Kolloquium Bauen in Boden und Fels
kbbf
2510-7755
expert verlag Tübingen
131
2024
141
Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters – Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung
131
2024
Sergio Camacho
Frank Deuchler
Das Spielhaus des Nationaltheater Mannheim (Baujahr 1957) ist aufgrund veränderter Standards in Bereichen wie Brandschutz und Arbeitssicherheit nicht mehr zeitgemäß. Die anstehende Generalsanierung strebt danach, aus dem Spielhaus ein zeitgemäßes Theatergebäude zu schaffen. Im Rahmen der Generalsanierung sind unterirdische Neubauten geplant. Aufgrund der zahlreichen Besonderheiten im Planungsprozess und der Herstellungsweise rückt der Neubau des Orchesterprobesaals (OPS) im Folgenden in den Fokus. Der OPS wird unterhalb der östlichen Seite des Spielhauses gebaut. Für die Baugrube des OPS ist eine neun Meter tiefe Sicherung durch HDI-Schwergewichtswände erforderlich, sowie verschiedene stählerne Abfangungskonstruktionen, die exklusiv für dieses Bauvorhaben entworfen und ausdetailliert wurden. Sie dienen als tragende Stahltürme und ersetzen wichtige Bauteile sowie als Stabilisierungsgerüst für die freigelegten Franki-Pfähle. Das Tragwerk des OPS wird zwischen den Stahltürmen und freigelegte Franki-Pfähle gebaut. Mittels verschiedene Abfangungsmaßnahmen werden die Franki-Pfähle entlastet und zurückgebaut.
kbbf1410267
14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 267 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung Sergio Camacho, M. Sc. IngenieurGruppe Bauen, Mannheim Dipl.-Ing. (FH) Frank Deuchler IngenieurGruppe Bauen, Mannheim Zusammenfassung Das Spielhaus des Nationaltheater Mannheim (Baujahr 1957) ist aufgrund veränderter Standards in Bereichen wie Brandschutz und Arbeitssicherheit nicht mehr zeitgemäß. Die anstehende Generalsanierung strebt danach, aus dem Spielhaus ein zeitgemäßes Theatergebäude zu schaffen. Im Rahmen der Generalsanierung sind unterirdische Neubauten geplant. Aufgrund der zahlreichen Besonderheiten im Planungsprozess und der Herstellungsweise rückt der Neubau des Orchesterprobesaals (OPS) im Folgenden in den Fokus. Der OPS wird unterhalb der östlichen Seite des Spielhauses gebaut. Für die Baugrube des OPS ist eine neun Meter tiefe Sicherung durch HDI-Schwergewichtswände erforderlich, sowie verschiedene stählerne Abfangungskonstruktionen, die exklusiv für dieses Bauvorhaben entworfen und ausdetailliert wurden. Sie dienen als tragende Stahltürme und ersetzen wichtige Bauteile sowie als Stabilisierungsgerüst für die freigelegten Franki-Pfähle. Das Tragwerk des OPS wird zwischen den Stahltürmen und freigelegte Franki-Pfähle gebaut. Mittels verschiedene Abfangungsmaßnahmen werden die Franki-Pfähle entlastet und zurückgebaut. 1. Einführung 1.1 Allgemeines Im Jahre 1957 wurde das neue Spielhaus am Goetheplatz des Nationaltheaters Mannheim erbaut und ersetzte somit das während des zweiten Weltkrieges zerstörte alte Theater am Schillerplatz. Das Spielhaus besteht hauptsächlich aus zwei Hauptspielstätten: dem Großen Haus, einem beindruckenden Opernhaus mit rund 1200 Sitzplätzen, und dem Kleinem Haus, einem vielseitigen Schauspielhaus mit etwa 630 Plätzen. Beide Häuser teilen sich ein gemeinsames Foyer, das als zentraler Ort für die Begegnungen und als Treffpunkt für die Besucher dient. Das damals neu errichtete Spielhaus gehörte zu den modernsten Theatergebäuden weltweit. Mehr als 60 Jahre nach seiner Erbauung bleibt das Haus ein kulturelles Herzstück der Stadt Mannheim. Dank seiner zeitlosen Architektur und Funktionalität ist es nicht nur ein bedeutendes Kulturdenkmal, sondern auch im Denkmalbuch Baden-Württemberg eingetragen. Allerdings haben sich im Laufe der Zeit die Anforderungen an öffentliche Versammlungs- und Kulturstätten grundlegend verändert. Insbesondere Aspekte wie Brandschutz, Arbeits- und Betriebssicherheit und technische Anforderungen sind so stark fortgeschritten, dass das Spielhaus des Nationaltheater Mannheim nicht mehr den zeitgemäßen Standards entspricht. Die anstehende Generalsanierung des Spielhauses des Nationaltheaters Mannheim soll sicherstellen, dass das Theatergebäude den Standards des Baurechts, der Arbeits- und Betriebssicherheit, des Brandschutzes, des Denkmalschutzes und des Spielbetriebs entspricht. Ziel ist es, ein zeitgemäßes und funktionsfähiges Theatergebäude zu schaffen. 1.2 Rahmen der Generalsanierung Im Zuge der umfassenden Sanierung des Spielhauses werden aus Sicht der Tragwerksplanung unterschiedliche Maßnahmen im Bestand durchgeführt sowie verschiedene Neubauten konzipiert (siehe Abb.- 1 und Abb. 2). Zu den Arbeiten im Bestand gehören unter anderem der Bau verschiedener neuer, tragender Zwischendecken sowie ein zusätzlicher Lastenaufzugskern. Zudem müssen Teile der vorhandenen Wand- und Deckendurchbrüche im Rahmen der umfangreichen Modernisierung der Haustechnik angepasst werden, unter Berücksichtigung von Verstärkungsmaßnahmen. Die Neubauten setzen sich hauptsächlich aus unterirdischen Bauwerken zusammen, die überwiegend durch neue Türöffnungen und Flure mit dem bestehenden Gebäude verbunden sind. Hierzu zählen unter anderem Werkstätten, Stimmzimmer, der Chorprobesaal und der Orchesterprobesaal. Für sämtliche Neubauten sind Baugruben vorgesehen, die auf vielfältige Weise gesichert werden sollen. 268 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung Abb. 1: überarbeiteter Planausschnitt (Werkplanung): Übersicht der Baumaßnahmen Abb. 2: überarbeiteter Planausschnitt (Werkplanung): Übersicht der Baumaßnahmen 1.3 Der Orchesterprobesaal (OPS) Aufgrund der zahlreichen Besonderheiten im Planungsprozess und der Herstellungsweise rückt der Neubau des Orchesterprobesaals im Verlauf dieser Ausarbeitung besonders in den Fokus. Die Planung des neuen Saals wurde von verschiedenen maßgeblichen Randbedingungen beeinflusst. Unter anderem waren die begrenzte freie Grundstücksfläche sowie das vorgegebene Mindestraumvolumen aus arbeitsrechtlichen Gründen entscheidende Faktoren. Darüber hinaus war aus Denkmalschutzgründen ein oberirdisches Bauwerk am Spielhaus nicht realisierbar. Mit Blick auf diese Randbedingungen und gestützt durch diverse Voruntersuchungen - sowohl rechnerischer als auch praktischer Natur - sowie interner Erfahrungen aus früheren Projekten wurde der Plan für einen neuen Saal entwickelt. Dieser sieht vor, den neuen, größeren Orchesterprobesaal nachträglich unterhalb des östlichen Teils des Spielhauses zu errichten (siehe Abb. 3 bis Abb. 8). Für den Bau dieses Saals wird eine etwa acht Meter tiefe Baugrube benötigt, die durch mittels HDI-Verfahren hergestellte Schwergewichtswände gesichert wird. Aufgrund des unkonventionellen Baufortschritts „von oben nach unten“ sind aufwendige stählerne Abfangungskonstruk- 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 269 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung tionen erforderlich, wodurch bedeutende tragende Bauteile komplett ersetzt und exklusiv für dieses Bauvorhaben entworfen und ausgearbeitet wurden. Dazu gehören Stahltürme aus Mikropfähle und Mantelrohre, die die Gebäudelasten in die tragenden Bodenschichten einleiten, sowie Stahlgerüste, die die Pfahlgründung im Zuge des Erdaushubes gegen ein Ausweichen stabilisieren. Bei Abschluss der Baugrube steht der östliche Teil des Spielhauses teilweise auf den genannten Stahltürmen bzw. auf den freigelegten Pfählen, die seitlich durch die Stahlgerüste gehalten werden. Die Realisierung des neuen Saals erfolgt in zwei wesentlichen Arbeitsschritten. Zunächst wird der Neubau unter Berücksichtigung der Stahltürme und der stabilisierten Pfähle errichtet. Dabei werden temporäre Öffnungen in den Decken und Wänden des Neubaus vorgesehen, die nachträglich nach dem Abbruch der Stahltürme und der Pfähle zubetoniert werden. Um den Rückbau des Stahlbaus und der Pfahlgründung zu ermöglichen, müssen die bestehenden Lasten zunächst auf dem Neubau mittels geschweißter Stahlträger umgelastet werden. Anschließend erfolgt der Abbruch. In den nachfolgenden Abschnitten wird auf verschiedene Einzelheiten des Planungs- und Herstellungsprozesses eingegangen. Abb. 3: Planausschnitt (Werkplanung): Mittelschnitt, vorhandener Orchesterprobesaal Abb. 4: überarbeiteter Planausschnitt (Werkplanung): Mittelschnitt, neuer Orchesterprobesaal Abb. 5: Planausschnitt (Werkplanung): Querschnitt gegen die Achse 17,5 Abb. 6: überarbeiteter Planausschnitt (Werkplanung): Querschnitt gegen die Achse 17,5 Abb. 7: Übersichtsplan der vorhandenen Gründung (IngenieurGruppe Bauen): Franki-Pfähle (Grün) und Fundamentbalken (hellgrau) 2. Beschreibung des vorhandenen Bauwerks 2.1 Allgemeines Das Spielhaus des Nationaltheaters befindet sich am östlichen Rand des Mannheimer Stadtzentrums und ist mit seiner kurzen Seite nach Westen ausgerichtet. Der Grundriss des Spielhauses ist trapezförmig und erstreckt sich über etwa 130 m. An der breitesten Stelle misst es etwa 54 m, während die kürzeste Seite eine Größe von etwa 40 m aufweist. Im Regelbereich erreicht die Höhe 270 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung des Spielhauses etwa 18 m, wohingegen im Bereich der Bühnentürme eine Höhe von etwa 33 m zu verzeichnen ist. Weiterhin wird das Spielhaus entlang seiner langen Seite in zwanzig Zahlenachsen unterteilt, während die Breite des Gebäudes in zehn Buchstabenachsen gegliedert ist. Unterhalb der westlichen Seite des Spielhauses, zwischen den Achsen 2 bis 14, befindet sich ein Luftschutzbunker (siehe Abb. 1). Das Tragwerk des Spielhauses setzt sich hauptsächlich aus Stahl- und Stahlbetonbauteilen zusammen, wobei letztere überwiegen. Neben einem regelmäßigen Stützenraster sind einfache horizontale tragende Bauteile vorhanden, die die Lasten aus den verschiedenen Ebenen in den aufgehenden Bauteilen, wie Stahlbetonstützen, -wände und Mauerwerkswände, ableiten. Um die Gebäudelasten in die tragfähigen Böden einzuleiten, sind zwei wesentliche Systeme implementiert. Zum einen gründet das Gebäude auf den massiven Stahlbetonwänden des vorhandenen Luftschutzbunkers, welche mittels massiver Vorsatzschalen und nachträglich hergestellter Pfähle die Gebäudelasten in die tragfähigen Bodenschichten weiterleiten (zwischen Achse 1 und 14). Zum anderen erfolgt die Einleitung der Gebäudelasten über Fundamentbalken, Wandscheiben und Pfähle in die tieferen Bodenschichten (zwischen Achse 14 und 20). Abb. 8: überarbeiteter Planausschnitt (Werkplanung): Grundriss des neuen Orchesterprobesaal 2.2 Pfahlgründung und Fundamentbalken Die bestehende Pfahlgründung setzt sich aus einzelnen Ortbetonrammpfählen (Verdrängungspfählen) mit unterschiedlichem Durchmesser und Pfahllast zusammen (siehe Abb. 7). Die vorliegenden Unterlagen weisen auf die bekannten Franki-Pfähle hin. Die Herstellung eines Franki-Pfahls erfolgt durch ein Rammverfahren. Im Gegensatz zu herkömmlichen Bohrpfählen, bei denen der anstehende Baugrund durch das Abbohren des Rohres ausgehoben wird, wird beim Franki-Pfahl über einen vorhandenen Betonpfropfen an der Spitze des Rohres mit Hilfe einer Ramme in den Baugrund eingeschlagen. Dabei erfolgen eine unmittelbare Verdrängung und Verdichtung des Baugrunds in der näheren Umgebung. Nach Erreichen der geplanten Tiefe wird der Betonpfropfen aus dem Rohr ausgetrieben und energiegesteuert in den Baugrund eingerammt. Anschließend wird der Bewehrungskorb in das Rohr eingestellt und ebenfalls mit der Ramme Beton eingestampft, während gleichzeitig das Rohr gezogen wird. Abhängig von der Beschaffenheit des Baugrunds wird ein Franki-Pfahl oft deutlich größer im Durchmesser als ursprünglich geplant. Zudem wird durch die Rammenergie die rechnerische Tragfähigkeit häufig übertroffen, sowohl hinsichtlich des rechnerischen Spitzendrucks als auch der 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 271 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung seitlichen rechnerischen Mantelreibung, oft sogar weit übererfüllt. Dabei übernimmt der Pfahlfuß einen erheblichen Anteil der Lasten. Solche Pfähle kommen in der Regel zum Einsatz, wenn in großen Tiefen ein tragfähiger Baugrund vorhanden ist, was mit den vorliegenden Bodenschichten übereinstimmt. Die tragfähigen Bodenschichten sind etwa neun Meter unterhalb der Geländeoberkante zu finden. 2.3 Tragkonstruktion im Bereich des neuen OPS Der neue Orchesterprobesaal mit den Technikräumen und dem Verbindungsbau erstreckt sich im Grundriss zwischen den Achsen 15,5/ C-D bis 19,5/ C´ und 16,5/ C´- D´ bis 18/ A´. Zudem ragen die neuen Bauteile teilweise bis zu 8 m unter die Geländeoberkante. Im ersten Bereich integriert sich der Neubau teilweise in die Deckenkonstruktion über dem Erdgeschoss. Im zweiten Bereich endet der Neubau teilweise unterhalb des Erdgeschosses. Die vorhandene Tragkonstruktion in diesem Bereich wird im Zuge des Neubaus teilweise ersetzt oder gesondert abgefangen und setzt sich aus folgenden Bauteilen zusammen. Die Decke über dem Erdgeschoss, zwischen den Achsen 15,5/ C-D bis 20/ C´-D´, besteht vorwiegend aus dem Doppelboden des Zuschauerraumes (zwischen Achse 15,5 bis 18,5, siehe Abb. 3) sowie aus einer Rippendeckenkonstruktion als Boden der Küche und der Kantine (zwischen Achse 17,5 bis 20, siehe Abb. 3). Die gesamte Deckenkonstruktion spannt als Mehrfeldträger in Richtung der Buchstabenachsen und findet ihre Auflager in den Achsen 15,5, 16, 16,5, 17, 17,5, 18, 18,5, 20. In den Achsen 16 und 17 befinden sich tragende Mauerwerkswände (siehe Abb. 3 und Abb. 9), die von massiven Fundamentbalken auf Franki-Pfählen abgefangen werden. Die tragende Mauerwerkswand in der Achse 15,5 steht auf einer Wandscheibe des Orchestergrabens, die von verschiedenen Franki-Pfählen abgefangen wird. Weiterhin sind in den Achsen 16,5, 17,5 und 18 massive Unterzüge vorhanden (siehe Abb. 7). Dabei handelt es sich um einen Zweifeldträger mit gleichlangen Feldern (Achse 16,5) und zwei Dreifeldträger mit großem Mittelfeld (Achse 17,5 und 18). Die Auflager der Unterzüge sind Stahlbetonstützen, die ihre Lasten direkt in die Pfahlgründung weiterleiten. Das Auflager der Deckenkonstruktion in der Achse 18,5 besteht aus einer massiven Wandscheibe (siehe Abb. 7), die bis in die Dachebene ragt. Hierbei übernehmen insgesamt zehn Franki-Pfähle die Lasten in den Achsen 18,5/ C-D und 18,5/ C´-D´. Zwischen den Achsen 18,5 und 20 trägt die vorhandene Rippendecke als Einfeldträger. Die massive Wandscheibe in der Achse 18,5 übernimmt einen Teil der Lasten. Der Unterzug in der Achse 20 leitet die Lasten zu den Außenstützen weiter, unter denen sich jeweils ein Franki-Pfahl befindet. Abb. 9: überarbeiteter Bestandsplan (ehe. Bauingenieurbüro Fritz Grebner): tragende Bauteile im OPS- Bereich Im Gebäudebereich zwischen den Achsen 16,5/ C´-D´ bis 18/ A´ werden die Gebäudelasten von Stahlbetonstützen (16,5/ C´, 17/ C´, 17,5/ C´, 18/ C´, 17/ B´, 18/ B´, 17/ A´, 18/ A´) und tragenden Mauerwerkswänden (16-18/ C´-D´, 16,5-18/ B´) abgefangen. Verschiedene Franki-Pfähle leiten diese Lasten in die tragenden Bodenschichten weiter. 3. Voruntersuchungen am Bauwerk In den frühen Phasen der Entwurfsplanung wurden diverse Untersuchungen am Bauwerk durchgeführt, um die grundlegenden Rahmenbedingungen für die Planung der Baugrubensicherung sowie verschiedener Abfangungsmaßnahmen zu ermitteln. 3.1 Probeschürfen an der Pfahlgründung Teilweise sollen verschiedene Franki-Pfähle im Zuge der Baugrubenherstellung über mehrere Meter hinweg freigelegt werden, um weiterhin Gebäudelasten in den tragfähigen Boden einzuleiten (s. u.). Bei den rechnerischen Untersuchungen eines solchen Szenarios spielten die geometrischen Abmessungen sowie die vorhandene Bewehrung der Pfähle eine entscheidende Rolle. Die vorliegenden Schal- und Bewehrungspläne der Fundamentbalken zeigen die ursprünglich geplanten Franki-Pfähle, die mit einer Nummerierung versehen sind. Dadurch war dem Planungsteam die genaue Lage der einzelnen Pfähle bekannt. Die Nummerierung der Pfähle auf den Konstruktionsplänen stellt auch den Bezug zur statischen Lastermittlung der einzelnen Pfähle in der statischen Berechnung dar. Gemäß den tabellarisch ermittelten Pfahllasten sind die Pfahltypen entsprechend ihrer Tragfähigkeit zugeordnet. Die Pfähle, die im Rahmen der Baugrubenherstellung freigelegt werden sollten, gehören dem Pfahltyp „Typ 3“ an. 272 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung Tab. 1: Pfahltypen aus den vorh. Unterlagen Typ 1 Typ 2 Typ 3 50 to/ 500 kN 100 to/ 1000 kN 150 to/ 1500 kN Abb. 10: Probeschürfen am Pfahl 20/ B (Typ 3) Aufgrund der begrenzten Menge an verfügbaren Unterlagen zur Pfahlgründung wurden Probeschürfe an verschiedenen Pfählen durchgeführt (siehe Abb. 10). Insbesondere wurden Probeschürfe und Bauteiluntersuchungen an den Pfählen in der Achse 20/ B (Typ 3) und in der Achse 20/ E (Typ 2) durchgeführt. Im Vergleich zu den Konstruktionsplänen wiesen die Pfähle größere Durchmesser ( ≧ 50 cm) auf. Zur Bestimmung der vorhandenen Bewehrung wurde die Betondeckung abgestemmt. Die Bewehrung bestand aus der ü blichen Wendelbewehrung ( Ø = 6 mm) sowie sechs Längsstäben mit unterschiedlichem Durchmesser (20/ B: Ø = 20 mm, 20/ E: Ø = 16 mm). Anhand der festgestellten Geometrie, Pfahllasten, vorgegebener Kennwerte aus dem geotechnischen Bericht (qb,k = 4000 kN/ m², qs,k = 1600 kN/ m²) und der Bodenverhältnisse konnte die innere und äußere Tragfähigkeit der Pfähle im Normalfall nachgewiesen werden. Gemäß den genannten rechnerischen Vorgaben sollten die Pfähle des Typs 3 etwa 1,8 m in die tragfähigen Sande und Kiese eingebunden sein bzw. über 5 m unterhalb der Baugrubensohle (89,02 mNN) reichen. Zusätzlich wurden die Pfähle, die während der Baugrubenherstellung freigelegt wurden, mit den Erkenntnissen aus den Probeschürfen rechnerisch untersucht. Dabei wurden die Pfähle als Pendelstützen mit einer Knicklänge zwischen neun und acht Metern und reduzierter Last im Bauzustand berechnet. Die Berechnungen zeigten Ausnutzungen um die 1,0, wobei die Überschreitungen und Unterschreitungen geringfügig waren. Aufgrund der unabhängigen Durchführung der Berechnungen an einzelnen Systemen und der Redundanz im Bauzustand wurde aus Sicht der Tragwerksplanung eine Erhöhung der seitlich wirkenden Steifigkeit der freigelegten Pfähle als erforderlich erachtet (s. u.). 3.2 Grundwasserverhältnisse Die im geotechnischen Bericht angegebenen Grundwasserstände sehen wie folgt aus. Der 200-jährige Grundwasserstand (90,03 mNN) liegt etwa 1,3 m über der Baugrubensohle des Orchesterprobesaals. Aufgrund des Gewichts ist ein Aufschwimmen der neuen Bodenplatte nicht möglich. Zusätzlich wurde der Grundwasserstand während der Bauzeit (10-jähriges GW) auf der Kote 89,7 mNN geschätzt, was mit der Unterkante der Sauberkeitsschicht des neuen Orchesterprobesaals übereinstimmt. Ein Datenlogger wurde vom geotechnischen Sachverständigen in unmittelbarer Nähe zum Baufeld des zukünftigen Orchesterprobesaals installiert, um den Grundwasserpegel über 18 Monate zu überwachen (siehe Abb. 11). Die Messergebnisse ergaben folgende Erkenntnisse: Der maximal gemessene Grundwasserstand (88,2 mNN) lag etwa 80 cm unterhalb der zukünftigen Baugrubensohle des Orchesterprobesaals. In den Bereichen der Werkstätten und Stimmzimmer lag der maximale gemessene Grundwasserpegel zwischen zwei und drei Metern unterhalb der geplanten Baugrubensohle. Nur die neue Baugrube des Chorproberaums wäre für etwa 7 Tage um ca. 12 cm überschwemmt worden. Des Weiteren stellen die Grundwasserstände im Baufeld Ereignisse von Hochwassersituationen im Neckar dar. Diese resultieren aus extremen Regenfällen, besonders im Frühjahr durch Regen und gleichzeitige Schneeschmelze. Die Hochwasser im Neckar kommunizieren über einen Querfluss in den Kiesbodenschichten mit dem Rhein und sind zeitlich auf wenige Tage begrenzt. Nach Absinken des Wasserhochstands im Neckar normalisieren sich auch die Grundwasserstände in den Mannheimer Kiesschichten. Abb. 11: Überarbeiteter Auszug aus der Grundwassermessung (WPW Geoconsult - Südwest) 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 273 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung In Anbetracht dieser faktischen Gesamtsituation haben Planer und Bauherren auf den Einsatz einer Grundwasserhaltung verzichtet. Das 200-jährige Grundwasser führt in Mannheim zu umfassenderen Problemen als nur auf der Baustelle am NTM. Extreme Hochwassersituationen, die das Baufeld beeinträchtigen könnten, wurden in der zurückliegenden Beobachtungszeit nicht erfasst. Sie wären jedoch, wie zuvor beschrieben, zeitlich begrenzt. Eine dichte Baugrubensohle und eine umfassende Grundwasserabsenkung würden sich auf diese Hochwasserzeiten beziehen und wären daher verhältnismäßig kostspielig. Das großflächige Baufeld ermöglicht eine Anpassung der Bauausführungen auf nicht betroffene Bereiche, um umfangreiche Stillstände zu vermeiden. 3.3 Bodenverhältnisse Das Gelände umfasst Gehwegplatten mit einer Dicke von 8 cm im südlichen und westlichen Teil sowie Parkplätze mit einer bis zu 7 cm mächtigen Schwarzdecke im nördlichen und östlichen Bereich. Unter den Oberflächenbefestigungen und Grünflächen liegt Mutterboden, darunter Auffüllungen aus gemischtkörnigen Sanden und teilweise aus Bauschutt bis in einer Tiefe von 3 bis 5 m. In Tiefen von 4,4 m bis 7,6 m befinden sich plastische Tone, deren Konsistenz mit zunehmender Tiefe abnimmt. Darunter liegen dicht gelagerte Sand- oder Kiesböden. Die Lagerungsdichte steigt mit zunehmender Tiefe. 4. Sicherung der Baugrube des OPS Im Anfangsstadium des Entwurfs wurden diverse Verbauarten, darunter verankerte Spundwände, Berliner Verbau und HDI-Schwergewichtswände, zur Sicherung der tiefen Baugrube des späteren OPS untersucht. Neben der statischen Berechnung erfolgte eine Überprüfung der Machbarkeit dieser Verbauarten in beengten Raumverhältnissen. Für die Herstellung der Baugrubensicherung wurde im Gebäude eine Raumfreiheit von etwa 4,5 m vorgesehen. Die Maschinen zur Errichtung von Spundwänden und Berliner Verbauten sind für diese Raumfreiheit zu groß. Im Vergleich zu anderen Verfahren der Baugrubensicherung oder Unterfangungsarbeiten erfordert das Düsenstrahlverfahren nur vergleichsweise kleine Geräte, die unter Umständen sogar im Inneren des Gebäudes eingesetzt werden können. Durch kurze Schusslängen der Bohrlafette kann flexibel auf kleinere Raumverhältnisse reagiert werden. Ein weiterer Vorteil des Düsenstrahlverfahrens gegenüber herkömmlichen Bodeninjektionen besteht darin, dass DSV-Körper bis knapp unter die Geländeoberkante hergestellt werden können, ohne dass in der Regel bei umsichtiger Vorgehensweise Hebungen zu befürchten wären. Die Sicherung der Baugrube des Orchesterprobesaals erfolgt mittels Schwergewichtswänden, die mit dem HDI- Verfahren hergestellt werden (siehe Abb. 12). Da die Gebäudelasten von der Pfahlgründung in die tiefen Bodenschichten weitergeleitet werden, müssen die Schwergewichtswände hauptsächlich Erddrucklasten standhalten. An wenigen Stellen werden Gebäudelasten im Rahmen des Neubaus über die Schwergewichtswände in den Boden eingetragen. Grundsätzlich lässt sich das HDI-Verfahren gut in den vorhandenen Bodenverhältnissen anwenden, wenngleich einige Bodenschichten für die Herstellung der erforderlichen Geometrie herausfordernd sind. Hierzu gehört unter anderem das Vorschneiden der Tonschicht. Das Verfahren wird außerdem für Auffüllungen (z. B. Kriegsschutt) und für einen älteren tiefergelegten Tennisplatz angepasst. Hierfür sind verschiedene Probesäulen vorgesehen, um die Düsenparameter an die vorhandenen Bodenschichten anzupassen. Des Weiteren sind zusätzliche Maßnahmen im Falle nennenswerter Fehlstellen im statischen Körper aufgrund von Inhomogenitäten im Boden vorgesehen. Beispielsweise können solche Fehlstellen durch Spritzbeton oder Nachinjektionen ausgebessert werden. Abb. 12: Entwurfsplanung (IngenieurGruppe Bauen): Schnitt in der Achse 16, HDI-Schwergewichtswände, Zwillingsträger und Lastturm, gewölbeartige Öffnung 5. Abfangmaßnahmen der Bestandskonstruktion Die Planung der Baugrube erstreckt sich von den Achsen 15,5/ C-D bis 19,5/ C´ und 16,5/ C´-D´ bis 18/ A´. In diesem Bereich stellt die vorhandene Tragkonstruktion eine Herausforderung für die geplanten Bauarbeiten dar. Um die Umsetzung der Baugrube und des Neubaus zu erleichtern, ist der Ersatz und teilweise der Abriss einiger tragender Bestandsbauteile unausweichlich. Insbesondere stellen die tragenden Mauerwerkwände in den Achsen 16/ D-D´ und 17/ D-D´ sowie die Stahlbetonstütze in der Achse 16,5/ E-E´ (siehe Abb. 3, Abb.9, Abb.12 und Abb.-22). Hindernisse für den Zugang zu den hinteren Bereichen des Bestandsgebäudes für die geplanten Baumaschinen dar. Es gibt jedoch auch tragende Bauteile, die die Baugrubenherstellung nicht beeinträchtigen und im Bauzustand zur Lastabtragung genutzt werden können. Hierbei handelt es sich vorrangig um verschiedene Franki-Pfähle, die im Verlauf des Aushubs freigelegt und verstärkt werden. Des Weiteren werden im Rahmen der Erdarbeiten verschiedene Fundamentbalken entfernt, wodurch die Kopplung am Pfahlkopf einiger Franki-Pfähle im Bauzustand entfällt und entsprechend ersetzt werden muss. 274 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung 5.1 Lasttürme Die genannten Mauerwerkswände werden durch Zwillingsträger (Achse 16: 2xHEB 500, Achse 17: 2xHEB 550) ersetzt. Im Bauzustand fungieren sie als Zweifeldträger mit gleichlangen Feldern. Die äußeren Auflager sind bestehende Stahlbetonstützen, die für die neuen Lasten entsprechend angepasst werden (siehe Abb. 13). Durch Kernbohrungen am Stützenkopf und neue Querträger werden die Lasten in die Stützen eingeleitet (siehe Abb. 14). Für die mittleren Auflager der Zwillingsträger sind stählerne Lasttürme vorgesehen. Beide Türme bestehen aus jeweils vier verpressten Mikropfählen, die mit Stahlrohren und weitere Stahlprofile zu tragenden Türmen verschweißt werden (siehe Abb. 15). Die ausgewählten Stahlbauprofile umfassen I-, U-, L- und Rohrprofile. Für die Mikropfähle wurde das Produkt der Firma Ischebeck „Mikropfähle TITAN“ aufgrund der hohen Belastbarkeit gewählt (siehe Abb. 16) . Der Bau der Türme erfolgt in gleicher Weise: Zuerst werden die Mikropfähle und Rohre (Mantelrohre) bis zur geplanten Tiefe in den Boden gleichseitig gebohrt. Dabei ragen die Mikropfähle etwa sechs Meter tiefer in den Boden als die Mantelrohre, während letztere etwa zwei Meter über das Bohrniveau hinausragen. Die Mikropfähle enden direkt unterhalb der Zwillingsträger und überragen die Mantelrohre um etwa zwei bis vier Meter. Der Verpresskörper wird erstellt, und der Raum zwischen Mikropfahl und Mantelrohr wird mit Verpresssuspension gefüllt. Nach einer erforderlichen Aushärtezeit des Verpressguts wird die Kopfkonstruktion der Türme montiert (siehe Abb. 15, Abb. 13, Abb. 16. Abb. 20). Diese Konstruktion setzt sich aus verschiedenen Ebenen aus U-Profilen und massiven Stahlplatten zusammen, die miteinander verschweißt werden. Die stählerne Ebene wird durch Kugelbundmuttern und spezielle Stahlplatten (Lieferprogramm Fa. Ischebeck) kraftschlüssig mit den Mikropfählen und den Zwillingsträgern handfest vorgespannt. Abb. 13: Ausführungsplanung (IngenieurGruppe Bauen): Ansicht der Zwillingsträger (Achse 16 u. 17) Der weitere Bau der Türme erfolgt nach der Herstellung der Abfangkonstruktion in der Achse 16,5/ E-E´, die die vorhandene Stahlbetonstütze ersetzt. Hierfür ist ein weiterer Zwillingsträger (2xHEB450) vorgesehen, der zwischen den Stahltürmen als Einfeldträger spannt (siehe Abb. 15 und Abb. 17). Die HEB450 werden seitlich an der vorhandenen Stütze angeordnet. Auf jedem Träger steht eine Stahlstütze in der Mitte des Feldes, die bis zur Unterkante des vorhandenen Stahlbetonunterzugs (s. o.) geführt wird. Nach dem kraftschlüssigen Verbund zwischen den Stahltürmen und der genannten Abfangkonstruktion mit dem Bestand erfolgt der kontrollierte Rückbau der Mauerwerkswände und der Stahlbetonstütze. Anschließend kann der Bau der Türme fortgesetzt werden. Dabei werden die Mantelrohre parallel zum Erdaushub mittels U-Profilen und horizontalen Auskreuzungen in mehreren vorgegebenen Höhen verschweißt. Grundsätzlich sieht das Tragverhalten der Türme wie folgt aus: Die Lasten aus den Zwillingsträgern werden über die verschiedenen stählernen Ebenen der Kopfbauten in die Mikropfähle als Normalkräfte weitergeleitet. Die Kugelbundmuttern inklusive Stahlplatten sorgen für die Lastübertragung zwischen dem Stahlbau und den Mikropfählen. Die Mikropfähle sind nicht in der Lage die gesamte Höhe im Endzustand (Achse 16: ca. 14,5 m, Achse 17: ca. 16,5 m) ohne seitliche Stabilisierung zu überbrücken. Die mächtigen Mantelrohre und die biegesteifen Verbindungen zwischen ihnen sowie mit horizontalen Auskreuzungen stabilisieren die Mikropfähle gegenüber Abtriebskräften, die aus Schiefstellungen durch Bohrvorgänge sowie Vorkrümmungen von Bauteilen resultieren. Im Wesentlichen leiten die Verpresskörper die Normalkräfte an den unteren Enden der Türme in den tragfähigen Boden. Die horizontalen Auflagerkräfte, die aus den berücksichtigten Abtriebskräften resultieren, werden von mächtigen Zementkörpern aufgenommen und in den Boden eingeleitet. Ein aufwändiges Setzungsmonitoring begleitet die Baumaßnahme. Im Falle von Setzungen kann der Bestand durch in die Stahltürme eingeplante Pressenkammern angehoben werden. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 275 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung Abb. 14: Ausführungsplanung (IngenieurGruppe Bauen): Auflagerausbildung für die Zwillingsträger Abb. 15: Ausführungsplanung (IngenieurGruppe Bauen): Ansicht der Kopf bauten der Lastturme Abb. 16: Mantelrohre und Mikropfähle Abb. 17: Ansicht der Kopf bauten der Lasttürme 276 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung Abb. 18: Ausführungsplanung (IngenieurGruppe Bauen): Ansicht der Lastturme, gewölbeartige Öffnung 5.2 Stabilisierungstürme mit Kopfverband Im Verlauf der Aushubarbeiten müssen mehrere Franki- Pfähle freigelegt werden. Eine umfassende Abstützung aller Pfahl-Lasten wäre aufgrund ihrer enormen Größe mit erheblichem Aufwand verbunden. Daher werden diese Pfähle für die Lastabtragung im Bauzustand weiterverwendet und im Zuge des Aushubs mit Stabilisierungstürmen gesichert, um ein Ausknicken zu verhindern (siehe Abb. 19). Die Konstruktion der Stabilisierungstürme entspricht im Wesentlichen der der Lasttürme, wobei einige Stabilisierungstürme von der rechteckigen Form des Grundrisses abweichen. Des Weiteren erfolgt die Herstellung der Stabilisierungstürme in ähnlicher Weise wie bei den Lasttürmen. Zunächst werden die Mantelrohre und Mikropfähle bis zu den geplanten Tiefen gebohrt und während des Aushubs mithilfe von Stahlprofilen miteinander verbunden. Um den horizontalen Kraftschluss zwischen Turm und Pfahl herzustellen, werden die Lücken zwischen den verschiedenen Koppelebenen und dem Franki-Pfahl mit Beton ausgefüllt (siehe Abb. 19). Die entfernten Fundamentbalken dienten als konstruktive Kopf halterung für die Franki-Pfähle. Ein Verband aus robusten Stahlrohren wird die entfernten Fundamente ersetzen (siehe Abb. 20). Dieser Verband ist teilweise mit den Stabilisierungstürmen an der letzten Koppelebene verschweißt und teilweise an den Stahlbetonstützen oberhalb der Franki-Pfähle befestigt. Die Verbindungspunkte des Verbandes erfolgen durch die Anbindung an weitere vorhandene Bauteile, die von der Baumaßnahme kaum betroffen sind und mit dem verbleibenden Rost aus den Fundamentbalken verbunden werden. 5.3 HDI-Ummantelung vereinzelte Pfähle Einige der Franki-Pfähle befinden sich teilweise direkt an der Kante der Verbauwand. Diese Positionierung erschwert die Errichtung ähnlicher Stabilisierungstürme (s. o.), weshalb alternative Sicherungsmaßnahmen für diese Pfähle getroffen werden. Die Franki-Pfähle werden entlang ihrer gesamten Höhe mit HDI-Säulen ummantelt, wodurch der Durchmesser der Pfähle um mindestens 80 bis 100 cm vergrößert wird. Die Ummantelung gewährleistet durch ihre Steifigkeit eine seitliche Sicherung der Pfähle. 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 277 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung Abb. 19: Ausführungsplanung (IngenieurGruppe Bauen): Ansicht der verschiedenen Stabilisierungstürme Abb. 20: Ausführungsplanung (IngenieurGruppe Bauen): Isometrie des Kopfverbandes 278 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung 6. Zusammenspiel der verschiedenen Maßnahmen zur Herstellung der Baugrube Während der Entwurfsphase wurde das Zusammenspiel der verschiedenen Maßnahmen (Erd-, Abbruch-, Abfangungs- und Sicherungsmaßnahmen) zur Errichtung der Baugrube aus der Perspektive der Tragwerksplanung sorgfältig geplant und in einem Ablaufplan strukturiert. Die bestehende Tragkonstruktion spielte dabei eine entscheidende Rolle und prägte den Ablaufplan wesentlich. In einem ersten Schritt entstehen die vorübergehenden Zugänge entlang der Achse 20 und an der Achse B´ (siehe Abb. 21). Anschließend werden nichttragende Elemente wie Bodenplatten und Trennwände entfernt. Parallel zu diesen Maßnahmen entstehen gewölbeartige Öffnungen in den Mauerwerkswänden entlang der Achse 16 und 17 (siehe Abb. 12, Abb. 18 und Abb. 22), um die Montage der langen Zwillingsträger zu ermöglichen und die Kopfkonstruktion der Lasttürme zu errichten. Des Weiteren erfordert der Abbruch mancher tragender Flurwände, die teilweise Bereiche der Decke über dem Erdgeschoss tragen, eine spezielle Vorgehensweise. Die Decke wird mittels robuster stählerner Konstruktionen nach oben abgefangen, was den Rückbau der Flurwände ermöglicht. Gleichzeitig werden die Fundamentbalken freigelegt und durch Sägeschnitte von der restlichen Konstruktion getrennt. In parallelen Arbeitsschritten erfolgt das Düsen der Schwergewichtswände in den zugänglichen Bereichen, das Ausrichten der Zwillingsträger und der Auf bau der Kopfkonstruktion der Lasttürme. Mithilfe hydraulischer Pressen und Kugelbundmuttern wird die Konstruktion an der Doppeldecke kraftschlüssig vorgespannt. Im Anschluss erfolgt der kontrollierte Rückbau der Stahlbetonstütze in der Achse 16,5/ E-E´ sowie der Mauerwerkswände in der Achse 16 und 17. Gleichzeitig beginnen die Bohrarbeiten für die Mantelrohre und Mikropfähle der Stabilisierungstürme. Abb. 21: Ausführungsplanung (IngenieurGruppe Bauen): Baustellenzugang in der Achse B´ Nach Abschluss der vorhin genannten Arbeiten startet der Erdaushub. In diesem Kontext werden auch die restlichen Schweißarbeiten an den Last- und Stabilisierungstürmen durchgeführt. Dabei werden die Mikropfähle und Mantelrohre alle 1,25 m mit weiteren Stahlprofilen zu Türmen verschweißt. Der Kopfverband der Stabilisierungstürme wird erst nach fortgeschrittenem Erdaushub angebracht, um die Erdarbeiten nicht zu behindern (siehe Abb. 23). Abb. 22: Entwurfsplanung (IngenieurGruppe Bauen): Schnitt in der Achse 17, HDI-Schwergewichtswände, Zwillingsträger und Lastturm, gewölbeartige Öffnung. Die Schwergewichtswände werden im Verlauf des Aushubs egalisiert, wobei Fehlstellen (z. B. durch Spritzbeton) ausgebessert und aus der Baugrube ragende Bereiche entfernt werden. Nach Erreichen der Baugrubensohle erfolgt die Herstellung von sechs kapillarbrechenden Durchteufungen der Tonschicht, um einen Grundbruch der Tonschicht nahe den Schwergewichtswänden zu verhindern, verbunden mit der gleichzeitigen Einspülung von Sanden. Abb. 23: Fertige Baugrube aus der 3D-Planung 7. Herstellung des neuen Orchesterprobesaals Der Orchesterprobesaal erstreckt sich zwischen den Achsen 16,5/ D und 19,5/ D´. Dabei handelt es sich um einen großzügigen Raum von etwa 12 Metern Höhe, der sich zwischen der neuen Bodenplatte und der bestehenden Doppeldecke erstreckt. Zusätzlich verfügt der Orchesterprobesaal über zwei Treppenräume (zwischen 16,5/ B´ und 19,5/ D´ bzw. 16,5/ D und 18/ C), die als Verbindungen in den Bestand dienen und zu den verschiedenen Geschossen des Gebäudes führen. Diese Treppenräume sind mit verschiedenen Technikräumen verbunden. An der westlichen Seite des Orchesterprobesaals erhebt sich ein ansprechendes zweigeschossiges Bauwerk (zwischen 15,5/ D und 16,5/ D´), das als Lager für Instrumente dient. Der Verbindungsbau führt zudem zu den neuen Stimmzimmern, wodurch eine harmonische Verbindung zwischen den verschiedenen Räumlichkeiten geschaffen wird. Das Tragwerk des Orchesterprobesaals wird in Stahlbetonbauweise gebaut und funktioniert wie folgt: Das statische System des Zwillingsträgers in der Achse 16 bleibt im 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 279 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung Endzustand unverändert. Hierbei wird anstelle des Lastturms eine Stahlbetonlisene im Instrumentenlager als mittleres Auflager verwendet. In der Achse 16,5 entsteht eine Wandscheibe parallel zum existierenden Unterzug, die bis zur Unterkante des Unterzugs reicht. Diese neu geschaffene Wandscheibe trägt somit den bestehenden Unterzug. Der Zwillingsträger in der Achse 17 entwickelt sich im Endzustand zu einem dreifeldträger. Die mittleren Auflagerpunkte werden durch die neuen massiven Wände in den Achsen D und D´ realisiert und lösen den bisherigen stählernen Lastturm ab. Zudem erfolgt der Rückbau der freigelegten und stabilisierten Franki-Pfähle bis zu den Stützenfüßen mithilfe unterschiedlicher Abfangungsmaßnahmen. Nach Abschluss dieser Maßnahmen leiten die neuen Außen- und Innenwände die Stützenlasten in die Gründung weiter. Die Gründung selbst besteht aus einer elastisch gebetteten Bodenplatte. An einigen Stellen wird die Bodenplatte zusätzlich mit Magerbeton als Brunnengründungskörper verstärkt. Abb. 24: Übersicht der Abfangungsmaßnahmen Der Bau des neuen Tragwerks gliedert sich vornehmlich in zwei umfangreiche Bauabschnitte. Im ersten Abschnitt wird der Neubau zwischen den Last- und Stabilisierungstürmen sowie den mit HDI-Säulen ummantelten Pfählen betoniert. Im zweiten großen Schritt erfolgt die Entlastung und der Rückbau der Lasttürme und Pfähle mithilfe des neuen Tragwerks. Anschließend werden die temporären Öffnungen geschalt und ausbetoniert. Für das Verschließen der Öffnungen in den Achsen D/ 17,5, D/ 18 und D/ 18,5 sowie D´/ 17,5, D´/ 18 und D´/ 18,5 werden die bestehenden Pfähle auf folgende Weise entlastet: Sechs Schwerlasttürme (z. B.: PERI Variokit Schwerlastturm) werden auf der neuen Bodenplatte an den genannten Achsen platziert (siehe Abb. 24) und gegen die Unterzüge in den Achsen 17,5 und 18 sowie gegen die Wandscheibe in Achse 18,5 vorgespannt. Nachfolgend erfolgt der Rückbau der Pfähle inklusive Stabilisierungstürme und HDI-Ummantelung. Die temporären Öffnungen in der Bodenplat- 280 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung te und den tragenden Wänden werden dann bewehrt, geschalt und mit Beton ausgefüllt. Abschließend erfolgt der kontrollierte Rückbau der Schwerlasttürme. Das Vorgehen zur Schließung der Lücken in den Achsen C´/ 16,5, C´/ 17, C´/ 17,5, C´/ 18, B´/ 17 und B´/ 18 weicht kaum voneinander ab. Die Stützen in diesen Achsen werden am Fuß mit Kernbohrungen versehen. Ein geschweißter Stahlkasten wird durch diese Öffnungen geführt und mittels hydraulischer Pressen gegen die Stütze vorgespannt. Die Pressen stehen teilweise auf Innen- und Außenwänden sowie auf der Schwergewichtswänden. In manchen Fällen stehen die Pressen auf der Decke, weit entfernt vom Auflagerbereich. Die konzentrierten Einzellasten werden durch Schwerlaststützen (z. B.: Peri-Up Schwerlaststütze) abgefangen und bis in die Bodenplatte weitergeleitet. Nach dem Abbruch der Pfähle inklusive Stabilisierungsturm oder HDI-Ummantelung werden die Pressen kontrolliert entlastet und gemeinsam mit dem geschweißten Stahlkasten demontiert. Abschließend werden die geschwächten Stützenfüße ergänzt (siehe Abb. 26). Abb. 25: Umlasten des Unterzuges in der Achse 17,5 Abb. 26: Auszug aus der statischen Berechnung: Umlasten der Stütze in der Ahse 16,5 Abb. 27: Auszug aus der statischen Berechnung: Rückbau des Zwillingsträgers in der Achse 16,5 Zum Abschluss erfolgt der Rückbau der Lasttürme inklusive der Querträger. Zunächst wird der zwischen den Lasttürmen liegende Querträger (2xHEB450) demontiert. Hierfür wird die neue Wandscheibe an ihrem unteren Ende in Feldmitte mittels zweier Schwerlasttürme (z. B.: PERI Variokit Schwerlastturm) verstärkt. Die hydraulischen Pressen an den Auflagern der Querträger werden entlastet, wodurch die Querträger inklusive Stahlstützen demontiert werden können. Danach wird die temporäre Öffnung in der Wandscheibe bewehrt und mit Beton ausgegossen. Nach der erforderlichen Aushärtezeit des Betons werden die Schwerlasttürme kontrolliert entlastet, sodass die Wandscheibe als Einfeldträger fungiert. Die neue Stahlbetonwänden in den Achsen D und D´ sind die Auflager dieser Wandscheibe (siehe Abb. 27). Der Rückbau der Lasttürme in den Achsen 16 und 17 erfolgt nacheinander. In der Achse 16 werden die Zwillingsträger in unmittelbarer Nähe zu den temporären Öffnungen der Bodenplatte und der Decken mit mehreren Schwerlastsprießen (z. B.: PERI Multiprop) über alle Geschosse abgefangen. Sind die Schwerlastsprießen kraftschlüssig eingebaut, kann der Lastturm zurückgebaut werden. Anschließend werden die temporären Öffnungen und eine Stahlbetonlisene als Ersatz für den Lastturm bewehrt und betoniert. Die Stahlbetonlisene reicht bis zur Unterkante der Zwillingsträger. Nach der erfor- 14. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Januar 2024 281 Nachträgliche Herstellung eines Orchesterprobesaals unterhalb des Mannheimer Nationaltheaters - Praxisbeispiel aus Sicht der Tragwerksplanung derlichen Aushärtezeit des Betons werden die Schwerlastsprießen entlastet und abgebaut (siehe Abb. 28). Für den Abbau des Lastturmes in der Achse 17 sind keine zusätzlichen Abfangungen notwendig. Mithilfe der im Lastturm vorhandenen hydraulischen Pressen werden die Zwillingsträger inklusive Doppeldecke leicht angehoben. Anschließend wird die Lücke zwischen den neuen Stahlbetonwänden und der Unterkante der Zwillingsträger vollflächig und kraftschlüssig ausgemörtelt. Nach der Aushärtung des Mörtels werden die Pressen entlastet und der Lastturm abgebaut. Diese Maßnahme verändert das bisherige statische System des Zwillingsträgers. Im Endzustand trägt der Zwillingsträger als Dreifeldträger mit gleichlangen Außenfeldern und einem größeren Innenfeld (siehe Abb.-29). Abb. 28: Auszug aus der statischen Berechnung: Umlasten des Lastturmes in der Achse 16 Abb. 29: Umlasten des Lastturmes in der Achse 17 Quellen [1 Entwurfs- und Ausführungsplanung der Ingenieur- Gruppe Bauen [2] Werkplanung des Architektenbüros Schmucker und Partner [3 Geotechnischer Bericht vom 08.07.2019 (WPW Südwest) [4] Sämtliche Bestandsunterlagen des ehe. Bauingenieurbüros Fritz Grebner
