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Kolloquium Bauen in Boden und Fels
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expert verlag Tübingen
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2024
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Das Konzept einer direkten, passiven Freiflächentemperierung in Verbindung mit einer geothermischen Bergwassernutzung

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2024
Till Kugler
Tim Hochstein
Christian Moormann
Ein regenerativer Ansatz zur Temperierung von Tunnelbetriebsräumen und zur Eis- und Schneefreihaltung von Verkehrsflächen an Tunnelportalen ist die Nutzung der auf das Tunnelbauwerk wirkenden Wärmeströme. Hydrogeothermische Verfahren nutzen die Wärmeenergie des aus der Bergwasserdrainage austretenden Wassers, bevor dieses nach der Energieextraktion in eine Vorflut übergeben wird. Am Grenztunnel Füssen wurde erstmals das innovative Konzept der direkten, passiven Freiflächentemperierung zur Eis- und Schneefreihaltung von Fahrbahnen in einem messtechnisch voll ausgerüsteten Technikum umgesetzt. Mit einer umfangreichen Analyse der Messdaten und numerischen Simulationen wird die Übertragung des Konzeptes auf andere Standorte ermöglicht.
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14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 195 Das Konzept einer direkten, passiven Freiflächentemperierung in Verbindung mit einer geothermischen Bergwassernutzung Till Kugler, M. Sc. Universität Stuttgart, Institut für Geotechnik Tim Hochstein, M. Sc. Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Moormann Universität Stuttgart, Institut für Geotechnik Zusammenfassung Ein regenerativer Ansatz zur Temperierung von Tunnelbetriebsräumen und zur Eis- und Schneefreihaltung von Verkehrsflächen an Tunnelportalen ist die Nutzung der auf das Tunnelbauwerk wirkenden Wärmeströme. Hydrogeothermische Verfahren nutzen die Wärmeenergie des aus der Bergwasserdrainage austretenden Wassers, bevor dieses nach der Energieextraktion in eine Vorflut übergeben wird. Am Grenztunnel Füssen wurde erstmals das innovative Konzept der direkten, passiven Freiflächentemperierung zur Eis- und Schneefreihaltung von Fahrbahnen in einem messtechnisch voll ausgerüsteten Technikum umgesetzt. Mit einer umfangreichen Analyse der Messdaten und numerischen Simulationen wird die Übertragung des Konzeptes auf andere Standorte ermöglicht. 1. Einführung Oberflächentemperierungen, i.e. eine thermische Aktivierung von Asphalt- oder Betonoberflächen ermöglichen eine Schnee- und Eisfreihaltung von Verkehrsflächen unter Verzicht auf eine Schneeräumung bzw. den Einsatz von Taumitteln. Die Verwendung von Wärmeübertragern in Verkehrswegen und Infrastrukturflächen unter Einsatz regenerativer Energien wurde zwischenzeitlich in unterschiedlicher Ausprägung weltweit erprobt [1]. Geothermisch betriebene Freiflächenheizungen werden auch in Deutschland bereits in Kleinanwendungen [2], aber auch im Zusammenhang mit Infrastrukturprojekten [3] erprobt. Die Beaufschlagung der Wärmeübertrager in Verkehrsflächen im Nahbereich von Tunnelportalen mit Bergwasser, d. h. mit aus der Tunneldrainage anfallenden Drainagewässern stellt eine Fortentwicklung dieser Technologie dar. Das von Moormann & Buhmann 2017 in [4] entwickelte Konzept einer direkten, passiven Freiflächentemperierung stellt eine besonders effektive Möglichkeit der Nutzung von Tunneldrainagewässer für die Temperierung von Verkehrsflächen dar, da in diesem Fall das Drainagebzw. Bergwasser unmittelbar die in der Freifläche installierten Leitungen durchströmt. Auf einen wärmepumpeninduzierten Temperaturhub wird gänzlich verzichtet, sodass sowohl ein weiteres Wärmeträgermedium als auch ein Wärmetauscher entbehrlich werden; die hierdurch vermiedenen Wärmeübertragungsverluste steigern die Effizienz solcher Anlagen. Ferner kann in der sommerlichen Nutzung die Temperatur des Fahrbahnaufbaus abgesenkt und einer Spurrillenbildung vorgebeugt werden. Am Nordportal des Grenztunnels Füssen wurde dieses Verfahren erstmals im Rahmen eines Technikums, i.e. einer realmaßstäblichen Anwendung umgesetzt und dabei messtechnisch intensiv überwacht. Im Rahmen eines vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV), vertreten durch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), beauftragten Forschungsprojektes „Erprobung einer geothermischen Bergwassernutzung am Grenztunnel Füssen“ (FE 15.0656/ 2018/ ERB), erfolgte für eine zweijährige Betriebsphase dieses Technikums seitens des Institutes für Geotechnik der Universität Stuttgart eine intensive wissenschaftliche Begleitung und Auswertung, die Durchführung von begleitenden numerischen Simulationen und letztlich im Ergebnis die Erarbeitung einer Implementierungshilfe [5] für Betreiber und Anwender zum Einsatz von direkten, passiven Freiflächenheizungen zur Schnee- und Eisfreihaltung von Fahrbahnoberflächen. Als Grundlage hierfür erfolgte sowohl eine detaillierte messtechnische Evaluierung des Betriebs der Anlage im Winterwie Sommerbetrieb, im saisonalen Betrieb und für spezifische Testszenarien wie auch eine numerische Simulation mit einem eigens entwickelten thermohydraulisch gekoppelten numerischen Simulationsmodell. Dieses Simulationsmodell wurde in einem ersten Schritt durch die Back-analysis des messtechnisch beobachteten Verhaltens des Technikums validiert und in einem zweiten Schritt zur Durchführung von Parameterstudien genutzt. Im Ergebnis ermöglicht dieses Vorgehen eine Übertragung des Konzeptes auf von Füssen abweichende Randbedingungen und damit auf andere Standorte. Die aus dem Betrieb in Füssen gewonnenen Erkenntnisse wurden in eine selbstständig operierende Anlagensteuerung eingepflegt, die lokal gemessene Wetterdaten und das Frühwarnsystem (SWIS) des Deutschen Wetterdienstes (DWD) berücksichtigt, um die Eis- und Schneefreihaltung der Flächen zu gewährleisten. 196 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Das Konzept einer direkten, passiven Freiflächentemperierung in Verbindung mit einer geothermischen Bergwassernutzung 2. Tunnel(geo)thermie Tunnelbauwerke besitzen große erd- und tunnelluftberührte Oberflächen. Aus dem in Deutschland durchschnittlich wirkenden Tiefenstrom, der einen Gradienten von 3-K je 100-m Tiefe [6] hat, und der thermischen Energie, die die Tunnelluft zusätzlich im konvektiven Wärmeübergang an die Tunnelschale übergibt [7], ergibt sich das thermische Potential von Tunnelbauwerken. Die Nutzung dieser thermischen Energie erfolgt entweder mit dem hydrogeothermischen oder dem absorbertechnologischen Verfahren. Bei Letzteren wird der Primärkreislauf durch in der Tunnelschale installierte Absorberleitungen gebildet und an einen Wärmetauscher bzw. Wärmepumpe übergeben. Der Sekundärkreislauf bildet dann erst die tatsächliche Freiflächenheizung. Hydrothermische Verfahren nutzen hingegen die thermische Energie des aus der Tunneldrainage austretenden Bergwassers, welches nach der Energieextraktion in eine Vorflut geleitet wird. Das Wasser wird also nicht wiederverwendet, weshalb das hydrothermische Verfahren ein offenes System darstellt. In Abb.-1 ist eine Darstellung der beim Hydrogeothermischen Verfahren (offenes System) wirkenden Wärmeströme gegeben. Die extrahierte thermische Energie ist ein Nebenprodukt der aus tunnelstatischer Sicht erforderlichen Drainage zum Abbau des auf die Tunnelschale wirkenden Wasserdrucks. Das Verfahren kann nachträglich bei dränierten Bestandstunneln installiert werden. In Abhängigkeit der Überdeckung eines Tunnels besitzt das Bergwasser eine ganzjährig hohe Temperatur, die für alpine Basistunnel in einer Größenordnung von etwa 24 °C [8], teilweise aber auch noch höher als z. B. beim Gotthard-Basistunnel mit 27 °C [9] liegen kann. Da Basistunnel üblicherweise mehrere unterschiedliche Gesteinsformationen mit variierenden thermohydraulischen Eigenschaften durchqueren, kann es sich unter energetischen Gesichtspunkten lohnen, um einer Durchmischung vorzubeugen, einzelne Tunnelsegmente mit höheren Bergwassertemperaturen durch eine separate Leitung zum Portal zu führen [10]. Abb.-1: Tunnelgeothermie: Hydrogeothermische Verfahren (offenes System) - Wärmestrom 3. Nordportal des Grenztunnel Füssen In einem vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMDV), vertreten durch die BASt, beauftragtem Forschungsprojekt [5] wurde die besondere Eignung des Nordportals des Grenztunnels Füssen (Bayern) für eine Erprobung der Temperierung von Freiflächen mittels des direkten, passiven hydrogeothermischen Verfahrens identifiziert. Hierfür wurden die Temperatur und Schüttung des Drainagewassers über ein Jahr lang messtechnisch erfasst, wobei Temperaturen zwischen +8,3 °C und +10,5 °C gemessen wurden; die geringste Schüttung betrug 11-l/ s. Nach VDI-4640 [11] sind bei der Übergabe von Wasser in eine Vorflut Temperaturen von 5°C bzw. 20°C nicht zu unterbzw. überschreiten. Bei Anwendung dieser Grenzwerte ergab sich gemäß (1) rechnerisch ein minimal zuführbarer Wärmestrom für den Heizfall von 152-kW, während der minimal abführbare Wärmestrom für den Kühlfall zu 438- kW ermittelt wurde. (1) Wärmestrom [W] Bergwasserschüttung [m³/ h] Volumetrische spezifische Wärmekapazität des Wassers [kJ/ (m³K)] Temperaturdifferenz des Wassers infolge Energieextraktion [K] Laut [12] reichen 400- W/ m² zur Eis- und Schneefreihaltung von Fahrbahnoberflächen aus, d. h. bei entsprechender Installation könnte rechnerisch für 40 Felder mit einer Fläche von 9 m² die zur Schnee- und Eisfreihaltung notwendige Wärmestromdichte von 400 W/ m² bereitgestellt werden. Ferner wurden auch hydrochemische und hydraulische Untersuchungen durchgeführt, die ebenfalls die Eignung des Nordportals zur Freiflächentemperierung bestätigen. Da die Wassertemperatur einen abiotischen Umweltfaktor darstellt, wurden auch die Auswirkungen auf das nachgeordnete Flora- und Fauna-Habitat untersucht und als positiv bewertet. 3.1 Entwurf der Freiflächentemperierungen Die am Nordportal des Grenztunnel Füssen gelegene Freifläche wurde genutzt, um ein Technikum mit neun quadratischen Testflächen mit Seitenlängen von 3-m zu erstellen. Der Fahrbahnauf bau besteht bei sechs Freiflächen aus Asphalt und bei drei Freiflächen aus Beton (Abb.2). Die bifilar verlegten Rohrkonfigurationen bestehen entweder aus Kupfer oder Kunststoff und unterscheiden sich in deren Tiefenlagen und Schenkelabständen (Abb.-3 und Abb.-4). Die bifilare Verlegung wurde unter dem Gesichtspunkt der möglichst gleichmäßigen Wärmeverteilung an der Geländeoberkante gewählt. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 197 Das Konzept einer direkten, passiven Freiflächentemperierung in Verbindung mit einer geothermischen Bergwassernutzung Abb.-2: Technikum Füssen: gelb markierte Flächen mit Fahrbahnauf bau aus Asphalt, grün markierte Flächen mit Auf bau aus Beton. Das Bergwasser wird mittels einer Pumpe in ein Vorhaltebehälter geleitet und mittels einer Umwälzpumpe über eine Zulaufleitung zu den Freiflächen geführt. Nachdem die Freiflächen durchströmt wurden, fließt das Bergwasser über einen Rücklauf in eine nachgeordnete Vorflut. In den Zulauf- und Rücklaufleitungen der einzelnen Felder sind Temperatursensoren in der Zulaufleitungen zusätzlich noch ein Durchflusssensoren installiert. Mit Gleichung (1) kann hieraus für jedes einzelne Feld die aus dem Bergwasser entzogene bzw. zugeführte Energie ermittelt werden. In Feldmitte und am Rand jedes Feldes wurden zusätzlich noch Sensorebenen oberhalb und unterhalb der Rohrkonfigurationen in den Fahrbahnauf bau integriert. Die Sensorebenen bestehen jeweils aus zwei Temperatursensoren, die in einem vertikalen Abstand von 4-cm übereinander angeordnet sind. Dies ermöglicht die Rückrechnung auf die Größe und die Richtung des Wärmestroms. Insgesamt sind pro Feld acht Temperatursensoren verbaut, mit welchen die im Fahrbahnauf bau wirkenden Wärmeströme ermittelt werden können. Abb.- 3 : Im Technikum realisierte thermisch aktivierte Fahrbahnauf bauten (A… in Asphaltbauweise, B… in Betonbauweise) Abb.-4: In den Testflächen realisierte Rohrleitungskonfigurationen 3.2 Anlagenbetrieb Das primäre Ziel der Anlagensteuerung ist es, die Freiflächen eis- und schneefrei zu halten. Bei direkten, passiven Freiflächenheizungen wird keine Wärmepumpe eingesetzt, sodass die Temperatur des Bergwassers unverändert bleibt. Einzig der Volumenstrom kann über die Pumpensteuerung angepasst werden. In Abhängigkeit des Volumenstroms stellt sich in den Rohrregistern eine laminare oder turbulente Durchströmung ein. Der dimensionslose Wärmeübergangskoeffizient (Nußeltzahl) des strömenden Wassers zur Umgebung nimmt im laminaren Bereich mit Anstieg der Durchströmung leicht zu, beim Übergang zur turbulenten Durchströmung steigt dieser jedoch sprunghaft an [13]. Des Weiteren führt die Erhöhung des Volumenstroms zu einem Anstieg der Strömungsgeschwindigkeit innerhalb der Rohrregister mit der Konsequenz, dass die Verweildauer eines Wasserteilchens innerhalb der Rohrregister abnimmt. Wärmetransmission ist ein instationärer Prozess, d. h., je kürzer die Verweildauer der Wasserteilchen in den Rohrregistern ist, desto geringer ist die Temperaturabnahme im Trägerfluid. Ein Anstieg des Volumenstroms erhöht konsequenterweise die Rücklauftemperatur und reduziert demnach die Temperaturdifferenz zwischen Vor- und Rücklauf. Dies bewirkt eine höhere mittlere Wassertemperatur innerhalb der Rohrregister und somit einen höheren wirkenden Wärmestrom in den Fahrbahnauf bau [14]. Zur Bemessung und Auslegung der Anlage müssen alle auf die Freiflächen wirkenden und nicht regulierbaren Wärmeströme ermittelt und quantifiziert werden. Auf Basis dieser Werte kann mittels der an der Geländeoberkante gebildeten Energiebilanz die zur Eis- und Schneefreihaltung erforderliche Wärmestromdichte ermittelt werden. Die Energiebilanz setzt sich aus allen an der Straßenoberfläche wirkenden Wärmeströmen ( Abb.- 5 ) wie folgt zusammen: (2) Wärmestrom aus Bergwasser 198 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Das Konzept einer direkten, passiven Freiflächentemperierung in Verbindung mit einer geothermischen Bergwassernutzung kurzwelliger Wärmestrom langwelliger Wärmestrom konvektiver Wärmestrom latenter Wärmestrom regeninduzierter Wärmestrom Schneeschmelze geothermischer Tiefenstrom Abb.- 5 : Energiebilanz einer thermisch aktivierten Freiflächenoberfläche Zu allen genannten Wärmeströmen gibt es, sofern alle notwendigen Daten vorliegen, analytische Berechnungsmöglichkeiten. Bei der messtechnischen Überwachung der Testfelder erfolgen Datenerfassung und -übertragung über einen Fernzugriff. Auch wurde eine Wetterstation, die Luftdruck, Windgeschwindigkeit, Lufttemperatur sowie, Niederschlagsmenge und -intensität misst, installiert. Zur visuellen Kontrolle der Anlage wurde eine Kamera angebracht, auf die ebenfalls aus der Ferne zugegriffen werden kann. 3.3 Variation der Strömungszustände Im Rahmen der Testszenarien wurde u. a. die Art der Strömung innerhalb der Absorber variiert. Maßgebendes Kriterium hierbei ist die dimensionslose Reynoldszahl [11]: (3) Fließgeschwindigkeit des Bergwassers [m/ s] Rohrdurchmesser [m] Kinematische Viskosität [m²/ s] Die Strömungsgeschwindigkeit des Bergwassers kann über die Leistungsregelung der Umwälzpumpe eingestellt werden. Die Werte des Rohrdurchmessers bzw. der kinematischen Viskosität sind konstant. Eingehende Untersuchungen ergaben, dass der Wärmeeintrag des Bergwassers in den Fahrbahnauf bau beim Übergang von laminarer zu turbulenter Rohrströmung sprunghaft ansteigt, was mit dem bereits erläuterten Phänomen des Anstieges der Nußeltzahl korreliert. 4. Witterungsabhängige Testszenarien Die Aktivierungszeit ist bei der Anlagensteuerung elementar, d. h. es gilt zu klären, mit welchem zeitlichen Vorlauf die Anlage in Betrieb gehen muss, um Schneebzw. Glättebildung auf der Fahrbahnoberfläche und im Sommer extrem hohen Oberflächentemperaturen vorzubeugen. Hierfür wurden unterschiedliche Testszenarien untersucht. 4.1 Schneefallszenario Zur Auslegung der Anlagensteuerung ist die Kenntnis der Schmelzgeschwindigkeit auf den jeweiligen Feldern notwendig, weshalb ein Szenario konzipiert wurde, mit dem die Schmelzgeschwindigkeiten der Freiflächen untersucht wurde. Abb. 6 : Schneeszenario: Temperaturverlauf der unterschiedlichen Fahrbahnauf bauten um 12: 00 Uhr, Außentemperatur 2 °C. In der Nacht vom 10.02. auf den 11.02.2021 wurde vom Deutschen Wetterdienst (DWD) starker Schneefall angekündigt. Zusätzlich zu den sowieso gemessenen Daten wurde in diesem Zeitraum zusätzlich die Dichte, Intensität und Temperatur des Schnees gemessen. Die Anlage war zu Beginn des Testszenarios bereits in Betrieb. Die Temperatur der unterschiedlichen Fahrbahnauf bauten zu Beginn des Szenarios ist in Abb. 6 dargestellt, es zeigt die Anordnung der Temperatursensoren zwei Sensoren liegen in Feldmitte oberhalb der Rohregister und zwei weitere in Feldmitte unterhalb der Rohrregister. Abb.7: Testfläche A1.5. bei aktiven Betrieb nach Inbetriebnahme (Abschmelzen) einer Schneedecke) Die Rohrregister selbst sind in 67,5 mm Tiefe verlegt. Der bergwasserinduzierte Wärmeeintrag ist auf Höhe der Rohrregister offensichtlich. Am 10.02.2021 wurde die Anlage gegen 20: 00 Uhr ausgeschaltet. Am 11.02.2021 wurde die Anlage gegen 9: 00 Uhr wieder in Betrieb genommen, wobei sich auf den Freiflächen über Nacht eine ca. 10 cm hohe Schneedecke gebildet hatte. Nach Inbetriebnahme der Flächentemperierung war nach ca. 2 Stunden bereits das erste Feld B1.2 (Betonauf bau mit Kupferleitungen) gänzlich schnee- und eisfrei, es folgten A1.5 (Asphaltauf bau mit Kupferleitungen Abb.7 zeigt den Abschmelzvorgang) und danach B1.1 (Betonauf bau und Kunststoffleitungen). Der Ver- 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 199 Das Konzept einer direkten, passiven Freiflächentemperierung in Verbindung mit einer geothermischen Bergwassernutzung suchsauf bau in Feld B1.2 stellt die effizienteste Kombination dar. Parallel wurde die Schneedichte in Abhängigkeit von der Temperatur gemessen. Hierbei wurde offensichtlich, dass mit einer abnehmenden Außentemperatur auch eine Reduktion der Schneedichte einhergeht. Eine zusätzlich durchgeführte Temperaturmessung an einer Referenzfläche ergab bei einer 10- cm hohen Schneedecke eine Bodentemperatur von -0,3 °C, während die Temperatur an der Schneeoberfläche -8,5 °C betrug, es stellte sich somit ein Temperaturgradient von 8,2 K über eine Schneehöhe von 10-cm ein. Abb. 7: Schneedichte über die Außentemperatur Die Abnahme der Schneedichte bei geringen Außentemperaturen ist auf eine Zunahme der Lufteinschlüsse zurückzuführen, die wiederum die wärmedämmende Wirkung des Schnees erhöhen; in der Folge ist mehr thermische Energie notwendig, um diesen „leichteren“ Schnee abzuschmelzen. Für die Steuerung der Anlage bedeutet dies, dass trotz einer geschlossenen Schneedecke an der Fahrbahnoberfläche positive Temperaturen gemessen werden können. Die Steuerung der Anlage kann folglich nicht allein mit aktuell gemessenen Daten erfolgen, vielmehr ist die Berücksichtigung von Wetterprognosen zwingend notwendig sowie eine entsprechende situative Anpassung der Durchströmungsrate als maßgebende Steuerungsgröße. 4.2 Eis- und Glätteszenario Um die Trägheit bzw. Reaktionszeit der Anlage zu erproben, wurde ein Szenario konzipiert, bei dem die Anlage über längere Zeit außer Betrieb genommen wurde, bevor die Anlage dann bei der Ankündigung von Glätte mit adäquater Vorlaufzeit aktiviert wurde. Für den 17.03.2021 um 20: 00 Uhr meldete die Straßenwettervorhersage SWIS des Deutschen Wetterdienstes (DWD) Glätte. Entgegen der Wetterprognose setzte zusätzlich noch Schneefall ein. Um 17: 30 Uhr, d. h. 2,5 Stunden vor der gemeldeten Glättebildung wurde die Anlage mit einer Gesamtdurchströmung für alle Felder von 1,5 l/ s in Betrieb genommen. Abb.- 8 : Temperatur des Fahrbahnauf baus bei Durchführung eines „Kaltstarts“. In Abb.-8 ist zu erkennen, wie die Temperatur des Fahrbahnauf baus des Testfeldes A1.3 mit Inbetriebnahme der Anlage wärmer wird und sich von der Außentemperatur („AT“) entkoppelt. Die Temperatur des Fahrbahnauf baus nimmt mit Sonnenaufgang deutlich zu (in der oberen Lage fast 10K), obwohl die Außentemperatur nur einen Wert von etwa max. 3 °C annimmt. Die Ursache liegt im merklichen Einfluss der langwelligen Sonnenstrahlung auf den Fahrbahnauf bau. In Abb. 9 ist im Vergleich zu ein größerer Temperaturgradient zwischen Rohrleitungen und Fahrbahnoberfläche zu erkennen, der darauf zurückzuführen ist, dass beim „Glätteszenario“, die Anlage wie erläutert zuvor nicht in Betrieb war, wodurch die Temperatur des Fahrbahnauf baus niedriger war als während des Schneeszenarios. Auch ist zu erkennen, dass in den Testfeldern B1.2 und A1.5 (beide Kupferleitungen) die höchste Oberflächentemperaturen erreicht werden. Abb.-9: Temperaturverlauf der unterschiedlichen Fahrbahnauf bauten nach Durchführung eines „Kaltstarts“ am 18.03.2021 um 23: 00 Uhr. 200 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Das Konzept einer direkten, passiven Freiflächentemperierung in Verbindung mit einer geothermischen Bergwassernutzung 4.3 Hitzeszenario Abb.- 10 : Temperaturverlauf eines aus Asphalt bestehenden Fahrbahnauf baus ohne Durchströmung Der Sommer 2021 wurde genutzt, um die Effizienz der Freiflächen zur Kühlung der Fahrbahn zu untersuchen. In Abb.-10 ist der Temperaturverlauf eines aus Asphalt bestehenden Testfeldes ohne Durchströmung dargestellt. Die Temperatur ist in diesem Feld stets höher als die Außentemperatur. Bedingt durch den hohen Emissionsgrad des Asphalts ( erwärmt der radiative Wärmestrom des Sonnenlichtes die Asphaltflächen stärker als der durch die Außentemperatur induzierte konduktive bzw. konvektive Wärmestrom. In Abb.- 11 ist dasselbe Asphaltfeld bei durchströmten Rohrregistern dargestellt, die gemessene Außentemperatur ist hierbei sogar höher als in Abb.-10 . Die im Fahrbahnauf bau gemessenen Temperaturen sind hier bei durchströmten Rohren um 10 K geringer als bei nicht durchströmten Rohren. Abb.- 11 : Temperaturverlauf eines Asphaltfeldes bei aktiver Durchströmung. Abb.- 12 : Einfluss der Durchströmung auf die Oberflächentemperatur In Abb.-12 wird dieser Zusammenhang durch eine übergreifende Auswertung der Oberflächentemperatur in Abhängigkeit der Außentemperatur für den temperierten und nicht temperierten Zustand ausgewertet. Die Darstellung zeigt, dass infolge einer Durchströmung der Flächen deren Oberflächentemperatur im Mittel um mindestens 10 K gesenkt werden kann. 5. Numerische Untersuchungen Abb.- 13 : Numerisches Simulationsmodell Um die das Verhalten der Freiflächenheizung maßgebend beeinflussenden Parameter analysieren und einordnen zu können, wurden zusätzlich zu den experimentellen Untersuchungen numerische Simulationen mit einem gekoppelten hydraulisch-thermischen Modell durchgeführt. Das Modell simuliert das Verhalten der Freiflächen während der Testszenarien und substituiert die in Gleichung (2) genannten aber nur schwer durch Messungen ermittelbare Wärmeströme (z. B. kurz- und langwellige Strahlung). 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 201 Das Konzept einer direkten, passiven Freiflächentemperierung in Verbindung mit einer geothermischen Bergwassernutzung Abb.-14: Vergleich numerisch ermittelte Temperaturen mit gemessenen Temperaturen beim Testfeld B1.2 in der obersten Sensorlage (TMO1) Das Modell, welches mit der Simulationssoftware Comsol erstellt wurde (siehe Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.), besitzt eine Grundfläche von 3 m x 3 m und eine Tiefe von 1 m. Die Materialeigenschaften des Auf baus und der Rohre entsprechen den in Abb. 3 dargestellten Fahrbahnkonfigurationen. Die Validierung der Simulation erfolgt in Perioden, in denen die äußeren atmosphärischen Randbedingungen möglichst präzise bestimmbar sind. In dem folgenden Fall wurde eine turbulente Durchströmung im November 2020 gewählt. Die simuliert Durchströmungsrate entspricht der in diesem Zeitraum gemessenen Durchströmung. Aufgrund der Lage des Technikums hinter einem Bergrücken ist ab Ende Oktober keine direkte Sonneneinstrahlung auf die Freiflächen vorhanden, so dass der Wärmestrom aus kurzwelliger Strahlung ignoriert werden kann. Ferner wurde darauf geachtet, dass in der gewählten Zeitperiode kein Niederschlag (Regen, Schnee) auftrat. Die weiteren in Gleichung (2) aufgeführten Wärmeströme wurden mittels analytischer Formeln, welche detailliert in [6] aufgeführt sind, ermittelt und als thermische Randbedingung in das Modell eingefügt. Ein Vergleich der numerisch ermittelten und gemessenen Temperaturen ist in Abb.-14 dargestellt Die gute Übereinstimmung belegt, dass das Simulationsmodell geeignet ist, die komplexen Wärmeströme zutreffend transient abzubilden. Anhand des validierten numerischen Modells wurden Parameterstudien durchgeführt. Unter anderem wurde untersucht, wie sich eine Vergrößerung des Feldes als auch die Variation der Schenkelabstände, des Materials, der Durchströmungsart usw. auf die Wärmeleistung auswirkt. In Abb.-15 ist exemplarisch der Einfluss der Rohrkonfiguration (siehe Abb.-3) auf die Oberflächentemperatur dargestellt. Es zeigt sich, dass mit der Konfiguration II die höchsten Temperaturen erzielt wird und diese Konfiguration auch unter Würdigung der einzusetzenden Rohrlänge besonders geeignet ist. Eine ausführliche Beschreibung der Parameteruntersuchung ist in [5] dokumentiert. Abb.- 15 : Parameterstudie zum Einfluss unterschiedlicher Rohrkonfigurationen auf die Oberflächentemperatur einer Asphaltfläche. 6. Zusammenfassung Die im Rahmen des Forschungsvorhabens durchgeführten Messungen an dem am Nordportal des Grenztunnels Füssen realisierten Technikums belegen, dass sich das innovative Konzept der direkten, passiven Freiflächentemperierung zur Schnee- und Eisfreihaltung von Verkehrsflächen an Tunnelportalen eignet. Neben einer Eis- und Schneefreihaltung im Winter kann mit einer Kühlung im Sommer die Lebensdauer der Verkehrsflächen positiv beeinflusst werden. Als günstiger Nebeneffekt können durch die Reduktion der Temperatur des Bergwassers die vorgeschriebenen Grenztemperaturen bei der Einleitung des Drainagewassers in die Vorflut eingehalten werden. Die Kombination aus Betonfahrbahn und Rohrregistern aus Kupferrohren mit flacher Verlegetiefe leitet am effektivsten die thermische Energie des Bergwassers in Richtung der Fahrbahnoberfläche. Nach der Aktivierung dauert es ca. 5 bis 6 Stunden, bis die Fahrbahnoberfläche warm genug ist, um die Flächen bei einem Schneefall mittlerer Intensität eis- und schneefrei zu halten, d. h. um den fallenden Schnee kontinuierlich abzuschmelzen. Eine solche Situation ist anzustreben, da in dem Fall, dass sich Schnee nicht auf der Fahrbahnoberfläche ablagert, der wärmedämmenden Effekt des Schnees ein Abschmelzen deutlich erschwert. Die gewonnenen Erfahrungen zeigen, dass das lokal gemessene Wetter nicht immer mit der Wetterprognose übereinstimmt, aber auch das nicht ausschließlich die lokal gemessenen Temperaturwerte zur Bestimmung des Straßenzustandes herangezogen werden dürfen. Bei der Programmierung der automatischen Steuerung der Anlage mittels eines mit ´Python´ programmierten Scripts wurden daher sowohl die Wetterprognosen als auch die lokal gemessenen Klimadaten integriert. Die Fernsteuerung wurde im Winter 2021/ 22 für den Betrieb der Anlage eingesetzt. Dabei konnte gezeigt werden, dass die Flächen durch die Integration der Wetterprognosen in die Steuerung durchgehend eis- und schneefrei gehalten werden können. Die im Rahmen des Projektes entwickelte Implementierungshilfe [5] zum Einsatz von direkten, passiven Freiflächenheizungen zur Schnee- und Eisfreihaltung von Fahrbahnoberflächen soll die Integra- 202 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Das Konzept einer direkten, passiven Freiflächentemperierung in Verbindung mit einer geothermischen Bergwassernutzung tion dieses nachhaltigen Konzeptes erleichtern. Die Implementierungshilfe enthält zu diesem Zweck Empfehlungen und Hinweise zur Planung, der Bemessung und dem Betrieb von direkten, passiven geothermischen Flächenheizungen mittels Tunneldrainagewasser. Wie messtechnisch quantitativ nachgewiesen, erwärmt sich die Fahrbahnoberfläche bei Sonnenschein erwartungsgemäß signifikant über die Umgebungstemperatur hinaus. Im Sinne einer Weiterentwicklung des Konzeptes ist es daher denkbar, dass die Freiflächentemperierung auch als Sonnenkollektor genutzt werden. Die so gewonnene thermische Energie könnte dann direkt durch geeignete Abnehmer genutzt werden bzw. alternativ zur Regeneration von im Nahfeld vorhandenen Erdwärmesonden oder anderen geothermischen Kollektorsystemen verwendet werden [14]. 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