Kolloquium Bauen in Boden und Fels
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2510-7755
expert verlag Tübingen
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Autobahnkreuz Herne - Neubau des Tunnels Baukau
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Dennis Clostermann
Carsten Peter
Guido Meinzer
Im Autobahnkreuz Herne (A42 / A43) wird ein neuer Tunnel zur Verbindung der A43 in Fahrtrichtung Norden mit der A42 in Fahrtrichtung Westen errichtet. Zur Herstellung des Tunnels sind zahlreiche verschiedene Bauweisen erforderlich. Neben den Autobahnen und deren Auf- und Abfahrten wird auch ein dreigleisiger Bahndamm mit geringer Überdeckung gequert. Aufgrund einer nahegelegenen Altlast im Grundwasser bestehen besonders hohe Anforderungen an die Grundwasserhaltung.
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13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 79 Autobahnkreuz Herne - Neubau des Tunnels Baukau Dennis Clostermann, M.Sc. Dr. Spang Ingenieurgesellschaft mbH, Witten, Deutschland Dr.-Ing Carsten Peter IMM Maidl & Maidl Beratende Ingenieure GmbH & Co. KG, Bochum, Deutschland Dipl.-Ing. Guido Meinzer Die Autobahn GmbH des Bundes, Bochum, Deutschland Zusammenfassung Im Autobahnkreuz Herne (A42 / A43) wird ein neuer Tunnel zur Verbindung der A43 in Fahrtrichtung Norden mit der A42 in Fahrtrichtung Westen errichtet. Zur Herstellung des Tunnels sind zahlreiche verschiedene Bauweisen erforderlich. Neben den Autobahnen und deren Auf- und Abfahrten wird auch ein dreigleisiger Bahndamm mit geringer Überdeckung gequert. Aufgrund einer nahegelegenen Altlast im Grundwasser bestehen besonders hohe Anforderungen an die Grundwasserhaltung. 1. Einleitung Im Zuge des 6-streifigen Ausbaus der A43 wird der Umbau des Autobahnkreuzes Herne (A42 / A43, km 32,360) erforderlich. Infolgedessen ist vorgesehen, die A43 in westlicher Richtung zu verbreitern und den Verkehr der stark belasteten Fahrtrichtung Süd-West über eine Umfahrungsstrecke mit einem ca. 745 m langen 2-streifigen Trog- und Tunnelabschnitt (185 m Trog, 552,5 m Tunnel) auf die A42 zu leiten und dort einzufädeln. Die neue Trasse kreuzt dabei unter anderem den Bahndamm der DB-Strecken 2221 und 2153. Abb. 1: Verlauf des neuen Tunnels im Autobahnkreuz [1] 2. Geotechnische Randbedingungen 2.1 Geologie Das Projektgebiet ist durch zahlreiche Bautätigkeiten sowie Bergbau und andere Industrie anthropogen überprägt, sodass flächig, insbesondere aber an den Autobahn- und Bahndämmen, inhomogene Auffüllungen aus Bergematerial, roter Halde und anderen mineralischen Fremdstoffen an der Oberfläche anstehen. Diese werden von quartären Ablagerungen aus dem Urstromtal der Emscher unterlagert. Unterhalb des Quartärs folgt der Emscher-Mergel, der als kreidezeitlicher Mergelstein mehrere hundert Meter mächtig ist. Abb. 2: geotechnischer Längsschnitt (Auszug); gelb = Auffüllungen, grün = Quartär, blau = Kreidemergel 80 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Autobahnkreuz Herne - Neubau des Tunnels Baukau 2.2 Hydrogeologie Während die quartären Überlagerungen und die Auffüllungen nur zeitweise Wasser führen, ist der Hauptgrundwasserleiter als Kluftgrundwasserleiter im Kreidemergel ausgebildet. Das Grundwasser liegt dabei gespannt vor, die feinkörnigen quartären Böden sowie der Verwitterungskopf des Mergels bilden dabei den Grundwasserhemmer. Innerhalb dieses Aquifers ist nur 100 m von der Tunnelachse entfernt eine Altlast in Form einer hohen Grundwasserbelastung bekannt. 3. Tunnelkonstruktion 3.1 Trogbauwerk Von Süden gesehen beginnt das Bauwerk als Rampe mit Trogkonstruktion. Der Trog hat in etwa eine Länge von 185 m, wobei der Querschnitt des Trogs im tieferen Verlauf eine dickere Sohle zur Auftriebssicherung aufweist. Im Trogabschnitt gibt es zudem eine Sonderkonstruktion mit aufgelagerter Brückenplatte für die Fahrbeziehung West-Nord, die durch den Trogquerschnitt gekreuzt wird. Die Baugruben werden überwiegend als überschnittene Bohrpfahlwände mit Kopfaussteifung ausgebildet, wobei zum Portalblock des Folgebereichs eine mehrfach rückverankerte Trägerbohlwand angeordnet ist. Abb. 3: Baugrube für den Trog 3.2 offene Bauweise und Deckelbauweise Im Anschluss an das Trogbauwerk wird die A42 mittels Deckelbauweise gekreuzt. Die Deckel werden in einer kurzen Bauphase in offener Bauweise hergestellt und auf eine überschnittene Bohrpfahlwand aufgelagert. Der Vortrieb des Tunnels erfolgt dann im Schutze des Deckels in bergmännischer Bauweise. Der Tunnelquerschnitt ist als Rechteckrahmen ausgebildet. Kurz nach der Unterquerung der A42 wird auch die A43 analog in Deckelbauweise gekreuzt. Abb. 4: Vortrieb unter Deckel Im nordwestlichen Autobahnohr folgt eine offene Bauweise, in der auch das Betriebsgebäude sowie ein Löschwasser- und ein Havariebecken errichtet werden. Der Tunnel weist hier ebenfalls einen Rechteckquerschnitt auf und wird im Schutze einer überschnittenen Bohrpfahlwand hergestellt. Abb. 5: Luftbild auf offene Baugrube mit Kopfaussteifungen Im Anschluss daran folgen weitere Kreuzungen von Auf- und Abfahrten in Deckelbauweise sowie ein weiterer kurzer offener Abschnitt. 3.3 Vortrieb durch den Bahndamm Im letzten geschlossenen Abschnitt, bevor der Neubau wieder in den Bestand verschwenkt wird, wird ein Bahndamm mit insgesamt drei Gleisen geschlossen gequert. Die Vortriebslänge beträgt etwa 60 m. 3.3.1 Vorab-Maßnahme Aufgrund des inhomogenen Bahndammmaterials wurde im Vorfeld als Vorab-Maßnahme eine Homogenisierung des Bahndamms mittels Injektionen ausgeführt. Hierfür wurden ca. 400 Injektionen mit hydraulisch abbindendem Material ausgeführt. Ziel war es vor allem, 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 81 Autobahnkreuz Herne - Neubau des Tunnels Baukau Hohlräume zu füllen und die Setzungen aus dem späteren Vortrieb zu vergleichmäßigen und zu minimieren. Während der Injektionen lief ein engmaschiges Vermessungsprogramm, sodass die Injektionen gestoppt werden konnten, sobald Hebungen gemessen wurden. Die meisten Injektionsbohrungen wurden von außerhalb des Gleiskörpers mit Neigungen zwischen 30° und 45° ausgeführt. Abb. 6: Querschnitt Injektionsmaßnahme 3.3.2 Herstellung des Großrohrschirms Nach Abschluss der Injektionsmaßnahme war der nächste Schritt, den Großrohrschirm herzustellen, der als vorauseilende Sicherung für den bergmännisch herzustellenden Tunnel dient. Der Rohrschirm besteht aus 21 Rohren DN1600. Der große Durchmesser musste so gewählt werden, da im Vorfeld keine Kampfmittelfreigabe erfolgen konnte. Beim Antreffen von unerwarteten Hindernissen o.Ä. musste daher händisch an der Ortsbrust gearbeitet werden, weshalb die Rohre für einen benannten Einsatz ausreichend dimensioniert sein mussten. Die Überdeckung des Rohrschirms, welcher unter rollendem Rad vorgetrieben wurde, betrug nur etwa 2,5 m. Die Stahlrohre werden in 6 m Rohrschüssen mit Gesamtlängen zwischen 41 m und 64 m eingebracht. Als Vortriebstechnik wurde ein Haubenschild mit mechanisch teilflächigem Abbau eingesetzt. Aufgrund nicht abschließend auswertbarer ferromagnetischer Störfelder wurde der Vortrieb ferngesteuert ausgeführt. Abb. 7: Ferngesteuerter Rohrvortrieb Abb. 8: Ortsbrust mit injiziertem Bergematerial im Rohrvortrieb Aufgrund der geringen Überdeckung, der Bündelung von Rohren und der Schiefwinkligkeit der Unterquerung handelt es sich um keine Regelbauweise nach dem Bahnregelwerk Ril 836. Es liegt eine Unternehmensinterne Genehmigung (UiG) der DB AG und eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE) des Eisenbahn Bundesamtes vor. 3.3.3 Vortrieb unter Großrohrschirm Nach Herstellung des Großrohrschirms erfolgt der bergmännische Vortrieb. Zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung läuft der Vortrieb noch. Der Tunnel ist auch in diesem Abschnitt als Rechteckquerschnitt ausgebildet. Aufgrund der Kurvenfahrt, die unter den Bahngleisen erforderlich wird, ist der Großrohrschirm größer als der Tunnelquerschnitt, sodass zu den Seiten Füllbeton angeordnet wird. Der Tunnel weist eine Überdeckung von etwa 4,3 bis 4,9 m auf und auch der Tunnelvortrieb läuft unter rollendem Rad des Bahnverkehrs. 82 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Autobahnkreuz Herne - Neubau des Tunnels Baukau Der Vortrieb erfolgt blockweise mit 5 m langen Abschlägen zur Herstellung der jeweils 5 m langen Blöcke. Insgesamt werden zehn Blöcke hergestellt. Die Ortsbrust ist etwa 9,25 m hoch und 13,5 m breit. Unter den Blöcken wird ein Bodenaustausch aus Beton mit eingelegten HEB-Trägern zur Lastverteilung angeordnet, um die hohen Lasten, die aus den auf dem jeweiligen Block auflagernden Rohren des Rohrschirms resultieren, besser aufzunehmen und dabei nicht zu unverträglichen Setzungsdifferenzen zu führen. Die Startbaugrube ist mittels überschnittenen Bohrpfählen verbaut. Die obersten Rohre des Rohrschirms sind an einen Auflagerbalken aufgehängt, der über zwei Bohrpfählen mit jeweils 1,5 m Durchmesser gegründet ist. Abb. 9: Blick in die Startbaugrube Da für etwaige Ortsbrustanker jeweils eine Kampfmittelüberprüfung erforderlich wäre, werden diese, soweit möglich, vermieden. Daher erfolgt der Ausbruch in mehreren Teilausbrüchen auf drei bis vier Ebenen, wobei die Anzahl der Ebenen und Teilausbrüche mittels Beobachtungsmethode festgelegt werden. Die Ortsbrust wird bombiert hergestellt, mittels Spritzbeton gesichert und weist eine Neigung von 75° auf. Abb. 10: Querschnitt mit Aushubebenen (rot / grün / gelb) und Grundriss der Ortsbrust [2] Abb. 11: Ansicht der Ortsbrust Die Zielbaugrube wird offen hergestellt, wobei durch die schiefwinklige Querung die Rohre auf einer Seite frei auskragen und kein seitliches Auflager besitzen. Um die seitliche Auflagerung zu gewährleisten, wurde an der Zielbaugrubenseite ein vernagelter Bodenkörper stehen gelassen. Abb. 12: Bodenvernagelung an der Zielbaugrubenseite 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 83 Autobahnkreuz Herne - Neubau des Tunnels Baukau 3.4 Rampe und Stützwand Im letzten Abschnitt wird der Verkehr über eine Rampe in den Bestand eingefädelt. Die Rampe läuft dabei größtenteils parallel zum Bahndamm, der dabei teilweise über eine Stützwand abgefangen werden soll. Bauzeitlich wurde hier eine mehrfach rückverankerte Trägerbohlwand zur Baugrubensicherung hergestellt. 4. Grundwasserhaltung Der Großteil des Tunnels liegt im Kreidegrundwasser. Aufgrund der Druckhöhe ist eine geschlossene Grundwasserhaltung erforderlich. Da aber angrenzend eine Altlast im Grundwasser bekannt ist, erfordert die Planung, dass das verunreinigte Grundwasser nicht mobilisiert wird. Um dies umzusetzen sind Entnahmebrunnen mit Vakuumbeaufschlagung geplant. Das entnommene Wasser wird dabei im Nahbereich des Tunnels wiederversickert, um kein hydraulisches Gefälle von der Altlast zur Baugrube hin zu erzeugen. Vor der Wiederversickerung wird das Wasser durch ein Absetzbecken geführt. Aktivkohleanlagen sowie eine Enteisenungsanlage werden ebenfalls vorgehalten bzw. zeitweise betrieben, sofern erforderlich. Abb. 13: Systemskizze Wasserhaltung, Bereich offene Bauweise [3], bearbeitet Um die Wirksamkeit der Wasserhaltung, insbesondere im Hinblick auf die mögliche Verunreinigung, zu überprüfen wird ein umfangreiches Monitoring betrieben. Hierfür wurden zahlreiche Beobachtungsbrunnen hergestellt und mit automatischen Messgebern mit Fernübertragung ausgestattet. Zudem erfolgen regelmäßige chemische Untersuchungen an den Beobachtungsbrunnen, sowie an dem entnommenen Wasser vor der Wiedereinleitung. 5. Schlussbemerkung Aufgrund der geologisch und hydrogeologisch komplexen Situation sind zahlreiche Techniken des Spezialtiefbaus anzuwenden. Im Zuge der Planung mussten diverse Sonderlösungen konstruiert werden, um allen Anforderungen gerecht zu werden. Zudem wurde während des Baus das Projekt vom Landesbetrieb Straßenbau NRW an die neu gegründete Autobahn GmbH des Bundes übergeben, wodurch der Bauherr inmitten dieses anspruchsvollen Projekts gewechselt hat. Literatur [1] Wendt-Witte-Pirlet Ingenieurgesellschaft mbH (2019) Ausführungszeichnung Übersichtsplan [2] BeMo Tunneling GmbH (2020) Vortriebskonzept „Unterfahrung der Gleisanlage“ (Vorabzug) [3] BeMo Tunneling GmbH (2020) Ausführungszeichnung Wasserhaltung Lageplan