge des Tunnels bzw. zunehmender Komplexität des Baugrunds sollte die Anzahl der ausgewählten Versuche sinnvollerweise oberhalb der in DIN EN 1997-2 genannten Mindestanzahl liegen. Die im Rahmen des Beitrags entwickelte Tabelle ist von zentraler Bedeutung für die Baupraxis und soll den Geotechnischen Sachverständigen, Planern und Auftraggebern helfen, die erforderlichen Laboruntersuchungen in ausreichender Anzahl und Qualität sinnvoll zu realisieren, um so den anstehenden und/ oder durch die TBM beeinflussten Baugrund bestmöglich zu beschreiben. Die Entwicklung der Regelwerke und Empfehlungen bzw. die Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Forschung sind zukünftig zu beachten. So wird erwartet, dass durch die geplante Empfehlung des AK 1.11. „Verschleiß und Verklebung“ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik weitere Vorgaben zu geeigneten Versuchen zur Bestimmung der Abrasivität / des Verschleißes bzw. der Verklebung gegeben werden und diese einen direkten Einfluss auf die in diesem Beitrag formulierten Empfehlungen haben werden. Literatur [1] DIN 18312: 2019-09 (2019). VOB Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen - Teil C: Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ATV) - Untertagebauarbeiten. [2] DIN EN ISO 22475-1: 2022-02 (2022): Geotechnische Erkundung und Untersuchung - Probenentnahmeverfahren und Grundwassermessungen - Teil 1: Technische Grundlagen für die Probenentnahme von Boden, Fels und Grundwasser. [3] DIN 1997-2: 2 2010-10 (2022): Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik - Teil 2: Erkundung und Untersuchung des Baugrunds; Deutsche Fassung EN 1997-2: 2007 + AC: 2010. [4] AFNOR - NF P 18-579 (2013). Granulats - Détermination des coefficients d‘abrasivité et de broyabilité (Gesteinskörnungen - Bestimmung der Koeffizienten der Abrasivität und Mahlbarkeit). [5] DIN EN ISO 14689: 2018-05 (2018): Geotechnische Erkundung und Untersuchung - Benennung, Beschreibung und Klassifizierung von Fels. [6] Deutscher Ausschuss für Unterirdisches Bauen (DAUB) (2021): Empfehlung zur Auswahl von Tunnelbohrmaschinen. [7] DIN 14688-2: 2020-10, NA (2020): Geotechnische Erkundung und Untersuchung — Benennung, Beschreibung und Klassifizierung von Boden — Teil 2: Grundlagen für Bodenklassifizierungen. [8] Feinendegen, M.; Ziegler, M. (2018): The significance of the LCPC test as a tool for the specification of homogeneous areas (Zur Aussagekraft des LCPC-Versuchs für die Festlegung von Homogenbereichen). Geomechanics & Tunneling 11(2) S. 113-122. [9] Plinninger, R. J.; Alber, M. (2016): Abrasivitätsuntersuchung von Boden und Fels im Kontext der neuen VOB/ C.- Bauingenieur, 91, 5: S. 200 - 207. [10] Feinendegen, M., Babendererde, T., Drucker, P., Holzhäuser, J., Langmaack, L., Richter, A. (2023): Empfehlung(en) „Verschleiß und Verklebung im Lockergestein“ - ein erster Ausblick. In: Fachsektionstage Geotechnik 2023 in Würzburg, Deutsche Gesellschaft für Geotechnik, S. 268-273. [11] Käsling, H.; Düllmann, J.; Plinninger, R.J. (2022): Bestimmung der Abrasivität von Festgesteinen mit dem LCPC-Versuch - Empfehlung Nr. 24 des Arbeitskreises 3.3 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e.V., geotechnik (45), S. 117-121. [12] Plinninger, R.J.; Käsling, H.; Popp, T. (2021): Bestimmung der Abrasivität von Gesteinen mit mineralogisch-petrographischen Verfahren - Empfehlung Nr. 25 des Arbeitskreises 3.3 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e.V., geotechnik (44), S. 123-135. [13] Käsling, H.; Plinninger, R. (2016): Bestimmung der Abrasivität von Gesteinen mit dem CERCHAR- Versuch - Empfehlung Nr. 23 des Arbeitskreises 3.3 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e.V.. Bautechnik (93), S. 409- 415. [14] Österreichische Bautechnik Vereinigung (2013): Merkblatt Abrasivitätsbestimmung von grobkörnigem Lockergestein. Hg. v. ÖBV. Wien. [15] Nilsen, B.; Dahl, F.; Holzhäuser, J.; Raleigh, P. (2007): New Test Methodology for Estimating the Abrasiveness of Soils for TBM Tunneling. In: RETC, S. 104-116. [16] DIN EN 933-5: 2023-01 (2023): Prüfverfahren für geometrische Eigenschaften von Gesteinskörnungen - Teil 5: Bestimmung des prozentualen Anteils an gebrochenen Körnern in groben Gesteinskörnungen und Gesteinskörnungsgemischen. [17] Thewes, M. (1999): Adhäsion von Tonböden beim Tunnelvortrieb mit Flüssigkeitsschilden. Dissertation, Bergische Universität Wuppertal, Shaker Verlag. 212 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Anforderungen an die Probennahme und Durchführung zusätzlicher Laboruntersuchungen beim maschinellen Tunnelbau im Lockergestein [18] Feinendegen, M.; Spagnoli, G. (2021): Erkenntnisse aus zehn Jahren Verklebungsbewertung mit dem Konuszugversuch: Versuchsdurchführung, Aufbereitung der Proben, maßgebende Bewertungsfaktoren. In: STUVA-Tagung 2021, Karlsruhe. S. 194- 202. [19] Hollmann, F.; Thewes, M. (2011): Bewertung der Neigung zur Ausbildung von Verklebungen und zum Anfall von gelöstem Feinkorn bei Schildvortrieben im Lockergestein. In: 18. Tagung für Ingenieurgeologie und Forum für junge Ingenieurgeologen 2011, Berlin. S. 237-244. [20] Hollmann, F. (2015): Bewertung von Boden und Fels auf Verklebungen und Feinkornfreisetzung beim maschinellen Tunnelvortrieb. Dissertation, Ruhr-Universität Bochum, Shaker Verlag. [21] Budach, C.; Placzek, D.; Kleen, E. (2019): Quantitative Bestimmung des Verklebungspotenzials feinkörniger Böden auf Basis von Adhäsionsspannung: Aktuelle Untersuchungen und neue Erkenntnisse. geotechnik (42), S. 2-10. [22] InProTunnel (2012): Schlussberichte zu BMBF Förderkennzeichen 03G0713 InProTunnel - Grenzflächenprozesse zwischen Mineral- und Werkzeugoberflächen - Ursachen, Probleme und Lösungsansätze am Beispiel des maschinellen Tunnelbaus im Rahmen des BMBF-Sonderprogramms GEO- TECHNOLOGIEN Förderrichtlinie „Mineraloberflächen - Von atomaren Prozessen zur Geotechnik“. [23] de Oliveira, D. (2018): EPB Excavation and conditioning of cohesive mixed soils: clogging and flow evaluation. Dissertation, Queens’s University. [24] Thienel, K.-C.; Beuntner, N. (2018): Calcinierte Tone und ihr Potential für die moderne Betontechnologie, Universität der Bundeswehr München, Fakultät für Bauingenieurwesen und Umweltwissenschaften, 14. Symposium Baustoffe und Bauwerkserhaltung. [25] Budach, C., Müller, P., Siebert, B., Thienert, C., Leismann, F., Heiermann, T., Uebachs, S., Liepins, S., Schmidt, L., Uhlmann, D., Kleen, E., Koppe, K., Volhard, M.-F. (2023): Reduktion von Primärbaustoffen durch Einsatz von Aushubmaterial aus dem maschinellen Tunnelbau. Tagungsband „Vorträge der Fachsektionstage Geotechnik - Interdisziplinäres Forum 2023, Congress Centrum Würzburg, 12. - 13. September 2023. [26] Weiner, Th. (2018): Prognose, Separation, Erfassung und Abrechnung des Bodenaushubs beim flüssigkeitsgestützten Schildvortrieb. Dissertation, Ruhr-Universität Bochum. Wasser- und Verkehrswegebau 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 215 Wiedereröffnung Marienschlucht am Bodensee - Geotechnische Planung und messtechnische Überwachung Dipl.-Ing. (FH) Achilles Häring Dr. Spang GmbH, Esslingen Zusammenfassung Die Marienschlucht ist die vermutlich „schönste Schlucht am Bodensee“ und befindet sich innerhalb eines einzigartigen Naturschutz- und Naherholungsgebiets. Seit einer Hangrutschung mit Todesfall im Mai 2015 ist die Schlucht für die Öffentlichkeit gesperrt. Durch eine neue Stegführung auf einer Höhe von ca. 10 m über dem Bachbett und zusätzliche Felssicherungen soll die Marienschlucht wieder für die Öffentlichkeit erlebbar gemacht werden. Neben der Marienschlucht selbst wird ein grundsätzlich neues Wegekonzept erarbeitet. Um die Zuwegung von Bodman her über den Mondfelsen sicher zu ermöglichen, wird ein Rangerkonzept mit regelmäßigen Begehungen der Steilhänge zusammen mit einer Instrumentierung umgesetzt. Die Instrumentierung beinhaltet Feuchtesensoren, Inklinometer und Rissöffnungssensoren. Die Werte werden in Echtzeit übermittelt und ausgewertet. Über ein Warn- und Alarmierungssystem kann der Zugang bei erhöhter Gefahrensituation somit temporär gesperrt werden. Durch die Kombination der o. g. Maßnahmen wird die Schönheit der Marienschlucht voraussichtlich gegen Ende 2024 wieder für die Öffentlichkeit erlebbar gemacht werden. Die Dr. Spang GmbH plant die Wiedereröffnung in enger Zusammenarbeit mit den Büros 365° freiraum + umwelt, dem Ingenieurbüro Relling und dem Architekturbüro Hirthe. 1. Einführung Die Gemeinden Allensbach und Bodman-Ludwigshafen sowie die Stadt Konstanz planen, „die schönste Schlucht am Bodensee“ wieder für Besucher zugänglich zu machen. Dazu werden die seit einem tödlichen Unglück in der Marienschlucht im Mai 2015 gesperrten Wegabschnitte gesichert, eine neue Bootsanlegestelle erstellt und ein grundsätzlich neues Wegekonzept erarbeitet. Dieser Vortrag befasst sich mit dem Neubau des Steges durch die Marienschlucht selbst sowie der Überwachung der Steilwände oberhalb der Zuwegung entlang des sogenannten Mondfelsens. 2. Marienschlucht 2.1 Übersicht und Historie Abb. 1: Lage der Marienschlucht am Bodensee Die Marienschlucht befindet sich am südlichen Ufer des Überlingersees des Bodensees. Zwischen den Gemeinden Bodman und Wallhausen. Abb. 2: Zugang zur Marienschlucht vom See aus Die Marienschlucht war bis zum Mai 2015 über einen Holzsteg, der direkt über dem Bachbett des Marienbaches verlief, zugänglich. Abb. 2 zeigt den seeseitigen Zugang zur Schlucht, der aktuell durch ein Tor verschlossen ist. 216 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Wiedereröffnung Marienschlucht am Bodensee - Geotechnische Planung und messtechnische Überwachung Abb. 3: Zerstörter Steg nach Rutschung 2015 Abb. 3 zeigt den nach der Rutschung 2015 zerstörten Steg. Bereits 2005 kam es in der Marienschlucht zu Rutschungen, worauf Teile der Schlucht gesichert wurden. Insbesondere die steilere westliche Seite Richtung Burgruine Kargegg wurde durch eine Konstruktion aus Mikropfählen und eingegrabene Schutzplanken gesichert. Abb. 4 zeigt die Prinzipskizze der damals geplanten Sicherung. Abb. 4: Prinzipskizze Hangsicherung nach 2005 Tatsächlich wurde damals eine etwas angepasste Variante mit selbstbohrenden Mikropfählen anstelle der in Abbildung 4 dargestellten IPE-Profile ausgeführt. Größtenteils sind diese Maßnahmen nicht mehr sichtbar, an lokalen Stellen sieht man jedoch die ausgeführte Bauart (siehe Abb. 5). Abb. 5: Ausgeführte Hangsicherung nach 2005 In den gesicherten Bereichen kam es seither zu keinen weiteren Rutschungen. Auf der ungesicherten östlichen Hangseite ereignete sich im Mai 2015 im Nachgang eines Starkregenereignisses eine Rutschung, die den Steg lokal vollständig zerstörte. Abb. 6: Freigelegter Hang bei Rutschung 2015 mit Wasseraustritt 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 217 Wiedereröffnung Marienschlucht am Bodensee - Geotechnische Planung und messtechnische Überwachung Abb. 7: geplante neue Stegtrasse (Architekt Hirthe) 2.2 Sicherung der Marienschlucht selbst Um die Marienschlucht wieder für die Öffentlichkeit sicher zugänglich zu machen, wurde ein Neubau einer Steganlage geplant. Dieser soll in einer Höhe von ca. 10-m über dem Bachbett auf der westlichen Schluchtseite verlaufen, die nach den Rutschungen 2005 bereits gesichert wurde und bei denen seither keine Rutschungen mehr festgestellt wurden. Abb. 7 zeigt den aktuell geplanten Stegverlauf. Abb. 8: Modell des Eingangsbauwerks beim See (Architekt Hirthe) Als weitere Sicherheitsmaßnahme wurde der Steg mit einem Abstand zum Hang von ca. 2,0 m geplant, damit kleinere Rutschungen unter dem Steg durchrutschen können. Schnitt M: 1: 50 Abb. 9: Querschnitt Steg (aus Planung Baustatik Relling) Der Steg wird über zwei Druckstreben und eine Zugstrebe mit Abstand zum Fels montiert. Die Verankerung erfolgt über speziell konstruierte Kopfplatten und Mikropfähle. 218 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Wiedereröffnung Marienschlucht am Bodensee - Geotechnische Planung und messtechnische Überwachung Ansicht Pfahlkopf Gewi Ø40 Rasterplatte 125x125x20 Pfahlkopf Gewi Ø40 t= 15 mm Abb. 10: Verankerung Druckstrebe links und Zugstrebe rechts (aus Planung Baustatik Relling) Die Herstellung der Mikropfähle für die Stegverankerung wurde Ende 2022 abgeschlossen. Die Anforderungen an die Bohrgenauigkeit waren dabei sehr hoch, da sowohl der korrekte Ansatzpunkt der Bohrungen, als auch die korrekte Bohrneigung in vertikaler, als auch horizontaler Richtung entscheidend war. Dies konnte nur durch enge Abstimmung zwischen der ausführenden Fa. Crestageo und dem Vermesser Intermetric realisiert werden. Abb. 11: Bohren eines Mikropfahls für die Stegverankerung (Ausführung Crestageo) Im Nachgang wurden die hergestellten Mikropfähle erneut eingemessen und aktuell erfolgt darauf auf bauend die Planung des Steges im Raum. Die Fertigstellung der Steganlage ist für 2024 avisiert. Neben den Arbeiten für die Stegverankerung wurde ein stark unterschnittener Felsbereich, welcher eine Gefährdung für den späteren Steg darstellen könnte, durch eine mittels Mikropfählen rückverhängte Spritzbetonplombe gesichert. Abb. 12: bewehrte Spritzbetonplombe mit Verankerung Abb. 13: fertiggestellte Spritzbetonplombe 3. Mondfelsen 3.1 Übersicht und Historie Eine der Zuwegungen zur Marienschlucht führt von Bodman herkommend entlang des Mondfelsens. Der Mondfelsen stellt eine annähernd senkrechte Felswand im Mo- 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 219 Wiedereröffnung Marienschlucht am Bodensee - Geotechnische Planung und messtechnische Überwachung lassefelsen dar, die in einen steilen Oberhang mit einer durchschnittlichen Neigung von ca. 60° übergeht. Abb. 14: Ansicht Mondfelsen mit Steilwand und Oberhang (Darstellung Kempfert + Partner) Der Mondfelsen wurde 2019 durch die Dr. Spang GmbH begangen und beurteilt. Darauf auf bauend wurden von uns Sicherungsmaßnahmen empfohlen und ausgearbeitet. Abb. 16 zeigt eine der charakteristischen sichelförmigen Felsausbildungen, welche namensgebend für den Mondfelsen sind. Abb. 15: Foto aus Begehung 2019 Abb. 16: Foto aus Begehung 2019 Speziell im steilen Oberhang wurden Gefährdungen durch mögliche oberflächliche Rutschungen, Baum- und Steinschlag ermittelt. Als Sicherungsmaßnahmen wurde zunächst eine Kombination aus Steinschlagschutzzäunen, Murgangbarrieren in den natürlichen Rinnen und lokalen Übernetzungen empfohlen. Abb. 17: geplante Sicherungsmaßnahmen (rot: Steinschlagschutzzäune / blau: Murgangbarrieren / gelb: Übernetzungen) Abb. 18: Dimensionierung Steinschlagschutzzäune mit dem Programm Rockfall der Dr. Spang GmbH 220 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Wiedereröffnung Marienschlucht am Bodensee - Geotechnische Planung und messtechnische Überwachung Aufgrund der Bedeutung des Mondfelsens aus naturschutzrechtlicher Sicht und seiner Einzigartigkeit als ungestörtes, unverbautes Naherholungsgebiet am Bodensee war eine Ausführung von entsprechenden Sicherungsmaßnahmen jedoch nicht genehmigungsfähig. 3.2 Überwachungskonzept Um auch die Zuwegung über den Mondfelsen wieder zu ermöglichen, wurde ein Überwachungskonzept ausgearbeitet. Dieses beinhaltet folgende Punkte: Felswand: - Regelmäßige visuelle Kontrollen. - Automatische Messung der Trennflächenöffnungsweite Oberhang: - Regelmäßige Durchsteigungen. - Automatische Messung der Bodenfeuchte der Lockergesteinsdeckschichten. - Automatische Verformungsmessung der Lockergesteinsdeckschicht. In der Felswand wurden hierfür an ausgewählten Klüften Rissbreitensensoren installiert, welche über eine Sendebox automatisch Messungen digital übermitteln und in Echtzeit ausgewertet werden können. Abb. 19: Rissbreitensensor Im steilen Oberhang wurden in Bereichen mit potentiellen Rutschmassen Doppelpunkte aus Feuchtesensoren und biaxialen Inklinometern installiert. Abb. 20: Feuchtesensor Abb. 21: Biaxialer Inklinometer Abb. 22: Sendebox mit Doppelpunkt aus biaxialem Inklinometer und Feuchtesensor Abb. 23: Verteilung der Sensoren im Hang (blau: Doppelpunkte Inklinometer Feuchtsensor / rot: Rissbreitensensoren) Da der Oberhang mit seinen durchschnittlich ca. 60° Neigung extrem steil ausgebildet und durch seine Bewaldung kaum von außen einsehbar ist, wurde bei der Verformungsmessung auf ein indirektes Verfahren zurückgegriffen. Dabei wurden Stahlstangen bis zum Felshorizont (durchschnittlich ca. 0,5 m) eingetrieben und darin wenige cm eingebunden. Im Übergang zur GOK wurden Stahlflügel an den Stangen befestigt und ins Lockergestein eingeschlagen. Am Kopf der Stangen wurden biaxiale Inklinometer aufgeschraubt. Bei einem Abrutschen der Lockergesteinsdeckschicht verdreht sich der Stab somit um den Fußpunkt und die Verformung kann rückgerechnet werden. 3.3 Messauswertung Ende 2021 wurde eine Probeinstrumentierung aus einem Doppelpunkt bestehend aus einem Feuchtesensor und einem Inklinometer installiert. Ende 2022 erfolgte dann 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 221 Wiedereröffnung Marienschlucht am Bodensee - Geotechnische Planung und messtechnische Überwachung die vollständige Instrumentierung wie sie in Abb. 23 dargestellt ist. Im Folgenden wird auf die Resultate der Probeinstrumentierung über die ersten 2 Jahre eingegangen. Abb. 24: umliegende Wetterstationen Die gemessenen Werte der Instrumentierung wurden zusätzlich mit den Regendaten der umliegenden Wetterstationen abgeglichen. Die beste Korrelation zu der gemessenen Bodenfeuchte zeigte sich bei der Wetterstation Konstanz, welche auch am nächsten zur Marienschlucht liegt. Diese wurde somit in folgenden Auswertungen berücksichtigt. Abb. 25: orange: Niederschlag / blau: Bodenfeuchte vom 21.12.2021 bis 20.02.2022 Abb. 25 zeigt den Vergleich zwischen Niederschlag und Bodenfeuchte in den ersten Wintermonaten. Es zeigt sich eine gute Korrelation und dass sich die Bodenfeuchte nach längeren Regenpausen mit einer Verzögerung von ca. 1 Woche wieder auf das Vorregenniveau reduziert. Abb. 26: orange: Niederschlag / blau: Bodenfeuchte vom 21.12.2021 bis 25.11.2022 Der Vergleich übers ganze Jahr 2022 zeigt jedoch, dass die Bodenfeuchte fast unabhängig von den Niederschlagsereignissen über die Sommermonate (ca. 05.05.2022 bis 19.08.2022 kontinuierlich abnimmt. Abb. 27: orange: Bodentemperatur in 55 cm Tiefe / blau: Bodenfeuchte in 55 cm Tiefe / Punkte: monatlicher Mittelwert der Lufttemperatur in Konstanz Der Abgleich der Boden-Lufttemperatur zeigt eine leichte Dämpfung der Temperatur im Boden. Durch die relativ geringe Überdeckung ist die Schwankung jedoch noch relativ hoch. Abb. 28: blau: Bodenfeuchte 2022 / orange: Bodenfeuchte 2023 Der Effekt, dass die Bodenfeuchte innerhalb der warmen Monate fast unabhängig von den Niederschlagsereignissen langsam absinkt, konnte auch im Folgejahr 2023 bestätigt werden. 222 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Wiedereröffnung Marienschlucht am Bodensee - Geotechnische Planung und messtechnische Überwachung Abb. 29: blau: Bodenfeuchte / orange: Inklination (21.12.2021 - 25.11.2022) Ein direkter Zusammenhang zwischen Bodenfeuchte und Inklination lässt sich gem. Abb. 29 nicht erkennen. Die gemessenen Inklinationen sind jedoch auch in sehr kleinen Größenordnungen und nahe der Messgenauigkeit des Systems. Die gemessene Verdrehung vergrößerte sich innerhalb eines Jahres um ca. 2,5 mm/ m. Bei einer Einbautiefe von ca. 50 cm entspricht dies einer umgerechneten Hangbewegung von ca. 1,25 mm/ Jahr. Gem. H.P. Blume et al.[1] wird Bodenkriechen mit einer Geschwindigkeit zwischen 1 und 20 mm pro Jahr abgegrenzt. Ab 20 mm pro Jahr wird darin von Hangkriechen gesprochen. Es handelt sich bei den gemessenen Verschiebungen somit um sehr kleine Geschwindigkeiten im Bereich des Bodenkriechens. Aufgrund des gemessenen Bodenkriechens und der damit zusammenhängenden, kontinuierlich an-steigenden Inklination ist ein absoluter Wert für eine Alarmierung als alleiniges Merkmal nicht sinnvoll. Wichtig ist insbesondere die Geschwindigkeit, mit der sich die Inklination vergrößert, also ob sich das Hangkriechen plötzlich beschleunigt. Abb. 30: orange: absolute Inklination / blau: Inklination pro Tag Die entsprechende Auswertung gem. Abb. 30 zeigt, dass sich die Inklinationsgeschwindigkeit bis auf einen einzelnen Ausreißer unterhalb ± 1,0 mm/ m/ d befindet. 4. Ausblick Die neue Steganlage durch die Marienschlucht soll bis Ende 2024 fertiggestellt sein. Die Auswertung der Vollinstrumentierung des Mondfelsens ist im Gange. Es werden Warn- und Alarmwerte für die einzelnen Sensoren festgelegt und ein Alarmierungssystem mit dem AG abgestimmt. Die Zuwegung zur Marienschlucht wird so ausgebaut, dass sie im Falle einer erhöhten Gefährdung für Besucher temporär gesperrt wird und nach Abklingen der Gefahrensituation wieder geöffnet wird. Literaturangaben [1] Lehrbuch der Bodenkunde. 16. Auflage., ISBN 978-3-8274-1444-1, 7.2 Prozesse der Bo-denentwicklung, S. 298, H. P. Blume, G. W. Brümmer, R. Horn, E. Kandeler, I. K. Knabner, R. Kretzschmar, K. Stahr, B. M. Wilke, Spektrum Akademischer Verlag, 2010. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 223 Helgoland - Erkundungsarbeiten unter Hochseebedingungen Dipl.-Ing. (FH) Holger Jud Smoltczyk & Partner GmbH, Stuttgart Dipl.-Geol. Klaus Warber BTR Bohrtechnik Roßwag GmbH & Co.KG, Vaihingen/ Enz - Horrheim Zusammenfassung Die bestehenden Molen auf Helgoland sollen in den nächsten Jahren saniert und auf erhöhte Meereswasserspiegel angepasst werden. Hierzu war über eine Molenlänge von insgesamt rund 1.250 m der Baugrund und das Molenbauwerk selbst zu erkunden. Neben den logistischen Herausforderungen aus der Insellage, den Einschränkungen durch Kampfmittel, den wetterbedingten Randbedingungen waren aus der Aufgabenstellung sowohl die Mole als auch den Baugrund zu erkunden auch besondere Anforderungen an die Bohrtechnik gestellt. Im Beitrag werden die Erkundungsaufgabe, die eingesetzte Bohrtechnik, Besonderheiten bei der Ausführung sowie die Ergebnisse der Erkundung vorgestellt. 1. Einführung Helgoland ist die einzige Hochseeinsel Deutschlands und liegt rund 50 km von den deutschen Küsten entfernt in der Nordsee. Der überwiegende Teil der Hafenanlage Helgolands im Westen der Insel mit seine langen Molen wurde zumeist zwischen 1903 und 1927 erbaut, als König Wilhelm II die Insel zu einen Marinestützpunkt ausbaute. Nach dem 1.-Weltkrieg musste ein Großteil der Hafeneinfassung erneuert werden und haben seither etwa den heutigen Grundriss (Abbildung 1). Abb. 1: Veränderungen von Helgoland (Hauptinsel) seit 1890 (KRUMBEIN, 1975) Sturmfluten, Vereinbarungen im Rahmen des Versaillers Vertrags und insbesondere der „Big Bang“ im Jahr 1947, sowie weitere Kriegsbombardements im 2.- Weltkrieg fügten der Hafeneinfassung massive Schäden zu und führten auch zu Auflockerungen im anstehenden Fels. Aktuell zeigen die Molenbauwerk daher Schäden in der Bauwerkssubstanz aber auch in Form von Setzungen, Setzungsdifferenzen auf. Standsicherheitsprobleme können daher nicht ausgeschlossen werden. Vor diesem Hintergrund wurden Erkundungsarbeiten als Grundlage für die zu planenden Bauwerks-sanierungen ausgeschrieben. Dabei sollten neben den Bauwerken selbst, mögliche Hohllagen und Ausspülungen unterhalb der Fundamente und der zur Tiefe anstehende Fels aufgeschlossen werden. Bei der Planung der Erkundungsarbeiten war außerdem zu berücksichtigen, dass der anstehende Fels nicht ausschließlich als Sandstein, sondern in Teilbereichen auch Dolinen, Erdfälle, quartäre Verfüllungen und Wechsellagerungen aus Gipssteinen, Sand- und Tonsteinen sowie deren Verwitterungsprodukten zu erwarten waren. Insgesamt wurden 84 Erkundungsbohrungen mit rund 1.250 Bohrmeter mit zwei besonders ausgestatteten Bohrgeräten und einer Bohrdatenerfassung abgeteuft. 2. Geologie Der heute über die Nordsee aufragende sichtbare Teil Helgolands baut sich aus den überwiegend roten Sandsteinen des sogenannten Buntsandsteins auf und lässt damit ein wesentlich höheres Alter als die anderen friesischen Inseln erkennen. Die einzige Felseninsel der Deutschen Bucht verdankt ihre Entstehung den im tieferen Untergrund anstehenden Salz- und Gipsmassen, die vor rund 250 Millionen Jahren im sog. Zechsteinmeer, einem flachen Epikontinentalmeer der Permzeit, durch Verdunstung entstanden sind. Die Salzmassen reagierten unter der Auflast der darüber abgelagerten jüngeren Sedimente des Mesozoikums plastisch. Aufgrund der geringeren Dichte des Salzes zum überlagernden Gestein kam es in vielen Regionen Nordwestdeutschlands, vor allem entlang von Störungen und Schwächezonen, zum Aufstieg des Salzes und zur Bildung von Salzhorsten, Salzstöcken und Diapiren, die die Deckschichten aufbeulten, deformierten und z. T. auch durchstießen und randlich steil aufstellten. 224 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Helgoland - Erkundungsarbeiten unter Hochseebedingungen Abb. 2: Molenkonstruktion im Sanierungsbereich nach Sturmschäden 1954 Die Insel Helgoland liegt im Zentrum einer solchen elliptischen, in Längsachse Nordwest nach Südost orientierten Gesteinsaufwölbung, die durch den Salzaufstieg im Gewölbekern tektonisch herausgebildet wurde. Dadurch wurden die normalerweise in rund 3.000 m Tiefe liegenden Gesteine des Buntsandsteins bis an die Meeresoberfläche aufgewölbt und schräggestellt. Mit der als Felsmasse heute allein über die Wasserlinie aufragenden Platte des Mittleren Buntsandsteins wurden zugleich die darunterliegenden Schichtfolgen des Unteren und die nach Nordosten zu überlagernden Sedimente des Oberen Buntsandsteins (Röt) sowie die im Hangenden folgenden Ablagerungen des Muschelkalks und der Kreideschichten emporgehoben. Die Mitte der Aufwölbung mit Helgoland ist dadurch von dem Klippengürtel der Muschelkalk- und der Kreide-Formationen umgeben, die im Wesentlichen aus Kalksteinfolgen bestehen und auch den Untergrund der heute nahezu vollständig durch Dammbauten be-festigten Flugsandinsel „Düne“, östlich von Helgoland, bilden. Im 18. Jahrhundert hat eine Sturmflut Helgoland und die „Düne“ voneinander getrennt. Das unterste Schichtglied des Mittleren Buntsandsteins, die Volpriehausen-Folge, bildet im Wesentlichen den standfesten Sockel des Buntsandsteins der Insel Helgoland. Wegen des nordöstlichen Einfallens der Schichten treten ihre Tonmergel- und Sandsteinfolgen hauptsächlich an der Südwestküste und im Norden zu Tage und bilden hier auch das Felswatt. Die darüber liegenden Schichten der Detfurth-, Hardegen und Solling-Folge sind auf dem Inselplateau weitgehend überdeckt und kommen vornehmlich nur an den Küsten-streifen im Westen und Osten zum Vorschein. Das jüngste Schichtglied des Buntsandsteins, der Obere Buntsandstein (Röt) ist ebenso wenig wie der Untere Buntsandstein oberirdisch aufgeschlossen. Seine weichen Ton-, Gips-, und Salzgesteine streichen in der Meeresstraße zwischen dem Mittleren Buntsandstein Helgolands und dem Muschelkalk der Düneninsel aus. Neben der etwa Nordwest-Südost streichenden großen Helgoländer Störung, südwestlich von Helgoland, die die Beulenstruktur in zwei Hälften teilt und um rund 1.000-m gegeneinander versetzt, wurden weitere kleinere Verwerfungen auch im Bereich der Insel nach-gewiesen. Insgesamt wird der tektonische Bau der Insel von kleintektonischen Strukturen (Gräben, Horsten und Verwerfungen mit geringen Versätzen) sowie Kluftsystemen bestimmt, die im Wesentlichen durch die dehnende Gesteinsbeanspruchung im Zuge der Aufwölbung entstanden sind. 3. Erkundung 3.1 Erkundungsziel Die Molenbauwerke haben eine Höhe von rund 10 m, eine Breite von etwa 8 m und sind als Schwergewichtsbauwerke ausgebildet. Teilweise sind es mit grobkörnigen Materialen verfüllte Schwimmkästen mit einer Abdeckelung, teils unterschiedlich ausgebildete Schwergewichtswände aus Betonfertigteilen. Auf Grund der historisch bedingten Beschädigungen liegen die unterschiedlichsten Mauerquerschnitte vor, in einem Teilbereich wurden Sturmschäden mit einem verfüllten und seitlich gestützten Holzsenkkasten mit Abdeckelung saniert (Abbildung 2). 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 225 Helgoland - Erkundungsarbeiten unter Hochseebedingungen Auf Grund der teilweise sichtbaren Setzungen des Molenbauwerks, den stark wechselnden Mauer-konstruktionen und den zu erwartenden wechselnden Baugrundverhältnissen wurde ein enges Erkundungs-raster mit den folgenden Erkundungszielen aufgesetzt: • Zusammensetzung der Schwimmkasten-verfüllungen; • Feststellungen zur Aufstandsebene der Schwer-gewichtsmauern, insbesondere zu möglichen Ausspülungen oder Schwächezonen durch Auslaugung von Gipsgesteinen oder Dolinen-verfüllungen; • Baugrund- und Felserkundung bis zur Einflusstiefe des Bauwerks. •Hierzu wurden insgesamt 84 Bohrungen abgeteuft. Die Bohrtiefen betrugen zwischen rund 15-m im Bereich gut tragfähigem Fels und bis 50-m im Bereich von Auslaugungsbereichen und vollständig zu Schluff und Ton verwitterten Felsschichten. 3.2 Erkundungsbohrungen und -technik Aus vorangegangenen Erkundungskamapagnen war bekannt, dass insbesondere in den Schwimm-kastenverfüllungen neben den zu erwartenden Steinen und Blöcken auch mit anderen Bohrhindernissen, z. B. Holz und Stahl zu rechnen war. Steine und Blöcke weisen zudem hohe Druckfestigkeiten auf, da Teile der Hafenbauwerke aus Granit gefertigt sind. Üblicherweise geht das Räumen von Bohrhindernissen auch mit Kernverlust einher, was jedoch im Gegensatz zu den Erkundungszielen, insbesondere dem Erkunden der Schwimmkastenverfüllung und dem zuverlässigen Bewerten des Übergangs vom Bauwerk zum Fels, steht. Die Bewertung der Schwimmkastenverfüllung und der Fundamentaufstandsfläche erfordert einen möglichts vollständigen Kerngewinn. Abb. 3: Bohrkopf mit Sonic-Einheit und Bohrantrieb für Seilkernbohrung (Quelle: Eijkelkamp) Deshalb wurden spezielle Bohrgeräte, die mit einem Wechselkopf für Sonic-Bohrungen und Seilkernbohrungen ausgestattet waren (Abbildung 3) eingesetzt. Für beide Bohrverfahren waren an den Geräten Sensoren verbaut die es ermöglichten, die maßgeblichen Daten des Bohrvorgangs kontinuierlich aufzuzeichnen, zu erfassen und bereits beim Bohrvorgang grafisch am Display des Steuerstandes zu überwachen. Beim Sonic-Bohren werden im Unterschied zur Seilkernbohrung zusätzlich zur Rotation und dem Anpressdruck hochfrequente (50 bis 150 Hz) vertikale Schwingungen über das Bohrgestänge in den Bohrkopf eingeleitet. Mit der so eingebrachten Energie können ohne oder unter Zugabe von Wasser nahezu vollständige Kerngewinne erzielt werden, unabhängig von den Baugrundeigenschaften. Die Sonic-Bohrung wird wegen des hohen Kerngewinns häufig in Erkundungen des Bergbaus eingesetzt und ist zwischenzeitlich in den meisten Ländern in normative Vorgaben für Erkundung (z. B. USA (ASTM), UK (BS) und Deutschland (DIN)) mit aufgenommen. Mittels Sonic-Bohrung war daher eine nahezu vollständige Kerngewinnung und damit die Erkundung der Schwimmkastenverfüllungen auch beim Antreffen von Bohrhindernissen zu erwarten. Zudem war geplant auch den Übergang vom Bauwerk zum anstehenden Baugrund mittels Sonic-Bohrung zu erkunden, da bei anderen Bohrverfahren besonders im Übergang von Beton zu anstehenden Böden meist hohe Kernverluste auftreten. Als nicht geeignet und nicht vorgesehen waren Sonic- Bohrungen im Fels bzw. in den Betonbauteilen. Grund hierfür ist die Veränderung des Gesteins, insbesondere mit zunehmenden Bohrwiderstand, da einerseits durch die eingetragene Energie eine deutliche Reduzierung des Wassergehalts im Fels gegeben ist, und andererseits eine Entfestigung durch die vertikalen Schwingungen des Bohrkopfes im Sedimentgestein nicht zu vermeiden ist. Alle Kernbohrungen im anstehenden Fels wurden daher im Seilkernverfahren ausgeführt und die Felsproben im Liner gewonnen. Die eingesetzten Bohrgeräte ermöglichten zu jeder Zeit der Bohrung einen Wechsel zwischen den Bohrverfahren, so dass abhängig von den zu durchteufenden Bereichen oder eventuell festgestellten Gegebenheiten bei der Bohrung vor Ort durch den Bohrmeister reagiert werden konnte. Sofern Wasser zugegeben muss, kann bei der Kernentnahme ein doppelwandiges Rohr eingesetzt werden, so dass der Bohrkern von der Wasserzugabe nur wenig beeinflusst wird und Ausspülungen von Bohrgut weitgehend reduziert werden (Abb. 4). 226 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Helgoland - Erkundungsarbeiten unter Hochseebedingungen Abb. 4: Bohrkrone bei Einsatz eines doppelwandigen Rohres mit außenliegenden Öffnungen für Wasserzugabe (Quelle: Eijkelkamp) 3.3 Datenaufzeichnung In allen Bohrungen wurden maßgebliche Bohrparameter kontinuierlich während des Bohrfortschrittes aufgezeichnet. Mit den aufgezeichneten Daten sollten insbesondere Zusatzinformationen zu nicht vollständig zu vermeidenden Kernverlusten im Sandstein mit geringer Bindung und am Übergang von Bauwerk zum Baugrund gesammelt werden. Die Aufzeichnungen sind am Steuerstand des Bohrgerätes jederzeit einsehbar (Abb. 5) und sind zusätzliche Indikatoren zum Einsatz des geeigneten Bohrverfahrens: Sonic- Bohrung oder Seilkernbohrung. Abb. 5: Bohrgerät mit Doppelbohrkopf und Steuerstand mit Display für Bohrparameter 4. Logistik und Kampfmittel Auf Grund der exponierten Lage der Molen können Erkundungsarbeiten nur zwischen Juni und September ausgeführt werden. Schweres Gerät kann nur mittels Landungsbooten und damit nur bei leichtem Seegang antransportiert werden, da im Hafen keine Möglichkeit einer Entladung von mehr als 7 Tonnen besteht. Abb. 6: Landungsboot mit Bohrequipment Während der Bohrarbeiten sind die Baugeräte und Material so auszulegen, dass die Bohrstellen bei Sturmwarnung innerhalb von 24 Stunden vollständig geräumt und täglich bei Arbeitsschluss sturmsicher vertäut werden können. Auf Grund des Umfangs der Arbeiten wurden 2-Bohrgeräte eingesetzt. Das vorgesehene Sonic-Bohrverfahren erleichterte die terminliche Planung, da nicht davon auszugehen war, dass auf Grund von Bohrhindernissen unkalkulierbare Ausführungszeiten gegeben waren. Um umfangreiche Bohrkerntransporte zu vermeiden, erfolgte die Kernaufnahme sowie die an Felsproben auszuführenden, klassifizierenden Punktlastversuche vor Ort in dem eigens hierfür aufgebautem Kernlager und einem zur Aufnahme der Bohrung vorbereiteten Seecontainer. Durch das gewählte Vorgehen konnte Bohrkerntransporte weitgehend reduziert werden. Dort wo auf Grund von Kampfmittelverdacht im Molenbauwerke das Bauwerk nicht durchbohrt werden durfte, konnte der Bohrpunkt am Fuß der Mole freigemessen werden. Dafür kamen ein Seilbagger und Taucher zum Einsatz. Für die Erkundungsbohrung wurde ein zusätzliches Konsolarbeitsgerüst als Arbeitsebene vor dem Bohrgerät installiert (Abb. 7). Dieses wurde für jede Bohrung auf- und wieder abgebaut. Die Nutzung des Anliegers erforderte die Ausführung je Bohrpunkt zwischen 17: 00 und 7: 00. Tagsüber durfte wegen anlegenden Schiffen keine Arbeitswerkzeug am Bohrpunkt verbleiben und es musste eine vollständige Räumung des Arbeitsbereiches erfolgen. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 227 Helgoland - Erkundungsarbeiten unter Hochseebedingungen Abb. 7: Bohrgerät und Arbeitsgerüst 5. Erkundungsergebnisse und Geologisches Modell 5.1 Kerngewinn Die Bohrungen konnten wie geplant ausgeführt werden. Der Kerngewinn in den Schwimmkastenverfüllungen war nahezu 100 %, obwohl mehr Hindernisse als erwartet durchbohrt werden musste. Beispielhaft ist das Foto eines Bohrkerns in Abbildung-8 dargestellt. Es zeigt den Bohrkern von Bauwerksbeton von (4-m bis 4.75-m), die Bauwerksverfüllung bis 11 m Tiefe, den Fundamentbeton (bis 12.5-m) und den Fels im Übergang zum Fundament. Massive Stahlteile an der Basis der Verfüllung beeinflussen dabei den Kerngewinn nicht. Zusammen mit den aufgezeichneten Bohrparameters konnte sicher festgestellt werden, dass zwischen dem Bauwerksbeton bei -4,75 m und der Verfüllung ein Hohlraum von rund 15 cm vorhanden sein muss und nicht im Spülverlust begründet liegt. 5.2 Geotechnisches Model Mit den ausgeführten Erkundungsbohrungen konnte das Bauwerk einschließlich seiner Verfüllungen gut beschrieben werden und aussagekräftige Kerne für weitere Untersuchungen an Bauwerksproben entnommen werden. Abb. 8: . Bohrkern der Bohrung BKF -W-12/ 2021; 4 m bis 15 m Auch der Übergang vom Fundamentbeton zum anstehenden Baugrund konnte mit Blick auf mögliche Fragestellungen zur Standsicherheit eindeutig beschrieben werden. Mittels der Auswertung der Datenschreiber konnten zusammen mit den gewonnen Bohrkernen detaillierte Angaben zu Hohllagen der Molenabdeckungen zu den Verfüllungen gemacht werden. Zudem haben wir auf Basis der Bohrdaten auch mögliche Schwachstellen im Fundamentbeton aufgezeigt. Auf Grund der hohen Qualität der Bohrkerne, und mit Unterstützung der Datenaufzeichnungen zum Bohrvorgang konnten kurzfristig erste Angaben zu möglichen Standsicherheitsrisikien der Molen aus geotechnischen Gesichtspunkten gemacht werden. Ausspülungen unter dem Fundamentbeton konnten bei allen Bohrungen sicher ausgeschlossen werden. Ebenfalls waren an den Wandabschnitten mit sichtbaren Setzungen keine setzungsgefährdeten Schichten oder Hohlräume auffällig geworden. Dagegen zeigten die Bohrergebnisse der Molen Mängel im Bauwerk selbst auf, die auch die Setzungen und Verschiebungen des Bestandes erklären lassen. Mit den Bohrergebnissen lassen sich damit weitergehende Bauwerksuntersuchungen sicher planen. 228 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Helgoland - Erkundungsarbeiten unter Hochseebedingungen In Abbildung- 9 ist eine Teilmodel aus den Unter-suchungsergebnissen an der Ostmole dargestellt. Sowohl die Stratigrafie, die Qualität der erbohrten Böden und Felsschichten konnten trotz stark wechselnder Verhältnissen sicher beschrieben und in den Gesamtkontext der Geologischen Gegebenheiten gebracht werden. Quartäre Ablagerungen in einer Dolinenstrukktur aus Gipsauslaugung, Verwitterungs-produkte von Halbfestgesteinen und Gipsaus-laugungsreste konnten sicher mit dem Sonic-Verfahren aufgeschlossen werden. In Gips- und Schlufftonsteinen kam das Seilkernverfahren zum Einsatz. Abb. 9: . Geologisches Teilmodel der Ostmole Darüber hinaus wurden auch Bohrlochramm-sondierungen und die Entnahme von Sonderproben ausgeführt, wo das Sonic-Bohrverfahren zur Anwendung kam. Damit war es möglich auch die stark verwitterten Halbfestgesteine zu klassifizieren sowie geotechnischen Rechenparameter insbesondere die Steifigkeit festzulegen. In vergleichbaren Böden kommen üblicherweise rammende Verfahren zum Einsatz. 6. Zusammenfassung Das Erkundungsprogramm mit insgesamt 84 Bohrungen und rund 1.250 Bohrmeter konnte trotz schwieriger Randbedingungen und komplexen Aufgabenstellungen erfolgreich im zur Verfügung stehenden Zeitfenster erfolgreich abgeschlossen werden. Der flexible Wechsel zwischen dem Sonic-Bohrverfahren und Seilkern-verfahren ermöglichte ein dem Erkundungsziel angepasstes Vorgehen, so dass im Ergebnis gerade bei den für weitere Bewertungen wichtigen Angaben zur Bauwerksverfüllungen eine Kerngewinn von nahezu 100 % erreicht werden konnte. Trotz teils massiver Bohrhindernisse, zumeist Stahl und Holz aber auch Blöcke innerhalb locker gelagerter grobkörniger Auffüllungen beeinträchtigten die Bohrergebnisse nicht nachhaltig. Auch die unterschiedlichsten Qualitäten des unter dem Fundamentbeton anstehenden Baugrundes konnte sicher bestimmt und die erforderlichen geotechnischen Berechnungsparameter festgelegt werden. Kernverluste konnte mittels den Datenaufzeichnungen zum Bohrvorgang jederzeit bewertet werden. Häufig schwer zu beurteilenden Übergängen von Bauwerk zum anstehenden Boden konnten mit dem gewählten Verfahren so aufgeschlossen werden, dass deren Bewertung sicher möglich war. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 229 Helgoland - Erkundungsarbeiten unter Hochseebedingungen Literatur [1] Bednarczyk, K., Heeling, A., Schaller, D., & Vierfuss, U. (2008). Coastal Protection at the North and Baltic Sea: Helgoland Island. Die Küste 74, pp. 143-157. [2] Krumbein, W. E.: Verwitterung, Abtragung und Küstenschutz auf der Insel Helgoland. Abhandlungen und Verhandlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins in Hamburg, Bd. 18/ 19, 1975. [3] Orberger, B. (2018). Increasing Resources efficiency through sonic drilling. SEG Newsletter No. 114, 1-12. [4] Wüster, O., & Ullrich, N. (2003). Hafenbau auf Helgoland (Studienarbeit). Hamburg: Technische Universität Hamburg Harburg (TUHH). 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 231 Bewertung der Funktionsfähigkeit und Lebensdauer von geotextilen und mineralischen Filtern in tidebeeinflussten Wasserstraßen bei Verockerungsneigung Lukas Tophoff, M. Sc. FH Münster, Fachbereich Bauingenieurwesen Prof. Dr.-Ing. Holger Schüttrumpf RWTH Aachen, Lehrstuhl und Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft Prof. Dr.-Ing. Frank Heimbecher FH Münster, Fachbereich Bauingenieurwesen Dipl.-Ing. Norbert Kunz Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe Zusammenfassung In den letzten Jahrzehnten sind vereinzelt schwere Schäden an geotextilen Filtern infolge von Verockerung durch ausgeflockte ockerhaltige Produkte aufgetreten. Durch eine starke verockerungsbedingte Verminderung der Durchlässigkeit der Geokunststoffe in Kombination mit einem hohen hydrostatischen Druck wurden unter anderem die Deckschichten verschiedener Deckwerke von tidebeeinflussten deutschen Nordseeästuaren beschädigt. Zum besseren Verständnis der Verockerung der Filter wurden experimentelle Untersuchungen an mineralischen und geotextilen Filterkonstruktionen durchgeführt [2]. Zusätzliche in-situ Untersuchungen von verockerten Filtern und dessen Milieubedingungen ließen erstmalig eine detaillierte Analyse der Durchlässigkeitsreduktion infolge Verockerung und mechanischer Filterkolmation zu. Es konnte festgestellt werden, dass die Durchlässigkeitsreduktion geotextiler Filter durch den Verockerungsprozess beschleunigt werden kann. Durch eine ausreichende Baugrunderkundung und Grundwasseruntersuchung kann die Verockerungsgefahr jedoch im Vorfeld anhand von Grenzwerten bewertet werden. 1. Einführung Das Netz der deutschen Bundeswasserstraßen umfasst ca. 7.350 km Binnenwasserstraßen, von denen ca. 340-km unter dem Tideeinfluss der Nordsee stehen. An schiffbaren Binnenwasserstraßen in Deutschland bestehen schwere technische Deckwerke im Regelfall aus einer Deckschicht, einer Filterschicht und ggf. einer Dichtung [3]. Deckwerke sind als Teil der Wasserstraße insbesondere für den Schutz der Ufer notwendig. Sie sind über die gesamte Lebensdauer unterschiedlichen mechanischen und instationären hydraulischen Einwirkungen, wie z. B. wind- und schifffahrtsinduzierten Wellen, Wasserstandsschwankungen und daraus resultierenden Erosionsprozessen ausgesetzt. Daher werden Deckwerke an Binnenwasserstraßen für eine Lebensdauer von mindestens 50 Jahren bemessen [7]. Deckwerke von Küstenschutzbauwerken werden hingegen für eine Lebensdauer von bis zu 100 Jahren bemessen [4]. Die Abb.-1 zeigt einen Querschnitt durch ein typisches Uferdeckwerk mit den wichtigsten Elementen und den maßgebenden hydraulischen Einwirkungen. Ein wesentlicher Bestandteil eines Deckwerks ist die Filterschicht, die zur Stabilität des Deckwerks beiträgt. Sie hält das feinere Material des Untergrundes zurück, während die hydraulische Durchlässigkeit erhalten bleibt, um den Aufbau eines Porenwasserüberdrucks zu vermeiden [3]. Die Durchlässigkeit eines Filters kann mit fortschreitender Alterung durch mechanische und chemisch-biologisch induzierte Prozesse abnehmen [2,5,6]. Dabei wird in diesem Artikel der Fokus auf die Verockerung gelegt. Die Verockerung beschreibt die Verstopfung von Filtern infolge ockerhaltiger Produkte wie z. B. ausgefälltem Eisen oder ausgefälltem Mangan und kann biologisch und/ oder chemisch induziert sein. Der natürliche Prozess der Verockerung geschieht fortlaufend und kann nach derzeitigem Stand der Technik nicht aufgehalten werden. Diese Verhältnisse können dort vorliegen, wo infolge exfiltrierender Strömungsrichtung eisenhaltiges Grundwasser mit dem Luftsauerstoff bzw. dem sauerstoffreichen Oberflächenwasser in Kontakt kommt. Das kann hier der geotextile und mineralische Filter in einem Deckwerk einer tidebeeinflussten Wasserstraße sein [1,2]. Dies kann zu Schäden am Deckwerk führen, wenn dieses infolge des Aufblähens des Filters aufbricht (vgl. Abb. 2). Die in den letzten Jahrzehnten dokumentierten Schadensfälle sind lokal stark begrenzt und ausschließlich bei geotextiler Filterbauweise in tidebeeinflussten Wasserstraßen aufgetreten. Da die Schäden lokal auftreten und in näherer Distanz zu den Schadstellen vollständige intakte Deckwerke auffindbar sind, sind neben baulichen und filtertechnologischen Eigenschaften die Milieubedingungen der Filter maßgeblich für die Initiierung der Verockerung. 232 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Bewertung d. Funktionsfähigkeit u. Lebensdauer von geotextilen u. mineralischen Filtern in tidebeeinflussten Wasserstraßen bei Verockerungsneigung Abb. 2: Lokaler Deckwerksschaden an der Tideweser im Bereich Neuenkirchen mit aufgebrochener Schutzschicht. Im geotextilen Filter wurden Verockerungsprodukte nachgewiesen (eigene Aufnahme, 2021). Die Milieubedingungen und zulässigen Grenzwerte wurden anhand externer Datenquellen in den Vorstudien untersucht und festgelegt [1]. Der Anlagerungsprozess der Verockerungsprodukte an die Filterstruktur konnte als Verstopfung klassifiziert werden und die filtertechnologischen Eigenschaften zur verlangsamten Anlagerung der Verockerungsprodukte konnten in den experimentellen Untersuchungen beschrieben werden [2]. Somit leisten die hier aufgeführten experimentellen und in-situ Untersuchungen zur Einordnung der Ergebnisse in den Kontext der Vorstudien einen wesentlichen Beitrag. 2. Vorstudie Teile des 2. Kapitels sind Tophoff et al. (2022) [7] entnommen. 2.1 Filterverstopfung durch Verockerungsprodukte Als Verockerung bezeichnet man den chemischen und/ oder biologischen Prozess der Ausfällung von Eisen, Mangan und anderen Stoffen in unterschiedlichen Erscheinungsformen. Die wichtigste Grundvoraussetzung für die Ockerbildung, die durch Oxidation initiiert wird, ist das Vorhandensein von Sauerstoff im Boden, Grund- oder Bodenwasser [8] sowie gelöstem Eisen oder gelöstem Mangan. Verockerung kann in den Geo-textilien und Kornfiltern oder auch im natürlich gewachsenen Boden auftreten und ist im Wesentlichen von den Milieubedingungen des Filtersystems abhängig. Durch die Anlagerung von Ocker Abb. 1: Querschnitt eines Ufers mit maßgebenden hydraulischen Einwirkungen infolge natürlicher und anthropogener Einflüsse (nach [1]) 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 233 Bewertung d. Funktionsfähigkeit u. Lebensdauer von geotextilen u. mineralischen Filtern in tidebeeinflussten Wasserstraßen bei Verockerungsneigung an die Bodenmatrix oder das Geotextil wird die Porosität des Bodens in der Nähe des Filters bzw. die Porosität der Filter selbst herabgesetzt, sodass sich die hydraulische Durchlässigkeit des Bodens oder des Filters verringert. Die Ausfällungen treten überwiegend in der Kontaktzone zwischen Luft und Grundwasser auf. Die Kontaktzone ist hierbei der Übergang vom Grundwasserleiter zu den durch die Tide oder durch Wellengang beeinflussten Filterschichten. Mendonca et al. (2003) [9] beschreiben die Problematik und den Prozess als Anstieg des Porenwasserdruckes im Boden oder im Filterelement, verbunden mit einer Instabilität des Bodengefüges des Uferbereichs oder einer Änderung der Fließrichtung. Das infolge chemischer und/ oder biologischer Verockerung ausgefällte Eisen oder Mangan kann sich in geotextilen oder mineralischen Filtern anlagern. Dieser Anlagerungsprozess wird als Adsorptionsprozess bewertet, der entweder chemisch geprägt ist oder auf intermolekularen Kräften zwischen der Feststoffmatrix und den Verockerungsprodukten beruht [1,7]. Demzufolge kolmatieren die Verockerungsprodukte die Filter nicht als bewegliche Partikel, sondern haften an der Filterstruktur an und verstopfen diesen. Entsprechend haften die Verockerungsprodukte immobil an den Filamenten des Vliesstoffes an, anstatt beweglich als Partikel die Porenräume zwischen den Filamenten zu kolmatieren (siehe Abb. 3). Daher wird auch der Begriff der Verstopfung („internal clogging“) anstelle von Kolmation verwendet. Abb. 3: REM-Aufnahme eines Geotextils aus der Weser mit eisenhaltigen Anhaftungen (eigene Aufnahme, 2023). 2.2 Grundwasser- und Oberflächenwasserbeschaffenheit Zur Beschreibung der Milieubedingungen wurden umfassende theoretische Untersuchungen der Oberflächenwasserbeschaffenheit der großen Nordsee-Ästuare sowie deren lokaler Grundwasserbeschaffenheiten durchgeführt. Dazu wurden die in der Vorstudie [1] definierten maßgeblichen Verockerungsparameter des Grundwassers (DOCP) Sauerstoffgehalt, Eisen- und Mangangehalt, Redoxpotential, pH-Wert und Temperatur betrachtet. Die Ergebnisse werden hier mit Verweis auf die Vorstudie und Tab. 3 nicht weiter beschrieben. 3. Experimentelle Untersuchungen Teile des 3. Kapitels sind Tophoff et al. (2023) [2] entnommen. Das Ziel der experimentellen Untersuchungen war es, verschiedene nach RPG (BAW Richtlinie Prüfung von Geokunststoffen im Verkehrswasserbau) grundgeprüfte Geotextilien hinsichtlich der Verockerungsneigung zu prüfen und den Anlagerungsprozess und die Beschaffenheit der Verockerungsprodukte besser zu verstehen. Dazu wurde eine bidirektionale laminare Durchströmung vorgesehen sowie eine rein chemische Verockerung (ausschließlich Eisen/ Fe 2+ -Ionen) ohne gleichzeitige mechanische Kolmation und Biofilmbildung initiiert. Zur Beschleunigung der Reaktionskinetik wurden stark reduzierende Grundwasser im Prozesswasser abgebildet, um ein Überangebot an gelöstem Eisen zu gewährleisten. Gleichzeitig wurde ein Überangebot an (Luft-)- Sauerstoff in der Kontaktzone sichergestellt, um die Oxidation zu beschleunigen. Um möglichst repräsentative Ergebnisse aber auch eine beschleunigte Ver-ockerungsreaktion zu erhalten, wurden die hydrochemischen Parameter sowohl an die in-situ Bedingungen als auch an die Reaktionskinetik angepasst. 3.1 Versuchsaufbau Zum besseren Verständnis des Modellschemas (Abb. 4) ist der Versuchsauf bau in einen Strömungs- und in einen Regelungskreislauf unterteilt. Hauptaufgabe des Regelungskreislaufes ist die Auf bereitung des Prozesswassers, wohingegen im Strömungskreislauf die Verockerung in der Kontaktzone initiiert wird. Somit können unterschiedliche Filterkonstruktionen untersucht werden, während der Regelungskreislauf unverändert bleibt. Für die hydraulische Regelung wurden zwei Kreiselpumpen (P1 und P2) sowie zwei Durchflussmesser (Q) installiert. Die Durchflussrate wurde basierend auf FEFLOW-Simulationen verschiedener repräsentativer Deckwerke mit unterschiedlichen Durchlässigkeiten und Wasserstandsschwankungen ermittelt. Daraus resulierend wurde ein Durchfluss von 1.0 l/ min (0.6÷1.2) festgelegt. Mittels verschiedener Schlauchpumpen wurden an zwei Zugabepunkten die Chemikalien hinzugegeben, um das Prozesswasser auf die Zielparameter einzustellen (siehe Abb. 5). Für eine bessere Vermischung wurden nach den Zugabepunkten Statikmischer in den Kreislauf integriert. Die maßgebenden DOCP können in den Messzellen (MZ) gemessen werden. Um die zu Beginn der Versuchsdurchführung im Kreislauf entstehenden Verockerungsprodukte dem Prozesswasser zu entziehen, wurden Filtersäulen und Feinfiltersäulen an zwei Stellen angeordnet. Durch den Einsatz einer UV-Lampe zur Desinfektion und die hohe Chloridkonzentration infolge der Zugabe von FeCl2 wurde eine Biofilmbildung ausgeschlossen. Um eine gleichmäßige Prozesswasserqualität zu gewährleisten, wurde ein flexibler Wassertank vor dem Strömungskreislauf angeordnet. Mittels verschiedener Magnetventile konnten die zwei Strömungskanäle alternierend durchströmt bzw. entwässert werden. Damit wurden die tideinduzierten Wasserstandsschwankun- 234 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Bewertung d. Funktionsfähigkeit u. Lebensdauer von geotextilen u. mineralischen Filtern in tidebeeinflussten Wasserstraßen bei Verockerungsneigung gen nachgebildet und ausreichend gelöstes Eisen sowie Sauerstoff zur Verfügung gestellt. Der Strömungskanal besteht aus einer Einlaufkammer, einer Aquiferkammer und je nach Versuchsauf bau aus verschiedenen Filterstufen. In der Einlaufkammer wird der Durchfluss vergleichmäßigt. Für die Untersuchungen wurde das natürliche Ufermaterial (0,1 - 0,4 mm; Prüf boden BT A gemäß TLG 2018) mit einer Dicke von 20 cm in der Aquiferkammer nachgebildet. Das Material wurde im Unterwassereinbau (sehr dichte Lagerung) eingebracht. Darauf wurde entweder ein Geotextil (Detail a, Abb. 4) oder ein mineralischer Filter (Detail b, Abb. 4) im Originalmaßstab verbaut. Der Übergang vom Aquifermaterial zum Filter und der Filter selbst, stellt die Kontaktzone dar, in der die Verockerung initiiert wurde, da hier Luftsauerstoff zur Verfügung steht. Dies wird durch die alternierende Fließrichtung gewährleistet. Um exfiltrierende Verhältnisse bzw. Niedrigwasserbedingungen zu simulieren, wird das Prozesswasser von unten nach oben durch den Strömungskanal geleitet. Das Aquifermaterial und der Filter sind dann weitgehend gesättigt mit dem Prozesswasser. Die infiltrierenden Verhältnisse bzw. Hochwasserbedingungen werden durch eine Schwerkraftentwässerung simuliert. Während der Entwässerung ist das Aquifermaterial teilweise und der Filter voll sauerstoffgesättigt. Zur Beschleunigung gegenüber den in-situ-Bedingungen wurde in den Untersuchungen die Fließrichtung alle 20 min umgekehrt. Auf dem Filter ist ein Deckwerk angeordnet, welches das nach [3] empfohlene Flächengewicht abbildet. Die im Strömungskanal vorliegenden Drücke wurden während des Versuchs mithilfe einer Druckmesseinrichtung kontinuierlich aufgezeichnet. Diese wurden an verschiedenen Stellen (bis zu 11 Messstellen pro Strömungskanal) ermittelt, sodass sich aus den Messwerten Durchlässigkeiten ableiten lassen. 3.2 Versuchsdurchführung Aus Abb. 4 ist zu entnehmen, dass das Prozesswasser aus entlüftetem Wasser, Natronlauge (NaOH) und Eisen(II)- Chlorid-Tetrahydrat (FeCl 2 ∙ 4H 2 O; kurz: FeCl 2 ) gemischt wird. An einem Zugabepunkt (ZP2) wird ausschließlich NaOH hinzugegeben. Dieser Zugabepunkt dient der pH-Wert-Regulierung. An einem anderen Zugabepunkt (ZP1) werden NaOH und FeCl 2 hinzugegeben. Dieser Zugabepunkt dient ebenfalls der pH-Wert- 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 235 Bewertung d. Funktionsfähigkeit u. Lebensdauer von geotextilen u. mineralischen Filtern in tidebeeinflussten Wasserstraßen bei Verockerungsneigung Abb. 4: Schematische Darstellung des Versuchsauf baus Regulierung, sowie je nach Versuchsphase dem chemischen Sauerstoffentzug (Phase 1, Abb. 5), der Eisenanreicherung (Phase 2, Abb. 5) oder beidem während der Versuchsdurchführung (Phase 3; Abb. 5). Abb. 5: Phasen der Versuchsdurchführung und Zielparameter (Schema) Zu Beginn des Sauerstoffentzugs ist das Redoxpotential des Prozesswassers an MC3 positiv (E H > 0 mV), der pH-Wert liegt im Zielbereich zwischen 7,8 und 8,0 und gelöster Sauerstoff liegt vor (DO > 0,1 mg/ l). Mit Verweis auf die Stabilität der Fe(II)- und Fe(III)-Spezies fällt bei diesen Bedingungen das gelöste Eisen sofort als Fe(OH) 3 aus [10] und wird im Anschluss in der Filtersäule dem Prozesswasser entnommen. Dabei verringert sich der Gehalt an gelöstem Sauerstoff durch die Oxidation, wodurch ebenfalls das Redoxpotential absinkt. Der pH-Wert sinkt ebenfalls ab, wird aber an ZP2 wieder auf den Zielbereich eingestellt. Dieser Prozess läuft so lange, bis der gelöste Sauerstoff dem Prozesswasser entzogen (DO < 0,1 mg/ l) und das Redoxpotential negativ ist (E H < 0 mV). Danach kann das Eisen gelöst vorliegen [10] und der Zielwert an gelöstem Eisen (Fe 2+ > 20 mg/ l) eingestellt werden. Während der Versuchsdurchführung (Phase 3) wird sowohl Sauerstoff entzogen, als auch Eisen angereichert, um die Zielparameter (siehe Abb. 5) in MC1 zu erreichen. In der Kontaktzone zum Luftsauer-stoff (geotextiler oder mineralischer Filter) wird dann während der Phase 3 die Verockerung initiiert. 3.3 Versuchsprogramm Tab. 1 gibt einen Überblick über die durchgeführten Versuche. Durch die Anordnung von zwei Strömungskanälen wurden jeweils zwei Versuche gleichzeitig durchgeführt. Eine „Test Nr.“ beschreibt entsprechend den Mittelwert aus zwei Strömungskanälen. Tab. 1: Versuchsprogramm und zu prüfende Filterkonstruktionen Test Nr . Filteraufbau und verwendete Filtermaterialien Versuchsdauer [h] Gr1 Einstufenfilter (SSF): 0,5 - 8 mm 10 Gr2 Zweistufenfilter (Unterwassereinbau), FS1: 0,2 - 6 mm, FS2: 2 - 63 mm Gr3 Zweistufenfilter (Trockeneinbau), FS 1: 0,2 - 6 mm, FS 2: 2 - 63 mm G1-G7 Geotextil A, B, C, D, E, F, G G1-LT Geotextil A 50 Weidner (2015) [6] stellte fest, dass im Hinblick auf mineralische Filter der Kies (3 Kiesarten; SiO 2 : 93,6 - 96,1 wt.-%) keinen Einfluss auf die Verockerungsneigung hat und auch durch Glaskugeln keine signifikante Verbesserung erzielt werden kann. Materialtechnologische Einflüsse verschiedener mineralischer Oberflächen sind nach derzeitigem Stand als weniger relevant einzuordnen. Daher steht ausschließlich die Prüfung verschiedener Bauweisen im Fokus der vorliegenden Untersuchungen (Gr1- Gr3). Mithilfe der Untersuchungen wurde der Einfluss unterschiedlicher materialtechnologischer Parameter der Geotextilien auf die Verockerungsneigung der geotextilen Filter analysiert. Dazu wurden verschiedene Vliesstoffe (G1-G6) und eine geotextile Sandmatte (G7) verwendet und untersucht. Um den zeitlichen Einfluss der Verockerung auf geotextile Filter besser nachvollziehen zu können, wurden zudem Versuche mit unterschiedlicher Versuchsdauer bei gleichen Randbedingungen durchgeführt (G1 and G1-LT). Die verwendeten Materialien sind in Tab. 2 zusammengefasst. Bei der Wahl der Textilien sind ausschließlich Textilien verwendet worden, die den Anforderungen an Böschungs- und Sohlensicherungen und anderen baulichen Anlagen an Wasserstraßen als Filter entsprechen. 236 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Bewertung d. Funktionsfähigkeit u. Lebensdauer von geotextilen u. mineralischen Filtern in tidebeeinflussten Wasserstraßen bei Verockerungsneigung 3.4 Versuchsergebnisse Insgesamt wurden zehn Verockerungsversuche mit einer Versuchsdauer von 10 h und zwei Kolmationsversuche mit vergleichbaren Randbedingungen sowie ein Langzeitversuch mit einer Versuchsdauer von 50 h durchgeführt. Während dieser Untersuchungen wurden die maßgebenden Verockerungsparameter (DOCP) aufgezeichnet und sämtliche Elemente der Filterkonstruktionen systematisch vor und nach Versuchsdurchführung untersucht. Der Fokus lag hierbei auf den geotechnischen und materialtechnologischen Parametern der Filterstoffe, insbesondere der Durchlässigkeit und begleitenden physikalisch-optischen Untersuchungen sowie chemischen Analysen. Tab. 2: Verwendete Geotextilien und relevante Materialparameter Versuch Nr. Textil Polymer [%] Innere Oberfläche [m² Oberfläche / m² Textil] V H50 nach DIN EN ISO 11058 [mm/ s] O 90 nach DIN EN ISO 12956 [µm] Flächengewicht [g/ m²] G1 A PP [100] 63,1 52 88 464 G2 B PP [100] 100,5 32 71 739 G3 C PET/ PP [70/ 30] 89,5 36 68 723 G4 D PET/ PP [70/ 30] 104,2 30 65 845 G5 E PET/ PP [70/ 30] 119,5 25 61 966 G6 F PES/ PP [50/ 50] 111,9 18 56 744 G7 G 1) PP [100] (+Sand) 101,6 + Sand 4 2) 80 3) 5.500 3) G1-LT A PP [100] 65,2 52 88 479 1) Filtertechnisch wirksames Textil ist das Textil A gemäß Herstellerangabe 2) Durchflussrate nach DIN EN ISO 16416 bestimmt und umgerechnet auf mm/ s 3) gemäß Herstellerangaben Bei allen Verockerungsversuchen zeigte sich, dass das Aquifermaterial sowohl bei den 10 h Versuchen als auch bei dem Langzeitversuch vergleichbare Restdurchlässigkeiten aufwies und keine negativen Auswirkungen aus der Verockerung auf die Durchlässigkeit des Aquifermaterials resultiert. Dies ist auf Umlagerungen im Korngerüst und daraus resultierenden Anpassungen der Fließwege zurückzuführen. Die filtertechnologischen Eigenschaften (aus Korngrößenverteilung) blieben nach Versuchsdurchführung unverändert gegenüber den unbelasteten Werten. Gleiches gilt für die mineralischen Filterauf bauten (Gr1 - Gr3), bei denen keine relevante Veränderung der Durchlässigkeit und der filtertechnologischen Eigenschaften (aus Korngrößenverteilung) gemessen werden konnte. Eine Verringerung der Durchlässigkeit der geotextilen Filter durch eine Verockerung konnte bei den Verockerungsversuchen (G1-G7) nicht bei allen Geotextilien ermittelt werden. Es wurden unveränderte oder verringerte Durchlässigkeiten festgestellt (siehe Abb. 6). Beim Langzeitversuch (G1-LT) konnte eine eindeutige Abnahme der Durchlässigkeit infolge der Verockerung ermittelt werden. Außerdem zeigt sich, dass in der Sandmatte (G7) deutlich mehr Eisen ausfällt als bei reinen Geotextilien. In den durchgeführten Untersuchungen zeigten Geotextilien mit einer großen Öffnungsweite und großer Wasserdurchlässigkeit bei geringer innerer Oberfläche aus einem sich hydrophil verhaltenden Materialmix (PET/ PP oder PES/ PP) geringere Verluste der Wasserdurchlässigkeit als andere Textilien aus reinem Polypropylen (PP) [2]. Abb. 6: Restdurchlässigkeit des Geotextils [%] in Abhängigkeit des Eisengehaltes [mg Fe / m² Textil] 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 237 Bewertung d. Funktionsfähigkeit u. Lebensdauer von geotextilen u. mineralischen Filtern in tidebeeinflussten Wasserstraßen bei Verockerungsneigung Zur Untersuchung der Anhaftungen wurden Analysen mittels Rasterelektronenmikroskop (REM) sowie Energiedispersiver Röntgenspektroskopie (EDX) durchgeführt. In Abb. 7 ist eine geotextile Probe in bis zu 450-facher Vergrößerung dargestellt. In dieser Vergrößerung sind Eisenoxidkonglomerate erkennbar. Diese Anhaftungen sind ebenfalls bei den mineralischen Materialien zu erkennen. Mittels EDX konnte nachgewiesen werden, dass die Strukturen, welche die Filamente teilweise umhüllen, stark eisenhaltig sind. Es wurden in den Geo-textilien aus den experimentellen Untersuchungen hauptsächlich die Elemente Kohlenstoff (C), Sauerstoff (O) und Eisen (Fe) sowie Spuren von Silicium, Aluminium und Chlor nachgewiesen. Entsprechend kann davon ausgegangen werden, dass die vorgefundenen Verockerungsprodukte nicht aus reinen Eisenoxiden, sondern zusätzlich aus Feinstpartikeln (u. a. Si und Al), die im Aquifermaterial vorhanden sind, bestehen. Abb. 7: REM Aufnahmen der Geotextilien nach Versuchsdurchführung (Textil A (G1-LT); eigene Aufnahmen, 2023) 4. In-situ Untersuchungen Ziel dieser Untersuchungen war die Untersuchung der chemischen (abiotischen) und (mikro-) biologischen Verockerungsparameter, der hydraulischen und bautechnischen Randbedingungen in Bereichen mit Verockerungserscheinungen an Bundeswasserstraßen, um die Milieubedingungen von verockerten Filtern zu erfassen. 4.1 Untersuchungsgebiete und Untersuchungsprogramm Anhand von Literaturrecherche, Abfrage bezüglich bekannter Schadstellen bei allen Wasserstraßen- und Schifffahrtsämtern, deren Zuständigkeitsbereich tidebeeinflusste Wasserstraßen umfasst, und Sichtung von vorhandenen Gutachten konnten sämtliche bekannte Schadstellen infolge Verockerung zusammengefasst werden. Diese sind ausschließlich im Bereich der Tideems nördlich von Herbrum und im Bereich der Tideweser bei Neuenkirchen zu finden. Resultierend wurde ein Untersuchungsgebiet für weitere Untersuchungen an der Ems und ein weiteres Untersuchungsgebiet an der Weser vorgesehen. Es wurden Untersuchungen des Grundwassers und Oberflächenwassers über einen Zeitraum eines Jahres durchgeführt. Zusätzlich wurden verockerte Filter und das natürliche Ufermaterial ausgebaut und untersucht. Folgende Messstellen wurden an der Ems definiert/ verwendet: - 2 Grundwassermessstellen (GW1-E und GW2-E) - 1 Oberflächengewässermessstelle (OG-E) - 3 Feststoffprobenahmestellen (E1, E2 und E3) An der Weser wurden folgende Messstellen definiert/ verwendet: - 4 Grundwassermessstellen (GW1a/ b-W, GW2a/ b-W) - 1 Oberflächengewässermessstelle (OG-W) - 2 Feststoffprobenahmestellen (W1 und W2) 4.2 Ergebnisse In Tab. 3 sind die Mittelwerte der aktuellen Messkampagne (2. Quartal 2022 - 1. Quartal 2023) der Grundwasser- und Oberflächenwasserparameter zusammengefasst. Die Beträge gelöster Fe 2+ -Ionen sind sehr unterschiedlich. In den OG-Messstellen und in Messstelle GW2-E konnten nur geringe Beträge an gelöstem Eisen gefunden werden. Die Beträge an Mn 2+ -Ionen im Grundwasser der Ems sind deutlich geringer als die Beträge des gelösten Mangans in der Weser. In den OG- Messstellen sind die Beträge des gelösten Sauerstoffs erwartungsgemäß deutlich höher als in den GW-Messstellen. In Tab. 4 sind maßgebende Parameter der Geotextilproben zusammengefasst. Das Alter der ausgebauten Geo-textilien beträgt zwischen 35 und 39 Jahren. Die Proben wurden einer Reinigung unterzogen, um bewegliche Partikel aus der Filterstruktur zu entfernen. Die Eisen- und Mangangehalte der Geotextilien in der Ems (E1, E2, E3) sind deutlich höher als die in der Weser (W2). Zusätzlich haben sich die 238 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Bewertung d. Funktionsfähigkeit u. Lebensdauer von geotextilen u. mineralischen Filtern in tidebeeinflussten Wasserstraßen bei Verockerungsneigung Flächengewichte deutlich erhöht gegenüber den unbelasteten Werten. Vom Betrag ist der Anstieg deutlich höher als der Betrag an Mangan- und Eisen, sodass von erheblichen weiteren mineralischen und organischen Anhaftungen und immobilen Einlagerungen ausgegangen werden muss. Infolge der Anhaftungen und immobilen Anlagerungen hat sich die Durchlässigkeit um etwa 3 Zehnerpotenzen reduziert, sodass nur noch eine Restdurchlässigkeit von 0,03 - 0,06 % vorhanden ist. Tab. 3: Zusammenfassung der bisherigen GW-/ OG- Probenahmen (2022/ 23) Messstelle Eisengehalt [mg/ l Fe 2+ ] Mangangehalt [mg/ l Mn 2+ ] Gel. Sauerstoff [mg/ l] rH- Wert [-] GW1-E 10,1 0,5 3,8 13,0 GW2-E < 0,1 < 0,1 3,3 19,8 OG-E < 0,2 < 0,1 9,2 23,1 GW1- W 24,6 4,1 3,0 15,3 GW2- W 17,7 3,1 3,2 15,8 OG-W < 0,1 < 0,1 10,0 n.b. Tab. 4: Zusammenfassung der der bisherigen Filterprobenahmen (2022/ 23) Parameter E1 E2 E3 W2 Flächengewicht (v) [g/ m²] 1700 1800 1800 1400 k-Wert (v) [m/ s] 4,1 E-03 2,6 E-03 2,6 E-03 3,9 E-03 Standzeit (b) [a] 35 39 35 39 Flächengewicht (b) [g/ m²] 3408 3470 2316 1527 k-Wert (v) [m/ s] 1,3 E-06 1,1 E-06 1,4 E-06 1,0 E-06 Eisengehalt (b) [g/ m²] 51,1 55,4 60,9 12,6 Mangangehalt (b) [g/ m²] 87,9 109,5 n.b. 3,5 (v) = virgin / unbelastet (b) = belastet Anhand der REM-Aufnahmen und zugehöriger EDX- Spektren ist es möglich, die Anhaftungen besser zu qualifizieren (vgl. Abb. 8). In der Ansicht in Abb.-8a sind umhüllende Strukturen erkennbar. Es sind sowohl Filamente der Filterschicht (dünnere Filamente; ca. 20-30 µm), als auch der Zusatzschicht (dickere Filamente; ca. 150-200 µm) erkennbar. Im Querschnitt (Abb. 8b) sind die Filamente der Zusatzschicht als „schwarze Punkte“ zu erkennen. Die Verockerungsprodukte sind hier als unregelmäßige Struktur erkennbar. Auffallend ist, dass nur vereinzelte Partikel vorhanden sind, die größer als die Öffnungsweite der Geotextilien (80 µm) sind. Die Verockerungsprodukte scheinen entsprechend hauptsächlich aus verschiedensten Feinstpartikeln (< 2µm) zu bestehen. Das EDX-Spektrum (Abb. 8b) zeigt qualitativ die Elementverteilung innerhalb des Messbereichs (MP). Neben Kohlenstoff (C), Sauerstoff (O), Eisen (Fe) und Mangan (Mn) wurden vor allem größere Anteile an Silicium (Si) gefunden. Zusätzlich konnte Aluminium-(Al), Phosphor (P), Kalium (K) und Calcium (Ca) in geringen Mengen detektiert werden. Abb. 8: REM-Aufnahmen und EDX-Spektrum der Geotextilien nach Ausbau (Entnahmestelle: E1; eigene Aufnahmen, 2023) 5. Diskussion Tab. 5 zeigt die Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse aus der Datenauswertung verschiedener GW- Messstellen aus den Jahren 2000 - 2020 [1] und der neu erhobenen Daten unmittelbar hinter dem Deckwerk. Für die Parameter gelöstes Eisen und gelöstes Mangan sowie den rH-Wert wurden Grenzwerte der Grundwasserbeschaffenheit definiert. Die Grenzwerte aus der Vorstudie [1] wurden auf Grundlage der Ergebnisse der Probenahmen empirisch angepasst und können zur 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 239 Bewertung d. Funktionsfähigkeit u. Lebensdauer von geotextilen u. mineralischen Filtern in tidebeeinflussten Wasserstraßen bei Verockerungsneigung Bewertung der Verockerungsneigung herangezogen werden. Gemäß Tab. 3 und Tab. 5 sind die Filter im Bereich der Messstellen GW1-E, GW1-W und GW2-W einer Ver-ockerungsgefahr ausgesetzt, wohingegen für den Bereich um die Messstelle GW2-E keine Verockerungsgefahr besteht. Diese Grenzwertbetrachtung kann dadurch unterstützt werden, da unmittelbar um die Messstelle GW2-E keine Schadensfälle sichtbar sind und keine verockerten Filtermaterialien gefunden wurden. Tab. 5: Grenzwerte des Grundwassers zur Bewertung der Verockerungsneigung Untersuchungsergebnisse Grenzwert (neu) GW a) GW b) Eisengehalt [mg/ l Fe 2+ ] 18,2 (0,1÷52,5) 15,6 (0,1÷33,2) > 0,2 Mangangehalt [mg/ l Mn 2+ ) 1,7 (0,2 ÷ 5,4) 2,4 (0,1 ÷ 4,5) > 0,2 Gelöster Sauerstoff [mg/ l] 0,5 (0÷11,7) 3,2 (0,2÷8,9) n.m. Redoxpotential [mV] -42 (-191÷200) 52 (-119÷260) n.m. rH-Wert [-] 12,1 (3,3÷22,2) 15,7 (10,3÷22,8) < 17 a) Daten aus [1] b) Daten aus neuen Probenahmen Im direkten Vergleich zwischen mineralischem und geotextilem Filter zeigen die experimentellen Untersuchungen deutliche Unterschiede. In den mineralischen Filtern treten hohe Eisengehalte, aber keine relevanten Einschränkungen in Bezug auf die erforderliche Filterleistung auf. Sie haben eine deutlich größere Oberfläche pro m² Filterfläche als die geotextilen Filter. Dementsprechend haben die mineralischen Filter eine viel größere Adsorptionsfläche. Dies bedeutet, dass die Kontaktzone in einem mineralischen Filter viel größer ist und mehr Fe 2+ -Ionen ausgefällt werden können. Allerdings kann es in mineralischen Filter zu lokalen Umlagerungen kommen und die Fließwege können sich immer wieder anpassen. In den geotextilen Filtern treten unterschiedliche Eisengehalte mit teilweise erheblichen Einschränkungen bei der Durchlässigkeit auf. Aufgrund der hohen Robustheit und Zugfestigkeit der Geotextilien können verstopfte oder verengte Fließwege nicht lokal auf brechen. In den durchgeführten Untersuchungen zeigten Geotextilien mit einer großen Öffnungsweite und großer Wasserdurchlässigkeit bei geringer innerer Oberfläche aus einem sich hydrophil verhaltenden Materialmix (PET/ PP oder PES/ PP) geringere Verluste der Wasserdurchlässigkeit als andere Textilien aus reinem Polypropylen (PP). Diese Beobachtungen stützen die von Kuntze [8] gemachten Beobachtungen. Andere Autoren haben bei biologischer Verockerung keine wesentlichen Unterschiede der Verockerungsneigung bei verschiedenen Polymeren festgestellt [9,11]. Abb. 8 zeigt eine epoxidharzgetränkte Probe des Geotextils aus einem Deckwerk an der Ems. Die Kohlenstoff-, Chlor- und Sauerstoffanteile (C, Cl und O) können nicht vollständig auf die Geotextilprobe zurückgeführt werden, da diese Elemente im Epoxidharz vorkommen. Ein Teil des detektierten Sauerstoffs (O) ist in den Eisen- und Manganoxiden gebunden. Sauerstoff, Silicium, Aluminium, Kalium und Calcium kommen hingegen natürlicherweise im Boden, z. B. als Tonminerale, vor. Nach derzeitigem Stand bilden diese Feinstpartikel zusammen mit den Eisen- und Manganoxiden die Verockerungsprodukte, die den Porenraum der Geotextilien verkleinern. Somit ist die verockerungsbedingte Reduktion der Filterdurchlässigkeit in der Wasserstraße nicht ausschließlich auf eine reine Eisen- oder Manganoxidausfällung zurückzuführen. Abb. 9 zeigt den qualitativen Verlauf der Durchlässigkeit verockerter geotextiler Filter über die Lebensdauer. Dieser Verlauf konnte aufgrund eigener Studien und weiterer Studien [6,12] beschrieben werden und soll noch weiter quantifiziert werden. Abb. 9: Verlauf der Wasserdurchlässigkeit mit zunehmender Versuchsdauer / Lebensdauer (grüne Linie; neu gezeichnet und modifiziert nach [6]) Im Rahmen der experimentellen Untersuchungen und einer rein chemischen Verockerung konnte eine Restdurchlässigkeit von min. 59 % ermittelt werden (Abb.- 6). Der Eisengehalt betrug dabei ca. 11,9 (±1,0) g Fe/ m² Geotextil. Mechanische Einlagerungen konnten nicht in relevanter Menge gefunden werden. Die insitu Proben hingegen zeigten eine deutliche Reduktion der Durchlässigkeit über 35 bis 39 Jahre (Restdurchlässigkeit 0,03 - 0,06 %) infolge der Verockerungsprodukte. Das Alter der Geotextilien liegt nahe der erwarteten Lebensdauer von 50 Jahren [7]. Aufgrund der Beschaffenheit der Verockerungsprodukte kann angenommen werden, dass die initiale Durchlässigkeitsreduktion aus der Verstopfung resultiert (vgl. [1]), die dann eine weitere Kolmation begünstigt. Entsprechend ist die Wahl einer den Filterregeln entsprechend möglichst großen Öffnungsweite und Wasserdurchlässigkeit zur Reduzierung der Verockerung und Kolmation empfehlenswert. 240 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Bewertung d. Funktionsfähigkeit u. Lebensdauer von geotextilen u. mineralischen Filtern in tidebeeinflussten Wasserstraßen bei Verockerungsneigung 6. Fazit und Ausblick Um den Prozess der Verockerung mineralischer und geotextiler Filter bei tidebeeinflussten Wasserstraßen besser zu verstehen und Schadensfälle an diesen Stellen zu vermindern oder zu vermeiden, wurden theoretische, experimentelle und in-situ Untersuchungen durchgeführt. Die Schwerpunkte lagen in der Verbesserung des Prozessverständnisses und andererseits in der Prüfung verschiedener Filterkonstruktionen und -materialien. Sowohl an mineralischen Komponenten als auch am Geotextil haften die Verockerungsprodukte an. Die Verockerungsprodukte sind physikochemisch und damit bei laminarer Durchströmung immobil an die Oberfläche gebunden. Die Verockerung von bidirektional durchströmten wasserbaulichen geotextilen Filtern stellt somit eine Verstopfung („internal clogging“) dar. Es zeigte sich, dass die Verockerungsprodukte keine reinen Eisenoxide darstellen, sondern der Hauptanteil aus Feinstpartikeln aus dem Aquifermaterial besteht. Eine klassische Kolmation durch Einlagerungen von Feststoffen im geotextilen Filter wird durch die Verockerung nach derzeitigem Stand der Forschung begünstigt, da Feinstpartikel, die in ihrer ursprünglichen Beschaffenheit durchgängig wären, nun als Einlagerungen in den Verockerungsprodukten die Filterstruktur mit verstopfen können. Zur einfacheren Bewertung der Milieubedingungen hinsichtlich einer Verockerungsgefahr konnten Grenzwerte des Grundwassers definiert werden (Tab. 5). Eine Überbzw. Unterschreitung der Grenzwerte kann auf eine Verockerungsgefahr hindeuten, wohingegen bei Einhalten der Grenzwerte eine Verockerungsgefahr sehr unwahrscheinlich ist. Demnach wäre es denkbar, auch in tidebeeinflussten Wasserstraßen geotextile Filter zu verwenden, wenn die Verockerungsneigung ausgeschlossen werden kann. Mineralische Filter können auch bei Verockerungsneigung eingesetzt werden. Der zeitliche Aspekt bzw. die Reaktionsgeschwindigkeit der experimentellen Untersuchungen ist gegenüber den Realbedingungen zukünftig noch zu quantifizieren und zu vergleichen. Aus den zusammengefassten Ergebnissen wird zukünftig eine genauere Prognose der Lebensdauer geotextiler Filterkonstruktionen bei Verockerungsneigung möglich. Danksagung Die Autoren bedanken sich bei der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) für die sehr konstruktive Zusammenarbeit und die fachlichen und methodischen Hinweise. Diese Arbeit wurde von der BAW finanziell unterstützt. Darüber hinaus danken wir Herrn Dr. Christian Vollmer vom Institut für Mineralogie der Universität Münster für seine Unterstützung bei den rasterelektronenmikroskopischen Untersuchungen und der energiedispersiven Röntgenanalyse. Literatur [1] Tophoff, L.; Kreyenschulte, M.; Schüttrumpf, H.; Heimbecher, F.: Verockerung wasserbaulicher Filteranlagen: Stand der Wissenschaft und notwendige Untersuchungen. In: Grundwasser - Zeitschrift der Fachsektion Hydrogeologie 27 (4) 2022. S. 295- 308. [2] Tophoff, L.; Finklenburg, B.; Schriewer, E.-L.; Schüttrumpf, H.: Planung und Durchführung der physikalischen Modellversuche zur Prüfung der Funktionstüchtigkeit von mineralischen und geotextilen Filtern bei Verockerungsneigung. Bericht B2022017 vom 25.09.2023. Aachen. 2023. (unveröffentlicht). [3] Bundesanstalt für Wasserbau (Hg.): BAWMerkblatt Anwendung von Regelbauweisen für Böschungs- und Sohlensicherungen an Binnenwasserstraßen (MAR). Karlsruhe. 2008. [4] Kuratorium für Forschung im Küsteningenieurwesen (Hg.): Die Küste, Heft 88, EAK 2002, Empfehlungen für Küstenschutzwerke, 3. korrigierte Ausgabe. 2020. [5] Correia, L.G.C.S.; Ehrlich, M.; Mendonca, M.B.; Keim, C.N.: Laboratory studies on ochre formation and removal from geotextile filters. In: Can. Geotech. J. 60 (1) 2023. S. 31-43. [6] Weidner, C.: Experimental modelling and prevention of chemical Fe-clogging in deep vertical wells for open-pit dewatering. Dissertation. RWTH Aachen. 2015. [7] Tophoff, L.; Schüttrumpf, H.; Heimbecher, F.; Kunz, N.: Einsatz von geotextilen und mineralischen Filtern in tidebeeinflussten Wasserstraßen bei Verockerungsneigung. Tagungsband zur 18. FS-KGEO 2023. S. 470-475. [8] Kuntze, H.: Verockerungen. Diagnose und Therapie; nach KWK-Versuchen 1956-1976. Schriftenreihe des Kuratoriums für Wasser und Kulturbauwesen, 32. Hamburg, Parey. 1978. [9] Mendonca, M.B.; Ehrlich, M.; Cammarota, M.C.: Conditioning factors of iron ochre biofilm formation on geotextile filters. Canadian Geotech. Journal 40 (6). 2003. [10] Hem, J.D.: Study and Interpretation of the Chemical Characteristics of Natural Water. U.S. Geological Survey Water-Supply Paper 2254, 3. Ausgabe 1985. S. 76-89. [11] Zhang, Y.; Tang, Q.; Shi, P.; Katsumi, T.: Influence of bio-clogging on permeability characteristics of soil. Geotextiles and Geomembranes (3), S. 707- 721. 2021. [12] Liu, S.; Wang, Y.; Di, F.: Influence of polyurethane foam on chemical clogging of nonwoven geotextile and tailings caused by ferrous iron. In: Textile Research Journal 91 (9-10), S. 1094-1103. 2021. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 241 Festlegung charakteristischer Grundwasserstände für Tragfähigkeitsnachweise von Wasserbauwerken Ermittlung am Beispiel einer Schleuse Dipl.-Ing. Kerstin Ratz Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe Zusammenfassung Für den Nachweis der Tragfähigkeit von geplanten Wasserbauwerken, wie bspw. Wehranlagen oder Schleusen, sind charakteristische Einwirkungen zu ermitteln, die nach DIN 19702 in ständige, veränderliche und außergewöhnliche Einwirkungen unterschieden werden. Für die Festlegung der aus dem Grundwasser resultierenden Einwirkungen bzw. Beanspruchungen in den unterschiedlichen Bemessungssituationen werden charakteristische Grundwasserstände benötigt. Die charakteristischen Grundwasserstände dienen zur Ermittlung der auf das Bauwerk einwirkenden charakteristischen Wasserdrücke (charakteristische Einwirkungen) oder der daraus resultierenden charakteristischen Kräfte und Momente (charakteristische Beanspruchungen des Bauwerks). Da das Grundwasserpotential im Bereich von Wasserbauwerken meist mit den Gewässerwasserständen korreliert, sind für die Ermittlung der maßgebenden Grundwasserstände die abflussabhängig variierenden Gewässerwasserstände im Ober- und Unterwasser der Bauwerke zu berücksichtigen. Aufgrund des signifikanten Einflusses der charakteristischen Grundwasserstände auf die Bemessung der Wasserbauwerke sind vereinfachte konservative Ansätze zur Bestimmung der charakteristischen Grundwasserstände oftmals im Hinblick auf wirtschaftliche Bauweisen nicht möglich. In dem Beitrag wird daher die grundsätzliche Vorgehensweise zur Bestimmung charakteristischer Grundwasserstände für verschiedene Bemessungssituationen in Abhängigkeit der zu führenden Nachweise anhand von vorliegenden Grund- und Oberflächenwasserstandsmessungen aufgezeigt. 1. Einleitung Einen wesentlichen Einfluss auf die Bemessung von Wasserbauwerken haben zumeist die aus Grund- und Oberflächenwasser resultierenden Druck- und Strömungskräfte. Dies betrifft sowohl die im Betriebszustand auf das Bauwerk und den Baugrund einwirkenden Kräfte als auch die während des Bauzustands auf die Baugrube und deren Verbau einwirkenden Kräfte. Diese Kräfte sind i. d. R. sowohl räumlich als auch zeitlich veränderlich und weisen oft einen erheblichen Schwankungsbereich auf. Um einerseits eine ausreichende Sicherheit des Bauwerks zu gewährleisten und andererseits eine wirtschaftliche Bemessung zu ermöglichen, sind die aus Grund- und Oberflächenwasser resultierenden Kräfte und Beanspruchungen unter Berücksichtigung der Schwankungsbereiche und deren Unsicherheiten sowie der gegenseitigen Abhängigkeiten festzulegen. Nachstehend wird anhand des Beispiels einer Schleuse die Ermittlung von charakteristischen Grundwasserständen für die Tragfähigkeitsnachweise von Massivbauwerken im Wasserbau erläutert. Insbesondere wird auf die Schwierigkeiten bei der Festlegung charakteristischer Werte für die Einwirkungen eingegangen, die sich aus der Abhängigkeit der Grundwasserverhältnisse von den Oberflächenwasserständen ergeben. 2. Normative Grundlagen Die für ein Massivbauwerk zu führenden Nachweise gliedern sich auf in: - bautechnische Tragfähigkeitsnachweise und - geotechnische Standsicherheitsnachweise (bspw. Gleiten, Kippen, Aufschwimmen) Der Eurocode DIN EN 1990 (2021) ist die europäische Grundlagennorm für die Tragwerksplanung und stellt zusammen mit dem nationalen Anhang DIN EN 1990/ NA (2010) auch die Grundlage für die statische Bemessung von massiven Wasserbauwerken der deutschen Bundeswasserstraßen dar. Die auf dem Eurocode basierende DIN 19702 (2013) legt die ergänzenden, grundlegenden Anforderungen an die Zuverlässigkeit (Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit) für Massivbauwerke im Wasserbau fest. Eine detaillierte Zusammenstellung der wesentlichen Regelungen dieser Normen für den Ansatz von Einwirkungen aus Grund- und Oberflächenwasser enthält Odenwald (2012). Grundlage der geotechnischen Standsicherheitsnachweise und der Bestimmung der charakteristischen Einwirkungen bildet in der WSV DIN EN 1997-1 (2009) in Verbindung mit DIN 1054 (2021). Für die Festlegung der charakteristischen Grundwasserstände für den Nachweis der Tragfähigkeit und der Gebrauchstauglichkeit von Massivbauwerken im Wasserbau bildet die DIN 19702 die normative Grundlage. Hier heißt es: 242 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Festlegung charakteristischer Grundwasserstände für Tragfähigkeitsnachweise von Wasserbauwerken - Die zu erwartenden Änderungen der Grundwasserverhältnisse sind für alle maßgebenden Bau- und Betriebszustände zu prognostizieren. - Die Wasserstände sind unter der Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten und der Auswertung der hydrologischen und hydrogeologischen Verhältnisse festzulegen. - Der Wasserdruck ist als veränderliche Einwirkung zu betrachten. Nur bei einer Begrenzung durch geometrische Randbedingungen kann er als ständige Einwirkung angesetzt werden. - Eine Verminderung des Wasserdrucks durch bauliche Maßnahmen, z. B. durch Dräns, darf nur berücksichtigt werden, wenn ihre Wirkung kontrolliert wird. - Der charakteristische Wert veränderlicher Einwirkungen ist in der Regel mit einem Wiederkehrintervall von T-=-100-a und für außergewöhnliche Einwirkungen mit einem Wiederkehrintervall von T-= 1000 a festzulegen. - Zu den einzelnen Wasserständen auf der einen Seite eines Bauwerks (z. B. Oberwasser) gehört ein Spektrum möglicher Wasserstände auf der anderen Seite des Bauwerks (z. B. Unterwasser) sowie ein Spektrum möglicher, zugehöriger Grundwasserstände. (Bestimmung der Korrelationen zwischen Oberflächen- und Grundwasserständen und der maßgebenden Wasserstandsdifferenzen zur Festlegung charakteristischer Werte der Einwirkungen) Zusammenfassend bedeutet das, für bautechnische Tragfähigkeitsnachweise ist nach DIN 19702 der Wasserdruck als veränderliche Einwirkung zu betrachten. Nur bei Begrenzung durch geometrische Randbedingungen kann er als ständige Einwirkung angesetzt werden. Zudem ist keine Verrechnung der Wasserdrücke vorgesehen, da die Berücksichtigung von ungünstigen und günstigen Einwirkungen vorzunehmen ist. Eine Ausnahme bildet der Fall der direkten Abhängigkeit der Wasserstände bei um- oder unterströmten Bauwerken. Für geotechnische Standsicherheitsnachweise gelten die Regelungen aus EC 7-1. Hier wird eine Verrechnung der Wasserdrücke zu einer Einwirkung vorgesehen und die Einwirkungen aus Wasserdruck werden wie ständige Einwirkungen angesetzt. Es sind somit obere und untere charakteristische Werte aus Wasserdrücken für folgende Bemessungssituationen (BS) festzulegen: - ständige BS (BS-P) (Wasserstandskombinationen bis BHQ 1 (HQ 100 )) - vorübergehende BS (BS-T) (Bau- und Revisionszustände / Wasserstandskombinationen bis vorgegebenem Schutzziel) - außergewöhnliche BS (BS-A) (Ausfall Sicherungselemente, BHQ 2 (HQ 1000 )) 3. Vorstellung des betrachteten Bauwerks Zur Veranschaulichung der Vorgehensweise wird die Festlegung charakteristischer Grundwasserstände am Beispiel einer Schleuse an einem staugeregelten Fluss gezeigt. Die Schleuse ist Teil einer Staustufe, die aus einer Schleuse mit einer Kammer, einer Wehranlage und einem direkt daran anschließenden Kraftwerk (Abb. 1 ) besteht, wie es für Bundeswasserstraßen üblich ist. Gegründet ist die Schleuse auf geklüftetem Festgestein, am Ufer steht oberhalb des Festgesteins Lockergestein in Form von Auffüllung und quartären Sedimenten an. Abb. 1: Foto einer Schleusenanlage an einer Bundeswasserstraße 4. Festlegung charakteristischer Grundwasserstände 4.1 Allgemeine Zusammenhänge Bei der Bemessung maßgebende Einwirkungen auf Schleusen sind neben den Erddrücken Belastungen aus Wasser. Dies sind zum einen Wasserstände im Gewässer (Oberwasser und Unterwasser) und zum anderen der Grundwasserstand. Die Wasserstände entlang einer Schleuse sind i. d. R. nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich veränderlich und weisen oft einen erheblichen Schwankungsbereich auf. Für die fachgerechte Festlegung ist es somit erforderlich, dass sowohl Grundals auch Oberflächenwasserstandsmessungen in ausreichender räumlicher und zeitlicher Auflösung vorhanden sind. Hierzu gehören Grundwassermessstellen (GWM) entlang der Schleuse (Abb. 2 ) und Pegel im Ober- und im Unterwasser im Gewässer. Sind unterschiedliche Grundwasserleiter vorhanden, sollten diese separat z.- B. mit flachen (im Lockergestein verfilterten) und tiefen (im Festgestein verfilterten) Grundwassermessstellen erkundet werden. Im vorliegenden Anwendungsbeispiel sind keine getrennten Grundwasserleiter vorhanden. Abb. 2: Schleuse mit GWM 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 243 Festlegung charakteristischer Grundwasserstände für Tragfähigkeitsnachweise von Wasserbauwerken Infolge der Stauregelung sind im Oberwasser einer Schleuse meist nur geringe Wasserstandsschwankungen vorhanden. Der Unterwasserstand schwankt jedoch meist deutlich in Abhängigkeit des vorhandenen Abflusses. I. d. R. ist der Grundwasserstand abhängig vom Gewässerwasserstand, wobei eine landseitige Umströmung der Schleuse von Oberwasser nach Unterwasser stattfindet. Oberwasserseitig gelegene GWM zeigen einen Grundwasserstand in etwa auf Höhe des Oberwasserstands (siehe auch GWM 1 in Abb. 2). Hingegen weisen am unterwasserseitigen Ufer gelegene GWM einen Gang ähnlich dem Unterwasserstand auf (GWM 4 in Abb. 3 ). Entlang der Schleuse ist ein deutliches Grundwassergefälle zu sehen. Der Grundwasserstand liegt je nach vorhandenen Fließhindernissen und entsprechendem Potenzialabbau zwischen dem Ober- und dem Unterwasserstand und weist meist eine deutliche Korrelation mit dem Unterwasserstand auf. D. h. der Grundwasserstand neben einer Schleuse steigt und fällt mit steigendem und fallendem Unterwasserstand, jedoch zeitlich verzögert und leicht gedämpft. Zur Veranschaulichung der Korrelation zwischen Grund- und Unterwasserstand sowie der auftretenden Wasserstandsdifferenz ist in Abb. 4 ein Abschnitt der Wasserstandsganglinien der Grundwassermessstelle GWM 2 und des Unterwassers dargestellt. Dargestellt ist die zum jeweiligen Messzeitpunkt ermittelte Differenz zwischen dem im Unterwasser und dem in der Grundwassermessstelle gemessenen Wasserstand. Die Abbildung umfasst sowohl den Zustand für Unterwasser bei Niedrigwasserstand als auch für ein Hochwasser. Die Darstellung erfolgt exemplarisch für die Grundwassermessstelle GWM 2. Die anderen Grundwassermessstellen zeigen ein ähnliches Verhalten, die Grundwasserstandsganglinien sind jedoch zumeist geringer gegenüber dem Unterwasserstand gedämpft, d.-h. sie steigen stärker an als die Ganglinien der GWM-2. Abb. 3: Ganglinien von Grund- und Gewässerwasserstandsmessungen Es sind grundsätzlich zwei Arten von Wasserstandsdifferenzen zu unterscheiden: - Der Grundwasserstand (GW) liegt über dem Gewässerwasserstand (grüner Bereich in Abb. 4) oder - der Gewässerwasserstand liegt über dem Grund-wasserstand (roter Bereich in Abb. 4). Abb. 4: Wasserstandsdifferenzen Für Unterwasser (UW) auf Niedrigwasserstand liegen die gemessenen Grundwasserstände oberhalb des Unterwasserstandes (GW > UW). Die maximale im Bereich der Schleuse ermittelte Differenz für GW > UW wurde an den Grundwassermessstellen bei Niedrigwasser gemessen. Bei ansteigendem Hochwasser kehren sich die Verhältnisse um und der Unterwasserstand steigt über den Grundwasserstand an. Der Grundwasserstand steigt zeitlich verzögert an und der Anstieg ist je nach Lage der Messstelle deutlich geringer als der Anstieg des Wasserstands im Unterwasser. Die Grundwasserstandsspitze wird bei kurz anhaltenden Hochwasserwellen erst bei bereits abklingenden Wasserständen im Gewässer erfasst. Unter Berücksichtigung der Schleusungsvorgänge kann der Wasserstand in der Schleuse in folgenden Situationen höher als der Grundwasserstand sein: - Wasserstand in der Schleuse auf Oberwasser (Abb.- 5 links) oder - Wasserstand in der Schleuse auf Unterwasser bei einem schnellen Anstieg des Gewässerwasserstands während eines Hochwasserereignisses (Abb.- 5 rechts). Die größte Differenz ergibt sich in diesem Fall bei einem Wasserstand in der Schleuse auf Oberwasser und einem Grundwasserstand, der sich bei Niedrigwasser einstellt. Abb.-5: Schematische Darstellung der möglichen Wasserstandsdifferenz für den Fall GW < Schleusenwasserstand Für die Standsicherheit der Schleuse maßgebender ist jedoch der Fall, dass der Grundwasserstand höher ist als Schleusenwasserstand. Dies tritt ein bei: - Wasserstand in der Schleuse auf Unterwasser bei ablaufender Hochwasserwelle (Abb. 6 rechts) oder 244 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Festlegung charakteristischer Grundwasserstände für Tragfähigkeitsnachweise von Wasserbauwerken - Wasserstand in der Schleuse auf Unterwasser bei Mittelbis Niedrigwasserständen (Abb. 6 links). Hierbei treten die größten Differenzen bei niedrigen Wasserständen im Unterwasser auf. Abb. 6 : Schematische Darstellung der möglichen Wasserstandsdifferenz für den Fall GW > Schleusenwasserstand Die für die Bemessung maßgebenden Wasserstandsdifferenzen in der ständigen Bemessungssituation (BS-P) ergeben sich für die Schleuse aus der Kombination „Schleuse auf Oberwasserstand - tiefer Grundwasserstand“ und „Schleuse auf Unterwasserstand hoher Grundwasserstand“ und sowie „trockengelegte Schleuse zugehöriger maximaler Grundwasserstand“ in der vorübergehenden Bemessungssituation (BS-T). Zudem sind noch Wasserstände in der außergewöhnlichen Bemessungssituation (BS-A) anzugeben. Diese Wasserstandskombinationen können unter Berücksichtigung ausreichender Sicherheitszuschläge bei kurzen Messreihen anhand der beobachteten Abhängigkeiten durch Auswertung der Ganglinien festgelegt werden. Liegen Grundwasserstandsganglinien der Messstellen über einen ausreichend langen Zeitraum vor (min. 5 Jahre) kann zur Bestimmung charakteristischer Grundwasserstände jedoch eine statistische Auswertung der jährlichen Grundwasserhochstände herangezogen werden. Dazu werden für die im Unterwasser gemessenen, maximalen jährlichen Hochwasserstände die zugehörigen maximalen Grundwasserstände in den einzelnen Messstellen ermittelt (jeweils innerhalb hydrologischer Jahre vom 1.-November bis zum 31.-Oktober) und grafisch dargestellt (Abb. 7 ). Auf Grundlage der ermittelten Daten werden Regressionsgraden für die Beziehung zwischen Hochwasserstand und Grundwasserstand bestimmt. Diese Regressionsgeraden sind ebenfalls in Abb. 7 mit den zugehörigen Geradengleichungen sowie dem Bestimmtheitsmaß R² dargestellt. Das Bestimmtheitsmaß gibt an, wie gut die durch die Regressionsgerade beschriebenen Werte mit den Messwerten übereinstimmen. Aus dieser Auswertung kann für bestimmte Unterwasserstände der zugehörige Grundwasserstand ermittelt werden. Abb. 7: Grafische Darstellung der jährlichen Maximalwerte der Grund- und Unterwasserstandsmessungen Um Unsicherheiten bei der Ermittlung der Grundwasserstände für vorgegebene Unterwasserstände über die lineare Regression zu berücksichtigen, kann für die Bestimmung der oberen charakteristischen Grundwasserstände der aus der Regression ermittelte Grundwasserstand um die Standardabweichung s Reg der Messwerte von der jeweiligen Regressionsgeraden erhöht werden. In den nachfolgenden Kapiteln werden die für die Ermittlung der Bemessungswerte der Schnittgrößen benötigten (charakteristischen) Grundwasserstände in Abhängigkeit von der Höhe der zugehörigen Gewässerwasserstände angegeben. Entsprechend der Vorgabe nach EC 0 werden obere und untere Werte ermittelt. Die charakteristischen Grundwasserstände können für die einzelnen Bemessungssituationen für das Ober- und das Unterhaupt der Schleuse angegeben werden. Liegen keine zusätzlichen Angaben über künstliche Grundwasserstauer (z.-B. senkrecht zur Schleuse verlaufende Spundwand) zwischen Oberhaupt und Unterhaupt vor, kann bei dazwischen liegenden Bemessungsschnitten zwischen den angegebenen Werten linear interpoliert werden. 4.2 Ständige Bemessungssituation Als charakteristische Einwirkungen sind nach DIN 19702 in der ständigen Bemessungssituation die Auswirkungen von Wasserständen bis zu einem 100-jährlichen Hochwasser (entsprechend der rechnerischen Nutzungsdauer des Bauwerks) anzusetzen. Das höchste im Messzeitraum erfasste Hochwasser entspricht meist einem Hochwasser mit einer deutlich geringeren Auftretenswahrscheinlichkeit. Zudem ist zu berücksichtigen, dass Schleusen Teil einer Staustufe sind, in denen der Wasserstand im Oberwasser durch ein Wehr geregelt wird. DIN 19700-13 unterscheidet dabei in vollregelnde und teilregelnde Wehre. Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein teilregelndes Wehr, d.-h. bei einem 100-jährlichen Hochwasser findet keine Stauregelung mehr statt und der Wasserstand im Oberwasser steigt ebenfalls mit an. Kommt es dadurch zu einer Überflutung der Vorländer, wird der Grundwasserstand im Porengrundwasserleiter, vor allem bei einem Hochwasser mit einem relativ lang anhaltenden Hochwasserscheitel, bis nahezu auf Hochwasserniveau ansteigen. Bei einer schnell ablaufenden Hochwasserwelle wird 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 245 Festlegung charakteristischer Grundwasserstände für Tragfähigkeitsnachweise von Wasserbauwerken der Grundwasserstand, wie oben gezeigt, deutlich nachlaufen, so dass sich eine relativ große Potenzialdifferenz zwischen dem Grundwasserstand und einem Wasserstand in der Schleuse auf Unterwasser ergibt. Die maximal auftretende Differenz zwischen Grund- und Unterwasserstand ist jedoch deutlich geringer als die maximal mögliche Differenz zwischen dem maximal möglichen Grundwasserstand (z. B. Oberkante Gelände neben der Schleuse) und dem minimalen Unterwasserstand. Dieser Ansatz liegt für die Bemessung einer Schleuse somit zu sehr auf der sicheren Seite. Nach DIN 19702 kann ein durch geometrische Randbedingung begrenzter Wasserstand als ständige Einwirkung angesetzt werden. Es ist somit bei der Ermittlung charakteristischer Grundwasserstände zu untersuchen, ob dieser Fall bei einem 100-jährlichen Hochwasser eintreten kann. Die ermittelte maximale Differenz zwischen Unterwasserstand und Grundwasserstand tritt im Schleusenbereich nicht während des Hochwassers sondern während Niedrigwasser auf. Daher sind auch für diesen Fall charakteristische Grundwasserstände anzugeben. Für die Standsicherheitsnachweise in der ständigen Bemessungssituation (BS-P) wird demnach unterschieden in: Ablaufende HW-Welle (Abb. 8, links): - Grundwasserstand hoch anstehend (evtl. aus linearer Regression ermittelt). - Maximal durch Oberkante Schleusenwand begrenzt. - Gewässerwasserstand bereits abgesunken. - Auf der sicheren Seite liegend kann die Differenz der Wasserstände aus den Niedrigwasserzeiträumen angesetzt werden. Alternativ kann eine maßgebende Wasserstandsdifferenz anhand der Auswertung der gemessenen Wasserstandsdifferenzen nach beobachteten Hochwässern angegeben werden. Niedrigwasser (Abb. 8, rechts): - Schleusenwasserstand auf Unterwasser bei Niedrigwasser und Grundwasserstand entlang der Schleuse entsprechend der gemessenen Differenzen (aus Ganglinien ermittelt). Abb. 8 : Darstellung charakteristischer Wasserstände in der BS-P (links oberer Wert: ablaufende HW-Welle, rechts unterer Wert: NW) 4.3 Vorübergehende Bemessungssituation Als vorübergehende Bemessungssituation ist der Revisionszustand mit Trockenlegung der Schleusenkammer zwischen den Revisionsverschlüssen zu betrachten. Die Revision der Schleusenkammer wird bis zu einem vorgegebenen Hochwasserstand, der maximal der Oberkante des Revisionsverschlusses im Unterwasser entspricht, durchgeführt. Daher ergeben sich als obere charakteristische Grundwasserstände entlang der Schleuse die Grundwasserstände bei einem Hochwasser, welches der Höhe des Revisionsverschlusses im UW entspricht (Abb. 9 , links). Diese Grundwasserstände können wie oben beschrieben mittels linearer Regression ermittelt werden. Als unterer charakteristischer Wert wird der Grundwasserstand bei Niedrigwasser (NW) im UW angesetzt, der anhand der Ganglinien ermittelt werden kann (Abb. 9 , rechts). Revision: - Trocken gelegte Schleusenkammer in Kombination mit - GW bei HW (OK Revisionsverschluss) als oberer charakteristischer Wert und - GW bei NW als unterer charakteristischer Wert. Abb. 9 : Darstellung charakteristischer Wasserstände in der BS-T (links obere Wert: HW, rechts unterer Wert: NW) Dieses Vorgehen lässt sich auch auf einen eventuell geplanten Bauzustand übertragen. Hier wäre der obere charakteristische Grundwasserstand durch die Oberkante der geplanten Baugrubenverbauwand bzw. den Hochwasserstand vorgegeben, bis zu dem die Baugrube trocken gehalten werden soll. 4.4 Außergewöhnliche Bemessungssituation In der außergewöhnlichen Bemessungssituation ist zusätzlich zu jeweils maßgebenden ständigen und veränderlichen Einwirkungen eine außergewöhnliche Einwirkung aus Wasser- und Grundwasserständen zu berücksichtigen, die über die in der ständigen oder der vorübergehenden Bemessungssituation angesetzten Hochwasserstände hinausgehen oder die durch ein hydraulisches Versagen von baulichen Sicherungselementen hervorgerufen werden. Nach DIN 19702 ist für die außergewöhnliche Einwirkung der Wasserstand mit BHQ 2 nach DIN 19700-13 anzugeben. Dies entspricht bei Bundeswasserstraßen meist einem HQ 1000 . Ist die Schleusenanlage bereits bei HQ 100 überströmt, sind die auftretenden Wasserstandsdifferenzen beim Ablaufen der Hochwasserwelle entsprechend den Wasserstandsdifferenzen in der ständigen Bemessungssituation anzusetzen. Somit ergeben sich daraus die gleichen Einwirkungen wie in der ständigen Bemessungssituation und es ist keine weitere Angabe von charakteristischen Grundwasserständen in dieser Bemessungssituation erforderlich. Es ist jedoch im Einzelfall zu prüfen, ob ein bauliches Sicherungselement existiert, dessen hydraulisches Versagen berücksichtigt werden muss. 246 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Festlegung charakteristischer Grundwasserstände für Tragfähigkeitsnachweise von Wasserbauwerken 5. Zusammenfassung Für die Festlegung von charakteristischen Grundwasserständen und die Ermittlung von Einwirkungen aus dem auf die Schleuse einwirkenden Wasserdruck lässt sich folgendes festhalten: - Grundwasserstand und Schleusenwasserstand sind nicht entkoppelt, d.-h. eine Verrechnung ist auch nach DIN 19702 zulässig. - Die maximalen Wasserstandsdifferenzen zwischen Grund- und Gewässerwasserstand treten meist bei Niedrigwasserständen und nicht bei ablaufender Hochwasserwelle auf. - Zu einem charakteristischen Grundwasserstand ist immer auch der zugehörige Kammerwasserstand anzugeben. - Es ist darauf zu achten, ob es eine räumliche Begrenzung für die Höhe des möglichen Grundwasserstandes gibt. - Gibt es keine stauenden Einbauten (z. B. Spundwände quer zum Fließweg) kann zwischen den angegebenen Wasserständen entlang der Schleuse interpoliert werden. Zur Festlegung der maßgebenden charakteristischen Wasserstände (mit einer Überschreitungs-wahrscheinlichkeit von einem Mal pro Lebensdauer des Bauwerks) sind ausreichend Messungen erforderlich. Dies gilt insbesondere für Grundwasserstandsmessungen, bei denen sowohl eine ausreichende Anzahl von Messstellen als auch ein ausreichender Messzeitraum sowie ein geeignetes Messintervall benötigt werden. Bei einem frei fließenden oder staugeregelten Gewässer ist zumeist ein Messzeitraum von mindestens fünf Jahren mit einem geeigneten Messintervall zur Erfassung hochwasserbeeinflusster Grundwasserstände erforderlich. Dies ist insbesondere notwendig, wenn Aussagen über die Korrelation zwischen Grund- und Oberflächenwasserständen und eine daraus resultierende, maßgebende Wasserstandsdifferenz getroffen werden sollen. Um eine ausreichende zeitliche Auflösung der Grundwassermessungen mit einer Erfassung der Wasserstandsdifferenzen bei Hochwasserereignissen zu erhalten, bietet sich die Ausstattung der Messstellen mit Druckaufnehmern und Datenloggern an. Diese sollten regelmäßig (etwa halbjährlich) über händische Messungen mit dem Lichtlot überprüft werden. Aus diesen Gründen ist bei geplanten Baumaßnahmen von massiven Wasserbauwerken eine frühzeitige Erstellung eines geeigneten Grundwassermesssystems mit entsprechender Messdatenerfassung und Messdatenauswertung erforderlich. Literatur [1] DIN EN 1990: 2021-10: Eurocode: Grundlagen der Tragwerksplanung. Deutsche Fassung EN 1990: 2002 + A1: 2005 + A1: 2005/ AC: 2010. Beuth Verlag, Berlin [2] DIN EN 1990/ NA: 2010-12: Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter - Eurocode: Grundlagen der Tragwerksplanung. Beuth Verlag, Berlin. [3] DIN EN 1997-1: 2009-09: Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik - Teil 1: Allgemeine Regeln. Beuth Verlag, Berlin [4] DIN EN 1997-1/ NA: 2010-12: Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter - Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik - Teil 1: Allgemeine Regeln. Beuth Verlag, Berlin. [5] DIN 1054: 2021-04: Baugrund - Sicherheitsnachweise im Erd- und Grundbau - Ergänzende Regelungen zu DIN EN 1997-1. Beuth Verlag, Berlin [6] DIN 19702: 2013-02: Massivbauwerke im Wasserbau - Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit. Beuth Verlag, Berlin. [7] DIN 19700-13: 2019-06: Stauanlagen - Teil 13: Staustufen. Beuth Verlag, Berlin. [8] Odenwald, Bernhard (2012): Einwirkungen und Beanspruchungen aus Grundwasser und Oberflächenwasser. In: Bundesanstalt für Wasserbau (Hg.): Neue Normen und Regelwerke in der Geotechnik. Karlsruhe: Bundesanstalt für Wasserbau. S. 11-26. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 247 Standsicherheit von Böschungen unter temporär auftretendem Wasser Dr.-Ing. Gerd Festag Dr. Spang Ingenieurgesellschaft für Bauwesen, Geologie und Umwelttechnik mbH, Witten Prof. Dr.-Ing. Jens Gattermann Hochschule Augsburg, Fakultät für Architektur und Bauwesen Sabrina Denne, M. Sc. Dr. Spang Ingenieurgesellschaft für Bauwesen, Geologie und Umwelttechnik mbH, Witten Zusammenfassung Temporär auftretendes Wasser in insbesondere künstlich angelegten Einschnittsböschungen führte in der Vergangenheit wiederholt zu Schadensfällen an Verkehrswegen. Die vorgestellte Untersuchung beschäftigt sich mit den Wirkprinzipien von temporären Wasser in Böschungen und den Mechanismen bezüglich der Standsicherheit. Dazu werden Ergebnisse aus Modellversuchen und begleitende numerische Untersuchungen vorgestellt, um die maßgeblichen Einflussfaktoren herauszuarbeiten. 1. Einführung Bei der Herstellung von Einschnitten bzw. Böschungen können infolge von temporär auftretenden Grund- oder Schichtwässern unerwartete Rutschungen bzw. Geländebrüche auftreten. Tritt dies während der Bauausführung auf, werden Arbeitsunterbrechungen zur Erkundung der Ursachen sowie anschließende Sanierungsmaßnahmen notwendig. Die nachfolgend beschriebenen Untersuchungen beschäftigten sich daher mit den Wirkprinzipien von temporären Wasser in Böschungen, den Mechanismen bezüglich der Standsicherheit und den möglichen Untersuchungsmethoden zur Feststellung von temporären Wässern in Böschungen Die Forschungsarbeit ist in [1] ausführlich dokumentiert. 2. Literaturstudie Im Rahmen des Forschungsvorhabens wurden in einem ersten Schritt bekannte Schadensfälle erfasst und systematisch ausgewertet. Die im Rahmen der Literaturstudie identifizierten Schadensfälle wurden systematisch ausgewertet und u. a. hinsichtlich der Geologie, der Hydrologie und der (vermuteten) Schadensursache kategorisiert. Die Auswertung der erfassten Schadensfälle an Böschungen zeigt, dass temporär auftretendes Wasser in ca. 85-% der Fälle als schadensursächlich anzusehen ist. Sicherlich ist dies in vielen Fällen nicht die einzige Schadensursache, zeigt jedoch die Bedeutung temporäre Wasserführungen richtig abzuschätzen und in der Beurteilung von Böschungen zu berücksichtigen. Bei den dokumentierten Schadensereignissen spielt die Höhe eines saisonal wechselnden, geschlossenen Grundwasserstandes nur sehr selten eine Rolle. Temporär auftretende Schichtwässer sind bei den Schadensereignissen als dominante Erscheinungsform anzusehen. Es handelt sich dabei um an Durchlässigkeitsunterschiede im Baugrund gebundene, überwiegend geringmächtige Wasservorkommen, die entlang einer Schichteinheit sich sammeln und ablaufen. Es kann sich dabei um häufig auftretende, niederschlagswassergespeiste Wässer (wie zum Beispiel Hangquellaustritte) handeln oder um schwebende Wasserkörper, die sich lokal auf undurchlässige Schichteinheiten aufstauen und in der Böschung ausfließen können. Als weitere regelmäßig vorkommende Schadensursachen sind Oberflächenwasser und Erosionen zu nennen. Diese Phänomene wurden in den Untersuchungen nicht weiter betrachtet. Bemerkenswert bei den dokumentierten Schadensfällen ist, dass der Baugrund etwa in einem Drittel der Fälle als homogen beschrieben wird. In einem homogenen Baugrund dürften sich keine Schichtwässer bilden können, es wäre von einer weitgehend vertikalen Versickerung von eintretenden Oberflächenbzw. Niederschlagswasser auszugehen. Dies dürfte jedoch im Allgemeinen nicht zu einem Versagen der Böschung führen. Wahrscheinlich sind in diesen Fällen feine Durchlässigkeitsunterschiede in den in der Böschung anstehenden Böden ursächlich, die zu Schichtwässern führen und während der Erkundung nicht hinreichend genau wahrgenommen wurden. In der Mehrheit der dokumentierten Fälle wird jedoch ein geschichteter Baugrund beschrieben, in dem es aufgrund von Durchlässigkeitsunterschieden zu Schichtwasserhorizonten kommen kann. Als Ursache für durch einsickerndes Wasser ausgelöste Schadensereignisse wird entweder das Aufweichen eines relevanten Anteils des Hangkörpers oder das Versagen auf einer meist bindigen, aufgeweichten Zone angesehen. Häufig wird in den vorliegenden Baustellenbzw. Schadensberichten angegeben, dass Niederschlagswasser in den oberflächennahen Bereich eingesickert ist und dann zu einer Herabsetzung der Scherfestigkeit auf einer meist bindigen Schicht ge- 248 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Standsicherheit von Böschungen unter temporär auftretendem Wasser führt hat. Inwieweit dies mit den bekannten mechanischen Versagensmechanismen begründbar ist, wird im Weiteren noch diskutiert. Es wird dabei häufig auch ein Überangebot von Niederschlagswasser beschrieben, welches vom Baugrund nicht mehr aufgenommen werden kann. Implizit damit verbunden ist eine vollständige Sättigung des oberflächennahen Schichtpakets mit einer dann erhöhten Wichte und gegebenenfalls herabgesetzten Scherparametern. Das derart aufgeweichte Schichtpaket, das in der Regel dann auch mit der Rutschmasse identisch ist, weist stark variierende Volumina von wenigen 100 m³ bis hin zu über 300.000 m³ auf. Bei der Beschreibung der Geologie wird mit einer bemerkenswerten Häufigkeit das Auftreten von Tonsteinen oder Tonschiefer im Untergrund genannt, die bei Wasserzutritt eine Gleitfläche ausgebildet haben. Noch dazu wird bei diesen Fällen häufig ein mehr oder weniger paralleles Einfallen der Schichtung mit der Böschung genannt. An sich wäre dieses geologische Schichtbild auch bereits mit einer Baugrunderkundung oder spätestens bei der Bauausführung als kritisch anzusehen und feststellbar. Offensichtlich handelt es sich aber häufig um Böschungsanschnitte im Festgestein, bei denen das Festgestein im Bauzustand als zu günstig bewertet wird. 3. Orientierende Untersuchungen zur Bestimmung mechanischer Versagensszenarien In einer Reihe von Voruntersuchungen wurden folgende, mögliche Versagensmechanismen untersucht: a. Direkte Einwirkungen aus strömendem oder stauendem Wasser in wasserführenden Baugrundschichten; b. Indirekte Einwirkungen, die sich aus der Einwirkung von Wasser ergeben; dies sind insbesondere Veränderungen der Scherparameter infolge Aufweichens von einzelnen Bodenhorizonten. Bei den direkten Einwirkungen aus Wasser können die folgenden Effekte unterschieden werden: • Entstehung von Porenwasserdruck bzw. Strömungskräften im Boden; • Aufstau von Wasser in durchlässigeren Schichten (z. B. infolge geringer durchlässiger Deckschichten) mit der Folge eines Porenwasserüberdrucks. Bei den indirekten Einwirkungen aus Schichtwasser im Böschungskörper ist vor Allem eine Verringerung der Scherfestigkeit in eng begrenzten Horizonten durch Aufweichung des Bodens zu betrachten. Ein Herausspülen von Bodenpartikeln an der Böschungsoberfläche (Erosion) bzw. ein Ausspülen von Bodenmaterial aus dem Böschungsinneren (rückschreitende Erosion) sowie die Auswaschung von Feinanteilen (Suffosion) können als sekundäre Effekte angesehen werden, die i.d.R. nicht schadensauslösend sind, jedoch die Höhe des eintretenden Schadens maßgeblich bestimmen können. Zur Abschätzung der Auswirkungen wurden klassische Standsicherheitsberechnungen mit kreisförmig begrenzten Gleitkörpern und auch Berechnungen nach dem Blockgleitverfahren durchgeführt. Zugrunde gelegt wurde eine Referenzböschung mit einer Höhe von 6 m und einem geschichteten Auf bau aus Schluff und Sand sowie einem Einfallen der Schichten zur Böschung hin. Hierbei wurden sowohl der Einfallwinkel wie auch die Mächtigkeit der Schichtglieder variiert. Berechnet man beispielsweise die Standsicherheit für die Referenzböschung mit einem Schichteinfallen von 10° unter Beachtung der Teilsicherheitsbeiwerte für die Bemessungssituation BS-P nach EC 7, so ergibt sich ein Ausnutzungsgrad m = 0,90. Da in erster Linie der Versagenszustand von Interesse war, wurden bei den weiteren Berechnungen die charakteristischen Scherparameter verwendet und alle Teilsicherheitsbeiwerte zu 1,0 gesetzt. Die nachfolgend ermittelten Ausnutzungsgrade beziehen sich somit auf dem Bruchzustand und werden zur Unterscheidung mit m* bezeichnet. Ohne Berücksichtigung von Grund- oder Schichtwasser ergibt sich für das oben genannte Beispiel ein Ausnutzungsgrad bezogen auf den Bruchzustand von m* = 0,72. Geht man davon aus, dass die gesamte Böschung (siehe Abb. 1) innerhalb der Sandschichten durchströmt wird, ergibt sich unter Annahme eines entsprechenden Porenwasserdrucks entlang der Gleitfläche ein Ausnutzungsgrad bezogen auf den Bruchzustand von m* = 0,79. Es ergibt sich eine klare Reduzierung der Standsicherheit, der Bruchzustand wird jedoch nicht erreicht. Abb. 1: Böschung mit druckfreier Durchströmung der Sandschichten Sofern jedoch die Böschung mit einer geringdurchlässigen Bodenschicht abgedeckt wird, muss ein Aufstau in der Sandschicht und ein entsprechender Wasserdruck angesetzt werden. In diesem Fall führt dies zu einem Ausnutzungsgrad bezogen auf den Bruchzustand von deutlich m* > 1,0 und somit zu einem Versagen der Böschung. Zur Abschätzung der indirekten Einwirkungen, die sich aus Wasserzutritt in die Böschung ergeben, wurden ebenfalls Berechnungen durchgeführt. Hierbei wurde zunächst kein Wasser- oder Strömungsdruck berücksichtigt, sondern lediglich die Scherparameter des Bodens reduziert. Diese Reduktion soll die Veränderung des Bodens infolge Aufweichens simulieren. Dabei wurde jeweils der Reibungswinkel und gleichzeitig die Kohäsion reduziert. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass der Ausnutzungsgrad wenig sensitiv auf die Scherfestigkeit ist und Abminderungen der Scherfestigkeit um mehrere 10er-Prozent erforderlich sind, um die Beispielböschung in den Grenzzustand der Standsicherheit zu bringen. Die 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 249 Standsicherheit von Böschungen unter temporär auftretendem Wasser direkten Einwirkungen haben, zumindest bezogen auf die Referenzböschung einen dominierenden Effekt auf die Standsicherheit, wenngleich auch die indirekten Einwirkungen (Veränderung der Scherparameter, Änderung der Wichte) nicht vernachlässigt werden dürfen. Dies gilt insbesondere auch beim Zusammenwirken verschiedener Einflussfaktoren. Zur Einordnung der indirekten Einwirkungen wurden im bodenmechanischen Labor Scherversuche zunächst an einem leichtplastischen Ton bei unterschiedlichen Wassergehalten ausgeführt, um die Abhängigkeit der Scherfestigkeit von der Sättigung zu bestimmen. Mit abnehmendem Wassergehalt bzw. zunehmender Konsistenz nimmt die Kohäsion des Bodens zu, während der Reibungswinkel vom Wassergehalt bzw. der Konsistenz weitgehend unbeeinflusst bleibt (siehe Abb. 2). Ein ähnliches Bild zeigt sich bei weiteren Versuchen an mittelplastischen Böden. Insoweit ist bei der Beurteilung der Standsicherheit von Böschungen zu berücksichtigen, dass sich durch auftretendes Wasser insbesondere die Kohäsion von bindigen Böden ändert, der Reibungswinkel aber i.d.R. nur geringen Änderungen unterworfen ist. Abb. 2: Scherparameter j und c von leichtplastischen Tonen in Abhängigkeit von der Konsistenz (Sättigung) 4. Technikumsversuche Um die Versagensmechanismen in Böschungen näher zu untersuchen und um Erkenntnisse zur Validierung einer Berechnungsmethodik zu gewinnen, wurden großmaßstäbliche Technikumsversuche konzipiert. Mit den Technikumsversuchen sollten Mechanismen beim Auftreten von Schichtwässern untersucht und Erkenntnisse über die Wirksamkeit von Messeinrichtungen zur Erfassung des Wasserdrucks bzw. der Durchfeuchtung potentiell wasserführender Schichten gesammelt werden. Die Untersuchungsergebnisse zu Messeinrichtungen zur Erfassung von temporär auftretenden Wässern sind in [2] dokumentiert. In einer Großversuchsanlage (Lysimeteranlage) an der Hochschule Augsburg wurde eine maßstäblich verkleinerte Böschung aufgebaut. In diesem Böschungsauf bau wurden Böden mit verschiedenen Durchlässigkeiten eingebaut, um eine Durchlässigkeitsanisotropie zu induzieren, so dass sich ein Schichtwasserleiter ausbilden konnte. Die Böschung wurde anschließend mit definierten Niederschlägen beaufschlagt, um eine temporäre Wassereinwirkung zu erzeugen und eine Strömung in einer eingelagerten, durchlässigeren Schicht der Böschung zu erzeugen. Die sich ergebenden Porenwasserdrücke wurden an ausgewählten Stellen mittels Porenwasserdruckgebern erfasst. Entsprechend den Abmessungen der Lysimeteranlage ergibt sich für die Modellböschung ein Maßstab von ca. 1: 5 bis 1: 10 gegenüber realen Böschungen. Der Auf bau der Böschung kann der Abb. 3 entnommen werden. Die Böschung wurde mit einer im Straßenbau üblichen Regelneigung von 1: 1,5 eingebaut. Der Böschungskörper weist eine maximale Höhe von 0,8-m und eine Länge von 2,5-m auf. Die Breite der Böschung ist durch das Lysimeterbecken auf 1,8-m begrenzt. Der Böschungskörper besteht überwiegend aus bindigem Material (mittelplastischer Ton), in dem eine Sandschicht eingelagert ist. Die durchlässige Sandschicht (k f = 1 x 10 -3 m/ s) besteht aus einem sandigen Bodenmaterial mit einer Schichtdicke von 10-cm. Die Schicht wurde mit ca. 10° in Richtung der Böschung geneigt. Zur Untersuchung einer Durchströmung der sandigen Schicht als auch eines Wasseraufstaus in dieser Schicht, wurden Versuche sowohl mit der in Abb. 3 skizzierten Andeckung als auch ohne diese Andeckung durchgeführt. Abb. 3 : Technikumsversuch, Schnitt durch das Lysimeterbecken und den Versuchsauf bau Entsprechend des Versuchskonzeptes wurde die durchlässige Sandschicht durch die Zugabe von Wasser bewässert. Mit dieser Wasserzugabe wurde ein Regenereignis simuliert, bei dem eine potentiell wasserführende Schicht mit temporärem Schichtwasser beaufschlagt wird. Im vorliegenden Versuchsauf bau wurde ein Bewässerungssystem mit regelbarer Wassermenge mit Bewässerungsraten von 0,1 bis 10 l/ min verwendet. Die Gesamtmenge wurde mit einem Durchflussmessgerät erfasst. In der nachfolgenden Tab. 1 findet sich ein Überblick über die durchgeführten Versuche. Zu berücksichtigen ist, dass es während der Versuchsdurchführung zu einer gewissen Umläufigkeit des Systems gekommen ist, die jedoch erfasst wurde. In der Tabelle sind die dem Böschungssystem zugeführten Netto-Bewässerungsraten unter Abzug der Umläufigkeiten angegeben. 250 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Standsicherheit von Böschungen unter temporär auftretendem Wasser Tab. 1: Übersicht über die durchgeführten Technikumsversuche Nr. Andeckung Netto-Bewässerungsrate Versuchsdauer V1 nein gering (ca. 1,1 l/ min) 8,5-h als Versuch V1a mit weiter reduzierter Bewässerung fortgeführt V1a nein sehr gering (ca. 0,1 l/ min) 1 Woche V4 nein hoch (ca. 5,6 l/ min) 105 min V2 ja gering (ca. 0,8 l/ min) 165 min; → Versagen V3 ja hoch (ca. 7,0 l/ min) 64 min → Versagen Während der Versuche wurden die in der Sandschicht auftretenden Wasserdrücke sowie die zu- und abfließenden Wassermengen über die Zeit gemessen. Im Versuch V1 konnte über die Versuchsdauer von 8,5-h in den beiden oberen Porenwasserdruckgebern ein Anstieg des Porenwasserdrucks gemessen werden, in den beiden unteren Porenwasserdruckgebern wurde hingegen keine signifikante Reaktion gemessen, obwohl es nach ca. 7-h Versuchsdauer zu einem tropfenden Abfluss aus der Sandschicht kam. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Schicht, trotz des über einen halben Tag andauernden simulierten Regenereignisses, nicht voll gesättigt war. Während der Weiterführung des Versuches (V1a) kam es zu einem dauerhaften geringen Wasseraustritt aus der Sandschicht am Böschungsfuß und in allen Porenwasserdruckgebern wurde nach ungefähr zwei Tagen ein weitgehend konstanter Porenwasserdruck von 4 - 8 cm gemessen. Es scheint sich somit eine Wasserführung in der Sandschicht ausgebildet zu haben, die jedoch auf einen Teil der Mächtigkeit der Sandschicht beschränkt ist und somit einem freien Wasserabfluss entspricht. Abgesehen von leichten Erosionserscheinungen am Fuß der Sandschicht war kein Versagen der Böschung zu beobachten. Für den Versuch V4 wurde die Sandschicht vorgesättigt und so konnte auch bereits nach kurzer Zeit eine Durchfeuchtung der Sandschicht an der Böschungsoberfläche festgestellt werden. Die Porenwasserdrücke stiegen kontinuierlich an. Ihr jeweiliges Maximum erreichten die Porenwasserdrücke nach ca. 45 - 52 Minuten. Alle Druckgeber zeigten dabei Porenwasserdrücke, die deutlich größer waren als die Schichtmächtigkeit, es war somit in der Sandschicht von subartesisch gespannten Wasserverhältnissen auszugehen. Der anschließende Abfall aller Porenwasserdrücke in den Gebern dürfte darauf zurückzuführen sein, dass ab ca. Minute 43 die Sandschicht massive Fließerscheinungen zeigte. Bereits einige Minuten vorher konnte der Beginn dieses Vorgangs im linken Böschungsbereich beobachtet werden. Abb. 4 : Technikumsversuch V4 ohne Andeckung und mit hoher Bewässerungsrate, gemessene Druckhöhen der Porenwasserdruckgeber über die Zeit In dem Versuch V2 wurde die Wirkung einer Andeckung auf der Böschungsoberfläche simuliert. Die Andeckung besteht aus bindigem Material und kann z. B. als Andeckung aus verbliebenen Aushubmaterial eines Einschnitts im Verwitterungshorizont oder auch einer mit der Zeit durch Einspülung von Feinanteilen zugesetzten (Mutter-)Bodenbedeckung gedeutet werden. Da diesem Versuch eine leichte Wasserbeaufschlagung zur Vorsättigung vorangegangen war, reagierten die Porenwasserdruckgeber recht schnell auf die Bewässerung. Hierbei konnte mit den beiden unteren Porenwasserdruckgebern ein deutlich größerer Anstieg des Drucks festgestellt werden als bei dem entsprechenden Versuch ohne Andeckung (Versuch V1), der auf einen Aufstau in der Sandschicht hindeutet. Abb. 5 zeigt die maximal gemessenen Druckhöhen der Porenwasserdruckgeber in einem Längsschnitt. Es ist erkennbar, dass es in der Sandschicht infolge der Deckschicht zu einem Aufstau bzw. einem Druckanstieg kommt. Die höchsten gemessenen Wasserdruckhöhen der Porenwasserdruckgeber in den beiden unteren, nicht weit von der Böschungsoberfläche, angeordneten Gebern betrugen 21,8 cm (links) und 23,6 cm (rechts). Sie zeigen einen deutlichen subartesischen Wasserdruck in der Sandschicht, der die Abdeckung belastet und bei längerer Einwirkdauer zum Versagen führen dürfte. Zusätzlich wurde, vermutlich aufgrund des relativ hohen Drucks auf die Andeckung, stellenweise eine erhebliche Durchfeuchtung mit Anzeichen einer beginnenden Erosion festgestellt. Nach einer Versuchspause musste zu Beginn des Versuches V3 davon ausgegangen werden, dass infolge der langen Standzeit des Versuchsauf baus ohne Bewässerung sich die Sandschicht weitgehend entwässert hatte und der Sand nicht mehr gesättigt war. Dementsprechend kam es auch erst nach einer Sättigungsphase des Sandes zu einem Anstieg der Porenwasserdruckgeber. Der Wasserdruck stieg dann infolge der deutlich höheren Bewässerungsrate gegenüber Versuch V2 schnell an und erreichte nach 10 - 20 min sein Maximum. Nach einer Phase von ca. 30 Minuten mit näherungsweise konstanten Wasserdrücken kam es zu Wasseraustritten und Rissbildungen in der an Andeckung, die als Versagen des Systems zu bewerten waren. Die maximal gemessenen Druckhöhen 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 251 Standsicherheit von Böschungen unter temporär auftretendem Wasser lagen nochmals deutlich höher gegenüber dem Versuch V2 (siehe Abb. 5). Abb. 5 : Technikumsversuch V2 (grün) und V3 (rot), Maximale Druckhöhen der Porenwasserdruckgeber in einem Längsschnitt 5. Numerische Simulationen Im Anschluss an die Technikumsversuche wurden Strömungssimulationen mit den Randbedingungen und Parametern aus dem Technikumsversuch zur numerischen Simulation der Versuchsergebnisse durchgeführt. Die Berechnungen wurden als instationäre Berechnungen ausgeführt. Ziel war es, zu untersuchen, ob die aus den Technikumsversuchen gewonnenen Ergebnisse mittels Strömungsberechnungen abgebildet werden können. Zusätzlich wurden auch Böschungsbruchberechnungen zum Nachweis der Standsicherheit bzw. zur Identifizierung von Standsicherheitsdefiziten durchgeführt. Zur Kalibrierung des Modells wurde der Technikumsversuch V4 (ohne Andeckung, hohe Bewässerungsrate) untersucht. Betrachtet wurde hierbei der Zeitpunkt, an dem sich die Sandschicht in Bewegung gesetzt hat bzw. sich massive Erosionserscheinungen zeigten. Zunächst erfolgte eine Variation des Durchlässigkeitsbeiwerts der Sandschicht, um annähernd die Potentialhöhe zu erhalten, welche mit den Porenwasserdruckgebern gemessen worden waren. Aus dieser Simulationsrechnung wurde eine Durchlässigkeit für die Sandschicht von k f = 7,5*10 - 4 m/ s ermittelt, die sehr gut in der Bandbreite der erwarteten Durchlässigkeit des eingebauten Sandes lag und den im Labor ermittelten k f -Werten entsprach. Mit dem so kalibrierten Modell wurde dann der Versuch V3 (mit Andeckung) mit der hohen Bewässerungsrate nachgerechnet. Im Technikumsversuch wurde zum Ende der Bewässerung ein Porenwasserdruck von 0,79-m (bezogen auf die Basis des Versuchsauf baus) gemessen. Die Strömungssimulation ergab im Bereich der unteren Porenwasserdruckgeber ein Porenwasserdruck von 0,86-m. Wenige Zentimeter in Richtung der Böschung beträgt der ermittelte Wert jedoch nur noch 0,80-m und somit ungefähr dem Wert aus dem Versuch. Somit kann davon ausgegangen werden, dass das Modell auch mit der erhöhten Wassermenge die Versuchsbedingungen abbildet. In den Berechnungen ist die Aufsättigung der Wasserschicht durch die voranschreitende Sättigungsfront gut zu erkennen. Die Abb. 6 zeigt die Entwicklung der Durchströmung der Sandschicht. Dargestellt sind die sich ergebenden Potentiale bezogen auf die Basis des Versuchsauf baus. Die instationären Berechnungsergebnisse zeigen eine gute Übereinstimmung mit den beobachteten Ereignissen im Technikumsversuch. Auch wenn sich die Zeiten nicht exakt simulieren ließen, so zeigt doch der Ablauf hinsichtlich der zeitlichen Folge als auch insbesondere der berechneten Potentiale eine hohe Übereinstimmung. Zur Bestimmung der Auswirkung der Wasserströmung auf die Standsicherheit der Böschung wurden mit den Ergebnissen der numerischen Strömungssimulation Böschungsbruchberechnungen nach dem Verfahren nach Bishop mit Gleitkreisen und Lamellenunterteilung durchgeführt. In den Referenzberechnungen ohne Durchströmung der Böschung (Ausgangszustand vor Einwirkung eines temporär auftretenden Wassers) wurde kein Wasserdruck angesetzt. Für die Berechnungen mit Durchströmung der Böschung innerhalb der Sandschicht wurden die Potentiale aus der numerischen Strömungssimulation übernommen. Abb. 6: Numerische Strömungsberechnung, Technikumsversuch V3 mit Andeckung 252 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Standsicherheit von Böschungen unter temporär auftretendem Wasser Aus den Ergebnissen der Berechnungen ist ersichtlich, dass das Auftreten von Wasser im Böschungsbereich einen relevanten Einfluss auf die Standsicherheit von Böschungen besitzt. Mit den numerischen Strömungs- und Standsicherheitsberechnungen konnte ein Versagensmechanismus nachgewiesen werden, der mit den Schichtwasservorkommen im Zusammenhang steht. Während bei den Berechnungen ohne Schichtwasservorkommen sich die Bruchfigur im Böschungsbruchnachweis nicht an der eingelagerten Sandschicht orientiert, sondern sowohl durch die Sandschicht als auch die bindigen Bodenschichten verläuft, handelt es sich bei den Berechnungen mit Schichtwasservorkommen um Bruchmechanismen, die als flach geneigte Kreise sich an der eingelagerten Sandschicht orientieren. Die Ergebnisse der Berechnungen sind in der Tab. 2 zusammengefasst. Tab. 2: Ausnutzungsgrade der Böschungsbruchberechnungen Ausnutzungsgrad m* ohne Andeckung ohne Wasser 0,35 mit Wasser 1,33 mit Andeckung ohne Wasser 0,35 mit Wasser 5,60 Der Verlauf der Gleitkreise durch die Sandschicht bei Durchströmung lässt sich eindeutig den Strömungskräften in der Sandschicht zuordnen. Durch die Andeckung ergeben sich im Modell höhere Wasserdrücke. Folgerichtig sind die berechneten Ausnutzungsgrade in diesem Fall höher als bei den Berechnungen ohne Andeckung. 6. Folgerungen Die Modellversuche und Berechnungen haben gezeigt, dass eine Durchströmung einzelner Schichten nur zu einer mäßigen Erhöhung der Ausnutzugsgrade beim Standsicherheitsnachweis führt. Zu einem deutlichen und häufig als kritisch anzusehenden Einfluss auf die Standsicherheit kommt es jedoch bei einem Aufstau von Schichtwasser in einzelnen Horizonten, z. B. durch eine Böschungsabdeckung. Dieser Effekt verstärkt sich noch, wenn es aufgrund von Durchnässungen zu einer Abnahme von Scherparametern kommt. Mit der numerischen Strömungsberechnung in Kombination mit einer konventionellen Standsicherheitsberechnung steht damit ein wirkungsvolles Werkzeug zur Prognose von Standsicherheitsdefiziten unter Berücksichtigung von temporär auftretenden Schicht- und Sickerwasser zur Verfügung. Literatur [1] Denne, Festag, Gattermann, (2023), Einfluss von temporär auftretendem Grundwasser auf die Standsicherheit von Straßeneinschnittsböschungen, Bundesanstalt für Straßenwesen, Forschungsbericht FE 05.0195/ 2016/ MGB [2] Gattermann, Denne, Festag, (2023), Möglichkeiten zum Einsatz von Mikrowellensonden zur Ermittlung des Wassergehalts in Böden, Ernst & Sohn GmbH, Messtechnik im Bauwesen Special 2023 Diesem Bericht liegen Teile des im Auftrag des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr, vertreten durch die Bundesanstalt für Straßenwesen, unter FE 05.0195/ 2016/ MGB laufenden Forschungsvorhabens zugrunde. Die Verantwortung für den Inhalt liegt allein beim Autor. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 253 Zum räumlichen Einfluss des Erddrucks auf die Belastung kombinierter Spundwände Dr.-Ing. Jannik Beuße GTU Ingenieurgesellschaf mbH, Hamburg Zusammenfassung Kombinierte Spundwände spielen eine entscheidende Rolle im Bau von Kaimauern, indem sie als wesentliche Tragelemente dienen. Die Anwendung gängiger Nachweisformate zeigt jedoch, dass viele bestehende Kaimauern rechnerisch nicht mehr standsicher sind, obwohl sie den bewährten Baupraktiken entsprechen. Die bisherige Bemessung erfolgt größtenteils zweidimensional, wobei ein gewölbter Ansatz zwischen den Trägern verwendet wird. Dabei übernehmen die Träger die Last des Erddrucks, während die Zwischenbohlen lediglich den Wasserdruck absorbieren. Es gibt jedoch unzureichende Informationen zur Beschreibung des räumlichen Tragverhaltens von kombinierten Spundwänden. Um dieses Verhalten genauer zu verstehen, werden 1g-Modellversuche an einem Abschnitt der Kaimauer durchgeführt. Dabei wird untersucht, wie sich das Last-Verformungsverhalten tatsächlich entwickelt. Anschließend werden in einer Vielzahl von numerischen Simulationen die wahrscheinlich maßgebenden Parameter variiert, darunter der Systemquerschnitt, der Bauablauf (sowohl auf dem Land als auch im Wasser), die Lagerungsdichte, die Ankersteifigkeit, die Bodenschichtung und unterschiedliche Wasserdrücke. Im nächsten Schritt werden im Maßstab 1: 1 Versuche an Spundbohlen durchgeführt, wobei die zuvor ermittelten Belastungen und Lagerungsbedingungen berücksichtigt werden. Dabei werden die tatsächlich auf die Träger und Spundbohlen wirkenden Lasten ermittelt, und es wird überprüft, ob die bisher in der klassischen Bemessung angenommene Gewölbeausbildung tatsächlich eintritt. 1. Einführung Ufereinfassungen spielen eine entscheidende Rolle beim Umschlag von Containerschiffen und der Handelsschifffahrt. Im Hamburger Hafen allein erstrecken sich bereits 43 Kilometer Uferbefestigungen. Die gängige Bauweise für Uferbefestigungen mit Geländesprüngen von bis zu 30 Metern sind kombinierte Spundwände. Das Tragverhalten dieser Wände ist noch nicht vollständig erforscht. Daher bedarf es einer Untersuchung der tatsächlichen Lastverteilung und ihrer Einflussfaktoren. Das Ziel dieses Beitrags ist es, das System der kombinierten Spundwand nachhaltiger zu gestalten und die Wirtschaftlichkeit durch effizienteres und ressourcenschonenderes Bauen sicherzustellen. Der Fokus liegt darauf, die räumliche Erddruckverteilung auf kombinierten Spundwänden realistisch zu berücksichtigen. Es werden Modellversuche durchgeführt, um eine mögliche Gewölbewirkung zwischen den Trägern zu identifizieren. Auf dieser Grundlage werden mit numerischen Simulationen im Realmaßstab potenzielle Einflussgrößen des räumlichen Tragverhaltens untersucht, und es wird ein vereinfachter Ansatz für die Erddruckverteilung erarbeitet. Die tatsächliche räumliche Belastung wird im Vergleich zu bestehenden Untersuchungen bewertet. Detaillierte Ergebnisse zum räumlichen Tragverhalten sind in [1] umfassend veröffentlicht. 2. Kenntnisstand zum räumlichen Einfluss 2.1 Allgemeines Kombinierte Spundwände sind infolge der unterschiedlichen Bestandteile der Kaimauer sowie der Belastung aus dem Erddruck räumlichen Einflüssen ausgesetzt. Aufgrund der Struktur, der unterschiedlich steifen Bauteile sowie des Herstellungsverfahrens von Ufereinfassungen wird das reale Tragverhalten kombinierter Spundwände durch eine räumliche Lastaufteilung geprägt. In der Praxis wird diese Lastverteilung zumeist mit zweidimensionalen Ersatzsystemen vereinfacht, ohne dass die tatsächliche Lastverteilung bekannt ist. Dennoch gibt es Erkenntnisse zu vertikalen und horizontalen Druckgewölben, wie der nachfolgenden Abb.-1 zu entnehmen ist. [2] weist darauf hin, dass die möglichen Gewölbe von Kaimauern durch die Anordnung verschiedener Bauteile im Boden beeinflusst werden. Die räumlichen Effekte, wie sie durch numerische Simulationen in [3] aufgezeigt werden, werden beeinflusst durch den Bauablauf. Eine umfassende Studie zum räumlichen Erddruck auf vertikale starre Bauwerke wurde von [4] durchgeführt. Dieser zeigt, dass die Aktivierung des aktiven räumlichen Erddrucks von der Wandverformung (zum Beispiel Parallelverschiebung oder Fußpunktdrehung), der Lagerungsdichte sowie dem Verhältnis der Bauteilverschiebung u zur freien Wandhöhe h abhängt. Bei u/ h ≥ 18-‰ tritt der aktive räumliche Erddruck bei allen Variationen auf. In [5]a series of model tests with sand fills were carried out in a two-dimensional (2D werden in Falltürversuchen die Form der Gewölbe und der Einfluss des Wandreibungswinkels untersucht. Numerisch wird die Gewölbewirkung beispielsweise mit der FEM unter Verwendung eines Lagrange-Ansatzes (vgl.-[6]), der CEL-Methode (vgl.-[7]) sowie meistens mit der DEM (vgl.-[8]-[10]) dargestellt. Derzeit ist der Einfluss der Gewölbewirkung zwischen den Trägern kombinierter Spundwände nicht wissenschaftlich bestätigt. In Bezug auf Kaimauern wird je- 254 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Zum räumlichen Einfluss des Erddrucks auf die Belastung kombinierter Spundwände doch in den Arbeiten von [2], [7], [11] gezeigt, dass es zur Ausbildung eines Druckgewölbes zwischen den Kaiplattenpfählen kommt, was zu einer anschließenden Erddruckreduktion auf die kombinierte Spundwand führt. Abb.-1: Querschnitt einer Kaimauer, aus [1] 2.2 Vertikales Gewölbe Wie in Abb.-1 mit  dargestellt, kommt es infolge einer Erddruckumlagerung bei rückverankerten, nachgiebigen Spundwänden in Kombination mit einer Rückverankerung zur Ausbildung eines vertikalen Druckgewölbes (vgl.- [12]). Nach [13] wird angenommen, dass sich bei einer mindestens mitteldicht gelagerten Hinterfüllung ein horizontales Druckgewölbe ausbildet, sodass die Träger den gesamten Erddruck aufnehmen (vgl. Abb.-1 mit  ). 2.3 Horizontales Gewölbe Bei der in Abb.- 2 gezeigten Lastverteilung dienen die Zwischenbohlen lediglich der Aufnahme des Wasserüberdrucks und der Weitergabe der Lasten an die Träger. Abb.-2: Angenommene Gewölbeausbildung bei kombinierten Spundwänden, aus [1] 2.4 Erddruckabschirmung Zusätzlich tritt nach [14] eine Abschirmwirkung durch die Kaiplattenpfähle auf. Infolge dieser wird der Erddruck auf die kombinierte Spundwand reduziert (vgl. Abb.-1 mit  ). In der Praxis hat sich das Verfahren nach [15] etabliert, welches von einer Erddruckabschirmung und einer damit einhergehenden Bodenverbesserung ausgeht. Hierbei wird ein Erhöhungsfaktor des effektiven Reibungswinkels eingeführt, der lediglich vom Geländesprung sowie der Querschnittsfläche der Kaiplattenpfähle in einem Block abhängt. 2.5 Lastverteilung Teilt man die Lasten hinter einer kombinierten Spundwand in Spannungen aus dem Erddruck und Wasserüberdruck auf, so lässt sich diese orthogonal auf die Flächen aufteilen (siehe Abb.-3). Abb.-3: Lastverteilung auf einer kombinierten Wand, aus [1] Zur Untersuchung der Lastverteilung auf die Träger und Zwischenbohlen kombinierter Spundwände wird mit Gl.-1 ein Gewölbefaktor η Gew eingeführt. Dabei wird der Erddruckanteil auf dem Träger mit der Breite B T in der Tiefe z mit e ah,T beschrieben, und der Erddruckanteil auf die Zwischenbohlen mit der Breite B ZB mit e ah,ZB beschrieben. Der Erddruckanteil der Träger wird auf die gemittelte Erddruckspannung e ah,gem bezogen, welche auf das Systemmaß b sys bezogen wird. Die Aufteilung der horizontalen Erddruckspannungen e ah und Spannungen aus Wasserüberdruck w u sind in Abb.-3 dargestellt. (1) Ein Gewölbefaktor von η Gew (Z) = 1 entspricht einer vollen Lastumlagerung auf die Träger, wobei die Zwischenbohlen unbelastet bleiben. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 255 Zum räumlichen Einfluss des Erddrucks auf die Belastung kombinierter Spundwände 3. Dimensionsanalyse 3.1 Grundlage Als Prototyp wird ein Regelquerschnitt in Anlehnung an das CT Altenwerder in Hamburg (vgl.-[2]) verwendet. Zur Beschreibung der Skalierung und zur Reduktion der zu variierenden Parameter, wird die Dimensionsanalyse bzw. Ähnlichkeitstheorie nach [16] angewandt, wie näher in [1] beschrieben. Zur Beschreibung dieser Gewölbewirkung mit einem Gewölbefaktor wird postuliert, dass es eine Funktion η Gew nach Gl.-2 gibt, welche die Erddruckverteilung zwischen Trägern und Zwischenbohlen beschreibt. Nach [17] kann die Gleichung von einer beliebigen Anzahl von Größen abhängen und muss damit nicht zwingend vollständig sein. (2) Dabei gehen in die Formel ein: 1. bezogene Lagerungsdichte I D 2. Abstand des Ankeranschlusses vom 3. Kaimauerkopf aA 4. Abstand zweier Träger 5. Wichte des Bodens 6. Elastizitätsmodul 7. Flächenträgheitsmoment 8. Querschnittsfläche des Ankers 9. Trägerlänge 10. Höhe des Geländesprunges 3.2 Dimensionslose Parameter Mit der Dimensionsanalyse nach [17] werden sechs maßgebende Pi-Theoreme gemäß Gl.-(3) definiert, welche es zu untersuchen gilt. (3) Diese Parameter werden sowohl in Modellversuchen als auch in numerischen Simulationen variiert. 4. Untersuchungen 4.1 Modellversuche An einem Abschnitt der Kaimauer, bestehend aus zwei einzelnen Tragbalken und einer doppelten Zwischenbohle, werden Modellversuche im Kleinmaßstab durchgeführt. Dieser Modellversuch ist in Abb.-4 dargestellt. Die Profile der Modelle werden mittels 3D-Druck erstellt. Zusätzlich werden Glasfasern exzentrisch an den Profilen angebracht, um die Dehnung faseroptisch zu messen. Die Rückrechnung der Biegespannung und -linie erfolgt auf Grundlage der Differentialgleichung des Biegebalkens durch numerische Integration bzw. Ableitung der aus der Dehnung ermittelten Krümmung. Das Ziel der Konzeption des Modellversuchs besteht darin, eine vergleichbare Biegesteifigkeit im Prototyp und im Modell zu erreichen. Der Versuchsaufbau ist in der folgenden Abbildung dargestellt. Abb.-4: Modellversuch einer einfach rückverankerten kombinierten Spundwand mit Kunststoffprofilen bei der Hinterfüllung der Wand mit dem Einrieseln von Sand Durchgeführt werden insgesamt sieben Versuche an drei skalierten Profilquerschnitten der Träger-Typen HZ-630M, HZ-880M-C und HZ-1080M-C mit dem Zwischenbohlen-Typ AZ-25-800 in landseitiger Anordnung. Die Hinterfüllung ist in Abb.-3 dargestellt und ist im Video des Versuchsablaufs gezeigt. Video zum Versuchsablauf Die durchgeführten 1g-Modellversuche an einem Abschnitt der Kaimauer zeigen vor allem das von der Belastung abhängende Verformungsverhalten, sowie erste Anzeichen für vertikale und horizontale Gewölbe. Ebenfalls wird deutlich, dass insbesondere die Anker eine höhere Verformung erfahren als die kombinierte Spundwand. Da eine Übertragung der Erkenntnisse auf den Realmaßstab trotz Modellgesetzen nur begrenzt möglich ist, erfolgen nach einer Validierung von numerischen Modellen anhand der Modellversuche anschließend Simulationen im Realmaßstab. 4.2 Numerische Simulationen Nachfolgend wird numerisch analysiert, wann es zu einem horizontalen Druckgewölbe zwischen den Trägern kombinierter Spundwände kommt und wie groß die anteilige Lastverteilung ist. Hierzu wird die auftretende Lastverteilung auf das System ermittelt, um die gesuchte Funktion der Lastverteilung bzw. des Erddruckumlagerungsfaktors η Gew nach (vgl. Gl.-2) zu bestimmen. Dabei werden die sechs Π-Faktoren, die voraussichtlich den Gewölbefaktor η Gew dominieren, aus der Dimensionsanalyse 256 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Zum räumlichen Einfluss des Erddrucks auf die Belastung kombinierter Spundwände herangezogen. Zur Untersuchung dieser Π-Faktoren wird neben den sechs Faktoren auch die Bauweise (Land- und Wasserbaustelle) variiert. Dabei wird der Querschnitt, angelehnt an das System am CT Altenwerder nach [2] mit einem Geländesprung HG = 19,7-m betrachtet. Die Modellbildung, Simulation und Auswertung erfolgen automatisiert mit einem Python-Skript. Dabei wird die kombinierte Wand mit Schalenelementen, der Anker als eingebetteter Balken (embedded beam), der Boden mit Kontinuumselementen abgebildet. Für die Strukturelemente erfolgt ein elastoplastischer Material-ansatz und für den Sand wird das Stoffmodells „Hardening Soil model small-strain stiffness“ (HS-small) verwendet. Durch Ermittlung der Parameter nach [18] wird in Abhängigkeit der Eingangsparameter eine Berücksichtigung des Materialverhaltens erzielt. Validiert wird das Modell durch die Nachrechnung des Modellversuchs 5. Die Auswertung erfolgt als Gewölbefaktor η Gew aufgetragen über die Bauteilhöhe z auf Grundlage, der nach Abb.-2 bestimmten Lastverteilung für den repräsentativen Lastfall Sunk-1. Vergleichsrechnung mittels Festigkeitsreduktion zeigen, dass dieser Lastfall ein Lastbild wiedergibt, das mit dem Grenzzustand vergleichbar ist. Der Gewölbefaktor wird zusammen mit den bauteilbezogenen Erddruckverläufen für die variierte bezogene Lagerungsdichte I D (Faktor Π 1 ) in Abb.-5 gezeigt. (a) (b) Abb.-5 Bauteilbezogene Erddruckverteilung (a) und Gewölbefaktor (b) bei variierter Lagerungs-dichte für den Bauzustand Sunk-1 (WBS). Darstellung für die Träger (blau) und Zwischenbohle (rot) , aus [1] Die Darstellung zeigt, dass bei einer Erhöhung der Lagerungsdichte im Ankerbereich eine stärkere Lastumverteilung zu den Trägern erfolgt. Der Gewölbefaktor erreicht dabei einen Maximalwert von η Gew = 0,90 für eine Lagerungsdichte von I D = 0,7 und einen Minimalwert von η Gew = 0,80 für eine Lagerungsdichte von I D = 0,4. Infolge dichter Lagerung des Sands ergibt sich eine anteilige Mehrbelastung der Träger an der Gesamteinwirkung von 10-%. Qualitativ zeigt sich bei den untersuchten Variationen ein ähnlicher Funktionsverlauf des Gewölbefaktors. Daher erfolgt die Ermittlung der Approximationen für die beiden Bereiche für jeden Π-Faktor, um anschließend einen bilinearen Ansatz des Gewölbefaktors nach Gl.-4 zu bestimmen. Die Approximation ist mittels der stufenförmigen Linien in Abb.-5-(b) skizziert. (4) Unter Verwendung des Ansatzes nach Gl.-4 wird sowohl oberhalb als auch unterhalb des Wendepunkts das Integral der Kurven des Gewölbefaktors gebildet und auf die Bezugshöhe bezogen approximiert. Durch das gewählte Vorgehen in Anlehnung an die Berechnung der Erddruckumlagerung nach [13] werden Verlaufs-spitzen vernachlässigt, was unter Berücksichtigung des derzeitigen Ansatzes der alleinigen Aufnahme des Erddrucks über die Träger auf der sicheren Seite bei der Bemessung liegt. 4.3 Formelansatz für den Gewölbefaktor Die Ergebnisse der Variationsrechnungen zeigen, dass sich die Verläufe mit einem bilinearen Formelansatz beschreiben lassen. Unter Berücksichtigung der sechs variierten Pi-Theoreme und dem Produktansatz nach Bernoulli wird der Gewölbefaktor sowohl für die Landals auch für die Wasserbaustelle definiert, wie beispielhaft in Abb.-6 gezeigt. Abb.-6 Gewölbefaktor als anteilige Lastverteilung auf die Träger und Zwischenbohlen für die Variation der Tragbohlen einer kombinierten Spundwand. Die durchgezogenen Linien zeigen die gewählte Approximation im bilinearen Ansatz. Entnommen aus [1]. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 257 Zum räumlichen Einfluss des Erddrucks auf die Belastung kombinierter Spundwände Die Formeln sowie die Herleitung sind im Detail in [1] gezeigt. Mit [1] wird zusätzlich zur Anwendung der komplexen Formeln ein vereinfachtes Excel-Tool bereitgestellt, um der Praxis die Anwendung zu ermöglichen. Die Formeln für den Gewölbefaktor haben dabei folgende Gestalt. (5) 5. Anwendung und Potential Vergleichsrechnungen, unter Verwendung des entwickelten Formelansatzes für den Gewölbefaktor zeigen, dass die resultierende Erddruckkraft auf die Träger bei einer Wasserbaustelle um 37-% bis 57-% und bei einer Landbaustelle um 25-%-45-% reduziert wird. Die Ausbildung des Gewölbes hängt direkt von der Biegesteifigkeit der Wand, der Dehnsteifigkeit des Ankers, dem Systemmaß, dem Einspanngrad sowie der Höhe der Rückverankerung ab. Es muss jeweils die Tragfähigkeit der Zwischenbohlen infolge der tatsächlichen Erddruckbelastung sowie das Erdwiderlager, auch für die Zwischenbohlen, nachgewiesen werden. Ein weiterer förderlicher Faktor ist die Erddruckabschirmung durch die Kaiplattenpfähle, wie beispielsweise in [QIU, 2012] gezeigt. Durch die gezielte Installation der kombinierten Spundwand sowie die Berücksichtigung der Drehbettung im kombinierten Biegeknick- und Biegedrillknicknachweis können Systemreserven effektiv genutzt werden. 6. Zusammenfassung Die übliche Bauweise für Absicherung von Geländesprüngen bei Ufereinfassungen ist die kombinierte Spundwand. Diese setzt sich aus langen Doppel-T-Trägern zusammen, die über Schlösser mit Z-förmigen Zwischenbohlen verbunden sind. Trotzdem sind das Einbringen und das Tragverhalten noch nicht vollständig verstanden. Aufgrund der Anordnung der Elemente einer Ufereinfassung und der Belastung durch den Erddruck ist das Tragverhalten von räumlichen Einflüssen geprägt. In analytischen Ansätzen werden diese Einflüsse als angenommene Gewölbewirkung in zweidimensionalen Ersatzsystemen berücksichtigt. Diese Annahme ist jedoch nicht belegt, daher muss geklärt werden, wie die realistische Verteilung des Erddrucks berücksichtigt werden kann, um potenzielle Reserven im System zu nutzen. Ein 1g-Modellversuch eines Abschnitts der Ufereinfassung mit trockenem Sand und der Installation eines Kaiplattenpfahls wird entwickelt, um das räumliche Tragverhalten zu untersuchen. Das Modell besteht aus 3D-gedruckten Bauteilen und liefert qualitative Erkenntnisse zum Last-Verformungs-verhalten mittels Glasfasermessungen. Dabei werden auch die Zwischenbohlen durch den Erddruck belastet, und es kommt zu einem signifikanten Anstieg der Belastung durch das Einbringen des Pfahls. Ein validiertes numerisches 3D-Modell wird anhand der Modellversuche erstellt. Die Simulationen zeigen, dass die Zwischenbohlen insbesondere auf Höhe der Hafensohle stark durch den Erddruck belastet werden und kein durchgehendes horizontales Gewölbe entsteht. Die Lastaufteilung hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie der Lagerungsdichte des Bodens, der Biegesteifigkeit des Trägers, der Ankerdehnsteifigkeit, der Ankeranschlusshöhe, der Geländesprunghöhe und der Einbindetiefe des Trägers. Die Ausbildung eines vertikalen Gewölbes hängt von der Systemsteifigkeit und der Bauweise ab. Die Lastaufteilung kann mit einem entwickelten Formelansatz für den Gewölbefaktor analytisch erfasst werden. Dies eröffnet Möglichkeiten zur Nutzung von Systemreserven durch den Erddruck über die Zwischenbohlen. Diese Erkenntnisse, zusammen mit früheren Untersuchungen, tragen zur Nutzung von Systemreserven bei bestehenden Ufereinfassungen bei und reduzieren die Überdimensionierung von Neubauten. Im nächsten Schritt sollten die tatsächlichen Einwirkungen auf die Zwischenbohlen und die Träger am Prototyp gemessen werden. Hier bietet sich die Integration von Erddruckmessungen in ein künftiges Kaimauerprojekt als digitaler Zwilling an, ähnlich wie es bereits teilweise für Ankerkraft-, Dehnungs- und Temperaturmessungen in niederländischen smarten Kaimauern integriert ist. Es sollte geprüft werden, wie groß die von den Zwischenbohlen mobilisierten Widerstände sind, um diese bei der Bemessung zu berücksichtigen. Dadurch könnte die rechnerische Belastung durch den Erddruck auf die Träger in der Mitte des Feldes um bis zu 80-% reduziert werden. Danksagung Der Dank des Autors gilt der FOSTA - Forschungs-vereinigung Stahlanwendung e. V., Düsseldorf, welche das IGF-Vorhaben 21438/ 1480 „Zum räumlichen Tragverhalten von kombinierten Stahlspundwänden“ über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages fördert. Das Vorhaben wird am Institut für Geotechnik und Baubetrieb (TUHH) sowie Institut für Konstruktion und Entwurf (Uni Stuttgart) durchgeführt. Ebenfalls wird Herrn Alexander Enders und Frau Prof. Dr.-Ing. Ulrike Kuhlmann für die Zusammenarbeit gedankt. Darüber hinaus danke ich Prof. Dr.-Ing. Jürgen Grabe sowie Prof. Dr.- 258 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Zum räumlichen Einfluss des Erddrucks auf die Belastung kombinierter Spundwände Ing. Hauke Zachert für die Unterstützung des Promotionsvorhabens. Literatur [1] J. Beuße, „Zur Einbringung und zum Tragverhalten von kombinierten Spundwänden von Ufereinfassungen“, Technische Universität Hamburg, Institut für Geotechnik und Baubetrieb, Hamburg, 2023. [2] B. Mardfeldt, „Zum Tragverhalten von Kaikonstruktionen im Gebrauchszustand“, Technische Universität Hamburg-Harburg, Institut für Geotechnik und Baubetrieb, 2005. [3] P. Stein, H. Sychla, C. Missal, und J. Stahlmann, „Numerische Untersuchungen zum räumlichen Tragverhalten einer generischen Kaje“, gehalten auf der 9. FZK-Kolloquium - Modellierung im Seebau und Küsteningenieurwesen, Hannover, 2013, S.-121-134. [4] G. Tom Wörden, „Untersuchungen zum räumlichen aktiven Erddruck auf starre vertikale Bauteile im nichtbindigen Boden“, IGBE/ Zugl.: Hannover, Univ., Diss., 2010, Hannover, 2010. [5] R. Rui, A. F. van Tol, Y. Y. Xia, S. J. M. van Eekelen, und G. Hu, „Investigation of Soil-Arching Development in Dense Sand by 2D Model Tests“, Geotech. Test. J., Bd. 39, Nr. 3, S. 20150130, 2016, doi: 10.1520/ GTJ20150130. [6] O. Beilke, T. Garbers, und A. Prüser, „Bemessung von Trägerbohlwänden - Gewölbewirkung bei Holzausfachungen“. Technischer Bericht, ICG Ingenieure GmbH, Düsseldorf, 2016. [7] G. Qiu, „Coupled Eulerian Lagrangian Simulations of Selected Soil-Structure Interaction Problems“, Technische Universität Hamburg-Harburg, Institut für Geotechnik und Baubetrieb, Hamburg, 2012. [8] T. I. George und S. M. Dasaka, „Numerical investigation of soil arching in dense sand“, International Journal of Geomechanics, Bd. 21, Nr. 5, S.-04021051, 2021. [9] H. Khatami, A. Deng, und M. Jaksa, „Discrete-element modelling of the trapdoor arching effect in sand and rubberised sand“, Proceedings of the Institution of Civil Engineers-Geotechnical Engineering, Bd. 174, Nr. 6, S. 657-669, 2021. [10] R. Zhang, D. Su, X. Lin, G. Lei, und X. Chen, „DEM analysis of passive arching in a shallow trapdoor under eccentric loading“, Particuology, Bd. 77, S. 14- 28, Juni 2023, doi: 10.1016/ j.partic.2022.08.004. [11] C. Boley, M. Morgen, M. Fritsch, O. Piepenbreier, und J. Stahlmann, „Numerische Untersuchungen zum Einfluss der Erddruckabschirmung durch Pfähle bei Kaimauern“, Kaimauern-Messungen und Numerik, Gemeinsamer Sprechtag der Hafenbautechnischen Gesellschaft und der TU Hamburg- Harburg am, Bd. 1, S. 131-150, 2004. [12] A.Hettler,„MethodenzurErmittlungdesErddrucks“, in Erddruck, John Wiley & Sons, Ltd, 2019, S. 145- 192. doi: https: / / doi.org/ 10.1002/ 9783433609811. ch3. [13] EAU, „Empfehlungen des Arbeitskreises ‚Ufereinfassungen‘“, Ernst & Sohn, Berlin, 2020. [14] K. Förster, „Die Abschirmung des Erddrucks vor Sprundwänden durch Pfahlroste“, Mitteilungen der Hannoverschen Hochschulgemeinschaft, Bd. 17, Nr. 18, S. 122-127, 1937. [15] HPA, „HPA Richtlinie, Freie und Hansestadt Hamburg, Berechnungsgrundsätze für Hochwasserschutzwände, Flutschutzanlagen und Uferbauwerke im Bereich der Tideelbe der Freien und Hansestadt Hamburg“. 2013. [16] E. Buckingham, „The principle of similitude“, Nature, Bd. 96, Nr. 2406, S. 396, 1915. [17] D. M. Wood, Geotechnical modelling. CRC Press, 2014. [18] R. Brinkgreve, E. Engin, und H. K. Engin, Validation of empirical formulas to derive model parameters for sands. 2010. doi: 10.1201/ b10551-25. Bauen im Bestand 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 261 Innerstädtische Baugruben - Projektbeispiele mit Lösungsmöglichkeiten zum Bauen im Bestand Dipl.-Ing. Christoph Maier Ed. Züblin AG, Stuttgart Dipl.-Ing. (FH) Tomas Vardijan Ed. Züblin AG, Stuttgart Dipl.-Ing. (FH) Hans-Jörg Krauter Züblin Spezialtiefbau GmbH, Stuttgart Zusammenfassung Die Lebensdauer aller Gebäude ist begrenzt. In zahlreichen Innenstädten werden Bauwerke mit mehreren Ober- und Untergeschossen zurück- oder umgebaut, die bereits massiv mit modernen Herstellverfahren errichten wurden. Insbesondere im Rahmen der Tief bauarbeiten stellen sich dabei große Herausforderungen, da in der Regel Abhängigkeiten zwischen Bestand, Neubau und Nachbarbebauung bestehen. Auf Grundlage von Erkundungen und Bestandsunterlagen müssen Baugrubenkonzepte erstellt werden, die sowohl den Rückbau ermöglichen als auch dem geplanten Neubau Rechnung tragen. Randbedingungen durch geometrische Vorgaben der Architektur sowie nachbarschaftliche Vereinbarungen oder Einschränkungen sind ebenso einzurechnen wie die statischen Belange des Bestands oder der einzubringenden Sicherungsmaßnahmen. Dies erfordert eine gewerkübergreifende Abstimmung und Planung der Baugrube bei einem hohen Maß an Unsicherheiten durch fehlende Grundlagen und Abweichungen in der alten Bausubstanz während der Bauphase. Es wird anhand von Projektbeispielen erörtert, welche Lösungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und welche Randbedingungen jeweils ausschlaggebend sind. Dabei werden unter anderem die Fragen behandelt, inwiefern die bestehenden Bauteile als Verbauten genutzt werden können und wie Untergeschosse und Verbauten rückgebaut werden, bei gleichzeitig funktionierender Baugrubensicherung. 1. Einführung Zu Beginn jeder Baumaßnahme steht die Klärung der Randbedingungen. Diese sind für innerstädtische Projekt deutlich zahlreicher und anspruchsvoller als das Bauen „auf der grünen Wiese“. Entscheidend für alle nachfolgenden Schritte ist eine zielgerichtete Bestandserkundung. Dabei kann es erforderlich werden, dass die Planung parallel zur Bestandserkundung erfolgen muss, um sich einer Lösung schrittweise zu nähern. Im Sinne der Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit ist es häufig das Ziel möglichst viele Teile des Bestands zu erhalten. Jedoch sind manche Ertüchtigungsmaßnahmen im Aufwand unverhältnis-mäßig groß, so dass sich der Neubau als einfacher und wirtschaftlicher darstellt. Innerstätische Nutzflächen sind ein kostbares Gut, weshalb meist die maximal mögliche Fläche angestrebt wird und im Idealfall eine Grenzbebauung ausgeführt werden soll. Dem sind jedoch wortwörtlich Grenzen gesetzt. Diese Grenzen können vertraglich, technisch und wirtschaftlicher Natur sein. Für Neubauten neben einer Bestandsbebauung sind die grundsätzlichen Möglichkeiten in der nachfolgenden Schemaskizze beigefügt. 1. Unterfangung 2. Verbau 3. Böschung Bestand Nachbar 4. Geringere Bautiefe Platzbedarf Abb. 1: Schematische Darstellung zur Ausbildung einer Baugrubensicherung mit benachbarter Bestands-bebauung 1. Unterfangung - kein Platzverlust 2. Verbau - geringer Platzverlust 3. Böschung - hoher Platzverlust 4. Anheben Tiefgeschoss, geringere Geschoss-zahl - sehr hoher Platzverlust 262 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Innerstädtische Baugruben - Projektbeispiele mit Lösungsmöglichkeiten zum Bauen im Bestand Häufig werden in dieser Reihenfolge die Möglichkeiten durchlaufen. Schwierig dabei ist jedoch, dass die Nutzungsflächen bereits durch Parkflächen oder der Gebäudetechnik beansprucht werden und ein weiteres Abrücken von der Grundstückgrenze Auswirkungen auf weitere Gebäudeteile hat. Das Bauen entlang der Grundstücksgrenze führt dann bei einem geringen Flächengewinn im Untergeschoss, zu schwierigen technischen Lösungen und hohen Kosten. Bei einer vorhanden Grundstücksbebauung auf dem Baufeld erhöht dies den Schwierigkeitsgrad, da weitere Unbekannte auf dem eigenen Grundstück hinzukommen. Dies bietet jedoch auch Chancen, da die vorhandenen Bauteile ggf. wiederverwendet werden können. Bei den anfangs in Abb. 1 erwähnten Baugrubenlösungen mittels Böschung oder dem Anhebend der Baugrubensohle entfällt die Problematik, da keine zusätzlichen Bauteile zur Sicherung verwendet wurden. 1. Nutzung Unterfangung 2. Reaktivierung Verbau ODER neuer Verbau Bestand Nachbar 3. Nutzung bestehendes Gebäude Platzbedarf Abb. 2: Schematische Darstellung zur Ausbildung einer Baugrubensicherung bei Wiederverwendung von Verbauelementen. 1. Reaktivierung einer bestehenden Unterfangung 2. Reaktivierung bestehender Verbau, erneute Rückverankerung oder Aussteifung 3. Nutzung Bestandsgebäude z. B. durch Rückverankerung oder Aussteifung im Unter-geschoss. In Anbetracht dieser grundsätzlichen Möglichkeiten werden nachfolgend Projekte vorgestellt und die jeweiligen Lösungen beschrieben. 2. Projektbeispiele Projekt 1 - Königstraße 38, Stuttgart Innerstätischer Neubau Projektrandbedingungen: Abbruch und Neubau eines zweifach unterkellerten Geschäftsgebäudes mit zweiseitig bestehender Grenzbebauung in der Innenstadt von Stuttgart. Der Neubau sollte weitestgehend die frühere Gebäudeabmessungen wieder aufnehmen. Es wurde jedoch um die Breite der früheren Gebäudeaußenwand eingerückt und die neue Bodenplatte oberhalb der Bestandsbodenplatte erstellt. Damit konnte folgendes Baugrubenkonzept realisiert werden: - Oberer Teil - 1.UG: Nutzung der bestehenden Gebäudeaußenwand als Verbau durch Rückverankerung - Unterer Teil - 2.UG: Reaktivierung der bestehenden Schlitzwand mittels Rückver-ankerung und Aussteifung 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 263 Innerstädtische Baugruben - Projektbeispiele mit Lösungsmöglichkeiten zum Bauen im Bestand Abb. 3: Auszug Baugrubenplan Grundriss 2.UG, Königstraße 38 Zunächst erfolgte der Abbruch des bestehenden Gebäudes bis auf GOK. Die Decke über dem UG wurde erhalten und diente weiterhin zur Stützung der Außenwände. Die Positionierung der Anker orientierte sich maßgeblich an den Platzverhältnissen für die Bohrgeräte, da massive Deckenunterzüge noch nicht abgebrochen werden konnten. Gleichzeitig musste der Neubau berücksichtigt werden, denn für jeden Anker wurden Aussparungen vorgesehen, die nach Rückbau des Ankerkopfes wieder geschlossen wurden. In den nachfolgenden Abbildungen sind der Bestand (orange) und der Neubau (violett) dargestellt. Die Ankerachsen sind grün gekennzeichnet, um die notwendigen Öffnungen und Stellmöglichkeiten für die Ankerbohrarbeiten zu kennzeichnen. Abb. 4: Schnitt 1 Baugrubensicherung, Königstraße 38 264 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Innerstädtische Baugruben - Projektbeispiele mit Lösungsmöglichkeiten zum Bauen im Bestand Im zweiten Untergeschoss wurde teilweise das Sicherungskonzept von Injektionsankern auf Steifen umgestellt, da teilweise die Genehmigungen der Anker durch die Nachbarn nicht vorlag und weil geometrische Voraussetzungen die Ankerherstellung nicht zuliesen. Dazu mussten zunächst zur Auflagerung kleine Fundamente, integriert in die Bodenplatte, hergestellt werden und am Stützpunkt der Steife die bestehende Schlitzwand freigelegt werden, sodass die Steife im 2. Untergeschoss eingebaut werden konnte. Erst mit vollständiger Herstellung der neuen Sicherung konnten anschließend die Untergeschossdecken vollständig rückgebaut werden. Abb. 5: Baugrube mit Betonage Bodenplatte, Blick in Richtung Königstraße Die vorhandenen Schlitzwandlamellen wurden in der vorausgegangenen Baugrubenplanung über einen durchlaufenden Kopf balken verbunden und gestützt. Anstatt einer Linienlagerung am Kopf wurden die Schlitzwandlamellen nun punktuell durch Anker oder Steifen gestützt, was statisch zu überprüfen war. Auch die 30cm starke Außenwand im 1.UG wurde durch die Sicherungsarbeiten neu beansprucht. Anstatt der Linienlagerung zwischen Wandlisenen und den Decken wurden Punktlager durch die Anker geschaffen. Der Nachweis gegen das Durchstanzen der Wand führte hier zu deutlich größeren Ankerkopfplatten als es in der Regel erforderlich ist. Auch der damals noch verwendete Betonstahl BSt 420/ 500 musste in der Nachweisführung zusätzlich berücksichtigt werden. Abb. 6: Ansicht Baugrubensicherung, Königstraße 38 Zusammenfassend konnte aus planerischer Sicht der Bestand durch die vorhandenen Unterlagen gut bewertet werden. Einzelne Erkundungsbohrungen dienten dann zur Verifizierung der bisherigen Kenntnisse. Im Zusammenspiel zwischen Abbruch und Ankerbzw. Steifenherstellung war eine intensive Abstimmung zum Bauablauf zwischen Baustelle und Planung erforderlich. Projekt 2 Innerstädtischer Neubau Projektrandbedingungen: Abbruch und Neubau eines einfach unterkellerten Geschäftsgebäudes mit dreiseitig bestehender Grenzbebauung. Die alte Nachbarbebauung musste bereits vor ca. 40 Jahren für das bestehende und jetzt abzubrechende Gebäude gesichert werden. Mit einem leichten Mehraushub gegenüber der damaligen Baugrubensohle sah das Konzept vor, die bestehenden Unterfangungen erneut zu nutzen. In einem kurzen Abschnitt mit nachbarschaftlicher Grenzbebauung sollte der Bestandsverbau entfernt und durch eine neue Unterfangung ersetzt werden, um im Untergeschoss Nutzfläche für Parkplätze zu gewinnen. Nach der Erkundung stieß das Ausgangskonzept zur Baugrubensicherung jedoch an seine Grenzen. Die Unterkante der benachbarten Bebauung wurde etwa an der Oberkante der bestehenden Bodenplatte festgestellt, wodurch ergänzende Sicherungsmaßnahmen noch vor Abbruch der Bodenplatte notwendig wurden. Die unzureichende Tiefe der früheren Unterfangung führte zu einer zusätzlichen Stützung der nachbarschaftlichen Bestandsgründung. Gleichzeitig wurde der Eingriff über die Grundstücksgrenze nicht gestattet und es mussten die Sicherungsmaßnahmen auf dem eigenen Grundstück vorgenommen 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 265 Innerstädtische Baugruben - Projektbeispiele mit Lösungsmöglichkeiten zum Bauen im Bestand werden. Hier hatte man sich für eine vorgesetzte Betonplombe entschieden die als Schwergewichtsblock wirkt und in Abschnitten ab der Oberkante der Bestandsbodenplatte eingebracht wird. Abb. 7: Schnitt Baugrubensicherung mittels Plombe und Kopfstützung der Bestandsunterfangung, Projekt 2 Eine weitere Umstellung der Sicherungsmaßnahme musste bei der geplanten Unterfangung vorgenommen werden, da die vorhandene Bausubstanz der benachbarten Gründung sich bei den Abbrucharbeiten als unzureichend herausgestellt hatte. Gleichzeitig hätte der Rückbau des vorhanden Verbaus direkt vor der Gründung weitere Schädigungen nach sich gezogen, da sich die Ortbetonausfachung mit dem dahinterliegenden Bestand teilweise verzahnt hatte. Abb. 8: Freigelegtes Bestandsfundament Aus diesem Grund wurde ein Platzverlust im Untergeschoss in Kauf genommen und aus Sicherheitsgründen eine Rückverankerung der Außenwand realisiert, die im Endzustand in das Gebäude integriert wird. Zusätzlich musste die Außenwand mit dem Verbau kraftschlüssig verbunden und durch eine händische Unterfangung teilweise tiefer gegründet werden, um den Aushub auf die planmäßige Baugrubensohle zu realisieren. Abb. 9: Schnittskizze Wandsicherung, Projekt 2 266 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Innerstädtische Baugruben - Projektbeispiele mit Lösungsmöglichkeiten zum Bauen im Bestand Die Schwierigkeit in der Baugrubenplanung lag maßgeblich in dem unbekannten benachbarten Bestand. Ohne ausreichende Informationen aus Bestands-unterlagen kann das Baugrubenkonzept nur unter Vorbehalt einer Bestandserkundung erstellt werden. Die Bestandserkundung jedoch liefert auch nur punktuelle Erkenntnisse und bietet für die Planung nie den Umfang an Informationen wie Bestandsunterlagen. 3. Schlussfolgerungen „Bauen im Bestand“ bedeutet in vielen Fällen auch „Bauen mit dem Bestand“. Insbesondere im Tief bau sind die Bestandsbauteile naturgemäß nicht sichtbar und damit schlecht zu bewerten. Liegen keine ausreichenden Bestandsunterlagen vor bleibt zwangsläufig nur die Möglichkeit robuste Annahmen zu treffen und diese im Nachgang durch Erkundung oder bei der Ausführung zu verifizieren. Das heißt natürlich, wie insbesondere im zweiten Projekt aufgezeigt, Risiken einzugehen und damit verbunden Umplanungen und Verzögerungen bei der Bauausführung in Kauf nehmen zu müssen. 4. Ausblick Um längerfristig die schwierigen Baugrubensicherungsmaßnahmen bedingt durch den Bestand zu minimieren, haben wir folgende Empfehlungen und Ideen. Verbesserte Bestandsdokumentation Für Gebäude ist eine Bestandsdokumentation die Regel, bei Verbauten jedoch wird dies häufig vernachlässigt. In vielen Fällen würde eine Bestandsdokumentation des Verbaus und auch der Gründung eine deutliche Erhöhung der Planungssicherheit für zukünftige Projekte bedeuten. Berücksichtigung der Baugrube Das Baugrubenkonzept und die Wahl des Verbaus kann für die Geometrie von Kellergeschossen entscheidend sein. Deshalb ist die Einbeziehung der Baugrubensicherung bereits in der Konzeptphase entscheidend. In den späteren Leistungsphasen sind Umplanungen im Tragwerk und der Architektur meist mit erhöhtem Aufwand verbunden. Verbau im Abbruch denken Alle Gebäude haben eine begrenzte Lebenszeit und müssen rückgebaut werden. Die aufgeführten Beispiele zeigen, dass der Rückbau und Neubau nicht beliebig erfolgen können, sondern maßgeblich von der Bestandsbebauung im und außerhalb des Baufeldes abhängen. Wie kann beispielsweise der nächste Rückbau der Untergeschosse erfolgen? Müssten bei der nächsten Bebauung beispielsweise erneut die Untergeschosswände eingerückt werden, analog der nachfolgenden Abbildung. 1. Bebauung Rückverankerter Verbau Bestand Nachbar 3. Bebauung Rückbau bestehendes Gebäude - Rückverankerung Bestandswand 2. Bebauung Rückverankerte Bestandswand Abb. 10: Schnittskizze, Wiederholte Rückverankerung der Bestandswand Gegebenenfalls können daraus Situationen entstehen bei denen zunehmend Baufläche verloren geht, da der vorhandene Bestand den Rückbau nur eingeschränkt zulässt oder unwirtschaftlich wird. Deshalb wäre ein Grundgedanke bereits bei der Planung eines Projekts den Rückbau des Gebäudes inkl. des Verbaus mit einzubeziehen oder den Verbau auf weitere Bauzyklen auszulegen. Untergeschosse robust auslegen Ein weiterer Ansatz ist, das Kellergeschoss so einfach und robust auszulegen, dass es für mehrere Bauzyklen wiederverwendet werden kann und eine Umnutzung einfach möglich ist. D. h. der Abbruch und Neubau erfolgen stets nur bis an die Geländeoberkante. Vergleicht man die Lebensdauer heutiger Gebäude mit manchen alten Gewölbekellern, besteht bei den heutigen Gebäuden durchaus noch Potential. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 267 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung Sergio Camacho, M. Sc. IngenieurGruppe Bauen, Mannheim Dipl.-Ing. (FH) Frank Deuchler IngenieurGruppe Bauen, Mannheim Zusammenfassung Das Spielhaus des Nationaltheater Mannheim (Baujahr 1957) ist aufgrund veränderter Standards in Bereichen wie Brandschutz und Arbeitssicherheit nicht mehr zeitgemäß. Die anstehende Generalsanierung strebt danach, aus dem Spielhaus ein zeitgemäßes Theatergebäude zu schaffen. Im Rahmen der Generalsanierung sind unterirdische Neubauten geplant. Aufgrund der zahlreichen Besonderheiten im Planungsprozess und der Herstellungsweise rückt der Neubau des Orchesterprobesaals (OPS) im Folgenden in den Fokus. Der OPS wird unterhalb der östlichen Seite des Spielhauses gebaut. Für die Baugrube des OPS ist eine neun Meter tiefe Sicherung durch HDI-Schwergewichtswände erforderlich, sowie verschiedene stählerne Abfangungskonstruktionen, die exklusiv für dieses Bauvorhaben entworfen und ausdetailliert wurden. Sie dienen als tragende Stahltürme und ersetzen wichtige Bauteile sowie als Stabilisierungsgerüst für die freigelegten Franki-Pfähle. Das Tragwerk des OPS wird zwischen den Stahltürmen und freigelegte Franki-Pfähle gebaut. Mittels verschiedene Abfangungsmaßnahmen werden die Franki-Pfähle entlastet und zurückgebaut. 1. Einführung 1.1 Allgemeines Im Jahre 1957 wurde das neue Spielhaus am Goetheplatz des Nationaltheaters Mannheim erbaut und ersetzte somit das während des zweiten Weltkrieges zerstörte alte Theater am Schillerplatz. Das Spielhaus besteht hauptsächlich aus zwei Hauptspielstätten: dem Großen Haus, einem beindruckenden Opernhaus mit rund 1200 Sitzplätzen, und dem Kleinem Haus, einem vielseitigen Schauspielhaus mit etwa 630 Plätzen. Beide Häuser teilen sich ein gemeinsames Foyer, das als zentraler Ort für die Begegnungen und als Treffpunkt für die Besucher dient. Das damals neu errichtete Spielhaus gehörte zu den modernsten Theatergebäuden weltweit. Mehr als 60 Jahre nach seiner Erbauung bleibt das Haus ein kulturelles Herzstück der Stadt Mannheim. Dank seiner zeitlosen Architektur und Funktionalität ist es nicht nur ein bedeutendes Kulturdenkmal, sondern auch im Denkmalbuch Baden-Württemberg eingetragen. Allerdings haben sich im Laufe der Zeit die Anforderungen an öffentliche Versammlungs- und Kulturstätten grundlegend verändert. Insbesondere Aspekte wie Brandschutz, Arbeits- und Betriebssicherheit und technische Anforderungen sind so stark fortgeschritten, dass das Spielhaus des Nationaltheater Mannheim nicht mehr den zeitgemäßen Standards entspricht. Die anstehende Generalsanierung des Spielhauses des Nationaltheaters Mannheim soll sicherstellen, dass das Theatergebäude den Standards des Baurechts, der Arbeits- und Betriebssicherheit, des Brandschutzes, des Denkmalschutzes und des Spielbetriebs entspricht. Ziel ist es, ein zeitgemäßes und funktionsfähiges Theatergebäude zu schaffen. 1.2 Rahmen der Generalsanierung Im Zuge der umfassenden Sanierung des Spielhauses werden aus Sicht der Tragwerksplanung unterschiedliche Maßnahmen im Bestand durchgeführt sowie verschiedene Neubauten konzipiert (siehe Abb.- 1 und Abb. 2). Zu den Arbeiten im Bestand gehören unter anderem der Bau verschiedener neuer, tragender Zwischendecken sowie ein zusätzlicher Lastenaufzugskern. Zudem müssen Teile der vorhandenen Wand- und Deckendurchbrüche im Rahmen der umfangreichen Modernisierung der Haustechnik angepasst werden, unter Berücksichtigung von Verstärkungsmaßnahmen. Die Neubauten setzen sich hauptsächlich aus unterirdischen Bauwerken zusammen, die überwiegend durch neue Türöffnungen und Flure mit dem bestehenden Gebäude verbunden sind. Hierzu zählen unter anderem Werkstätten, Stimmzimmer, der Chorprobesaal und der Orchesterprobesaal. Für sämtliche Neubauten sind Baugruben vorgesehen, die auf vielfältige Weise gesichert werden sollen. 268 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung Abb. 1: überarbeiteter Planausschnitt (Werkplanung): Übersicht der Baumaßnahmen Abb. 2: überarbeiteter Planausschnitt (Werkplanung): Übersicht der Baumaßnahmen 1.3 Der Orchesterprobesaal (OPS) Aufgrund der zahlreichen Besonderheiten im Planungsprozess und der Herstellungsweise rückt der Neubau des Orchesterprobesaals im Verlauf dieser Ausarbeitung besonders in den Fokus. Die Planung des neuen Saals wurde von verschiedenen maßgeblichen Randbedingungen beeinflusst. Unter anderem waren die begrenzte freie Grundstücksfläche sowie das vorgegebene Mindestraumvolumen aus arbeitsrechtlichen Gründen entscheidende Faktoren. Darüber hinaus war aus Denkmalschutzgründen ein oberirdisches Bauwerk am Spielhaus nicht realisierbar. Mit Blick auf diese Randbedingungen und gestützt durch diverse Voruntersuchungen - sowohl rechnerischer als auch praktischer Natur - sowie interner Erfahrungen aus früheren Projekten wurde der Plan für einen neuen Saal entwickelt. Dieser sieht vor, den neuen, größeren Orchesterprobesaal nachträglich unterhalb des östlichen Teils des Spielhauses zu errichten (siehe Abb. 3 bis Abb. 8). Für den Bau dieses Saals wird eine etwa acht Meter tiefe Baugrube benötigt, die durch mittels HDI-Verfahren hergestellte Schwergewichtswände gesichert wird. Aufgrund des unkonventionellen Baufortschritts „von oben nach unten“ sind aufwendige stählerne Abfangungskonstruk- 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 269 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung tionen erforderlich, wodurch bedeutende tragende Bauteile komplett ersetzt und exklusiv für dieses Bauvorhaben entworfen und ausgearbeitet wurden. Dazu gehören Stahltürme aus Mikropfähle und Mantelrohre, die die Gebäudelasten in die tragenden Bodenschichten einleiten, sowie Stahlgerüste, die die Pfahlgründung im Zuge des Erdaushubes gegen ein Ausweichen stabilisieren. Bei Abschluss der Baugrube steht der östliche Teil des Spielhauses teilweise auf den genannten Stahltürmen bzw. auf den freigelegten Pfählen, die seitlich durch die Stahlgerüste gehalten werden. Die Realisierung des neuen Saals erfolgt in zwei wesentlichen Arbeitsschritten. Zunächst wird der Neubau unter Berücksichtigung der Stahltürme und der stabilisierten Pfähle errichtet. Dabei werden temporäre Öffnungen in den Decken und Wänden des Neubaus vorgesehen, die nachträglich nach dem Abbruch der Stahltürme und der Pfähle zubetoniert werden. Um den Rückbau des Stahlbaus und der Pfahlgründung zu ermöglichen, müssen die bestehenden Lasten zunächst auf dem Neubau mittels geschweißter Stahlträger umgelastet werden. Anschließend erfolgt der Abbruch. In den nachfolgenden Abschnitten wird auf verschiedene Einzelheiten des Planungs- und Herstellungsprozesses eingegangen. Abb. 3: Planausschnitt (Werkplanung): Mittelschnitt, vorhandener Orchesterprobesaal Abb. 4: überarbeiteter Planausschnitt (Werkplanung): Mittelschnitt, neuer Orchesterprobesaal Abb. 5: Planausschnitt (Werkplanung): Querschnitt gegen die Achse 17,5 Abb. 6: überarbeiteter Planausschnitt (Werkplanung): Querschnitt gegen die Achse 17,5 Abb. 7: Übersichtsplan der vorhandenen Gründung (IngenieurGruppe Bauen): Franki-Pfähle (Grün) und Fundamentbalken (hellgrau) 2. Beschreibung des vorhandenen Bauwerks 2.1 Allgemeines Das Spielhaus des Nationaltheaters befindet sich am östlichen Rand des Mannheimer Stadtzentrums und ist mit seiner kurzen Seite nach Westen ausgerichtet. Der Grundriss des Spielhauses ist trapezförmig und erstreckt sich über etwa 130 m. An der breitesten Stelle misst es etwa 54 m, während die kürzeste Seite eine Größe von etwa 40 m aufweist. Im Regelbereich erreicht die Höhe 270 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung des Spielhauses etwa 18 m, wohingegen im Bereich der Bühnentürme eine Höhe von etwa 33 m zu verzeichnen ist. Weiterhin wird das Spielhaus entlang seiner langen Seite in zwanzig Zahlenachsen unterteilt, während die Breite des Gebäudes in zehn Buchstabenachsen gegliedert ist. Unterhalb der westlichen Seite des Spielhauses, zwischen den Achsen 2 bis 14, befindet sich ein Luftschutzbunker (siehe Abb. 1). Das Tragwerk des Spielhauses setzt sich hauptsächlich aus Stahl- und Stahlbetonbauteilen zusammen, wobei letztere überwiegen. Neben einem regelmäßigen Stützenraster sind einfache horizontale tragende Bauteile vorhanden, die die Lasten aus den verschiedenen Ebenen in den aufgehenden Bauteilen, wie Stahlbetonstützen, -wände und Mauerwerkswände, ableiten. Um die Gebäudelasten in die tragfähigen Böden einzuleiten, sind zwei wesentliche Systeme implementiert. Zum einen gründet das Gebäude auf den massiven Stahlbetonwänden des vorhandenen Luftschutzbunkers, welche mittels massiver Vorsatzschalen und nachträglich hergestellter Pfähle die Gebäudelasten in die tragfähigen Bodenschichten weiterleiten (zwischen Achse 1 und 14). Zum anderen erfolgt die Einleitung der Gebäudelasten über Fundamentbalken, Wandscheiben und Pfähle in die tieferen Bodenschichten (zwischen Achse 14 und 20). Abb. 8: überarbeiteter Planausschnitt (Werkplanung): Grundriss des neuen Orchesterprobesaal 2.2 Pfahlgründung und Fundamentbalken Die bestehende Pfahlgründung setzt sich aus einzelnen Ortbetonrammpfählen (Verdrängungspfählen) mit unterschiedlichem Durchmesser und Pfahllast zusammen (siehe Abb. 7). Die vorliegenden Unterlagen weisen auf die bekannten Franki-Pfähle hin. Die Herstellung eines Franki-Pfahls erfolgt durch ein Rammverfahren. Im Gegensatz zu herkömmlichen Bohrpfählen, bei denen der anstehende Baugrund durch das Abbohren des Rohres ausgehoben wird, wird beim Franki-Pfahl über einen vorhandenen Betonpfropfen an der Spitze des Rohres mit Hilfe einer Ramme in den Baugrund eingeschlagen. Dabei erfolgen eine unmittelbare Verdrängung und Verdichtung des Baugrunds in der näheren Umgebung. Nach Erreichen der geplanten Tiefe wird der Betonpfropfen aus dem Rohr ausgetrieben und energiegesteuert in den Baugrund eingerammt. Anschließend wird der Bewehrungskorb in das Rohr eingestellt und ebenfalls mit der Ramme Beton eingestampft, während gleichzeitig das Rohr gezogen wird. Abhängig von der Beschaffenheit des Baugrunds wird ein Franki-Pfahl oft deutlich größer im Durchmesser als ursprünglich geplant. Zudem wird durch die Rammenergie die rechnerische Tragfähigkeit häufig übertroffen, sowohl hinsichtlich des rechnerischen Spitzendrucks als auch der 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 271 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung seitlichen rechnerischen Mantelreibung, oft sogar weit übererfüllt. Dabei übernimmt der Pfahlfuß einen erheblichen Anteil der Lasten. Solche Pfähle kommen in der Regel zum Einsatz, wenn in großen Tiefen ein tragfähiger Baugrund vorhanden ist, was mit den vorliegenden Bodenschichten übereinstimmt. Die tragfähigen Bodenschichten sind etwa neun Meter unterhalb der Geländeoberkante zu finden. 2.3 Tragkonstruktion im Bereich des neuen OPS Der neue Orchesterprobesaal mit den Technikräumen und dem Verbindungsbau erstreckt sich im Grundriss zwischen den Achsen 15,5/ C-D bis 19,5/ C´ und 16,5/ C´- D´ bis 18/ A´. Zudem ragen die neuen Bauteile teilweise bis zu 8 m unter die Geländeoberkante. Im ersten Bereich integriert sich der Neubau teilweise in die Deckenkonstruktion über dem Erdgeschoss. Im zweiten Bereich endet der Neubau teilweise unterhalb des Erdgeschosses. Die vorhandene Tragkonstruktion in diesem Bereich wird im Zuge des Neubaus teilweise ersetzt oder gesondert abgefangen und setzt sich aus folgenden Bauteilen zusammen. Die Decke über dem Erdgeschoss, zwischen den Achsen 15,5/ C-D bis 20/ C´-D´, besteht vorwiegend aus dem Doppelboden des Zuschauerraumes (zwischen Achse 15,5 bis 18,5, siehe Abb. 3) sowie aus einer Rippendeckenkonstruktion als Boden der Küche und der Kantine (zwischen Achse 17,5 bis 20, siehe Abb. 3). Die gesamte Deckenkonstruktion spannt als Mehrfeldträger in Richtung der Buchstabenachsen und findet ihre Auflager in den Achsen 15,5, 16, 16,5, 17, 17,5, 18, 18,5, 20. In den Achsen 16 und 17 befinden sich tragende Mauerwerkswände (siehe Abb. 3 und Abb. 9), die von massiven Fundamentbalken auf Franki-Pfählen abgefangen werden. Die tragende Mauerwerkswand in der Achse 15,5 steht auf einer Wandscheibe des Orchestergrabens, die von verschiedenen Franki-Pfählen abgefangen wird. Weiterhin sind in den Achsen 16,5, 17,5 und 18 massive Unterzüge vorhanden (siehe Abb. 7). Dabei handelt es sich um einen Zweifeldträger mit gleichlangen Feldern (Achse 16,5) und zwei Dreifeldträger mit großem Mittelfeld (Achse 17,5 und 18). Die Auflager der Unterzüge sind Stahlbetonstützen, die ihre Lasten direkt in die Pfahlgründung weiterleiten. Das Auflager der Deckenkonstruktion in der Achse 18,5 besteht aus einer massiven Wandscheibe (siehe Abb. 7), die bis in die Dachebene ragt. Hierbei übernehmen insgesamt zehn Franki-Pfähle die Lasten in den Achsen 18,5/ C-D und 18,5/ C´-D´. Zwischen den Achsen 18,5 und 20 trägt die vorhandene Rippendecke als Einfeldträger. Die massive Wandscheibe in der Achse 18,5 übernimmt einen Teil der Lasten. Der Unterzug in der Achse 20 leitet die Lasten zu den Außenstützen weiter, unter denen sich jeweils ein Franki-Pfahl befindet. Abb. 9: überarbeiteter Bestandsplan (ehe. Bauingenieurbüro Fritz Grebner): tragende Bauteile im OPS- Bereich Im Gebäudebereich zwischen den Achsen 16,5/ C´-D´ bis 18/ A´ werden die Gebäudelasten von Stahlbetonstützen (16,5/ C´, 17/ C´, 17,5/ C´, 18/ C´, 17/ B´, 18/ B´, 17/ A´, 18/ A´) und tragenden Mauerwerkswänden (16-18/ C´-D´, 16,5-18/ B´) abgefangen. Verschiedene Franki-Pfähle leiten diese Lasten in die tragenden Bodenschichten weiter. 3. Voruntersuchungen am Bauwerk In den frühen Phasen der Entwurfsplanung wurden diverse Untersuchungen am Bauwerk durchgeführt, um die grundlegenden Rahmenbedingungen für die Planung der Baugrubensicherung sowie verschiedener Abfangungsmaßnahmen zu ermitteln. 3.1 Probeschürfen an der Pfahlgründung Teilweise sollen verschiedene Franki-Pfähle im Zuge der Baugrubenherstellung über mehrere Meter hinweg freigelegt werden, um weiterhin Gebäudelasten in den tragfähigen Boden einzuleiten (s. u.). Bei den rechnerischen Untersuchungen eines solchen Szenarios spielten die geometrischen Abmessungen sowie die vorhandene Bewehrung der Pfähle eine entscheidende Rolle. Die vorliegenden Schal- und Bewehrungspläne der Fundamentbalken zeigen die ursprünglich geplanten Franki-Pfähle, die mit einer Nummerierung versehen sind. Dadurch war dem Planungsteam die genaue Lage der einzelnen Pfähle bekannt. Die Nummerierung der Pfähle auf den Konstruktionsplänen stellt auch den Bezug zur statischen Lastermittlung der einzelnen Pfähle in der statischen Berechnung dar. Gemäß den tabellarisch ermittelten Pfahllasten sind die Pfahltypen entsprechend ihrer Tragfähigkeit zugeordnet. Die Pfähle, die im Rahmen der Baugrubenherstellung freigelegt werden sollten, gehören dem Pfahltyp „Typ 3“ an. 272 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung Tab. 1: Pfahltypen aus den vorh. Unterlagen Typ 1 Typ 2 Typ 3 50 to/ 500 kN 100 to/ 1000 kN 150 to/ 1500 kN Abb. 10: Probeschürfen am Pfahl 20/ B (Typ 3) Aufgrund der begrenzten Menge an verfügbaren Unterlagen zur Pfahlgründung wurden Probeschürfe an verschiedenen Pfählen durchgeführt (siehe Abb. 10). Insbesondere wurden Probeschürfe und Bauteiluntersuchungen an den Pfählen in der Achse 20/ B (Typ 3) und in der Achse 20/ E (Typ 2) durchgeführt. Im Vergleich zu den Konstruktionsplänen wiesen die Pfähle größere Durchmesser ( ≧ 50 cm) auf. Zur Bestimmung der vorhandenen Bewehrung wurde die Betondeckung abgestemmt. Die Bewehrung bestand aus der ü blichen Wendelbewehrung ( Ø = 6 mm) sowie sechs Längsstäben mit unterschiedlichem Durchmesser (20/ B: Ø = 20 mm, 20/ E: Ø = 16 mm). Anhand der festgestellten Geometrie, Pfahllasten, vorgegebener Kennwerte aus dem geotechnischen Bericht (qb,k = 4000 kN/ m², qs,k = 1600 kN/ m²) und der Bodenverhältnisse konnte die innere und äußere Tragfähigkeit der Pfähle im Normalfall nachgewiesen werden. Gemäß den genannten rechnerischen Vorgaben sollten die Pfähle des Typs 3 etwa 1,8 m in die tragfähigen Sande und Kiese eingebunden sein bzw. über 5 m unterhalb der Baugrubensohle (89,02 mNN) reichen. Zusätzlich wurden die Pfähle, die während der Baugrubenherstellung freigelegt wurden, mit den Erkenntnissen aus den Probeschürfen rechnerisch untersucht. Dabei wurden die Pfähle als Pendelstützen mit einer Knicklänge zwischen neun und acht Metern und reduzierter Last im Bauzustand berechnet. Die Berechnungen zeigten Ausnutzungen um die 1,0, wobei die Überschreitungen und Unterschreitungen geringfügig waren. Aufgrund der unabhängigen Durchführung der Berechnungen an einzelnen Systemen und der Redundanz im Bauzustand wurde aus Sicht der Tragwerksplanung eine Erhöhung der seitlich wirkenden Steifigkeit der freigelegten Pfähle als erforderlich erachtet (s. u.). 3.2 Grundwasserverhältnisse Die im geotechnischen Bericht angegebenen Grundwasserstände sehen wie folgt aus. Der 200-jährige Grundwasserstand (90,03 mNN) liegt etwa 1,3 m über der Baugrubensohle des Orchesterprobesaals. Aufgrund des Gewichts ist ein Aufschwimmen der neuen Bodenplatte nicht möglich. Zusätzlich wurde der Grundwasserstand während der Bauzeit (10-jähriges GW) auf der Kote 89,7 mNN geschätzt, was mit der Unterkante der Sauberkeitsschicht des neuen Orchesterprobesaals übereinstimmt. Ein Datenlogger wurde vom geotechnischen Sachverständigen in unmittelbarer Nähe zum Baufeld des zukünftigen Orchesterprobesaals installiert, um den Grundwasserpegel über 18 Monate zu überwachen (siehe Abb. 11). Die Messergebnisse ergaben folgende Erkenntnisse: Der maximal gemessene Grundwasserstand (88,2 mNN) lag etwa 80 cm unterhalb der zukünftigen Baugrubensohle des Orchesterprobesaals. In den Bereichen der Werkstätten und Stimmzimmer lag der maximale gemessene Grundwasserpegel zwischen zwei und drei Metern unterhalb der geplanten Baugrubensohle. Nur die neue Baugrube des Chorproberaums wäre für etwa 7 Tage um ca. 12 cm überschwemmt worden. Des Weiteren stellen die Grundwasserstände im Baufeld Ereignisse von Hochwassersituationen im Neckar dar. Diese resultieren aus extremen Regenfällen, besonders im Frühjahr durch Regen und gleichzeitige Schneeschmelze. Die Hochwasser im Neckar kommunizieren über einen Querfluss in den Kiesbodenschichten mit dem Rhein und sind zeitlich auf wenige Tage begrenzt. Nach Absinken des Wasserhochstands im Neckar normalisieren sich auch die Grundwasserstände in den Mannheimer Kiesschichten. Abb. 11: Überarbeiteter Auszug aus der Grundwassermessung (WPW Geoconsult - Südwest) 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 273 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung In Anbetracht dieser faktischen Gesamtsituation haben Planer und Bauherren auf den Einsatz einer Grundwasserhaltung verzichtet. Das 200-jährige Grundwasser führt in Mannheim zu umfassenderen Problemen als nur auf der Baustelle am NTM. Extreme Hochwassersituationen, die das Baufeld beeinträchtigen könnten, wurden in der zurückliegenden Beobachtungszeit nicht erfasst. Sie wären jedoch, wie zuvor beschrieben, zeitlich begrenzt. Eine dichte Baugrubensohle und eine umfassende Grundwasserabsenkung würden sich auf diese Hochwasserzeiten beziehen und wären daher verhältnismäßig kostspielig. Das großflächige Baufeld ermöglicht eine Anpassung der Bauausführungen auf nicht betroffene Bereiche, um umfangreiche Stillstände zu vermeiden. 3.3 Bodenverhältnisse Das Gelände umfasst Gehwegplatten mit einer Dicke von 8 cm im südlichen und westlichen Teil sowie Parkplätze mit einer bis zu 7 cm mächtigen Schwarzdecke im nördlichen und östlichen Bereich. Unter den Oberflächenbefestigungen und Grünflächen liegt Mutterboden, darunter Auffüllungen aus gemischtkörnigen Sanden und teilweise aus Bauschutt bis in einer Tiefe von 3 bis 5 m. In Tiefen von 4,4 m bis 7,6 m befinden sich plastische Tone, deren Konsistenz mit zunehmender Tiefe abnimmt. Darunter liegen dicht gelagerte Sand- oder Kiesböden. Die Lagerungsdichte steigt mit zunehmender Tiefe. 4. Sicherung der Baugrube des OPS Im Anfangsstadium des Entwurfs wurden diverse Verbauarten, darunter verankerte Spundwände, Berliner Verbau und HDI-Schwergewichtswände, zur Sicherung der tiefen Baugrube des späteren OPS untersucht. Neben der statischen Berechnung erfolgte eine Überprüfung der Machbarkeit dieser Verbauarten in beengten Raumverhältnissen. Für die Herstellung der Baugrubensicherung wurde im Gebäude eine Raumfreiheit von etwa 4,5 m vorgesehen. Die Maschinen zur Errichtung von Spundwänden und Berliner Verbauten sind für diese Raumfreiheit zu groß. Im Vergleich zu anderen Verfahren der Baugrubensicherung oder Unterfangungsarbeiten erfordert das Düsenstrahlverfahren nur vergleichsweise kleine Geräte, die unter Umständen sogar im Inneren des Gebäudes eingesetzt werden können. Durch kurze Schusslängen der Bohrlafette kann flexibel auf kleinere Raumverhältnisse reagiert werden. Ein weiterer Vorteil des Düsenstrahlverfahrens gegenüber herkömmlichen Bodeninjektionen besteht darin, dass DSV-Körper bis knapp unter die Geländeoberkante hergestellt werden können, ohne dass in der Regel bei umsichtiger Vorgehensweise Hebungen zu befürchten wären. Die Sicherung der Baugrube des Orchesterprobesaals erfolgt mittels Schwergewichtswänden, die mit dem HDI- Verfahren hergestellt werden (siehe Abb. 12). Da die Gebäudelasten von der Pfahlgründung in die tiefen Bodenschichten weitergeleitet werden, müssen die Schwergewichtswände hauptsächlich Erddrucklasten standhalten. An wenigen Stellen werden Gebäudelasten im Rahmen des Neubaus über die Schwergewichtswände in den Boden eingetragen. Grundsätzlich lässt sich das HDI-Verfahren gut in den vorhandenen Bodenverhältnissen anwenden, wenngleich einige Bodenschichten für die Herstellung der erforderlichen Geometrie herausfordernd sind. Hierzu gehört unter anderem das Vorschneiden der Tonschicht. Das Verfahren wird außerdem für Auffüllungen (z. B. Kriegsschutt) und für einen älteren tiefergelegten Tennisplatz angepasst. Hierfür sind verschiedene Probesäulen vorgesehen, um die Düsenparameter an die vorhandenen Bodenschichten anzupassen. Des Weiteren sind zusätzliche Maßnahmen im Falle nennenswerter Fehlstellen im statischen Körper aufgrund von Inhomogenitäten im Boden vorgesehen. Beispielsweise können solche Fehlstellen durch Spritzbeton oder Nachinjektionen ausgebessert werden. Abb. 12: Entwurfsplanung (IngenieurGruppe Bauen): Schnitt in der Achse 16, HDI-Schwergewichtswände, Zwillingsträger und Lastturm, gewölbeartige Öffnung 5. Abfangmaßnahmen der Bestandskonstruktion Die Planung der Baugrube erstreckt sich von den Achsen 15,5/ C-D bis 19,5/ C´ und 16,5/ C´-D´ bis 18/ A´. In diesem Bereich stellt die vorhandene Tragkonstruktion eine Herausforderung für die geplanten Bauarbeiten dar. Um die Umsetzung der Baugrube und des Neubaus zu erleichtern, ist der Ersatz und teilweise der Abriss einiger tragender Bestandsbauteile unausweichlich. Insbesondere stellen die tragenden Mauerwerkwände in den Achsen 16/ D-D´ und 17/ D-D´ sowie die Stahlbetonstütze in der Achse 16,5/ E-E´ (siehe Abb. 3, Abb.9, Abb.12 und Abb.-22). Hindernisse für den Zugang zu den hinteren Bereichen des Bestandsgebäudes für die geplanten Baumaschinen dar. Es gibt jedoch auch tragende Bauteile, die die Baugrubenherstellung nicht beeinträchtigen und im Bauzustand zur Lastabtragung genutzt werden können. Hierbei handelt es sich vorrangig um verschiedene Franki-Pfähle, die im Verlauf des Aushubs freigelegt und verstärkt werden. Des Weiteren werden im Rahmen der Erdarbeiten verschiedene Fundamentbalken entfernt, wodurch die Kopplung am Pfahlkopf einiger Franki-Pfähle im Bauzustand entfällt und entsprechend ersetzt werden muss. 274 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung 5.1 Lasttürme Die genannten Mauerwerkswände werden durch Zwillingsträger (Achse 16: 2xHEB 500, Achse 17: 2xHEB 550) ersetzt. Im Bauzustand fungieren sie als Zweifeldträger mit gleichlangen Feldern. Die äußeren Auflager sind bestehende Stahlbetonstützen, die für die neuen Lasten entsprechend angepasst werden (siehe Abb. 13). Durch Kernbohrungen am Stützenkopf und neue Querträger werden die Lasten in die Stützen eingeleitet (siehe Abb. 14). Für die mittleren Auflager der Zwillingsträger sind stählerne Lasttürme vorgesehen. Beide Türme bestehen aus jeweils vier verpressten Mikropfählen, die mit Stahlrohren und weitere Stahlprofile zu tragenden Türmen verschweißt werden (siehe Abb. 15). Die ausgewählten Stahlbauprofile umfassen I-, U-, L- und Rohrprofile. Für die Mikropfähle wurde das Produkt der Firma Ischebeck „Mikropfähle TITAN“ aufgrund der hohen Belastbarkeit gewählt (siehe Abb. 16) . Der Bau der Türme erfolgt in gleicher Weise: Zuerst werden die Mikropfähle und Rohre (Mantelrohre) bis zur geplanten Tiefe in den Boden gleichseitig gebohrt. Dabei ragen die Mikropfähle etwa sechs Meter tiefer in den Boden als die Mantelrohre, während letztere etwa zwei Meter über das Bohrniveau hinausragen. Die Mikropfähle enden direkt unterhalb der Zwillingsträger und überragen die Mantelrohre um etwa zwei bis vier Meter. Der Verpresskörper wird erstellt, und der Raum zwischen Mikropfahl und Mantelrohr wird mit Verpresssuspension gefüllt. Nach einer erforderlichen Aushärtezeit des Verpressguts wird die Kopfkonstruktion der Türme montiert (siehe Abb. 15, Abb. 13, Abb. 16. Abb. 20). Diese Konstruktion setzt sich aus verschiedenen Ebenen aus U-Profilen und massiven Stahlplatten zusammen, die miteinander verschweißt werden. Die stählerne Ebene wird durch Kugelbundmuttern und spezielle Stahlplatten (Lieferprogramm Fa. Ischebeck) kraftschlüssig mit den Mikropfählen und den Zwillingsträgern handfest vorgespannt. Abb. 13: Ausführungsplanung (IngenieurGruppe Bauen): Ansicht der Zwillingsträger (Achse 16 u. 17) Der weitere Bau der Türme erfolgt nach der Herstellung der Abfangkonstruktion in der Achse 16,5/ E-E´, die die vorhandene Stahlbetonstütze ersetzt. Hierfür ist ein weiterer Zwillingsträger (2xHEB450) vorgesehen, der zwischen den Stahltürmen als Einfeldträger spannt (siehe Abb. 15 und Abb. 17). Die HEB450 werden seitlich an der vorhandenen Stütze angeordnet. Auf jedem Träger steht eine Stahlstütze in der Mitte des Feldes, die bis zur Unterkante des vorhandenen Stahlbetonunterzugs (s. o.) geführt wird. Nach dem kraftschlüssigen Verbund zwischen den Stahltürmen und der genannten Abfangkonstruktion mit dem Bestand erfolgt der kontrollierte Rückbau der Mauerwerkswände und der Stahlbetonstütze. Anschließend kann der Bau der Türme fortgesetzt werden. Dabei werden die Mantelrohre parallel zum Erdaushub mittels U-Profilen und horizontalen Auskreuzungen in mehreren vorgegebenen Höhen verschweißt. Grundsätzlich sieht das Tragverhalten der Türme wie folgt aus: Die Lasten aus den Zwillingsträgern werden über die verschiedenen stählernen Ebenen der Kopfbauten in die Mikropfähle als Normalkräfte weitergeleitet. Die Kugelbundmuttern inklusive Stahlplatten sorgen für die Lastübertragung zwischen dem Stahlbau und den Mikropfählen. Die Mikropfähle sind nicht in der Lage die gesamte Höhe im Endzustand (Achse 16: ca. 14,5 m, Achse 17: ca. 16,5 m) ohne seitliche Stabilisierung zu überbrücken. Die mächtigen Mantelrohre und die biegesteifen Verbindungen zwischen ihnen sowie mit horizontalen Auskreuzungen stabilisieren die Mikropfähle gegenüber Abtriebskräften, die aus Schiefstellungen durch Bohrvorgänge sowie Vorkrümmungen von Bauteilen resultieren. Im Wesentlichen leiten die Verpresskörper die Normalkräfte an den unteren Enden der Türme in den tragfähigen Boden. Die horizontalen Auflagerkräfte, die aus den berücksichtigten Abtriebskräften resultieren, werden von mächtigen Zementkörpern aufgenommen und in den Boden eingeleitet. Ein aufwändiges Setzungsmonitoring begleitet die Baumaßnahme. Im Falle von Setzungen kann der Bestand durch in die Stahltürme eingeplante Pressenkammern angehoben werden. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 275 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung Abb. 14: Ausführungsplanung (IngenieurGruppe Bauen): Auflagerausbildung für die Zwillingsträger Abb. 15: Ausführungsplanung (IngenieurGruppe Bauen): Ansicht der Kopf bauten der Lastturme Abb. 16: Mantelrohre und Mikropfähle Abb. 17: Ansicht der Kopf bauten der Lasttürme 276 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung Abb. 18: Ausführungsplanung (IngenieurGruppe Bauen): Ansicht der Lastturme, gewölbeartige Öffnung 5.2 Stabilisierungstürme mit Kopfverband Im Verlauf der Aushubarbeiten müssen mehrere Franki- Pfähle freigelegt werden. Eine umfassende Abstützung aller Pfahl-Lasten wäre aufgrund ihrer enormen Größe mit erheblichem Aufwand verbunden. Daher werden diese Pfähle für die Lastabtragung im Bauzustand weiterverwendet und im Zuge des Aushubs mit Stabilisierungstürmen gesichert, um ein Ausknicken zu verhindern (siehe Abb. 19). Die Konstruktion der Stabilisierungstürme entspricht im Wesentlichen der der Lasttürme, wobei einige Stabilisierungstürme von der rechteckigen Form des Grundrisses abweichen. Des Weiteren erfolgt die Herstellung der Stabilisierungstürme in ähnlicher Weise wie bei den Lasttürmen. Zunächst werden die Mantelrohre und Mikropfähle bis zu den geplanten Tiefen gebohrt und während des Aushubs mithilfe von Stahlprofilen miteinander verbunden. Um den horizontalen Kraftschluss zwischen Turm und Pfahl herzustellen, werden die Lücken zwischen den verschiedenen Koppelebenen und dem Franki-Pfahl mit Beton ausgefüllt (siehe Abb. 19). Die entfernten Fundamentbalken dienten als konstruktive Kopf halterung für die Franki-Pfähle. Ein Verband aus robusten Stahlrohren wird die entfernten Fundamente ersetzen (siehe Abb. 20). Dieser Verband ist teilweise mit den Stabilisierungstürmen an der letzten Koppelebene verschweißt und teilweise an den Stahlbetonstützen oberhalb der Franki-Pfähle befestigt. Die Verbindungspunkte des Verbandes erfolgen durch die Anbindung an weitere vorhandene Bauteile, die von der Baumaßnahme kaum betroffen sind und mit dem verbleibenden Rost aus den Fundamentbalken verbunden werden. 5.3 HDI-Ummantelung vereinzelte Pfähle Einige der Franki-Pfähle befinden sich teilweise direkt an der Kante der Verbauwand. Diese Positionierung erschwert die Errichtung ähnlicher Stabilisierungstürme (s. o.), weshalb alternative Sicherungsmaßnahmen für diese Pfähle getroffen werden. Die Franki-Pfähle werden entlang ihrer gesamten Höhe mit HDI-Säulen ummantelt, wodurch der Durchmesser der Pfähle um mindestens 80 bis 100 cm vergrößert wird. Die Ummantelung gewährleistet durch ihre Steifigkeit eine seitliche Sicherung der Pfähle. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 277 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung Abb. 19: Ausführungsplanung (IngenieurGruppe Bauen): Ansicht der verschiedenen Stabilisierungstürme Abb. 20: Ausführungsplanung (IngenieurGruppe Bauen): Isometrie des Kopfverbandes 278 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung 6. Zusammenspiel der verschiedenen Maßnahmen zur Herstellung der Baugrube Während der Entwurfsphase wurde das Zusammenspiel der verschiedenen Maßnahmen (Erd-, Abbruch-, Abfangungs- und Sicherungsmaßnahmen) zur Errichtung der Baugrube aus der Perspektive der Tragwerksplanung sorgfältig geplant und in einem Ablaufplan strukturiert. Die bestehende Tragkonstruktion spielte dabei eine entscheidende Rolle und prägte den Ablaufplan wesentlich. In einem ersten Schritt entstehen die vorübergehenden Zugänge entlang der Achse 20 und an der Achse B´ (siehe Abb. 21). Anschließend werden nichttragende Elemente wie Bodenplatten und Trennwände entfernt. Parallel zu diesen Maßnahmen entstehen gewölbeartige Öffnungen in den Mauerwerkswänden entlang der Achse 16 und 17 (siehe Abb. 12, Abb. 18 und Abb. 22), um die Montage der langen Zwillingsträger zu ermöglichen und die Kopfkonstruktion der Lasttürme zu errichten. Des Weiteren erfordert der Abbruch mancher tragender Flurwände, die teilweise Bereiche der Decke über dem Erdgeschoss tragen, eine spezielle Vorgehensweise. Die Decke wird mittels robuster stählerner Konstruktionen nach oben abgefangen, was den Rückbau der Flurwände ermöglicht. Gleichzeitig werden die Fundamentbalken freigelegt und durch Sägeschnitte von der restlichen Konstruktion getrennt. In parallelen Arbeitsschritten erfolgt das Düsen der Schwergewichtswände in den zugänglichen Bereichen, das Ausrichten der Zwillingsträger und der Auf bau der Kopfkonstruktion der Lasttürme. Mithilfe hydraulischer Pressen und Kugelbundmuttern wird die Konstruktion an der Doppeldecke kraftschlüssig vorgespannt. Im Anschluss erfolgt der kontrollierte Rückbau der Stahlbetonstütze in der Achse 16,5/ E-E´ sowie der Mauerwerkswände in der Achse 16 und 17. Gleichzeitig beginnen die Bohrarbeiten für die Mantelrohre und Mikropfähle der Stabilisierungstürme. Abb. 21: Ausführungsplanung (IngenieurGruppe Bauen): Baustellenzugang in der Achse B´ Nach Abschluss der vorhin genannten Arbeiten startet der Erdaushub. In diesem Kontext werden auch die restlichen Schweißarbeiten an den Last- und Stabilisierungstürmen durchgeführt. Dabei werden die Mikropfähle und Mantelrohre alle 1,25 m mit weiteren Stahlprofilen zu Türmen verschweißt. Der Kopfverband der Stabilisierungstürme wird erst nach fortgeschrittenem Erdaushub angebracht, um die Erdarbeiten nicht zu behindern (siehe Abb. 23). Abb. 22: Entwurfsplanung (IngenieurGruppe Bauen): Schnitt in der Achse 17, HDI-Schwergewichtswände, Zwillingsträger und Lastturm, gewölbeartige Öffnung. Die Schwergewichtswände werden im Verlauf des Aushubs egalisiert, wobei Fehlstellen (z. B. durch Spritzbeton) ausgebessert und aus der Baugrube ragende Bereiche entfernt werden. Nach Erreichen der Baugrubensohle erfolgt die Herstellung von sechs kapillarbrechenden Durchteufungen der Tonschicht, um einen Grundbruch der Tonschicht nahe den Schwergewichtswänden zu verhindern, verbunden mit der gleichzeitigen Einspülung von Sanden. Abb. 23: Fertige Baugrube aus der 3D-Planung 7. Herstellung des neuen Orchesterprobesaals Der Orchesterprobesaal erstreckt sich zwischen den Achsen 16,5/ D und 19,5/ D´. Dabei handelt es sich um einen großzügigen Raum von etwa 12 Metern Höhe, der sich zwischen der neuen Bodenplatte und der bestehenden Doppeldecke erstreckt. Zusätzlich verfügt der Orchesterprobesaal über zwei Treppenräume (zwischen 16,5/ B´ und 19,5/ D´ bzw. 16,5/ D und 18/ C), die als Verbindungen in den Bestand dienen und zu den verschiedenen Geschossen des Gebäudes führen. Diese Treppenräume sind mit verschiedenen Technikräumen verbunden. An der westlichen Seite des Orchesterprobesaals erhebt sich ein ansprechendes zweigeschossiges Bauwerk (zwischen 15,5/ D und 16,5/ D´), das als Lager für Instrumente dient. Der Verbindungsbau führt zudem zu den neuen Stimmzimmern, wodurch eine harmonische Verbindung zwischen den verschiedenen Räumlichkeiten geschaffen wird. Das Tragwerk des Orchesterprobesaals wird in Stahlbetonbauweise gebaut und funktioniert wie folgt: Das statische System des Zwillingsträgers in der Achse 16 bleibt im 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 279 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung Endzustand unverändert. Hierbei wird anstelle des Lastturms eine Stahlbetonlisene im Instrumentenlager als mittleres Auflager verwendet. In der Achse 16,5 entsteht eine Wandscheibe parallel zum existierenden Unterzug, die bis zur Unterkante des Unterzugs reicht. Diese neu geschaffene Wandscheibe trägt somit den bestehenden Unterzug. Der Zwillingsträger in der Achse 17 entwickelt sich im Endzustand zu einem dreifeldträger. Die mittleren Auflagerpunkte werden durch die neuen massiven Wände in den Achsen D und D´ realisiert und lösen den bisherigen stählernen Lastturm ab. Zudem erfolgt der Rückbau der freigelegten und stabilisierten Franki-Pfähle bis zu den Stützenfüßen mithilfe unterschiedlicher Abfangungsmaßnahmen. Nach Abschluss dieser Maßnahmen leiten die neuen Außen- und Innenwände die Stützenlasten in die Gründung weiter. Die Gründung selbst besteht aus einer elastisch gebetteten Bodenplatte. An einigen Stellen wird die Bodenplatte zusätzlich mit Magerbeton als Brunnengründungskörper verstärkt. Abb. 24: Übersicht der Abfangungsmaßnahmen Der Bau des neuen Tragwerks gliedert sich vornehmlich in zwei umfangreiche Bauabschnitte. Im ersten Abschnitt wird der Neubau zwischen den Last- und Stabilisierungstürmen sowie den mit HDI-Säulen ummantelten Pfählen betoniert. Im zweiten großen Schritt erfolgt die Entlastung und der Rückbau der Lasttürme und Pfähle mithilfe des neuen Tragwerks. Anschließend werden die temporären Öffnungen geschalt und ausbetoniert. Für das Verschließen der Öffnungen in den Achsen D/ 17,5, D/ 18 und D/ 18,5 sowie D´/ 17,5, D´/ 18 und D´/ 18,5 werden die bestehenden Pfähle auf folgende Weise entlastet: Sechs Schwerlasttürme (z. B.: PERI Variokit Schwerlastturm) werden auf der neuen Bodenplatte an den genannten Achsen platziert (siehe Abb. 24) und gegen die Unterzüge in den Achsen 17,5 und 18 sowie gegen die Wandscheibe in Achse 18,5 vorgespannt. Nachfolgend erfolgt der Rückbau der Pfähle inklusive Stabilisierungstürme und HDI-Ummantelung. Die temporären Öffnungen in der Bodenplat- 280 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung te und den tragenden Wänden werden dann bewehrt, geschalt und mit Beton ausgefüllt. Abschließend erfolgt der kontrollierte Rückbau der Schwerlasttürme. Das Vorgehen zur Schließung der Lücken in den Achsen C´/ 16,5, C´/ 17, C´/ 17,5, C´/ 18, B´/ 17 und B´/ 18 weicht kaum voneinander ab. Die Stützen in diesen Achsen werden am Fuß mit Kernbohrungen versehen. Ein geschweißter Stahlkasten wird durch diese Öffnungen geführt und mittels hydraulischer Pressen gegen die Stütze vorgespannt. Die Pressen stehen teilweise auf Innen- und Außenwänden sowie auf der Schwergewichtswänden. In manchen Fällen stehen die Pressen auf der Decke, weit entfernt vom Auflagerbereich. Die konzentrierten Einzellasten werden durch Schwerlaststützen (z. B.: Peri-Up Schwerlaststütze) abgefangen und bis in die Bodenplatte weitergeleitet. Nach dem Abbruch der Pfähle inklusive Stabilisierungsturm oder HDI-Ummantelung werden die Pressen kontrolliert entlastet und gemeinsam mit dem geschweißten Stahlkasten demontiert. Abschließend werden die geschwächten Stützenfüße ergänzt (siehe Abb. 26). Abb. 25: Umlasten des Unterzuges in der Achse 17,5 Abb. 26: Auszug aus der statischen Berechnung: Umlasten der Stütze in der Ahse 16,5 Abb. 27: Auszug aus der statischen Berechnung: Rückbau des Zwillingsträgers in der Achse 16,5 Zum Abschluss erfolgt der Rückbau der Lasttürme inklusive der Querträger. Zunächst wird der zwischen den Lasttürmen liegende Querträger (2xHEB450) demontiert. Hierfür wird die neue Wandscheibe an ihrem unteren Ende in Feldmitte mittels zweier Schwerlasttürme (z. B.: PERI Variokit Schwerlastturm) verstärkt. Die hydraulischen Pressen an den Auflagern der Querträger werden entlastet, wodurch die Querträger inklusive Stahlstützen demontiert werden können. Danach wird die temporäre Öffnung in der Wandscheibe bewehrt und mit Beton ausgegossen. Nach der erforderlichen Aushärtezeit des Betons werden die Schwerlasttürme kontrolliert entlastet, sodass die Wandscheibe als Einfeldträger fungiert. Die neue Stahlbetonwänden in den Achsen D und D´ sind die Auflager dieser Wandscheibe (siehe Abb. 27). Der Rückbau der Lasttürme in den Achsen 16 und 17 erfolgt nacheinander. In der Achse 16 werden die Zwillingsträger in unmittelbarer Nähe zu den temporären Öffnungen der Bodenplatte und der Decken mit mehreren Schwerlastsprießen (z. B.: PERI Multiprop) über alle Geschosse abgefangen. Sind die Schwerlastsprießen kraftschlüssig eingebaut, kann der Lastturm zurückgebaut werden. Anschließend werden die temporären Öffnungen und eine Stahlbetonlisene als Ersatz für den Lastturm bewehrt und betoniert. Die Stahlbetonlisene reicht bis zur Unterkante der Zwillingsträger. Nach der erfor- 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 281 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung derlichen Aushärtezeit des Betons werden die Schwerlastsprießen entlastet und abgebaut (siehe Abb. 28). Für den Abbau des Lastturmes in der Achse 17 sind keine zusätzlichen Abfangungen notwendig. Mithilfe der im Lastturm vorhandenen hydraulischen Pressen werden die Zwillingsträger inklusive Doppeldecke leicht angehoben. Anschließend wird die Lücke zwischen den neuen Stahlbetonwänden und der Unterkante der Zwillingsträger vollflächig und kraftschlüssig ausgemörtelt. Nach der Aushärtung des Mörtels werden die Pressen entlastet und der Lastturm abgebaut. Diese Maßnahme verändert das bisherige statische System des Zwillingsträgers. Im Endzustand trägt der Zwillingsträger als Dreifeldträger mit gleichlangen Außenfeldern und einem größeren Innenfeld (siehe Abb.-29). Abb. 28: Auszug aus der statischen Berechnung: Umlasten des Lastturmes in der Achse 16 Abb. 29: Umlasten des Lastturmes in der Achse 17 Quellen [1 Entwurfs- und Ausführungsplanung der Ingenieur- Gruppe Bauen [2] Werkplanung des Architektenbüros Schmucker und Partner [3 Geotechnischer Bericht vom 08.07.2019 (WPW Südwest) [4] Sämtliche Bestandsunterlagen des ehe. Bauingenieurbüros Fritz Grebner 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 283 Stadionumbau unter laufendem Spielbetrieb: Mercedes-Benz Arena Dr.-Ing. Annette Lächler Smoltczyk & Partner GmbH, Stuttgart Dr. Jan Niklas Franzius, Dipl.-Ing. DIC CEng MICE Ed. Züblin AG, Stuttgart Zusammenfassung Bauen im Bestand stellt in der Regel eine Herausforderung in der Planung und Bauausführung dar. Beim vorliegenden Projekt waren neben den üblichen Randbedingungen insbesondere die baulichen Einschränkungen durch die wasserrechtlichen Randbedingungen, der zeitliche Rahmen der Fertigstellung aber auch der teilweise eingeschränkte Bauablauf auf Grund des parallel laufenden Spielbetriebes zu beachten. Die Planung und Ausführung dieser komplexen Baumaßnahme hat gezeigt, dass nur im Team und in enger Zusammenarbeit aller Beteiligten diese Herausforderungen zu bewerkstelligen sind. 1. Einführung Bis zur Fußball-Europameisterschaft in Deutschland im Jahr 2024 wird die Arena und Heimspielstätte des VfB Stuttgart umfassend modernisiert [1] Der Fokus der Umbauarbeiten ist der Teil-Neuauf bau und die Erweiterung der Haupttribüne, die noch aus dem Jahr 1974 stammt. Neue Sport- und Funktionsräume, ein modernisiertes, erweitertes Business Center, eine Produktionsküche und neue Kioske sowie technische Anlagen für eine nachhaltigere Arena-Nutzung entstehen während des laufenden Arena-Betriebs. Der Zeitplan gibt vor den Umbau im Vorfeld der Europameisterschaften 2024 zu realisieren. Danach wird Stuttgart über eines der modernsten Fußballstadien in Europa verfügen, mit einer Zuschauerkapazität von über 60.000. Neben den geologischen und insbesondere den wasserrechtlichen Randbedingungen war eine der Herausforderungen, die bestehende Gründung auf die neue Einwirkungssituation zu ertüchtigen, aber auch die neue Gründungselemente aus dem Bestand heraus herzustellen. Hierfür kamen, angepasst an die geologischen, wasserrechtlichen und baulichen Randbedingungen, verschiedene Gründungsvarianten zum Einsatz. Hierbei war stets eine maximale Setzung von 10-mm vorgegeben. Die Gründung wurden teilweise während der Ausführung an die aus den vergangenen Bauphasen vorgefundenen Gründungselementen angepasst aber auch zum Teil optimiert. Trotz immensen Zeitdrucks konnten Lösungen im Planungsteam zusammen mit der ausführenden Baufirma gefunden werden. Nachfolgend werden zunächst die geologischen und hydrogeologischen Randbedingungen in Bezug auf die wasserrechtlichen Randbedingungen erläutert und im Anschluss daran einige Beispiele der verschiedenen Gründungselementen sowie technisch und baubetrieblichen Herausforderungen vorgestellt. 2. Geologische und hydrogeologische Randbedingungen 2.1 Geologie Für die Erstellung des geologischen Modells stand dem Geotechnischen Sachverständigen (Smoltczyk & Partner, S & P) eine Vielzahl an Erkundungsbohrungen zur Verfügung. Des Weiteren konnten auf die von S & P durchgeführten Erkundungen aus den vergangenen Jahren, die für den Umbau der Cannstatter und Untertürkheimer Kurve sowie für die Tieferlegung des Spielfeldes durchgeführt wurden, zurückgegriffen werden. Somit konnte das bereits vorhandene geologische Modell durch Kleinbohrungen und Rammsondierungen detailliert und bestätigt werden. Das Modell zeigt vereinfacht einen bis zu vierschichtigem Auf bau aus künstlicher Auffüllung, Auelehm, Neckarkies sowie den Dunkelroten Mergeln des Gipskeupers (Abbildung 1). Zuoberst liegt im gesamten Untersuchungsgebiet künstliche Auffüllung, die beim Bau des Stadions aufgebracht wurde. Die Mächtigkeit der Auffüllung beträgt im Baufeld größtenteils wenige Dezimeter bis rund 1-m. Darunter folgt Auelehm, feinkörnige Ablagerungen, die sich bei Hochwasser auf der Talbodenfläche als Sinkstoffe des Neckars absetzten. Dieser besteht vornehmlich aus einem braunen bis braugrauen, zum Teil auch grauen, tonigen bis stark tonigen, be-reichsweise sandigen Schluff in dem einzelne Kalkstein- und Quarzgerölle eingebettet sind. Seine Konsistenz ist vorwiegend weich und steif, untergeordnet auch sehr weich. Bereichsweise sind sowohl Kiesals auch Sandlagen sowie organische Schlick- und Tonlagen im Auelehm zwischengeschaltet. Der Auelehm wurde nahezu im gesamten Baufeld teilweise abgetragen, lokal auch vollständig und durch Auffüllung ersetzt. Seine Restmächtigkeit beträgt rund 0,2 m und bis knapp 3 m. 284 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Stadionumbau unter laufendem Spielbetrieb: Mercedes-Benz Arena Unter dem Auelehm - bzw. wo dieser fehlt, direkt unter den Auffüllungen - folgt Neckarkies. Dieser besteht aus kiesgroßen Kalksteingeröllen, vereinzelt auch aus Quarzgeröllen, mit wechselnden Sandgehalten. Die Lagerungsdichte der Neckarkiese ist vornehmlich locker. Die Mächtigkeit des Neckarkieses liegt im Südosten, im Norden, und Nordwesten des Baufeldes zwischen 4-m und 6-m, und nimmt zur Baufeldmitte auf meist 2-m bis 3-m ab. Den tieferen Untergrund bilden in Tiefen zwischen 5-m und 8-m unter Gelände die sog. Dunkelroten Mergel des Gipskeupers (Grabfeld-Formation). Entsprechend unseren früheren Bohrungen sowie den Fremdbohrungen bestehen diese aus violettbraunen und rotbraunen, zum Teil zu Schluff zersetzten Schlufftonsteinen. In Anlehnung an die DIN EN ISO 14 689-1 sind diese der Verwitterungsstufe VS3 zuzuordnen. Die Schichten des Gipkeupers setzen sich noch etwa 20-m zur Tiefe hin fort und lagern dort dem Letten-keuper (Erfurt-Formation) auf. 2.2 Hydrogeologie Hauptgrundwasserleiter ist der Neckarkies. Vorfluter ist der rund 500 m südwestlich vom Bauvorhaben fließende Neckar. Bereichsweise kann der Grundwasserspiegel unter dem gering durchlässigen Auelehm gespannt sein. Die von S & P in der Vergangenheit während der Erkundung gemessenen Grundwasserstände und der aktuell gemessene Grundwasserstand liegen auf einem nahezu einheitlichen Niveau zwischen 218,13- mNN und 218,20-mNN. Da auf Grund der wasserrechtlichen Randbedingungen keine Wasserhaltung betrieben werden darf (siehe Abschnitt 2.3) spielt der Grundwasserstand eine wesentliche Rolle beim Bauvorhaben. Für die Planung des Bauablaufs wurde empfohlen einen bauzeitlichen Grundwasserstand von 218,3- mNN anzunehmen. Der Bemessungswasserstand wurde bei 219-mNN festgelegt. Der Grundwasserdruckspiegel des Oberen Muschelkalks, der den Aquifer der Heil- und Mineralwasservorkommen bildet, liegt entsprechend dem Amt für Umweltschutz, Stuttgart, im Baufeld bei etwa 226,4 mNN, also rund 8-m über dem quartären Grundwasserstand im Neckarkies bzw. etwa 5-m über dem anstehenden Geländeniveau. Das Grundwasser ist entsprechend früherer Analysenergebnissen aus Proben, die aus Grundwassermessstellen entnommen wurden wegen seines hohen Sulfatgehaltes von teilweise knapp über 1000-mg/ l als mäßig betonangreifend einzustufen. Abb. 1 Geologischer Geländeschnitt 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 285 Stadionumbau unter laufendem Spielbetrieb: Mercedes-Benz Arena 2.3 Heilquellenschutzverordnung - Wasserrechtliche Randbedingungen Zum Schutz dieser Heilquellen trat 2002 die „Verordnung des Regierungspräsidiums Stuttgart zum Schutz der staatlich anerkannten Heilquellen in Stuttgart- Bad Cannstatt und Stuttgart-Berg“ in Kraft. Mit dieser wurde ein ca. 300 km 2 großes Quellenschutzgebiet festgesetzt, welches, ausgehend von den Fassungsbereichen, von innen nach außen in die Kern-, Innen- und Außenzone gegliedert ist. Das Bauvorhaben liegt in der sogenannten Kernzone. Zur Kernzone zählen die eigentlichen Aufstiegsbereiche der Stuttgarter Heil- und Mineralwässer im Cannstatter Becken und im unteren Nesenbachtal; hier ist das Mineralwasser artesisch gespannt. Entsprechend der Heilquellenschutzverordnung sind erhebliche bauliche und wasserrechtliche Einschränkungen festgelegt. Ein Anschneiden oder ein Eingriff der unter dem Quartär liegenden Keuperschichten, also bei diesem Bauvorhaben die Dunkelroten Mergel, ist verboten. Des Weiteren ist ein Betreiben einer Wasserhaltung ebenfalls untersagt, sowie das Freilegen von Grundwasser in einer Fläche >500 m 2 verboten [2] und [3]. 3. Bauliche Umsetzung der Baumaßnahme Die Haupttribüne der MHP-Arena liegt an der süd-westlichen Seite des Spielfelds entlang der Mercedesstraße. Dabei gliedert sich die Haupttribüne in den Unterrang und den Oberrang. Bei dem Unterrang handelte es sich um eine Stahlbeton-Konstruktion aus den 1960er Jahren, wobei Teile bis in die 30er Jahre zurückdatiert werden können. Der Oberrang wurde erst für die Fußball-WM 2006 errichtet und besteht aus einer Stahlkonstruktion mit aufgesetzten Beton-Fertigteil-Tribünenstufen. Während der gesamten Umbaumaßnahme musste der Oberrang bei Spieltagen weitgehend im Betrieb bleiben, was zahlreiche Einschränkungen in den Baumaßnahmen im darunterliegenden Unterrang zur Folge hatte. Zusätzlich erfolgte die gesamte Baumaßnahme unterhalb des zur Leichtathletik-WM 1993 errichteten Membrandach - auch hieraus ergaben sich etliche Einschränkungen v.a. hinsichtlich Kranbarkeit während der Baumaßnahme. Die Baumaßnahme kann grob in drei Teilbereiche gegliedert werden: 3.1 Abriss und Neubau des Tribünenbereiches des Unterrangs Die Stahlbetonkonstruktion des Unterrangs wurde komplett abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Hierdurch stehen nach dem Umbau im Inneren des Tribünenbereichs zeitgemäße Räumlichkeiten zur Spielvor- und nachbereitung (Umkleidekabinen, Pressekonferenzräume etc.) sowie ein „Tunnel-Club“ für VIP-Gäste zur Verfügung. Die Abbruchkante folgte ungefähr der Vorderkante des Oberrangs, welcher während der gesamten Maßnahme im Betrieb blieb. Dieser Bereich wurde mittels einer statisch wirksamen Bodenplatte gegründet, örtlich kamen zusätzliche Brunnengründungen zum Einsatz. 3.2 Erweiterung der VIP-Bereiche entlang der Mercedesstraße Die Fassade entlang der Mercedesstraße, bestehend aus markanten Bullaugen-Fenstern, wurde abgerissen und das Gebäude in diesem Bereich zur Mercedesstraße hin vergrößert. Die Erweiterung erstreckt sich ungefähr bis hin zu den bestehenden Stützen des Membrandachs und vergrößern den Stadionbau im größten Querschnitt um bis zu 18-m. Das Projekt beinhaltete auch zahlreiche Umbauten innerhalb des verbleibenden Stadionbereiches, direkt unter der zu erhaltenen Erschließungsebene für den Oberrang. So mussten 2 komplett neue Treppenhäuser inkl. Aufzüge in den bestehenden Bau integriert werden, was umfangreiche Einschnitte auch in die Bestandsbodenplatte mit entsprechenden Unterrüstungsmaßnahmen zur Folge hatte. Die Gründung in diesem Teil erfolgte primär durch Ortbetonrammpfähle. In Bereichen, in denen die Zugänglichkeit für das Pfahlgerät nicht gegeben war, wurde eine Tieferführung der Fundamente bis zum Neckarkies mittels Düsenstrahlverfahren (DSV) oder Brunnengründung vorgenommen. Zusätzlich mussten in diesem Gebäudeteil Unterfangungsarbeiten unter bestehenden Fundamenten vorgenommen werden. 3.3 Neubau der Technikbereiche Im Übergang zu den Kurvenbereichen (Cannstatter Kurve und Untertürkheimer Kurve) wurde der bestehende Bau einschließlich der Zugangsebene für den Oberrangs komplett abgerissen und neu errichtet. Da der Oberrang auch diesen Bereich überspannt, musste dieser während der Baumaßname durch eine Stahlfachwerkkonstruktion hochgehängt werden und die daraus resultierenden Lasten über den Bestand abgetragen werden. Auch dieser Bereich gründet auf Ortbetonrammpfählen, wobei zusätzliche Einzelfundamente entweder per DSV oder per Brunnengründung tiefergeführt wurden. 4. Verwendete Gründungsvarianten 4.1 Gründung mittels statisch wirksamer Bodenplatte Diese Gründungsvariante kam hauptsächlich unterhalb der neu erstellten Tribünenbereiche, in direkter Angrenzung an das Spielfeld zum Einsatz. Der Grundwasserspiegel lag nur wenige Dezimeter unter der geplanten Baugrubensohle. Im westlichen Bereich war entsprechend der Erkundungsergebnisse in der Baugrubensohle mit den Schichten des Neckarkies zu rechnen, der Richtung Osten abtauchte, so dass im östlichen Bereich Auelehm auf der Gründungssohle angetroffen wurde. In den Teilbereichen, auf denen auf der Baugrubensohle der Auelehm vorhanden war, wurde ein Bodenaustausch mit Schotter im Bereich der bindigen Bodenschichten hergestellt. Dieser Bodenaustausch mit sogenannten „Schroppen“ diente der Vermeidung einer Verschlammung und Stabilisierung der Baugrubensohle. Hierzu wurde der Boden rund 0,3-m unter dem Grundwasserspiegel gegen den Grobschotter ausgetauscht und über- 286 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Stadionumbau unter laufendem Spielbetrieb: Mercedes-Benz Arena höht eingebaut, mit einer schweren Rüttelplatte mit vier Übergängen verdichtet und anschließend auf die Solltiefe der Baugrubensohle ausgehoben. Darauf wurde dann geplante Bodenplattenunterbau (Sohlfilter, Dämmung und Sauberkeitsschicht) aufgebracht. Der Bodenlattenunterbau wurde in mehreren Teilabschnitten hergestellt und kontinuierlich durch S & P begleitet (Abbildung 2). Dies erforderte engmaschige Abnahmen. Entsprechend den wasserrechtlichen Auflagen mussten arbeitstäglich bei freigelegten Flächen, in denen Grundwasser angetroffen wurde, die Vor-Ort-Parameter, pH-Wert, die elektrische Leitfähigkeit sowie CO 2 -Messungen durchgeführt werden. Überschreitungen der Grenzwerte wurden nur beim pH-Wert gemessen, was jedoch auf die umliegenden Betonierarbeiten zurück zuführen war. Abb. 2 Herstellung des Bodenplattenunterbaus, Einbau der Schroppen bei einem letzten Teilabschnitt Nur in einzelnen, örtlich begrenzten Bereichen, musste für Aufzugsunterfahrten (siehe Abbildung 3) oder für die Verlegung von Grundleitungen im Grundwasser gearbeitet werden. Hierzu wurde mit Hilfe eines sogenannten Krings Verbaus der Aushub unter Wasser durchgeführt, eine Ausgleichschicht aus Unterwasserbeton eingebracht und die Fertigteile mit Hilfe eines Autokrans eingestellt. Abb. 3 Herstellung einer Aufzugsunterfahrt und von Grundleitungen im Grundwasser 4.2 Gründung mittels Ortbetonrammpfählen mit Innenrammung Auf Grund der hohen Punktlasten im Bereich der Stadionerweiterung in Richtung Mercedesbenzstraße sowie im Bereich der neu zu errichtenden Technikzentralen wurde eine Gründung mittels Orbetonrammpfähle mit Innenrammung gewählt. Eine Tiefgründung mit Hilfe von Bohrpfählen war auf Grund der geringmächtigen Neckarkiese von 3-m bis 4-m sowie des geringen Pfahlwiderstandes auf Grund der lockeren Lagerung nicht möglich, um die Einwirkungen in den Baugrund abzutragen. Das Gründungssystem mittels Ortbetonrammpfählen wurde bereits für die Baumaßnahmen in der Cannstatter und Untertürkheimer Kurve eingesetzt. Für die Bemessung der Pfahlgründung konnte auf die Erfahrungswerte der Proberammung an der Untertürkheimer Kurve zurückgegriffen und auf Grundlage der Probebelastung die Pfahlwiderstände empfohlen werden. Auf Grund der lockeren Lagerung der Neckarkiese war eine Kiesvorverdichtung notwendig. Die Ortbetonrammpfähle wurden bis auf die Oberfläche der Dunkelroten Mergel abgeteuft. Hierzu war eine Befreiung von der Heilquellenschutzverordnung notwendig, da der Sicherheitsabstand zur Basis der quartären Schichten nicht eingehalten wurde. Bautechnisch war die Herstellung der Pfähle eine Herausforderung, da diese unter dem vorhandenen Membrandach und in einigen Bereichen auch unterhalb der Zugangsebene zum Oberrang hergestellt werden musste (Abbildung 4). Das Rammgerät musste für dieses Bauvorhaben umgebaut werden, teilweise waren nur wenige Dezimeter zwischen Mast und dem Dach vorhanden. Eine weitere Herausforderung war die Erstellung der Pfähle direkt neben den flach gegründeten Fundamenten des Membrandaches. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 287 Stadionumbau unter laufendem Spielbetrieb: Mercedes-Benz Arena Abb. 4 Herstellung von Ortbetonrammpfählen Die Rammarbeiten wurden messtechnisch überwacht (siehe Abbildung 5). Insgesamt wurden 71 Pfähle abgeteuft, wobei die Rammarbeiten in mehreren Phasen, abhängig vom parallellaufenden Abriss durchgeführt werden mussten. Abb. 5 Messtechnische Überwachung der Herstellung 4.3 Gründung mittels Tieferführungen Im südlichen Teil der Baumaßnahme (Richtung Untertürkheimer Kurve) mussten neu zu bauende Einzelfundamente bis auf den Neckarkies tiefergeführt werden. Die Oberkante des Neckarkies lag dort rund 4-m unter der Arbeitsebene und teilweise bis zu 2-m unterhalb des Grundwasserspiegels, was zur Folge hatte, dass eine konventionelle Flachgründung nicht ausgeführt werden konnte. Teilweise waren die neuen Fundamente in unmittelbarer Nähe zu Bestandsgründungen, deren Tiefenlage nicht in den alten Schalplänen hinterlegt war. Die neuen Fundamente waren Großteils im Bestand notwendig, so dass eine geringe Arbeitshöhe zur Verfügung stand. Sofern es die Arbeitshöhe zuließ, wurden diese Tiefergründungen mittels Brunnengründung ausgeführt (Abbildung 6). Teilweise wurde ein Voraushub durchgeführt. Die Brunnen wurden mit einem Durchmesser von 1,2m hergestellt. Abb. 6 Brunnengründungen 288 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Stadionumbau unter laufendem Spielbetrieb: Mercedes-Benz Arena Für zwei neu zu erstellenden Treppenhäusern mit Aufzugsunterfahrt stellte sich die Situation bautechnisch komplizierter dar: Hier war auf Grund des Platzbedarfs unterhalb der bestehenden Zugangsebene für den Oberrangs ein Einsatz der Ortbetonrammpfähle nicht möglich. Gleichzeitig behinderte ein Bestandsfundament, welches erst zu einem späteren Zeitpunkt abgebrochen werden konnte, den Einsatz größerer Gerätschaften. Für eines der beiden Treppenhäuser wurde die Gründung mittels 32 DSV Säulen auf den Neckarkies geführt, welcher in diesem Bereich unterhalb des Grundwassers lag. Hierbei musste mittels Schrägbohrungen der DSV-Gründungskörper nach unten hin vergrößert werden, um die Sohlspannungen auf dem Neckarkies und damit die Setzungen auf den zulässigen Grenzwert zu begrenzen. Beim anderen Treppenhaus war zwar die Platzsituation vergleichbar eng, jedoch wurde hier der Neckarkies oberhalb des Grundwasserspiegels angetroffen. Aus diesem Grund war es möglich, auf eine DSV-Gründung zu verzichten und stattdessen das Einzelfundament mittels eines tiefer geführten bewehrten Fundamentkörpers auf die benötigte Aufstandsfläche zu vergrößern. Diese Umplanung wurde kurzfristig nach erfolgten Schürfungen gemeinsam zwischen Tragwerksplaner, geotechnischem Sachverständigen und ausführender Baufirma geplant und erfolgreich umgesetzt. Abb. 7a Blick auf das freigelegte Fundament - Ausgangssituation Abb. 7b Bestandsfundament mit Anschlussbewehrung für die Erweiterung 4.4 Unterfangungsarbeiten Auf Grund der Tieferlegung des Tribünenbereichs und der Technikbereiche, waren Unterfangungsarbeiten der bestehenden Fundamente notwendig. Folgende Unterfangungsarbeiten waren für verschiedene bauliche Eingriffe notwendig: i. Im Bereich der neuen Technikzentralen liegen die neuen Bodenplatten tiefer als die benachbarten Bestandsbereiche. Der daraus resultierende neue Bodenplattensprung musste entweder durch konventionelle Unterfangung oder mittels DSV gesichert werden. ii. An einigen Stellen konnten erhöhte Lasten aus dem Neubau nicht mehr über bestehende Fundamente abgetragen werden. Diese mussten daher durch tieferliegende bewehrte Fundamente ertüchtig werden. Im Folgenden werden die Unterfangungsarbeiten im Detail erläutert. 4.4.1 Konventionelle Unterfangungen Je nach den vorliegenden baulichen Randbedingungen wurden Unterfangungen konventionell im Pilgerschrittverfahren unter bestehenden Streifen-fundamenten durchgeführt. Bei diesen Arbeiten kam es jedoch häufig zu Kollisionen mit bestehenden, nicht in der Bestandsplanung verzeichneten, Objekten. Sofern durch Schürfungen nachgewiesen werden konnte, dass es sich hierbei um bereits im Bestand vorhandenen (meist unbewehrte) Tieferführungen auf den Neckarkies handelte, konnte in diesen Bereichen auf einen zusätzlichen Unterfangungskörper verzichtet werden. Nicht immer konnte eine Tieferführung eindeutig nachgewiesen werden, so dass statt einer konventionellen Unterfangung DSV-Säulen durch den unerwarteten Fundamentkörper eingebracht werden mussten, um eine verlässliche Gründung bis unter die neu zu erstellenden Bodenplatte zu gewährleisten. Abb. 8 Unterfangenes Fundament nach Teilfreilegung 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 289 Stadionumbau unter laufendem Spielbetrieb: Mercedes-Benz Arena 4.4.2 Unterfangung mittels DSV Die Unterfangungsarbeiten mussten nicht nur bei Streifenfundamenten, sondern auch bei Einzelfundamenten ausgeführt werden. Teilweise war ein Ablasten nicht möglich, so dass die Fundamente noch eine tragende Funktion im Bestandsgebäude hatten, die in der Regel durch den Teilrückbau reduziert war. Für die Fundamente mussten Nachweise der Tragfähigkeit zum Zeitpunkt der Herstellung der DSV durchgeführt werden. Es wurde möglichst versucht, die Säulen so herzustellen, dass keine Kernbohrung durch das Bestandsfundament notwendig wurde. Wenn dies aufgrund geometrischer Randbedingungen nicht möglich war, musste die Bohrung durch den Bestand vom Tragwerksplaner im Voraus untersucht und freigegeben werden. Teilweise waren hohe Druckfestigkeiten der DSV-Körper bis zu f m,k -=-6-N/ mm², insbesondere auch im Auelehm notwendig. Diese wurden in den vorab hergestellten Probesäulen und der Probezylindern bestätigt. Abb. 9 Herstellung von DSV-Körpern mit eingeschränkter Arbeitshöhe 4.4.3 Bewehrtes Fundament An einer Stelle des Gebäudes war ein bestehendes Streifenfundamten durch einen darunterliegenden bewehrten Fundamentkörper zu ertüchtigen. Da dieser Fundamentkörper unter einem der Auflagerpunkte der temporären „Hochhängung“ des Oberrangs lag, musste dieser bereits im Bauzustand höhere Lasten aufnehmen. In Konsequenz waren diese Arbeiten vor der Hochhängung des Oberrangs auszuführen und waren daher zeitkritisch für die Gesamtfertigstellung des Projektes waren. Die Arbeiten wurden in enger Abstimmung zwischen Tragwerksplaner, geotechnischem Sachverständigen und der ausführenden Baufirma geplant und die Arbeiten wurden in folgender Reihenfolge durchgeführt: iii. Ertüchtigung bzw. Tieferführung der seitlichen Fundamentkörper mittels DSV-Säulen. Einbringung zusätzlicher DSV-Säulen im Bereich unterhalb der Unterfangung (mit Leerbohrung in Höhe der eigentlichen Unterfangungsmaßnahme). iv. Abbruch der Bodenplatte und Erstellung einer Baugrube vor dem zu unterfangenen Fundament. v. Unterfangung des Fundamentkörpers im seitlichen Schutz der zuvor hergestellten DSV-Körper vi. Einbringen des Bewehrungskorbs mit seitlichen Anschlussmuffen für die spätere seitliche Fortführung der Bewehrung. vii. Betonage des neuen Fundamentkörpers unterhalb des Fundaments. Einbringung des Betons über die Zugangsbaugrube. Betonage bis ca. 5 cm unterhalb des Bestandsfundaments. viii. Verguss des Zwischenraums mit Pagel (Emcrete 50A) über die DSV-Bohrungen. Während der Arbeiten wurde die Baugrube belüftet und hinsichtlich CO 2 -Konzentration überwacht. Die zuvor seitlich eingebrachten DSV-Körper dienten zur Lastabtragung der benachbarten Fundamente während des Bauzustands und sicherten damit die Unterfangung zur Seite hin gegen Grundbruch. Abb. 10 Händischer Aushub unter dem zu unterfangenden Fundament Die Bewehrungsführung wurde in Zusammenarbeit zwischen ausführender Firma und Tragwerksplaner auf die engen Platzverhältnisse hin angepasst. Im Zuge des Weiteren Abriss wurden die benachbarten Fundamentkörper inklusiv der DSV-Säulen abgebrochen und der tiefliegende Fundamentkörper zu beiden Seiten hin mit dem Neubau bewehrungstechnisch verbunden. 5. Fazit Projekte im Bauen im Bestand erfordern häufig komplexe Gründungskonstruktionen, die sich aus den Randbedingungen der bereits bestehenden Fundamente ergeben. Bei solch komplexen Bauvorhaben muss die Planung der Gründung häufig während der Bauphase angepasst werden, was im vorliegenden Fall aufgrund der guten Zusammenarbeit aller Beteiligter und in einer guten Teamarbeit realisiert wurde. 290 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Stadionumbau unter laufendem Spielbetrieb: Mercedes-Benz Arena 6. Dank Der Dank gilt an dieser Stelle allen Projektbeteiligten, insbesondere den Teamkollegen von asp Architekten Stuttgart, schlaich bergermann und partner (sbp) Stuttgart, der Projektsteuerung Ernst & Young Real Estate GmbH und zu guter Letzt dem Bauherrn, der Stadion NeckarPark GmbH & Co. KG. Referenzen [1] E. Becker, T. Dölle & W. Rothenbacher (2023): Ressourcenschonender Umbau der Mercedes-Benz Arena. In: 19. Symposium Baustoffe und Bauwerkserhaltung, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), 9. 3. 2023, S. 37-47 [2] G. Wolff: Technischer Heilquellenschutz in Stuttgart Fortschreibung 2021. In: Schriftenreihe des Amtes für Umweltschutz 1/ 2021, 257 S. [3] Regierungspräsidium Stuttgart: Verordnung des Regierungspräsidiums Stuttgart zum Schutz der staatlich anerkannten Heilquellen in Stuttgart-Bad Cannstatt und Stuttgart-Berg vom 11. Juni 2002. In: Gesetzblatt für Baden-Württemberg 7/ 2002, S. 255-260. Baugruben 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 293 Innovatives Konzept für eine der tiefsten Baugruben von Frankfurt am Main - Baugrube Station „Güterplatz“ im Zuge der Verlängerung der Stadtbahnlinie U5 Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Moormann Universität Stuttgart, Institut für Geotechnik Ruzica Marijanovic, M. Sc. ARGE U5 Europaviertel, Frankfurt am Main Dipl.-Ing. Thomas Beckmann ARGE U5 Europaviertel, Frankfurt am Main Dr.-Ing. Patrik Buhmann MGC Moormann Geotechnik Consult, Stuttgart Dipl.-Ing. Sven Kirchner Stadtbahn Entwicklung und Verkehrsinfrastrukturprojekte Frankfurt GmbH, Frankfurt am Main Dr.-Ing. Alexandra Weidle Ingenieursozietät Prof. Dr.-Ing. Katzenbach GmbH, Frankfurt am Main Zusammenfassung Im Zuge der Verlängerung der Stadtbahnlinie U5 in das Frankfurter Europaviertel wird nach Abschluss des Tunnelvortriebs aktuell die tiefe Baugrube für die unterirdische Station ´Güterplatz´ errichtet. Die rund 180 m lange und im Mittel 30 m breite Baugrube, die bis auf rund 24 m Tiefe ausgehoben wird, grenzt allseits unmittelbar an eine intensive innerstädtische Bebauung mit zahlreichen Hochhäusern, sodass eine sehr verformungsarme Ausführung der Baugrube zwingend ist. Für die tiefe Baugrube wird ein für Frankfurter Verhältnisse neues Verbaukonzept umgesetzt, indem die Verbauwand als tiefreichende Schlitzwand in Verbindung mit einer dreilagigen Aussteifung aus massiven Stahlbetonsteifen und einer Grundwasserentspannung im Tertiär über die offene Baugrubensohle ausgeführt wird. Zur Beherrschung der hohen Wasserdrücke wurden unterhalb des Endaushubniveaus in der Schlitzwand sogenannte ´Schlitzwandfenster´ integriert, die zu einer räumlichen Reduktion der resultierenden Wasserdruckbeanspruchung führen. Die Stahlbetonsteifen mit Querschnittsabmessungen von bis zu 1,0 m x 1,7 m müssen charakteristische Normalkräfte von bis zu 22,5 MN aufnehmen. Berichtet wird über die Konzeption, die Bemessung sowie die messtechnisch begleitete Realisierung dieses Baugrubenprojektes. 1. Einführung Das Projekt ´Stadtbahn Europaviertel´ ist eines der größten Infrastrukturprojekte der Stadt Frankfurt am Main, mit dem die Stadtbahnlinie U5 über den Hauptbahnhof hinaus in das auf dem ehemaligen Hauptgüterbahnhof der Stadt Frankfurt errichtete neue Europaviertel verlän-gert wird [1]. Die Strecke mit vier Stationen ist 2,7 km lang. Sie verläuft von einem Anschlussbauwerk unter dem Platz der Republik durch die unterirdische Station ´Güterplatz´ und dann über eine Rampe an die Oberfläche und in der Mitte der Europa-Allee weiter Richtung Westen. 294 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Innovatives Konzept für eine der tiefsten Baugruben von Frankfurt am Main Abb. 1 Lageplan Trassierung Stadtbahn Europaviertel [4] Das Projekt besteht aus zwei Baufeldern: Dem Baufeld ´Güterplatz´, wo das einzige unterirdische Stationsbauwerk in offener Bauweise entsteht und dem Baufeld in der Mitte der Europa-Allee. Von hier aus startete die Tunnelbohrmaschine und erstellte zwei Tunnelröhren bis zum Anschlussbauwerk unter dem Platz der Republik in maschineller Bauweise [2, 3] (Abb. 1). Verantwortlich für Planung und Realisierung ist die Stadtbahn Entwicklung und Verkehrsinfrastrukturprojekte Frankfurt GmbH (SBEV). Die Ausführung erfolgt durch die aus der Porr GmbH & Co. KG aA und der Stump Spezialtief bau GmbH bestehende ARGE ´U5 Europaviertel´. Mit dem Abschluss der Tunnelbohrarbeiten [5, 6] hat im Sommer 2022 der Aushub der tiefen Baugrube für die unterirdische Station ´Güterplatz´ begonnen. Diese Baugrube besitzt bei Grundrissabmessungen von 173 m in Ost-West-Richtung und 25 m bis 35 m in Nord-Süd-Richtung im Endaushubzustand eine Baugrubentiefe von im Mittel 23,6 m. Sie ist damit eine der bisher tiefsten Baugruben von Frankfurt. Die Stationsbaugrube grenzt allseits unmittelbar an eine intensive innerstädtische Bebauung mit dem 27stöckigen Wohnhochhaus ´Eden Tower´ und dem 128 m hohen ´Spin Tower´ im Süden [7] sowie dem ´Grand Tower Frankfurt´, mit 180 m Höhe Deutschlands höchstes Wohnhochhaus [8], sowie dem Einkaufszentrum ´Skyline Plaza´ im Norden (Abb. 2), sodass eine sehr verformungsarme Baugrube zwingend ist. Die Baugrubenkennzahl T BK = (H res / E s ) · 100 [m] beträgt rd. 8,0 m; ab einer Größe von T BK = 0,4 m wird eine Baugrube als „Tiefe Baugrube“ bezeichnet und in die Geotechnische Kategorie GK 3 eingestuft [9]. Abb. 2 Übersicht tiefe Baugrube Station ´Güterplatz´ im innerstädtischen Umfeld: links: Blick in Richtung Osten nach Einbau der zweiten Steifenlage und rund 12 m Aushubtiefe (© K. Helbig, SBEV); rechts: Lageplan mit umgebender Bebauung (© Google Earth) 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 295 Innovatives Konzept für eine der tiefsten Baugruben von Frankfurt am Main 2. Baugrund- und Grundwassersituation Die Baugrundsituation wird im Bereich der Trasse der Erweiterung der U5 zunächst von den quartären Sanden und Kiesen der Main- und Niddaterrassen geprägt, die durch anthropogene Einflüsse teilweise durch mächtige Auffüllungen ersetzt sind. Im Liegenden folgen bis in große Tiefe tertiäre Schichtenfolgen, wobei im westlichen Trassenabschnitt die oberste Tertiärschicht von pliozänen Sanden gebildet wird. Im östlichen Trassenabschnitt bilden hingegen die Hydrobienschichten des Miozäns die oberste Tertiärschicht, die von ausgeprägt plastischem Ton und feinsandigen Schluffen steifer und halbfester Konsistenz sowie von eingelagerten Hydrobiensandlagen und Kalkstein-, Dolomit- und Algenkalkbänken gebildet wird und als ´Frankfurter Ton´ bezeichnet wird. Abb. 3 Baugrundsituation im Bereich der Station ´Güterplatz´: a) Grundriss, b) Schematischer Schichtenauf bau im Osten (BP Ost, Schnitt 2-2) und c) in einem kurzen Abschnitt im Westen (BP West, Schnitt 1-1) In der Grundrissfläche der Station ´Güterplatz´ findet geologisch gesehen der Übergang vom westlichen zum östlichen Trassenabschnitt statt, so dass in einem relativkurzen Abschnitt im westlichen Bereich der Baugrube das Pliozän für den Verbau maßgebend wird. Die Baugrundsituation im Bereich der Station ´Güterplatz´ wurde daher über bereichsweise definierte Bemessungsprofile berücksichtigt, die als ´BP Ost´ und ´BP West´ bezeichnet werden (Abb. 3). Neben dem oberen, in den quartären Sanden und Kiesen ausgebildeten Grundwasserleiter bilden innerhalb der miozänen Schichtfolgen die in die Tone eingeschalteten wasserführenden Sande und Kalksteinbänke einen unteren Grundwasserleiter, dessen Druckhöhe im Ausgangszustand in etwa mit dem des oberen freien Grundwasserleiters korreliert und daher unter den Tonen gespannt ist. Der Bemessungswasserstand wurde für die Baugrube Station ´Güterplatz´ mit +93,5- mNHN festgelegt, i.- e. 3,5-m unter dem im Mittel bei +97,0-mNHN liegenden Gelände. 3. Baugrube für das Stationsbauwerk ´Güterplatz´ 3.1 Baugrubenkonzept Die Baugrube folgt dem Konzept einer Trogbaugrube mit in den gering wasserdurchlässigen Ton des Miozäns einbindenden wasserdruckhaltenden Verbauwänden in Kombination mit Entspannungsbrunnen und -lanzen und einer offenen Wasserhaltung in der Baugrube. Für die Baugrube sah die Ausschreibung eine überschnittene, ab 3- m unter Endaushubniveau aufgelöste Bohrpfahlwand (Æ-1,5-m) vor, was dem im Frankfurter Ton seit Jahrzehnten üblichen und bewährten Verbaukonzept entspricht. Die Aussteifung sollte mit Stahlrohrsteifen in fünf Lagen erfolgen. Die Ausschreibung sah ferner eine zusätzliche Stützung des Fußauflagers der Bohrpfahlwände durch eine künstliche Sohlsteife in Form eines Bohrpfahlrostes vor. Im Zuge einer Optimierung wurde die Baugrubenumschließung schließlich abweichend von dem Bauherrenentwurf mit einer Schlitzwand mit einer Wandstärke von 1,20-m und Wandtiefen von rund 40-m geplant und ausgeführt, wobei die an sich wasserdruckhaltende Verbauwand im Bereich ihrer großen Einbindetiefe von rund 16-m unter Endaushubniveau durch in regelmäßigen horizontalen Abständen angeordnete, meist 1,20-m breite ´Grundwasserfenster´ wasserdurchlässig ausgebildet wurde, um die Wasserdruckeinwirkungen zu reduzieren (Abb. 4). Die Oberkante dieser ´Grundwasserfenster´ liegt 2,5 m unter dem Endaushubniveau, ihre Unterkante in Höhe der Unterkante der Schlitzwandlamellen. 296 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Innovatives Konzept für eine der tiefsten Baugruben von Frankfurt am Main a) Grundriss b) Ansicht Abb.-4 ´Grundwasserfenster´ in der Schlitzwand der Station ´Güterplatz´ Die Schlitzwände werden durch eine dreilagige Innenaussteifung aus Stahlbetonsteifen mit Querschnittsabmessungen von bis zu 1,0-m x 1,7-m gestützt, die monolithisch mit der umlaufenden Stahlbetongurtung verbunden sind. Zusätzlich erfolgt die Stützung der Schlitzwände im Zustand des Endaushubs temporär durch eine abschnittsweise einzubringende Unterbetonsohle. Abbildung-5 zeigt das realisierte Baugrubenkonzept. Zur Gewährleistung der hydraulischen Stabilität der Baugrubensohle ist es erforderlich, über die gesamte Baugrubenfläche die druckwasserführenden Kalksteinbänke resp. Sandlagen im Miozän zu entspannen, wofür mehr als 100 vertikale, entlang der Verbauwände angeordnete Entspannungslanzen sowie 14 in der Mitte der Baugrube platzierte Entspannungsbrunnen bis in 34-m Tiefe unter Baugrubensohle hergestellt wurden. 3.2 Bemessung der Schlitzwände Die Bemessung des Verbaus erfolgte im Wesentlichen konventionell, d. h. auf Basis der EAB [10] mit analytischen Modellen. Als Einwirkung wurde ein erhöhter aktiver Erddruck mit einem Erdruhedruckanteil von 25- % angesetzt. Als Wasserdruck war gemäß Lastenheft ein hydrostatischer Wasserdruck bis zur Unterkante der Primärpfähle der ausgeschriebenen überschnittenen Bohrpfahlwand anzusetzen. Im Bereich zwischen Unterkante Primär- und Unterkante Sekundärpfähle konnte auf den Ansatz eines Wasserdrucks verzichtet werden. In den statischen Berechnungen wurde zunächst von der auf der sogenannten ´Frankfurter Stadtbahnrichtlinie´ [11] basierenden Regelung Gebrauch gemacht, wonach für den Nachweis des Erdauflagers des Baugrubenverbaus die undrainierte Scherfestigkeit des Frankfurter Tons angesetzt werden kann und der deutlich ungünstigere Nachweis mit den drainierten Scherfestigkeitsparametern für die Endscherfestigkeit entfallen kann, wenn der jeweilige Bauzustand nur kurzfristig auftritt. Dies ist der Fall, wenn nach einem maximal 8,0-m tiefen Aushubschritt unter einer vorlaufenden Aussteifung spätestens vier Wochen, nachdem mit dem Aushub der letzten 2,5-m begonnen wurde, die Baugrubenwand gegen die Bauwerkssohle oder gleichwertig abgestützt wird. Andernfalls ist das Erdauflager des Baugrubenverbaus mit den Scherfestigkeitsparametern sowohl der Anfangsals auch der Endscherfestigkeit nachzuweisen. Um die Abhängigkeit von dieser „4 Wochen-Regel“ zu minimieren, wurden ergänzend statische Berechnungen für den drainierten Endaushubzustand durchgeführt. Dabei konnten zunächst beim Nachweis des Erdauflagers der bereits ausgeführten Schlitzwand nicht für alle statischen Schnitte zulässige Ausnutzungsgrade nachgewiesen werden. Es wurden daher ergänzende Betrachtungen vorgenommen, wobei insbesondere die folgenden beiden Ansätze verfolgt wurden: a. Berücksichtigung der in Lage und Mächtigkeit nachgewiesenen, lateral aushaltenden Kalksteinbänke; b. Berücksichtigung realistischer, auf Basis von dreidimensionaler Strömungsberechnungen ermittelter, resultierender Wasserdruckbeanspruchungen der Schlitzwände. Für beide Ansätze ist eine differenziertere Kenntnis der Baugrundsituation im Hinblick auf die anstehenden, lateral aushaltenden Kalksteinbänke wichtig. Zum einen liefert eine Kalksteinbank eine Reduktion des aktiven Erddrucks sowie eine Erhöhung des mobilisierbaren Erdwiderstandes durch im Vergleich zu den Bodenpartien des Frankfurter Tons höhere Scherparameter, zum anderen wird durch das Vorhandensein einer Kalksteinbank die resultierende Wasserdruckverteilung auf die Schlitzwand maßgeblich beeinflusst. Vor diesem Hintergrund erfolgte eine detaillierte Auswertung der Baugrundsituation. Zusätzlich zu den vorliegenden Baugrundaufschlüssen wurden die während der Bauausführung gewonnen Erkenntnisse berücksichtigt, i. e. aus der Herstellung der Schlitzwand sowie der in der Grundrissfläche der Baugrube angeordneten Brunnen und Entspannungslanzen. Abbildung 6 zeigt exemplarisch für die südliche Längswand der Baugrube, den so ermittelten Verlauf der überwiegend lateral aushaltenden Kalksteinbänke. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 297 Innovatives Konzept für eine der tiefsten Baugruben von Frankfurt am Main a) Grundriss Baugrube und Aussteifung b) Nord-Süd-Schnitt durch Baugrube Abb. 5 Baugrubenkonzept für die Station ´Güterplatz´ mit Schlitzwand und Stahlbetonaussteifung in drei Lagen Abb. 6 Baugrube ´Güterplatz´: Auswertung der angetroffenen Kalksteinbänke in der Achse der südlichen Verbauwand Die bei messtechnisch überwachten tiefen Baugruben im ´Frankfurter Ton´ gewonnenen Erfahrungen (u. a. [12]) belegen, dass das Vorhandensein von Kalk- und Dolomitsteinbänken im Bereich der Einbindetiefe der Verbauwände das Trag- und Verformungsverhalten maßgebend bestimmt (Systembild in Abb.- 7). Lateral aushaltende Felssteinbänke führen auf Grund ihrer hohen Steifigkeit zu einer ausgeprägten Stützwirkung der Verbauwände. Zudem ergeben sich die vorstehend geschilderten positiven Auswirkungen auf die Erddruckermittlung. Durch eine diskrete Abbildung der Kalksteinbänke konnte daher eine realistischere und zugleich optimierte Verbaubemessung erreicht werden. Zur Ermittlung einer realistischen Wasserdruckbeanspruchung der Schlitzwände wurden unter Berücksichtigung der tatsächlich vorhandenen Baugrundsituation, i. e. unter Berücksichtigung durchgehender Kalksteinbänke, aber auch der vorhandenen Durchlässigkeits-Anisotropie der anstehenden Bodenschichten, dreidimensionale Strömungsberechnungen durchgeführt. Die Notwendig- 298 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Innovatives Konzept für eine der tiefsten Baugruben von Frankfurt am Main keit zum Einsatz räumlicher Simulationsmodelle ergibt sich dabei aus dem Umstand, dass es - anders als bei einer aufgelösten Bohrpfahlwand - bei der Schlitzwand auf Grund des deutlich größeren horizontalen Abstandes der ´Grundwasserfenster´ (Abb. 4) zu horizontalen Strömungsvorgängen und einer resultieren-den Wasserdruckbeanspruchung auch über die Höhe der hydraulischen Fenster kommt. Daneben sind die strömungsinduzierten Erddrücke auf der passiven und insbesondere der aktiven Seite der Schlitzwand zu berücksichtigen. Die Berechnungsergebnisse für einen ausgewählten Wandabschnitt in Abbildung-8 zeigen, dass sich durch die hydraulischen Fenster eine Reduktion der Wasserdruckbeanspruchung ergibt, was zu einer nachhaltigen Optimierung des Baugrubenkonzeptes führt [13, 14, 15]. Abb.-7 Stützende Wirkung von lateral aushaltenden Kalk- und Dolomitsteinbänken des ´Frankfurter Tons´ im Bereich der Einbindetiefe der Verbauwände (Systembild) Abb. 8 Einwirkungen infolge resultierenden Wasserdrucks und strömungsinduzierten Erddrücken im Ergebnis von 3D-Strömungsberechnungen In einem weiteren Schritt wurden die so ermittelten resultierenden Einwirkungen aus Wasserdruck und strömungsinduzierten Erddrücken in die analytische Verbauwandbemessung übernommen (Abb.-8). Auf dieser Basis konnte der Nachweis des Erdwiderlagers im Endaushubzustand auch im drainierten Endzustand erbracht werden, so dass die zeitlichen Abhängigkeiten in diesem Bauzustand aufgelöst werden konnten. 3.3 Bemessung der Aussteifung Das Innenaussteifungssystem aus bewehrtem Stahlbeton wurde konventionell für jede Lage als horizontales Tragwerk bemessen. Bei der Dimensionierung der Steifen wurde eine Zusatzbelastungen aus einer Temperaturerhöhung in Anlehnung an [16] berücksichtigt. DerTemperaturbeiwert f T , mit dem die temperaturinduzierten Steifenkräfte bei behinderter Längenausdehnung bezogen auf die Zwangskraft bei vollständig verhinderter Längsdehnung in der Form ΔN-=-f T - ⋅- α T -⋅- Δ T- ⋅- EA ermittelt werden kann, wurde dabei gemäß Lastenheft mit f T -=-0,35 vorgegeben und eine Temperaturdifferenz von DT-=-45-K angenommen, was einer Differenz zwischen -10 °C im Winter und +35 °C im Sommer entspricht. 3.4 Bauablauf Die Schlitzwände wurden 2019/ 20 hergestellt, anschließend erfolgte 2020/ 21 das Abteufen der Entspannungslanzen und Entspannungsbrunnen. Der maschinelle Tunnelvortrieb konnte im Juli 2022 abgeschlossen werden, wobei auch die Station ´Güterplatz´ von den beiden Röhren durchfahren wurde. Im Zuge des im Sommer 2022 begonnen Aushubs der Baugrube erfolgte zunächst der Einbau der Steifenlagen A und B und die Verfüllung der Tunnelröhren. Im Zuge des weiteren Aushubs wurden die Tunnelröhren innerhalb der Baugrubenumschließung rückgebaut und nach Herstellung der Steifenlage C der weitere Aushub bis auf das Endaushubniveau vorgenommen. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 299 Innovatives Konzept für eine der tiefsten Baugruben von Frankfurt am Main 4. Monitoringkonzept der Baugrube Die tiefe Baugrube für die Station ´Güterplatz´ ist - wie oben erwähnt - in die Geotechnische Kategorie 3 einzuordnen und im Hinblick auf die umgebende innerstädtische Bebauung nach der Beobachtungsmethode umfassend und engmaschig messtechnisch zu überwachen [17]. Das Monitoringkonzept (Abb. 9) sieht u. a. eine Verformungsüberwachung der Baugrube und des nahen Umfeldes mittels geodätischer Messungen sowie mit in der Schlitzwand installierten Inklinometern vor [18]. Ergänzt werden diese Messungen durch eine Überwachung der Grundwassersituation. Abb.-9 Baugrube Station ´Güterplatz´: Übersicht Messkonzept (Darstellung für Aussteifungslage A) Ein zentrales Element des Monitorings ist die Überwachung der hoch beanspruchten Stahlbetonsteifen (Abb. 10), die charakteristische Normalkräfte von bis zu 22,5-MN aufnehmen müssen. Im Hinblick auf das Szenario Knicken sind die Steifen gemäß EB 52 der EAB die empfindlichsten Teile einer Baugrubenkonstruktion. Abb.-10 Blick in die ausgehobene Baugrube mit in der A- und B-Lage installierten Stahlbetonsteifen, Messsteife der B-Lage im Vordergrund (© K. Helbig, SBEV) Während Aussteifungssysteme aus Stahlprofilen in der Regel durch Kraftmessdosen oder Kapselpressen, alternativ auch durch auf den Steifen applizierte Verzerrungsmessgeber zuverlässig überwacht werden können (u. a. [19, 20]), führen die Ausbildung des Aussteifungs-systems aus Stahlbetonsteifen, die großen Querschnittsabmessungen der Steifen, aber auch deren monolithischer Anschluss an die Gurtung zu besonderen Herausforderungen. Das Messkonzept sieht die messtechnische Überwachung von jeweils sieben Steifen je Lage (´Messsteifen´) vor (Abb. 8). 5. Steifenkraftmonitoring mit Verzerrungsmessung im Beton 5.1 Messtechnik und Messaufbau Die Steifenkräfte werden durch die Messung der Verzerrungen in den Stahlbetonquerschnitten der Steifen und eine hierauf auf bauende Auswertung überwacht. Zur Erfassung der Verzerrungen kommen Schwing saitensensoren (´vibrating wire´) zum Einsatz, die vor der Betonage der Steifen im Bewehrungskorb positioniert und anschließend im Beton eingebettet werden (Abb. 11). a) b) Abb.-11 Messtechnische Überwachung der Stahlbetonsteifen durch Vibrating Wire Sensoren, a) Prinzip, b) Einbau eines Sensors im Bewehrungskorb In jeder Messsteife wird im Sinne einer steifenbezogenen Redundanz an ihrem nördlichen und an ihrem südlichen Ende jeweils ein Messquerschnitt mit jeweils fünf (A-Lage) bzw. sieben Schwingsaitensensoren (B- und C- Lage) angeordnet (Abb. 12). Pro Steifenlage sind so bis zu 98 Verzerrungsmit ebenso vielen Temperatursensoren einzubauen sowie kontinuierlich zu überwachen und auszuwerten. 300 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Innovatives Konzept für eine der tiefsten Baugruben von Frankfurt am Main Messgeber in A-Lage Messgeber in B- und C-Lage Abb.-12 Messtechnische Überwachung der Stahlbetonsteifen - Anordnung der Schwingsaitensensoren je Messquerschnitt 5.2 Einflussfaktoren und Interpretation der Verzerrungen Die gemessenen Verzerrungen werden folgenden Effekten beeinflusst: • Normalkräfte infolge Erd- und Wasserdruckbeanspruchung der Schlitzwände, • Verzerrungen aus zweiachsiger Biegemomenten beanspruchung, • tageszeitliche und saisonale temperaturinduzierte Steifenkraftänderungen, • Einfluss aus Kriechen, • Einfluss aus Schwinden. Aus diesen Einflüssen ergibt sich hinsichtlich der Umrechnung der gemessenen Verzerrungen in Steifenkräfte eine komplexe Ingenieuraufgabe. Abbildung 13 stellt das Vorgehen dar, um bei der Interpretation der Verzerrungsmessungen hin zu resultierenden Steifenkräften einen bestmöglichen Workflow zu realisieren. Wesentliche Einflüsse, die bei der Ermittlung der Steifenkräfte zu berücksichtigt werden müssen, sind: a. Nullstand: Um den Einfluss der Historie auf den aktuellen Verzerrungszustand und damit auch auf die resultierende aktuelle Steifenkraft zu erfassen, erfolgt die Messdatenaufzeichnung ab Betonage der Stahlbetonsteife. Die Nullung erfolgt 7 Tage nach Erreichen der maximalen Hydratationswärme. b. Temperatur der schwingenden Saite: Die schwingende Saite als Stahlbauteil erfährt Verzerrungen nicht nur infolge des umgebenden Betons, sondern auch infolge seiner eigenen Temperaturänderung. Die Verzerrungen aus Temperatureinfluss sind daher zu korrigieren. c. Verzerrungszustand: Die an fünf bzw. sieben Stellen je Messquerschnitt gemessenen Verzerrungen sind über den Querschnitt zu integrieren. Dabei war festzustellen, dass sich in den großen Querschnitten kein ebener Verzerrungszustand einstellt. d. Schwinden: Das Schwinden des Betons beginnt bereits direkt nach der Betonage (autogenes Schwinden) und erstreckt sich über einen langen Zeitraum (Trocknungsschwinden). Die Quantifizierung der Verzerrungsanteile aus Schwinden erfolgt gemäß [21]. e. Kriechen: Kriechen stellt sich erst unter Einwirkungen ein, die aber variabel sind. Die Kriechverzerrungen infolge Erd- und Wasserdruck werden daher auf Basis der Steifenkräfte aus der Verbaustatik ermittelt. Auf der sicheren Seite erfolgt keine Berücksichtigung der Kriechverzerrungen unter temperaturinduzierten Steifenkräften. f. E-Modul des Betons: Die um Kriech- und Schwindeffekte korrigierten Verzerrungen sind in äquivalente Spannungen zu überführen. Hierzu kommt ein linearelastischer Ansatz zur Anwendung, bei dem der flächenanteilig gemittelte Elastizitätsmodul aus Betonstabstahl und dem zeitabhängigen Sekantenmodul des Betons den entsprechenden Proportionalitätsfaktor bildet. g. Temperatur der Steifen: Die Steifenkräfte resultieren zu einem signifikanten Teil aus der behinderten Längenausdehnung der Steifen infolge tageszeitlicher und saisonaler Erwärmung. Das Maß der Dehnungsbehinderung der Steife korreliert in örtlicher und zeitlicher Abhängigkeit mit den Baugrundverhältnissen, der Steifigkeit von Verbauwand und Stützung sowie dem Bauablauf. Die Analysen der temperaturinduzierten Steifenkraftänderungen zeigen, dass die rückgerechneten Temperaturbeiwerte f T keine konstanten, sondern variable Größen sind, die vom Beanspruchungsniveau der Steifen und damit vom Bauzustand sowie der Dauer des Einsatzes der Steifen abhängig sind. Die projektspezifisch ermittelten f T -Werte korrelieren mit den u. a. in [20, 22] für verformungsarme Verbauwände in bindigen Böden ermittelten Erfahrungswerten und liegen in der im Lastenheft mit f T = 0,35 spezifizierten Größenordnung. Abb. 13 Vorgehen zur Ermittlung der Steifenkräfte aus den gemessenen Verzerrungen 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 301 Innovatives Konzept für eine der tiefsten Baugruben von Frankfurt am Main 5.3 Messergebnisse Exemplarisch sind anhand eines Messquerschnitts in der Steife B23 aus der mittleren Steifenlage B die Ergebnisse der Verzerrungsmessungen in Abbildung 14 dargestellt. 6. Resümee und Ausblick Die Baugrube Station ´Güterplatz´ der Verlängerung der Stadtbahnlinie U5 in das Frankfurter Europaviertel stellt durch ihre große Baugrubentiefe sowie ihre unmittelbare Nähe zu innerstädtischer Bebauung mit mehreren Hochhäusern besondere Anforderungen an Planung und Ausführung. Für die knapp 24- m tiefe Baugrube wurde ein für Frankfurter Verhältnisse neues Verbaukonzept umgesetzt, in dem die Verbauwand als tiefreichende Schlitzwand mit einer dreilagigen Aussteifung aus massiven Stahlbetonsteifen und einer Unterbetonsohle in Verbindung mit einer Tertiärentspannung ausgeführt wird. Die im Bereich der großen Einbindetiefe der Schlitzwände integrierten ´Grundwasserfenster´ tragen zu einer maßgeblichen Reduktion der hohen resultierenden Wasserdruckbeanspruchung bei, erfordern aber den Einsatz dreidimensionaler Strömungsberechnungen. Durch eine Optimierung der Verbaubemessung konnten auch die Nachweise für den drainierten Endzustand geführt und so die sich aus der Ausnutzung des undrainierten Anfangszustandes ergebenden zeitlichen Abhängigkeiten („4 Wochen-Regel“) eliminiert werden. Abb. 14 Verzerrungs- und Temperaturmessungen in einem Messquerschnitt der Steife B23 Bei der messtechnischen Überwachung der Baugrube liegt der Fokus neben der Beobachtung der Auswirkungen im innerstädtischen Umfeld auf der Messung der Steifenkräfte der hoch beanspruchten Innenaussteifung. Die messtechnische Überwachung von Stahlbetonsteifen mit großen Querschnittsabmessungen ist anspruchsvoll und komplex, da die gemessenen Verzerrungen nicht nur aus Normalkraft infolge Erd- und Wasserdrucks, sondern auch aus zweiachsiger Biegung resultieren und durch Temperatur-, Schwind- und Kriecheffekte erheblich beeinflusst werden. Mit einer Baugrubentiefe von rund 24-m erweitert die Maßnahme als eine der bislang tiefsten Baugruben in Frankfurt am Main die insbesondere aus vielen Hochhaus-Baugruben gewonnenen Erfahrungen (u. a. [12]). Literatur [1] Kühn, I.; Kirchner, S. (2019): Das Europaviertel Frankfurt am Main - Großprojekt zur infrastrukturellen Erschließung und Entwicklung eines neuen Stadtteils - Baurechtliche, organisatorische, vertragliche und technische Anforderungen. Tagungsband zur STUVA-Tagung 2019 [2] Iffländer, R.; Lutz, R.; Budach, C. Kirchner, S. (2019): Geotechnische und tunnelbautechnische Herausforderungen beim Bau der U5 in Frankfurt mit einem Erddruckschild. Tagungsband zur STU- VA-Tagung, 2019, 265-271 302 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Innovatives Konzept für eine der tiefsten Baugruben von Frankfurt am Main [3] Budach, C.; Weiner, T.; Kulkarni, R., Kirchner, S. (2020): Komplexe Stützdruckberechnungen und anspruchsvoller Vortrieb in heterogenem Baugrund beim Bau der U5 in Frankfurt. Geotechnik 43(4), 283-288 [4] Meyer, D.M.; Löffler, M.; Mumme, K.; Schulz, Ch. (2015): Stadtbahn Europaviertel Frankfurt: Tiefe Baugruben und maschineller Vortrieb im „Frankfurter Ton“. STUVA Tagung 2015, Forschung + Praxis 46, 145-149 [5] Huber, H.; Schäfers, P.; v. d. Werth, H.; Kirchner, S.; Grübl, F. (2022): Erfahrungen aus dem ersten modernen maschinellen Tunnelvortrieb im Frankfurter Ton am Projekt U5. 28. Darmstädter Geotechnik-Kolloquium, Mitteilungen des Instituts für Geotechnik der TU Darmstadt, Heft 113, 119-130 [6] Weiner, T., Kühn, I. (2021): U5 Europaviertel Frankfurt - Bergmännischer Anschluss an den Bestand: partnerschaftliche Lösung unerwarteter Herausforderungen. STUVA Tagung 2021, Forschung + Praxis 54, 262-268 [7] Meißner, S.; Michael, J.; Quick, H. (2019): Realisierung von geotechnischen Großprojekten in Ballungsräumen. 23. Symposium Felsmechanik und Tunnelbau, Fachsektionstage Geotechnik, Würzburg. 2019, DGGT [8] Kies, M.; Meißner, S.; Michael, J.; Schmitt, J. (2020): Risikoanalysen bei geotechnischen Aufgabenstellungen an Praxisbeispielen im Europaviertel in Frankfurt a.M. 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(2002): Wirtschaftlicher Verbauwandentwurf für tiefe (teil-) wasserdichte Baugruben. Vorträge zum 9. Darmstädter Geotechnik-Kolloquium, Mitteilungen des Institutes und der Versuchsanstalt für Geotechnik der Technischen Universität Darmstadt, Heft 58, 103-130 [14] Moormann, Ch. (2003): Reduktion der Wasserdruckbeanspruchung tiefer, wasserdichter Baugruben in bindigen Böden. 2. Geotechnik Tag, TU München, , Schriftenreihe des Zentrums Geotechnik der Technischen Universität München, Heft 35, 85-108 [15] Moormann, Ch. (2004): Entwurfsoptimierung von Verbau und Wasserhaltung tiefer, wasserdichter Baugruben in bindigen Böden. Bautechnik 81 (12), 921-940 [16] Besler, D. (1994): Einfluss von Temperaturerhöhungen auf die Tragfähigkeit von Bau-grubensteifen. Bautechnik 71(9), 582-590 [17] Katzenbach, R.; Moormann, Ch. (1999): Anwendung der Beobachtungsmethode auf die Erstellung tiefer Hochhausbaugruben neben schwerer Bebauung. Beiträge zum 14. Christian Veder Kolloquium, Technische Universität Graz, Heft 4, 165-201 [18] Kaffenberger, F.; Meyer, D. (2022): Herstellung und Kontrolle tiefer Baugruben aus Sicht der Bauüberwachung am Beispiel der Verlängerung der U5 in Frankfurt. 28. Darmstädter Geotechnik-Kolloquium, Mitteilungen des Instituts für Geotechnik der TU Darmstadt. Heft 113, 131-144 [19] Moormann, Ch. (2004): Messtechnische Überwachung und Back-analysis einer komplexen räumlichen Baugrubenaussteifung unter besonderer Berücksichtigung von Temperatureinflüssen. Symposium „Messen in der Geotechnik 2004“, Mitteilung des Institutes für Grundbau und Bodenmechanik, TU Braunschweig, Heft 77, 19-52 [20] Moormann, Ch., Katzenbach, R. (2006): Experimentelle und rechnerische Untersuchungen zum Tragverhalten räumlicher Aussteifungssysteme von Tiefen Baugruben. Bauingenieur 81(9), 373-386 [21] DIN EN 1992-1-1, Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau. Deutsche Fassung EN 1992-1-1: 2004 + AC: 2010 [22] Weißenbach, A. (1992): Einfluss der Temperatur auf die Kräfte in der Aussteifung tiefer Baugruben. 7. Christian Veder Kolloquium, 1992, Institut für Bodenmechanik und Grundbau, Technische Universität Graz 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 303 Verlängerung Unterfahrung Gebhard-Müller-Platz, Stuttgart Schwierigkeiten beim Planen und Bauen im Bestand Dipl.-Ing. (FH) Tomas Vardijan Ed. Züblin AG, Stuttgart Fabian Seidel, M. Sc. Ed. Züblin AG, Stuttgart Zusammenfassung Das Bauvorhaben Verlängerung Unterfahrung Gebhard-Müller-Platz ist ein Folgeprojekt der Umgestaltung des Bahnknotens Stuttgarts infolge des Projekts Stuttgart 21. Die bestehende Unterfahrung des Gebhard-Müller-Platzes wird in offener Bauweise um rund 130 m nach Norden in Richtung Neckartor verlängert. An den Straßentunnel schließt eine 110 m lange Rampe als Stahlbetontrog an. Das neue Bauwerk quert oberhalb des DB-Tunnels Südkopf (S21) und wird nördlich des DB-Tunnels durch die teilabgebrochene und verdämmte Haltestelle Staatsgalerie geführt. Für das Bauvorhaben wurden verschiedenste Verbausysteme geplant und ausgeführt; stets unter Berücksichtigung des Bestandes, verschiedener Verkehrsphasen und beengten Platzverhältnissen. Die innerstädtische Baugrube bietet eine Großzahl an anspruchsvollen Randbedingungen und geotechnischen Lösungen welche nachfolgend vorgestellt werden. 1. Überblick über Baumaßnahme Im Zuge der Umgestaltung des Bahnknotens Stuttgart sind neben der Umgestaltung des Hauptbahnhofs (PFA1.1) auch Folgemaßnahme geplant. So wird nach der Herstellung des DB-Tunnels Südkopf die bestehende Unterfahrung des Gebhard-Müller-Platzes in Richtung Norden verlängert. Die Baumaßnahme schließt an die bestehende Unterfahrung an. Im Portalbereiches werden zwei der bestehenden Tunnelblöcke abgebrochen und das neue Rahmenbauwerk an den Bestand angeschlossen. Das Baufeld quert anschließend oberhalb des vorab hergestellt DB- Tunnels Südkopf und führt durch die verdämmte und teilabgebrochene bestehende Haltestelle Staatsgalerie. Die neue Haltestaatsgalerie grenzt auf der Nordseite an das Baufeld an. Zur Aufrechterhaltung des Verkehrs ist die Hilfsbrücke 17 (HB17) in Betrieb, die bereits über die Baugrube zur Herstellung des DB-Tunnels Südkopf hergestellt wurde. Abb. 1: Überblick über Baumaßnahme. Darstellung der bestehenden Unterfahrung, DB-Tunnels Südkopf, neue und alte Haltestelle Staatsgalerie und HB17. 304 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Verlängerung Unterfahrung Gebhard-Müller-Platz, Stuttgart 2. Baugrund und Grundwasserverhältnisse Der Baugrund setzt sich wie nachfolgend beschrieben zusammen: Die oberste Schicht bilden künstliche, inhomogene Auffüllungen, die im Zuge der Bestandsbebauung eingebracht wurden. Der natürlich gewachsene Boden beginnt mit den Talablagerungen des Nesenbachs. Je nach Bereich schließen sich Hanglehm/ -schutt oder eiszeitlicher Wanderschutt an. Den tieferen Untergrund bilden die Schichten des Gipskeupers insbesondere der Dunkelrote Mergel. Das Grundwasser fällt von Südwest nach Nordosten um ca. 1,5 m über das Baufeld ab. Der Grundwasserstand liegt ungefähr auf dem für die Baumaßnahme notwendigen Aushubsniveau. Südöstlich der Willy-Brandt-Straße wurde im Baufeld eine Doline erkundet. Hier sind unter den Deckschichten, Schichten des Gipskeupers und anschließend quartäre Sedimente wie Tonstein, Dolomitstein und Sandsteinbrocken eingelagert. Im Bereich des bestehenden Portals wurde im Zuge der Bauausführung festgestellt, dass die Oberfläche des Gipskeupers tiefer ansteht als erwartet. Hier mussten Zusatzbetrachtungen zur Ertüchtigung der Flachbettung durchgeführt werden. Das Baufeld liegt in der Innenzone des Quellenschutzgebiets für die staatlich anerkannten Heilquellen in Stuttgart-Bad Cannstatt und Stuttgart-Berg. Für die Planung sind die Anforderungen der Heilquellenschutzverordnung zu berücksichtigen. 3. Vorabmaßnahmen 3.1 Herstellung des DB-Tunnels Südkopf (S21) Der Baumaßnahme vor- und übergeordnet und auch Auslöser sind die Baumaßnahmen infolge des Projekts Stuttgart 21 PFA1.1. Insbesondere die Herstellung des DB- Tunnels Südkopf ist hervorzuheben. Das herzustellende Straßentunnelbauwerk der Verlängerung des Gebhard- Müller-Platzes kreuzt oberhalb des DB-Tunnels und der herzustellende Tunnelrahmen wird auf dem DB-Tunnel gegründet. Der Lückenschluss der Vorabmaßnahme bildet die Baugrube des Bauabschnitts 23 (BA23). Der Aushub ist nachfolgend dargestellt. Abb. 2: Baugrube BA23 zur Herstellung des DB-Tunnels Südkopf (S21). 3.2 Neue Haltestelle Staatsgalerie Im Zuge der Herstellung des neuen Hauptbahnhofs wurde ebenfalls eine neue Lage und Gestaltung für die Haltestelle Staatsgalerie erforderlich. Das neue Haltestellenbauwerk wurde vor der hier beschriebenen Maßnahme hergestellt als halbseitig offene Schalenkonstruktion. Das Bauwerk grenzt an die bestehende, verdämmte und teilabgebrochene im Baugrund verbliebene alte Haltestelle Staatsgalerie an. Abb. 3: Auszug BIM-Model mit Darstellung der neuen Haltestelle Staatsgalerie 3.3 Verdämmung der bestehenden Haltestelle Staatsgalerie Die bestehende U-Bahn-Haltestelle Staatsgalerie wird im Zuge der Baumaßnahme teilweise verdämmt und teilweiße abgebrochen. Der verdämmte Bereich verbleibt im Baugrund. Für die Findung des Verdämmaterials gab es folgende Randbedingungen zu beachten. Zum einen wurde zur Begrenzung der Setzungen der benachbarten, zu diesem Zeitpunkt bereits hergestellten, neuen Haltestelle Staatsgalerie gefordert, die Wichte auf 12,5 kN/ m 3 zu begrenzen. Andererseits ist neben der Wichte eine Anforderung aus Wasserbeständigkeit in der Innenzone des Quellenschutzgebiet gegeben. Das Material hat Kontakt zum Grundwasser und muss entsprechend beständig sein. Darüber hinaus ergeben sich Anforderungen aus den Verbaumaßnahmen: Die in die Verdämmung einbindenden Verbauten erfordern eine definierte Druckfestigkeit. Die Herausforderung bestand darin ein entsprechendes Material zu finden. Insbesondere, da Druckfestigkeit und Wasserbeständigkeit durch eine geringe Wichte verringert werden. Zum Einsatz kam ein Schaummörtel (Sorte L212A-Schaum) der die Anforderungen erfüllte. 3.4 Verkehrsführung B14 Die B14 ist eine der meistbefahrenen Straßen in Stuttgart. Die Aufrechterhaltung der Verkehrsführung ist bei der gesamten Baumaßnahme entscheidend. So ergeben sich über die Bauzeit eine Vielzahl an verschiedenen Verkehrsführungen und Umverlegungen. Sperrzeiten wie zum Abbruch des Portals mussten so weit wie möglich minimiert werden. Für die Querung der Baugrube zur Herstellung des DB- Tunnels Südkopf waren zwei Hilfsbrücken erforderlich (HB14 und HB17). Im Zuge der Herstellung der Verlän- 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 305 Verlängerung Unterfahrung Gebhard-Müller-Platz, Stuttgart gerung der Unterfahrung des Gebhard-Müller-Platzes ist ein Teilrückbau der Hilfsbrücke 17 erforderlich. 4. Bauablauf Ursprünglich war vorgesehen die Baumaßnahme erst nach Fertigstellung des DB-Tunnels Südkopf auszuführen. Dies konnte optimiert werden und die Baumaßnahme konnte bereits angestoßen werden, vor der Finalisierung des DB-Tunnels Südkopf. Der Bauablauf sieht eine Herstellung in zwei Teilabschnitten vor. Zuerst wird die Weströhre der Verlängerung der Unterfahrung des Gebhard-Müller- Platzes hergestellt. Das Hauptverkehrsaufkommen wird dabei über die Hilfsbrücke HB17 welche über den DB-Tunnel Südkopf führt geleitet. Für die Herstellung der Weströhre sind eine Vielzahl an Verbaumaßnahmen vorgesehen. Nach Herstellung der Weströhre kann das Hauptverkehrsaufkommen in diese Röhre umverlegt werden und es ergibt sich Platz zur Herstellung der Oströhre. Die Verbauten und Baugrubensicherungen, die zur Herstellung der Weströhre mittig im späteren Tunnelquerschnitt hergestellt wurden, müssen rückgebaut werden. Weitere Verbaumaßnahmen östlich des Tunnelquerschnitts sind erforderlich. 5. Baugrubenumschließung Für die Baumaßnahme sind verschiedene Verbau- und Sicherungssysteme wie rückverankerte Trägerbohlverbauten, Bohrpfahlwände (ausgesteift, frei auskragend und rückverankert), Winkelstützwände und Bestandssicherungen vorgesehen. Ebenfalls mussten bestehende Stützwände teilweise für tiefer Aushubsniveaus nachgewiesen werden. Abb. 4: Auszug BIM-Model mit Darstellung der Planungsbereiche Der Abbruch und Anschluss an den Bestand im Portalbereich erfolgt im Schutze einer tangierenden, einfach ausgesteiften Bohrpfahlwand. Als Aussteifung sind Stahlrohrprofile und zwei Kopf balken vorgesehen. Die westliche Bohrpfahlwand bindet dabei in verdämmte und teilabgebrochen U-Bahnblöcke ein, die im Baugrund verblieben sind. Abb. 5: Auszug BIM-Model - tangierende, ausgesteifte Bohrpfahlwand im Portalbereich Nördlich des DB-Tunnels Südkopf wird die teilabgebrochene, bestehende Haltestelle Staatsgalerie zur Baugrubensicherung herangezogen. Der Restquerschnitt wird mit Beton ergänzt und mittels Verpressanker rückverankert. Die Herstellung der Verpressanker erfolgt dabei von Geländeniveau. Hierzu müssten Kernbohrungen durch die Bestandsdecken vorgesehen werden. Neben den Kernbohrungen wurden in der Schwergewichtsergänzung ebenfalls Leerrohre vorgesehen. An die Bestandssicherung mittels Schwergewichtsergänzung schließen verschieden Verbautypen an. Einerseits ein einfach rückverankerter Trägerbohlverbau mit Fußeinbindung in die bestehende Stahlbetondecke der bestehenden Haltestelle Staatsgalerie. Herausfordern bei der Planung waren insbesondere die Berücksichtigung der Bestandsbauwerke wie Gewölbekeller und Schachten sowie Leitungen und der bestehende Kanal bei der Anker- und Trägerherstellung. 306 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Verlängerung Unterfahrung Gebhard-Müller-Platz, Stuttgart Abb. 6: Planausschnitt mit Darstellung der Nutzung der teilabgebrochenen, bestehenden Haltestelle Staatsgalerie zur Baugrubensicherung Abb. 7: Planausschnitt mit Darstellung des einfach rückverankerten Trägerbohlverbaus mit Fußeinbindung in die bestehende Haltestelle Staatsgalerie 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 307 Komplexe Schlitzwandanwendung an der ETH Zürich: HPQ - Das Physikgebäude der Zukunft Dipl.-Ing. Franz-Werner Gerressen BAUER Maschinen GmbH, Schrobenhausen Alexander Blatt, M. Sc. BAUER Maschinen GmbH, Schrobenhausen Dipl.-Bauing. ETH Marc Freiburghaus, M. Sc. MARTI AG, Bern, Schweiz Dipl.-Bauing. FH Daniel Sohm MARTI AG, Zürich, Schweiz Dipl.-Ing. ETH David Estoppey, M. Sc. MARTI AG, Bern, Schweiz Zusammenfassung Der Wandel unserer Zeit und die damit einhergehenden Veränderungen und Herausforderungen zwingen die Menschheit zur Weiterentwicklung und Anpassung sowie Neuentwicklung verschiedener Technologien. Ein großer Baustein spielt hierbei die physikalische Forschung und Entwicklung. Der Neubau HPQ in Zürich beschreibt hierbei ein zukunftsweisendes Büro- und Forschungsgebäude im Bereich der Quantenphysik. Das komplexe Projekt im Auftrag der ETH Zürich (Eidgenössische Technische Hochschule) wurde anfangs 2023 begonnen, wobei den Spezialtief bauarbeiten, insbesondere die Ausführung einer permanenten Schlitzwand, große Bedeutung zukommt. Der Artikel beschreibt das komplexe Projekt und die speziellen Planungsdetails der Erstellung der Baugrube, um die hohen Anforderungen des geplanten Gebäudes zu erfüllen. Zudem werden die Herausforderungen hinsichtlich des anspruchsvollen Baugrundes und die dabei gewählten Lösungen aufgezeigt. Des Weiteren wird ein Einblick in das Schlitzwandverfahren im Allgemeinen gegeben. 1. Einführung Für den Neubau des HPQ der ETH Zürich sind umfangreiche Spezialtief bauaufgaben notwendig. Um die hohen Anforderungen des Gebäudes (vgl. 2. Das Projekt HPQ Zürich) gerecht zu werden, muss für die Außenwände ein Baugrubenabschluss im Schlitzwandverfahren hergestellt werden. 2. Das Projekt HPQ Zürich 2.1 llgemeine Vorstellung der Schlitzwandtechnik Beim Schlitzwandverfahren werden rechteckige Lamellen in den Boden eingebracht. Durch die Verwendung einer Schlitzwandfräse wird die Möglichkeit einer überfrästen Fuge geschaffen und die Schlitzwand kann in dicht gelagerten Lockergesteinen und den anstehenden Felsen eingebunden werden. Durch das Pilgerschrittverfahren werden die sogenannten Primärlamellen, seitlich angeschnitten und die Wand wird durch einen Sekundärschlitz geschlossen. Der typische Arbeitsablauf ist in Abbildung 1 dargestellt- Abb. 1: Schematischer Arbeitsablauf Schlitzwandverfahren. Zu Beginn der Arbeiten wird ein Voraushub notwendig, welcher die Arbeitsfähigkeit der in der Fräse verbauten Pumpe gewährleistet. Die geöffneten Schlitze werden permanent mit einer Bentonitsuspension (Gemisch Wasser/ Tonmineralien) 308 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Komplexe Schlitzwandanwendung an der ETH Zürich: HPQ - Das Physikgebäude der Zukunft verfüllt. Diese Suspension dient einerseits als Stützflüssigkeit indem sie verhindert, dass anstehendes Bodenmaterial in den Schlitz einbricht. Andererseits dient sie als Transportmedium zum Abführen des durch die Fräsräder gelösten Bodenmaterials. Die Bentonitsuspension wird über einen Kreislauf zwischen geöffneter Schlitzwand und Auf bereitungsanlage geführt. So kann gewährleistet werden, dass der Schlitz stets mit einer auf bereiteten Stützflüssigkeit versorgt wird. Mit der Entsandungsanlage wird das Bodenmaterial mit Hilfe von Sieben und Zyklonen von der Stützsuspension getrennt. 2.2 Vorstellung der Arbeiten am HPQ Der Wandel unserer Zeit und die damit einhergehenden Veränderungen und Herausforderungen zwingen die Menschheit zur Weiterentwicklung und Anpassung sowie Neuentwicklung verschiedener Technologien. Ein großer Baustein spielt hierbei die physikalische Forschung und Entwicklung. Mit dem Bau des HPQ in Zürich wird ein zukunftsweisendes Büro- und Forschungsgebäude im Bereich der Quantenphysik errichtet. Das Gebäude entsteht auf dem Campus Hönggerberg in Zürich und wurde mit einer Hauptnutzfläche von ca. 15.294 m² geplant. Insgesamt entstehen 13 Vollgeschosse, 6 davon liegen unter Terrain. Aufgrund der sensiblen Labortechnik besitzt das Gebäude hohe Anforderungen an den Schutz gegen Vibrationseinflüsse und an die elektromagnetische Verträglichkeit (EMV). [1]. Abb. 2: HPQ-Gebäude am Campus Hönggerberg der ETH Zürich Unter dem Gebäude entsteht zusätzlich ein Feld aus Erdsonden, welches die nachhaltige Wärme- und Kälteversorgung sicherstellt. Insgesamt 198 Sonden mit einer Tiefe von je 200 m sorgen dabei für den nötigen Wärmeaustausch. Die Umschließung für die unterirdischen Geschosse wird als permanente Schlitzwand ausgeführt. Dabei müssen Elemente mit Tiefen im Bereich von 28 m bis ca. 38 m hergestellt werden. Durch die variierenden Tiefen muss zu Beginn der Baustelle ein Höhenversatz über eine Rampe ausgeglichen werden. Mit zunehmendem Baufortschritt wird diese Rampe rückgebaut und die freigelegte Wand durch einer Doppelankerlage gestützt. Zur Herstellung des Versatzes wurden spezielle Abschalelemente von 12 m Länge gefertigt. Diese Stahlelemente stellen die Arbeitsfähigkeit der Fräse bei den Sekundärschlitzen im Anfangsbereich sicher. Um den Bereich des Überschnitts frei von Bewehrung zu halten, werden temporär HEA-Träger in den Schlitz eingestellt. Abb. 3: Spezielle Abschalelemente und Abstandshalter (HEA-Träger) Insgesamt werden 68 Schlitzwandlamellen hergestellt. Dabei sind die Primärelemente als Dreifachstichlamellen ausgeführt. Hierbei setzte sich die Gesamtlänge aus zwei Vollstichen und einem Mittelstich zusammen. Die Sekundärlamellen werden als Einzelstichlamellen ausgeführt. Zusätzlich sind im nördlichen Bereich sogenannte T-Lamellen angeordnet. Das Panellayout ist in Abbildung 4 dargestellt. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 309 Komplexe Schlitzwandanwendung an der ETH Zürich: HPQ - Das Physikgebäude der Zukunft Abb. 4: Panellayout Die spätere Baugrube wird eine Größe von 75 x 65 x 28 m (L x B x T) haben. Dabei wird es innerhalb der großen Schlitzwand eine weitere kleinere Baugrube geben. Diese wird mit einer aufgelösten Pfahlwand gesichert, und parallel zu den Schlitzwandarbeiten mittels verlorener Bohrungen hergestellt. Der Durchmesser der Pfähle beträgt 900 mm. Die Pfähle weisen eine Gesamtlänge von 28 m auf wobei die obersten 15 m als Leerbohrung ausgeführt werden. Um den nachfolgenden Aushub nicht zu behindern wird der Leerbohrungsbereich mit gut baggerfähigem Material verfüllt. Abb. 5: Schnitt Baugrube [1] Die Hauptmengen der Spezialtief bauarbeiten sind in nachfolgenden Tabellen gelistet. Tab. 1: Umfang Schlitzwandarbeiten Parameter Anzahl Lamellen [-] 68 Tiefen [m] 28 - 37,5 Breite [mm] 1200 Volumen [m³] Ca. 11.400 Tab. 2: Umfang aufgelöste Pfahlwand Parameter Anzahl Pfähle [-] 68 Länge [m] 28 Durchmesser [mm] 900 Volumen [m³] Ca. 1200 Tab. 3: Umfang Geothermie Parameter Anzahl Sonden [-] 198 Tiefen [m] 200 310 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Komplexe Schlitzwandanwendung an der ETH Zürich: HPQ - Das Physikgebäude der Zukunft Abb. 6: Schlitzwandarbeiten und Geothermie 2.3 Komplexität der Arbeiten Aufgrund der Anforderungen an das Gebäude und den parallellaufenden Tätigkeiten, gestaltet sich das Projekt HPQ als sehr komplex. Auf einige Punkte mit Fokus auf die Schlitzwandarbeiten wird nachfolgend eingegangen. Das Gebiet Hönggerberg in Zürich zeigt komplexe geologische Verhältnisse. Ein exemplarisches Bodenprofil ist in Abbildung 7 dargestellt. Abb. 7: Bodenprofil Zuoberst findet sich ein kiesiger, wasserführender Schotter. Darunter folgen bis in eine Tiefe von 23 - 26 m sandige Tone und Feinsande in Wechsellagerung. Diese Schichten sind sehr stark überkonsolidiert, da sie in der letzten Eiszeit von über 1000 m Eis überlagert wurden. Dadurch weisen sie halbfestgesteinsähnliche Eigenschaften auf. An der Basis der Baugrube findet sich die untere Süßwasser Molasse. Es handelt sich dabei um eine Wechsellagerung von tonigen Siltsteinen und Sandstein. Auch die Molasse weist eine starke Überkonsolidation auf. Aufgrund der geologischen Bedingungen wurde eine Kombination aus einem Schlitzwandgreifer und einer Schlitzwandfräse gewählt. Dabei werden die obersten Lockergesteinsschichten mit Hilfe des Seilgreifers ausgehoben. Sobald die anstehende Moräne zu dicht gelagert ist und der Greifer nicht weiter vorgetrieben werden kann, erfolgt ein Wechsel zu einer Schlitzwandfräse. Auch die nachfolgende Felseinbindung in das Mergelgestein erfolgt unter Verwendung der Schlitzwandfräse BC 35, welche an einem MC 96 Trägergerät montiert ist. Die Herstellung der Sekundärlamellen erfolgt ausschließlich mit der Schlitzwandfräse, da mit einer überfrästen Fuge gearbeitet wird. Im Zuge der ersten Lamellen war schnell klar, dass die geologischen Bedingungen große Herausforderungen darstellen. Zum einen kann die gewünschte Tiefe mit dem Greifer nicht immer erreicht werden, was einen erweiterten Fräseinsatz notwendig macht. Auch der Aushub des Felsens stellt sich als Herausforderung für die Fräse dar. Normalerweise wird die Abschätzungen zur Fräsbarkeit durch eine Korrelation zwischen einaxialer Druckfestigkeit und Fräsfortschritt aufgezeigt. Abb. 8: Fräsleistung vs. einaxiale Druckfestigkeit [2] Die Festigkeit des Mergelgesteins ist mit ca. 35 N/ mm² im unteren Mittelbereich der Fräsmöglichkeiten. Während des zunehmenden Baufortschritts ist aufgefallen, dass die erreichten Leistungen am unteren Rand der Korrelation (blaues Band) liegen. Somit ist zu vermuten, dass das Mergelgestein zusätzlich durch andere Parameter charakterisiert werden muss. Ähnliche Charakteristika zeigen andere geschichtete Felstypen, wie zum Beispiel Schiefergestein. Aktuell ist die Erforschung des Einflusses dieser zusätzlichen Parameter auf die Fräsleistung jedoch noch am Anfang. Mit Hilfe von verschiedenen Einstellungen und durch die Verwendung unterschiedlichen Fräszähnen ist der beste Arbeitspunkt aus Fortschritt und Verschleiß ermittelt worden. Als favorisierte Kombination stellt sich die Verwendung von einem Standad Fräsrad mit SB 50 Zähnen heraus. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 311 Komplexe Schlitzwandanwendung an der ETH Zürich: HPQ - Das Physikgebäude der Zukunft Eine nicht alltägliche Besonderheit der Schlitzwandarbeiten zeigt der nördliche Bereich des Baufeldes. In diesem Bereich sind Lamellen in T-Form geplant worden. Bei der Herstellung dieser Lamellen ist besondere Aufmerksamkeit hinsichtlich Abweichung gefordert, um den Einbau der Bewehrungskörbe sicherzustellen (Abbildung 9). Abb. 9: Einbau eines Bewehrungskorbs in eine T-Lamelle Eine weitere Herausforderung der Baustelle im Zuge der Fräsarbeiten ist die Lagerung und die Auf bereitung der Stützsuspension. Zu Beginn der Baustelle mussten insgesamt ca. 1100 m³ angemischt und in 12 Silos eingelagert werden. Die Nutzung eines kompakten Mischers im Containermaß erleichterte die schnelle Mobilisierung und es konnte zügig mit der Produktion begonnen werden. Bei der Lagerung (Abbildung 10) wurde in der Planung des Leitungsbaus bereits berücksichtigt, dass jedes Silo individuell entleert und befüllt werden kann. Somit wurde hohe Flexibilität hinsichtlich der Verwendung und Entsorgung von nicht mehr verwendbarer Suspension geschaffen. Abb. 10: Suspensionsbevorratung Abb. 11: Kompaktmischanlage Die Feinteile aus Silstein und den bindigen Bodenschichten führt zu einer sogenannten Aufladung der Suspension. Um dem Entgegenzuwirken, findet eine kontinuierliche Reinigung in einer Entsandungsanlage mit einer Reinigungskapazität von 500 m³/ h statt. Dabei wird in zwei Stufen das gelöste Material von der Stützflüssigkeit getrennt. Die erste Stufe ist dabei ein Grobsieb, welches Material > 4 mm aussiebt. Anschließend gelangt die Suspension zu zwei Zyklonen, welche die Partikel bis zu einer Größe von 60 μm reinigen. Feinere Bodenpartikel verbleiben im Kreislauf. Um die Entsorgung zu optimieren, wurde eine Zentrifuge mit Flockmittelstation im Kreislauf installiert. Damit kann zum einen die Suspension im Bypass zur Entsandungsanlage weiter gereinigt werden, zum anderen sorgt der Einsatz der Zentrifuge in Kombination mit dem Flockmittel zur vollständigen Trennung von Feststoff und Wasser. Das Wasser kann anschließend neutralisiert und in die Kanalisation eingeleitet werden. Somit können die Entsorgungskosten für Suspension reduziert werden. Zum Schutz der Entsandungsanlage und des anderen Equipments gegen Verschmutzen und Beschädigungen durch Baggerarbeiten konnte eine bereits bestehende Wand in den Auf bau integriert werden, was ebenfalls zu einer Kostenoptimierung beiträgt (Abbildung 12). 312 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Komplexe Schlitzwandanwendung an der ETH Zürich: HPQ - Das Physikgebäude der Zukunft Abb. 12: Entsandungsanlage und Zentrifuge mit Nutzung einer Bestandswand Da die Baustelle zu Beginn des Jahres 2023 startete, mussten zusätzliche Frostschutzmaßnahmen ergriffen werden. Dafür wurden die Auslässe und Schieber der Silos komplett eingehaust und beheizt. Einhausungen wurden zudem bei Pumpen und der Entsandungsanlage vorgenommen, um die Arbeitsfähigkeit zu gewährleisten (Abbildung 13). Abb. 13: Wintermaßnahme Einhausung Aufgrund vieler Gewerke auf der Baustelle ist eine detaillierte Organisation und ein gutes Prozessmanagement die Grundlage für einen geordneten Bauablauf und die zugehörige Baustellenlogistik. Hierfür wurde zentral auf dem Baufeld ein Hochbaukran errichtet, welcher das komplette Baufeld bedienen kann. Zu Beginn der Baustelle führte die bereits beschriebene Rampe zu einer weiteren Reduzierung des Platzes auf dem Baufeld. Die Bewehrungskörbe wurden in zwei Teilen pro Schlitzwandelement von maximal 24 m Länge vorgefertigt und auf der Baustelle gelagert. Um hier den vorhandenen Platz bestmöglich zu nutzen, wurden die Körbe Just-in-Time geliefert und beim Einbau direkt im Schlitz gekoppelt. Zudem wurden direkt in den Körben die Anschlussboxen für die spätere Betonlongarine („Querriegel“) sowie die Bodenplatten eingeschweißt. Damit müssen nachträglich keine Anschlusseisen eingebohrt und geklebt werden. Insgesamt wurden während der Schlitzwandarbeiten ca. 2.000 Tonnen Stahl und rund 12.500 m³ Beton verarbeitet. Abb. 14: Arbeiten am Bewehrungskorb während des Einbaus 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 313 Komplexe Schlitzwandanwendung an der ETH Zürich: HPQ - Das Physikgebäude der Zukunft Abb. 15: Spriessung Baugrube Bözingenfeld in Biel 2.4 Baugrubensicherung mit dem Spriesssystem Marti Als Rückhaltesystem der Schlitzwandlelemente kommt das patentierte Spriesssystem der Marti AG zum Einsatz, beispielhaft dargestellt in Abbildung 15. Dieses besteht im Wesentlichen aus baukastenähnlichen ROR-Elementen, welche über Flansche verschraubt und vormontiert auf die Baustelle geliefert werden. Zudem können diese hydraulisch vorgespannt werden, wodurch die Verformungen der Baugrube deutlich reduziert werden können. Zur Bemessung der Spriessung wurde ein 3D-FEM-Modell erstellt, welches alle wesentlichen Arbeitsschritte berücksichtigt und die zugehörigen Verformungen sowie Temperatureinflüsse pro Arbeitsschritt mit einbezieht. Das Modell wurde mit der Software Z-Soil berechnet. Der Baugrund wurde mit einem Hardening Soil small strain stiffness Materialmodell für die Lockergesteine abgebildet. Der Fels wurde als Mohr-Coulomb-Material modelliert. Das Spriesslayout wurde anschließend in mehreren Iterationen optimiert, um die Lasten möglichst gleichmäßig auf den Spriessen (Steifen) zu verteilen. Entscheidend ist hierfür weniger die eigentliche Druckfestigkeit der Stahlrohre, sondern viel mehr deren Knickstabilität. Somit mussten nicht nur die Rohre optimal bemessen werden, auch den Knickhalterungen kommt eine entscheidende Bedeutung zu. Abb. 16: Situation Plan Spriessung HPQ Die Lastverteilung zwischen der Spriessung und den Schlitzwandelementen erfolgt über eine Betonlongarine („Querriegel“), welche zur Baugrubenseite mit einem Stahlblech abgeschalt wird. Dieses Stahlblech ist aufgrund der sehr großen zu erwartenden Kräfte zusätzlich mit einer hohen Anzahl an Kopf bolzendübel mit dem Beton verbunden. Die Krafteinleitung in die Schlitzwand- 314 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Komplexe Schlitzwandanwendung an der ETH Zürich: HPQ - Das Physikgebäude der Zukunft elemente erfolgt über die bereits erwähnten Schraubbewehrungsanschlüsse. Um eine möglichst optimale Lasteinleitung der um 45°-schrägen Spriesse zu gewährleisten, sind diese mit Hammerköpfen und Gelenkplatten auf die Longarine verbunden. Damit können aufwändige Anpassungen, wie Brenn- und Schweißarbeiten deutlich reduziert werden. Wie bei vielen Baugrubensicherungen mit Stahlspriessungen ergeben sich die größten Einwirkungen nicht beim Aushub, aber bei Rückbau. Oft sind die zu stützenden Wandabschnitte im Rückbauzustand größer. Im vorliegenden Fall sind die Lasten sogar auf einem Niveau, dass vor dem Rückbau der dritten Spriesslage, die Knickhalterungen zusätzlich verstärkt werden müssen. Abb. 17: Modell Knickhalter Literatur [1] https: / / ethz.ch/ de/ campus/ entwickeln/ bauprojekte/ hpq-projekt.html [2] BAUER Trench Cutter System 7/ 2020 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 315 Spezialtiefbau auf engstem Raum - Die Herstellung einer 13 m tiefen Baugrube im Bestand Dipl.-Ing. Oliver Bernecker GrundWerk GmbH & Co.KG, Stuttgart Zusammenfassung Der Beitrag stellt ein Projekt aus dem Jahre 2019 vor. Für einen privaten Bauherrn sollte eine Baugrube auf engstem Raum im Hang entstehen. Neben den sehr begrenzten Platzverhältnissen waren die technischen Lösungen eingeschränkt durch denkmalgeschützte Randbebauung, im Hang befindliche alte Kellerräume (“Eiskeller“) sowie den Umstand, dass auf den angrenzenden Grundstücken eine Rückverankerung nicht gestattet wurde. Die unter diesen Umständen zu entwerfende Baugrubensicherung für den bis zu ca. 13 m senkrechten Höhensprung im ansteigenden Gelände war anspruchsvoll, wenn nicht sogar am Rande des technisch vertretbaren. Aus diesem Grund kam, begleitend zur Bauausführung, die Beobachtungsmethode zum Einsatz. Neben der messtechnischen Begleitung wurden die Erkenntnisse bei der Herstellung kommuniziert und immer wieder zwischen den Beteiligten diskutiert. Dies machte ein Anpassen von Prozessen im Bedarfsfalle möglich. Nur die enge Abstimmung zwischen dem Geotechnischen Ingenieur und den bauausführenden Firmen führte am Ende zu einem sicheren Bauwerk. 1. Einleitung Die Bauidee des privaten Bauherrn in Heidelberg umfasste neben Umbauten am bestehenden Wohnhaus auch den Neubau einer östlich an das Gebäude angrenzenden Tiefgarage für den eigenen Fuhrpark. Insgesamt sollten fünf Pkw-Stellplätze entstehen. Das kleine Baufeld für die Tiefgarage misst im Grundriss ca.-20 x 20 m. Geprägt ist die Lage der Baumaßnahme durch die unmittelbare Nähe zum Neckar und dem von dort aus rasch bis zum Michelsberg ansteigenden Gelände. Innerhalb des Grundstücks betragen die Geländehöhen im Süden ca. 111-m-ü.-NN und im Norden ca. 127 m-ü. NN. Die folgende Abbildung zeigt den Standort der Baumaßnahmen am Hangfuß unterhalb des Michelsbergs bzw. des Philosophenwegs. Abbildung 1: Standort der Baumaßnahme in Heidelberg 2. Bauliche Ausgangssituation und Planungsaufgabe 2.1 Bauliche Ausgangssituation Die vorhandene Bebauung auf und um das Grundstück stammt vorwiegend aus der Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Während westlich der neuen Tiefgarage der Bestand der Bauherrschaft direkt angrenzt, befinden sich östlich und nördlich weitere bebaute Grundstücke. Der folgende Grundriss zeigt die vorhandene Bebauung in grau dargestellt. Farbig angelegt ist der für den Neubau der Garage vorgesehene Bereich, der bis zum Beginn der Baumaßnahmen als begrünter Außenbereich mit Treppenanlagen und Natursteinmauern angelegt war. Abbildung 2: Grundrissausschnitt mit umliegender Bebauung (grau) und Baufeld Garage (farbig); blau dargestellt: vertikal aufsteigender Hohlraum Die innerhalb des Baufelds vorhandenen Natursteinmauern sind denkmalgeschützt. Diese Natursteinmauern befinden sich am Kopf der für den Garagenneubau herzustellenden Baugrubensicherung im nördlichen Teil des 316 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Spezialtiefbau auf engstem Raum - Die Herstellung einer 13 m tiefen Baugrube im Bestand Geländes. Der bauliche Zustand war insgesamt sanierungsbedürftig. Neben oft weit geöffneten Fugen waren Rissbildungen im Mauerwerk vorhanden. In einem Bereich fehlte ein Teil der Mauer über eine Breite von ca. 1-m. Die folgende Abbildung zeigt den typischen Zustand der Mauer. Im Foto grün gekennzeichnet sind Stellen, an denen Probekörper zur weiteren Untersuchung der Bausubstanz entnommen wurden. Abbildung 3: Typischer Zustand der zu sichernden Natursteinmauern im nördlichen Grundstücksteil Abbildung 4: Blick auf die zu sichernde Natursteinmauer und Fehlstelle Östlich an das Bestandsgebäude angrenzend verläuft ein Gewölbekeller von Süd nach Nord, der vor Beginn der Maßnahmen noch als Garage genutzt wurde. Im nördlichen Teil des Grundstücks taucht dann ein weiterer Gewölberaum vertikal in diesen ein und bildet einen aufsteigenden Hohlraum im Untergrund. Der Hohlraum liegt hinter der durch den Neubau der Garage neu herzustellenden nördlichen Außenwand. Die untenstehende Abbildung ist ein Ausschnitt aus Abbildung 2 und verdeutlicht die Lage des Hohlraums im Grundriss. Abbildung 5: Ausschnitt mit Lage des vertikal aufsteigenden Hohlraums („Gewölberaum“) Im Süden grenzt das Baufeld an die Neuenheimer Landstraße. Hier wird der vorhandene Höhensprung von ca. 6 m ab Straßenniveau durch eine Stützmauer gesichert . Diese verläuft hier historisch und prägt das Straßenbild. Ein vollständiger Abbruch und Wiederauf bau war im Bauzustand auch aus Gründen der Standsicherheit des östlichen Nachbargrundstückes nicht möglich. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 317 Spezialtiefbau auf engstem Raum - Die Herstellung einer 13 m tiefen Baugrube im Bestand Abbildung 6: Höhensprung ab Neuenheimer Landstraße mit typischer Stützmauer (Quelle: Google) 2.2 Planungsaufgabe Aus der Planung der neuen Garage und der gegebenen Bestandssituation ergaben sich folgende Randbedingungen für die Baugrubenplanung: - der maximale Gesamthöhensprung beträgt im ca. 14 m (Nord), - der Höhensprung auf der Südseite zur Straße hin beträgt ca. 6 m; die vorhandene Stützmauer musste erhalten werden, - Rückverankerungen sind nur innerhalb des Baugrundstückes gestattet, - Die am Kopf des maximalen Höhensprungs vorhandenen Natursteinmauern dürfen nicht zurückgebaut werden und sind zu sichern - Vorhandene Keller und Gewölberäume sind zu erhalten und dürfen nicht verfüllt werden - Die im Süden zur Straße hin vorhandene Stützmauer musste erhalten bleiben - Einhaltung geringer Verformungen Aus der gegebenen baulichen Situation ergaben sich weitere Einschränkungen im Hinblick auf den Geräteeinsatz - Alle Geräte mussten mit dem vorhandenen Kran eingehoben werden (Gewichtsbeschränkung), - Bohrplattformen mussten unter Berücksichtigung der Standsicherheit der vorhandenen Bauwerke geplant werden, - zusätzliche Einwirkungen auf die Stützwand im Süden des Grundstückes sind zu vermeiden Die Planung der Bauzustände für Zwischenebenen war nur Hand in Hand mit der ausführenden Firma und den dort zur Verfügung stehenden Geräten möglich. Dies erforderte fortwährende Abstimmungen im iterativen Prozess. 3. Baugrund Geologisch ist der Standort geprägt durch den anstehenden Unteren Buntsandstein, der am Standort der Maßnahmen von Hangschutt und meist bodenähnlichen Auffüllungen geprägt. Durch den Geotechnischen Gutachter wurden die lockergesteinsähnlichen Materialien über dem Buntsandstein mit einer Dicke von ca. 3-m bis ca. 7-m angegeben. Die Ergebnisse durchgeführter schwerer Rammsondierungen deuten zudem auf eine entfestigte Zone des Buntsandsteins hin. Ausweislich der Geologischen Karte von Heidelberg sind zahlreiche Verwerfungen im Umfeld der Baumaßnahme vorhanden. Abbildung 7: Auszug aus der Geologischen Karte „Heidelberg Nord“ In der Gesamtschau war davon auszugehen, dass über etwa die Halbe Höhe der notwendigen Baugrubensicherung auf der Nordseite lockergesteinsähnliche Materialien anstehen. Innerhalb dieser Materialien waren Blöcke in unregelmäßiger Verteilung zu erwarten. Darunter folgte gemäß eigener Interpretation der Baugrunddaten zunächst entfestigter Buntsandstein bis nahezu an die Baugrubensohle (BGS = ca.111,7 m ü. N). Sämtliche Kennwerte waren in den Geotechnischen Berichten enthalten. 4. Lösung der Bauaufgabe 4.1 Vorbereitende Maßnahmen Im Vorfeld der Aushub- und Sicherungsmaßnahmen wurde ein Konzept zur Sicherung der bestehenden und denk- 318 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Spezialtiefbau auf engstem Raum - Die Herstellung einer 13 m tiefen Baugrube im Bestand malgeschützten Natursteinmauern und zur Überwachung der Verformungen entwickelt. Die Sanierung der Mauern erfolgt dann in mehreren Schritten. Nach Reinigung der Oberfläche waren die Fugen zu säubern und im Nachgang zu verpressen. Risse wurden vernadelt, einzelne Steine ersetzt. Zudem wurden verstärkte Injektionsmaßnahmen im Bereich des Mauerfußes vorgenommen. Der etwa 1 m breite Zwischenbereich wurde mittels vernagelter, gewölbter Spritzbetonschale überbrückt. Nach Abschluss der Sanierungsmaßnahmen wurden an der Wand elektronische Neigungsmessgeber angebracht Der Wandfuß erhielt zusätzliche geodätische Messpunkte zur Verformungsüberwachung. Das Anmessen der geodätischen Messpunkte erfolgte mittels Totalstation in regelmäßigen Zeitabständen. Die folgende Abbildung zeigt die sanierte Mauer mit Messgebern. Abbildung 8: Sanierte Natursteinmauer mit Messpunkten 101 bis 108 und Neigungsmessgerbnern 1 bis 7 4.2 Sicherung der Natursteinmauer Zur Sicherung der Natursteinmauer kam eine abschnittsweise Abfangung mittels rückverankerter Einzelelemente aus Betonfertigteilen zum Einsatz. Die untenstehende Abbildung zeigt das System. Da die spätere Geländemodellierung der Objektplaner keine ausreichende Einbindung am Mauerfuß erwarten ließ war zur Herstellung einer ausreichende Standsicherheit der Mauern eine dauerhafte Rückverankerung notwendig. Durch den Einsatz von einzelnen Elementen konnte flexibel auf die unterschiedlichen Höhenlagen des Mauerfußes reagiert werden. Abbildung 9: Elemente des Abfangebalkens - Ansicht Wesentlich für das Gelingen der Maßnahmen war die Wahl der „richtigen“ Vorspannkraft. Hierfür war zunächst der gegebene Zustand der Mauern statisch zu untersuchen. Die Vorspannkraft (P k ) der Verpressanker wurde dann mit P k = 100 kN festgelegt. Das Ergebnis der Herstellung zeigt das Bild unten. Abbildung 10: Abfangebalken zur Sicherung der Natursteinmauer 4.3 Spritzbetonvernagelung Der Einsatz größerer Bohrtechnik war erst ab einer Höhenlage des Aushubs bei 118,5 m ü. NN möglich. Diese Ebene lag ca.-8,5 m unter dem Kopf der Natursteinmauer und bis zu ca.-4,5-m unterhalb des Abfangebalkens. Zur Überwindung des Höhensprungs wurde eine Spritzbetonvernagelung zur Unterfangung des Abfangebalkens entworfen und bemessen. Die Herstellung erfolgte in einzelnen festgelegten horizontalen Abschnitten. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 319 Spezialtiefbau auf engstem Raum - Die Herstellung einer 13 m tiefen Baugrube im Bestand Abbildung 11: Spritzbetonverbagelung unterhalb Abfangebalken Abbildung 12: Aushub bis zur Zwischenebene auf 118,5 m ü. NN Die Ausführung dieser Konstruktion bis auf Höhe der Baugrubensohle war nicht möglich, da auf der Westseite des Baufelds eine Rückverankerung nicht gestattet war. 4.4 Bohrpfahlwand Bedingt durch die Vorgabe, dass Rückverankerungen nur auf dem eigenen Grundstück gestattet waren, musste an der Ostseite zum benachbarten Grundstück eine auskragende Wand geplant werden, die den vorhandenen Höhensprung von ca.-8m sichert. Auf der Nordseite konnte eine Rückverankerung realisiert werden. Entworfen wurde eine überschnittene Bohrpfahlwand. Aus den planerischen Randbedingungen ergab sich ein L-förmiger Grundriss der Bohrpfahlwand. Abbildung 13: Grundriss Bohrpfahlwand L-förmig Zur Einhaltung geringer Kopfverformungen (Vorgabe: maximal 1 cm! ) war für den nördlichen Teil der Westwand eine Queraussteifung gegen die Nordwand erforderlich. Um die dort eingeleitete H-Kraft aufzunehmen, wurden die Anker in der Nordwand im Grundriss um 11° verschwenkt. Bedingt durch den Hohlraum im Untergrund mussten im Verlauf der Nordwand, als Ersatz für die Verpressanker, vorgespannte Steifen eingesetzt werden. Diese waren gegen ein erdseitiges Widerlager herzustellen, dass seinerseits rückverankert vorgesehen war. Abbildung 14: Systemschnitt Nordwand mit rückverankerter Bohrpfahlwand 320 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Spezialtiefbau auf engstem Raum - Die Herstellung einer 13 m tiefen Baugrube im Bestand Abbildung 15: Steifenanschluss Nordwand Abbildung 16: Blick auf die BPW mit Steifen, Rückverankerung und Queraussteifung, links Gewölbekeller Die komplexe Situation im Bestand machte eine 3D-Planung der Baugrube notwendig. So konnten immer wieder Überprüfungen zu möglichen Kollisionen von Bauteilen zueinander oder zu bestehenden Bauwerken oder bekannten Hohlräumen überprüft werden. Abbildung 17: 3D-Ausgangsmodell der Baugrubenplanung 5. Ausführung Mit der gewählten Abfolge der Systeme war der Einsatz von Kleingeräten zur Herstellung möglich. Für die Herstellung der Rückverankerungen sowie der Bodennägel kam eine Beretta T44 mit einem Gesamtgewicht von 4,4-t zum Einsatz. Ab der Ebene 118,5 m ü. NN konnte eine ausreichend große Bohrebene für das Pfahlbohrgerät errichtet werden. Um die südliche Stützmauer nicht mit dem Gerätegewicht zu belasten musste eine über Zusatzpfähle tief gegründete Fahrebene hergestellt werden. Das Großbohrgerät wurde nach Antransport vor Ort zerlegt und nach Einheben auf die Herstellebene auf der Baustelle wieder aufgebaut. Bewehrungskörbe und Verrohrungen mussten aus Sicherheitsgründen gegen abrollen gesichert sein. Abbildung 18: Bohrgerät auf Herstellebene 118,5-m-ü.-NN 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 321 Spezialtiefbau auf engstem Raum - Die Herstellung einer 13 m tiefen Baugrube im Bestand Abbildung 19: Ankerbohrgerät Beretta T44 vor der südlichen Stützwand auf Endaushubsohle Einen Eindruck der Herstellung Baugrube liefern die nachfolgenden Bilder, die verschiedene Bauzustände zeigen. Abbildung 20: Abfangebalken und Spritzbetonverbagelung bis Herstellebene BPW Abbildung 21: Blick Richtung Norden, links Schutzbermen vor Steifeneinbau Abbildung 22: Blick von der Neuenheimer Landstraße Richtung Norden 6. Messtechnische Überwachung Aufgrund der Komplexität der einzelnen Sicherungsmaßnahmen in Verbindung mit den Hohlraumsituationen, wurde zur ständigen Überwachung der Verformungen ein Messkonzept erarbeitet. Dieses sah die permanente Überwachung der eintretenden Neigungen der bestehenden Natursteinmauern, des Abfangebalkens, der Spritzbetonschale und der Stützmauer im Süden vor. Die Messdaten wurden dabei über eine Totalstation erfasst und auf einem Server allen Beteiligten zur Verfügung gestellt. Im Vorfeld waren Warn-, Alarm und Eingriffswerte festgelegt worden. Im Alarmfall erfolgte das Auslösen einer Mitteilungskette per Email und/ oder Mobilfunk. Damit war ständig sichergestellt, dass bei Überschreiten der festgelegten Werte zuvor festgelegte Maßnahmen ergriffen werden konnten. Mit Hilfe der Überwachungspunkte an der vorhandnen Natursteinmauer konnten zudem die möglichen Auswirkungen des Spannvorgangs der vorgespannten Verpressanker innerhalb des Abfangebalkens beobachtet werden. Die zuvor ermittelten Vorspannkräfte resultierten naturgemäß aus Annahmen zum statischen System. Im Falle einer maßgebenden Über- oder Unterschätzung der errechneten Vorspannkräfte wäre es mit Hilfe der Beobachtung der Wandbewegungen möglich gewesen, einzugreifen und die Vorspannkräfte nach zu justieren. 322 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Spezialtiefbau auf engstem Raum - Die Herstellung einer 13 m tiefen Baugrube im Bestand Abbildung 23: Messpunkte-/ geber an Natursteinmauer und Abfangebalken Abbildung 24: Beispielhaftes Ergebnis der Setzungen der Natursteinmauer mit farbiger Darstellung Warn- und Alarmwert (grün, gelb) Abbildung 25: Messpunkte auf Stützwand Südseite 7. Schlussbemerkungen Während der Arbeiten mussten zahlreiche technischer Aufgaben gelöst werden. Aufgrund der teilweise offen ständigen Klüfte, die beim Ankerbohren angetroffen wurden, kam es zu erhöhtem Verlust von Injektionsmörtel. Hier war eine Anpassung der Ankerherstellung bzw. der Herstellung der Verpressstrecke notwendig. Einzelne Stellen mussten nach Vorvergütung neu gebohrt werden. Teilweise kam es in den Gewölben zu Suspensionsaustritten. Die Datenübertragung und -aufzeichnung der permanenten messtechnische Überwachung war immer wieder durch die Maschinentechnik oder Witterungseinflüsse beeinträchtigt, so dass einzelne Messreihen zeitweise lückenhaft waren. Im Ergebnis konnte die sehr komplexe Bauaufgabe im Zusammenspiel aller Beteiligten ohne Schäden an der Bausubstanz gemeistert werden. Ausdrücklich sei an dieser Stelle auf die sehr gute und konstruktive Zusammenarbeit mit den beteiligten ausführenden Firmen hingewiesen. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 323 1. Angaben zum Bauvorhaben Auf einer Freifläche in Konstanz, entsteht der Neubau von zwei Mehrfamilienhäusern. Er besteht aus zwei Geschossbauten mit Erdgeschoss und fünf Obergeschossen auf einem durchgehenden Untergeschoss mit Kellerräumen und Tiefgarage. Die Lastabtragung der Gebäudelasten in den Baugrund erfolgt über eine elastisch gebettete Bodenplatte. Das Neubauvorhaben grenzt im Norden, Süden und Westen unmittelbar an Bestandsbebauung an, siehe Lage in Abb. 2. Die 8bzw. 9-stöckige Bestandsbebauung im Süden und Westen wurde in den 60er Jahren in Leichtbauweise errichtet. Die Kellergeschosse des Bestandes wurden als Gründungskeller in Ortbetonbauweise erstellt. Die Gründungsplatte wurde mit einem Plattenüberstand von 1,65m gegenüber dem aufgehenden Gebäude dimensioniert. Den Auftrag für die Tief bauarbeiten und den Rohbau erhielt die Ed. Züblin AG - Bereich Bodensee. Das technische Büro Tief bau der Zentralen Technik der Ed. Züblin AG hatte den Auftrag für die Ausführungsplanung der Baugrube bekommen. Baugrube in Beckenton Dr.-Ing. Igor Arsic Ed. Züblin AG, Zentrale Technik, Technisches Büro Tiefbau, Stuttgart Zusammenfassung Der Neubau von zwei flachgegründeten Mehrfamilienhäusern mit Tiefgarage ist an der Brandenburger Straße in Konstanz geplant. Die Baugrube zeichnet sich durch mehrstöckige, flachgegründete Bestandsbebauung in unmittelbarer Nähe aus. Wegen der anstehenden weichen Beckentonschicht wurde die Baugrube mit Einbau einer bewehrten Unterbetonsohle in Streifen geplant. Im vorliegenden Beitrag werden die Baugrund- und Grundwasserverhältnisse, sowie der Bauablauf vorgestellt. Anschließend wird auf die geplanten Baugrubenumschließung und die Planung des Aushubs und der bewehrten Unterbetonsohle eingegangen. Die Verwendung von FE-Berechnungen nicht nur zur Prognose von Verformungen, sondern auch für das Führen von geotechnischen Nachweisen wird vorgestellt. Abb. 1: Schnitt durch geplanten Neubau [1] Abb. 2: Lage Bauvorhaben 2. Baugrund Die Geländehöhen liegen zwischen +400,8 mNHN und steigen westlich des Parkplatzes auf +402,5 mNHN an. Das Baugelände liegt in einem Bereich wo Schichten der Grundmoräne und Beckenton aneinandergrenzen. Der Beckenton wird von Ablagerungen des Bodensees über- 324 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Baugrube in Beckenton lagert und von Schichten der Grundmoräne unterlagert. Die Grundmoräne ist in der Regel als Geschiebemergel ausgebildet und besteht aus einem fest gelagerten Gemenge aus Ton und Sand mit Geröllen (Kies) und Geschieben (Steine und Blöcke). Folgende Hauptschichten wurden von oben nach unten erkundet: • Oberboden und Auffüllungen • Schwemmschicht (lokal) • Beckenton • Aufgearbeitete Grundmoräne • Grundmoräne. Die maßgebenden Schichten sind im Schnitt von West nach Ost in Abb. 3 dargestellt. Abb. 3: Schnitt West-Ost Auffüllungen Anthropogene Auffüllungen wurden bis in Tiefen zwischen 1,1 m und 3,9 m unter Gelände angetroffen. Sie werden als Kies mit wechselndem Sand und Feinkornanteil sowie Steinanteil angesprochen. Bereichsweise wurden bindige Auffüllungen angetroffen, die Konsistenz der bindigen Auffüllungen ist steif bis halbfest. Schwemmschicht Jüngere Ablagerungen unter den Auffüllungen stehen als bindige tonige Böden und lokal nichtbindiger Sand an. Die Konsistenz des Tons ist weich und weich bis breiig. Wo angetroffen, weist die Schwemmschicht Dicken zwischen ca. 0,5 m und 2 m auf, sie reicht bis in Tiefen zwischen 2 m und 4 m unter Gelände. Beckenton Der Beckenton weist wechselnde Anteile an Sand und Kies auf. Er keilt tendenziell nach Osten hin aus, dort stehen die Schichten der Grundmoräne oberflächennäher an. Die Konsistenz des Beckentons reicht von breiig bis steif bis halbfest. Dabei treten die höheren Konsistenzen üblicherweise in den oberen etwa 2m der Schicht auf, die geringen Konsistenzen werden ab Tiefen von ca. 4 m unter Gelände angetroffen. Die Plastizität streut und wird als gering, mittel und ausgeprägt angetroffen. Bei geringer bis mittlerer Plastizität ist der Beckenton wasserempfindlich und entfestigt bei Wasseraufnahme. Der Beckenton ist erschütterungsempfindlich. Aufgearbeitete Grundmoräne Die Grundmoräne ist in ihrer oberen Zone durch Gletscherbewegung aufgearbeitet und durch Verwitterung entfestigt. Sie besteht aus weitgestuften bindigen Böden, und wird als Ton mit wechselnden Sand-, Kies- und Steinanteil angesprochen. Die aufgearbeitete Grundmoräne ist als weich und steif beschrieben. Sie weist eine geringe bis sehr geringe Plastizität auf und ist dadurch sehr wasserempfindlich, bereits bei geringer Wasseraufnahme entfestigen diese Böden. Die Oberkante der aufgearbeiteten Grundmoräne Die Oberkante der aufgearbeiteten Grundmoräne steigt nach Osten hin an und liegt in Tiefen zwischen etwa 9m und 13m unter Gelände an. Grundmoräne Der Grundmoräne zeigt eine Konsistenzzunahme auf steif, steif bis halbfest und dann halbfest. Zur Tiefe hin ist in der Grundmoräne auch feste Konsistenz vorhanden, dann weist die Grundmoräne eine felsartige Verfestigung auf (Halbfestgestein). Sie besteht aus weitgestuften bindigen Böden, die als Ton mit wechselnden Sand-, Kies- und Steinanteil angesprochen werden können. Der Grobkornanteil ist höher als in der aufgearbeiteten Grundmoräne. Die Oberkante der Grundmoräne liegt in Tiefen zwischen etwa 13m und 15m unter Gelände. Die charakteristische Bodenkenngrößen der Hauptschichten sind in Tab. 1 zusammengefasst. Tab. 1: Charakteristische Bodenkennwerte Schicht g k / g ‘ k [kN/ m³] j‘/ j u [°] c‘/ c u [kN/ m²] E m [MN/ m²] Auffüllung (nichtbindig) 19/ 10 32,5/ - 0/ - - Auffüllung (bindig) 20/ 10 27,5/ - 2/ - - Schwemmschicht 19/ 9 25/ 0 0/ 15 2-4 Beckenton 19,5/ 9,5 22,5/ 0 0/ 20 4-6 Aufgearbeitete Grundmoräne 21/ 11 27,5/ - 5/ - 12 Grundmoräne 22/ 12 30/ - 10/ - 30-50 2.1 Grundwasser Drei voneinander unabhängige Grundwasser-vorkommen liegen vor: • Oberflächennahes Stau- und Schichtenwasser in den Auffüllungen und in der Schwemmschicht, das weitgehend durch Sickerwasser gespeist wird, • Grundwasser im Beckenton (tritt in den eingelagerten Sandbändern auf), • Grundwasser in nichtbindigen Schichten der aufgearbeiteten Grundmoräne und der Grundmoräne (kann gespannt und artesisch gespannt sein). Der Bemessungswasserstand für den Neubau wurde mit der Geländeoberkante angesetzt. Der bauzeitliche Be- 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 325 Baugrube in Beckenton messungswasserstand für die temporären Arbeiten wurde bei +399,5 m NHN festgelegt. 3. Baugrubenkonzept Die UK der Bodenplatte des Neubaus liegt im tiefsten Punkt bei +397,95 mNHN und damit in großen Teilen weniger als drei Meter unter Gelände. Bei der Wahl des Baugrubenkonzeptes war die Nähe der Bestandsbebauung zum Neubau von entscheidender Bedeutung. Neben geometrischen Restriktionen - z. B. Straße im Osten - die eine (Vor-)Böschung behinderten mussten die Standsicherheit sowie mögliche Verformungen der Bestandsbauten berücksichtigt werden. Frei auskragende Spundwände - lokal mit geböschtem Voraushub wurden als Regel-Baugrubenverbau gewählt. Im süd-östlichen Bereich des Baufeldes wurde zusätzlich eine Kopfaussteifung gewählt. Auch bei sehr großen Einbindetiefen ist im Beckenton ein ausreichendes Erdauflager des Baugrubenverbaus nicht erreichbar. Es wurde daher in Anlehnung an EAB EB93 [2] (siehe Abb. 4) eine Abstützung nach innen durch eine abschnittsweise eingebaute, verstärkte Unterbetonsohle (UBS) angeordnet. Abb. 4: Aushub gem. EB93 [2] Da unterhalb der verstärkten Sohle eine Flächendrainage eingebaut wurde, war ein Abtrag der Stützkraft der UBS- Scheiben über Reibung baupraktisch nicht möglich. Aus diesem Grunde wurde in Baufeldmitte vorlaufend eine verstärkte Unterbetonsohle (Kern-UBS) mit Grundrissabmessung von ca. 43 m x 25 m hergestellt, gegen die sich später die UBS-Streifen aussteifen sollten. Dies ist eine Version der Kernbauweise, bei der allerdings keine Aussteifung gegen den Rohbau geschieht. Die Verbauwände wurden während der Herstellung der Kern-UBS durch umlaufende Stützbermen gesichert, siehe Abb. 5. 4. Baugrube Die zur Herstellung des Untergeschosses notwendige Baugrube hat Grundrissabmessungen von ca. 67 m x 50 m (Abb. 5) und weist im süd-östlichen Bereich einen Abstand von lediglich 5 m zum Bestandsgebäude auf. Abb. 5: Aufsicht Baugrube / Kern-UBS 4.1 Bemessung Um mögliche Verformungen der Bestandsbebauung prognostizieren zu können, waren Berechnungen mit der FEM vorgesehen. Daher wurde entschieden auch die statischen Berechnungen mit Hilfe des FE-Programms PLAXIS 2D, Version 22 an sechs Schnitten durchzuführen. Die damit ermittelten Spannungsverläufe lagen den gemäß DIN 1054 [3] erforderlichen Nachweisen zugrunde. Für die Abbildung des anstehenden Bodens wurde das “Hardening-Soil small“-Modell verwendet; die hierfür benötigten Parameter wurden, in Abstimmung mit dem Baugrundgutachter, vom Technischen Büro Tief bau bestimmt. Die Berechnungen erfolgten mit dem Undrained(A) Drainagetyp, dabei basieren Steifigkeit und Scherfestigkeit auf effektiven Parametern. Konsolidierungsphasen wurden basierend auf dem angenommenen Bauablauf implementiert. Die Spundwand wurde mit elastisch-ideal plastischem Verhalten modelliert. Nach [4], [5] ist die Ermittlung von Widerständen im Boden mithilfe der FEM mit Unsicherheiten verbunden. Daher wurden Einwirkungen und Beanspruchungen aus den Berechnungen mit der FEM in die Nachweise übernommen, die Widerstände dagegen wurden gemäß der klassischen Erdstatik analytisch angesetzt. Dies betrifft insbesondere den Nachweis ausreichenden Erdwiderlagers in horizontaler Richtung als auch den Nachweis der vertikalen Tragfähigkeit. Alle Nachweise wurden mit den Teilsicherheiten für BS-T geführt. Versagen Erdwiderlager Die Reaktionskräfte des Bodens wurden durch Integration der Spannungskurven auf Baugrubenseite bis zum theoretischen Fußpunkt des Verbaus bestimmt. Die Spannungen wurden am Interface der Verbauwand ausgelesen. Der Fußpunkt wurde mithilfe des Belastungsnullpunktes 326 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Baugrube in Beckenton der ständigen Einwirkungen festgelegt. Der Nachweis im GZ 1B musste folgende Bedingung erfüllen: Der mobilisierte Wandreibungswinkel δ p wurde aus der FE-Berechnung, ebenfalls durch Auslesen der Interfacespannungen, ermittelt mit: Vertikale Tragfähigkeit Der Nachweis wurde mit der Summe der vertikalen Einwirkungen auf die Wand geführt: Hierfür wurden die Spannungen an den Interfaces der Spundwand auf aktiver und passiver Seite ausgelesen. Gesamtstandsicherheit Die globale Standsicherheit wurde in den FE-Berechnungen nach unterschiedlichen Bauphasen über die j-c-Reduktion ermittelt. Dabei werden die Scherparameter so lange inkrementell abgemindert, bis ein Grenzgleichgewicht erreicht wird. Der in Plaxis ermittelte Reduktionsfaktor SM sf kann in einen Ausnutzungsgrad m umgerechnet werden: 4.2 Modellierung streifenweiser Aushub Die Berücksichtigung räumlicher Effekte, die sich bei einem streifenweisen Aushub und Einbau von UBS- Scheiben einstellen, wurde im 2D-Modell in Anlehnung an [6], [7] modelliert. Dort erfolgt die Berechnung des Vollaushubs mit Sohlsstützung zweistufig. Zunächst wird im primären Berechnungsschritt ein Vollaushub berechnet, allerdings nur bis zu einem vorgegebenen Faktor m stage <1,0. In einem anschließenden Berechnungsschritt wird der unvollständige Berechnungsschritt bei gleichzeitiger Aktivierung der UBS abgeschlossen. Dieses Vorgehen ist ähnlich dem Ansatz einer rechnerischen Ersatzebene gem. EAB EB98. In [8] wurde gezeigt, dass eine manuelle Modellierung des Aushubs bis zu einem Ersatzaushubfaktor Dh/ H (Dh ≙ 1/ 3t und H ≙- t in EB98) gleichwertig zur Modellierung mit dem Faktor m stage ist. Die manuelle Modellierung wurde hier gewählt. Die modellierten Phasen mit 1/ 2t Ersatzaushub sind in Abb. 6 dargestellt. Abb. 6: Berücksichtigung räumlicher Effekt 2D In Abb. 6 oben ist der Aushub des Kernbereichs mit verbleibender Stützberme dargestellt. Im Bild darunter ist der Berechnungsschritt mit Reduktion der Stützbermenhöhe um 1/ 2t zu sehen. Anders als mit dem m stage Faktor, wurde dieser Berechnungsschritt abgeschlossen. Im untersten Bild ist der letzte Berechnungsschritt mit aktiver UBS abgebildet. Diesem Schritt folgte eine abschließende Konsolidationsphase. Die mit Plaxis 2D ermittelten Verformungen wurden mit Hilfe eines Plaxis 3D-Modells validiert, es wurden vergleichbare Verformungen mit dem 3D-Modell ermittelt. In Abb.7 ist ein Ausschnitt der Berechnungsphase Einbau der UBS im Kernbereich aus dem 3D-Modell dargestellt. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 327 Baugrube in Beckenton Abb. 7: Plaxis 3D-Modell 4.3 Verbau Abb. 8 zeigt einen Schnitt im Norden der Baugrube. Hier wurde ein geböschter Voraushub von ca. 1,6 m hergestellt. Die verbleibende Stützberme zum Kernbereich hat eine Höhe von ~2,5 m und eine Breite von mindestens 5 m an der Krone. Wegen des geringen Höhenunterschieds wurde die Böschung zum Kernbereich gem. DIN 4124 [9] mit 40 ° ausgeführt. Abb. 8: Schnitt Nord Die Spundwände reichen alle bis in die aufgearbeitete Grundmoräne und verbleiben im Baugrund. Eingebracht wurden sie mit einem Hochfrequenzrüttler. 4.4 Sohlaussteifung Die Herstellung der Unterbetonsohle wurde in fünf Phasen unterteilt. • Phase 1: UBS in BG-Ecken, Abb. 10 oben • Phase 2: UBS im Kernbereich, Abb. 11 • Phase 3: UBS von West nach Ost, Abb. 12 • Phase 4: UBS von Süd nach Nord, Abb. 13 • Phase 5: UBS Eckenschluss, Abb. 10 unten Um Verformungen des Bestandes zu minimieren, wurde eine Regelbreite der Sohlstreifen von b=1,5m gewählt. Es wurde zudem darauf geachtet eine Durchsteifung zu gewährleisten, d. h. eine einseitige Belastung der Kernsohle, bei der lediglich das EG der Kernsohle sowie Reibung zwischen Sohle und Erdreich der Stützkraft entgegenwirken, wurde vermieden. Der Aushub und der Einbau der UBS in den Phasen 3, 4 begannen in der Mitte des Baufelds und wurden dann gleichmäßig, lammelenweise nach außen fortgeführt, siehe Abb. 9. Dabei wurden immer gleichzeitig gegenüberliegende Lamellen hergestellt. Dadurch konnten zu Beginn nur zwei Streifen in Tagesleistung hergestellt werden, nachfolgend war die Herstellung von jeweils vier Streifen möglich. Die Arbeitsfuge zwischen den Streifen wurde gem. DIN EN 1992-1-1, Abschnitt 6.2.5 [10] verzahnt ausgeführt. Abb. 9: Regeldetail Herstellung UBS-Streifen Abb. 10: Sohlaussteifung - Phase 1 & Phase 5 328 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Baugrube in Beckenton Abb. 11: Sohlaussteifung - Phase 2 Abb. 12: Sohlaussteifung - Phase 3 Abb. 13: Sohlaussteifung - Phase 4 Die Sohlaussteifung selbst wurde mit der Software RFEM nach DIN-EN 1992-1-1 [10] bemessen. Im Kernbereich wurden die umlaufenden Lasten aus den UBS-Streifen, ebenso wie Baggerlasten in ungünstigen Stellungen angesetzt. Die Stützlasten der UBS-Streifen wurden aus den Plaxis 2D FE-Berechnungen ausgelesen und gemäß DA2* [11] mit den RFEM-Berechnungen bemessen. In der Ausführungsphase wurde die UBS im Kernbereich in zwei Abschnitten hergestellt. 4.5 Gurtung Vor Beginn des Aushubs muss gem. EB93 unabhängig von der Baugrubentiefe, eine umlaufende Kopfstützung eingebaut werden, die Erddruckkräfte aus dem Bereich eines freigelegten Streifens auf die benachbarten, gestützten Bereiche umzulagern vermag. Als Stützung wurde hier ein auf Konsolen aufgelagerter HEM 220 Stahlträger gewählt. Bei der Bemessung wurden die umzulagernden Erddruckkräfte aus dem in Abb. 4 eingewolkten Bereich (Breite ca. 6,4 m) angesetzt. Um die Erddruckkräfte umlagern zu können, muss der Gurt an jedem Spundwand- Berg, jeweils am Flansch des Gurtes oben und unten verschweißt werden. Die Belastung in den maßgebenden Schweißnähten wurde an einem federgelagerten Durchlaufträger mit der Software RStab ermittelt (Abb. 14 oben), dabei wurden die Federsteifigkeiten aus Verformungsgrößen der Plaxis-Berechnungen zurückgerechnet. Die höchste Beanspruchung des Gurtes trat dabei infolge des Momentes am Anschnitt Flansch-Steg des Gurtes auf, siehe Abb. 14 unten. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 329 Baugrube in Beckenton Abb. 14: Gurtung, Modell Durchlaufträger, Ausnutzung Stahl infolge Umlagerung Bei der Ausführung wurde alternativ dazu eine Lösung angewendet, bei der ein HEB450 auf den Spundbohlen aufgelegt und kraftschlüssig verbunden wurde, siehe Abb. 15. Dies setzte voraus, dass die OK der Spundbohlen keine Höhensprünge aufwiesen. Obwohl diese Lösung Stahl-Mehrmassen in Höhe von 30 % nach sich zog, überwogen die Vorteile, z. B. der deutliche reduzierte Schweißaufwand, insbesondere der Entfall der am unteren Flansch notwendigen Schweißnähte. Einspareffekte werden auch bei dem Rückbau der Gurtung erwartet. Abb. 15: ausgeführte Gurtung 5. Anmerkungen zur Planung und Ausführung Die ganzheitliche Verwendung von FE-Berechnungen nicht nur zur Prognose von Verformungen, sondern auch für das Führen von geotechnischen Nachweisen konnte an diesem Projekt erfolgreich angewendet werden. Dies war allerdings mit einem hohen Aufwand bei der Auswertung der Ergebnisse der FE-Berechnungen und deren Implementierung in die entsprechenden geotechnischen Nachweise verbunden. Das vorgestellte Baugrubenkonzept soll eine möglichst verformungsarme Herstellung der Baugrube ermöglichen. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Beitrags, ist die Herstellung der UBS in Phase 2 noch nicht abgeschlossen. Messdaten der Setzungen der Bestandsbebauung lagen für diese Phase noch nicht vor. Literatur [1] Baugesuchsplan, 221-BG-Schnitte Ansichten_221, März 2022. [2] Empfehlungen des Arbeitskreises „Baugruben“ (EAB), April 2021. [3] DIN 1054, Baugrund - Sicherheitsnachweise im Erd- und Grundbau - Ergänzende Regelungen zu DIN EN 1997-1, April 2021. [4 Heibaum, M. & Herten, M.: Nachweise nach EC 7 / DIN 1054 mit numerischen Methoden, Johann- Ohde-Kolloquium, 2007. [5] Herten, M.: Die Verwendung von Finiten Elementen bei Standsicherheitsnachweisen Berechnungsbeispiele, BAW-Kolloquium „Neue Normen in der Geotechnik“, März 2007. [6] Berhane, G.: Experimental, Analytical and Numerical Investigations of Excavations in Normally Consolidated Soft Soils, Schriftenreihe Geotechnik Universität Kassel, Heft 14, September 2003. [7] Becker, P.: Zeit- und spannungspfadabhängiges Verformungsverhalten bei Baugruben in weichen Böden, Schriftenreihe Geotechnik Universität Kassel, Heft 22, November 2009. [8] Fritsch, T.: Untersuchungen zu räumlichen Effekten und deren Vereinfachung in ebenen FE-Modellen von Verbausystemen, Master-Thesis, Oktober 2015. [9] DIN 4124, Baugruben und Gräben - Böschungen, Verbau, Arbeitsraumbreiten, Januar 2012. [10] DIN EN 1992-1-1, Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau; Deutsche Fassung EN 1992-1-1: 2004 + AC: 2010, Januar 2011. [11] Frank et al., Designer’s guide to EN 1997 Eurocode 7 - Geotechnical design, Thomas Telford, London, 2005. Gründungen 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 333 Realisierung eines Hochhauses über einer U-Bahn-Schutzzone - Präsidium Frankfurt Prof. Dr. Simon Meißner Prof. Quick und Kollegen-Ingenieure u. Geologen GmbH Maximilian Kies, M. Eng. Prof. Quick und Kollegen-Ingenieure u. Geologen GmbH Prof. Dr. Joachim Michael Prof. Quick und Kollegen-Ingenieure u. Geologen GmbH Zusammenfassung Die Planung des Präsidiums umfasst den Umbau und die Sanierung des denkmalgeschützten ehemaligen Polizeipräsidiums, den Neubau von Wohnungen und einer Kindertagesstätte in der Blockrandbebauung sowie den Neubau eines 175 meter hohen Hochhauses mit Büro- und Wohnflächen. Zuvor stand das ehemalige Polizeipräsidium für 20 Jahre leer. Die beiden Tunnelröhren der aktuell in Bau befindlichen Stadtbahnlinie U5 unterqueren das Projektgebiet und sind maßgebend für die geotechnische Planung der Baugrube und der Hochhausgründung. Die Herstellung der Untergeschosse soll mit einer wasserundurchlässigen Baugrube erfolgen. Als Baugrubenverbau ist eine rückverankerte und teilausgesteifte Schlitzwand vorgesehen. Aufgrund der Größe und Tiefe der Baugrube und der damit einhergehenden, systembedingten großen Hebungen beim Aushub wurden verschiedene geotechnische Möglichkeiten zur Herstellung der Baugrube untersucht. Auch die Lastabtragung des geplanten Hochhauses stellt eine große Herausforderung für die Tunnelröhren dar. 1. Projekt Auf dem Gelände des ehemaligen Polizeipräsidiums in Frankfurt am Main sollen neben einem 175- m hohen Hochhaus (Abbildung 1) auch mehrere ca. 7-geschossige Blockrandbebauungen (Wohngebäude, KiTa) und eine Sporthalle für die nahe gelegene Schule realisiert werden (Abbildung 2). Die Geländeoberfläche (GOF) liegt derzeit im Mittel bei ca.-97,00-mNN. Insgesamt sollen ca. 450 Wohnungen entstehen, davon 30 Prozent im geförderten Wohnungsbau. Das Projektgebiet wird von zwei neu gebauten Tunnelröhren der Stadtbahnlinie U5 unterquert. Diese Tunnel stellen besondere Anforderungen an die geotechnische Planung der Baugrube und der Gründung (Abbildung 2). Die geotechnischen Randbedingungen wurden bereits im Rahmen des Architektenentwurfs zugrunde gelegt. Derzeit laufen die Abstimmungen mit den Projektverantwortlichen der Stadtbahn. Die wesentlichen Daten der weiterführenden Planung sind nachfolgend zusammengefasst: Tabelle 1: Daten des Bauvorhaben Präsidium Bauwerksnull 97,23 m NHN Grundstücksfläche ca. 15.400 m² Untergeschosse 2 bis 3 Untergeschosse Hochhaus 175 m / 45 Obergeschosse Sockelbebauung 22 m / 7 Obergeschosse Bruttogeschossfläche 100.000 m² Abbildung 1: Visualisierung Quelle: MEIXNER SCHLÜTER WENDT 334 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Realisierung eines Hochhauses über einer U-Bahn-Schutzzone - Präsidium Frankfurt Abbildung 2: Lageplan Präsidium mit Tunnelröhren 2. Geologische Verhältnisse Unter künstlichen Auffüllungen folgen im Projektgebiet die Schichten des Quartär in unterschiedlichen Mächtigkeiten bis in eine Tiefe von ca. 7 m unter GOK. Die Schichten des Quartär bestehen aus fluviatilen Terrassensedimenten des Mains (Sande, Kiese und Schluffe). Das unterlagernde Tertiär wird von den hydrobiogenen Schichten des Miozän gebildet, die aus einer unregelmäßigen Abfolge von Tonen, Kalksteinbänken, Algenriffen und hydrobiogenen Sanden bestehen und zusammenfassend als Frankfurt-Formation bezeichnet werden. Diese erreicht eine Mächtigkeit von bis zu 100 m (Abbildung 3). Im Gegensatz zu den Baugrundverhältnissen der Frankfurter Innenstadt sind die Kalksteinbänke im Westen Frankfurts von geringerer Mächtigkeit und Häufigkeit. Unterhalb der hydraulischen Schichten folgen die sogenannten Inflaten, die im Vergleich zu den hydraulischen Schichten felsiger und damit weniger kompressibel ausgebildet sind. Bodenmechanisch besteht die Inflatenschicht aus einer unregelmäßigen, nicht horizontal gelagerten Abfolge von kalkhaltigen Sanden und Schluffen, Kalk- und Dolomitsteinen, Algensteinen und Algenknollen sowie, in geringen Anteilen, Tonen und Tonmergeln. Abbildung 3: Schematischer Baugrundauf bau ohne Darstellung von Störungszonen Der Untergrund der Frankfurter Innenstadt ist durch einen NW-SE-streichenden Scherbruchgraben mit z.T. sukzessiv zunehmenden Versatzbeträgen entlang einzelner Scherverschiebungen gekennzeichnet. Die einzelnen Schichtpakete sind entsprechend der tektonischen Beanspruchung in ihrer Höhenlage gegeneinander versetzt und horizontal verschoben. Im Nahbereich zum bestehenden Grand Tower sind Störungen mit vertikalen Versatzbeträgen von bis zu 20 m erkennbar. Abbildung 4: Idealisierter Baugrundschnitt mit Störungszonen Aus geologisch-tektonischer Sicht ist es denkbar, dass vertikale Versätze nicht nur entlang von Störungszonen, sondern auch in Kombination mit Biegungen und Faltungen entstanden sind. Insbesondere in den Hydrobienenschichten, einer Wechsellagerung von kompetenten (Tone) und inkompetenten (Kalksteinbänke) Schichten, ist infolge der posttertiären tektonischen Beanspruchung ein eher duktiler Deformationsstil zu erwarten. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 335 Realisierung eines Hochhauses über einer U-Bahn-Schutzzone - Präsidium Frankfurt Der Grundwasserleiter in den quartären Sanden liegt ca. 4 m bis 5 m unter GOK. Der tertiäre Grundwasserleiter zirkuliert in den klüftigen Kalksteinbänken und Sandlinsen des Tertiärs. 3. Bestandsbebauung Altes Polizeipräsidium Das denkmalgeschützte ehemalige Polizeipräsidium, ein von 1911 bis 1914 errichtetes Verwaltungsgebäude entlang der Friedrich-Ebert-Anlage, bleibt erhalten und wird zukünftig in das Quartier integriert. Abbildung 5: Ehemaliges Polizeipräsidium Abbildung 6: Lageplan Bestandsbebauung Das ehemalige Polizeipräsidium weist eine Höhe von bis zu ca. 38 m auf und besteht aus einem Untergeschoss, einem Erdgeschoss, drei Obergeschossen sowie einem Dachgeschoss. Die Gründung des Gebäudes erfolgte überwiegend auf Streifen- und Einzelfundamenten. Die übrigen Gebäudeteile des ehemaligen Polizeipräsidiums entlang der Mainzer Landstraße und der Ludwigstraße stammen aus den 60er bis 80er Jahren und werden vollständig zurückgebaut. MaßgebendfürdiegeotechnischePlanungdesBauvorhabens - insbesondere des geplanten Hochhauses - ist die neue Stadtbahnlinie U5 mit dem unterirdischen Streckenabschnitt im Bereich des Projektgebiets Präsidium. Die beiden aufeinanderfolgenden Vortriebe mit einer Länge von jeweils ca. 840 m erfolgten im Zeitraum von September 2019 bis Januar 2021 in maschineller Bauweise mit einer EPB-Tunnelbohrmaschine. Diese hat einen Außendurchmesser von 7,10 m (Iffländer, R, 2000). Die Tunnelröhren haben einen lichten Innendurchmesser von 5,90 m, die einschalige, wasserundurchlässige Tunnelschale besteht aus 45 cm dicken Tübbingen (Abbildung 7). Das Tübbingdesign sieht einen 6-teiligen Tübbingring mit einer Breite von 1,20 m vor. Zusätzlich zu konventionellen Messeinrichtungen wurden zwei Messtübbingringe im Bereich des Projektgebiets eingebaut, mit deren Hilfe Langzeitmessungen möglich sind (Klappers, 2017). Abbildung 7: Blick in die nördliche Tunnelröhre U5 Die Tunnelröhren der U5 wurden im Bereich des Hochhausfensters für mögliche zusätzliche Lasten bemessen, die jedoch in ihrer Größenordnung nicht den tatsächlichen Lasten des 175 m hohen Hochhauses entsprechen (Abbildung 8). Abbildung 8: Lastbild Hochhaus auf den Tunnel 336 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Realisierung eines Hochhauses über einer U-Bahn-Schutzzone - Präsidium Frankfurt Für S- und U-Bahntunnelröhren in Frankfurt besteht üblicherweise eine allgemeine Schutzzone, die sich horizontal 15-m beidseitig der Tunnel erstreckt. In dieser Schutzzone sind keine Eingriffe ohne Zustimmung erlaubt. Für das Bauvorhaben Präsidium wurde ergänzend eine projektspezifische Schutzzone um die Tunnelröhren der U5 definiert (Abbildung 9), die einen Abstimmungsprozess zur Umsetzung der geplanten Baumaßnahme ermöglicht. Abbildung 9: Tunnelröhren mit Schutzzonen 4. Baugrubenkonzeption In der Regel wird eine möglichst hohe Stellplatzanzahl unter Berücksichtigung der Grundflächenzahl (GRZ) angestrebt. Dabei werden bei aktuellen Bauvorhaben in Frankfurt teilweise 4 oder 5 Untergeschosse geplant und realisiert. Beim Bauvorhaben Präsidium konnte ein solches Ziel aufgrund der Tunnelröhren der U5 von Anfang an nicht angestrebt werden. Geometrisch war eine 3-geschossige Unterkellerung möglich und vom Bauherrn zunächst auch gewünscht. Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie wurden die sich aus einer 3-geschossigen Unterkellerung ergebenden besonderen geotechnischen Aufgabenstellungen, Mehrkosten und Risiken hinsichtlich der Gebrauchstauglichkeit der Tunnelröhren aufgezeigt. Darauf auf bauend wurde dem Planungsteam frühzeitig die technische Umsetzung einer 2-geschossigen Unterkellerung als neues Maximum im Bereich der Tunnelröhren vorgegeben. Zur Sicherung der Baugrube und zur Minimierung des Eingriffs in den Grundwasserhaushalt sowie zur Reduzierung des Einflusses auf die angrenzende und geplante Bebauung ist ein wasserundurchlässiger Baugrubenverbau vorgesehen. Aufgrund der Erfahrungen mit bereits erfolgreich ausgeführten Baugrubenumschließungen in der näheren Umgebung wird das Schlitzwandverfahren favorisiert. Eine Schlitzwand bietet gegenüber anderen Verfahren zahlreiche Vorteile hinsichtlich der Bauzeit, des Platzbedarfs, einer möglichen Bauteilaktivierung, der Lärmemission sowie der Möglichkeit zur einschaligen Ausführung der Untergeschosse. Die Herstellung der Baugrube bzw. der Baugrubenaushub stellt aufgrund der unvermeidbaren Hebungen eine große geotechnische Herausforderung dar. Messergebnisse bereits ausgeführter Baugruben in Frankfurt zeigen - je nach ihrer Größe und Tiefe - Hebungsbeträge der Baugruben von bis zu 13 cm (Moormann, 2002). Die grundsätzliche Tendenz dieser Auswertung werden durch aktuelle Messergebnisse bestätigt. Abbildung 10: Gemessene Hebungen beim Aushub tiefer Baugruben in Frankfurt (Moormann, 2002) 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 337 Realisierung eines Hochhauses über einer U-Bahn-Schutzzone - Präsidium Frankfurt In der Planungsphase wurden im Planungsteam verschiedene Möglichkeiten zur Reduzierung der Hebungen diskutiert und konzipiert. Nach Abwägung verschiedener Möglichkeiten wie z. B. einer Ballastierung, einer rückverankerten Baugrubensohle, einer tieferen Grundwasserhaltung und auch einer Senkkastenbauweise wurde eine Unterteilung der Gesamtbaugrube festgelegt und damit einhergehend eine Unterteilung der Rohbauarbeiten untersucht. Die Gesamtbaugrube wurde in insgesamt 6 Einzelbaugruben unterteilt und ein detailliertes Konzept zur sukzessiven Herstellungsreihenfolge geplant. (Abbildung 11). Dabei können im Bereich der Tunnel einzelne, angrenzende Baugruben erst ausgehoben werden, nachdem ein Teil des Rohbaus (Ballastierung) in der vorangegangenen Baugrube herstellt wurde (Abbildung 12). Darüber hinaus werden die Gründungselemente des Hochhauses zur Reduzierung der aushubbedingten Hebungen eingesetzt. Dadurch kann die Gebrauchstauglichkeit der Tunnel für die Bauphase der Baugrubenherstellung gewährleistet werden. Darüber hinaus wird durch die Unterteilung der Baugrube in einzelne Teilbaugruben ein optimierter und risikoarmer Eingriff in das Grundwasser gewährleistet. Die Unterteilung und die Reihenfolge der Herstellung eben dieser unterliegen in hohem Maße der Baulogistik und einer möglichen ungehinderten Andienung aller Gebäudeteile, insbesondere die des Hochhauses. Die Unterteilung der einzelnen Baugruben erfolgt zum Teil mit Dichtwänden mit eingestellter Spundwand und - oberhalb des Grundwassers - mit Trägerbohlverbau. Für die Baugrube des Hochhauses ist eine tiefere Schlitzwand erforderlich. Die Baugrubensohle liegt hier aufgrund der dickeren Bodenplatte tiefer, sodass die Unterkante der Schlitzwand aus hydrogeologischen Gründen tiefer geführt werden muss, um eine wasserdurchlässige Baugrube zu ermöglichen. Abbildung 11: Gesamtübersicht der Einzelbaugruben Der Bauablauf für die kleinteiligen Baugruben im Bereich Mainzer Landstraße und Ludwigstraße ist schematisch in (Abbildung 12) dargestellt. Abbildung 12: Bauablauf Aufgrund der angrenzenden Bebauung ist in Teilbereichen eine Baugrubensicherung mittels Verpressankern nicht möglich. In diesen Bereichen muss eine Innenaussteifung erfolgen (Abbildung 11). Eine zusätzliche Herausforderung bei der Herstellung der Baugrube ist der Rückbau der zum Großteil grenzständigen Bestandsbebauung. Hier können beispielsweise Bestandskellerwände zunächst nicht vollständig rückgebaut werden und müssen im Vorfeld durch eine Trassenberäumung durchörtert werden. Zudem befinden sich zahlreiche Leitungen im Bereich der geplanten Bebauung auf dem Baufeld und im unmittelbaren Umfeld zur Baugrube, welche ebenfalls im Vorfeld zeit- und abstimmungsaufwändig umverlegt werden müssen. Die wesentlichen Baugrubendaten sind in der nachfolgenden Tabelle zusammengefasst: Tabelle 2: Daten der Baugruben Verbauwandarten: Schlitzwand Dichtwand mit eingestellter Spundwand Trägerbohlverbau Dicke Schlitzwand: 0,60 m / 0,80 m Verbauwandtiefen: 18-m bis 28-m Baugrubentiefen: 9 m (Tunnel) bis 14 m Aufteilung 6 Baugruben Wandhalterung: Rückverankerung / Aussteifung Die Grundwasserhaltung der Baugruben kann innerhalb der wasserundurchlässigen Baugrubenumschließung unabhängig betrieben werden. 338 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Realisierung eines Hochhauses über einer U-Bahn-Schutzzone - Präsidium Frankfurt Zur Entwässerung der Baugruben und zur kontrollierten Grundwasserentspannung der Kalksteinbänke und der Hydrobiensande unterhalb der Baugrubensohle sind Entspannungsbrunnen, Förderbrunnen und Beobachtungsmessstellen oberhalb des bauzeitlichen Grundwasserspiegels herzustellen. Zur Gewährleistung der Auftriebssicherheit der Baugrubensohle werden die Kluftgrundwasserleiter (Kalksteinbänke) innerhalb der Frankfurt-Formation mittels Entspannungsbrunnen entspannt. Die erforderliche Tiefe der Entspannungsbrunnen ergibt sich aus dem Nachweis der Auftriebssicherheit (UPL). Aus hydrogeologischen Gründen reicht die Unterkante der Verbauwände bis zur Unterkante der Entspannungsbrunnen. Im Bereich der Tunnelröhren wird die Unterkante der Verbauwände entsprechend erhöht (hydraulisches Fenster), sodass die vereinbarte Schutzzone eingehalten werden kann. Dabei wird ein Mindestabstand zwischen Unterkante Schlitzwand und Oberkante Tunnelfirste von ca. 3,0 m eingehalten. 5. Gründungskonzeption Die Anforderungen an die Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit der neu zu errichtenden Bauwerke und aller im Einflussbereich vorhandenen ober- und unterirdischen Bauwerke, insbesondere der Tunnelröhren der Stadtbahn U5, bestimmen maßgebend die Wahl des Gründungssystems. Aus diesem Grund wurden bereits in der frühen Planungsphase die Lastansätze mit dem Tragwerksplaner diskutiert und erste Berechnungsmodelle erstellt. Die Abtragung der Vertikallasten erfolgt über die Stützen und den aussteifenden Gebäudekern. (Abbildung 13). Abbildung 13: Lastermittlung Für die Bemessung der Gründung werden dreidimensionale numerische Berechnungen (Finite-Elemente-Methode) mit detaillierter Modellierung der Bauteile der Tunnelröhren durchgeführt. Die Tunnelröhren wurden für ein Lastbild mit Hochhausbebauung ausgelegt, jedoch ergeben sich durch das nun geplante Hochhaus mit einer Höhe von 175 m höhere Spannungen bei Ausführung einer Flachgründung auf dem Tunnel. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Notwendigkeit zusätzlicher Maßnahmen. Aus diesem Grund wurden mehrere Gründungsvarianten diskutiert und konzipiert, um eine optimale Lastabtragung und eine zulässige Beanspruchung der Tunnelröhren zu gewährleisten. Dazu gehörte unter anderem der Einsatz von Gründungspfählen mit Druckzellen, mit denen die Pfähle nach Teilfertigstellung des Hochhauses im Baugrund vorgespannt werden können, um Setzungen zu reduzieren und die Pfähle optimal auszunutzen. Auch Hülsenpfähle, die eine Reduzierung der Mantelreibung im Bereich der Tunnelröhren ermöglichen, wurden untersucht. Beide Ausführungsvarianten weisen erhebliche Ausführungsrisiken hinsichtlich der Bauausführung auf. Eine konventionelle Tiefgründung kommt aufgrund der tiefliegenden tragfähigen Schichten nicht in Frage. Weiter wurde unter Berücksichtigung der zulässigen Belastungen der Tunnelröhren eine Kombinierte Pfahl- Plattengründung (KPP) mit langen Gründungselementen favorisiert, um möglichst große Lastanteile unterhalb der Tunnelsohlen abzutragen. Dies führt tendenziell zu einem höheren α KPP -Wert wodurch mehr Lasten über die Gründungspfähle abgetragen werden können. Unter dem Aspekt, dass eine große Mantelfläche einen hohen Widerstand leistet und somit die Mitnahmesetzungen und Spannungen auf die Tunnelröhren reduziert und in Bezug auf eine risikoarme Ausführbarkeit, wurde letztendlich die Verwendung von Schlitzwandbarretten als Gründungselemente anstelle von Pfählen (Tschuchnigg, 2011) als Kombinierte Schlitzwand-Plattengründung (Meißner 2020) untersucht und favorisiert. Schlitzwände können relativ erschütterungs- und lärmemissionsarm hergestellt werden. Die Nachweisführung einer Kombinierten Schlitzwand- Plattengründung erfolgt in Analogie an die KPP-Richtlinie (Hanisch et al., 2001)). In der Blockrandbebauung können die Lasten mittels Flachgründung in den Baugrund eingeleitet werden. Im Bereich von nicht überbauten Tiefgeschossen muss die Auftriebssicherheit auch für den Endzustand nachgewiesen werden, ggf. sind Maßnahmen zur Auftriebssicherheit erforderlich (Überschüttung, Mikropfähle, etc.). 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 339 Realisierung eines Hochhauses über einer U-Bahn-Schutzzone - Präsidium Frankfurt Abbildung 14: Lageplan Gründungselemente (Barrette) Abbildung 15: Schnittdarstellung der Gründungskonzeption mit Schlitzwandbarretten mit Schutzzonen Abbildung 16: Isometrie der Baugrube und der Gründungselemente (Pfähle) Für die Nachweise der Standsicherheit sowie der Gebrauchstauglichkeit des Neubaus und der benachbarten baulichen Anlagen werden numerische Berechnungen mittels (3D-FE) durchgeführt. Das numerische Modell muss die Baugrund- und Grundwasserverhältnisse ausreichend genau abbilden und es muss ausreichend groß gewählt werden. Die konstruktiven Elemente des Neubaus, der Gründung und der maßgebenden benachbarten Bauwerke sind ingenieurtechnisch vereinfacht zu modellieren. Die bodenmechanischen Kennwerte und die maßgebenden Stoffkennwerte sind zunächst anhand vergleichbarer, benachbarter Bauvorhaben (Grand Tower, Tower ONE, Eden Tower, The Spin) auszuwählen und mittels geotechnischer Rückrechnung durch intensive und konsequente Auswertung der geotechnischen Messdaten aus dem Mess- und Beweissicherungskonzept baubegleitend zu verifizieren. Abbildung 17: Numerisches Modell - konstruktive Elemente Abbildung 18: Numerisches Modell mit Tunnelröhren Die maximalen, möglichen Verschiebungen und Spannungen werden unter Berücksichtigung der ermittelten wahrscheinlichen (rechnerischen) Verschiebungen, der herstellungsbedingten Verschiebungen und der Bandbreite von Verschiebungen infolge Kennwertstreuung, Modellierungsunschärfen, etc. ermittelt. 6. Mess- und Beweissicherungsprogramm Für die Überwachung des Präsidiums wurde ein detailliertes Mess- und Beweissicherungsprogramm entwickelt. Im Rahmen der geodätischen und geotechnischen Vermessung der Verbauwand und der Gründung kommt eine umfangreiche geotechnische Instrumentierung, bestehend aus Kraftmessdosen, Dehnungsmessstreifen in verschiedenen Ebenen sowie Sohl- und Porenwasserdruckgebern zum Einsatz. 340 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Realisierung eines Hochhauses über einer U-Bahn-Schutzzone - Präsidium Frankfurt Zur Beobachtung von Setzungen und Hebungen werden Messbolzen über das gesamte Projektgebiet und die angrenzende Bebauung verteilt und installiert sowie Gleitdeformeter ausgewertet. Im Rahmen der geodätischen Beweissicherung werden an den angrenzenden Bauwerken geodätische Messungen (Höhenmessungen) durchgeführt. Die geodätische Beweissicherung der Höhenlage der benachbarten baulichen Anlagen wird an den nachfolgend aufgeführten baulichen Anlagen durchgeführt: • U-Bahntunnelröhren • Matthäuskirche • Falkschule • Straßenbahn Friedrich-Ebert-Anlage / Mainzer Landstraße • Umspannwerk • Nachbarbebauungen Mainzer Landstraße Die Tunnelröhren der Stadtbahnlinie U5 werden mittels Schlauchwaagen und geodätischen Messbolzen überwacht. Zusätzlich sind die bereits installierten Spannungsmonitoringstationen in den beiden Tübbingringen zu messen. Die zu erwartenden Auswirkungen der Baumaßnahme auf die angrenzende Bebauung sind im Rahmen der weiteren Planung zu überprüfen und als bebauungsverträglich einzustufen. Nach Festlegung der endgültigen Gründungsvariante und Vorlage der Baugrubenplanung ist das Beweissicherungsprogramm in Abstimmung mit den Eigentümern der angrenzenden Bebauung festzulegen. 7. Fazit Komplexe Projekte wie das Bauvorhaben Präsidium, die im innerstädtischen Bereich realisiert werden, haben neben einer umfassenden Nachweisführung für die Bemessung des Bauwerks immer auch die Herausforderung, die angrenzende Bebauung in die Planung mit einzubeziehen. Mit Hilfe numerischer Untersuchungen können bereits in einer frühen Projektphase Grundlagen erarbeitet und darauf auf bauend Baugruben- und Gründungskonzepte erstellt werden, die für eine erfolgreiche Umsetzung des Bauvorhabens unerlässlich sind. Diese dienen als Diskussionsgrundlage für die Abstimmung zwischen den Projektbeteiligten und führen so zu konstruktiven Lösungen im Planungsprozess. Literaturverzeichnis Hanisch, J., Katzenbach, R., König, G. (2001) Kombinierte Pfahl-Plattengründungen, Ernst & Sohn, Berlin Meißner, S., Michael, J., Kies, M., Cronen, B. (2020): „Bauvorhaben FOUR Deckelbauweise mit einer Kombinierten Schlitzwand-Pfahl-Plattengründung”, geotechnik 43, S 193-200. Meißner, S.; Michael, J.; Kies, M. (2022) Realisierung eines 84 m hohen Hochhauses auf einem S-Bahntunnel in Berlin, 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels, Esslingen, S. 369 - 374 Meißner, S., Quick, H., Katzenbach, R., Werner, Anke (2019) An innovative dewatering system to reduce the environmental impact. XVII European Conference on Soil Mechanics and Geotechnical Engineering (ECSMGE 2019), Reykjavik, No. 0441 Iffländer, R.; Lutz, R.; Budach, C.; Kirchner, S. (2019): Geotechnische und tunnelbautechnische Herausforderungen beim Bau der U5 in Frankfurt mit einem Erddruckschild, STUVA-Tagung, Seite 265 - 271 Klappers, C.; Fischer, O.; Werkhäuser, K.; Kirchner, S. (2017) Neubau U5 Europaviertel Frankfurt, Tunnel mit einschaligem Tübbingausbau unter anspruchsvollen statischen Randbedingungen - Planung, Realisierung und Ausblick messtechnische Validierung, 21. Münchner Massivbau Seminar Tschuchnigg, F. (2011): Optimization of a deep foundation with diaphragm wall panels employing 3D FE analysis, Conference: Proceedings 21. European Young Geotechnical Engineers Conference (EYGEC) Rotterdam, The Netherlands, Bollinger, K.; Grohmann, M.; Berger, A. (2015). The Vienna Donau City Tower - 2000 mm Flat Slabs as Outrigger Structure for Unique Landmark Building, CTBUH 2015 Moormann, C. (2002) Trag - und Verformungsverhalten tiefer Baugruben in bindigen Böden unter Berücksichtigung der Baugrund-Tragwerks-Interaktion, Mitteilungsheft des Institutes für Geotechnik der TU Darmstadt, Heft 59 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 341 Auswirkungen von Grundwasserhaltungen auf bestehende Kombinierte Pfahl-Plattengründungen in Frankfurt am Main Frederic Manche, B. Eng. Prof. Quick und Kollegen - Ingenieure & Geologen GmbH Maximilian Kies, M. Eng. Prof. Quick und Kollegen - Ingenieure & Geologen GmbH Prof. Dr.-Ing. Simon Meißner Prof. Quick und Kollegen - Ingenieure & Geologen GmbH Prof. Dr.-Ing. Jürgen Schmitt Hochschule Darmstadt Zusammenfassung In Frankfurt am Main werden aufgrund der hohen projektspezifischen Anforderungen und der komplexen hydrogeologischen Bedingungen tiefe Baugruben meist im Schutz von grundwasserschonenden Trogbaugruben hergestellt. Hinsichtlich statischer Randbedingungen ist es jedoch nicht immer möglich, eine wasserundurchlässige Trogbaugrube anzulegen. Der Einsatz von teilwasserundurchlässigen Baugruben führt infolge von Grundwasserentspannungen zu Spannungsänderungen im Baugrund und somit zur Beeinflussung von Gründungssystemen benachbarter Bauwerke. Die Bewertung der Einflussnahme von Grundwasserhaltungsmaßnahmen auf die Gebrauchstauglichkeit angrenzender baulicher Anlagen stellt eine anspruchsvolle ingenieurtechnische Aufgabe dar. Im Zuge der Neuerschließung des Europaviertels wird aktuell das städtische U-Bahnnetz erweitert. Infolgedessen entsteht neben dem fertiggestellten Gebäudekomplex Güterplatz mit den Hochhäusern Eden Tower und The Spin sowie dem Grand Tower eine der tiefsten Baugruben Frankfurts. Diese Baugrube wird als teilwasserundurchlässige Baugrube hergestellt. Im Rahmen dieser Veröffentlichung werden die Ergebnisse einer numerischen Untersuchung zu den Auswirkungen der laufenden Grundwasserhaltung am Beispiel der Baugrube Station Güterplatz aufgezeigt. Dabei werden die Auswirkungen der Grundwasserentspannung auf die Setzungen, die Gesamtpfahlwiderstände und das Tragverhalten der Kombinierten Pfahl-Plattengründung (KPP-Gründung) dargestellt. 1. Projekt Im Zuge der Neuerschließung des Europaviertels, vom ehemaligen Hauptgüterbahnhof Frankfurt am Main zu einem modernen gemischten Wohn- und Gewerbegebiet, wird das städtische U-Bahnnetz erweitert. Mit dem Projekt Station Güterplatz entsteht neben dem fertiggestellten Gebäudekomplex Güterplatz mit seinen Hochhäusern Eden Tower (98 - m, Wohnturm) und The Spin (128 - m, Hotelturm) mit angrenzender Blockbebauung eine der tiefsten Baugruben Frankfurts (Abb. 1 und Abb. 2 ). Abb. 1: Lageplan Gebäudekomplex Güterplatz Abb. 2: Gebäudekomplex und Station Güterplatz 342 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Auswirkungen von Grundwasserhaltungen auf bestehende Kombinierte Pfahl-Plattengründungen in Frankfurt am Main Die ca. 24 -m tiefe Baugrube der Station Güterplatz wird in offener Bauweise mit einer durch drei Aussteifungslagen gestützten Schlitzwand mit hydraulischen Fenstern als teilwasserundurchlässige Baugrube hergestellt. Die Grundwasserentspannung erfolgt innerhalb der Baugrube durch Entspannungsbrunnen. Eine Absenkung des quartären Grundwassers erfolgt nicht. Die Baugrubensohle der Baugrube Station Güterplatz liegt bei ca. 73,20- mNHN. Die lichte Baugrubenbreite beträgt bis zu 30- m. Der Abstand der Baugrube bis zum Gebäudekomplex Güterplatz beträgt im Bereich der Blockrandbebauung minimal 2-m. Die hydrostatischen Einwirkungen auf den Baugrubenverbau werden durch Entspannungslanzen und hydraulische Fenster reduziert. Die in Abb. 1 skizzierte Schnittachse ist in der folgenden Abb. 3 dargestellt. Hier wird schematisch die KPP-Gründung von The Spin im Frankfurter Baugrund sowie die Station Güterplatz, mit den Steifenlagen, der wasserundurchlässigen Verbauwand mit den hydraulischen Fenstern sowie die U-Bahn-Zugänge veranschaulicht. Abb. 3: The Spin - Station Güterplatz 2. Baugrund- und Grundwasserverhältnisse Im betrachteten Projektgebiet folgen unter quartären Auffüllungen, weitere Schichten des Quartär (fluviatile Sande, Kiese, Schluffe) mit unterschiedlichen Mächtigkeiten. Diese werden von den ca. 100- m mächtigen tertiären Schichten, der Frankfurt- und der Wiesbaden-Formation, unterlagert. Die tertiären Schichten bestehen aus einer unregelmäßigen Abfolge von Tonen, Kalksteinbänken, Algenriffen und Hydrobiensandlagen. Innerhalb der pliozänen Schichten des Tertiärs kommt es in Teilbereichen des Projektgebiets zu geologischen Anomalien. Bei der bis zu 8-m mächtigen pliozänen Rinne handelt es sich um eine grabenartige Struktur des Tertiär, die mit limnischfluviatilen Sedimenten wie Sanden, Kiesen, Schluffen, und stark feinsandigen Tonen gefüllt ist. Der mittlere freie Grundwasserspiegel liegt im Projektgebiet bei ca. 91,50-mNHN. Das freie Grundwasser fließt innerhalb der Schichten der quartären bzw. pliozänen Sande und Kiese. Die tertiären Grundwasserleiter führen zudem gespanntes Grundwasser, welches in den Klüften der Kalksteinbänke sowie in den Kalk- und Hydrobiensanden zirkuliert. Sie stehen mit den quartären Grundwasserleitern meist unmittelbar in Verbindung, sodass die Druckhöhe der tertiären Grundwasserleiter häufig dem freien quartären Grundwasserspiegel entspricht. Die grundwasser-führenden Hydrobiensande und Kalksteinbänke stellen eine Besonderheit der Frankfurt Formation des Tertiär dar, bei der sich sehr gering durchlässige Tone mit stark durchlässigen, gespannten Grundwasserleitern wie Kalksanden und Kalksteinbänken kleinräumig abwechseln. 3. Wasserhaltung für tiefe Baugruben in Frankfurt Das Errichten tiefer Baugruben in Frankfurt erfordert zusätzlich zur Absenkung des freien quartären Grundwassers aufgrund des heterogenen Baugrunds (Frankfurt Formation) eine Grundwasserentspannung. Bei Ausführung eines wasserundurchlässigen Verbaus erfolgt diese Entspannung ausschließlich innerhalb der Baugrubenumschließung (Abb. 4). Abb. 4: Darstellung einer Grundwasserentspannung innerhalb einer wasserundurchlässigen Baugrubenumschließung Durch den Baugrubenaushub findet der natürliche Potentialabbau des Porenwasserüberdrucks in den überdeckenden Bodenschichten nicht mehr statt. Dabei besteht die Gefahr eines hydraulischen Grundbruchs bzw. des Aufschwimmens der gering durchlässigen tonigen Schichten. Durch die Grundwasserentspannung wird die Potentialhöhe des gespannten Grundwassers verringert und die Auftriebssicherheit gewährleistet. Bis in die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde der überwiegende Teil der in Frankfurt hergestellten Baugruben im Schutze einer Grundwasserabsenkung des freien quartären Grundwassers und einer Entspannung des gespannten tertiären Grundwassers realisiert. Dies erfolgte vornehmlich mit wasserdurchlässigen Verbauarten (Trägerbohlverbau) [1]. Die Auswirkungen einer Grundwasserhaltung von tiefen Baugruben wurden mit 2,0-mm bis 4,0- mm Setzungen an der Geländeoberfläche pro Meter Grundwasserabsenkung angegeben [3], [4]. Bei der Wiederholung einer Grundwasserabsenkung konnte von einem Setzungsmaß von 1,0-mm bis 2,0-mm ausgegangen werden [5]. Seit den 90er Jahren mussten die Auswirkungen auf angrenzende Nachbarbebauungen und der Eingriff in die natürlichen hydrogeologischen Verhältnisse behördlich reduziert werden. Somit wurden insbesondere für tiefe Baugruben wasserundurchlässige bzw. teilwasserundurchlässige Verbauwände in Kombination mit einer tertiären Grundwasserentspannung gewählt (Abb. 4). Sofern es aus geotechnischer Sicht möglich ist, eine wasserundurchlässige Baugrube herzustellen, wird dies mit lan- 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 343 Auswirkungen von Grundwasserhaltungen auf bestehende Kombinierte Pfahl-Plattengründungen in Frankfurt am Main gen, wasserundurchlässigen Verbauwänden umgesetzt. So werden der Einfluss auf Dritte geringgehalten sowie die Kosten der Grundwasserhaltung und der Beweissicherung reduziert. Sofern dies bei sehr tiefen Baugruben technisch nicht umsetzbar ist, wie zum Beispiel bei den Baugruben Four, Central Business Tower und Station Güterplatz in Frankfurt, wird der Porenwasserdruck mittels hydraulischer Fenster unterhalb der Baugrubensohle auf den Verbau verringert (Abb.-3) [6]. Der Baugrubenverbau wird somit teilwasserundurchlässig ausgeführt. Bei dieser Art der Ausführung ist die Bestimmung der Wassermenge infolge der Grundwasserentspannung komplex und hängt besonders von der heterogenen Anordnung der wasserführenden Schichten ab, wie sie im tertiären Frankfurter Baugrund zu finden ist. Die bei der Grundwasserhaltung anfallenden Grundwassermengen und die daraus resultierenden Auswirkungen auf Dritte sind schwer zu prognostizieren [1]. 4. Numerische Untersuchung Die numerische Modellierung der Grundwasserentspannung der Baugrube Station Güterplatz beinhaltet die Abbildung der im Nahbereich stehenden Hochhäuser Eden Tower und The Spin. Die numerischen Berechnungen wurden mittels dreidimensionaler Finite-Elemente-Berechnungen (3D-FEM) mit dem Programmsystem Plaxis ®- 3D durchgeführt. Die geometrischen Randbedingungen zur Modellierung des Baugrunds wurden entsprechend der Empfehlungen des DGGT-Arbeitskreises Numerik in der Geotechnik so gewählt, dass die Auswirkungen auf die KPP-Gründungen und den Baugrund vollständig erfasst werden ( Abb. 5) [2]. Abb. 5: Baugrundmodell Projektgebiet Güterplatz Zur Modellierung der nichtbindigen Bodenschichten wurde das linearelastische-idealplastische „Mohr-Coulomb-Modell“ berücksichtigt. Zur realitätsnahen Erfassung der Verformungen und Spannungen des Tons (Frankfurt Formation) wurde das elastoplastische Stoffgesetz „Hardening Soil“ mit dem Bruchkriterium nach Mohr-Coulomb gewählt. Für die konstruktiven Bauteile wurde ein linearelastisches Spannungsdehnungsverhalten zugrunde gelegt. Die Gründungen der Hochhäuser The Spin und Eden Tower wurden als KPP mit insgesamt 69 Gründungspfählen und Pfahllängen von bis zu 42 - m abgebildet. Die an die Hochhäuser angrenzende Blockrandbebauung wurde flachgegründet und im Nahbereich zur U-Bahn-Station teilweise durch Gründungspfähle verstärkt. Für den Gebäudekomplex Güterplatz wurden im dreidimensionalen Berechnungsmodell die folgenden konstruktiven Elemente abgebildet (Abb. 6 ): • Bodenplatte der Hochhäuser und der Blockrandbebauung (Volume-Element) • Gründungspfähle der Hochhäuser sowie der Blockrandbebauung (Kontinuumselemente). • Baugrubenverbau des Gebäudekomplexes (Plate-Elemente) Abb. 6: Modellierung der konstruktiven Elemente - Gebäudekomplex Güterplatz Für die Baugrube der Station Güterplatz wurden im dreidimensionalen Berechnungsmodell die folgenden konstruktiven Elemente abgebildet (Abb. 7 ): • Bodenplatte der Station Güterplatz (Volume-Element) • Steifenlagen der Baugrube (Beam-Element) • Baugrubenverbau (Plate-Element) Abb. 7: Modellierung der konstruktiven Elemente - Station Güterplatz Die ständigen und veränderlichen Lasteinwirkungen des Gebäudekomplexes G üterplatz wurden, entsprechend der Tragwerksplanung als Punkt-, Linien- oder Flächenlasten modelliert (Abb. 8 ). 344 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Auswirkungen von Grundwasserhaltungen auf bestehende Kombinierte Pfahl-Plattengründungen in Frankfurt am Main Abb. 8: Lasteinwirkungen - Gebäudekomplex Güterplatz Zur Abbildung der Auswirkungen der Grundwasserhaltung auf die KPP-Gründungen der Hochhäuser Eden Tower und The Spin wurden die Druckpotentiale der Grundwasserentspannung der jeweiligen Bauzustände schichtbezogen mit der Bedingung „phreatic“ vorgegeben. Somit bleibt das Druckpotential in der Berechnungsphase zeitlich konstant. Es erfolgte keine zeitabhängige Strömungsberechnung. Der Bau des Gebäudekomplexes sowie der Station Güterplatz wurde in insgesamt 25 Berechnungsphasen modelliert (Tab. 1). Tab. 1: Numerische Berechnungsphasen Im Berechnungsmodell wurde das gespannte, tertiäre Grundwasser innerhalb der Baugrube sowie außerhalb im Höhenbereich der Entspannungsbrunnen ab Unterkante des wasserundurchlässigen Baugrubenverbaus im gesamten Baugrundmodell entspannt (Abb. 9). Abb. 9: Porenwasserdruckverteilung infolge der Grundwasserentspannung Somit resultieren Spannungsänderungen des Baugrunds innerhalb des Schichtpakets ab Unterkante des wasserundurchlässigen Baugrubenverbaus bis zur Unterkante der Tiefenbrunnen. Hierbei werden sowohl der Pfahlmantel als auch der Pfahlfuß der KPP-Gründungen beeinflusst. Systembedingt ändert sich der Porenwasserdruck nicht direkt unterhalb der Bodenplatte. 5. Auswertung der numerischen Untersuchung Im Rahmen der Auswertung wurden vom Gebäudekomplex Güterplatz u.-a. die vertikalen Verschiebungen der Bodenplatte u z , die resultierenden Gesamtpfahlwiderstände R Pile sowie die Änderungen der Pfahl-Platten-Koeffizienten α KPP , infolge der Grundwasserhaltung betrachtet. Der Pfahl-Platten-Koeffizient α KPP ist ein Verhältniswert zwischen dem Gesamtwiderstand der Pfahlkräfte und den auf die KPP-Gründung einwirkenden Gesamtlasten. Er beschreibt somit den Lastanteil, der über die Gründungspfähle abgetragen wird. Die Änderungen der KPP-Gründungen von The Spin und Eden Tower werden in den Abb. 10 bis Abb. 12 dargestellt. Die maßgeblichen bauphasenspezifischen Grundwasserstände der Grundwasserentspannung der Baugrube Station Güterplatz werden in den Abbildungen ergänzend aufgeführt. In der Auswertung wurden ausschließlich die Änderungen der zu untersuchenden Kenngrößen seit Beginn der Grundwasserhaltung betrachtet. Die hierbei zu erwartenden maximalen Auswirkungen der Grundwasserhaltung stellen sich beim Erreichen des Absenkziels knapp unterhalb der Baugrubensohle für eine Grundwasserentspannung von ca. Dh -= 19 - m ein. Zum Zeitpunkt der maximalen Grundwasser-entspannung von ca. Dh = - 19-m beträgt der Setzungszuwachs der Hochhäuser Eden Tower und The Spin ca. 2,5- cm (Abb. 10). Dies entspricht einem Setzungsmaß von etwa 1,3- mm pro Meter Grundwasserentspannung. Im Vergleich zu den Gesamtpfahlwiderständen der Hochhäuser vor Beginn der Grundwasserhaltung steigen die Gesamtpfahlwiderstände um ungefähr 5-% an (Abb. 11). Der Pfahl-Platten-Koeffizient α KPP erhöht sich demnach ebenfalls um etwa 5-% (Abb. 12). 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 345 Auswirkungen von Grundwasserhaltungen auf bestehende Kombinierte Pfahl-Plattengründungen in Frankfurt am Main Mit Beendigung der Grundwasserhaltung liegen die vertikalen Verschiebungen der beiden Hochhäuser bei ca. 1,4 cm infolge der Grundwasserentspannung der Baugrube Station Güterplatz (Abb. 10) . Die Gesamtpfahlwiderstände und die α KPP -Werte zeigen nach der Grundwasserhaltung Werte in der Größenordnung vor der Grundwasserhaltung. Abb. 10: Veränderungen der vertikalen Verschiebungen der Hochhäuser infolge der Grundwasserentspannung Abb. 11: Veränderungen der Gesamtpfahl-widerstände der Hochhäuser infolge der Grundwasserentspannung Abb. 12: Veränderungen Pfahl-Platten-Koeffizient α KPP infolge der Grundwasserentspannung 6. Abgleich mit in-situ Messergebnissen Im Rahmen der Mess- und Beweissicherung des Gebäudekomplexes Güterplatz wurde bei den geodätischen Messungen bislang eine maximale Setzungszunahme von ca. 1,5 cm beobachtet (Abb. 13). Innerhalb der Baugrube Station Güterplatz wurde das Grundwasser zu diesem Zeitpunkt um Dh = ca. 11 m entspannt. Dies entspricht einem in-situ Setzungsmaß von etwa 1,4-mm pro Meter Grundwasserentspannung. Abb. 13: Setzungen infolge tertiärer Grundwasserentspannung für eine Entspannung von Dh-=-ca. 11-m (Bauzwischenstand) 7. Schlussfolgerungen Im Rahmen dieser Veröffentlichung wurden die Auswirkungen von Grundwasserhaltungen auf Kombinierte Pfahl-Plattengründungen anhand einer numerischen Untersuchung des Projektgebiets Güterplatz in Frankfurt- a.- M. betrachtet. Die rechnerische Erfassung der Auswirkungen bedarf einer umfassenden Berücksichtigung aller Randbedingungen, wie z. - B. der maßgebenden Grenztiefe. Dabei kann es sein, dass die Empfehlungen zur Modellgröße [2] nicht ausreichend sind, um alle setzungsrelevanten Bodenschichten abzubilden. Im numerischen Berechnungsmodell kann infolge der Grundwasserhaltung ein verändertes Tragverhalten der KPP-Gründungen beobachtet werden. Bei beiden KPP- Gründungen werden zum Zeitpunkt der maximalen Grundwasserentspannung von ca. Dh - = - 19 -m der Gesamtpfahlwiderstand und somit auch der Pfahl- Platten-Koeffizient α KPP erhöht. Ebenfalls erfahren die Hochhäuser The Spin und Eden Tower zusätzliche vertikale Verschiebungen. Auch nach Beendigung der Grundwasserhaltung sind die Auswirkungen eben dieser durch ein verändertes Tragverhalten der KPP-Gründungen in den numerischen Ergebnissen zu erkennen. Auffallend ist der Anstieg der Setzungen der KPP-Gründungen, welcher auch nach Abschluss der Grundwasserhaltung fortbesteht. Das numerisch ermittelte Setzungsmaß stimmt mit dem bisher in-situ beobachteten Setzungsmaß überein. Diese beiden Werte zeigen erwartungsgemäß einen kleineren Wert als die in der Literatur angegebenen. (Tab. 2). Anhand von Erfahrungswerten (Tab. 2) zeigt sich, dass mit dem Einsatz von teilwasserundurchlässigen Verbauarten tatsächlich die Setzungen infolge einer Grundwasserhaltung reduziert werden k ö nnen. 346 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Auswirkungen von Grundwasserhaltungen auf bestehende Kombinierte Pfahl-Plattengründungen in Frankfurt am Main Tab. 2: Setzungsmaß Grundwasserhaltung Quelle / Beobachtung GW-Haltung / Verbauart Setzungsmaß pro [m] GW-Haltung [3,4] Absenkung + Entspannung / wasserdurchlässiger Verbau 2 bis-4-mm (erstmalig) [5] Absenkung + Entspannung / wasserdurchlässiger Verbau 1-bis-2-mm (wiederholt) Messung Güterplatz Entspannung / teilwasserundurchlässiger Verbau ca. 1,5-mm Berechnung Güterplatz Entspannung / teilwasserundurchlässiger Verbau ca. 1,5-mm Es gilt projektspezifisch einzuschätzen, inwieweit der Umfang einer Grundwasserentspannung in Bezug auf benachbarte bauliche Anlagen möglich ist. Mit Beendigung der Baumaßnahme der Station Güterplatz und der Erfassung der endgültigen Mitnahmesetzungen des Gebäudekomplexes Güterplatz empfiehlt es sich, das Berechnungsmodell weiter fortzuschreiben und zu kalibrieren. Somit können zukünftig die Auswirkungen auf Bestandsbauwerke infolge von Grundwasserhaltungen im Frankfurter-Baugrund besser eingeschätzt werden. Literatur [1] Moormann, C.: „Trag und Verformungsverhalten tiefer Baugruben in bindigen Böden unter besonderer Berücksichtigung der Baugrund-Tragwerk- und der Baugrund-Grundwasser-Interaktion“, Mitteilung des Instituts u. der Versuchsanstalt für Geotechnik, Technische Universität Darmstadt, Heft 59., 2002 [2] Deutsche Gesellschaft für Geotechnik e.V.: „Empfehlungen des Arbeitskreises Numerik in der Ge