eJournals Kolloquium Bauen in Boden und Fels 12/1

Kolloquium Bauen in Boden und Fels
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2510-7755
expert verlag Tübingen
0101
2020
121

Erschütterungen aus Sprengvortrieben für Profilaufweitungen

0101
2020
Nadine Depta
Lars Röchter
Im Zuge des beachtlichen Bedarfs an Erneuerungsarbeiten an gemauerten Tunneln innerhalb der kommenden Jahrzehnte ist häufig auch eine Aufweitung des Lichtraumprofils erforderlich. Hinsichtlich der Prognose von Erschütterungen durch Sprengarbeiten zur Profilaufweitung existieren aktuell nur wenige Erfahrungswerte. Der vorliegende Beitrag beinhaltet den Vergleich von Messdaten mit Prognosen sowie die nachträgliche Kalibrierung der Prognosemodelle am Beispiel ausgeführter Sprengvortriebe. Dabei wird die Analyse von Messdaten bei durchgeführten Tunnelbauprojekten mit Profilaufweitung und Vollausbruch vorgestellt. Im Ergebnis haben sich hierbei zwei Modelle, jeweils eins für Nah- und Fernfeld, für die Prognose der Schwinggeschwindigkeiten bewährt. Die Auswertung der Messdaten zeigt, dass die Schwinggeschwindigkeiten für Maßnahmen zur Querschnittsaufweitung für den Mittelwert in guter Näherung prognostiziert werden können. Die Qualität der Prognose kann durch eine Probesprengung verbessert werden.
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12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 111 Erschütterungen aus Sprengvortrieben für Profilaufweitungen M.Sc. Nadine Depta Hochtief Infrastructure, Abteilung Tunnelbau, Essen, Deutschland Dr.-Ing. Lars Röchter Vössing Ingenieurgesellschaft mbH, Niederlassung Tunnelbau, Düsseldorf, Deutschland Zusammenfassung Im Zuge des beachtlichen Bedarfs an Erneuerungsarbeiten an gemauerten Tunneln innerhalb der kommenden Jahrzehnte ist häufig auch eine Aufweitung des Lichtraumprofils erforderlich. Hinsichtlich der Prognose von Erschütterungen durch Sprengarbeiten zur Profilaufweitung existieren aktuell nur wenige Erfahrungswerte. Der vorliegende Beitrag beinhaltet den Vergleich von Messdaten mit Prognosen sowie die nachträgliche Kalibrierung der Prognosemodelle am Beispiel ausgeführter Sprengvortriebe. Dabei wird die Analyse von Messdaten bei durchgeführten Tunnelbauprojekten mit Profilaufweitung und Vollausbruch vorgestellt. Im Ergebnis haben sich hierbei zwei Modelle, jeweils eins für Nah- und Fernfeld, für die Prognose der Schwinggeschwindigkeiten bewährt. Die Auswertung der Messdaten zeigt, dass die Schwinggeschwindigkeiten für Maßnahmen zur Querschnittsaufweitung für den Mittelwert in guter Näherung prognostiziert werden können. Die Qualität der Prognose kann durch eine Probesprengung verbessert werden. 1. Einführung Neubautunnel und Tunnelaufweitungen werden häufig mittels Sprengvortrieb ausgeführt. Der konventionelle Vortrieb stellt eine flexible Vortriebsmethode dar, die vor allem bei schwierigen und wechselhaften Gebirgsverhältnissen, aber auch bei unterschiedlich großen und komplexen Querschnittsgeometrien angewendet werden kann. Bei den immer häufiger durchzuführenden Profilaufweitungen erweist sich das Sprengverfahren als qualifizierte Methode. Ein Nachteil, der mit einem Sprengvortrieb einhergeht, sind entstehende Erschütterungen. Daher hat die Prognose von Erschütterungen im Vorfeld der Baumaßnahme einen hohen Stellenwert, um die Auswirkungen auf Menschen und Gebäude berücksichtigen zu können. Die Beurteilung der Erschütterungen erfolgt nach DIN 4150-2 und DIN 4150-3. Für die Prognose von Erschütterungen existieren bereits Ansätze auf Grundlage der Wellenausbreitung im elastischen Halbraum, der DIN 4150-1 und praxisbezogenen Messdaten. Viele empirische Modelle basieren auf Annahmen und kalibrierten Werten und erlauben eine grobe Abschätzung der Auswirkungen. Aus diesem Grund ist es essentiell, die Prognosemodelle anhand von Auswertungen der Dokumentationen in der Praxis weiterzuentwickeln. Eine realitätsnahe Aussage über die zu erwartenden Erschütterungen kann bereits in der Vorplanung den Planungsprozess verbessern sowie eine größere Sicherheit hinsichtlich Baukosten und Bauzeit bewirken. Der Inhalt des vorliegenden Beitrags wurde im Rahmen einer Masterarbeit am Lehrstuhl für Tunnelbau, Leitungsbau und Baubetrieb der Ruhr-Universität Bochum in Kooperation mit der Niederlassung Tunnelbau der Vössing Ingenieurgesellschaft mbH erarbeitet. 2. Wellenausbreitung im elastischen Halbraum Erschütterungen breiten sich in Form von Wellen durch unterschiedliche Medien und in verschiedenen Richtungen als Freifeldschwingung aus. Die Wellenausbreitung wird sowohl durch den Boden und das Wasser (mechanische Wellen) als auch durch die Luft (elektromagnetische Wellen) übertragen. Die benötigten Beurteilungsgrößen der Wellenausbreitung sind die Schwinggeschwindigkeiten und Dämpfungen, welche je nach Bodenart und Grundwasser unterschiedliche Werte annehmen. Es können Raumwellen, wie Kompressions- und Scherwellen sowie Oberflächenwellen, in Form von Rayleigh-Wellen, auftreten. Bei dem Durchgang einer Kompressionswelle durch ein Medium werden Volumenelemente komprimiert und gedehnt. Die Partikel schwingen während dieses Vorgangs in Ausbreitungsrichtung. Die Schwingung der Partikel bei einer Scherwelle ist senkrecht zur Ausbreitungsrichtung. Die Rayleigh-Welle erfährt eine größere Amplitudenverschiebung in vertikaler Richtung [1], [15]. 112 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Erschütterungen aus Sprengvortrieben für Profilaufweitungen 2.1 Dämpfungsarten Abbildung 1 stellt die Wellenausbreitung an einem Kreisfundament einschließlich Übertragungsverlusten dar. Die Kompressionswelle und die Scherwelle strahlen in den unter dem Kreisfundament liegenden Halbraum ab und durchlaufen immer größere Kugelflächen. Die Rayleighwelle emittiert in den Boden mit beschränkter Tiefe und durchläuft eine zylinderförmige Fläche. Abbildung 1 bildet die Amplitude in der Entfernung r und die damit zusammenhängende geometrische Dämpfung ab. Der Vorgang der geometrischen Dämpfung beschreibt die Verteilung der in den Boden eingeleiteten Energie auf eine, in Abhängigkeit von der Entfernung, größer werdende Fläche. Die geometrische Dämpfung der Raumwelle im Vollraum wird bei Punktquellen mit r -1 beschrieben. An der Oberfläche des Halbraums beträgt die Amplitudenabnahme der Raumwelle r -2 und die der Rayleighwelle r -0,5 . Abbildung 1: Wellenausbreitung Kreisfundament [8] Die materielle Dämpfung beschreibt den Energieverlust infolge innerer Reibung zwischen den Kornpartikeln. Ausgehend von einer freien, gedämpften Schwingung eines Ein-Massen-Schwingers und unter Berücksichtigung der materiellen Dämpfung wird für die Schwinggeschwindigkeit im idealen Halbraum Gleichung (1) verwendet [16]: (1) Der Exponent r -n(f) definiert die geometrische und der zweite Term die materielle Dämpfung. Aufgrund der Frequenzabhängigkeit der Materialdämpfung steigt diese mit zunehmender Frequenz. Daraus resultierend klingen hohe Frequenzen schneller ab und tiefe Frequenzen werden noch in größeren Entfernungen wahrgenommen. Eine weitere Amplitudenveränderung findet beim Übergang vom Übertragungsmedium zum Empfänger (Boden auf Bauwerk) statt. Die Übertragung ist in diesem Bereich ebenfalls stark frequenzabhängig. 3. Prognosemodelle Sprengvortrieb Bei der Übertragung der Wellen im elastischen Halbraum in Zusammenhang mit den Dämpfungsarten wird die Wellenausbreitung im Baugrund infolge Sprengarbeiten als impulsartig erregte Punktquelle beschrieben. Die Ausbreitung und der Frequenzinhalt werden durch die örtlichen geologischen Verhältnisse beeinflusst. Im Nahbereich der Sprengung dominieren im Baugrund sehr hoch frequentierte Raumwellen mit großen Amplitudenwerten. Im Fernfeld lassen sich höher frequentierte Raumwellen und niederfrequentierte Oberflächenwellen erkennen. Das heißt, dass mit zunehmender Entfernung von der Emissionsquelle die Raumwellen aufgrund der materiellen Dämpfung eine Reduzierung der Frequenzen mit einer einhergehenden Minderung der Schwinggeschwindigkeiten erfahren. Da Oberflächenwellen im Vergleich zu den Raumwellen schwächer gedämpft werden, sind diese in größeren Entfernungen maßgebend. Bestehen Sprengungen aus mehreren räumlich und zeitlich getrennten Zündzeitstufen, finden Überlagerungen der Erschütterungen der Einzelladungen statt. Somit werden die Emissionsstärke und der Einwirkungsbereich vor allem durch die Größe der Lademenge und der Art der Sprengung bestimmt. Die Abschlagslängen, die Bohrlochanzahl und die Ladungsmengen werden in Abhängigkeit von der Querschnittsgröße und Gebirgsbeschaffenheit ermittelt. Entfernungen > 400 m sind für die Beurteilung von Erschütterungs-einwirkungen häufig vernachlässigbar [5]. 3.1 Prognosemodelle Nah- und Fernfeld Für die Erschütterungen aus Sprengvortrieben existieren empirische Modelle, die im Vorfeld eine Einschätzung der zu erwartenden Schwinggeschwindigkeiten geben sollen. Der Übergang vom Nahfeld zum Fernfeld wird bei Sprengungen mit einem Wert von 100 m festgelegt [14]. Mittels Koch’scher Formel (Gl. (2)) wird die Schwinggeschwindigkeit im Nahbereich wie folgt ermittelt [4]: (2) Gl. (2) beschreibt das Zusammenwirken von geometrischer und materieller Dämpfung, was zur Amplitudenabnahme führt. Die geometrische Amplitudenabnahme wird durch den Term R -1 konkretisiert, welcher sich von den Angaben einer impulsartig erregten Punktquelle ableitet [5]. Im Vergleich wird der Energieverlust infolge innerer Reibung (materielle Dämpfung) durch den Term L 0,5 determiniert. Als empirischer Beiwert wird K=100 mm/ s angenommen, sofern keine Messwerte des Gebirges vorliegen. Der Parameter K präzisiert einen Übertragungsfaktor, welcher durch äußere Gegebenheiten beeinflusst wird: 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 113 Erschütterungen aus Sprengvortrieben für Profilaufweitungen - Ausbildung und Schichtung, Kluftscharen, Störungen des Gebirges; - Festigkeit und Dichte des Gesteins; - Wechsel der Geologie; - Wassergehalt des Gebirges; - Gründung der Gebäude. Gl. (3) prognostiziert die maximale Schwinggeschwindigkeit im Fernfeld (v max (mm/ s)). Als maßgebliche Wellenart wirkt die Oberflächenwelle. Mittels der Abhängigkeit der Lademenge L [kg] und den Entfernungen R [m], sowie der geometrischen (m) und materiellen Dämpfungsexponenten (b) wird die folgende Gl. (3) definiert: (3) Da die Exponenten L 0 und R 0 Bezugsgrößen mit dem Wert 1 definieren, gilt vereinfachte Schreibweise: (4) Gemäß Gl. (4) können sowohl die Parameter nach Koch, als auch nach Lüdeling durch die Variablen m, b und k beschrieben werden. Vor allem für das Fernfeld lassen sich in der Literatur Erfahrungswerte in Abhängigkeit von verschiedenen Felsarten finden, die in Tabelle 1 aufgeführt werden. Tabelle 1: Erfahrungswerte aus der Literatur [17] Die Parameter k, b und m werden anhand von Probesprengungen empirisch ermittelt oder mit Erfahrungswerten abgeschätzt. Gemäß den Grundlagen der Wellenausbreitung wird die geometrische Dämpfung (Exponent m) einer Raumwelle an der Oberfläche infolge einer impulsartig erregten Punktquelle mit dem Wert 2,5 definiert. Die Kennzahl b beschreibt den Energieverlust infolge innerer Reibung zwischen den Kornpartikeln (materielle Dämpfung). Je höher die Kennzahl b, desto geringer ist die Dämpfung. D.h., dass Festgestein die Schwingungsausbreitung mit zunehmender Entfernung schneller dämpft, als Lockergestein. Beim Vollausbruch eines Querschnitts infolge des Tunnelvortriebs wird oft ein gebirgsschonendes Sprengverfahren verwendet. I.d.R. werden Lademengen < 20 kg je Zündzeitstufe angesetzt. Die Querschnittsaufweitung bei Tunnelsanierungen wird häufig mit kleineren Lademengen < 5 kg durchgeführt [4]. Damit eine auf der sicheren Seite liegende und für die Projekte passende Erschütterungsprognose ausgearbeitet werden kann, wird der empirische Datensatz der Sedimentgesteine gewählt. Des Weiteren ist eine Klassifizierung in Nah- und Fernfeld zu empfehlen. Dabei scheint im Nahbereich die Koch´sche Gl. (2) zielführend. Für das Fernfeld und einer kleinen Lademenge (< 20 kg) kann Gl. (3) nach Lüdeling für Sedimentgesteine angesetzt werden. Ab einer Lademenge > 20 kg erscheint eine Unterteilung in Sedimentgesteine und kristalline Hartgesteine ausreichend. Darüber hinaus wird mittels Koch´scher Gl. (2) und der Gl. (3) nach Lüdeling die materielle Dämpfung im Festgestein gut zusammengefasst. Da Festgestein die Erschütterungen mit zunehmender Entfernung schneller dämpft als Lockergestein, erscheint für die materielle Dämpfung der Wert von 0,5 (Gl. (2)) und 0,59 (Gl. (3)) realistisch. Im Nahfeld wird die Schwinggeschwindigkeit durch den kleineren Wert b schneller gedämpft, weil mit großer Wahrscheinlichkeit überwiegend festeres Gestein vorhanden ist. Entlang des Ausbreitungsweges ist mit Veränderungen der Festigkeiten zu rechnen. In den oberen Schichten bzw. mit zunehmender Entfernung zur Sprengstelle liegen meist Böden mit geringeren Festigkeiten vor. Bezüglich der geometrischen Dämpfung im Nahfeld ist ein geometrischer Dämpfungsexponent m=1 zu wählen. Für das Fernfeld werden entgegen der Grundlagen der Wellenausbreitung kleinere Dämpfungsexponenten angenommen. Anstatt einem Wert von m=2,5 (Dämpfung der Raumwelle an der Oberfläche) wird gemäß Tabelle 1 im Mittel 1,7 angesetzt. Somit ist die materielle Dämpfung von m=1,52 der Sedimentgesteine ebenfalls auf der sicheren Seite liegend. 4. Beurteilung nach DIN 4150-2 und 4150-3 Sprengerschütterungen können zum einen Einwirkungen auf Menschen in Gebäuden haben, zum anderen Schäden an baulichen Anlagen verursachen. Damit die Menschen so wenig wahrnehmbaren Erschütterungen wie möglich ausgesetzt sind und Schäden an baulichen Anlagen vermieden werden, erfolgt die Beurteilung der Erschütterungseinwirkungen gemäß DIN 4150-2 und DIN 4150-3. Werden die Richtwerte der DIN eingehalten, ist davon auszugehen, dass Belästigungen des Menschen sowie Schäden an Bauwerken überwiegend auszuschließen sind [6], [7]. 4.1 Einwirkungen auf Menschen in Gebäuden Bei Erschütterungsprognosen, die im Vorfeld einer Bauausführung durchgeführt werden, wird ein Näherungsverfahren zur Berechnung der bewerteten Schwingstärke nach DIN 4150-2 herangezogen [6]. Anhaltswerte werden bei Baustellensprengungen mit KB=8 mm/ s am Tag und KB=0,3 mm/ s bei Nacht definiert. Für die Ermittlung 114 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Erschütterungen aus Sprengvortrieben für Profilaufweitungen von KB müssen der Maximalwert von v(t) sowie die Frequenz f aus den Messungen gegeben sein. In diesem Fall werden mit Gl. (5): (5) das bewertete Signal und folgernd der Schätzwert für den gleitenden Effektivwert KB* Fmax mittels Gl. (6): (6) ermittelt. Für c F wird die Sprengung als Einzelereignis kurzer Dauer ohne Resonanzbeteiligung mit einem Wert von 0,6 eingestuft. Da Baustellensprengungen i.d.R. durch selten auftretende, kurzzeitige Erschütterungen beschrieben werden, hat es sich als besonders wirksam erwiesen, das Näherungsverfahren anzuwenden. Dabei wird mit Hilfe der Gleichungen (5) und (6) die maximal zulässige Schwinggeschwindigkeit rückgerechnet. Für die Berechnung wird die am ungünstigsten wirkende Frequenz von f=30 Hz verwendet, die i.d.R. der Deckeneigenfrequenz eines einbis zweigeschossigen Gebäudes entspricht. 4.2 Einwirkungen auf bauliche Anlagen Für die Beurteilung der Erschütterungseinwirkungen auf bauliche Anlagen erfolgt eine Gruppierung in Industriegebäude, Wohngebäude und besonders empfindliche und unter Denkmalschutz stehende Gebäude. Je nach Messort (Decke oder Fundament) und der gemessenen Frequenz, können Anhaltswerte gemäß Tabelle 2 herangezogen werden. Tabelle 2: Anhaltswerte zur Beurteilung [7] Mit Einhaltung der Richtwerte ist erfahrungsgemäß davon auszugehen, dass keine schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des BImSchG [3] vorliegen. 5. Vergleich der Prognosemodelle mit realen Tunnelbauprojekten In den folgenden Kapiteln werden Sprengerschütterungen von drei ausgeführten Tunnelbauprojekten untersucht. Am Beispiel des Steinbühltunnels wird zunächst ein Vollausbruch mittels Sprengverfahren vorgestellt. Anhand der Tunnel Obermaiselstein und des Petersbergtunnels wird eine Profilaufweitung behandelt. 5.1 Methodik der Prognosedurchführung Mittels der maximal zul. Lademenge und des Abgleichs der tatsächlich gewählten Lademengen der Projekte wird eine Prognose der zu erwartenden Schwinggeschwindigkeiten erstellt. Im Anschluss werden die prognostizierten Schwinggeschwindigkeiten mit den gemessenen Erschütterungswerten verglichen. Je nach Messort (Freifeld oder Gebäudefundament) wird ein Übertragungsfaktor gemäß DIN 4150-1 [5] berücksichtigt. Im Anschluss wird auf Grundlage der Messwerte die Prognose neu kalibriert. Im letzten Schritt wird geprüft, ob die Richtwerte der DIN 4150-2 und DIN 4150- 3 eingehalten werden [6], [7]. 5.2 Steinbühltunnel Der Steinbühltunnel gehört zum Projektabschnitt „Albaufstieg“ der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm und umfasst zwei eingleisige Röhren. Mit einer Länge von 4.847 m liegt der Tunnel südöstlich des Filstals. Die signifikanten Geologien, die den Steinbühltunnel umgeben, sind das Braunjura sowie Weißjura. Die dominierenden Gesteinsarten sind Kalksteine, eine geschichtete Folge aus mergeligen und kalkigen Gesteinen sowie bereichsweise Dolomite. Es ist mit Verkarstungen zu rechnen. Die Gesteine des Weißjura fallen in die Kategorie der Sedimentgesteine. Entlang der Vortriebsstrecke sind Abschnitte vorhanden, bei denen die Sprengerschütterungen Auswirkungen auf bauliche Anlagen und Menschen in Gebäude haben können. Kritische Immissionsorte (< 400 m) werden in Tabelle 3 dargestellt. Die Immissionsortbezeichnung wird aus dem Sprenggutachten [13] entnommen und mit der „Lehnbrücke“ als einen weiteren Immissionsort ergänzt. Bei jedem Immissionsort wird jeweils die minimale, räumliche Entfernung zum Steinbühltunnel untersucht. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 115 Erschütterungen aus Sprengvortrieben für Profilaufweitungen Tabelle 3: Kritische Immissionspunkte Steinbühltunnel 5.2.1 Erschütterungsprognose für den Vollausbruch Auf Grundlage des Näherungsverfahrens Gl. (5) und (6) und den Anhaltswerten von A 0 = 8 mm/ s bei Baustellensprengungen am Tag bzw. A 0 = 0,3 mm/ s in der Nacht, kann die maximal zulässige Schwinggeschwindigkeit von 6,4 mm/ s für ein Gebäudefundament und 19,2 mm/ s für die Deckenmitte ermittelt werden. Nachts ist am Gebäudefundament eine Schwinggeschwindigkeit von 0,24 mm/ s und in Deckenmitte von 0,72 mm/ s zulässig. Die maximale Lademenge wird ausgehend von den zulässigen Schwinggeschwindigkeiten und dem Immissionsort in nächster Entfernung zu den Sprengungen gewählt. Unter Berücksichtigung einer zusätzlichen Sicherheit von 20 % und einer Entfernung von 85 m (IO 14), kann als maximal zulässige Lademenge je Zündzeitstufe 20,51 kg angenommen werden. In der Nacht wäre in der Entfernung von 85 m eine Lademenge von 0,04 kg genehmigungsfähig, was in diesem Abschnitt zu einem Nachtsprengverbot führt. In den übrigen Abschnitten kann, speziell in der Nacht, je nach Vortriebslage eine unterschiedliche Lademenge angesetzt werden. Im Projekt Steinbühltunnel soll gebirgsschonend gesprengt werden. Daher wird tagsüber eine Lademenge je Zündzeitstufe von max. 12 kg gewählt [13]. Anhand der maximal zul. Schwinggeschwindigkeiten ist abzuleiten, dass Menschen in Wohngebäuden ab einer Entfernung von 70 m nicht von den Sprengerschütterungen belästigt werden. Da vor den definierten 70 m Entfernung nur Immissionsorte vorhanden sind (IO 09 und IO 19), bei denen keine Wohngebäude vorliegen, ist eine Beurteilung gemäß DIN 4150-2 nicht notwendig [6]. 5.2.2 Vergleich der Prognosewerte mit den Messwerten Während des Sprengvortriebs des Steinbühltunnels wurden die Schwinggeschwindigkeiten an zwei Immissionsorten gemessen (IO 09 und IO 10). Beim Immissionsort „Steinbruch“ wurde im Freifeld gemessen, wohingegen das Geophon am Immissionsort „Wiesensteigerstraße 80“ am Gebäudefundament im Keller platziert war. Auf Grundlage der Vektorsummen werden in Abbildung 2 die Messergebnisse den prognostizierten Schwinggeschwindigkeiten gegenübergestellt. Ausgehend von dem maximal aufgenommenen, räumlichen Amplitudenwert (orange) sowie dem Mittelwert der Messergebnisse (grün), kann der Vergleich mit der Prognose im Freifeld bzw. am Gebäudefundament aufgestellt werden. Gemäß DIN 4150-1 [5] ist bei Messungen am Gebäudefundament der Übertragungsfaktor (Freifeld-Fundament) von 2 zu berücksichtigen. Ein prozentualer Fehlerindikator der Spitzenwerte von ± 20 % wird ebenfalls eingeplant. Abbildung 2: Vergleich der Prognose mit Messwerten Der Vergleich der Prognose mit den gemessenen Amplituden zeigt, dass die Mittelwerte näherungsweise prognostiziert werden können. Beim IO 10 ist der gemessene und mit dem Übertragungswert verrechnete Mittelwert mit 0,35 mm/ s nahezu identisch mit dem Prognosewert von 0,37 mm/ s. Beim IO 09 unterschreitet der Messwert von 5,85 mm/ s den Prognosewert von 9,24 mm/ s. Die maximal gemessenen Schwing-geschwindigkeiten sind hingegen höher als die prognostizierten Werte. Der Maximalwert weicht im Freifeld (IO 09) um 4,4 mm/ s und im Fernfeld (IO 10) um 2,0 mm/ s von der Prognose ab. Es gibt einige Erklärungen, warum die maximal gemessenen Schwinggeschwindigkeiten nicht mit einer einhergehenden Prognosebetrachtung abgedeckt werden konnten. Einige Gründe dafür sind: - Ausreißer (Messfehler, Messungenauigkeit); - Witterung (Wind; gefrorener Boden, Beeinflussung der Messung); - Andere Eigenfrequenz des Gebäudes bzw. ankommende Frequenz. Beim Immissionsort 10 ist davon auszugehen, dass es sich bei einer maximalen Schwinggeschwindigkeit von 4,8 mm/ s (ohne Berücksichtigung des Übertragungs-wertes) um einen Ausreißer handelt. Von 158 Messdaten ist die räumliche Schwinggeschwindigkeit von 4,8 mm/ s mit Abstand der größte Wert. Vier gemessene Schwinggeschwindigkeiten liegen zwischen 2,5 und 2,0 mm/ s und alle anderen Messwerte sind mit < 2,0 mm/ s aufgenommen worden. 116 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Erschütterungen aus Sprengvortrieben für Profilaufweitungen 5.2.3 Kalibrierung der Prognose auf Grundlage der Messwerte Auf Grundlage des maximalen Messwertes (IO 09) und des Mittelwertes (IO 10) können die Prognosewerte neu angepasst werden. Dabei werden die Messungen als „Probesprengungen“ angesehen und ein neuer k-Wert kalibriert. Für die Betrachtung des Nahfeldes wird ausgehend vom IO 09 mittels Koch´scher Formel (Gl. (2)) k=177 mm/ s kalibriert. Für das Fernfeld wird auf Grundlage der Gl. (3) nach Lüdeling für Sedimentgesteine k=1102 mm/ s ermittelt. Die neue Prognose kann für die Bewertung der anderen Immissionsorte herangezogen werden, da die Entfernungen der Immissionsorte IO 09 und IO 10 alle anderen Abstände der Immissionsorte IO 06 bis IO 16 abdecken. 5.2.4 Beurteilung der Erschütterungen nach DIN 4150-2 und DIN 4150-3 Damit Belästigungen der Menschen am IO 10 und Beschädigungen der baulichen Anlagen am IO 09 und IO 10 ausgeschlossen werden, werden in Tabelle 4 die gemessenen Schwinggeschwindigkeiten (max v) mit den Anhaltswerten der DIN 4150-2 und DIN 4150- 3 gegenübergestellt. Daraus geht hervor, dass die Anhaltswerte am Tag eingehalten werden. Tabelle 4: Beurteilung nach DIN 4150-2 und 4150-3 5.3 Tunnel Obermaiselstein Im Rahmen der Ausbaumaßnahmen der Kreisstraße OA 9 im Landkreis Oberallgäu, erfolgt eine Aufweitung des Lichtraumprofils des 65 m langen Tunnels Obermaiselstein. Durch eine Verbreiterung des Querschnittes soll der Gegenverkehr ermöglicht werden. Die Querschnittsaufweitung erfolgt mittels gebirgsschonenden und profilgenauen Sprengens sowie einer Unterteilung in Kalotte und Strosse. Die vorhandene Gesteinsart wird in die Kategorie der Sedimentgesteine eingestuft, da vorwiegend Dolomitgesteine mit einer hohen Festigkeit vorliegen [12]. Folgende Einwirkungsorte (Tabelle 5) befinden sich in unmittelbarer Nähe zum Tunnel: Tabelle 5: Kritische Immissionsorte Obermaiselstein 5.3.1 Erschütterungsprognose für die Querschnittsaufweitung In Anlehnung an das Näherungsverfahren der DIN 4150- 2 [6] kann eine maximal zulässige Schwinggeschwindigkeit von 4,8 mm/ s am Fundament und 19,2 mm/ s in der Deckenebene ermittelt werden. Auf dieser Grundlage und der Entfernung des nächst gelegenen Wohngebäudes (IO 03) wird eine maximale Lademenge je Zündzeitstufe von 6,96 kg berechnet. Aufgrund eines Nachtsprengverbotes entfällt die Betrachtung der Erschütterungen in der Nacht. Das Gutachten [11] empfiehlt die Durchführung der Sprengung mit einer Lademenge von 1,67 kg für die Kalotte sowie 2,5 kg für die Strosse. Mit einer Lademenge von 1,67 kg für die Kalotte befinden sich Gebäude ab einer Entfernung von 40 m im Anforderungsbereich der DIN 4150-2. Bei der Erschütterungsprognose infolge des Strossenvortriebs werden ab einer Entfernung von 43 m die Anforderungen der DIN 4150-2 eingehalten. Die 22 m entfernte Brücke (IO 04) wird vom Beurteilungsszenario ausgeschlossen, da hierbei eine Belästigung der Menschen ausgeschlossen wird. 5.3.2 Kalibrierung der Prognose auf Grundlage von Probesprengungen Das Projekt Tunnel Obermaiselstein basiert auf einer durch Probesprengungen ausgewählten Sprengtechnik. Aus diesem Grund fließen im weiteren Verlauf die Ergebnisse der Probesprengungen mit in die Prognoseerstellung ein. Für die Probesprengungen, die in unmittelbarer Nähe zum Tunnel Obermaiselstein durchgeführt wurden, ist eine maximale Lademenge je Zündzeitstufe von 1,20 kg und eine Bohrlochanzahl von 20 Stück festgelegt worden. Des Weiteren wurden elektrische Kurzzeitzünder mit Zeitstufen von 1 bis 20 ausgewählt. Während der Probesprengung sind Erschütterungsmessungen an den Immissionsorten IO 02 und IO 03 an den Gebäudefundamenten aufgenommen worden. Anhand der Messergebnisse kann mittels Koch´scher Formel (Gl. (2)) der Parameter k hergeleitet und eine neue Erschütterungsprognose für den Kalotten- und Strossenvortrieb erstellt werden. Für den Immissionsort IO 02 wird k=153 mm/ s und für IO 03 k=126 mm/ s kalibriert. Unter Verwendung des neu kalibrierten Parameters werden beim Kalottenvortrieb ab einer Entfernung der 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 117 Erschütterungen aus Sprengvortrieben für Profilaufweitungen Gebäude von 34 m die Anhaltswerte der Normen eingehalten. Im Falle des Strossenvortriebs werden die Anforderungen ab 42 m erfüllt. 5.3.3 Vergleich der Prognosewerte mit den Messwerten Während der Durchführung des Sprengvortriebs wurden an den Immissionsorten IO 01 bis IO 03 ankommende Erschütterung gemessen. Da die Prognose in Abhängigkeit von der minimalen, räumlichen Entfernung berechnet wird, werden die Vektorsummen den gemessenen Schwinggeschwindigkeiten gegenübergestellt (vgl. Abbildung 3 und Abbildung 4). Es werden jeweils der maximal gemessene Wert in orange sowie der Mittelwert in grün abgebildet. Für den Immissionsort IO 03 liegen darüber hinaus Messungen im Obergeschoss des Gebäudes (hellorange und hellgrün) vor. Aufgrund der vorab durchgeführten Probesprengungen, die mit einer Kalibrierung der Prognose einhergehen, wird der Übertragungsfaktor Freifeld-Fundament mit dem Wert 1 angesetzt. Abbildung 3: Kalottenvortrieb- Vergleich der Prognose mit den Messwerten Abbildung 4: Strossenvortrieb- Vergleich der Prognose mit den Messwerten Der Vergleich zeigt, dass die Messwerte des Kalottenvortriebs näherungsweise durch die Prognose beschrieben werden können. Die Messwerte des Obergeschosses am IO 03 unterschreiten die Prognosewerte, was auf einen geringeren Überhöhungs-faktor (Übertragung Fundament-OG) schließen lässt. Beim Strossenvortrieb weichen die maximal gemessenen Schwinggeschwindigkeiten der Immissionsorte IO 01 und IO 02 mit < 1,5 mm/ s gering von den prognostizierten Werten ab. Die maximal gemessenen Schwinggeschwindigkeiten beim Strossenvortrieb am Immissionsort IO 03 sind um ca. 3,5 mm/ s höher als die Prognosewerte. Alle gemessenen Mittelwerte liegen unterhalb bzw. im Bereich der prognostizierten Schwing-geschwindigkeiten. Aufgrund der eingesetzten Messtechnik wird eine Messtoleranz von ± 20 % um die dargestellten Spitzenwerte angenommen. Unter Berücksichtigung des Sicherheitsfaktors liegt der Immissionsort IO 03 für den Strossenvortrieb ebenfalls im prognostizierten Schwinggeschwindigkeitsbereich. 5.3.4 Beurteilung der Erschütterungen nach DIN 4150-2 und DIN 4150-3 Tabelle 6 beinhaltet die Anhaltswerte gemäß DIN 4150- 3 und 4150-2 sowie die zugehörigen Messwerte für die betrachteten Messorte. Die Beurteilung der Erschütterungseinwirkungen erfolgt nur für den Strossenvortrieb, da hiermit die kleineren gemessenen Schwinggeschwindigkeiten aus dem Kalottenvortrieb abgedeckt werden. Tabelle 6: Beurteilung nach DIN 4150-2 und 4150-3 Die Auswertungen der Tabelle 6 zeigen, dass die Anhaltswerte nach DIN 4150-2 und DIN 4150-3 sicher eingehalten werden. 5.4 Petersbergtunnel Das Projekt „Erneuerung Petersbergtunnel“ dient ebenfalls als Beispiel der Querschnittsaufweitung durch Sprengungen. Der zweigleisig betriebene Tunnel ist 368 m lang und liegt in der Gemeinde Neef im Bereich der Moselmulde. Während der Querschnittsaufweitung bleibt die Bahntrasse mit Hilfe einer Einhausung zeitweise eingleisig in Betrieb. Die Geologie im umliegenden Gebiet zeichnet sich durch eine mächtige Schichtenfolge von Sand-, Schluff- und Tonsteinen aus. Diese zählen zu der Kategorie der Sedimentgesteine [10]. 118 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Erschütterungen aus Sprengvortrieben für Profilaufweitungen In Tabelle 7 werden die Immissionsorte (Messpunkte MP) dargestellt, die gemäß des Immissionstechnischen Berichts untersucht wurden [9]. Tabelle 7: Kritische Immissionsorte Petersbergtunnel 5.4.1 Erschütterungsprognose für die Querschnittsaufweitung Gemäß dem Näherungsverfahren nach DIN 4150-2 (Gl. (6)) und den zugehörigen Anhaltswerten ist eine maximale Schwinggeschwindigkeit von 6,4 mm/ s am Gebäudefundament und 19,2 mm/ s im OG der Deckenmitte zulässig. Die Messpunkte MP 1 bis MP 6 befinden sich im unmittelbaren Bereich des Tunnelportals. Insgesamt werden 60 Trockenmauern dokumentiert, die sich in einem mäßigen bis schlechten Zustand befinden. Laut Gutachten [11] erfordert der Weinberg eine Minimierung der Lademenge auf 300 g je Zündzeitstufe mit einer einhergehenden Hangsicherungsmaßnahme und einer messtechnischen Überwachung. Unter Verwendung der geringen Lademenge, werden Menschen in Gebäuden ab einer Entfernung von 9 m nicht mehr belästigt. 5.4.2 Vergleich der Prognosewerte mit den Messwerten Ausgehend aller zur Verfügung gestellten Messwerte des Tunnels Petersberg [9] werden in Abbildung 5 die Vektorsummen der Maximal- und Mittelwerte der Erschütterungsprognose für 300 g Lademenge gegenübergestellt. Für die Bereiche der Kloster-Stuben-Str. 3 und 7 sind Messwerte für das Obergeschoss vorhanden (hellorange/ hellgrün). Für die Messungen in den Gebäuden (Fernfeld) wurde ein Übertragungsfaktor Freifeld-Gebäudefundament von 2 berücksichtigt. Alle Maximalwerte wurden mit einem Fehlerindikator von 20 % dargestellt. Der Vergleich verdeutlicht, dass die Mittelwerte approximativ durch die Erschütterungsprognose beschrieben werden können. Der Messpunkt MP 1 weicht mit 2,27 mm/ s von dem prognostizierten Wert ab, wohingegen alle anderen Messpunkte eine Abweichung < 0,8 mm/ s aufweisen. Vor allem für den Fernbereich können die Mittelwerte in sehr guter Näherung durch die Prognose beschrieben werden. Abbildung 5: Vergleich Prognose mit den Messwerten Im Nahfeld heben sich die Maximalwerte deutlich von der Prognose ab. Hierbei sind Unterschiede von bis zu 12,88 mm/ s (MP 1) festzustellen. Bei den Messpunkten MP 3, MP 4 und MP 6 ist erkennbar, wie sensibel die Aufnahmen in Bezug auf den Messort sind. Die Messgeräte wurden an unterschiedlichen Stellen im Weinberg stationiert. Somit wurden bei einer Betonfläche und Steintreppe die ankommenden Schwinggeschwindigkeiten anders gedämpft als bei freiliegendem Feld oder einer Stützmauer. Die Mittelwerte der drei Messpunkte liegen im Bereich von 1,19 mm/ s und 2,49 mm/ s. Im Vergleich dazu liegen die Maximalwerte zwischen 3,36 mm/ s und 10,07 mm/ s. Im Fernfeld unterscheiden sich die Prognosewerte im Vergleich zu den Spitzenwerten mit einer Abweichung < 0,38 mm/ s, was einer sehr guten Näherung entspricht. Lediglich beim Messpunkt der Kloster-Stuben-Str.3 sind höhere Abweichungen von bis zu 2,09 mm/ s zu erkennen. Es ist anzunehmen, dass die ankommenden Frequenzen durch Menschen im Haus beeinflusst wurden (Kinderzimmer). Zur Bestätigung dieser Theorie müssten die gemessenen Frequenzen untersucht werden. 5.4.3 Kalibrierung der Prognose auf Grundlage der Messwerte Da sich die Maximalwerte, vor allem im Nahfeld, deutlich von der Prognose unterscheiden und zu vermuten ist, dass die hohen Schwinggeschwindigkeiten mit hohen Frequenzen einhergehen, ist eine Kalibrierung der Prognose anhand der Mittelwerte zu empfehlen. Für das Nahfeld wird der höchste Mittelwert MP 1 mit einer Schwinggeschwindigkeit von 3,643 mm/ s als Ausgangswert für die Kalibrierung gewählt. Für die Gleichung (Gl. (3)) nach Lüdeling im Fernfeld dient der maximale Messwert der Petersbergkapelle als Abgleich. Somit wird der kalibrierte k- Wert im Nahfeld auf 266 mm/ s und im Fernfeld auf 1257 mm/ s erhöht. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 119 Erschütterungen aus Sprengvortrieben für Profilaufweitungen 5.4.4 Beurteilung der Erschütterungen nach DIN 4150-2 und DIN 4150-3 Da derzeit keine Frequenzen vorliegen, erfolgt die Beurteilung nach DIN 4150-2 und DIN 4150-3 für den schlechtesten Fall. D.h., dass die größten gemessenen Schwinggeschwindigkeiten mit den Anhaltswerten der kleinsten Frequenzen verglichen werden (vgl. Tabelle 8). Tabelle 8: Beurteilung nach DIN 4150-2 und 4150-3 Die Gegenüberstellung der Schwinggeschwindigkeiten zeigt, dass die Anhaltswerte der DIN-Normen deutlich eingehalten werden. Somit kann ausgeschlossen werden, dass Gebäudeschäden auftreten und Menschen in Gebäuden belästigt werden. 6. Fazit Im vorliegenden Beitrag sind Prognosen der Schwinggeschwindigkeiten infolge Sprengungen zur Herstellung von Neubautunneln sowie Aufweitung bestehender Tunnel erstellt und mit Messwerten verglichen worden. Aus den Untersuchungen lässt sich schlussfolgern, dass Erschütterungsprognosen realitätsnahe Näherungen der Mittelwerte der zu erwartenden Erschütterungen geben. Werden im Vorfeld einer Maßnahme Probesprengungen durchgeführt, anhand derer der Parameter k frequenzabhängig kalibriert wird, kann die Qualität der Prognose deutlich verbessert werden. Liegen keine Probesprengungen oder Messwerte vor, wird immer vom worst-case-Szenario ausgegangen. Für die Prognose werden somit ankommende Frequenzen < 10 Hz angenommen. Die Messwerte der untersuchten Projekte konnten jedoch zeigen, dass Frequenzen > 10 Hz dominieren. Gegebenheiten, wie ein Wechsel der Geologie und Witterungsbedingungen, können den Wert der Ausbreitungsfrequenz beeinflussen, was wiederum den Wert der Schwinggeschwindigkeit verändert. Ferner wurde anhand der Messwerte des Petersbergtunnels belegt, dass Messorte mit gleichen Entfernungen unterschiedliche Dämpfungen erfahren können. Hierbei zeigen sich die unterschiedlichen Übertragungsverluste des Bodens. Die maximal gemessenen Schwinggeschwindigkeiten konnten durch die Prognosen nur mit größeren Abweichungen beschrieben werden. Hierbei erscheint es förderlich, im Einzelfall zu überprüfen, ob hohe Frequenzen, ein Messfehler oder Beeinflussungen von außen vorliegen. Obwohl die Mittelwerte gut prognostiziert werden konnten, sollten Erschütterungsprognosen nicht als alleinige Bewertung der zu erwartenden Schwinggeschwindigkeiten dienen. Besonders, wenn in der näheren Umgebung der Sprengungen (< 400 m) Gebäude vorhanden sind, sind vorherige Beurteilungen der Umgebungssituation und ggf. Erschütterungsmessungen sinnvoll. Generell wird bei einer Vorprognose empfohlen eine Sicherheit von ± 20% einzukalkulieren, um die Schwankungsbreite der Erschütterungen abzudecken. Eine Prognose stellt im Vorfeld eine sinnvolle Näherung für die zu erwartenden Erschütterungen dar. Es kann z.B. ein Urteil darüber gefällt werden, welche maximale Lademenge je Zündzeitstufe anzusetzen ist, damit die Anhaltswerte der DIN 4150-2 und DIN 4150-3 eingehalten werden. Steht die Lademenge fest, können die zu erwartenden Schwinggeschwindigkeiten in Abhängigkeit von der Entfernung prognostiziert werden. Ferner können mittels Erschütterungsprognose die kritischen Immissionsorte bestimmt und Vorkehrungen getroffen werden. Vorteile der empirischen Modelle sind ein geringer Rechenaufwand, die Flexibilität der Rechenschritte durch Variierung der Parameter, sowie der wirtschaftliche Faktor. Damit die empirischen Modelle in Zukunft noch präziser und realitätsnaher angewendet werden können, ist die Untersuchung und Dokumentation von weiteren Projekten essentiell. Auf dieser Grundlage können Prognosemodelle und Klassifizierungen zukünftig weiterentwickelt werden. Quellen [1] Achmus, M. (2005). Schadensrisikobeurteilung für Erschütterungseinwirkungen aus Tiefbauarbeiten. Hannover. [2] Achmus, M., Kaiser, J., & Wörden, F. (2005). Bauwerkserschütterungen durch Tiefbauarbeiten. Hannover: Institut für Grundbau, Bodenmechanik und Energiewasserbau Heft 61. [3] Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. (2013). Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (BImSchG). Berlin: juris GmbH. [4] Dienst, S. (2001). Berichte aus Forschung und Planung. Nobel Hefte, 21 ff. [5] DIN 4150-1. (06 2001). Erschütterungen im Bauwesen- Teil 1: Vorermittlung von Schwingungsgrößen. Berlin: DIN [6] DIN 4150-2. (1999). Erschütterungen im Bauwesen: Einwirkungen auf Menschen in Gebäuden. Berlin: DIN 120 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Erschütterungen aus Sprengvortrieben für Profilaufweitungen [7] DIN 4150-3. (2016). Erschütterungen im Bauwewesen- Einwirkungen auf bauliche Anlagen. Berlin: DIN [8] Empfehlungen des Arbeitskreises 9 „Baugrunddynamik“ der Deutschen Gesellschaft für Erd- und Grundbau e.V. (1992). Bautechnik 69. Ernst & Sohn, Heft 9. [9] Köck, B. ifb eigenschenk (2019). Immissionstechnischer Bericht Erneuerung Tunnel Petersberg. Deggendorf: ifb eigenschenk. [10] Savidis, S., & Vrettos, C. (2012). Baugrunddynamik. In C. J. Konrad Zilch, Handbuch für Bauingenieure (S. 1547-1567). Heidelberg: Springer. [11] Schlebusch, M. (2015). Geotechnisches Gutachten- Erneuerung des Petersberg Tunnels: Sicherungsmaßnahmen an Weinbergsmauern am Voreinschnitt Süd. Limburg: Gesellschaft für Baugeologie und -meßtechnik mbH. [12] Schmücker, G. (16.08.2017). Spreng- und immissionstechnisches Abschlussgutachten BA VIII. Obermaiselstein: Engineering S. Schmücker. [13] Schmücker, G. (2014). Spreng- und immissionstechnisches Gutachten Steinbühltunnel. Bergheim: Engineering S. Schmücker. [14] Schmücker, G. (26. 08 2016). Allgemeines zu Sprengerschütterungen. Köln: Engineering Service Schmücker. [15] Speakman, C., & Lyons, S. (2009). Tunnelling induced ground-borne noise modelling. Australia: Proceedings of Acoustics 2009. [16] Steinhauser, P. (2002). Zur Vorhersage und Reduktion von Erschütterungsemissionen beim Tunnelbau und -betrieb. Felsbau 20 (2002) Nr. 5, 121-132. [17] Vibrations and ground-borne noise. (2007). In WBI. Aachen: WBI-Print 6.