Kolloquium Bauen in Boden und Fels
kbbf
2510-7755
expert verlag Tübingen
0101
2020
121
Mikropfähle nach DIN EN 14199
0101
2020
Werner Müller
Spricht man von Pfählen, denkt jeder vornehmlich an Gründungen und auf Druck beanspruchte Tragelemente mit großen Durchmessern. Bei der Rückverankerung von Geländesprüngen landet man von der Begrifflichkeit automatisch bei vorgespannten Verpressankern. Vergessen wird hier häufig der Mikropfahl nach DIN EN 14199, der beide Anwendungsbereiche miteinander vereint und als einziges System gleichermaßen Druck- wie auch Zuglasten aufnehmen kann. Er bietet in vielen Anwendungsfällen das optimale System um mit kleinen und flexibel einsetzbaren Bohrgeräten eine wirtschaftliche und schnelle Lösung zu ermöglichen.
Im Folgenden soll der Mikropfahl zwischen den anderen Bauarten abgegrenzt, seine Besonderheiten und Eigenschaften dargestellt sowie seine vielseitigen Einsatzmöglichkeiten vorgestellt werden.
kbbf1210425
12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 425 Mikropfähle nach DIN EN 14199 - EIN System für Gründungen und Rückverankerungen Dipl.-Ing. Werner Müller Friedr. Ischebeck GmbH, Ennepetal, Deutschland Zusammenfassung Spricht man von Pfählen, denkt jeder vornehmlich an Gründungen und auf Druck beanspruchte Tragelemente mit großen Durchmessern. Bei der Rückverankerung von Geländesprüngen landet man von der Begrifflichkeit automatisch bei vorgespannten Verpressankern. Vergessen wird hier häufig der Mikropfahl nach DIN EN 14199, der beide Anwendungsbereiche miteinander vereint und als einziges System gleichermaßen Druckwie auch Zuglasten aufnehmen kann. Er bietet in vielen Anwendungsfällen das optimale System um mit kleinen und flexibel einsetzbaren Bohrgeräten eine wirtschaftliche und schnelle Lösung zu ermöglichen. Im Folgenden soll der Mikropfahl zwischen den anderen Bauarten abgegrenzt, seine Besonderheiten und Eigenschaften dargestellt sowie seine vielseitigen Einsatzmöglichkeiten vorgestellt werden. 1. Allgemeines/ Einteilungen 1.1 Bohrpfähle Bohrpfähle werden nach der DIN EN 1536 in der Verbindung mit der DIN SPEC 18140 geregelt. In den meisten Fällen handelt es sich um Ortbetonpfähle mit einem Bewehrungskorb. Bild 1: Varianten von Bohrpfählen Sie haben Durchmesser zwischen 0,30 m ≤ D < 3,0 m und benötigen für den Einbau daher häufig große Bohrgeräte. Bevor der Bewehrungskorb eingestellt und der Beton eingebracht werden kann, wird das gesamte Erdreich aus dem Bohrloch ausgetragen. Hierfür kann zur Stabilisierung der Bohrlochwandung eine temporäre Verrohrung erforderlich werden. Sie nehmen vornehmlich Drucklasten auf, die sie über Spitzendruck und Mantelreibung in den Baugrund einleiten. Über ihre seitliche Bettung können auch Querkräfte und Biegemomente übertragen werden. Bild 2: Beispiel Großbohrgerät 1.2 Verdrängungspfähle Das charakterisierende von Verdrängungspfählen nach DIN EN 12699 (mit DIN SPEC 18538) ist, dass im Gegensatz zu Bohrpfählen üblicherweise kein Bodenaustrag erfolgt. Hauptvertreter der Verdrängungspfähle sind vorgefertigte Betonpfähle (rund oder quadratisch) sowie Stahlpfähle (rund oder H-Profile), die in den Boden gerammt, gerüttelt, gedrückt, gedreht oder vibriert werden können. 426 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Mikropfähle nach DIN EN 14199 - EIN System für Gründungen und Rückverankerungen Die Lasten werden über den Spitzenwiderstand abgetragen. Der Anteil an Mantelreibung ist dabei eher gering. Bild 3: Beispiel Rammgerät 1.3 Verpressanker Verpressanker sind nach DIN EN 1537 mit DIN SPEC 18537 genormt und können nur Zugbeanspruchungen aufnehmen. Die Tragelemente bestehen in den meisten Fällen aus hochfesten Zuggliedern wie z.B. Litzenankern (St 1570/ 1770) oder Einstabankern (St 950/ 1050). Sie werden ebenfalls in zumeist verrohrt gebohrt Löcher eingestellt und anschließend mit Zement verpresst. Aufgrund ihrer hohen Zugfestigkeit haben die Tragglieder von Ankern im elastischen Bereich sehr große Dehnwege, so dass sie vorgespannt werden müssen. Für den Nachweis der Gesamtstandsicherheit müssen die Lasten hinter der tiefen Gleitfuge in den Baugrund eingeleitet werden, so dass Anker eine konstruktive freie Ankerlänge benötigen. Bild 4: Nachweis „Tiefe Gleitfuge“ für Verpressanker 1.4 Mikropfähle 1.4.1 Einteilungen und Begrifflichkeiten Mikropfähle werden europaweit in der DIN EN 14199 geregelt. Zusätzlich für Deutschland sind die ergänzenden Festlegungen der DIN SPEC 18539 zu beachten. Die gebohrten Mikropfähle teilen sich in Deutschland in die Verbundpfähle mit einem durchgängigen zentrischen Tragglied und die Ortbetonpfähle mit einer durchgängigen Längsbewehrung aus Betonstahl auf (analog zu den meisten Bohrpfählen nach DIN EN 1536). Bild 5: Gebohrte Mikropfähle nach DIN EN 14199 Da der Einsatz von Ortbetonpfählen mit Durchmessern < 300 mm jedoch äußerst unüblich ist, werden mit dem Begriff „Mikropfähle“ in der Regel die Verbundpfähle mit zentrischem Tragglied gemeint. Die baupraktisch umsetzbaren Schaftdurchmesser liegen, in Abhängigkeit des verwendeten Tragglieds, in einer Größenordnung zwischen 100 bis 200 mm. Die Verbundpfähle teilen sich entsprechend den „Empfehlungen des Arbeitskreises Pfähle“ (EA-Pfähle) in die Stabverpresspfähle mit einem Tragglied aus Betonstahl nach DIN 488 und die Rohrverpresspfähle mit einem nahtlosen warmgefertigten Stahlrohr nach DIN EN 10210 auf. Bild 6: Bauarten von Verbundpfählen In beiden Fällen umschließt der Verpressmörtel das Tragglied auf ganzer Länge im Baugrund. Dabei wird nicht nur die Kraft durch Verbund vom profilierten 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 427 Mikropfähle nach DIN EN 14199 - EIN System für Gründungen und Rückverankerungen Tragglied über den Verpressmörtel auf den Baugrund übertragen, sondern der Verpressmörtel dient gleichzeitig auch dem Korrosionsschutz des Stahltraggliedes. Für die sich daraus ergebenden dauerhaften Tragfähigkeiten bei Druck-/ Zug- oder Wechselbeanspruchungen sind Allgemeine bauaufsichtliche Zulassungen oder Allgemeine Bauartgenehmigungen des Deutschen Institutes für Bautechnik erforderlich. Die unter dem Begriff GEWI® bekannten (Stab-)Verpresspfähle werden üblicherweise in ein gebohrtes Loch eingestellt, anschließend mit einer Zementsuspension verfüllt und gegebenenfalls nachverpresst. Sollte das Bohrloch nicht standfest sein, so ist zusätzlich bis zum Einbringen der Zementsuspension das Bohrloch durch eine temporäre Verrohrung zu sichern. Der Rohrverpresspfahl (z.B. System TITAN) wird in der EA-Pfähle als eingebohrter, dickwandiger Stahlrohrpfahl beschrieben, der in koppelbaren Schüssen von üblicherweise ca. 3 m mit einer verlorenen Bohrspitze direkt in den Boden gebohrt wird. Die während dem gesamten Bohrvorgang durch das Stahlrohr eingebrachte zementhaltige Spülflüssigkeit fördert nicht nur das Bohrklein heraus, sondern stabilisiert gleichzeitig das Bohrloch in nicht standfesten Böden, bis der Pfahl durch eine dickflüssige Zementsuspension dynamisch verpresst wird. Das aufwendig Einbringen und Ziehen einer Verrohrung entfällt. 1.4.2 Statische Ansätze Verbundpfähle tragen ihre Lasten statisch über Mantelreibung in den Boden ab. Somit können sie verglichen mit Bohrpfählen nach DIN EN 1536 oder vorgespannten Verpressankern nach DIN EN 1537 gleichermaßen bei Druck-/ Zug- oder Wechselbeanspruchungen eingesetzt werden. Die Bemessung von Mikropfählen ist in der DIN EN 1997-1 und DIN 1054 (EC 7) geregelt. Der Nachweis der Inneren Tragfähigkeit von Verbundpfählen erfolgt gemäß den Allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassungen. Für den Nachweis der Äußeren Tragfähigkeit (Lasteinleitungslänge in der tragfähigen Schicht) wird ein baugrundabhängiger Mantelreibungswert benötigt. Dieser wird entweder im Vorfeld der Maßnahme über Probebelastungen bestimmt, oder als Erfahrungswert der EA-Pfähle entnommen. Dort werden für die unterschiedlichen Bodenarten Mantelreibungen im Grenzzustand der Tragfähigkeit für u.a. Stabverpesspfähle (verpresste Mikropfähle) und Rohrverpresspfähle angegeben. In weichen bindigen Böden können bei Druckbeanspruchungen Stabilitätsprobleme auftreten. In Abhängigkeit der undränierten Scherfestigkeit und der seitlichen Bettung des Bodens kann für den Nachweis der Inneren Tragfähigkeit daher der Knicknachweis maßgebend werden. Im Vergleich zu Bohrpfählen mit Durchmessern > 300 mm und einem „räumlichen“ Bewehrungskorb ist bei Verbundpfählen zu beachten, dass sie aufgrund ihrer Schlankheit und dem zentrischen Stahltragglied planerisch nur axiale Lasten aufnehmen können. Wirken auf ein Fundament neben vertikalen Lasten auch Querkräfte und Momente ein, so sind diese über einen aus mehreren Pfählen bestehende Pfahlbock/ Pfahlrost abzutragen. Bei der Rückverankerung von Geländesprüngen mit schlaffen Zugpfählen nach DIN EN 14199 wird häufig fälschlicherweise behauptet, dass diese wesentlich länger werden als vorgespannte Verpressanker nach DIN EN 1537. Die Begründung: die Ausbildung der Tiefen Gleitfuge im Schwerpunkt des Verpresskörpers, der bei einem auf der gesamten Länge verpressten Mikropfahls an einer anderen Stelle liegt als bei einem Verpressanker mit einer definierten Verpressstrecke. Bemessungstechnisch korrekt ist jedoch, dass die Tiefe Gleitfuge im Schwerpunkt des „statisch angesetzten Verpresskörpers“ angenommen wird. Und diese befindet sich, entsprechend dem Bild E 10-3 der Empfehlungen des Arbeitskreises Ufereinfassungen (EAU), für vorgespannte Verpressanker mit definierter Verpressstrecke und schaffe, auf der gesamten Länge verpressten Mikropfähle an derselben Stelle. Bild 7: Bild E 10-3 aus EAU (leicht verändert) 1.4.3 Korrosionsschutz Die DIN SPEC 18539 unterscheidet in Kurzzeiteinsatz (bis zu 2 Jahre) und Dauereinsatz (mehr als 2 Jahre). Wenn man bedenkt, dass Mikropfähle u.a. bei Brücken und anderen Ingenieurbauwerken eingesetzt werden, so sind hier nach DIN EN 1990 Nutzungsdauern von mind. 100 Jahren einzuplanen. (Den Begriff „semi-permanent“ gibt es als Einteilung bei Mikropfählen in Deutschland nicht.) 428 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Mikropfähle nach DIN EN 14199 - EIN System für Gründungen und Rückverankerungen Allgemein können folgende Komponenten den Korrosionsschutz von Traggliedern positiv beeinflussen: - eine wirksame Zementsteinüberdeckung - eine entsprechende Überdimensionierung des Traggliedes um eine Abrostung zuzulassen - besondere Zemente - besondere Stahlsorten (Edelstahl) - Verzinkungen oder Beschichtungen - Dauerhafte Verrohrungen oder sonstige Einhüllungen. In den Allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassungen wird jedoch nur die Umhüllung des Traggliedes mit einem Kunststoff-Ripprohr und anschließender werkseitiger Verpressung sowie die wirksame Zementsteinüberdeckung unter Berücksichtigung eines Rissweitennachweises von s < 0,1 mm anerkannt. Alle anderen obigen Komponenten können den Korrosionsschutz zwar erhöhen, sind jedoch nicht in Zulassungen geregelt. Der Korrosionsschutz mit einem Kunststoff-Ripprohr wird in den Zulassungen „doppelter Korrosionsschutz“ genannt und suggeriert dadurch er wäre höherwertiger („doppelt“ so gut) wie der Nachweis des Zementkörpers mit Rissweitennachweis. Hierfür gibt es jedoch weder in den Normen, den Zulassungen noch der einschlägigen Fachliteratur einen Beleg. Beide zugelassenen Korrosionsschutz-System sind somit gleichwertig bei dauerhaften Maßnahmen anwendbar. 2. Einsatzgebiete mit Beispielen Mikropfähle können nach DIN EN 14199 z.B. eingesetzt werden: - unter schwer zugänglichen und beengten räumlichen Bedingungen; - für Gründungen neuer Tragwerke in sehr heterogenen Böden oder Fels; - als Verstärkung bestehender Tragwerke um deren Tragfähigkeit zu erhöhen oder Setzungen zu begrenzen; - als Baugrundbewehrung, um Tragund/ oder Stützkörper herzustellen; - um die Standsicherheit von Geländesprüngen bzw. Böschungen zu verbessern; - zur Sicherung gegen Aufschwimmen; - um Stützwände herzustellen. Die kleinen Schaftdurchmesser ermöglichen Bohrgeräte, die wesentlich kleiner, flexibler und vielseitiger sein können als z.B. die bekannten Bohrgeräte für Bohrpfähle. Ebenso liefern die Gerätehersteller immer leistungsstärkere Bohrhämmer, so dass Mikropfähle auch unter schweren Rand- und Baugrundbedingungen sicher auf Solltiefe gebracht werden können. 2.1 Eingeschränkte Raumbedingungen Bild 8a: Gründung von Lärmschutzwänden Bild 8b: Gründung von Lärmschutzwänden 2.2 Gründungen neuer Tragwerke Bild 9a: Gründung von Freileitungsmasten 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 429 Mikropfähle nach DIN EN 14199 - EIN System für Gründungen und Rückverankerungen Bild 9b: Gründung von Freileitungsmasten 2.3 Verstärkung bestehender Bauwerke Bild 10: Nachgründung in Gebäuden 2.4 Rückverankerung von Stützwänden Bild 11: Sanierung von Stützmauern 2.5 Baugrundbewehrung Bild 12: Sicherung von Spritzbetonwänden (Nagelwänden) 2.6 Böschungssicherung Bild 13: Sicherung von Böschungen 2.7 Auftriebssicherungen Bild 14: Auftriebssicherung eines Rückhaltebeckens 430 12. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2020 Mikropfähle nach DIN EN 14199 - EIN System für Gründungen und Rückverankerungen 2.8 Erstellung von Stützwänden Bild 15: Baugrubenverbau aus Mikropfählen 3. Zusammenfassung Die Aufgaben der Zukunft, speziell in Deutschland, werden uns immer häufiger vor die Problematik stellen, dass auf kleinen Flächen, im Bestand oder unter laufendem Betrieb Gründungen und Rückverankerungen erforderlich werden. Der Einsatz von großen Geräten ist hier in vielen Fällen unwirtschaftlich oder gar nicht möglich. Der hier vorgestellte Mikropfahl nach DIN EN 14199 belegt, dass mit vielseitig und flexibel einsetzbarer Gerätetechnik unter beengtesten Platzbedingungen wie auch an exponierten Stellen Gründungen und Rückverankerungen mit einer Verfahrenstechnik in allen Baugrundarten möglich sind.