Kolloquium Bauen in Boden und Fels
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2510-7755
expert verlag Tübingen
0101
2020
121
Zweikammerlösung zur Koexistenz von Bahn und Fledermäusen in Bestandstunneln
0101
2020
Axel Möllmann
Bernd-Michael Sulke
Michael Stierle
Holger Schwolow
Nach Einstellung des Bahnbetriebs auf dem Abschnitt Weil der Stadt – Calw der Württembergischen Schwarzwaldbahn Ende der 1980er-Jahre sind die beiden Bestandstunnel Forst und Hirsau durch Fledermäuse bevölkert. Das Artenschutzrecht sowie eine aus Sicht des amtlichen und privaten Naturschutzes schwierige Umsiedlung der Tiere stellt die Wiederaufnahme des Bahnbetriebs für die geplante Hermann-Hesse-Bahn in den beiden Tunneln vor Herausforderungen. Das Platzangebot in den ursprünglich für zwei Gleise konzipierten Tunneln bietet die Möglichkeit einer Doppelnutzung in einer sogenannten Bahn- und einer Fledermauskammer. Hierfür ist eine Trennwand zu beplanen, die als dauerhafte Konstruktion eine neuartige Lösung der Tunnelnutzung darstellt.
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12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 63 Zweikammerlösung zur Koexistenz von Bahn und Fledermäusen in Bestandstunneln Dr.-Ing. Axel Möllmann, Dr.-Ing. Bernd-Michael Sulke Dr. Spang Ingenieurgesellschaft für Bauwesen, Geologie und Umwelttechnik mbH, Weilstraße 29, 73734 Esslingen Dipl.-Verw.wirt (FH) Michael Stierle, Dipl.-Geogr. Holger Schwolow Zweckverband Hermann-Hesse-Bahn, Landratsamt Calw, Vogteistraße 42-46, 75365 Calw Zusammenfassung Nach Einstellung des Bahnbetriebs auf dem Abschnitt Weil der Stadt - Calw der Württembergischen Schwarzwaldbahn Ende der 1980er-Jahre sind die beiden Bestandstunnel Forst und Hirsau durch Fledermäuse bevölkert. Das Artenschutzrecht sowie eine aus Sicht des amtlichen und privaten Naturschutzes schwierige Umsiedlung der Tiere stellt die Wiederaufnahme des Bahnbetriebs für die geplante Hermann-Hesse-Bahn in den beiden Tunneln vor Herausforderungen. Das Platzangebot in den ursprünglich für zwei Gleise konzipierten Tunneln bietet die Möglichkeit einer Doppelnutzung in einer sogenannten Bahn- und einer Fledermauskammer. Hierfür ist eine Trennwand zu beplanen, die als dauerhafte Konstruktion eine neuartige Lösung der Tunnelnutzung darstellt. 1. Einleitung Mit der Hermann-Hesse-Bahn strebt der Zweckverband Hermann-Hesse-Bahn (ZV HHB) die schienentechnische Anbindung des östlichen Landkreises Calw an die Region Stuttgart an, s. Bild 1. Bild 1: Strecke der Hermann-Hesse-Bahn mit Lage der beiden Bestandstunnel Vor einer erneuten Verkehrsaufnahme auf dem Streckenabschnitt Weil der Stadt - Calw ist der Wiederaufbau der Bestandsinfrastruktur auf diesem Abschnitt notwendig. Im Bestand sind zwei Tunnel vorhanden, der 696 m lange Forsttunnel und der 554 m lange Hirsauer Tunnel (auch „Welzbergtunnel“ genannt). Außerdem gibt es ent- 64 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Zweikammerlösung zur Koexistenz von Bahn und Fledermäusen in Bestandstunneln lang der Strecke insgesamt 18 Eisenbahnüberführungen. Weitere bemerkenswerte Erdbauwerke sind der 36 m tiefe Einschnitt ‚Im Hau‘ und der bis zu 64 m hohe Bahndamm bei Hirsau. In den beiden Bestandstunneln Forst und Hirsau an der Hermann-Hesse-Bahn, die beim Bau in den 1870er Jahren für zwei Gleise ausgelegt, zukünftig aber nur eingleisig betrieben werden, soll für die dort lebenden Fledermäuse eine Schutzeinrichtung gebaut werden. Hierfür soll in den Tunneln eine durchgehende Abtrennung eingezogen werden, um die „Bahnkammer“ von der „Fledermauskammer“ abzutrennen. Diese Abtrennung erfolgt durch eine Stahlkonstruktion mit vollflächiger Ausfachung durch Lärmschutzwandelemente. Die Abtrennung der Bahnkammer von der Fledermauskammer erfolgt mit erprobten Konstruktionen, die eine Bahnzulassung besitzen und auf die Erfordernisse der Kammerausführung angepasst werden können. Die Abtrennung ist, dann als Einhausung, um bis zu 80 m vor die Tunnelportale zu ziehen. Dabei ist für den weiter entfernt vom Portal liegenden Bereich der Stahlkonstruktion ein aufgeschraubtes Zaungitter mit zusätzlichem „Hasendraht“gewebe als Wand ausreichend. Als Dach ist eine feste Konstruktion mit Begrünung vorgesehen. 2. Gebirgsverhältnisse 2.1 Tunnel Forst Der Tunnel Forst kommt im Horizont der Zellenkalke und Dolomite bzw. der dolomitischen Kalkmergel und Mergelsteine der ausgelaugten Heilbronn-Formation oder auch Salinar-Formation zu liegen, welche dem Mittleren Muschelkalk (mm) zuzuordnen sind. Nach der Geologischen Karte (7218), Blatt Calw [1], steht im westlichen Tunnelabschnitt im Hangenden der Obere Muschelkalk (mo) an (vgl. Bild 2). Die ursprünglich steinsalzführenden Dolomit- und Kalkmergelsteine der Heilbronn-Formation sind im Untersuchungsbereich stark verwittert bzw. ausgelaugt. Die Verwitterungstiefe schwankt erfahrungsgemäß lokal um mehrere Meter. Der Verwitterungsbzw. Zersetzungsprozess hat zur Bildung der in diesem Bereich häufig anstehenden Zellenkalke geführt. Im Bereich des Westportals steht gemäß [2] größtenteils blauer bis grauer Wellenmergel an. Im tieferen Untergrund folgen Sandsteinformationen des Oberen und Mittleren Buntsandsteins (so und sm). Der Tunnel Forst quert die ca. 30 - 50 m breite Grabenbruchstruktur des Hengstetter Keupergrabens ungefähr in seiner Mitte. In diesem schmalen von Nordwesten nach Südosten verlaufenden Graben sind in der Grabenscholle die Schichten des Unterkeupers oberflächlich aufgeschlossen, der Versatz an den Grabenrandverwerfungen beträgt ca. 35 - 50 m. Die im Tunnel gefassten ergiebigen Quellen stehen mit den Störungszonen in direktem Zusammenhang. Hydrogeologisch bilden die anstehenden Schichten des Mittleren Muschelkalks eine Abfolge aus einem oberen Grundwasserleiter (Dolomite der Diemel-Fm. mit überlagernden Oberen Muschelkalk), einem Grundwassergeringleiter (ausgelaugte Heilbronn-Fm.) und einem weiteren Grundwasserleiter (Dolomite der Karlstadt-Fm.). Die Basis der Grundwasserleiter befindet sich jeweils an der Basis der Formationen. Der Tunnel Forst wirkt zusammen mit dem bis 1872 künstlich erstellten östlichen Voreinschnitt drainierend auf die Grund- und Schichtwasserkörper im Mittleren Muschelkalk. Die Schichtlagerungsverhältnisse führen zu einer natürlichen Grundwasserfließrichtung in südliche Richtung. Die bahnparallelen Entwässerungsgräben wirken als Vorfluter. Der Tunnel Forst und der östliche Voreinschnitt trennen hydrogeologisch einen ca. 6 - 7 km² großen, bis ca. 580 m hohen über-wiegend bewaldeten Höhenzug nördlich vom stratigraphisch gleich aufgebauten Gebiet südlich der Bahn. 2.2 Tunnel Hirsau Der Hirsauer Tunnel liegt gemäß [1] vollständig in der Vogesensandstein-Formation des Mittleren Buntsandsteins (sm) (Badischer Bausandstein und Geröllsandstein-Subformation). Im Hangenden stehen Schichten des Oberen Buntsandsteins (so) an. Die Mächtigkeit der Sandsteine der Vogesensandstein-Formation liegt zwischen ca. 150 bis 200 m. Die Formation wird gemäß [3] von weiteren Sandsteinformationen des Unteren Buntsandsteins (Eck-Formation) und des Oberen Buntsandsteins (Plattensandstein-Formation) unterbzw. überlagert. Die Gebirgsdurchlässigkeit wird in den Untersuchungsabschnitten des Buntsandsteines weitgehend von der Durchtrennung der Trennflächen bzw. in erster Linie von den Klüften bestimmt. Die Gesteinsdurchlässigkeit ist demgegenüber vernachlässigbar gering. Der geschlossene Bergwasserspiegel liegt im Bereich des Buntsandsteines vermutlich auf Höhe der Nagold und somit deutlich unterhalb der Trasse der Hermann-Hesse-Bahn. Bild 2: Auszug der Geol. Karte [1] im Bereich der Tunnel Forst und Hirsau 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 65 Zweikammerlösung zur Koexistenz von Bahn und Fledermäusen in Bestandstunneln 3. Entwicklung der Tragkonstruktion 3.1 Anforderungen des Artenschutzes Ein Pflichtenheft für die Trennkonstruktion zwischen Bahn- und Fledermauskammer liegt nicht vor. Vielmehr wurden die Anforderungen an die Konstruktion in dem auf verschiedenen Ebenen laufenden Abstimmungsprozess iterativ herausgearbeitet. Aus Sicht des Fledermausschutzes sind gemäß [4] insbesondere folgende Anforderungen zu erfüllen: - Priorität hat der Schutz der Tiere vor einer Kollision mit der durchfahrenden Eisenbahn. Aufgrund dessen sind Fugen in der Konstruktion auf ein Minimum zu reduzieren. Als zu tolerierende Fugenbreite wird für die kleinste Fledermausart 1 cm angegeben. - Weiterhin sind die Tiere vor den im Hinblick auf Verwirbelungen lebensbedrohenden Auswirkungen des Drucks und Sogs zu schützen, die durch die durchfahrende Eisenbahn erzeugt werden. Damit ist gemeint, dass fliegende Tiere nicht durch den Luftdruck gegen Hindernisse, z.B. die Trennkonstruktion selbst, gedrückt oder gesogen werden. Auf dieser Grundlage war in der Variantenbetrachtung eine Abtrennung durch ein Gitternetz ausgeschlossen worden. Eine vollständige Druckdichtheit ist nicht erforderlich. Z.B. werden Fugen in einer Konstruktion aus Fertigteilen ähnlich einer Schallschutzwand nicht als kritisch angesehen. Eine für die Tiere noch verträgliche Druck- und Sogstärke wird von Seiten der Umweltgutachter mit kurzzeitigen Druckschwankungen nicht über 100 hPa und mit maximal 20 hPa je Minute gemäß [5] angegeben. - Die Konstruktion soll „lichtdicht“ sein. - Die Trennkonstruktion soll, zusätzlich zu den bereits vorhandenen Spalten im Tunnelgewölbe, Hangmöglichkeiten oder die Möglichkeit zur Befestigung von Quartierkästen in Form von z.B. Hohlblocksteinen oder Lichtbahnen bieten. - Ein Schutz gegen Lärm, Erschütterungen, Abgase und Temperaturerhöhung wird gegenüber den oberen Anforderungen mit geringerer Priorität eingestuft. 3.2 Lastannahmen Für die Ermittlung der Beanspruchung aus dem durchfahrenden Zug auf die Trennkonstruktion im Tunnel als auch die Ermittlung der durch die Trennkonstruktion übertragenen Druckschwankungen im Fledermaustunnel wurden eindimensionale Strömungssimulationen gemäß [6] durchgeführt. Dabei wurde der Einfluss der sich leicht verformenden Trennwand, sowie Leckageströmungen durch diese Wand berücksichtigt. Die Umströmung der Druckschwankung während der Einfahrt des Zuges in das Tunnelportal wurde mittels einer dreidimensionalen CFD (Computational Fluid Dynamics) Simulation gemäß [6] untersucht, um die resultierenden Druckverluste in die eindimensionalen Berechnungen zu integrieren. Danach ergeben sich als Beanspruchungswerte aus einem Zug der DB-Baureihe 430 (größer als der Regio-Shuttle, Baureihe 650) auf die Trennwand bei einer Fahrgeschwindigkeit des Zuges von 100 km/ h Druckschwankungen im Falle einer Trennwand ohne Leckage von bis zu ±11,2 hPa für portalnahe Bereiche des Tunnel Forst. Für den Tunnel Hirsau ergibt sich aufgrund der hier geringer angesetzten Fahrgeschwindigkeit des Zuges von 90 km/ h eine Druckdifferenz von bis zu ±7,4 hPa für portalnahe Bereiche, wenn hier ebenfalls für eine völlig dichte Trennwand ohne Leckage die Druckschwankung ungünstig vorausgesetzt wird. 3.3 Statische Systemvarianten Tunneltrennwand Es wurden zunächst Stahlstützen im Tunnel als Kragträger als gestalterische und konstruktive Variante untersucht, s. Bild 3 a). Dieses System bedingt große Fußmomente, die eine Gründung mit je 4 Mikropfählen je Fundament erfordern. Um die Stützweite der Träger auszunutzen, sind starke Stahlprofile nötig. Die Verformungen im Firstbereich sind relativ groß. Eine Lückenbildung, die Fledermäusen einen Durchschlupf gewährt, ist kaum zu vermeiden. Bei fehlenden Längsverbänden erhöhen sich die Fußbeanspruchungen zusätzlich. Eine obere Halterung der Kammerwand ist dringend erforderlich. Durch die Halterung der Stahlstützen im Tunnel an der Trägerspitze nahe der Tunnelfirste werden die Einspannmomente unten am Fundament verringert, so dass eine Flachgründung möglich wird, s. Bild 3 b). Das Einsetzen der Ausfachungselemente erfolgt durch Fensteröffnungen in den Pfetten, sogenannte „Flanschfenster“, die nach der Montage mit aufgeschraubten Blechplatten abgedeckt werden. Wegen diesen erforderlichen „Flanschfenstern“ zum Ein- und Ausschieben von Lärmschutzelementen sind Profile mittlerer Größe zur Aufnahme von Torsionsmomenten aus aerodynamischer Belastung aufgrund der Ermüdungsfestigkeit mindestens erforderlich. Die Verformungen der Wand sind gegenüber der Kragkonstruktion stark reduziert. Ungünstig sind die Horizontallasten im Firstbereich der Tunnelschale. Diese Beanspruchung sollte vermieden werden. Bild 3: Statische Systemvarianten der Tunneltrennwand, a) Kragarm, b) Festhalterung an der Tunnelfirste, c) Seitliche Abspannung 66 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Zweikammerlösung zur Koexistenz von Bahn und Fledermäusen in Bestandstunneln Auch durch Stahlstützen mit horizontaler Halterung am oberen Knick werden die Einspannmomente unten am Fundament verringert, so dass eine Flachgründung möglich wird, s. Bild 3 c). Wegen der „Flanschfenster“ zum Ein- und Ausschieben von Lärmschutzelementen sind Profile mittlerer Größe mindestens erforderlich. Auch hier ist eine Torsion aus aerodynamischer Belastung und die resultierende Ermüdungsbeanspruchung zu beachten. Die Verformungen der Wand sind stark reduziert. Längsverbände sind empfehlenswert, um die Fußbeanspruchungen zu vermindern. Die obere Halterung erhält überwiegend Horizontallasten, die unterhalb der Tunnelfirste ins Gebirge abgetragen werden können. Für die Auflagerung des Stützenfußes wurde auf eine Einspannung verzichtet und auf eine einfachere gelenkige Lagerung zurückgegriffen, um Fundamentabmessungen gering zu halten. Eine weitere Variantenuntersuchung dient der Anordnung der Lärmschutzelemente. Wenn horizontal liegende Wandelemente eingebaut werden, sind leichtere Pfetten in Längsrichtung möglich. Die „Flanschfenster“ bedingen jedoch größere Stahlprofile für die Hauptträger. Der Aus- und Einbau von 5 m langen Wandelementen ist aufwändig und könnte ein zweites Hubgerät erforderlich machen. Alternativ können Wandelemente auch vertikal angeordnet werden. Bei dieser Wahl mit Wandelementen mit Maximallängen von 2,50 m ist ein leichterer Ein- und Ausbau mit einem Hubgerät möglich. Die von Stütze zu Stütze spannenden Pfetten müssen dafür aus zusammengeschweißten Profilen etwas stärker ausgebildet werden als bei horizontal angeordneten Wand-elementen. Die Stützen können aber ohne Fenster hergestellt werden. Für die Ausführung wird diese Variante gewählt. 3.4 Materialvarianten Stahl oder Beton Eine weitere Variantenbetrachtung gilt der Materialwahl der Trennwand. Gegenüber einer leichten Stahlkonstruktion bietet eine Trennwand aus Stahlbeton durch das größere Eigengewicht Vorteile hinsichtlich des Lärm- und Erschütterungsschutzes. Weiterhin kann durch Aneinanderreihung von Wandelementen die Anzahl der Fugen gegenüber einer modularen Stahlkonstruktion reduziert werden. Für eine Trennwand aus Beton wurde weiterhin die Möglichkeit gesehen, eine Befestigung gemäß der im vorstehenden Abschnitt untersuchten statischen Variante b) im Bereich der Tunnelfirste vorzusehen und sich damit die Horizontalstrebe in der Fledermauskammer einzusparen (s. Bild 4). Materialbedingte Vorteile werden jedoch durch eine Vielzahl von Nachteilen der Betonkonstruktion aufgewogen. Das erheblich größere Eigengewicht bedeutet neben der Abtragung größerer Lasten ins Gebirge den Einsatz schwerer Geräte für die Montage und die Demontage im Inspektionsfall. Hierzu werden Montageseile und zusätzliche Verankerungen ins Gebirge in Verbindung mit zusätzlichen Perforationen des Tunnelgewölbes erforderlich. Dies führt zu einer erhöhten Montagedauer. Eine Lasteinleitung im Bereich der Tunnelfirste ist aufgrund der dominierenden Abtragung von Horizontalkräften aus Druck und Sog des vorbeifahrenden Zugs in statischer Hinsicht ungünstiger. Durch die Lage des Tunnels Hirsau in einer Doppelkurve bietet die modulare Stahltrennwand mit Alu-Ausfachung genügend Freiheitsgrade für eine Anpassung an den jeweiligen Kurvenradius, während die Wandelemente aus Beton konische Sonderelemente erfordern oder ungleichmäßige Fugenbreiten hervorrufen. Bild 4: Materialvariante der Trennwand aus Stahlbeton mit Befestigung im Bereich der Tunnelfirste Neben einem Kostenvorteil zugunsten der Trennwand als Stahlkonstruktion mit Lärmschutzelementen aus Aluminium ergibt sich auch der Vorteil der geringeren Bauzeit. Die im Abschnitt 4 behandelte erforderliche Inspektion des Tunnelgewölbes führt aufgrund der beengten Platzverhältnisse im Tunnel zu einer teilweisen Demontage der Trennwand. Auch dadurch ergeben sich wiederkehrende Vorteile für die leichte Stahltrennwand. 3.5 Konstruktion der Tunneltrennwand Nach den Anforderungen der Lichtraumprofile der Bahn und den Anforderungen des Umweltschutzes für die Fledermaus-Bereiche werden die beiden Tunnel Forst und Hirsau durch eine Trennwand unterteilt, s. Bild 5. Im Bahntunnel wird ein Fluchtweg sowie eine mögliche 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 67 Zweikammerlösung zur Koexistenz von Bahn und Fledermäusen in Bestandstunneln spätere Elektrifizierung mit Stromschiene berücksichtigt und für die Fledermäuse wird der Luftraum durch die Verwendung von Gleistragplatten und der dadurch möglichen tieferen Gleislage optimiert. Aufgrund der Lage der Trennwand sowohl im Außenradius als auch im Innenradius im Tunnel Hirsau wurden hierfür zwei unterschiedliche Stützengeometrien entwickelt. Die Tunnelsohle wird auf das neue Niveau ausgehoben und die Fundamente für die Stützkonstruktion der Kammerwände werden hergestellt. Es sind Flachgrün-dungen, auf denen die Stahlstützen mit Fußplatten aufgesetzt und befestigt werden. Die neuen Gleise werden auf Gleistragplatten verlegt, um durch die geringere Unterbaumächtigkeit mehr Höhe und damit mehr Gewölbefläche für die Fledermäuse zu gewinnen. Stahlbetonschürzen verbinden die Stützen untereinander und bieten den Ausfachungselementen der Wand eine horizontale Aufstellfläche. An der Unterseite sind die Schürzen dem Längsgefälle des Tunnels angepasst. Die zweifach abknickenden Stahlstützen werden im Abstand von ca. 5,0 m aufgestellt und im oberen Bereich mit einer Horizontalabspannung seitlich durch die Tunnelwandung ins Gebirge abgestützt. Die Befestigung erfolgt mit horizontalen Mikropfählen, die ca. 6,0 m weit in die Tunnellaibung eingebohrt werden. Damit werden eventuell vorhandene Entwässerungsbereiche und sonstige Hohlräume hinter der Tunnelschale überbrückt. Die Verpressung der Mikropfähle, die doppelten Korrosionsschutz erhalten, erfolgt auf mindestens 2 m bis 3 m Länge im Fels. Bild 5: Quer- und Längsschnitt der Trennwand im Tunnel Hirsau In Tunnellängsrichtung werden horizontale Stahlpfetten zum Halten der vertikalen Ausfachungselemente zwischen den Stützen vorgesehen. Die Stabilisierung der gesamten Konstruktion erfolgt durch gekreuzte Zugdiagonalen, die ebenfalls mit Knotenblechen und Schrauben verbunden werden. Als Ausfachungselemente werden typengeprüfte Lärmschutzelemente aus Aluminium eingesetzt, deren Länge kleiner als 3,00 m und deren Breite ca. 0,50 m beträgt. Alle verbleibenden Fugen werden mit Gummielementen verschlossen. Um ein Durchschlüpfen von Fledermäusen aus der Fledermauskammer über Fugen in die Hohlräume hinter dem Gewölbe in die Bahnkammer zu verhindern, ist eine leichte, engmaschige Übernetzung in der Bahnkammer durch ein Kunststoffnetz vorgesehen. 3.6 Einhausung in den Tunnelvoreinschnitten Um ein Einfliegen der Fledermäuse in die Bahnkammer zu verhindern, ist die Tunneltrennwand vor den Portalen als Einhausung weiterzuführen. Da die Fledermäuse erst kurz vor den Portalen aus dem höheren Luftraum in die Tunnel einfliegen, reicht eine Länge der Einhausung von 80 m vor den Portalen aus. Die Einhausung der Bahn im Bereich vor den Portalen erfolgt mit Stahlstützen als Verlängerung der Kammerwand im Tunnel und um die Bahnachse gespiegelt mit einer weiteren Stützenreihe, die beide durch einen Riegel verbunden werden, s. Bild 6. Die Stützen der Einhausung erhalten nur einen Knick, der obere Knick der Tunnelwand wird hier vermieden, um so eine größere Dachbreite zu erreichen. Die oberen Rahmenriegel tragen die Dachkonstruktion, bestehend aus Pfetten über 5,0 m und Trapezprofilen als Dach. Das Dach wird für eine Begrünung eingerichtet. Im Bereich vor und hinter jedem Tunnel wird auf je 40 m Länge eine geschlossene Einhausung des Bahnbereiches vorgenommen, damit die Fledermäuse nicht durch Licht und Schall bei der Einfahrt des Zuges in den Tunnel selbst gestört werden. Die Einhausung muss licht- und schalldicht sein, d.h. wie die Trennwand ausgebildet werden. Zusätzlich erhält dieser Tunnelabschnitt im Freien ein stählernes Dach mit Begrünung. In einer Entfernung von 40 m bis 80 m von den Tunnelportalen werden die Wände der Einhausung durch Zaungitter aus Doppelstabmatten mit Maschenweite 50 x 200 mm, feuerverzinkt, gebildet. Darüber wird ein Hasendrahtgewebe aus Sechseckgeflecht mit Maschung 13 mm, feuerverzinkt gelegt, z.B., damit Fledermäuse nicht durch das Gitter schlüpfen können. Die Fundamente müssen wegen Frosttiefe bis ca. 1,0 m unter Gelände reichen. Im Voreinschnitt muss zusätzlich untersucht werden, ob die nahen Seitenwände und der Wassergraben eine normale Flachgründung erlauben oder eine Gründung auf Mikropfählen erfordern. Beim Graben müssen einzelne Fundamente mit einem integrierten Durchflussrohr versehen sein, um die Entwässerung nicht zu behindern. 68 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Zweikammerlösung zur Koexistenz von Bahn und Fledermäusen in Bestandstunneln Bild 6: Querschnitt der Einhausung vor dem Tunnel Hirsau Zur Sanierung der in den Voreinschnitt einleitenden Entwässerungsrinnen, die sich auch bereits vor den durch Stützmauern gestützten Einschnittsböschungen befinden, werden diese vorlaufend von Erdmaterial und Bewuchs befreit. 4. Aspekte der Tunnelinspektion Bereits in einem frühen Planungsstadium wurde der vorgeschriebenen regelmäßigen Inspektion des Tunnelgewölbes aus einer Mauerwerksschale besondere Beachtung geschenkt. Durch den Einbau der Trennwand verringert sich die Einsehbarkeit und die Erreichbarkeit des Tunnelgewölbes erheblich. Bild 7: Inspektion des Tunnels durch Hubsteiger, Kameraschienen und Leitergerüst mit Korb an Fahrschienen Für die jährliche Sichtprüfung des Tunnelgewölbes werden daher Kameraschienen vorgesehen, die an der Trennwand und an der Horizontalabspannung angebracht werden (vgl. Bild 7). Damit kann eine Kamerabefahrung der Fledermauskammer und insbesondere des spitz zulaufenden, firstnahen Bereichs erfolgen. Für die im Dreijahresrhythmus erforderliche Hauptprüfung muss die Möglichkeit bestehen, jeden Punkt des Tunnelgewölbes durch Abklopfen auf Schwachstellen hin zu überprüfen. Da die Fledermauskammer durch Fahrzeuge unerreichbar ist, kann eine Inspektion im Ulmenbereich nur fußläufig erfolgen. Im höherliegenden Kämpferbereich kann eine Begehung mithilfe einer befestigten Leiter erfolgen. Aus Gründen der Arbeitssicherheit ist dann ein Fahrkorb in zwei unterschiedlichen Höhen anzuordnen, mit dem der Prüfer die jeweiligen Gewölbebereiche erreichen kann. Im firstnahen Bereich scheidet eine Inspektion von einer Leiter aus. Es wird ein Ausbau der Lärmschutz-elemente oberhalb der Horizontalabspannung erforderlich. Die Inspektion kann vom Hubsteiger aus der Bahnkammer erfolgen. Der Zeitbedarf für den Ein- und Ausbau der Elemente für die Inspektion ist einzuplanen. Lärmschutzelemente sind temporär im Tunnel abzulegen, sofern für die Inspektion eine ausgedehnte Sperrpause des Bahnbetriebs zur Verfügung steht. Für eine Inspektion in nächtlichen Sperrpausen müssen die Elemente außerhalb des Lichtraums und des Rettungswegs gelagert werden. Das in der Bahnkammer vorgesehene Kunststoffnetz muss leicht demontierbar befestigt werden, um eine Inspektion des Gewölbes in der Bahnkammer zu erlauben. Es soll an Haken mit offenen Ösen ins Tunnelgewölbe befestigt werden. 5. Brandschutz Es gelten die Anforderungen des Brand- und Katastrophenschutzes an den Bau und Betrieb von Eisenbahntunneln [7]. Da beide Tunnel jeweils länger als 500 m sind - Tunnel Forst 696 m und Tunnel Hirsau 554 m - fallen sie prinzipiell unter diese EBA-Richtlinie. In diesem Zusammenhang sei auf die EBA-Richtlinie, Seite 5, verwiesen, dass bei vorhandenen Tunneln abzuwägen ist, ob die EBA-Richtlinie in vollem Umfang oder auf andere Weise sinngemäß anzuwenden ist. Gemäß den geltenden Brandschutzvorschriften im Hochbau besitzen die verwendeten Stahlprofile eine Feuerstandsicherheit von über 30 Minuten. Da sich die Brandstelle in einem Tunnel befindet, werden jedoch gegenüber den Hochbauvorschriften höhere Temperaturen über einen längeren Zeitraum maßgebend. Der Temperatur-Zeitverlauf im Tunnel ist nach ZTV-Ing, Teil 5 [8], anzusetzen, jedoch gemäß EBA-Richtlinie mit 60 Minuten Branddauer bei 1.200°C (gilt für Tunnelbauwerke ab L > 500 m). Es ergibt sich gemäß [9] die zeitliche Temperaturentwicklung beim Stützenprofil HEB 240 gemäß Bild 8. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 69 Zweikammerlösung zur Koexistenz von Bahn und Fledermäusen in Bestandstunneln Mit einem Diagramm gemäß [10] kann der mögliche Ausnutzungsgrad von Stahl bei Biegeträgern in Abhängigkeit von der Temperatur ermittelt werden. Unter der Voraussetzung, dass im Brandfall keine Zugbewegungen mehr vorhanden sind, so dass Druck- und Sogbeanspruchungen der Wand entfallen, beträgt die Stahlausnutzung unter ständigen Lasten (Eigengewicht) ca. 0,07, was gemäß [10] eine kritische Temperatur von ca. 880° liefert. Vergleicht man dies mit der Temperaturentwicklung gemäß Bild 8, so ergibt sich eine Standzeit des Stützenprofils von ca. 9,25 Minuten. Bild 8: EBA-Kurve gemäß [7] (rot) und Temperaturentwicklung eines Stahlprofils HEB 240 (blau) In gleicher Weise kann die Standzeit für die Pfetten und die Diagonalen der Trennwand ermittelt werden. Es ergibt sich für die kleineren Stahlquerschnitte eine geringe Feuerwiderstandsdauer. Für die Diagonalen beträgt diese nur knapp sechs Minuten. Die eigentliche Schwachstelle hinsichtlich des Brandschutzes der Trennwand liegt jedoch bei den Lärmschutzelementen aus einer Aluminium-Haut. In ähnlicher Weise wie bei der Brandbemessung für den Stahl kann der Reduktionsfaktor aus der Bemessung für Eigengewicht zu 0,064 bestimmt werden, mit dem aus Tabellenwerten gemäß [11] eine hinreichende Entfestigung bei einer kritischen Temperatur für die Aluminiumlegierung zu 360°C bestimmt werden kann. Aufgrund der geringen Standzeit und der außerordentlich hohen Temperaturen, die bei der Brandbemessung gemäß EBA-Richtlinie [7] anzusetzen sind, wurde eine eigene Brandsimulation in Verbindung mit einer Ermittlung der Fluchtzeiten für die auf der Strecke der Hermann-Hesse-Bahn vorgesehenen Zugtypen beauftragt. Ein Vergleich der Standzeit der Konstruktion mit der Entfluchtungsdauer aus dem Tunnel ist derzeit noch in der Erstellung. 6. Fazit Zur Einhaltung des erforderlichen Lichtraumprofils der Bahn einschließlich einer nachrüstbaren Elektrifizierung und gleichzeitiger Maximierung der Querschnitts- und Gewölbefläche der Fledermauskammer wird eine zur Bahnkammer hin abknickende Geometrie der Trennwand gewählt. Zur Aufnahme des Kragmoments erfolgt eine Abspannung der Trennwand mittels einer Zugverankerung durch das zu perforierende Tunnelgewölbe ins Gebirge, die auch unter dem Aspekt einer möglichst geringen Störung des Kräfteflusses im Gebirge favorisiert wird. Die Tragkonstruktion der Trennwand bilden damit Stahlstützen mit dazwischen horizontal angeordneten Stahlpfetten, die die Ausfachung durch Lärmschutzelemente fassen. Neben den artenschutzrechtlichen Anforderungen hinsichtlich der Abschirmung von Druck und Sog, Schall, Licht, Temperatur und Abgasen aus dem Zugverkehr sind betriebstechnische Aspekte wie die regelmäßige Inspektion des Tunnelgewölbes zu berücksichtigen. Da die Trennwand die Sicht bzw. die Zugänglichkeit zur bestehenden Mauerwerksschale behindert, werden Schienen für eine Kamerabefahrung und eine eigene Leiterkonstruktion vorgesehen. Außerdem ist eine teilweise Demontage von Lärmschutzelementen für den Inspektionsfall geboten. In den Voreinschnitten der beiden Tunnel ist die Trennwandkonstruktion als Einhausung über die Portale hinaus weiterzuführen, die damit den Fledermäusen als Leitstruktur dienen soll. Literaturangaben [1] Geologische Karte von Baden-Württemberg, Blatt 7218, Calw, 1: 25.000 mit Erläuterungen; Geologisches Landesamt Baden-Württemberg, Stuttgart, Ber. Auflage 1982. [2] Württembergs Eisenbahnen mit Land und Leuten an der Bahn; Oscar Fraas. Schweizerbart, Stuttgart 1880 (Nachdruck 1986). [3] Geologie von Baden-Württemberg, 5. Auflage; O.F. Geyer / M.P. Gwinner, Schweizerbart, Stuttgart, 2011. [4] Besprechungsniederschrift, Planungsbesprechung Kammerlösung am 12.02.2018, Mailänder Consult GmbH und Zweckverband Hermann-Hesse-Bahn, 2018. [5] Vereinbarung zur Umsetzung der Infrastrukturmaßnahme „Hermann-Hesse-Bahn“ im Bereich der Tunnelbauwerke „Hirsauer Tunnel“ und „Forsttunnel“, Anlage A2: Artenschutzkonzept 1 Fledermäuse, Zweckverband Hermann-Hesse-Bahn und Naturschutzbund Deutschland Landesverband Baden-Württemberg e.V., 29.05.2019. [6] Hermann-Hesse-Bahn, Kammerlösung, Strömungssimulation Bestandstunnel, enGits GmbH, Todtnau, 16.10.2019. [7] Anforderungen des Brand- und Katastrophenschutzes an den Bau und Betrieb von Eisenbahntunneln, Anpassung in Folge nationaler Einführung der TSI - SRT (Technische Spezifikation für die Interoperabilität - Safety in Railway Tunnels), Stand 01.07.2008. [8] ZTV-ING Teil 5 - Tunnelbau, Bundesanstalt für Straßenwesen, Stand 2018/ 01. 70 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Zweikammerlösung zur Koexistenz von Bahn und Fledermäusen in Bestandstunneln [9] Mensinger, M., Stadler, M., Brandschutznachweise, Workshop Eurocode 3, Rechenbeispiele, 08.11.2008. [10] Feuerwiderstand von Bauteilen aus Stahl (Nomogramme gemäß DIN EN 1993-1-2: 2005), bauforumstahl e.V. [11] DIN EN 1999-1-2, Eurocode 9: Bemessung und Konstruktion von Aluminiumtragwerken -, Teil 1-2: Tragwerksbemessung für den Brandfall; Deutsche Fassung EN 1999-1-2: 2007 + AC: 2009; Deutsches Institut für Normung e.V., Beuth-Verlag, 12/ 2010.
