Kolloquium Bauen in Boden und Fels
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expert verlag Tübingen
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Burg Hohenzollern - Baugrunderkundung und Geotechnische Beratung in exponierter Lage
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Holger Jud
Martin Brodbeck
Für die aktuell laufende Sanierung und Ertüchtigung der äußeren Bastionsmauer der Burg Hohenzollern werden auch umfangreiche direkte und indirekte Bauwerk- und Baugrunderkundungen als Grundlage für Standsicherheitsbetrachtungen und bautechnische Empfehlungen ausgeführt.
Im Beitrag werden die Erkundungsziele, die Erkundungsmethoden unter den gegebenen örtlichen Randbedingungen, die Erkundungsergebnisse und die geotechnischen Herausforderungen bei den Nachweisen der Umfassungsmauern auch unter Ansatz der Einwirkungen aus Erdbeben (Erdbebenzone 3) beschrieben und erläutert. Zum Einsatz kommen neben analytischen Nachweisen auch numerische Berechnungen, um die Standsicherheit bei Erdbebeneinwirkung nachweisen zu können.
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13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 389 Burg Hohenzollern - Baugrunderkundung und Geotechnische Beratung in exponierter Lage Dipl.-Ing. Holger Jud Smoltczyk & Partner GmbH, Stuttgart, Deutschland Dr. Martin Brodbeck Smoltczyk & Partner GmbH, Stuttgart, Deutschland Zusammenfassung Für die aktuell laufende Sanierung und Ertüchtigung der äußeren Bastionsmauer der Burg Hohenzollern werden auch umfangreiche direkte und indirekte Bauwerk- und Baugrunderkundungen als Grundlage für Standsicherheitsbetrachtungen und bautechnische Empfehlungen ausgeführt. Im Beitrag werden die Erkundungsziele, die Erkundungsmethoden unter den gegebenen örtlichen Randbedingungen, die Erkundungsergebnisse und die geotechnischen Herausforderungen bei den Nachweisen der Umfassungsmauern auch unter Ansatz der Einwirkungen aus Erdbeben (Erdbebenzone 3) beschrieben und erläutert. Zum Einsatz kommen neben analytischen Nachweisen auch numerische Berechnungen, um die Standsicherheit bei Erdbebeneinwirkung nachweisen zu können. 1. Einleitung Die Burg Hohenzollern in Bisingen-Zimmern, Zollernalbkreis, ist der Stammsitz des ehemals regierenden preußischen Königshauses und der Fürsten von Hohenzollern. Die erste Erwähnung des Burggebäudes („Castro Zolre“) datiert aus dem Jahr 1267 [1]. Sie wurde im Mai 1423 nach fast einjähriger Belagerung durch den Bund der schwäbischen Reichsstädte erobert und vollständig zerstört. Ab 1454 wurde die zweite Burg Hohenzollern größer und wehrhafter als zuvor erbaut. Im Hinblick auf den 30jährigen Krieg (1618 bis 1648) wurde sie zur Festung ausgebaut. Nach Kriegsende und dem Abzug der letzten österreichischen Besatzung 1798 verfiel die Burg, Anfang des 19. Jahrhunderts war sie eine Ruine. Als einziger nennenswerter Teil war die St. Michaelskapelle erhalten geblieben. Die sogenannte „Dritte Burg“ in ihrer heutigen Form wurde im Oktober 1867 eingeweiht. Im Gegensatz zu der reinen „Theaterarchitektur“ des Schlosses Neuschwanstein wurde die neu aufgebaute Burg primär wehrtechnisch funktional ausgebildet. Der bedeutendste Teil der Militäranlage ist der Bastionenkranz, der die gesamte Burg umgibt. Beim Wiederaufbau der Bastionen wurde die alte Form der Befestigungsanlagen des 17. Jahrhunderts beibehalten. Der ursprüngliche Bastionenkranz bestand vermutlich aus dem örtlichen Kalkstein oder aus zugekauftem Stubensandstein. Bei der Reparatur bzw. dem Wiederaufbau erfolgte vor allem eine Erneuerung sämtlicher Oberflächen aus Angulatensandstein, der in der Ebene unterhalb der Burg gewonnen wurde. Nach über 150 Jahren weisen der Bastionenkranz sowie die spindelförmige Auffahrtsrampe („Schnecke“) erhebliche Schäden und Verformungen im Mauerwerk auf. Der bauliche Bestand und die Schäden wurden 2013 durch das Ingenieurbüro Barthel & Maus Beratende Ingenieure GmbH, München, systematisch erfasst, die Schadensursachen ermittelt und Konzepte für Instandsetzungsarbeiten vorgeschlagen [2]. Mit der Planung der Instandsetzungsarbeiten wurden die EHS beratende Ingenieure für Bauwesen GmbH, Stuttgart, beauftragt. Für die Planung und die statische Bemessung waren weitere Untersuchungen des Mauerwerks und der Hinterfüllung sowie Standsicherheitsbetrachtungen erforderlich. 2. Lage und Geologie Der Hohenzollern ist ein markanter, bis rund 855 m hoher Zeugenberg südlich von Hechingen. Der Gipfel des Berges mit der Burg Hohenzollern liegt auf der Gemarkung der Gemeinde Bisingen, zu deren Ortsteil Zimmern sie gehört. Der Berg ist namengebend für die geographische Region Zollernalb, Teil der Schwäbischen Alb. Er ist dem Trauf der Schwäbischen Alb rund einen Kilometer vorgelagert. Geographisch ist er ein Zeugenberg, der sich in einer geologischen Verwerfungszone, dem so genannten Hohenzollerngraben, befindet. Durch Reliefumkehr wurde das grabeninnere Terrain weniger stark 390 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Burg Hohenzollern - Baugrunderkundung und Geotechnische Beratung in exponierter Lage erodiert als die Umgebung und so blieben unter anderem das Zeller Horn, der vorgelagerte Hohenzollern und nordwestlich davon die Wilhelmshöhe erhalten. Abb. 1: Burg Hohenzoller (Quelle: Burg Hohenzollern) Die Kuppe des Hohenzollern besteht aus den Schichten der sog. „Wohlgeschichteten Kalke“ (Weißer Jura beta, ox2), auf denen die Burg gegründet ist. Dabei handelt es sich um eine etwa 40 m bis 50 m mächtige, eintönige Kalksteinserie. Die Bankmächtigkeiten dieses harten aber spröden Kalksteins liegen in der Regel zwischen 15 cm und 60 cm. Die Klüftung, vermutlich auch bedingt durch die seismisch aktive Zone des Hohenzollerngrabens, ist überwiegend engständig, weshalb das Gestein unter Belastung häufig stückig zerfällt. Gemäß der DIN EN ISO 14689-1, Benennung, Beschreibung und Klassifizierung von Fels, ist der Kalkstein nicht veränderlich, frisch bis verfärbt und von hoher bis sehr hoher Festigkeit. Erfahrungsgemäß können Festigkeiten bis 200 MPa auftreten. Die Grenze zu den darunterliegenden Impressamergeln (Weißer Jura alpha, ox1), liegt auf etwa 790 mNN bis 800 mNN. 3. Bauweise Nach den bisherigen Kenntnissen [2] handelt es sich bei der Bastionsmauer heute um eine typische „dreischalige“ Bauweise mit einer Außenmauer aus Angulatensandstein und einer Innenmauer aus Weißjura-Kalkstein. Dazwischen wurde der Mauerkern aus kleinteiligem Weißjura-Bruchsteinmaterial mit reichlich Mörtel hergestellt. Zwischen Mauerkern und Innenmauer ergab sich ein fließender Übergang. Der für die Außenmauer verwendete Angulatensandstein stammt geologisch aus dem sog. „Hauptsandstein“ der Angulatensandstein-Formation (he2, Angulatenschichten, Schwarzjura alpha 2), der im Albvorland in der Vergangenheit als wichtigster Naturstein in zahlreichen Steinbrüchen gewonnen wurde [3, 4, 5]. Es handelt sich um feinkörnigen Sandstein von 0,025 mm bis 0,08 mm Durchmesser und um Kalksandstein. Der Hauptbestandteil des Sandsteins ist Quarz. Die Sandsteinlagen sind meist feingeschichtet und ebenflächig. Die Sandsteinbänke sind überwiegend dünn bis mittel bankig (20 cm - 60 cm), die Klüftung ist mittelbis weitständig (20 cm - 150 cm). In unverwittertem Zustand ist der Angulatensandstein graublau, der durch Oxidation und Auslaugung des kalkigen Bindemittels eine mehr oder weniger dicke, gelblich-poröse Rinde bekommt. Der Kalkanteil schwankt je nach Auslaugung zwischen 10% und 45%. Nach [6] wurde beim Wiederaufbau der Burg für die Hoffassade des Schlosses, den Torturm, die Ecktürme auf den Basteien und sämtliche Treppensteine Werksteine von Ostdorf verwendet, während für die ganze bastionierte Umfassung, den Rampenturm, den Wilhelmsturm und große Teile des Schlosses Werksteine von Engstlatt, Steinhofen und Weilheim verwendet wurden. 4. Schäden und Baumaßnahme Im Bereich des Bastionskranzes sind weite Teile der Maueroberflächen im Gefüge geschädigt. Es hat sich gezeigt, dass der Angulatensandstein von der Oxidation sehr nachteilig beeinflusst wird, wenn er, was häufig der Fall ist, Schwefelkies (Pyrit) in größerer Menge, zumal in Form von ganzen Knollen, enthält. Dieser zersetzt sich an der Luft und durch Aufnahme von Wasser zu Eisensulfat, das wasserlöslich überall eindringt und auf das kalkige Bindemittel des Sandsteins ätzend und auflockernd einwirkt. Durch weitere Oxidation wird dann Eisenoxydhydrat erzeugt, das hässliche braune Flecken und Streifen in der Nähe der in frischem Zustand kaum bemerkbaren Schwefelkiesknollen hervorbringt. Die Hauptgründe dafür sind salzhaltige Wässer, die vom Burghofareal durchs Mauerwerk und durch undichte Entwässerungssysteme eindringen sowie die Abdichtung des Mauerwerks durch einen stark zementhaltigen Mörtel, der den Abtransport der Feuchtigkeit aus dem Mauerwerk behindert [2]. Die durch die Wintersalzung eingetragenen NaCl-Salze lösen das karbonatische Bindemittel und führen zu Abplatzungen durch Kristallisationsdruck der sich aus der Lösung neu bildenden NaCl-Kristalle. Die Steinoberflächen fallen z. T. in Schollen ab oder sind flächig zerrüttet. Der Mauerzug beult örtlich nach außen aus; die äußere Mauerschale hat sich z. T. flächig gelöst. Nach Standsicherheitsuntersuchungen ist die Mauer - je nach Annahmen - rechnerisch gerade noch standsicher bis nicht mehr standsicher. Zudem sind Einschränkungen der Gebrauchstauglichkeit durch Verkippungen zu erwarten. Die Bastionsmauern müssen deshalb flächig instandgesetzt und statisch gesichert werden. Die Baumaßnahme soll in fünf Bauabschnitten (BA I bis BA V) durchgeführt werden, wobei im Bereich der Schnarrwachtbastei vorab (BA 0) neben dem Eingang ein Personen- und Lastenaufzug angebaut wird. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 391 Burg Hohenzollern - Baugrunderkundung und Geotechnische Beratung in exponierter Lage 5. Bauwerkserkundung mittels Bauradar und Kernbohrungen Wie häufig bei denkmalgeschützten Bauwerken in Baden-Württemberg soll für den Austausch der geschädigten Natursteinblöcke möglichst das bauzeitlich verwendete Originalmaterial verwendet werden [5]. Allerdings existieren schon seit Jahrzehnten keine Steinbrüche mehr im Angulatensandstein. Deshalb wurde im Jahr 2013 das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau in Freiburg (LGRB) vom Landesamt für Denkmalpflege (LAD) mit der Recherche nach Ersatzmaterial für den verwitterten Angulatensandstein im Vorland der Burg beauftragt. Mit Unterstützung des Ingenieurbüros Taberg, Freiburg, wurde man im etwa 8,5 km entfernten Gewann Heiligenhölzle bei Grosselfingen fündig. Dort erfolgt seit Beginn der Sanierungsarbeiten 2020 der Abbau von Natursteinblöcken. Im Jahr 2015 wurden erstmals alle Mauern der Bastei zerstörungsfrei mittels Bauradar durch die GGU mbH, Karlsruhe, untersucht [7]. Dabei wurden elektromagnetische Wellen mit dem hochfrequenten 900 MHz- und 400 MHz-Sensor in die Mauern gesendet und die reflektierten bzw. transmittierten Signale kontinuierlich registriert (Abb. 2). Anhand der Radargramme konnten oberflächennahe Schwächezonen der Wand erkannt werden (Abb. 3). Die Eindringtiefe ist allerdings beschränkt. Es wurden deshalb 2018 und 2020 durch die GGU mbH, Karlsruhe, zunächst im Bereich der Neuen Bastei und der Kurtine mit dem niederfrequenten 200 MHz-Sensor weitere Bauradar-Untersuchungen durchgeführt [8, 9, 10]. Von Januar 2020 bis April 2020 wurden auf Grundlage der Bauradar-Untersuchungen entlang von markanten Schnittlinien eine Kombination aus lotrechten Kernbohrungen vom Bastionskranz und dem Kapellenhof aus und horizontale Kernbohrungen durch die Bastionsmauern durchgeführt. Das Ziel der Erkundung war, Informationen zur Ausbildung der Bastionsmauer, deren Hinterfüllung und zur Tiefenlage der Felsoberfläche zu erhalten. Abb. 2: Durchführung der Bauradar-Untersuchungen durch die GGU mbH Abb. 3: Ansicht einer Bastionsmauer mit Ergebnissen der Bauradar-Untersuchungen sowie Lage und Tiefe der Horizontal-Bohrungen 392 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Burg Hohenzollern - Baugrunderkundung und Geotechnische Beratung in exponierter Lage Insgesamt wurden durch die Firma Terrasond, Günzburg, 17 lotrechte Bohrungen mit Tiefen bis zu 12 m im Bereich der Hinterfüllung des Bastionskranzes und durch die Firmen renovum GmbH, Renningen, und Zedler Baugesellschaft mbH, Ober-Flörsheim, 47 horizontale Kernbohrungen bis zu 7 m Länge durch das Mauerwerk und die Hinterfüllung durchgeführt. Aufgrund der beengten Verhältnisse der spindelförmigen Zufahrt konnten die lotrechten Bohrungen nur mit einem Kleinbohrgerät Beretta T44 mit Raupenfahrwerk und einem Maschinengewicht von rund 4,5 t ausgeführt werden (Abb. 4). Für die horizontalen Bohrungen kam eine portable Bohreinheit mit einer Bohrlafette der Firma Morath zum Einsatz, die an einem Arbeitsgerüst montiert werden musste (Abb. 5). Dabei hat sich gezeigt, dass trotz Verankerung des Gerüstes am Mauerwerk der erforderliche Anpressdruck nicht immer erreicht wurde, was sich dann an einer schlechteren Kernqualität bemerkbar machte. Aus den Bohrkernen wurden von der Materialprüfungsanstalt der Universität Stuttgart (MPA Stuttgart, Otto- Graf-Institut (FMPA), Abteilung 41) Mörtel- und Mauerwerksproben entnommen und in deren Labor untersucht [11]. Abb. 4: Baugrunderkundung in exponierter Lage Abb. 5: Horizontal-Bohrungen 6. Erkundungsergebnisse und Bauwerks-/ Baugrundmodell Mit Hilfe der punktuellen Kernbohrungen und deren Bohrfortschritt, den flächigen Bauradar-Untersuchungen sowie unter Berücksichtigung der baugeschichtlichen Erkenntnisse konnte eine Modellvorstellung des Maueraufbaus, der Hinterfüllung und der Felsoberfläche erarbeitet werden (Abb. 6). Die Bastionsmauer ist dreischichtig aus einer Außenmauer, einer Innenmauer und einem Mauerkern dazwischen aufgebaut. Die Mauersteine der Außenmauer, die beim Wiederaufbau der Burg ab 1850 vollständig erneuert wurde, bestehen aus Feinsandstein und Kalksandstein der Angulatensandstein-Formation. Die abgeschätzte Druckfestigkeit ist stark anisotrop. Vertikal zur Schichtung ist sie sehr hoch (100 MPa bis 250 MPa), horizontal mäßig hoch bis hoch (25 MPa bis 100 MPa). Die ermittelte Zugfestigkeit [11] zwischen 0,05 MPa und 7,10 MPa ist dagegen im unteren Bereich der Werte extrem gering und erklärt den oft kleinstückigen Zerfall bei horizontalen mechanischen Einwirkungen. Dies hat zur Folge, dass die Bohrkerne durch den Bohrvorgang häufig stückig zerfallen. Die Ursache der stark anisotropen Festigkeiten und des unterschiedlichen mechanischen Verhaltens der Steine ist, neben dem Grad der Verwitterung, genetisch bedingt. Durch die Ablagerungsbedingungen in Küstennähe entstanden feinste horizontale Schichtfugen mit flächigem Korngefüge. Diese Gefügeebenen sind i. d. R. Ebenen bevorzugter Spaltbarkeit bzw. abgeminderter Festigkeit. Schon geringe Schubspannungen können deshalb die horizontale Scherfestigkeit übersteigen und zum Bruch führen. Die Dicke der Außenmauer wurde an ihrem Fuß in der BK 1 mit rund 1 m, ansonsten etwa zwischen 0,45 m und 0,7 m erbohrt. Mit scharfem Übergang folgt hinter der Außenmauer die Innenmauer. Sie besteht überwiegend aus Kalkstein-Material der „Wohlgeschichteten Kalke“ (Weißer Jura beta, ox2). Örtlich trat auch Material der Stubensandstein- Formation, der Angulatensandstein-Formation und Ziegel-Bruchstücke auf. Der Mauerkern aus kleinteiligem Weißjura-Bruchsteinmaterial mit reichlich Mörtel konnte nur örtlich festgestellt werden. Die erbohrte Dicke der Innenmauer beträgt etwa 1,6 m bis 2,5 m. Die Gesamtdicke der Mauer beträgt damit zwischen rund 2,4 m und rund 3,2 m. Nach den Bauradar-Messungen nimmt die Dicke der Mauer oberhalb von etwa 5 m bis 6 m Höhe auf bis zu ca. 1,5 m ab. Die Bastionsmauer ist vollständig hinterfüllt. Nach den Erkundungsergebnissen ist die Hinterfüllung sehr heterogen aus überwiegend bindigem oder überwiegend kiesigem Material. Das bindige Material besteht aus einem kiesigen bis stark kiesigen, schwach steinigen, lagenweise auch organischen Schluff von meist weicher Konsistenz. Die Kies- und Steinkomponenten sind kantig und 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 393 Burg Hohenzollern - Baugrunderkundung und Geotechnische Beratung in exponierter Lage bestehen, ebenso wie die überwiegend kiesigen und steinigen Lagen, aus Kalksteinen der unterlagernden Wohlgeschichteten Kalke (ox2, wj ß). An Fremdbestandteilen treten nur vereinzelt meist kleine Ziegelbruchstücke auf. Die Mächtigkeit der Hinterfüllung erstreckt sich im Bereich der Bastionsmauer auf fast die gesamte Höhe der Mauer. Zum Hochschloss hin nimmt die Mächtigkeit vollständig ab. Der Übergang von der Hinterfüllung in den darunter liegenden Fels, bestehend aus den Schichten der sog. „Wohlgeschichteten Kalke“ (Weißer Jura beta, ox2), auf denen die gesamte Burg gegründet ist, konnte sicher erfasst werden. Die Bankmächtigkeiten dieses harten aber spröden Kalksteins liegen in der Regel zwischen 15 cm und 60 cm. Die Klüftung, vermutlich auch bedingt durch die seismisch aktive Zone des Hohenzollerngrabens, ist überwiegend engständig, weshalb das Gestein unter Belastung häufig stückig zerfällt. Gemäß der DIN EN ISO 14689-1, Benennung, Beschreibung und Klassifizierung von Fels, ist der Kalkstein nicht veränderlich, frisch bis verfärbt und von hoher bis sehr hoher Festigkeit. Erfahrungsgemäß können Festigkeit bis 200 MPa auftreten. Die Felsoberfläche steigt vom Fundament der Bastionsmauer zum Hochschloss hin steil an. Die Neigung der Felsoberfläche meist zwischen 30° und 45°, örtlich auch bis 70°. Abb. 6: Schnitt durch die Bastionsmauer 394 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Burg Hohenzollern - Baugrunderkundung und Geotechnische Beratung in exponierter Lage 7. Bautechnische Empfehlungen Auf Grund der durchgeführten Voruntersuchungen und den Vereinbarungen der Planer und Prüfer, die Stützwände für die Belastungen im Lastfall Erdbeben nach DIN EN 1998-1 NA 2018 (2021) rechnerisch nachzuweisen, waren die zu untersuchenden Umfassungswände neben der eingeschränkten Gebrauchstauglichkeit als nicht mehr ausreichend standsicher einzustufen. Nach der Neubeurteilung der Einwirkungen aus Erdbeben in Deutschland in DIN EN 1998-1 NA 2018 ergibt sich für den Standort der Burg Hohenzollern, etwa im Zentrum der höchsten Erdbebenbeanspruchung in Deutschland, eine Spitzenbodenbeschleunigung von a gR = 1,54 m/ s² (T = 475 a). Diese ist nahezu doppelt so hoch als nach den aktuellen Regelungen der DIN 4149. Damit kommt den Nachweisen zur Standsicherheit im Lastfall Erdbeben eine besondere Bedeutung zu. Abb. 7: Vergleich der Spitzenbeschleunigung nach DIN 4149 und DIN EN 1998-1 NA 2018 Auf Grund der Befunde und den anzusetzenden Einwirkungen waren damit sowohl die innere Tragfähigkeit der Mauer als auch die äußere Standsicherheit unter Berücksichtigung der Belange des Denkmalschutzes nach den nachfolgend genannten Grundsätzen [12] zu ertüchtigen: • Gewährleistung der Standsicherheit mit möglichst wenigen, aber effizienten Eingriffen, • Gefügeerhalt (Lage und Wechselbeziehung der einzelnen Konstruktionselemente in einem Bauteil) und • Erhalt einer möglichst großen historischen Aussagekraft für spätere Generationen durch Beschränkung der Maßnahmen auf das absolut Notwendige. Für die Gesamtstandsicherheit, das System Mauer-Baugrund (Hinterfüllung), gelten aus Sicht des Denkmalschutzes folgende grundsätzliche Sanierungsmöglichkeiten [13]: • Stabilisierung - luftseitig mittels Strebensysteme, Stützpfeiler oder vorgeblendete Stützwand, - erdseitig Verankerung, Vernagelung oder rückwärtige Pfeiler, - beidseitig mittels verankerter bzw. vernagelter Pfeiler oder Wände, - Sondermaßnahmen mittels Zusatzgründungen für Pfeiler, Vertikalanker oder Kopfverbreiterung. • Entlastung - Zugglieder mittels Vernagelung mit tellerförmigen Injektions-Körpern an der Mauerrückwand oder Verankerung mit Entlastungsplatte, - Schlepp-Platte auf Teilböschung oder auf kompressibler Schicht, - Entlastungsbzw. Abschirmwände oder - Erddruckabminderung durch veränderte Erdstoffeigenschaften mittels Hinterfüllung aus Leichtbaustoffen oder aus stabilisierten Erdstoffen bzw. durch Injektionen. Unter Berücksichtigung aller Randbedingungen wurde hier zur Erhöhung der Standsicherheit des Gesamtsystem einer Vernagelung den Vorzug gegeben. Bei der Verna- 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 395 Burg Hohenzollern - Baugrunderkundung und Geotechnische Beratung in exponierter Lage gelung werden senkrecht zur Mauerwerksoberfläche in den Boden (Hinterfüllung) Zugstäbe rasterförmig eingebracht, die in der Hinterfüllung einen tragenden Verbundkörper erzeugen. Aus Denkmalschutzgründen ist der Kopf des Zugstabes hinter dem Mauerwerk anzuordnen bzw. in der Mauer zu verbergen. Für die Aufnahme der Nagelkopfkräfte wird entweder ein kleines Widerlager aus Beton in die Mauer eingebaut, oder es werden die Kopfplatten der Nägel auf größere in der Mauer vorhandene Steine und ein Mörtelbett aufgesetzt und durch die Vorsatzschale verblendet [14, 15]. Die innere Standsicherheit wird durch eine Vernadelung, die einen rechnerischen Ansatz von aufnehmbaren Zugkräften im Mauerwerk ermöglicht, empfohlen und rechnerisch geprüft. Zur Mauwerksvernadelung werden kreuzweise Edelstahlanker innerhalb des Mauerwerks ohne Kopfausbildung eingebracht. Besonders stark geschädigte Bereiche des Mauerwerks müssen, auch aus temporären Standsicherheitsgründen, durch bewehrte Spritzbetontragglieder hinter der Vorsatzschale ertüchtigt werden. Auf Grund der hier maßgeblichen Belastung aus Erdbeben wurden umfangreiche numerische Untersuchungen zur Festlegung von Nagelabständen und -einbindelängen durchgeführt, um den Eingriff in den Bestand weitgehend minimieren zu können [16]. Die Bemessung der Mauer erfolgt analytisch, wobei die Größe des dynamischen Erddrucks mithilfe der durchgeführten dynamischen Berechnungen ermittelt wurde. Auch die in der Bemessung der Mauer im Lastfall Erdbeben anzusetzende (phasenverschobene) Beschleunigung des Mauerwerks wurde mithilfe der FEM-Berechnung ermittelt. Grundlage dieser Berechnungen waren in Jungingen aufgenommene und skalierte Erdbebenereignisse (16.01.1978 und 22.03.2003) und ein synthetisch erzeugter Beschleunigungs-Zeitverlauf. Alle Beschleunigungsverläufe wurden auf die für den Standort der Wand gemäß DIN EN 19981/ NA: 2018-10 (Entwurf) prognostizierte Spitzenbodenbeschleunigung a gR = 1,54 m/ s² (T = 475 a) skaliert. Das Anregungssignal wurde zusätzlich mit einen „topographischen Verstärkungsfaktor“ 1,2 verstärkt. Die Hinterfüllung der Bastionsmauer wurde mit dem elastoplastischen HS small Modell und alternativ mit einem elastischen Materialmodell beschrieben. Zur Simulation des Mauerwerks wird für jede der Mauerschalen ein eigener Parametersatz definiert, wobei die Mauerwerksfugen über horizontale und vertikale „Kluftscharen“ abgebildet werden. Die Scherfestigkeit der Fugen wurde zu Beginn rechnerisch so gewählt, dass die Standsicherheit der Mauer im Ist-Zustand ca. η = 1,0 beträgt. Abb. 8: Finite Element Modell und Vergleich von statischen und dynamischen Erddruckbelastungen auf die Bastionsmauer Im Ergebnis konnte für das iterativ ermittelte Nagelraster mit den zugehörigen Nagellängen der dynamischen Erddruck auf die Wand mit Time-History Analysen ermittelt und für Berechnungen in weiteren Berechnungsschnitten Anpassungsfaktoren für das klassischen Verfahren zur Ermittlung dynamischer Erddrücke, das sogenannte Mononobe-Okabe (M-O) Verfahren, bestimmt werden. Vorteilhaft bei den dynamischen Berechnungen mittels Finite Element Methode war, dass der Angriffspunkt der Horizontalkraft im Gegensatz zum M-O für jeden Erdruckverlauf eindeutig bestimmt werden und damit alle inneren Nachweise der Wand auch ohne auf der sicheren Seite liegenden Annahmen geführt werden konnten. 8. Zusammenfassung und Ausblick Auf Basis der umfangreichen Erkundungsmaßnahmen konnten die geotechnischen Herausforderungen unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes vollumfänglich geplant werden. Voraussetzung waren dabei die in insgesamt 13 Schnitten entlang der Bastionsmauer ausgeführten vertikalen und horizontalen Erkundungsbohrungen, mit deren Hilfe die Felsoberfläche, die Zusammensetzung der Hinterfüllung und die Mauergeometrie gut beschrieben werden konnten und Basis der ausgeführten Standsicherheitsberechnungen sind. In Verbindung mit den direkten horizontalen Erkundungsbohrungen konnte mittels Radar der Zustand der Mauer als Grundlage für Planung der Mauersanierung selbst flächig erfasst werden. Mittels aufwändigen Finite-Element-Berechnungen konnten die erforderlichen Eingriffe in die Bastionswand zum Erreichen einer ausreichenden Standsicherheit auch unter Berücksichtigung der aus der Neueinschätzung der Erdbebengefährdung stark erhöht anzunehmenden Einwirkung weitgehend minimiert werden. 396 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Burg Hohenzollern - Baugrunderkundung und Geotechnische Beratung in exponierter Lage Literatur: [1] Kayser, Chr.: Burg Hohenzollern, ein Jahrtausend Bau-geschichte; Südverlag GmbH, Konstanz 2017 [2] Gutachten über den statisch-konstruktiven Zustand und notwendige Instandsetzungsmaßnahmen der Burg Hohenzollern, Bastionärbefestigung mit Auffahrt, Textteil und Anlagenteil, Barthel & Maus Beratende Ingenieure GmbH, München, 16.08.13 [3] Blatt 7619 Hechingen der Geologischen Karte (M 1: 25000) von Baden-Württemberg mit Erläuterungen, Geologisches Landesamt B.-W., Stuttgart 1985 [4] Werner et al.: Naturwerksteine aus Baden-Württemberg - Vorkommen, Beschaffenheit und Nutzung; Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau (LGRB), Freiburg im Br., 2013 [5] Abschlussbericht zu Erkundung und probeweiser Gewinnung von Angulatensandstein zur Renovierung der Burg Hohenzollern (Zollernalbkreis); Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau (LGRB), Freiburg im Br., 17.11.2018 [6] Achenbach: Geognostische Beschreibung der Hohenzollernschen Lande; Zeitschr. der deutschen geol. Gesellschaft 1856 [7] Ergebnisse der zerstörungsfreien Prüfung mittels Bauradar 900 MHz- und 400 MHz-Sensor, GGU mbH, Karlsruhe, 9.2015 [8] Bestimmung der Mauerdicke mittels Bauradar Schnarrwachtbastei 200 MHz-Sensor, GGU mbH, Karlsruhe, 8.2018; [9] Bestimmung der Mauerdicke mittels Bauradar, Burg Hohenzollern, Bastionenring, Neue Bastei NB, 400 MHz-Sensor, 7 Anlagen, GGU mbH, Karlsruhe, 01.2020 [10] Bestimmung der Mauerdicke mittels Bauradar, Burg Hohenzollern, Bastionenring, Neue Bastei NB, 200 MHz-Sensor, 8 Anlagen, GGU mbH, Karlsruhe, 02.2020 [11] Untersuchungsbericht Nr. 903 5758 000 zur Prüfung von Bohrkernen aus dem Mauerwerk, Materialprüfungsanstalt Universität Stuttgart, 26.10.18 [12] Fichtner, W. und Cook, D.: Sicherungstechniken für altes Mauerwerk, Bergbau und Denkmal 2, Sonderforschungsbereich 315, Universität Karlsruhe, 13/ 1995 [13] Wendt, R.: Alte Stützmauern - Schäden und Sanierungsmöglichkeiten, Bautechnik 72, 1995 [14] Wichter, L. und Meiniger, W.: Zum Stand der Bodenvernagelung in Deutschland; Geotechnik 27, Nr. 3, 2004 [15] Kudella, P.: Kopplung von GZ 1B und GZ 1C beim Nachweis von Stützmauervernagelungen nach DIN 1054: 2005; Bautechnik 82, Heft 12, 2005 [16] Benz, Th., Mey, A. und Jud, H.: Dynamischer Erddruck auf Wände - Ein Beispiels aus der Praxis; Vortrag in der Reihe „Numerik in der Geotechnik“, Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, 2019