Kolloquium Bauen in Boden und Fels
kbbf
2510-7755
expert verlag Tübingen
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2022
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Möglichkeiten der Sicherung von Laibung und Ortsbrust beim Spritzbetonvortrieb im nichtbindigen Lockergestein
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Jochen Fillibeck
Johannes Jessen
Bei Tunnelvortrieben im grobkörnigen Lockergestein kommt der Sicherung der Ortsbrust nach dem Abschlag ganz besondere Bedeutung zu, da diese häufig nicht senkrecht steht. Eine senkrechte Ortsbrust ist allerdings erforderlich, damit der Ausbaubogen gestellt werden kann. Im Rahmen der Veröffentlichung werden verschiedene Sicherungsmaßnahmen / Verfahren beschrieben und beurteilt, mit denen ein Vortrieb unter den genannten Randbedingungen geeignet ausgeführt werden kann. Diese sind: Pfändung bzw. Spießschirm; Aufteilung in verschiedene Teilvortriebe (Kalottenvortrieb, Ulmenstollenvortrieb, ...) bzw. Öffnung der Ortsbrust in einzelnen Fenstern; lokale Verkittungsinjektionen; Injektionen mit Zement bzw. Kunststofflösungen; Ortsbrustverankerungen. Die Maßnahmen werden anhand von Beispielen bei den Vortrieben für den Tunnel Oberau, den Kramertunnel, die U-Bahn München und die Bahn-Neubaustrecke Ebensfeld - Erfurt beschrieben und bewertet. Es werden dabei technische aber auch baubetriebliche Aspekte berücksichtigt. Zudem wird bewertet, ob bzw. wie die verschiedenen Maßnahmen geeignet sind, mögliche Gefahrenszenarien zu verhindern bzw. Setzungen zu reduzieren. Da auch baupraktische Details behandelt werden, richtet sich der Vortrag gleichermaßen an die Planung wie auch die Ausführung.
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13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 123 Möglichkeiten der Sicherung von Laibung und Ortsbrust beim Spritzbetonvortrieb im nichtbindigen Lockergestein Prof. Dr.-Ing. habil. Jochen Fillibeck Zentrum Geotechnik, Technische Universität München, Deutschland M.Sc. Johannes Jessen Zentrum Geotechnik, Technische Universität München, Deutschland Zusammenfassung Bei Tunnelvortrieben im grobkörnigen Lockergestein kommt der Sicherung der Ortsbrust nach dem Abschlag ganz besondere Bedeutung zu, da diese häufig nicht senkrecht steht. Eine senkrechte Ortsbrust ist allerdings erforderlich, damit der Ausbaubogen gestellt werden kann. Im Rahmen der Veröffentlichung werden verschiedene Sicherungsmaßnahmen / Verfahren beschrieben und beurteilt, mit denen ein Vortrieb unter den genannten Randbedingungen geeignet ausgeführt werden kann. Diese sind: Pfändung bzw. Spießschirm; Aufteilung in verschiedene Teilvortriebe (Kalottenvortrieb, Ulmenstollenvortrieb, ...) bzw. Öffnung der Ortsbrust in einzelnen Fenstern; lokale Verkittungsinjektionen; Injektionen mit Zement bzw. Kunststofflösungen; Ortsbrustverankerungen. Die Maßnahmen werden anhand von Beispielen bei den Vortrieben für den Tunnel Oberau, den Kramertunnel, die U-Bahn München und die Bahn-Neubaustrecke Ebensfeld - Erfurt beschrieben und bewertet. Es werden dabei technische aber auch baubetriebliche Aspekte berücksichtigt. Zudem wird bewertet, ob bzw. wie die verschiedenen Maßnahmen geeignet sind, mögliche Gefahrenszenarien zu verhindern bzw. Setzungen zu reduzieren. Da auch baupraktische Details behandelt werden, richtet sich der Vortrag gleichermaßen an die Planung wie auch die Ausführung. 1. Einführung Beim Spritzbetonvortrieb im grobkörnigen Lockergestein muss die Ortsbrust aufgrund der geringen bzw. fehlenden Kohäsion durch Zusatzmaßnahmen gesichert werden. Gemäß DIN 18312 erfolgt der temporäre Ausbau daher häufig in der höchsten Ausbauklasse- der Vortriebsklasse 7. Diese Vortriebsklasse beinhaltet eine Ortsbrustsicherung, vorauseilende Sicherungsmaßnahmen und ggf. eine zusätzliche Unterteilung des Querschnitts [1]. Nachfolgend wird auf verschiedene konstruktive Maßnahmen gegen ein lokales Ortsbrustversagen eingegangen. Es werden verschiedene Möglichkeiten zur Querschnittsgestaltung und Ausbruchsabfolge beim Vortrieb erläutert und vergleichend beurteilt. 2. Unterscheidung zwischen globalem und lokalem Ortsbrustversagen Hinsichtlich der Ortsbruststandsicherheit wird nachfolgend zwischen globalen und lokalen Versagensmechanismus unterschieden (siehe Abb. 1). Beim globalen Versagen bewegt sich ein zusammenhängender Bodenkörper, der bei der Standsicherheitsberechnung häufig als Gleitkeil oder Bruchmuschel angenommen wird, aus der Ortsbrust in Richtung Hohlraum. Dieser Körper wird durch das darüber liegende Gebirge vertikal belastet (Bruchkörpermechanismus, siehe Abb. 1a). Beim globalen Standsicherheitsnachweis ist der Nachweis zu erbringen, dass die rückhaltenden Kräfte (Reibung, Kohäsion aber auch zusätzliche Sicherungselemente wie Ortsbrustanker ausreichen, um ein Abgleiten zu verhindern. Details zum Bruchköpermechanismus und weitere Verfahren zum Nachweis der globalen Ortsbruststandsicherheit wurden bereits vielfach in der Literatur dokumentiert [2-7], weshalb hier nicht weiter darauf eingegangen wird. Lokales Ortbrustversagen entsteht unabhängig vom globalen Versagen dann, wenn die Ortsbrust aufgrund fehlender Kohäsion nicht senkrecht steht und die nichtkohäsiven Böden aus der Ortsbrust „herausfließen“ (siehe Abb. 1b) ohne dass sie, wie beim globalen Versagen der Fall, zusätzlich vertikal belastet werden. 124 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Möglichkeiten der Sicherung von Laibung und Ortsbrust beim Spritzbetonvortrieb im nichtbindigen Lockergestein Abb. 1: Globaler (a) und lokaler (b) Versagensmechanismus an der Ortsbrust Aber auch ein Herausrieseln von Boden aus der nicht gesicherten Laibung kann als lokales Versagen bezeichnet werden. Bei Böden ohne Kohäsion stellt sich im trockenen oder durchnässten Zustand ein Böschungswinkel an der Ortsbrust ein, der dem kritischen Reibungswinkel des Bodens entspricht. Allerdings besitzen auch Böden ohne oder mit geringem Feinkornanteil im erdfeuchten Zustand aufgrund kapillarer Kräfte in Abhängigkeit vom wirksamen Korndurchmesser und dem Wassergehalt eine Kohäsion, welche als Kapillarkohäsion bezeichnet wird (siehe Abb. 2). Abb. 2: Kapillare Wirkung im teilgesättigtem Zustand führt zu Kapillarkohäsion Die Kapillarkohäsion bewirkt, dass auch nichtbindige, feinkornarme Böden über eine gewisse Höhe senkrecht stehen. Die maximale frei stehende Höhe wird nachfolgend freie Standhöhe bezeichnet. Die freie Standhöhe kann unter der vereinfachten Annahme eines ebenen, aktiven Erddrucks gemäß Formel (1) ermittelt werden: Dabei ist: die (Kapillar-)Kohäsion des Bodens; der aktive Erddruckbeiwert; der Reibungswinkel des Bodens und die Wichte des Bodens. Umgekehrt kann anhand der freien Standhöhe auch die Mindestkohäsion des anstehenden Lockergesteins abgeschätzt werden, wie in Gleichung (2) beschrieben: In Abb. 3 ist die freie Standhöhe in Abhängigkeit der Kohäsion des anstehenden Bodens für typische Bodenkennwerte im grobkörnigen Lockergestein ( = 32,5 bzw. 37,5° und = 22 kN/ m³) wiedergegeben. Abb. 3: Freie Standhöhe in Abhängigkeit der Kohäsion des anstehenden Bodens Meist wird im Zuge der Planung des Tunnelvortriebs die globale Ortsbruststandsicherheit rechnerisch nachgewiesen, während die Maßnahmen gegen lokales Ortsbrustversagen konstruktiv gelöst werden. 3. Aufteilung des Tunnelquerschnitts in Teilvortriebe Wenn der Vortrieb nicht geeignet im Vollausbruch aufgefahren werden kann, was bei Lockergesteinsvortrieben überwiegend der Fall ist, muss der Tunnelquerschnitt in Teilvortriebe aufgeteilt werden. Hierbei werden die einzelnen Vortriebe nacheinander aufgefahren. Dieses Vorgehen ist nicht zu verwechseln mit dem konstruktiv gewählten Vortrieb in Teilflächen (siehe Abschnitt 4.2). Abb. 4 zeigt verschiedene Möglichkeiten, wie der Tunnel in verschiedene Teilvortriebe aufgeteilt werden kann. Welche dieser Varianten gewählt wird, hängt maßgeblich von der Gesamtquerschnittsgröße des Tunnels, den geotechnischen Eigenschaften des Gebirges, den verwendeten Sicherungsmaßnahmen und damit von der Standfestigkeit des Tunnels und der Ortsbrust ab. Aber auch weitere Faktoren wie z.B. die Grundwasserverhältnisse, der vorhandene Erkundungsgrad oder wirtschaftliche Aspekte beeinflussen die Wahl der Teilvortriebe. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 125 Möglichkeiten der Sicherung von Laibung und Ortsbrust beim Spritzbetonvortrieb im nichtbindigen Lockergestein Kalottenvortrieb Firststollenvortrieb Einhüftiger Ulmenstollenvortrieb Beidseitiger Ulmenstollenvortrieb Weitere Unterteilungen (Beispiel: U-Bahn München, Bahnhofsquerschnitt) Abb. 4: Möglichkeiten der Querschnittsunterteilung. Die Zahlen geben die Reihenfolge der Teilvortriebe an. Aufgrund der Vielfältigkeit der Einflussfaktoren muss die Wahl für jedes Projekt neu festgelegt werden. Nachfolgend werden einige Aspekte zur Wahl der Querschnittsunterteilung dargelegt, die sich im Rahmen von Projekten als wesentlich herausstellten: - Allgemein ist beachten, dass durch die Größe der Teilvortriebe das Lösen und Laden beeinflusst wird. Kleine Teilvortriebe erfordern entsprechend kleine Abbaugeräte oder aber bei großen, hohen Teilquerschnitten muss gegebenenfalls aufgeschüttet werden, um die Arbeiten an der Firste bewerkstelligen zu können. - In den letzten Jahren zeigte sich der Trend, dass aus wirtschaftlichen Gründen zunehmend große Querschnitte mit entsprechend aufwendigen Sicherungsmaßnahmen (z.B. Ortsbrustanker, Schirmgewölbe) aufgefahren werden. Hier sei beispielsweise auf die Veröffentlichungen von Lunardi aus Italien verwiesen [8], wo mit intensiver Ortsbrustsicherung durch Glasfaseranker und Düsenstrahlschirmen auch bei großen Querschnitten der Ausbruch im Vollausbruch bewerkstelligt wurde. - Beim häufig angewendeten Kalottenvortrieb wird die Kalotte vorauseilend zu Strosse und Sohle vorgetrieben. Strossen- und Sohlvortrieb können entweder unmittelbar nachlaufend oder in größerem Abstand hinter dem Kalottenvortrieb folgen. Da im Lockergestein ein frühzeitiger Ringschluss erforderlich ist, erfolgt der Kalottenvortrieb mit Sohlgewölbe ausgeführt werden, welches im Zuge der Querschnittsaufweitung wieder abgebrochen werden muss. Ein Großteil der Gesamtverformungen tritt im Zuge des Kalottenvortriebs auf, während beim Strossen- und Sohlvortrieb nur noch geringe Verformungszuwächse zu erwarten sind. - Der Firststollenvortrieb ist eine Sonderform des Kalottenvortriebs und bietet den Vorteil, dass zunächst ein kleiner Querschnitt innerhalb der Kalotte aufgefahren wird, welcher zugleich als Erkundung für den restlichen Tunnelquerschnitt dient. Bei Bedarf können aus dem Firststollen beispielsweise Vorabinjektionen als zusätzliche Sicherungsmaßnahme für den restlichen Querschnitt vorgenommen werden. Insbesondere im Lockergestein treten beim Firststollenvortrieb größere Setzungen auf, da das beim Vortrieb des Firststollens entstandene Gebirgsgewölbe über dem Tunnel bei der Aufweitung zerstört wird und sich darüber ein größeres Gebirgsgewölbe tangential um den Tunnel bilden muss (siehe Abb. 5). - Sowohl beim Ulmenstollenvortrieb als auch beim einhüftigen Vortrieb wird der Querschnitt nicht bzw. nicht nur vertikal, sondern auch horizontal unterteilt. Zunächst erfolgt der Vortrieb der seitlichen Ulmen, dann der mittlere Teil bzw. der Rest des Gesamtquerschnitts. In der Praxis wird der einhüftige Vortrieb selten ausgeführt, da statisch gesehen, beim Auffahren des Gesamtquerschnitts die Ulmenstile stark belastet werden und punktuell hohe Lasten in die Außenschale eingeleitet werden. Hinsichtlich der auftretenden Setzungen wirkt sich der beidseitige Ulmenstollen gegenüber einem Kalottenvortrieb positiv aus, da die Ulmenstollenvortriebe aufgrund der geringeren Querschnittsgröße geringere Setzungen induzieren und sich beim Vortrieb des Mittelstollens ein Gewölbe im Gebirge ausbilden, welches sich auf den steifen Ulmenstollen abstützen kann. - Weitere Querschnittsunterteilungen werden in der Regel nur bei sehr großen Querschnitten (> 150 m²) notwendig. Hierauf kann im Rahmen dieser Veröffentlichung nicht eingegangen werden. 126 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Möglichkeiten der Sicherung von Laibung und Ortsbrust beim Spritzbetonvortrieb im nichtbindigen Lockergestein Abb. 5: Gewölbetragwirkung des Gebirges über dem Vortriebsquerschnitt in Abhängigkeit von der Vortriebsweise am Beispiel von FE-Berechnungen für den Tunnel Oberau In Verbindung mit den Maßnahmen zur Sicherung der Ortsbrust sind die Teilquerschnitte so zu wählen, dass die globale Ortsbruststandsicherheit gegeben ist und dass es nicht zu einem lokalen Versagen an der Ortsbrust kommt. Hierauf wird nachfolgend eingegangen. 4. Konstruktive Maßnahmen gegen ein lokales Ortsbrustversagen 4.1 Allgemeines Nachfolgend wird auf verschiedene Maßnahmen eingegangen, die eine senkrechte Ortsbrust auch im nichtbindigen kohäsionslosen Lockergestein ermöglichen. Die senkrechte Ortsbrust ist erforderlich, damit der Ausbaubogen senkrecht gestellt werden kann. Unabhängig davon ist durch Maßnahmen wie den Stützkern, Ortsbrustanker oder Schirmgewölbesicherungen die globale Ortsbruststandsicherheit sicher zu stellen. 4.2 Öffnung der Ortsbrust in Teilflächen Wenn die maximale freie Standhöhe des Gebirges kleiner ist, als die Höhe der Ortsbrust des Vortriebs, besteht die Möglichkeit, die Ortsbrust in Teilflächen zu öffnen. Dadurch wird die maximal erforderliche freie Standhöhe reduziert. Abb. 6 zeigt beispielhaft das Öffnen in Teilflächen beim Vortrieb des Erkundungsstollens für den Kramertunnel in nahezu kohäsionslosem Kies. Abb. 6: Öffnen der Ortsbrust in Teilflächen beim Erkundungsstollen für den Kramertunnel im feinkornarmen Kies Ausgehend von der zugespritzten Ortsbrust mit Stützkern wurde der Kies von oben nach unten um den Stützkern in 6 Teilflächen entfernt. Die Teilflächen waren nur ca. 1 bis 4 m² groß. Nach dem Öffnen der Spritzbetonschale einer Teilfläche wurde der Kies in der Teilfläche über eine Abschlagslänge entnommen, die Ortsbrust bewehrt und die Ortsbrust zusammen mit der Laibung wieder zugespritzt. Damit beim Öffnen einer Teilfläche die benachbarte Teilfläche nicht mit abgerissen wird, hat es sich als günstig herausgestellt, jeder Teilfläche zumindest einen Ortsbrustanker zuzuweisen. Nachdem alle Teilflächen und der Stützkern um einen Meter vorgetrieben wurden, ist der Abschlag abgeschlossen. Insbesondere bei einer großen Anzahl von Teilflächen ist diese Vorgehensweise zeitintensiv, deswegen auch teuer und insgesamt vorab schwer kalkulierbar. Die Spritzbetonversiegelung wird beim nachfolgenden Abschlag wieder zerstört, so dass dieses Verfahren mit einem hohen Spritzbetonverbrauch und Mehrmengen an Tunnelausbruchsmaterial einhergeht. Aufgrund des hohen Arbeitsaufwands zum Öffnen und Versiegeln der Teilflächen verlangsamt sich die Vortriebsgeschwindigkeit. Des Weiteren wird bei kleinen Teilflächen ein vergleichsweise kleiner und wendiger Bagger benötigt, um den Bodenabbau mit der erforderlichen Genauigkeit vornehmen zu können. Daher werden bei Vortrieben, die eine große Anzahl von Teilflächen erfordern, gerne andere Maßnahmen zum Erreichen einer senkrechten Ortsbrust eigesetzt. Ist allerdings der Einsatz größerer Teilflächen möglich (siehe z.B. Abb. 7 bei einem Vortrieb für NBS Ebensfeld - Erfurt), werden diese häufig eingesetzt und sind ein probates Mittel. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 127 Möglichkeiten der Sicherung von Laibung und Ortsbrust beim Spritzbetonvortrieb im nichtbindigen Lockergestein Abb. 7: Öffnen der Ortsbrust in großen Teilflächen für die NBS Ebensfeld - Erfurt 4.3 Verkittungsinjektionen Eine weitere Möglichkeit, in kohäsionslosen Böden eine senkrechte Ortsbrust herzustellen, ist die Verkittungsinjektion, welche nicht mit der vollflächigen Injektion der Ortsbrust gleichzusetzen ist. Verkittungsinjektionen werden in der Regel rein konstruktiv eingesetzt und werden beim statischen Nachweis der Ortsbruststandsicherheit nicht berücksichtigt. Demzufolge sind vorauseilende Verkittungsinjektionen nicht als vollflächige statisch angesetzte Ortsbrustinjektion im Sinne der DIN EN 12715 [9] und der DIN 4093 [10] zu verstehen, die umfangreiche Qualitätskontrollen erfordern. Verkittungsinjektionen wurden zum Beispiel häufig beim U-Bahn-Bau in München in den fluviatil also durch Fließvorgänge abgelagerten, quartären Kiesen eingesetzt. Hierbei wechselt je nach Strömungsgeschwindigkeit beim Ablagerungsprozess der Feinkorn- und Sandanteil in engen Schichten ab. Ziel war es, die bereichsweise anstehenden feinkorn- und sandarmen Rollkieslagen, welche aufgrund des großen Korns keine Kapillarkohäsion besitzen, leicht zu verkleben, so dass sie kurzfristig senkrecht stehen und beim Vortrieb nicht ausrieseln. Das Injektionsmittel wurde über Rammlanzen mit einer Länge von üblicherweise 4 bis 6 m eingebracht (siehe Abb. 8). Abb. 8: Vorauseilende Verkittung von kohäsionslosen Bodenschichten (adaptiert aus [11]) Wesentlich hierbei ist, dass nur die Rollkieslagen verkittet werden müssen (siehe Abb. 9), da die Kiese mit entsprechendem Sand- und Feinkornanteil ausreichende Kapillarkohäsion besitzen und so ohne Injektion senkrecht stehen. Dieses Vorgehen eignet sich daher vor allem dann, wenn die erforderliche freie Standhöhe nicht zu groß ist. Abb. 9: Verkittungsinjektion beim Bau der U3 Nord, Los 1. Die Injektion (grün) dringt nur in die Rollkieslagen ein. Die sandigen, schluffigen Kiese (braun) können nicht injiziert werden. Wesentliche Merkmale der Verkittungsinjektion sind: - Angestrebt wird eine leichte Verkittung, keine Verfestigung, die den Bodenabbau behindert - Keine vollflächige Ortsbrustinjektion, sondern lokal begrenzter Einsatz - Kontinuierliche Kartierung der Baugrundverhältnisse an der Ortsbrust erforderlich, um die erforderlichen Injektionsstellen definieren zu können. Die lokale Verkittungsinjektion ist eine vergleichsweise einfache und kostengünstige Maßnahme erfordert allerdings Umsicht und Flexibilität bei der Ausführung. Zementöse Injektionsmittel erhärten langsam (bis zu 28 d) und erreichen eine hohe Endfestigkeit, wodurch der spätere Bodenabbau erschwert wird. Neben Zement- oder Dämmersuspensionen, welche die o.g. Nachteile aufweisen, können auch schnell reagierende Schäume 128 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Möglichkeiten der Sicherung von Laibung und Ortsbrust beim Spritzbetonvortrieb im nichtbindigen Lockergestein zur konstruktiven oder vollflächigen Ortsbrustsicherung verwendet werden, wie sie beispielsweise in der Praxis bereits bei der Verkittung von nichtbindigen Böden hinter Trägerbohlverbauten zur Anwendung kamen (siehe Abb. 10). Zum Einsatz von Schäumen im Tunnelbau wird derzeit am Zentrum Geotechnik der TU München ein Forschungsvorhaben bearbeitet [12]. Abb. 10: Verkittung von nichtbindigen Böden beim Aushub von Trägerbohlwänden mittels Schauminjektion Schäume besitzen gegenüber Zement- oder Dämmersuspensionen folgende Vorteile: - Eine signifikant kürzere Reaktionszeit (wenige Minuten nach der Injektion) verhindert ein unkontrolliertes Abfließen des Injektionsmittels aus dem vorgesehenem Zielbereich der Injektion. Dadurch können sowohl Injektionsmaterial als auch Zeit (Pumpenstunden) eingespart werden. - Eine hohe Frühfestigkeit (mehr als 80% der Festigkeit nach 28 Tagen kann bereits nach wenigen Minuten erzielt werden) ermöglicht einen kontinuierlichen Bauablauf. - Die Volumenzunahme des Schaums bietet wirtschaftliche Vorteile. In kiesigen Böden können Schaumfaktoren zwischen 1,5 und 3 erreicht werden. Bei einem Schaumfaktor von 2 kann die Injektionsdauer und der Materialverbrauch halbiert werden. - Die Ausgangskomponenten von schäumenden Injektionsmitteln und die zugehörige Baustelleneinrichtung erfordern nur wenig Platzbedarf, was insbesondere unter räumlich beengten Verhältnissen im Tunnelbau vorteilhaft sein kann. [12] - Konstruktive Sicherung der Tunnellaibung - Neben der senkrechten Ortsbrust ist auch sicherzustellen, dass die Tunnellaibung während des Abschlags nicht nachbricht. Hierzu können im Lockerwie im Festgestein Spieße eingesetzt werden. Spieße können im grobkörnigen Lockergestein zur vorauseilenden Sicherung der Ausbruchslaibung eingesetzt werden. Die Spieße werden meist mit einer Länge von 4m bzw. 6m nach jedem oder jedem zweiten Abschlag vom Ausbaubogen aus schräg nach vorne oder zur Seite eingebracht [13]. Die Spieße sichern die kurzzeitig offene Tunnellaibung und sind eine konstruktive Maßnahme zur Gewährleistung der Arbeitssicherheit der Vortriebsmannschaft. Folgende Spießarten werden im Lockergestein, in dem das Bohrloch nicht frei steht, unterschieden: - Selbstbohrspieße sind Gewindehohlstäbe die mit verlorener Bohrkrone eingebohrt werden. Die Spülflüssigkeit wird über den Hohlstab zur Bohrkrone gepumpt und fließt über den Ringraum zwischen Hohlstab und Gebirge zurück zum Bohrlochmund (siehe Abb. 11). Der Hohlstab (Spieß) wie auch die Bohrkrone verbleiben im Bohrloch. Wie nachfolgend noch begründet wird, kommen diese Spieße vornehmlich im bindigen Lockergestein oder aber im Festgestein zur Anwendung [14]. Abb. 11: Herstellvorgang beim Bohren eines Selbstbohrspießes, adaptiert aus [13] - Rohrspieße (Tube spiles) sind glatte Stahlrohre, die über ein Innengestänge und eine verlorene Bohrkrone eingebohrt werden (siehe Abb. 12). Die Spülflüssigkeit fließt über das Innengestänge zur Bohrkrone und anschließend zwischen Innen- und Außengestänge zurück. Das Innengestänge wird nach der Herstellung gezogen, während das glatte Außenrohr (Spieß) im Baugrund verbleibt [14]. Rohrspieße werden insbesondere in nichtbindigen Böden eingesetzt. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 129 Möglichkeiten der Sicherung von Laibung und Ortsbrust beim Spritzbetonvortrieb im nichtbindigen Lockergestein Abb. 12: Herstellvorgang eines Tube spiles, adaptiert aus [13] Der seitliche Abstand zwischen den Spießen beträgt im nichtbindigen Lockergestein üblicherweise zwischen 20 und 30 cm. Er ist so zu wählen, dass zwischen den Spießen im Firstbereich kein Bodenmaterial herausrieselt. In der Regel werden die Spieße im Lockergestein nach dem Setzen über eine gesonderte Pumpe oder den Bohrwagen verpresst. Hierzu muss der Ringraum um den Bohrlochmund verschlossen werden. Falls das Bohrloch um den Spieß zusammenfällt, kann es vorteilhaft sein, dass die Spieße im vorderen Bereich z.B. alle Meter gelocht werden, damit der Spieß über die gesamte Länge verpresst wird. Gerade im geschichteten Baugrund ist aus wirtschaftlichen Gründen die Suspensionsmenge je Spieß sowie der maximale Suspensionsdruck zu begrenzen und der w/ z-Wert der Durchlässigkeit des Baugrunds anzupassen. Die Länge der Spieße ist in der Regel durch die Lafettenlänge des Bohrwagens begrenzt. Das Bohren in mehreren Schüssen ist aufwändig, da der Bohrwagen nach dem Aufnehmen des nächsten Schusses erst wieder die Bohrrichtung genau einstellen muss, damit das Bohrgestänge beim Bohren nicht ausbaucht und schlägt. Häufig stellt sich in der Praxis die Frage, ob der Spießschirm besser nach jedem oder jedem 2. Abschlag hergestellt werden soll und ob die Spießlänge 4 oder 6 m betragen soll. Vorausgesetzt sei hierbei immer, dass zwischen den Spießen kein Bodenmaterial herausrieselt, was durch die Spießverpressung und den Spießabstand gewährleistet wird. Die Wahl ist in Abhängigkeit von der Höhe der Ortsbrust, den eingesetzten Mitteln zum Erreichen der Ortsbruststandsicherheit und den geologischen Verhältnissen vorzunehmen. Auswertungen von Nachbrüchen haben gezeigt, dass Spieße, die nicht über den rechnerischen Gleitkeil hinausreichen (globale Ortsbruststandsicherheit), nach unten abklappen, wenn nicht direkt unterhalb der Spieße Ortsbrustanker angeordnet werden. Daher sind bei großen Ortsbrusthöhen der Gleitkeil reicht weiter vor die Ortsbrust - 6 m lange Spieße nach jedem oder jedem 2. Abschlag oder aber 4 m lange Spieße nach jedem Abschlag vorteilhaft. 4 m lange Spieße, die nach jedem Abschlag gesetzt werden oder aber 6 m lange Spieße, die nach jedem 2. Abschlag gesetzt werden, überlappen sich bei einer Abschlagslänge von einem Meter mindestens drei Mal. Dies ist auch in kohäsionslosem Lockermaterial ausreichend, wenn wie vorausgesetzt durch den Spießabstand und die Injektion ein herausrieseln zwischen den Spießen verhindert wird. Wie Erfahrungen und Rückrechnungen beim Bau des Tunnel Oberau zeigten [13, 14], sind Spießschirme, auch wenn sie eng gesetzt werden und damit das Gebirge um den Tunnel stark bewehren, nur dann statisch ansetzbar und reduzieren Setzungen, wenn sie mit geeignetem Injektionsgut injiziert werden und die Aufstandsfläche des Spießschirms bis unter die Kalottensohle reicht. In diesem Fall bilden sie ein steifes Gewölbe um die Ortsbrust, welches Gebirgslasten aufnehmen kann. Die zu dieser Thematik im Rahmen einer Dissertation von Hr. Klinger am Zentrum Geotechnik der TU München durchgeführten Untersuchungen werden in Kürze veröffentlicht. Neben Spießen wurden in der Vergangenheit beim Münchner U-Bahn-Bau auch häufig Pfändbleche (Länge ca. 4 m) mit gutem Erfolg in quartären Kiesen eingesetzt. Sie wurden entlang der Tunnellaibung überlappend eingerammt (siehe Abb. 13). Dementsprechend muss der Baugrund rammbar sein. Durch Pfändbleche kann die Laibung sicher stabilisiert werden. Nachteilig ist die Lärmentwicklung beim Rammen und dass bei hoher Lagerungsdichte des nichtbindigen Baugrunds das Einrammen schwierig bis unmöglich wird. Mögliche Lockerungsbohrungen führen insgesamt zu einer Auflockerung der Laibung, was vermieden werden sollte. Abb. 13: Einbringung der Pfändbleche beim Münchener U-Bahn-Bau 5. Zusammenfassung Der konventionelle Spritzbetonvortrieb im nichtbindigen Lockergestein erfordert umfangreiche konstruktive Maßnahmen um eine senkrechte Ortsbrust für den Einbau des Ausbaubogens gewährleisten zu können. Die Sicherheit der vortreibenden Mineure muss bei jedem Arbeitsschritt garantiert werden. In der vorliegenden Veröffentlichung werden verschiedene konstruktive Sicherungsmaßnahmen und maßgebliche Konstruktionsmerkmale für die Planung von Spritzbetonvortrieben im Lockergestein beschrieben. Dabei ist klar, dass aufgrund der vielfältigen geotechnischen und baubetrieblichen Randbedingungen und Einflussfaktoren die Wahl bei jedem Projekt immer wieder neu getroffen werden muss. 130 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Möglichkeiten der Sicherung von Laibung und Ortsbrust beim Spritzbetonvortrieb im nichtbindigen Lockergestein Literatur [1] VOB Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen ‒ Teil C: Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ATV) ‒ Untertagebauarbeiten, 18312, DIN Deutsches Institut für Normung e.V., Berlin, Sep. 2019. [2] M. Horn, „Horizontaler Erddruck auf senkrechte Abschlussflächen von Tunnelröhren“. Übersetzung ins Deutsche durch die STUVA. Budapest, 1961. [3] P. A. Vermeer und N. Ruse, „Die Stabilität der Tunnelortsbrust in homogenem Baugrund“, geotechnik, Jg. 24, Nr. 3, S. 186-193, 2001. [4] P.-M. Mayer, U. Hartwig und C. Schwab, „Standsicherheitsuntersuchungen der Ortsbrust mittels Bruchkörpermodell und FEM“, Bautechnik, Jg. 80, Nr. 7, S. 452-467, 2003. [5] A. Kirsch und D. Kolymbas, „Theoretische Untersuchung zur Ortsbruststabilität“, Bautechnik, Jg. 82, Nr. 7, S. 449-456, 2005. [6] M. Qarmout, D. König, P. Gussmann, M. Thewes und T. Schanz, „Tunnel face stability analysis using Kinematical Element Method“, Tunnelling and Underground Space Technology, Jg. 85, S. 354-367, 2019, doi: 10.1016/ j.tust.2018.11.024. [7] G. Anagnostou, „The contribution of horizontal arching to tunnel face stability“, geotechnik, Jg. 35, Nr. 1, S. 34-44, 2012, doi: 10.1002/ gete.201100024. [8] P. Lunardi, „Projektierung und Bau von Tunneln“, 2016, doi: 10.1007/ 978-3-662-48939-0. [9] Ausführung von besonderen geotechnischen Arbeiten (Spezialtiefbau) - Injektionen, 12715: 2000, Deutsches Institut für Normung e.V., Berlin. [10] Bemessung von verfestigten Bodenkörpern - Hergestellt mit Düsenstrahl-, Deep-Mixing- oder Injektionsverfahren, 4093, Deutsches Institut für Normung e.V., Berlin, Nov. 2015. [11] J. Fillibeck, „Oberflächensetzungen beim Tunnelvortrieb im Lockergestein - Prognose, Messung und Beeinflussung“. Habilitation, Lehrstuhl und Prüfamt für Grundbau, Bodenmechanik, Felsmechanik und Tunnelbau, TU München, 2012. [12] J. Jessen und R. Cudmani, „Timeand rate-dependent mechanical behavior of foam-grouted coarse grained soils“, Journal of Geotechnical and Geoenvironmental Engineering, submitted, 2021. [13] J. Fillibeck, A. Klinger, M. Sailer und S. Geuder, „Umbrella Arching and Compensation Grouting in Order to Protect Settlement-Sensitive Buildings over Large Shotcrete Excavations in Gravel“, Geotech Geol Eng, Jg. 38, Nr. 2, S. 2255-2269, 2020, doi: 10.1007/ s10706-019-01071-0. [14] A. Klinger und J. Fillibeck, „Use of spile umbrellas for load transfer and prevention of settlements“. Kuala Lumpur, Mai 2020.
