eJournals Kolloquium Bauen in Boden und Fels 13/1

Kolloquium Bauen in Boden und Fels
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Erhaltungsprojekt Muri-Rubigen - ein Erfahrungsbericht zur Anwendung der InSAR-Technologie in der Erhaltungsplanung von Nationalstrassen

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Jürg Ryser
Das Schweizerische Bundesamt für Strassen (ASTRA) beauftragte ein Team aus der B+S AG, Bern, als Geotechniker und der Geotechnisches Institut AG, Bern, als Geologen für die Erhaltungsplanung der geotechnischen Bauwerke auf einem Abschnitt der Nationalstrasse N6. Der Abschnitt durchquert zwischen den Anschlüssen Muri und Rubigen südlich von Bern zwei bekannte Rutschbereiche. Das Team schlug vor, für die Beurteilung des Deformationsverhaltens der Fahrbahnen und Bauwerke die Satelliten-InSAR-Technologie anzuwenden. In enger Zusammenarbeit des Anbieters der InSAR-Dienstleistungen, (SkyGeo, Delft) mit dem Geotechniker und dem Geologen gelang es, innerhalb kürzester Zeit und mit einem kleinen Budget zuverlässige Aussagen über das Deformationsverhalten und die geotechnischen Risiken des Strassenabschnitts auszuarbeiten. Die Bereiche mit Deformationen konnten klar und abschliessend eingegrenzt, die Raten der Deformationen über die letzten Jahre zuverlässig bestimmt und die weiteren Untersuchungen und Überwachungsmassnahmen auf ein Minimum optimiert werden.
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13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 255 Erhaltungsprojekt Muri-Rubigen - ein Erfahrungsbericht zur Anwendung der InSAR-Technologie in der Erhaltungsplanung von Nationalstrassen Jürg Ryser B+S AG, Ingenieure und Planer, Bern, Schweiz Das Schweizerische Bundesamt für Strassen (ASTRA) beauftragte ein Team aus der B+S AG, Bern, als Geotechniker und der Geotechnisches Institut AG, Bern, als Geologen für die Erhaltungsplanung der geotechnischen Bauwerke auf einem Abschnitt der Nationalstrasse N6. Der Abschnitt durchquert zwischen den Anschlüssen Muri und Rubigen südlich von Bern zwei bekannte Rutschbereiche. Das Team schlug vor, für die Beurteilung des Deformationsverhaltens der Fahrbahnen und Bauwerke die Satelliten-InSAR-Technologie anzuwenden. In enger Zusammenarbeit des Anbieters der InSAR-Dienstleistungen, (SkyGeo, Delft) mit dem Geotechniker und dem Geologen gelang es, innerhalb kürzester Zeit und mit einem kleinen Budget zuverlässige Aussagen über das Deformationsverhalten und die geotechnischen Risiken des Strassenabschnitts auszuarbeiten. Die Bereiche mit Deformationen konnten klar und abschliessend eingegrenzt, die Raten der Deformationen über die letzten Jahre zuverlässig bestimmt und die weiteren Untersuchungen und Überwachungsmassnahmen auf ein Minimum optimiert werden. 1. Ausgangslage und Auftrag Von Bern führt die Schweizer Nationalstrasse N6 (A6) gegen Süden zu den Alpen. Unweit von Bern befinden sich die Anschlüsse Muri und Rubigen. Zwischen diesen beiden Anschlüssen besteht zwischen km 8.25 und km 11.45 ein 3.2 km langer Abschnitt, wo die Nationalstrasse auf zwei getrennten, in der Höhe versetzten Fahrbahnen am Abhang zur Aare verläuft. In diesem Abschnitt befinden sich zwei bekannte Rutschgebiete «Raintalwald» und «Brüelmatt». Dieser Nationalstrassenabschnitt wurde 1970-73 gebaut und ist seither ohne Unterbruch und ohne besondere Vorkommnisse in Betrieb. In Unterlagen aus der Planungs- und der Bauzeit ist im Bereich «Raintalwald» von tiefgründigen Rutschbewegungen mit maximalen Verschiebungsraten von > 2 cm/ a die Rede, welche mit verschiedenen Messreihen beobachtet worden seien. Die einzelnen Messreihen und Messdaten der 1960er- und 70er-Jahr stehen leider nicht mehr zur Verfügung. Die Stabilisierung war dann offensichtlich so erfolgreich, dass mit der Inbetriebnahme des Strassenabschnitts die geodätischen Überwachungsmessungen eingestellt wurden. Im Rahmen des Erhaltungsprojekts des Bundesamtes für Strassen (ASTRA) soll nun der gesamte Abschnitt zwischen den beiden Anschlüssen erneuert und für weitere 25 Jahre Betrieb normgerecht instand gestellt werden. Die auf dem ganzen Abschnitt vorhandenen, stabilisierenden Elemente wie Stützmauern und Drainagesysteme sind auf ihre Funktionsstauglichkeit bzw. Tragsicherheit und Gebrauchstauglichkeit zu prüfen und gegebenenfalls Massnahmen zur Sanierung oder Ertüchtigung auszuarbeiten. Dazu ist eine Analyse der Gesamtstabilität und Kenntnisse über die aktuell vor sich gehenden Bewegungen notwendig. 2. Die InSAR-Technologie Satelliten-InSAR (interferometrisches Radar mit synthetischer Apertur) ist eine Technologie, die mit Radarmessungen von Satelliten millimetergenau die Verformungen der Erdoberfläche erfassen kann. Dabei werden die Daten von mindestens zwei Aufnahmen desselben Gebiets miteinander verglichen und die Unterschiede ausgewertet. Abbildung 1: Messprinzip InSAR [5] 256 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Erhaltungsprojekt Muri-Rubigen - ein Erfahrungsbericht zur Anwendung der InSAR-Technologie in der Erhaltungsplanung von Nationalstrassen Der Satellit misst die Eigenschaften des von der Erdoberfläche reflektierten Signals. Er misst sowohl die Amplitude, das heisst, die Stärke des reflektierten Signals wie auch die Phase, das heisst, welcher Bruchteil eines vollständigen Wellendurchgangs zum Sensor zurückkommt. Ein Phasenunterschied am gleichen Messpunkt zwischen zwei Messungen bedeutet, dass sich etwas geändert hat. Verlängert sich die Strecke vom Satelliten zur Erdoberfläche, dann läuft auch das Signal länger und kommt entsprechend mit einer anderen Phasenlage an (rote Verlängerung des Signals in Abbildung 1). Da eine Wellenlänge des Radarsignals in der Grössenordnung von cm liegt (oft C-Band mit 56 mm), kann die Differenz zwischen zwei Aufnahmen millimetergenau bestimmt werden. In der Verarbeitung der Rohdaten werden verschiedenste Einflüsse wie die Flugrichtung, Atmosphäreneffekte und weitere durch Algorithmen korrigiert, so dass zuverlässige Daten mit kleiner Streuung möglich sind. Für ein tieferes Verständnis der InSAR-Technik sei auf Fachliteratur und auf Informationen von Anbietern verwiesen. Ein anschauliches Dokument ist beispielsweise [5]. Einfache Eckdaten für den anwendenden Ingenieur: Ein typisches «Pixel» der InSAR-Aufnahmen ist ca. 5 · 20 m gross. Die Wiederkehrzeit der Satelliten ist je nach Mission verschieden, beträgt aber seit 2015 in der Regel 12 Tage. Seit 2015 stehen z.B. aus der Sentinel 1 Mission fast überall 4 Spuren gleichzeitig zur Verfügung, 2 aufsteigende und 2 absteigende Satelliten. Dies ergibt im Idealfall 4 · 30 = 120 Messwerte pro Messpunkt und Jahr an bis zu mehr als 100 Messpunkten pro km‘ Fahrbahn. Und was von entscheidender Bedeutung ist: Alle diese InSAR-Messdaten sind bereits vorhanden und können unmittelbar genutzt werden. So ist quasi per sofort und (fast) überall ein mm-genauer Rückblick in die nähere Vergangenheit möglich. 3. Projekt und Fragestellung 3.1 Rutschung «Raintalwald» Das Rutschgebiet «Raintalwald» wurde in den 1960er- Jahren geologisch untersucht. Vor Baubeginn wurde versucht, mit oberflächennahen Drainagen eine Stabilisierung zu erreichen (siehe Abbildung 4). Dies führte nicht zum Erfolg. Nachdem weitere Untersuchungen und geodätische Messungen der Rutschbewegung gemacht wurden, wurde in den späten 1960er- Jahren das Konzept der definitiven Stabilisierung ausgearbeitet und 1970-73 schliesslich gebaut. Seit ca. 50 Jahren sorgen mehrere Elemente für die Gesamtstabilität des Abschnitts «Raintalwald» (siehe Abbildung 2). Das Herzstück der Hangstabilisierung ist das Bauwerk T 306B, eine ca. 200 m lange, bis 18 m tiefe Tiefendrainage. Sie besteht aus einem kiesgefüllten Graben mit einer basalen, begehbaren Sammelleitung. Der Zugang und der Unterhalt erfolgt über zwei rechteckigen Betonschächte, aus welchen zwei Ableitungen im Freispiegel bis zur Aare verlaufen. Abbildung 2: Rutschbereich «Raintalwald» mit stabilisierenden Bauwerken 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 257 Erhaltungsprojekt Muri-Rubigen - ein Erfahrungsbericht zur Anwendung der InSAR-Technologie in der Erhaltungsplanung von Nationalstrassen Abbildung 3: Schnitt durch die Tiefendrainage [3] Parallel zum Drainagegraben wurde der Hang mit 18 bewehrten, bis 15 m tief gebohrten Ortbeton-Dübelpfählen stabilisiert. In Fahrrichtung Nord schliesst teilweise überlappend talseitig das Bauwerk T 546 mit weiteren 35 Dübelpfähle von 7 bis 10 m Länge in zwei Reihen an. Alle Pfähle sind überschüttet und nicht zugänglich oder kontrollierbar. In Fahrrichtung Süd wurde bergseitig die 140 m lange Stützmauer T 117 erstellt, welche auf den ersten 110 m insgesamt 18 rechteckige Ortbeton- Schachtbauwerke aufweist, die mit Längen von 10-12 m den Hang bis ca. 6-7 m unterhalb der Fahrbahn verdübeln. Alle Elemente sind passiv im Sinne, dass keine Vorspannanker zum Einsatz kamen. Abbildung 4: Bereich «Raintalwald» vor Baubeginn (Foto: F. Kilchenmann) Abbildung 5: Situation heute (Foto B+S AG) Heute präsentiert sich der Abschnitt in einem guten Zustand und ist seitlich von Hecken und Wald gesäumt. Die geotechnischen Bauwerke bzw. deren wesentlichen Bauteile sind kaum einsehbar bis unsichtbar, präzise Messdaten gibt es keine. 3.2 Konventionelle Untersuchungen Wie kann sich der verantwortliche Planer bei dieser Ausgangslage ein Bild verschaffen, ob die Situation heute stabil ist und wie sie sich in der Zukunft verhalten wird? Traditionellerweise stehen bei solchen Fragestellungen verschiedene, terrestrische Methoden zur Erfassung der Situation im Vordergrund. Diese wurden im vorliegenden Fall selbstverständlich auch geprüft und gewürdigt. Eine geodätische Vermessung/ Überwachung der beiden ca. 450 und 500 m langen Rutschabschnitte ist nicht trivial. Wenn nicht genau bekannt ist, welche Fixpunkte wirklich fix sind und wenn für die Messungen mit Theodoliten auf der Nationalstrasse auf zwei Fahrbahnebenen mehrmals umgestellt werden muss, sind die Grenzen der Messgenauigkeit schnell erreicht. Zuverlässige Aussagen im Sub-cm-Bereich sind mit dem klassischen, geodätischen Messverfahren (auch mit GPS-Unterstützung) faktisch nicht möglich und der Messaufwand für jede einzelne Messung ist gross. Der Baum- und Buschbestand längs der Nationalstrasse verunmöglicht terrestrische Anwendungen von Interferenz-Radarmessungen, wie sie beispielsweise für die Überwachung von Bergflanken zur Anwendung kommen. Eine (partielle) Rodung des Walds zu diesem Zweck steht ausser Diskussion, da der Hang zu einem Auenschutzgebiet von nationaler Bedeutung gehört. Eine Bestückung des Abschnitts mit Inklinometern und/ oder glasfaseroptischen Messinstrumenten wäre technisch grundsätzlich denkbar, ist aber sehr kostenintensiv. Allen diesen konventionellen Methoden ist auch gemeinsam, dass die Messreihe erst ab dem aktuellen Datum der Nullmessung gestartet werden kann. Je nach Bewegungsrate liegen erste zuverlässige Messresultate aus- 258 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Erhaltungsprojekt Muri-Rubigen - ein Erfahrungsbericht zur Anwendung der InSAR-Technologie in der Erhaltungsplanung von Nationalstrassen serhalb der Grössenordnung der Messgenauigkeit unter Umständen erst nach mehreren Jahren vor. Und ziemlich sicher wird man kostenintensive Installationen (z.B. Inklinometer) auch an Orten platziert haben, die sich später als unkritisch erweisen. 3.3 Die InSAR-Technologie als Alternative Vor diesem Hintergrund wurde die InSAR-Technologie als Lösungsansatz für eine erste Beurteilung der Situation vorgeschlagen. In enger Zusammenarbeit mit einem externen Anbieter von InSAR-Auswertungen wurde ein Konzept ausgearbeitet und schliesslich in Auftrag gegeben. Aus der Sicht der Bauherrschaft und der Planer wurden klare Fragen formuliert, welche durch die InSAR- Untersuchung zu beantworten waren: 1. Können die Zonen der bekannten Rutschgebiete «Raintalwald» und «Brüelmatt» mit Satellitendaten bestätigt und allenfalls besser eingegrenzt werden? 2. Welche Verschiebungsrate weisen diese Gebiete auf und kann man aus der Charakteristik der Bewegungen Schlüsse auf treibende Faktoren bzw. mögliche Ursachen der Verschiebungen schliessen? 3. Gibt es weitere Rutschzonen, die bisher nicht bekannt waren und sich mit den InSAR-Daten erkennen lassen? 4. Umsetzung und Resultate 4.1 Einfachste Bearbeitungsstufe In einer ersten Auswertung wurden konventionell die Hebungen/ Setzungen bzw. die Verformungsraten der Punkte pro Jahr betrachtet. Die meisten Punkte der Strecke waren - wie zu erwarten war - unauffällig und wiesen Raten von 0-1 mm/ a auf. Es zeigte sich rasch, dass nirgendwo im Abschnitt eine Rate von mehr als 2 mm/ a gemessen wurde. Eine erste Beurteilung und erste Entwarnung konnte bereits nach sehr kurzer Analysezeit gegeben werden. Im Prinzip kann die Untersuchung bei einer einfachen Fragestellung oder einem groben Screening bereits hier abgebrochen und abgeschlossen werden. 4.2 Zweite Bearbeitungsstufe An einigen Orten der Strecke zeigten sich lokal konzentriert Punkte mit einer Bewegungsrate von 0.5-1.5 mm/ a. Diese wurden in insgesamt 10 Bereichen zusammengefasst und pro Bereich analysiert. Abbildung 6: Darstellung der ersten Resultate und der Bereiche mit verfeinerter Auswertung [1] Zu beachten ist das Vorzeichen in der Line of Sight des Satelliten (LOS) bei dieser Auswertung: Positive Verschiebungen sind zum Satelliten hin und negative gehen vom Satelliten weg. Rote Punkte bedeuten Setzungen, blaue Punkte weisen Hebungen auf. Bei fünf der so identifizierten Bereichen handelte es sich um Orte, an welchen auch aufgrund des Aufbaus des Untergrunds Bewegungen plausibel waren, bei fünf weiteren Bereichen gab es auf den ersten Blick keinen offensichtlichen Grund für Bewegungen. Um die dritte Frage fundiert beantworten zu können, war es wichtig, hier alle zehn Bereiche gleichwertig zu untersuchen und zu bewerten. Nur so kann beantwortet werden, ob alle relevanten Bereiche bekannt sind oder ob es noch weitere, bis dahin unbekannte Bereiche mit relevanten Risiken gibt. Konkret wurden auf der Basis der InSAR-Daten keine weiteren, kritischen Bereiche entdeckt und die weitere Bearbeitung konnte mit einer soliden Begründung auf die bekannten Rutschgebiete beschränkt werden. Bei den Messdaten im Bereich «Raintalwald» zeigte sich eine klare Tendenz, wie zu erwarten war. Als Verschiebungsrate wurde 1.1-1.2 mm/ a festgestellt. Dies bedeutet über die bisherige Nutzungsdauer von ca. 50 Jahren eine kumulierte Verschiebung von ca. 5 cm. Daraus kann gefolgert werden, dass die bestehenden Bauwerke den Rutschhang sehr gut zu stabilisieren vermögen und dass die Wahrscheinlichkeit grösserer Schäden an den Bauwerken durch die Deformationen nur sehr gering ist. Die Situation im Bereich Raintalwald kann als «substabil» bezeichnet werden. Es besteht nachgewiesenermassen keine Dringlichkeit für ergänzende, stabilisierende Massnahmen. Da sich der Hang aber bewegt, befindet er sich in einem Zustand, der nicht weit weg ist von einem labilen Gleichgewicht. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 259 Erhaltungsprojekt Muri-Rubigen - ein Erfahrungsbericht zur Anwendung der InSAR-Technologie in der Erhaltungsplanung von Nationalstrassen 4.3 Dritte Bearbeitungsstufe Generell ist es üblich, aus InSAR-Daten reine Änderungen der Höhenlage abzuleiten. Es werden Hebungen und Setzungen berechnet unter der (meist berechtigten) Annahme, dass der gemessene Punkt in der Lage stabil bleibt. Sollen jedoch in Hanglagen Rutschbewegungen mit einem horizontalen und einem vertikalen Bewegungsanteil erfasst werden, ist Vorsicht angebracht. Insbesondere ist zu beachten, dass aus der Blickrichtung eines einzelnen Satelliten (LOS) eine Rutschung auch wie eine Hebung aussehen kann. Abbildung 7: Hebung vs. Rutschbewegung Um diese Fehlerquelle zu eliminieren und die vertikale wie auch die horizontale Komponente der Rutschungen zu modellieren, können die Daten mehrerer Satelliten und mehrerer Messpunkte zu geometrisch definierten Teilflächen (Rasterzellen) zusammengefasst werden. Aus dem gesamten Datensatz können daraus für diese bestimmte Fläche eine mittlere Bewegung in horizontaler und in vertikaler Richtung berechnet werden. Abbildung 8: Darstellung von Rasterzellen [1] Im vorliegenden Projekt war die Datenlage jedoch leider nicht gut genug, um diese Art der Auswertung mit statistisch zuverlässiger Aussagekraft zu machen. 4.4 Spezielle Erkenntnisse Bei der genaueren Analyse einzelner Punkte im Bereich «Raintalwald» fiel auf, dass die Verschiebungen eine gewisse Periodizität aufweisen. Abbildung 9: Verlauf der Verschiebungen im Jahresverlauf (blau: Winterhalbjahr, grün: Sommerhalbjahr, rote Linie: Trend). Aus [6], koloriert. Die Messpunkte scheinen sich im Jahresrhythmus unterschiedlich zu verhalten. Im Sommer bis im Herbst scheint sich der Messpunkt jeweils zu heben, um sich im anschliessenden Winter bis im Frühling beschleunigt zu senken. Das Mass einer Jahresschwankung beträgt ca. 3-4 mm zwischen Sommer und Winter. Eine Hebung des Messpunkts könnte ein Hinweis auf höhere Porenwasserdrücke und/ oder eine Sättigung von zusätzlichem Porenvolumen im Untergrund sein. Dies könnte wiederum eine Reduktion der effektiven Spannungen auf der Gleitfuge und damit eine Reduktion der Gesamtstabilität des Hangs bewirken. Der Hang wäre damit möglicherweise im Sommer statisch kritischer als im Winter. Die Verifizierung dieser Bewegung und möglicherweise eine Quantifizierung des damit verbundenen Risikos sind unter anderem Gegenstand der laufenden Überwachungskampagne (siehe Kapitel 4.2). 260 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Erhaltungsprojekt Muri-Rubigen - ein Erfahrungsbericht zur Anwendung der InSAR-Technologie in der Erhaltungsplanung von Nationalstrassen 5. Folgerungen und Einschätzung 5.1 Antworten auf die gestellten Fragen Die eingangs gestellten Fragen konnten auf der Basis der InSAR-Daten wie folgt beantwortet werden: 1. Die Rutschbewegungen wurden bestätigt und sind begrenzt auf die bekannten Bereiche. 2. Die Rate der Rutschbewegungen liegt mit weniger als 2 mm pro Jahr in einer für die Nationalstrasse unkritischen Grössenordnung. Die Rutschgebiete sind «substabil». 3. Es bestehen keine weiteren Rutschzonen. 5.2 Weiteres Vorgehen im Projekt Dank den Resultaten der InSAR-Untersuchungen konnte das weitere Vorgehen im Projekt sehr schlank gehalten werden. Für die relevanten Risiken liegen quantifizierte Angaben vor. Aus diesen wurde gefolgert: • Eine systematische, geodätische Überwachung ist nicht notwendig bzw. nicht zielführend (vgl. Kapitel 2.2). • Es sind keine systematischen Inklinometermessungen an vielen Messstellen oder die Installation eines faseroptischen Systems notwendig, bzw. bei den mit InSAR festgestellten, sehr kleinen Deformationsraten sind solche auch nicht sinnvoll. Die ergänzenden Baugrunduntersuchungen konnten auf die relevanten Bereiche beschränkt und das Untersuchungsprogramm optimiert werden. In den beiden Abschnitten «Raintalwald» und «Brüelmatt» wurden insgesamt 11 Bohrungen mit geologischem Aufschluss ausgeführt. Sie wurden mit Porenwasserdrucksensoren in verschiedenen Tiefen bestückt, welche die Porenwasserdrücke kontinuierlich (Auflösung 6 h) aufzeichnen. Damit wird im Bereich «Raintalwald» auch direkt die Funktion der Tiefendrainage überwacht. Es wurde lediglich eine einzelne Inklinometermessstrecke installiert. Sie befindet sich im Bereich mit der stärksten, jahreszeitlichen Schwankung der InSAR- Messwerte. Sie wird monatlich gemessen, um eine allfällige Korrelation der jahreszeitlichen Schwankungen der InSAR-Daten mit Bewegungen im Untergrund zu untersuchen. • Die gesamte, nun laufende Überwachung umfasst folgende Messungen: • Jährliche Auswertung der neuen InSAR-Daten des vergangenen Jahres. • Kontinuierliche Messung der Porenwasserdrücke in den Bohrungen. • Jährliches Laserscanning der Hauptstützmauer T 117 (Vergleich Folgemessung mit Nullmessung, Auswertung der Differenzen). Mit InSAR wird die Verschiebung der Mauer als Ganzes überwacht, mit dem Laserscanning können Verkippungen und/ oder Durchbiegungen einzelner Abschnitte der Mauer festgestellt werden, welche durch lokale Einwirkungen verursacht werden könnten. • Monatliche Inklinometermessungen an einer Messstelle. Es ist vorgesehen, jeweils im Frühling der kommenden Jahre eine Auswertung sämtlicher Messdaten und einen Synthesebericht zu erstellen. Damit können die angenommenen Modelle bestätigt oder aber widerlegt werden. Die weitere Planung der erforderlichen Massnahmen erfolgt dann auf der fortlaufend verfeinerten Grundlage dieser Syntheseberichte. 6. Fazit und Empfehlungen 6.1 Anwendungsgrenzen Wer einen Einbezug von InSAR-Daten in die Beurteilung von Strassen und Hängen in Erwägung zieht, sollte sich folgender Grenzen bewusst sein: • Eine Auswertung der Daten nach der vertikalen Komponente (Hebungen/ Setzungen) ist praktisch überall möglich, wo Daten vorliegen. Eine Auswertung von horizontalen Bewegungen gelingt desto besser, je mehr die Rutschbewegung mit der Blickrichtung eines der Satelliten (LOS) übereinstimmt, d.h. ungefähr Ost/ West oder West/ Ost. In anderen Richtungen nimmt die Zuverlässigkeit der Daten mit wachsendem Winkel ab, da nur ein Teil der Bewegungskomponente gemessen wird. Rutschungen nach Norden oder nach Süden sind am ungünstigsten. • Eine in den Messdaten festgestellte «Hebung» kann in Hanglage auch durch eine Rutschung verursacht werden (Abbildung 7). • In höheren Lagen ist die Bedeckung des Bodens mit Schnee zu berücksichtigen. Dies ist mit einer Filterung der Daten technisch möglich. Die Menge der zur Auswertung zur Verfügung stehenden Messdaten reduziert sich mit zunehmender Liegedauer des Schnees. • Auf Gebieten mit Bewuchs (Wald, Landwirtschaft, Wiesen) stehen generell weniger bis keine brauchbaren InSAR-Daten zu Verfügung. Es sind Bestrebungen im Gang, mit einer grösseren Wellenlänge des Radarsignals diese Möglichkeiten zu verbessern (zu Lasten der Auflösung). Ebenso gibt es die Möglichkeit, am Ort des Objekts das Radarsignal zu beeinflussen, z.B. mit der Anordnung von Reflektoren*. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Messreihe mit 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 261 Erhaltungsprojekt Muri-Rubigen - ein Erfahrungsbericht zur Anwendung der InSAR-Technologie in der Erhaltungsplanung von Nationalstrassen der Erstellung des Reflektors erst von vorne beginnt und keine Vergleiche mit älteren Daten mehr möglich sind. Ausserdem beeinflussen («überstrahlen») Reflektoren die Signale in ihrer näheren Umgebung, so dass etliche, benachbarte Messpunkte unter Umständen nicht mehr brauchbar sind. • Im vorliegenden Projekt wurde zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit der Deckbelag auf den Fahrbahnen ersetzt. Dies war in den Messdaten ersichtlich. Für eine sinnvolle Interpretation der Daten ist es wichtig, solche baulichen Veränderungen zu kennen, um sie in der Auswertung berücksichtigen zu können. Entsprechend sind die Auswertungsreihen vor und nach einer solchen Veränderung abzugrenzen und je separat auszuwerten. • In engen Tälern, unter ungünstig ausgerichteten Felswänden, hinter abschattenden Bauwerken gibt es keine Messdaten. • Und last but not least stellt die InSAR-Überwachung nur Bewegungen an der Terrainoberfläche fest. Der Verlauf einer Gleitfläche im Untergrund kann nicht direkt gemessen werden und muss ggf. mit ergänzenden, konventionellen Methoden (Bohrungen, Inklinometer, Extensometer) untersucht werden. * (Passive) Reflektoren für die InSAR-Technologie sind ungefähr schuhschachtelgrosse Metallgebilde mit drei einspringenden, orthogonal zueinander stehenden, glatten Oberflächen. Sie werden auf einem stabilen Stativ im Gelände aufgestellt und ungefähr auf die Satellitenrichtung (LOS) gerichtet. Wie bei einem Katzenauge wird das Radarsignal exakt in derselben Richtung zurückgeworfen, aus welcher es gekommen ist und gibt eine starke, punktuelle Reflektion. Gewisse Anwendungsgrenzen können in Zukunft allenfalls durch bessere numerische Auswertungen oder andere Satellitensysteme verschoben werden. Einer erheblichen, systematischen Gefahr bei der Anwendung von InSAR-Auswertungen muss sich der Besteller jedoch immer bewusst sein: Er darf nicht dem Bestätigungsfehler (confirmation bias) verfallen, d.h. er darf sich aus der Fülle der Daten nicht nur die Punkte und Messgrössen herausgreifen, die für seine Theorie sprechen und alle anderen vernachlässigen. Wie im Beispiel gezeigt, sind alle Messdaten kritisch zu hinterfragen. Wenn sie relevant sind, führen sie den Besteller zu neuen, bisher nicht erkannten, aber möglicherweise kritischen Erkenntnissen. Erst wenn sie zuverlässig als Fehler oder als Folge anderer Ereignisse identifiziert werden können, dürfen sie bewusst von der Bewertung ausgeschlossen werden. 6.2 Ausblick Nebst der hier vorgestellten Art von Untersuchung kann der Einsatz der Satelliten-InSAR-Technologie in weiteren Fällen interessant sein: • Für die Online-Überwachung von wichtigen Leitungen (Pipelines, Gasleitungen) können linienförmige Auswertungen der Veränderungen des Terrains längs der Leitungen generiert werden. Diese können automatisch auf einer Karte in einem Viewer eingeblendet werden. Hebungen oder Senkungen von Leitungsabschnitten bzw. der Erdoberfläche über erdverlegten Leitungen sind anhand der Farbgebung sofort ersichtlich. • Ebenso können Messdaten beispielsweise auf die Grundrissflächen von Gebäuden zusammengefasst werden, so dass farblich leicht erkennbar ist, welche Gebäude in einem Quartier sich mit welchem Betrag setzen, z.B. bei einem Tunnelvortrieb, einer Grundwasserabsenkung oder im Bergbau. • Bei besonders exponierten Gebäuden oder auch Masten, Brücken und Widerlagern können die Bewegungen einzelner Bauwerke gemessen werden [4]. Damit kann auch eine Überwachung unter Betrieb möglich sein, beispielsweise Staumauern und Dämme bei unterschiedlichem Wasserstand oder auch Siloanlagen oder Tanks bei unterschiedlichem Füllstand. • Forensische Geotechnik: Bei Schadenfällen kann mit InSAR möglicherweise retrospektiv festgestellt werden, ob und in welcher zeitlichen Abfolge sich eine Rutschung, ein Felssturz oder ein Dammbruch angekündigt hat. • In den Niederlanden [2] und in Schweden sind auf den nationalen Geoportalen öffentlich zugängliche Bodensetzungskarten implementiert, die mit aktuellen Daten laufend nachgeführt werden. Damit sind erste Hinweise auf Fragestellungen wie im vorliegenden Projekt sogar online für den Planer verfügbar. Auf dieser Basis kann auch entschieden werden, ob es im konkreten Fall Sinn macht, einen Spezialisten für eine detailliertere Auswertung der InSAR-Daten beizuziehen. • Der Einsatz von Reflektoren kann dort sinnvoll sein, wo zu überwachenden Flächen bewaldet, grasbewachsen oder auch jeweils lange Zeit pro Jahr verschneit sind und keine deutlichen Signale zurückschicken. Diese Aufzählung ist nicht abschliessend. 262 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Erhaltungsprojekt Muri-Rubigen - ein Erfahrungsbericht zur Anwendung der InSAR-Technologie in der Erhaltungsplanung von Nationalstrassen 6.3 Schlusswort Die InSAR-Technologie war für die vorliegende Fragestellung und das konkrete Projekt gut geeignet und hilfreich. Es konnte schnell, kostengünstig und zuverlässig eine hohe Planungssicherheit erreicht werden. Durch die Auswertung von bereits in der Vergangenheit erfassten Daten konnte Zeit gewonnen werden. Durch die Erkenntnisse aus den InSAR-Daten konnte das terrestrische Untersuchungs- und Überwachungsprogramm markant optimiert werden. Die hohe Aussagekraft des Berichts konnte nur durch eine laufende, enge und intensive Zusammenarbeit von Datenlieferanten, Geologen und Geotechniker erreicht werden. Literatur [1] Bundesamt für Strassen ASTRA, Nationalstrasse N06.32, EP Muri - Rubigen, Bericht Nr. G15.1, Auswertung InSAR-Daten, vom 10.12.2020. [2] Bodemdalingskaart (NL), https: / / bodemdalingskaart.nl/ [3] F. Kilchenmann, Autobahnamt des Kantons Bern, «Die beiden Hangrutsche an der N6», Artikel in der Zeitschrift «route et trafic» No. 6 von Juni 1973 [4] Artikel Ingenieur.de https: / / www.ingenieur.de/ tech nik/ fachbereiche/ architektur/ 200-meter-hoher-millennium-tower-sinkt-ab-neigt/ [5] Sky Geo, «InSAR technical background, Explaining the basics of InSAR», www.skygeo.com, V2.2, abgerufen am 09.04.2021 [6] K. Reinders, G. Giardina, J. Ryser et al. «On the practical applicability of Satellite InSAR Technologiy in combination with Geotechnical Design Codes», Preprint 2021.