Kolloquium Bauen in Boden und Fels
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expert verlag Tübingen
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Unterirdische Querungen sensibler (DB-)Infrastruktur - Anforderungen an Planung und Ausführung des grabenlosen Kanal-/Leitungsbaus
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Dennis Edelhoff
Die Querung von Infrastruktur mittels grabenloser Bauverfahren unterliegt immer erhöhten Planungs- und Ausführungsanforderungen. Insbesondere bei der Querung von Schienenwegen sind teilweise umfangreiche regelwerksbedingte Auflagen und Anforderungen zu berücksichtigen. Auch die Überquerung von sensiblen Bestandsbauten wie z.B. U-Bahntunnel bedarf einer umfangreichen Planung, um die Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit zu gewährleisten Anhand von zwei aktuellen Projekten werden die wesentlichen Aspekte für die Planung und Ausführung illustriert.
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13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 95 Unterirdische Querungen sensibler (DB-)Infrastruktur - Anforderungen an Planung und Ausführung des grabenlosen Kanal-/ Leitungsbaus Dipl.-Ing. (FH), MBA, Dennis Edelhoff BUNG-PEB Tunnelbau-Ingenieure GmbH, Dortmund Zusammenfassung Die Querung von Infrastruktur mittels grabenloser Bauverfahren unterliegt immer erhöhten Planungs- und Ausführungsanforderungen. Insbesondere bei der Querung von Schienenwegen sind teilweise umfangreiche regelwerksbedingte Auflagen und Anforderungen zu berücksichtigen. Auch die Überquerung von sensiblen Bestandsbauten wie z.B. U-Bahntunnel bedarf einer umfangreichen Planung, um die Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit zu gewährleisten Anhand von zwei aktuellen Projekten werden die wesentlichen Aspekte für die Planung und Ausführung illustriert. 1. Ausgangssituation Infolge des steigenden Bedarfs nach infrastruktureller Vernetzung der urbanen und ländlichen Wohn- und Industrieareale werden die bestehenden Leitungsnetze der Versorgungs- und Telekommunikationsunternehmen modernisiert und ausgebaut. Die hierbei notwendigen zusätzlichen oder zu erneuernden Kanal-, Rohr- und Kabelleitungen queren regelmäßig bestehende Infrastruktur wie z. B. Schienenwege, Bundesautobahnen, Gewässer etc., da eine Anpassung des Haltungsverlaufs häufig infolge trassierungstechnischer Zwangspunkte nicht möglich ist oder im Rahmen von Umplanungen zu erheblichen und unwirtschaftlichen Mehrkosten führen würde. Darüber hinaus erfolgt des Öfteren eine zeitkritische Terminierung der Fertigstellung, die häufig auch aus politischen Gründen zwingend eingehalten werden muss. Neben den Regeln der Technik sind bei diesen Projekten auch zusätzliche Auflagen der jeweiligen Infrastrukturbetreiber zu berücksichtigen. Hierbei ist hinsichtlich Umfang und Detaillierung vor allem das bahnspezifische Regelwerk der DB AG sowie die bauordnungsrechtlichen Aspekte des Eisenbahnbaus zu nennen. Im vorliegenden Bericht wird dieser Tatsache folgend ein Schwerpunkt in diesen Bereich gelegt. 2. Bauverfahren zur unterirdischen Querung Für die Realisierung von unterirdischen Infrastruktur- Querungen stehen verschiedene Verfahren zur Herstellung von Leitungs- und Kanaltrassen mit heterogenen Anforderungen und Nutzungskonzepten zur Verfügung. Unterschieden wird unter anderem in ein- und mehrstufige, steuerbare und nicht steuerbare sowie bemannte und unbemannte Verfahren. Zu den häufig eingesetzten Verfahren für größere Durchmesser gehören der Rohrvortrieb bzw. der Mikrotunnelbau, die auf den Grundprinzipien des gleichzeitigen Vorpressens der Vortriebseinheit (Schild und Maschinenrohr) und des angeschlossenen Rohrstrangs aus einem Startschacht heraus (Abbildungen 1 und 2), der stetigen Schmierung und Stützung des Ringraums während des Vortriebs, dem Einbau von Fertigteilrohren und des erst nachträglichen Verdämmens des Ringraums in der Endlage des Rohrstrangs basieren. Die Prinzipien des Bodenabbaus (z. B. der Einsatz eines Schneidrads), der Abraumförderung (z. B. hydraulisch) und der Ortsbruststützung (z. B. Flüssigkeits- oder Erddruckstützung) erfolgen ähnlich dem maschinellen Vortrieb mit Tunnelbohrmaschine (TBM). Häufig werden im Rohrvortrieb sogenannte AVN-Maschinen (Automatische Vortriebsmaschine Nass) eingesetzt. Ihr Funktionsprinzip entspricht dem der Slurryschilde, d. h. Stützdruckregulierung über das Zu- und Abführen von Stützflüssigkeit. Eine präzisere Stützdruckregulierung ähnlich dem des Mix-/ Hydroschildes im Großtunnelbau erfolgt durch den Einsatz einer AVND-Maschine (Automatische Vortriebsmaschine Nassförderung Druckluft), welche den Stützdruck ebenfalls über ein Luftpolster steuert. Bei der AVND-Technik stehen sowohl die Betriebsarten Slurrymodus als auch Hydromodus zur Verfügung, zwischen denen während des Vortriebs durch Umschalten gewechselt werden kann. Neben dem Vollschnittabbau mit Schneidrad sind auch Vortriebe mit offenem Haubenschild, gegebenenfalls Druckluftstützung und Zughacke oder Schrämmgerät weit verbreitete Verfahren. 96 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Unterirdische Querungen sensibler (DB-)Infrastruktur - Anforderungen an Planung und Ausführung des grabenlosen Kanal-/ Leitungsbaus Abbildung 1: Pressschacht Rohrvortrieb Abbildung 2: AVND-Vortriebseinheit (© Epping Rohrvortrieb GmbH) Schon seit längerer Zeit gelangt auch das Horizontale Spülbohrverfahren (oder: HDD-Verfahren = Horizontal Directional Drilling) für die Herstellung von Strom-, Telekommunikations- oder Gasleitungstrassen zum Einsatz. Bei diesem Verfahren wird ein Pilotrohrstrang (Pilotbohrung) bodenaustragend und gesteuert vorgetrieben. Der Abbau des Bodens erfolgt im Lockergestein hydromechanisch mittels Hochdruckdüsen und Schneidelementen am Bohrkopf. Bei Festgestein erfolgt der Vortrieb durch einen Bohrlochmotor mit Bohrmeißel. Die Ortung des Bohrkopfes erfolgt in der Regel nach einem Sender-Empfänger-Prinzip. Richtungsänderungen werden durch die asymmetrische Steuerfläche des düsenbesetzten Bohrkopfes oder durch ein am Bohrlochmotor integriertes Winkelstück vorgenommen. Die Aufweitung der Pilotbohrung durch Räumer (Aufweitbohrung) erfolgt in einem oder mehreren Arbeitsgängen. Abschließend wird der Rohrstrang in die Bohrung eingezogen (Einzug). Für die Bauausführung stehen zahlreiche verschiedenartige Systeme und Ausbildungen (Bohrgestänge, Spül-/ Bohrköpfe, Räumer, Kupplungen etc.) sowie Leistungsklassen (Bohrgerätetypen/ HDD-RIGS in Abhängigkeit der Zugkräfte) zur Verfügung. Charakterisierendes Merkmal ist bei allen HDD-Systemen der Austrag des gelösten Bohrkleins aus dem Bohrkanal mittels zirkulierender Spül-/ Stützflüssigkeit rückfließend entlang der bereits gebohrten Strecke bzw. des Bohrgestänges. Insbesondere aufgrund der teilweise hohen Spüldrücke und des offenen Ringraums bis zum Einzug des Produkten-/ Schutzrohres werden in den Regelwerken der DB AG erhöhte Anforderungen an die Planung und Ausführung einer Schienenwegequerung mittels HDD-Verfahren gestellt. In der jüngeren Vergangenheit wurde das Cable & Pipe-Verfahren insbesondere zur Realisierung geringer Verlegetiefen entwickelt, bei dem über Vertikalbohrungen eine Druckentlastung des Spülungsstroms und damit die Gefahr von Spülungsaustritten an der Geländeoberfläche reduziert wird. Weitergehende Informationen zu den verschiedenen Einsatzbereichen und Vortriebstechniken sind in [1] dargestellt. 3. Schienenwege der Deutsche Bahn AG - Formalien und Anforderungen Für Querungen unter Bahngleisen gelten unterschiedliche Regelwerke, z. B. die Ril 836 „Erdbauwerke und sonstige geotechnische Bauwerke planen, bauen und instand halten“ [2] und die Ril 877 „Gas- und Wasserleitungskreuzungsrichtlinie“ [3]. Über Querverweise werden weitere DB-Regelwerke und auch mitgeltende Vorschriften integriert - so zum Beispiel von der DVGW (Deutsche Vereinigung des Gas- und Wasserfaches e. V.) und der DWA (Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V.). Als wesentliche Richtlinien und Vorschriften im Zusammenhang mit dem Rohrvortrieb unter DB-Gleisanlagen sind das DWA-A 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 97 Unterirdische Querungen sensibler (DB-)Infrastruktur - Anforderungen an Planung und Ausführung des grabenlosen Kanal-/ Leitungsbaus 125 bzw. DVGW-Arbeitsblatt GW 304 „Rohrvortrieb und verwandte Verfahren“ [4] sowie das DWA-A 161 „Statische Berechnung von Vortriebsrohren“ [5] zu nennen. Für das HDD-Verfahren ist das DVGW Arbeitsblatt GW 321 „Steuerbare horizontale Spülbohrverfahren für Gas- und Wasserrohrleitungen - Anforderungen, Gütesicherung und Prüfung“ [6] maßgebend. Die Erstellung von Rohrquerungen durch Dritte sowie deren Instandhaltung wird zwischen der DB Netz AG und dem Dritten im Rahmen eines Gestattungsvertrags bzw. Kreuzungsvertrags vor Baubeginn geregelt. Während der Antragstellung wird durch die DB Netz AG die Einhaltung der entsprechenden Regelwerke geprüft. Das grundsätzliche und oberste Ziel der Regelungen ist die jederzeitige Gewährleistung der Betriebssicherheit und Streckenverfügbarkeit. Hierzu werden in den unterschiedlichen Richtlinien bahnseitige und vortriebsbezogene Schutzmaßnahmen definiert, zu denen unter anderem objektspezifische Baugrundgutachten mit Risikobeurteilung und Prognose der zu erwartenden Oberflächensenkungen, die Einhaltung einer Mindest-Bodenüberdeckung in Abhängigkeit des Vortriebsverfahrens und des Durchmessers, die messtechnische Überwachung der Gleisanlage, die Einrichtung von Langsamfahrstellen, die Sekundärverpressung des entstehenden Ringspalts sowie das Verbot, eine Querung unter Schienenstößen und Weichen durchzuführen, gehören. Sofern eine geplante Leitungsquerung von den allgemeinen Auflagen und Regeln der DB-Richtlinien abweicht (z. B. Querung unter Weichen/ Kreuzungen), werden durch die Fachdienste der DB Netz AG objektspezifische Regelungen aufgestellt und im Rahmen einer Fachtechnischen Stellungnahme definiert. Auf Basis dieser Stellungnahme und mit der Verpflichtung zur Umsetzung der darin genannten Auflagen, erfolgt die sogenannte Unternehmensinterne Genehmigung (UiG) der geplanten Leitungsquerung. Diese wird Bestandteil des Kreuzungsvertrags zwischen DB AG und dem Dritten. Über die fachtechnische Stellungnahme zu der Unternehmensinternen Genehmigung werden Anforderungen an die Umsetzung der Baumaßnahme gestellt, die die Abweichungen vom Regelwerk kompensieren, so dass ein gleichwertiges Sicherheitsniveau erreicht wird. Zu diesen Anforderungen kann unter anderem die Beteiligung eines Sachverständigen für Horizontale Spülbohrverfahren oder das Aufstellen von qualitätssichernden Maßnahmen gehören. Beispielsweise wurde bei einem Fernwärme-Projekt am Frankfurter Hauptbahnhof eine Schienenwegequerung mit einem Schutzrohr DN 2500 mit AVND-Vortriebstechnik unter dem rollenden Rad (> 30 Gleisachsen) erfolgreich realisiert (Abbildung 3), bei dem insbesondere hinsichtlich der messtechnischen Überwachung Auflagen über eine UiG definiert wurden (Inklinometer- Ketten, Tachymetrische Überwachung, lokaler Vermessungs-Trupp). Abbildung 3: Vortriebstrasse unter Schienenwegen (© Google Maps) 98 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Unterirdische Querungen sensibler (DB-)Infrastruktur - Anforderungen an Planung und Ausführung des grabenlosen Kanal-/ Leitungsbaus Sofern standsicherheitsrelevante und damit bauaufsichtlich maßgebende Aspekte bei einer geplanten Leitungsquerung nicht eingehalten werden können, erfolgt durch Ansprache der DB Netz AG auch die Beteiligung der Zentrale des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA). Im Rahmen einer sogenannten „Zustimmung im Einzelfall“ (ZiE) durch die Zentrale des EBA werden mittels Nebenbestimmungen weitergehende Anforderung und Auflagen definiert, die für die Realisierung der Haltung zu beachten und umzusetzen sind. Darüber hinaus unterliegt jedes Bauprojekt im Bereich von Bahnanlagen der bauordnungsrechtlichen Weisung des EBA bzw. der VV BAU „Verwaltungsvorschrift über die Bauaufsicht im Ingenieurbau, Oberbau und Hochbau“ [7], sofern hiermit Änderungen der Betriebsanlagen der Eisenbahnen des Bundes, zu denen auch Leitungsquerungen gehören, erfolgen. In [7] werden u. a. auch die Verantwortlichkeiten und Beteiligungen der Überwachungsorgane definiert. Zusätzliche Informationen zu weiteren formalen und technischen Anforderungen (u. a. CSM-Verfahren etc.) sowie die Darstellung einer Qualitätssicherungsstrategie können [8] entnommen werden. 4. Projektbeispiele Nachfolgend werden zwei Projekte vorgestellt, bei denen sensible Infrastruktur erfolgreich gequert wurde. Beim ersten Projekt wurden Schienenwege unter- und im direkten Anschluss U-Bahntunnel überquert. Bei dem zweiten Projekt musste aufgrund kritischer Baugrundveränderungen im Trassenverlauf das Bauverfahren vor Unterquerung der DB-Anlage umgestellt werden. 4.1 AVND-Vortrieb DN 2000 an der Berne Die Emscher und ihre Nebengewässer bilden derzeit ein System offener Schmutzwasserläufe, die nach zwischenzeitlichem Abklingen der Bergsenkungen nunmehr im Rahmen der Renaturierung durch die Emschergenossenschaft in unterirdische Abwasserleitungen eines geschlossenen Kanalsystems überführt werden sollen. Ein Teilprojekt stellt ein grabenloser Kanalneubau an der Berne in Essen-Altenessen dar. Als Vortriebstechnik zur Realisierung dieses Kanalbauwerks kam eine AVND-Vortriebsmaschine (Rohrvortrieb mit Spülförderung im Hydro-Modus, d. h. Stützdruckregelung über Druckluftpolster) der Herrenknecht AG mit einem Außendurchmesser von 2.500 mm zum Einsatz, um die Gesamtlänge der Haltung von 450 m mit 2,0 ‰-Gefälle herzustellen. Als relevante Trassierungsparameter war die gekrümmte Linienführung mit einem Radius von 480 m auf den letzten rund 275 m zu berücksichtigen. Der zu bewältigende Baugrund bestand im Wesentlichen aus Talfüllungen mit unterschiedlicher Zusammensetzung u. a. in Form von braunem Schluff mit Sand-/ Kiesanteilen und verwitterten Mergelbruchstücken. Grundwasser war bis ca. 7 m oberhalb der Rohrsohle prognostiziert. Für die Baugrunddurchlässigkeiten wurde ein Durchlässigkeitsbeiwert k < 10-6 m/ s abgeschätzt. Im Verlauf der Vorpressung waren die Berne mit einer minimalen Überdeckung von 2,5 m sowie im weiteren Schienenwege in Dammlage der DB Netz AG mit einem Kreuzungswinkel von 69° und einer minimalen Bodenüberdeckung von 11,70 m zu unterqueren. Im direkten Anschluss an diese Unterquerung und kurz vor Erreichen des Zielschachtes war nach weiteren ca. 30 m Vortrieb die Überquerung zweier Tunnelröhren der Ruhrbahn GmbH mit einem Abstand von nur 1,5 m (Weströhre/ Gleis 1 und Oströhre/ Gleis 2) bei gleichzeitiger Unterquerung einer Hauptverkehrsstraße zu bewältigen. Die Überquerung erfolgte in einem 40°-Winkel, so dass sich ca. 32 m direkte Querungsstrecke ergaben. In Abbildung 4 sind beide Querungsbereiche dargestellt. Aufgrund der für die Unterquerung der Schienenwege installierten Langsamfahrstelle (Auflage der DB Netz AG) und der Betriebsruhe-Phase der zu überquerenden U-Bahn (Auflage der Ruhrbahn GmbH) musste der Vortrieb kontinuierlich erfolgen. Mit Erreichen der Eisenbahninfrastruktur stand ein Zeitfenster von 5 Tagen für die Querung der Schienenwege und der U-Bahntunnel zur Verfügung. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 99 Unterirdische Querungen sensibler (DB-)Infrastruktur - Anforderungen an Planung und Ausführung des grabenlosen Kanal-/ Leitungsbaus Abbildung 4: Querung von Infrastruktur der DB Netz AG und Ruhrbahn GmbH Da die Kanalquerung von den Regelwerken der DB Netz AG aufgrund gekrümmter Linienführung, schiefwinkliger Trasse (schleifender Schnitt mit den Eisenbahnstrecken) und Unterquerung von Weichen abweicht sowie die Bauausführung unter dem rollenden Rad stattfinden sollte, wurden spezifische Anforderungen und Auflagen für die Planung und Ausführung definiert und in einer Unternehmensinternen Genehmigung (UiG) seitens der DB Netz AG und einer Zustimmung im Einzelfall seitens des Eisenbahn-Bundesamts (EBA) fixiert. Unter anderem waren diverse statisch-konstruktive Nachweise, z. B. für die Stahlbeton-Vortriebsrohre und die Ortsbruststützung, zu führen und durch einen zugelassenen Sachverständigen zu prüfen. Des Weiteren waren Störfallszenarien und Alarmpläne aufzustellen sowie eine umfangreiche messtechnische Überwachung (15 Min.-Messrhythmus für den Gleisabschnitt im Einflussbereich) zu installieren. Auf Grundlage einer Senkungsprognose wurden unter Berücksichtigung der DB-Richtlinien und im Zusammenwirken mit den Anlagenverantwortlichen der DB Netz AG Vorwarnwerte (Eingreifwert) von 5 mm und Grenzwerte von 20 mm (Vortriebsunterbrechung) für die Gleisverformungen definiert. Während des Vorpressens musste eine Handstopfkolonne und eine Stopfmaschine vorgehalten werden. Für die Überquerung der U-Bahntunnel wurden unter anderem eine messtechnische Überwachung der Bestandsröhren und ein adaptiertes Qualitätssicherungsprogramm des Vortriebs gefordert. Darüber hinaus wurden statische Untersuchungen zur Verträglichkeit der Überquerung mit anschließender bautechnischer Prüfung sowie eine übergeordnete, alle Teilbereiche berücksichtigende gutachterliche Bewertung veranlasst. Neben der statisch-konstruktiven Verträglichkeit der prognostizierten Verformungen ist für die Gebrauchstauglichkeit der in Tübbingbauweise hergestellten U-Bahntunnel (Außendurchmesser 8,40 m) die Funktionsfähigkeit der Dichtungsprofile relevant. Deren Dichtwirkung wird maßgebend von den Versatz- und Spaltmaßen zwischen den einzelnen Tübbingsegmenten beeinflusst, die sich wiederum infolge Herstell- und Montagetoleranzen sowie Verformungen einstellen können. Mittels Versatzmessung der Röhren konnten wechselseitige Verformungswerte von maximal 6-7 mm zwischen den Tübbingsegmenten festgestellt werden. In Korrelation mit dem Arbeitsvermögen der eingebauten Dichtprofile war eine maximale zusätzliche Verformung von ± 15 mm möglich. Als Ereignismaßnahmen für sich infolge Vortriebs einstellender Undichtigkeiten und Wasserzutritten wurden Bohr-/ Injektionsaggregate, Aufstiegshilfen und Injektionsmaterial vorgehalten. Eine weitere Bewertung erfolgte hinsichtlich Erschütterungseinwirkungen auf den Tübbingtunnel durch den Abbauprozess an der Ortsbrust. Hierbei konnten die maximal zu erwartenden Schwinggeschwindigkeiten von 18 mm/ s im Vergleich mit den als verträglich für Tübbingbauwerke definierten Erschütterungen nach DIN 4150-3 [9] (Vmax < 80 mm/ s) als unkritisch beurteilt werden. Der Vortrieb erfolgte planmäßig und die Querungen der Gleisanlage sowie der U-Bahntunnel konnten nach rund 350 m bzw. 400 m bewältigt werden. Bei Tunnelmeter 440 wurde der Dichtblock vor dem Zielschacht erreicht. Für die Einfahrsituation war der Schacht geflutet. Die AVND-Einheit wurde mit dem Rohrstrang so weit in den Zielschacht vorgeschoben, dass die Dichtkonstruktion bestehend aus 2 verfüllbaren Gewebeschläuchen gegen das Stahlbetonrohr verpresst wurden und somit eine Ab- 100 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Unterirdische Querungen sensibler (DB-)Infrastruktur - Anforderungen an Planung und Ausführung des grabenlosen Kanal-/ Leitungsbaus dichtung gegenüber dem anstehenden Grundwasser erfolgen konnte. Im nachfolgenden Arbeitsschritt wurde die Verdämmung des Ringraums durchgeführt und innerhalb von 3 Tagen abgeschlossen. Insgesamt konnten die zeitlichen Vorgaben hinsichtlich Unterquerung der Schienenwege und Überquerung der U-Bahntunnel innerhalb von insgesamt 5 Tagen realisiert werden. Über die installierte Messtechnik im Bereich der Eisenbahninfrastruktur wurden im Zusammenhang mit den Vortriebsarbeiten nur geringe Verformungswerte festgestellt, die zu keiner Beeinträchtigung des Schienenverkehrs geführt haben. Die prognostizierten Maximalwerte der Verformung wurden nicht erreicht. Analoge Erkenntnisse hat die messtechnische Überwachung der U-Bahnröhren erbracht. Hierbei wurden maximale Verformungswerte von 1 mm festgestellt. Die Dichtigkeit der Tübbingröhren blieb gewährleistet. Insgesamt konnte der Vortrieb des DN 2000-Kanals erfolgreich unter Beachtung der Auflagen aus UiG und ZiE und den Ergänzungen der Ruhrbahn GmbH umgesetzt werden. Die aufgetretenen Verformungen lagen unterhalb (Schienenwege) bzw. deutlich unterhalb (U-Bahntunnel) der prognostizierten Werte. Kritische Vortriebszustände, die einen Eingriff in den Bahnbetrieb oder eine Intervention in den Tübbingtunneln erfordert hätten, waren zu keiner Zeit gegeben. Der Vortrieb an der Berne zeigt eindrücklich, dass auch sensible Infrastruktur sicher unter- und überquert werden kann, ohne dass sich Beschädigungen an den Bestandsbauten einstellen. Für die Unterquerung von Schienenwegen der DB Netz AG existieren neben dem gegenständlichen Vortrieb noch zahlreiche weitere Beispiele. Mit Überquerung der U-Bahntunnel wurde ein zusätzliches Projekt als Referenz für einen qualitätsgesicherten Rohrvortrieb realisiert. Ergänzende Informationen sind in [10] dargestellt. 4.2 Halboffener Vortrieb DN2600 in Gelsenkirchen Ein weiteres Projekt im Zusammenhang mit der Renaturierung der Emscher umfasst das Einzugsgebiet des Schwarzbachs, bei dem ein Abwasserkanal der Dimension DN 2600 die Schienenwege der DB Netz AG kreuzt. Aufgrund baulicher und hydraulischer Zwangspunkte weicht die Trasse im Bereich der Kreuzung von der Richtlinie Ril 836 hinsichtlich Überlagerungshöhe sowie Abstand zu Bestandsbauwerken und Oberleitungsmasten ab. Zur Festlegung objektspezifischer Regelungen und Kompensation der Regelwerksabweichung wurden eine Unternehmensinterne Genehmigung (UiG) der DB Netz AG und eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE) des Eisenbahn-Bundesamtes aufgestellt. Die Querung der zweigleisigen Bahnanlage der Bahnstrecke 2168 (VzG = 100 km/ h) erfolgte schiefwinkelig (ca. 62°) von Osten nach Westen. Die gradlinige Vortriebsstrecke für den neuen Abwasserkanal betrug insgesamt 83,5 m, wobei rund 41 Meter unterhalb der Gleisanlage verliefen. Die minimale Bodenüberdeckung lag bei rund 6,40 m. Der Vortrieb des Rohrstrangs DN 2600 wurde mit einer Teilschnittmaschine DA 3100 mit einer Schrämme und Schneckenförderung im offenen Haubenschild durchgeführt. Für den Vortriebszeitraum der Unterquerung der Bahnanlage bestand für den regulären Schienenverkehr eine vierwöchige Streckensperrung. Für die örtliche Chemieindustrie waren zweimal tägliche Versorgungsfahrten über ein Baugleis (max. 20 km/ h) zulässig. Auf den ersten 30 m des Vortriebs wurde entsprechend der Prognose Boden mit einem relativ hohen Feinanteil und geringer Kohäsion angetroffen. Nach einer Vortriebsstrecke von rund 35 m hat sich vor dem Bahndamm ein Verbruch infolge grobstückigem/ blockigem (teilw. Kantenlänge > 60 cm) sowie locker gelagertem, unverzahntem Bergematerial an und über der Ortsbrust eingestellt. Im Zuge einer Ortsbegehung unter anderem mit der DB Netz AG wurde festgelegt, dass es unter diesen Bedingungen und auf der sicheren Seite liegend nicht möglich war mit dem Vortrieb fortzufahren, da ein zum Verbruchbereich analoger und damit von der Prognose abweichender Baugrundaufbau auch im Bahndammbereich nicht ausgeschlossen werden konnte. Der Verbruchbereich wurde mit Magerbeton vollständig verfüllt. Im Rahmen mehrerer intensiver und zeitkritischen Besprechungen und Abstimmungen wurde mit Zustimmung der am Bau Beteiligten eine Umstellung des Vortriebsverfahrens auf einen halboffenen Vortrieb festgelegt. Dazu und zur Ausnutzung der bestehenden Sperrpause, die auf eine vollständige Streckensperrung erweitert wurde, war es notwendig innerhalb kurzer Zeit die Bahnstrecke auf einer Länge von ca. 12 m temporär rückzubauen und den Oberbau sowie in Teilen den Unterbau geböscht abzutragen. Das gewählte halboffene Vortriebsverfahren bestand prinzipiell aus einer Kombination aus einem Einschnitt (mit Hydraulikbagger), dem Einsatz eines Gleitschienenverbaus (analog eines Grabenverbaugeräts) und der Rohrvortriebsmaschine, welches taktweise in drei Arbeitsschritten durchgeführt wurde: • Geböschter Voreinschnitt Bahndamm bis zur Voraushubsohle (3 m unter OK Bahndamm) • Taktweises Vorpressen des Vortriebsrohres im Schutze des Gleitschienenverbaus • Aufbau des Bahndamms: Lagenweiser Wiedereinbau des aufgearbeiteten Aushubmaterials (Anpassung Korngröße, Beimengung Bindemittel) und dessen Verdichtung Die nachfolgenden Abbildungen illustrieren einige Teilaspekte des Verfahrens. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 101 Unterirdische Querungen sensibler (DB-)Infrastruktur - Anforderungen an Planung und Ausführung des grabenlosen Kanal-/ Leitungsbaus Abbildung 5: Aushub in der Verbaubox (© Helmut Uhrig Straßen- und Tiefbau GmbH) Abbildung 6: Vortrieb innerhalb der Verbaubox Abbildung 7: Blick entlang Schienenwege (© Helmut Uhrig Straßen- und Tiefbau GmbH) Abbildung 8: Wiederaufbau Bahndamm Im Zug des Bahndammeinschnitts konnte festgestellt werden, dass die Entscheidung gegen das ursprünglich installierte Vortriebssystem zielführend war, da sich die ungünstigen geologischen Randbedingungen (stark blockiges, unverzahntes Bergematerial) bis in den Bahndamm fortgesetzt haben. Gleichzeitig konnte mit dem halboffenen Vortriebssystem der angetroffene Baugrund beherrscht und der Kanalbau erfolgreich umgesetzt werden. Der abschließende Bahndammauf- und Schienenoberbau erfolgte regelkonform und qualitätsüberwacht. Das für den Wiedereinbau vorgesehene Aushubmaterial wurde mittels Schaufelseparator auf eine Korngröße von 0/ 60 gesiebt bzw. ggf. geschrotet und mit einem Bindemittel (Dorosol C30) vermengt, so dass eine Bodenverfestigung realisiert wurde. Der Einbau erfolgte lagenweise und mit entsprechender Verdichtung. Die Auswertung der Feldversuche zum Verdichtungsgrad zeigt, dass die gem. Ril 836.4101A01 gestellten Regelanforderungen an den Unterbau für Strecken mit Schotteroberbau und 102 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Unterirdische Querungen sensibler (DB-)Infrastruktur - Anforderungen an Planung und Ausführung des grabenlosen Kanal-/ Leitungsbaus Geschwindigkeiten im Bereich V = 80 - 160 km/ h eingehalten worden sind. Die Verfüllung des Ringraums zwischen Rohr und Erdreich erfolgte im Nachgang zum Vortrieb und zum Bahndammaufbau mit einer fließfähigen hydraulisch abbindenden Suspension. Die Verfüllung des Ringspalts wurde qualitätsgesichert und mit Dokumentation von Injektionsort, Station, Datum, Uhrzeit und verpressten Volumina umgesetzt. In Abstimmung mit der DB Netz AG wurde nach Abschluss der Arbeiten für weitere 14 Tage nach Aufhebung der Streckensperrung eine Handstopfkolonne und eine Stopfmaschine vorgehalten. Während der Baumaßnahme wurden Kampfmitteluntersuchungen von der Ortsbrust (im Vortriebsrohr des Rohrstrangs) aus durchgeführt. Dabei kam die vortriebsbegleitende Störkörpersuche mit dem Impuls-Neutron- Neutron-Verfahren (INN-Verfahren) zum Einsatz, mit dem Kampfmittel bis in eine Entfernung von ca. 4-5 m detektiert werden können. Vortriebsbegleitend wurde daher bei jedem Rohrwechsel an der Ortsbrust eine vorausschauende Störkörper-Detektion durchgeführt. Während und in einem Zeitfenster 10 Minuten nach der Störkörper-Detektion wurde aus Strahlenschutzgründen ein Bereich bis 10 Meter hinter der Ortsbrust frei von Personen gehalten (Sicherheitskorridor). Nach der Modifizierung des Vortriebsverfahrens wurde im Bereich des Voraushubs und im Bereich des Gleitschienenverbaus eine ergänzende Kampfmitteluntersuchung erforderlich. Aufgrund vorhandener Störstoffe im Bahndamm war dieser nicht sondierbar, sodass eine kampfmittelspezifische Bauaushubbegleitung stattfand. Während der gesamten Vortriebsarbeiten wurden keine Kampfmittel detektiert. Das INN-Verfahren konnte gut in den Bauablauf (Rohrvortrieb mit Rohrwechseln) eingebunden werden. Die Baumaßnahme konnte durch die gemeinsame Anstrengung der am Bau Beteiligten zur kurzfristigen und regelkonformen Umstellung des Verfahrens unter Ausnutzung der bestehenden Sperrpause erfolgreich beendet werden. 5. Zusammenfassung und Fazit Für die erfolgreiche Unter- und Überquerung sensibler Infrastruktur mit grabenlosen Bauverfahren sind neben der verfahrensspezifischen Planung immer auch die speziellen Regeln und Anforderungen der Infrastrukturbetreiber zu berücksichtigen. Hinsichtlich Umfang und Detailierung setzten die Regelwerke der DB Netz AG hier Maßstäbe. Wie in den Projektbeispielen gezeigt wurde, können auch Abweichungen und Störungen im Bauauflauf hin zu einer völlig anderen Bauausführung unter Beteiligung aller relevanten Entscheidungsinstanzen bewältigt werden. Literatur [1] Edelhoff, D.; Kohlschreiber, P. (2019): „Leitungstrassen im Rohrvortrieb/ Microtunnelling - Auswahl des geeigneten Abbau- und Stützprinzips“, Tagungsband zum 33. Oldenburger Rohrleitungsforum 2019, S. 376-387 [2] Richtlinie 836 „Erdbauwerke und sonstige geotechnische Bauwerke planen, bauen und instand halten“ (12/ 2019) [3] Richtlinie 877 „Gas- und Wasserleitungskreuzungsrichtlinie“ (01/ 2021) [4] DWA-A 125 „Rohrvortrieb und verwandte Verfahren“ (12/ 2008; Korrekturblatt 07/ 2014) [5] DWA-A 161 „Statische Berechnung von Vortriebsrohren“ (03/ 2014) [6] DVGW Arbeitsblatt GW 321 „Steuerbare horizontale Spülbohrverfahren für Gas- und Wasserrohrleitungen - Anforderungen, Gütesicherung und Prüfung“ (10/ 2003; Korrekturen 01/ 2009) [7] „Verwaltungsvorschrift über die Bauaufsicht im Ingenieurbau, Oberbau und Hochbau“ (VV BAU), Eisenbahn-Bundesamt, (02/ 2019) [8] Edelhoff, D.; Peter, C.; Padberg, G. (2017): „Besondere Anforderungen für den Rohrvortrieb unter Bahngleisen“, tunnel-Zeitschrift 1/ 2017, S. 22-35 [9] DIN 4150-3 „Erschütterungen im Bauwesen: Einwirkungen auf bauliche Anlagen“, 2016-12 [10] Edelhoff, D.; Nolden, M. (2021): „Unter und über sensibler Infrastruktur“, B_I umweltbau 5|21, S. 21-28
