Kolloquium Bauen in Boden und Fels
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2510-7755
expert verlag Tübingen
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2024
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Untersuchung elektroosmotischer Effekte auf Adhäsion und Gleitreibung eines bindigen Modellbodens
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Michael Ried
Thomas Neidhart
In der Bauausführung und Maschinentechnik sieht man sich immerwährend mit Haft- und Reibkräften zwischen Stahloberflächen und bindigen Böden konfrontiert. Im (Spezial-)tiefbau und auch im Tunnelbau führt die Adhäsionsneigung bindiger Böden an Aushubwerkzeugen zu massiven wirtschaftlichen Einbußen der jeweiligen Baumaßnahme und ist mit großem energetischem Aufwand für die Reinigung der Werkzeuge verbunden. In den vergangenen Jahren wurde über den Einsatz eines elektrischen Gleichspannungsfeldes mehrfach eine vielversprechende Lösung diskutiert. Die durch den elektroosmotischen Effekt hervorgerufene Wasserdiffusion hin zur positiv geladenen Kathode führt zu einer signifikanten Reduktion der Adhäsion zwischen Stahloberfläche und bindigem Boden. Dabei wird die Haftspannung tangential wie auch senkrecht zur Werkzeugoberfläche durch elektrische Ströme beeinflusst. Innerhalb dieser vorgestellten Arbeit wurde ein Rotationsscherversuch entwickelt, mit dem die elektroneninduzierte Veränderung der mechanischen Interaktion zwischen Boden und Stahloberfläche systematisch untersucht und quantifiziert wurde.
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14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 145 Untersuchung elektroosmotischer Effekte auf Adhäsion und Gleitreibung eines bindigen Modellbodens Ein elektrisches Gleichspannungsfeld zur Veränderung der Mechanik zwischen Boden und Stahl Michael Ried, M. Eng. Ostbayerische Hochschule Regensburg, Lehrgebiet Geotechnik und Bahnbau Prof. Dr.-Ing. Thomas Neidhart Ostbayerische Hochschule Regensburg, Lehrgebiet Geotechnik und Bahnbau Zusammenfassung In der Bauausführung und Maschinentechnik sieht man sich immerwährend mit Haft- und Reibkräften zwischen Stahloberflächen und bindigen Böden konfrontiert. Im (Spezial-)tief bau und auch im Tunnelbau führt die Adhäsionsneigung bindiger Böden an Aushubwerkzeugen zu massiven wirtschaftlichen Einbußen der jeweiligen Baumaßnahme und ist mit großem energetischem Aufwand für die Reinigung der Werkzeuge verbunden. In den vergangenen Jahren wurde über den Einsatz eines elektrischen Gleichspannungsfeldes mehrfach eine vielversprechende Lösung diskutiert. Die durch den elektroosmotischen Effekt hervorgerufene Wasserdiffusion hin zur positiv geladenen Kathode führt zu einer signifikanten Reduktion der Adhäsion zwischen Stahloberfläche und bindigem Boden. Dabei wird die Haftspannung tangential wie auch senkrecht zur Werkzeugoberfläche durch elektrische Ströme beeinflusst. Innerhalb dieser vorgestellten Arbeit wurde ein Rotationsscherversuch entwickelt, mit dem die elektroneninduzierte Veränderung der mechanischen Interaktion zwischen Boden und Stahloberfläche systematisch untersucht und quantifiziert wurde. 1. Einführung Das Phänomen der Elektroosmose ist hinlänglich bekannt und findet in unterschiedlichen Fachbereichen Anwendung. Durch eine elektrische Spannung aus einer externen Stromquelle oder auch verschiedenen elektrischen Potentialen von Metallen kommt es zu einer Wasserbewegung innerhalb kleiner Kanäle - den Kapillaren. Dieser Mechanismus kann sich im Boden zu Nutze gemacht, um diesen schneller zu konsolidieren, zu entfeuchten oder auch um die Reibeigenschaften zwischen Boden und Stahl zu verändern. Insbesondere Letzteres hat durch die einfache und kostengünstige Umsetzung viel ungenutztes Potential. Die Spannung und Stromstärke, die für den Effekt benötigt werden, sind je nach Konzeptionierung sehr gering und stellen keine Gefahr für den Menschen dar. Voraussetzung für die Anwendung der Elektroosmose ist eine wässrige Ionenlösung, eine elektrische Ladung der Kapillarwände wie auch ausreichend kleine Durchmesser der Kapillarporen. Diese Voraussetzungen sind in bindigen Böden stets gegeben. Im Kontext dieser Arbeit wurde das Verfahren genutzt, um die Adhäsions- und Reibeigenschaften bindigen Lockergesteins zu verändern und zu quantifizieren. Wie aus verschiedenen Untersuchungen hervorgeht, besteht ein klarer Zusammenhang zwischen dem Wassergehalt bzw. der Konsistenz des Bodens und den Haft- und Scherverhältnissen [1], [2], [3]. Durch das externe Anlegen einer Gleichspannung ist es möglich, die Haftfuge zu trocknen oder sie durch Wasserzutritt zu verändern. Hierbei ist die Polung der Stahloberfläche in der Fuge wichtig. Die Fließrichtung in natürlichen Böden geht stets von der Anode zur Kathode - der Boden an der Anode trocknet aus, der Wassergehalt an der Kathode nimmt zu. Für die Untersuchung des Einflusses elektrischer Ströme auf die mechanische Interaktion zwischen Boden und Stahloberflächen, ist ein Versuch nötig, der neben den üblichen physikalischen Einflussparametern wie Belastungsrichtung, Normalspannung und Reibwert zusätzlich das Anlegen eines elektrischen Gleichspannungsfeldes ermöglicht. Ziel musste es sein, alle Versuchsparameter isolieren und identifizieren zu können. Unter diesen Voraussetzungen kann der elektroosmotische Effekt zwischen Boden und Stahl genau beschrieben und untersuchen werden. 2. Theoretische Grundlagen 2.1 Adhäsion senkrecht zur Haftfuge (Normalenadhäsion) Für die Bestimmung der klar abgrenzbaren praktischen Adhäsion senkrecht zur Haftfuge a N ergibt sich eine simple globale Berechnungsgrundlage. Gl. (2.1) Die zunächst einfach erscheinende Ermittlung von a N unterliegt allerdings in lokaler Betrachtung einigen Einflussfaktoren. 146 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Untersuchung elektroosmotischer Effekte auf Adhäsion und Gleitreibung eines bindigen Modellbodens Nennenswert tritt Adhäsion ausschließlich bei bindigen Böden auf, wenn sie sich nach zugrundeliegendem Haftmechanismus auch bei nichtbindigen Böden erklären und beobachten lässt. Insbesondere bei ausgeprägt plastischen Tonböden lassen sich sehr große Haftkräfte zwischen Stahloberflächen und dem Boden messen. Hierbei übersteigt die Adhäsion zumeist die Zugfestigkeit des Bodens deutlich, was bei relativer Belastung nicht zum Bruch in der Haftfuge, sondern im Boden selbst zur Folge hat. Dies führt zu Anhaftung von Boden an Stahl, weithin als problematische und verfahrensbeeinträchtigende Verklebungen bekannt. Für bindige Böden kann unter Scher- und Druckbelastung ein starkes Plastifizieren beobachtet werden. Bei genauer Betrachtung wird schnell deutlich, dass es durch starke und auch längere Vorbelastungen zu Verformungen in der Fuge zwischen Boden und Belastungsoberfläche kommt. Das bedeutet eine größere Haftfläche, die bei exakter wissenschaftlicher Betrachtung berücksichtigt werden muss. Das Kapillarmodell liefert das theoretische Grundgerüst der Betrachtungen für die Adhäsion senkrecht zur Haftfuge. Die Kapillarspannung respektive der Kapillardruck ergibt sich nach der Laplace-Gleichung aus dem Druckgradienten zwischen Umgebungsdruck und Flüssigkeitsdruck. Gl. (2.2) Mit: : = Kapillardruck [kPa] : = Umgebungsdruck [kPa] : = Flüssigkeitsdruck [kPa] : = Oberflächenspannung der Kapillarflüssigkeit kPa] : = Radius des Festkörpers bzw. der benetzten Fläche [m] : = Meniskusradius der Kapillarflüssigkeit [m] 2.2 Adhäsion parallel zur Haftfuge (Tangentialadhäsion) Die tangential wirkenden Scherkräfte bei Relativbewegungen innerhalb der Scherfuge spielen in der Geotechnik in vielerlei Anwendung, wie Planung, Bemessung und auch Bauausführung, eine entscheidende Rolle. Insbesondere für die Bemessung sind genau jene Kräfte entscheidend für die Nachweisführung. Aber auch der Widerstand bspw. bei Großdrehbohrgeräten nimmt im Bauwesen Einfluss und hat Auswirkungen auf den Bauablauf. In der klassischen geotechnischen Nachweisführung sind die Reibwerte durch mit der Tiefe zunehmenden Spannungen vor allem in nichtbindigen Böden besonders hoch. Dennoch lassen sich in der praktischen Umsetzung hohe Reibwiderstände auch für bindige Böden beobachten. Meist sind insbesondere bei kleinen Relativbewegungen die Kräfte besonders groß und nehmen bei kohäsivem Boden nach einer Grenzdehnung schnell wieder ab. Dieses Phänomen kann ausschließlich bei bindigen Böden beobachtet werden. Zurückzuführen ist dieser Effekt auf das adhäsive Verhalten des Feinkornanteils in diesen Böden. Im Gegensatz zur Normalenadhäsion sind die die Haftmechanismen nicht rein auf kapillare Unterdruckverhältnisse zurückzuführen, sondern stellen vielmehr ein Wechselspiel aus verschiedenen Wirkprinzipien dar. Vor allem der Verzahnung zwischen Stahloberfläche und Boden kommt hier eine Bedeutung zu. Man hat sich bei dieser Beschreibung die Mohr-Coulombsche Bruchbedingung zu Nutze gemacht, die im engeren Sinne die Scherfestigkeit τ des Bodens beschreibt. Hierbei wird durch den Wandreibungswinkel δ die Proportionalität zur wirkenden Normalspannung σ N hergestellt. Als konstanten, von der Spannung unabhängigen Summanden wird bei der Scherfestigkeit des Bodens die Kohäsion c addiert. Gl. (2.3) In Analogie zur Scherfestigkeit des Bodens wurde ein Modell entwickelt, das nicht nur einen Anteil der Gleitreibung berücksichtigt, sondern auch einen Haftanteil, der häufig als tangentiale Adhäsion a t bezeichnet wird. Insbesondere bei bindigen Böden kann der Scherwiderstand zwischen Boden und Stahl nicht allein auf den zum Reibungskoeffizienten tan( δ ) proportionalen Term zurückgeführt werden. Neben der spannungsabhängigen Gleitreibung wird dabei auch ein tangentialer Adhäsionsanteil berücksichtigt, der als konstant angesehen wird [4]. Gl. (2.4) 2.3 Der elektroosmotische Fluss im Boden Die Voraussetzungen für einen elektroosmotischen Effekt sind in bindigen Böden stets gegeben. Legt man ein elektrisches Gleichspannungsfeld an, entsteht eine umgekehrte galvanische Zelle, wobei der Boden zwischen den beiden Elektroden als in beide Richtungen durchlässige Membran angesehen werden kann. Die Kraft, die für die Bewegung der Ionen und Wassermoleküle verantwortlich ist, bildet das Fundament der Elektrostatik: Sie führt dazu, dass sich gleichnamige Ladungen abstoßen und sich unterschiedliche Ladungen anziehen. Das bedeutet, legt man ein elektrisches Gleichspannungsfeld um eine Bodenprobe, kommt es innerhalb der Kapillare zu einer Elektronenmigration und damit verbunden zu Wasserbewegungen. Zusammengefasst ist dieses Phänomen als Teil der Elektrokinetik zu verstehen und ist hinreichend mathematisch beschreibbar. Durch die Voraussetzung eines Mikrokanals führt der Viskosität der Lösung geschuldet das parallele elektrische Feld zu einem konstanten Fluss der Lösung innerhalb des Bodens. Bei größer werdenden Durchmessern verliert das elektrische Feld seine Wirkung, da die Viskosität einer wässrigen Lösung zu gering ist, als dass das Gleichspannungsfeld in der Lage wäre, einen Wasserfluss in großen Porenräumen zu induzieren. Je nach Ladung der Kapillaroberfläche führt dies entweder zu einem Fluss in Richtung Anode oder in 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 147 Untersuchung elektroosmotischer Effekte auf Adhäsion und Gleitreibung eines bindigen Modellbodens Richtung Kathode. Ist die Oberfläche positiv geladen lagern sich in hoher Konzentration negativ geladene Anionen an den Partikeln an, sind die Kleinstteilchen negativ geladen, wie im Regelfall von Tonmineralien, führt dies zur Anlagerung von positiv geladenen Kationen. Das hat zur Konsequenz, dass sich eine positiv geladene diffuse Doppelschicht in der Nähe der Kapillarwandung bildet. Die diffuse Schicht ist für die Elektroosmose von zentraler Bedeutung, da die Elektronenmigration durch die Leitfähige Lösung einen Sogeffekt auf die geladene und bewegliche Ionenschicht ausübt - vgl. Abb. 1. Durch die Viskosität der wässrigen Lösung führt dies zu einem laminaren Strömungsprofil in der Kapillare, wodurch das eingangs erwähnte Phänomen einer Zubzw. Abnahme des Wassergehalts im Bereich der Kathode und Anode erklärbar wird. Unter Zuhilfenahme der Helmholtz-Smoluchowski-Gleichung für eine idealisierten Kapillare erhält man für den elektroosmotischen Wasserfluss die Strömungsgeschwindigkeit v. Gl. (2.5) Mit: : = Strömungsgeschwindigkeit [m/ s] : = Elektrische Feldstärke [V/ m] : = Dielektrizitätskonstante [-] : = Dielektrizitätskonstante des Vakuums [-] : = Zeta-Potential [V] : = dynamische Viskosität [kg/ m∙s] Gl. (2.6) Zur Berechnung des Durchflusses D in [m 3 / s] wird konventionell das Produkt aus Strömungsgeschwindigkeit und Fläche gebildet. Danach ergibt sich der Volumenstrom des elektroosmotischen Flusses innerhalb einer einzelnen Kapillare zu: Abb. 1: Strömungsprofil durch ein induziertes Gleichspannungsfeld innerhalb sehr kleiner Kapillare; entnommen aus: [5] nach [6] Durch den Wasserfluss, der durch das elektrische Gleichspannungsfeld hervorgerufen wird, können die Einflussparameter auf die Adhäsionsneigung beeinflusst werden. Für die Normalenadhäsion wird der Kapillarradius des Wassermeniskus vergrößert und so die Kapillarspannung nach Gl. 2.2 verringert. Ab einer Zersetzungsspannung, worauf hin eine Elektrolyse stattfinden kann, wird Wasserstoff an der Kathode gebildet. Für diesen Fall wird der kapillare Unterdruck in der Grenzschicht durch die Gasbildung zusätzlich aufgebrochen. Für die Tangentialadhäsion bedeutet ein elektroosmotischer Wasserzutritt die Zustandsveränderung des Bodens. Der Boden wird in der Grenzschicht aufgeweicht und geht in einen suspensionsähnlichen Zustand mit äußerst geringem Scherwiderstand über - die Stahloberfläche wird dadurch gewissermaßen geschmiert. 3. Versuchskonzept 3.1 Konstruktion und Aufbau Als Testgerät wurde ein bewährter Interface-Shear-Tester der Fa. GDS-Instruments verwendet. Dieses Gerät erlaubt durch eine sehr aufwendige Regelungstechnik Verformungen und Belastungen sehr genau aufzuzeichnen. Der entwickelte Versuch basiert auf den Konstruktionsdetails der Fa. GDS und wurde an der OTH.R mit einer neu entwickelten Scherzelle um die Möglichkeit des Aufbringens einer konstanten und dauerhaften elektrischen Gleichspannung erweitert. Die elektrische Entkopplung von dem Trägergerät war für die sensiblen Kraft- und Wegsensoren von Bedeutung, da man durch elektrische Ströme und elektrostatische Aufladungen Gefahr liefe, die Messergebnisse zu beeinflussen. Für den vorliegenden Versuch wurde sich auf die primär mechanischen Parameter tangentiale und Normalenadhäsion sowie Restscherreibung konzentriert. In Zukunft sollten Messungen des Porenwasserdrucks und der Saugspannungen zusätzlich mit aufgezeichnet werden. Die Messung von elektrischen Spannungen sind noch nicht integriert, sondern mussten extern aufgezeichnet werden. 148 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Untersuchung elektroosmotischer Effekte auf Adhäsion und Gleitreibung eines bindigen Modellbodens Abb. 2: Elektroosmotische Bodenzelle mit Messinganode (Gold) Die Wasserdruckverhältnisse nehmen Einfluss auf die Adhäsion, weshalb ein Porenwasserdruckabbau über eine Drainage an der Unterseite der Probe gewährleistet wird. So können bei einer aufgebrachten Konsolidationsspannung die entstehenden Porenwasserüberdrücke einseitig abgebaut werden. Die Messinganode hat den gleichen Durchmesser wie die Kathode als Prüfoberfläche auf der gegenüberliegenden Probenseite. So wird ein homogenes Gleichspannungsfeld installierbar. Der Durchmesser der Anode (= Innendurchmesser Zelle) und Kathode (= Durchmesser Prüfteller) sind gleich groß. Es sollte eine unbegrenzte Drehung der Scherzelle möglich sein und gleichzeitig der Stromfluss konstant übertragen werden können. Hiermit wurde es möglich, neben der statischen Haftreibung auch die Restscherreibung oder auch Gleitreibung zwischen Prüfoberfläche und bindigem Boden aufzuzeichnen. Abb. 3: Prüfstempel mit Edelstahlkathode, elektrisch von Stempel und Trägergerät isoliert Der Anschluss der Kathode erfolgte über einen Kupferkontakt, welcher mit der von der Trägerkonstruktion elektrisch entkoppelten Scherplatte verbunden ist. Eine Klemme überträgt den elektrischen Strom des Netzteils. Der Anschluss an die Kraftmessdose ist radial unbeweglich. Die Relativbewegung wird rein über den fixierten Boden innerhalb der sich drehenden Zelle realisiert. Durch einen Drehmomentsensor lässt sich der tangentiale Scherwiderstand aufzeichnen und die Kontakt-Widerstands-Arbeitslinie grafisch abbilden. Der Versuchsauf bau zur Messung der tangentialen Scherwiderstände dient durch eine veränderte Belastungsrichtung gleichermaßen der Aufzeichnung der Zugwiderstände. Abb. 4: Versuchsauf bau Die Kraftmessdose des Gerätes kann sowohl Druckspannungen als auch Zugspannungen messen. Zur Untersuchung der Normalenadhäsion a N zwischen Prüfoberfläche und bindigem Boden wird die Zugkraft auf die gesamte Fläche bezogen. Beim Auf bringen einer Zugkraft lässt sich die Adhäsion senkrecht zur Prüfoberfläche ermitteln. Stellt sich ein Riss im Boden selbst ein und der Boden bleibt an der Oberfläche haften, kann überdies die innere Zugfestigkeit eines bindigen Bodens ermittelt und die Haftneigung qualifiziert werden. Die Oberfläche des Edelstahltellers wurde auf dessen Rautiefe nach der Politur und stichprobenartig nach der Versuchsdurchführung überprüft. Bei den Messungen ergaben sich mittlere Rautiefen von 1,6 - 2,8 μm. Diese Tiefen liegen im Bereich der Maximalabmessungen der einzelnen Tonminerale. Die Silikatschichten des getesteten Montmorillonit fallen in den Größenbereich von < 2μm, wodurch es zu Einflüssen aus der Kohäsion des Bodens auf den tangentialen Scherwiderstand kommt. 3.2 Bodenauswahl und Probeneinbau Ursprünglich sollte für die Adhäsions- und Scherreibungsuntersuchungen ein Boden verwendet werden, der als Rohton für die Produktion von Na-aktiviertem Bentonit verwendet wird. Es zeigte sich allerdings, dass durch die Korngrößenverteilung und Überkorn des natürlichen Bodens die Messergebnisse nicht reproduzierbar waren. Durch kleine Veränderungen in der 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 149 Untersuchung elektroosmotischer Effekte auf Adhäsion und Gleitreibung eines bindigen Modellbodens Kornzusammensetzung in der Grenzschicht zwischen Stahloberfläche und Boden wurden die Messergebnisse stark beeinflusst, dass keine Vergleiche gezogen werden konnten. Daher wurde ein Modellboden gewählt, der durch die einheitlichen Qualitätsstandards einer industriellen Produktion stets die gleiche Zusammensetzung und nahezu die gleichen Eigenschaften liefert. Als Grundlage für die Bodenuntersuchungen zum Adhäsionsverhalten bindiger Böden wurde deswegen ein Na + aktiviertes Bentonit gewählt, das aufgrund seiner sehr großen spezifischen Oberfläche und seinem hohem Quellpotential eine starke Adhäsion in senkrechter und tangentialer Richtung ausbildet [1], [2], [7], [8]. Der Modellboden stellt einen oberen Grenzwert der in der Natur vorkommenden Adhäsionserscheinungen dar. Jeder bindige Boden besitzt Feinkornanteile, die bekanntermaßen zu einer starken Adhäsion neigen. Der Modellboden entwickelt bei einem entsprechenden Wassergehalt sehr feine Bodenkapillare aus. Darüber hinaus besitzt Na + -Bentonit ein hohes Zeta-Potential. Feine Kapillarsysteme und ein hohes Zeta-Potential sind die Voraussetzung für die Anwendung eines elektrischen Spannungsfeldes innerhalb eines Bodens und für ausgeprägte elektroosmotische Effekte. Der Boden wurde bei einem Wassergehalt von 100% direkt in der Zelle konsolidiert. Trotz des enorm hohen Wassergehaltes wies der Modellboden dabei eine steife Konsistenz auf. Durch die stark ausgeprägte Wasserbindekapazität des natriumaktivierten Bentonits waren geringe Wasserzugaben nicht zielführend, da sich dabei das Tonpulver nicht homogenisieren ließ und die Porigkeit der Bodenprobe zu hoch war. Eine Sättigung von unten über Sensoren ist durch die Schnellkupplung an der Versuchszelle möglich. In diesen Untersuchungen wurde auf eine Sättigungsphase verzichtet, könnte aber in Zukunft Gegenstand ergänzender Untersuchungen werden. Nach dem Herstellen einer glatten Probenfläche ohne Großporen und Lunker konnte der Prüfstempel mit der Prüfoberfläche aufgesetzt werden und mit der Vorbelastungsphase begonnen werden. 3.3 Versuchsdurchführung Bei den Versuchen musste für ein Ausbilden der Adhäsionskräfte und für einen formschlüssigen Kontakt mit der Prüfoberfläche die Probe vorbelastet werden. Die Kontaktzeit betrug dabei 24 Stunden. Nach dieser Zeit konnten die wesentlichen Setzungen und Quellprozesse abklingen. In der Anfangsphase der Vorbelastung könnten stärkere Setzungen oder auch Quellhebungen die Messergebnisse um Adhäsion und Gleitreibung verändern. Es wurde bei geringen Axialspannungen in der Vorbelastung ein Quelldruck beobachtet, der höher als die Auflast lag. Über die detaillierte Aufzeichnung der Vorbelastungsphase konnten diese Phänomene graphisch sichtbar gemacht und so die eigentlichen Versuche erst nach den signifikanten Verformungen gestartet werden. Während der Vorbelastung bei einer konstanten Normalspannung σ N wurde die Bodenzelle mit der aufgesetzten Prüfoberfläche vor Austrocknung geschützt. Um zusätzliche Quellhebungen zu vermeiden, wurde dabei auf eine aktive Befeuchtung verzichtet und lediglich der Luftzutritt über einen PVC-Kragen reduziert. Für jede Parametervariation dienten drei identische Versuche als Datengrundlage. Zwei der Versuche wurden in einem externen edv-gesteuerten Oedometerstand vorbelastet. Beim Umbau in den Inter-Face-Shear-Tester wurde die Probe wiederbelastet. Sobald die elastischen Setzungen wieder abgeklungen waren, konnte mit den Scherversuchen begonnen werden. Beim Umsetzen der Bodenzelle mit aufgesetztem Prüfstempel durfte die Kotaktoberfläche nicht von der Probe gelöst werden. Die sich über die Vorbelastung eingestellten Adhäsionskräfte durch Formschluss und Kapillaradhäsion würden so aufgebrochen werden und die Ergebnisse untereinander nicht vergleichbar. Bei der im IFST vorbelasteten Probe konnte direkt nach der Vorbelastung von 24h mit dem Versuchsprogramm begonnen werden. Abb. 5: Fertiggestellte Prüfoberfläche der Bodenprobe und Überprüfung der Einwaage Für die Verifikation des entwickelten Versuchs sollten zunächst Nullversuche durchgeführt werden, bei der die Normalspannung σ N sowohl in der Vorbelastung als auch der eigentlichen Versuche variiert wurde. Hieraus konnte eine Normalspannung festgelegt werden, bei der die Streuung der Ergebnisse am geringsten ausfiel. Durch sehr kleine Normalspannungen kommt es zu keiner ausreichenden Plastifizierung des Bodens, sodass nicht von einer vollständigen Kontaktfläche zwischen Stahl und Boden ausgegangen werden kann. Nachdem überdies in der Literatur die unterschiedliche Rotationsgeschwindigkeit eines Kreisscherversuchs häufig kritisch gesehen wird, dienten die unterschiedlichen Geschwindigkeiten als Einordnung dafür, welchen Einfluss die Belastungsgeschwindigkeit auf die Zug- und Scherwiderstände haben [1], [9]. Aus den Nullversuchen wurde ein eindeutiges Regime für alle weiteren Scher- und Zugversuche unter Einfluss eines elektrischen Gleichspannungsfeldes abgeleitet. 150 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Untersuchung elektroosmotischer Effekte auf Adhäsion und Gleitreibung eines bindigen Modellbodens Bei den elektroosmotischen Versuchen lag die Spannung 5 Minuten vor der Scherbelastung an. Auch während der Versuchsdurchführung wurde das homogene Gleichspannungsfeld aufrechterhalten. Dabei wurde die Stromstärke I in Ampere dokumentiert. Als Bezugsgröße zur Scherspannung diente nicht die Relativverformung in der Kraftresultierenden des Kreisrings, sondern der Drehwinkel α , der unabhängig vom Radius r ist. Abb. 6: Angenommene Kraftverteilung über den Kreisquerschnitt mit M R als Scherwiderstand in Nm Gl. (2.1) Umgeformt nach τ lässt sich folgender Zusammenhang herstellen: Gl. (2.2) Mit: Gl. (2.3) An die Scherversuche anschließend wurden mit kurzer Verzögerung von 5 Minuten die Zugversuche durchgeführt. Nach Durchführung der Zugversuche wurden etwaige Anhaftungen an der Prüfoberfläche dokumentiert und neben den Messwerten des Inter-Face-Shear-Tester zusätzlich gewogen und quantifiziert. Darüber hinaus wurde die Veränderung des Wassergehaltes an der Probenunterseite (Anode) und Probenoberseite (Kathode) bestimmt und ausgewertet. 4. Versuchsergebnisse 4.1 Scher- und Zugversuchsergebnisse für U = 0V Für die eindeutige Zuordnung der Ergebnisse und Aussagen wurde eine Begriffsdefinition vorgenommen. Der maximale Scherwiderstand, der gemessen werden konnte, wird hier als maximale Haftreibung τ A bezeichnet. Die charakteristische Adhäsionsspitze, die nach einer Grenzverformung abgeklungen ist, wird als Adhäsionspeak τ A-R benannt. Der Restscherwert soll als Gleitreibung τ R bezeichnet werden. Abb. 7: Darstellung der Begriffsdefinitionen für die einzelnen Scheranteile anhand eines Einzelversuchs bei σ N = 100kPa Innerhalb der Nullversuche für die späteren elektroosmotischen Grundlagenversuche konnte für den vorliegenden Modellboden bei einem Wassergehalt von 100% die Adhäsionsgerade herausgearbeitet werden - vgl. Abb. 7 . Durch eine Normalspannungsvariation ergab sich ein klarer linearen Zusammenhang des Scherwiderstands τ A von der Normalspannung σ N . Dabei wurde auf eine Nullstellenextrapolation nach Schubert [10] , Hollinderbäumer [11] und Thewes [1] verzichtet. Abb. 8: Zusammenhang von durchschnittlicher maximaler Haftreibung und Normalspannung beschrieben durch die Ausgleichsgerade der Versuchswerte zur tangentialen Adhäsion τ A = a T + σ N ∙tan(δ) 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 151 Untersuchung elektroosmotischer Effekte auf Adhäsion und Gleitreibung eines bindigen Modellbodens Die Streuung der Einzelversuche für ein Normalspannungsniveau lag dabei in einem Bereich von ± 5%. Insbesondere für die hohen Normalspannungen lagen die gemessenen Scherwiderstände sehr nah zusammen. Die mittlere Standardabweichung lag bei 1,08 kPa und damit bei 4,7 - 9,3%. Die geringe Streuung der Versuchswerte diente als Verifikation des konstruierten Versuchs. Abb. 9: Anteil des Adhäsionspeaks τ A-R [•] am Gesamtscherwiderstand mit zunehmender Tendenz bei steigender Normalspannung Interessanterweise unterschied sich die Ausprägung des Adhäsionspeak von den einzelnen Versuchen. Bei niedrigen Normalspannungsniveaus fiel der Peak τ A-R geringer aus als bei den hohen Normalspannungsniveaus. Dies unterstreicht die Annahme des Plastifizierens von Tonmineralen in die Vertiefungen der polierten Prüfoberfläche. Durch hohe Normalspannungsniveaus wird ein ausgeprägterer Formschluss zwischen Boden und Prüfoberfläche provoziert. Die Gleit- oder Restscherreibung τ R ist weniger von σ N abhängig als der Adhäsionspeak τ A-R . Die Steigung der linearen Ausgleichgerade für τ R verläuft deutlich flacher als diejenige des Adhäsionspeaks τ A-R . Die Geschwindigkeitsvariation innerhalb dieser Versuchsserie ergab keinen klaren Zusammenhang der Scherwiderstände mit der Belastungsgeschwindigkeit. Für die Spannungsverteilung über die Kreisfläche kann davon ausgegangen werden, dass die linear zunehmende Bahngeschwindigkeit keinen nennenswerten Einfluss auf den Widerstand nimmt. Abb. 10: Maximale Haftspannung unter einer Geschwindigkeitsvariation bei σ N = 100kPa Für die Ermittlung der grundsätzlichen Normalenadhäsion a N bzw. der Zugfestigkeit des Bodens wurden an die Scherversuche eine Zugbelastungsphase ohne gleichzeitige Rotation nachgeschalten. Die Zugversuche dienen gleichzeitig als Einschätzung der Verklebungsneigung des Bodens. Nach den Zugversuchen sind etwaige Anhaftungen dokumentiert und gewogen worden. Die Masse des Bodens wurde nachträglich von den gemessenen Zugkräften abgezogen, um die tatsächliche Zugfestigkeit des bindigen Modellbodens zu ermitteln. Im Gegensatz zum Konuszugversuch, dessen Ergebnisse als Maß für das Verklebungspotential dienen und Scher- und Zugkräften gleichzeitig aufgebracht werden, sollte bei dieser Untersuchung die Scher- und Zugphase getrennt voneinander untersucht werden [3] . Abb. 11: Mittlerer Zugwiderstand des Bodens von 12,251 kPa Die Scherfuge verlief bei allen Versuchen durch den Boden selbst, weshalb die reine Zugfestigkeit des Bodens ermittelt wurde. Damit lag die Normalenadhäsion a N zwischen Stahloberfläche und Boden stets über der Zugfestigkeit des Modellbodens. Auch wenn die Versuche bei lediglich einem Spannungsniveau keinen Trend ergeben 152 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Untersuchung elektroosmotischer Effekte auf Adhäsion und Gleitreibung eines bindigen Modellbodens haben, ist ersichtlich, dass ohne Vorbelastung keine Adhäsion und auch keine Anhaftungen entstehen können. Insofern ist von einer Grenzspannung auszugehen, ab der es zu nennenswerter Adhäsion kommt. Diese Grenzspannung scheint unter dem Minimalwert der hier untersuchten Normalspannung von 25 kPa zu liegen. Die Analyse der Menge des anhaftenden Bodens zeigt, dass die gewogenen Massen unter steigender Normalspannung zunehmen. Für das Verklebungspotential eines bindigen Bodens an festen Werkstoffen bestätigt sich der von Schlick [12] und Thewes [1] angenommene Trend einer Zunahme der Bodenverklebungen mit wachsender Normalspannung σ N . Abb. 12: Bodenanhaftungen in Gramm nach der Zugphase Mit bisherigen Versuchen ist es selten möglich, die tatsächliche maximal auf bringbare Zugspannung zu ermitteln. Durch den sich einstellenden Unterdruck in der Grenzschicht Boden-Stahloberfläche, der höher zu sein scheint als die Zugfestigkeit des Bodens, ließen sich die genauen Werte für die Festigkeit in senkrechter Belastungsrichtung ermitteln. Durch die geringe Streuung legt dies die Annahme nahe, dass ab einer Axialspannung von minimal 25 kPa bereits der maximale Zugwiderstand des Modellbodens mobilisiert wird. Analog zu den Scherversuchen wurden alle Parameter konstant gehalten. Die Auswertung erfolgte nach Gl. 2.1. 4.2 Scher- und Zugversuchsergebnisse für U ≠ 0 V Die eigentliche Versuchsentwicklung innerhalb dieser Arbeit dient der Untersuchung des elektroosmotischen Effektes auf das Adhäsions- und Reibungsverhalten zwischen bindigem Boden und Stahl. Mithilfe des Versuchs kann im Gegensatz zu bisherigen Tests das Adhäsions- und Reibungsverhalten mit einer hohen Auflösung aufgezeichnet und die Parameter Tangentialadhäsion, Normalenadhäsion und Gleitreibung abgebildet und ermittelt werden. Für die Quantifizierung der mechanischen Effekte wurde die elektrische Gleichspannung variiert und versucht, eine Abhängigkeit des Scherwiderstands von der Stromspannung herzustellen. Die Stromspannung liefert dabei allerdings eine unzureichende Abhängigkeit, da nach Gl. 2.6 der elektroosmotische Fluss von der elektrischen Feldstärke E abhängt. Vor diesem Hintergrund wurde bei allen Versuchen eine über die Stahloberfläche annähernd konstante Feldstärke sichergestellt. Die Feldstärke ergibt sich aus der Division der elektrischen Spannung durch den Abstand der Elektroden in Metern. Bisher wurden die mechanischen Veränderungen durch ein elektrisches Gleichspannungsfeld nur über Indexversuche wie der schiefen Ebene untersucht - bei den Untersuchungen war keine Arbeitslinie abzuleiten [13] . Innerhalb der vorliegenden Arbeit wurde dahingegen die elektrische Gleichspannung systematisch variiert und mit jeweils drei Versuchen die Auswirkung auf den Scherwiderstand untersucht. Die Scherversuche ergaben eine eindeutige Arbeitslinie, mithilfe derer der Scherweg und der Scherwiderstand graphisch auswertbar sind - vgl. Abb. 13 . Abb. 13: Einzelversuch bei U = 2,5V mit Darstellung des Scherwiderstands und Scherwegs Es konnte ein deutlich sichtbarer Trend herausgearbeitet werden, der die exponentielle Abnahme des statischen Scherwiderstandes mit einer steigenden Stromspannung darstellt - siehe Abb. 14 . Bereits ab einer Spannung von 2,5 V respektive einer elektrischen Feldstärke von 83,3 V/ m nimmt der Scherwiderstand um knapp 42% ab. Bei einer Spannung von 10 V sind lediglich noch 8% der ursprünglichen maximalen Haftspannung messbar. Abb. 14: Abnahme der maximalen Haftreibung mit Zunahme der elektrischen Gleichspannung bei σ N = 100kPa, normiert 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 153 Untersuchung elektroosmotischer Effekte auf Adhäsion und Gleitreibung eines bindigen Modellbodens Jeder sichtbare Datenpunkt besteht wie in den vorherigen Versuchen aus drei Einzelversuchen und erhöht die statistische Belastbarkeit - siehe Abb. 15 . Die Streuung der Versuchswerte nimmt dabei mit der Höhe der Spannung ab, was damit erklärt werden kann, dass die Konsistenz des Bodens in der Grenzschicht ab 7,5 V einen Minimalwert erreicht und in einen suspensionsähnlichen Zustand übergeht. Der kohäsionsinduzierte Widerstand wird damit nicht mehr durch die Verzahnung zwischen Boden und Stahloberfläche generiert, sondern vielmehr durch die Viskosität der Bodensuspension. Der ausgeprägte Peak im Scherwiderstand zwischen Stahloberfläche und Boden ist ab 5 V nicht mehr zu erkennen. Die statische Haftreibung wird durch das elektrische Gleichspannungsfeld auf das Restscherniveau reduziert, worauf hin generell hinterfragt werden sollte, ob hierbei noch von adhäsivem Bodenverhalten gesprochen werden kann. Abb. 15: Boxplot der Einzelversuche bei unterschiedlichen elektrischen Gleichspannungsniveaus Die Ergebnisse aus den Scherversuchen bestätigten die Hypothese eines verminderten Scherwiderstands, Adhäsion und auch Gleitreibung zwischen Boden und Stahl. Sie lassen überdies erste Prognosen zu, wie stark der Scherwiderstand bei gleichbleibenden Bodenverhältnissen unter einer bestimmten Feldstärke reduziert werden kann. Ein elektrisches Feld und die sich einstellenden elektroosmotischen Prozesse können die Scherverhältnisse in großem Maße beeinflussen. Für alle geotechnischen Maßnahmen, die eine Interaktion zwischen Stahl und Boden bedeuten, sollte dies von Interesse sein, da sowohl der Widerstand im Bauzustand wie auch im Endzustand eines Tief bauwerks durch geringen Aufwand verändert werden kann. Für den Vergleich zwischen der Adhäsion senkrecht zur Prüfoberfläche ohne elektrische Gleichspannung und dem Haftwiderstand mit elektrischem Feld waren ähnlich dem vorherigen Programm ergänzende Versuche nötig. Es wurden bei diesen Versuchen ausschließlich der elektrische Spannungsparameter variiert. Die Variation des Einstellwertes wurde durch die vorgeschalteten Rotationsscherversuche vorgegeben. D. h. es wurde das Adhäsionsverhalten für 2,5; 5; 7,5 und 10 V untersucht. Die Normalenadhäsion nahm bei jeweils drei Versuchen für das jeweilige Spannungsniveau mit Zunahme der elektrischen Spannung deutlich ab. Bereits ab einer Spannung von 2,5 V oder 83,33 V/ m fiel die maximale Zugspannung um durchschnittlich 85% ab. Durch die Wasserdiffusion in die Grenzschicht erhöht sich die Dicke des Wasserfilm zwischen Stahlplatte und Boden. Damit wächst der Meniskusradius der Kapillarschicht an und der Unterdruck fällt ab - vgl. Gl. 2.2. Abb. 16: Abnahme des Zugwiderstandes bzw. der Normalenadhäsion mit steigender Normalspannung bei σ N = 100kPa, normiert Im Unterschied zu den Versuchen ohne elektrisches Gleichspannungsfeld löste sich die Prüfplatte ab 2,5 V nahezu rückstandsfrei vom Boden ab. Der kegelförmige Riss innerhalb des Bodens bei den Tests ohne elektroosmotische Effekte konnte in keinem Versuch beobachtet werden - vgl. Abb. 17 . Das bedeutet: Die Zugfestigkeit des Bodens wurde niemals überschritten. Die gemessene Adhäsion von durchschnittlich unter 1 kPa war somit eine tatsächliche Haftkraft zwischen Stahl und Boden. Die Normalenadhäsion muss maßgeblich für das Phänomen von Tonverklebungen an Stahl verantwortlich sein, die durch geringe elektrische Spannungen verhindert werden können. Bei keinem der Versuche mit einem elektrischen Gleichspannungsfeld konnten nennenswerte Tonanhaftungen erkannt und gemessen werden. Abb. 17: Messung der Tonanhaftungen nach der Versuchsdurchführung mit 2,5 V (links) und 0 V (rechts) Nach Gl. 2.6 kommt es durch den elektroosmotischen Fluss zu veränderten Wasserbzw. Feuchteverhältnissen an der Anode und Kathode. Der Boden an der Anode trocknet dabei aus, wohingegen der Wassergehalt an der 154 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Untersuchung elektroosmotischer Effekte auf Adhäsion und Gleitreibung eines bindigen Modellbodens Kathode ansteigt. Nach den Zugversuchen wurde deshalb beim Bodenausbau eine Bodenprobe im Bereich der Kathode und Anode schabend genommen. Die Proben wurden für 24 h bei 105°/ C getrocknet und deren Wassergehalt bestimmt. Nach den Versuchen konnte eine deutliche Zunahme des Wassergehaltes mit steigender elektrischer Feldstärke festgestellt werden. Der Wassergehalt an der Kathode stieg dabei von 100% (Einbauwert) bis auf knapp 170% bei einer elektrischen Feldstärke von 333,33 V/ m an. Dieser beeindruckende zeitabhängige Effekt läuft innerhalb von 20 Minuten ab und sorgt für eine extreme Veränderung der Wasserverhältnisse in der Phasengrenze. Es verwundert unter Betrachtung der adhäsionsbestimmenden Konsistenz daher nicht, dass sowohl Scherwiderstand als auch Zugwiderstand wie auch Anhaftungen durch die elektroosmotischen Prozesse stark beeinflusst werden. Neben den veränderten Wasserverhältnissen in der Phasengrenze sollte auch die Wasserstoffgasbildung zu einer nennenswerten Reduktion der Haftspannungen führen. Der entstehende Druck durch die Volumenzunahme im elektrolytischen Prozess an der Prüfoberfläche reduziert den kapillaren Unterdruck bzw. hebt ihn der Vermutung nach auf. Die Spaltung von Wasser in Wasserstoff (Kathode) und Sauerstoff (Anode) beginnt ab einer elektrischen Grenzspannung - der Zersetzungsspannung. Die Grenzspannung setzt unter normalen Bedingungen im chemischen Labor ab ca. 1,2 V ein. Für die Verhältnisse in dem vorliegenden Modellboden sollte geklärt werden, ab wann die Elektrolyse tatsächlich einsetzt und wie sich die elektrische Stromstärke in Abhängigkeit der elektrischen Spannung und Zeit verhält. Es lohnt künftig eine Untersuchung, wie sich die Reibungsverhältnisse zwischen Boden und Stahl unterhalb der Grenzspannung verändern. Damit können die beiden Phänomene, die zur Reduktion des Widerstandes führen, isoliert werden. Unterhalb der Zersetzungsspannung kommt es zu keiner Gasbildung und es sollte nur die Wasserdiffusion in die Grenzschicht zur Reduktion der Scher- und Zugspannungen führen. Für die Risikobewertung der Anwendung eines elektrischen Gleichspannungsfeldes, wurde zusätzlich die Wasserstoffentwicklung über die Versuchszeit analysiert. Nach dem Faradayschen Gesetz ist der Stoffumsatz einer elektrochemischen Reaktion proportional zu Zeit und Stromstärke. Es kann somit ein linearer Zusammenhang zwischen der Stromstärke nach einer bestimmten Zeit und der entstehenden Wasserstoffmenge hergestellt werden. Gl. (2.9) Nach t abgeleitet ergibt sich für den Volumenstrom bzw. Molstrom: Gl. (2.10) Molstrom: Gl. (2.11) Volumenstrom: Gl. (2.12) Für das Volumen: Gl. (2.13) Nach diesem Zusammenhang entsteht im Maximum bei 10 V elektr. Spannung und einer durchschnittlichen Stromstärke von 0,4133 A über 20 min eine Wasserstoffmenge von 0,085 l. Für die Risikobeurteilung ist die potenzielle Brennenergie des entstehenden Wasserstoffgases von Interesse. Gl. (2.14) Mit: : = Ladungsdichte [A∙s] : = Stromstärke [A] : = Zeit [s] : = Ladungszahl (zwei efür H2) [-] : = Faraday-Konstante 96485,3 [C/ mol] : = Normliter bei 0°C oder 273 K : = Brennenthalpie pro Volumen [kJ/ NL] Nach Gl. (2.14) ergibt dies für 0,085l Wasserstoff eine maximale Brennenergie von 1,06 kJ. Zum Vergleich: Ein Liter Benzin hat einen Brennwert von 32,1 MJ - Faktor 3 x 10 4 größer. Bei einer Konzentration von 18% pro Raumvolumen besteht eine Explosionsgefahr. Außerhalb geschlossener Räume oder begrenzter Volumina kann der entstehende Wasserstoff damit nicht zur Explosion gebracht werden [14] . 5. Zusammenfassung Nach einzelnen Versuchsparametern isoliert wurden erste belastbare Erkenntnisse gewonnen. Insbesondere die Größe der elektrischen Feldstärke für eine nennenswerte Reduktion des Scher- und Zugwiderstand zwischen Stahloberfläche und einem bindigen Modellboden wurde bei diesen Untersuchungen herausgearbeitet. Bereits bei elektrischen Gleichspannungen von 2,5V reduzierte sich die maximale Scherspannung um über 40%. Die Zugspannung verringerte sich bei der gleichen elektrischen Feldstärke um über 80%. Dabei wurde nicht nur beobachtet, dass die Haftspannung bei einer ziehenden Relativbewegung deutlich abfiel. Es wurde darüber hinaus festgestellt, dass die Tonanhaftungen, die ohne ein elektrisches Feld an der Prüfoberfläche haften blieben, vollständig verhindert wurden. Die aus den Versuchen 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 155 Untersuchung elektroosmotischer Effekte auf Adhäsion und Gleitreibung eines bindigen Modellbodens entstandenen Korrelationen konnten erste Abschätzung und Prognosen liefern, wie groß der Nutzen von elektrischem Strom zur Beeinflussung des mechanischen Widerstandes zwischen Stahl und Boden ist. Die Tests stellen vielversprechende Einsatzmöglichkeiten in Aussicht, durch die sich die Maschinentechnik optimieren und die Bauausführung effizienter werden lässt. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund steigender Materialkosten und Zinsen sollte sich die Bautechnik nicht nur durch digitale Prozesse weiterentwickeln, sondern auch vermeintliche praktische Gesetzmäßigkeiten durch neue Entwicklungen überwinden. Literatur [1] M. Thewes, „Adhäsion von Tonböden beim Tunnelvortrieb mit Flüssigkeitsschilden“, Shaker, Aachen, 1999. [2] U. Burbaum, „Adhäsion bindiger Böden an Werkstoffoberflächen von Tunnelvortriebsmschinen“, Darmstadt, 2009. [3] M. 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