eJournals Kolloquium Bauen in Boden und Fels 12/1

Kolloquium Bauen in Boden und Fels
kbbf
2510-7755
expert verlag Tübingen
0101
2020
121

Neubau B 31 zwischen Immenstaad und Friedrichshafen Geschiebemergel und der Einfluss von Wasser auf die angewandten Bauweisen

0101
2020
Holger Jud
Peter Ströhle
Seit 2016 erfolgt zwischen Immenstaad und Friedrichshafen der Neubau eines rund 7 km langes Teilstück der Bundesstraße B 31 durch die DEGES und steht kurz vor der Fertigstellung. Neben großflächigem Erdbau für die Strecke kamen Gewerke des Spezialtiefbaus für Verbau und Gründungen der vielen Brückenbauwerke und Sonderlösungen, wie dauerhafte Hangentwässerungen, zum Einsatz. Die Strecke verläuft größtenteils im bereits oberflächennah anstehenden Geschiebemergel bzw. dessen Verwitterungsschichten. Im Zuge der Bearbeitung der Geotechnischen Berichte wurde eine Erkundungskampagne mit umfangreichem Laborprogramm durchgeführt. Die aus den geotechnischen Untersuchungen abgeleiteten bautechnischen Empfehlungen, deren planerische Umsetzung sowie die Ausführung verschiedener Gewerke des Spezialtiefbaus und des Erdbaus, werden im Vortrag insbesondere im Hinblick auf den Einfluss von Wasser beschrieben und bewertet. Dies erfolgt anhand exemplarischer Erfahrungen an den Baumaßnahmen für die B 31.
kbbf1210197
12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 197 Neubau B 31 zwischen Immenstaad und Friedrichshafen Geschiebemergel und der Einfluss von Wasser auf die angewandten Bauweisen Dipl.-Ing. Holger Jud Smoltczyk & Partner GmbH, Stuttgart, Deutschland Dipl.-Ing. Peter Ströhle Aßfalg Gaspard Partner Ingenieurgesellschaft mbH, Bad Waldsee, Deutschland Zusammenfassung Seit 2016 erfolgt zwischen Immenstaad und Friedrichshafen der Neubau eines rund 7 km langes Teilstück der Bundesstraße B 31 durch die DEGES und steht kurz vor der Fertigstellung. Neben großflächigem Erdbau für die Strecke kamen Gewerke des Spezialtiefbaus für Verbau und Gründungen der vielen Brückenbauwerke und Sonderlösungen, wie dauerhafte Hangentwässerungen, zum Einsatz. Die Strecke verläuft größtenteils im bereits oberflächennah anstehenden Geschiebemergel bzw. dessen Verwitterungsschichten. Im Zuge der Bearbeitung der Geotechnischen Berichte wurde eine Erkundungskampagne mit umfangreichem Laborprogramm durchgeführt. Die aus den geotechnischen Untersuchungen abgeleiteten bautechnischen Empfehlungen, deren planerische Umsetzung sowie die Ausführung verschiedener Gewerke des Spezialtiefbaus und des Erdbaus, werden im Vortrag insbesondere im Hinblick auf den Einfluss von Wasser beschrieben und bewertet. Dies erfolgt anhand exemplarischer Erfahrungen an den Baumaßnahmen für die B 31. 1. Projektbeschreibung Die B 31 ist eine der am stärksten befahrenen Bundesstraßen im Regierungsbezirk Tübingen und dient vorrangig als Verteilerschiene für den zwischenörtlichen, überörtlichen und überregionalen Verkehr am nördlichen Bodenseeufer. Abbildung 1: B 31 - Streckenverlauf und Bauwerke Der rund 7,1 km lange Streckenabschnitt schließt im Bereich Immenstaad/ Grenzhof an die bestehende B 31 an. Sie umfährt die Teilorte Fischbach, Spaltenstein und Schnetzenhausen (Stadt Friedrichshafen) jeweils nördlich und endet im Osten an dem in Friedrichshafen bereits ausgebauten Knotenpunkt Colsmannstraße, siehe Abbildung 1. Aus städtebaulichen Gründen - insbeson- 198 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Neubau B 31 zwischen Immenstaad und Friedrichshafen Geschiebemergel und der Einfluss von Wasser auf die angewandten Bauweisen dere zum Schutz des künftigen Wohnumfeldes - ist im Bereich Waggershausen ein 700 m langer, zweiröhriger Tunnel vorgesehen, der von der Stadt Friedrichshafen voll finanziert wird. Darüber hinaus beinhaltet der Abschnitt insgesamt 13 Ingenieurbauwerke und drei Anschlussstellen zu deren Herstellung bis zu 12 m tiefe Baugruben, umfangreiche Erdarbeiten mit dauerhaften Hangeinschnitten, Entwässerungsmaßnahmen und bis 8 m hohen Dammbauwerken sowie unterschiedliche Gewerke des Spezialtiefbaus zur Gründung und Baugrubensicherungen erforderlich waren. 2. Baugrund und Grundwasser Die gesamte Neubaustrecke durchfährt eine Landschaft, deren hügelige Geländeformen sehr stark eiszeitlich geprägt sind. Früher, bis zum Beginn der Nacheiszeit vor etwa 10.000 Jahren, war das Gelände von den mächtigen Eismassen des Rheingletschers bedeckt, der bei Bregenz aus den Alpen ins Vorland austrat und hier eine Mächtigkeit von über 800 m erreichte. Diese letzte Vergletscherung des Alpenvorlandes erstreckte sich fast bis zum heutigen Bad Saulgau nach Norden und entstand in der jüngsten, insgesamt etwa 100.000 Jahre andauernden, sogenannten Würm-Eiszeit, benannt nach einem Fluss in Bayern. 2.1 Erkundung Zur Erkundung wurden entlang der Trasse und am Standort der Bauwerke insgesamt - 49 Kernbohrungen mit knapp 900 Bohrmetern - 18 Kleinrammbohrungen mit rund 100 m und - 15 Baggerschürfe ausgeführt. Abbildung 2: Baugrundaufbau (10fach überhöht) km 4+800 bis km 5+500 2.2 Baugrundaufbau Abgesehen von nur in geringem Umfang angetroffenen künstlichen Auffüllungen setzt die Schichtfolge von oben mit natürlichen Deckschichten ein, die meist von den umliegenden Hängen abgeschwemmt und im Talgrund abgelagert wurden. Die geologisch jungen Deckschichten werden zuweilen von ebenfalls quartären, jedoch deutlich älteren Beckensedimenten unterlagert, die sich in eiszeitlichen Stauseen an den Randlagen der Gletscher gebildet haben. Die Ablagerungen aus tonigen Schluffen und Grobschluffen, in die in dünnschichtiger Wechsellagerung mm-dünne Feinsand- und Tonlagen eingeschaltet sind weisen eine unterschiedliche Mächtigkeit zwischen wenigen Metern in den Randbereichen und fast 30 m in tieferen Rinnen, z.B. am Streckenanfang, im Lipbachtal auf. Darunter - oft auch direkt unter den Deckschichten folgen bis in große Tiefe eiszeitliche Geschiebemergel. Sie sind die Hinterlassenschaft des abgeschmolzenen Gletschers und entstanden durch die Aufarbeitung des vom Eis überfahrenen und in die Gletscherbasis eingearbeiteten Untergrundes. Ganz überwiegend bestehen die Geschiebemergel aus grauen bis olivgrauen, feinsandigen Schluffen und schluffigen Feinsanden, in die meist geringe Anteile an Kalksteingeröllen eingelagert sind. Auf kurze Entfernung zwischen den Bohrungen rasch wechselnd, überwiegen örtlich in unterschiedlichen Tiefen auch die Kies- und Sandlagen. Findlinge von Stein- oder Blockgröße sind charakteristisch für den hier anstehenden Geschiebemergel. Abbildung 2 zeigt exemplarisch den Baugrund u.a. beim Bauwerk 9, Brücke über den Mühlbach. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 199 Neubau B 31 zwischen Immenstaad und Friedrichshafen Geschiebemergel und der Einfluss von Wasser auf die angewandten Bauweisen 2.3 Grundwasser Grundwasser wurde in den Talauen direkt unter Gelände in den Deckschichten und in den Beckensedimenten angetroffen. Häufig wurden weitere Wasserzutritte auch in tieferen Schichten des Geschiebemergels beobachtet, wobei das Grundwasser nach Anbohren und Ausbau zur Grundwassermessstelle teils bis über Gelände anstieg, also artesisch gespannt ist. Grundwasserleiter im Geschiebemergel sind dabei meist in unterschiedlichen Tiefen vorkommenden Kies- und Sandlagen, die häufig nur wenig ergiebig sind, aber häufig hydraulischen Anschluss an die an den umgebenden Hängen mehrere Meter höher anstehenden Grundwasserleiter haben. 2.4 Ergebnisse von Labor- und Feldversuchen Für die die Baumaßnahmen maßgeblich bestimmenden Geschiebemergel wurden umfangreiche Laborversuche durchgeführt, um bodenmechanische Kenngrößen festlegen zu können: An insgesamt 42 Proben, siehe Abbildung 3, wurden die Zustandsgrenzen bestimmt, die den Geschiebemergel als fein- und gemischtkörnigen Boden und mit einem mittleren Wassergehalt an der Fließgrenze von w L = 24 %, und an der Ausrollgrenze von w P = 12 %, als leichtplastischer Ton (TL) am Übergang zu Sand-Ton-Gemischen (ST) klassifizieren. Trotz der großen Probenzahl war die Bandbreite der Ergebnisse nur gering. Abbildung 3: Zustandsgrenzen des Geschiebemergels Im Körnungsband zeigen die untersuchten Proben jedoch deutlich größere Schwankungen, siehe Abbildung 4. Die Scherfestigkeit und der Steifemodul wurden durch Scherversuche, Triaxialversuche und Oedometerver-suche ermittelt, siehe Tabelle 1, wobei insbesondere die Verarbeitung von Proben mit erhöhten Sandanteilen schwierig war. Die Scherfestigkeiten wurden daher auch durch Feldversuche überprüft, siehe Abbildung 5. Abbildung 4: Bandbreite der ermittelten Korngrößenverteilung im Geschiebemergel Reibungswinkel φ´ [°] 27,5 Kohäsion c´ [kN/ m²] 10-20 Steifemodul E s [MN/ m²] für Setzungsberechnungen - Erstbelastung E S1 - Wiederbelastung E S2 10-20 20-40 Tabelle 1: Charakteristische Scherfestigkeiten und Steifemoduln im Geschiebemergel Abbildung 5: In-Situ Scherversuch Die ermittelten Scherfestigkeiten liegen damit auch im Bereich der in der Literatur genannten Werte. 3. Bauen im Geschiebemergel Nahezu alle erforderlichen Gewerke des Erd- und Grundbaus greifen unterschiedlich tief in die Schichten des Geschiebemergels bzw. in dessen Verwitterungsprodukte ein. Teilweise wurde Grundwasser aufgeschlossen. In ei- 200 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Neubau B 31 zwischen Immenstaad und Friedrichshafen Geschiebemergel und der Einfluss von Wasser auf die angewandten Bauweisen nigen Streckenabschnitten war auf Grund der gegebenen Randbedingungen mit Grundwasser zu rechnen, konnte jedoch bedingt durch die geringe Ergiebigkeit, die geringe Wasserdurchlässigkeit und den Einsatz einer Verrohrung bei der Erkundung nicht direkt bestimmt werden. In anderen Streckenabschnitten war mit Grundwasser nicht zu rechnen. Für die Ausführung der einzelnen Gewerke war bei der Wahl der Verfahren die Beherrschung der Risiken aus dem Einfluss des Wassers bestimmend. Dabei sind die aus der Wechselschichtung von sandigen und tonigen Schluffen des Geschiebemergels in Verbindung mit dem angeschlossenen Potential stark heterogene hydrogeologischen Verhältnisse zu beachten. Diese Problematik wird durch die ohnehin stark wasserempfindlichen, leicht plastischen Tone bzw. Sand-Ton-Gemische noch erheblich verschärft. 3.1 Pfahlherstellung Bohrpfähle wurden überwiegend als Gründungspfähle für die Brückenwiderlager hergestellt. Bei BW 50 kamen Pfähle als Stützwand zum Einsatz, siehe nachfolgender Abschnitt. Die Bohrpfahlherstellung wird von mehreren Faktoren beeinflusst. Bohrhindernisse oder abrasive Böden waren hier nicht bei der Verfahrensauswahl bestimmend, jedoch hat das anstehende Grundwasser, vor allem an Standorten mit artesisch gespannten Grundwasserverhältnissen, z. B. am Standort der Bauwerke BW 9 und BW 11, große Bedeutung. Die sorgfältige Beherrschung der Ausführung bei anstehenden Wechsellagerungen und Grundwasser trägt wesentlich zum Erfolg der Baumaßnahme bei. Das Brückenbauwerk BW 11, Zubringer der Anschlussstelle Schnetzenhausen, liegt in einer Talaue. Der in rund 12 m Tiefe anstehende tragfähige Geschiebemergel wird von mächtigen grobschluffigen Beckensedimenten mit überwiegend weicher Konsistenz überlagert. Die Brückengradiente liegt rund 8 m über dem anstehenden Gelände. Das im tragfähigen Geschiebemergel anstehende Grundwasser ist artesisch gespannt und deshalb auch bis rund 2 m über Gelände ansteigen. Zur Vorwegnahme von Setzungen aus den bis zu 8 m hohen Rampenschüttungen wurde eine Vorschüttung mit einem zeitlichen Vorlauf von knapp einem Jahr hergestellt. Wegen des artesischen Grundwassers und damit beim Bohren der Wasserstand im Bohrrohr nicht unter den Grundwasserstand absinkt wurden die Gründungspfähle von BW 11 von einem Vorschüttungsniveau rund 3 m über Gelände gebohrt. Somit konnte bei sorgfältiger Herstellung, das heißt ausreichend vorlaufender Verrohrung und stetige Aufrechterhaltung des Grundwasserspiegels in der Verrohrung ab Erreichen des Geschiebemergels, das Aufbrechen der Pfahlsohle in allen Gründungspfählen sicher verhindert werden. Da beim benachbarten BW 9, wo die topographische und die hydrogeologische Situation sowie der Baugrundaufbau vergleichbar ist, wurde die Bohrpfahlherstellung in derselben Art und Weise wie bei BW 11 durchgeführt. Die Gründungspfähle von BW 11 und einer weiteren Brücke über die B 31, BW 18, waren zum Einen die ersten Bohrpfähle dieser Baumaßnahme mit geplanter Gründung im tragfähigem Geschiebemergel und wurden zum Anderen nahezu zeitgleich hergestellt. Zur Bestätigung der rechnerischen bzw. planerischen Annahmen wurden an Bauwerkspfählen Pfahlprobebelastungen durchgeführt. Die der Planung zugrunde liegenden Pfahlwiderstandswerte im Geschiebemergel von: - Mantelreibung: q s,k = 130 kN/ m² und - Spitzendruck: q b,k = 2.100 kN/ m² konnten damit nachgewiesen werden. Eine Bestimmung der Grenzwerte erfolgte im Versuch jedoch nicht. 3.2 Dauerhafte Geländeeinschnitte Im Bereich des Hermannsbergs muss mit der Trasse in den nach Norden ansteigenden Hang eingeschnitten werden. Der Hangeinschnitt wird durch eine rund 150 m lange Stützwand gesichert, die den vertikalen Abschluss einer insgesamt bis zu knapp 10 m hohen Einschnittsböschung bildet, siehe Abbildung 6. Im Einschnittsbereich stehen unterschiedlich mächtige Deckschichten über Geschiebemergel an. Die Qualität der anstehenden Schichten ist stark unterschiedlich und ließ teils Schluffe mit steifer und halbfester Konsistenz erwarten und andererseits häufig sandigere Bereiche, in denen die Schluffe aufgrund der Wasserführung dann eine weiche bzw. weich bis steife Konsistenz aufwiesen. Aufgrund der Erkundungsergebnisse und der Topographie war davon auszugehen, dass Wasserzutritte vom Hermannsberg her bis etwa 5 m über Gradiente erfolgen und damit für die Standsicherheit der Stützwand, der darüber liegenden Böschung in Bau- und Endzuständen von maßgeblicher Bedeutung sind, zumal bereichsweise aus Platzgründen die Böschungsneigung auf 1: 1,5 ausgebildet werden musste. Aus durchgeführten Pumpversuchen wurde erwartungsgemäß ebenfalls eine unterschiedlich starke Ergiebigkeit und Wasserdurchlässigkeit ermittelt, die das erwartete Bild eines heterogenen Grundwasserleiters bestätigten. Die Herstellung des Einschnittes konnte unter den gegebenen Randbedingungen nur unter Berücksichtigung einer vorauslaufenden Entspannung des in den durchlässigen Schichten teils gespannt anstehenden Grundwassers erfolgen. Zur Ausführung kam eine permanente aufgelöste Bohrpfahlwand in Kombination mit Sickerschlitzen bzw. Sickerpfahlscheiben. 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 201 Neubau B 31 zwischen Immenstaad und Friedrichshafen Geschiebemergel und der Einfluss von Wasser auf die angewandten Bauweisen Abbildung 6: Hangeinschnitt am Hermannsberg Bei der Herstellung der Bohrpfahlwand bzw. der Sickerschlitze dient eine Zwischenaushubsohle als Arbeitsebene. Wegen der Grundwasserverhältnisse, des Erfordernisses zur Entwässerung tief in den Hang eingreifen zu müssen und den auch vorübergehend nur bedingt standfesten Böden wurden die Sickerscheiben aus überschnittenen „Dränbeton-Pfählen“ hergestellt. Nach Fertigstellung der Entspannungsmaßnahmen konnte der Aushub im Schutze einer geregelten Wasserableitung erfolgen. Die Dräneinrichtung entwässert den Hangeinschnitt dauerhaft in die hier vorgesehene Planumssickerschicht (PSS). Die Einschnittsböschung ist seit knapp zwei Jahren fertiggestellt. Abhängig der Jahreszeit und Niederschlägen wird die Wassermenge zeitverzögert am Fuß der Stützwand in der Längsentwässerung der PSS gefasst. Die Wassermenge ist zeitweise ergiebig und zeitweise fast nicht vorhanden. Die Wasserempfindlichkeit des anstehenden Bodens und die heterogenen Grundwasserverhältnisse werden an anderen Stellen der Trasse deutlich. Beispielhaft zeigt Abb. 7 einen Böschungsbruch an einer rund 5 m hohen talseitigen Böschung in vergleichbaren Baugrundverhältnissen. Eine planmäßige Entwässerung dieser Einschnittsböschung war wegen der talseitigen Lage nicht vorgesehen, da keine Wasserzutritte zu erwarten waren. Grund für die Rutschung war hier vermutlich die Entspannung von Porenwasserüberdruck, ein Grundwasserzufluss ist in diesem Bereich nicht erkennbar. Abbildung 7a bis c: Böschungsbruch an talseitigen Einschnittsböschung vor und nach der Sanierung 3.3 Erdbau im Zuge des Straßenbaus Leichtplastische Böden, wie der hier anstehende, auszuhebende und wiederzuverwendende Geschiebemergel, sind sehr witterungsempfindlich. Eine Wasseraufnahme im aufgelockerten Zustand, zum Beispiel aus Niederschlägen, oder dynamische Belastung des Baustellenverkehrs auf dem Planum im Kapillarsaum des Grundwassers, verursachen einen raschen, festigkeitsmindernden Übergang in die breiige Konsistenz, womit die Böden nicht mehr befahrbar und nicht mehr ohne zusätzliche Maßnahmen einbaufähig sind. Um eine für die Baustelle ausreichende Befahrbarkeit und eine langfristige Stabilisierung des Planums zu erreichen, wurde dieses einheitlich mit einem Mischbindemittel mit gleichen Anteilen Zement und Kalk (1: 1) verbessert. Auch für den Wiedereinbau des Aushubmaterials aus Deckschichten und Geschiebemergel in die Straßendämme der B 31 wurde mit dem Ziel eines homogenen Dammkörpers das Erdmaterial mit Mischbindemittel (1: 1) verbessert. 202 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Neubau B 31 zwischen Immenstaad und Friedrichshafen Geschiebemergel und der Einfluss von Wasser auf die angewandten Bauweisen Unter Berücksichtigung der technischen Vorgaben aus den Regelwerken, wie den ZTV E-StB, und bei Beachtung der bevorstehenden Witterungsverhältnisse kann Erdbau mit witterungsempfindlichen Böden und der oben genannten Bindemittelverbesserung erfolgreich durchgeführt werden. Die wesentlichen technischen Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung der ursprünglichen bodenmechanischen Eigenschaften für witterungsempfindliche Böden sind ein Quergefälle des (bauzeitlichen) Planums von mindestens 6 %, das glatte Abwalzen der Tagesleistung, der unmittelbare Wiedereinbau nach dem Ausbau oder Schutzmaßnahmen des Erdmaterials im Zwischenlager und eine fachgerechte, dem Baubetrieb angepasste, offene Wasserhaltung. Abbildung 8: Massenbewegung des Geschiebemergels Für die Baumaßnahme wurden insgesamt 660.000 m³ Erdmassen bewegt, siehe Abbildung 8. Dabei überwiegt der Anteil von witterungsempfindlichem Geschiebemergel. Als Weitere aber durchaus kontrollier- und realisierbare Besonderheit ist das teilweise bis auf Planumsniveau anstehende Grundwasser, welches ein direktes Befahren des im Planum anstehenden Geschiebemergels oder der Deckschichten während der Bauzeit erschwert bis kaum möglich macht. In diesen Bereichen wurde vor Kopf lokal verfügbares Material der Körnung 0/ X eingebaut, welches aufgrund seiner ausreichenden Durchlässigkeit zugleich als Planumssickerschicht verwendet werden konnte. Letzteres wurde durch in-situ Versuche nachgewiesen, siehe Abbilung 9. Abbildung 9: Versuchsaufbau Versickerungsversuche Neben dem üblichen Vorgehen, wie Probefeldbau mit Probeverdichtung, Eignungsprüfungen des bindemittelverbesserten Bodens, das Erstellen einer Arbeitsanweisung mit Beschreibung des Arbeitsverfahrens sowie die Durchführung und Dokumentation der Eigenüberwachungsprüfungen, sind eine geotechnische Fachbauüberwachung sowie Kontrollprüfungen des Auftraggebers für Baumaßnahmen dieser Größe unerlässlich. 3.4 Temporäre Baugrubenverbauten 3.4.1 Baugrubenböschungen In großen Bereichen der Strecke, insbesondere wo die steifen und halbfesten, teils festen Geschiebemergel bereits wenig unter der Geländeoberfläche anstanden, kamen freie Böschungen zum Einsatz. Aus den Erkundungen war dort nicht mit Grundwasser zu rechnen und es war auch aus der Einschätzung der Geländemorphologie nicht zu erwarten. Die im Projekt gemachten Erfahrungen waren jedoch stark unterschiedlich. Abb. 10 zeigt Böschungen im Geschiebemergel mit einer Böschungsneigung von 60° und einer Böschungshöhe von Geländeoberkante zur Berme bzw. zum Zwischenaushubniveau von etwa 5 m. Die Böschungen bis zur Berme sind damit unter Berücksichtigung der angesprochen Baugrund- und Grundwasserverhältnisse nach DIN 4124 ohne rechnerische Nachweise ausführbar. Abbildung 10a/ b: Temporäre Baugrubenböschung 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 203 Neubau B 31 zwischen Immenstaad und Friedrichshafen Geschiebemergel und der Einfluss von Wasser auf die angewandten Bauweisen Hinweise auf Wasserführung waren an beiden Böschungen direkt nach Anschnitt nicht zu erkennen. Dies wurde dann bei nachlaufenden Begehungen bestätigt, regelmäßige Wasseraustritte wurden nicht festgestellt. Dennoch traten an einigen Stellen kurz nach dem Freilegen und trotz einer engen Begleitung der Aushubarbeiten Rutschungen ein, wie in Abb. 10b dargestellt. Wie an anderen Stellen im Projekt auch wurden nach Ausräumen der Rutschmassen nahezu senkrechte Bruchfugen mit meist halbfester Konsistenz freigelegt, die bekannte Wechsellagerung aus sandigeren und tonigeren Bereichen im Geschiebemergel bestätigte sich und in den Flächen um eingelagerte Steine und Blöcke waren häufig leichte Vernässungen erkennbar. Bei Rückrechnungen der eingetretenen Rutschungen konnte die eingetretene Scherfuge nur dann nachmodelliert werden, wenn die Scherfestigkeit im Bereich der aus Labor- und Feldversuchen bestimmten Größenordnung lag und zusätzlich antreibende Kräfte aus Porenwasserüberdrücken zum Ansatz gebracht wurden. Da ein durchgehender Grundwasserleiter nicht vorhanden ist, lässt sich das eingetretene Rutschbild erklären und nachvollziehen, wenn in den Wechsellagerungen angenommen wird, dass „eingeschlossene“ Wasserlinsen in durchlässigeren Bereichen bei der durch Aushub gegebenen Reduzierung von Horizontalspannungen zu vertikalen Mikrorissen führt und so die Scherfestigkeit so stark reduziert, dass ein Bruch einsetzt. Eingeschlossenes Schichtenwasser führt so trotz geringer Ergiebigkeit zu einer maßgeblichen Reduzierung der Scherfestigkeit. 3.4.2 Verankerungen/ Vernagelungen Die Wasserempfindlichkeit von leichtplastischen Tonen zeigt sich insbesondere dort, wo erhöhte Sandgehalte den Boden in Verbindung mit mechanischer Bearbeitung zum Fließen bringen. Bodenfließen zeigt nachfolgende Abb. 11, nach dem Aufschneiden der Spundbohle wird durch Wasserüberdruck Bodenmaterial aus der Öffnung herausgedrückt. Die empfohlene Vakuumwasserhaltung zur Stabilisierung der fließgefährdeten Böden oder Maßnahmen zur Vermeidung des Ausfließens wurden nicht ausgeführt. Abbildung 11: Fließende Böden nach Aufschneiden der Ankerlöcher Zum Erreichen einer ausreichenden Ankertragfähigkeit ist neben einem auf die Untergrundverhältnisse abzustimmenden Bauablauf auch die Wahl von Bohrverfahren auf die gegebenen Verhältnisse anzupassen. Das Einfließen von Boden ins Bohrrohr ist auch beim Anschneiden gespannter Grundwasserlinsen mit ständig aufrecht zu erhaltenem Überdruck, z.B. durch Einsatz von Zementsuspension als Spülmittel und dem Abteufen der Bohrungen im Doppelkopfverfahren, zu verhindern. Abbildung 12: Ausgebauter „Selbstbohr“-Nagel Vergleichende Erfahrungen wurden auch bei der Herstellung von Bodennägeln mit verlorener Bohrkrone gemacht, siehe Abbildung 12. Vernagelungen kamen zur Sicherung von Böschungen oberhalb des Grundwassers im Geschiebemergel zum Einsatz. Trotz standfester Bohrlöcher wurde eine reproduzierbare Tragfähigkeit nur erreicht, wenn das Bohrloch konstant mit Zementsuspension gestützt war. Nägel, die ins trockene Bohrloch eingebaut und nachträglich verpresst wurden, konnten in den Zugprüfungen trotz halbfester Konsistenz des Geschiebemergels nahezu keine Last aufnehmen. Nach dem Ausbau konnte an derart hergestellten Nägeln gezeigt werden, dass kein vollständiger Verpresskörper hergestellt war. Dies ist vermutlich auf vergleichbare Mechanismen wie bei den Baugrubenböschungen beschrieben, also Auflockerungen durch eingesperrte, gespannte Grundwasserlinsen zurückzuführen. 3.4.3 Trägerbohlverbau Die Herstellung von Trägerbohlverbauten ist besonders im nicht wasserführenden Baugrund geeignet. Auf Grundlage der Erkundungsergebnisse bei der geplanten Grundwasserwanne Eichenmühlenweg, BW 30, wurde dort ein mehrfach rückverankerter Trägerbohlverbau gewählt. Das rund 100 m lange und bis zu 7 m unter Geländeniveau verlaufende Trogbauwerk schneidet dort in die tonigen und feinsandigen Schluffe der Deckschichten und des Geschiebemergels ein. Vereinzelte Kalksteineinlagerungen wurden erkundet. Während der im Vorfeld dieses Bauwerks erforderlichen Umverlegung einer Wasserversorgungsleitung stellte sich die Baugrundsituation als ungünstig für den späteren Trägebohlverbau dar. Wassereintritte und Verbrüche im Leitungsgraben erschwerten die Umver-legung dieser Leitung. 204 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Neubau B 31 zwischen Immenstaad und Friedrichshafen Geschiebemergel und der Einfluss von Wasser auf die angewandten Bauweisen Mit Hilfe von im Vorfeld zusätzlich hergestellten Entspannungsbohrungen, Verfüllung der Trägerbohrungen mit wasserdurchlässigem Material, kleinen Ausschachtungstiefen sowie den bis dahin gewonnen Erfahrungen beim Herstellen von Baugruben im Geschiebemergel konnte der Trägerbohlverbau im trockenen Sommer 2018 ohne Schwierigkeiten hergestellt werden. Nach der Trockenperiode war die Grundwasserentspannung der grobkörnigen und nun wasserführenden Bereiche durch den Verbau indirekt sichtbar und gegeben. Die vereinzelt auftretenden geringen Wassermengen behinderten den weiteren Bauablauf nicht. 4. Zusammenfassung Bei allen Gewerken des Spezialtiefbaus und im Erdbau stellt Wasser ein für die Planung vom Geotechnischen Sachverständigen zu bewertendes Risiko dar. Dies ist insbesondere in feinkörnigen Böden besonders schwierig, da bei der Erkundung häufig die tatsächlichen Grundwasserverhältnisse auf Grund der geringen Wasserdurchlässigkeit und der geringen Ergiebigkeit nur durch sehr aufwändige Maßnahmen oder u.U. gar nicht richtig erfasst werden können. Neben den Erkundungsergebnissen sind daher auch Faktoren der Geländemorphologie und lokale Erfahrungen erforderlich, um für die Planung und Ausführung geeignete Empfehlungen erarbeiten zu können. Im Zuge des Neubauabschnitts der B 31 bestimmte der Einfluss des Grundwassers im wasserempfindlichen Geschiebemergel in vielen Bereichen die Planung und die Ausführung. Trotz teilweise schwieriger Randbedingungen konnten auch dauerhafte Entwässerungsmaßnahmen erfolgreich hergestellt werden, siehe Abbildung 13. Abbildung 13: Sickerschlitze im Einschnitt Unerwartete Grundwasser bzw. Grundwasserdruckverhältnisse führten teilweise an temporären Böschungen zu unerwarteten Rutschungen, die im Zuge der Ausführung saniert werden konnten.