eJournals Kolloquium Bauen in Boden und Fels 12/1

Kolloquium Bauen in Boden und Fels
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2510-7755
expert verlag Tübingen
0101
2020
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Südumfahrung Küssnacht

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2020
Patrick Gabriel
Johann Hechenbichler
Heiko Wirth
Andreas Zimmermann
Im Herbst 2017 musste der Tunnelvortrieb der Umfahrung des Küssnachter Ortszentrums eingestellt werden, da starker Schlammzutritt auf der einen, sowie ein Tagbruch auf der anderen Seite die Arbeiten behinderten. Intensive Ursachenforschung, eine Neubewertung des bestehenden Sicherungskonzepts sowie ein durch Projektverfasser und ausführender Tunnelbauunternehmer ausgearbeitetes Konzept zur sicheren Unterfahrung von Küssnacht führten schließlich im Februar 2018 zur Wiederaufnahme der Vortriebsarbeiten. Als zusätzliche vorauseilende Bauhilfsmaßnahme wurde neben preventergeschützten Injektions- und Drainagebohrungen die Ausführung eines horizontalen DSV-Schirms angeordnet, um den Vortrieb sicher abschließen zu können. Insgesamt wurden mehr als 16.000 lfm horizontale DSV-Säulen (bis zu einer Länge von 17,0 m), mehr als 1.100 lfm preventergeschützte Drainagebohrungen (mit einer Länge von 20,0 m) und etwa 1.300 lfm Ortsbrustdrainagen (mit einer Länge von 18,0 - 24,0 m) hergestellt. Die ausgezeichnete Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten schaffte die wichtigsten Voraussetzungen für einen erfolgreichen Durchschlag am 29.05.2019.
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12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 79 Südumfahrung Küssnacht - Umfangreiche Maßnahmen zur Vortriebssicherung beim Auffahren eines seichtliegenden Lockergesteinsvortriebs im innerstädtischen Raum Patrick Gabriel Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H., Wien, Österreich Johann Hechenbichler Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H., Salzburg, Österreich Heiko Wirth ARGE Tunnel Burg (Baresel Tunnelbau GmbH, Heitkamp Construction Swiss GmbH), Küssnacht, Schweiz Andreas Zimmermann INGE Küssnacht (Rothpletz, Lienhard + Cie AG), Olten, Schweiz Zusammenfassung Im Herbst 2017 musste der Tunnelvortrieb der Umfahrung des Küssnachter Ortszentrums eingestellt werden, da starker Schlammzutritt auf der einen, sowie ein Tagbruch auf der anderen Seite die Arbeiten behinderten. Intensive Ursachenforschung, eine Neubewertung des bestehenden Sicherungskonzepts sowie ein durch Projektverfasser und ausführender Tunnelbauunternehmer ausgearbeitetes Konzept zur sicheren Unterfahrung von Küssnacht führten schließlich im Februar 2018 zur Wiederaufnahme der Vortriebsarbeiten. Als zusätzliche vorauseilende Bauhilfsmaßnahme wurde neben preventergeschützten Injektions- und Drainagebohrungen die Ausführung eines horizontalen DSV-Schirms angeordnet, um den Vortrieb sicher abschließen zu können. Insgesamt wurden mehr als 16.000 lfm horizontale DSV-Säulen (bis zu einer Länge von 17,0 m), mehr als 1.100 lfm preventergeschützte Drainagebohrungen (mit einer Länge von 20,0 m) und etwa 1.300 lfm Ortsbrustdrainagen (mit einer Länge von 18,0 - 24,0 m) hergestellt. Die ausgezeichnete Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten schaffte die wichtigsten Voraussetzungen für einen erfolgreichen Durchschlag am 29.05.2019. 1. Einleitung Die Umfahrung des Dorfkerns von Küssnacht am Rigi im Kanton Schwyz soll den historischen Dorfkern vom Verkehr entlasten. Der erste Abschnitt dieser Südumfahrung wird bis 2020 erstellt. Das Projekt wird durch den Kanton Schwyz und den Bezirk Küssnacht gemeinsam finanziert. Bauherr ist der Kanton Schwyz, vertreten durch das Tiefbauamt. Die Gesamtkosten für den gesamten Abschnitt 1 (inkl. Landerwerb) betragen rund 126 Mio. Franken. Kern der Umfahrung ist der Tunnel Burg, welcher die bestehende Bebauung mit geringer Überdeckung im Lockergestein unterquert. Im Vortrieb wurden unerwartete Baugrundeigenschaften angetroffen, worauf eine Anpassung der Bauhilfsmaßnahmen erforderlich wurde. 2. Projektbeschreibung 2.1 Linienführung und Normalprofil Die Südumfahrung Küssnacht beginnt nördlich des Dorfkerns beim Knoten Chli Ebnet und unterquert in einem weit geschwungenen Einschnitt die bestehende Hauptstraße. Rund 120 m ab dem Knoten Nord beginnt der Tunnel Burg mit einer Gesamtlänge von 500 m, wovon ca. 150 m in offener Bauweise erstellt werden. Bild 2 zeigt einen Lageplan zur Situation in Küssnacht. Der Tunnel Burg wird mit zwei Fahrspuren im Gegenverkehr ausgebildet. Im Längenprofil weist der Tunnel einen Tiefpunkt auf, der von beiden Portalen her mit Rampen von 5 % Gefälle erreicht wird. Der Tunnel liegt zu großen Teilen unter dem Grundwasserspiegel und wird mit einer druckhaltenden Vollabdichtung aus-geführt. Das Normalprofil ist in Bild 1 ersichtlich. 80 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Südumfahrung Küssnacht Bild 1: Normalprofil des bergmännischen Tunnels Burg (Quelle/ credit: INGE Küssnacht) 2.2 Geologie und Hydrologie Der bergmännische Tunnel Burg verläuft fast ausschließlich in glazial vorbelasteten geologischen Einheiten, die als Seeablagerungen und Schotterkomplex bezeichnet werden. Bild 2: Situation Südumfahrung Küssnacht, Abschnitt Ebnet-Räbmatt (Quelle/ credit: INGE Küssnacht) Bei den Seeablagerungen handelt es sich zumeist um einen mageren Ton, der aufgrund der Vorbelastung durch Gletscher eine steife bis halbfeste Konsistenz aufweist. In den Seeablagerungen sind schichtweise Einlagerungen von schluffigen Sanden vorhanden, die sehr dicht gelagert sind. Die Seeablagerungen weisen eine hohe Festigkeit und eine sehr geringe Durchlässigkeit auf. Im südlichen Abschnitt, vom Vortrieb nicht tangiert, wurden über dem Tunnel Schwemmsedimente prognostiziert (schluffige, teils organische Verlandungssedimente mit sehr geringer Lagerungsdichte). Diese Prognose musste im Rahmen der Ausführung trotz der hohen Dichte an Erkundungsbohrungen revidiert werden. Die Lage der etwa 18 Bohrungen im Bereich des bergmännischen Tunnels wurde dabei maßgeblich von der Zugänglichkeit an der bebauten Oberfläche bestimmt. Der ebenfalls glazial vorbelastete Schotterkomplex besteht aus Wechsellagerungen von sandig-kiesigen und sandigen Schichten mit Mächtigkeiten im Dezimeterbis Meterbereich. Die Lagerungsdichte ist auch hier sehr hoch. Die an der Oberfläche in einer Steilböschung aufgeschlossenen Schichten wiesen eine scheinbare Verkittung auf. 2.3 Tunnel Burg: Bauprojekt und Ausschreibung Der bergmännische Tunnel Burg unterquert direkt zu Beginn des Vortriebs ab dem Voreinschnitt Nord die Seebodenstraße, den eingedolten Dorfbach und di-verse angrenzende Gebäude. Die Überdeckung beträgt dabei minimal ca. 4-5 m, zur Sohle des Bachs ca. 1,5 m. Die maximale Überdeckung beträgt rund 17 m. Nahezu auf der gesamten Strecke des bergmännischen Vortriebs ist an der Oberfläche eine Bebauung mit Wohngebäuden vorhanden. Der Tunnel liegt in den undurchlässigen und als Stauer wirkenden Seeablagerungen unter dem Wasserspiegel, der Ton ist wassergesättigt. Im Bereich des Schotterkomplexes liegt der Wasserspiegel in der unteren Hälfte des Profils und wurde in der Bauphase über vier Filterbrunnen abgesenkt. Im Bereich des Südportals lag vor Projektbeginn eine rund 20 m hohe und nahezu senkrechte durch Kiesabbau entstandene Steilböschung. Diese wurde mit einer von oben nach unten erstellten, mit permanenten Bodenankern rückverankerten Stützmauer gesichert. Der Tunnel Burg verfügt über normgemäß angeordnete SOS- und Hydrantennischen. Im Tiefpunkt ist zur Entwässerung eine große Pumpennische angeordnet. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 81 Südumfahrung Küssnacht Bild 3: Geologisches Längenprofil Tunnel Burg (Prognose, aktualisiert August 2017 aufgrund zusätzlicher Sondierun-gen 2017) (Quelle/ credit: INGE Küssnacht, geologische Prognose Dr. Heinrich Jäckli AG) Bild 4: Vortriebskonzept (Vollausbruch mit raschem Ringschluss der Ausbruchsicherung, Rohrschirm und Ortsbrustsicherung) (Quelle/ credit: INGE Küssnacht) 82 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Südumfahrung Küssnacht Zur Verkürzung der Fluchtwegdistanz ist auf den ersten ca. 70 m ein Fluchtstollen vorgesehen, der mit einer Querverbindung an den Tunnel anschließt. Als wichtigste Gefährdungsbilder wurden Setzungen an der Geländeoberfläche sowie Verbrüche am Ausbruchrand und in der Brust beziehungsweise Tagbruch behandelt. Ihnen wurde mit der Wahl des Vortriebskonzepts mit einem Vollausbruch mit raschem Ringschluss und systematischen Bauhilfsmaßnahmen begegnet. Die Ringschlussdistanz der Ausbruchsicherung wurde mit maximal 6,0 m festgelegt. Der Ausbruch erfolgte im Schutz eines Rohrschirms. Eine systematische Ortsbrustankerung diente zur Sicherstellung der Stabilität sowie zur Reduktion der vorlaufenden Setzungsmulde. Zur vorgängigen Drainage von allenfalls vorhandenen wassergesättigten sandigen Linsen in den Seeablagerungen wurde eine systematische Vorausdrainage (Filterrohre aus PVC-U, Schlitzweite 0,6 mm) vorgesehen. Der Rohrschirm wurde alle 12 m versetzt, der Achsab-stand der Rohre betrug zwischen 30 und 35 cm zu Beginn der Etappe, die Überlappung der Rohre in Längsrichtung 3,0 m. Die Brustanker wurden mit einer Länge von 20,0 m, die Drainagen mit einer Länge von 18,0 m ausgeführt. Der Aushub erfolgte in Etappen von 1,2 m Länge, die Sicherung erfolgte mit netzbewehrtem Spritzbeton und Gitterträgern (3G-150/ 20/ 30). Eine systematische Überwachung der Verformungen im Tunnel, im Gebirge und an der Oberfläche war Bestandteil des Konzepts. Im Firstrohr des Rohrschirms wurde die Durchbiegung mittels einer Inklinometer-Messkette in Echtzeit überwacht. Zusätzlich wurden im Tunnel Verformungen der Ausbruchsicherung (mittels Tachymeter) und Verformungen vor der Brust (RH-Extensometer) überwacht. An der Oberfläche erfolgte eine Überwachung des Geländes und der Gebäude mittels automatisierter Tachymeter, Schlauchwaagen und händischer Nivellements. Zusätzlich wurden die Verformungen im Baugrund mittels kombinierter Inklino- und Extensometer in Bohrlöchern über und neben dem Tunnel überwacht. Der Vortrieb von Fluchtstollen und Querverbindung sowie die Ausbrüche der Nischen erfolgten im Schutze eines Spießschirms (IBO R38/ 17), die Abschlagslängen betrugen zwischen 1,0 und 1,5 m. Auch bei den kleinen Querschnitten waren eine systematische Brustsicherung und eine Drainage vorgesehen. 3. Ausführung 3.1 Vortriebsstart Nord Im September 2016 erfolgte der Tunnelanschlag am Nordportal. Der Start-Rohrschirm sowie die Ortsbrustanker waren zu diesem Zeitpunkt bereits von der überschnittenen Bohrpfahlwand aus hergestellt. Ab dem darauffolgenden Tag begann der Nordvortrieb. Der Ausbruch erfolgte mittels Tunnelbagger, die Ausbruchlaibung wurde nach jedem Abschlag mit netzbewehrtem Spritzbeton gesichert. Das Vortriebskonzept bewährte sich. Das anstehende Gebirge bestand weitgehend aus Seeton in steifer bis halbfester Konsistenz, welcher sich gut mit dem Tunnelbagger lösen ließ. Durch die hohe Kohäsion des Materials konnte ein vollflächiger Kalottenausbruch geometrisch exakt durchgeführt werden. Nach etwas Einarbeitungszeit erreichte man den Rhythmus: Eine Woche Ausbruch mit Sicherung und eine Woche Rohrschirm und Ortsbrustanker für die Folgeetappe. 3.2 Regelvortrieb Nord Das Konzept sah vor, den kompletten Tunnel von Nord nach Süd aufzufahren. Nur eine Gegenvortriebsetappe war geplant, um die anspruchsvolle Durchdringung der schräg zur Achse verlaufenden Steilwandsicherung vorab zu erstellen und den Durchschlagpunkt somit in den Berg zu verlegen. Die Arbeiten im Vortrieb Nord verliefen planmäßig. Die Verformungen an der Oberfläche lagen jedoch bei 4 - 5 cm und entsprachen damit den Berechnungen für ungünstig angenommene Baugrundkennwerte. Dank der vollautomatisierten Überwachung konnten die Ursachen und Zusammenhänge rasch erkannt werden. Es zeigte sich, dass der Baugrund sich beim Vortrieb sehr weich verhielt. Um Schäden an der bestehenden Bebauung an der Oberfläche zu verhindern oder minimieren, wurden setzungsmindernde Maßnahmen angeordnet. Diese bestanden in einer Reduzierung der Ringschlussdistanz und insgesamt einer Drosselung der Vortriebsleistung. Dadurch konnte die Steifigkeitsentwicklung des zum Ring geschlossenen Spritzbetons abgewartet werden und die Setzungen somit minimiert werden. Parallel dazu wurde im südlichen Gegenvortrieb der Rohrschirm und die Luftbogenstrecke hergestellt sowie die zugehörige Etappe ausgebrochen und gesichert. 3.3 Einstellung Nordvortrieb Ende Juni 2017 bemerkte man im Zuge der Orts-brustankerbohrungen in Etappe 15 leichte Wasser- und Schlammzutritte. Bild 5: Wasserzutritte beim Bohren der Ortsbrustsicherung (Quelle/ credit: ARGE Tunnel Burg, Küssnacht) 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 83 Südumfahrung Küssnacht Auf den letzten Metern einer 20 m langen Bohrung traf man wasserführende Schichten an. Diese Wasserzutritte konnte man durch Setzen eines Packers und anschließendes Verpressen mit Zement stoppen. Der zugehörige Vortrieb in Etappe 15 erfolgte mit erhöhter Vorsicht. Leichte Wasserzutritte waren bereits beim Öffnen des ersten Bogens zu verzeichnen. Während des Ausbruchs des 2. Kalottenbogens wurde aufgrund starker Wasserzutritte zwischen den Rohrschirmrohren der nachfolgende Ausbruch gestoppt. Damit war am 12.07.2017 bis zur Entscheidung der weiteren Vorgehensweise der Nordvortrieb eingestellt. 3.4 3.4 Aufnahme Gegenvortrieb Noch während die Maßnahmen auf der Nordseite abgeklärt wurden, wurde entschieden, die Stillstandszeit produktiv zu nutzen und einerseits Verkleidungsarbeiten unter Tage zu starten, sowie eine Verlängerung des Gegenvortriebs zu starten. Dabei wurde die Baustelleneinrichtung komplett auf die Südseite verlegt. Der Einbau der ersten Rohrschirme gestaltete sich dabei etwas aufwändiger, da der bereits ausgeführte Gegenvortrieb ohne Rohrschirmnische für Folgeetappen ausgeführt wurde. 3.5 3.5 Einstellung Gegenvortrieb Bereits beim ersten Bogen in Etappe 28 bemerkte man, dass der Schotter durch das enggestufte Körnungsband eine zunehmende Rieselneigung zeigte. Aus Gründen der Arbeitssicherheit wurde der Ausbruch der Kalotte auf mehrere Teilflächen umgestellt sowie Ankerplatten und Bewehrungsnetze in der Ortsbrust versetzt. Bild 6: Nachbruch unter Tage (Quelle/ credit: ARGE Tunnel Burg, Küssnacht) Beim Ausbruch des zweitletzten Bogens in der Gegenvortriebsetappe 28 ereignete sich schließlich am 20. September 2017 ein Verbruch durch die Rohrschirmrohre (Sanduhreffekt). Der Verbruch von kohäsionslosem Material setzte sich etwa 30 Minuten fort und führte zu einem Tagbruch bei 17 m Überdeckung. Der Verbruchtrichter wies ein Volumen von geschätzt 350 m³ auf und erreichte an der Oberfläche einen Durchmesser von 5 m. Die Ortsbrust und die Ausbruchsicherung blieben stabil, womit das Ereignis eingeschränkt war und an der Oberfläche keine Schäden an Bauwerken entstanden. Bild 7: Nachbruch über Tage (Quelle/ credit: „SÜDUM- FAHRUNG: Plötzliches Loch neben Wohnhaus: Tunnelvortrieb in Küssnacht gestoppt“, Luzerner Zeitung, CH Regionalmedien AG, 21.09.2017) Der Verbruchtrichter wurde umgehend gesichert, von oben verfüllt und anschließend injiziert. Damit war auch der Südvortrieb bis zur Entscheidung der weiteren Vorgehensweise eingestellt. 3.6 Suche nach Lösungen Für alle Projektbeteiligten war offensichtlich, dass ohne zusätzliche Sicherungsmaßnahmen der Vortrieb nicht wieder aufgenommen werden konnte. An das neue Vortriebskonzept wurden folgende Anforderungen gestellt: - Der Rohrschirm soll gänzlich „abgedichtet“ werden, sodass kein „Ausrieseln“ mehr möglich ist. - Das Vortriebskonzept soll einheitlich sein, welches sowohl für den Hauptals auch für den Gegenvortrieb anwendbar ist. - In das bestehende statische Konzept soll kein Eingriff entstehen. Es sollen zusätzliche Maßnahmen angeordnet werden. 84 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Südumfahrung Küssnacht In der Abklärung möglicher Konzepte wurden unter anderem ein Gefrierverfahren sowie Injektionen zur Verfestigung des Gebirges verworfen. Planer, Bauherr und Unternehmer waren sich schnell einig, dass Horizontal-DSV (Düsenstrahlverfahren) die beste Lösung für das Projekt darstellt. Nun war es daran, einen weiteren kompetenten Projektpartner zu finden, mit dem gemeinsam das weitere Vortriebskonzept in kürzester Zeit entwickelt und vertraglich schnell fixiert werden kann. Ab diesem Zeitpunkt war die Firma Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H. als Subunternehmer der ARGE Tunnel Burg im Spiel. 4. Sanierung und Anpassung der Bauhilfsmaßnahmen Im Zuge der Abklärungen auf der Nordseite sowie auf der Südseite wurde die Ausführung neuer Erkundungen sowie die Erstellung eines ergänzenden geologisch-geotechnischen Berichtes beauftragt, um die Ursachen für die unkontrollierten Wasserzutritte zu ergründen. Für das bessere Verständnis des Untergrundes wurden Kernbohrungen, Pumpversuche, Laborversuche sowie Grundwasser-Messstellen ausgeführt. Bild 8: Ergänzend geologisch/ geotechnische Untersuchungen (Quelle/ credit: Dr. Heinrich Jäckli AG) Bild 9: Geologisches Querprofil in der Tunnelmitte (Quelle/ credit: Dr. Heinrich Jäckli AG) In den ergänzend geotechnischen Untersuchungen wurde festgestellt, dass im Abschnitt der Vortriebsetappen Nr. 15 bis 17 über dem Projekt eine Mulde mit Grundwasser führendem Bachschutt aus Kies und Sand verläuft, die bisher mangels entsprechender Sondierungsaufschlüsse nicht bekannt war. Diese Mulde ist in Bild 8 dunkelgrün markiert. Die vorbelasteten Seeablagerungen (gelb) enthalten zusätzlich kohäsionslose Zonen aus Schluff und Feinsand (gelb-weiß strichliert), welche eine Wasserwegsamkeit aufweisen. Solche kohäsionslosen Zonen waren zwar bisher bekannt, jedoch sind diese im Abschnitt der Vortriebsetappen Nr. 15 bis etwa 19 - und damit auch unmittelbar unterhalb der Mulde - mit bis zu rund 4 m außergewöhnlich mächtig und im Bereich der Bohrungen infolge der Schlammaustritte teilweise in „flüssigem Zustand“. Durch die Pumpversuche und Grundwasser-Messstellen wurde außerdem festgestellt, dass es offenbar hydraulische Verbindungen zwischen dem grundwasserführenden Bachschutt und der genannten kohäsionslosen Zone in den Seeablagerungen gibt. Letztere dürfte unter erhöhtem Wasserdruck stehen und zusätzlich aus dem oberen freien Grundwasser gespeist werden. 4.1 Nordvortrieb Unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus den ergänzenden geologisch-geotechnischen Untersuchungen wurde am Nordvortrieb eine Grundwasserabsenkung mittels mehrerer Filterbrunnen an der Oberfläche realisiert. Im Tunnel wurden vorauseilende Drainagebohrungen und im Bereich des vermuteten Ursprungs der Schlammzutritte zusätzlich Injektionen angeordnet. Entlang der Ausbruchlaibung wurden Horizontal-DSV-Säulen vorgesehen, welche eine Verfestigung des Bereichs zwischen Rohrschirmrohren bezweckten, um ein Eintreten von Schlamm bzw. kohäsionslosem Boden zu verhindern. Schrittweise wurden auch Horizontal-DSV-Säulen innerhalb der Ortsbrust angeordnet, da es selbst beim Vortrieb im Schutze des DSV-Schirms immer wieder zu kleineren Ausbrüchen und lokalen Instabilitäten im Bereich der Ortsbrust kam. Selbst der Auftrag von Trockenspritzbeton der Frühfestigkeitsklasse J3 war in der 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 85 Südumfahrung Küssnacht Ortsbrust aufgrund des instabilen Untergrunds teilweise nicht möglich. Bild 10: DSV-Säulen in Etappe 20; rot: DSV-Säulen entlang der Ausbruchslaibung; blau/ grün: DSV-Säulen zur Stabilisierung der Ortsbrust; unerschiedliche Farben markieren unterschiedliche DSV-Parameter (Quelle/ credit: INGE Küssnacht.) 4.2 Südvortrieb Um nach dem Tagbruch im September 2017 die Arbeiten auch am Südvortrieb wieder aufnehmen zu können, war es notwendig, die entstandenen Bodenverluste aufzufüllen und zu verfestigen. Zur Sicherung des Verbruchtrichters wurden Niederdruckinjektionen angeordnet. Für die weiteren Etappen im südlichen Gegenvortrieb wurde das Sicherungskonzept ebenfalls mit Horizontal-DSV-Säulen entlang der Ausbruchlaibung ergänzt. Ein Verzicht auf den Rohrschirm erschien ohne vorgängige Versuche und mit den bestehenden geologischen Unsicherheiten als zu riskant. Bild 11: DSV-Säulen in Etappe G21; rot: DSV-Säulen entlang der Ausbruchslaibung; violett/ cyan: DSV-Säulen zur Stabilisierung der Ortsbrust; unterschiedliche Farben markieren unterschiedliche DSV-Parameter (Quelle/ credit: INGE Küssnacht) 5. Technische Ausführung der zusätzlichen Bauhilfsmaßnahmen 5.1 Injektionsbohrungen Zur Stabilisierung und zur Auffüllung entstandener Bodenverluste durch Schlammzutritte in Vortriebsetappe 15 (Nordvortrieb) sowie zur Stabilisierung des Verbruchtrichters im Südvortrieb wurden im Firstbereich dem Vortrieb vorauseilend 20,0 m lange verrohrte Injektionsbohrungen ausgeführt. Durch den Einbau von Manschettenrohren konnten diese Bereiche gezielt mittels Niederdruckinjektionen behandelt werden. Um beim Bohrvorgang dem zu erwartenden Wasserandrang entgegenzuwirken, wurden diese Bohrungen durch entsprechende Schutzvorrichtungen wie einem geschlossenen Bohrsystem mit Standrohr, Preventer, Absperrschieber und einer ausklinkbaren Bohrkrone, welche die Verrohrung im Bohrlochtiefsten abdichtet, ausgeführt. Dadurch wurden unkontrollierte Wasserzutritte während des Bohrvorganges in den Tunnel verhindert. Bild 12: Standrohr, Absperrschieber und Preventer (Quelle/ credit: Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H.) 5.2 Drainagebohrungen Als weitere Maßnahme wurde bei den Vortriebsetappen in den Seeablagerungen der anstehende Wasserdruck über der Tunnelfirste mit fächerartigen Drainagebohrungen kontrolliert und ggf. reduziert. Bild 13: Lage der Drainagebohrungen in der Firste (Quelle/ credit: INGE Küssnacht) 86 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Südumfahrung Küssnacht Auch diese Bohrungen wurden gegen eindringendes, druckhaftes Wasser gesichert und mit einer Länge von 20,0 m hergestellt. Zusätzlich wurden für den Vortrieb Ortsbrustdrainagen mit einer Länge von bis zu 18,0 - 24,0 m hergestellt. Der Ausbau der Bohrungen erfolgte mit Filterrohren. Damit war gewährleistet, dass Porenwasserdrücke im Nahbereich des Vortriebs gezielt abgebaut werden konnten. 5.3 Horizontal-DSV Die Hauptarbeiten der ergänzenden Vortriebssicherung bildete die etappenweise Herstellung des horizontalen DSV-Schirms in den Zwischenräumen der Rohrschirmrohre. Dadurch wurden die systembedingten Längsöffnungen zwischen benachbarten Rohrschirmrohren zusätzlich abgedichtet. Die bis zu 17,0 m langen horizontalen DSV-Säulen wurden mit einem zweiarmigen Bohrgerät und einer 28,0 m langen Lafette im Einphasensystem ausgeführt. Die Parameter wurden zunächst auf Basis von Erfahrungswerten in ähnlichen Böden gewählt. Im Rahmen der ersten Vortriebsetappen wurden Probesäulen im Profil mit verschiedenen Parametern zur Verifikation ausgeführt. Es zeigte sich, dass in tonigen Seeablagerungen Durchmesser von 30 bis 50 cm realisiert werden konnten. Im Schotterkomplex waren die ausgeführten DSV-Säulen erwartungsgemäß homogener. Bild 14: Auswertung der Probesäulen (Quelle/ credit: Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H.) In den folgenden Skizzen (Bild 15, Bild 16 und Bild 17) ist der Ablauf der Herstellung einer Horizontal-DSV-Säule dargestellt: Bild 15: Schritt 1 - Bohren der bis zu 17 m langen Horizontal-DSV-Säulen (Quelle/ credit: Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H.) Bild 16: Schritt 2 - Drehender Rückzug des Bohrgestänges unter gleichzeitiger Injektion der Zementsuspension mit bis zu 400 bar (Quelle/ credit: Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H.) Bild 17: Schritt 3 - Fertiggestellte Säule (Quelle/ credit: Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H.) Horizontal-DSV-Säulen innerhalb der Ortsbrust wurden bei nahezu allen Rohrschirmetappen als zusätzliche Sicherung ausgeführt, wobei die Anzahl und die Anordnung laufend den neuen Erkenntnissen aus der Aufnahme der Geologie während des Vortriebs angepasst wurden. Bild 18: Aufnahme der Geologie während des Vortriebs (Quelle/ credit: Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H.) Während der DSV-Arbeiten wurde die gesamte darüberliegende Bebauung durch Messketten (Neigungsinklinometer) in Echtzeit überwacht. Vor allem in seichten Tunnellagen führten die Düsenstrahlarbeiten abhängig von anstehender Geologie zu messbaren lokalen Verformungen (zumeist Hebungen) in der Höhe von 5 bis 10 mm. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 87 Südumfahrung Küssnacht Bild 19: Flüssige-breiige sandige Schluffe, dicht bis sehr dicht gelagerte Kiese, organische Sande, Torf und steif bis halbfester Seeton in einer einzigen Ortsbrust (Quelle/ credit: Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H.) Bild 20: Horizontal-DSV-Säulen entlang der Ausbruchslaibung (Quelle/ credit: Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H.) Bild 21: Herstellung einer horizontalen DSV-Säule (Quelle/ credit: Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H.) 5.4 Gerätetechnik Durch den Einsatz eines Horizontalbohrgerätes mit einer Lafettenlänge von rund 28,0 m (die Lafette wurde für das Bauvorhaben entsprechend verlängert) konnten alle Bohrungen (Horizontal-DSV, Drainagebohrungen, Injektionsbohrungen sowie Ortsbrustankerbohrungen) in einem Stück (Monoblock) ohne Aufsetzen von Bohrgestänge erfolgen. Bild 22: Horizontalbohrgerät an der Ortsbrust (Quelle/ credit: Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H.) Bild 23: Horizontalbohrgerät mit Blick zurück zum fertigen Tunnel (Quelle/ credit: Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H.) Aufgrund der voneinander getrennten Vortriebe (Hauptvortrieb Nord, Gegenvortrieb Süd) wurden im Vorfeld von beiden Portalen jeweils die erforderlichen Anlagen (Hochdruckpumpen, Misch- und Bevorratungstechnik…) installiert. Durch die eingeschränkten Platzverhältnisse am Südportal wurde der Einsatz einer Kompaktanlage erforderlich. 88 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Südumfahrung Küssnacht Bild 24: Kompaktanlage am Südportal (Quelle/ credit: Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H.) Bild 25: Transport des Horizontalbohrgeräts vom Südportal zum Nordportal durch den Ortskern von Küssnacht am Rigi (Quelle/ credit: Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H.) 6. Erfahrungen aus dem Vortrieb und Fazit Dieses spezielle Bauvorhaben in glazialer Geologie zeigte, dass komplexe geologische Situationen eine sehr hohe Spezialisierung an Sicherungsverfahren hinsichtlich Art und Umfang erfordern. Wie komplex die glaziale Geologie tatsächlich war, wurde in Bild 18 und Bild 19 eindrucksvoll gezeigt. Bei jeder einzelnen Vortriebsetappe konnte man tatsächlich alle dem Geotechniker bekannten Konsistenzen, Lagerungsdichten und Böden von dicht bis sehr dicht gelagerten Kiesen bis hin zu flüssigen-breiigen sandigen Schluffen erkennen. Dies erforderte einen intensiven Austausch aller Projektbeteiligten - insbesondere zwischen Tunnelbau und Spezialtiefbau. Bei Horizontal-DSV-Arbeiten in seichtliegenden Tunneln ist insbesondere großes Augenmerk auf Einbauten wie Kanalisationen, Sickerleitungen (Drainagen), Keller sowie bestehende Bodenverbesserungen (wie Rüttelstopfverdichtung) oder Tiefgründungen zu achten. In heterogenen Böden können die unterschiedlichen Durchlässigkeiten Grund dafür sein, dass Wegigkeiten im Untergrund bestehen, durch die das Injektionsgut große Entfernungen zurücklegen kann und sogar Einbauten treffen kann, die nicht unmittelbar im Einflussbereich des Tunnelvortriebs sind. Aus diesem Grund ist gerade bei Spezialtiefbauprojekten in innerstädtischem Gebiet zu achten, dass sowohl die Anwohner und Betroffene frühzeitig in das Bauprojekt eingebunden werden, als auch das Oberflächenmonitoring über eine hohe Auflösung verfügt, um Auswirkungen des Tunnelbaus unmittelbar erkennen zu können. Hinsichtlich Ergänzung des Sicherheitskonzepts mit Horizontal-DSV-Säulen entlang der Ausbruchslaibung kann abschließend resümiert werden, dass die Kombination aus Rohrschirm und DSV-Zwickelabdichtung problemlos herstellbar ist auf eine entsprechende Aufweitung im Sägezahnprofil sei allerdings hingewiesen. Literatur/ Referenzen [1] Zimmermann, A.; Schneider, A.: Südumfahrung Küssnacht, Tunnel Burg - Lockergesteinsvortrieb unter anspruchsvollen Bedingungen, Swiss Tunnel Congress 2019 [2] Dr. Heinrich Jäckli AG (jäckli geologie): Südumfahrung Küssnacht, Abschnitt Ebnet-Räbmatt, Los 02, Geologische Baubegleitung Tunnel Burg, Ergänzende geologische Untersuchungen, vorläufige Befunde per 28.7.2017 [3] Dr. Heinrich Jäckli AG (jäckli geologie): Südumfahrung Küssnacht, Abschnitt Ebnet-Räbmatt, Los 02, Geologische Baubegleitung Tunnel Burg, Ergänzender geologisch-geotechnischer Bericht, 18. August 2017 [4] INGE Küssnacht (BG Ingenieure und Berater AG, Locher Ingenieure AG, Rothpletz Lienhard + Cie AG): Ausführungsprojekt Südumfahrung Küssnacht, Abschnitt Ebnet - Räbmatt