eJournals Kolloquium Bauen in Boden und Fels 12/1

Kolloquium Bauen in Boden und Fels
kbbf
2510-7755
expert verlag Tübingen
0101
2020
121

Erfahrungen bei Planung und Bau von Hochwasserrückhaltebecken

0101
2020
Barbara Tönnis
Olaf Düser
Am Oberlauf der Wipper, direkt oberhalb der Ortschaft Wippra im Landkreis Mansfeld-Südharz, entsteht das gesteuerte Hochwasserrückhaltebecken Wippra mit einem ökologisch durchgängigen Durchlassbauwerk. Das neue Absperrbauwerk besteht aus einem Damm mit Durchlassbauwerk, in dem die Betriebsauslässe und die Hochwasserentlastung integriert sind. Von der Tractebel Hydroprojekt GmbH wurden die vorliegende Entwurfsplanung in konstruktiven Details optimiert und die Ausführungsplanung sowie die Vergabeunterlagen für vier Lose erstellt. Das Stützkörpermaterial stammt aus einem neu erschlossenen Steinbruch, dessen Genehmigungsverfahren unabhängig vom Verfahren des HRB durchgeführt und später als dieses abgeschlossen wurde. Für den Steinbruch musste eine Felssicherung geplant und durch eine geotechnische Baubegleitung mit Monitoring überwacht werden. Die zeitliche Verfügbarkeit der Einbaumassen, deren Menge und Qualität erforderte von allen am Bau Beteiligten eine hohe Flexibilität hinsichtlich Untersuchung von Planungsvarianten, Durchführung zusätzlicher Untersuchungen und Einbautechnologien.
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12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 175 Erfahrungen bei Planung und Bau von Hochwasserrückhaltebecken Dr.-Ing. Barbara Tönnis Tractebel Hydroprojekt GmbH, Rießnerstraße 18, 99427 Weimar, Deutschland Zusammenfassung Am Oberlauf der Wipper, direkt oberhalb der Ortschaft Wippra im Landkreis Mansfeld-Südharz, entsteht das gesteuerte Hochwasserrückhaltebecken Wippra mit einem ökologisch durchgängigen Durchlassbauwerk. Das neue Absperrbauwerk besteht aus einem Damm mit Durchlassbauwerk, in dem die Betriebsauslässe und die Hochwasserentlastung integriert sind. Von der Tractebel Hydroprojekt GmbH wurden die vorliegende Entwurfsplanung in konstruktiven Details optimiert und die Ausführungsplanung sowie die Vergabeunterlagen für vier Lose erstellt. Das Stützkörpermaterial stammt aus einem neu erschlossenen Steinbruch, dessen Genehmigungsverfahren unabhängig vom Verfahren des HRB durchgeführt und später als dieses abgeschlossen wurde. Für den Steinbruch musste eine Felssicherung geplant und durch eine geotechnische Baubegleitung mit Monitoring überwacht werden. Die zeitliche Verfügbarkeit der Einbaumassen, deren Menge und Qualität erforderte von allen am Bau Beteiligten eine hohe Flexibilität hinsichtlich Untersuchung von Planungsvarianten, Durchführung zusätzlicher Untersuchungen und Einbautechnologien. 1. Einführung Hochwasserrückhaltebecken (HRB) bestehen in der Regel aus einem Absperrbauwerk und einem Komplexbzw. Durchlassbauwerk. Das Komplexbzw. Durchlassbauwerk vereint den Grundablass/ Öko-Durchlass und die Betriebsauslässe mit der Hochwasserentlastungsanlage. Das Komplexbauwerk ist eine massive Stahlbetonkonstruktion. Die Gründung erfolgt in Abhängigkeit von den Bauwerksabmessungen auf einer mehrere Meter dicken Fundamentplatte. Die Außenflächen der Wände werden mit einer Neigung von 10: 1 bis 15: 1 ausgebildet. Zur Sickerwegsverlängerung wird an den Außenflächen der Wände ein vertikaler Betonsporn („Sickerkragen“) vorgesehen. Obwohl Absperrbauwerke von Hochwasserrückhaltebecken oft auf durchlässigem Untergrund errichtet werden, erfolgt kein direkter Anschluss des „Dichtungselementes“ an den undurchlässigen Untergrund. Dies hätte zur Folge, dass die natürliche Grundwasserströmung im Talquerschnitt dauerhaft unterbunden wäre, was aus ökologischen Gesichtspunkten nicht vertretbar ist. Bei mineralischen Dichtungen wird oft ein Sporn zur Sickerwegverlängerung vorgesehen, der bis in eine zu ermittelnde Tiefe unter die Dammaufstandsfläche reicht, die Grundwasserströmung jedoch nicht unterbindet. Die Sickerwegverlängerung kann jedoch auch als Dichtwand oder Spundwand ausgebildet werden. Am Beispiel des HRB Wippra im Harz werden Erfahrungen der Tractebel Hydroprojekt GmbH (THP) aus den Planungsphasen Lph 5-8 und dem Bau vorgestellt. Vorhabenträger ist der Talsperrenbetrieb Sachsen-Anhalt (TSB) mit Sitz in Blankenburg. 2. Konstruktive Details Die Abbildung 1 zeigt den Lageplanausschnitt des HRB Wippra. In Abbildung 2 sind die Dammaufstandsfläche und das Komplexbauwerk im Bauzustand in einem Luftbild dargestellt. An das Baufeld grenzen Waldflächen und verschiedene Schutzgebiete (FFH, SPA, NSG, …). Der Damm mit geneigter Oberflächendichtung hat eine Kronenlänge von ca. 190 m, eine Höhe von ca. 17 m und ist in der Dammaufstandsfläche ca. 120 m breit. Abbildung 1: Lageplanausschnitt 176 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Erfahrungen bei Planung und Bau von Hochwasserrückhaltebecken Die Außenwände wurden vom Entwurfsverfasser mit 40: 1 sehr steil ausgebildet. Im Rahmen der Ausführungsplanung wurde die Neigung der Wände von THP auf 20: 1 geändert. Eine übliche Neigung würde zu großen Wanddicken im Bereich der Fundamentplatte führen, die gemäß der statischen Bemessung des Bauwerks nicht erforderlich sind. Aufgrund der Steilheit der Außenwände musste durch THP der geplante Dichtungsanschluss der mineralischen Dichtung an das Massivbauwerk durch zusätzliche konstruktive Maßnahmen optimiert werden. Deutlich zu erkennen sind in Abbildung 2 die zusätzlich angeordneten vertikalen Betonsporne am HWE-Schacht und eine Spundwand, die anstelle eines Dichtungssporns im Tal als Sickerwegverlängerung im Untergrund eingebaut wurde. Vom Entwurfsverfasser war im Tal und an den Hängen ein Dichtungssporn geplant, für dessen Herstellung im Tal jedoch eine leistungsstarke bauzeitliche Wasserhaltung und zusätzliche Transporte notwendig geworden wären. Daher wurde von THP im Rahmen der Ausführungsplanung eine vertikale Dichtebene im Tal vorgesehen. Abbildung 2: Luftbild der Baustelle im Mai 2017 Weitere zusätzliche Maßnahmen sind das Verziehen der mineralischen Dichtung an das Massivbauwerk und der Einbau von mittelbis ausgeprägt plastischem Ton in diesem Anschlussbereich. Das Massivbauwerk wird somit an beiden Längsseiten, ausgehend von der wasserseitigen Flügelwand bis zum luftseitigen Ende des HWE-Schachtes, auf ganzer Höhe in Breite von mindestens 1 m bis 5 m mit mittelbis ausgeprägt plastischem Ton (D1-Material) umhüllt (s. Abbildung 3 und Abbildung 4). Abbildung 3: Einbau von mittelbis ausgeprägt plastischem Ton (D1-Material) Im Anschluss an den eingebauten mittelbis ausgeprägt plastischen Ton (D1-Material) wird gemäß dem Regelquerschnitt des Dammes die geplante Dichtung aus leichtbis mittelplastischen Ton (D2-Material) eingebaut (s. Abbildung 4 und Abbildung 5). Abbildung 4: Baustelle im September 2017 [TSB] Der Anschluss der mineralischen Dichtung an das Massivbauwerk ist durch die schrägen Wände, die Betonsporne und das Einhüllen des Massivbauwerkes in mittelbis ausgeprägt plastischen Ton (D1-Material) optimiert worden. Dennoch wurde vom Prüfstatiker zusätzlich gefordert, anstelle des üblichen Anfeuchtens der Betonwand unmittelbar vor dem Einbau der Dichtung, einen Voranstrich mit einer Bentonitsuspension auszuführen. Somit entspricht die Dichtungskonstruktion jetzt den Forderungen der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW): „An den Kontaktflächen zwischen Bauwerk und Dammschüttung besteht bei Dammdurchströmung die Gefahr der Fugenerosion bzw. der rückschreitenden Erosion. Solche Erosionsvorgänge müssen durch konstruktive Maßnahmen minimiert werden, z. B. - durch Einbau von aufquellenden Mitteln, - geneigt ausgebildete Außenwände von Bauwerken (Neigung z. B. 20: 1 bzw. 10: 1), damit sich das Schüttmaterial auf den Bauwerkskörper auflegt und so den Anpressdruck erhöht …“ 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 177 Erfahrungen bei Planung und Bau von Hochwasserrückhaltebecken im Anschlussbereich Massivbauwerk außerhalb Anschlussbereich Massivbauwerk Abbildung 5: Regelquerschnitte des Dammes Für den Anschlussbereich der Dicht- oder Spundwand an das Massivbauwerk wurde eine Sonderlösung vorgesehen. Die Dicht- oder Spundwand wird in einem Halbrahmen aus Beton („Betonschuh“) verwahrt und im Zuge der Umhüllung der Außenwände mit dem D1-Dichtungsmaterial abgedeckt (s. Abbildung 2, Abbildung 4 und Abbildung 6). Abbildung 6: Verwahrung der Dicht- oder Spundwand im Anschlussbereich an das Massivbauwerk 3. Dammschüttmaterial Die Ausführungsplanung und die Erstellung der Vergabeunterlagen erfolgten vor Vorlage der Planfeststellungsbescheide. Vom Vorhabenträger wurden mehrere Genehmigungsverfahren für das HRB und für die Seitenentnahmen der Dammschüttmaterialien durchgeführt (s. Abbildung 7). Die Genehmigungsverfahren für die Seitenentnahmen verzögerten sich durch eine Klage, so dass die Baustelle stillstand. Alternativ wurde daher der Fremdbezug der Dammschüttmaterialien untersucht. Mögliche Transportstrecken wurden bautechnisch, naturschutzfachlich und bzgl. der Erstellung von zusätzlichen genehmigungsrelevanten Unterlagen bewertet. Als Kompromiss wurde auf die Seitenentnahme Dichtungsmaterial verzichtet. Für die Seitenentnahme Stützkörpermaterial mussten baubegleitend Nacherkundungen erfolgen, da weder zum Material noch zu den Lagerbedingungen Informationen vorlagen. Abbildung 7: Lage der Seitenentnahmen und des Dammstandortes 178 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Erfahrungen bei Planung und Bau von Hochwasserrückhaltebecken Der Abbau erfolgte gemäß den planfestgestellten Unterlagen aus 2015. Im Juli 2017 ist ein Felsblock (ca. 100 t) oberhalb der 1. Abbauebene abgeglitten. Daraufhin wurden von THP weitere Kartierungen und Standsicherheitsberechnungen durchgeführt. Im Ergebnis waren zur Gewährleistung einer normgerechten Standsicherheit die Böschungen abzuflachen, die Bermen zu verbreitern und in kritischen Bereichen vernagelte Steinschlagschutznetze einzubauen (s. Abbildung 8, Abbildung 9 und Abbildung 10). Die Sicherung erfolgte aushubbegleitend, wobei die maximale Abschlagshöhe 0,5 m unter der jeweiligen Nagelreihe betrug. Weiterhin erfolgte durch die ingenieurgeologische Baubegleitung eine abbaubegleitende Fortschreibung der Kartierung. Abbildung 8: Seitenentnahme Entwurfspl. 2015 Abbildung 9: Seitenentnahme Änderungspl. 2017 Abbildung 10: Seitenentnahme Stand 20.08.2019 Abbildung 11: Felsblock 100 t Stand 07/ 08 2017 In das Dammbauwerk sind ca. 114.000 m³ Gesteinsmassen einzubauen. Im Zuge der Lagerstättenerkundung in 2017 wurde festgestellt, dass die Gesamtmassen im Abbaufeld ca. 116.000 m³ betragen. Davon sind ca. 22.000 m³ als für den Dammbau nicht nutzbare Überlagerungsmassen aus Lockergestein (GU*) abgeschätzt worden. Das Massendefizit wurde durch Liefermassen ausgeglichen. Die für den Dammbau nicht nutzbaren Überlagerungsmassen fielen während abbaubegleitend an. Entsprechende Lagerflächen standen nicht zur Verfügung. Zur Minimierung der zu entsorgenden Überlagerungsmassen wurden Varianten zum Einbau des Materials im Dammquerschnitt untersucht (s. Abbildung 12 und Abbildung 13). 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 179 Erfahrungen bei Planung und Bau von Hochwasserrückhaltebecken Da die nicht nutzbaren Überlagerungsmassen bereits frühzeitig fielen wurde der Einbau im Dammquerschnitt im Bereich der Talsohle südlich des Komplexbauwerkes Hangschuttmaterial umgesetzt (s. Abbildung 13). Weitere Einbauorte liegen im luftseitigen Vorland des Dammes unter den Betriebsweg (s. Abbildung 14). Abbildung 12: Einbau Überlagerungsmassen GU* im Dammquerschnitt rechter Hang Abbildung 13: Einbau Überlagerungsmassen GU* in der Dammaufstandsfläche Abbildung 14: Einbau Überlagerungsmassen GU* in der Dammaufstandsfläche 180 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Erfahrungen bei Planung und Bau von Hochwasserrückhaltebecken Im Vorfeld des Dammbaus wurden vier Probefelder zur Optimierung der Einbautechnologie angelegt (s. Abbildung 15): - PF 1.1 im Bereich Dichtkörper mit Schotter 0/ 125 unter-/ oberhalb Dichtung (ausgeführt) - PF 1.2 im Bereich Dichtkörper mit Schotter 0/ 45 unter-/ oberhalb Dichtung - PF 2.1 im Bereich des Stützkörpers - PF 2.2 im Bereich der Spundwand à Verdichtung der temporären Aushubsohle ohne Vibration mittels Stampffußwalze! Durch den geplanten Einbau der Überlagerungsmassen GU* wurde ein weiteres Probefeld luftseitig der Spundwandachse im Bereich der Aufstandsebene des Dammes angelegt, mit folgendem Aufbau: - Probefeld GU*: 30 cm Material GU* - Ausgleichsebene: 10 - 20 cm Material GU* - Planum: Material 0/ 125 mm Abbildung 15: Probefelder zu Optimierung der Einbautechnologie Abbildung 16: Statischer Plattendruckversuch im Probefeld zu Optimierung der Einbautechnologie bei Einbau Überlagerungsmassen GU* Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigten, dass die vorgesehene Technologie zum Einbau der Überlagerungsmassen GU* als Stützkörpermaterial im Dammquerschnitt geeignet ist. Literatur DIN 19700-10 Stauanlagen, gemeinsame Festlegungen. Juli 2004 DIN 19700-11 Stauanlagen, Talsperren. Juli 2004 DIN 19700-12 Stauanlagen, Hochwasserrückhaltebecken. Juli 20 04 Arbeitshilfe zur DIN 19700 für Hochwasserrückhaltebecken. Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW), Oktober 2007