Kolloquium Bauen in Boden und Fels
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2510-7755
expert verlag Tübingen
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Realisierung eines 84 m hohen Hochhauses auf einem S-Bahntunnel in Berlin Bauvorhaben
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Simon Meißner
Joachim Michael
Maximilian Kies
Direkt nördlich des Berliner Hauptbahnhofes liegt das Baufeld 4. Hier entsteht der Neubau eines Bürogebäudes, bestehend aus einem Hochhaus mit 21 Obergeschossen und einem Sockelbau mit 6 Obergeschossen auf einer Fläche von 2.700 m². Auf dem Baufeld wurde eine rinnenförmige bis zu 15 m tiefe Muddeschicht erkundet. Unterhalb dieser Schicht stehen die bekannten tragfähigen Sande an. Im Westen des Baufeldes 4 grenzt der planfestgestellte Sicherheitsstreifen des S21-Tunnels sowie der teilweise noch im Bau befindliche S21-Tunnel selbst an. Dieser wird im Rahmen des Bauvorhabens Baufeld 4 in Teilbereichen überbaut und ist bei der Gründung des Hochhauses zu berücksichtigen. Weiter befindet sich der U5-Tunnel direkt neben dem S21-Tunnel und ist damit ebenfalls in der Planung zu berücksichtigen. Der Planfeststellungsbeschluss des S21-Tunnels berücksichtigte nicht die geplante Bebauung mit einem Hochhaus, sondern lediglich eine Belastung aus einer geplanten 6-geschossigen Bebauung. Folglich musste das Hochhaus derart geplant werden, dass sich keine größeren Einwirkungen als ursprünglich vorgesehen auf die Tunnelblöcke der S21 ergeben. Ein weiteres wichtiges Kriterium für die Machbarkeit des Projektes war das Einhalten der zulässigen Blockfugendifferenzverschiebungen der Tunnelblockfugen der Tunnel S21 und U5.
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13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 369 Realisierung eines 84 m hohen Hochhauses auf einem S-Bahntunnel in Berlin Bauvorhaben Dr.-Ing. Simon Meißner, Dr. rer. nat. Joachim Michael, Maximilian Kies (M. Eng.) Prof. Quick und Kollegen, Groß-Gerauer-Weg 1, 64295 Darmstadt Zusammenfassung Direkt nördlich des Berliner Hauptbahnhofes liegt das Baufeld 4. Hier entsteht der Neubau eines Bürogebäudes, bestehend aus einem Hochhaus mit 21 Obergeschossen und einem Sockelbau mit 6 Obergeschossen auf einer Fläche von 2.700 m². Auf dem Baufeld wurde eine rinnenförmige bis zu 15 m tiefe Muddeschicht erkundet. Unterhalb dieser Schicht stehen die bekannten tragfähigen Sande an. Im Westen des Baufeldes 4 grenzt der planfestgestellte Sicherheitsstreifen des S21-Tunnels sowie der teilweise noch im Bau befindliche S21-Tunnel selbst an. Dieser wird im Rahmen des Bauvorhabens Baufeld 4 in Teilbereichen überbaut und ist bei der Gründung des Hochhauses zu berücksichtigen. Weiter befindet sich der U5-Tunnel direkt neben dem S21-Tunnel und ist damit ebenfalls in der Planung zu berücksichtigen. Der Planfeststellungsbeschluss des S21-Tunnels berücksichtigte nicht die geplante Bebauung mit einem Hochhaus, sondern lediglich eine Belastung aus einer geplanten 6-geschossigen Bebauung. Folglich musste das Hochhaus derart geplant werden, dass sich keine größeren Einwirkungen als ursprünglich vorgesehen auf die Tunnelblöcke der S21 ergeben. Ein weiteres wichtiges Kriterium für die Machbarkeit des Projektes war das Einhalten der zulässigen Blockfugendifferenzverschiebungen der Tunnelblockfugen der Tunnel S21 und U5. 1. Projekt Das Projektgebiet für das Bauvorhaben Baufeld 4 befindet sich im Berliner Bezirk Mitte in der Heidestraße 73 nahe der Berliner Hauptbahnhofs. Die aktuelle Planung sieht den Neubau eines Bürogebäudes, bestehend aus einem Hochhaus mit 21 Obergeschossen und einem Sockelbau mit 6 Obergeschossen. Das Gebäude ist vollflächig 1-fach unterkellert. Die Grundfläche des Neubaus beträgt ca. 2.700 m². Das Gebäude Baufeld 4 kommt zum Teil auf dem planfestgestellten S-Bahntunnel und direkt neben dem U5-Tunnelbauwerk zu liegen. Abb.1: Übersichtsplan Baufeld 4 (Quelle: Google), Lage der Tunnel S21 und U5 Der planfestgestellte Sicherheitsstreifen des S21-Tunnels wird im Westen durch die Schlitzwand des S-Bahntunnels begrenzt. Diese Schlitzwand reicht bis in eine Tiefe von ca. 7 mNHN und wurde in Richtung Baufeld 4 mit einer Ankerlage rückverankert. Die vorhandenen Anker haben Längen von ca. 40 m. Im Norden wird das Baufeld 4 durch die Jean-Monnet- Straße begrenzt. Im Osten grenzt unmittelbar das Baufeld 3 mit einem im Bau befindlichen Bürogebäude (3 UG + 7 OG) an das Baufeld an. Der Neubau ist auf einer durchgehenden Bodenplatte flach gegründet. Die Baugrube besteht aus einer Schlitzwand die im Bereich Baufeld 4 bereichsweise 2-lagig rückverankert ist. 370 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Realisierung eines 84 m hohen Hochhauses auf einem S-Bahntunnel in Berlin Bauvorhaben Abb. 2: Animationsbild geplante Bebauung Baufeld 4 und Nachbarbebauung Es galt anhand einer detaillierten Nachweisführung zusammen mit dem Realisierungsteam der S-Bahn die geotechnische Verträglichkeit zu bestätigen. 2. Baugrund- und Grundwasserverhältnisse Unterhalb der Auffüllungen stehen im Bereich des Baufeldes bereichsweise die holozänen, organischen Ablagerungen an. Bei diesen Böden der handelt es sich überwiegend um Torf, Mudde und humosen sandigen Schluff. Die Mächtigkeiten der verschiedenen Böden der variieren im Bereich des Baufeldes stark. Mit einer maximalen Mächtigkeit von ca. 27 m, weichen einzelne Aufschlüsse von den übrigen im Baufeld 4 deutlich ab, welche zwischen 8,3 m und 13 m liegen. Die organischen Bildungen werden von Talsanden des Urstromtals unterlagert. Innerhalb der anstehenden Talsande ist mit Einlagerungen von Braunkohlereibseln sowie mit dem Vorhandensein von Stein- und Gerölllagen und regellos verteilten Blöcken zu rechnen. 3. Numerische Berechnungen der Gründung Der Abtrag der Lasten des geplanten Bürogebäudes mit 21 Obergeschossen (inkl. EG) erfolgt über eine Kombiniere Pfahl-Plattengründung mit insgesamt 36 Pfählen mit Pfahllängen bis zu ca. 42,50 m. Der Sockelbau mit 6 Obergeschossen (inkl. EG) wird flach auf einer Bodenplatte gegründet. Unterhalb von hochbelasteten Stützen werden Baugrundverbesserungen (z.B. im Düsenstrahlverfahren) bis in die tragfähigen Sande geführt. Abb. 3: Gründungselemente - Hochhaus (Pfähle) und Flachbau (Baugrundverbesserungen) Für die geotechnische Verträglichkeit der Gründung des Bauvorhabens auf dem S-Bahn-Tunnel wurden ebenfalls numerische dreidimensionale Finite-Elemente Berechnungen mit dem Programmsystem Plaxis 3D durchgeführt. Abb. 4: Numerisches Modell konstruktive Elemente Dabei wurde das komplette Bauvorhaben Baufeld 4, bestehend aus Flachbebauung und Hochhaus, im Berechnungsmodell abgebildet. Das entwickelte dreidimensionale Berechnungsmodell bildet die folgenden konstruktiven Elemente ab: • Bodenplatten Flachbau und Hochhaus • Sylomer- und Lastverteilungsplatten • Gründungspfähle des Hochhauses • Aufgehende Außen- und Kernwände des Hochhauses • Baugrundverbesserungen Flachbau • Tunnelblöcke S21 und U5 • Blockfugen S21 und U5 • Gründungspfähle S21 Tunnel • Unterwasserbetonsohle S21 Tunnel • Verbauwand Baufeld 3 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 371 Realisierung eines 84 m hohen Hochhauses auf einem S-Bahntunnel in Berlin Bauvorhaben Abb. 5: Numerisches Modell konstruktive Elemente Im Rahmen der numerischen Berechnung wurden Verschiebungen im Bereich des Hochhauses und des Flachbaus untersucht und die hieraus resultierenden Mitnahmeverschiebungen und Blockfugendifferenzverformungen im Bereich der S21 und U5 ermittelt. Im Folgenden werden die Ergebnisse der wahrscheinlichen Setzungen und Mitnahmeverschiebungen der für den Nachweis der äußeren Gebrauchstauglichkeit maßgebenden Berechnungsphase mit der Lastkombination G+Q/ 3-A dargestellt. Tab. 1: Berechnungsergebnisse - wahrscheinl. Werte Lastkombination G+Q/ 3-A Gebäudeteil [-] Hochhaus Flachbau S21 max. Setzung [cm] 4,5 4,2 2,0 min. Setzung [cm] 3,2 1 < 0,5 Verkantung [-] <1/ 3200 1/ 1000 <1/ 2000 Winkelverdrehung [-] <1/ 1800 1/ 500 <1/ 1000 vertikale Blockfugendifferenzverformung [mm] - - < 5,0 Abb. 6: wahrscheinliche Setzungen Bodenplatte BF4 Abb. 7: wahrscheinliche Setzungen Tunnelsohlen Die Verschiebungen der Blockfugen des S21 - Tunnels infolge der Herstellung des Bauvorhaben 4 wurden ebenfalls mittels der vorgenannten numerischen Berechnung ermittelt. Die Auswertung erfolgte jeweils in maßgebenden Schnitten entlang der Tunnel S21 und U5. Abb. 8: Verschiebungen der Tunnelbauwerke 372 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Realisierung eines 84 m hohen Hochhauses auf einem S-Bahntunnel in Berlin Bauvorhaben 4. Baugrube und Wasserhaltung Zur Herstellung des Untergeschosses einschließlich Bodenplatte wurde eine druckwasserhaltenden Trogbaugrube in Verbindung mit einer Restwasserhaltung erforderlich (Abb. 8). Zur vertikalen Abdichtung wurden bereichsweise die bestehenden Baugruben- und Dichtsysteme der U5, S21 und Baufeld 3 genutzt, bereichsweise wurde eine überschnittene Bohrpfahlwand neu hergestellt. Als horizontale Abdichtung wurden die natürlich anstehenden, gering durchlässigen organischen Böden genutzt (natürliche Dichtsohle) (Abb. 9). Die Abmessungen der Baugrube betragen ca. 62 m x 43 m, die Grundfläche der Baugrube beträgt ca. 2.700 m². Die verschieden tiefliegenden Baugrubensohlen liegen ca. 0,35 m bis 1,75 m unterhalb des bauzeitlichen Grundwasserstandes (GWBau = +31,80 mNHN). Zur Dichtigkeitsprüfung wurden für verschiedene Bauzustände unterschiedliche Pumpversuche im Vorfeld erfolgreich durchgeführt, insbesondere um die Dichtigkeit der bestehenden Schlitzwände und Tunnelbauwerke zu prüfen. Abb. 9: schematische Darstellung der Wasserhaltung Abb. 10: Baugrundmodell und druckwasserhaltende Konstruktionen (überhöhte Darstellung) Aufgrund der Komplexität der Baugrube mit den Mitnutzung der Tunnelbauwerke erfolgte die Planung in 3D (Abb. 10). Abb. 11: 3D-Planung der Baugrube und der Gründung Abb. 12: 3D-Planung der Baugrube und der Gründung 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 373 Realisierung eines 84 m hohen Hochhauses auf einem S-Bahntunnel in Berlin Bauvorhaben 5. Mess- und Beweissicherungsprogram Das Beweissicherungsprogramm setzt sich wie folgt zusammen: • architektonische Beweissicherung • geodätische Beweissicherung • hydrogeologische Beweissicherung • erschütterungstechnische Beweissicherung • lärmtechnische Beweissicherung Insbesondere die Tunnelbauwerke der S21 und der U5 wurden detailliert mittels Messbolzen überwacht. Weiterhin wurden die Baugrubenwände mittels Inklinometer und Messbolzen sowie der Neubau mittels Setzungsbolzen überwacht. Die Auswirkung der Wasserhaltung auf das Umfeld wurde in Abstimmung mit der zuständigen Behörde u.a. an außerhalb und innerhalb der Baugrube liegenden Grundwassermessstellen überwacht. Für die Definition der Messwerte werden die Ausführungen gemäß EAB: Schwellenwert: Messwert in einem bestimmten Abstand zum Eingreifwert. Eingreifwert: Messwert ab dessen Erreichen Maßnahmen erforderlich werden. Alarmwert: Messwert der eine unplanmäßige, die Standsicherheit gefährdende Beanspruchung der Konstruktion anzeigt. Im Vorfeld der Spezialtiefbauarbeiten wurde mit allen Projektinvolvierten ein Alarm- und Handlungsplan sowie ein Havariekonzept aufgestellt. Abb. 13: Alarm- und Handlungsplan Die Restwasserhaltung innerhalb der Trogbaugrube konnte erfolgreich ausgeführt werden. Die durchschnittliche Förderrate über den gesamten Betriebszeitraum von 7 Monaten betrug bis 3,5 m³/ h und lag damit deutlich unter der genehmigten Förderrate von 19,6 m³/ h. Insgesamt wurden ca. 16.000 m³ Grundwasser im Rahmen der Wasserhaltung gefördert. Mit den durchgeführten Messung am Neubau und an den benachbarten baulichen Tunnelbauwerken konnten die Prognosewerte bislang gut bestätigt werden. Die Setzungen der Bodenplatte summieren sich derzeit auf ca. 2,0 cm auf (Abb. 14). Abb. 14: Zeit-Setzungslinie - Bodenplatte Hochhaus Mit dem gewählten Gründungssystem für das Baufeld 4 ergibt sich aktuell eine absolute Setzung des S21-Tunnels von < 2,0 cm sowie Blockfugendifferenzverschiebungen von < 0,3 cm. Beide Werte liegen unterhalb der planerischen Grenzwerte (Abb. 15). Abb. 15: Vertikale absolute Verschiebungen S21 - Auswertungsschnitt - wahrscheinliche Werte und Messergebnisse 374 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Realisierung eines 84 m hohen Hochhauses auf einem S-Bahntunnel in Berlin Bauvorhaben Abb. 16: Bautenstand 19.11.2021 6. Zusammenfassung Die Realisierung von Großprojekten in Ballungsräumen zeigt, dass anspruchsvolle Bauvorhaben im innerstädtischen Bereich nicht immer nur eine Herausforderung hinsichtlich der Bemessung und Nachweisführung sind, sondern auch einen vielfältigen Abstimmungsprozess unter der Mitwirkung aller an der Planung, Prüfung und Genehmigung beteiligter Dritter erfordern. Hierzu gehören nicht nur die Prüfer seitens der Bauaufsicht, sondern auch die Technische Aufsichtsbehörde und deren Prüfer. Mit Hilfe der Verwendung von numerischen Studien konnten die Grundlagen und Prognosen geschaffen werden, die für die Durchführung der Projekte unerlässlich sind. Die Auswertung der Verschiebungen sowie die komplexe Auswertung der vertikalen Blockfugendifferenzverschiebungen beim Bauvorhaben Baufeld 4 wären nur anhand analytischer Berechnungen nicht möglich gewesen. Zudem fungierten die numerischen Berechnungsergebnisse als Diskussionsgrundlage im Abstimmungsprozess und führten somit zu konstruktiven Lösungen im Planungsprozess. Das Bauvorhaben Baufeld 4 wurde erfolgreich mit einem umfangreichen Mess- und Beweissicherungsprogramm sowie mit Alarm- und Handlungsplan begleitet. Literatur [1] Dr. -Ing. S. Meißner, Dr. rer. nat. J. Michael, Prof. H. Quick, (2017): Hochhausbau auf und neben Tunnelbauwerken, Tunnelsymposium Würzburg Dr. -Ing. S. Meißner, Dr. rer. nat. J. Michael, Prof. H. Quick, Dr. rer. nat. J. Michael, M. Eng. M. Kies, (2019): Realisierung von geotechnischen Großprojekten in Ballungsräumen, Tunnelsymposium Würzburg [5] Dr. -Ing. S. Meißner, Dr. rer. nat. J. Michael, Prof. H. Quick, (2019): Zwei Hochhäuser in direkter Nachbarschaft einer geplanten U-Bahnstation - 26. Darmstädter Geotechnik-Kolloquium
