eJournals Kolloquium Bauen in Boden und Fels 14/1

Kolloquium Bauen in Boden und Fels
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expert verlag Tübingen
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2024
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Standsicherheit von Böschungen unter temporär auftretendem Wasser

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2024
Gerd Festag
Jens Gattermann
Sabrina Denne
Temporär auftretendes Wasser in insbesondere künstlich angelegten Einschnittsböschungen führte in der Vergangenheit wiederholt zu Schadensfällen an Verkehrswegen. Die vorgestellte Untersuchung beschäftigt sich mit den Wirkprinzipien von temporären Wasser in Böschungen und den Mechanismen bezüglich der Standsicherheit. Dazu werden Ergebnisse aus Modellversuchen und begleitende numerische Untersuchungen vorgestellt, um die maßgeblichen Einflussfaktoren herauszuarbeiten.
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14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 247 Standsicherheit von Böschungen unter temporär auftretendem Wasser Dr.-Ing. Gerd Festag Dr. Spang Ingenieurgesellschaft für Bauwesen, Geologie und Umwelttechnik mbH, Witten Prof. Dr.-Ing. Jens Gattermann Hochschule Augsburg, Fakultät für Architektur und Bauwesen Sabrina Denne, M. Sc. Dr. Spang Ingenieurgesellschaft für Bauwesen, Geologie und Umwelttechnik mbH, Witten Zusammenfassung Temporär auftretendes Wasser in insbesondere künstlich angelegten Einschnittsböschungen führte in der Vergangenheit wiederholt zu Schadensfällen an Verkehrswegen. Die vorgestellte Untersuchung beschäftigt sich mit den Wirkprinzipien von temporären Wasser in Böschungen und den Mechanismen bezüglich der Standsicherheit. Dazu werden Ergebnisse aus Modellversuchen und begleitende numerische Untersuchungen vorgestellt, um die maßgeblichen Einflussfaktoren herauszuarbeiten. 1. Einführung Bei der Herstellung von Einschnitten bzw. Böschungen können infolge von temporär auftretenden Grund- oder Schichtwässern unerwartete Rutschungen bzw. Geländebrüche auftreten. Tritt dies während der Bauausführung auf, werden Arbeitsunterbrechungen zur Erkundung der Ursachen sowie anschließende Sanierungsmaßnahmen notwendig. Die nachfolgend beschriebenen Untersuchungen beschäftigten sich daher mit den Wirkprinzipien von temporären Wasser in Böschungen, den Mechanismen bezüglich der Standsicherheit und den möglichen Untersuchungsmethoden zur Feststellung von temporären Wässern in Böschungen Die Forschungsarbeit ist in [1] ausführlich dokumentiert. 2. Literaturstudie Im Rahmen des Forschungsvorhabens wurden in einem ersten Schritt bekannte Schadensfälle erfasst und systematisch ausgewertet. Die im Rahmen der Literaturstudie identifizierten Schadensfälle wurden systematisch ausgewertet und u. a. hinsichtlich der Geologie, der Hydrologie und der (vermuteten) Schadensursache kategorisiert. Die Auswertung der erfassten Schadensfälle an Böschungen zeigt, dass temporär auftretendes Wasser in ca. 85-% der Fälle als schadensursächlich anzusehen ist. Sicherlich ist dies in vielen Fällen nicht die einzige Schadensursache, zeigt jedoch die Bedeutung temporäre Wasserführungen richtig abzuschätzen und in der Beurteilung von Böschungen zu berücksichtigen. Bei den dokumentierten Schadensereignissen spielt die Höhe eines saisonal wechselnden, geschlossenen Grundwasserstandes nur sehr selten eine Rolle. Temporär auftretende Schichtwässer sind bei den Schadensereignissen als dominante Erscheinungsform anzusehen. Es handelt sich dabei um an Durchlässigkeitsunterschiede im Baugrund gebundene, überwiegend geringmächtige Wasservorkommen, die entlang einer Schichteinheit sich sammeln und ablaufen. Es kann sich dabei um häufig auftretende, niederschlagswassergespeiste Wässer (wie zum Beispiel Hangquellaustritte) handeln oder um schwebende Wasserkörper, die sich lokal auf undurchlässige Schichteinheiten aufstauen und in der Böschung ausfließen können. Als weitere regelmäßig vorkommende Schadensursachen sind Oberflächenwasser und Erosionen zu nennen. Diese Phänomene wurden in den Untersuchungen nicht weiter betrachtet. Bemerkenswert bei den dokumentierten Schadensfällen ist, dass der Baugrund etwa in einem Drittel der Fälle als homogen beschrieben wird. In einem homogenen Baugrund dürften sich keine Schichtwässer bilden können, es wäre von einer weitgehend vertikalen Versickerung von eintretenden Oberflächenbzw. Niederschlagswasser auszugehen. Dies dürfte jedoch im Allgemeinen nicht zu einem Versagen der Böschung führen. Wahrscheinlich sind in diesen Fällen feine Durchlässigkeitsunterschiede in den in der Böschung anstehenden Böden ursächlich, die zu Schichtwässern führen und während der Erkundung nicht hinreichend genau wahrgenommen wurden. In der Mehrheit der dokumentierten Fälle wird jedoch ein geschichteter Baugrund beschrieben, in dem es aufgrund von Durchlässigkeitsunterschieden zu Schichtwasserhorizonten kommen kann. Als Ursache für durch einsickerndes Wasser ausgelöste Schadensereignisse wird entweder das Aufweichen eines relevanten Anteils des Hangkörpers oder das Versagen auf einer meist bindigen, aufgeweichten Zone angesehen. Häufig wird in den vorliegenden Baustellenbzw. Schadensberichten angegeben, dass Niederschlagswasser in den oberflächennahen Bereich eingesickert ist und dann zu einer Herabsetzung der Scherfestigkeit auf einer meist bindigen Schicht ge- 248 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Standsicherheit von Böschungen unter temporär auftretendem Wasser führt hat. Inwieweit dies mit den bekannten mechanischen Versagensmechanismen begründbar ist, wird im Weiteren noch diskutiert. Es wird dabei häufig auch ein Überangebot von Niederschlagswasser beschrieben, welches vom Baugrund nicht mehr aufgenommen werden kann. Implizit damit verbunden ist eine vollständige Sättigung des oberflächennahen Schichtpakets mit einer dann erhöhten Wichte und gegebenenfalls herabgesetzten Scherparametern. Das derart aufgeweichte Schichtpaket, das in der Regel dann auch mit der Rutschmasse identisch ist, weist stark variierende Volumina von wenigen 100 m³ bis hin zu über 300.000 m³ auf. Bei der Beschreibung der Geologie wird mit einer bemerkenswerten Häufigkeit das Auftreten von Tonsteinen oder Tonschiefer im Untergrund genannt, die bei Wasserzutritt eine Gleitfläche ausgebildet haben. Noch dazu wird bei diesen Fällen häufig ein mehr oder weniger paralleles Einfallen der Schichtung mit der Böschung genannt. An sich wäre dieses geologische Schichtbild auch bereits mit einer Baugrunderkundung oder spätestens bei der Bauausführung als kritisch anzusehen und feststellbar. Offensichtlich handelt es sich aber häufig um Böschungsanschnitte im Festgestein, bei denen das Festgestein im Bauzustand als zu günstig bewertet wird. 3. Orientierende Untersuchungen zur Bestimmung mechanischer Versagensszenarien In einer Reihe von Voruntersuchungen wurden folgende, mögliche Versagensmechanismen untersucht: a. Direkte Einwirkungen aus strömendem oder stauendem Wasser in wasserführenden Baugrundschichten; b. Indirekte Einwirkungen, die sich aus der Einwirkung von Wasser ergeben; dies sind insbesondere Veränderungen der Scherparameter infolge Aufweichens von einzelnen Bodenhorizonten. Bei den direkten Einwirkungen aus Wasser können die folgenden Effekte unterschieden werden: • Entstehung von Porenwasserdruck bzw. Strömungskräften im Boden; • Aufstau von Wasser in durchlässigeren Schichten (z. B. infolge geringer durchlässiger Deckschichten) mit der Folge eines Porenwasserüberdrucks. Bei den indirekten Einwirkungen aus Schichtwasser im Böschungskörper ist vor Allem eine Verringerung der Scherfestigkeit in eng begrenzten Horizonten durch Aufweichung des Bodens zu betrachten. Ein Herausspülen von Bodenpartikeln an der Böschungsoberfläche (Erosion) bzw. ein Ausspülen von Bodenmaterial aus dem Böschungsinneren (rückschreitende Erosion) sowie die Auswaschung von Feinanteilen (Suffosion) können als sekundäre Effekte angesehen werden, die i.d.R. nicht schadensauslösend sind, jedoch die Höhe des eintretenden Schadens maßgeblich bestimmen können. Zur Abschätzung der Auswirkungen wurden klassische Standsicherheitsberechnungen mit kreisförmig begrenzten Gleitkörpern und auch Berechnungen nach dem Blockgleitverfahren durchgeführt. Zugrunde gelegt wurde eine Referenzböschung mit einer Höhe von 6 m und einem geschichteten Auf bau aus Schluff und Sand sowie einem Einfallen der Schichten zur Böschung hin. Hierbei wurden sowohl der Einfallwinkel wie auch die Mächtigkeit der Schichtglieder variiert. Berechnet man beispielsweise die Standsicherheit für die Referenzböschung mit einem Schichteinfallen von 10° unter Beachtung der Teilsicherheitsbeiwerte für die Bemessungssituation BS-P nach EC 7, so ergibt sich ein Ausnutzungsgrad m = 0,90. Da in erster Linie der Versagenszustand von Interesse war, wurden bei den weiteren Berechnungen die charakteristischen Scherparameter verwendet und alle Teilsicherheitsbeiwerte zu 1,0 gesetzt. Die nachfolgend ermittelten Ausnutzungsgrade beziehen sich somit auf dem Bruchzustand und werden zur Unterscheidung mit m* bezeichnet. Ohne Berücksichtigung von Grund- oder Schichtwasser ergibt sich für das oben genannte Beispiel ein Ausnutzungsgrad bezogen auf den Bruchzustand von m* = 0,72. Geht man davon aus, dass die gesamte Böschung (siehe Abb. 1) innerhalb der Sandschichten durchströmt wird, ergibt sich unter Annahme eines entsprechenden Porenwasserdrucks entlang der Gleitfläche ein Ausnutzungsgrad bezogen auf den Bruchzustand von m* = 0,79. Es ergibt sich eine klare Reduzierung der Standsicherheit, der Bruchzustand wird jedoch nicht erreicht. Abb. 1: Böschung mit druckfreier Durchströmung der Sandschichten Sofern jedoch die Böschung mit einer geringdurchlässigen Bodenschicht abgedeckt wird, muss ein Aufstau in der Sandschicht und ein entsprechender Wasserdruck angesetzt werden. In diesem Fall führt dies zu einem Ausnutzungsgrad bezogen auf den Bruchzustand von deutlich m* > 1,0 und somit zu einem Versagen der Böschung. Zur Abschätzung der indirekten Einwirkungen, die sich aus Wasserzutritt in die Böschung ergeben, wurden ebenfalls Berechnungen durchgeführt. Hierbei wurde zunächst kein Wasser- oder Strömungsdruck berücksichtigt, sondern lediglich die Scherparameter des Bodens reduziert. Diese Reduktion soll die Veränderung des Bodens infolge Aufweichens simulieren. Dabei wurde jeweils der Reibungswinkel und gleichzeitig die Kohäsion reduziert. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass der Ausnutzungsgrad wenig sensitiv auf die Scherfestigkeit ist und Abminderungen der Scherfestigkeit um mehrere 10er-Prozent erforderlich sind, um die Beispielböschung in den Grenzzustand der Standsicherheit zu bringen. Die 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 249 Standsicherheit von Böschungen unter temporär auftretendem Wasser direkten Einwirkungen haben, zumindest bezogen auf die Referenzböschung einen dominierenden Effekt auf die Standsicherheit, wenngleich auch die indirekten Einwirkungen (Veränderung der Scherparameter, Änderung der Wichte) nicht vernachlässigt werden dürfen. Dies gilt insbesondere auch beim Zusammenwirken verschiedener Einflussfaktoren. Zur Einordnung der indirekten Einwirkungen wurden im bodenmechanischen Labor Scherversuche zunächst an einem leichtplastischen Ton bei unterschiedlichen Wassergehalten ausgeführt, um die Abhängigkeit der Scherfestigkeit von der Sättigung zu bestimmen. Mit abnehmendem Wassergehalt bzw. zunehmender Konsistenz nimmt die Kohäsion des Bodens zu, während der Reibungswinkel vom Wassergehalt bzw. der Konsistenz weitgehend unbeeinflusst bleibt (siehe Abb. 2). Ein ähnliches Bild zeigt sich bei weiteren Versuchen an mittelplastischen Böden. Insoweit ist bei der Beurteilung der Standsicherheit von Böschungen zu berücksichtigen, dass sich durch auftretendes Wasser insbesondere die Kohäsion von bindigen Böden ändert, der Reibungswinkel aber i.d.R. nur geringen Änderungen unterworfen ist. Abb. 2: Scherparameter j und c von leichtplastischen Tonen in Abhängigkeit von der Konsistenz (Sättigung) 4. Technikumsversuche Um die Versagensmechanismen in Böschungen näher zu untersuchen und um Erkenntnisse zur Validierung einer Berechnungsmethodik zu gewinnen, wurden großmaßstäbliche Technikumsversuche konzipiert. Mit den Technikumsversuchen sollten Mechanismen beim Auftreten von Schichtwässern untersucht und Erkenntnisse über die Wirksamkeit von Messeinrichtungen zur Erfassung des Wasserdrucks bzw. der Durchfeuchtung potentiell wasserführender Schichten gesammelt werden. Die Untersuchungsergebnisse zu Messeinrichtungen zur Erfassung von temporär auftretenden Wässern sind in [2] dokumentiert. In einer Großversuchsanlage (Lysimeteranlage) an der Hochschule Augsburg wurde eine maßstäblich verkleinerte Böschung aufgebaut. In diesem Böschungsauf bau wurden Böden mit verschiedenen Durchlässigkeiten eingebaut, um eine Durchlässigkeitsanisotropie zu induzieren, so dass sich ein Schichtwasserleiter ausbilden konnte. Die Böschung wurde anschließend mit definierten Niederschlägen beaufschlagt, um eine temporäre Wassereinwirkung zu erzeugen und eine Strömung in einer eingelagerten, durchlässigeren Schicht der Böschung zu erzeugen. Die sich ergebenden Porenwasserdrücke wurden an ausgewählten Stellen mittels Porenwasserdruckgebern erfasst. Entsprechend den Abmessungen der Lysimeteranlage ergibt sich für die Modellböschung ein Maßstab von ca. 1: 5 bis 1: 10 gegenüber realen Böschungen. Der Auf bau der Böschung kann der Abb. 3 entnommen werden. Die Böschung wurde mit einer im Straßenbau üblichen Regelneigung von 1: 1,5 eingebaut. Der Böschungskörper weist eine maximale Höhe von 0,8-m und eine Länge von 2,5-m auf. Die Breite der Böschung ist durch das Lysimeterbecken auf 1,8-m begrenzt. Der Böschungskörper besteht überwiegend aus bindigem Material (mittelplastischer Ton), in dem eine Sandschicht eingelagert ist. Die durchlässige Sandschicht (k f = 1 x 10 -3 m/ s) besteht aus einem sandigen Bodenmaterial mit einer Schichtdicke von 10-cm. Die Schicht wurde mit ca. 10° in Richtung der Böschung geneigt. Zur Untersuchung einer Durchströmung der sandigen Schicht als auch eines Wasseraufstaus in dieser Schicht, wurden Versuche sowohl mit der in Abb. 3 skizzierten Andeckung als auch ohne diese Andeckung durchgeführt. Abb. 3 : Technikumsversuch, Schnitt durch das Lysimeterbecken und den Versuchsauf bau Entsprechend des Versuchskonzeptes wurde die durchlässige Sandschicht durch die Zugabe von Wasser bewässert. Mit dieser Wasserzugabe wurde ein Regenereignis simuliert, bei dem eine potentiell wasserführende Schicht mit temporärem Schichtwasser beaufschlagt wird. Im vorliegenden Versuchsauf bau wurde ein Bewässerungssystem mit regelbarer Wassermenge mit Bewässerungsraten von 0,1 bis 10 l/ min verwendet. Die Gesamtmenge wurde mit einem Durchflussmessgerät erfasst. In der nachfolgenden Tab. 1 findet sich ein Überblick über die durchgeführten Versuche. Zu berücksichtigen ist, dass es während der Versuchsdurchführung zu einer gewissen Umläufigkeit des Systems gekommen ist, die jedoch erfasst wurde. In der Tabelle sind die dem Böschungssystem zugeführten Netto-Bewässerungsraten unter Abzug der Umläufigkeiten angegeben. 250 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Standsicherheit von Böschungen unter temporär auftretendem Wasser Tab. 1: Übersicht über die durchgeführten Technikumsversuche Nr. Andeckung Netto-Bewässerungsrate Versuchsdauer V1 nein gering (ca. 1,1 l/ min) 8,5-h als Versuch V1a mit weiter reduzierter Bewässerung fortgeführt V1a nein sehr gering (ca. 0,1 l/ min) 1 Woche V4 nein hoch (ca. 5,6 l/ min) 105 min V2 ja gering (ca. 0,8 l/ min) 165 min; → Versagen V3 ja hoch (ca. 7,0 l/ min) 64 min → Versagen Während der Versuche wurden die in der Sandschicht auftretenden Wasserdrücke sowie die zu- und abfließenden Wassermengen über die Zeit gemessen. Im Versuch V1 konnte über die Versuchsdauer von 8,5-h in den beiden oberen Porenwasserdruckgebern ein Anstieg des Porenwasserdrucks gemessen werden, in den beiden unteren Porenwasserdruckgebern wurde hingegen keine signifikante Reaktion gemessen, obwohl es nach ca. 7-h Versuchsdauer zu einem tropfenden Abfluss aus der Sandschicht kam. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Schicht, trotz des über einen halben Tag andauernden simulierten Regenereignisses, nicht voll gesättigt war. Während der Weiterführung des Versuches (V1a) kam es zu einem dauerhaften geringen Wasseraustritt aus der Sandschicht am Böschungsfuß und in allen Porenwasserdruckgebern wurde nach ungefähr zwei Tagen ein weitgehend konstanter Porenwasserdruck von 4 - 8 cm gemessen. Es scheint sich somit eine Wasserführung in der Sandschicht ausgebildet zu haben, die jedoch auf einen Teil der Mächtigkeit der Sandschicht beschränkt ist und somit einem freien Wasserabfluss entspricht. Abgesehen von leichten Erosionserscheinungen am Fuß der Sandschicht war kein Versagen der Böschung zu beobachten. Für den Versuch V4 wurde die Sandschicht vorgesättigt und so konnte auch bereits nach kurzer Zeit eine Durchfeuchtung der Sandschicht an der Böschungsoberfläche festgestellt werden. Die Porenwasserdrücke stiegen kontinuierlich an. Ihr jeweiliges Maximum erreichten die Porenwasserdrücke nach ca. 45 - 52 Minuten. Alle Druckgeber zeigten dabei Porenwasserdrücke, die deutlich größer waren als die Schichtmächtigkeit, es war somit in der Sandschicht von subartesisch gespannten Wasserverhältnissen auszugehen. Der anschließende Abfall aller Porenwasserdrücke in den Gebern dürfte darauf zurückzuführen sein, dass ab ca. Minute 43 die Sandschicht massive Fließerscheinungen zeigte. Bereits einige Minuten vorher konnte der Beginn dieses Vorgangs im linken Böschungsbereich beobachtet werden. Abb. 4 : Technikumsversuch V4 ohne Andeckung und mit hoher Bewässerungsrate, gemessene Druckhöhen der Porenwasserdruckgeber über die Zeit In dem Versuch V2 wurde die Wirkung einer Andeckung auf der Böschungsoberfläche simuliert. Die Andeckung besteht aus bindigem Material und kann z. B. als Andeckung aus verbliebenen Aushubmaterial eines Einschnitts im Verwitterungshorizont oder auch einer mit der Zeit durch Einspülung von Feinanteilen zugesetzten (Mutter-)Bodenbedeckung gedeutet werden. Da diesem Versuch eine leichte Wasserbeaufschlagung zur Vorsättigung vorangegangen war, reagierten die Porenwasserdruckgeber recht schnell auf die Bewässerung. Hierbei konnte mit den beiden unteren Porenwasserdruckgebern ein deutlich größerer Anstieg des Drucks festgestellt werden als bei dem entsprechenden Versuch ohne Andeckung (Versuch V1), der auf einen Aufstau in der Sandschicht hindeutet. Abb. 5 zeigt die maximal gemessenen Druckhöhen der Porenwasserdruckgeber in einem Längsschnitt. Es ist erkennbar, dass es in der Sandschicht infolge der Deckschicht zu einem Aufstau bzw. einem Druckanstieg kommt. Die höchsten gemessenen Wasserdruckhöhen der Porenwasserdruckgeber in den beiden unteren, nicht weit von der Böschungsoberfläche, angeordneten Gebern betrugen 21,8 cm (links) und 23,6 cm (rechts). Sie zeigen einen deutlichen subartesischen Wasserdruck in der Sandschicht, der die Abdeckung belastet und bei längerer Einwirkdauer zum Versagen führen dürfte. Zusätzlich wurde, vermutlich aufgrund des relativ hohen Drucks auf die Andeckung, stellenweise eine erhebliche Durchfeuchtung mit Anzeichen einer beginnenden Erosion festgestellt. Nach einer Versuchspause musste zu Beginn des Versuches V3 davon ausgegangen werden, dass infolge der langen Standzeit des Versuchsauf baus ohne Bewässerung sich die Sandschicht weitgehend entwässert hatte und der Sand nicht mehr gesättigt war. Dementsprechend kam es auch erst nach einer Sättigungsphase des Sandes zu einem Anstieg der Porenwasserdruckgeber. Der Wasserdruck stieg dann infolge der deutlich höheren Bewässerungsrate gegenüber Versuch V2 schnell an und erreichte nach 10 - 20 min sein Maximum. Nach einer Phase von ca. 30 Minuten mit näherungsweise konstanten Wasserdrücken kam es zu Wasseraustritten und Rissbildungen in der an Andeckung, die als Versagen des Systems zu bewerten waren. Die maximal gemessenen Druckhöhen 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 251 Standsicherheit von Böschungen unter temporär auftretendem Wasser lagen nochmals deutlich höher gegenüber dem Versuch V2 (siehe Abb. 5). Abb. 5 : Technikumsversuch V2 (grün) und V3 (rot), Maximale Druckhöhen der Porenwasserdruckgeber in einem Längsschnitt 5. Numerische Simulationen Im Anschluss an die Technikumsversuche wurden Strömungssimulationen mit den Randbedingungen und Parametern aus dem Technikumsversuch zur numerischen Simulation der Versuchsergebnisse durchgeführt. Die Berechnungen wurden als instationäre Berechnungen ausgeführt. Ziel war es, zu untersuchen, ob die aus den Technikumsversuchen gewonnenen Ergebnisse mittels Strömungsberechnungen abgebildet werden können. Zusätzlich wurden auch Böschungsbruchberechnungen zum Nachweis der Standsicherheit bzw. zur Identifizierung von Standsicherheitsdefiziten durchgeführt. Zur Kalibrierung des Modells wurde der Technikumsversuch V4 (ohne Andeckung, hohe Bewässerungsrate) untersucht. Betrachtet wurde hierbei der Zeitpunkt, an dem sich die Sandschicht in Bewegung gesetzt hat bzw. sich massive Erosionserscheinungen zeigten. Zunächst erfolgte eine Variation des Durchlässigkeitsbeiwerts der Sandschicht, um annähernd die Potentialhöhe zu erhalten, welche mit den Porenwasserdruckgebern gemessen worden waren. Aus dieser Simulationsrechnung wurde eine Durchlässigkeit für die Sandschicht von k f = 7,5*10 - 4 m/ s ermittelt, die sehr gut in der Bandbreite der erwarteten Durchlässigkeit des eingebauten Sandes lag und den im Labor ermittelten k f -Werten entsprach. Mit dem so kalibrierten Modell wurde dann der Versuch V3 (mit Andeckung) mit der hohen Bewässerungsrate nachgerechnet. Im Technikumsversuch wurde zum Ende der Bewässerung ein Porenwasserdruck von 0,79-m (bezogen auf die Basis des Versuchsauf baus) gemessen. Die Strömungssimulation ergab im Bereich der unteren Porenwasserdruckgeber ein Porenwasserdruck von 0,86-m. Wenige Zentimeter in Richtung der Böschung beträgt der ermittelte Wert jedoch nur noch 0,80-m und somit ungefähr dem Wert aus dem Versuch. Somit kann davon ausgegangen werden, dass das Modell auch mit der erhöhten Wassermenge die Versuchsbedingungen abbildet. In den Berechnungen ist die Aufsättigung der Wasserschicht durch die voranschreitende Sättigungsfront gut zu erkennen. Die Abb. 6 zeigt die Entwicklung der Durchströmung der Sandschicht. Dargestellt sind die sich ergebenden Potentiale bezogen auf die Basis des Versuchsauf baus. Die instationären Berechnungsergebnisse zeigen eine gute Übereinstimmung mit den beobachteten Ereignissen im Technikumsversuch. Auch wenn sich die Zeiten nicht exakt simulieren ließen, so zeigt doch der Ablauf hinsichtlich der zeitlichen Folge als auch insbesondere der berechneten Potentiale eine hohe Übereinstimmung. Zur Bestimmung der Auswirkung der Wasserströmung auf die Standsicherheit der Böschung wurden mit den Ergebnissen der numerischen Strömungssimulation Böschungsbruchberechnungen nach dem Verfahren nach Bishop mit Gleitkreisen und Lamellenunterteilung durchgeführt. In den Referenzberechnungen ohne Durchströmung der Böschung (Ausgangszustand vor Einwirkung eines temporär auftretenden Wassers) wurde kein Wasserdruck angesetzt. Für die Berechnungen mit Durchströmung der Böschung innerhalb der Sandschicht wurden die Potentiale aus der numerischen Strömungssimulation übernommen. Abb. 6: Numerische Strömungsberechnung, Technikumsversuch V3 mit Andeckung 252 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Standsicherheit von Böschungen unter temporär auftretendem Wasser Aus den Ergebnissen der Berechnungen ist ersichtlich, dass das Auftreten von Wasser im Böschungsbereich einen relevanten Einfluss auf die Standsicherheit von Böschungen besitzt. Mit den numerischen Strömungs- und Standsicherheitsberechnungen konnte ein Versagensmechanismus nachgewiesen werden, der mit den Schichtwasservorkommen im Zusammenhang steht. Während bei den Berechnungen ohne Schichtwasservorkommen sich die Bruchfigur im Böschungsbruchnachweis nicht an der eingelagerten Sandschicht orientiert, sondern sowohl durch die Sandschicht als auch die bindigen Bodenschichten verläuft, handelt es sich bei den Berechnungen mit Schichtwasservorkommen um Bruchmechanismen, die als flach geneigte Kreise sich an der eingelagerten Sandschicht orientieren. Die Ergebnisse der Berechnungen sind in der Tab. 2 zusammengefasst. Tab. 2: Ausnutzungsgrade der Böschungsbruchberechnungen Ausnutzungsgrad m* ohne Andeckung ohne Wasser 0,35 mit Wasser 1,33 mit Andeckung ohne Wasser 0,35 mit Wasser 5,60 Der Verlauf der Gleitkreise durch die Sandschicht bei Durchströmung lässt sich eindeutig den Strömungskräften in der Sandschicht zuordnen. Durch die Andeckung ergeben sich im Modell höhere Wasserdrücke. Folgerichtig sind die berechneten Ausnutzungsgrade in diesem Fall höher als bei den Berechnungen ohne Andeckung. 6. Folgerungen Die Modellversuche und Berechnungen haben gezeigt, dass eine Durchströmung einzelner Schichten nur zu einer mäßigen Erhöhung der Ausnutzugsgrade beim Standsicherheitsnachweis führt. Zu einem deutlichen und häufig als kritisch anzusehenden Einfluss auf die Standsicherheit kommt es jedoch bei einem Aufstau von Schichtwasser in einzelnen Horizonten, z. B. durch eine Böschungsabdeckung. Dieser Effekt verstärkt sich noch, wenn es aufgrund von Durchnässungen zu einer Abnahme von Scherparametern kommt. Mit der numerischen Strömungsberechnung in Kombination mit einer konventionellen Standsicherheitsberechnung steht damit ein wirkungsvolles Werkzeug zur Prognose von Standsicherheitsdefiziten unter Berücksichtigung von temporär auftretenden Schicht- und Sickerwasser zur Verfügung. Literatur [1] Denne, Festag, Gattermann, (2023), Einfluss von temporär auftretendem Grundwasser auf die Standsicherheit von Straßeneinschnittsböschungen, Bundesanstalt für Straßenwesen, Forschungsbericht FE 05.0195/ 2016/ MGB [2] Gattermann, Denne, Festag, (2023), Möglichkeiten zum Einsatz von Mikrowellensonden zur Ermittlung des Wassergehalts in Böden, Ernst & Sohn GmbH, Messtechnik im Bauwesen Special 2023 Diesem Bericht liegen Teile des im Auftrag des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr, vertreten durch die Bundesanstalt für Straßenwesen, unter FE 05.0195/ 2016/ MGB laufenden Forschungsvorhabens zugrunde. Die Verantwortung für den Inhalt liegt allein beim Autor.