eJournals Kolloquium Bauen in Boden und Fels 12/1

Kolloquium Bauen in Boden und Fels
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expert verlag Tübingen
0101
2020
121

Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln

0101
2020
Gianpiero Balbi
Jean-Marc Waeber
Um gleichzeitig die Verfügbarkeit und die Gebrauchstauglichkeit eines Autobahnnetzes sicherzustellen, sind beim Ausbau und bei der Instandsetzung von Straßentunneln innovative und anspruchsvolle ingenieurtechnische Lösungen erforderlich. Anhand von Erfahrungen aus der Projektierung und Baupraxis stellt das Bundesamt für Straßen ASTRA zwei innovative Projekte vor: 1. Tunnel-im-Tunnel-Methode: Erweiterung eines zweispurigen Straßentunnels auf drei Fahrspuren unter Verkehr. 2. Sanierung der Innenverkleidung eines Straßentunnels durch partiellen Abtrag der bestehenden Innenschale, Einbau eines Abdichtungssystems und Anbringung einer neuen Innenverkleidung in Nachtarbeit bei Gewährleistung von zwei Fahrspuren tagsüber.
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12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 153 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln Gianpiero Balbi Bundesamt für Straßen ASTRA, 3063 Ittigen, Schweiz Jean-Marc Waeber Bundesamt für Straßen ASTRA, 3063 Ittigen, Schweiz Zusammenfassung Um gleichzeitig die Verfügbarkeit und die Gebrauchstauglichkeit eines Autobahnnetzes sicherzustellen, sind beim Ausbau und bei der Instandsetzung von Straßentunneln innovative und anspruchsvolle ingenieurtechnische Lösungen erforderlich. Anhand von Erfahrungen aus der Projektierung und Baupraxis stellt das Bundesamt für Straßen ASTRA zwei innovative Projekte vor: 1. Tunnel-im-Tunnel-Methode: Erweiterung eines zweispurigen Straßentunnels auf drei Fahrspuren unter Verkehr. 2. Sanierung der Innenverkleidung eines Straßentunnels durch partiellen Abtrag der bestehenden Innenschale, Einbau eines Abdichtungssystems und Anbringung einer neuen Innenverkleidung in Nachtarbeit bei Gewährleistung von zwei Fahrspuren tagsüber. 1. Einleitung Das Bundesamt für Straßen ASTRA ist die Schweizer Fachbehörde für die Straßeninfrastruktur und den individuellen Straßenverkehr. Seit dem Inkrafttreten der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA) im Jahre 2008 ist nunmehr einzig das ASTRA für den Betrieb, den Unterhalt und den Ausbau des Nationalstraßennetzes zuständig. Um die Verfügbarkeit und Gebrauchstauglichkeit des Nationalstraßennetzes zu gewährleisten, prüft das ASTRA regelmäßig den Zustand von Ingenieurbauwerken nach Normen und Standards und plant die nötigen Instandsetzungsmaßnahmen gemäß der «UPlaNS-Philosophie» (UPlaNS = Unterhaltsplanung der Nationalstraßen). Das Streckennetz ist dabei in Unterhaltsabschnitte von 5 bis 15 km Länge eingeteilt. Die Bauetappen in einem Abschnitt sind maximal 5 km lang. Infrastrukturen werden derart instandgehalten, dass während mindestens 15 Jahren keine weiteren baulichen Maßnahmen mehr auf demselben Abschnitt stattfinden müssen. Dadurch können Verkehrsbehinderungen räumlich und zeitlich reduziert werden. Aufgrund der anspruchsvollen und wechselhaften Topografie der Schweiz sind Tunnel von erheblicher Bedeutung. Mindestens ein Viertel der Straßentunnel wurden vor mehr als 40 Jahren gebaut und erfordern daher eine immer konsequentere Wartung. In einigen Fällen ist es notwendig, die Verkleidung teilweise oder sogar vollständig zu sanieren oder anzupassen, wie zum Beispiel bei einer Spurerweiterung. Fallweise ist der festgestellte Zustand derart ungenügend, dass spezifische bauliche Maßnahmen allein nicht mehr ausreichen, um eine langfristige Verbesserung der Qualität der Straßeninfrastruktur wirtschaftlich sicherzustellen. Solche Zustandsverschlechterungen sind in der Regel auf eine ungenügende Abdichtung zurückzuführen, wobei Wasser in den Verkehrsraum eindringt. Es ist von grundlegender Bedeutung, bei Instandsetzungsarbeiten im Straßennetz die volle Kapazität einer Autobahn sicherzustellen und ihren Betrieb dabei weder einzuschränken noch zu unterbrechen. Angesichts des stetig zunehmenden Straßenverkehrsaufkommens (Abbildung 1) und der fortschreitenden Verschlechterung des Zustands der Infrastrukturen, insbesondere der Tunnel, wird diese Aufgabe jedoch immer schwieriger und anspruchsvoller. Dank innovativer Technologien und des Einsatzes entsprechender Techniken können Unannehmlichkeiten für die Straßenbenützer minimiert und ein reibungsloser Verkehrsfluss gewährleistet werden. In den Jahren 2004-2005 wurde am Genfersee zwischen Montreux und Villeneuve, einem der verkehrsreichsten Autobahnabschnitte der Schweiz, jeweils eine der beiden Röhren des Glion-Tunnels vollständig für den Verkehr gesperrt. Die Verkehrsführung im Gegenverkehr in der offenen Röhre führte in der Folge auf dem Abschnitt während mehrerer Monate zu gravierenden Staus mit Wartezeiten von bis zu 90 Minuten. 154 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln Abbildung 1: Entwicklung des durchschnittlichen Tagesverkehrs auf den Nationalstraßen Die negativen Folgeszenarien aus der Sanierung des Glion-Tunnels werden sich in der Schweiz nicht mehr wiederholen. Die neue Interventionsphilosophie des ASTRA sieht vor, den Großteil der Arbeiten nachts auszuführen, damit der wesentlich dichtere Tagesverkehr nicht beeinträchtigt wird. Bei einer bevorstehenden Tunnelerweiterung könnte man sogar erwägen, die Arbeiten bei laufendem Verkehr durchzuführen, was die Bauzeiten erheblich verkürzen würde. Interventionsarbeiten, die ausschließlich nachts ohne Verkehr oder tagsüber bei laufendem Verkehr durchgeführt werden, bedingen zwar einerseits viele anspruchsvolle und kostspielige organisatorische und logistische Überlegungen. Doch andererseits rechtfertigen sich diese Mehrkosten durchaus, da sich die durch Staus verursachten Unannehmlichkeiten für die Verkehrsteilnehmer und die damit verbundenen hohen volkswirtschaftlichen Kosten reduzieren lassen. Angesichts dieses Sachverhalts will das ASTRA neue Lösungen zur Sanierung von Straßentunneln unter Betrieb fördern. Im Folgenden werden wir sehen, an welchen Innovationen in der Schweiz gearbeitet wird. 2. Tunnel-im-Tunnel-Methode 2.1 Einleitung Der 1974 am nördlichen Ufer des Genfersees auf der N9 eröffnete Autobahnabschnitt Vennes-Chexbres (Abbildung 2) ist einer der ältesten der Schweiz. Seit seiner Erstellung wurden keine größeren Arbeiten mehr vorgenommen, und die meisten Bauteile entsprechen den Normen und Standards der damaligen Zeit. Seit 2008 wurden mehrere Studien und Untersuchungen durchgeführt, die aufzeigen, dass sich einige Bauwerke in schlechtem Zustand befinden. Zur Bekämpfung der chronischen Verkehrsüberlastung ist nun zwischen Vennes und dem Halbanschluss Belmont der Bau eines durchgehenden Pannenstreifens vorgesehen. Dieser kann bei Bedarf zur Verbesserung des Verkehrsflusses als dritte Fahrspur freigegeben werden. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 155 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln Abbildung 2: N9 zwischen Vennes und Belmont Zu diesem Zweck hat das ASTRA ein Erhaltungsprojekt für den gesamten Autobahnabschnitt zwischen Vennes und Chexbres in die Wege geleitet, einschließlich der Erweiterung der beiden Röhren des Belmont-Tunnels. Dieses Projekt sieht während der Schließung der einen Tunnelröhre in der parallelen Röhre eine 4+0-Verkehrsführung vor, d.h. die Erweiterung auf insgesamt vier Fahrspuren (zwei pro Fahrtrichtung). Es galt aus den negativen Erfahrungen aus der Sanierung des Glion-Tunnels Lehren zu ziehen. Um eine Verkehrsüberlastung auf dem lokalen Straßennetz während der Sanierungsarbeiten zu vermeiden, wurde eine Methodik gewählt, mit welcher immer zwei Fahrspuren pro Fahrtrichtung bestehen bleiben. Dies geschieht mittels einer Art Tunnel, der im bestehenden Tunnel erstellt wird. Dadurch wird eine klare Trennung zwischen der Baustelle und dem Verkehrsraum ermöglicht. Nach umfassendem Variantenstudium wurde entschieden, keine dritte Tunnelröhre zu erstellen, sondern die derzeitige Straßenachse zu erhalten und die beiden bestehenden Röhren zu erweitern. Dieses Vorgehen mag zwar unkonventionell sein und gewagt erscheinen, erweist sich aber bei näherer Betrachtung sowohl aus wirtschaftlicher wie auch aus logistischer und technischer Sicht als beste Lösung. Die Besonderheit dieses Projekts besteht darin, dass die Erweiterung der beiden Tunnelröhren bei laufendem Verkehr rund um die Uhr durchgeführt wird. Ausgenommen sind sporadische Unterbrüche in der Nacht zugunsten der Bauausführung. Um die Sicherheit in jeder Arbeitsphase zu gewährleisten, ist es notwendig, den Baustellenbereich vom Verkehrsbereich zu trennen. Die für den Belmont-Tunnel gewählte Vorgehensweise wurde in der Schweiz noch nie angewendet. Es finden sich jedoch etliche Beispiele für ähnliche Methoden, wie etwa die Erweiterung von Eisenbahntunneln in Deutschland und - mit dem Nazzano- und dem Montedomini-Tunnel - zwei erwähnenswerte Beispiele aus Italien. In den folgenden Abschnitten werden zunächst einige bereits realisierte Projekte vorgestellt und anschließend wird das Projekt zur Erweiterung des Belmont-Tunnels im Detail analysiert. 2.2 Erweiterung von Eisenbahntunneln In Europa sind viele zweigleisige Eisenbahntunnel in Betrieb, die nicht mehr den Anforderungen eines modernen Eisenbahnbetriebs (z.B. Querschnittsgröße) und den höheren Sicherheits- und Komfortstandards entsprechen. Die Sanierung der Tunnel ist oftmals dringend, doch der laufende Schienenverkehr sollte dabei nicht beeinträchtigt werden. In Deutschland und in anderen europäischen Ländern wurde eine Methode entwickelt, bei der die Arbeiten (Abbruch des bestehenden Rings, Ausbruch für die Erweiterung und Bau eines neuen permanenten Innenrings) unter dem Schutz einer mobilen Stahlkonstruktion durchgeführt werden. Es handelt sich dabei um eine Art Schutzschild, in welchem der Schienenverkehr weiterhin auf einem einzigen Gleis verläuft (Abbildungen 3 und 4). Diese Methode wurde bereits in einigen Erweiterungsprojekten erfolgreich eingesetzt, und es sind interessante Entwicklungen wie etwa die gleichzeitige Sicherstellung des Schienenverkehrs auch bei elektrifizierten Strecken zu erwarten. Der mobile Schutzschild verhindert nämlich eine direkte Verbindung zwischen der Lokomotive und den elektrischen Leitungen. 156 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln Abbildung 3: Tunnel Langenau und Hollrich (Quelle: Deutsche Bahn AG / Baresel Tunnelbau GmbH) Abbildung 4: Tunnelerweiterungsmaschine GTA TEM 8400 (Quelle: GTA Maschinensysteme GmbH) 2.3 Nazzano und Montedomini (Italien) In Italien wurde für die Erweiterung der Fahrbahnen der Autobahnen A1 und A14 erstmals nicht die teure Trassenvariante eingesetzt, bei der zu den bestehenden Tunnelröhren eine zusätzliche, neue Röhre erstellt wird. Vielmehr kam eine Methode zum Einsatz, mit der die bestehenden Tunnelabschnitte ohne Verkehrsunterbrechung erweitert werden konnten: Beim Nazzano-Tunnel auf der A1 geschah dies zwischen 2004 und 2007 und beim Montedomini-Tunnel auf der A14 zwischen 2013 und 2015. Bei diesen Projekten wurde die Erweiterung mit einer Verkleidung aus vorgefertigten Tübbingen durchgeführt, die wie ein «aktives Gewölbe» funktionieren. Diese Segmente tragen die Gebirgskräfte ab und leiten sie über die Widerlager weiter in den Untergrund. Dazu werden die Segmente untereinander verbunden und über spezielle Aussparungen im Schlusstübbing leicht vorgespannt (Abbildung 5). Die Erweiterung wurde in folgenden Schritten realisiert: Zunächst wurde ein mechanisches Pre-Cutting um den zukünftigen Ausbruch herum durchgeführt. Anschließend wurde die alte Verkleidung abgerissen, dann erfolgte der Ausbruch und schließlich wurde das Profil des Erweiterungsbaus sowie die Verkleidung aus vorgefertigten Tübbingen erstellt. Zum Schluss wurde das Sohlgewölbe ausgeführt. Abbildung 5: Vergleich zwischen den Bauabschnitten Nazzano und Montedomini (Quelle: Rocksoil S.p.A.) Die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer wurde durch einen speziellen Schutztunnel, einen sogenannten «Schutzschild für den Verkehr» gewährleistet, der die Arbeitsbereiche von den für den Verkehr vorgesehenen Bereichen des Tunnels trennte. Somit konnten alle Arbeiten auch bei laufendem Verkehr durchgeführt werden. Beim Nazzano-Tunnel wurde dieser Schutz durch eine mobile Stahlhülle gewährleistet, die mit dem Voranschreiten der Ausbruchsarbeiten bewegt wurde (Abbildung 6). Abbildung 6: Nazzano-Tunnel: Schutztunnel für laufenden Verkehr (Quelle: Rocksoil S.p.A.) Im Montedomini-Tunnel hingegen erfolgte die Trennung der Baustelle vom Verkehr durch einen festen Schild aus Stahlbetonfertigteilen, der den Schutz auf einer Länge von 400 m, d.h. über den Bereich der Tunneleinfahrt hinaus, gewährleistete (Abbildungen 7 und 8). Diese 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 157 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln Maßnahme verbesserte die Baustellenlogistik maßgeblich, vor allem aber führte sie zu einer höheren Sicherheit während aller Arbeitsphasen, da die Baustelle über die gesamte Länge des Tunnels vollständig vom Verkehr getrennt war und nicht nur auf einer begrenzten Strecke wie beim Nazzano-Tunnel. Abbildung 7: Montedomini-Tunnel, Schutztunnel für laufenden Verkehr (Quelle: Rocksoil S.p.A.) Abbildung 8: Montedomini-Tunnel, Schutztunnel für den Verkehr sowie mechanische Vorschneide- und Montagemaschinen für die vorgefertigten Tübbinge der Verkleidung (Quelle: Rocksoil S.p.A.) 2.4 Belmont-Tunnel (Schweiz) Auf der Autobahn N9 zwischen Vennes und Chexbres haben die beiden Röhren des Belmont-Tunnels eine Länge von ca. 400 m und verfügen über je zwei Fahrspuren in Fahrtrichtung (Abbildungen 9 und 10, Phase 1). Die Überdeckung der Tunnel ist relativ gering. Das Normalprofil der bestehenden Tunnel umfasst ein vor Ort gegossenes halbkreisförmiges Betongewölbe mit einem Radius von 4,85 m, eine 7,75 m breite Fahrbahn und zwei Bankette. Der Portalbereich ist von einer relativ dicken Moränenschicht bedeckt, unter der sich subalpine tertiäre Molasseformationen mit dünnen Kohlebänken befinden, die einst bergmännisch abgebaut wurden. Das Vorhandensein dieses Stollensystems ist ein wichtiger Punkt des Erweiterungsprojekts, insbesondere im Hinblick auf die Ausbruchsarbeiten. Abbildung 9: Aktueller Zustand der Portale des Belmont-Tunnels vor dem Erweiterungsprojekt Das Projekt umfasst eine Erweiterung des Querschnitts zugunsten einer Fahrbahn von letztlich 12,10 m Breite mit zwei Fahrspuren und einem Pannenstreifen, der bei hohem Verkehrsaufkommen und für Notfallsituationen umgenutzt werden kann. Eine solche Breite ermöglicht in jeder Röhre die Aufrechterhaltung von je zwei Fahrspuren in beiden Fahrtrichtungen - dies für den Fall, dass eine Röhre wegen Wartungsarbeiten oder wegen eines Unfalls geschlossen werden muss. Die Arbeiten beginnen bei laufendem Verkehr mit der Erweiterung des Gewölbes in einer der beiden Röhren (Abbildung 10, Phase 2). Die Sicherheit während der Erweiterungsarbeiten wird durch eine ähnliche Schutzkonstruktion wie beim Montedomini-Tunnel gewährleistet. Nach der Erweiterung der ersten Röhre und wenn die temporäre Fahrbahn mit einer Breite von 12,10 m erstellt ist, wird der Verkehr in die erweiterte Röhre mit insgesamt vier Fahrspuren, je zwei pro Fahrtrichtung, verlagert (Abbildung 10, Phase 3). Alle Erweiterungsarbeiten der zweiten Röhre können somit vollständig ohne Verkehr durchgeführt werden (Abbildung 10, Phase 4). In dieser Phase gewährt die größere Fahrbahnbreite und die gleichzeitige Geschwindigkeitsreduktion optimale Sicherheit für die Fahrbahn mit Gegenverkehr. Sind die Arbeiten an der zweiten Röhre beendet, wird der Verkehr in beide Fahrtrichtungen (Baustellenverkehrsführung 4+0) in diese Röhre verlagert, um die Arbeiten an der ersten Röhre abzuschließen, diesmal ohne Verkehr (Abbildung 10, Phase 5). 158 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln Abbildung 10: Belmont-Tunnel, Arbeitsphasen des Erweiterungsprojekts 2.4.1 Ausbruch und Abstützung der Tunnel Das Erweiterungsprojekt des Belmont-Tunnels unterscheidet sich von den Erweiterungen des Nazzano-Tunnels und des Montedomini-Tunnels vor allem bezüglich der definitiven Verkleidung. Während für die beiden Projekte in Italien eine Verkleidung mit «aktivem Gewölbe» gewählt wurde, die den Einsatz von temporären Verkleidungen reduziert, sind für den Belmont-Tunnel eher traditionelle und weniger mechanisierte Arbeitsverfahren geplant. Eine temporäre Verkleidung gewährleistet die Stabilität des Tunnelausbruchs und ermöglicht das Erstellen der definitiven Verkleidung, die erst nach dem Einbau der geplanten Entwässerungs- und Abdichtungsschicht erfolgt. Außerdem wird die Verkleidung eher traditionell sein und wird im Gegensatz zu Nazzano und Montedomini mittels einer Tunnelschalung ohne vorgefertigte Tübbinge angebracht. Die ungünstigen geologischen und geotechnischen Eigenschaften sowie die Tatsache, dass unter Wohngebieten gearbeitet wird, erfordern den Einsatz subhorizontaler Rohrschirme aus Metallrohren von ca. 15 bis 20 m Länge. Da die vorhandene Verkleidung nicht bewehrt ist, ist ihr Rückbau weniger aufwendig und kann auf verschiedene Weise durchgeführt werden. So können die vorgesehenen Maschinen auf beiden Seiten der Schutzstruktur oder sogar darauf positioniert werden, wenn im Mittelteil des Gewölbes gearbeitet wird. Die Ausbruchsverfahren und der Mechanisierungsgrad werden in der Endphase des Projekts festgelegt. 2.4.2 Schutztunnel für laufenden Verkehr Der Schutztunnel trennt den Straßenverkehr Tag und Nacht vollständig von der Baustelle. Er wird in die bestehende Röhre sozusagen als Tunnel im Tunnel «eingebaut». Diese Konstruktion besteht aus vorgefertigten Stahlbetonelementen, die hintereinander angeordnet sind und eine Größe aufweisen, welche den Unterhalt von zwei Fahrspuren mit reduzierter Breite (2 x 3,50 m) über die gesamte Länge des Tunnels innerhalb dieser Konstruktion gewährleistet (Abbildung 11). Abbildung 11: Abmessungen des Schutztunnels Die Abmessung des Tunnels muss den Einbau aller für seinen Betrieb erforderlichen Einrichtungen berücksichtigen, einschließlich Beleuchtung, Brandmeldung, Funk- und Videoüberwachung. Die Fundamente sind so konzipiert, dass sie den kontrollierten Durchfluss von allfälligem Drainagewasser ermöglichen und das Risiko von ausfließendem Wasser auf der Fahrbahn minimieren. Die Anordnung dieser Elemente ermöglicht es, auf jeder 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 159 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln Seite der Fahrspur Bordsteine und Randstreifen zur Verkehrslenkung zu integrieren. Gegenüber der Lösung mit dem mobilen Schutztunnel begrenzter Länge bietet der über die gesamte Länge des Tunnels installierte feste Schutztunnel folgende Vorteile: - Optimierung der Baustellenlogistik - Optimierung der Belüftung des Baustellenbereichs und des Fahrraums (unabhängige Belüftung der Bereiche) - reduzierte Wahrnehmung der Arbeit (Störung, Ablenkung) durch die Verkehrsteilnehmer 2.4.3 Architektonische Gestaltung der Portale Das Erweiterungsprojekt des Belmont-Tunnels sieht eine Verdoppelung des Querschnitts der Verkehrsfläche vor. Dies wirkt sich auch auf die umgebende Landschaft aus, die sich seit ihrem Bau 1974 erheblich verändert hat, insbesondere was den Siedlungsbau betrifft. Da sich die Portale in der Nähe eines UNESCO-Weltkulturerbes befinden, nämlich der terrassierten Weinberge des Lavaux am Genfersee, ist ihre Integration in dies Landschaft von grundlegender Bedeutung. Im Rahmen der Architektur- und Landschaftsstudie der Portale des Belmont-Tunnels (Abbildung 12) wurden somit drei Ziele festgelegt: - Integration von Architektur, Landschaft und Umwelt - Einhaltung von Normen und Richtlinien für den Lärm- und Brandschutz - Nachhaltigkeit in Bezug auf Bau- und Unterhaltskosten Abbildung 12: Architektonische Gestaltung der Portale (Quelle: Nunatak Architectes Sàrl) 2.4.4 Arbeitsprogramm Derzeit wird geschätzt, dass sich die Erweiterung des Belmont-Tunnels über einen Zeitraum von etwa sechs Jahren erstrecken wird. Dies liegt jedoch weniger an der Erweiterungsmethode, sondern eher daran, dass die Kapazität des gesamten Autobahnabschnitts zwischen Vennes und Belmont ausgebaut werden soll. Der Termin für den Beginn der Arbeiten ist aufgrund zahlreicher Einsprachen gegen das öffentlich aufgelegte Projekt noch nicht absehbar. Anpassungen in der nächsten Projektierungsphase sind nicht auszuschließen. 3. Sanierung der Innenverkleidung eines Straßentunnels 3.1 Einleitung Viele Autobahntunnel in der Schweiz, aber auch im übrigen Europa, müssten umfassend saniert werden. Sie haben ein kritisches Alter erreicht, weshalb zwangsläufig mit Schwächen in der Unterkonstruktion und Mängeln in der Abdichtung gerechnet werden muss. Mangelnde Stabilität eines Tunnels ist indessen selten der Hauptgrund für einen Eingriff in die Verkleidung. Meistens sind es die nicht mehr den geltenden Normen entsprechenden Innenmaße, die eine Sanierung nötig machen, oder Wassereintritte in den Verkehrsraum, die den Tunnelbetrieb stören (Abbildung 13). Solche Wassereintritte können darauf zurückgeführt werden, dass entweder seinerzeit keine Abdichtung vorgesehen war, oder aber darauf, dass diese Abdichtung mit der Zeit spröd und undicht geworden ist. Abbildung 13: Tunnel auf der N16: Gerissenes Gewölbe mit Wassereintritte in den Verkehrsraum Auf dem zwischen 1960 und 1970 im Berner Jura erstellen Autobahnabschnitt der N16 zwischen La Heutte und Bözingenfeld (Abbildung 14) befinden sich viele Tunnel in schlechtem Zustand. Das Eindringen von Wasser in den Verkehrsraum ist nur eines der Probleme. Die Bauwerke entsprechen auch nicht mehr den geltenden Normen und Standards des ASTRA. Außerordentliche Wartungsarbeiten großen Umfangs drängen sich auf. Die unbewehrten Betongewölbe dieser Tunnel wurden direkt gegen den Felsen gegossen, ohne dass zuvor ein Abdichtungssystem eingebaut worden wäre. In der Regel wird in solchen Fällen der innere Betonring abgerissen, ein Abdichtungssystem installiert und schließlich eine neue Verkleidung gegossen. Wassereintritte können ernsthafte Verkehrsstörungen verursachen - vor allem dann, wenn sie zur Bildung gefährlicher Eiszapfen im 160 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln Tunnelgewölbe oder zu Eisflächen auf der Fahrbahnoberfläche führen (Abbildung 15). Riss- oder Schleierinjektionen wären hier keine dauerhafte Lösung: Der längerfristige Erfolg dieser Maßnahmen ist nicht nachgewiesen und das Kosten-Nutzen-Verhältnis nicht immer günstig. Rissinjektionen können hingegen eine ausgezeichnete Lösung sein, wenn kurzfristig und kostengünstig Wassereintritte abgedichtet werden müssen. Abbildung 14: N16 zwischen La Heutte und Bözingenfeld Abbildung 15: Tunnel auf der N16: Bildung von Eiszapfen am Gewölbe des Tunnels Gemäß den Allgemeinen Bestimmung der Unterhaltsplanung des ASTRA müssen für die Autobahnabschnitte mit hohem Verkehrsaufkommen in Spitzenzeiten immer zwei Fahrspuren in beide Fahrtrichtungen verfügbar sein. Ein vollständiger Rückbau des Betoninnenrings kann keine Standardlösung sein, denn die verbleibende temporäre Verkleidung kann die Stabilität nicht garantieren, und die Abbrucharbeiten können die Verkehrsteilnehmer gefährden. Auch eine sichere Öffnung des Tunnels tagsüber könnte nicht garantiert werden. So mussten Alternativen gefunden werden, die ein mit einem Neubau vergleichbares Resultat ergeben und gleichzeitig die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer ohne Verkehrsbeeinträchtigung garantieren. Der letztlich berücksichtigte Lösungsansatz bestand darin, die vorhandene Innenschale partiell abzutragen, ein Abdichtungssystem einzubauen und anschließend eine neue Innenverkleidung aus Ortbeton anzubringen. Zum Evaluieren dieser neuen, innovativen Methode, die dereinst auf verkehrsreichen, strategisch wichtigen Autobahnabschnitten zum Einsatz kommen sollte, boten sich auf dem wenig befahrenen Abschnitt der N16, einer Nationalstraße dritter Klasse, optimale Testbedingungen. Obwohl eine permanente Verkehrsumleitung über eine alternative Straße möglich gewesen wäre, wurde beschlossen, die Verkehrsführung unter realen Bedingungen zu simulieren, d.h. den Verkehr durch die Anlage tagsüber aufrechtzuerhalten. Die Verkehrsumleitung erfolgt nur in der Nacht, wenn tatsächlich Tunnelarbeiten ausgeführt werden. Damit kann festgestellt werden, ob die Sanierung eines Tunnels unter diesen bestimmten Verkehrsbedingungen möglich und sinnvoll ist. Die neue Methode muss gleichzeitig folgende Anforderungen erfüllen: - Fräsarbeiten am Bauwerk, ohne dass die Tragsicherheit des Tunnels übermäßig beeinträchtigt wird - Ableitung des Bergwassers, um Überdruck zu vermeiden, der die Tragsicherheit des Tunnels gefährden könnte - Sicherstellen eines Abdichtungssystems - Einbau einer neuen, definitiven Betonverkleidung - Gewährleisten, dass tagsüber beide Fahrspuren geöffnet sind Das ASTRA hat beschlossen, dafür drei Pilotprojekte zu starten. 3.2 Pilotprojekt Nr. 1: Sanierung des Tunnels T3 mit traditionellem Betongewölbe Bei der Sanierung des im Bau befindlichen Tunnels T3 (196 m) kommt ein innovatives Verfahren unter bisher unerprobten Rahmenbedingungen zum Einsatz. Damit wird dieses Projekt zu einer Weltpremiere. Das Gewölbe von Tunnel T3 besteht aus 5 m langen, unbewehrten Betonringen, die direkt - das heißt ohne Abdichtungssystem - an der Außenseite des Innenrings gegen das Gebirge gegossen wurden (Abbildung 16). 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 161 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln Abbildung 16 - Querschnitt durch den Tunnel T3 vor den Sanierungsarbeiten Der Tunnel T3 kreuzt die Portlandkalkfelsen der Twannbach-Formation. Stratigraphische Diskontinuitäten und tektonische Risse führen zu potenziell instabilen Felsformationen, die das Gewölbe des Tunnels belasten könnten (Abbildung 17). Das Volumen des instabilen Gesteins ist Grundlage für die Nachweise der Tragsicherheit der temporären Sicherungsmaßnahmen und für die Dimensionierung der neuen Verkleidung. Abbildung 17: Charakteristischer Querschnitt und Wirkung der Felsformationen auf das Trägergewölbe (Quelle: MFR Géologie - Géotechnique SA) Der Phasenablauf sieht wie folgt aus: - Vorgängiger Einbau einer Systemankerung - Abfräsen des Gewölbes aus unbewehrtem Beton - Verlegung einer Drainageschicht über die gesamte Fläche - Anbringen einer neuen Abdichtung mit zwei Möglichkeiten (je über eine Länge von 100 m): - durch Spritzen eines flüssigen Abdichtungssystems - herkömmliche synthetische Abdichtungsbahnen - Gießen eines neuen Innenrings Fräsarbeiten am Tunnelgewölbe führen zwangsläufig zu einer Schwächung der vorhandenen Verkleidung und damit zu einer Verringerung der Tragsicherheit des Tunnels selbst. Zur allmorgendlichen Verkehrsfreigabe wird die Stabilität des geschwächten Gewölbes jeweils mittels temporärer systematischer Felsnagelungen gewährleistet (Abbildung 18). Diese reduzieren den Druck der Felsformation auf das gefräste Gewölbe. Eine Vernagelung wird vor dem Fräsen über die gesamte Länge des Tunnels durchgeführt (Abbildung 19). Die Eigenschaften der Nägel (Anzahl, Länge und Durchmesser der Stäbe) werden entsprechend dem Durchtrennungsgrad des Kalksteinmassivs angepasst, der bei den geologischen Untersuchungen vor den Fräsarbeiten festgestellt wurde. Angesichts der großen Unsicherheit bezüglich der Trennflächen des Gesteins muss jedoch um den Tunnel herum immer eine minimale systematische Vernagelung ausgeführt werden. Abbildung 18: Querschnitt mit temporären Sicherungsbolzen im Felsmassiv Abbildung 19: Ausführung der Systemankerung vor den Fräsarbeiten Spezialmaschinen sind in der Lage, einen unbewehrten Betonring kontrolliert abzubrechen, und garantieren eine präzise (±5 mm) und sorgfältige Ausführung (Abbildung 20). Außerdem gewährleisten sie eine gleichmäßige Endoberfläche, die das Aufbringen der darauffolgenden Schichten erleichtert. 162 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln Abbildung 20: Fräsarbeiten im Tunnel T3 Fräsen ist eine Methode, die sich bereits in anderen europäischen Ländern etabliert hat, insbesondere in Italien. Im Bereich der Tunneleinfahrten kann diese Technik jedoch oft nicht angewendet werden, da deren Verkleidung meistens aus bewehrtem Beton besteht. In diesem Fall kann der Rückbau mit der Hydrojet-Methode durchgeführt werden. Die Hauptprobleme der bestehenden Struktur von Tunnel T3 sind hauptsächlich auf Wasseraustritte durch zahlreiche Risse in der Verkleidung zurückzuführen. Die Entwässerung dieser Gesteinsschichten ist daher von größter Bedeutung. Zwei Optionen wurden im Projekt berücksichtigt: ein System von radialen Entwässerungsstreifen und eine auf der gesamten Oberfläche des Gewölbes angebrachte allgemeine Drainage. Bei beiden Varianten wäre es möglich, die Wirkung durch zusätzliche radiale Bohrungen im Bereich der Trennfugen zwischen den Blöcken des Gewölbes zu verstärken. Für den Tunnel T3 wurde die zweite Variante, nämlich ein konventionelles Drainage- und Abdichtungssystem (vollflächig) gewählt. Die Abdichtung wird nach dem Verlegen der Drainageschicht aufgetragen. Für den Tunnel T3 wurden zwei verschiedene Technologien getestet: ein gespritztes flüssiges Abdichtungssystem einerseits (Abbildung 21) und, für die andere Hälfte des Tunnels, herkömmliche synthetische Abdichtungsbahnen (Abbildung 22). Zunächst wurde das gespritzte Abdichtungsverfahren wegen seiner Vorteile bezüglich Ausführungsgeschwindigkeit und Logistik bevorzugt. Im weiteren Projektverlauf zeigte sich jedoch, auch weil man sich für die Verlegung eines ganzflächigen Entwässerungssystems entschieden hatte, dass herkömmliche Kunststoffbahnen die größeren Vorteile bieten. Es ist erwiesen, dass das Aufspritzen eines Abdichtungssystems auf eine Drainagebahn qualitativ nicht vergleichbar ist mit dem Auftragen auf eine harte, homogene Oberfläche wie Beton oder Mörtel. Obwohl die Variante der aufgespritzten flüssigen Abdichtung die frühzeitige Verlegung einer Schicht aus aufgespritztem Mörtel oder Beton und damit einen zusätzlichen Arbeitsschritt - und eine um 4 cm größere Dicke - erfordert, wurde im Rahmen des Pilotprojekts für den Tunnel T3 beschlossen, diese Technologie dennoch zu prüfen. Sie wurde bereits weltweit bei einigen Neubauten und bei Sanierungsarbeiten eingesetzt, jedoch noch nie bei Tunneln der schweizerischen Nationalstraßen. Die Vorteile der aufgespritzten flüssigen Abdichtung wären viel deutlicher ausgefallen, wenn man sich für ein System mit radialen Entwässerungsstreifen entschieden hätte. Dieses hätte es nämlich ermöglicht, den größten Teil der Abdichtung direkt auf die gefräste Verkleidung aufzubringen. Allerdings wäre man in diesem Fall mit einem weiteren Problem konfrontiert worden, nämlich damit, dass die gespritzte Flüssigabdichtung auf eine trockene oder nur leicht feuchte Oberfläche hätte aufgebracht werden müssen, was bei der rissigen Verkleidung von Tunnel T3 offensichtlich sehr aufwendig gewesen wäre. Abbildung 21 - Variante mit aufgespritztem flüssigem Abdichtungssystem (Quelle: IUB Engineering AG) Abbildung 22 - Variante mit herkömmlichen synthetischen Abdichtungsbahnen (Quelle: IUB Engineering AG) 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 163 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln Nach dem Aufbringen der Abdichtung wird ein neues, 20 cm dickes, aus selbstverdichtendem Beton erstelltes Gewölbe den Tunnel langfristig abstützen. Das neue Gewölbe wird in einem Arbeitsgang mit einer mobilen Schalung bei verkehrsfreiem Betrieb in der Nacht erstellt (Abbildung 23). Um dem Druck des selbstverdichtenden Betons während des Betonierens entgegenwirken zu können und gleichzeitig die Stabilität des bestehenden Gewölbes nach dem Rückbau des Widerlagers für den Einbau der Entwässerungsleitung zu gewährleisten, ist es notwendig, spezielle Anker am Fuß der Schalung anzubringen. Solche Anker ermöglichen es de facto, die Abmessungen herkömmlicher Tunnelschalungen zu minimieren, die den Durchgang von zwei Fahrspuren tagsüber nicht zulassen würden. Abbildung 23 - Modifizierte Schalung zur Verlegung der Verkleidung aus selbstverdichtendem Beton Im Rahmen des Pilotprojekts für den Tunnel T3 wird auf einem begrenzten Abschnitt eine weitere Lösung getestet, die tagsüber den zweispurigen Verkehr sicherstellen soll, nämlich die Verwendung von ultraschnellem, selbstverdichtendem Beton. Um die horizontalen Schubkräfte während der Betonierphase aufzufangen, sind mobile horizontale Stützen vorgesehen, die jeweils vor der Verkehrsöffnung des Tunnels demontiert werden (Abbildung 24). Zu diesem Zeitpunkt muss der Beton des Innenrings bestimmte mechanische Eigenschaften erreicht haben (innerhalb von ca. 2-3 Stunden) und die horizontalen Schubkräfte müssen bereits über den Innenring abgetragen worden sein. Die Schalung bleibt weiterhin an Ort und wird erst am nächsten Tag abgebaut. Derzeit werden auch noch andere Varianten geprüft. Die Arbeiten am Tunnel T3 haben am 20. März 2019 begonnen und werden voraussichtlich ein Jahr dauern. Die Besonderheiten des Pilotprojekts von Tunnel T3 können wie folgt zusammengefasst werden: - Nachtarbeit und Wiedereröffnung beider Fahrspuren in den frühen Morgenstunden - Einsatz einer Sonderschalung zur Sicherung von zwei Fahrspuren am Tag - Einbau einer aufgespritzten Flüssigabdichtung in einem Straßentunnel - Tunnelgewölbe aus ultraschnellem, selbstverdichtendem Beton Abbildung 24 - Schalungsabstützung beim Verlegen der Verkleidung mit ultraschnell abbindendem selbstverdichtendem Beton 3.3 Pilotprojekt Nr. 2: Sanierung eines Tunnels mit Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) Wie der Tunnel T3 haben auch die Tunnel T5 (123 m) und T7 (114 m) Probleme mit Wasseraustritten. Die Sanierungsstrategie für einen der beiden Tunnel besteht in der Optimierung der oben beschriebenen Grundvariante durch Reduzierung der Dicke der Verkleidung, indem Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) anstelle herkömmlichen Betons eingesetzt wird. Dieses Pilotprojekt hat zum Ziel, bei diesem Tunnel eine größere Restwandstärke nach dem Fräsen zu erhalten als bei der Grundvariante von Tunnel T3. Damit könnten die vorangehenden temporären Unterstützungsmaßnahmen signifikant reduziert oder gar ganz eliminiert werden. Außerdem wären die Arbeitsschritte weniger aufwendig und schneller, da die zu fräsende Dicke deutlich geringer ist. Die Dicke dieser Verkleidung wird auf etwa die Hälfte der Dicke von herkömmlichem Beton geschätzt, d.h. etwa 10 bis 12 cm oder sogar noch weniger, statt der 20 cm beim vorgängig analysierten Tunnel T3. Das Gewölbe aus UHFB wird den Tunnel außerdem weiter stärken, da es an das vorhandene Gewölbe gebunden wird und eine monolithische Endstruktur bildet (Abbildung 25). Dass die geringere Porosität, die höhere Dichte und damit die höhere Undurchlässigkeit von UHFB für aggressive Stoffe und Wasser möglicherweise keine weitere Abdichtung zwischen dem Außenring und der Verkleidung erfordert, ist ein weiterer Vorteil dieses Verfahrens. Dank der hohen Qualität von UHFB würde auch die Notwendigkeit eines Schutzsystems für die Innenfläche wegfallen. Ausgenommen bleibt die weiße Farbschicht aus beleuchtungstechnischen Gründen. Für die Entwässerung des Bergwassers können lokal radiale Streifen aus genoppten Bahnen vorgesehen werden. Da jedoch keine Abdichtung vorhanden ist, sind 164 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln die vertikalen Arbeitsfugen zwischen zwei Betonieretappen kritische Stellen. Aus diesem Grund müssen diese Arbeitsfugen dicht sein. Bisher wurde UHFB weltweit noch nie für den Bau eines Tunnelgewölbes eingesetzt. Dieses außergewöhnliche Verfahren ist umso herausfordernder, wenn man bedenkt, dass das Eingießen des Betons in einem einzigen Arbeitsschritt erfolgt und die zweispurige Verkehrsführung tagsüber beibehalten werden kann. Aufgrund der Risiken, die ein mögliches Misslingen während der Bauphase mit sich bringen könnte, wird derzeit abgeklärt, ob die Machbarkeit im Maßstab 1: 1 in einem Testtunnel ohne Verkehr geprüft werden sollte. Abbildung 25: Detail des Querschnitts der UHFB-Variante 3.4 Pilotprojekt Nr. 3: Sanierung eines Tunnels mit vorgefertigten Tübbingen aus Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) Das dritte und letzte Pilotprojekt auf dem Autobahnabschnitt N16 optimiert die Grundvariante von Tunnel T3 durch den Einsatz von vorgefertigten Tübbingen aus UHFB anstelle einer herkömmlichen Tunnelschalung. Die vorgefertigten Tübbinge mit kreisrundem Querschnitt sind einfach und schnell zu montieren und können als verlorene Schalung wie auch als tragende Fertigelemente bei der Verkleidung von Tunneln eingesetzt werden (Abbildung 26). Die Bauzeiten werden so reduziert und der Platz für eine Betonschalung im Tunnel kann eingespart werden. Die hohe Qualität der vorgefertigten Tübbinge garantiert eine hervorragende Oberfläche und eine lange Lebensdauer. Abbildung 26: Beispiel für die Verlegung von vorgefertigten Tübbingen in einem Tagbautunnel (Quelle: Musilli S.p.A.) Die der Verlegung der vorgefertigten Tübbinge vorausgehenden Arbeitsschritte sind gegenüber der Grundvariante von Tunnel T3 mehrheitlich identisch. Um die Tragsicherheit des gefrästen Gewölbes, das nach wie vor den verschiedenen Gebirgseinflüssen ausgesetzt ist, sicherzustellen, ist eine temporäre systematische Verankerung zur Kompensation der abgetragenen Verkleidung vorgesehen. Diese Maßnahme kann reduziert werden, wenn die Tübbinge, um die Begrenzungslinien nicht zu beeinträchtigen, eine geringere Dicke aufweisen. Sind die vorgefertigten Elemente aufgestellt, können sie auf der Außenseite mit selbstverdichtendem Beton hinterfüllt werden. Die endgültige Dicke der nachfolgenden Verkleidung muss die Langzeitstabilität gewährleisten können. Die Unsicherheiten bezüglich Dichtheit der zahlreichen Vertikal- und Längsfugen sprachen für ein Drainage- und Abdichtungssystem über die gesamte Fräsfläche. Auf die statischen Vorteile einer monolithischen Struktur (Verbund der alten mit der neuen Verkleidung) musste verzichtet werden. Diese wäre nur möglich, wenn keine diskontinuierliche Oberfläche wie eine Noppenfolie oder eine Abdichtungsbahn vorhanden wäre und der Füllbeton somit direkt gegen das bestehende Gewölbe gegossen werden und mit den vorgefertigten Tübbingen auf der Innenseite eine monolithische Struktur gebildet werden könnte. Die Methode mit den vorgefertigten Tübbingen wurde auf internationaler Ebene bereits angewendet, jedoch mit größeren Dicken und bei vollständiger Sperrung des Tunnels (Abbildung 27). Eine weitere Option für künftige Pilotprojekte wird geprüft. Sie besteht darin, verstärkte vorgefertigte Tübbinge als tragende Verkleidung mit einer größeren Dicke (20-30 cm) zu verwenden, vergleichbar mit den Dicken bei Tunneln, die mit Tunnelbohrmaschinen gefräst werden. Diese Methode wird derzeit in Eisenbahntunneln (z.B. von der Rhätischen Bahn als «Normalbauweise Tunnel») eingesetzt, könnte aber grundsätzlich auch bei 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 165 Ingenieurtechnische Herausforderungen bei Ausbau und Instandsetzung von Straßentunneln Straßentunneln angewendet werden (z.B. beim Montedomini-Tunnel). Abbildung 27 : Beispiel eines Tunnels mit vorgefertigten Tübbingen (Quelle: Crezza S.r.l.) 3.5 Arbeitsplan Das Pilotprojekt Nr. 1 läuft zurzeit im Tunnel T3 der Autobahn N16. Alle Arbeiten erfolgen nachts von 20.30 bis 5.00 Uhr an fünf Tagen der Woche. Voraussichtlich werden die Arbeiten im März 2020 nach einer Gesamtdauer von 12 Monaten abgeschlossen sein. Über die Pilotprojekte 2 und 3 soll die Grundvariante von Tunnel T3 optimiert werden. Beide Projekte befinden sich noch in der Entwicklung und können im Laufe der Zeit weiteren Änderungen und Optimierungen unterliegen. Dieser Artikel gibt folglich nur den aktuellen Stand der Planung wieder. 4. Fazit Die für den Belmont-Tunnel gewählte Erweiterungsmethode markiert einen technologischen Wendepunkt im Bereich der Projekte zum Ausbau der Verkehrskapazität. Die angewandte Methodik gewährleistet nämlich den reibungslosen Verkehr rund um die Uhr, während aller Arbeitsphasen und mit optimaler Sicherheit. Baustelle und Verkehrsbereich sind dabei klar voneinander getrennt. Die drei Pilotprojekte auf der N16 treiben ihrerseits die Entwicklung von Methoden zur Instandsetzung von Tunneln voran, deren Resultat mit einem Tunnelneubau vergleichbar ist. Beiden Eingriffstypen gemeinsam ist, dass sie den strengen Anforderungen des ASTRA betreffend Erhaltungsplanung der Nationalstraßen entsprechen, indem sie auch zu den täglichen Spitzenzeiten die Verfügbarkeit von mindestens zwei Fahrspuren gewährleisten. Zwar befinden sich die zahlreichen Tunnel in der Schweiz in einem guten bis akzeptablen Zustand, doch darf nicht vergessen werden, dass der Prozess der strukturellen und funktionalen Verschlechterung stetig voranschreitet. Daher ist es wichtig, alternative und innovative Methoden zu entwickeln, welche die Unannehmlichkeiten für die Verkehrsteilnehmer während der Instandsetzungsarbeiten minimieren. Offene, moderne und technisch kompetente Bauherren ermöglichen es, neue und unkonventionelle Methoden einzusetzen und zu testen. Es gilt zu verhindern, dass Behörden die Entwicklung neuer und alternativer Bauweisen erschweren, nur weil diese in den Regelwerken oder im Gesetz noch nicht verankert sind. Es muss sichergestellt werden, dass die benötigten Freiräume vorhanden sind, um etwas zu wagen - natürlich unter Wahrung der vollen Sicherheit und unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Ressourcen, die nicht unbegrenzt sind. Einerseits sollten die zuständigen Behörden die technologische Entwicklung durch Verfahrenserleichterungen fördern. Andererseits ist es die Aufgabe von Universitäten und Fachhochschulen, zukünftige Ingenieure so auszubilden, dass sie in der Lage sind, neuartige Bauwerke zu konzipieren. Die Ingenieure sollten sich aber auch dafür einsetzen, unser großes Erbe an bestehenden Bauwerken, die immer dringendere und komplexere Eingriffe erfordern, zu erhalten und aufzuwerten. Die zukünftigen jungen Ingenieure bringen frischen Wind und neue Erkenntnisse ein, während die heutige Ingenieursgeneration ihre Erfahrung aus der Praxis beisteuert. Diese Zusammenarbeit wird - davon sind wir überzeugt - auch weiterhin zu hervorragenden Ergebnissen führen. Literaturverzeichnis [1] Belfiore A.; Cangiano M.; Lunardi P.: Il metodo Nazzano tra passato e futuro - Storia e risultati della prima sperimentazione mondiale del sistema di ampliamento delle gallerie in presenza di traffico, 2011 [2] Belfiore A.; Galatà A.; Lunardi G.; Palchetti F.: Dall’ampliamento in sede della galleria “Nazzano” all’ampliamento in sede della galleria “Montedomini”: l’evoluzione della specie, 2014