Kolloquium Bauen in Boden und Fels
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2510-7755
expert verlag Tübingen
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Numerische Untersuchungen zur statischen Beurteilung von Baugrubenböschungen infolge Porenwasserdruck-Reaktionen auf Dilatanz
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Denis Maier
Für die Standsicherheitsbeurteilung der Böschungen von Baugruben in Boden und Fels wird meist unter jeweils maßgebender Annahme von dränierten oder undränierten Bedingungen durchgeführt. Über den zeitlichen Verlauf des Versagens selbst liefern Standsicherheitsuntersuchungen, bei denen die Wechselwirkungen zwischen Verformungen und Porenwasserdrücken unberücksichtigt bleiben, keine Information. Grundsätzlich bietet eine Konsolidationsrechnung, die die Grundgleichungen ohne Vernachlässigung von Porenwasserdruckproduktion bzw. -dissipation löst, die Möglichkeit Standsicherheiten zeitabhängig und nicht nur für den jeweils als maßgebend angenommenen Grenzfall zu ermitteln. Ergibt die Konsolidationsberechnung einen ausreichend langsamen Versagensverlauf, besteht desweitern die Möglichkeit einer Beurteilung der Böschungsstandsicherheit im Rahmen der Beobachtungsmethode. In gering durchlässigen Böden und Felsmaterialien, wie in stark überkonsolidiertem Ton oder Tonsteinen können dilatante Verformungen zu einem langsamen Versagen führen, da entstehende Porenwasserunterdrücke die Scherfestigkeit des Materialgefüges zeitweise erhöhen. In diesem Beitrag wird der Einfluss dilatanten Materialverhaltens auf den Versagensmechanismus einer Baugrubenböschung in einem Boden geringer Durchlässigkeit anhand eines vereinfachten Beispiels dargestellt.
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13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 405 Numerische Untersuchungen zur statischen Beurteilung von Baugrubenböschungen infolge Porenwasserdruck-Reaktionen auf Dilatanz Denis Maier Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Deutschland TU Bergakademie Freiberg, Freiberg, Deutschland Zusammenfassung Für die Standsicherheitsbeurteilung der Böschungen von Baugruben in Boden und Fels wird meist unter jeweils maßgebender Annahme von dränierten oder undränierten Bedingungen durchgeführt. Über den zeitlichen Verlauf des Versagens selbst liefern Standsicherheitsuntersuchungen, bei denen die Wechselwirkungen zwischen Verformungen und Porenwasserdrücken unberücksichtigt bleiben, keine Information. Grundsätzlich bietet eine Konsolidationsrechnung, die die Grundgleichungen ohne Vernachlässigung von Porenwasserdruckproduktion bzw. -dissipation löst, die Möglichkeit Standsicherheiten zeitabhängig und nicht nur für den jeweils als maßgebend angenommenen Grenzfall zu ermitteln. Ergibt die Konsolidationsberechnung einen ausreichend langsamen Versagensverlauf, besteht desweitern die Möglichkeit einer Beurteilung der Böschungsstandsicherheit im Rahmen der Beobachtungsmethode. In gering durchlässigen Böden und Felsmaterialien, wie in stark überkonsolidiertem Ton oder Tonsteinen können dilatante Verformungen zu einem langsamen Versagen führen, da entstehende Porenwasserunterdrücke die Scherfestigkeit des Materialgefüges zeitweise erhöhen. In diesem Beitrag wird der Einfluss dilatanten Materialverhaltens auf den Versagensmechanismus einer Baugrubenböschung in einem Boden geringer Durchlässigkeit anhand eines vereinfachten Beispiels dargestellt. 1. Einleitung Die Beurteilung der Standsicherheit von Hängen und oder künstlich hergestellten Böschungen ist eine in der geotechnischen Ingenieurpraxis häufig vorkommende Fragestellung. Die dabei erforderliche Stabilität bezieht sich auf den Zustand eines geneigten Boden- oder Felshangs, der einer Belastung ausgesetzt ist. Das Grenzgleichgewichtskonzept gilt als anerkannte Regel der Technik zur Beurteilung der Hangstabilität. Ziel hierbei ist die Bestimmung des Verhältnisses zwischen der verfügbaren Scherfestigkeit und der Grenzscherfestigkeit, bei der ein als Versagen postulierter Zustand bei Ansatz von Bemessungswerten für die Einwirkungen und die Scherparameter gerade noch nicht eintritt. In der Regel werden repräsentative zweidimensionale Schnitte unter der Annahme ebener Dehnungsbedingungen analytisch (Gleitkreise oder andere Bruchkörper) oder numerisch analysiert. Es erfolgt ein Vergleich von Kräften, die einer Bewegung widerstehen („haltende Kräfte“), mit solchen, die eine instabile Bewegung verursachen können („treibende Kräfte“). Hierbei werden Translations- oder Rotationsbewegungen auf einer angenommenen (analytische Ansätze) oder im Verlauf der numerischen Berechnung ermittelten Gleitfläche/ Bruchfläche an der Unterkante des versagenden Bodenkörpers berücksichtigt. Es gibt jedoch auch Aufgabestellungen, die eine über die Bedingungen des Versagens hinaus gehende Beurteilung erfordern. Unter bestimmten Voraussetzungen kann eine geringe Standsicherheit in Kauf genommen werden, sofern das eigentliche Versagen hinreichend langsam erfolgt und sich dessen Entwicklung durch geeignete Messgeräte in einem für die Standsicherheit ausreichenden Maß genau beobachten lässt. Über den zeitlichen Verlauf des Versagens selbst liefern Standsicherheitsuntersuchungen keine Information. So können beispielsweise bei einer Analyse durch Abminderung der Scherparameter zwar Auftriebs- und etwaige Strömungskräfte berücksichtigt werden, die Wechselwirkungen zwischen Verformungen und hydraulischem Grundwasserpotential bzw. Porenwasserdrücken bleiben jedoch unberücksichtigt. Diese Interaktion zeigt sich bei dem Versagen von Boden- und Felshängen, wenn sich der Boden oder Fels dilatant verformt und die Durchlässigkeit in Bezug auf die Verformungsgeschwindigkeit gering ist. In diesem Beitrag werden Einflüsse der kinematisch-dynamischen Interaktion zwischen Bodenverformung und Porenwasserdruck auf die Standsicherheit von Boden- und Fels- 406 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Numerische Untersuchungen zur statischen Beurteilung von Baugrubenböschungen infolge Porenwasserdruck-Reaktionen auf Dilatanz hängen mit dilatantem Verhalten und geringer Durchlässigkeit aufgezeigt. 2. Grundlagen Das Model leitet sich ab von Biots Theorie [1] der Poroelastizität und berücksichtigt ein poröses Medium, dessen Matrix verformbar ist und dessen Porenraum mit einem ebenfalls kompressiblen Fluid gefüllt ist. Die Grundgleichungen zur Beschreibung des porösen Gesamtsystems bestehen aus der Massenbilanz der Fluidphase sowie den statischen Gleichgewichtsbedingungen am Bodenelement. Werden eine annähernde Wassersättigung des Porenraums (Sw>95%), bei dem Gas nur noch in Form insularer Bläschen vorliegt, und inkompressible Einzelbestandteile des Materialgefüges angenommen, so lässt sich die Massenbilanz entsprechend (1) beschreiben: Es handelt sich dabei um eine auf den Porenwasserdruck p bezogene Gleichung. Die Porosität n und die Kompressibilität des Porenfluid (Wasser-Gas Gemisch) K‘ ergeben den sogenannten Speicherkoeffizienten. εv sind die volumetrischen Dehnungen des Materialgefüges und mit q die Flüsse in das und aus dem betrachteten Kontrollvolumen. Die Flüsse q werden mittels Grundwasserströmungsgleichung nach Darcy mit der hydraulischen Durchlässigkeit ks und der Wichte von Wasser γw bestimmt. Der Anstieg des Porenwasserdrucks zu einem Zeitpunkt t entspricht somit der Differenz des durch die Volumenänderung des Materialgefüges verringerten Hohlraumvolumens und des Wasservolumens, dass aus dem betrachteten Kontrollvolumen im Zeitinkrement ein oder ausfließen konnte. Der Speicherterm gibt an, wie stark der Porenwasserdruckanstieg bei gegebener Hohlraumvolumenänderung ist. Dabei kann die volumetrische Dehnung des Materialgefüges nicht nur als treibende Kraft wirken, sondern nimmt im gekoppelten System über die Rückkopplung des Porenwasserdrucks p mit den effektiven Spannungen ∂‘ in den statischen Gleichgewichtsbedingungen (2) auch die Rolle eines zusätzlichen Speicherterms ein. Das Eigengewicht des Boden- oder Felskörpers wirkt sich als Volumenkraft f aus. I ist der Einheitstensor. Durch diese bidirektionale Kopplung ergibt sich bei gegebenem Fluss eine Aufteilung der totalen Spannungen auf Porenwasserdruck und effektiven Spannungen anhand des Verhältnisses der Kompressionssteifigkeit des Porenfluid und der des Materialgefüges. Die Deformationen, insbesondere die volumetrischen Dehnungen, die wie beschrieben in die Massenbilanz der fluiden Phase eingehen, werden aus dem zugrunde gelegten Stoffgesetz des Boden- oder Felsmaterials berechnet. In numerischen Programmen wird jedoch fast ausschließlich die Verschiebungsformulierung angewandt, bei der die effektiven Spannungen mittels approximierter Steifigkeiten als Verformungen ausgedrückt werden, und das Stoffmodell dann dazu dient neue Näherungen für die Steifigkeiten und effektiven Spannungen zu bestimmen (siehe z.B. [2]) 2.1 Dränierte, undränierten oder Konsolidations- Berechnung? Eine regelwerkkonforme Beurteilung der Hangstabilität sieht keine Berücksichtigung der kinematisch-dynamischen Interaktion zwischen Bodenverformung und Porenwasserruck vor, wenn die Standsicherheit für eine lange Standzeit des Erdbauwerks gewährleistet werden soll (Langzeitverhalten). Die Beurteilung entsteht dann mittels sogenannter dränierter Berechnungen, da der Zustand am Ende eines Konsolidierungsvorganges betrachtet wird, wenn alle Porenwasserüberdrücke bzw. -unterdrücke dissipiert sind. Diese Herangehensweise wird meist für Entlastungsfälle angewandt, wobei ggf. auftretende Porenwasserunterdrücken, die die effektiven Spannungen der Materialgefüges und damit ihre Scherfestigkeit erhöhen, nicht berücksichtigt werden. Der drainierte Zustand stellt für Entlastungsfälle also in Hinblick auf die Festigkeit des Materialgefüges meist den ungünstigsten Fall dar. Bei Belastungsfällen wird für den Anfangszustand unmittelbar nach Aufbringen der Belastung oder während der Belastungsaufbringung wird der Boden meist als undräniert betrachtet (Kurzzeitverhalten), da hier Porenwasserüberdrucke auftreten und demensprechend die effektiven Spannungen und damit die Festigkeiten der Materialgefüges reduziert werden. Im undränierten Fall werden bei einem als inkompressibel angenommenem Porenfluid der Boden als vollständig wassergesättigt angenommen, die kinematische Bedingung der Volumenkonstanz des Bodenkörpers vorausgesetzt und undränierte Scherparameter herangezogen. Hierbei bleibt jedoch die Dissipation des Porenwasserüberdrucks komplett unberücksichtigt. Besitzt das Porenfluid eine Kompressibilität (z. B. durch eingeschlossene Gasbläschen, siehe [3]), kann die undränierte Berechnung trotzdem durchgeführt werden, da in diesem Fall die Volumenveränderung des Boden- oder Felsmaterials der Volumenveränderung des Porenfluids entspricht und sie so als zusätzliche Unbekannte eliminiert werden kann. Es wurde bereits mehrfach über die Herangehensweise zur Bestimmung der maßgebenden Modellierungsgrundlage diskutiert (z. B. Vermeer und Meier [4], Wehnert [5] und Stelzer [6]), 1998; , 2006, 2016). Bei temporärer mechanischer oder hydraulischer Belastung oder bei temporären Stützmaßnahmen ist jedoch zu beachten, dass die Zeit der Einwirkung möglicherweise 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 407 Numerische Untersuchungen zur statischen Beurteilung von Baugrubenböschungen infolge Porenwasserdruck-Reaktionen auf Dilatanz weder lang genug ist, um die Bedingungen für den drainierten Zustand zu erfüllen oder nicht kurz genug ist um einem völlig undränierten Zustand zu entsprechen. Eine geeignete Größe zur Abschätzung der Dränage-Verhältnisse kann die dimensionslose Konsolidationszeit Tv aus der eindimensionalen Konsolidationstheorie nach Terzaghi [7] liefern. Diese wird nach (3) mit dem Konsolidationsbeiwert cv, dem Drainageweg L, der Zeit t, der hydraulischen Durchlässigkeit k des Materialgefüges, dem Steifemodul Es des Materialgefüges und der Wichte γw von Wasser berechnet. Nach Verrujit [8] (? ? 95) sollten undränierte Bedingungen für Tv < 10-4 und dränierte für Tv > 2 angenommen werden, was der Zeit entspricht, nach der 1% bzw. 99% des Konsolidationsgeschehens beendet sind. Damit ergibt sich eine Zeitspanne von 10-4 < Tv < 2 in der beide Berechnungsansätze nur bedingt angewendet werden können. Komplexe Baugrubengeometrien und Randbedingungen sorgen des Weiteren durch z. B. räumlich oder zeitlich variierende Dränagelängen dafür, dass eine eindeutige Bestimmung der Konsolidationszeit nur eingeschränkt möglich ist. Es lässt sich zeigen, dass die beiden vorgestellten Berechnungsgrundsätze Grenzfälle der Konsolidationstheorie nach Biot sind. In dieser werden Porenwasserdruckproduktion und -dissipation durch bidirektionale Kopplung der Grundwasserströmungsberechnung und der statischen Berechnung des Materialgefüges ermittelt und verlangen so keine a priori Annahmen um die Komplexität des Verhaltens des Boden-Fluid-Gemischs stark zu vereinfachen. Die Unterschiede des jeweiligen Berechnungsansätze lassen sich anhand der Berücksichtigung von Porenwasserdruckproduktion sowie -dissipation wie in Tabelle 1 dargestellt einteilen. Tabelle 1: Einteilung der Berechnungsansätze über die Berücksichtigung vom Porenwasserdruckproduktion und -dissipation Porenwasser druck- Produktion ja nein Dissipation ja Konsoli-dation (Biot) dräniert (instationäre GW-Strömung) nein undräniert dräniert (stationäre GW-Strömung) Bei der Konsolidierungsberechnung sind Porenwasserdruckverteilung, effektive Spannungen und Verformungen sowie die Scherfestigkeit, die die Standsicherheit von Erdbauwerken beeinflussen, zeitabhängig. Es ist damit zum einen entscheidend, welche Modellannahmen und welcher Zeitpunkt maßgebend für die Standsicherheit von Erdbauwerken werden. Dazu ist zu beurteilen ob entstehende Porenwasserüberdrücke sowie -unterdrücke die Standsicherheit begünstigen oder herabsetzen. Zum anderen muss beurteilt werden, in wie fern die Randbedingungen, die zu günstigen Einwirkungen führen, sichergestellt werden, oder von im Bauablauf nur grob abzuschätzenden zeitlichen Randbedingungen abhängen. Grundsätzlich bietet die Konsolidationsrechnung die Möglichkeit deutlich günstigerer Standsicherheiten als der für den jeweils maßgebenden Grenzfall (drainiert oder undräniert), verlangt jedoch auch mehr Präzession bei der Bestimmung von Randbedingungen und Materialgrößen, wie Steifigkeit und Durchlässigkeit des Materialgefüges. 2.2 Dilatantes Materialverhalten / Scherinduzierte Porenwasserdruckdefizite In diesem Beitrag wird die Abhängigkeit der Standsicherheit von Boden- oder Felshängen von der Art der Berechnung (undräniert, drainiert, Konsolidationsberechnung) anhand der Porenwasserdruck-Reaktionen beim Versagen einer Böschung in stark überkonsolidierten Ton bzw. Tonstein mit dilatantem Verhalten untersucht. Dilatanz ist die Eigenschaft von Stoffen auf Scherspannungen mit Volumenvergrößerung zusätzlich zu den volumenkonstanten Scherverformungen zu regieren. Bei der daraus folgenden Auflockerung nimmt das Porenvolumen zu. Kann dieses nicht schnell genug mit Wasser gefüllt werden, entstehen Porenwasserunterdrücke, die der Volumenvergrößerung entgegenwirken und die effektiven Spannungen der Materialgefüges erhöhen. Bei dem Versagen von Boden- und Felshängen entsteht meist eine Gleitfuge, die in Abhängigkeit der Bodenparameter und der Belastung oberflächennah oder tief im Böschungskörper verlaufen kann. Während die Entstehung dieser Gleitfuge unter dränierten Bedingungen mit einer sehr raschen und großen Scherverformung verbunden ist, ergibt sich unter undränierten Bedingungen ein starker Porenwasserunterdruck in der Gleitfuge. Ob undränierte oder drainierte Bedingungen vorherrschen, ist abhängig von der Geschwindigkeit des Abschervorgangs, dem Verhältnis von Scherzu Volumenverformung (ausgedrückt durch den Dilatanzwinkel ψ), der genauen Lage der Scherfuge, der Durchlässigkeit des umgebenden, noch intakten Materialgefüges und der Zeit, die dem Material zur Druckdissipation zur Verfügung steht. Von dem Konzept der kritischen Zustände ausgehend, wird Dilatanz in Materialien erwartet, deren Dichte größer ist als die materialspezifische kritische Dichte, z. B. bei überkonsolidierten Tonen und dicht gelagerten San- 408 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Numerische Untersuchungen zur statischen Beurteilung von Baugrubenböschungen infolge Porenwasserdruck-Reaktionen auf Dilatanz de. Auch in Festgestein ist Dilatanz zu beobachten. [9]. Die Volumenzunahme ist dabei nicht unbegrenzt und wird geringer, desto größer der Scherweg. Dies bedeutet, dass mit der Scherverformung die Interaktion mit dem Porenfluid ebenso abnimmt. Untersuchungen, die Scherwegabhängigkeit der Materialantwort an Elementtests berücksichtigen sind von Nitzsche und Herle [10] durchgeführt worden. 3. Modellaufbau und Methodik Um ein besseres Verständnis der die Standsicherheit von Böschungen bestimmenden stabilisierenden und destabilisierenden Faktoren zu gewinnen, wird der Baugrubenaushub in Tonstein untersucht. In dieser Analyse stehen die Wechselwirkungen zwischen mechanischen und hydraulischen Eigenschaften im Fokus, die jeweils durch die Scherfestigkeit sowie die hydraulische Durchlässigkeit maßgebend charakterisiert werden. Zeitliche Aspekte des Böschungsversgens sind gerade bei hohem Ausnutzungsgrad (geringe Standsicherheit) von grundsätzlichem Interesse im Kontext der Beobachtungsmethode. Die Berechnungen wurden mit der quelloffenen und lizenzfreien Finite-Volumen-Software OpenFOAM und einem an der Bundesanstalt für Wasserbau entwickelten Zusatzmodul (poroMechanicalFoam) durchgeführt. Für die Untersuchung wurde die Geometrie des Standardfalls, der um 45° zur Horizontalen geneigten, 10m hohen, homogenen zweidimensionalen Böschung, ausgewählt. Das Modellgebiet hat eine Breite von 40m und eine Gesamthöhe von 20m. Die Geometrie ist in Abbildung 1 dargestellt. Die seitlichen Modellränder wurden als unverschieblich in Vertikalrichtung angesetzt. Während der linke Modellrand als undurchlässig definiert ist, wurde am rechten Modellrand ein festes hydraulisches Potential vorgegeben, den Wasserstand eines angrenzenden Vorfluters wiederspiegeln soll. Der untere Modellrand ist sowohl vertikal als auch horizontal gehalten und ebenfalls als undurchlässig definiert. Die Böschung und Baugrubensole werden mit zeitlich veränderlichen mechanischen sowie hydraulischen Einwirkungen belastet. Die Geländeoberkante ist unbelastet. Abbildung 1: Geometrie der Baugrubenböschung mit in Blau dargestelltem Finite Volumen Gitter. Das eingesetzte Stoffmodell für das Erdbauwerk ist das Mohr-Coulomb Stoffgesetzt mit assoziierter Fließregel (ψ=φ). Das dilatante Verhalten ist in diesem Modell konstant. Eine Reduktion der Volumenzunahme mit dem Scherweg wird nicht berücksichtigt, was in der folgenden Beurteilung berücksichtigt werden muss. Die mechanischen und geohydraulischen Bodenparamter sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Es wurden effektive Scherparameter als charakteristische Werte genutzt. Tabelle 2: Mechanische und geohydraulische Eigenschaften des untersuchten Tonsteins Eigenschaft Einheit φ-c Reduktion Konsolidation Wichte γ kN/ m 3 23 23 Elastizitätsmodul E MN/ m 2 40 40 Querdehnungszahl ν - 0,3 0,3 Durchlässigkeit k m/ s - 1e-7 Fluid-Kompressionsmodul K’ MN/ m 2 - 4 effektiver Reibungswinkel φ’ ° Start: 20 =φ crit effektive Kohäsion c’ kN/ m 2 Start: 25 = c crit Dilatanzwinkel ψ ° = φ = φ crit Der Steifemodul des Porenfluids ergibt sich aus einer angenommen Wassersättigung von ca. 98%. Eine Sättigung von 100% führt zu einem nahezu inkompressiblen Porenfluid (Steife von Wasser). Gassättigungen von 2 % und der sich daraus ergebene Speicherkoeffizient sind nach Beobachtungen von Köhler [11] konsistent mit Messungen der Porenwasserdruckdissipation in Erddämmen. Die Böschung wurde aufgrund der hohen kapillaren Steighöhe von stark tonhaltigen Böden als vollgesättigt angenommen, die Porenwasserdruckverteilung ergibt sich jedoch aus den als Randbedingungen vorgegebenen Grundwasserpotentialen an Böschung und dem seitlichen Modellrand. Bei Konsolidationsrechnungen sind im Gegensatz zu den nicht gekoppelten Berechnungen auch die Geschwindigkeiten des Aushubvorgangs und der Wasserstandsabsenkung ausschlaggebend. Im vorliegenden Beitrag wird angenommen, dass der Bruch erst bei Fertigstellung der Baugrube eintritt, sodass lediglich der Endzustand der Böschung untersucht wurde (“wished-in-place”). Beim Aushub einer Baugrube ist zu erwarten, dass der mechanische Teil der Einwirkung 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 409 Numerische Untersuchungen zur statischen Beurteilung von Baugrubenböschungen infolge Porenwasserdruck-Reaktionen auf Dilatanz (Entlastung durch Reduktion der Auflast) im drainierten Fall am kritischsten ist, weil im undränierten Fall Porenwasserunterdrücke die Scherfestigkeit des Bodens erhöhen. Dieser Fall entspricht einem sehr langsamen Baufortschritt. Um diesen Effekt darzustellen wurden ein Fall untersucht, der den Einfluss der mechanischen Teileinwirkung isoliert und beurteilbar machen sollen. Um dies zu ermöglichen wurde angenommen, dass der Grundwasserspiegel vor dem Baugrubenaushub bis zur geplanten Böschungssohle abgesenkt wurde. Abbildung 2: Stationäre Porenwasserdruckverteilung nach Absenken des Grundwasserstandes auf geplante Baugrubensole, weiß Potentiallinien, gelb Grundwasseroberfläche (Sickerlinie, p = 0 Pa). Abbildung 3: Bruchmechanismus am Ende der φ-c Reduktion. Die Farbskalar stellt die Deviatordehnung da. Die sich aus den hydraulischen Randbedingungen ergebene stationäre Porenwasserdruckverteilung ist in Abbildung 2 dargestellt. Das Potenzial am rechten Rand liegt bei h = 15 m, während in der Baugrube ein Potenzial in Höhe der Baugrubensole (h = 10 m) vorgegeben wurde. Durch Anwendung der Festigkeitsreduktionsmethode (φ-c Reduktion) wurde dann der Bruchzustand unter drainierten (kritischen) Bedingungen ermittelt. Die aus der drainierten φ-c Reduktion ermittelten, kritischen Scherparameter wurden in einem zweiten Schritt für die Konsolidationsberechnung genutzt und der Verlauf des Versagens unter Berücksichtigung der Dilatanz untersucht. 4. Ergebnisse Die φ-c Reduktion liefert einen sogenannten Sicherheitsfaktor η, der sich aus dem Verhältnis η=tanφ ⁄ tan φ krit =c⁄c krit berechnet. Die drainierte Berechnung liefert dabei einen Sicherheitsfaktor von η=1.87 mit dem in Abbildung 3 dargestellten Bruchmechanismus. Abbildung 3 macht klar, dass beim Bruch eine Scherfuge im Innern des Böschungskörpers entsteht. Die Konsolidationsrechnung, beginnend vom Anfangszustand 0^ (“wished-inplace”) mit den um η=1.87 abgeminderten Scherparametern zeigt, dass in den gekoppelten Berechnungen der Scherung ein Porenwasserunterdruck entgegengesetzt ist. Abbildung 4 stellt dies mit Hilfe des hydraulischen Potentials h = p/ γw + z, mit der geodätischen Höhe z dar. Das Bezugsniveau z=0 liegt am unteren Rand des Modellgebiets. Durch die sich ausbildenden Scherfuge. entsteht ein Bereich geringeren Potentials. Dies bewegt umgebendes Porenfluid dazu, sich in Richtung des geringeren Potentials zu bewegen und induziert Strömungskräfte auf das Materialgefüge. Da die Strömungskräfte allseitig in Richtung Scherfuge wirken, nehmen die effektiven Spannungen in der Bruchfuge zu und die Scherfestigkeit nimmt entsprechend des Reibungswinkels zu. Das Drainageverhalten nach Gleichung (3) ist nur schwer einzuordnen, da die Bestimmung der Drainagelänge a priori nicht eindeutig bestimmbar ist. Abbildung 4: Porenwasserunterdrücke, dargestellt als hydraulisches Potential. Abbildung 5 zeigt den zeitlichen Verlauf des Versagens der Böschung. 0,5 Sekunden nach dem Start der Berechnung sind noch keine nennenswerten Scherungen zu erkennen. Mit dem hier verwendeten Parametersatz, setzt der Versagensmechanismus jedoch mit nur geringer Verzögerung nach ca. einer Sekunde berechneter Standzeit ein. Dies ist dem geringen Reibungswinkel und der daraus resultierenden geringen Festigkeitszunahme durch die Porenwasserunterdrücke geschuldet. Ob die Böschung durch die entstehenden Porenwasserunterdrücke standsicher wird, hängt damit maßgeblich vom effektiven Reibungswinkel ab. Ca. 0.9 Sekunden nach dem Start der Berechnung bildet sich eine Scherzone aus, die nach einer Sekunde voll ausgebildet ist. Die Scherzone, die sich in der Konsolidationsberechnung ergibt besitzt 410 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Numerische Untersuchungen zur statischen Beurteilung von Baugrubenböschungen infolge Porenwasserdruck-Reaktionen auf Dilatanz eine größere Breite als jene, die unter Annahme dränierter Bedingungen ermittelt wurde. Die dilatanten Eigenschaften, die hydraulische Durchlässigkeit und das Verhältnis von kohäsiver zu reibungsbedingter Scherfestigkeit haben Einfluss auf den genauen Verlauf des Versagens in der Konsolidationsberechnung Abbildung 5: Zeitlicher Bruchvorgang bei Konsolidationsberechnung. Die Farbskalar stellt die deviatorische Dehnungen da. Die Verformung ist 10-fach überhöht dargestellt. 5. Fazit und Diskussion Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Standsicherheitsbeurteilung von Boden- und Felshängen mit geringer Durchlässigkeit unter Berücksichtigung der Wechselwirkung von durch Dilatanz verursachten volumetrischen Dehnungen und dem Porenwasserdruck. Die Konsolidationsberechnungen zeigt, dass der Versagensmechanismus, selbst bei Zugrundelegung des zeit- und geschwindigkeitsunabhängigen Mohr-Coulomb Materialgesetz, einen zeitlichen Verlauf aufweist, in dem Porenwasserunterdrücke initial die Belastung aufnehmen. Der angesetzte Reibungswinkel entscheidend maßgeblich über den Festigkeitszunahme bei gegebener Porenwasserdruckreaktion. In vorgestellten Fall reichte der entstandene Porenwasserunterdruck nur für eine sehr geringe Standzeit (ca. eine Sekunde) aus, da durch die phi-c Reduktion ein sehr kleiner Reibungswinkel angesetzt wurde. Mit der Dissipation der entstandenen Porenwasserunterdrücke wird die Belastung wieder zurück auf das Korngerüst überführt, die Scherfestigkeit des Korngerüsts wird wieder verringern, was zum Versagen der Böschung mit zeitlichem Versatz führt. Für weitere Untersuchungen sollte das Versagen nicht durch den Ansatz von reduzierten Scherparametern herbeigeführt werden, da diese das Verhalten der Böschung im Versagensfall nicht realitätsnah beschreiben. Stattdessen sollte ein Fall untersucht werden, bei dem die Böschung mit charakteristischen Scherparametern nicht mehr standsicher ist. Dies kann z.B. erreicht werden, indem die Böschungsneigung variiert wird bis sie den Grenzzustand der Tragfähigkeit erreicht. Zudem sind Untersuchungen nötig, um den Einfluss von Materialgrößen wie hydraulischer Durchlässigkeit und Verhältnis von kohäsiver zu reibungsbedingter Scherfestigkeit zu bestimmen. Des Weiteren sind die genauen dilatanten Eigenschaften von großer Bedeutung, was den Einsatz von höherwertigen Stoffmodellen (z.B. Hypoplastizität) erfordert. Literaturverzeichnis [1] Biot, M. A. (1941). General theory of three-dimensional consolidation, Journal of Applied Physics, vol. 12, pp. 155-164. [2] Anandarajah, A.. (2010). Computational Methods in Elasticity and Plasticity: Solids and Porous Media. 10.1007/ 978-1-4419-6379-6. [3] Montenegro, H.; Stelzer, O. (2014). Untersuchung des Einflusses von Gaseinschlüssen unterhalb des Grundwasserspiegels auf Druckausbreitung und Bodenverformung mittels gekoppelter FE-Berechnungen. Mitteilungsheft 19 des Instituts für Geotechnik, Technische Universität Dresden. [4] Vermeer, P.A., Meier, C.-P. (1998). Standsicherheit und Verformungen bei tiefen Baugruben in bindigen Böden. Vorträge der Baugrundtagung in Stuttgart. Deutsche Gesellschaft für Geotechnik e.V.: 133-148; Verlag Glückauf [5] Wehnert, M. (2006). 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