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Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
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2020
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Herausgegeben von Bernd Isecke Jürgen Krieger 4. Brückenkolloquium Fachtagung für Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken Tagungshandbuch 2020 Herausgegeben von Dir. Prof. Dr.-Ing. Jürgen Krieger Prof. Dr.-Ing. Bernd Isecke 4. Brückenkolloquium Fachtagung für Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken Tagungshandbuch 2020 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb. dnb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das vorliegende Werk wurde mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autoren oder Herausgeber übernehmen deshalb eine Haftung für die Fehlerfreiheit, Aktualität und Vollständigkeit des Werkes und seiner elektronischen Bestandteile. © 2020. Alle Rechte vorbehalten. expert verlag GmbH Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen E-Mail: info@verlag.expert Internet: www.expertverlag.de Printed in Germany ISBN 978-3-8169-3518-6 (Print) ISBN 978-3-8169-8518-1 (ePDF) Technische Akademie Esslingen e. V. An der Akademie 5 · D-73760 Ostfildern E-Mail: bauwesen@tae.de Internet: www.tae.de 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Vorwort Eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur ist eine der wesentlichen Grundvoraussetzungen für nachhaltige Mobilität und wirtschaftliches Wachstum und trägt entscheidend zur Erhöhung der Lebensqualität bei. Prognosen zur Entwicklung des Güterverkehrs lassen bereits heute erkennen, dass der Verkehrsträger Straße auch künftig eine maßgebliche Rolle im Umfeld eines intermodalen Verkehrssystems spielen wird. Aus einer weiteren Zunahme des Güterverkehrs ergeben sich für einen signifikanten Anteil der Brücken, als maßgeblicher Teil der Straßenverkehrsinfrastruktur, Beanspruchungen bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit. Zusätzlich erwachsen aus den Folgen des Klimawandels in Verbindung mit einer zu erwartenden Zunahme von Extremwetterlagen neue Herausforderungen. Neben Sicherheit und Dauerhaftigkeit sind künftig verstärkt auch Aspekte der Resilienz hinsichtlich der Gewährleistung von Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit der Straßeninfrastruktur zu betrachten. Der Lebenszyklus von Brückenbauwerken ist von der Planung über den Bau und die Erhaltung bis zum Abbruch bzw. Ersatz noch in wesentlichen Teilen geprägt von traditionellen Verfahren. Die Möglichkeiten der Digitalisierung werden bislang nur für Teilprozesse genutzt. Aufgrund der rasant fortschreitenden Entwicklung neuer Technologien und Möglichkeiten zur Verarbeitung und Bewertung komplexer Datensätze versprechen neue Verfahren für Beurteilung, Planung, Bau und Betrieb von Brücken zukünftig immer größeres Potenzial. Ziel des Brückenkolloquiums ist ein interdisziplinärer Erfahrungs- und Wissensaustausch von Forschern, Planern, Eigentümern, Betreibern und Industrie zu neuen und innovativen Methoden, Verfahren und Technologien. Im Vordergrund stehen deshalb innovative Vorgehensweisen, Verfahren und Baustoffe sowohl für Ersatzneubau im bestehenden Verkehrsnetz als auch für Instandsetzung und Ertüchtigung des Bestands. Ebenso sind Methoden und Verfahren zur Bestandsanalyse und -bewertung, zur Ermittlung von Zustand, Zuverlässigkeit und Restnutzungsdauer, Überwachungsverfahren für Bestandsbauwerke sowie die Potentiale von BIM und weiteren Technologien der digitalen Transformation für Brücken im Lebenszyklus Bestandteil der Vorträge des Kolloquiums. Beim 4. Brückenkolloquium werden mehr als 80 Fachvorträge in vier parallelen Sessions zu folgenden Themenschwerpunkten angeboten: • Zustandserfassung • zerstörungsfreie Prüfung (ZfP) • Nachrechnung - Richtlinie und Fallstudien • Nachweisverfahren • Einwirkungen • Instandsetzung • Bauen unter Verkehr • Verstärkung und Verstärkung mit Carbonbeton • Innovative Bauverfahren • SMART-DECK • Fallbeispiele aus unterschiedlichen Blickwinkeln • Holzbrücken • Erhaltungsmanagement • Lebenszyklusmanagement • BIM • Digitalisierung Das vorliegende Tagungshandbuch enthält die vorab eingereichten Beiträge zu den Vorträgen und gibt einen Überblick über neue und innovative Methoden, Verfahren und Technologien zur Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken. Weitere Informationen unter: www.tae.de/ go/ bruecken 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Inhaltsverzeichnis 0. Plenarvorträge 0.1 Erhalt und Modernisierung des Brückenbestandes der Bundesfernstraßen - Die neue Erhaltungsstrategie für Planung und Bau von Brücken auf den Hauptverkehrsrouten 3 Gero Marzahn 0.2 Erweiterte Nachweisverfahren für einige Schubprobleme - Torsionslängsbewehrung, schubfester Druckgurtanschluss, Querkraftbemessung von Fahrbahnplatten 7 Univ.-Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer 0.3 Erweiterte Nachweise zur Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem 15 Josef Hegger 1. Nachrechnung - Fallstudien 1.1 Häufige Fragen bei der Nachrechnung von Spannbetonbrücken * Frederik Teworte 1.2 Beurteilung des Tragvermögens einer bestehenden Stahlbeton-Brücke mit korrodierter Bewehrung 27 Prof. Dr. Ivan Markovic, dipl. Bauing. TU/ SIA, Dr. Alexander Kagermanov, dipl. Bauing. TU 1.3 Nachrechnung und Ertüchtigung der Illerbrücke Egelsee A7 35 Hermann Weiher, Ilaria Galasso, Katrin Runtemund, Sascha Weber 2. SMART-DECK 2.1 SMART-DECK: Realisierung eines Konzepts 47 Dr.-Ing. Till Büttner 2.2 Textilbetonschicht für Fahrbahnplatten von Betonbrücken zur Erhöhung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit in Querrichtung 57 Viviane Adam, Norbert Will, Josef Hegger 2.3 SMART-DECK: Vollflächiges Feuchtemonitoring und präventiver Kathodischer Korrosionsschutz (pKKS) * Carla Driesssen-Ohlenforst 3. Bauen unter Verkehr 3.1 Gründungsertüchtigung eines Bestandspfeilers im Zuge des Neubaus der Schiersteiner Rheinbrücke 67 Dr.-Ing. Heiko Huber (Autor), Dipl.-Ing. Wolfgang Kissel und Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Krajewski (Co-Autoren), M.Sc., Dipl.-Ing. (FH) André Scholl (Co-Autor) 3.2 A 23 Autobahn Südosttangente Wien Generalerneuerung 73 Ing. Thomas Kozakow 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 3.3 Der Überflieger im Zuge des Autobahnkreuzes Aachen - Ersatzneubau als ingenieurtechnische Herausforderung 79 Dipl.-Ing. Hans-Peter Doser, Sven Kina M.Sc. 3.4 Gerüststellungen für die Sanierung von Hängebrücken am Beispiel der Mülheimer Brücke Köln und der Rheinbrücke Emmerich 89 Josef Teupe 3.5 Ersatzneubau von drei Autobahnbrücken im Zuge der A1 in NRW - Bestandsuntersuchungen zum Erhalt der Unterbauten, dem ingenieurmäßigen Rückbau und für die bauzeitliche Verkehrsführung 95 Dipl.-Ing. Friso Friese und Dipl.-Ing. Ines Nordhaus 4. Innovative Bauverfahren 4.1 Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen 107 Christian Knorrek, Sven Bosbach, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger 4.2 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise 119 Eckhard Held, Stefan Kimmich, Roland Sauer 4.3 Pilotbrücke „Stokkumer Straße“: Ein innovatives Bauwerk mit Brückenwiderlagern aus geokunststoffbewehrter Erde 129 Michael Girmscheid, Felix Lehmann, Thorsten Balder, Hartmut Hangen 5. Nachrechnung/ Nachweisverfahren 5.1 Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Stahlbetonplattenbrücken mit Aufbiegungen 141 Dipl.-Ing. Dr.techn. Tobias Huber, o. Univ.Prof. Dr. Ing. Johann Kollegger, Dipl.-Ing. Dr. techn. Patrick Huber 5.2 Neue Erkenntnisse zum Querkrafttragverhalten bestehender Spannbetonbrücken aus aktuellen Labor- und Feldversuchen 149 Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Oliver Fischer, Nicholas Schramm, M.Sc., Sebastian Felix Gehrlein, M.Sc. 5.3 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden 157 Dr.-Ing. Martin Herbrand, Viviane Adam, M. Sc., Univ.-Prof. Josef Hegger 5.4 Beitrag nicht normgemäßer Bügelformen zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken im Bestand 171 Nicholas Schramm, M.Sc., Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Oliver Fischer 5.5 Zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung 181 Eva Stakalies, Reinhard Maurer 5.6 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken 189 Dr.-Ing. Matthias Müller 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 6. Digitalisierung 6.1 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding 205 Matthias Haslbeck, Christian Merkl, Thomas Braml 6.2 KI zur Erkennung und Beurteilung von Oberflächenschäden an Betonbauwerken 215 Referent: Nicolai Nolle, Projektleiter AI4I NFRA 6.3 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann 217 Jens Kühne, Co-Autor: Dr.-Ing. Carsten Ebert 6.4 Intelligente Brücke: Datenaufbereitung und -analyse mittels modell- und datenbasierter Ansätze 227 Sarah Dabringhaus 6.5 UAS und KI - Potentiale zur Unterstützung der Bauwerksprüfung von Brücken und Ingenieurbauwerken 235 Ralph Holst, Guido Morgenthal, Norman Hallermann 6.6 Brückenprüfung und Digitalisierung mittels AI und Cloud Computing 243 Albrecht Karlusch, MSc, MBA (Managing Director), DI Peter Furtner (Managing Director) und DI Ernst Forstner (Head of Operations) 7. Erhaltungsmanagement 7.1 Relevante Brückenbauwerke für ein prädiktives Erhaltungsmanagement 253 Andreas Socher, Matthias Müller 7.2 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement 259 Prof. Dr.-Ing. Jan Akkermann, Simon Weiler M. Eng., Dr.-Ing. Jörg Bödefeld, Sarah Elting M. Eng. 7.3 Ein FMEA-Ansatz zur besseren Auswertung von Inspektionsergebnissen 269 François Marie Nyobeu Fangue ,Annemarie Seiffert, Dr. Jörg Bödefeld 8. Instandsetzung 8.1 Notsicherung und denkmalgerechte Instandsetzung der Anna-Ebert-Brücke in Magdeburg 281 Dr.-Ing. Johannes Bach, Dipl.-Wirtsch.-Ing. M. Eng. Felix Bach, Dipl.-Ing. Jan Rassek, Max Franksmann, B. Eng. 8.2 Der kathodische Korrosionsschutz an Brückengelenken 293 Daniel Oberhänsli, dipl. Bauingenieur FH, Dr. Thorsten Eichler, Bauingenieur 8.3 Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigten Anlegerbrücke in der Nordsee 299 Lars Wolff, Michael Bruns 9. Lebenszyklusmanagement 9.1 Ausreißererkennung zur Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring mit vier Signalmerkmalen 313 Andreas Jansen, M.Sc., Karsten Geißler, Prof. Dr.-Ing. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 9.2 Neue Möglichkeiten zur Rissweitenbestimmung an bestehenden Betonkonstruktionen mittels verteilter optischer Fasermessungen 323 Alois Vorwagner, Maciej Kwapisz, Dominik Prammer, Prof. Werner Lienhart, Christoph Monsberger, Madeleine Winkler, Urs Grunicke 9.3 Erhöhung der Restnutzungsdauer am Beispiel der Vogelsangbrücke 331 Thomas Lehmann 9.4 Über die Zuverlässigkeit von Monitoring-basierten Frühwarnsystemen für Brücken 339 Marian Ralbovsky, Dominik Prammer, Alois Vorwagner 10. Verstärkung 10.1 Nachträgliche Querkraftverstärkung von Brückentragwerken mit Betonschrauben 349 Jürgen Feix, Johannes Lechner 10.2 Verbundfugen bei nachträglicher Verstärkung: Statische und Ermüdungsbeanspruchung 359 Jens Heinrich, Thomas Zenk, Reinhard Maurer 10.3 Ganzheitliche Verstärkung von Brückenbauwerken mit innovativen Materialkombinationen und Applikationsverfahren 373 Christian Dommes, Christian Knorrek, Josef Hegger 10.4 Nutzung des Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) im ASTRA - Rückblicke und Perspektiven 381 Stéphane Cuennet 10.5 Innovative Verstärkungsmaßnahmen für Bestandsbrücken 391 Balthasar Novák, Vazul Boros, Eberhard Pelke, Carolin Roth 10.6 Ertüchtigung und Instandsetzung von Stahlbrücken mit Hochfestem Beton am Beispiel der Rheinbrücke Maxau und die begleitende Bestimmung der dynamischen Brückeneigenschaften 401 Breuer P., Held S., Konopka E., Hochschule für Technik Stuttgart, Gorski P., Politechnika Opolska, Opole/ Polen, Mrotzek S., Contec International GmbH, Bad Waldsee, Serwin, B., Contec A/ S, Aarhus/ Dänemark 10.7 Innovative Verstärkungslösung mit Litzenbündelseilen für die Fuldabrücke A44 bei Bergshausen 415 Dipl.-Ing. Ludwig Demelt, Dipl.-Ing. Kay Löffler 10.8 Instandsetzung und Ertüchtigung von großen Hängebrücken 421 Bastian Kratzke 10.9 Die genieteten Yorckbrücken in Berlin - Instandsetzung und Umnutzung 427 Dr.-Ing Thomas Klähne, Thomas Abel 11. BIM 11.1 BIM-basiertes Projekt zur Instandsetzung einer Straßenbrücke * Ivan Markovic 11.2 smartBRIDGE Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings 441 Christof Ullerich, Matthias Grabe, Dr. Marc Wenner, Dr. Martin Herbrand 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 11.3 Erste Erfahrung und Mehrwert durch BIM im BMVI Pilotprojekt „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ 451 Thomas Tschickardt M. Eng. 12. Zustandserfassung 12.1 Die objektspezifische Bestimmung des kritischen Chloridgehalts und die Auswirkung auf die Restlebensdauer 461 Carolina Boschmann Käthler, Ueli M. Angst 12.2 Schnelle ortsaufgelöste Chloridbestimmung mit der laserinduzierten Plasmaspektroskopie (LIBS) 465 Cassian Gottlieb, Christian Bohling, Steven Millar, Tobias Günther, Gerd Wilsch 12.3 Ultraschallbasierte Überwachung von Stahl- und Spannbetonkonstruktionen - erste Ergebnisse der DFG-Forschungsgruppe 2825 CoDA 473 Ernst Niederleithinger, Niklas Epple, Daniel Fontoura Barroso, Felix Clauß, Mark Alexander Ahrens, Peter Mark 13. Fallbeispiele - Gänstorbrücke 13.1 Monitoring von Brücken - Hintergründe, technische Möglichkeiten und Umsetzung am Beispiel der Ulmer Gänstorbrücke 483 Franz Knab, Robin Groschup 13.2 Standsicherheitsbeurteilung der Ulmer Gänstorbrücke unter Berücksichtigung von Bauwerksschäden und Messungen - Hintergründe zum Alarmierungssystem 495 Andreas Müller 13.3 Objektspezifische Bewertung der Verkehrsbeanspruchung an der Gänstorbrücke über die Donau 501 Dipl.-Ing. (FH) Marcel Nowak, M.Sc., Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Oliver Fischer 14. Einwirkungen 14.1 Weiterentwicklung eines messbasierten Verfahrens zur Bewertung von Straßenbrücken 509 Prof. Dr.-Ing. habil. Karl G. Schütz 14.2 Mehrstufiges Verfahren zur Festlegung des erforderlichen Ziellastniveaus für die Nachrechnung von Straßenbrücken 517 Dipl.-Ing. Kay Degenhardt, Dr.-Ing. Nico Steffens, M.Sc. Josef Kraus, Prof. Dr.-Ing. Karsten Geißler 14.3 Anprall gegen Pfeiler von Bestandsbauwerken 531 Matthias Bettin, Reinhard Maurer, Dr.-Ing. Andreas Bach 15. ZfP 15.1 Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten 549 Dipl.-Ing. Max Käding, Dr.-Ing. Gregor Schacht, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Steffen Marx 15.2 Detektion von Spannstahlbrüchen mit Acoustic Emission im Rahmen der Bauwerksüberwachung 561 Christian Sodeikat 15.3 Zerstörungsfreie Zustandserfassung der Moorbrücke BAB A27 575 Johannes F. Scherr (Autor, Referent), Jörg Alex (Co-Autor, Co-Referent), Christian U. Große (Co-Autor), Frank Kühn (Co-Autor) 15.4 Detektion korrosionsaktiver Bereiche an Brückenbauwerken aus Stahlbeton mittels Potentialfeldmessung 583 Gino Ebell, Andreas Burkert 15.5 Korrosionsdetektion an Brückenbauwerken: konventionell und innovativ * Sylvia Keßler 15.6 Bestandsbrücken, wie Stahlbetonbrücken mit Hohlkörpern, Holzbrücken und alte Stahlbrücken zerstörungsfrei untersucht 589 Dr.-Ing. A. Hasenstab, Dipl.-Ing. H. Deeg 15.7 Ertüchtigung von Brückenbauwerken: Anwendungen von RADAR- und Ultraschall-Techniken 605 Otto Wurzer, Stefanie Setzer, Karin Reiter, Christian U. Große 16. Holzbrücken 16.1 Zeitgemäße Planung von Holzbrücken - Gestaltung und Prüfbarkeit 615 Frank Miebach 16.2 Bestehende Regelwerke zur Prüfung von Holzbrücken - Haben wir alles, was wir brauchen? 629 Dipl.-Ing. (FH) Florian Scharmacher 16.3 Feuchtemonitoringsysteme auf Holzbrücken 635 Andreas Müller, Marcus Schiere, Sébastien Bonifacio 17. Verstärkung Carbonbeton 17.1 Querkraftverstärkung aus Carbonbeton unter zyklischer Beanspruchung 643 Sebastian May, Alexander Schumann, Elisabeth Schütze, Univ.-Prof. Dr.-Ing., Dr.-Ing. E. h. Manfred Curbach 17.2 Generalinstandsetzung der Ludwigsbrücken in München * Dr.-Ing. Otto Wurzer 17.3 Ertüchtigung einer Stahlbetonplattenbrücke mit Carbonbeton 651 Dipl.-Ing. Oliver Steinbock, Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Manfred Curbach, Prof. Dr.-Ing. Thomas Bösche 17.4 Instandsetzung und Gewichtsreduzierung einer Brücke mit Leicht- und Carbonbeton in Kombination 663 Detlef Koch, Björn Neuberger 18. Hochstraße Elbmarsch 18.1 Verbreiterung der Hochstraße Elbmarsch in Hamburg, Erkenntnisse aus der Pilotmaßnahme 673 Dipl.-Ing. Gregor Gebert 18.2 Instandsetzung der Megastützenriegel der Hochstraße Elbmarsch 679 Dr. Sebastian Krohn 18.3 Austausch von 2000 Lagern - Untersuchungen an Elastomerlagern nach 45 Jahren Einsatzzeit 685 Dr.-Ing. Tobias Block 18.4 Stabspannverfahren für Neubau- und Sanierungsmaßnahmen: Anwendung am Beispiel der Erweiterung der Hochstraße Elbmarsch (A7) 693 Dr.-Ing. Andreas Schmitt, Dipl.-Ing. Michael Buschlinger * Manuskript lag bei Redaktionsschluss nicht vor. Anhang Programmausschuss 711 Beitragsverzeichnis nach Autorennamen 713 Plenarvorträge 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 3 Erhalt und Modernisierung des Brückenbestandes der Bundesfernstraßen - Die neue Erhaltungsstrategie für Planung und Bau von Brücken auf den Hauptverkehrsrouten Gero Marzahn Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Bonn Zusammenfassung Durch die ungünstige Altersstruktur der Bauwerke im Bundesfernstraßennetz kombiniert mit einer stetigen Steigerung von Fahrzeuggesamtgewichten und der Achslasten der Fahrzeuge in den vergangenen Jahrzehnten sind umfängliche Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen zur Verbesserung des Zustandes und zur Erhöhung der Tragfähigkeit vieler älterer Brücken erforderlich. Die Folgen sind viele Baustellen hauptsächlich auf den Autobahnen, welche in den nächsten Jahren eher noch zunehmen und damit die Verkehrsteilnehmer auf die Probe stellen werden. Moderne Strategien, die auf eine hohe Verfügbarkeit des Netzes abzielen, aber die bauliche Dringlichkeit der alten Bauwerke nicht aus den Augen verlieren, sind gefragt. Mit diesem Ziel wurde eine neue Strategie entworfen und festgeschrieben, die beide Sichtweisen vereint. Der eingeschlagene Weg wird zu einer Dynamisierung der Erhaltungsplanung führen, so dass neben den notwendigen baulichen Maßnahmen zukünftig stets auch die verkehrlichen Aspekte angemessen berücksichtigt werden. 1. Einleitung Im internationalen Vergleich verfügt Deutschland über eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur. Allerdings machen der überproportionale Anstieg des Schwerverkehrs in den vergangenen Jahrzehnten insbesondere im Güterverkehr sowie die Altersstruktur der Bauwerke umfängliche Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen zur Verbesserung des Zustandes und zur Erhöhung der Tragfähigkeit vieler älterer Brücken erforderlich. Viele Brücken müssen deshalb verstärkt oder - sofern wirtschaftlicher - erneuert werden, um eine sichere Abwicklung des aktuellen und zukünftigen Verkehrs auf Dauer gewährleisten zu können. Eine wachsende Anzahl von Baustellen hauptsächlich auf den Autobahnen ist die Folge, welche in den nächsten Jahren eher noch zunehmen und damit die Verkehrsteilnehmer auf die Probe stellen wird. Um den Verkehr dennoch flüssig zu halten, bedarf es einer modernen Strategie hinsichtlich der Durchführung von Planungs- und Baumaßnahmen, welche dynamisch auf unterschiedliche verkehrliche Anforderungen reagieren kann. Diese liegt inzwischen vor und soll Hilfestellung für zukünftige Entscheidungen hinsichtlich der Reihung von Maßnahmen bei der Umsetzung sein. 2. Erhaltung und Modernisierung von Brücken Wachsendes Verkehrsaufkommen in Verbindung mit steigendem Durchschnittsalter der Brücken sowie vorhandenen baulichen Defiziten vergangener Jahrzehnte machen generell umfängliche Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen an den Bauwerken erforderlich. Die unter diesen Stichworten zusammengefassten Maßnahmen beschreiben das Wesen der Brückenmodernisierung, bei der unter dem Dach der Bauwerkserhaltung eine Anpassung bestehender Brückenbauwerke an geänderte und/ oder gestiegene Anforderungen hinsichtlich Tragfähigkeit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit von Brücken verstanden wird. Je nach technischer Umsetzbarkeit und Wirtschaftlichkeit werden die Bauwerke neben der üblichen Instandsetzung ertüchtigt bzw. verstärkt oder - sofern wirtschaftlicher - gänzlich durch einen Ersatzneubau ersetzt. Unter dem Credo „Erhalt vor Neubau“ hat das BMVI im Rahmen des Investitionshochlaufs die notwendigen Erhaltungsmittel für die Bundesfernstraßen (Strecke und Brücke) in den letzten Jahren kräftig aufgestockt. Für das Jahr 2019 stehen insgesamt 4,1 Milliarden Euro bereit, die in der Finanzplanung bis 2022 schrittweise auf rd. 4,4 Milliarden Euro anwachsen werden. Der Anteil für Erhaltungsmaßnahmen an Bauwerken an der Gesamtsumme steigt dabei ebenfalls. Gemäß der Erhaltungsbedarfsprognose sollen von diesen Mitteln in diesem Jahr (2019) rund 1,43 Milliarden Euro in die Brü- 4 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erhalt und Modernisierung des Brückenbestandes der Bundesfernstraßen ckenerhaltung fließen, 2020 rund 1,46 Milliarden Euro, 2021 rund 1,57 Milliarden Euro und 2022 rund 1,64 Milliarden Euro. Damit wird der jährliche Anteil an den Erhaltungsmitteln für Bauwerke in einem Jahrzehnt von weniger als 25% in 2011 auf über 37% in 2022 steigen. Das sind gewaltige Summen, die zielgerichtet und zeitnah umgesetzt werden sollen. Die Anzahl an Baustellen lässt sich nur erahnen. Bautätigkeiten ungekannten Ausmaßes werden zukünftig unseren Alltag begleiten. Seit dem Haushaltsjahr 2015 werden die Mittel für Brückenmodernisierungsmaßnahmen mit einem Bauvolumen über 5 Mio. € in den Erhaltungstabellen des Straßenbauplans bereits gesondert dargestellt und als Programm Brückenmodernisierung erfasst. Ab dem Haushaltsjahr 2016 werden diese Maßnahmen zur besseren Übersichtlichkeit darüber hinaus separat im Straßenbauplan in eigenen Tabellen zur Berichterstattung geführt. Brückenmodernisierungsmaßnahmen mit einem Bauvolumen über 5 Mio. € sind zum Teil aber auch noch in Bedarfsplanmaßnahmen (BAB-Erweiterung) und Streckenbaumaßnahmen der Erhaltung veranschlagt. Die Erhaltungsanteile werden gemäß den vorstehenden zwei Punkten nunmehr mit ausgewiesen. Kleinere, im Programm nicht einzeln aufgeführte Brückenmodernisierungsmaßnahmen werden bisher aus den global zugewiesenen Erhaltungsmitteln finanziert. Seit 2017 werden für diese Maßnahmen in den Haushaltsansätzen des Brückenmodernisierungsprogramms pauschal 100 Mio. € pro Jahr gesondert bereitgestellt, um auch für die kleineren Brücken innerhalb eines Streckenabschnitts genügend Baumittel zur Verfügung zu stellen. Eine Übersicht zu den Haushaltsansätzen für das Programm Brückenmodernisierung ist in Tabelle 1 gegeben. Die Zuordnung der Mittel erfolgt fortlaufend und bedarfsgerecht entsprechend der Anmeldung der Länder. Hierbei gilt grundsätzlich, dass jede Maßnahme, die Baurecht erhält, auch finanziert wird. Tabelle 1: Haushaltsmittel für Maßnahmen der Brückenmodernisierung Haushaltsjahr 2019 2020 2021 2022 2023 Hauhaltsmittel (Mio.€) 760 780 855 950 959 Die Erfahrung hat gezeigt, dass es im Sinne der Durchlässigkeit des Netzes nicht ausreichend und auch nicht sinnvoll ist, sich nur auf besonders defizitäre Einzelbauwerke zu konzentrieren. Es entstehen viele Einzelbaustellen, die den Verkehr einschränken, jedoch nach Fertigstellung keinen direkten Verkehrswert ergeben. Ein tatsächlicher Verkehrswert ist erst dann gegeben, wenn alle Bauwerke eines Streckenabschnittes uneingeschränkt für den Verkehr nutzbar sind. Mit dieser Zielrichtung wurde die Strategie zur Brückenmodernisierung hin zu einer Korridorbetrachtung entscheidend erweitert und fortgeschrieben. Dabei wird auf die Modernisierung ausgewiesener, überwiegend hochbelasteter Transitstrecken fokussiert, um diese Strecken vordringlich zu ertüchtigen und zugleich übrige Strecken vorerst möglichst unbeeinträchtigt für die Verkehrsabwicklung zur Verfügung zu haben. Der Korridorgedanke führt zu einer konzentrierten und verkehrsgerechten Abfolge der Arbeiten und führte in der Konsequenz zu einem zukunftsfähigen Netz. Dieses Brückenmodernisierungsnetz (Bild 1) ist durch Transitkorridore mit einer Gesamtlänge von 6.600 km, fast die Hälfte des deutschen BAB-Netzes und annähernd deckungsgleich mit dem TEN-V Kernnetz, gekennzeichnet. Als Zielstellung gilt, bis 2030 die Korridore zukunftssicher ausgebildet zu haben. Übrige Strecken bleiben vorerst unangetastet und stehen weiterhin für die Verkehrsabwicklung zur Verfügung, bevor diese zu einem späteren Zeitpunkt modernisiert werden. Diese Vorgehensweise sichert sowohl eine durchgreifende Verbesserung der Leistungsfähigkeit (Zukunftsfähigkeit) des Netzes und seiner Brücken, als auch eine Durchlässigkeit der Infrastruktur auf den Nachbarrouten in den jeweiligen Bauphasen. Bild 1: Brückenmodernisierungsnetz 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 5 Erhalt und Modernisierung des Brückenbestandes der Bundesfernstraßen Die Festlegung der Korridore des Brückenmodernisierungsnetzes erfolgte in enger Abstimmung mit den zuständigen Straßenbauverwaltungen der Länder. Dabei waren neben den Fachbereichen Brückenbau auch die Bereiche für Planung und Streckenerhaltung eingebunden, um möglichst Baumaßnahmen beider Bereiche gekoppelt vorzubereiten und umsetzen zu können. Die unterlegte Strategie zur Brückenmodernisierung liefert die notwendige Entscheidungsvoraussetzungen und schafft folglich Planungsperspektiven sowie Planungssicherheit für einen vorausschauenden und bedarfsgerechten Mitteleinsatz. Darüber hinaus sind optimierte Eingriffe in den Verkehr, gerade vor dem Hintergrund eines hohen Verkehrsaufkommens und steigender Bautätigkeit mit wachsenden Investitionsvolumina, möglich. 3. Erhaltungsstrategie für Bauwerke der Bundesfernstraßen Die rund 52.000 Brückenbauwerke der Bundesfernstraßen in Deutschland nehmen eine Schlüsselstellung für die Straßenverkehrsinfrastruktur im Transitland Deutschland ein. Brücken sind dabei die neuralgischen Punkte unserer Infrastruktur, weil jede alters-, nutzungsund/ oder baulich bedingte Einschränkung der Verfügbarkeit zu unmittelbar spürbaren Einschränkungen und Engpässen im fließenden Verkehr führt. Meist sind sie im Netz wegen begrenzter Umfahrungsmöglichkeiten Nadelöhre und beeinflussen dadurch die Leistungsfähigkeit nicht nur lokal, sondern im wachsenden Maße auch regional. Hierbei sind die singulären Brückenquerungen, z. B. die Rheinquerungen, wegen ihrer begrenzten Anzahl besonders betroffen. Regelmäßig ergeben sich bei schädigungsbedingten Ausfällen oder Baumaßnahmen verkehrliche Probleme, welche sich potenzieren, wenn gleichzeitig mehrere, ggf. sogar benachbarte Brücken oder Bauwerke in den Zulaufbereichen zeitgleich bauliche Maßnahmen erfordern. Schädigungsbedingte Ausfälle von Bauwerken sowie Brückenbaustellen im Netz bedeuten meist Einschränkungen in der verkehrlichen Leistungsfähigkeit durch Reduktion von Fahrstreifen, Verschmälerung von Fahrstreifen, verringerte Fahrgeschwindigkeit etc. Die Folge ist, dass Verkehrsverlagerungseffekte im Netz und Stauverkehr im Bereich der Baustelle eintreten. Stau sowie Verlängerung der Reisezeiten führen zu einem erhöhten Energieverbrauch und gesteigerter Emissionen; überlastete Ausweichrouten können darüber hinaus zu einer ungünstigen Entwicklung der Unfallzahlen beitragen. In Summe werden in jedem Falle die Nutzerkosten steigen. Vor diesem Hintergrund sind gerade wegen zukünftig verstärkter Bautätigkeit bei weiterhin zunehmendem Verkehr die Möglichkeiten einer verkehrsgerechten Steuerung baulicher Maßnahmen voranzutreiben und stetig weiterzuentwickeln. Dazu gehört auch, das Risiko ungeplanter Ausfälle zu minimieren, um die Eingriffe in den Verkehr infolge Erhaltungsmaßnahmen planbarer werden zu lassen. Dies eröffnet zugleich Möglichkeiten, Maßnahmen gezielt zu bündeln und dadurch Beschleunigungen in der Abwicklung zu generieren. Diese Betrachtungen lassen erkennen, dass es insbesondere bei Strecken mit hohem Verkehrsaufkommen nicht sinnvoll ist, wie in der Vergangenheit üblich, kleinste Schäden bei den Bauwerken sehr kurzfristig instand zu setzen, was für das Einzelbauwerk zur Vorbeugung aufwändigerer Schadensakkumulationen sicherlich sehr wirtschaftlich, aber durch häufige und unplanbare Eingriffe in den Verkehr aus Netzsicht wirtschaftlich kaum vertretbar ist. Wirtschaftlicher und verkehrsgerechter sind dagegen möglichst lange, ununterbrochene Nutzungszeiten von Strecken, bei denen die Schadensentwicklung am Bauwerk überwacht und kontrolliert ablaufen kann. Erst mit Erreichen ausgewiesener Warn- oder Schwellenwerte sind grundhafte Erhaltungsmaßnahmen zur Abhilfe zu ergreifen. Eine entsprechende Überwachung der Bauwerke durch Monitoring und/ oder Bauwerksprüfung wäre für dieses reaktive Vorgehen zwingend erforderlich, womit gleichzeitig der Einstieg in eine Lebenszyklusbetrachtung gelegt wird. Ebenso wären bei besonders hochbeanspruchten Strecken zeitlich fixierte Eingreifzyklen denkbar, wofür aufbauend auf Kenntnissen und Erfahrungen zum Alterungs- und Verschleißverhalten sowie zur Zuverlässigkeit von Materialien und Bauteilen vorausbestimmte Nutzungszyklen definiert werden müssen. Entsprechende Erhaltungsintervalle führen zu einem präventiven Vorgehen. Die unterjährige oder kontinuierliche Überwachung würde sich lediglich auf die Kontrolle der Übereinstimmung der Annahmen beschränken. Somit werden die Eingriffe in den Verkehr sehr planbar und es entstehen die geringsten Nutzerkosten. Vielfach wird allein schon aus Gründen der Verkehrssicherheit gestützt auf die Ergebnisse einer Bauwerksprüfung nach DIN 1076 eine Kombination beider Verfahren, also präventive und reaktive Erhaltungsplanung, möglich, sinnvoll und wirtschaftlich sein. Das örtlich vorhandene Verkehrsaufkommen könnte dabei die Wichtung in die eine oder andere Richtung verschieben. Die Grundlagen für diese strategischen Entscheidungen wurden vom Koordinierungsausschuss Erhaltung, einem Bund-Ländergremium, erarbeitet und sind in der gerade fertiggestellten RPE-ING [1] niedergelegt. Darüber hinaus können äußere Vorgaben, z. B. die Umsetzung des Brückenmodernisierungsnetzes, die Abwicklung von Erhaltungsmaßnahmen entsprechend der vorgehenden Ausführungen beeinflussen und eine andere Abfolge der Instandsetzungsmaßnahmen bedingen, indem gewisse Routen vorgezogen und baulich behandelt werden. Somit ergeben sich neue Abhängigkeiten, die planerisch in Übereinstimmung zu bringen sind. Sind exponierte und verkehrlich besonders wichtige Bauwerke in hoch belasteten Strecken betroffen, z. B. Rheinbrücken im Zuge von Autobahnen, sind ggf. individuelle Lösungen zu finden. Es hat sich in der praktischen 6 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erhalt und Modernisierung des Brückenbestandes der Bundesfernstraßen Planung gezeigt, dass es nicht ausreichend und auch nicht zielführend ist, sich auf einzelne Rheinquerungen als singuläre Punkte zu konzentrieren. Aus den Informationen und Handlungsoptionen zu den Einzelbauwerken (Einzelbetrachtung) allein ergibt sich keine unmittelbare sinnvolle Option zur Vorgehensweise in einer Region bzw. in einem Teilnetz der Bundesfernstraßen (Netzbetrachtung), weil nur eine begrenzte Anzahl an Rheinquerungen existiert und die Bauwerke daher trotz größerer Distanz in direkter verkehrlicher Abhängigkeit zu einander stehen. Folglich müssen regionale Sichtweisen, die neben den baulichen Maßnahmen an Einzelbauwerken gleichzeitig auch die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen durch Staus und Umleitungen infolge von Nichtverfügbarkeit oder beschränkter Nutzbarkeit von Verkehrswegen berücksichtigen, Eingang in die Planung von Erhaltungsund/ oder Erneuerungsmaßnahmen von Bauwerken finden. Die Bewertung auf Basis monetärer Aspekte, indem Nutzerkosten ermittelt und berücksichtigt werden, hat sich hierbei als geeignet erwiesen, insbesondere weil zumindest bei den Rheinbrücken verschiedene Baulastträger eingebunden werden müssen. Der Bund nahm die vorgenannten Erkenntnisse unter anderem zum Anlass, um im Rahmen eines Forschungsvorhabens ein strategisches Instrument zur optimierten Planung von Ertüchtigung und Erneuerung wichtiger Brücken der Bundesfernstraßen unter Beachtung einer gesamtwirtschaftlichen Bewertung der verkehrlichen Auswirkungen derartiger Maßnahmen erarbeiten zu lassen. Mit dem speziell für die Rheinbrücken entwickelten Software-Tool werden Eingreifzeitpunkte für bauliche Maßnahmen unter Berücksichtigung baulicher und verkehrlicher Aspekte über einen langen Zeitraum von bis zu 30 Jahren optimiert. So kann eine langfristig orientierte Maßnahmenplanung von vorrangigen Rheinbrücken oder allgemein Brücken an Bundesfernstraßen über Baulastträgergrenzen hinweg aufgebaut werden. Grundsätzlich lässt sich die dargestellte Thematik methodisch und regional verallgemeinern. Daher wird derzeit in einer Fortführung bzw. Erweiterung des Forschungsvorhabens die Betrachtung auf beliebige Teilräume im klassifizierten deutschen Straßennetz und auf die gleichzeitige Berücksichtigung von bis zu 50 Bauwerken ausgedehnt. 4. Fazit Es hat sich gezeigt, dass neben den baulichen Aspekten ebenso die verkehrlichen Aspekte bei der Planung von Erhaltungsmaßnahmen berücksichtig werden müssen, um den Verkehr trotz Baustellen einigermaßen flüssig zu halten und zugleich die gesamtwirtschaftlichen Kosten, die neben den Investitionskosten auch die Nutzerkosten umfassen, minimieren zu können. Ziel sollte sein, notwendige Erhaltungsmaßnahmen von der Reihenfolge und Bauabfolge her sowohl anhand der baulichen Kritikalität (z. B. Bauwerkszustände) als auch der verkehrlichen Kritikalität (z. B. Verfügbarkeit) auszurichten und so zu steuern oder Maßnahmen so zu kombinieren, dass der volkwirtschaftliche Schaden durch Stau, Verkehrsumleitungen und Emissionen etc. in der Gesamtschau minimal wird. Der Blick auf reine Investitionskosten reicht dafür nicht aus. Somit wird der eingeschlagene Weg zu einer Dynamisierung der Erhaltungsstrategie führen, die neben den notwendigen baulichen Maßnahmen zukünftig stets auch die verkehrlichen Aspekte angemessen berücksichtigt. Literaturhinweise [1] Richtlinie für die Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Ingenieurbauwerken (RPE-ING), Stand Oktober 2019, BMVI, noch unveröffentlicht 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 7 Erweiterte Nachweisverfahren für einige Schubprobleme - Torsionslängsbewehrung, schubfester Druckgurtanschluss, Querkraftbemessung von Fahrbahnplatten Univ.-Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer Technische Universität Dortmund, Dortmund, Deutschland Zusammenfassung Im Rahmen mehrerer anwendungsbezogener Forschungsvorhaben der BASt sowie von der DFG geförderter Grundlagenforschung, konnten in den letzten Jahren an deutschen Hochschulen erhebliche Fortschritte bei der Entwicklung genauerer Nachweisverfahren für verschiedene Schubprobleme bei Querkraft und Torsion erreicht werden. Damit können die entsprechenden Tragfähigkeiten bestehender älterer Betonbrücken wirklichkeitsnäher und zutreffender bestimmt werden. Die Nachweisverfahren wurden durch umfangreiche experimentelle Untersuchungen im Rahmen von Großversuchen kalibriert und validiert. Nachfolgend werden exemplarisch die neu entwickelten Nachweisverfahren für 3 häufige Schubprobleme der Bemessungspraxis vorgestellt, die Erweiterungen gegenüber den aktuellen Normen für Neubauten darstellen. 1. Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung Das Bemessungsmodell in Eurocode 2 gilt für eine reine Torsionsbeanspruchung bei einem Stahlbetonstab. Daraus resultieren aus den Gleichgewichtsbedingungen eine Torsionsbügel- und eine Torsionslängsbewehrung. Die Bügel dienen der Aufnahme der vertikalen Kraftkomponenten der unter dem Winkel Ѳ im Steg verlaufenden Betondruckstreben. Deren horizontale Kraftkomponenten beispielsweise an den Stirnflächen müssen durch die Torsionslängsbewehrung ins Gleichgewicht gesetzt und zurück verankert werden. Im Fall einer zusätzlichen äußeren Druckkraft P auf die Stirnflächen, z.B. aufgebracht durch eine Vorspannkraft über eine starre Platte, reduziert sich die erforderliche Torsionslängsbewehrung, bzw. bei ausreichend großer Kraft P ist sie nicht mehr erforderlich. Dann werden die horizontalen Kraftkomponenten der Betondruckstreben durch die Vorspannkraft P alleine ins Gleichgewicht gesetzt. Bei einem Spannbetonbalken sind die Trägerenden mit den Spanngliedverankerungen in der Regel ungerissen, sodass sich vergleichbare Verhältnisse einstellen, die eine Reduzierung der erforderlichen Torsionslängsbewehrung gemäß Eurocode 2 erwarten lassen (Bild 1). 8 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erweiterte Nachweisverfahren für einige Schubprobleme: Torsionslängsbewehrung, schubfester Druckgurtanschluss, Querkraftbemessung Reine Torsion: Stahlbeton Reine Torsion: Spannbeton Kombinierte Beanspruchung: M + V + T Bild 1 Reine Torsion T und kombinierte Beanspruchung M + V + T Das nachfolgend beschriebene Bemessungsmodell beruht auf diesen Modellvorstellungen. Es wurde durch einige Großversuche an Spannbetonbalken als Durchlaufträger mit kombinierter Beanspruchung (M + V +T) überprüft. Die gesamte erforderliche Bügelbewehrung ergibt sich aus der Querkraftbewehrung unter Berücksichtigung des Betontraganteils (z.B. erweitertes Fachwerkmodell mit Betontraganteil [1], Druckbogenmodell [2] etc.) plus der vollen Torsionsbügelbewehrung nach Eurocode 2. Bei Torsion ist kein zus. Betontraganteil analog zur Querkraftbemessung zu erwarten. Dagegen wird die Längsbewehrung infolge Torsion unter Berücksichtigung der kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion bemessen. Dazu wird zunächst die resultierende Längszugkraft (N TEd ) aus der statisch erforderlichen Torsionslängsbewehrung gemäß Eurocode 2 ermittelt. Diese wird dann als Zugkraft zentrisch im Schwerpunkt des Querschnitts angesetzt und bei der Biegebemessung berücksichtigt (Bild 2). Diese Idealisierung ist bei einer Beanspruchung überwiegend durch Biegung möglich. Torsionslängsbewehrung Asl bzw. zugehörige Torsionslängskraft ⇒ Nachweis der Längsbewertung infolge unter Mitwirkung der Längsspannglieder Bild 2 Längsbewehrung infolge MEd und TEd Bei dieser Vorgehensweise und überwiegender Biegebeanspruchung wird die günstige Wirkung aus der Überdrückung der Torsionslängszugkräfte im Bereich der Biegedruckzone infolge Biegung berücksichtigt. Die Tragwirkung, der aus Biegung nicht vollständig ausgenutzten Spannglieder, wird entsprechend ihrer tatsächlichen Lage im Querschnitt bei der Bemessung automatisch erfasst. Die Längsbewehrung wird auf diese Weise gegenüber einer Bemessung bei reiner Torsion reduziert [3]. 2. Schubfester Druckgurtanschluss bei Hohlkasten-brücken Nach DIN EN 1992-2/ NA: 2013-04 darf bei Nachweis der Biegetragfähigkeit gegliederter Querschnitt (Hohlkasten, Plattenbalken) nur derjenige Teil des Druckgurtes als mitwirkend berücksichtigt werden, der durch eine Querbewehrung und Betondruckstreben schubfest an den Steg angeschlossen ist. Die rechnerisch erforderliche Querbewehrung hängt entscheidend vom Winkel Ѳ f der Betondruckstreben ab. Die Bemessungsregeln nach Eurocode 2 liefern hierzu aufgrund eines unzutreffenden Rechenmodells [4] viel zu große Winkel Ѳ f , was dazu führt, dass sich dieser Nach- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 9 Erweiterte Nachweisverfahren für einige Schubprobleme: Torsionslängsbewehrung, schubfester Druckgurtanschluss, Querkraftbemessung weis bei vielen der älteren Bestandsbrücken nicht führen lässt. Bild 3 Stabwerkmodell für den Kraftfluss in einem Kastenträger (aus C. Menn, Stahlbetonbrücken Müller entwickelt in seiner Dissertation [4] ein Bemessungsmodell, indem er für den Winkel Ѳ f der Betondruckstreben vom natürlichen Einleitungswinkel der Hauptdruckspannungen ausgeht. Dabei sind die Spannungen σ Ed und τ Ed Spannungen im GZT. Das Bemessungsmodell beruht auf einem Stabwerkmodell. Wie in Bild 3 anschaulich zu erkennen ist, wird der Winkel Ѳ f für die Druckstreben umso kleiner, je mehr sich, ausgehend vom Momentennullpunkt ohne Druckspannungen, die Druckgurtkraft zum Auflager hin aufbaut. Im Gegensatz zum Bemessungsmodell nach Eurocode 2 werden hier der Anstieg sowohl der Schubspannungen in der Anschlussfuge als auch der Druckspannungen im Druckgurt unter Laststeigerung berücksichtigt, wodurch mit anwachsender Normalspannung σ Ed der Winkel Ѳ f zunehmend flacher wird. Dagegen wird beim Bemessungsmodell im Eurocode 2, abweichend zu den tatsächlichen Verhältnissen, bei der Laststeigerung bis zum GZT nur die Schubspannung gesteigert, die Normalspannung aber konstant gehalten. Dadurch werden die Winkel Ѳ f der Betondruckstreben viel zu groß ermittelt, was zu den rechnerischen Defiziten bei der Gurtanschlussbewehrung führt. Zusätzlich entwickelte Müller einen alternativen Nachweis auf Grundlage des Hauptzugspannungskriteriums [4]. (i) Hauptzugspannungsnachweis Der Hauptzugspannungsnachweis wird in den Mittelflächen der Stege und Gurte geführt. Er darf nur in ungerissenen Bereichen des Druckgurtes angewendet werden. Querschnitte mit nachträglich verpressten Rissen gelten in diesem Zusammenhang als gerissen. Der Nachweis wird im GZT unter den Bemessungswerten der Lasten geführt. Nachweisgleichung: ⇒ mit und dabei ist und Ermittlung der Längsdruckspannung Der Bereich der Druckzone in der unteren Kastenplatte wird von der Auflagerachse bis zum Momentennullpunkt in Abschnitte der Länge ∆x unterteilt. Die Spannung σ x,GA,Ed kann beispielsweise softwaregestützt aus den zugehörigen Dehnungsebenen infolge P mt und M Ed 10 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erweiterte Nachweisverfahren für einige Schubprobleme: Torsionslängsbewehrung, schubfester Druckgurtanschluss, Querkraftbemessung an den Abschnittsgrenzen bestimmt werden (Bild 4). Die Druckspannung σ x.GA,Ed sollte über die Höhe der Gurtplattendicke h f am Anschnitt zum Steg gemittelt werden. Bild 4 Ermittlung der Spannungen im GZT im ungerissenen Druckgurt Gleichgewichtsbedingung am Abschnitt ∆x • (eine Querschnittshälfte) Ermittlung der Schubspannungen infolge Querkraft und Torsion Ermittlung der Schubspannungen Infolge Querkraft: Dicke des Gurtes im Anschnitt zum Steg Differenz der Längsdruckkraft bezogen auf b Breite des Gurtes zwischen den Stegen Infolge Torsion A k Kernfläche innerhalb der Mittellinien der effektiven Schubwanddicken (Bredtscher Satz) Das Bemessungsmodell mit dem Hauptzugspannungskriterium wurde anhand von Versuchsergebnissen validiert (Bild 5). Bild 5 Vergleich von numerisch und experimentell mit dem Bemessungsvorschlag ermittelten Erstrisslasten (aus [4]) (ii) Schubfester Gurtanschluss mit Anschlussbewehrung Der schubfeste Anschluss des Druckgurts erfolgt im Zustand II mit Betondruckstreben unter dem Winkel Ѳ f und die zugehörige Querbewehrung. Druckstrebenwinkel Ѳf Der gedrückte Bereich der unteren Kastenplatte von der Auflagerachse bis zum Momentennullpunkt wird in Abschnitte der Länge ∆x ≤ h/ 2 unterteilt. An den Abschnittsgrenzen werden die zugehörigen Dehnungsebenen bestimmt (Bild 4). Bestimmung des Druckstrebenwinkels im Abstand h von der Auflagerachse mittlere Längsspannung in (aus Dehnungsebenen) Bestimmung des Druckstrebenwinkels im Momentennullpunkt Dazwischen darf ein linear veränderlicher Verlauf für Ѳ f angenommen werden (Bild 6). Über die Abschnittslänge ∆x darf jeweils der konstante Mittelwert angesetzt werden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 11 Erweiterte Nachweisverfahren für einige Schubprobleme: Torsionslängsbewehrung, schubfester Druckgurtanschluss, Querkraftbemessung Bild 6 Verlauf des Winkels Ѳf über die Länge des Druckgurtanschlusses Nachweise (Schubfluss ) Tragfähigkeit der Querbewehrung Tragfähigkeit der Druckstreben Konstruktion Durch die Querbewehrung muss die Querzugkraft einwandfrei an dem Steg angeschlossen werden Bild 7 Druckeinleitung in die Platte 3. Querkraftbemessung von Fahrbahnplatten ohne Querkraftbewehrung Im Allgemeinen wird angestrebt, die Fahrbahnplatteohne Querkraftbewehrung auszuführen. Leider werden derzeit in der Praxis die Berechnungsverfahren dazu teilweise sehr uneinheitlich angewendet. Je nach dem kann es dazu kommen, dass die Fahrbahnplatte eine Querkraftbewehrung erfordert oder nicht, ohne dass man immer eindeutig sagen kann, das Berechnungsverfahren sei richtig oder falsch. Derzeit gilt für die Bemessung DIN EN 1992-2 mit zugehörigem NA. Bauteile ohne rechnerisch erforderliche Querkraftbewehrung sind in Kapitel 6.2.2 geregelt. Für die Bemessung gelten die Gleichungen (6.2a) und (6.2b) sowie (6.3a DE) und (6.3b DE). Nach aktuellem Stand der Normung gilt auch das NCI zu 6.2.1 (3), wonach auch bei Bauteilen ohne Querkraftbewehrung V ccd + V td zum Querkraftwiderstand addiert werden. Die Berücksichtigung dieser Traganteile führt in vielen Fällen dazu, dass zumindest in den gevouteten Bereichen keine Querkraftbewehrung erforderlich ist. Vom wissenschaftlichen Standpunkt gesehen besteht Einigkeit, dass die Gl. (6.2) für die Bemessung von Platten bei Querkraft infolge konzentrierter Einzellasten konservativ ist. Dagegen gehen die Meinungen über den berechtigten Ansatz von V ccd +V td auseinander. Im Rahmen mehrerer FE-Vorhaben mit theoretischen und experimentellen Untersuchungen konnte mittlerweile die Nachweisgleichung (6.2) in DIN EN 1992-2 für Fahrbahnplatten unter konzentrierten Einzellasten so angepasst werden, dass die tatsächlichen Traglasten zutreffender ermittelt werden können [5], [6]. Im Rahmen eines FE-Antrags der BASt [7] wurde eine Bauherrenregelung zur Bemessung von Fahrbahnplatten ohne Querkraftbewehrung erarbeitet, die aber derzeit noch nicht per ARS eingeführt wurde. Wie nachfolgend dargestellt, sieht diese eine deutliche Anhebung des empirisch angepassten Faktors vor. Die Querkraftbeanspruchungen v Ed in Fahrbahnplatten unter konzentrierten Einzellasten sind sinnvoll mit der Methode der finiten Elemente zu ermitteln. Auch hierzu enthält die künftige Bauherrenregelung entsprechende Vorgaben. Die Bemessung von Fahrbahnplatten bzw. des Tragsystems in Querrichtung erfolgt üblicherweise für die Lastfälle - Eigenlasten (G k1 ) - Ausbaulasten (G k2 ) - Quervorspannung (P k ) - Verkehrslasten (Q k ). Nachfolgend werden die Empfehlungen für ein alternatives Bemessungskonzept als Bauherrenregelung kurz vorgestellt. Die Empfehlungen betreffen sowohl die Modellierung des Strukturmodells, die Schnittgrößenermittlung auf der Beanspruchungsseite sowie den angepassten Bemessungsvorschlag auf der Widerstandsseite, bei dem bisher ungenutzte Tragreserven aktiviert werden. Die Regelungen sollen zu gegebener Zeit verbindlich vom BMVI eingeführt werden. Nachfolgend werden die Empfehlungen in kurzer Form dargestellt. Für weitere Details wird auf [7] verwiesen. Vorschlag für eine Bauherrenregelung zur Vereinheitlichung der Nachweise bei Querkraft für Fahrbahnplatten ohne Querkraftbewehrung: Modellierung des Tragsystems als FE-Modell - Die Querkraftbeanspruchung in Fahrbahnplatten wird mittels FEM auf Grundlage einer möglichst realitätsnahen Strukturmodellierung ermittelt - Elementgröße ≤ 20 cm 12 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erweiterte Nachweisverfahren für einige Schubprobleme: Torsionslängsbewehrung, schubfester Druckgurtanschluss, Querkraftbemessung - Modellierung der Fahrbahnplatte einer Plattenbalken- oder Hohlkastenbrücke mit Schalenelementen - Kopplung der Knoten am Anschnitt zum Steg als starre Rahmenecke - Bei Durchlaufträgern darf für das Längssystem ein repräsentativer Ersatzeinfeldträger in Feldmitte betrachtet werden - Querdehnzahl 0,2 Bild 8 Gesamtsystem Bild 9 Systemausschnitt: Faltwerk mit 20 cm Elementen Bild 10 Kopplung zwischen Fahrbahnplatte und Steg im jeweiligen Anschnitt Beanspruchung ν Ed,FEM : - Berücksichtigung der Abminderung auflagernaher Einzellasten gemäß DIN EN 1992-2, der abzumindernde Bereich bis 2,0d vom Anschnitt wird auf d Anschnitt bezogen - Keine Lastausbreitung bis zur Plattenmitte, d.h. Belastungsfläche 40 cm x 40 cm - Bei üblichen Hohlkasten- und Plattenbalkenquerschnitten kann die maßgebende Laststellung für die Verkehrslasten vereinfachend im Abstand 2d Anschnitt vom jeweiligen Anschnitt bzw. im Abstand 1,0d Knick vom Knickpunkt am Ende der Voute angenommen werden - Die Nachweise werden im Abstand 1,0d Anschnitt vom Steg geführt. Dadurch werden numerisch bedingte Singularitäten im Bereich der direkten Lasteinleitung vermieden. - Bei gevouteten Platten wird der Bereich der dünnen Platte zwischen den Vouten zusätzlich im Knickpunkt nachgewiesen. Dabei steht die Radlast im Abstand 1,0d Knick vom Knickpunkt. - Die Ermittlung der Schnittgröße ν Ed,FEM erfolgt rechnergestützt mithilfe eines geeigneten FE-Programms mit dem Verkehrslastmodell gemäß DIN EN 1990 bzw. DIN EN 1991-2. Die Schnittgröße (Querkraft) ist im Bemessungsschnitt in der Lastachse abzulesen. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 13 Erweiterte Nachweisverfahren für einige Schubprobleme: Torsionslängsbewehrung, schubfester Druckgurtanschluss, Querkraftbemessung Bild 11 Darstellung der Nachweisschnitte 1 (1d außen), 2 (1d innen) und 3 (Knickpunkt) Bild 12 Maßgebende Laststellung im Schnitt 1 bei üblichen Kragarmen ( ) Bild 13 Maßgebende Laststellung im Schnitt 1 bei langen Kragarmen ( ) Bild 14 Maßgebende Laststellung im Schnitt 2 ( ) Bild 15 Maßgebende Laststellung im Schnitt 3 ( ) Nachweisformat: Es ist sicherzustellen, dass die einwirkende Querkraft den Tragwiderstand ν Rd,c nicht überschreitet: Bemessungswert der Querkrafttragfähigkeit ν Rd,c : Der Nachweis ist im Abstand d von den Rändern der Radlast (Blocklast) zu führen. Bei gevouteten Trägern ist dabei die statische Nutzhöhe d am Längsträgeranschnitt maßgebend. Alternativ zu (Gleichung (6.2a) in DIN EN 1992-2 darf v Rd,c bei Anwendung des o.g. Vorgehens zur Ermittlung der Einwirkung v Ed wie folgt ermittelt werden. mit C* Rd,c = (0,225/ / g c )=0,15; f ck = charakt. Betonfestigkeit [N/ mm²] k = 1 + ≤ 2,0 mit d [mm]; r l = A sl / (b w d) ≤ 0,02; d = statische Nutzhöhe A sl = die Fläche der anrechenbaren Zugbewehrung, die mindestens (l bd + d) über den betrachteten Querschnitt hinausgeführt wird (s. Bild 6.3 in EC 2/ NA(D)) σ cp = N Ed / A c < 0,2f cd [N/ mm²]; N Ed die Normalkraft im Querschnitt infolge Vorspannung (N Ed > 0 für Druck. A c die Betonquerschnittsfläche [mm²]; 14 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erweiterte Nachweisverfahren für einige Schubprobleme: Torsionslängsbewehrung, schubfester Druckgurtanschluss, Querkraftbemessung v min = (0,0525 / g c ) k 3/ 2 ·f ck 1/ 2 für d ≤ 600 mm v Rd,c in [kN/ m]; Mit dem Faktor C*Rd,c darf nur der Querkraftwiderstand für vorwiegend durch konzentrierte Einzellasten (LM1) beanspruchte Fahrbahnplatten ermittelt werden (nicht z.B. bei Wildbrücken). Was den Ansatz von Vccd bei gevouteten Platten betrifft, so gehen die Meinungen noch weit auseinander. Daher besteht hier weiter dringender Forschungsbedarf. Vorerst gilt: NCI zu 6.2.1(3) nach DIN EN 1992-2 entfällt bei Anwendung von C*Rd,c = 0,15. Es sei darauf hingewiesen, dass der erhöhte Vorfaktor C* Rd,c nur für den Querkraftnachweis im Abstand 1,0d vom Rand der Lastplatte gilt, da er entsprechend kalibriert wurde. 4. Literatur [1] Herbrand, M.; Hegger, J.: Beurteilung der Querkrafttragfähigkeit von Brücken im Bestand - erweiterte Bemessungsansätze, TAE Tagungsband, 3 Brückenkolloquium, 2018 [2] Maurer, R.; Gleich, P.; Stuppak, E.: Neue Erkenntnisse aus Versuchen mit Durchlaufträgern aus Spannbeton zum Tragverhalten bei Querkraft und Torsion, TAE Tagungsband, 3 Brückenkolloquium, 2018 [3] Maurer, R.; Stakalies, E.: Versuche und Bemessungsvorschlag zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung, Bauingenieur 95 (2020), Heft 1 [4] Müller, M.: Zum schubfesten Anschluss von Druckgurten in Hohlkastenbrücken, Dissertation, TU Dortmund, 2016 [5] Rombach, G.; Latte, S.; Steffens, R.: Querkrafttragfähigkeit von Fahrbahnplatten ohne Querkraftbewehrung, Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Heft 1011, 2009 [6] Hegger, J.; Reissen, K.: Querkrafttragfähigkeit von einachsig gespannten Stahlbetonplatten unter Einzellasten. Versuchsdokumentation zum Forschungsvorhaben der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit DFG-GZ: HE 2637/ 22-1, Institutsbericht Nr. 380/ 2016, Aachen, 2016 [7] Maurer, R.; Hegger, J.; Rombach, G.; Zilch, K.: Querkraftbemessung von Brückenfahrbahnplatten - Erarbeitung einer einheitlichen Vorgehensweise zur Ermittlung der erforderlichen Querschnittsabmessungen von Fahrbahnplatten ohne Querkraftbewehrung, Schlussbericht zum Forschungsvorhaben FE 15.0639/ 2017/ FRB, BASt, 2019 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 15 Erweiterte Nachweise zur Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem Josef Hegger Institut für Massivbau, RWTH Aachen, Deutschland Zusammenfassung Die Altersstruktur des Brückenbestands der Bundesfernstraßen in Deutschland ist der wesentliche Grund für allgemein schlechten Gesamtzustand zahlreicher Brückenbauwerke. Neben alterungsbedingten Schäden spielen dabei die erhebliche Steigerung des Güterverkehrs und die mehrfache Weiterentwicklung der Normen während der vergangenen Jahrzehnte eine maßgebende Rolle. Dadurch ergeben sich häufig rechnerische Defizite. Genauere Nachweisformate können unter Umständen Abhilfe schaffen. Diese sind in der Nachrechnungsrichtlinie geregelt, die 2011 erschienen und 2015 erstmals erweitert wurde. Grundlage für die verfeinerten Bemessungsansätze sind im Wesentlichen Ergebnisse aus Forschungsvorhaben der vergangenen ca. 10 Jahre. Seit der ersten Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie wurden weitere Erkenntnisse hinsichtlich der Tragverhaltens von Spannbetonbrücken mit bestandstypischen Merkmalen gewonnen. Diese bilden die Grundlage für die 2. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie. Ein Teil der darin adressierten Neuerungen wurden im vorangegangenen Beitrag vorgestellt. Im Folgenden werden die Erweiterungen bezogen auf den Querkraftnachweis des Hauptragsystems betrachtet. 1. Einleitung Der Großteil des Brückenbestands der Bundesfernstraßen in Deutschland wurde vor 1985 gebaut [1]. Infolge von Verkehrssteigerungen [2] und strengeren normativen Anforderungen ergeben sich häufig rechnerische Defizite [3; 4]. Da ein wesentlicher Anteil der Brücken im Zuge der deutschen Bundesfernstraßen in Massivbauweise realisiert wurde [5], ergibt sich für Stahl- und Spannbetonbrücken ein nennenswerter Bedarf nach Lösungen, um den altersstrukturbedingten Defiziten der Ingenieurbauwerke entgegenzuwirken. Zur Verlängerung der verbleibenden Nutzungsdauer der Bestandbrücken mit rechnerischen Mängeln können verfeinerte Bemessungsansätze Abhilfe schaffen, die höhere rechnerische Tragfähigkeiten ergeben. Diese sind in der Nachrechnungsrichtlinie geregelt [6; 7]. Die auf den Regelungen in den DIN Fachberichten basierende Nachrechnungsrichtlinie ist erstmals 2011 erschienen. Hintergründe sind z. B. in [8-10] zu finden. Die Nachrechnungsrichtlinie beinhaltet ein vierstufiges Verfahren, wie in Abbildung 1 dargestellt, wobei in der Regel mit aufsteigender Nachrechnungsstufe einerseits die Genauigkeit der Berechnungsverfahren zunimmt, sich andererseits aber auch ein höherer Anwendungsaufwand ergibt. In Stufe 2 sind erweiterte Bemessungsansätze und in Stufe 4 alternative wissenschaftlich basierte Berechnungsverfahren zugelassen. So sind u.a. Modifikationen in der Querkraft- und Torsionsbemessung bei Bestandsbrücken in Massivbauweise erlaubt, die in alten Normengeneration festgeschrieben waren (DIN 4227 vor 2003). Die Anwendung wissenschaftlicher Verfahren in Stufe 4 erfordert die Abstimmung mit der zuständigen obersten Baubehörde. Hierzu sind entsprechende Erfahrungen beim Anwender erforderlich. Weiterhin ist sicherzustellen, dass die verfahrensspezifischen Anwendungsgrenzen eingehalten werden können und das erreichbare Sicherheitsniveau sinnvoll ermittelt werden kann. Abbildung 1 Vierstufiges Verfahren der Nachrechnungsrichtlinie zur Bewertung der Standsicherheit von Brückenbauwerken im Bundesbestand In einem Forschungsvorhaben [11-13] wurden u.a. aufgrund mangelnder einheitlicher Vorschriften kurzfristige Lösungen zur Modifikation bestehender Bemessungsansätze auf Grundlage bisher durchgeführter Forschungsvorhaben und gesammelter Erfahrungen im Zuge von Nachrechnungen und Gutachten zur Bewertung von 16 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erweiterte Nachweise zur Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem Bestandsbrücken erarbeitet, um auch Modifikationen zuzulassen, die bis dahin nur Anwendung in Gutachten fanden. Die Ergebnisse waren die Grundlage für die erste Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie [7]. Dadurch wurde auch wieder ermöglicht, die Betonzugfestigkeit bei der Bemessung in Ansatz zu bringen. In einem weiteren Forschungsprojekt [14] konnte anhand durchgeführter Versuche gezeigt werden, dass das erweiterte Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil, wie es bereits im Model Code 2010 [15] für Bestandstragwerke vorgesehen ist, die Querkrafttragfähigkeiten von Spannbetonträgern mit geringem Bügelbewehrungsgrad wirtschaftlicher abbilden kann als aktuelle Ansätze auf Basis eines reinen Fachwerkmodells. Außerdem wurden basierend auf weiteren Versuchen Konstruktionsregeln formuliert, um nach heutigem Stand nicht normkonforme Bügelformen in Bestandsbrücken bei der Querkraftbemessung in Stufe 2 der Nachrechnungsrichtlinie anzurechnen [16]. Diese Forschungsergebnisse sowie weitere, im vorangegangenen Beitrag [17] vorgestellte Erkenntnisse aus neuesten Forschungsvorhaben bilden die Grundlage für die Regelungen in der 2. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie. Nachfolgend werden die bisherigen Regelungen für die Querkrafttragfähigkeit des Längssystem nach aktueller Normung sowie den Regelungen der Nachrechnungsrichtlinie und ihrer 1. Ergänzung zusammengefasst und die Erweiterungen für die 2. Ergänzung vorgestellt. 2. Querkraftbemessung nach DIN FB und EC2 2.1 Allgemeines Nach aktuellen normativen Vorgaben wird bei der Querkraftbemessung zwischen Bauteilen mit und ohne Querkraftbewehrung unterschieden. Dabei weisen balkenförmige Bauteile stets eine Mindestquerkraftbewehrung auf, während Stahlbetonplatten auch ohne Querkraftbewehrung zulässig sind. Zudem ist bei Platten in Ortbetonbauweise eine Ausführung ohne Querkraftbewehrung aus baupraktischer Sicht vorzuziehen, um den hohen Aufwand bei deren Einbau zu vermeiden. 2.2 Bauteile ohne Querkraftbewehrung 2.2.1 Schubzugversagen Für einen ungerissenen Betonquerschnitt können die Hauptspannungen nach der technischen Mechanik unter Annahme eines ebenen Spannungszustandes und linear-elastischer Materialgesetze bestimmt werden. Ein Versagen des Querschnitts tritt nicht ein, wenn die Hauptdruckspannungen die zulässige Betondruckfestigkeit und die Hauptzugspannungen die zulässige Betonzugfestigkeit nicht überschreiten. Ein Schubzugversagen tritt dann ein, wenn die schiefen Hauptzugspannungen die Betonzugfestigkeit vor der Biegerissbildung überschreiten, d. h., Schubrisse treten vor der Biegerissbildung auf. Dies kann insbesondere bei profilierten Bauteilen mit Vorspannung oder äußeren Drucknormalkräften der Fall sein. 2.2.2 Biegeschubversagen Der aktuelle Bemessungsansatz für Querkraft ohne Querkraftbewehrung nach EC 2 basiert auf dem Ansatz aus Model Code 1990 [18], der auf empirische Untersuchungen aus den 60er Jahren zurückgeht [19]. Anhand von knapp 200 Querkraftversuchen und theoretischen Vorüberlegungen zu potentiellen Einflussgrößen wurde über Regressionsanalysen einen Produktansatz für schlanke Bauteile hergeleitet, der aufgrund nachträglicher nach Auswertungen weiterer Versuche an gedrungenen Bauteilen leicht modifiziert wurde [20]. Bei der Überführung in MC 90 wurde ein Faktor zur Berücksichtigung des Maßstabseffekts ergänzt, der bis heute Anwendung findet. Dieser Ansatz wurde später ohne wesentliche Änderungen, abgesehen von der Vernachlässigung des Parameters für die Schubschlankheit, in den EC 2 übernommen. 2.3 Bauteile mit Querkraftbewehrung Dem Querkraftbemessungsansatz für Bauteile mit Querkraftbewehrung nach EC2 ohne den Nationalen Anhang für Deutschland liegt ein Fachwerkmodell mit variabler Druckstrebenneigung zugrunde. Dabei kann der Druckstrebenwinkel innerhalb vorgegebener Grenzen frei gewählt werden. Das Fachwerkmodell mit variabler Druckstrebenneigung basiert auf der Plastizitätstheorie. Im Gegensatz hierzu erfolgt nach Nationalem Anwendungsdokument für Deutschland die Ermittlung der Querkrafttragfähigkeit von Bauteilen mit rechnerisch erforderlicher Querkraftbewehrung auf Basis eines Fachwerkmodells mit Rissreibung [21], wie Abbildung 2 zeigt. Dabei besteht das Fachwerk aus Zug- und Druckgurten, die parallel zu den Bauteilkanten verlaufen und durch Zug- und Druckstreben miteinander verbunden sind. Über die Schubrisse im Winkel β r hinweg können in diesem Modell zusätzliche Kräfte aus Rissreibung übertragen werden, sodass sich flachere Druckstrebenwinkel ergeben. Der von der Querkraft- und Normalkraftauslastung abhängige Druckstrebenwinkel θ ist so definiert, dass sich ein konstanter Betontraganteil ergibt. Hierbei muss der Druckstrebenwinkel mindestens eine Neigung von etwa 30° (cot θ = 7/ 4) aufweisen und darf nicht steiler als ca. 60° (cot θ = 4/ 7) angenommen werden. Aufgrund des unterschiedlichen Rissverhaltens von Bauteilen ohne und mit Querkraftbewehrung entspricht der Betontraganteil beim Nachweis für Bauteile mit Querkraftbewehrung nicht der Querkrafttragfähigkeit von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 17 Erweiterte Nachweise zur Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem Abbildung 2: Einfluss der Rissreibung auf den Druckstrebenwinkel bei einem querkraftbewehrten Stahlbetonbalken nach [21]: a) Darstellung der Kräfte an entlang des Schubrisses abgetrennten Träger; b)-d): Spannungszustände im Beton und zw. den Rissen Der Nachweis der Querkrafttragfähigkeit von Bauteilen mit Querkraftbewehrung umfasst sowohl den Nachweis der Druckstrebentragfähigkeit als auch den Nachweis der Zugstreben. Bei Bauteilen mit niedrigen Querkraftbewehrungsgraden tritt überwiegend ein Versagen der Zugstreben ein, da die Druckstrebentragfähigkeit aufgrund der Mindestwerte der Druckstrebenneigung nicht voll ausgenutzt wird. Weitergehende experimentelle Untersuchungen ergaben, dass nach dem teilweisen Ausfall der Rissreibung Umlagerungen auf andere Traganteile stattfinden, sodass die aus dem Fachwerkmodell mit Rissreibung errechnete Traglast insbesondere bei Bauteilen mit geringen Schubbewehrungsgraden die tatsächliche Bruchlast unterschätzt [22; 23]. 3. Zusätzliche Regelungen in der Nachrechnungsrichtlinie für Querkraft 3.1 Anpassung des Druckstrebenwinkels für das modifiziertes Fachwerkmodell mit Rissreibung In DIN FB 102 bzw. gemäß Nationalem Anhang für Deutschland zu EC2 ergibt sich eine Beschränkung der Druckstrebenneigungen durch ein Rissreibungskriterium. Zusätzlich gilt cot θ = 1,75 als unterer Grenzwert für den Druckstrebenwinkel für den Brückenneubau. Bei Brückennachrechnungen nach Stufe 2 darf der minimal zulässige Druckstrebenwinkel unter bestimmten Voraussetzungen auch auf 21,8° (cot θ = 2,5), bzw. 18,4° (cot θ = 3,0) verringert werden. Auf Basis aktueller Erfahrungswerte aus der Nachrechnung von Spannbetonbrücken mit geringen Querkraftbewehrungsgraden ist jedoch bekannt, dass eine Verringerung des zulässigen Druckstrebenwinkels θ infolge der zusätzlichen Begrenzung durch das Rissreibungskriterium in der Regel nicht möglich ist und es ergibt sich nur eine geringe Steigerung der Querkrafttragfähigkeit. 3.2 Hauptzugspannungsnachweis Für die Ergänzung [7] der Nachrechnungsrichtlinie aus 2011 [6] wurde zur Vereinfachung der Nachweisführung vorgeschlagen, den Querkraftnachweis als Hauptzugspannungsnachweis zu führen [11-13]. Für eine im Grenzzustand der Tragfähigkeit berechnete Schnittgrößenkombination kann so die Berechnung der Hauptzugspannungen in einem Nachweisschnitt jeweils in verschiedenen Abschnitten entlang der Querschnittshöhe erfolgen. Die maximalen Werte der Hauptzugspannung σ I,Ed können für verschiedene Leiteinwirkungen der Schnittgrößen (N Ed , M Ed , V Ed , T Ed ) auftreten. Hierbei sind die zu den jeweiligen Leiteinwirkungen zugehörigen Schnittgrößen zu verwenden. Die zusätzlichen Festlegungen beruhen auf Untersuchungen in [24; 25]. So wurden die zulässigen Randzugspannungen im Grenzzustand der Tragfähigkeit auf f ctm für den Fall erhöht, dass innerhalb der Flansche Zugspannungen infolge der Biegebeanspruchung des Längssystems auftreten. Für Spannbetonbauteile mit einem vorhandenen Querkraftbewehrungsgrad von mindestens etwa 50 % der nach DIN FB 102 erforderlichen Mindestquerkraftbewehrung ist nach den Bauteilversuchen kein sprödes Versagen zu erwarten. Da die Spannbetonträger mit zunehmender Vorspannung weniger duktil versagen, wird auf Basis der Untersuchungen für Bauteile, die mindestens über die nach DIN FB 102 erforderliche Mindestquerkraftbewehrung verfügen, eine Begrenzung der Beton Betondruckspannungen infolge Vorspannung in Höhe der Schwerachse auf σ cp ≤ 0,20 ∙ f ck empfohlen. Für Bauteile, bei denen der Querkraftbewehrungsgrad das 0,5-fache der nach DIN FB 102 erforderlichen Mindestquerkraftbewehrung unterschreitet, sind die Betondruckspannungen σ cp in Höhe der Schwereachse auf einen Maximalwert entsprechend 15 % der charakteristischen Betondruckfestigkeit zu begrenzen (0,15 ∙ f ck ). Die zulässigen Betondruckspannungen dürfen für Querkraftbewehrungsgrade zwischen dem 0,5 und 1,0-fachen der Mindestquerkraftbewehrung linear interpoliert werden. Für Bauteile, in denen weniger als das 0,5-fache der Mindestquerkraftbewehrung enthalten ist, wurde eine Begrenzung der zulässigen Hauptzugspannungen beim Nachweis der Querkrafttragfähigkeit auf 0,8·f ctd vorgeschlagen. Außerdem wurde hier ein Abminderungsbeiwert für die Betonzugfestigkeit von α ct = 0,85 eingeführt, um der Gefahr spröden Bruchverhaltens bei geringen 18 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erweiterte Nachweise zur Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem Querkraftbewehrungsgraden vorzubeugen. Für Bauteile, die mindestens einen 0,5-fachen Mindestquerkraftbewehrungsgrad aufweisen, darf dagegen ein gegenüber EC 2 erhöhter Beiwert von α ct = 1,0 verwendet werden, da nach Versuchen noch ausreichende Tragreserven nach der Schubrissbildung existieren [26]. 4. Erweiterte Querkraftnachweise für die 2. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie 4.1 Allgemeines Zur Bewertung älterer Brücken mit z.B. nach heutiger Definition unzureichender Mindestquerkraftbewehrung sind erweiterte Bemessungsmodelle erforderlich, die gegenüber der 1. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie für Stufe 2 eine flachere Druckstrebenneigung erlauben. Zur Klärung offener Fragen, wurden in einem weiteren Forschungsprojekt ergänzende experimentelle und theoretische Untersuchungen durchgeführt [14]. Hierfür wurden unter anderem Versuche an elf großformatigen Spannbetondurchlaufträgern [27-29] und elf kurzen Spannbetonträgerausschnitten (Substrukturversuche, [30]) durchgeführt, um das Tragverhalten von Durchlaufsystemen unter Querkraftbeanspruchung und teilweise zusätzlicher Torsion zu untersuchen. Dabei konnte u.a. festgestellt werden, dass sich bereits bei kleinen Querkraftbewehrungsgraden ( ρ w,vorh < ρ w,min ) deutlich höhere Querkrafttragfähigkeiten ergeben als rechnerisch über das Fachwerkmodell ermittelt werden. Dies konnte auch durch die Ergebnisse anderer Untersuchungen bestätigt werden [31-33]. Daher wurde ein erweitertes Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil hergeleitet, das die Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonträgern mit geringem Bügelbewehrungsgrad wirtschaftlicher abbilden kann als aktuelle Ansätze mit reinem Fachwerkmodell [34]. Weiterhin wurde ein Ansatz zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung formuliert [14]. Zudem wurden Möglichkeiten zur rechnerischen Anwendbarkeit von heute nicht mehr zulässigen Bügelformen in Bestandsbrücken vorgeschlagen [30]. 4.2 Erweitertes Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil Bereits bei den ersten Überlegungen, die Querkrafttragfähigkeit über ein Fachwerkmodell abzubilden, wurde bereits davon ausgegangen, dass nicht allein die Bügel die einwirkenden Querkräfte aufnehmen, sondern ein zusätzlicher Betontraganteil existiert [35]. Die Addition eines Betontraganteils, der dem Anteil eines unbewehrten Bauteils entspricht, war bereits in den Regeln von Model Code 1978 [36] enthalten. Auch in Model Code 2010 [15] wird als Ansatz für die Nachrechnung bestehender Tragwerke in LoA III (Level of Approximation) ein additiver Betontraganteil aufgeführt. Versuchskörper mit geringen Querkraftbewehrungsgraden wiesen beim Versagen einen einzelnen und konzentrierten Schubrisses auf und keine gleichmäßig verteilten Schubrisse wie bei Bauteilen mit höheren Schubbewehrungsgraden. Zudem verläuft dieser Schubriss nicht gerade, sondern gekrümmt (z. B. [37; 38]). Dies ist ein typisches Merkmal für das Querkraftversagen von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung. Versuche an Spannbetonträgern zeigen, dass eine Berücksichtigung der veränderlichen Druckzonenhöhe bei Ermittlung der Querkrafttragfähigkeiten zutreffendere Ergebnisse liefert (z. B. [26; 39; 40]). Diese und andere Beobachtungen aus experimentellen Untersuchungen [41; 42] belegen, dass ein kontinuierlicher Übergang des Tragverhaltens von Trägern ohne zu Trägern mit geringer Querkraftbewehrung existiert. In Anlehnung an die Regelungen in DIN FB [43] wurde daher ein empirisches Modell für den additiven Betontraganteil vorgeschlagen [14] und der bisherige Ansatz nach Gl. 6.2a aus dem DIB FB 102 übernommen. Der Berechnungsablauf für Bauteile mit geringen Querkraftbewehrungsgraden entsprechend en Gln. (1) bis (7) ermöglicht einen rechnerischen Übergang von Bauteilen ohne zu Bauteilen mit Querkraftbewehrung im Zuge der Querkraftbemessung von Bestandsbrücken. Details zu den Hintergründen und den zugrundeliegenden experimentellen Untersuchungen, die an der RWTH Aachen durchgeführt wurden, können bspw. [14; 27; 29] oder einem weiteren Beitrag dieses Kolloquiums [44] entnommen werden. (1) Dabei ist ein Duktilitätskoeffizient und ρ w,prov der vorhandener Querkraftbewehrungsgrad und ρ w,min der Mindestwert für den Querkraftbewehrungsgrad nach DIN-FB 102. Der Bemessungswert der Querkrafttragfähigkeit V Rd,ct biegebewehrter Bauteile ohne Querkraftbewehrung ist wie folgt zu ermitteln: (2) Wobei mit der Mindest- und mit der Höchstwert für den Betontraganteile zu überprüfen sind. Entsprechend der Regelungen in DIN FB 102 ergeben sich die nachfolgend aufgelisteten Werte für die einzelnen Parameter: - γ c : Teilsicherheitsbeiwert für bewehrten Beton nach DIN FB 102, II 2.3.3.2 γ c = 1,5; - Maßstabsfaktor ; d in [mm]; 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 19 Erweiterte Nachweise zur Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem - Längsbewehrungsgrad - Fläche der Zugbewehrung A sl , die mindestens um das Maß d über den betrachteten Querschnitt hinausgeführt und dort wirksam verankert ist (siehe DIN FB 102, Abb. 4.12). Bei Vorspannung mit sofortigem Verbund darf die Spannstahlfläche voll auf A sl angerechnet werden.; - charakteristischer Wert der Betondruckfestigkeit f ck in [N/ mm²]; - Bemessungswert der Betonlängsspannung im Schwerpunkt des Querschnitts ; - Bemessungswert der Längskraft im Querschnitt infolge äußerer Einwirkungen oder Vorspannung N Ed (< 0 für Längsdruckkräfte); - kleinste Querschnittbreite innerhalb der Zugzone des Querschnitts b w ; - statische Nutzhöhe der Biegezugbewehrung d im betrachteten Bemessungsschnitt; - v min = (0,0525/ γ c ) ∙ k 3/ 2 ∙ f ck 1/ 2 für d ≤ 600 mm bzw. v min = (0,0375/ γ c ) ∙ k 3/ 2 ∙ f ck 1/ 2 für d > 800 mm wobei Zwischenwerte linear interpoliert werden dürfen. Der Beiwert ν für die aufnehmbare Druckspannung des gerissenen Betons ergibt sich zu (3) und der rechnerische Schubrisswinkel β r darf in den nachfolgend angegebenen Grenzen gewählt werden: (4) Die Druckstrebentragfähigkeit für eine Querkraftbewehrung rechtwinklig zur Bauteilachse ergibt sich zu (5) mit einem rechnerischen Druckstrebenwinkel von: (6) Der mechanische Querkraftbewehrungsgrad ergibt sich dabei zu: (7) Eine Veranschaulichung der Auswirkungen verschiedener Druckstrebenneigungen ist über eine Darstellung im Plastizitätskreis möglich, wie Abbildung 3 zeigt. Abbildung 3: Plastizitätskreis mit (1) Begrenzung des Druckstrebenwinkels θ auf cotθ = 2,5 und (2) / (3) Fachwerkmodelle mit Betontraganteil nach [14] Die in schwarz dargestellten Linien zeigen das Fachwerkmodell für verschiedene Druckstrebenwinkelneigungen. Für cot θ = 2,5 ergibt sich Linie (1). Die rot dargestellten Linien (2) und (3) zeigen Möglichkeiten für das Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil für unterschiedliche Winkel β r . Da rechnerisch Wertebereiche außerhalb des Plastizitätskreises möglich sind, wird cot β r entsprechend Gl. (8) begrenzt, Linie (3). Weitergehende Hintergrundinformationen können [14; 34] entnommen werden. (8 20 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erweiterte Nachweise zur Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem In Abbildung 4 werden die Ergebnisse einer in [11] beschriebenen Beispielbemessung für verschiedene Querkraftbemessungsansätze mit dem hier vorgestellten Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil für die 2. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie gegenübergestellt. Dazu wird der Quotient aus der einwirkenden Querkraft V Ed und der Querkrafttragfähigkeit entsprechend dem betrachteten Widerstandsmodell V Rd gebildet. Mit dem erweiterten Modell für Stufe 2 der Nachrechnungsrichtlinie für die zweite Ergänzung ergibt sich eine höhere rechnerische Querkrafttragfähigkeit im Vergleich zu den anderen Ansätzen der Stufe 2. Auch wenn sich weiterhin ein konservativerer Ausnutzungsgrad als nach den wissenschaftlichen Modellen in Stufe 4 ergibt, ist dennoch der Vorteil des Fachwerkmodells mit additivem Betontraganteil für diese Beispielberechnung deutlich erkennbar. Im Zuge eines aktuellen Forschungsvorhabens [45] erfolgt derzeit die Validierung des Modells anhand weiterer realer Brückenbauwerke als Erweiterung zu den bislang durchgeführten Verifizierungen über Versuchsergebnisse. Abbildung 4: Gegenüberstellung einer Beispielberechnung aus [11] mit dem Ergebnis nach dem vorgestellten Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil 4.3 Anrechnung nicht mehr normkonformer Bügelformen auf die Querkrafttragfähigkeit Da viele bestehende Massivbrücken Bügel als Querkraftbewehrungselemente aufweisen, die nicht mehr den heutigen normativen Regelungen entsprechen, bestand die Frage, inwiefern solche Bügel im Zuge einer Brückennachrechnungen auf die Querkrafttragfähigkeit der Hauptträger angerechnet werden können. Dazu wurden im Zuge des abgeschlossenen Forschungsvorhabens [14] an der TU München Querkraftversuche an Spannbetondurchlaufträgerausschnitten durchgeführt, die einerseits geringe Querkraftbewehrungsgrade und andererseits verschiedene typische Bügelformen älterer Brücken aufwiesen [30]. Aus den Ergebnissen wurden Regelungen für die rechnerische Berücksichtigung bei der Zugstrebentragfähigkeit des Fachwerkmodells für die fünf in Abbildung 5 dargestellten Bügelformen abgeleitet. Die Regelungen werden Eingang finden in die 2. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie und sind anwendbar für Bauteile, die höchstens den 1,5-fachen Werte der Mindestquerkraftbewehrung nach DIN FB 102 [43] aufweisen. Dabei ergibt sich die Querkrafttragfähigkeit der vorhandenen Querkraftbewehrung zu (9) wobei V Rd,sy der Querkrafttragfähigkeit der Querkraftbewehrung nach DIN FB 102 entsprechend Gl. (10) (10) und V Rd,sy,ad der zusätzlichen Querkrafttragfähigkeit nicht DIN-Fachbericht konformer Querkraftbewehrungsformen nach Gl. (11) entspricht. (11) Dabei ist A sw die Querschnittsfläche der Bügel, s w der Achsabstand in Brückenquerrichtung und die Neigung des Schubrisses cot β r ergibt sich nach Gl. (4). Mit dem Wert k l,b in Gl. (11) wir die Wirksamkeit der verschiedenen Bügelformen in Abhängigkeit der effektiven Verankerung. Entsprechend der Angaben in Abbildung 5 ergeben sich für die fünf Fälle nicht normkonformer Bügelformen die nachfolgenden Regelungen: - Fall 1: Für U-förmige Bügel mit voller Verankerung der geraden Stabenden im Gurt ergibt sich keine Reduzierung. Es gilt daher k l,b = z. - Fall 2: Für U-förmige Bügel, deren Verankerung der geraden Stabenden im Steg erfolgt, ergibt sich eine Reduzierung der Wirksamkeit der Stecker um das Maß der erforderlichen Verankerungslänge zu k l,b = z - l b,Bü,net . - Fall 3: Für U-förmige Bügel mit teilweiser Verankerung im Gurt ergibt sich eine Reduzierung der Wirksamkeit der Stecker um das Maß des Anteils der Verankerungslänge im Steg zu k l,b = z - (l b,Bü,net - l f ). - Fall 4: Für U-förmige Bügel, die nur teilweise in den Steg ragen, ergibt sich eine Reduzierung der Wirksamkeit der Stecker, sodass die Bügelhöhe h Bü abzüglich der erforderlichen Verankerungslänge angerechnet werden kann. Damit ist k l,b = h Bü - l b,Bü,net . - Fall 5: Für übergreifende U-förmige Bügel mit zu kurzer Veranerungslänge ergibt sich eine Reduzierung der Wirksamkeit der zusammengesetzten Bü- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 21 Erweiterte Nachweise zur Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem gel um das Maß der fehlenden Übergreifungslänge k l,b = z - (l 0,Bü - l 0,Bü,prov ). Dabei ist l b,Bü,net die Verankerungslänge der geraden Stabenden des Bügels, l f die Einbindetiefe der geraden Stabenden im Gurt, l 0,Bü die erforderliche Übergreifungslänge der geraden Stabenden des Steckers nach Gl. (12) und l 0,Bü,prov die vorhandene Übergreifungslänge der geraden Stabenden. Die erforderliche Übergreifungslänge ergibt sich zu (12) wobei l b,rqd der Verankerungslänge des Betonstahls nach DIN FB 102 in Abhängigkeit der Betonfestigkeitsklasse und der Verbundbedingungen entspricht und sich α 1 als Beiwert für die Übergreifungslänge nach Tab. 5.5 in DIN FB 102 [43] II-5.2.4.1.3 (2)*P ergibt. Abbildung 5: Übersicht über die anrechenbaren Einflusslängen der Querkraftbewehrung für die verschiedenen in der 2. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie adressierten Fälle nicht mehr normkonformer Bügelformen, Prinzipskizzen nach [14; 46] Es ist zu beachten, dass bei einer kombinierten Beanspruchung aus Querkraft und Torsion einseitig offene Bügel mit geraden Stabenden, die außerhalb eines Gurtes verankert sind (Fall 2 nach Abbildung 5 und Träger mit Rechteckquerschnitt) sowie einseitig offene Steckbügel, die nicht über die gesamte Querschnittshöhe reichen (Fall 4 nach Abbildung 5), nicht als Torsionsbügelbewehrung angerechnet werden dürfen. Einseitig offene Bügel (mit Endhaken oder geraden Stabenden), die vollständig im Gurt verankert und durch eine Querbewehrung im Gurt geschlossen sind, dürfen nach dem Vorschlag für die zweite Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie vollständig als Torsionsbügelbewehrung angerechnet werden. Erfolgt die Verankerung der Stabenden nur teilweise im Gurt (Fall 3 nach Abbildung 5), ist der Bemessungswert T Rd,Sy des aufnehmbaren Torsionsmomentes durch die Torsionsbügelbewehrung abzumindern. Details werden in der 2. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie geregelt. Die Hintergründe zu den vorgestellten Bemessungsvorschlägen sowie Details zu den Versuchen, die im Vorfeld durchgeführt wurden, sind [14; 30; 46; 47] zu entnehmen. 22 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erweiterte Nachweise zur Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem 5. Zusammenfassung Zahlreiche Bestandsbrücken sind für das Lastmodell SLW60 (DIN 1072) bemessen, was hinsichtlich der gestiegenen Anforderungen eine Unterbemessung darstellt. Bei einem Nachweis der betroffenen Brücken nach DIN EN 1992-2 ergibt sich im Vergleich zur vorhandenen eine deutlich höhere erforderliche Querkraftbewehrung. Die Nachrechnungsrichtlinie erlaubt eine Reihe von Modifikationen der Querkraft- und Torsionsnachweise in Stufe 2, die teilweise in den alten Normengenerationen (DIN 4227 vor 2003) üblich waren. Weitergehende Nachweisverfahren, die im Rahmen von Gutachten der Stufe 4 angewendet werden, sind in der Nachrechnungsrichtlinie (NRR) für die allgemeine Anwendung in Stufe 2 nach wie vor ausgeschlossen. Im von der Bundesanstalt für Straßenwesen geförderten Forschungsvorhaben (FE 15.0591/ 2012/ FRB) [14] sollten daher verschiedene weitergehende Bemessungsansätze zur Nachrechnung von Brücken unter Querkraft- und Torsionsbeanspruchung hergeleitet und validiert werden. Die Ergebnisse bilden die Grundlage für die zweite Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie. Im vorliegenden Beitrag wurden die Erweiterungen der Nachrechnungsrichtlinie für die Querkrafttragfähigkeit des Längssystems von Bestandsbrücken in Massivbauweise vorgestellt. Die Ergebnisse wurden auf Basis theoretischer und experimenteller Untersuchungen im Zuge neuerer Forschungsvorhaben erarbeitet. Der erweiterte Ansatz besteht aus einem Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil und es werden Regelungen zur Anrechenbarkeit nicht normkonformer Bügelformen ergänzt. Beide Vorschläge adressieren Brücken mit geringen Bügelbewehrungsgraden, sodass sich ein stetiger Übergang von Bauteilen ohne zu Bauteilen mit Querkraftbewehrung ergibt. 6. Zukünftige Untersuchungen Über die hier vorgestellten verfeinerten Bemessungsansätze hinaus besitzen Spannbetonbrücken im Bestand weitere nicht unerhebliche Tragreserven unter Querkraft- und Torsionsbeanspruchung. Hauptgründe für die vorhandenen Tragreserven sind zum einen die günstigen Einflüsse aus dem statischen System des Durchlaufträgers (geringere Schubschlankheit im Vergleich zum Einfeldträger), der Vorspannung (spätere Schubrissbildung) und der Belastungsart (Streckenlasten anstelle von Einzellasten in fast allen Versuchen). Alle drei Faktoren reduzieren die effektive Schubschlankheit und vergrößern die Querkrafttragfähigkeit. Zum anderen wird die Querkrafttragfähigkeit von Bauteilen mit geringen Querkraftbewehrungsgraden (0,5bis 1,5-fache Mindestbewehrung) maßgeblich durch den Betontraganteil gesteuert. Auch die erweiterten Ansätze der Stufe 2 erfassen die gleichzeitige Wirkung von Beton- und Fachwerkanteil noch nicht im ausreichenden Maß. Der Betontraganteil ist dabei abhängig von der Querschnittsform (Rechteck-, T- und I-Querschnitt) und dem Vorspanngrad. Neben der Momenten-Querkraftinteraktion (Schubschlankheit) ist auch die gleichzeitige Beanspruchung durch Querkraft und Torsion bei Spannbetonbindern teilweise noch ungeklärt. Über neue Versuche mit für die Praxis relevanten Untersuchungsparametern soll die Basis für die erforderliche Weiterentwicklung der Bemessungsansätze in Stufe 2 der NRR geschaffen werden. Dies ist das Ziel eines im September 2020 startenden von der BASt geförderten Forschungsvorhabens [48]. Gleichzeitig sollen in diesem Projekt die wissenschaftlichen Verfahren in Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie adressiert werden. Hierbei ergeben sich Fragen, die insbesondere die verfahrensspezifischen Anwendungsgrenzen oder das erreichbare Sicherheitsniveau betreffen. Gezielte theoretische Untersuchungen in Form von Vergleichsberechnungen und Parameterstudien sollen entsprechende Antworten liefern. Deren strukturierte Dokumentation und die Erarbeitung von Handlungsanweisungen sollen die Anwendung der Stufe 4-Verfahren für Tragwerksplaner und Straßenbauverwaltungen erleichtern und die Vergleichbarkeit verschiedener Stufe 4-Verfahren herstellen. In das Forschungsprojekt werden die neuesten Ergebnisse aus einem seit Herbst 2019 laufenden Forschungsvorhaben berücksichtigt [45], bei dem der Einfluss des Längsbewehrungsgrades bei Spannbetonträgern mit schwachem Schubbewehrungsgrad im Vordergrund steht. Zusätzlich werden die Modellvorstellungen, die in die zweite Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie Eingang finden, an realen Brückenbauwerken validiert und eine erste Handlungsanweisung für die Anwendung der Kanadischen Norm im Zuge der Brückennachrechnung in Deutschland entworfen. Literatur [1] Naumann, J.: Brücken und Schwerverkehr - Strategie zur Ertüchtigung des Brückenbestands in Bundesfernstraßen. Bauingenieur 85 (2010), S. 210-216. 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Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erweiterte Nachweise zur Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem [31] Huber, P., Huber, T., Kollegger, J.: Experimental and theoretical study on the shear behavior of singleand multi-span Tand I-shaped post-tensioned beams. Structural Concrete 25 (2019), S. 266. [32] Huber, P., Kratzer, K., Huber, T., Kleiser, M., Kollegger, J.: Rechnerische Beurteilung der Schubtragfähigkeit einer Spannbetonbrücke mit geringem Querkraft bewehrungsgrad. Beton- und Stahlbetonbau 111 (2016), S. 706-715. [33] Huber, P., Kromoser, B., Huber, T., Kollegger, J.: Experimentelle Untersuchung zum Querkrafttragverhalten von Spannbetonträgern mit geringer Schubbewehrung. Bauingenieur 91 (2016), S. 238- 247. [34] Herbrand, M.: Shear Strength Models for Reinforced and Prestressed Concrete Members. Dissertation. Aachen 2017. [35] Talbot, A. N.: Tests of reinforced concrete beams: resistance to web stresses. Series of 1907 and 1908 1909. 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[41] Huber, P., Huber, T., Kollegger, J.: Influence of loading conditions on the shear capacity of post-tensioned beams with low shear reinforcement ratios. Engineering Structures 170 (2018), S. 91-102. [42] Huber, P., Kromoser, B., Huber, T., Kollegger, J.: Berechnungsansatz zur Ermittlung der Schubtragfähigkeit bestehender Spannbetonbrückenträger mit geringem Querkraftbewehrungsgrad. Bauingenieur 91 (2016), S. 227-237. [43] Deutsches Institut für Normung e.V. (DIN): DIN- Fachbericht 102 - Betonbrücken. Berlin: Beuth (März 2009). [44] Herbrand, M., Adam, V., Hegger, J.: Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden. In: Krieger, J., Isecke, B. (Hg.): Brückenkolloquium Beurteilung, Ertüchtigung und Instandsetzung von Brücken. 4. Kolloquium, 08. und 09. September 2020. Ostfildern: Technische Akademie Esslingen, vorliegender Tagungsband. [45] Fischer, O., Hegger, J., Thoma, S., Schmidt, M.: Weiterentwicklung der Nachrechnungsrichtlinie - Validierung erweiterter Nachweisformate zur Ermittlung der Schubtragfähigkeit bestehender Spannbetonbrücken. Aktuelles Forschungsprojekt BASt FE 15.0661/ 2018/ FRB (2019). [46] Schramm, N., Fischer, O.: Beitrag nicht normgemäßer Bügelformen zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken im Bestand. In: Krieger, J., Isecke, B. (Hg.): Brückenkolloquium Beurteilung, Ertüchtigung und Instandsetzung von Brücken. 4. Kolloquium, 08. und 09. September 2020. Ostfildern: Technische Akademie Esslingen, vorliegender Tagungsband. [47] Schramm, N.: Zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbalkenelementen unter besonderer Berücksichtigung der Bügelform. Dissertation (in Vorbereitung). München 2020. [48] Hegger, J., Fischer, O., Maurer, R., Kerkeni, N., Zilch, K., Adam, V., Thoma, S., Stakalies, E., Teworte, F., Stettner, C., N.N.: Experimentelle und theoretische Untersuchungen zur Querkraft- und Torsionstragfähigkeit von Betonbrücken im Bestand. Aktuelles Forschungsprojekt BASt FE 15.0664/ 2020/ DRB (2020). Nachrechnung - Fallstudien 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 27 Beurteilung des Tragvermögens einer bestehenden Stahlbeton-Brücke mit korrodierter Bewehrung Prof. Dr. Ivan Markovic, dipl. Bauing. TU/ SIA IBU Institut für Bau und Umwelt, HSR Hochschule für Technik Rapperswil, Rapperswil, Schweiz Dr. Alexander Kagermanov, dipl. Bauing. TU IBU Institut für Bau und Umwelt, HSR Hochschule für Technik Rapperswil, Rapperswil, Schweiz Zusammenfassung Die vorliegende Arbeit fasst die Ergebnisse der Untersuchungen einer bestehenden Strassenbrücke aus Stahlbeton (Baujahr 1966) mit lokal korrodierten Bewehrung zusammen. Es handelt sich um ein Rahmentragwerk aus Stahlbeton mit einer Spannweite von 12 m und einer Breite von ca. 22 m auf einer sehr stark befahrenen Kantonsstrasse. Die Untersuchungen umfassten eine detaillierte Zustandserfassung der Brücke, eine statische Überprüfung mit linear-elastischen und nicht-linearen Stoffgesetzen, sowie diverse weiterführende Überlegungen zum aktuellen Zustand der Brücke. Die statische Nachrechnung mit linearer-elastischen Stoffgesetzen zeigt, dass die Tragsicherheitsnachweise auf Biegung und Querkräfte bei einem intakten (nicht-korrodierten) Zustand der Bewehrung knapp erfüllt sind. In der Wirklichkeit sind aber sowohl die Schubbügel als auch die untere Biegebewehrung mässig bis stark korrodiert. Aus diesem Grund wurde die Brücke in anschliessend in 3D mit nicht-linearer FEM modelliert und berechnet. Dabei wurde auch die Korrosion der Bewehrung mitmodelliert. Anschliessend wurde die Tragsicherheit der Brücke für verschiedene Szenarien der Bewehrungskorrosion ausgewertet. 1. Aufgabenstellung und Lösungsansatz Die vorliegende Arbeit beschreibt die Untersuchungen der Hochschule für Technik Rapperswil [HSR] im Zusammenhang mit der Brücke Nr. N1-220a im Kanton Aargau, Schweiz. An der Brücke wurde zuerst eine umfangreiche Zustandserfassung durchgeführt. Ausserdem wurde die Brücke in statischer Hinsicht mit lineare und nicht lineare FEM Berechnungen überprüft. Die Zustandserfassung hat gezeigt, dass an der Oberseite der Brücke von einem grösstenteils guten Zustand ausgegangen werden kann. Die Korrosionswahrscheinlichkeit im Fahrbahnbereich ist gering. Einzig bei den seitlichen Konsolenköpfen sind erhöhte Chlorid-Konzentrationen vorhanden, was das Korrosionsrisiko verstärkt. Die Untersuchungen an der Unterseite der Brücke haben diverse Stellen zum Vorschein gebracht, an welchen der Beton abgeplatzt ist und die Bewehrung sichtbar und korrodiert ist. Insbesondere sind die Schubbügel kritisch und bei einzelnen Spitzstellen kamen deutliche Querschnittsreduktionen zum Vorschein. Die Druckfestigkeitsprüfungen an mehreren Bohrkernen ergaben die Festigkeitswerte in der Grössenordnung von 70 - 90 N/ mm 2 . Der verwendete Bewehrungsstahl kann nicht eindeutig identifiziert werden, es besteht jedoch die Möglichkeit, dass bei genaueren Untersuchungen eine deutlich höhere Stahlspannung angesetzt werden könnte, als die Zugspannung nach der SIA 269/ 2 (Schweizer Erhaltungsnorm für Betonbau) Die linear-statischen Berechnungen wurden mit aktualisierten Materialkennwerten gem. SIA 269 durchgeführt. Bei den nicht-linearen FE-Berechnungen wurden zusätzlich der Einfluss von Korrosion in der unteren Längsbewehrungslage sowie eine ungenügende Bügelverankerung untersucht. 2. Beschreibung des Bauwerks Die Brücke N1-220a wurde im Jahr 1965/ 1966 geplant und gebaut. Die Brücke verbindet die Ortschaften Suhr und Oberentfelden und wird vom Autobahnzubringer Aarau West unterquert. Die Konstruktion besteht aus zwei durch eine Konstruktionsfuge getrennte Rahmentragwerke mit biegesteifen Ecken und seitlichen Widerlagerflügel. Zur Reduktion des Eigengewichts wurden in der ca. 1.20 m dicke Brückenplatte Cofratol-Rohre eingelegt. 28 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Beurteilung des Tragvermögens einer bestehenden Stahlbeton-Brücke mit korrodierter Bewehrung Abbildung 1: N1-220a -Brücke in Aargau: Ansicht (Spannweite der Brücke = ca. 12 m) Abbildung 2: N1-220a -Brücke in Aargau: Grundriss (Gesamtbreite der Brücke = ca. 22 m) Das Objekt wurde im Jahr 2012 im Rahmen der dritten Hauptinspektion durch das Tiefbauamt vom Kanton Aargau untersucht. Im Inspektions-bericht wird das Objekt der Zustandsklasse 3 [ZK 3] zugeordnet. Dies bedeutet, dass sich die Brücke in einem schadhaften Zustand befindet. Die hierbei verwendete Einordung ist folgendermassen definiert: Tabelle 1: Einordnung der Zustandsklassen beim schadhaften Zustand Klasse Zustand ZK 1 Gut ZK 2 Annehmbar ZK 3 Schadhaft ZK 4 Schlecht ZK 5 Alarmierend Die Zustandsklasse 3 bedeutet, dass gewisse Bauteile kurz-/ bis mittelfristig ersetzt oder instandgesetzt werden müssen. Es wurden folgende Bauteile einer schadhaften bis schlechten Zustandsklasse zugeordnet: Tabelle 2: Zustandsklasse je nach Bauteil mit Empehlung für Instandsetzungsmassnahme Bauteil Material Empfehlung Brückenplatte Stahlbeton Instandsetzung Konsolenköpf Stahlbeton Instandsetzung Belag Gehweg Gussasphalt Ersatz Fahrbahnbelag Gussasphalt Ersatz Randabschlüsse Andere Bauart Instandsetzung Die Fahrbahn ist auf dem grössten Teil eigener Fläche gar nicht abgedichtet (nur in den Randbereichen ist Abdichtungs-Ölpapier vorhanden). Der Bericht der dritten Hauptinspektion zeigt, dass sich der Zustand einiger Bauteile gegenüber der vorgängigen Inspektion (2. Hauptinspektion im Jahr 2007) verschlechtert hat. Da seit diesem Bericht nur geringe Massnahmen durchgeführt wurden, kann davon ausgegangen werden, dass sich der Zustand seit 2012 weiter verschlechtert hat. 3. Zustandserfassung Die Zustandserfassung gliederte sich in folgende Teilbereiche: (i) Oberseite der Brücke, (ii) Brückenuntersicht, (iii) Widerlager. Die Oberseite wurde lokal mittels Belagsfenster untersucht. Die Brückenuntersicht und die Widerlager waren ab Fahrbahnebene von einer Seite her vollflächig zugänglich. Der Bereich der Widerlager konnten nicht eingesehen werden. 3.1 Oberseite der Brücke Die Oberseite der Brücke ist aufgrund Untersuchungen in den Belagsfenstern in einem guten Zustand. Die Bewehrungsüberdeckung beträgt von 50 bis 70 mm. Die vorgefundene Bewehrung zeigt, abgesehen von leichtem Flugrost, keine Anzeichen von Korrosion. Es ist aufgefallen, dass Bewehrungseisen mit unterschiedlicher Rippen vorhanden sind. Eine Fahrbahnabdichtung aus speziellem Ölpapier ist nur im Bereich vom Übergang zwischen Fahrspur und Trottoir, entlang den Randsteinen vorhanden. Die Chlorid-Messungen an den Konsolenköpfen zeigen an einigen Stellen kritische Chloridgehalte bis in eine Tiefe von ca. 30mm auf. Aufgrund der Georadarmessungen kann davon ausgegangen werden, dass die Cofratol-Rohre gemäss den Bestandesplänen verlegt wurden. Es kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass einzelne Rohre mit Wasser gefüllt sind. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 29 Beurteilung des Tragvermögens einer bestehenden Stahlbeton-Brücke mit korrodierter Bewehrung Abbildung 3: Oberseite der Brücke mit Resultaten Potenzialmessung. Tiefste Werte mit einem Potenzial <-300mV sind als Lila dargestellt. 3.2 Brückenuntersicht An der Brückenuntersicht sind an diversen Stellen Abplatzungen sichtbar, wodurch die Bewehrung freigelegt ist. Insbesondere die Schubbügel sind von diesen Abplatzungen betroffen. Die Abplatzungen sind zu einem grossen Teil im Bereich der Brückenränder konzentriert. Auch Risse und weisse bzw. hell graue Verfärbungen im Beton können an diversen Stellen beobachtet werden. Die Biegebewehrung in der Haupttragrichtung liegt in den Schubbügeln und hat somit eine grössere Bewehrungsüberdeckung. Diese Bewehrungsstäbe wurden in den Spitzstellen intakt, respektive mit nur sehr geringen Querschnittreduktionen angetroffen. Es kann von einer grösstenteils intakten Biegebewehrung ausgegangen werden. Die Bewehrungsüberdeckung der Bügel-/ und Querbewehrung ist lokal sehr gering (bei Abplatzungen praktisch gleich Null). Die Carbonatisierungstiefe liegt meist zwischen 5-10mm, lokal ist die Carbonatisierung aber auch bis auf 15-20mm Tiefe vorgedrungen. Zusammen hat das Ganze dazu geführt, dass die Bewehrung in einzelnen Bereichen mittel bis stark korrodiert ist und teilweise bereits deutliche Querschnittsreduktionen beobachtet werden können. Die Chloridprüfungen haben an der Brückenuntersicht keine kritischen Chloridbelastungen ergeben. Dies würde darauf schliessen, dass die Korrosion primär auf die Carbonatisierung zurückzuführen ist. Die Untersuchungen von 2012 zeigten aber, dass an einzelnen Stellen (vor allem an Feuchtstellen an der Brückenuntersicht) sehr wohl kritische Chlorideinträge bis in eine Tiefe von 30mm vorhanden sind. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass lokal über längere Zeit undichte Stellen vorhanden waren, welche deutlich messbare Chlorideinträge hinterlassen haben. Obwohl ein Teil vom Deckbelag 2016 ersetzt wurde und die tiefsten Punkte der Brücke nicht auf ein akutes Dichtigkeitsproblem hinweisen, sind an der Untersicht immer noch Verfärbungen unbekannter Herkunft vorhanden. Die Potenzialfeld-Messungen der Bewehrung zeigen lokal sehr tiefe Potenziale und die Spitzfenster zeigen deutlich, dass die Bügelbewehrung in diesen Bereichen bis zu einem wesentlichen Grad korrodiert ist. Es besteht somit in Bereichen mit tiefen Potenzialen (~≤ -200mV) eine hohe Korrosionswahrscheinlichkeit. Abbildung 4: Übersicht der Korrosionswahrscheinlichkeit an der Brückenuntersicht (als Kombination zwischen vorhandenen Bewehrungsüberdeckung und Potentialfeldmessungen). Die Druckfestigkeitsprüfungen auf den Bohrkernen ergab durchs Band sehr hohe Festigkeitswerte (Mittelwert ~70 N/ mm²). Es kann von einer guten bis sehr guten Betonqualität ausgegangen werden. Eine Überlagerung der Resultate der Bewehrungs-Überdeckungsmessungen und der Potentialfeldmessungen ergibt eine Grafik mit Korrosionswahrscheinlichkeit und zwar in 4 Stufen (kleine, mittlere, erhöhte und hohe Korrosionswahrscheinlichkeit). Insbesondere dem Bereich mit hoher Korrosionswahrscheinlichkeit (rot) ist besondere Beachtung zu schenken. 3.3 Brückenwiderlager An den Brückenwiderlagern sind vereinzelte Abplatzungen sichtbar und zwar vor allem in den unteren Bereichen direkt neben der Strasse. Materialübergänge zeigen, dass kleinere Widerlagerbereiche bereits im Verlauf der Jahre saniert worden sind. Auf den Widerlagerwänden sind diverse feine vertikale Risse und grössere Bereiche mit Kiesnestern zu erkennen. Die Überdeckungsmessungen zeigen, dass geringe Bewehrungsüberdeckungen nur 30 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Beurteilung des Tragvermögens einer bestehenden Stahlbeton-Brücke mit korrodierter Bewehrung lokal anzutreffen sind. Die meisten Bereiche vom Widerlager haben Bewehrungsüberdeckungen von >35mm. Die Potenzialmessungen zeigen insbesondere auf Fahrbahnhöhe tiefe Potenziale. Dies ist insofern plausibel, da in diesem Bereich ein erhöhter Anteil von chloridhaltigem Spritzwasser zu erwarten ist. Die entnommenen Bohrmehlproben zeigen kritische Chloridgehalte bis in eine Tiefe von ca. 40mm. Einzelne Bewehrungseisen in Spitzfenstern waren leicht korrodiert. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass an den Widerlagern auf Fahrbahnhöhe eine erhöhte Korrosionswahrscheinlichkeit vorhanden ist. Es gilt hierbei festzuhalten, dass es in einem nächsten Schritt wichtig wäre, Aufschluss über den Bereich zwischen Fahrbahn und Widerlagerfuss zu erhalten. 4. Statische Berechnungen 4.1 Berechnungen mit linear-elastischen Baustoff-Gesetzen Für die statischen Berechnungen mit linear-elastischen Baustoffgesetzen wurde das Tragwerk als Rahmentragwerk mit einer Platte und zwei Widerlagerwänden modelliert, wobei die Platte aufgrund der vorhandenen Cofratol-Rohre ein orthotropes Tragverhalten aufweist (siehe Abbildung 5). Ein relevanter Punkt besteht bei der Fuss-Einspannung vom Widerlager. Je stärker der Fuss eingespannt ist, desto steifer wird der Rahmenstiel und desto grösser wird auch das Einspannmoment zwischen Rahmenstiel und Brückenplatte. Für die Berechnungen wurde eine geringe Einspannung modelliert, welche sich aus einer abgeschätzten Bettungsziffer für das Widerlagerfundament berechnet. Die Berechnung wurde ohne bzw. ohne Baugrund-Bauwerksinteraktion durchgeführt, es wurde lediglich Erdruhedruck als seitliche Belastung auf Widerlagerwände verwendet. Die Tragsicherheits-Nachweise erfolgten vereinfacht unter der Annahme einer intakten (nicht-korrodierten) Bewehrung und einer korrekten konstruktiven Durchbildung der Bewehrung, insbesondere der Schubbügel. Keiner dieser beiden Bedingungen war am Bauwerk tatsächlich erfüllt. Die Lastmodelle sind mit aktualisierten Werten gemäss SIA 269/ 1 aufgeführt. Auf die ungenügende Verankerung der Bügelbewehrung wird im Abschnitt 4.2 näher eingegangen. Der Lastfall Temperatur wurde in der statischen Überprüfung nicht berücksichtigt Abbildung 5: Darstellung relevanter Nachweisschnitte für die statische Berechnung Abbildung 6: Erfüllungsgrad Tragsicherheitsnachweise am Tragwerk unter der Annahme einer nicht-korrodierten Bewehrung und einer korrekten konstruktiven Durchbildung der Schubbügel (*EG: Erfüllungsgrad, falls EG > 1.00 ist der entsprechende Tragsicherheitsnachweis erfüllt) Die Tragsicherheitsnachweise sind zwar gemäss der statischen Überprüfung am ialle erfüllt, trotzdem sind aus den folgenden Gründen weiterführende Überlegungen notwendig: • Die Schubbügel sind nicht korrekt verankert. Falls man die tatsächlich vorhandene Bügelverankerung berücksichtigt, erhalten wir einen Erfüllungsgrad für die Querkraft von ca. 0.65, was deutliche Defizite der Tragsicherheit bedeutet. • Die Schubbügel sind insbesondere am Brückenrand und in der Feldmitte zum Teil stark korrodiert. • Die untere Seite der Brückenplatte zeigte hohes Korrosionsrisiko. Die Biegebewehrung war auch zum Teil korrodiert. • Die Schnittkräfte aus einer linear elastischen Berechnung sind unrealistisch, da das Model keine Rissbildung und plastische Kraftumlagerung berücksichtigt. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 31 Beurteilung des Tragvermögens einer bestehenden Stahlbeton-Brücke mit korrodierter Bewehrung • Zusätzliche Tragreserven z.B. infolge Membranwirkung und seitlichen Erddruck sind nicht berücksichtigt. Diese können den Biege- und Schubwiderstand deutlich erhöhen. Um diese Punkte zu untersuchen wurden weitere Untersuchungen mit nicht linearen FEM entwickelt. 4.2 Nicht lineare FE Berechnungen Für die nicht lineare FE Berechnungen wurde das inhouse FE-Software IDEEA der HSR verwendet. Die Brücke wurde mit Schalenelementen modelliert, die sich auf einem geschichteten Scheibenmodel für gerissenen Beton basieren. Aus den Scheiben- und Plattenschnittkräften n, m und v werden die Normal- und Schubspannungen an jedem Schicht ermittelt. Diese werden anhand von Materialgesetzen aus den zugehörigen Dehnungen und Verzerrungen ermittelt. Abbildung 7: Geschichtete Schalenelement: Schnittgrössen und Membrane-Spannungen Ständige Lasten infolge Eigengewicht, Auflast und beidseitigem Erddruck sind als konstant definiert während die Verkehrslast inkrementell bis zum Versagen gesteigert wird. Die kritische Anordnung der Achslasten ergab sich in Feldmitte am Rand der Brückenplatte. Die anderen untersuchten Laststellen ergaben grössere Traglasten. Bei einer Laststellung in Feldmitte in der Mitte der Brückenplatte z.B. ergibt sich ein duktiles Biegeversagen mit Fliessen der unteren Biegezugbewehrung und bei einer Laststellung am Rand eher spröde auf Grund von Druckbiegeversagen. Abbildung 8: Last-Verschiebungs-Kurven und Bruchmechanismen unter Verkehrslast für verschiedene Laststellungen (am Fahrbahn-Rand links von der Feldmitte; in der Mitte der Fahrbahn in der Mitte der Spannweite; am Fahrbahn-Rand in der Mitte der Spannweite Eine gleichmässige Querschnittsreduktion der Biegezugbewehrung an der Unterseite der Brückenplatte entlang einer Breite von ca. 2.5m gem. Felduntersuchungen wurde angenommen. Da keine Messungen des korrodierten Stabdurchmessers vor Ort aufgenommen wurden, wurden hier drei unterschiedliche Korrosionsszenarien betrachtet: (i) geringe Korrosion mit einer Korrosionsrate von 1μA/ cm 2 , (ii) mässige Korrosion mit einer Korrosionsrate von 5μA/ cm 2 und (iii) starke Korrosion mit einer Korrosionsrate von 10μA/ cm 2 . Diese Werte entsprechen den Werten, die an Stahlbetonbauwerken gemessen wurden. Unter der Annahme einer konstanten Korrosionsrate kann der Querschnittsverlust in Abhängigkeit der Zeit im Betreib abgeschätzt werden. Eine Abminderung der Fliessgrenze, Bruchdehnung und Zugfestikgeit infolge Lochfrasskorrosion wurde wie folgt Berücksichtigt: wobei f y,o, f y,c, f u,o, f u,c, ε u,o, ε u,c sind nicht korrodierte und korrodierte Werte der Fliessgrenze, Zugfestigkeit und Bruchdehnung. Die empirischen Parameter wurden an- 32 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Beurteilung des Tragvermögens einer bestehenden Stahlbeton-Brücke mit korrodierter Bewehrung hand von Zugversuchen an korrodierten Bewehrungseisen kalibriert. Tabelle 3 fasst die Materialparameter je Korrosionsgrad zusammen. Tabelle 3: Angenommene Korrosionsszenarien: Korrosionsrate, Querschnittsverlust nach 50 Jahren im Betreib, Fliessgrenze, Bruchdehnung und Zugfestigkeit. Abb. 9 zeigt die Last-Verschiebungs-Kurven für unterschiedliche Korrosionsszenarien. Korrosion verursacht eine Abminderung sowohl der Steifigkeit als auch der globalen Traglast der Brücke. Bei starker Korrosion reduziert sich die Traglast um 30%. Ausserdem ändert sich das Versagensmechanismus von duktil zum spröde auf Grund des Bruchs der Biegebewehrung. Ein Nachweis der Tragsicherheit kann gem. dem Sicherheitsformat des EC2 für nicht lineare Verfahren durchgeführt werden. Der Nachweis gilt als erfüllt, falls die folgende Bedingung eingehalten ist: wobei R d, E d die Bemessungswerte des Widerstands und der Einwirkung sind, f cm , f sm die Mittelwerte der Festigkeiten und γ R der globale Sicherheitsfaktor, welche die Unsicherheiten im Tragwerksmodel und Materialen berücksichtigt. Gem. EC2 ist dieser gleich 1.27 angenommen. Auf Bemessungsniveau befindet sich die Brücke praktisch im elastischen Zustand. Die Verkehrslast könnte auf Grund der vorhandenen Tragreserven noch um ein vielfaches gesteigert werden. Im schlimmsten Fall, d.h. starke Korrosion, ist der Nachweis mit 3.4>1.27 erfüllt. Abbildung 9: Last-Verschiebungs-Kurven für verschiedene Korrosionsszenarien (von keiner bis starken Korrosion, siehe dazu Tabelle 3) und Beurteilung der globalen Sicherheit gemäss EC2. Zu bemerken ist, dass eine starke Korrosion mit einem Querschnittsverlust von 46% deutlich auf der sicheren Seite liegt. Unserer Meinung nach entspricht eine geringe Korrosion von 5% besser dem beobachteten Zustand. Die ungenaue Verankerung der Bügelbewehrung wurde auch anhand FEM untersucht. Vereinfacht wurde keine Bügelbewehrung in oberen und unteren Elementen der Rippen definiert. Abb.10 zeigt, dass, obwohl die Tragfähigkeit der Brücke leicht reduziert wird, sich der Bruchmechanismus nicht ändert. In beiden Fällen findet das Fliessen der Bügelbewehrung sowohl mit korrekten als auch mit der defekten Verankerung statt (Abb.11). Abbildung 10: Last-Verschiebungs-Kurve unter Verkehrslast für korrekte und defekte Verankerung der Bügelbewehrung Abbildung 11: Spannungen in der Bügelbewehrung auf Bemessungsniveau und maximalen Traglast (Schwarz: korrekte Verankerung; Rot: defekte Verankerung) 5. Abschliessende Bemerkungen Die vorliegende Arbeit fasst die Ergebnisse der Zustandserfassung und der statischen Nachrechnung einer bestehenden Strassenbrücke aus Stahlbeton (Baujahr 1966) mit lokal korrodierten Bewehrung zusammen. Es handelt 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 33 Beurteilung des Tragvermögens einer bestehenden Stahlbeton-Brücke mit korrodierter Bewehrung sich um ein Rahmentragwerk aus Stahlbeton mit einer Spannweite von 12 m und einer Breite von ca. 22 m auf einer sehr stark befahrenen Kantonsstrasse. Die Untersuchungen umfassten eine detaillierte Zustandserfassung der Brücke, eine statische Überprüfung mit linear-elastischen und nicht-linearen Stoffgesetzen, sowie diverse weiterführende Überlegungen zum aktuellen Zustand der Brücke. Die statische Nachrechnung zeigt, dass die Tragsicherheitsnachweise auf Biegung und Querkräfte bei einem intakten (nicht-korrodierten) Zustand der Bewehrung erfüllt sind. In der Wirklichkeit sind aber die Schubbügel in den Verankerungszonen stark korrodiert. Auch untere Biegebewehrung in der Fahrbahnplatte ist lokal mässig bis stark korrodiert. Die Berechnungen der Brücke mit nicht-linearer FEM mit Betrachtung der vorhandenen Bewehrungskorrosion zeigen, dass die Brücke eine genügende Tragsicherheit aufweist und zwar trotz der vorhandenen Bewehrungskorrosion. Dies ist vor allem auf die grosse Robustheit der Brücke zurückzuführen (Rahmentragwerk mit einer dicken Fahrbahnplatte welche auf zwei Seiten biegesteif mit Widerlagerwänden verbunden ist). Danksagung Die Autoren bedanken sich beim Departement Bau, Verkehr und Umwelt (Sektion Brücken und Tunnel) des Kantons Aargau für das Zur-Verfügung-Stellen der detaillierten Projektdokumentation der Brücke und für den fachlichen Austausch während der Projektbearbeitung. Zudem danken die Autoren der Bauunternehmung Rothpletz-Lienhardt aus Aarau für technische Unterstützung bei der Zustandserfassung der Brücke. Literaturverzeichnis [1] Kanton Aargau, Departement Bau, Verkehr und Umwelt: Gesamte Projektdokumentation über Objekt N1-220a (intern zur Verfügung gestellt) [2] SIA-Norm 269/ 1 (Erhaltung von Tragwerken): Einwirkungen auf Bauwerke [3] SIA 269/ 6-1 (2011): Erhaltung von Tragwerken Mauerwerksbau, Teil 1: Natursteinmauerwerk 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 35 Nachrechnung und Ertüchtigung der Illerbrücke Egelsee A7 Hermann Weiher, Ilaria Galasso, Katrin Runtemund matrics engineering GmbH, München, Deutschland Sascha Weber Autobahndirektion Südbayern, Kempten, Deutschland Zusammenfassung Die Illerbrücke Egelsee ist Teil der A7 und wurde 1969-1970 als semi-integrales, stark schiefwinkliges Spannbetonbauwerk über zwei Felder mit einzelligem Kastenquerschnitt erstellt. Das Bauwerk wurde für das Verkehrslastmodell LM1 nachgerechnet; hierbei ergaben sich umfangreiche Defizite. Aufgrund des geplanten 6-spurigen Ausbaus der A7 wurde zur Minimierung der baulichen Ertüchtigungsmaßnahmen das Ziellastniveau auf die BK60/ 30 und die Nutzungsdauer auf 30 Jahre (Nachweisklasse C) reduziert. Zur Sicherstellung der Tragfähigkeit des Bauwerks bis zum Ersatzneubaus konnte so der Verstärkungsumfang auf eine Ertüchtigung der Gurtanschlussbewehrung der Bodenplatte an die Stege mit Querspanngliedern sowie der Querkrafttragfähigkeit des Pfeilerfundamentes beschränkt werden. Herausforderung bei der Planung und Umsetzung der Maßnahme war die starke Schwiefwinkligkeit des Bauwerks, die sehr enge und komplexe Geometrie der Bestandsspannglieder der Stege und - damit verbunden - die erforderliche hohe Genauigkeit beim Herstellen der geneigten Kernbohrungen, um nicht nur eine Schädigung der Bestandsspannglieder, sondern auch der Bügelbewehrung auszuschließen. Die Querspannglieder wurden z.T. im nachträglichen Verbund innerhalb der Bodenplatte sowie als externe Spannglieder bodenplattennah durch die Stege bzw. unterhalb des Bauwerks geführt, wobei die Verankerung im letztgenannten Fall über eine Stahlkonstruktion an der Außenseite der Stege erfolgte. Die Ertüchtigung des Pfeilerfundamentes ist mithilfe von Verbundankerschrauben als nachträgliche Schubbewehrung geplant. Die Ertüchtigung des Überbaus wurde im Jahr 2019 und 2020 ausgeführt; die Verstärkung des Pfeilerfundamentes ist für 2021 vorgesehen. 1. Bauwerk Der Verkehr der A7 wird über zwei baugleiche Spannbetonüberbauten mit zwei Feldern geführt: - 1970 Fertigstellung - Semi-integrale Spannbetonbrücke mit 2 Feldern von je 80 m Länge (160 m), Schiefwinkligkeit 60 gon - Errichtung auf Gerüst in einem Bauabschnitt - Kastenquerschnitt mit quer vorgespannter Fahrbahnplatte, Träger stark gevoutet mit variabler Konstruktionshöhe zw. 2,21 m (WL) bis 4,49 m (Mittelpfeiler) - Stege, Boden- und Fahrbahnplatte des Hohlkastenquerschnitts in Längsrichtung im nachträglichen Verbund vorgespannt; Spanngliedgeometrie entsprechend Hauptspannungstrajektorien, ca. 430 verschiedene Spanngliedgeometrien, s. Bild 4 - Pfeiler monolithisch mit dem Überbau verbunden, Flachgründung - Widerlager, Flachgründung Bild 1: Bauwerk 36 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachrechnung und Ertüchtigung der Illerbrücke Egelsee A7 Bild 2: Bauwerk Ansicht, Längsschnitt, Draufsicht Bild 3: Querschnitt eines Überbaus Bild 4: Spanngliedgeometrie 2. Nachrechnung Die Nachrechnung des Überbaus einschließlich des Mittelpfeilers wurde in Stufe 1 (DIN Fachberichte bzw. Eurocode 2) und Stufe 2 der Nachrechnungsrichtlinie für das Ziellastniveau LM1 durchgeführt. Mit dem Ziel eine Ertüchtigung des Überbaus zu vermeiden, erfolgte in Stufe 2 die Nachweisführung zusätzlich für das Ziellastniveau BK60/ 30 unter Ansatz der am Bauwerk durch Materialuntersuchungen festgestellten Betondruckfestigkeit des Überbaus von C50/ 60 (statt C30/ 37). Folgende wesentliche Defizite wurden ermittelt: In Längsrichtung verblieben auch für das Lastmodell der BK60/ 30 sowie unter Ansatz einer höheren Betondruckfestigkeit von C5060 Defizite beim Nachweis Querkraft und Torsion und beim Nachweis des Gurtanschlusses Steg / Bodenplatte. Tabelle 1: Maximale Ausnutzungsfaktoren für die wesentlichen Nachweise in Längs- und Querrichtung Tabelle 2: Maximale Ausnutzungsfaktoren für das Pfeilerfundament In Querrichtung konnten die Nachweise im GZT unter Ansatz des reduzierten Lastmodells der BK60/ 30 erfüllt werden. Für den Nachweis der Ermüdung waren aufgrund identischer Berechnungsannahmen die Ergebnisse der Stufe 1 maßgebend. Der Nachweis der Ermüdung des Spannstahles der Verankerungen und des Bewehrungsstahles kann unter Ansatz des Lastmodells ELM3 somit nicht erbracht werden. Bei der Nachrechnung des Pfeilers verbleiben für das Lastmodell BK60/ 30 Querkraftdefizit des Pfeilerfundamentes. Nachfolgend sind in Bild 5 und Bild 6 exemplarisch die vorhandene und die erforderliche Bewehrung für den Nachweis Querkraft und Torsion sowie den Gurtanschluss Bodenplatte für die Berechnung in Stufe 2, C50/ 60 dargestellt. Bild 7 stellt die zulässigen und vorhandenen schädigungsäquivalenten Schwingbreiten der Bewehrung und des Spannstahls gegenüber. Während sich ein Ermüdungsbruch des Spannstahles und der Bewehrung durch Rissbildung am Bauwerk ankündigt, erfolgt ein Versagen infolge der Defizite beim Querkraftnachweis und beim Nachweis der Gurtanschlussbewehrung der Bodenplatte i.d.R. spröde, d.h. ohne Ankündigung durch Rissbildung. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 37 Nachrechnung und Ertüchtigung der Illerbrücke Egelsee A7 Bild 5: Querkraft/ Torsion, erforderliche Bügelbewehrung und Überschreitungen (rot), BK60/ 30 mit C50/ 60 Bild 6: Schubanschluss Bodenplatte an, erforderliche Bügelbewehrung und Überschreitungen (rot), BK60/ 30 mit C50/ 60 Bild 7: Vorhandene und zulässige Schwingbreiten der der Längs- (oben) und Bügelbewehrung (Mitte) und der Längsspannglieder (unten), defizitäre Bereiche (rot) Die festgestellten Defizite waren daher als kritisch einzustufen und weitere Maßnahmen (verkehrliche Kompensationsmaßnahmen, Notertüchtigung) zur Sicherstellung der Tragfähigkeit bis zur Umsetzung des geplanten Ersatzneubaus erforderlich. Mit dem Ziel eine Ertüchtigung des Bauwerks zu vermeiden bzw. zur Quantifizierung der erforderlichen Maßnahmen und zum Nachweis der Wirksamkeit wurden noch weitere Tastrechnungen unter Ansatz - des Lastmodells BK60/ 30 bzw. BK60 mit/ ohne Seitenstreifensperrung (StS) und mit/ ohne reduzierten Restflächenlasten (RF) von 3,0 kN/ m² auf 1,0 kN/ m² (Bild 8) und - ggf. reduzierter Sicherheit der Eigengewichtslasten (Sicherheit 1,20 statt 1,35 → nicht verifizierte Annahme) und - ggf. einer Nutzungsbeschränkung auf 20 Jahre infolge der Erhöhung des Grenzwertes des zulässigen Druckstrebenwinkels cotθ von 2,50 auf 3,00 (Nachweisklasse C) gemäß 1. Ergänzung zur Nachrechnungsrichtlinie, Abschnitt 12.4.3.3(3) und - ggf. Ansatz eines genauer (iterativ) ermittelten Schubrisswinkels bei der Ermittlung der Druckstrebenneigung beim Nachweis Querkraft und Torsion gemäß 1. Ergänzung zur Nachrechnungsrichtlinie, Abschnitt 12.4.3.3(2), Gl. 12.13 durchgeführt. Bild 8: Verkehrliche Kompensationsmaßnahmen Der Nachweis Querkraft und Torsion konnte bei einer Nutzungsbeschränkung auf 20 Jahre und unter Ansatz des Schubrisswinkels für das volle Lastmodell BK60/ 30 knapp mit einer Ausnutzung der Bewehrung von a sw,erf / a sw,vorh = 0,99 erfüllt werden. Auf eine globale, umfassendere Ertüchtigung des Überbaus mit z.B. einer externen Längsvorspannung kann unter diesen Randbedingungen somit verzichtet werden. Der Nachweis des Gurtanschlusses der Bodenplatte konnte auch unter dem reduzierten Lastmodell BK60 mit Seitenstreifensperrung und reduzierten Lasten aus Eigengewicht nicht erfüllt werden. 38 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachrechnung und Ertüchtigung der Illerbrücke Egelsee A7 Es verblieben Defizite über eine Länge von ca. 50 m im Bereich des Mittelpfeilers, so dass eine Ertüchtigung bis zur Umsetzung des Ersatzneubaus bzw. für die Restnutzung von 20 Jahren gemäß Nachweisklasse C erforderlich wurde. 3. Ertüchtigung Bei der Nachweisführung in Längsrichtung verblieben in Stufe 2 für das Lastmodell BK60/ 30 und einer Nutzungsbeschränkung auf 20 Jahre Defizite bei den Nachweisen - Gurtanschlusses der Bodenplatte - Querkraftnachweis der Fundamentplatte - Ermüdung des Spannstahls und der Bewehrung Die Defizite beim Nachweis Ermüdung können derzeit als unkritisch bewertet werden, da im Rahmen der Hauptprüfung 2018 keine ermüdungsrelevanten Risse festgestellt wurden. Es wird daher auf eine Ertüchtigung der rechnerischen Defizite verzichtet. Sofern der Querschnitt auch zukünftig in den betroffenen Bereichen im ungerissenen Zustand verbleibt, kann eine Ermüdungsbruchgefährdung ausgeschlossen werden. Die Risssituation ist hierzu zukünftig im Zuge der einfachen Prüfung der Hauptprüfung unter Beachtung der erarbeiteten Prüfanweisung zu erfassen und die Ermüdungsbruchgefahr zu bewerten. Zur Sicherstellung der Tragfähigkeit des Bauwerks bis zum Ersatzneu ist eine Ertüchtigung der Gurtanschlussbewehrung der Bodenplatte an die Stege mit Querspanngliedern und des Pfeilerfundamentes mit Verbundankerschrauben als nachträgliche Schubbewehrung vorgesehen. Als Ziellastniveau wurde die BK60/ 30 gemäß DIN1072 vereinbart. Die Nachweisführung erfolgte gemäß Stufe 2 der Nachrechnungsrichtlinie für die Nachweisklasse C. Aufgrund des geplanten Ersatzneubaus wurden etwaige Defizite im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit nicht untersucht/ betrachtet. 3.1 Ertüchtigung des Überbaus 3.1.1 Ertüchtigungsumfang Die Ertüchtigung der Defizite der Anschlussbewehrung des Gurtanschlusses erfolgt durch Aufbringen einer Quervorspannung der Bodenplatte. Für die Verstärkung des Gurtanschlusses ist eine Quervorspannung der Bodenplatte mit insgesamt - 82 Stabspannglieder je Überbau mit einer dauerhaften Vorspannkraft im Endzustand von 500 - 750 kN und - 28 Stabspannglieder mit Feingewinde für die Montage einer Verankerungs-konstruktion mit einer dauerhaften Vorspannkraft von 200 kN erforderlich, vgl. Bild 9. Bild 9: Übersicht Quervorspannung der Bodenplatte Die Lasteinleitung muss möglichst bodenplattennah erfolgen. Aufgrund der komplexen Spanngliedgeometrie sind zur Vermeidung einer Schädigung der Bestandsspannglieder bei Herstellung der erforderlichen Kernbohrungen drei Spanngliedtypen erforderlich: Typ 1: Im Pfeilerbereich werden 12 Stabspannglieder je Überbau mit nachträglichem Verbund innerhalb der Bodenplatte geführt, vgl. Bild 10. Bild 10 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 39 Nachrechnung und Ertüchtigung der Illerbrücke Egelsee A7 Bild 10: Spannglieder durch die Bodenplatte (Typ 1) am Mittelpfeiler Typ 2: Im Feldbereich werden 56 Stabspannglieder ohne Verbund extern ca. 20 cm oberhalb der Bodenplatte durch die Stege geführt, vgl. Die Verankerungen sind im Wesentlichen vergleichbar mit den in Bild 10 dargestellten des Typs 1 und werden nicht dargestellt. Bild 11: Spannglieder durch die Stege (Typ 2) Aufgrund der sehr engen Lage der Bestandsspanglieder wurden im Feldbereich 14 externe Stabspannglieder unterhalb der Bodenplatte geführt, vgl. Bild 12. Die Lasteinleitung erfolgt über eine an der Stegaußenseite montierte Stahlkonstruktion mit Druckplatten auf Höhe der Bodenplatte. Die 28 Stahlkonstruktionen werden zum Herstellen des Gleichgewichts mit je einem Stabspannglied (insgesamt 28 Stk.) mit schlupfarmen Feingewinde an den Steg gespannt. 40 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachrechnung und Ertüchtigung der Illerbrücke Egelsee A7 Bild 12: Spannglieder unterhalb des Bauwerks (Typ 3) mit Detail Stahlkonstruktion zur Lasteinleitung und Ansicht Steg (unten) und Ansichten der eingebauten Konstruktion Nachfolgende Abbildung zeigt die Übersicht der Maßnahme in Ansicht und Draufsicht. Bild 13: Ansicht und Draufsicht der Maßnahme 3.1.2 Spannverfahren Als Spannverfahren kam das System Stahlwerk Annahütte Stabspannverfahren St950/ 1050 gemäß ETA- 05/ 0122 in Kombination mit den Anwendungsregeln des Deutschen Instituts für Bautechnik für internen Einsatz mit Verbund gemäß Z-13.71-50122 und externe Führung gemäß Z-13.73-50122 zum Einsatz. 3.1.3 Ortung des Bestands und Kernbohrungen Zur Vermeidung einer Schädigung der Bestandsspannglieder und der Bügelbewehrung in den Stegen wurde bereits im Vorfeld der Baumaßnahme die planmäßige Lage der geneigten Kernbohrungen an der Trägeraußen- und Trägerinnenseite eingemessen und die Lage der Stegspannglieder sowie (Bügel-)Bewehrung erfasst. Die planmäßige Lage der Kernbohrungen wurde derart bestimmt, dass ein Mindestabstand zum nächstgelegenen Hüllrohr von mind. 10 cm eingehalten ist. Aufgrund der statisch bereits voll ausgenutzten vorhandenen Bügelbewehrung musste eine Beschädigung der Bewehrung am maßgebenden Steg durch Bewehrungsortung jeweils ausgeschlossen und begrenzt werden. Bild 14: Spannglieder- (rot) und Bewehrungs-(blau) Ortung 3.1.4 Verankerung Die durch die Bodenplatte und durch die Stege geführten Spannglieder wurden mit aufgesetzten und geneigten Stahlankerplatten auf dem Bestandsbeton verankert. Die Neigung der Ankerplatten ist variabel und beträgt planmäßig in vertikaler und horizontaler Richtung Richtung zwischen 0 - 4°. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 41 Nachrechnung und Ertüchtigung der Illerbrücke Egelsee A7 Die Platten wurden gemäß ZTV-ING korrosionsgeschützt und wurden alle mit einem dünnen Mörtelbett zum Formschluss mit dem Bestandsbeton versehen. Die Lasteinleitung der unterhalb des Bauwerks geführten Spannglieder (Typ 3) erfolgt an der Stegaußenseite ausschließlich über den Bestand mithilfe - einer an der Stegaußenseite zuvor montierten Stahlkonstruktion mit angeschweißten Druckplatten im Bereich der Bodenplatte und im Stegbereich - über Ankerplatten an der Steginnenseite Die Stahlkonstruktion ist in Bild 15 dargestellt (Ansichten der ausgeführten Variante siehe Bild 12). Die obere Verankerung ist dabei nicht fest mit der Konstruktion verbunden. Damit konnte erreicht werden, dass eine Standardkonstruktion für alle geometrischen Varianten und Neigungen verwendet werden konnte. Die Neigungen wurden erforderlich, da die Lage der Kernbohrung für das obere, kurze Spannglied sowohl vertikal als auch horizontal an die Bestandsspannglieder und -bewehrung anzupassen war und die Lasteinleitung über die untere Druckplatte in Längsrichtung möglichst gleichmäßig verteilt zu erfolgen hatte. Bild 15: Stahlkonstruktion zur Lasteinleitung, Typ 3 Die Stahlkonstruktion besteht aus zwei UPE 300 Profilen, die mithilfe von fünf Stahllaschen miteinander verschweißt sind (blau dargestellt). Für die Lasteinleitung im Bereich der Spanngliedverankerungen werden zwei mit dem Stahlträger verschweißte Kreisplatten sowie zwei Rechteckplatten (rot dargestellt) als Druckplatten vorgesehen. Für die Lastweiterleitung der Verankerungsspannglieder in die Stahlkonstruktion wurde eine lose (d.h. nicht mit dem Stahlträger verschweißte) Lastverteilplatte mit Öffnung vorgesehen, so dass gewisse Abweichungen der tatsächlichen Lage der Kernbohrungen zur planmäßigen Lage ausgeglichen werden konnten. 3.2 Ertüchtigung des Pfeilerfundamentes Bild 16: Lage Mittelpfeiler Aufgrund der Überschreitung der Querkrafttragfähigkeit des Pfeilerfundamentes ist eine Ertüchtigung des Fundamentes erforderlich. Die Ertüchtigung der Querkraftdefizite erfolgt mithilfe von Verbundankerschrauben TOGE TSM BC SB reLast gemäß Zulassung Z-15.1-339. Die Umsetzung der Maßnahme ist für 2021 geplant. 3.2.1 Ertüchtigungsumfang Eine Zusammenfassung des Ertüchtigungsbedarfs in Abhängigkeit der Betondruckfestigkeit und des gewählten Schraubendurchmessers kann Tabelle 3 entnommen werden. Gemäß Zulassung können maximal M24er Schrauben eingesetzt werden, wobei laut Herstellerangaben eine Schraubenfertigung bis 42 mm Durchmesser möglich ist. Derzeit wäre für die Anwendung der größeren Schrauben als Querkraftverstärkung eine Zustimmung im Einzelfall erforderlich. Mit dem Ziel die Anzahl der Querkraftverstärkungsmenge zu verringern, erfolgte eine Tastrechnung zur Ermittlung der Anzahl der Verbundschrauben unter Ansatz einer höheren Betondruckfestigkeit (statt C20/ 25). Der Ansatz einer geringfügig höheren Betondruckfestigkeit f ck = 23 N/ mm² liefert eine wirtschaftliche Ausnutzung von Schrauben- und Druckstrebentragfähigkeit und eine signifikante Reduktion der Schraubenanzahl. Aufgrund des Fundamentsalters ist die Annahme einer entsprechenden Betonerhärtung sehr wahrscheinlich, sie ist jdeoch noch durch Materialuntersuchungen am Bauwerk zu bestätigen. Tabelle 3: Zusammenfassung Ertüchtigungsumfang Betondruckfestigkeit [MPa] Schraube TSM BC SB Längsabstände der Schrauben sl [cm] Querabstände der Schrauben sq [cm] Gesamtanzahl [-] ≥20 22 40 40 868 32 60 60 420 42 80 80 256 ≥23 42 80 120 132 42 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachrechnung und Ertüchtigung der Illerbrücke Egelsee A7 Bild 17: Einbaugeometrie in der Draufsicht und im Schnitt, exemplarisch TSM-42 BC SB, sl = 80 cm, sq = 120 cm 3.2.2 Schraubendaten Die TOGE TSM BC SB reLast Verbundankerschraube besteht aus einem Injektionsmörtel und einer Betonschraube sowie einer Nord-Lock Scheibe, einer Druckverteilungsscheibe und einer Mutter. Bild 18: Geometrie TSM BC SB reLast Verbundankerschrauben 3.2.3 Einbau Das Pfeilerfundament liegt z.T. im Uferbereich mit einer Erdüberdeckung von ca. 2,30 bis 4,20 m und z.T. im Flussbett der Iller mit einer Erdüberdeckung von ca. 1,80 bis 2,30 m bei einer Wassertiefe von ca. 1,00 m. Bild 19 zeigt die Gegebenheiten am Mittelpfeiler. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 43 Nachrechnung und Ertüchtigung der Illerbrücke Egelsee A7 Bild 19: Örtliche Gegebenheiten am Mittelpfeiler Um auf einen aufwendigen und schwer herzustellenden Verbau bei ganzer Freilegung des Fundaments zu verzichten und u.a. den Eingriff in den Fluss zu vermeiden, könnte der der Einbau der Querkraftverstärkung als Alternative zur Baugrube für das Ertüchtigen des Pfeilerfundaments in folgenden Schritten erfolgen (siehe auch Bild 20): 1. Vorbereiten des Bereichs um den Pfeiler im Flussbereich und Herstellen einer befahrbaren Schotterschicht 2. Bohrung (ca. 2 m lang mit Neigung ca. 8°) mit kleinem Bohrgerät (z.B. d = 200 mm) bis zur OK Pfeilerfundament 3. Reinigen Bohrloch und Fundamentoberfläche 4. Zentrisch geführte Stufenbohrung durch das Fundament 5. Ggf. Teilfüllung mit Verbundmörtel gem. Zulassung als Korrosionsschutz 6. Setzen und Andrehen der Betonschraube 7. Wiederholung für alle Schrauben 8. Rückbau Aufschüttung und Widerherstellen Böschung Bild 20: Einbaudetails beim Einbau ohne Baugrube 4. Beteiligte Bauherr : Autobahndirektion Südbayern, Dienststelle Kempten Nachrechnung und Planung: matrics engineering GmbH, München Prüfingenieur : Prof. Dr. Fritsche, Deggendorf Ausführung : Chembau GmbH, Mils/ Österreich 5. Kontakt Dr.-Ing. H. Weiher: matrics engineering GmbH, München 089 890 65 98 06 weiher@matrics-engineering.com SMART-DECK 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 47 SMART-DECK: Realisierung eines Konzepts Dr.-Ing. Till Büttner Massenberg GmbH, Essen Zusammenfassung Im Rahmen des Verbundforschungsvorhabens SMART-DECK, das als Beitrag der Initiative „HighTechMatBau“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde, wurde ein multifunktionales System zur Instandsetzung sowie dem Schutz von Infrastrukturbauwerken erarbeitet. Das System ermöglicht ein vollflächiges Echtzeit-Feuchtemonitoring, einen abschnittsweise steuerbaren präventiven kathodischen Korrosionsschutz (pKKS) und eine Erhöhung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit bei Bestandsbrücken. Mit dem Monitoring können Schäden in der Abdichtungsebene frühzeitig erkannt und, in Kombination mit dem pKKS, Verkehrsbehinderungen vermieden werden, da eine Erneuerung des Brückenbelages in verkehrsgünstigere Perioden verschoben werden kann. Sowohl das Monitoring, der pKKS als auch die verstärkende Wirkung werden durch eine textile Carbonbewehrung in Kombination mit einem Spezialmörtel realisiert. Im Rahmen des Verbundforschungsvorhabens wurden sowohl Laboruntersuchungen durchgeführt als auch zwei unterschiedlich große Demonstratoren realisiert, um die Leistungsfähigkeit des Systems auch außerhalb einer Laborumgebung zeigen zu können. 1. Einleitung Die Dauerhaftigkeit von Infrastrukturbauwerken wird maßgeblich von unterläufigen Abdichtungen sowie schadhaften Fugen- oder Übergangsprofilen und dem damit verbundenen Eintrag von Chloriden in die Konstruktion negativ beeinflusst [1]. Trotz der regelmäßig alle drei bzw. sechs Jahre stattfindenden Bauwerksprüfungen kann die Korrosion der Bewehrung oft erst erkannt werden, wenn bereits ein erhebliches Schädigungsausmaß vorliegt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass bei den Bauwerksprüfungen nur die sichtbaren Flächen, d. h. die Unterseite der Fahrbahntafel, die Innenseite und Außenseiten eines Hohlkastens oder des Kragarms, untersucht werden können. Die Folge von Chlorideintrag von der Oberseite (d. h. durch die Fahrbahndecke und undichte Abdichtungen) in die Bauwerkskonstruktion sind umfangreiche Instandsetzungmaßnahmen, die zu erheblichen Verkehrsbehinderungen und signifikanten volkswirtschaftlichen Verlusten führen können [2]. Ein vollflächiges Monitoring hinsichtlich der Dichtigkeit der Abdichtung von Infrastrukturbauwerken ist aktuell nicht üblich und am Markt nicht verfügbar. Sofern ein Monitoring ausgeführt wird, sind es lokal messende Sensoren, die einen begrenzten Messradius aufweisen. Tritt außerhalb dieses Radius eine Undichtigkeit auf, kann diese nicht detektiert werden [3]. Das System SMART- DECK bietet erstmals am Markt eine vollflächige Monitoringlösung, die um zwei weitere Funktionalitäten erweitert wird, so dass das Gesamtsystem die folgenden Funktionalitäten aufweist: • vollflächiges Echtzeit-Feuchtemonitoring, • abschnittsweise steuerbaren, präventiven kathodischen Korrosionsschutz (pKKS), der mittels Fremdstrom die Depassivierung der Bewehrung verzögert [4] sowie • Erhöhung der Tragfähigkeit in Querrichtung (bei Bestandsbrücken). Das vollflächige Monitoring ermöglicht ein frühzeitiges Erkennen von Undichtigkeiten und damit einem möglichen Eindringen von Chloriden in die Konstruktion. Mittels des pKKS, der im Falle von Undichtigkeiten lokal aktiviert werden kann, ist es möglich die Stahlbewehrung des Überbaus aktiv vor Korrosion zu schützen und damit erforderliche Instandsetzungsmaßnahmen nicht unmittelbar ausführen zu müssen, sondern es besteht die Möglichkeit diese in verkehrsgünstige Perioden zu verschieben. Ferner wird mittels SMART-DECK der Überbau in Querrichtung verstärkt. Üblicherweise erfolgt die Verstärkung von Brückenbauwerken in Querrichtung momentan z.B. mit in Schlitzen eingebettetem Bewehrungsstahl. Textilbewehrte KKS-Systeme sind aktuell am Markt verfügbar - siehe u.a. [5] - allerdings handelt es sich um KKS-Systeme, bei denen die textile Bewehrung nicht als Sensor und Verstärkung verwendet wird. 48 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 SMART-DECK: Realisierung eines Konzepts Bild 1: Übersicht der Funktionalität von SMARTDECK und den Zustand der Abdichtung; grün: intakte Abdichtung, gelb: signifikanter Widerstandsabfall; rot: Grenzwert Widerstand unterschritten, Undichtigkeiten vorhanden und pKKS erforderlich In Abhängigkeit der bei einem individuellen Bauwerk erforderlichen Maßnahmen, ist SMART-DECK modular aufgebaut, wie in dem nachfolgenden Bild dargestellt. Die maximale Ausbaustufe des Systems ist die Kombination aller drei Funktionalitäten, die anderen Möglichkeiten stellen sinnvolle Kombinationen oder Einzelanwendungen einer der möglichen Funktionalitäten dar. Liegt z.B. keine Notwendigkeit eines Monitorings vor, kann das System als ausschließliches Verstärkungssystem konzipiert werden. Die Anwendung als ausschließliches KKS-System ist keine planmäßige Anwendung von SMART-DECK, sondern das KKS soll immer als präventives KKS in Kombination mit einem Monitoring- System verwendet werden. Die Modularität hat auch zur Folge, dass der Einsatz des Systems grundsätzlich bei Neubauten oder bei Bestandsbauwerken möglich ist. Bild 2: Übersicht über die modularen Funktionalitäten von SMART-DECK Der grundsätzliche Aufbau des Systems SMART-DECK ist für alle Anwendungsfälle - Instandsetzung oder Neubau - identisch (vgl. Detail A; Bild 1): • 35 mm Hochleistungsmörtel mit • 2 Lagen Carbonbewehrung mit elektrischen Anschlüssen für Monitoring und pKKS, die nach außen geführt werden. Das System SMART-DECK wurde im Rahmen eines Verbundforschungsprogramms innerhalb der Förderlinie HighTechMatBau des BMBF erarbeitet. Innerhalb des Forschungsverbundes waren sowohl Partner aus der Forschung - das Institut für Bauforschung - Bauwerkserhaltung und Polymerkomposite (ibac) sowie dem Institut für Massivbau (IMB) der RWTH Aachen - als auch Partner aus der Wirtschaft vertreten. Die beteiligten Unternehmen waren die Eurovia Beton GmbH NL Bauwerksinstandsetzung (Projektkoordinator des Verbundprojektes/ Hofheim-Wallau), Solidian GmbH (Albstadt-Lautlingen), Massenberg GmbH (Essen), instakorr GmbH (Darmstadt) sowie die StoCretec GmbH, Tochtergesellschaft der Sto SE & Co. KGaA (Kriftel). Ferner war die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), die das System aus Sicht des späteren Nutzers beurteilt, an dem Forschungsvorhaben beteiligt. 2. Die Komponenten von SMART-DECK 2.1 Hochleistungsmörtel Das System SMART-DECK wird planmäßig mit einer konstanten Schichtdicke über die gesamte Fläche eines Brückenüberbaus ausgeführt, d. h. ein bei Brückenbauwerken eventuell erforderlicher Gradientenausgleich muss vor der Applikation von SMART-DECK erfolgen. Die planmäßige Mehrbelastung infolge des Systems beträgt mit dem planmäßigen Aufbau mit einer Schichtdicke von 35 mm rd. 80 kg/ m² (0,8 kN/ m²). Sofern die Mehrbelastung bei Bestandsbauwerken kompensiert werden muss, besteht z.B. die Möglichkeit einen sog. HANV-Belag [6] anstatt eines herkömmlichen Belagsaufbaus gemäß ZTV-ING [7] mit zwei Lagen Gussasphalt à 35 mm einzubauen. Die Einbettung der textilen Bewehrung erfolgt mittels eines speziell an die Anforderungen des Forschungsprojektes angepassten RM (bisher: PCC (Polymermodified Cement Concrete)) des Forschungspartners StoCretec. Der Mörtel mit einem Größtkorn von 4 mm wurde iterativ entwickelt, so dass er den verschiedenen, konkurrierenden Anforderungen bezüglich Verstärkung, Monitoring, pKKS und Einbaupraxis entspricht. Neben den Anforderungen an die Mörtelzusammensetzung, waren die Anforderungen an die Einbaupraxis ebenfalls eine besondere Herausforderung. Der Mörtel muss zum einen eine ausreichende Fließfähigkeit aufweisen, um einen Einbau des Systems in einer Lage zu ermöglichen, als auch eine ausreichend hohe Förderleistung während des Einbaus realisieren zu können. Ferner muss der Mörtel eine ausreichende Standfestigkeit aufweisen, um bei Querneigungen von mindestens 2,5 % einbaubar zu sein 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 49 SMART-DECK: Realisierung eines Konzepts und bei dem Einbringen der Verdichtungsenergie nicht zu verlaufen. Die nachfolgenden Bilder zeigen unterschiedliche Entwicklungsstufen des Mörtels. Bild 3 zeigt einen für die Herstellung von SMART-DECK nicht geeigneten Mörtel, Bild 4 wiederum einen geeigneten Mörtel. Bild 3: Mörtelversuche - hier: Mörtel mit zu steifer Konsistenz für die Verwendung bei SMART-DECK (Foto: Till Büttner) Bild 4: Mörtelversuche - hier: Mörtel mit für den Einbau durch zwei Lagen textile Bewehrung geeignete Konsistenz (Foto: Till Büttner) Die Herstellversuche wurden an kleinformatigen Probekörpern mit einer Größe von 1 m² ausgeführt, wobei bei der Herstellung darauf geachtet wurde, dass die Verdichtung ausschließlich von oben in das Gesamtsystem eingebracht wird, da bei der realen Anwendung die Verdichtung ebenfalls nur von oben erfolgen kann. Die Mörtelversuche dienten sowohl zur Erarbeitung der Einbautechnologie als auch der Mörtelentwicklung bei dem Forschungspartner StoCretec. Die unter Baustellenbedingungen ermittelten Mörtelfestigkeiten sind in dem nachfolgenden Kapitel zu den Demonstratoren widergegeben. 2.2 Textile 3D-Bewehrung Die textile Bewehrung übernimmt bei allen drei möglichen Funktionalitäten von SMART-DECK eine wesentliche Aufgabe. Bei dem Monitoring ist die textile Bewehrung der Sensor, der den Widerstand des Mörtels zwischen den beiden Bewehrungslagen und damit den Feuchtegehalt des Mörtels misst. Steigt der Feuchtegehalt des Mörtels muss davon ausgegangen werden, dass Undichtigkeiten in der Abdichtungsebene der Brücke vorliegen und damit auch Chloride in das Bauwerk eindringen können. Bei dem pKKS wiederum stellt die textile Bewehrung die Anode dar. Sofern mit SMART- DECK der Brückenüberbau verstärkt wird, wird die Verstärkung durch die auf der Oberseite des Brückenüberbaus applizierte textile Bewehrung realisiert. In Abhängigkeit der Anforderung an die möglichen Module (siehe Bild 2) kann der Bewehrungsgrad von SMART-DECK variiert werden. Bei dem im Rahmen des Verbundforschungsvorhaben erarbeiteten Systems sind zwei Lagen textile Bewehrung erforderlich. Dabei kann allerdings der Rovingquerschnitt als auch der Rovingabstand variiert und an die Anforderungen des jeweiligen Projektes angepasst werden. Um eine Unterteilung der gesamten Einbaufläche in einzelne Messfelder sowie pKKS-Felder zu ermöglichen, muss die Bewehrung in Längsrichtung ohne Übergreifung (und damit ohne direkten elektrischen Kontakt) ausgeführt werden, in Brückenquerrichtung (Verstärkungsrichtung des Überbaus sowie des Kragarms) muss ein statisch wirksamer Übergreifungsstoß ausgeführt werden. Sofern keine Verstärkung erforderlich ist, kann in Querrichtung auf einen Übergreifungsstoß verzichtet werden. Dabei ist allerdings zu beachten, dass dann alle Bewehrungsfelder mit Kabeln an das Monitoring und pKKS-System angeschlossen werden müssen und sich somit unter Umständen der Verkabelungsaufwand deutlich erhöht. Als textile Bewehrung von SMART-DECK kommen sogenannten biaxiale Carbontextilien zum Einsatz, die eine lichte Maschenweite von 38 mm aufweisen und mit Epoxidharz im Herstellprozess getränkt werden. Die Maschenweite wurde im Rahmen des Forschungsprojektes unter Berücksichtigung des bei dem Projekt vorliegenden Mörtelgrößtkorns von 4 mm sowie der Herstellung - Einbau des Mörtels durch zwei Lagen Textilien und anschließendes Verdichten von der Oberseite - iterativ ermittelt. Die Herstellung des zweilagigen, sog. 3D-Textils, erfolgt bei der Textilherstellung. so dass die textile Bewehrung einbaufertig auf die Baustelle geliefert wird. Bei der Herstellung des 3D-Textils kommen spezielle nicht-leitende Abstandshalter zum Einsatz. Ferner sind die Abstandshalter für die Unterseite an der Bewehrung werksmäßig eingebaut. 50 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 SMART-DECK: Realisierung eines Konzepts Bild 5: Fertig verlegte 3D-Bewehrung vor dem Mörteleinbau - lichte Maschenweite: 38 mm (Foto: Till Büttner) Die textile Bewehrung wird für die vorliegende Anwendung mit einer Breite von 1,20 m hergestellt, dies entspricht der Breite der Messfelder in Brückenlängsrichtung. Die Länge der Bewehrung beträgt i.d.R. 5,00 m, um eine ausreichende Verarbeitbarkeit auf der Baustelle zu ermöglichen, wobei auch längere Lieferlängen grundsätzlich möglich sind. Das Verlegen der Bewehrung erfolgt nach der Herstellung der elektrischen Anschlüsse händisch gemäß einer vorher erstellten Verlegeplanung. Um ein Aufschwimmen der Textilien beim Verdichten zu verhindern, werden in regelmäßigen Abständen ebenfalls nicht-leitende Verankerungselemente angeordnet. Die Verwendung von nicht-leitenden Abstandshaltern und Verankerungselementen ist zwingend erforderlich, um Kurzschlüsse zwischen den Bewehrungslagen bzw. mit der Bestandsbewehrung zu vermeiden. Kurzschlüsse zwischen den Bewehrungslagen würden ein Messen der Feuchtigkeit innerhalb des Mörtels (und damit die Detektion von Undichtigkeiten) unmöglich machen, Kurzschlüsse zwischen textiler Bewehrung und Bestandsbewehrung würden zu einem nichtfunktionierenden pKKS führen. 3. Erprobung von SMART-DECK Das System SMART-DECK wurde im Rahmen des Verbundforschungsprojektes an zwei unterschiedlich großen Demonstratoren erprobt und ausgeführt. Nach 18 Monaten Projektlaufzeit wurde ein sog. Kleindemonstrator hergestellt, der die erste Übertragung aus dem Labormaßstab in den realen Maßstab des Systems darstellt. Zu Projektabschluss wurde ein Großdemonstrator hergestellt, der die Integration des Systems in ein reales Bauprojekt validiert. Die nachfolgenden beiden Abschnitte stellen die Arbeiten an beiden Demonstratoren vor. 3.1 Kleindemonstrator Der Kleindemonstrator stellt die erste Übertragung der Herstelltechnologie des Systems aus dem Labormaßstab in den realen Maßstab dar. Der Kleindemonstrator wurde auf einer speziell für das Projekt hergestellten Grundplatte mit einer Größe von rd. 80 m² ausgeführt. Die Grundplatte wurde bei der Bundesanstalt für Straßenwesen hergestellt und repräsentiert eine typische Fahrbahntafel einer Betonbrücke. Die Herstellung einer speziellen Grundplatte ermöglichte nach der Herstellung von SMART-DECK die Entnahme von insgesamt vier Probekörpern, zwei Referenzprobekörper sowie zwei Probekörper zur Quantifizierung des Verstärkungsgrades. Diese aus dem Kleindemonstrator entnommenen Probekörper ergänzen die unter Laborbedingungen hergestellten Probekörper, um eventuell aus den Baustellenbedingungen resultierende Einflüsse quantifizieren zu können [8]. Das nachfolgende Bild stellt den Kleindemonstrator schematisch dar. Bild 6: Übersichtszeichnung des Kleindemonstrators (Zeichnung: Till Büttner) Der in Bild 6 dargestellte Grundkörper weist die folgenden Besonderheiten auf: • Variation des Längs-/ Querbewehrungsgrades (kreuzweise identisch in den einzelnen Abschnitten verlegte Bewehrung): - 5,24 cm²/ m (Ø 10-15) - 10,26 cm²/ m (Ø 14-15) - 25,13 cm²/ m (Ø 20-10) • Bewehrung ausschließlich Einzelstäbe analog Brückenüberbauten gemäß ZTV-ING. • Neigungswechsel zur Simulation des Schrammbordbereichs eines Brückenüberbaus von +2,5 % auf -2,5 %. • integrierte Referenzelektroden für den pKKS. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 51 SMART-DECK: Realisierung eines Konzepts Bild 7: Aufnahme der unterschiedlich bewehrten Bereiche des Grundkörpers (Foto: Till Büttner) Bild 8: Detailaufnahme des Neigungswechsels (hier mit Randschalung, textiler Bewehrung und Rüttelbohle) (Foto: Till Büttner) Der Grundkörper wurde mittels Rüttelbohle verdichtet und anschließend mittels Folie ohne weitere Bearbeitung der Oberfläche sowie der Verwendung eines Nachbehandlungsmittels nachbehandelt. Als Beton für den Grundkörper wurde ein im Brückenbau üblicherweise verwendeter C30/ 37 (Größtkorn: 16 mm) nach Vorgaben der ZTV-ING [7] verwendet. Bei der Applikation von SMART-DECK wies der Grundkörper ein Alter von ca. 4 Monaten auf. Die Applikation wurde in den folgenden Schritten durchgeführt: • Untergrundvorbereitung mittels Kugelstrahlen (2-maliges Überfahren im Kreuzgang) gemäß ZTV- ING zum kuppenartigen Freilegen des Größtkorns, • Einbau einer Randschalung entlang der „Brückenränder“ sowie zwischen den Arbeitsabschnitten, • Einbau der textilen Bewehrung sowie Verankerung der Bewehrung am Untergrund und Einbau von Multiringelektroden für vergleichende Messungen, • Applikation des Mörtels mittels Schlauchförderung und Verdichtung mit einer Rüttelbohle sowie anschließendes Nachbehandeln unter Berücksichtigung der Vorgaben der ZTV-ING für den Einbau von PCCs bzw. Aufbetonen (siehe u.a. Teil 3 Abschnitte 4 und 7). Bild 9: Grundplatte des Kleindemonstrators mit verlegter Bewehrung des ersten Bauabschnitts und eingebauter Randschalung (Foto: Till Büttner) Bild 10: Textile Bewehrung des zweiten Bauabschnitte nach dem Einbau und in Brückenlängsrichtung vorhandenem Abstand zur Generierung der einzelnen Messfelder (vgl. Bild 1) - weiß: Abstandshalter der Textilien, schwarz: Verankerung der Bewehrung im Untergrund (Foto: Till Büttner) Der Einbau von SMART-DECK erfolgt ausschließlich von der Oberseite auf die vorbereitete Oberfläche. Der Verbund und damit die Schubkraftübertragung zum Bestandsbeton wird lediglich über die Fugenrauheit ohne die Verwendung von statisch wirksamen Verankerungen realisiert. Bei der Herstellung des Kleindemonstrators wurde darauf geachtet, dass alle Einzelschritte auf einem Brückenbauwerk ausführbar sind, d. h. alle Arbeitswege, Material- und Geräteandienung analog zu einer Brückentafel erfolgen. Auch erfolgte die Herstellung in zwei Bauabschnitten, um eine übliche Baustellenverkehrsführung bei Instandsetzungsbaustellen zu simulieren. Nach der Untergrundvorbereitung erfolgte die Verlegung der vorkonfektionierten textilen Bewehrung auf der Be- 52 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 SMART-DECK: Realisierung eines Konzepts tonoberfläche - siehe Bilder 9 und 10. Die Verankerung erfolgte in einem Raster von ca. 50 x 50 cm², wobei dieser Abstand an die jeweilige Örtlichkeit angepasst werden kann, so dass eine ausreichende Verankerung der textilen Bewehrung am Untergrund sichergestellt werden kann. Die Vorkonfektionierung der Bewehrung umfasst sowohl den passgenauen Zuschnitt der Bewehrung als auch die Herstellung der elektrischen Anschlüsse durch die Firmen Massenberg und instakorr. Die Verkabelung wird gemäß den Anforderungen an eine KKS-Verkabelung ausgeführt, d.h. die Verkabelung ist redundant ausgelegt. Um die Unterteilung in einzelne Messfelder - siehe Bild 1 - zu erreichen, wurde die Bewehrung in Längsrichtung des simulierten Brückenüberbaus ohne Übergreifung ausgeführt. In Querrichtung wurden statisch wirksame Übergreifungsstöße ausgeführt, um die gewählte Übergreifungslänge im Zuge der Versuche am Institut für Massivbau an den zwei entnommenen Probekörpern zu verifizieren. Nach dem Bewehrungseinbau erfolgte der Schalungsbau entlang der Ränder des Grundkörpers sowie entlang der Arbeitsfuge zwischen den beiden Bauabschnitten. Im Anschluss an die Schalarbeiten erfolgte der Einbau des Hochleistungsmörtels - siehe Bild 11. Der Einbau erfordert den Einsatz einer Arbeitsbühne, die vor der Rüttelbohle angeordnet war. Die Verwendung einer Arbeitsbühne ist unbedingt erforderlich, da ein Betreten der Bewehrung zu Beschädigungen an der Bewehrung infolge der geringen Quersteifigkeit des Carbons und der Veränderung der Lage führen kann, so dass dies zwingend ausgeschlossen werden muss. Weiterhin ist das getränkte Carbontextil vergleichsweise steif, so dass eine Überbelastung der Bewehrung zu Sprödbrüchen führt, die diese nachhaltig beschädigt und diese somit nicht mehr die volle Tragfähigkeit aufweist [9]. Die Förderung des Mörtels erfolgte direkt aus einem Silo mit angeschlossener Mischeinheit über eine Länge von max. 60 m Förderschlauch an die Einbaustelle (Bilder 11 und 12). Parallel zum Einbau der Bewehrung erfolgten Widerstandsmessungen, um Kurzschlüsse oder Beschädigungen der textilen Bewehrung unmittelbar detektieren zu können. Im Rahmen der Herstellung des Kleindemonstrators konnte keine Beschädigung der textilen Bewehrung festgestellt werden. Bild 11: Detailaufnahme des Mörteleinbaus vor dem Verdichten (Foto: Till Büttner) Bild 12: fertiggestellter erster Bauabschnitt des Kleindemonstrators (Foto: Till Büttner) Zur Qualitätssicherung wurden Mörtelproben der beiden Bauabschnitte hergestellt und die Druck- und Biegezugfestigkeit gemäß DIN EN 196-1: 2005 [10] ermittelt. Die nachfolgende Tabelle gibt die Festigkeiten, die bei dem Kleindemonstrator erzielt wurden, wieder. Die Proben wurden, abweichend von DIN EN 196-1: 2005, bis kurz vor der Prüfung neben dem Bauwerk gelagert, um die Festigkeiten des Mörtels des Kleindemonstrators zu ermitteln. Diese Festigkeiten dienten zum einen dem Vergleich mit zuvor im Labor ermittelten Festigkeiten als auch der Nachrechnung der entnommenen großformatigen Probekörper. Allgemein lässt sich feststellen, dass der Mörtel eine vergleichsweise schnelle Festigkeitsentwicklung sowie hohe Druck- und Biegezugfestigkeiten aufweist und die Festigkeiten im Bereich der im Labor ermittelten Festigkeiten des Mörtels liegen. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 53 SMART-DECK: Realisierung eines Konzepts Tabelle 1: Mörtelfestigkeiten der beim Kleindemonstrator hergestellten Mörtelproben - Lagerung am Bauwerk [11] Bauabschnitt 1 Bauabschnitt 2 Prüfalter Druckfestigkeit in N/ mm² Biegezugfestigkeit in N/ mm² Druckfestigkeit in N/ mm² Biegezugfestigkeit in N/ mm² 1 d 25,5 5,2 27,9 5,9 7 d - - 51,3 5,9 14 d - - 61,7 8,7 28 d 66,8 10,5 60,6 10,4 Die Herstellung des Kleindemonstrators lässt sich wie folgt zusammenfassen: • die Ausführung von SMART-DECK in einem baustellengerechten Maßstab hat grundsätzlich funktioniert und das System kann mit dem erarbeiteten Verfahren eingebaut werden. • entlang der Schnittkanten zur Entnahme der großformatigen Proben konnten keine Hohlstellen oder Verschiebungen der Bewehrung aus der Solllage heraus festgestellt werden [8], [11]. Weitere zerstörende Prüfungen (außer der Entnahme der großformatigen Proben) wurden an dem Kleindemonstrator nicht durchgeführt, um Beschädigungen an der textilen Bewehrung sowie Verkabelung zu vermeiden. Somit konnte neben der Verstärkungswirkung auch das Monitoring und der pKKS am Kleindemonstrator und damit alle drei möglichen Funktionalitäten untersucht werden. Ferner wurde am Kleindemonstrator das für SMART-DECK erforderliche Monitoring sowie eine Datenfernübertragung mittels GSM-Modem installiert, um die Funktionalität aller für das Monitoring erforderlichen Komponenten - Messsensoren, Datenlogger und Datenfernübertragung - durch das ibac der RWTH Aachen zu validieren und zu prüfen [12]. Auch bei der Entwicklung des Monitorings wurde auf eine spätere Anwendbarkeit bei Brückenbauwerken, die nicht notwendigerweise über einen Dauerstrom- und Telefonleitungsanschluss verfügen, geachtet. Basierend auf den Arbeiten am Kleindemonstrator wurden die einzelnen Komponenten von SMART-DECK weiterentwickelt, um am Ende des Forschungsprojektes einen Großdemonstrator realisieren zu können. 3.2 Großdemonstrator Der am Ende des Forschungsprojekt realisierte Großdemonstrator diente der abschließenden Verifikation aller erarbeiteten Komponenten und sollte damit auch bei einem realen Bauvorhaben unter realistischen Bedingungen ausgeführt werden. Die Herstellung des Großdemonstrators erfolgte im Rahmen des Brückenneubaus „Ritterstraße“ der Stadt Mönchengladbach. Bei der Brücke handelt es sich um ein einfeldriges Rahmenbauwerk über den Fluss Niers, welches in zwei Bauabschnitten seitens einer ARGE, die nicht an dem Forschungsprojekt beteiligt ist, errichtet wurde. Das nachfolgende Bild 13 zeigt eine Ansicht der Brücke vor der Herstellung des Überbaus. Bild 13: Ansicht der Brücke Ritterstraße vor Herstellung des Überbaus (Foto: Till Büttner) Das neue Brückenbauwerk wurde sowohl als Ortbetonbauwerk (Widerlager) als auch in Halbfertigteilbauwerk (Überbau) ausgeführt. Zur Errichtung des Überbaus wurden zunächst Fertigteile auf die Lagerkonstruktion gelegt und anschließend mit einer bewehrten Ortbetonschicht zu einer Scheibe verbunden. Bei der Ortbetonschicht wurde die Rohbetonoberkante seitens der bauausführenden ARGE 35 mm niedriger fertiggestellt als ursprünglich geplant, um den Einbau von SMART-DECK ohne Anpassung der Gradiente vornehmen zu können. Die verbleibenden 35 mm wurden dann durch den Forschungsverbund mittels SMART-DECK hergestellt. Dabei wurde auf eine Anpassung der Bewehrungsführung in der Aufbetonschicht verzichtet, da SMART-DECK auf die Betondeckung angerechnet werden kann. Die Ausführung erfolgte aufgrund der Verkehrsführung vor Ort in zwei voneinander getrennten Bauabschnitten. Die grundsätzlichen Herstellschritte von SMART-DECK sind zu den zuvor in Kapitel 3.1 beschriebenen Schritten identisch, wobei sich sowohl bei den einzelnen Komponenten als auch bei der Einbautechnologie infolge der nach dem Kleindemonstrator durchgeführten Forschungsaktivitäten Änderungen im Detail ergeben haben. Die nachfolgenden Bilder zeigen die Herstellung der beiden Bauabschnitte des Großdemonstrators. Die Arbeiten zur Herstellung von SMART-DECK wurden jeweils ca. 14 Tage nach der Betonage der Ortbetonscheibe begonnen. 54 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 SMART-DECK: Realisierung eines Konzepts Bild 14: Vollständig verlegte textile Bewehrung des 2. Bauabschnitts (Foto: Till Büttner) Bild 15: Mörteleinbau des zweiten Bauabschnitts (Foto: Till Büttner) Bild 16: fertiggestellter erster Bauabschnitt (Foto: Till Büttner) Bild 17: fertiggestellter zweiter Bauabschnitt (Foto: Till Büttner) Im Zuge der Realisierung des Großdemonstrators konnte gezeigt werden, dass SMART-DECK auch unter realen Baustellenbedingungen herstellbar ist. Beide Bauabschnitte haben ferner ergeben, dass der Mörteleinbau bei SMART-DECK im Vergleich zu vorliegenden Leistungswerten für den Einbau von PCCs wirtschaftlich ausgeführt werden kann. Weiterhin hat die einbaubegleitende Qualitätskontrolle beim Großdemonstrator gezeigt, dass im Rahmen der Herstellung von SMART-DECK die textile Bewehrung nicht beschädigt wurde. Im Anschluss an die Herstellung des Großdemonstrator wird über die kommenden Jahre das Monitoring vom Institut für Bauforschung der RWTH Aachen - Bauwerkserhaltung und Polymerkomposite (ibac) betrieben, um eine breite Datenbasis für weitere Anwendungen vorliegen zu haben. Das in der Brücke Ritterstraße installierte Monitoring ermöglicht, wie auch bei dem Kleindemonstrator, eine Datenfernabfrage der aufgezeichneten Daten mittels GSM-Netz. 4. Zusammenfassung Die dargestellten Erkenntnisse zu SMART-DECK lassen sich wie folgt zusammenfassen: • SMART-DECK konnte im Rahmen des Klein - und Großdemonstrators unter Baustellenbedingungen, wenn auch in einem für Brückenbauwerken vergleichsweise kleinen Maßstab, realisiert werden. • Im Rahmen der Untersuchungen der verstärkenden Wirkung des Systems konnte gezeigt werden, dass durch SMART-DECK eine signifikante Steigerung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit der Brückenfahrbahnplatte erreicht werden kann. Zudem werden die Durchbiegungen bei Belastung verringert und es stellt sich ein feineres Rissbild ein. Die damit einhergehende Reduzierung der Rissweiten beeinflusst das Tragwerk in Hinblick auf das mögliche Eindringen von tausalzhaltigem Wasser in positiver Weite. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 55 SMART-DECK: Realisierung eines Konzepts • Die Grundlage für das Feuchte-Monitoring, die vollflächige Widerstandsmessung am Kleindemonstrator inklusive der Datenübertragung via Internet wurde erfolgreich getestet. Zusammenfassend lässt sich ebenfalls feststellen, dass auch bei Brückenneubauten die Anwendung von SMART-DECK langfristige wirtschaftliche Vorteile für den Nutzer erwarten lässt. Die Technologie des intelligenten multifunktionalen Verstärkungs- und Schutzsystems aus textilbewehrtem Hochleistungsmörtel ist später auf andere Anwendungsfelder (Parkbauten, Tunnel, Meeresbauwerke etc.) übertragbar. Literatur [1] Naumann, J.: Brücken und Schwerverkehr - Eine Bestandsaufnahme. In: Bauingenieur 85 (2010), Heft 1, S. 1-9 [2] Freundt, U.; Böning, S.; Kaschner, R.: Straßenbrücken zwischem aktuellem und zukünftigen Verkehr-Straßenverkehrslasten nach DIN EN 1991-2/ NA. In: Beton- und Stahlbetonbau 106 (2011), Heft 11, S. 736-746 [3] Raupach, M.; Gulikers, J.; Reichling, K.: Condition Survey with Embedded Sensors Regarding Reinforcement Corrosion: Bauwerksüberwachung mit eingebetteten Sensoren hinsichtlich der Korrosion von Stahl in Beton. In: Materials an Corrosion 64 (2013), Nr. 2, S. 141-146 ISSN 1521-4176 [4] Nürnberger, U.: Korrosion und Korrosionsschutz im Bauwesen. Band 1: Grundlagen, Betonbau. Band 2: Metallbau, Korrosionsprüfung. Wiesbaden; Berlin: Bauverlag, 1995 [5] Vennesland, O.; Haug. R.; Mork, J.H.: Cathodic protection of reinforced concrete - a system with woven carbon mesh. In: Concrete Repair, Rehabilitation and Retrofitting - Alexander (eds), Taylor & Francis Group London 2006, ISBN: 0 415 39654 9 [6] Hinweise für die Herstellung von Abdichtungssystemen aus Hohlraumreichen Asphalttraggerüsten mit Nachträglicher Verfüllung für Ingenieurbauten aus Beton; Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV), Ausgabe 2015 [7] Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten (ZTV-ING), Bundes-anstalt für Straßenwesen (bast), Ausgabe 10/ 2018 [8] Adam, V.; Will, N.; Hegger, J.: Verstärkung für Fahrbahnplatten von Massivbrücken aus Textilbeton: Versuche im Rahmen einer Demonstratorrealisierung, In: Bauingenieur 96 (2020) [9] Kulas, C.; Zum Tragverhalten getränkter textiler Bewehrungselemente für Betonbauteile, Dissertation RWTH Aachen, Eigenverlag, 2013 [10] DIN EN 196-1: Prüfverfahren für Zement - Teil 1: Bestimmung der Festigkeit; Deutsche Fassung, Ausgabe November 2006 [11] Adam, V., Driessen, C., Will, N., Raupach, M.: SMART-DECK: Multifunktionale Textilbetonschicht für Brückenfahrbahnplatten, 2. Brückenkolloquium - Beurteilung, Ertüchtigung und Instandsetzung von Brücken, Technische Akademie Esslingen, Tagungshandbuch 2016, pp. 413-421 [12] Driessen-Ohlenforst, C.; Faulhaber, A.; Raupach, M.: SMART-DECK: Monitoring und kathodischer Korrosionsschutz. In: Bauingenieur 96 (2020), 3 Danksagung Der Autor bedankt sich beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) für die Förderung des Projekts und beim VDI Technologiezentrum GmbH, die seitens des BMBF mit der Beratung und der Umsetzung der Förderrichtlinien betraut wurden. Außerdem gilt der Dank allen Projektpartnern: der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt, Bergisch-Gladbach), Eurovia Beton GmbH NL Bauwerksinstandsetzung (Projektkoordinator des Verbundprojektes/ Hofheim-Wallau), Solidian GmbH (Albstadt-Lautlingen), Massenberg GmbH (Essen), instakorr GmbH (Darmstadt) und StoCretec GmbH, Tochtergesellschaft der Sto SE & Co. KGaA (Kriftel) sowie dem Institut für Bauforschung - Bauwerkserhaltung und Polymerkomposite (ibac) und dem Institut für Massivbau (IMB) der RWTH Aachen. Ferner gilt der Stadt Mönchengladbach und insbesondere Herrn A. Diefenbacher der Dank für die erfolgreiche Kooperation bei dem Bauvorhaben „Ritterstraße“. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 57 Textilbetonschicht für Fahrbahnplatten von Betonbrücken zur Erhöhung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit in Querrichtung Viviane Adam Norbert Will Josef Hegger Institut für Massivbau, RWTH Aachen Zusammenfassung Im Verbundforschungsprojekt SMART-DECK wurden experimentelle und theoretische Untersuchungen zur Wirksamkeit einer Textilbetonschicht für Brückenfahrbahnplatten durchgeführt. Insgesamt sieben Partner aus Industrie und Forschung entwickelten dabei eine 35 mm dicke Ergänzungsschicht mit Carbonbewehrung, die drei Funktionen für die Brücke bietet: Monitoring, präventiver kathodischer Korrosionsschutz und Verstärkung. Bei dem Vortrag sollen die Ergebnisse der Untersuchungen zur Verstärkungswirkung der Textilbetonergänzungsschicht vorgestellt werden. Grundlage dafür waren insgesamt 20 durchgeführte großmaßstäbliche Versuche an verstärkten Plattenstreifen und unverstärkten Referenzbauteilen. Dabei konnte gezeigt werden, dass durch die dünne aber leistungsfähige Textilbetonergänzung hohe zusätzliche Tragfähigkeiten aktiviert werden, wodurch Defizite bei der Biege- und Querkrafttragfähigkeit von Bestandsbrücken ausgeglichen werden können. Der Beitrag beinhaltet die Ergebnisse von zehn Bauteilversuchen an Fahrbahnplattenausschnitten mit Textilbetonergänzung und begleitenden Kleinkörperversuchen am Verstärkungsmaterial und Referenzversuchen an unverstärkten Plattenstreifen. Die Verstärkung erfolgte unter Baustellenbedingungen durch einen der Projektpartner. Die Versuche wurden anschließend in den Versuchshallen des Instituts für Massivbau (IMB) der RWTH geprüft. 1. Einleitung Bekanntermaßen liegen bei einem erheblichen Teil des Brückenbestands der Bundesstraßen Schäden am Bestandstragwerk oder infolge Verkehrserhöhung bzw. strengerer Nachweisführung rechnerische Defizite vor. Um die Restnutzungsdauer der aktuell defizitären Bauwerke zu verlängern und so durch die Erweiterung des Planungshorizonts einen Ersatzneubau für einen Teil betroffenen Brücken zu verschieben, können verfeinerte Bemessungsmöglichkeiten Abhilfe schaffen, die höhere rechnerische Tragfähigkeiten erlauben. Diese sind in der Nachrechnungsrichtlinie geregelt [1, 2]. Kann ein Teil der erforderlichen Nachweise auch nach der genaueren Tragwerksanalyse nicht nachgewiesen werden, können Verstärkungsmaßnahmen sinnvolle Lösungen darstellen. Für Stahl- oder Spannbetonbrücken, die den Großteil des deutschen Brückenbestands darstellen [3], stehen klassische Verstärkungsverfahren, wie z. B. eine nachträgliche externe Vorspannung, Schublaschen oder eine Ortbetonergänzung zur Verfügung (z. Β. [4-6]). Innovative Materialien, wie UHPC oder Textilbeton können durch erhöhte Leistungsfähigkeit erhebliche Materialeinsparungen ermöglichen (z. B. [7-11]). Dadurch ergeben sich einerseits ein ressourcenschonenderer Materialeinsatz und andererseits ein reduziertes zusätzliches Eigengewicht, was die Unterbauten und die Gründung der verstärkten Brücke weniger belastet. Auch das hier vorgestellte System SMART-DECK, das im Zuge eine Forschungsprojekts mit insgesamt sieben Projektpartnern entwickelt wurde, bietet eine Möglichkeit zur Brückenverstärkung mit Textilbeton. Neben der Verstärkungswirkung wurden im Forschungsprojekt zwei weitere Funktionalitäten des Systems untersucht, Feuchtemonitoring und präventiver kathodischer Korrosionsschutz (pKKS, z. B. [12, 13] oder nachfolgender Beitrag). Ein weiterer Fokus der Untersuchungen lag in der Umsetzbarkeit und Herstellung des Systems auf der Brücke (z. B. [14, 15] oder vorangegangener Beitrag). SMART-DECK ist eine Textilbetonergänzungsschicht, die zwischen Bestandsbeton und Fahrbahnbelag aufgebracht wird. Sie besteht aus einem Hochleistungsmörtel und einer textilen Bewehrung aus Carbonfasern mit Epoxidharztränkung. Die Textilien werden zweilagig mit einem gegenseitigen Achsabstand von 15 mm und einem Randabstand zur Betonfuge und zur Oberseite von 10 mm eingebaut, sodass sich eine Gesamtschichtdicke von ca. 35 mm ergibt (Abbildung 1). 58 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Textilbetonschicht für Fahrbahnplatten von Betonbrücken zur Erhöhung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit in Querrichtung Abbildung 1: Aufbau von SMART-DECK (Quelle: IMB, RWTH Aachen) Das aus senkrecht zueinander verlaufenden Fasersträngen (Rovings) textile Gelege hatte eine Maschenweite von 38 mm. Das Grundmaterial Carbon bietet einerseits die für Monitoring und pKKS erforderliche elektrische Leitfähigkeit. Andererseits weist es in Kombination mit der Epoxidharztränkung gute Verbundeigenschaften zum umgebenden Beton auf und ist durch die hohe Zugfestigkeit (5bis 6-facher Wert von Betonstahl) sehr leistungsfähig. Die weiterhin charakteristische Korrosionsbeständigkeit des Materials erlaubt dann die Ausführung dünner Schichten. Gerade in Kombination mit einem massiven Bestandstragwerk, das eine hohe Steifigkeit liefert, lassen sich diese vorteilhaften Eigenschaften des Textilbetons optimal ausnutzen und hohe Tragfähigkeitssteigerungen bei minimalem Materialeinsatz realisieren. 2. Durchgeführte Versuche 2.1 Allgemeines Abbildung 2 zeigt eine Detailaufnahme eines der verwendeten Textilien. Es sind die herstellbedingten Faserstränge in 0°(Schuss-) und 90° (Kettrichtung) zu erkennen. Der Wirkfaden entlang des Faserstangs in Kettrichtung ist jeweils deutlich sichtbar. Abbildung 2: Aufnahme von Textil T-1-38 (Quelle: IMB, RWTH Aachen) SMART-DECK soll auf der Brückenfahrbahnplatte entlang der gesamten Breite verarbeitet werden, die Textilien sollen in Längsrichtung jedoch abschnittsweise in einem definierten Abstand zu einander verlegt werden, um elektrisch getrennte Felder zu erhalten. Produktionsbedingt ist die Schussrichtung der Textilien auf die Anlagenbreite begrenzt. Aus diesem Grund wird diese in Längs- und die Kettrichtung in Querrichtung der Brücke verlegt. Die Hauptlastabtragsrichtung ergibt sich also entlang der 90°-Richtung der Carbonmatten. Die Zugversuche am Kompositwerkstoff wiesen daher die Kettrovings in Zugrichtung auf. Die Verstärkungswirkung von SMART-DECK wurde bereits im Zuge des Kleindemonstrators experimentell untersucht, der zur geplanten Projekthalbzeit realisiert wurde. Dazu wurde eine ca. 100 m² große Demonstratorplatte mit einer Dicke von h = 28 cm und Neigungswechsel hergestellt, die eine Bestandsfahrbahnplatte repräsentierte. Es erfolgte die Verstärkung von in etwa 80 % der Fläche, wobei die Umsetzung der Querschnittsergänzung selbst sowie die Herstellung der Messeinrichtung für das Monitoringsystem erprobt wurden. Im Anschluss erfolgten die Untersuchung der Anwendung des Monitorings (s. o.) und der erreichbaren Tragfähigkeitssteigerungen. Letzteres wurde durch Heraussägen von Plattenstreifen aus dem verstärkten und unverstärkten Bereich der Demonstratorplatte umgesetzt, die dann in insgesamt acht Belastungsversuchen am IMB bis zum Bruch getestet. Dabei wurden genauso wie in der hier vorgestellten Versuchsserie die Versagensarten Biegung und Querkraft untersucht. Es wurden Querkraftverstärkungsgrade von 24 - 56 % und Biegeverstärkungsgrade von 90 - 174 % erreicht [16]. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 59 Textilbetonschicht für Fahrbahnplatten von Betonbrücken zur Erhöhung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit in Querrichtung 2.2 Bauteilversuche Zur Untersuchung der Verstärkungswirkung von SMART-DECK liegen insgesamt 15 Ergebnisse aus Bauteilversuchen mit statischer Last vor, wie die Übersicht in Tabelle 1 zeigt. Davon wurden zehn Versuche an verstärkten Plattenstreifen durchgeführt. Aus einem anderen Vorhaben kann auf einen doppelten Referenzversuch mit einem Längsbewehrungsgrad von r l = 1 % zurückgegriffen werden [17]. Ziel war die Untersuchung des Einflusses von SMART-DECK auf das Bauteilverhalten für die beiden maßgebenden Versagensarten Biegung (M) und Querkraft (Q, Versagen in der Fuge: F). Zur Steuerung des Biegemoments wurde der Lastabstand a = 0,7 / 1,0 / 1,3 m zwischen Last und Auflager variiert und zur Variation der Ausnutzung der Biegezugbewehrung wurde der Längsbewehrungsgrad bezogen auf den Stahl im Bestand zu r ll = 1,0 / 0,5 / 0,2 % festgelegt. Für den hohen und mittleren Längsbewehrungsgrad wurde Gewindestabstahl mit einer Festigkeitsklasse St900/ 1000 (Ø15/ 7,5 bzw. Ø15/ 15) und für den kleinen Längsbewehrungsgrad ein Rippenstahl der Güte B500 (Ø10/ 15) verwendet. Die Festigkeiten des Mörtels wurden an Prismen mit den Abmessungen B × H × L = 40 × 40 × 160 (mm) als Mittelwert aus drei Baustoffproben ermittelt. Die Bruchspannungen bzw. -dehnungen der Textilien wurden an versuchsbegleitenden Dehnkörperversuchen ermittelt, die zusammen mit der Verstärkungsschicht für die Bauteilversuche hergestellt wurden. Abgesehen von den Variationsparametern erfolgte die bauliche Durchbildung aller Versuchskörper auf die gleiche Art. In den Prüfbereichen wurde keine Querkraftbewehrung vorgesehen, da der Einbau von Querkraftbewehrung in Platten aufwendig und daher aus baupraktischen Gründen in realen Fahrbahnplatten unüblich ist. In Querrichtung zur Lastabtragsrichtung der Versuchskörper (Längsrichtung der Brücke) wurde eine Längsbewehrung von Ø10/ 20 entsprechend des normativen Mindestwertes vorgesehen. Diese Bewehrungsstäbe wurden jeweils außen von der Längsbewehrung der Versuchskörper angeordnet. Auf der Unterseite der Versuchskörper (Druckzone im Versuch) wurde stets eine Bewehrung in Hauptlastabtragsrichtung und orthogonal dazu vorgesehen. Die Dicke der Stahlbetonplatten war stets 28 cm, die Betondeckung betrug umlaufend 20 mm, sodass sich statische Nutzhöhen zwischen 24 und 26 cm ergaben. Die Betonage der Stahlbetongrundkörper erfolgte in den Versuchshallen des IMB mit einem Transportbeton mit einer Zielfestigkeit entsprechend eines C30/ 37 und einem Größtkorn d g = 16 mm. Die Versuchskörper wurden mithilfe eines Innenrüttlers verdichtet. Es wurden Baustoffproben (Zylinder Ø = 150 mm/ h = 300 mm und Würfel mit einer Kantenlänge von 150 mm) genommen, die parallel zu den Versuchskörpern gelagert und zum Versuchszeitpunkt geprüft wurden, um Rückschlüsse auf die im Bauteil erreichten Festigkeiten ziehen zu können. Die Herstellung von SMART-DECK erfolgte durch den Projektpartner Eurovia unter Baustellenbedingungen. SD-S2 wurde am IMB verstärkt, während die Textilbetonschicht der restlichen Versuchskörper ca. 1,5 Jahre später auf einem Werkshof des Projektpartners appliziert wurde. Die Ergebnisse der parallel hergestellten Dehnkörperversuche wurden im vorangegangenen Abschnitt vorgestellt. 60 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Textilbetonschicht für Fahrbahnplatten von Betonbrücken zur Erhöhung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit in Querrichtung Tabelle 1 Versuchsmatrix zu den Bauteilversuchen Bezeichnung Untersuchte/ beobachtete Versagensart Materialkombination Verstärkung Lastabstand Längsbewehrungsgrad Betondruckfestigkeit 1 Mörtelfestigkeit Textilfestigkeit 2 Verstärkungsgrad Bruchlast a [m] r l,s [%] f cm,cyl [N/ mm²] f cm,prism / f ct,fl [N/ mm²] σ Tex,u / e u [N/ mm²]/ [‰] η [-] V [kN] SD-S1-1 Q/ Q - 0,7 1,0 38,7 - - - 155 SD-S1-2 Q/ Q - 1,0 1,0 38,7 - 136 SD-S1-2 1 Q/ Q - 1,0 1,0 38,7 - 145 SD-S2-1 Q/ Q M3, T1 0,7 1,0 38,9 73,6 / 5,2 3141 / 14,1 1,31 203 SD-S2-2 Q/ Q+F M3, T1 1,0 1,0 38,9 1,03 144 SD-S3-1 Q/ Q - 0,7 0,5 35,6 - - - 118 SD-S3-2 Q/ Q - 1,0 0,5 35,6 - 110 SD-S4-1 Q/ F M4, T4 0,7 0,5 35,6 78,7 / 10,4 2874 / 12,1 1,05 124 SD-S4-2 Q/ F M4, T4 1,0 0,5 35,6 1,08 119 SD-S5-1 M/ Q M4, T4 1,0 0,2 35,6 2,89 107 SD-S5-2 M/ Q+F M4, T4 1,3 0,2 35,6 2,63 103 SD-S6-1 M/ M+F M4, T4 1,0 0,2 39,3 2,51 93 SD-S6-2 M/ M+F M4, T4 1,3 0,2 39,3 2,3 65 SD-S7-1 Q/ Q M4, T4 0,7 1,0 39,3 1,49 231 SD-S7-2 Q/ Q M4, T4 1,0 1,0 39,3 1,53 215 1 Betonfestigkeit des Bestands 2 Ermittelt am Dehnkörperversuch An jedem Versuchskörper wurden zwei Teilversuche durchgeführt. Die Belastung erfolgte stets an einem Kragarm, um eine Beanspruchung eines auf dem rechten Fahrstreifen fahrendem und damit den Kragarm der Fahrbahnplatte belastenden Lkw zu realisieren. Der Abstand der beiden Auflager zueinander betrug stets 1,7 m, der Lastabstand a (Lastachse bis Achse des lastnahen Auflagers) wurde entsprechend der Angaben in Tabelle 1 variiert. Das lastferne Auflager wurde so ausgebildet, dass es die dort im Laufe des Versuchs entstehenden abhebenden Kräfte aufnehmen konnte. Abbildung 3 zeigt die Versuchsaufbauten. Die Last wurde über einen hydraulischen Zylinder aufgebracht und über eine quadratische Lastplatte von 40 × 40 (cm) entsprechend der Radaufstandsfläche für Lkw nach Norm [18] in den Versuchskörper eingeleitet. Abbildung 3: Bauteilgeometrien und Versuchsaufbauten der Bauteilversuche am IMB (Quelle: IMB, RWTH Aachen) 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 61 Textilbetonschicht für Fahrbahnplatten von Betonbrücken zur Erhöhung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit in Querrichtung Alle Versuche hier vorgestellten wurden statisch belastet. Die Belastung erfolgte stufenweise bis zum Bruch. Dabei wurden die ersten vier Laststufen kraftgesteuert angefahren. Ab etwa der Hälfte der mindestens erreichbaren rechnerischen Bruchlast erfolgte die Belastung weggesteuert. Im Laufe der Beanspruchung entstand ein fein verteiltes Rissbild auf der Oberseite der Versuchskörper. Die deutlich größere Anzahl an Rissen bei gleichzeitig reduzierten Rissbreiten bei den verstärkten Bauteilen im Vergleich zu den unverstärkten Referenzversuchen ist grundsätzlich positiv in Hinblick auf den Einfluss von SMART-DECK auf die Gebrauchstauglichkeit der Brücke einzuschätzen. Bei einem Teil der Versuche kam es bei fortgeschrittenem Belastungsverlauf zu einer Delamination zwischen dem Grundbeton und der Ergänzungsschicht. Da ein Großteil der Versuchsergebnisse von der Fugenschädigung unbeeinflusst blieb, lassen sich dennoch belastbare Rückschlüsse ableiten. Neben der Rissbildung beeinflusst SMART-DECK das Last-Durchbiegungsverhalten der Plattenstreifen. Abbildung 4 zeigt die Last-Verformungskurven der statischen Bauteilversuche. Hier erfolgte eine Unterscheidung nach dem Lastabstand a. Alle Bauteilversuche an verstärkten Versuchen sind mit durchgezogener Linie abgebildet, während die Referenzversuche an reinen Stahlbetonbauteilen gestrichelt dargestellt sind. Die Farbgebung erlaubt eine Unterscheidung zwischen den Längsbewehrungsgraden der stählernen Biegezugbewehrung ( r l = 1,0 % in blau, r l = 0,5 % in rot und r l = 0,2 % in blau). Die verstärkten Bauteile weisen bei gleichem Belastungsniveau geringere Durchbiegungen auf. Die Durchbiegungen wurden während der Versuchsdurchführung kontinuierlich über Wegaufnehmer unterhalb des Versuchskörpers in der Lastachse gemessen. Zur Ermittlung der erreichten Verstärkungsgrade der mit SMART-DECK ergänzten Versuche wurden die Bruchlasten mit den Tragfähigkeiten entsprechender unverstärkter Bauteile verglichen. Die in Tabelle 1 dargestellten Verstärkungsgrade entsprechen jeweils dem Verhältnis aus dem Bauteilwiderstand des verstärkten zum unverstärkten Bauteil. Abbildung 4: Last-Durchbiegungskurven der Bauteilversuche getrennt nach Lastabstand a (Quelle: IMB, RWTH Aachen) 62 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Textilbetonschicht für Fahrbahnplatten von Betonbrücken zur Erhöhung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit in Querrichtung Abbildung 5: Freigelegte Biegezugbewehrung im Bereich des Kragarmanschnittes von SD-S6 (Quelle: IMB, RWTH Aachen) Besonders hervorzuheben sind die Querkraftversuche SDS21, SDS71 und SDS72, die das erhebliche Potential zur Querkrafttragfähigkeitssteigerung von SMART- DECK verdeutlichen. SDS2 und SDS7 wurden gleich ausgeführt, allerdings zu unterschiedlichen Zeitpunkten durchgeführt, sodass sie abweichende Materialkombinationen in der Carbon-Beton-Kompositschicht aufwiesen. Bei SDS22 wurden aufgrund der noch unzureichenden Verarbeitbarkeit des Mörtels M1 Fehlstellen in der Fuge festgestellt. Hier fiel die Tragfähigkeitssteigerung im Vergleich zu SDS21 gering aus, in dessen Prüfbereich der Mörtel einen guten Verbund zum Bestand eingehen konnte. SD S21 wies hingegen eine überraschend hohe Querkrafttragfähigkeit auf. Der hier erzielte Verstärkungsgrad konnte im Folgejahr mit optimierten Materialien in der Verstärkungsschicht noch einmal deutlich gesteigert werden. Die Vergleichbarkeit der Ergebnisse der Querkraftversuche erlaubt den Rückschluss, dass trotz der hauptsächlich in Hinblick auf die Biegetragfähigkeit günstigen Ausbildung der Verstärkungsschicht auch ein positiver Einfluss auf die Querkrafttragfähigkeit festzustellen ist. Bei beiden Teilversuchen am Versuchskörper SDS5 änderte sich infolge der Verstärkung mit SMART-DECK die Versagensart. Durch das sich einstellende Querkraftversagen konnte gezeigt werden, dass die Biegetragfähigkeit so weit gesteigert werden konnte, dass sie nicht maßgebend in Hinblick auf die erreichbare Bruchlast wurde. Daher konnte für diese Versuche eine maximale Steigerung des Biegewiderstands erreicht werden. Die Versuchsergebnisse untermauern weiterhin die Relevanz der Untersuchung beider potentieller Versagensarten (Querkraft und Biegung), was im Vergleich zu anderen Forschungsprojekten zur Textilbetonverstärkung von Stahlbetonplatten ein Alleinstellungsmerkmal des vorliegenden Teilprojekts darstellt. Während der Durchführung der Versuche am Versuchskörper SD-S6 war im letzten Viertel des Belastungsverlaufs mehrfach ein lautes Knallgeräusch zu hören, was durch einen kurzfristigen Lastabfall gekennzeichnet war. Gleichzeitig kam es zu einer signifikanten Öffnung eines Biegerisses im Bereich des Kragarmanschnitts. Im Anschluss daran ist die Fugenschädigung weit fortgeschritten. Weiterhin ist der an der Biegezugbewehrung im Stahlbetongrundkörper angebrachte Dehnmessstreifen ausgefallen, nachdem zuvor sehr hohe Werte gemessen wurden. Da dies einen Bruch der Biegezugbewehrung vermuten ließ, wurde der Versuch aus Sicherheitsgründen beendet. Nach der Versuchsdurchführung wurde die Stahlbewehrung im Kragarmanschnittbereich freigelegt, um die Biegezugbewehrung auf eventuelle plastische Schädigungen zu überprüfen (Abbildung 5). Es ist deutlich zu erkennen, dass die Biegezugbewehrung des Stahlbetongrundkörpers gerissen ist. Die dadurch freigewordene Kraft konnte anschließend trotz der partiellen Öffnung der Fuge zwischen Bestand und Verstärkung vollständig von der Textilbetonschicht aufgenommen werden, was durch die weiterhin mögliche Laststeigerung gezeigt werden konnte. Die Ergebnisse der Versuche an Versuchskörper SD-S5 und SD-S6 verdeutlichen das große Verstärkungspotential von SMART-DECK auch in Hinblick auf die Biegetragfähigkeit von Brückenfahrbahnplatten. 3. Zusammenfassung und Ausblick Die Textilbetonschicht SMART-DECK, die zwischen Bestandsfahrbahnplatte und Fahrbahnbelag aufgebracht werden soll, wurde hinsichtlich ihrer Tragfähigkeitssteigernden Wirkung untersucht. Im vorliegenden Beitrag wurden die Ergebnisse von insgesamt 15 Bauteilversuchen vorgestellt, von denen zehn an textilbetonverstärkten Plattenstreifen durchgeführt wurden. Es konnte gezeigt werden, dass sich sowohl hinsichtlich der Biegeals auch der Querkrafttragfähigkeit erhebliche Verstärkungsgrade einstellen. Die teilweise aufgetretenen Fehlstellen in der Verbundfuge zwischen Altbeton und Verstärkungsschicht führten zwar zu einer deutlichen Abnahme der Querkrafttragfähigkeitssteigerung. Das Biegetragverhalten wurde dadurch jedoch nicht maßgeblich gestört, so- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 63 Textilbetonschicht für Fahrbahnplatten von Betonbrücken zur Erhöhung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit in Querrichtung dass auch bei stellenweisen Ablösungen in der Verbundfuge enorme Tragfähigkeitszuwächse möglich blieben. Die herstellbedingten Fehlstellen waren innerhalb des Projekts Anlass zur Optimierung des Mörtels, sodass bei späteren Herstellversuchen stets eine intakte Fuge erzielt werden konnte. Die Querkraftverstärkungsgrade, die sich bei den Versuchen mit vollständigem Verbund zwischen Altbeton und Ergänzungsschicht ergaben, haben die Erwartungen übertroffen und waren zudem reproduzierbar. Die Ergebnisse konnten weiterhin die Erkenntnisse aus den experimentellen Untersuchungen untermauern, die im Rahmen des zur Projekthalbzeit durchgeführten Kleindemonstrators erzielt wurden. Neben den Kleindemonstratorversuchen und den hier vorgestellten Untersuchungen, bei denen die Belastung statisch erfolgte, wurden weiterhin zwei zyklische Tastversuche durchgeführt, um die typischen auf Brücken herrschenden ermüdungswirksamen Beanspruchungen zu adressieren. Deren Ergebnisse, die in einem späteren Beitrag vorgestellt werden, konnten das über die statischen Versuche demonstrierte Potential von SMART-DECK unterstreichen. Über das nun abgeschlossene Forschungsprojet hinaus sind dahingehend jedoch weitere Untersuchungen erforderlich, um weitere Belastungssituationen experimentell abzubilden und die Leistungsfähigkeit des Systems abzusichern. Weiterhin wäre es denkbar, das System nicht nur auf die Tragfähigkeit des Quersystems sondern auch des Längssystems betroffener Bestandsbrücken anzusetzen. 4. Danksagung Die vorgestellten Versuche wurden im Rahmen eines Forschungsprojekts des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) durchgeführt. Die Autoren bedanken sich für die Förderung des Projekts (Förderkennzeichen 13N13108) und beim VDI Technologiezentrum GmbH, das seitens des BMBF mit der Beratung und der Umsetzung der Förderrichtlinien betraut wurde, für die wertvolle Unterstützung. Außerdem gilt der Dank den Projektpartnern, der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Eurovia Beton GmbH NL Bauwerksinstandsetzung, Solidian, Massenberg GmbH, instakorr GmbH (Darmstadt), Sto Cretec GmbH, Tochtergesellschaft der Sto SE & Co. KGaA und dem ibac der RWTH Aachen für die kooperative Zusammenarbeit. Literatur [1] Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand. Richtlinie, Ausgabe Mai 2011. [2] Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand 1. Ergänzung. Ausgabe April 2015. [3] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Strategie zur Ertüchtigung der Straßenbrücken im Bestand der Bundesfernstraßen. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin Ausgabe Mai 2013. [4] Herbrand, M.; Hegger, J.: Experimentelle Untersuchungen zum Einfluss einer externen Vorspannung auf die Querkrafttragfähigkeit vorgespannter Durchlaufträger. In: Bauingenieur 88 (2013), Heft 12, S. 428-437. [5] Schnellenbach-Held, M.; Welsch, T.; Fickler, S. et al.: Verstärkungen älterer Beton- und Spannbetonbrücken - Erfahrungssammlung Dokumentation 2016. Bundesanstalt für Straßenwesen Ausgabe Januar 2016. [6] Randl, N.; Münger, F.; Wicke, M.: Verstärkung von Brückentragwerken durch Aufbeton. In: Bauingenieur 80 (2005), Heft 4, S. 207-214. [7] Brühwiler, E.; Denarié, E.; Oesterlee, C.: Hochleistungsfähiger Faserfeinkornbeton zur Effizienzsteigerung bei der Erhaltung von Kunstbauten aus Stahlbeton. Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK, Zürich Ausgabe Januar 2010. [8] Brückner, A.; Wellner, S.; Ortlepp, R. et al.: Plattenbalken mit Querkraftverstärkung aus Textilbeton unter nicht vorwiegend ruhender Belastung. 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[16] Adam, V.; Will, N.; Hegger, J.: Verstärkung für Brückenfahrbahnplatten von Massivbrücken aus Textilbeton: Versuche zur Realisierung eines Demonstrators. In: Bauingenieur 95 (2020), Heft 3, S. 85-95. [17] Hegger, J.; Reissen, K.: Querkrafttragfähigkeit von einachsig gespannten Stahlbetonplatten unter Einzellasten - Abschlussbericht zum Forschungsvorhaben der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Förderkennzeichen HE 2637/ 22-1, Aachen Ausgabe 2017. [18] DIN EN 1991-1-4: 2010-12: Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke - Teil 1-4: Allgemeine Einwirkungen - Windlasten; . Norm, Ausgabe Dezember 2010. Bauen unter Verkehr 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 67 Gründungsertüchtigung eines Bestandspfeilers im Zuge des Neubaus der Schiersteiner Rheinbrücke Dr.-Ing. Heiko Huber (Autor) CDM Smith Consult GmbH, Bickenbach, Deutschland Dipl.-Ing. Wolfgang Kissel und Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Krajewski (Co-Autoren) CDM Smith Consult GmbH, Bickenbach, Deutschland M.Sc., Dipl.-Ing. (FH) André Scholl (Co-Autor) Hessen Mobil Straßen- und Verkehrsmanagement, Wiesbaden, Deutschland Zusammenfassung Das Straßen- und Verkehrsmanagement Hessen Mobil realisiert in Zusammenarbeit mit dem Landesbetrieb Mobilität des Landes Rheinland- Pfalz den 6-streifigen Ausbau der BAB A643 zwischen dem Autobahnkreuz Wiesbaden und dem Autobahndreieck Mainz. Im Rahmen dieses Ausbaus ist es u.a. erforderlich, die zwischen den Anschlussstellen Wiesbaden-Äppelallee und Mainz-Mombach bestehende Schiersteiner Brücke über den Rhein durch einen Neubau zu ersetzen. Der Pfeiler A (Trennpfeiler) der bestehenden Brücke soll erhalten bleiben. Aufgrund einer notwendigen Pfeilerverstärkung sowie neuer, breiterer Überbauten vergrößern sich im Zuge des Brückenneubaus die Pfeilerlasten. Entsprechend war es erforderlich, geotechnische Maßnahmen zu ergreifen, um die Standsicherheit der Gründung des bestehenden Trennpfeilers zu gewährleisten. Die Ertüchtigungsmaßnahmen werden im nachfolgenden Bericht beschrieben. 1. Einleitung und Bauwerksbeschreibung Aktuell realisiert Hessen Mobil in Zusammenarbeit mit dem Landesbetrieb Mobilität des Landes Rheinland- Pfalz den 6-streifigen Ausbau der BAB A643 zwischen dem Autobahnkreuz Wiesbaden und dem Autobahndreieck Mainz. In Rahmen dieses Ausbaus ist es u. a. erforderlich, die zwischen den Anschlussstellen WI-Äppelallee und MZ-Mombach bestehende Schiersteiner Brücke über den Rhein durch einen Neubau zu ersetzen. Die bestehende Schiersteiner Brücke war bisher 4-streifig ausgebaut. Beidseitig der Straße verliefen auf den Brückenkappen Geh- und Radwege. Die Breite der Brücke betrug etwa 26 m. Die rund 1280 m lange Brücke wies 17 Felder auf. Die Brücke stand unter anderem auf 4 Strompfeilern, die im Zuge des Baus der Brücke (Baubeginn 1955) mit Druckluftsenkkästen gegründet wurden. Der Überbau der Brücke bestand aus einer vollwandigen, geschweißten Stahlkonstruktion mit einer maximalen Spannweite von 205 m. Im Zuge des Neubaus erhält die Schiersteiner Brücke jeweils für die Richtungsfahrbahnen Wiesbaden (Achse 1) und Mainz (Achse 2) getrennte Brückenbauwerke. Die Anzahl der Stützstellen reduziert sich dabei von 18 auf 15. Beide Richtungsfahrbahnen sollen 3-streifig ausgebaut werden. Je Brücke sind ein Standstreifen sowie ein Geh- und Radweg vorgesehen, sodass die Breite der neuen Brückenbauwerke im fertigen Zustand jeweils 21,50 m betragen wird. Die neue Brücke mit Fahrtrichtung Mainz (Achse 2) wurde vorab im Unterstrom der Bestandsbrücke errichtet. Nach Fertigstellung der Brücke und nach Umverlegung des Verkehrs auf das neue Brückenteil wurde die alte Brücke zurückgebaut und ortsgleich wurde die neue Brücke mit Fahrtrichtung Wiesbaden errichtet. Hierbei wurden mit Ausnahme der beiden Flusspfeiler in den Achsen H und I alle Stützstellen zurückgebaut. Ebenfalls erhalten blieb der sogenannte Trennpfeiler. Aufgrund der neuen, schwereren Überbauten sowie der erforderlich gewordenen Pfeilerverstärkungen vergrößerten sich die Pfeilerlasten. Entsprechend mussten geotechnische Maßnahmen ergriffen werden, um die Standsicherheit der Pfeilergründungen zu gewährleisten. Der Trennpfeiler A besteht aus einer 5-kammerigen, dreigeschossigen Stahlbetonkonstruktion mit einer Länge von ca. 36,3 m, einer Breite von ca. 7,0 m und einer Höhe von ca. 12,0 m (Abb. 1). Der Pfeiler ist statisch als Widerlager ausgebildet. Nach Norden beginnt von hier aus der Hessische Abschnitt der Schier-steiner Brücke. Nach Süden schließt das sogenannte Herzstück als Teil der Vorlandbrücke auf Rheinland-pfälzer Seite an. 68 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Gründungsertüchtigung eines Bestandspfeilers im Zuge des Neubaus der Schiersteiner Rheinbrücke Die Wandstärken der Außenwände des Trennpfeilers A betragen 1,0 m bzw. 0,8 m. Die Pfeilerwände sind außen mit einer etwa 0,2 m starken Granitsteinvorsatzschale verblendet. Im Pfeilerinnern sind vier quer verlaufende Wandscheiben mit Wandstärken von 0,5 m und zwei Zwischendecken mit Deckenstärken von 0,3 m und die Decke am Pfeilerkopf mit einer Stärke von 0,4 m vorhanden. Abb. 1: Gründungsebene des Trennpfeilers A Die Pfeileraußenwände sind auf einem umlaufenden 2 m hohen und 0,9 m breiten Fundament und die vier Pfeilerinnenwände auf Fundamenten mit 1,5 m Breite und 0,9 m Höhe gegründet. 2. Baugrund Die Baugrundverhältnisse im Bereich der Schiersteiner Brücke wurden im Herbst 2010 zur Ergänzung der bereits vorliegenden Ergebnisse früherer Bohrkampagnen mit insgesamt 52 Aufschlussbohrungen untersucht. Je Pfeiler wurden drei bzw. vier Bohrungen ausgeführt. Zwei weitere Bohrungen wurden im Bereich der Vorlandbrücke Schierstein auf der Mainzer Seite abgeteuft. Die Endteufen betrugen ca. 30 m bzw. 40 m. Weiterhin wurden 42 Archivbohrungen mit Endteufen zwischen etwa 10 m und 20 m aus dem Jahr 1959 zur Baugrundbeurteilung herangezogen. Die Bohrungen wurden in den Überlagerungsböden als Rammkern-Trockenbohrungen ausgeführt. In den tertiären Schichtenfolgen wurde das Bohrverfahren auf Rotation mit Spülhilfe umgestellt. In einem Teil der Bohrlöcher wurden Bohrlochrammsondierungen (BDP) ausgeführt. Ferner wurden Grundwassermessstellen DN 125 in den tertiären und den quartären Böden hergestellt. Zur Untersuchung der Lagerungsdichte der Überlagerungsböden wurden Sondierungen mit der Schweren Rammsonde (DPH) bis in Tiefen von maximal 16,0 m geschlagen. An 90 Bodenproben wurde ein umfangreiches bodenmechanisches Laborprogramm ausgeführt. Nach den Ergebnissen der Baugrunderkundung steht im Planungsgebiet unter der Geländeoberfläche zunächst eine bis maximal 9 m dicke Schicht aus jungzeitlichen Schluffen und Sanden an, die lokal durch künstliche Auffüllungen ersetzt wird. Darunter folgen bis in Tiefen zwischen ca. 6 m und 12 m unter Gelände die Terrassenablagerungen des Rheins und des Mains. Im Bereich des Flussbetts weisen diese Sande und Kiese eine Schichtmächtigkeit zwischen ca. 0,8 m und 3,3 m auf. Im Liegenden folgen bindige tertiäre Hydrobienschichten (vgl. Baugrundschnitt in Abb. 2). Abb. 2: Baugrundschnitt Fahrrichtung Wiesbaden Freies Grundwasser in den Rhein- und Mainterrassen steht in Tiefen knapp oberhalb des Rhein-wasserstandes an. Innerhalb der sandigen Zwischenhorizonte und in den Festgesteinshorizonten der tertiären Schichtenfolgen ist das Grundwasser gespannt. Der Druckspiegel des tertiären Grundwassers liegt etwa auf dem Niveau des quartären Grundwassers. 3. Standsicherheitsuntersuchungen Zur Untersuchung der Standsicherheit der Gründung des Trennpfeilers wurden Grundbruchberechnungen durchgeführt. Die als Trägerrost ausgebildete Fundamentierung wurde vereinfachend als durchgehende Fundamentplatte angesetzt. Dies ist gemäß DIN 4017 nur dann erlaubt, wenn die Summe der Aussparungen nicht mehr als 20 % der gesamten umrissenen Sohlfläche beträgt. Diese Voraussetzung war mit der Vergrößerung der quer verlaufenden Wandscheiben (vgl. Abb. 1) erfüllt. Die Untersuchungen zeigten, dass die Sicherheit des Bestandspfeilers gegen Grundbruch für die neuen Lasten unzureichend ist. Dementsprechend wurden mehrere Ertüchtigungsmaßnahem geplant und umgesetzt (vgl. Kapitel 4). 4. Ertüchtigungsmaßnahmen 4.1 Tiefgründung mittels Mikropfählen Als tragwerksplanerische Ertüchtigungsmaßnahme wurde der Bestandpfeiler mit innen liegenden Lisenen verstärkt. Die über die Lisenen abgeleiteten Lastanteile werden nach dem neuen Tragwerkskonzept nicht über die bestehende Flachgründung in den Baugrund geleitet. Vielmehr wurde hierzu eine Tiefgründung mit Mikropfählen ausgeführt. Es liegt somit eine Mischgründung vor, wobei die Mikropfähle so dimensioniert wurden, dass diese steifer sind als die Flachgründung. Die Zusatzlasten werden daher überwiegend von den steiferen Mikropfählen aufgenommen. Insgesamt wurden 52 Mikropfähle mit doppeltem Korrosionsschutz im Inneren des Bestandsbauwerks ausgeführt (vgl. Abb. 3). Die Pfähle reichen bis zum so genannten 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 69 Gründungsertüchtigung eines Bestandspfeilers im Zuge des Neubaus der Schiersteiner Rheinbrücke Erdgeschoss (EG) des Pfeilers. Das Untergeschoss wurde verdämmt. Abb. 3: Ertüchtigungsmaßnahmen am Trennpfeiler A Um das für die beschriebene Ertüchtigungsmaßnahme geeignete Mikropfahlsystem und Bohrverfahren zu bestimmen, wurden zunächst außerhalb des bestehenden Trennpfeilers sechs Probemikropfähle (3 Pfähle im System ISCHEBECK und 3 Pfähle im System GEWI) hergestellt. Die Mikropfähle wurden einer Probebelastung unterzogen. Als geeignetes Mikropfahlsystem wurde schließlich GEWI 63,5 mm mit doppeltem Korrosionsschutz gewählt. Zur Herstellung der Mikropfähle aus dem Bestandsbauwerk heraus wurden zunächst durch den Kammerfußboden im EG Kernbohrungen mit einem Durchmesser von D = 0,3 m ausgeführt. Die anschließenden Pfahlbohrungen wurden in diesen Bohrlöchern angesetzt und im Duplexbohrverfahren mit einem Bohrgerät vom Typ Klemm KR 702 hergestellt. Bei diesem Bohrverfahren werden die Außenverrohrung und das Innengestänge der Verrohrung gleichdrehend über einen gemeinsamen Drehantrieb angetrieben. Angetroffene Kalkstein-, Dolomit- und Algenkalk-Schichten wurden mittels Rollenmeißel oder Imlochhammer drehend bzw. drehschlagend gelöst. Um die temporäre Schwächung des Baugrundes unterhalb der bestehenden Flachgründung im Zuge der Bohrarbeiten zu minimieren und eine mögliche Verkippung des Bauwerkes zu vermeiden, wurden die Bohrarbeiten in Tag- und Nachtbetrieb wechselseitig entlang der Symmetrieachse des Bauwerks in den beiden Kammern A und B des Pfeilers hergestellt (Abb. 4) Die Mikropfahlgründung erfolgte unter sehr beengten Platzverhältnissen (vgl. Abb. 5, 6). Die zur Verfügung stehende Grundfläche betrug je Kammer 5,85 m x 4,00 m, die freie Höhe zwischen OK Bodenplatte und UK Decke lag bei ca. 3,20 m. Aufgrund der begrenzten Raumhöhe erfolgte der Einbau des Tragglieds in Einzellängen von 1,7 m mit Muffenstößen. Die Bohrlöcher wurden im Kontraktorverfahren vom Bohrlochtiefsten bis zur Bohrebene verpresst. Abschließend wurden zur Verankerung der Mikropfähle die Kammern A und B im Erdgeschoss bis auf einen Durchgang zu den äußeren Kammern ausbetoniert. Abb. 4: Lageplan zur Mikropfahlherstellung Abb. 5: Kernbohrungen (l) und Mikropfahlbohrung (r) Abb. 6: Hergestellte Tragglieder der Mikropfähle 4.2 Mitteldruckinjektionen Die Baugrunderkundung zeigte, dass unterhalb der nachträglich eingebrachten Lisenen locker gelagerte Auffüllungen anstanden. Innerhalb der Auffüllungen wurden bereichsweise Hohlräume angetroffen. Um die notwendige seitliche Bettung der herzustellenden Mikropfähle in diesem Bereich zu gewährleisten und ein 70 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Gründungsertüchtigung eines Bestandspfeilers im Zuge des Neubaus der Schiersteiner Rheinbrücke Versagen durch Knicken auszuschließen, wurden Injektionsmaßnahmen zur Verbesserung der Materialeigenschaften der Auffüllungen geplant und durchgeführt. Hierzu wurde zunächst die bereits oben beschriebene Verdämmung des Untergeschosses ausgeführt. Die Verbesserung der unter dem Pfeiler anstehenden Auffüllungen erfolgte mit Mitteldruckinjektionen. Bei diesem Verfahren wird analog zum Düsenstrahl-verfahren der Boden mit einem Schneidstrahl aus Zementsuspension erodiert und mit der Suspension vermischt. Überschüssiges Injektionsmaterial tritt an Bohrlochmund aus, wird aufgefangen und fachgerecht entsorgt. Die Pumpendrücke sind mit ca. 50 bis 60 bar deutlich geringer als beim Düsenstrahlverfahren. Die Parameter der Mitteldruckinjektion wurden nach Durchführung der Probesäulen wie folgt gewählt: • Pumpendruck ca. 55-60 bar • Durchflussrate ca. 50-55 l/ min • Düse 1 x 4,0 mm • Ziehgeschwindigkeit ca. 20 cm/ min • w/ z - Wert 1,0 Die Mitteldruckinjektionen erfolgten an den Ansatzpunkten der Mikropfähle und wurden mit der Pfahlherstellung so koordiniert, dass keine unzulässige temporäre Schwächung des Baugrundes auftrat. Abb. 7: Injektionsbohrkrone (l) und Probesäule (r) Die vorgeschalteten Probeversuche hatten gezeigt, dass bei den Mitteldruckinjektionen ein Säulendurchmesser von 44 cm bis 48 cm zu erwarten war (Abb. 7). Der geplante Bohrdurchmesser der Mikropfähle lag bei 17,8 cm. Um einen möglichst großen Injektionskörper um den Bohransatzpunkt herum herzustellen, wurden die Mitteldruckinjektionen in vier Schritten von je 90° um den Ansatzpunkt herum verschwenkt und bis 7° gegen die Vertikale geneigt. 4.3 Bohrpfahlwand als konstruktive Sicherung Aufgrund baubetrieblicher Randbedingungen trat ein Bauzustand auf, bei welchem bereits höhere Lasten des Trennpfeilers wirksam waren, der Anschluss der Mikropfähle an das Bauwerk jedoch noch nicht erfolgt war. Lasten konnten in dieser Phase somit nicht über die Mikropfähle in den tieferen Baugrund abgetragen werden. Um auch die Standsicherheit für diesen Bauzustand zu gewährleisten, wurden auf der Wasserseite Bohrpfähle in einem Abstand von etwa 9 m zum Trennpfeiler als konstruktive Sicherung gegen Grundbruch hergestellt. Die Bohrpfähle sicherten die Gründung im Sinne einer Baugrundverdübelung. Hierzu wurden 13 m lange Bohrpfähle mit einem Durchmesser von 0,9 m hergestellt. Der Achsabstand der Pfähle beträgt 1,8 m (siehe Abb. 8). Der Abstand zum Trennpfeiler sowie die Bohrpfahllänge wurden so gewählt, dass die Bohrpfähle die theoretische Bruchmuschel der Grundbruchfigur schneiden. Mit der konzipierten Maßnahme wird der Scherwiderstand der Pfähle aktiviert, bzw. es wird eine tiefer reichende Bruchfigur erzwungen wodurch die Grundbruchsicherheit erhöht wird. Abb. 8: Anordnung Bohrpfahlverdübelung Die Wirksamkeit der Baugrundverdübelung mittels aufgelöster Bohrpfahlwand wurde numerisch nach der FEM nachgewiesen. Hierzu wurde der Modellraum um den Trennpfeiler mit einem Berechnungsnetz aus 116.641 10-knotigen tetrahedralen Elementen mit quadratischem Verformungsansatz dreidimensional abgebildet. Die aufgelöste Bohrpfahlwand wurde im Modell mittels zylindrischer Volumenelementen simuliert. Die Abbildung 9 zeigt die analytische Grundbruchfigur ohne Berücksichtigung der Bohrpfahlverdübelung sowie den mittels numerischer Untersuchungen ermittelten Versagensmechanismus im Grenzzustand der Tragfähigkeit im Rahmen der Safety-Analyse (Grundbruch) unter Berücksichtigung der Bohrpfähle. Die mittels der numerischen Berechnungen ermittelte globale Sicherheit für den Lastfall maximale Vertikallast (max. V) beträgt η = 2,54. Somit konnte nachgewiesen werden, dass mit der Bohrpfahlverdübelung die Sicherheit gegen Grundbruchversagen im erforderlichen Maß erhöht werden konnte. Der Trennpfeiler wurde während der Bauarbeiten mit einem elektronischen Schlauchwaagensystem, geodätischen Messungen sowie einem digitalen Rissmonitoring überwacht. Die gemessenen Verformungen blieben mit 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 71 Gründungsertüchtigung eines Bestandspfeilers im Zuge des Neubaus der Schiersteiner Rheinbrücke maximalen Werten von 2,4 cm im erwarteten und zulässigen Bereich. Die messtechnische Überwachung des Pfeilers bestätigte das erdstatische Sicherungskonzept. Abb. 9: Untersuchung zur Bohrpfahlverdübelung 5. Aktueller Stand und Ausblick Die Ertüchtigungsmaßnahmen am Trennpfeiler wurden zwischenzeitlich erfolgreich abgeschlossen. Die Arbeiten zum Bau der Schiersteiner Brücke liegen derzeit voll im Zeitplan. Die Gesamtfertigstellung ist für das Jahr 2021 geplant. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 73 A 23 Autobahn Südosttangente Wien Generalerneuerung Hochstrasse St. Marx Ing. Thomas Kozakow ASFINAG Bau Management GmbH Zusammenfassung Die Hochstraße St.Marx verläuft quer durch Wien in dicht verbautem Gebiet und wird täglich von rund 200.000 Fahrzeugen genutzt. Der 1978 eröffnete, 2,7 km lange Autobahnabschnitt führt über insgesamt 30 schlanke, vorgespannte Brücken und beinhaltet zwei Anschlussstellen, einen Autobahnknoten und insgesamt 25 Querungen von verschiedensten Verkehrswegen. In den letzten Jahrzehnten haben die Brücken eine Vielzahl an Instandsetzungsmaßnahmen und Adaptierungen erfahren, welche jedoch größtenteils nur rudimentär dokumentiert wurden. In diesem Spannungsfeld ist nun ab März 2020 eine Generalerneuerung sämtlicher Tragwerke unter voller Aufrechterhaltung des Verkehrs durchzuführen. Für diesen Zweck werden sechs Brücken verbreitert, zwei Tragwerke sind infolge der Gradientenanpassung mit Aufbeton zu versehen und ein Tragwerk ist aufzusteilen. Die komplexen Geometrien in Kombination mit der Verkehrsaufrechterhaltung stellen eine sehr anspruchsvolle Aufgabe für alle Projektbeteiligten dar. Aufgrund der neuen Normen und der geplanten Verbesserung des Lärmschutzes sind neben den Rückhaltesystemen und Randbalken auch größtenteils die Kragarme zu erneuern. Der Abbruch einer Anschlussstelle im Projektbereich ist in diesem Vorhaben ebenfalls enthalten. 1. Allgemeines Die Autobahn A23 - Südosttangente Wien ist eine der wichtigsten Nord - Süd Verbindungen für den motorisierten Individualverkehr im Großraum Wien. Auf der Gesamtlänge von rund 18 km verläuft die Autobahn auf ca. der Hälfte der Strecke auf Brücken die in den späten 60er und 70er Jahren errichtet wurden. Mit einem DTV von rund 200.000 KfZ/ 24h ist die Tangente der stärkst befahrenste Straßenabschnitt Österreichs. Die Hochstraße St.Marx ist in der Mitte der Strecke situiert und stellt einen massiven Kreuzungspunkt von Verkehrsströmen aller Art dar. Abb.1 - Lage im Großraum Wien 74 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 A 23 Autobahn Südosttangente Wien Generalerneuerung 1.1 Projektüberblick Der geplante Umsetzungszeitraum für die Sanierungmaßnahmen ist von März 2020 bis Dezember 2022 geplant, die Gesamtprojektkosten betragen EUR 129 Mio. Die wesentlichen technischen Projektinhalte sind: • Instandsetzung von 30 Tragwerken • Instandsetzung von rd. 150.000 m² Belag und 120.000 m² Abdichtung • Abbruch und Erneuerung von 8 km Randbalken und Kragarm inkl. Ausrüstung • Tausch der Fahrbahnübergänge und Lager • Errichtung von 1.300m Brückenverbreiterung • Rückbau von drei Brücken in der Anschlussstelle Arsenal und Errichtung einer Betriebsumkehr 1.2 Rahmenbedingungen Aufgrund des innerstädtischen Verlaufes der Autobahn und der mannigfaltigen Bautätigkeiten neben und auch unter den Brücken ergeben sich sehr hohe Ansprüche an das Umfeldmanagement. Rund 15.000 direkte, private Anrainer und zahlreiche gewerblichen Betriebe sowie Bürobauten prägen das Umfeld. Das führt unter Anderem zu sehr starken Verkehrsspitzen in den Morgen- und Abendstunden, welche bereits bei der Baustellenlogistik zu berücksichtigen sind. Abb.2 - Projektgebiet Die Regelarbeitszeit ist von 6 - 22 Uhr, jedoch sind aufgrund der vorhandenen Straßen- und Bahnquerungen unter den Brücken vor allem beim Abtrag Nachtarbeiten unumgänglich, ebenso für sämtliche Verkehrseinrichtungsmaßnahmen. Diese Arbeiten sind auf den Tag genau zu koordinieren, da entsprechende Informationen an die Anrainer zu übermitteln sind. Erschwerend kommt hinzu, dass die Brücken teilweise nicht auf Eigengrund der ASFiNAG liegen. Dies zieht einen hohen Koordinierungsaufwand sowie kostenintensive Räumungen der Flächen unter den Brücken nach sich. Erschwerend auf die Bauausführung wirkt sich auch die hohe Bebauungsdichte nicht nur neben sondern auch unter den Brücken aus. Abb.3 - Parkhaus unter der A23 Bei der Ansschlussstelle Simmering bzw. Arsenal handelt es sich um eine nie für den Verkehr freigegebene Anbindung. Zum Zeitpunkt der Errichtung hätte in diesem Abschnitt eine weitere Autobahn einmünden sollen, die allerdings zu einem späteren Zeitpunkt an anderer Stelle errichtet wurde. So hat sich in diesem Bereich ein kleines, jedoch intensiv genutztes Naherholungsgebiet etabliert. Für die in diesem Umfeld abzubrechenden Brücken sind Baumfällungen und die Sperre des Gebietes erforderlich Die stellt gerade im städtischen Umfeld eine sehr sensible Aufgabe dar. 1.3 Verkehrsführung Sämtliche Relationen und Fahrstreifen sind während der Baumaßnahmen aufrecht zu erhalten. Dies macht eine ausgeklügelte Verkehrsführungsplanung erforderlich. Die Sperre eines Fahrsteifens auf der A23 hätte einen Verkehrskollaps im Großraum Wien zur Folge. Da sämtliche Flächen auf der Fahrbahn mit entsprechendem Übergriff zur nächsten Bauphase bearbeitet werden müssen, ist die Verkehrsführungsplanung unter Einhaltung der gültigen Regelwerke auf diese Notwendigkeiten abzustimmen. Insgesamt sind vierzehn Hauptverkehrsphasen mit rd. zwanzig Unterphasen geplant. Die Pla- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 75 A 23 Autobahn Südosttangente Wien Generalerneuerung nung dieser Verkehrsführungsphasen in Abstimmung mit den Bauphasen und statischen Notwendigkeiten nahm rund zwei Jahre in Anspruch. Trotzdem sind örtliche Anpassungen in kleinerem Umfang immer wieder erforderlich. 2. Brückeninstandsetzung Im Grunde handelt es sich bei diesem Projektteil um eine routinemäßige Instandsetzung, die vorher beschriebenen Umstände der Baudurchführung sowie die statische Konzeption der Brücken verkomplizieren das Vorhaben jedoch maßgeblich. 2.1 Bestandsbrücken Die bestehende Brückenkette mit den Anschlussstellen Gürtel und St.Marx wurde im Jahr 1975 eröffnet. Die Tragwerke sind sehr schlanke, vorgespannte Hohlkästen mit durchschnittlichen Längen von rd. 150 m und Stützweiten um die 30 m. Problematisch auf den Teilabtrag der Kragarme wirkt sich die sehr geringe Lagerspreizung von ca. 3 m aus, die Brückenbreite beträgt 9 bis 11 m. Die Brücken sind größtenteils mit einem Stahlleitwandsystem ausgestattet, welches in Wien entwickelt wurde, jedoch teilweise nicht mehr dem Stand der Technik entspricht. Zahlreiche Umbauten und auch Brückenverbreiterungen wurden in den letzten 45 Jahren an diesen Tragwerken umgesetzt, die größte Maßnahme stellt hier die Verbreiterung einer Richtungsfahrbahn mit einem Stahlverbundtragwerk dar, das sich über ca. 1.200 m Länge erstreckt. Abb.4 - Verbreiterung Stahlverbundtragwerk Leider sind viele kleinere bauliche Maßnahmen nur teilweise oder gar nicht dokumentiert. Somit waren im Vorfeld zum Bauvorhaben die Planungsgrundlagen mit Bestandsvermessungen, Georadarmessungen sowie einer Unzahl von Bohrkernen zu ergänzen. Ebenso mussten die Fugenspalte im Bereich der Fahrbahnübergänge händisch vermessen werden, da durch mehrere Umbauten an den Fahrbahnübergängen eine teilweise völlig unklare Situation über die tatsächliche Form der Endquerträger und die Art und Form von einbetonierten Stahlteilen vorlag bzw. noch immer vorliegt. Umso wichtiger es eine ordnungsgemäße Dokumentation der umgesetzten Adaptierungsmaßnahmen anzufertigen. 2.2 Schadensbild Grundsätzlich sind die Brücken für Ihr Alter in einem guten Erhaltungszustand, Betonschäden sind in den Bereichen der Endquerträger und der zugehörigen Stützen vorhanden, hier sind Schädigungen durch undichte Fahrbahnübergänge und in weiterer Folge langzeitigen Salzwasserzutritt vorhanden, ebenso bei umläufigen Tagwasserabläufen und Abdichtungsentwässerungen. In den letzten Jahrzenten wurden bereits Betoninstandsetzungen durchgeführt, diese sind größtenteils leider wieder zu sanieren. Abb.5 - Zustand Endquerträger, bestehende Betonsanierung Chloridschäden finden sich auch innerhalb der Hohlkästen, hier konnte Salzwasser über schadhafte Entwässerungsleitungen und nachträglich unsachgemäß hergestellte Tragwerksdurchdringungen eindringen, die Schäden treten vor allem am Boden der Hohlkästen auf. Die Stahlbauteile weisen teilweise großflächige Ablösungen der Beschichtungen sowie Korrosionsschäden auf, die Fahrbahnübergänge sind durch Anfahrschäden von Schneepflügen stark in Mitleidenschaft gezogen. 2.3 Geplante Instandsetzungsmaßnahmen Die Kragarme der Tragwerke werden mit neuen Randbalken, Rückhaltesystemen und teilweise Lärmschutzwänden ausgestattet. Für die Einleitung der Kräfte aus den Rückhaltesystemen ist es auch erforderlich, den Kragarm teilweise abzubrechen, da dieser für die neuen Systeme unterdimensioniert ist. Hier erfolgt der Abtrag im Anschlussbereich an den Bestand mittels HDW, 76 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 A 23 Autobahn Südosttangente Wien Generalerneuerung um die bestehende Bewehrung zu erhalten und an diese anschließen zu können. Dies stellt die bessere Methode gegenüber dem herkömmlichen Einbohren von Bewehrung dar - vor allem in einem so schlanken Bauteil. Abb.6 - Bestandsbewehrung nach HDW-Strahlen Resultierend aus den teilweise einseitigen Verkehrsführungen am Tragwerk in Verbindung mit der geringen Lagerspreizung, ist es in vielen Stützenachsen erforderlich, Kippsicherungen in Form von Unterstellungen einzubauen, bevor mit den eigentlichen Instandsetzungsmaßnahmen begonnen werden kann. Des Weiteren werden die Entwässerungsleitungen aus den Hohlkästen herausgenommen und unter der Brücke hängend neu gebaut um ein neuerliches Eindringen von Salzwasser durch undichte Rohrverbindungen zu verhindern. Der Tausch sämtlicher Fahrbahnübergänge stellt sich aufgrund des Bestandes teilweise als sehr schwierig heraus, da erst nach Abtrag der bestehenden Konstruktionen ein genaues Bild über die Situation erstellt werden kann. Zu diesem Zeitpunkt ist jedoch der neue Fahrbahnübergang schon auf der Baustelle. Deshalb wurden Betonbauseitig mehrere Szenarien überlegt, um mit einer flexibel geplanten Bewehrungsführung auf die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort reagieren zu können. Da die meisten Übergänge als Kragfingerkonstruktionen errichtet werden ist ein entsprechend tragfähiger Verbund zum Bestand unerlässlich. Ebenso sind teilweise Lager zu ersetzen oder zu sanieren. Über sämtliche Brücken verteilt sind partielle Betoninstandsetzungen durchzuführen, die Schäden innerhalb der Hohlkästen werden mittels chemischen Chloridentzug saniert. Im Bereich der Endquerträger ist es aufgrund der indirekten Lagerung (Lager nicht genau unter den Stegen des Hohlkastens situiert) notwendig zuerst die Längsträger bzw. die Steguntersichten zu sanieren. Danach werden die Stege provisorisch unterstellt und erst dann kann der Endquerträger instandgesetzt werden. Ohne diesen Zwischenschritt wäre das Risiko des Versagens bei zu hoher Querkraftbelastung gegeben. 3. Brückenneubau bzw. Verbreiterung Da alle Fahrstreifen über die Baudauer aufrecht zu erhalten sind, muss im Bereich der Anssschlusstelle Gürtel die Hauptfahrbahn in beiden Fahrtrichtungen auf eine Länge von rd. 1.300m um fünf Meter verbreitert werden. Diese Verbreiterungen werden im Endausbau als Pannenstreifen genutzt und tragen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit bei. Abb.7 - Brückenverbreiterungen und anschließdene Rampen 3.1 Verbreiterungen Hauptfahrbahn Um das sehr lückenhaft dokumentierte statische System der Bestandstragwerke nicht weiter zu verschlechtern und um im Endausbau ein homogenes Tragwerk zu erhalten, muss der Neubau dem Bestand in Steifigkeit und Stützenstellung angepasst werden. Es wurde ein vorgespannter T-Querschnitt gewählt, der als komplett eigenständiges Tragwerk konzipiert und nur über die Kragplatten mit dem Bestand verbunden ist. So werden auch größtenteils undefinierte Krafteinleitungen und -umlagerungen vermieden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 77 A 23 Autobahn Südosttangente Wien Generalerneuerung Abb.8 - Gründungsarbeiten für die Verbreiterungen Durch die Schlankheit der Tragwerke ist die Gefahr von Schädigungen durch ungleiche Setzungen hoch, in der statischen Berechnung wurde eine Differenzsetzung von 5mm zwischen Altbestand und neuem Tragwerk berücksichtigt. Die Lastbzw. Konsolidierungssetzungen der Tiefgründungen werden über einen Zeitraum von 90 Tagen beobachtet, erst danach werden die Kragarme zusammenbetoniert. Für den eher wahrscheinlichen Fall, dass die Setzungen nach dem Anbetonieren das tolerierbare Maß überschreiten ist geplant, die neue Brücke wieder zu heben. Dafür wird in allen Lagern des Neubaus die Möglichkeit vorgesehen Stahlplatten einzulegen, um eine dauerhafte Hebung des Neubaus durchführen zu können. 3.2 Anpassung der Gradiente auf den Rampen Die vier an die Hauptfahrbahn anschließenden Rampenbrücken müssen an den neuen Brückenrand angepasst werden, da sich die Gradiente entsprechend verändert. Drei der Rampen liegen um bis zu 30cm zu tief um den Zwickelbereich zwischen den Brücken in der Bauphase überfahren zu können, eine liegt wiederum um 30cm zu hoch. Zwei der Brücken die zu tief liegen, werden mit einem mittragenden Aufbeton ausgestattet. Damit das Spannbetontragwerk nicht in den Zustand II übergeht, muss vor Aufbringen des Aufbetons die Unterseite der Brücke mit CFK-Lamellen verstärkt werden, da der Beton zuerst als Last auf das Tragwerk wirkt, bevor er nach dem Erhärten auch die entsprechende Tragwirkung entfaltet. In diesen Bereichen wurde das gesamte Lagerschema überarbeitet und es werden sämtliche Lager ausgetauscht. Bei einer zu tief liegenden Brücke ist es geometrisch möglich, das gesamte Tragwerk auf zu kippen, sodass die aufwändigen Maßnahmen der Tragwerksverstärkung nicht durchgeführt werden müssen. Bei jenem Tragwerk, welches zu hoch liegt, konnte mit einem Neubau des gesamten Kragarms das Auslangen gefunden werden. Für die beschriebenen Maßnahmen sind Sperren der Rampen erforderlich, aufgrund der verkehrlichen Bedeutung dieser Ab- und Auffahrten darf jede Brücke nur für 30 Kalendertage gesperrt werden. In diesem Zeitraumsind auch noch die komplette Abdichtung und der Fahrbahnbelag zu erneuern sowie die Fahrbahnübergänge auszutauschen. Diese Umstände führen dazu, dass der Kragarmabtrag und -neubau schon vorweg umgesetzt werden muss. Die Breite der Baubereiche in dieser Phase betragen unter zwei Meter und führen die erforderliche Technik an den Rand des Machbaren. Diese Bereiche stellen straßenplanerisch sicher eine der anspruchsvollsten Aufgaben dar, da die so umgebauten Straßenabschnitte auch ohne verkehrsgefährdende Querneigungswechsel befahren werden müssen. 4. Abbruch Anschlussstelle Arsenal Die Anschlussstelle Arsenal wurde für den Verkehr nie frei gegeben (siehe Pkt. 1.2.) und wird auch in Zukunft nicht mehr unter Verkehr gehen. Drei Brückenabschnitte müssten jetzt aufgrund ihres Erhaltungszustandes komplett instandgesetzt werden, deshalb hat man sich für die wirtschaftliche Variante, nämlich den Abbruch der Tragwerke und den Umbau in eine Betriebsumkehr entschieden. Die abzubrechenden Brücken sind ebenfalls vorgespannte Tragwerke, wobei zwei Rampen Teil eines Tragwerks sind auf denen die Hauptfahrbahn der A23 verläuft, somit handelt es sich hier um einen Teilabbruch. Das dritte Tragwerk führt mit einer lichten Höhen von 4,70m über die Hauptfahrbahn, die wiederum auch auf einer Brücke verläuft. 4.1 Konventionelle Abbruchmethoden Für den Abbruch der Brücken werden diese mit Seilschnitten von den bestehen bleibenden Brückenabschnitten getrennt, diese Schnitte sind jeweils nach Koppelfugen situiert, sodass der verbleibende Rest der Spannkabel eine tragfähige Verankerung hat. Im Nahbereich der verbleibenden Brückenteile wird das erste Stützenfeld unterstellt und in kleinere Teile geschnitten, die dann mit einem handelsüblichen Mobilkran ausgehoben und danach zerkleinert und abtransportiert werden. Die vom Bestand weiter weg liegenden Teile werden mittels Baggerzange abgetragen, hierbei wird die Betonstruktur rund um die Spann- und Bewehrungsstähle abgetragen und der jeweilige Abschnitt sukzessive abgebaut. 4.2 Tragwerksaushub Der Brückenteil über der A23 kann mit keiner der vorher beschriebenen Methoden abgetragen werden. Aufgrund der geringen lichten Höhe über der Hauptfahrbahn kann kein Gerüst für einen effektiven Schutz der darunterliegenden Brücke errichtet werden. Als risikoärmste Methode wurde der Aushub des kompletten Brückenfeldes 78 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 A 23 Autobahn Südosttangente Wien Generalerneuerung identifiziert. Das Gewicht dieses Tragwerks beträgt rd. 580to. Vor dem Aushub wird der Brückenabschnitt zu beiden Seiten konventionell abgetragen und so verbleibt ein alleinstehendes Brückenfeld. Diese Möglichkeit besteht, da die Stützen im Tragwerk ohne Lager eingespannt sind. Danach erfolgt der Aufbau des Krans, ein Terrex CC 8800 von dem weltweit nur zwölf Stück verfügbar sind die Vergabe und Planung dieses Kraneinsatzes nimmt rund zwei Jahre in Anspruch. Abb.9 - Skizze Brückenaushub Nach dem Anschlagen der Brücke werden die vier Stützen mittels Seilschnitt vom Tragwerk getrennt - als Rückfallebene werden Joche errichtet, auf denen das Tragwerk im Ernstfall aufgelegt werden kann. Das getrennte Tragwerk wird danach ausgehoben und neben der Brücke der Hauptfahrbahn abgelegt, gesichert und mittels Hydromeißel zerkleinert. Dieses Unterfangen stellt sicher eines der Highlights dieses Projektes dar, und wie bei einigen anderen einzelnen Maßnahmen auch freuen wir uns als Projektteam schon auf die Umsetzung, werden aber ebenso erleichtert sein wenn es geschafft ist! 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 79 Der Überflieger im Zuge des Autobahnkreuzes Aachen - Ersatzneubau als ingenieurtechnische Herausforderung Dipl.-Ing. Hans-Peter Doser Doser Kempen Krause Ingenieure GmbH, Aachen, Deutschland Sven Kina M.Sc. KINA Ingenieurgesellschaft mbH, Bochum, Deutschland Zusammenfassung Im fünfarmigen Autobahnkreuz Aachen treffen die europäischen Verkehrsströme der A4 von Köln in die Niederlande und der A44 von Düsseldorf nach Belgien sowie die Aachener Stadtautobahn A544 zusammen. Da sich die Autoströme auf engstem Raum überlagern und kreuzen baut der Landesbetrieb Straßenbau NRW das Autobahnkreuz komplett um. Zur Entflechtung der extremen Verkehre werden die Fahrbeziehungen getrennt. Wesentlich sind dabei die Brückenbauwerke. Unter anderem wird eine aus Richtung NL über die A544 in Richtung Autobahnkreuz führende Spannbetonbrücke aus den 60-er Jahren erneuert, der sogenannte „Überflieger der A4“. Aufgrund von Tragfähigkeitsdefiziten wird das alte Bauwerk zurückgebaut und ein neues Bauwerk errichtet. Der gebogene Brückenverlauf (Radius 470m) und der geringe Platz für den Brückenpfeiler im Mittelstreifen der A544 machen die Errichtung des Bauwerks anspruchsvoll. lnsbesondere die große Überbaubreite in Verbindung mit dem kleinen Kreuzungswinkel von nur 26 gon bilden schwierige Randbedingungen für die Systemfindung des Tragwerks. Das Ergebnis des Brückenentwurfs ist ein vierfeldriger Stahlverbundüberbau mit einem Querschnitt aus drei zueinander parallelen Stahlhohlkästen und einer Verbundplatte aus ortbetonergänzten Stahlbetonfertigteilen. Abbildung 1: Autobahnkreuz Aachen (Quelle: https: / / www.strassen.nrw.de/ files/ oe/ ak-aachen/ projekt/ PDF/ fbreihe-akac-ueberflieger-2.0.pdf) 1. Daten und Fakten Überflieger-Brücke Gesamtlänge 172 m Gesamtbreite 24 Meter Teilung 4 Felder 36,00 - 2 x 48,25 - 39,5 Ausführung Stahlverbundkonstruktion Bauhöhe 2,75 m Baukosten ca. 16 Millionen Euro Bauzeit Herbst 2018 bis Ende 2020 Bauherr Landesbetrieb Straßen NRW Regionalniederlassung Ville-Eifel 80 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Der Überflieger im Zuge des Autobahnkreuzes Aachen - Ersatzneubau als ingenieurtechnische Herausforderung Abbildung 2: Autobahnkreuz Aachen (Quelle: https: / / www.strassen.nrw.de/ files/ oe/ ak-aachen/ projekt/ PDF/ fbreihe-ak-ac-ueberflieger-2.0.pdf) 2. Beschreibung der Entwurfslösung 2.1 Statisches System Das Bauwerk ist als semiintegrale 4-Feldbrücke geplant. Der überführte Ast der A4 ist mit einem konstanten Radius von 470 m geführt. Die Gradiente ist als Kuppe ausgebildet, so dass das Längsgefälle von Achse 10 von ca. 0,5 % auf ca. 3,5 % in Achse 50 anwächst. Der Überbau weist eine Breite zwischen den Geländern von 22,95 m auf. Die Feldlängen von 36,00 m, 48,25 m, 48,25 m und 39,50 m summieren sich zu einer Gesamtlänge von 172,00 m. Als semiintegrales Bauwerk ist der Überbau mit den Pfeilern der Achsen 20, 30 und 40 biegesteif und schubfest verbunden. Auf den Widerlagern sind je zwei längs verschiebliche Elastomerlager mit je einer Querfesthaltung angeordnet. Abbildung 3: Überbauquerschnitt (© Straßen.NRW) Der Stahlverbundüberbau besteht aus drei parallel verlaufenden Stahlhohlkästen mit Abmessungen von 2,20 x 2,50 m. Die Längsträger bilden mit den Stahlquerträgern der Auflagerachsen einen Trägerrost. Die darüber angeordnete Fahrbahnplatte wird aus 16 cm dicken Teilfertigteilen mit einer 34 cm starken Ortbetonergänzung gebildet. Im Bereich der Endquerträger verjüngen sich die Hauptträger im Verhältnis 1: 4 und erzeugen somit eine Verdickung der an dieser Stelle vorliegenden Ortbeton- Fahrbahnplatte. Die Stützquerträger der Achsen 20, 30 und 40 werden durch vertikal in den Pfeilern angeordnete Spannkabel an die Pfeiler angeschlossen. Die verhältnismäßig niedrigen Pfeiler mit 5,5 bis 6,50 m Höhe und die unter 26 gon stark schiefwinklig angeordnete Pfeilerachse 30 erfordern hier sehr hohe Vorspannkräfte, um ein Klaffen der Fuge zu verhindern. Die Spannkabel werden in den Pfeilerfundamenten verankert. Die Pfeiler der Achsen 20 und 40 werden durch rechtwinklig zur Überbauachse angeordnete Stahlbetonscheiben mit einer Grundfläche von 2,50 x 5,0 m gebildet. Der lediglich 1,30 m dicke Pfeiler der Achse 30 verjüngt sich von 8,77 m am Fuß auf 5,54 m am Kopf. Dabei sind die Kanten nach oben hinzunehmend gebrochen, so dass sich vom rechtwinkligen Querschnitt am Fuß eine Grundfläche des Stützquerträgers in Form eines abgeflachten Achtecks ergibt. Die Lasten der Unterbauten müssen aufgrund der mäßigen Baugrundeigenschaften durch eine Tiefgründung mittels Großbohrpfählen abgeleitet werden. Das Kastenwiderlager in Achse 10 ist hochliegend und gründet auf 11 Bohrpfählen mit Längen von je 24,0 m. Der Durchmesser war mit 1,00 m vorgesehen und musste im Zuge der Ausführungsplanung auf 1,20 m erhöht werden. Das Widerlager in Achse 50 ist aufgrund der nordöstlich anschließenden Winkelstützwand tiefliegend und mit 16 Bohrpfählen desselben Durchmessers und Längen von 16,0 m gegründet. Die vorderen Bohrpfähle beider Widerlager wurden unter 10: 1 gegen die Vertikale geneigt. Die Pfeilerfundamente sind 2,50 m dick. In den Achsen 20 und 40 sind je 15 vertikale Bohrpfähle ∅ 1,00 m angeordnet, wodurch sich eine Fundamentabmessung von 8,0 x 14,0 m ergibt. Die Pfähle sind in Achse 20 18,0 m lang und in Achse 40 16,0 m. Die Gründung der parallel zur BAB A544 gedrehten Mittelachse 30 wird durch 10 Bohrpfähle ∅ 1,00 m mit Länge von je 20,0 m gebildet. Das Fundament ist hier 5,0 m breit und ebenfalls 14,0 m lang. 2.2 Herstellung der Verbundbrücke Die Herstellreihenfolge muss insbesondere die Belange der Vorspannung in den Pfeilerachsen berücksichtigen. Weiterhin ist der Entwurfsplanung entsprechend zunächst eine Betonage der Endfelder vorgesehen, bevor die Stützbereiche und die Innenfelder hergestellt werden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 81 Der Überflieger im Zuge des Autobahnkreuzes Aachen - Ersatzneubau als ingenieurtechnische Herausforderung Zunächst werden alle Bohrpfähle sowie die Kastenwiderlager hergestellt. Bei der Herstellung der Pfeilerfundamente werden die Spannkabel für den Anschluss der Stützquerträger mit eingebaut und anschließend die Pfeilerscheiben bewehrt und betoniert. Dabei ist das Quergefälle des Überbaus von 6 % und die veränderliche Längsneigung von bis zu etwa 3 % im Pfeilerkopf abzubilden. Die angelieferten Querträger werden aufgesetzt und ausgerichtet und mit den eingefädelten Spannkabeln gegen die Pfeiler verspannt. Die Fuge wird mit Mörtel verfüllt. Anschließend werden die vorgefertigten Längsträger zwischen die Querträger eingehängt und mit diesen verschweißt. Nun können die Teilfertigteile der Endfelder verlegt werden und die Ortbetonergänzung bis ca. 4 m vor den Stützenachsen aufgebracht werden. Abschließend wird der übrige Bereich mit Fertigteilen belegt und mit Ortbeton vervollständigt. Der abschließende Ausbau von Abdichtung und Belag, Kappen, Schutzeinrichtungen, Geländer und Lärmschutzwand komplettiert das Bauwerk. Diese vereinfachte Darstellung der Herstellung zeigte in den Planungsdetails und der Ausführung einige Tücken und Schwierigkeiten, die im Weiteren aufgezeigt und erläutert werden. 3. Planung Gesamtsystem Für den semiintegralen Bauwerksbereich muss ein Gesamtsystem erstellt werden, um die wesentlichen Bauwerksreaktionen realistisch ermitteln zu können. Das Gesamtsystem besteht aus dem Überbau aus Stäben für den Stahlträgerrost und Flächenelementen für die Fahrbahnplatte sowie den biegesteif und schubfest angeschlossenen Pfeilerachsen. Die Pfeilerscheiben enthalten die Spannglieder für die Vorspannung der Kontaktfuge zwischen Stahlbau und Unterbauten. Zur Abbildung der Bodensteifigkeiten wurden die Bohrpfähle integriert und die horizontalen Bettungen entsprechend der Einbindetiefen in die unterschiedlichen Bodenschichten abgebildet. An diesem Gesamtsystem können alle erforderlichen Nachweise der Gründungsbauteile, der Fundamente, der Pfeiler und der Längsrichtung des Überbaus geführt werden. Für die Querträger und die Anschlüsse der Längsträger sind detaillierte Schalensysteme zu erstellen (s.u.), die für die am Gesamtsystem ermittelten Schnittgrößen bemessen werden. Das Bauwerk wird für die Lasten der aktuellen Eurocodes bemessen. Dabei ist die Bandbreitenuntersuchung der Bodensteifigkeit nach RE-Ing Teil 2, Abschnitt 5 durchzuführen. Damit liegen alle Schnittgrößen sowohl für den unteren (Minimalbettung) und den oberen Grenzwert (Maximalbettung) vor. Alle Bauteile wurden für beide Grenzzustände untersucht und bemessen. Bei der Betrachtung der Maximalbettung war dabei die horizontale Bettung der 2,50 m mächtigen Pfahlkopfplatten gesondert zu betrachten. Nach Entwurfsplanung sollte dieser Bereich gegen den im Boden verbleibenden Baugrubenverbau durch eine Weicheinlage vom passiven Erddruck entkoppelt werden. Damit sollten die Zwangsbeanspruchungen, die sich durch die Zwängung im Baugrund bei Temperaturänderungen ergeben, reduziert werden. Baupraktisch stellte sich die Frage, wie die Weicheinlage dauerhaft vor Schutz- und Feuchteeintritt geschützt werden kann, die vor allem dauerhaft die Lastentkopplung sicherstellen sollte. Daher wurde in Absprache mit dem Bodengutachter untersucht, welche Auswirkungen ein Bettungsansatz für den anstehenden Boden auf die Nachweisführung des Bauwerks hat. Schließlich konnte gezeigt werden, dass auch bei konservativem Ansatz der Bettungsmöglichkeit der oberen Bodenschichten keine negative Beeinflussung der Nachweise und Materialmengen zu verzeichnen ist. Letztlich konnte die Konstruktion der Weicheinlage ersatzlos entfallen. Das Bauwerk steht in der Nähe von Aachen in der höchsten deutschen Erdbebenzone 3. Dafür war nach Bauvertrag eine Bemessung mit einem Antwortspektrum durchzuführen. Da der Eurocode 8 für den Brückenbau in Deutschland nicht eingeführt ist, wurde mit dem Prüfingenieur die Nachweisführung auf Basis von DIN 4149 vereinbart. Die Bauwerksreaktion führt zu einer Erhöhung der erforderlichen Schubbewehrung in den Pfeilerachsen sowie zu deutlich höheren Kräften in den Schubdübeln in den Kontaktfugen zwischen Stahlüberbau und Pfeilern. 4. Ausführung der Unterbauten Der Baugrund ist durch eine Deckschicht aus Decklehm, eine mächtige Schicht aus pleistozänen Tonen und Sanden gekennzeichnet. Er in einer Tiefe von ca. 15 bis 20 m unter dem Fundament steht ein gut tragfähiger Boden aus Maasschotter an. Diese Schicht ist jedoch nur von geringer Mächtigkeit (etwa 3 m) und ist unterlagert von Sanden, die einen geringeren Spitzendruck der Pfähle aufnehmen können. Daher wurden im Vorfeld ausführlichere Baugrunduntersuchungen durch 3 Kernbohrungen bis in Tiefen von über 30 m durchgeführt. Auf dieser Grundlage konnten die Längen der Bohrpfähle ausreichend genau bestimmt werden, so dass die Mindesteinbindetiefe im Bauablauf erreicht wurde. 82 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Der Überflieger im Zuge des Autobahnkreuzes Aachen - Ersatzneubau als ingenieurtechnische Herausforderung Für die Herstellung der Pfeilerfundamente mussten aufgrund der beengten Platzverhältnisse durch die querende Autobahn Verbauten zur Baugrubensicherung hergestellt werden. Dabei gestaltete sich die Planung durch die teilweise vorhandenen Fundamente des abgebrochenen Vorgängerbauwerks als aufwändig. Die aufgenommene Lage wich teilweise deutlich von den Bestandsunterlagen ab. Die Widerlagerfundamente konnten in geböschter Baugrube errichtet werden. In den Pfeilerachsen wurden vertikale Bohrpfähle Durchmesser 1,0 m eingesetzt. In Achse 30 kamen 10 Bohrpfähle mit einer Länge von 20 m zum Einsatz. In den Achsen 20 und 40 wurden je 15 Pfähle angeordnet mit einer Länge von 18 m in Achse 20 und 16 m in Achse 40. Unter den Widerlagern mussten die Bohrpfahldurchmesser von 1,0 auf 1,2 m zur Einhaltung der Druckspannungsnachweise erhöht werden. Die elf Pfähle des hochgesetzten Widerlagers der Achse 10 je 24 m lang konnten nicht planmäßig angeordnet werden. Der vorhandene Verbau zur Behelfsumfahrung verhinderte beim erforderlichen Bohrgerät das geneigte Abteufen des Randpfahls, so dass dieser nun vertikal eingebaut wurde. Die Nachweise konnten weiterhin erbracht werden. In Achse 50 war das Widerlager aufgrund der anschließenden Stützwand tiefgesetzt. Dadurch wurden 16 Bohrpfähle mit je 16 m Länge erforderlich, um alle Nachweise erbringen zu können. Beide Widerlager weisen Pfahlkopfplatten mit einer Dicke von 2,20 m auf. In Achse 10 schließt auf der Platte direkt die quer geneigte Lagerbank an, die am Tiefpunkt annähernd auf OK Fundament endet. Die Lagerbank ist 2,0 m dick. Die seitlichen Kammerwände neben dem Endquerträger sind entsprechend der Kragarmlängen des Überbau ca. 2,55 m breit. Die Flügel wurden entsprechend der ausfliegenden Kappen mit 2,18 m Dicke (Flügel Süd) und 1,75 m (Flügel Nord) gewählt. Der Flügelabschluss wird durch die 60 ° geneigte Hinterkante nach RIZ Flü1, Bild 1 gebildet. Die hintere Kammerwand bildet den Abschluss des Wartungsganges und ist erdseitig geneigt. Sie verdickt sich von 1,50 m am Anschnitt auf 80 cm am oberen Rand. Die Widerlagerwand der Achse 50 ist an der niedrigsten Stelle 3,7 m hoch und erhöht sich entsprechend des Quergefälles auf 4,9 m am südlichen Rand. Der Wartungsgang verläuft parallel zur 2,0 m breiten Lagerbank. Die Hinterkante der Widerlager- und Kammerwand ist ebenfalls geneigt, so dass sich die Dicke an OK Fundament von 4,95 m nach oben hin auf ca. 4,25 m verjüngt. Die Dicken der Flügel entsprechen Achse 10. Während der südliche Flügel ebenfalls mit 60 °-Schräge ausgebildet werden konnte, musste der nördliche Flügel in Anlehnung an RIZ Flü1 Bild 2 konstruiert werden, damit ein Abschluss gegen die tiefer sitzende und im Grundriss abknickende Stützwand gefunden werden konnte. Die Pfeiler sind zwischen 5,50 und 6,50 m hoch. Die Querschnitte der Pfeiler der Achsen 20 und 40 weisen Abmessungen von 2,50 x 5,00 m auf. In Achse 30 ist die Achse des Pfeilers auf ca. 26 gon gedreht und steht damit mit seiner starken Achse eher in Überbaulängsrichtung. Aufgrund der geringen Dicke von 1,30 m weist er damit eine sehr geringe Quersteifigkeit im Gesamtsystem auf. Die Anvoutung der Pfeilerbreite von 8,77 m am Fußpunkt auf 5,44 m am Kopf reduziert die Schnittgrößen in Bauwerkslängsrichtung. Der Pfeilerkopf wird von 1,30 m auf 1,94 m aufgedickt, um die Kontaktfläche zum Stahlbau zu erhöhen. Die Pfeilerscheiben müssen aufgrund der hohen Druckbeanspruchungen mit einer Betonfestigkeitsklasse C35/ 45 ausgeführt werden. Im Pfeilerkopf (ca. 1 m Höhe) kam C50/ 60 zum Einsatz. Die eigentliche Herausforderung der Unterbauplanung bildet die Ausführung der Pfeiler mit der darin vorgesehenen Vorspannung für die Anbindung des Stahlüberbaus. Abbildung 4: Ansicht Pfeiler Achse 30 vor dem Einheben des Stahlquerträgers (© Fa. Züblin) Die Dekompression in der Kontaktfuge ist nach RE-Ing für die charakteristische Einwirkungskombination nachzuweisen. Dafür wurden sehr hohe Vorspannkräfte erforderlich, die nach Bauvertrag durch Spannglieder im nachträglichen Verbund aufgebracht werden sollen. Die Kontaktfuge zwischen Pfeiler und Stahlbau ist mit hochfestem Mörtel zu vergießen. Aus dieser Konstruktion ergeben sich einige Schwierigkeiten in Planung und Ausführung: Die erforderliche Anzahl der Spannglieder musste für die erforderliche Blechanordnung in den Querträgern aufwändig optimiert (vgl. Kap. 5), bzw. so weit erhöht werden, bis der Platz innerhalb der Pfeiler aufgebraucht war. Zur Einhaltung der Achs- und Randabstände der Ankerkörper waren diese daher in die Fundamente einzubauen. Durch diesen relativ frühen Einbau der Anker, Hüllrohre und Litzen liegen die Litzen sehr lange unverpresst und somit ungeschützt im Hüllrohr. Daher sind die Hüllrohre bis zum Einpressen des Mörtels kontinuierlich mit getrockneter Luft zu bewittern, um den Korrosionsschutz sicher zu stellen. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 83 Der Überflieger im Zuge des Autobahnkreuzes Aachen - Ersatzneubau als ingenieurtechnische Herausforderung Der Mörtel muss von unten in die vertikalen Hüllrohre eingepresst werden, um Hohlraumbildung im Verpressgut zu verhindern. Die Einfüllrohre müssen zur Fundamentoberseite geführt und während der Bauzeit vor Beschädigung geschützt werden. Der Lasteinleitungspunkt der im Stahlbau angeordneten Spannanker ist dafür zu planen, dass sowohl die Spannkräfte sicher im Stahlbau aufgenommen und in die Kontaktfuge eingeleitet werden (vgl. Kap.5), als auch beim Vergießen der Kontaktfuge der Vergussmörtel nicht in die Hüllrohre einfließen kann. Die Schwierigkeit besteht hier darin, dass die Hüllrohre nicht am Stahlbau abgedichtet werden können. Dieser Bereich ist in dieser Bauphase nicht mehr zugänglich. Die Lagesicherheit der vertikal stehenden, teilweise über 10 m langen Hüllrohre ist während der Herstellung der Pfeiler durch aufwändige Hilfskonstruktionen sicher zu stellen. Abbildung 5: Ansicht Hilfskonstruktion Lagesicherheit Spannlieder (© Fa. Züblin) Weiterhin wurde die Frage diskutiert, wie mit zeit- und materialabhängigen Spannkraftverlusten umgegangen werden kann. Die Länge des vorgespannten Betonquerschnitts (also des Pfeilers) ist mit 5,5 bis 6,5 m sehr gering. Die zur Verfügung stehenden Nachweisformate nach DIN EN 1992-2 gehen von einer linearen Spannungsverteilung im Querschnitt aus. Die Kontaktfugen weisen hohe Biegebeanspruchungen bei geringen Grundabmessungen auf. Die Spannglieder mussten daher in den Eckbereichen der Pfeiler konzentriert werden, so dass sich die Lasteinleitungsbereiche der Spannkräfte auf die gesamte Pfeilerhöhe ausdehnen. Damit erhöht sich die Unschärfe der Ermittlung der Spannkraftverluste infolge Kriechens. Um den vorgenannten Schwierigkeiten zu begegnen, wurden im Vorfeld alternative Vorspannsysteme untersucht. Infrage kamen dabei Systeme, deren Vorspannkraft auch etwa im Zuge einer Bauwerksprüfung geprüft und eventuell nachgespannt werden können. Diese Untersuchungen wurden mit verbundloser Vorspannung und mit Spannsystemen aus Schraubgebinden durchgeführt. Diese waren technisch möglich und dem vorgesehenen Vorspannsystem auch überlegen. Aus Kostengründen wurden diese Möglichkeiten jedoch verworfen und das ursprüngliche System mit nachträglichem Verbund weiterverfolgt. Aus den hier gemachten Erfahrungen wird jedoch empfohlen, bei künftigen Projekten mit vergleichbaren Randbedingungen auf entsprechend nachspannbare Systeme zurückzugreifen, die auch kein Verpressen für den Korrosionsschutz erfordern. Die Pfeilerköpfe insbesondere von Achse 30 stellen sowohl die Konstruktion als auch die Verlegung vor besondere Herausforderungen. Hier sind auf einer effektiven Grundfläche von ca. 1,30 m 5,7 m bei zusätzlich gebrochenen Ecken insgesamt 26 Spannglieder durchzuführen, vier Aussparungen für die Schubknaggen des Überbaus mit 28 x 33 cm vorzusehen und die bauzeitlichen Absetzpunkte des Querträgers einzuplanen. Bei der Spanngliedanordnung mussten zudem die Blechanordnungen im Stahlquerträger bedacht werden. Hier führten letztlich intensive und iterative Abstimmungen zwischen Werkstattplanung Stahlbau, Nachweisführung Stahlbau, Bemessung Pfeilerkopf und Konstruktion Bewehrungsführung zu einer umsetzbaren Lösung. Abbildung 6: Detailansicht Pfeilerkopfbewehrung mit Hüllrohren (©DKK) Der Verguss zwischen Pfeilerkopf und Stahlquerträger muss vollflächig sichergestellt werden. Daher wurde im Vorfeld ein Probeverguss durchgeführt. Dafür wurde der Pfeilerkopf der Achse 40 mit seiner Querneigung von 6 % und einer Längsneigung von 3 % als Testfeld mit Hüllrohrattrappen betoniert. Darin wurden die Schubknaggen und die temporären Auflagerbleche als Holzmodelle nachgebildet. Der Stahluntergurt wurde durch eine Plexiglasabdeckung ersetzt, um entsprechende Fehlstellen im Verguss detektieren zu können. Unterbrochen wurde die Plexiglasabdeckung durch die Öffnungen, die für die Hüllrohre im Stahlbau geschaffen wurden. Hier 84 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Der Überflieger im Zuge des Autobahnkreuzes Aachen - Ersatzneubau als ingenieurtechnische Herausforderung sind zwischen den beiden Untergurtebenen tragende Bleche (vgl. Abbildung 10) um die Spannglieder angeordnet. Damit kann der Vergussmörtel beim Einpressen in diese Kanäle aufsteigen. Der seitliche Spalt zwischen den beiden Bauteilen wurde abgedichtet und der Vergussmörtel vom Tiefpunkt her eingepresst. Dabei zeigte sich eine sehr gute Vergussqualität auch im Bereich der Schubknaggen, die sehr gut vom Mörtel umflossen wurden. Es stellte sich beim Verguss jedoch heraus, dass sich der Mörtel deutlich weniger hydrostatisch verhält als zunächst angenommen. Dadurch bestand die Gefahr, dass der Mörtel im Hüllrohrkanal des Stahlbaus zu weit aufsteigt und damit in die nach oben offenen Hüllrohre des Spannsystems eindringen kann. Dieser Fall musste zwingend vermieden werden, da ein zulassungskonformes Verpressen der Hüllrohre dann nicht mehr möglich gewesen wäre. Es wurde eine visuelle Kontrollmöglichkeit der Vergusshöhe im Stahlbau durch abnehmbare Ankerplatten geschaffen. Weiterhin wurden zusätzliche Einpressstutzen angeordnet, um den Vergussvorgang nicht ausschließlich vom Tiefpunkt auszuführen, sondern sukzessive höher liegende Einfüllpunkte zu aktivieren. Damit konnte während des Vergießens der Querträger ein zu hohes Ansteigen des Mörtels im Spannkanal vermieden werden. Der Verguss konnte damit erfolgreich umgesetzt werden. Abbildung 7: Einheben Querträger Achse 30 (© Fa. Züblin) 5. Ausführung des Überbaus Abbildung 8: Ansicht Baufeld beim Einheben der Querträger (© Straßen.NRW) Der Stahlträgerrost besteht aus drei parallel angeordneten Längsträgern mit einer Höhe von 2,20 m und einer Breite von 2,50 m. Die Blechdicken des Obergurtes variieren zwischen 35 und 80 mm, die des Untergurtes zwischen 40 und 80 mm. Die Stege sind konstant 25 mm dick. Die Stege der Haupt- und Querträger sind mit jeweils zwei Trapezhohlsteifen gegen Beulen ausgesteift. Zusätzlich sind alle 4 m Querschotte mit Durchstiegsöffnungen vorgesehen. Die Querträger in den Achse 20 bis 40 sind ebenfalls als Stahlhohlkästen mit identischem Querschnitt ausgebildet und dienen den Hauptträgern als indirektes Auflager, welche die Kräfte in die darunterliegenden Pfeiler leiten. Für die Berechnung der Quersysteme wurden unterschiedliche FE-Systeme erzeugt. Diese beinhalteten neben den reinen Stahlblechen auch die Betonpfeiler als Volumenelemente und die vertikale Vorspannung als Stabelemente im Betonquerschnitt. Mit diesen Berechnungsmodellen wurden neben der reinen Bestimmung der Spannungen in den einzelnen Blechen und Schweißnähten unter den Bemessungssituationen GZT, GZG und GZE auch die Nachweise der klaffenden Fuge geführt. Hierfür wurden jeweils für die Bemessungsaufgabe angepasste Netzfeinheiten und Elemente gewählt. Im Zuge des Nachweises der klaffenden Fuge stellte sich heraus, dass im Zuge der Nachweisführung sowohl die im Entwurf gewählte Anordnung, als auch die Anzahl der Spannglieder angepasst und optimiert werden musste. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 85 Der Überflieger im Zuge des Autobahnkreuzes Aachen - Ersatzneubau als ingenieurtechnische Herausforderung Abbildung 9: montierter Querträger in Achse 20 (© Straßen.NRW) In den Achsen 20 und 40 wird der Querträger auf einer gevouteten Steifenebene abgesetzt. Diese verjüngt ihren Querschnitt auf die Pfeilerbreite und beinhaltet neben den durchgeführten Querschotten auch die tragenden Hüllrohre der vertikalen Vorspannung. Diese Hüllrohre waren notwendig um die hohen Beanspruchungen aus der Vorspannkraft, die in den Stahlquerschnitt eingeleitet werden, in den Betonpfeiler koppeln zu können. Hierbei setzen sich die Spannköpfe der Spannglieder auf Stahlplatten ab, welche die Kräfte über die Hüllrohre in den Betonpfeiler leiten und so die Fuge zwischen Beton und Stahl ständig überdrückt halten. Die im Entwurf vorgesehene Verfüllung der Aussteifungsebene schied im Projektverlauf aus fertigungstechnischen Gründen komplett aus. Abbildung 10: Ansicht FE-System Querträger Achse 20 (© Kina Ing.) Insgesamt mussten aufgrund der hohen Beanspruchungen im Steifenkasten durchweg große Blechdicken mit 60 - 120 mm verwendet werden. Im Bereich der unteren Lagerplatte der Aussteifungsebene wurden die Steifenlage und die Blechdicke mehrfach iteriert, damit sich hier neben der klaffenden Fuge auch die Betondruckspannungen nachweisen ließen. Letztendlich wurde mit einer Blechdicke der unteren Lagerplatte von 120mm die DIN EN 1993-2 hinsichtlich der Verwendbarkeit von Blechdicken vollständig ausgereizt. Zusätzlich mussten unterhalb der Lagerplatte noch Schubknaggen zum Abtrag der Querkräfte angeordnet werden. Abbildung 11: Anschluss des Diagonalblechs in Achse 30 In Querträgerachse 30 musste durch den kleinen Kreuzungswinkel eine besondere Konstruktion des Steifenkastens geplant werden. In die rautenförmige Konstruktion mussten aufgrund der großen Exzentrizitäten der Verkehrslasten in Brückenquerrichtung eine Vielzahl von vertikalen Spanngliedern angeordnet werden. Dazu kamen noch zahlreiche Aussteifungsbleche um die auftretenden Spannungen im Stahlbau aufnehmen zu können und die bereits oben beschriebenen tragenden Hüllrohre. Außerdem musste ein diagonales Blech in Form eines Diagonalschotts vom Steifenkasten in den Querträger hoch geführt werden. Der Schnitt, unter dem die Pfeilerkante und somit auch die Ecke des Steifenrostes gelagert ist, führt ansonsten zu großen Biegemomenten lokaler Art, die nicht aufgenommen werden können. Eine Besonderheit stellt der Anschluss dieses Diagonalschotts dar. Im Entwurf war hier die Anordnung eines Formstücks vorgesehen. Dieses musste allerdings unter anderem aufgrund mangelnder Fertigungszeit verworfen werden und es wurde ein Schweißdetail entwickelt, welches 5 Bleche in einem Punkt miteinander verbindet. 86 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Der Überflieger im Zuge des Autobahnkreuzes Aachen - Ersatzneubau als ingenieurtechnische Herausforderung Abbildung 12: Ansicht FE-System Querträger Achse 30 (© Kina Ing.) Auch in der Querträgerachse 30 war die Nachweisführung der Betondruckspannungen und der klaffenden Fuge nur durch ein iteratives Optimieren der Spanngliedanzahl und -anordnung möglich. In der Endquerträgerachse wurde für die Einleitung der Lagerkräfte ein Lagerschott mit einer Blechstärke von 60 mm vorgesehen. Daran angeschlossen wurden die Lagersteifen, welche im vertikalen Verlauf in die Öffnungssteifen der im Lagerschott angeordneten Durchstiegsöffnungen übergehen. Dieser Übergang ermöglicht eine möglichst ermüdungsgerechte Konstruktion. Neben den Lagersteifen in Endquerträgerlängsrichtung wurden auch quer dazu verlaufende Steifen angeordnet, die gleichzeitig auch als Lasteinleitungspunkte für die Pressen im Falle eines Lagerwechsels dienen. In Verlängerung der Stege des mittleren Hohlkastens wurden Querschotte angeordnet, die neben der Formerhaltung auch der Lasteinleitung aus den Längsträgern in den Endquerträger dienen. Da sich durch die tiefere vertikale Lage des Endquerträgers zu den Längsträgern ein Versatz ergibt, greifen die Lasten aus dem Untergurt teilweise im relativ weichen Steg des Endquerträgers an. Da dieser nur eine Stegdicke von 20 mm aufweist, mussten hier Verstärkungen vorgesehen werden. Diese wurden in enger Absprache mit dem Prüfingenieur als dreiecksförmige Verstärkungsbleche auf Höhe des Untergurts ausgeführt. Abbildung 13: Dübelanordnung im Bereich der äußeren Hauptträger Für die Verbundsicherung des Überbaus wurden standardmäßig 22-er Kopfbolzendübel mit einer Länge von 250 mm verwendet. Auch die Anordnung der Dübel gestaltete sich in diesem Projekt als große Herausforderung. Hier mussten neben den normativen Vorgaben und Rechenansätzen für die Tragfähigkeit auch die Platzverhältnisse in den Dübeltaschen der Halbfertigteile berücksichtigt werden. Was im Bereich der Längsträger noch gut planbar war, erwies sich im Kreuzungsbereich als extrem schwierig. Neben der Tragwirkung der im Kreuzungsbereich angeordneten Dübel in Brückenlängsrichtung werden die Kopfbolzendübel hier auch in Brückenquerrichtung, also in Querträgerachse beansprucht. Dazu kommt die Verlegung der Halbfertigteile, welche die Lage der Dübeltaschen fest vorgibt. Durch die verringerte Tragfähigkeit der Kopfbolzendübel mit steigendem Abstand zum Steg ergab sich mit den oben aufgeführten Randbedingungen eine inselförmige Anordnung. Diese führte allerdings neben einer notwendigen Vergrößerung der im Entwurf geplanten Dübeltaschen im Hauptträgerbereich auch zu einer neuen Geometrie der Taschen im Kreuzungsbereich. Die Fahrbahnplatte wird durch 16 cm dicke Halbfertigteile gebildet, die mit einer 34 cm dicken und sich zur Kragarmaußenkante auf 16 cm verjüngenden Ortbetonschicht ergänzt werden. Die Halbfertigteile liegen auf Elastomerstreifen an den Rändern der Hauptträger auf. Damit spannen diese vom Rand des mittleren Hauptträgers zum Randhauptträger über ca. 4,50 m und über ca. 2,50 m über dem Randträger. Die anschließende Kragarmlänge beträgt über 3,0 m. Damit ergibt sich eine Gesamtlänge 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 87 Der Überflieger im Zuge des Autobahnkreuzes Aachen - Ersatzneubau als ingenieurtechnische Herausforderung von ca. 10 m. Alle Fertigteile sind ca. 2,0 m breit und weisen über dem Randhauptträger je eine Schubtasche mit 2,40 m Länge und 37,5 cm Breite sowie zwei weitere Schubtaschen am Rand mit jeweils halbierter Breite auf. Damit verbleibt zur Aufnahme des Frischbetondrucks eine Querschnittsbreite von ca. 1,25 m. Zur Aufnahme des Frischbetondrucks waren zunächst Gitterträger vorgesehen, um den Hebelarm für die Bemessung zu erhöhen. In der Ausführung konnten diese leider nicht umgesetzt werden, da die erforderlichen Gitterträger nicht als Querkraftbewehrung im Endzustand zugelassen sind und aufgrund des hohen rechnerischen Querkraftbewehrungsgrades nicht ausreichend Platz für zusätzliche Gitterträger vorhanden war. Die damit anzuordnende Biegebewehrung (inkl. Biegedruckbewehrung) reizte die Grenzen des normativ Baubaren aus. Im Stützbereich des Stahlträgerrostes aus Längs- und Querträgern waren deutlich mehr Kopfbolzendübel erforderlich (s.o.). Die Schubtaschen mussten hier noch deutlich vergrößert werden. Der verbleibende Restquerschnitt des Halbfertigteils konnte die Frischbetonlasten des Kragarms rechnerisch nicht mehr aufnehmen. Daher mussten die drei betroffenen Halbfertigteile durch ein bodengestütztes Traggerüst gehalten werden. Um hier die Verträglichkeit mit der Verformung der angrenzenden, nicht unterstützten Fertigteile sicher zu stellen, wurden Ausgleichsträger unter die Auskragungen gespannt und die erwartete Kragarmdurchbiegung im Traggerüst eingestellt. Die Fertigteile der Endfelder sind verlegt und die Ortbetonschicht ist aufgebracht. Momentan werden die restlichen Fertigteile verlegt, so dass mit der Fertigstellung des Überbaus zum Ende des Jahres gerechnet wird. Der Planungsprozess war von allen Projektbeteiligten durch einen hohen Einsatz und kurzfristige Kommunikation geprägt. Von Aufstellerseite dürfen wir uns hierfür sowohl beim Bauherrn als auch beim Prüfingenieur für die konstruktive Zusammenarbeit und zügigen Lösungsfindungen bedanken. 6. An Planung und Ausführung Beteiligte Ausführende Firma: ARGE A4/ A44/ A544 Umbau AK Aachen STRABAG AG / Ed. Züblin AG / Züblin Stahlbau GmbH Duisburg Ausführungsplanung: Doser Kempen Krause Ingenieure GmbH Aachen In Zusammenarbeit mit Kina Ingenieurgesellschaft mbH Bochum Prüfingenieur: Dr. Dobelmann HRA Ingenieurgesellschaft mbH Bochum Bauherr: Bundesrepublik Deutschland vertreten durch Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen RNL Ville-Eifel, Region 3 Würselen 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 89 Gerüststellungen für die Sanierung von Hängebrücken am Beispiel der Mülheimer Brücke Köln und der Rheinbrücke Emmerich Josef Teupe Teupe & Söhne Gerüstbau GmbH, Deutschland Zusammenfassung Komplexe Aufgabenstellungen in der Brückenertüchtigung und -Instandsetzung sind generell und auch bezüglich erforderlicher Gerüstkonstruktionen und deren Nachweisführung anspruchsvoll. Am Beispiel aktueller Baumaßnahmen den Rheinbrücken Köln-Mülheim und Emmerich werden Aufgabenstellungen konstruktiv, statisch und auch mit wichtigen Details in der Ausführung vorgestellt. Die Konzeption, Planung und Ausführungsplanung wie auch die detaillierte Nachweisführung ist u.a. bezogen auf die jeweils konkreten Aufgabenstellungen, Zwischenbauzustände im Ablauf der Brückenertüchtigung/ -Instandsetzung und ggf. zeitgleich unterschiedlichen Nutzungsanforderungen mit der notwendigen Sorgfalt und Detailliebe anzugehen. Konstruktive Lösungsansätze für Aufgabenstellungen, die im Einzelfall auch anspruchsvolle technische Herausforderungen bedeuten, sind in der Ausführungsplanung und prüffähigen statischen Berechnung auf alle notwendigen Schnittstellen und Bauablaufanforderungen auszulegen, um einen ungestörten Bauablauf erreichen zu können. 1. Mülheimer Brücke Köln Aufgrund erheblicher Schäden an der Bauwerkssubstanz muss die weit über 60 Jahre alte Mülheimer Brücke umfassend saniert und verstärkt werden. Im Folgenden werden die an dem Bauwerk auszuführenden Instandsetzungsmaßnahmen bzw. die für diese Aufgabenstellung erforderlichen Anforderungen an die Gerüstkonstruktionen auszugsweise vorgestellt. 1.1 Das Bauwerk Die 1951 eröffnete Mülheimer Brücke ist nach einer Schiffbrücke von 1888 und einem Bauwerk von 1929 die dritte Brücke an gleicher Stelle und 682,80 m lang. Mit einer Spannweite von 315 m überführt die erdverankerte Hängebrücke die auch innerstädtisch sehr wichtige Bundesstraße 51 über den Rhein. 1977 wurden durch Umbau der Brückenfahrbahnen zwei Straßenbahnlinien hinzugefügt. Der 27,20 m breite Überbau ist als erster in Deutschland gebauter orthotroper Plattenbalken konzipiert. Zwischen Widerlager und Pylon beträgt der Achsabstand der Hänger 10,625 m, zwischen den Pylonen 10,862 m. Bild 1: Sanierung und Verstärkung Mülheimer Brücke 1.2 Aufgabenstellung Instandsetzung Strombrücke Die Strombrücke ist als wesentlicher Bestandteil des Mülheimer Brückenzuges nach mehr als 60 Jahren Standzeit sanierungsbedürftig und muss darüber hinaus verstärkt werden. Für die Stahlbau- und Korrosionsschutzarbeiten ist der Überbau u.a. unterseitig unter Beachtung der Lichtraumprofile mit einem über 14.000 qm umfassenden Hängegerüst komplett einzurüsten, ebenso die Tragkabel, die Hänger und die Pylone einschließ- 90 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Gerüststellungen für die Sanierung von Hängebrücken am Beispiel der Mülheimer Brücke Köln und der Rheinbrücke Emmerich lich Querriegel. Diese Gerüstkonstruktionen sind mit für schweren Korrosionsschutz geeigneten Einhausungen zu versehen. Unter Beachtung der für das Bauwerk maximal zulässigen Windlastbemessung aus Gerüsten und Einhausungen sowie der maximal zulässigen Lasteinleitung aus allen Baubehelfen in das unter Verkehr stehende Bauwerk (einschließlich Stadtbahnverkehr) ergeben sich im Zuge der sehr umfangreichen Arbeiten inklusive komplettem Hängertausch statisch jeweils relevante Bauzwischenzustände. So muss z.B. die Querträgerverstärkung stahlbauseitig abgeschlossen sein, bevor die Kragarmbereiche eingerüstet werden können. Für alle Gewerke, insbesondere für den Gerüstbau, ergeben sich statisch, terminlich und bauablaufbezogen unter zusätzlicher Berücksichtigung der immer nur in Teilbereichen begrenzt möglichen Einhausungsabschnitte besondere Herausforderungen. Auch der definiert vorgegebenen Sperrpause der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) für den gesamten Mülheimer Brückenzug sind die Bauabläufe dezidiert unterzuordnen. Mit immerhin vier parallel zu bearbeitenden Brückenbauwerken - der Deich-, Flut- und Strombrücke sowie dem Mülheimer Rampenbauwerk - sind sehr umfangreiche Abbruch- und Instandsetzungsarbeiten auf engem Raum unter Beachtung von laufendem Individual-, Straßen- und Stadtbahnverkehr zu koordinieren. 1.3 Konstruktive Ausführung und statische Bemessung Die termingerecht durchgeführte Einrüstung der Brückenuntersicht ist statisch, konstruktiv und logistisch sehr anspruchsvoll und muss neben der Eignung für den schweren Korrosionsschutz vor allem die durchzuführenden Stahlbauarbeiten ermöglichen. Durch die vorgegebenen Lichtraumprofile für die Rheinschifffahrt und bezüglich der Hochwasserpegelvorgaben ergeben sich für die Gerüstkonstruktionen sehr begrenzte Bauhöhen. Bild 2: Eingerüstete Brückenuntersicht Bild 3: Eingerüstete Brückenuntersicht (Detail: Andienungsöffnung) Das Hängegerüst ist u.a. konstruktiv auf den Quertransport und den Einbau von werkstattseitig vorkonfektionierten Verstärkungsträgern zwischen den Brückenhauptträgern auszulegen. Diese geometrisch und statisch anspruchsvolle Vorgabe wurde im Hängegerüst bei Sicherstellung der Gerüstnutzlast durch die Unterbrechung der Gerüsthaupttragglieder mit Bauteilen geringerer Bauhöhe gelöst. Die so geometrisch als Quertransportweg über die gesamte Brückenlängsrichtung über dem Rhein nutzbare tiefer angeordnete Gerüstebene 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 91 Gerüststellungen für die Sanierung von Hängebrücken am Beispiel der Mülheimer Brücke Köln und der Rheinbrücke Emmerich ist auch für die jeweilige Stahlbaumontagesituation einschließlich Montagedrehpunkt für den Stahlbau nutzbar. Nach der Stahlbau-Querträger - Bauwerksverstärkung wird das Hängegerüst im Kragarmbereich außen neben den beiden Brückenhauptträgern erweitert. Auch hier ist den statisch möglichen Aufhängepunkten für die Lasteinleitung in den jeweiligen Bauzwischenzuständen besondere Aufmerksamkeit in Konstruktion und Nachweisführung zu widmen. Bild 4: Gerüstbauseitig vorbereiteter Kragarmbereich Die Pyloneinrüstungen einschließlich Querriegel sind neben der besonderen Grundriss- und Lasteinleitungsgeometrie auch montagetechnisch besonders anspruchsvoll. Aufgrund nicht vorgesehener Schutzmaßnahmen bei laufendem Straßen- und Stadtbahnverkehr wurde die Gerüstmontage am ersten Pylon mit unserer patentgeschützten, am Gerüst elektrohydraulisch selbstkletternden Schutzeinhausung durchgeführt. Alle Lasteinleitungen aus der Klettereinhausung, vor allem die Windlasten, sind statisch geprüft nachgewiesen. Bild 5: Systemschnitt A - A Pyloneinrüstung Bild 6: Systemschnitt E - E Querriegeleinrüstung Die Einrüstung und Einhausung der Tragkabel unter Berücksichtigung der Hängertauscharbeiten steht noch aus und wird im weiteren Zuge des Bauablaufs getaktet. Hierbei sind diverse Bauzwischenzustände statisch zu bewerten und sowohl Lasteinleitungen in den Brückenbestand als auch die Windlasten aus den diversen Einhausungsstellungen nachzuweisen. 2. Rheinbrücke Emmerich An der seit 2002 denkmalgeschützten Schrägseilbrücke wurden bei verschiedenen Bauwerksprüfungen im Laufe der Jahre massive Schäden festgestellt. Die Instandsetzungsmaßnahmen, die von der ARGE Rheinbrücke Emmerich ausgeführt und hier auszugsweise in Bezug auf Aufgabenstellung und Ausführung der erforderlichen Gerüstkonstruktionen beschrieben werden, erstrecken sich über mehrere Jahre. 2.1 Das Bauwerk Die nördlichste Rheinbrücke Deutschlands wurde 1965 eröffnet. Mit 803 m ist sie die längste Hängebrücke Deutschlands und hat mit 500 m Stützweite zudem die größte Stützweite einer Brücke in Deutschland. Die beiden Pylone sind mit zur Brückenachse geneigten Stielen, die jeweils über einen Querriegel miteinander verbunden 92 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Gerüststellungen für die Sanierung von Hängebrücken am Beispiel der Mülheimer Brücke Köln und der Rheinbrücke Emmerich sind, 76,70 m hoch. Beide Tragkabel, bestehend aus 61 Einzelseilen, weisen einen Kabeldurchhang von gut 55 m zwischen Pylon und Brückenmitte auf. Die Hänger tragen mit einem Abstand von 15,15 m den knapp 23 m breiten Überbau. Bild 7: Ertüchtigung der Rheinbrücke Emmerich 2.2 Aufgabenstellung Instandsetzung Rheinbrücke Für die Stahlbau- und Korrosionsschutzarbeiten müssen u.a. die Pylone sowie die Hänger und Tragkabel jeweils einschließlich der Einhausungen zugänglich sein. Besonders sorgfältig bezüglich der Konstruktion und Nachweisführung der Baubehelfe ist auf die Hängertauscharbeiten zu achten. Dies gilt sowohl in Bezug auf die Geometrieanforderungen für den Aus- und anschließenden Neueinbau der Hänger, Bauzwischenzustände, uneingeschränkte Zugänglichkeit bei parallel verlaufenden Korrosionsschutzarbeiten mit geschlossener Einhausung als auch bezüglich Umverankerungen. Aufgrund teilweise beschädigter Bestandshänger und einer statisch bedingt generellen Hängertauschfolge bezogen auf den gesamten Überbau sind die Gerüstbauarbeiten zwingend der Taktung Hängertausch folgend zu konzipieren. Unter Beachtung der darüber hinaus durch den Bauherrn vorgegebenen maximal zulässigen Windlastbemessung durch die Einhausungen sind die gesamten Bauablaufbausteine terminlich, statisch und geometrisch sorgfältig zu planen. Planer / Bauherr haben diverse Schutzdächer über und unter dem Brückendeck ausgeschrieben. Für eine jederzeit und in allen Bauzwischenzuständen und Bauablaufphasen über laufendem Verkehr sichere Baustelle werden über dem Brückendeck im Bereich beider Pylone einschließlich Querriegel zwei große Schutzdachkonstruktionen erforderlich, die auch die Pylongerüste in den Baubestand abtragen. Bild 8 und 9: Montage der Schutzdächer über Brückendeck 2.3 Konstruktive Ausführung und statische Bemessung Die Arbeitsabläufe werden gemeinsam und in enger Abstimmung der ARGE-Partner untereinander minutiös getaktet. Die kurzen Hänger werden in Abhängigkeit ihrer Länge mittels Mobilkran von oben aus- und wieder eingebaut, die langen Hängerseile mit Windentechnik. Vor- und nachlaufende Korrosionsschutzarbeiten, die jederzeit zusätzlich auch parallel zum Hängertausch im Schutz von Einhausungen am Tragkabel durchgeführt werden müssen, werden durch mehrfache Umverankerung der Gerüstkonstruktionen begleitet. Die Einrüstung der Tragkabel erfolgt mit auf dem Brückendeck vormontierten Gerüsteinheiten, die mittels Windentechnik sowohl hochgezogen als auch bezüglich genauer Positionierung parallel zum Tragkabel eingestellt werden. Diese jeweiligen Gerüstbrücken werden im Stoßbereich mit speziellen statisch-konstruktiven Verbindungen untereinander gekoppelt. Der durch die Tragseilgeometrie bedingt erforderliche Neigungsausgleich erfolgt ebenfalls im Stoßbereich. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 93 Gerüststellungen für die Sanierung von Hängebrücken am Beispiel der Mülheimer Brücke Köln und der Rheinbrücke Emmerich Die Tragseileinrüstung erhält doppelte, direkt übereinander angeordnete Arbeits- und zusätzliche Schutzgerüstböden, um eine effektive, wirtschaftliche und jederzeit sichere Strahlschuttentsorgung zu gewährleisten. Bild 10: Gerüstkonstruktion für Tragkabel Die statisch maximal mögliche Länge der Einhausungen ausnutzend, werden diese jeweils präzise an den Bauablauf und die Zwischenbauzustände angepasst umgesetzt. Die Umsetzung der Einhausungen erfolgt verfahrbar auf dem Kopf der Gerüstkonstruktion, die der konkav verlaufenden Tragseilgeometrie folgt. Diese geometrisch anspruchsvollen Verfahrwege erfordern eine besondere Montage- und Umsetztechnologie, die dabei zugleich erhebliche Zeit- und auch Kostenvorteile für das Bauvorhaben verschafft, denn es fallen keine Kraneinsätze bzw. -kosten an. Außerdem entfällt die wiederholte, zeitaufwendige Demontage in Einzelteile und anschließende wiederum aufwendige Remontage. Dies ist insbesondere aufgrund der sehr kleinteilig zulässigen Einhausungsabschnitte für die Termintaktung der einzelnen Gewerke und den generellen Bauablauf sehr wichtig. Die Einrüstung der Pylone einschließlich Querriegel erscheint im Vergleich zur Aufgabe der Tragkabeleinrüstung weniger aufwendig. Dennoch erfordert eine sichere und gleichzeitig wirtschaftliche Durchführung bei statisch präziser Nachweisführung eine gute, detaillierte Vorbereitung in Konstruktion, Arbeitsvorbereitung und Montage. Durch die parallel zur Pylonneigung angeordneten Gerüstkonstruktionen werden bei minimalen Windangriffsflächen und störkantenfrei durchgängig optimalen Einhausungslinien für alle Gewerke sehr gute Arbeitsplatzbedingungen innerhalb der Einhausungen erreicht. Bild 11: 3-D - Ansicht Pylon 94 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Gerüststellungen für die Sanierung von Hängebrücken am Beispiel der Mülheimer Brücke Köln und der Rheinbrücke Emmerich Bild 12: Systemschnitte Pylon und Querriegel Bild 13: Aufsicht auf die Gerüstkonstruktionen an Tragkabeln bis zum Pylonkopf Bild 14: Arbeits- und Schutzgerüste an Pylonen, Querriegeln und Tragkabeln Das detailliert ausgearbeitete Flucht- und Rettungskonzept berücksichtigend erfolgt die permanente Sicherstellung der Höhenrettung durch besonders ausgebildete Gerüstbauer, die durchgehend während der gesamten Bauzeit auf der Baustelle vor Ort sind. Bild 15: Durchführung von Rettungsübungen 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 95 Ersatzneubau von drei Autobahnbrücken im Zuge der A1 in NRW - Bestandsuntersuchungen zum Erhalt der Unterbauten, dem ingenieurmäßigen Rückbau und für die bauzeitliche Verkehrsführung Dipl.-Ing. Friso Friese und Dipl.-Ing. Ines Nordhaus DEGES Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH Zimmerstraße 54 10117 Berlin 1. Vorbemerkungen Das gestiegene Verkehrslastaufkommen und die vorliegende Altersstruktur der Brückenbauwerke führen in Deutschland zu zahlreichen Modernisierungsmaßnahmen im Bundesautobahnnetz. Im Zuge der A1 in Nordrhein-Westfalen zwischen den Anschlussstellen AS Hagen/ Nord und AS Wuppertal/ Langenfeld werden 3 Ersatzneubauten von Talbrücken durch die DEGES realisiert. Dabei wurden auf Grund der vorhandenen Bauwerkssubstanz und der örtlichen Randbedingungen 3 unterschiedliche Herangehensweisen als Vorzugslösung festgelegt, geplant und ausgeschrieben. Alle 3 Maßnahmen befinden sich derzeit in der Bauausführung. Bild 1 - Blick auf das gerodete Baufeld der Talbrücke Volmarstein vor dem Brückanabbruch Die Talbrücke Volmarstein wurde 1959 als doppelzelliger Spannbetonhohlkasten mit einer Gesamtlänge von 315 m über 11 Felder errichtet. Die Brücke liegt in einer schwer zugänglichen Hanglage. 96 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ersatzneubau von drei Autobahnbrücken im Zuge der A1 in NRW Bild 2 - Ersatzneubau Talbrücke Volmarstein, Widerlager und Pfeilerachsen werden versetzt Die Modernisierung erfolgt als vollständiger Ersatzneubau, die neuen Widerlager- und Pfeiler sind gegenüber den alten Standorten versetzt, so dass der Ersatzneubau ohne örtliche Konflikte mit den Bestandsgründungen errichtet werden kann. Untersuchungen am Bestandsbauwerk waren hier insbesondere für die bauzeitliche Verkehrsführung (4+0) auf dem alten Überbau erforderlich. Bild 3 - Die Schwelmetalbrücke im Stadtgebiet von Wuppertal vor Baubeginn Die Schwelmetalbrücke wurde 1960 als 2-zelliger Spannbetonhohlkasten mit einer Gesamtlänge von 207 m errichtet. Die 3-feldrige Brücke befindet sich unmittelbar an der Anschlussstelle Wuppertal-Langenfeld im Stadtgebiet und überführt die A1 u.a. über eine 5-gleisige, elektrifizierte Bahntrasse und die Bundesstraße 7. Seit dem Jahr 2006 besteht die Brücke aus 4 Teilbauwerken, die Brücken aus dem Jahr 1960 wurden von neuen Verbundhohlkastenbrücken umschlossen. Bild 4 - Ersatzneubau Schwelmetalbrücke, Widerlager und Pfeilergründungen bleiben erhalten Eine Modernisierung ist nur für die älteren, inneren Bauwerke notwendig. Auf Grund dieser komplizierten Randbedingungen wurden hier für den Ersatzneubau die Standorte der neuen Pfeiler und Widerlager beibehalten, wobei die Widerlager sowie die vorhandenen Brunnengründungen der Pfeiler weitergenutzt werden. Der Rückbau des Überbaus erfolgt unter Zuhilfenahme der Stahlträger für den neuen Überbau, die in dieser Phase als Traggerüst dienen. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 97 Ersatzneubau von drei Autobahnbrücken im Zuge der A1 in NRW Bild 5 - Die Brücke Hengstey am nahegelegenen Stausee vor Baubeginn Die Brücke Hengstey wurde 1960 als Spannbetonplattenbalkenbrücke mit einer Gesamtlänge von 88 m errichtet, 1980 wurde die Brücke im Zuge des Ausbaus der Autobahn mit einem Spannbetonhohlkörperträger beidseitig verbreitert. Das 37 m lange Hauptfeld führt die A1 über 8 elektrifizierte Bahngleise, die Randfelder über zwei lokale Straßen. Bild 6 - Ersatzneubau Brücke Hengstey, Widerlager und Pfeilerscheiben bleiben erhalten Der Überbau wird bei gleicher Querschnittsbreite komplett erneuert. Die Widerlager und die Pfeilerscheiben können erhalten bleiben, wofür umfangreiche Untersuchungen durchgeführt wurden. 2. Talbrücke Volmarstein: Untersuchungen für die Einrichtung des 4+0-Verkehrs Der Nachweis des 4+0-Verkehrs erfolgt im Regelfall durch eine Nachrechnung, die mindestens eine Brückenklasse 60 nach DIN 1072 ausweist. Des Weiteren ist die bisherige Mittelkappe zu einem bauzeitlichen Randabschluss umzubauen. Bei der Talbrücke Volmarstein konnte in der Nachrechnung die Brückenklasse 60 bestätigt werden. Jedoch ging aus den Bestandsunterlagen hervor, dass an der Fahrbahnplatte in der Vergangenheit erhöhte Chloridwerte nachgewiesen wurden. Die Unsicherheit über den potentiellen Schädigungsgrad hat eine Untersuchung notwendig gemacht. 98 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ersatzneubau von drei Autobahnbrücken im Zuge der A1 in NRW Bild 7 - Spannstahlbruchortung mit Magnetremanenzverfahren bei nächtlicher, halbseitiger Verkehrssperrung An Stelle einer punktuellen Untersuchung wurde das Magnetremanenzverfahren zur flächendeckenden Spannstahlbruchortung angewendet. Dabei wurde das 315 m lange Bestandsbauwerk in zwei nächtlichen Einsätzen unter Sperrung jeweils einer Brückenhälfte mit einem Spezialfahrzeug detektiert. Die Detektion konnte einwandfrei durch die bestehende Asphaltdecke erfolgen, was eine schnelle Ausführung ermöglichte. Bild 8 - Spannstahlbruchortung (Systembild) Im Ergebnis zeigte sich für die Talbrücke Volmarstein nur im sehr geringen Maße und lokal eingegrenzte Schäden an Bewehrungs- und Spannstahl, so dass auf eine Öffnung der detektierten Schäden verzichtet werden konnte. Bei größeren Schädigungsbereichen ist es ratsam, diese Stellen im Nachgang zu öffnen und zu untersuchen. Für ein Untersuchungskonzept im Hinblick auf Spannstahlbrüche sind daher lokale Öffnungen im Nachgang der Detektion einzuplanen. Bild 9 - für die Talbrücke Volmarstein gewählter Randabschluss mit Super-Rail BW Mit den positiven Ergebnissen der Spannstahlbruchortung konnte die Standsicherheit der Fahrbahnplatte in Querrichtung nachgewiesen werden. Damit konnte auch der Randabschluss wie vorgesehen ausgebildet werden. Eingesetzt wurde eine Stahlschutzplanke Super Rail BW entsprechend der Systemzulassung. Die Auswahl der passiven Schutzeinrichtung ist stets in Zusammenarbeit mit der bauzeitlichen Verkehrsplanung und der Systemwahl im Streckenbereich zu treffen. Eine Produktausschreibung kann demzufolge begründet, muss aber sorgsam durchdacht werden. Nach Umbau der Randkappe konnte der bauzeitliche 4+0-Verkehr eingerichtet werden. Mittlerweile läuft der Verkehr bereits 6-streifig auf dem ersten fertiggestellten Teilbauwerk. 3. Schwelmetalbrücke: Untersuchungen für den Erhalt der Gründungen und Widerlager Während die massiven Widerlager unter Erneuerung der Auflagerbänke erhalten bleiben können, ist ein Erhalt der als Pendelstützen ausgebildeten Pfeiler nicht möglich. Da der Neubau als Stahlverbundkonstruktion erfolgt, nehmen die Gründungslasten gegenüber dem Bestand 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 99 Ersatzneubau von drei Autobahnbrücken im Zuge der A1 in NRW nicht zu. Da weiterhin in den Bereichen zwischen Bahn, Schwelme und Straßenverkehrswegen wenig Platz für Spezialtiefbaugeräte zur Verfügung steht, wurde unter Berücksichtigung von Bauteiluntersuchungen ein Ertüchtigungsverfahren für die Bestandsgründung entwickelt. Bild 10 - die ertüchtigten Bestandsgründungen des Neubauteils zwischen den äußeren Rampenbauwerken, abgeleitet aus BIM-3DModell Die Bestandsgründungen bestehen aus Brunnenringen, die in einer offenen Baugrube bis zum Felshorizont hergestellt und dann im unteren Bereich mit Magerbeton und im oberen Bereich mit unbewehrtem Konstruktionsbeton aufgefüllt wurden. Die offene Baugrube wurde mit den Mitteln der damaligen Zeit rückverfüllt. Über den Brunnenringen wurde eine Pfahlkopfplatte errichtet um die Pendelstützen aufstellen zu können. Bild 11 -Bestandsgründungen der Pfeilerachsen Schwelmetalbrücke Zur Weiternutzung der Bestandsgründungen wurde ein Untersuchungsprogramm aufgestellt. Mit einem Sondierbohrgerät wurde unter dem Oberboden zunächst die bestehende Pfahlkopfplatte durchbohrt, darunter die mit Konstruktionsbeton aufgefüllten Brunnenbereiche, darunter die mit Magerbeton aufgefüllten Brunnenbereiche bis der Felshorizont erreicht war. Zudem wurden um die Brunnenringe Drucksondierungen durchgeführt, um die horizontale Steifigkeit abschätzen zu können- Bei der Bohrsondierung in den Brunnenringen erwies sich der Übergang zwischen Konstruktionsbeton und Magerbeton als trügerisch. In einem ersten Bohrverfahren wurde die Sondierung mit einem Einfachkernrohr durchgeführt. Die einfache Bohrkrone zermalmte im Zusammenhang mit dem Bohrwasser den Magerbeton, so dass dieser in der Kernkiste als sandiges Material in Erscheinung trat. Da der Bohrführer die Anweisung hatte, bis zur Unterkante Gründung zu bohren wurde die Bohrung hier abgebrochen und zunächst eine Gründung auf lockeren Sanden angenommen. 100 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ersatzneubau von drei Autobahnbrücken im Zuge der A1 in NRW Bild 12 -Beide Sondierungsbohrungen sind ca. 50 cm versetzt im gleichen Brunnenrohr erfolgt. Die linke Bohrung mit Einfachkernrohr zerbohrte den Magerbeton bis zur Unkenntlichkeit Die rechte Bohrung mit Doppelkernrohr ließ Druckfestigkeitsuntersuchungen der Proben bis zur Festigkeit 29,7 MPA zu In der Diskussion dieser Ergebnisse und dem erneuten Studium der Bestandspläne wurde der Fehler erkannt und eine erneute Sondierung mit Doppelkernrohr durchgeführt. Auf die Gefahr des Zerbohrens von Felsmaterial in Übergangsbereichen wird im Merkblatt zur Qualitätssicherung bei der geotechnischen Erkundung MQGeoE hingewiesen und eine Sondierung mit Doppelkernrohr empfohlen. Mit diesem Verfahren konnten letztendlich ungestörte Magerbetonproben gezogen werden, an denen im Betonprüfstand Festigkeiten von bis zu 29,7 MPA nachgewiesen wurden. Trotz der guten Ergebnisse der Sondierungen mit Doppelkernrohr wurde eine Verstärkung der Brunnengründungen mit Mikropfählen ausgeschrieben und wird derzeit ausgeführt. Damit werden letzte Zweifel an der Materialbeschaffenheit beseitigt, es verbleibt eine sehr viel wirtschaftlichere und raumsparende Gründungslösung, als eine Neugründung mit Großbohrpfählen. Da die Umgebung der Ringe in den 50er Jahren wahrscheinlich ohne Verdichtung mit dem örtlich anstehenden Felszersatz verfüllt wurden, werden diese Bereiche zusätzlich mit Zementsuspension ertüchtigt. Bild 13 - Widerlagerrückansicht der verstärkten Widerlagerscheiben abgeleitet aus BIM-3DModell Die neu zu schaffenden Auflagerbänke werden mit Injektionsdübeln mit den bestehenden Widerlagerscheiben verbunden. Zusätzlich werden die Auflagerbänke mit Mikropfählen rückverankert. Damit kann auf einen Ersatzneubau der Widerlager verzichtet werden. Dies hat auf die bauzeitliche Verkehrsführung und die Sicherheit des Autobahnverkehrs sowie die Gesamtbauzeit einen erheblichen und günstigen Einfluss. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 101 Ersatzneubau von drei Autobahnbrücken im Zuge der A1 in NRW Bild 14 - nach Öffung mit HDW festgestelltem Verpressfehler an einem stark geneigten Spannglied der Schwelmetalbrücke Die Abbruchplanung der Schwelmetalbrücke machten weitere Materialuntersuchungen notwendig, da der tatsächliche Verpresszustand der Spannglieder unbekannt war. Daher wurde nach Verkehrsumlegung die Spannglieder bereichsweise mit Hochdruckwasserstrahlen (HDW) freigelegt und die Hüllrohre geöffnet. Im Ergebnis wurde hierbei überwiegend ein vollständiger Verpresszustand detektiert, in stark geneigten Bereichen wurden jedoch lokale Verpressfehler festgestellt. Dennoch konnten mit diesen Ergebnissen die Rückbauzustände statisch nachgewiesen werden. 4. Brücke Hengstey: Untersuchungen für den Erhalt der Pfeilerscheiben Für die Pfeilerscheiben der Brücke Hengstey wurde seitens der DB AG trotz relativ naher Gleislage der Bestandsschutz festgestellt. Ein Neubau dieser Pfeilerscheiben müsste in einem weiteren Abstand zu den Gleisen erfolgen, was sowohl Auswirkungen auf die bahnparallel unterführten Kommunalstraßen und auf die Stützweitenverhältnisse und somit auf die Bestandswiderlager hätte. Zudem müsste bei einem Neubau der Pfeilerscheiben die gleisparallele Bahntechnik erheblich umgebaut werden. Daher war es das Ziel, die Pfeiler- und Widerlagerscheiben zu erhalten. 102 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ersatzneubau von drei Autobahnbrücken im Zuge der A1 in NRW Bild 15 - Die Brücke Hengstey auf massiven Widerlagerscheiben vor Baubeginn Die massive Ausbildung der Pfeiler und Widerlager mit großformatiger Verblendung wurde bei der beidseitigen Erweiterung in den 80er Jahren aufgegriffen, so dass ein äußerst robuster Gesamteindruck der Unterbauten besteht. Dennoch wurden sämtliche Bereiche der aufgehenden Wände und auch der Gründungen aufwändig erkundet um die Weiterverwendung der Bauteile für die Lebensdauer des neuen Überbaus sicher zu stellen. Überraschend war, dass entgegen der Bestandszeichnungen in den älteren Pfeilerbereichen keine Bewehrung angetroffen wurde. Die Bauform der mittleren Pfeilerbereiche stellte sich als zwischen den Verblendsteinen lageweise betonierter Brückenpfeiler heraus. Gemäß der durchgeführten statischen Berechnung, die im Abstimmungsprozess auch dem Eisenbahnbundesamt vorgelegt werden musste, ergab sich unter Vernachlässigung der eigentlich mittragenden Verblendung eine statische Ausnutzung von nur 1,95 N/ mm². Zudem entsteht unterhalb der Auflagerbank nie eine klaffende Fuge. Demgegenüber ergaben die an den Bohrkernen durchgeführten Druckfestigkeitsproben die charakteristische Festigkeit eines C16/ 20. Mit dieser nachgewiesenen Druckfestigkeit war der Einsatz von Injektionsdübeln zur Verbindung zwischen neuer Auflagerbank und bestehenden Pfeilerscheibe möglich. Geringere Betonfestigkeiten wären zwar statisch unproblematisch, durch die Zulassungsbescheide der Dübelhersteller jedoch nicht regelkonform abgedeckt. Die Widerlager werden entsprechend der Brücke Schwelmetal mit Mikropfählen verstärkt, deren Ankerkopf im Bereich der neu zu schaffenden Auflagerbänke problemlos untergebracht wird. Bild 16 - Beim Schneiden der Brücke Hengstey zeigt sich ein guter Verpresszustand der Spannglieder, der anzusetzende Verbundkraft soll duch Versuche festgestellt werden. Bei der Brücke Hengstey werden an den bereits rückgebauten Bauwerksteilen für die Spannglieder Ausziehversuche durchgeführt, um festzustellen welche Spannkraft nach Durchschneiden der Spannstähle ansetzbar ist. Die hier gewonnenen Erkenntnisse sollen die weiteren Rückbauplanung einfließen. 5. Fazit Das Modernisierungsprogramm des Brückenbestandes in Deutschland setzt überwiegend auf den vollständigen Ersatzneubau von Brücken. In bestimmten Fällen bietet jedoch der Erhalt, insbesondere der Unterbauten bzw. der Gründungen erhebliche Vorteile. Dabei sind wirtschaftliche Betrachtungen in Bezug auf das konkrete Bauteil nur ein Teilaspekt. Weitere Aspekte sind die positiven Auswirkungen auf Verkehrsführungen und die Bauzeit im Zusammenhang mit der Vermeidung großer Baugruben und Verbauten sowie Eingriffen in den unterirdischen Bauraum. Dazu sollte bei der Erkundung, Planung und bauaufsichtlichen Abstimmung im Vorfeld umfangreich investiert werden. Eingehende Untersuchungen und Nachrechnungen des Bestands mit gutachterlichen Stellungnahmen im 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 103 Ersatzneubau von drei Autobahnbrücken im Zuge der A1 in NRW Zuge der Bauvorbereitung sind erforderlich, um in den Schritten der Bauvergabe und Baudurchführung die bautechnischen und bauzeitlichen Vorteile des Bestandserhalts sicher umzusetzen. Eine eingehende Nachrechnung mit Bestandsuntersuchung ist bei größeren Bauwerken weiterhin stets erforderlich, da der 4+0-Verkehr nachgewiesen werden muss und mindestens beim Umbau der Mittelkappe als bauzeitliche Randkappe Baumaßnahmen am Bestand notwendig sind. Daher sollte bereits zur Variantenuntersuchung eine eingehende Nachrechnung mit begleitendem Untersuchungsprogramm erfolgen. Die Varianten Ertüchtigung, Erneuerung des Überbaus beim Erhalt der Unterbauten und vollständiger Ersatzneubau können je besser abgewogen werden, je mehr über den Bestand bekannt ist. Der Nachweis von Abbruchzuständen ist in der Bauvorbereitung nur eingeschränkt möglich, da die Ausführungsplanung meist der beauftragten Firma obliegt und nach Verkehrsumlegung kurz vor Abbruch viel einfacher genauere, zerstörende Prüfverfahren angewendet werden können. Werden beim Abbruch Bauwerksteile zerstörend untersucht, sollten die Ergebnisse zum projektspezifischen und zum allgemeinen Erkenntnisgewinn ausgewertet werden. Die Ersatzneubauten im Zuge der A1 der Brücken Volmarstein, Schwelmetal und Hengstey sind Beispiele wie durch umfangreiche Bestandserkundung und der gezielten und vollkommen unterschiedlichen Art des Bestanderhalts Planrecht, Bautechnik und Bauzeit optimiert werden konnten. 6. Projektdokumentation Die DEGES begleitet die Ersatzneubaumaßnahmen an der A1 mit einer umfangreichen Projektdokumentation. Zahlreiche Hintergrundinformationen, Bilder und Videos sind zu finden unter: https: / / www.deges.de/ projekte/ Innovative Bauverfahren 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 107 Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen Christian Knorrek Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, Deutschland Sven Bosbach Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, Deutschland Zusammenfassung Im Rahmen eines durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie geförderten Forschungsvorhabens wurden am Institut für Massivbau (IMB) der RWTH Aachen in enger Zusammenarbeit mit der Firma Nesseler Bau GmbH theoretische und experimentelle Untersuchungen durchgeführt und ein neuartiges Konzept für ein modulares Baukastensystem aus Betonfertigteilen entwickelt. Die entwickelte Systembrücke ermöglicht die Realisierung von ein- und zweifeldrigen Brücken mit Spannweiten bis 50 m und besteht überwiegend aus Betonvollfertigteilen mit nur geringem Einsatz von Ortbeton und Vergussmörtel, sodass die bei konventioneller Ortbetonbauweise übliche Bauzeit von 12 bis 15 Monaten bei der neuartigen Baukastenbrücke auf unter 100 Tagen reduziert wird. Im Zuge der Konzeptentwicklung wurden umfangreiche experimentelle Untersuchungen zu den verschiedenen Detailpunkten der entwickelten Konstruktionen und möglichen Herstellmethoden in Klein- und Großversuchen durchgeführt. Zusätzlich wurde eine vollständige statische Bemessung des Gesamtbauwerks mit allen Bau- und Endzuständen angefertigt und ein Verkehrsführungskonzept für die Bauphase entwickelt. Diese optimierte modulare Systembrücke erfüllt somit alle technischen Anforderungen und wurde bereits experimentell erprobt. In der nächsten Phase sollen die großen Vorteile des entwickelten Gesamtkonzeptes in einem Pilotprojekt bestätigt werden. 1. Einleitung In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Anforderungen an Brückenbauwerke im Bestand aufgrund stark gestiegener Verkehrsaufkommen insbesondere durch größere Fahrzeuggesamtgewichte und steigende Achslasten im Güterverkehr deutlich erhöht und werden sich in den nächsten Jahren weiter verschärfen [1] - [3]. Nach aktuellen Untersuchungen muss deshalb in den nächsten Jahren eine große Anzahl der Brückenbauwerke Deutschlands saniert oder erneuert werden, um die jetzige Funktionalität der Verkehrswege zu erhalten. Um die Verkehrsbeeinträchtigungen durch Baumaßnahmen möglichst gering zu halten, sind besonders kurze Bauzeiten bei der Herstellung von Er-satzneubauten sinnvoll. Ein Lösungsansatz, der dieses Ziel verfolgt, ist die Nutzung von modularen Baukastensystemen, um tragfähige Brückenkonstruktionen mit kurzer Bau-/ Montagezeit zu realisieren und dadurch die Beeinträchtigungen des Verkehrs durch Sperrungen von Straßen und Autobahnen zu minimieren. Neben klassischen Stahlbetonlösungen bietet der Einsatz von neueren Materialen wie Hoch-leistungsbetonen oder nichtmetallischen Bewehrungen für die Fertigteile weitere Möglichkeiten. Durch die modulare Bauweise aus Fertigteilen mit nichtmetallscher Bewehrung und Hochleistungsbetonen können so besonders effiziente und qualitativ hochwertige Lösungen für schlanke Konstruktionen mit verkürzter Bauzeit und verbesserter Dauerhaftigkeit erreicht werden [4]. Im europäischen Ausland und Nordamerika wurde die Entwicklung der modularen Bauweise für Brücken-bauwerke in den letzten Jahren stark vorangetriebene und kommt inzwischen häufig zum Einsatz. Auch Fertigteilträger aus hochfestem bzw. ultrahochfestem Beton, die größere Spannweiten ermöglichen, wurden bereits ausgeführt [5], [6] (Bild 1 und 2). 108 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen Bild 1: Montage von Spannbetonfertigteilen für eine Brücke aus hochfestem Beton [6] Bild 2: Fahrbahnplatte aus UHPC-Fertigteilträgern vor UHPC-Fugenverguss [7] Der Einsatz von Spannbetonfertigteilen aus UHPC stellte hierbei insbesondere bei der Überquerung bestehender Verkehrsstrecken eine wirtschaftliche Lösung dar [5]. Nichtmetallische Vorspannung spielt dabei ebenfalls eine immer wichtigere Rolle und wird in den USA inzwischen häufiger verwendet. Im Jahr 2001 wurde beispielsweise die erste mit carbonfaserverstärktem Kunststoff (CFK) vorgespannte mehrfeldrige Straßenbrücke Bridge Street Bridge (Bild 3) in Michigan errichtet. Bild 3: Mit CFK vorgespannte Bridge Street Bridge in Southfield, Michigan [10] Es bestehen somit positive Langzeiterfahrungen mit Spannbetonfertigteilbrücken aus Stahlbeton und neuartigen Hochfesten Materialen [8],[9]. Diese Erfahrungen zeigen bereits, dass durch die Anwendung korrosionsbeständiger Hochleistungswerkstoffe eine höhere Lebensdauer für Brückenbauwerke mit niedrigen Folgekosten bei gleichzeitig kurzen Montagezeiten erreicht werden kann. In Deutschland ist, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, der Einsatz von Fertigteilen im Brückenbau bisher stark reglementiert. Die Forschung in diesem Bereich wird mittlerweile aber verstärkt ausgebaut und erste Pilotprojekte konnten bereits realisiert werden oder befinden sich zurzeit in der Bauphase. Zwei dieser innovativen Pilotprojekte sind beispielsweise die Bausteinbrücke Hammacherstraße über die A46 in Hagen (Bild 4) oder die Segmentbrücke Speelbergerstraße bei Emmerich über die A3 [11]. Bild 4: Bausteinbrücke Hammacherstraße über die A46 in Hagen [11] 2. Entwurf einer modularen Baukastenbrücke Ziel des Forschungsprojektes war die Entwicklung eines modularen Baukastensystems mit eigenem Bemessungskonzept zur Herstellung von Spannbetonbrücken aus Fertigteilen unter Berücksichtigung moderner Hochleistungsbetone und Vergussmörtel, die für den Einsatz im deutschen Brückenbau geeignet sind. Hierzu wurden zunächst die Anforderungen an ein solches Brückenkonzept und sinnvolle geometrische und materielle Randbedingungen definiert, um einen späteren ökonomischen Einsatz für alle Beteiligte sicherzustellen. Die Kategorie der Ein- und Zweifeldbrücken mit einer Gesamtlänge von 2 - 50 m stellt einen Großteil der Bestandsbauwerke der Bundesfernstraßen dar [13], [14] (Bild 5). Zur schnellen Erstellung von Ersatzbauwerken unter Verkehr bietet sich für diese Stützweiten insbesondere die Verwendung von Fertigteilen an, da hier mit einer großen wiederkehrenden Anzahl von Konstruktionsdetails zu rechnen ist und dies somit die Entwicklung einer modularen Segmentbrücke wirtschaftlich sinnvoll macht. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 109 Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen Bild 5: Verteilung Brückenlängen im Bundesfernstraßennetz [14] Mit Spannweiten von bis zu 50 m können 6streifige Autobahnen ohne Mittelunterstützung zwischen den Richtungsfahrbahnen überbrückt werden. Durch eine schnelle Montage von Fertigteilbrücken wird die Beeinträchtigung des umgebenden Verkehrs insbesondere beim Ausbau von bestehenden Straßen minimiert. Neben dem Brückenneubau bieten sich Spannbetonfertigteile daher auch zum Ersatz von Bestandsbauwerken an, die zur Aufnahme der steigenden Verkehrslasten nicht geeignet oder aufwendig zu verstärken sind. Durch den möglichen Wegfall einer Mittelunterstützung werden zum einen Kosten für die Lagerkonstruktionen und zur Herstellung der Durchlaufwirkung reduziert und zum anderen die Flexibilität in der Verkehrsführung erhöht. Der Entwurf der neuartigen modularen Segmentbrücke wurde somit als einfeldrige Rahmenbrücke mit Stützweiten bis 50m konzipiert, um die Bauzeit und die Verkehrsbehinderungen möglichst gering zu halten. Um die Bauzeit noch weiter zu reduzieren, sollten die Widerlager der Brücke ebenfalls aus Fertigteilen errichtet und ein Bauablauf konzipierte werden, der mit möglichst wenigen Sperrungen und Verkehrsumlegungen durchführbar ist. Als Ziel wurde festgelegt, eine Bauzeit von unter 100 Kalendertagen für einen Ersatzneubau inklusive Abriss der vorhandenen Brücke zu realisieren. Eine weitere Anforderung an das entwickelte Konzept war der Einsatz von möglichst großen Vollfertigteilen, um die Fugenanzahl zu minimieren. Gleichzeitig sollte der Transport der einzelnen Fertigteile zur Baustelle mit einer möglichst geringen Anzahl von Sondertransportgenehmigungen auskommen. Dazu wurde das Gewicht der einzelnen Fertigteile auf maximal 40 t ausgelegt, hiervon ausgenommen sind lediglich die Brückenlängsträger des Überbaus. Die Anforderungen machten die Anwendung von hochfesten oder ultra-hochfesten Betonen unabdingbar, da sich mit diesen hochfesten Materialien schlanke Fertigteile ausführen lassen, die ein vertretbares Montagegewicht und eine hohe Tragfähigkeit aufweisen. Gleichzeitig ist aufgrund der im Vergleich zu üblichem Betonen geringeren Porosität eine erhöhte Dauerhaftigkeit zu erwarten. Ein hochfester Beton der Festigkeitsklasse C80/ 95 stellte sich dabei als besonders geeignet heraus. Dieser Beton erfüllt alle Anforderungen an die notwendige Tragfähigkeit und ist außerdem noch als Transportbeton für die späteren Betonergänzungen auf der Baustelle erhältlich. Die Erfahrungen aus vorangegangenen Pilotprojekten [11] zeigten bereits, dass die Herstellung der Rahmenecke zwischen Widerlager und Überbau bei Segmentbrücken von zentraler Bedeutung für die Gesamtkonstruktion ist und besonderes Augenmerk auf die Einhaltung von Maßgenauigkeit der Fertigteile für den reibungslosen Herstellungsprozess gelegt werden muss. Daher war eine weitere Zielvorgabe für das entwickelte Konzept eine einfache Ausbildung der Rahmentragwirkung und die Schaffung von Ausgleichsmöglichkeiten innerhalb der Konstruktion, um mögliche Toleranzen, die sich aufgrund von örtlichen Abweichungen auf der Baustelle ergeben, ausgleichen zu können. Die zuvor definierten Anforderungen und Randbedingungen für das entwickelte Konzept lassen sich auf folgende Punkte zusammenfassen: • Einfeldrige Rahmenbrücke aus Spannbeton (Spannweiten < 50 m) • Überbau und Unterbauten aus Fertigteilen • Bauzeit < 100 Tage, Verkehrsbehinderung möglichst minimieren • Möglichst große Vollfertigteile, Fugenanzahl minimieren • Robustere Toleranzen vorsehen • Einfache Ausbildung der Rahmentragwirkung • Maximales Transportgewicht der Fertigteile möglichst < 40 t • Einsatz von hochfestem Beton C80/ 95 Anhand dieser Kriterien wurde eine modulare einfeldrige Systembrücke mit Spannweiten bis 50 m entwickelt, die überwiegend aus Betonvollfertigteilen mit nur geringem Einsatz von Ortbeton und Vergussmörtel besteht, sodass die übliche Bauzeit von 12 bis 15 Monaten bei konventioneller Ortbetonbauweise auf unter 100 Tagen reduziert wird. In Bild 6 ist ein Modell der geplanten Systembrücke im Bauzustand abgebildet. 110 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen Bild 6: Modell der entwickelten einfeldrigen modularen Segmentbrücke aus Betonfertigteilen Die Fundamente und aufgehenden Wände der Widerlager bestehen dabei aus gefügten Vollfertigteilen, welche horizontal und vertikal mit Gewindestangen ohne Verbund miteinander verspannt werden. Für die Fugen zwischen den Widerlagerfertigteilen wurde eine neuartige Kombination aus Nass- und Trockenfugen entwickelt, um einen kraftschlüssigen und wasserdichten Verbund zwischen den Fertigteilen sicherzustellen. Der Überbau wurde als vierstegiger Plattenbalken konzipiert (Bild 7). Die Längsträger bestehen dabei jeweils aus einem Spannbetonfertigteilträger mit einem Gewicht von jeweils ca. 70 t. Die Vorspannung der Längsträger erfolgt über Spannglieder im nachträglichen Verbund. 75% der erforderlichen Vorspannkraft werden dabei bereits im Werk aufgebracht. Die restliche Vorspannung erfolgt auf der Baustelle während der schrittweisen Montage der Fahrbahnplatten. Die Fertigteile der Fahrbahnplatten wurden ohne Längsfugen geplant und die Fugen in Querrichtung der Fahrbahnplatte werden als Trockenfugen ausgebildet. Nach der vollständigen Verlegung aller Platten werden diese mittels Monolitze ohne Verbund in Längsrichtung vorgespannt, um die Dichtigkeit und Tragfähigkeit der überdrückten Querfugen sicherzustellen. Die einzelnen Platten verfügen über mehrere Vergusstaschen, in denen die Anschlussbewehrung der Längsträger einbindet und der Überbau nach dem Vorspannen zum Verbundquerschnitt vergossen wird. Einen wichtigen Bestandteil der Konstruktion bildet das innovative Konzept der Rahmenecken zwischen dem Überbau und den Unterbauten. Diese wurde als nachträgliche Vergusstasche geplant, um mögliche Toleranzen auszugleichen. Die umliegenden Fertigteile dienen dabei als verlorene Schalung, so dass keine weiteren Schalarbeiten auf der Baustelle anfallen. Die Größe der Vergusstasche wurde dabei so gewählt, das ausreichend Platz zum Vorspannen der Überbaukonstruktion vorhanden ist. Die Längsträger verfügen im Widerlagerbereich zusätzlich über mehrere Pressenansatzpunkte, um Höhendifferenzen zwischen den Trägern auszugleichen. Besonders hervorzuheben ist hierbei die Lagerung der Längsträger, die im Bauzustand gelenkig ausgeführt wird. Die Konstruktion ist so ausgelegt, dass auf eine komplizierte Teileinspannung der Längsträger im Bauzustand verzichtet werden kann und die Rahmentragwirkung erst im Endzustand aktiviert werden muss. Nach vollständiger Montage der Widerlager und der Überbaukonstruktion, wird die Vergusstasche mit üblichen Bewehrungseisen und GEWI-Stößen bewehrt und ausbetoniert. Die Kappen der Segmentbrücke werden ebenfalls als Vollfertigteil hergestellt (Bild 7), und mittels Stahlknaggen und Stirnanker mit den Fahrbahnplatten verbunden. Die Abdichtung und der Belagsaufbau der Fahrbahn erfolgen nach der ZTV-Ing. Teil 7 [15]. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 111 Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen Bild 7: Überbauquerschnitt der entwickelten einfeldrigen modularen Segmentbrücke aus Betonfertigteilen In Bild 8 ist das Bauprinzip und der Bauablauf der entwickelten Segmentbrücke veranschaulicht. Bei einem Ersatzneubau muss zunächst die vorhandene Brücke abgerissen werden, was üblicherweise innerhalb einer Wochenendsperrpause realisierbar ist. Anschließend erfolgt der Erdaushub und die Herstellung der Sauberkeitsschicht (Bild 8, Schritt 1-2) sowie die Montage und das Verspannen der Fertigteile für den Unterbau (Fundamente und Widerlager) (Bild 8, Schritt 2-3). In den Schritten 4 und 5 werden die Längsträger und Fahrbahnplatten montiert und vorgespannt, was vollständig in der einzigen Wochenendsperrpause, die zum Erstellen der Brücke notwendig ist, realisiert wird. Nach dem Ende dieser Sperrpause werden in Schritt 6 die Vergusstaschen der Platten vergossen und anschließend die Rahmenecke zwischen Widerlager und Überbau hergestellt. Im Anschluss werden in Schritt 7 Schleppplatten im Hinterfüllbereich der Widerlager eingebracht und die Entwässerungs- und Erdarbeiten im Wiederlagerbereich ausgeführt. Abschließend erfolgt die Montage der Fertigteilkappen, die Herstellung des Oberbaus und die Verkehrsfreigabe. Die Gesamtbauzeit für einen Ersatzneubau kann so in unter 100 Kalendertagen erfolgen wobei lediglich zwei Wochenendsperrpausen für Abriss und Montage des Überbaus erforderlich sind. Die Verkehrsbehinderung während der Bauphase können so im Vergleich zu üblichen Ortbetonbauweise erheblich reduziert werden, was einen enormen volkswirtschaftlichen Vorteil darstellt. 112 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen Bild 8: Bauprinzip der entwickelten einfeldrigen modularen Segmentbrücke aus Betonfertigteilen Dieser entwickelte Entwurf konnte in einer vollständigen statischen Bemessung mit Hilfe von FE-Berechnungen in allen Bau- und Endzuständen nachgewiesen werden. Zusätzlich entwickelte die Firma Nesseler Bau GmbH. ein Verkehrsführungskonzept für die Bauphase und ein ausgeklügeltes modulares Stahlschalungskonzept für die Fertigteile. Diese optimierte modulare Systembrücke erfüllt somit alle technischen Anforderungen und könnte zeitnah in einem Pilotprojekt realisiert werden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 113 Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen 3. Experimentelle Untersuchung 3.1 Allgemeines Bei der Herstellung von Fertigteilkonstruktionen kommt der Verbindung der einzelnen Fertigteilelemente der Tragstruktur eine besondere Bedeutung zu. Die Verbindungen müssen in Abhängigkeit der Beanspruchung in der Lage sein, Druck-, Zug- und Querkräfte sowie eine kombinierte Belastung abtragen zu können. Die Ausbildung der Fuge zwischen zwei Fertigteilen zur Druckkraftübertragung kann sowohl in Form einer Trockenals auch einer Nassfuge erfolgen. Trockenfugen stellen erhöhte Anforderungen an die Maßgenauigkeit der Segmente und erfordern nach [16] eine Begrenzung der Betondruckspannungen. Bei einer Nassfuge entstehen in den Bauteilen Querzugspannungen im Beton, die auf die Verankerung der Längsbewehrung im Stoßbereich und die Querdehnungsbehinderung des Fugenmaterials zurückzuführen sind. Diese Querzugbeanspruchungen sind durch eine entsprechende Querbewehrung aufzunehmen [17]. Die Wahl des Fugenmaterials, u.a. zum Ausgleich von Maßungenauigkeiten, ist abhängig von der Größe der zu übertragenden Druckkraft. Für zugtragfähige Verbindungen werden meistens Bewehrungsstäbe verwendet. Die Bewehrungsstäbe können hierbei sowohl durchlaufende Hauptbewehrungsstäbe als auch zusätzlich eingelegte Kurzstäbe im Bereich der Fuge sein. Ihr Verbund zum Bauteil kann entweder durch das Verpressen der Hüllrohre mit Zementmörtel oder Epoxidharz erfolgen. Unabhängig von der Herstellung sind die Verankerungslängen sowie die Umschnürung der Bewehrung sicherzustellen. Die Schubtragfähigkeit zwischen Betonfertigteilen kann durch Adhäsion, Reibung in der Stoßfuge, Oberflächenprofilierung und Verdübelung der Bauteile übertragen werde. Da die Adhäsionskraft einer größeren Streuung unterliegt, wird bei der Bemessung i.d.R. eine gerissene Fuge angenommen. Bei Relativverschiebungen stellt sich ein Reibverbund ein, der von der Oberflächenrauhigkeit und der Pressung zwischen den Bauteilen abhängt (Bild 9, links). Eine entsprechende Oberflächenausführung kann die übertragbare Reibkraft erhöhen. Bild 9: Querkraftübertragung durch Reibung (links), Verdübelung (Mitte) [18] und profilierter Fuge (rechts) Eine weitere Möglichkeit der Schubkraftübertragung stellt die Verdübelung der Fugen durch Bewehrung oder Bolzen dar (Bild 9, Mitte). Hierbei müssen allerdings lokal größere Einzelkräfte aufgenommen werden, die zu einer hohen Beanspruchung des Verbindungsmittels und des umgebenden Betons führen. Durch eine Profilierung der Stoßflächen, z. B. durch Schubnocken, wird eine zusätzliche Schubtragkomponente aktiviert (Bild 9, rechts). Diese Art der Verbindung wird sowohl bei Tunneln in Tübbingbauweise als auch im Brückenbau bei der Segmentbauweise verwendet [19]. Dieser Zusammenhang verdeutlich, dass die Berechnung der Schubtragfähigkeit je nach gewählter Konstruktion stark variieren kann. Um ein Verständnis für das Trag- und Verformungsverhalten der im Zuge des Forschungsvorhabens entwickelten Fugenkonstruktion der modularen Segmentbrücke zu erhalten, wurden am Lehrstuhl und Institut für Massivbau (IMB) der RWTH Aachen umfangreiche experimentelle Untersuchungen durchgeführt. Mit den Ergebnissen dieser Untersuchung konnte im Anschluss die Konstruktion der Segmentbrücke hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit, Dauerhaftigkeit und des Herstellprozesses weiter optimiert werden. 3.2 Versuchsaufbau Im Rahmen der Untersuchungen zur Fugentragfähigkeit wurden elf Versuchsreihen an Kleinkörpern mit jeweils drei Versuchen durchgeführt. Hierbei wurden die Parameter Fugengeometrie und -ausbildung (Nass oder Trockenfugen), sowie die Vorspannung und die Schubnockenbewehrung variiert. Bild 10 zeigt den Versuchsaufbau der einzelnen Scherversuche. Die trocken gestoßenen Prüfkörper wiesen Außenmaße (L/ B/ H) von jeweils 60 x 20 x 30 cm auf. Die vermörtelten Prüfkörper sind aufgrund der zwei Mörtelschichten mit einer Dicke von jeweils 2 cm insgesamt 4 cm breiter. Die beiden äußeren Körper wurden dabei kontinuierlich gelagert. Der mittlere Körper wurde durch einen senkrecht nach unten wirkenden Hydraulikzylinder mit einer Prüfgeschwindigkeit von 0,3 mm/ min belastet und somit abgeschert. Die Scherflächen der Proben wiesen eine Fläche von 20 x 30 cm² auf und wurden für Versuchskörper mit Nassfuge mittels Oberflächenverzögerer aufgeraut. Mit Hilfe von Gewindestangen und starren Stahlplatten an den Seitenflächen der äußeren Betonkörper konnte eine zusätzliche Drucknormalspannung in das System eingeleitet werden. Somit wird eine mögliche Vorspannung im späteren Brückensystem simuliert. 114 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen Bild 10: Versuchsaufbau Scherversuche: Versuchskörper im Versuchsstand (links), Ansicht (Mitte) und Draufsicht (rechts) Für die Nassfugen wurde ein hochfester Vergussmörtel verwendet, um der hohen Festigkeit des verwendeten Betons zu entsprechen. Hierfür wurde im Rahmen der Untersuchungen der Hochfestmörtel HF 10 der Firma Pagel genutzt. Eine Gesamtübersicht über alle durchgeführten Versuche ist in Tabelle 1 gegeben. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 115 Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen Tabelle 1: Übersicht der Scherversuche Aufbau Fugengeometrie Fugenausbildung Vorspannung Schubnockenbewehrung f cm,cyl E-Modul [-] [-] [-] [-] [-] [N/ mm²] [N/ mm²] -1 0,00 -2 0,00 -3 0,00 -1 1,00 -2 0,99 -3 0,98 -1 0,50 -2 0,50 -3 0,48 -1 0,51 -2 0,48 -3 0,66 -1 0,51 -2 0,50 -3 0,45 -1 0,68 -2 0,64 -3 0,48 -1 0,51 -2 0,53 -3 0,17 -1 0,46 -2 0,44 -3 0,50 -1 0,47 -2 0,43 -3 0,49 -1 0,51 -2 0,50 -3 0,50 -1 0,50 -2 0,46 -3 0,50 nein Name [-] S1 eben vermörtelt E0 nein S3 eben vermörtelt S2 eben vermörtelt nein E0,5 E1 nein S5 2 Schubnocken vermörtelt S2N0,5 S2T0,5 S4 2 Schubnocken trocken nein S2T0,5 nein S7 2 Schubnocken vermörtelt S6 2 Schubnocken trocken nein S2N0,5 nein S9 1 Schubnocke trocken S8 1 Schubnocke trocken ja S1T0,5B S1T0,5U nein S11 1 Schubnocke vermörtelt S10 1 Schubnocke vermörtelt ja S1N0,5B S1N0,5U 123,3 46630 118,3 45782 118,3 45782 117,6 45970 117,6 45970 122,7 47775 126,9 46849 126,9 46849 118,3 45782 124,9 45111 124,9 45111 Um die Verschiebung der drei Betonkörper gegeneinander zu erfassen, wurden induktive Wegaufnehmer an der Oberfläche der Prüfkörper angebracht. Insgesamt wurden pro Prüfkörper sechs Wegaufnehmer installiert. Vier davon ermitteln die horizontale Längsdehnung ∆u und zwei weitere Wegaufnehmer erfassen die vertikale Bewegung ∆v in der Fuge. Zusätzlich nahm ein Wegaufnehmer die Durchbiegung an der Prüfkörperunterseite ∆V auf. Die Anordnung der Messtechnik ist in Bild 11 für einen Prüfkörper mit ebener, vermörtelter Fuge schematisch dargestellt. 116 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen Bild 11: Messtechnikplan der Scherversuche Neben der Erfassung relativer Bewegungen durch induktive Wegaufnehmer wurde zusätzlich das optische Kameramesssystem a raMiS genutzt, um Bauteilbewegungen zu erfassen. 3.3 Versuchsergebnisse Die erreichten Maximallasten sowie die weiteren Versuchsergebnisse der durchgeführten Scherversuche sind in Tabelle 2 zusammengestellt. Tabelle 2: Versuchsergebnisse der Scherversuche Das Schubspannungs-Durchbiegungsverhalten der Versuchskörper ist stark von der jeweiligen Fugenaus-bildung abhängig. Das generelle Tragverhalten vermörtelter und trocken gestoßener Versuchskörper mit einer Vorspannung lässt sich jedoch unabhängig von der Fugenausbildung in mit Hilfe von verschiedenen Berei-che charakterisieren. Das Tragverhalten der vermörtelten Versuchskörper lässt sich in drei Bereiche unterteilen (Bild 12). Im ersten Bereich weisen die Versuchskörper bis zu einem bestimmten Lastniveau eine konstante Steifigkeit auf. Bild 12: Idealisiertes Tragverhalten vermörtelter und trocken gestoßener Versuchskörper Mit Bildung des ersten Risses im zweiten Bereich fällt die Traglast deutlich ab. Im anschließenden dritten Bereich weist der Versuchskörper verminderte Steifigkeit auf. Die trocken gestoßenen Versuchskörper verhalten sich je nach Geometrie der Schubnocken unterschiedlich. Bei einer guten Verzahnung ohne größere Spaltenbildung in der Fuge durch Maßungenauigkeiten weisen die Körper eine annähernd so hohe Steifigkeit wie die vermörtelten Versuchskörper auf (Bild 12). Ein Traglastabfall durch entstehende Risse tritt nicht auf, da sich die Fugen sukzessiv öffnen können. Die geringfügig kleinere Steifigkeit resultiert in einer höheren Durchbiegung. Zusätzlich können die trocken gestoßenen Versuchskörper nur geringere maximale Schubspannungen in der Fuge übertragen. Falls die Betonkörper und somit auch die Schubnocken nicht optimal ausgebildet sind und ein 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 117 Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen Spalt zwischen den Schubnocken entsteht (Bild 12), resultiert ein abweichendes Tragverhalten. Bis zwischen zwei Schubnocken ein direkter Kontakt entsteht, weisen diese eine verminderte Steifigkeit auf. Stützen sich zwei Schubnocken durch die Relativverschiebung der Betonkörper aufeinander ab und bilden eine Druckstrebe aus. Diese ist gleichwertig oder geringfügig höher als die Steifigkeit eines trocken gestoßenen Prüfkörpers mit guter Verzahnung. Das zum Teil bilineare Tragverhalten der trocken gestoßenen Versuchskörper erschwerte die Auswertung, da die Genauigkeit der Schubnockenausbildung einen größeren Einfluss auf das Bauteilverhalten als die zu untersuchende Variation der Fugenausbildung hatte. Der Vergleich der absoluten Durchbiegung ist deshalb nicht immer zielführend. Sinnvoller ist ein Vergleich der Steifigkeiten nach Eintreten des direkten Schubnockenkontakts. In den Versuchen wurde beobachtet, dass eine Mörtelschicht die maximale Schubkraftübertragung in der Fuge erhöht, während die resultierende Durchbiegung nur minimal beeinflusst wird (Bild 13). Dieser Effekt ergibt sich unabhängig von der Fugengeometrie. Bild 13: Schubspannungs-Durchbiegungsdiagramm der vermörtelten (grau) und trocken gestoßenen Versuchskörper (schwarz) mit zwei Schubnocken und einer Drucknormalspannung von 0,5 N/ mm² Die trocken gestoßenen Versuchskörper mit einer Schubnocke weisen eine höhere Steifigkeit als die trocken gestoßenen Versuchskörper mit zwei Schubnocken auf. Im Gegensatz dazu weisen die mit zwei Schubnocken ausgebildeten Versuchskörper mit einer Mörtelschicht eine höhere Steifigkeit auf (Bild 14). Eine ebene Fugenoberfläche führt zu den größten Durchbiegungen. Die Steifigkeit zu Belastungsbeginn und das Eintreten des Erstrisses sind unabhängig von der Schubnockenausbildung. Eine erhöhte Vorspannung führt zu einer geringeren Durchbiegung und bei vermörtelten Versuchskörpern zu einem späteren Eintreten des Erstrisses. Die maximale Tragfähigkeit erhöht sich für eine ebene Fugenoberfläche mit steigender Vorspannung. Dieser Effekt zeichnet sich auch bei mit zwei Schubnocken ausgebildeten, vermörtelten Versuchskörpern ab. Bei Trockenfugen bewirkt die Erhöhung der Vorspannung keine signifikante Steigerung der Traglast. Bild 14: Schubspannungs-Durchbiegungsdiagramm der vermörtelten (grau) und trocken gestoßenen Versuchskörper (schwarz) mit zwei Schubnocken und einer Drucknormalspannung von 0,5 N/ mm² Eine Schubnockenbewehrung führt zu einer erhöhten Steifigkeit bei niedriger Belastung. Mit fortschreitender Beanspruchung entstehen mehrere Traglastabfälle, sodass der positive Effekt der erhöhten Steifigkeit aufgehoben wird. 4. Fazit und Ausblick Im vorliegenden Beitrag wurde das neuartige Konzept einer modularen Baukastenbrücke aus Betonfertigteilen vorgestellt, das im Rahmen eines Forschungsvorhabens am Institut für Massivbau der RWTH Aachen in enger Zusammenarbeit mit der Firma Nesseler Bau GmbH entwickelt wurde. Die entwickelte Systembrücke ermöglicht die Realisierung von ein- und zweifeldrigen Brücken mit Spannweiten bis 50 m und kann in unter 100 Kalendertagen errichtet werden. Hierbei sollte das Baukastensystem nicht als uniforme „Einheitsbrücke“ verstanden werden. Vielmehr wurden für häufig wiederkehrende Elemente und Verbindungen typische Konstruktionsprinzipien erarbeitet, die unter Berücksichtigung der jeweiligen Randbedingungen kombinierbar und auf verschiedene Systeme, Stützweiten und Geometrien übertragbar sind. Die entwickelte Systembrücke ist somit adaptiv anpassbar und bietet hohe volkswirtschaftliche Kostenvorteile. Im Zuge der Konzeptentwicklung wurden außerdem umfangreiche experimentelle Scherversuche zu verschiedenen Fugenausbildungen zwischen den Fertigteilen durchgeführt. Die höchsten Tragfähigkeiten wiesen dabei Fugen mit profilierten Nassfugen auf. Durch eine ausreichende Verbundfestigkeit, die aufgebrachte Vorspannung und die Ausbildung von Druckstreben senkrecht zu den schräg geneigten Fugenoberflächen der Profilierung 118 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen weisen diese Versuchskörper ein annähernd monolithisches Bauteilverhalten auf. Die Mörtelschicht sorgt für eine hohe Adhäsionskraft, weshalb ein hoher Widerstand überschritten werden muss, bis eine Schädigung der Fuge eintritt. Aufgrund der aufgebrachten Vorspannkraft konnte zudem der Traganteil der Reibung aktiviert werden. Die Belastung führt schließlich zu einem, durch starke Rissbildung angekündigtem, Versagen des Betons entlang der Druckstreben. Mit den Ergebnissen dieser Untersuchungen konnte in weiteren Großversuchen, die nicht Inhalt dieses Beitrags sind, die Fugenkonstruktion der Segmentbrücke hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit, Dauerhaftigkeit und des Herstellprozesses weiter optimiert und eine neuartige Kombination aus Nass- und Trockenfugen entwickelt werden, die einen kraftschlüssigen und wasserdichten Verbund zwischen den Fertigteilen sicherstellt. Zusätzlich wurde eine vollständige statische Bemessung des Gesamtbauwerks angefertigt und ein Verkehrsführungskonzept für die Bauphase entwickelt. Diese optimierte modulare Systembrücke erfüllt somit alle technischen Anforderungen und wurde bereits experimentell erprobt. In der nächsten Phase soll die entwickelte Segmentbrücke unter dem Namen n.Brücke von der Firma Nesseler Bau GmbH in einem Pilotprojekt realisiert werden. Danksagung Die vorgestellten und geplanten Untersuchungen werden vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI) im Rahmen eines Forschungsprojektes des Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) gefördert, dem an dieser Stelle herzlich gedankt sei. Literaturverzeichnis [1] Naumann, J.: Brücken und Schwerverkehr - Eine Bestandsaufnahme. Bauingenieur 85 (2010), Heft 1, S.1-9 [2] Naumann, J.: Brückenertüchtigung jetzt - Ein wichtiger Beitrag zur Sicherung der Mobilität auf Bundesfernstraßen. Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V., 2011 [3] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Strategie zur Ertüchtigung der Straßenbrücken im Bestand der Bundesfernstraßen. 2013 [4] Bosbach, S.; Stark, A.: C³-V2.9: Modulare Bausysteme Ingenieurbau. In: Tagungsband der 10. 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IMB: 193/ 2007, Aachen, 2007 [14] Brückenstatistik der Bundesanstalt für Straßenwesen (bast), 2018. [15] Bundesanstalt für Straßenwesen (bast): Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten (ZTV-ING), Dortmund: Verkehrsblatt-Verlag 2019 [16] DIN EN 19922 (2010): Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln. Deutsches Institut für Normung (DIN), 2010 [17] König, G.; Minnert, J.: Hochfester Beton - Neue Möglichkeiten für die Fertigteilindustrie; Concrete Precasting Plant and technology BFT 2/ 1999, S. 54 62 [18] CEB/ FIB: Structural connections for precast concrete buildings. Bulletin 43, 2008 [19] Rombach, G.; Specker, A.: Segmentbrücken. Betonkalender 2004 - Teil I. S. 177-211 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 119 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise Eckhard Held, Stefan Kimmich, Roland Sauer RIB Engineering GmbH, Stuttgart, Deutschland Zusammenfassung Brückenneubauten oder Ersatzneubauten unter laufendem Verkehr erfordern innovative Lösungen für ein optimales Herstellungsverfahren bei gleichzeitig geringer Beeinträchtigung der Mobilität. Der Fokus liegt auf kurzen Bauzeiten bei gleichzeitig knappen Ressourcen mit nachhaltig hohen Qualitätsansprüchen. Dafür eignen sich besonders alle Brückentypen, die einen hohen Vorfertigungsgrad aufweisen und in Modulbauweise hergestellt werden können. Das können Betonverbundbrücken mit Spannbetonfertigteilen oder Stahlverbundbrücken mit Fertigteilen sein. Auch WIB-Brücken gehören dazu. Sämtliche Bauverfahren sind besonders bei Rahmenkonstruktionen als integrales Bauwerk ohne Mittelpfeiler sehr effizient einsetzbar. An verschiedenen Beispielen aus der Praxis wird gezeigt, welche planerischen Konzepte einen entsprechenden Erfolg bringen. 1. Brücken in Modulbauweise Ein großer Anteil der derzeitig vorgenommenen Ersatzneubauten fällt in die Sparte der modularen Bauweisen, weil sich damit rationell, wirtschaftlich und effizient Brückenprojekte umsetzen lassen. Dies gilt vor allem für Brücken mit kleiner bis mittlerer Spannweite (10 m bis ca. 45 m), welche in großer Zahl als untergeordnete Bauwerke entlang von Bundesstraßen und Autobahnen sowie Bahntrassen neu geplant und gebaut werden. Häufig werden bestehende Unterbauten weiterverwendet oder besondere Maßnahmen ergriffen, um unter laufendem Betrieb mit möglichst geringer Beeinträchtigung des Verkehrs die erforderlichen Baumaßnahmen durchzuführen. Bild 1: Brücken in Modulbauweise mit Betonverbund-, Stahlverbund- und WIB-Verbundträgern 1.1 Vorteile der Modulbauweise Folgende Merkmale machen den Einsatz einer Modulbauweise im Brückenbau interessant: • Bauausführung mit kurzen Bauzeiten, minimale Verkehrsbehinderungen und damit weniger Staus • Hoher Qualitätsstandard durch Vorfertigung der Fertigteilträger im Werk • Wegfall aufwendiger Trag- und Schutzgerüste • Paralleles Bauen von Überbau/ Unterbau • Paralleler Rückbau/ Neubau möglich • Wiederverwendung von Unterbauten teilweise möglich • Hohe Wirtschaftlichkeit bei ganzheitlicher Betrachtung von Bau-, Nutzungs- und Unterhaltungskosten 1.2 Grundlagen Ausgangspunkt für die Tragwerksentwürfe von Brücken in Modulbauweise ist die Vorfertigung. Grundlage der industriellen Vorfertigung ist die Digitalisierung von Planung und Produktionsprozessen einschließlich der Montage auf der Baustelle. Die Tragwerksplaner müssen sich hohen Herausforderungen stellen. Es ist nicht nur das aus dem Brückenbauwerk abgeleitete mechanische Modell zu bearbeiten, sondern bei der Modellierung ist der gesamte Herstellungs- und Montageprozess bis zur Fertigstellung des Bauwerks zu berücksichtigen. Modulare Brücken sind immer ganzheitlich unter Berücksichtigung aller Bauphasen zu betrachten. In jeder Bauphase liegen andere Randbedingungen vor, die zu berücksichtigen sind. Statisch gesehen liegt neben der Systemgeschichte und Belastungsgeschichte auch eine Querschnittsgeschichte vor. Es ändern sich entlang der Zeitachse sowohl die statischen Systeme und Belastungen als auch der Querschnittsaufbau. Das hat zur Folge, dass nicht nur das 120 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise primäre Querschnittskriechen und -schwinden, sondern immer auch das sekundäre Systemkriechen zu berücksichtigen ist. Dafür sind leistungsstarke Softwarelösungen erforderlich. Wegen der unterschiedlichen Steifigkeiten in Längs- und Querrichtung liegt z.B. für die Fahrbahnplatte eine orthogonale Orthotropie (Bild 2) vor. Für die FEM-Berechnung kommen kombinierte Modelle aus Stab- und Faltwerkssystemen zum Einsatz, die es erlauben, eine typengerechte Brückenmodellierung und gleichzeitig eine effiziente Lastgenerierung je Bauphase/ Bauzustand vorzunehmen. Folgende Aspekte sind dabei zu berücksichtigen: • Statische Bearbeitung stets am Gesamtsystem • Berücksichtigung der System-, Herstellungs-, Last- und Querschnittsgeschichte • Einsatz für verschiedene Querschnittstypen • Berücksichtigung der mitwirkenden Plattenbreiten • Effiziente Lastgenerierung mittels orthotroper Fahr-bahnplatte • Berücksichtigung von zeitabhängigen, sekundären Effekten • Vollständige und durchgängige Bemessung für die Grenzzustände der Tragfähigkeit, der Gebrauchstaug-lichkeit und der Ermüdung einschließlich Verbund-mittelnachweise bei Stahlverbundträgern Bild 2: Orthotropes Flächenmodell der Fahrbahnplatte 1.3 Brückentypen Die Längsträger bei modularen Brücken sind stets Ver-bundträger, die sich aus unterschiedlichen Materialien zusammensetzen. • Betonverbund: Spannbeton-Halbfertigteile als Plattenbalken mit Ortbetonergänzung. • Stahlverbund: Walzprofile oder geschweißte Profile mit Stahlbeton-Halbfertigteil, die bereits werksseitig auf die Stahlträger betoniert werden und später eine Ortbetonergänzung erhalten; Hohlkastenprofile, aber auch einfache I-Profile in VFT-Bauweise [10]. • Stahlverbund: Spezielle WIB-Profile und standardisierte Walzträger in Beton sind besonders einfach herstellbar. Alle Brückentypen eignen sich besonders für Überführungsbauwerke, die häufig als mehrstegige Rahmenkonstruktionen ohne Mittelpfeiler ausgeführt werden. Bei Stahlverbundbrücken liegt meistens aufgrund der großen Spannweiten ein gevouteter Stahlträgerverlauf vor. Die Frage, welche der genannten Brückentypen wann zum Einsatz kommen, wird im Wesentlichen durch folgende Faktoren beeinflusst: • Bauzeit • Baukosten • Kosten für den Unterhalt und Sanierung • Mobilitätseinschränkung / Stauvermeidung / sozioökonomische Kosten • Baubedingungen vor Ort • Dauerhaftigkeit Für eine objektive Beurteilung ist stets eine ganzheitliche Betrachtung bezogen auf die Lebensdauer erforderlich. 1.4 Betonverbundbrücken Der Überbau von Betonverbundbrücken besteht aus mehrstegigen, vorgespannten, T-förmigen Halbfertigteilen mit nachträglich ergänzter Ortbetonplatte. Der Einsatz dieser Spannbetonträger ist aufgrund des hohen Eigengewichts auf eine Länge von ca. 35 m begrenzt. Bei den kleineren Brücken, die entweder statisch bestimmt oder als Rahmenkonstruktion ausgeführt werden, liegt i.d.R. immer eine einstufige Vorspannung entweder mit sofortigem Verbund oder nachträglichem Verbund vor. Bei Durchlaufträgern wird aufgrund der Anforderungen an die Dauerhaftigkeit und des Fahrkomforts häufig eine zweistufige Vorspannung aus sofortigem und nachträglichem Verbund verwendet. Bild 3: Spannbeton-Halbfertigteil mit Ortbetonergänzung Die FEM-Berechnung des Gesamtbauwerks erfolgt i.d.R. in 4 Bauzuständen: • UB: Bauzustand Unterbau • FT: Bauzustand Fertigteil • VB: Bauzustand Verbund • PT: Bauzustand sekundäre Effekte 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 121 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise Die Spannbetonbemessung wird auf der Zeitachse in 6 verschiedenen Zeitpunkten bearbeitet [8]: • t 0 : Eigengewicht FT und Vorspannung 1 • t 1 : Eigengewicht Ortbeton auf FT • t 2 : Verbund • t 3 : Vorspannung 2 • t 4 : Ausbau / Verkehr • t 5 : Zustand bei t ∞ Es werden alle wesentlichen Nachweise in den Grenzzuständen der Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Ermüdung geführt. 1.5 Stahlverbundbrücken in VFT-Bauweise Anders als im Massivbrückenbau ist die Beschreibung der Verbundquerschnitte wesentlich aufwendiger. Die Stahlträger können als Walzprofilträger oder als geschweißte I-Träger bzw. Kastenträger mit oder ohne Betonfertigteil in VFT-Bauweise [10] ausgebildet werden. Bild 4: Verbundquerschnittstypen Die Schnittgrößenermittlung und Spannungsberechnung einschließlich Kriechen und Schwinden erfolgt auf der Grundlage der Elastizitätstheorie mit dem Gesamtquerschnittsverfahren von Haensel [1], [9]. Dabei sind alle Systemeinflüsse der • Querschnittsgeschichte • Herstellungsgeschichte • Belastungsgeschichte • mitwirkende Plattenbreiten • Rissbildung • Kriechen und Schwinden und • sekundäre Effekte zu berücksichtigen. Im negativen Momentenbereich wirken gerissene und im positiven Momentenbereich ungerissene Querschnittsvarianten. Jede Änderung des statischen Modells infolge anderer bzw. neuer Querschnittsvarianten, Betonierabschnitte, Materialien, Lagerung, Gelenksteifigkeiten etc. erfolgt in einem separaten Bauzustand. Die Durchführung der Bemessungsnachweise erfolgt entlang der globalen Zeitachse entsprechend der Querschnitts- und Belastungsgeschichte einschließlich Kriechen, Schwinden sowie der sekundären Effekte für die ständige Bemessungssituation für t ∞ . Dabei werden alle wesentlichen Verbundnachweise in den Grenzzuständen GzT außer Ermüdung elastisch und plastisch, GzE, GzG für Baustahl, Beton, Bewehrung und Kopfbolzendübel geführt. Bei Trägern mit Querschnitten der Klasse 1 und 2 kann zusätzlich das elastische oder nichtelastische Verhalten zwischen Längsschubkraft und Querkraft berücksichtigt werden. 1.6 WIB-Brücken WIB-Brücken mit einbetonierten Stahlträgern sind nicht neu. Sie gehören zur Familie der Stahlverbundbrücken. Sie werden häufig für Eisenbahnbahnbrücken ausgeführt. Knapp 20% aller Eisenbahnbrücken in Deutschland werden für Spannweiten im Bereich von 10 bis 20 m als WIB-Brücken realisiert [2]. Die Konstruktionen können i.d.R. sehr schlank mit einer Schlankheit L/ h von 25 bis 30 hergestellt werden und haben trotzdem eine relativ hohe Steifigkeit. Durch die höheren Steifigkeiten treten geringere Verformungen auf. Weitere Vorteile ergeben sich durch den Wegfall der Schalungsgerüste, die Einfachheit der Bauweise und durch die schnelle Montage. Im Vergleich zu dem üblichen Stahlverbund treten bei Rahmenbrücken ausschließlich gerissene Querschnitte auf. Bei Einfeldträgern ist der Randbereich ungerissen. Im Feldbereich reißt der Betonquerschnitt unten auf, während im Stützbereich der Betonquerschnitt oben aufreißt. Das Verhalten einbetonierter Stahlträger hängt stark von dieser Rissbildung ab. Diese Besonderheit erfordert bei allen Nachweisen spezielle Anforderungen. Grundlage der Berechnung ist analog zum Stahlverbund das Gesamtquerschnittsverfahren [1]. Die Reduktionszahlen können wahlweise nach DS 804 Anlage 8, DIN EN 1992- 1-1 oder E c(t)- Verfahren [3] berechnet werden. Bild 5: Verteilung der Steifigkeit für Einfeldträger [4] 122 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise Im ungerissenen Bereich wird der Verbundquerschnitt in einen äquivalenten Stahlquerschnitt transformiert während im gerissenen Bereich die Zustand II Querschnittswerte durch die Lage der plastischen Nulllinie bestimmt wird [5]. Der zugbeanspruchte Teil des Be-tonquerschnitts wird vernachlässigt. Bild 6: Spannungen bei positiver und negativer Biegung im Zustand II [7]. 2. Beispiele Nachfolgend werden einige erfolgreich ausgeführte interessante Brückenbauwerke aufgeführt, welche in den zurückliegenden Jahren in modularer Bauweise entstanden sind. Bei der Auswahl der Projekte wird der Focus eher auf die Bauweise und die verwendeten besonderen Berechnungs- und Bemessungsansätze gelegt als auf die Aktualität der Baumaßnahmen. 2.1 2.1. Ersatzneubau als Betonverbundbrücke Im Auftrag von Hessen Mobil in Kassel plante das Ingenieurbüro Kleffel den Ersatzneubau einer Straßenbrücke auf der Bundesautobahn A7 zwischen Flensburg und Füssen. Bild 7: Betonverbundbrücke im Bauzustand Der Ersatzneubau mit 5 Bauphasen als integrale, vorgespannte Betonverbundbrücke mit einer Trägerspannweite von 27,61 m und einer Bauwerksbreite von 40,50 m war durch den Amtsentwurf bereits vorgegeben. Die dabei angedachten Bauphasen berücksichtigen den Abriss der bestehenden Rahmenbrücke und den gleichzeitigen Neubau. Nicht nur die Realisierung des Ersatzneubaus erfolgt bei laufendem Betrieb: Auch während der Rückbauphase soll der Verkehr auf der A7 nach der Vorgabe des Auftraggebers kontinuierlich weitgehend unbehindert fließen. Bild 8: Bestandsbauwerk und Ersatzneubau Das erstellte räumliche Brückenmodell erfasst die schiefwinklige Rahmenbrücke als Faltwerksystem auf einer Pfahlgründung, welches die verschiedenen Bau-phasen mit insgesamt 13 statischen Bauzuständen und 145 Lastzuständen abbildet. Aufgrund der Baugrund-verhältnisse ist die Pfahlgründung unter den beiden Widerlagern unsymmetrisch angeordnet. Den Überbau bilden 2 x 8 Fertigteilträger, welche mit Spannbettvor-spannung hergestellt sind. Dabei wird die gesamte Brücke als 2 voneinander unabhängige Teilbauwerke in einem integralen Gesamtmodell mit Balken in Längsrichtung und einer orthotropen, lastverteilenden Fahrbahnplatte in Querrichtung erfasst. Die Fertigteilträger werden dabei über Stabstahlbewehrung in die Lagerwand elastisch eingespannt. Bild 9: Gliederung der Brücke in 2 Teilbauwerke Der Einsatz von Fertigteilträgern bei dieser Aufgabe erweist sich nicht nur als ingenieurtechnisch sinnvoll, sondern ebenso als wirtschaftlich: So kann bei der Ausführung auf das Anbringen aufwändiger Trag- und Schutzgerüste verzichtet werden. Da die Vorfertigung des Überbaus und die baustellenseitige Herstellung des Unterbaus parallel realisiert werden können, lässt sich damit die Gesamtbauzeit deutlich verkürzen. Die Verwendung von Fertigteilträgern machen darüber hinaus eine wirkungsvolle werksseitige Qualitätssicherung möglich eine solide Basis für eine hohe und gleichbleibende Ausführungsqualität. Nicht zuletzt sind nur in seltenen Fällen Sperrungen unterführter Verkehrswege erforderlich. Mit Fertigteilträgern in Betonverbundbauweise kann das Bauwerk in einem kürzeren Zeitfenster und gleichzeitig mit bester Qualität zu realisiert werden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 123 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise Im Vergleich zu einer Ausführung in Ortbeton ist das ein wichtiger Kostenfaktor. Bild 10+11: Verkehrssituation während der Bauzeit Kriechen und Schwinden sind in den Bemessungsansätzen stets zu berücksichtigen, was bei den verschiedenen Bau-, Last- und Betonierzuständen keine leichte Aufgabe darstellt. Die Teilbauwerke TBW1 und TBW2 der Brücke werden in einzelnen Bauphasen, die nur für einen bestimmten Zeitraum vorhanden sind, extremen Beanspruchungen ausgesetzt. Wie die finale Bemessungsergebnisse später zeigen, betrifft dies insbesondere die Bohrpfähle. Durch den Erddruck auf die in den Bauabschnitten teilweise freistehenden Widerlagerwände werden einzelne Bohrpfahlgruppen stark exzentrisch beansprucht. Bild 12: Extreme Belastungen in einzelnen Bauphasen Aus diesen Gründen müssen die Beanspruchungen aus jeder Bauphase berücksichtigt werden. Die hohe Belastung in den Bauzuständen führt in diesem Fall zu be-sonders hohen Bewehrungsgraden, wenn in der Bemessung die Biegetragfähigkeit (GZT) und die abgeschlossene Rissbildung (GZG) berücksichtigt wird. Bild 13: Betonverbundbrücke Zusätzlich muss das Kriechen und Schwinden im Verbundfertigteilträger stets berücksichtigt werden, weil dadurch der Nachweis der Tragfähigkeit und auch der Gebrauchstauglichkeit beeinflusst wird. D.h., dass sämtliche System- und Laständerungen über die gesamte Bauzeit im FE-Modell genau abgebildet werden müssen. Bild 14: Abbildung des Bauablaufs in Bauzuständen Durch eine geeignete Unterteilung der beiden weitgehend unabhängigen Teilbauwerke konnte der Modellierungsaufwand deutlich reduziert und die Bearbeitung der statischen Berechnung überschaubar und effizient gehalten werden. Bei dieser Brücke spielt insbesondere das Systemkriechen zwischen den Bauabschnitten eine wichtige Rolle. Durch Zeitunterschiede von bis zu 150 Tagen bauen sich große Zwängungen in der Ortbetonplatte auf, welche die Bemessung der Träger maßgeblich beeinflussen. Ohne die Berücksichtigung dieser zeitabhängigen Effekte kann eine integrale Bauweise dieses Brückentyps nicht realisiert werden. Bild 15: Beanspruchung und Bemessung des Bauwerks Für die anspruchsvollen Berechnungen und die relativ komplexe Bemessung der Pfahlgründung und der Fertig- 124 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise teilträger in Betonverbundbauweise setzten die Ingenieure aus Thüringen auf eine ganzheitliche Modellbildung mit einer vollständigen Erfassung der räumlichen und zeitlichen Effekte im Tragsystem der Brücke. Nur damit lassen sich die einzelnen Brückenbauteile durchgängig bemessen und sämtliche erforderlichen Detailnachweise führen. Fazit: Es zeigt sich im Fall der relativ einfachen Autobahnüberführung eindrücklich, welche besonderen ingenieurtechnischen Überlegungen notwendig sind, um den Neubau der Straßenbrücke unter Laufendem Verkehr sicher, effizient und wirtschaftlich zu erstellen. 2.2 Betonverbundbauweise in Serie Die IGS INGENIEURE GmbH & Co. KG aus Thüringen war im Auftrag des Regierungspräsidiums Karlsruhe im Rahmen eines Großprojekts am Ausbau der BAB A5 auf sechs Fahrstreifen beteiligt. Die Bundesautobahn A5, wichtigste Nord-Süd-Verbindung für den Fernverkehr im südwestdeutschen Raum und Transitstrecke nach Südeuropa, wurde zwischen den Anschlussstellen Baden-Baden und Offenburg auf sechs Fahrstreifen erweitert. Ein kontinuierlich gesteigertes Verkehrsaufkommen in den letzten Jahren macht diese umfassende Ausbaumaßnahme von mehr als 41 Kilometern Autobahn notwendig. Bild 16: Serielle Ersatzneubauten entlang der BAB A5 Im Rahmen dieses Projekts wurden mehr als 50 Brückenbauwerke auf diesem Abschnitt abgebrochen und wieder neu gebaut. 20 Überführungsbauwerke allesamt Betonverbundbrücken realisierte die IGS INGENIEURE GmbH & Co. KG in Fertigteilbauweise. Der Rück- und Neubau sämtlicher Brückenbauwerke erfolgte unter Laufendem Verkehr. Innerhalb eines eng abgestimmten Planungs- und Baumanagements konnte die IGS INGENIEURE GmbH & Co. KG die gesamte Planungsleistung für die ersten zehn Brücken in nur einem halben Jahr zu be-werkstelligen. Neben dem engen Zeitplan erforderte die Vorspannung der Überbauwerke besonderes Geschick. Die Umsetzung der einzelnen Brückenprojekte war sowohl auf Seite der Tragwerksplaner als auch für den Fertigsteilhersteller keine leichte Aufgabe. Aus technischen Gründen wurde im Bauablauf fast ausschließlich mit einer Spannbettvorspannung gearbeitet und auf etwas vorteilhaftere Kontinuitätsvorspannung über die Brückenpfeiler hinweg verzichtet. Die Stützweiten erforderten daher eine sehr hohe Vorspannkraft pro Fertigteil. Bild 17: Typische Betonverbundbrücke im Projekt. Für alle 20 Bauwerke produzierte derselbe Hersteller die benötigten anspruchsvollen Fertigteilträger. Der Vorteil dieser massiven Vorspannung: Die Schnelligkeit. Denn die Experten vor Ort aus der Baustelle verlieren keine Zeit durch nachträgliche Maßnahmen, wie beispielsweise das Einfügen weiterer Spannglieder oder den Einsatz von Hüllrohren. Auf diese Weise waren die Baubeteiligten in der Lage, einen schnellen und gleichzeitig flexiblen Baufortschritt sicherzustellen. Bild 18: System mit Stützen in Brückenmitte Eine besonders knifflige Aufgabe stellte die Baulogistik dar. Da diese wichtige Verbindungsroute Südwestdeutschlands während der Bauarbeiten nicht voll gesperrt werden konnte, erfolgten Anlieferung und Ein-hub der Fertigteile in Etappen. Die Fertigteile werden per LKW angeliefert. Bei Ankunft wird die Fahrbahn für eine halbe Stunde gesperrt. In dieser Zeit erfolgen Einhub und die anschließende Freigabe für den Verkehr. Nach einer weiteren halben Stunde wird die Fahrbahn erneut für den Einhub des nächsten Fertigteils gesperrt. Die Sperrzeiten bleiben also kurz und behindern den Verkehr nicht längerfristig. Erschwerend kommt für die Mannschaft auf der Baustelle hinzu, dass diese Sperrungen nur in der Nacht vorgenommen werden können. Das bedeutet Nachtschichten bei stets voller Konzentration für alle am Projekt Beteiligten. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 125 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise Für eine perfekte Projektabwicklung musste in jeweils rund zwei Wochen die statische Bearbeitung und Optimierung für jedes Bauwerk erfolgen. Anschließend erfolgte eine umfassende Prüfung durch unabhängige Prüfingenieure. Für die effiziente Planung war eine einfache Modellbildung für das System und die Lastansätze sowie die durchgängige Bemessung der Brückenbauwerke von entscheidender Bedeutung. Die Möglichkeit, die Lastverteilung über eine orthotrope Plattenwirkung zu berücksichtigen ist für die intuitive Projektbearbeitung und eine effiziente Brückenbemessung ein entscheidender Aspekt. 2.3 Anspruchsvolle Rollbrücken mit Betonfertigteilen Die Erweiterung des Frankfurter Flughafens durch die 2.8 km lange Landebahn Nordwest wurde mit verschiedene Rollbahnbrücken über die BAB A3 und der ICE- Strecke Frankfurt-Köln realisiert. Mit der Planung der hoch komplexen integralen Brückenbauwerke war das Ingenieurbüro Dr. Binnewies aus Hamburg beauftragt. Bild 19: Übersicht Rollbrücken Flughafen Frankfurt Um Kosten und Bauzeiten entscheidend zu reduzieren wurde die vom Ingenieurbüro Binnewies vorgeschlagene Brückenkonstruktion als vorgespanntes integrales Spannbeton-Rahmenbauwerk mit Betonfertigteilen und Ortbetonergänzung umgesetzt. Der mit bis zu 30 gon enorm spitze Kreuzungswinkel zwischen Trägerlagen und Rollbahn stellte sich dabei als eine besondere Herausforderung heraus. Zusätzliche Anforderungen ergaben sich aus einer Brückenlänge von mehr als 200 m und den Bemessungslasten für die Flugzeuge mit beachtlichen 750 Tonnen. Bild 20: System und Abmessungen Rollbrücke Ost Die Modellbildung erfolgte nach dem Prinzip: So einfach wie möglich, so komplex wie nötig. Die Gründung von Pfeiler- und Widerlagerwänden erfolgte auf eingespannten Bohrpfählen. Darauf wurden fugenlose Widerlager- und Pfeilerwände errichtet. Der Überbau schließlich wurde aus vorgespannten Fertigteilen, Ortbetonergänzung und Kontinuitätsvorspannung realisiert. Im ersten Schritt wurden dabei die Fertigteilträger verlegt. Diese kamen werkseitig mit einer Vorspannung mit nachträglichem Verbund und inklusive Hüllrohren für die spätere Kontinuitätsvorspannung auf die Baustelle. Bild 21: Vorspannung Brückenträger im FE-Modell Dabei waren die Anschlussbewehrungen von Wänden und Fertigteilen exakt aufeinander abgestimmt und wurden daher sehr präzise hergestellt. Bei der Rollbrücke OST 1 mit einer Gesamtbrückenfläche von 20.000 Quadratmetern waren insgesamt 275 Fertigteilträger mit einem Gewicht bis zu 95 Tonnen zu montieren. Dabei war jedes Fertigteil ein Unikat und die Bemessung von Träger, Ortbetonplatte und Wandköpfen auf den Bauablauf abgestimmt. Bevor die Ortbetonplatte aufgebracht werden konnte musste zunächst die Rahmenwirkung der Gesamtkonstruktion realisiert werden. Dafür wurden die Bereiche an den Wandköpfen vorab bewehrt und betoniert. 126 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise Bild 22: Nachtbaustelle und Einhub der Brückenträger Eine weitere Herausforderung war die Betonage der Brückenfläche mit rund 20.000 Kubikmetern Beton je Abschnitt in einem Zeitfenster von lediglich 60 Stunden. Schließlich wurden final die Kontinuitätsspannglieder eingeschossen und vorgespannt. Die Planung musste dabei durchweg perfekt sein, damit die drei bauausführenden Unternehmen in der Lage waren, ihre Arbeit optimal im vorgegebenen Zeit- und Budgetrahmen zu erledigen. Die Trägermontage erfolgte in der Regel bei Nacht, um eine möglichst geringe Verkehrs-beeinträchtigung zu gewährleisten. Die neuen Verbindungsrollbahnen auf dem Frankfurter Flughafen brachten sowohl technisch als auch organisatorisch eine Reihe von Herausforderungen mit sich. In knapp 16 Monaten waren rund 600 Schalpläne und ca. 800 Bewehrungspläne zu zeichnen und rechtzeitig auf die Baustelle zu liefern. Da es sich bei diesen Bauwerken nicht um Standardbrücken handelt, sondern Normen der „International Civil Aviation Organization“ (ICAO) greifen, war das Ingenieurbüro Binnewies auch darin gefordert, die normativen Regeln aus dem Bereich der Straßenbrücken auf die Spezialbauwerke eines Rollfelds zu übertragen. Denn die ICAO-Richtlinien beinhalten erforderliche Regularien für Planung und Bau in dieser Form nicht. 2.4 Ersatzneubau einer Stahlverbundbrücke Das Ingenieurbüro Kleb Erfurt hat für die Überführung einer Bahntrasse in Obervellmar/ Kassel mit einer Spannweite von 26,10 m und einer Breite von 12,10 m eine Ausführungsstatik erstellt. Es handelt sich dabei um zwei nebeneinanderliegende Rahmenbauwerke. Jeder Überbau besteht aus 5 gevouteten I-Trägern aus S355 mit werkseitig aufgebrachten Fertigteilplatten aus C35/ 45 und späterer Ortbetonergänzung aus C35/ 45 in VFT- Bauweise. Bild 23: Systemabmessungen VFT-Brücke Die Längsträger werden in die Endquerträger eingespannt. Als Verkehrsbelastung wurde die Kategorie 2 angesetzt. Bild 24: FE-Modell N p -Bauzustand der Rahmenbrücke Die FEM-Berechnung des Gesamtbauwerks erfolgte in 6 Bauzuständen einschließlich einer Berücksichtigung der sekundären Effekte. • N 0 -Bauzustand Unterbau • N 0 -Bauzustand Überbau als VFT-Trägersystem • N P -Langzeit Bauzustand • N 0 -Kurzzeit Bauzustand • N PT -Bauzustand • N S -Bauzustand Schwinden Die Steifigkeiten für Langzeitlasten werden zeitabhängig mit Reduktionszahlen umgerechnet. Für die Kurz-zeitlasten werden dagegen zeitunabhängige Reduktionszahlen verwendet. Die Verbundbemessung erfolgte für alle Grenzzustände. Bei den Verbundmitteln kam eine 4-reihige Kopfbolzendübel-Verteilung mit unterschiedlichen Höhen zum Einsatz. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 127 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise Bild 25: Auslastungsübersicht der Verbundbemessung 2.5 Ersatzneubau einer Straßenbrücke in WIB- Bauweise Das Ingenieurbüro Kleffel hat für die Überführung der Hasel in Dillstädt/ Schwarza eine schiefwinklige WIB- Brücke mit einer Spannweite von 12,40 m und einer variablen Breite von 6,50 m bis 9,13 m eine Entwurfsstatik aufgestellt. Es handelt sich dabei um ein integrales Brückenbauwerk. Der Überbau aus C35/ 45 besteht aus 9 einbetonierten Stahlträgern jeweils mit einem HEM 400 - Profil und dem Material S355. Bild 26: Systemabmessungen WIB-Brücke Die Längsträger sind in die Endquerträger eingespannt, die wiederum auf tiefgegründeten Bohrpfählen lagern. Als Verkehrsbelastung wurde ein Lokalverkehr der Kategorie 4 angesetzt. Bild 27: Lageplan für den WIB-Überbau Die FEM-Berechnung des Gesamtbauwerks wurde in 5 Bauzuständen einschließlich einer Berücksichtigung der sekundären Effekte durchgeführt. • N 0 -Bauzustand • N P -Langzeit Bauzustand zeitabhängig • N 0 -Kurzzeit Bauzustand • N PT -Bauzustand zeitabhängig sekundär • N S -Bauzustand Schwinden sekundär Bild 28: Gesamtmodell mit Pfählen, Lasten und Verformungen Die Bemessung der Verbundträger erfolgte für alle Grenzzustände der Tragfähigkeit elastisch und plastisch, Ermüdung und Gebrauchstauglichkeit einschließlich den Verformungen im Zustand II. Bild 29: Auslastungsübersicht der Verbundbemessung 3. Zusammenfassung und Ausblick Für Brücken mit kleiner bis mittlerer Spannweite, die in großer Zahl in den nächsten Jahren unter laufendem Verkehr entweder verstärkt oder kurzfristig ersetzt werden müssen, eignet sich besonders die modulare Bauweise. Sie ist materialoffen und kann flexibel eingesetzt werden. Die Querschnittsformen werden stetig weiterentwickelt. Grundlage für den erfolgreichen Einsatz ist die industrielle Vorfertigung. Zusammen mit der Digitalisierung des Planungs- und Produktionsprozesses, welcher auch für die Liefer- und der Montagelogistik Vorteile bringt, eröffnen sich mit modularen Bauweisen interessante und vor allen auch wirtschaftliche Planungsalternativen. 128 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise Aktuell sind neuartige modulare Baukastensysteme aus Betonfertigteilen in der Entwicklung [6]. Bei Hagen über die A46 konnte nach diesem Planungskonzept bereits ein Prototyp in 100 Kalendertagen erstellt werden. Der neue technische Fortschritt erlaubt es, modulare Brücken effizient mit hoher Leistungsfähigkeit ohne gravierende Mobilitätseinschränkungen herzustellen. Durch die Entwicklung von roboter- und computergestützten Fertigungstechniken sind weitere innovative Fortschritte mit lukrativen Möglichkeiten zu erwarten. Literatur [1] J.Haensel: Praktische Berechnungsverfahren für Stahlträgerverbundkonstruktionen unter Berücksichtigung neuerer Erkenntnisse zum Betonzeitverhalten, Mitteilung 75-2, IKI, Ruhr-Universität Bochum 1975. [2] C.Lerchner, G.Schimetta: Stahlbetonrahmen mit WIB-(Walzträger in Beton) Tragwerk, Beton- und Stahlbeton 97 (2002), Heft 10. [3] A.Iliopoulos: Zur rechnerischen Berücksichtigung des Kriechens und Schwindens des Betons bei Verbundträgern; Diss. Ruhr-Universität Bochum 2005. [4] A.Iliopoulos: Vorschlag zur Verformungsberechnung von WIB-Brücken, Stahlbau 78 (2009), Heft 8. [5] Stahlbaukalender 2010; S. 280. [6] J.Hegger, C.Knorrek, S.Bosbach: Neuartige modulare Brückenbauwerke aus Betonfertigteilen, Untersuchungen zum Tragverhalten, BFT International Kongressunterlagen 02.2019, Ulm. [7] Grundlagenhandbuch zu PONTIstahlverbund 20.0, RIB Software SE, 2020, Stuttgart. [8] Grundlagenhandbuch zu PONTIbetonverbund 20.0, RIB Software SE, 2020, Stuttgart. [9] K.Roik, R.Bergmann, J.Haensel, G.Hanswille: Verbundkonstruktionen - Bemessung auf der Grundlage des Eurocode 4 Teil 1, BK 1999 Teil II, Ernst&Sohn, Berlin. [10] Schmitt et al: VFT-Bauweise Entwicklung von Verbundträgern im Brückenbau, Beton- und Stahlbeton 96 (2001), Heft 4. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 129 Pilotbrücke „Stokkumer Straße“: Ein innovatives Bauwerk mit Brückenwiderlagern aus geokunststoffbewehrter Erde Michael Girmscheid Thomas & Bökamp Ingenieurgesellschaft mbH, Münster, Deutschland Felix Lehmann ELE. Beratende Ingenieure GmbH, Essen, Deutschland Thorsten Balder Heitkamp Brückenbau GmbH, Herne, Deutschland Hartmut Hangen HUESKER Synthetic GmbH, Gescher, Deutschland Zusammenfassung Für den Ersatzneubau der Brücke „Stokkumer Straße“ wurden im Rahmen eines Pilotprojektes zur Reduzierung der Bauzeit moderne Technologien eingesetzt: Die Fertigung des Stahlverbundüberbaus inklusive Abdichtung und Kappen erfolgte auf einem benachbarten Parkplatz. Der ca. 40 m lange und 400 to schwere Überbau wurde mit Hilfe von SPMT-Einsatz in einer Wochenendsperrung eingefahren und auf den Widerlagern abgesetzt. Die Widerlager wurden aus geokunststoffbewehrter Erde hergestellt. Hierbei handelt es sich um eine nicht geregelte Bauweise. So finden sich in den Regelwerken der Straßenbauverwaltung für Brückenbauwerke keine Festlegungen hinsichtlich derartiger Widerlager, die sich im Hinblick auf ihr Trag- und Verformungsverhalten deutlich von massiven Brückenwiderlagern unterscheiden. Vor diesem Hintergrund wurden entsprechende Anforderungen und Nachweise zum Trag- und Verformungsverhalten der bewehrten Erde ausgearbeitet. Das Widerlager wurde mit einer umfassenden Messtechnik ausgestattet, um die Rechenannahmen zu verifizieren. 1. Grundlagen In NRW hat das Verkehrsministerium in Zusammenarbeit mit Straßen.NRW ein 8-Punkte-Programm vereinbart mit dem Ziel, Verkehrseinschränkungen durch Baustellen zu reduzieren [1]. Ein Baustein des 8-Punkte-Programms ist die funktionale Ausschreibung von Bauleistung, in der keine detaillierte Leistungsbeschreibung vorgegeben wird, sondern im Wesentlichen Ziele definiert werden. Im Rahmen einer solchen Funktionalausschreibung wurde das Projekt „Ersatzneubau Stokkumer Straße“ an die Firma Heitkamp Brückenbau GmbH vergeben. Ziel von Heitkamp war die Minimierung der Bauzeit durch innovative Bauverfahren. Im Rahmen eines Vorentwurfs wurden verschiedene Varianten diskutiert und schließlich in Abstimmung mit Straßen.NRW und dem BMVI festgelegt, die Brücke auf Widerlagern aus geokunststoffbewehrter Erde zu gründen. Zudem sollte der Brückenüberbau in Seitenlage auf einem benachbarten Parkplatz hergestellt und mit Hilfe von SPMT-Einsatz (self propelled modular transporter) in Endlage transportiert werden. Die Sperrung des überführten Wirtschaftsweges sollte nicht länger als 80 Tage andauern und der Verkehr auf der A3 nur an zwei Wochenendsperrungen beeinflusst werden. 2. Das Brückenbauwerk 2.1 Bestandsbauwerk Das zu ersetzende Bestandsbauwerk dient der Überführung eines Wirtschaftsweges über die A3 bei Emmerich an der niederländischen Grenze. Der einfeldrige, ca. 6,5 m breite Brückenüberbau ist in Längsrichtung vorgespannt und wurde als zweistegiger Plattenbalken ausgeführt. Bei einer Stützweite von 34 m und einer Konstruktionshöhe von 1,5 m ergibt sich eine Schlankheit von 22,7. Das Bestandsbauwerk wurde im Jahr 1961 erbaut und als Brückenklasse 12 nach DIN 1072 bemessen. Die geringe vorhandene Brückenklasse war Auslöser für Abbruch und Neubau der Brücke. 130 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Pilotbrücke „Stokkumer Straße“: Ein innovatives Bauwerk mit Brückenwiderlagern aus geokunststoffbewehrter Erde 2.2 Neubau Als Ersatzneubau wird ein einfeldriger Verbund-überbau mit zwei dichtgeschweißten Stahlkästen und Ortbetonergänzung gewählt. Die Querschnittshöhe beträgt 1,45 m bei einer Stützweite von 36,8 m. Die Stützweite wurde im Vergleich zum Bestandsbauwerk vergrößert, da die Belastung nicht direkt an der Kante der bewehrten Erde Konstruktion eingeleitet werden kann. Es ergibt sich somit eine Schlankheit von 25. Die dichtgeschweißten Kästen werden in S355, die 25 cm dicke Ortbetonergänzung wird mit Beton der Festigkeitsklasse C35/ 45 ausgeführt. Die Bemessung erfolgt nach DIN EN 1993 für das LM1 nach DIN EN 1991. Bild 1: Bauwerksentwurf - Regelquerschnitt In Bild 1 und Bild 2 werden Ansicht, Längsschnitt sowie Regelquerschnitt der Brücke dargestellt. Bild 2: Bauwerksentwurf - Ansicht und Längsschnitt Der Brückenüberbau lagert auf Stahlbetonbalken in Ortbetonbauweise auf. Die Stahlbetonbalken werden oberhalb der bewehrten Erde angeordnet und ermöglichen die Unterbringung von Lagersockeln, Pressenansatzpunkten sowie den Einbau der Übergangskonstruktion in Kammerwand und Überbau. Die bewehrte-Erde-Konstruktion wird mit Stahlbeton-fertigteilen verkleidet. Diese werden auf Konsolen, die an das Bestandsfundament angeschlossen werden, aufgestellt und an der Oberseite durch einen U-förmigen Ortbetonbalken ausgesteift. Es erfolgt eine Verfüllung des Spaltes zwischen Fertigteil und bewehrter Erde mit Blähton. Die Bemessung der Fertigteile erfolgt für Windlasten und Silodruck. Im Bereich der Flügelwände, die durch Winkelstützwände gebildet werden, erfolgt die Verkleidung mit Gabionenwänden, die horizontal an die bewehrte-Erde-Konstruktion angeschlossen werden. Dazu werden Geogitter in die Gabionenfugen eingelegt und im Erdkörper verankert. Bild 3: Verkleidung der bewehrten Erde durch Stahlbeton-Fertigteile und Gabionen 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 131 Pilotbrücke „Stokkumer Straße“: Ein innovatives Bauwerk mit Brückenwiderlagern aus geokunststoffbewehrter Erde 2.3 Statische Randbedingungen beim Transport Der Transport erfolgt mittels SPMTs der Firma Wagenborg an 4 Lastangriffspunkten unter jedem Stahllängsträger (Bild 4). Es werden kraftgesteuerte Pressen eingesetzt. Da die Anordnung von 2x4 Lastangriffspunkten zunächst eine statisch unbestimmte Lagerung darstellt, bei der es zu Zwängungen kommen kann, wurden die hydraulischen Pressen in den Radaufhängungen so in 3 Gruppen gesteuert, dass eine statisch bestimmte Lagerung entsteht. Es werden trotz der statisch bestimmten Lagerung verschiedene Zwängungszustände untersucht. Hierbei werden Relativverschiebungen der Auflagerpunkte von 1 cm bis 2 cm angesetzt. Daraus ergeben sich Zwangsbeanspruchungen in den Längsträgern und der Fahrbahnplatte, die bei der Bemessung berücksichtigt werden. Bild 4: Lagerung beim Transport - Konzept der hydraulischen Steuerung Aufgrund des relativ weichen Brückenüberbaus kommt es beim Absenken des Überbaus aus der Endverdrehung (Wechsel vom Einfeldträger mit Kragarm auf Einfeldträger) zu nennenswerten horizontalen Verformungen der Unterkante der Querträger in Richtung der Kammerwände. Der Überbau wird daher temporär auf Stahlprofile mit einer Gleitplatte mit PTFE Schicht abgelegt, wodurch eine freie Verformbarkeit gewährleistet wird. Danach erfolgt ein Anheben des Überbaus in den planmäßigen Pressenansatzpunkten und die Betonage der Lagersockel. 3. Widerlager aus geokunststoffbewehrter Erde 3.1 Grundlagen Die Verwendung geosynthetischer Bewehrungsprodukte zur Lösung geotechnischer Aufgabenstellungen ist aufgrund ökologischer und ökonomischer Vorteile gegenüber klassischen Bauweisen seit Langem üblich. Geokunststoffbewehrte Stützkonstruktionen nehmen hierbei eine besondere Stellung ein und stellen einen der ältesten und häufigsten Anwendungsbereiche dar. 132 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Pilotbrücke „Stokkumer Straße“: Ein innovatives Bauwerk mit Brückenwiderlagern aus geokunststoffbewehrter Erde KBE (Kunststoff Bewehrte Erde) Konstruktionen zeichnen sich im Vergleich zu konventionellen Bauweisen im Wesentlichen durch folgende Vorteile aus: 1. duktiles Tragverhalten ermöglicht reduzierte Anforderungen an Baugrund und Hinterfüllmaterialien 2. schnelle und daher kostengünstige Herstellung oder Entsorgung (bei temporären Konstruktionen) mit konventionellem Erdbaugerät 3. geringes globales Erwärmungspotenzial (GWP) 4. vielfältige architektonische Gestaltungsmöglichkeiten Ursprung dieser Bauweise ist die in den 60er-Jahren durch den Franzosen Herni Vidal [2] eingeführte s. g. Bewehrte Erde. Bereits in den 80er-Jahren wurden die hierbei eingesetzten Stahlbänder jedoch zunehmend durch vollflächige geosynthetische Bewehrungsprodukte ersetzt. Bild 5 zeigt am Beispiel eines Regelquerschnittes eines geokunststoffbewehrten Brückenwiderlagers das Prinzip einer KBE-Konstruktion mit den Hauptbestandteilen Zugbewehrung, Facingelement, Erdstoff (Bewehrter Erdkörper und Hinterfüllboden) sowie Belastungseinrichtung (z.B. Widerlagerbalken). Bild 5: Regelquerschnitt des bewehrten Brückenwiderlagers bei Ilsenburg [3] Neben den aktuellen Regelwerken, nach denen KBE-Konstruktionen bemessen werden in Deutschland sind dies zusätzlich zu den Dachnormen EC 7 [4], DIN 1054 [5], DIN 4084 [6] und EBGEO 2010 [7] gibt es weltweit mittlerweile eine überaus große Anzahl an wissenschaftlichen Arbeiten und Fachaufsätzen zu nahezu allen relevanten Fragestellungen im Zusammenhang mit solchen Konstruktionen. So findet man einen Überblick über die ersten Anfänge der Verwendung von Geokunststoffen als Bodenbewehrung für Stützkonstruktionen z. B. in Allen [8], eine systematische Erhebung und Auswertung des Bauwerksverhaltens repräsentativer KBE-Konstruktionen findet sich z. B. bei Crouse und Wu [9]. Bathurst [10] hingegen vermittelt einen Überblick zum derzeitigen Stand der Technik und aktuellen Entwicklungen von Bemessungskonzepten und Modellierungen; ein Review ausgewählter Beiträge der jüngsten Internationalen Geosynthetic Konferenz (10th ICG) in Berlin zu diesem Thema findet sich auch in Hangen [11]. 3.2 Geokunststoffbewehrte Brückenwiderlager Eine Vielzahl von Untersuchungen und Referenzprojekten haben gezeigt, dass Geokunststoffbewehrte Stützkonstruktionen auch extrem hohe Einwirkungen abtragen können, ohne zu versagen oder übermäßig große Verformungen zu zeigen. Sehr eindrucksvoll konnte dies z.B. im Rahmen von realmaßstäblichen Belastungsversuchen an der Landesgewerbeanstalt Nürnberg (LGA) [12] und [13] oder [14] demonstriert werden. Bild 6 und Bild 7 zeigen die Versuchsanordnung und die horizontalen und vertikalen Verformungen des untersuchten 4,5 m hohen KBE-Körpers für vertikale Belastung mit einem 1,0 m breiten und 3,0 m langen Betonbalken. Die horizontale Verformung des in zwei Stufen gefahrenen Versuches betrug für realistische Spannungen unter einem Brückenwiderlagerbalken von 200 bis 250 kN/ m² selbst bei Erstbelastung an der höchsten Stelle nur etwa 4 mm. Die Gesamtsetzung betrug bei der gleichen Belastung ca. 6 mm. Erst ab einer Auflastspannung von 500 kN/ m², welche bei der zweiten Belastung aufgebracht wurde und den Belastungsgrößen entspricht, welche im Rahmen der Stokkumer Straße zu erwarten sind, zeigte die Konstruktion Anzeichen merklicher Verformungen. Ein Versagen der Konstruktion konnte aber auch unter der maximal aufbringbaren Belastung von 650 kN/ m² nicht erreicht werden. In anderen Quellen wird die maximale Tragfähigkeit sogar mit bis zu 1200 kN/ m² angegeben [14]. Bild 6: Großversuche zur Untersuchung der Tragfähigkeit einer KBE an der LGA Nürnberg [12] und [13], Abmessungen und Anordnung der Messeinrichtungen 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 133 Pilotbrücke „Stokkumer Straße“: Ein innovatives Bauwerk mit Brückenwiderlagern aus geokunststoffbewehrter Erde Bild 7: Ergebnisse eines Großversuches an der LGA Nürnberg [12] und [13], gemittelte Setzung des Auflagerbalkens und horizontale Verschiebungen während der ersten Belastungsstufe 0 < σ < 400 kN/ m² Die bisherigen Erfahrungen mit Geokunststoffbewehrten Stützkonstruktionen legen daher nahe, dass diese Technik unter Verwendung hochwertiger Bewehrungs- und Erdstoffe auch für die Errichtung von hoch belasteten Brückenwiderlagern vorgesehen werden kann. Eine Reihe von Referenzbauwerken zeigt, dass dies grundsätzlich in der Praxis umgesetzt wurde und welche unterschiedlichen Optionen dabei bestehen [15]. Für ein Brückenbauwerk mit Abmessungen und baulichen Randbedingungen wie an der Stokkumer Straße wurde diese Bauweise in Deutschland aber bisher noch nicht eingesetzt. 3.3 Materialien Wie in Abschnitt 3.1 und 3.2 dargestellt, sind Geokunststoffbewehrte Erdkörper grundsätzlich in der Lage, hohe Vertikalspannungen bei geringer Verformung abzutragen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Erdkörper mit scherfestem und gut verdichtbarem Bodenmaterial ausgeführt wird. Außerdem sollten Geogitterbewehrungen verwendet werden, welche sich durch eine hohe Dehnsteifigkeit und geringes Kriechverhalten auszeichnen. Im vorliegenden Projekt wurde entschieden, diese Anforderungen mit Hilfe eines relativ stark schluffigen, leicht kiesigen Feinbis Mittel-sandes zu erfüllen, welcher durch Zugabe von Mischbindemittel insbesondere zur Erhöhung der Steifigkeit verbessert wurde. Ein wesentlicher Grund für die Wahl dieses Erdstoffes war dessen Verfügbarkeit in geringer Transportentfernung. Als Geogitter kam ein hochzugfestes biaxiales Geogitter aus dem Rohstoff PVAL (Polyvinylalkohol) zur Anwendung. Die Kurzzeitfestigkeit dieses Materials beträgt 400 kN/ m, ferner zeichnet sich das gewählte Geogitter durch seine Langzeitbeständigkeit in alkalischem Milieu aus. Geogitter aus dem Rohstoff PET hingegen verlieren in alkalischer Umgebung sehr schnell an Festigkeit und konnten daher nicht verwendet werden. 3.4 Bemessung Die Standsicherheits- und Gebrauchstauglichkeitsnachweise wurden gemäß den Anforderungen der DIN EN 1997-1 [4], DIN EN 1997-1/ NA und DIN 1054 [5] in Verbindung mit der EBGEO [7] geführt. Grundsätzlich umfassen die Standsicherheitsnachweise zunächst die bekannten Nachweise der äußeren Standsicherheit (Nachweise der Sicherheit gegen Kippen, Gleiten und Grundbruch der Gesamtkonstruktion sowie gegen Geländebzw. Böschungsbruch). Für die Nachweise der Sicherheit gegen Kippen, Gleiten und Grundbruch wird eine KBE-Konstruktion als quasi-monolithisches Bauwerk modelliert. Im vorliegenden Fall wurde der Nachweis der Sicherheit gegen Grundbruch für das Bestandsfundament erbracht, wodurch der analoge Nachweis für die KBE hinfällig war, da sich unter der KBE-Konstruktion keine vom Bestandsfundament unabhängigen Grundbruchkörper ausbilden können. Der Nachweis der Sicherheit gegen Geländebzw. Böschungsbruch wurde mit den Verfahren der DIN 4084 [6] geführt. In diesem Zusammenhang wurden auch Gleitlinien untersucht, die die KBE-Konstruktion durchdringen. Werden dabei Geogitterlagen geschnitten, ist aus dem Kräftedefizit zur Nachweisführung die Zugbeanspruchung der jeweiligen Geogitterlage abzuleiten. Zur inneren Standsicherheit zählen die Nachweise der Bemessungsfestigkeit der Bewehrung, des Herausziehwiderstandes der Bewehrung sowie Nachweis der Anschlüsse, der Bewehrungsstöße und der Frontausbildung. Die maßgebenden Zugbeanspruchungen liefert dafür hauptsächlich die Nachweisführung gegen Geländebzw. Böschungsbruch. Der Reibungsbeiwert f zur Bestimmung des Herausziehwiderstands in der Grenzfläche zwischen Geogitter und Boden bzw. Geogitter und Geogitter wurde für das gewählte Produkt nach Herstellerangaben zu f = 0,9 · tan (φ k ‘) angesetzt und im Rahmen von Laborversuchen im Großrahmenschergerät nachgewiesen. Die Front der KBE-Konstruktion wurde nach der Umschlagmethode ausgebildet, bei der an der Front ein Umschlag des Geogitters nach oben und unterhalb der nächsten Geogitterlage erfolgt. Die notwendigen Herausziehwiderstände werden über eine entsprechende Einbindung im Füllboden oberhalb des Umschlages gewährleistet. 3.5 Interaktion bewehrte Erde - Brückenüberbau Die hochgesetzten Stahlbeton-Widerlager wurden als klassische Flachgründung bemessen. Dabei sollten die maximalen mittleren Bodenpressungen in der Ersatzfläche (a’ · b’) 585 kN/ m² nicht überschreiten. Die vordere Kante des Widerlagers wurde um 0,5 m hinter der Vorderkante der bewehrte-Erde-Konstruktion angeordnet, um hohe Pressungen an der direkten Vorderkante zu vermeiden. 134 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Pilotbrücke „Stokkumer Straße“: Ein innovatives Bauwerk mit Brückenwiderlagern aus geokunststoffbewehrter Erde Bild 8: prognostizierte Vertikalverformungen Mittels FEM-Berechnungen wurden die in Bild 8 dargestellten vertikalen Verformungen der bewehrte-Erde-Konstruktion prognostiziert. Die hohen berechneten Verformungen und die Verdrehung um die Brückenquerachse haben Auswirkungen auf das Lichtraumprofil sowie auf die Verformungen der Lager und Übergangskonstruktionen. Diese zusätzlichen Verformungen wurden entsprechend bei der Dimensionierung berücksichtigt. 3.6 Messtechnik und -programm Aufgrund der nicht geregelten Bauweise von Brückenwiderlagen als KBE-Konstruktion ist für die Maßnahme die Erteilung einer Zustimmung im Einzelfall (ZiE) und damit verbunden eine geeignete messtechnische Begleitung erforderlich. Ziel des Messprogramms ist die Verifizierung der Berechnungsansätze bzw. der Verformungsprognosen und die Gewährleistung des Sicherheitsniveaus im Sinne der Beobachtungsmethode nach DIN 1054 [5] durch ein rechtzeitiges Erkennen eines möglichen Versagens. Das Messprogramm für die temporäre messtechnische Begleitung gemäß ZiE setzt sich aus Messungen der Verformungen und der Spannungen zusammen. Aufgrund der Frontverkleidung aus Stahlbetonfertigteilen und den seitlich angeordneten Gabionen ist die eigentliche KBE-Konstruktion vollständig verdeckt. Die Betrachtung von Verformungen ausschließlich mittels geodätischer Messungen wäre für die spätere Beurteilung folglich unzureichend. Um das Verformungsverhalten im Inneren des KBE-Körpers aufnehmen zu können, werden daher auch Messungen mittels Geogitterwegaufnehmern, Horizontalinklinometern und Erddruckmessdosen in der KBE durchgeführt. Mit Ausnahme der geodätischen Messungen erfolgen die Messungen ausschließlich unterhalb der Auflagerbank des festen Auflagerpunktes, da sich dort infolge des Abtrags der horizontalen Einwirkungen die maßgebenden Lastfälle und daher auch die maßgebenden Verformungen einstellen. Die Messbolzen für die geodätischen Messungen wurden so angeordnet, dass Veränderungen in Lage und Höhe und somit auch Setzungen, Setzungsdifferenzen und horizontale Verschiebungen an den Eckpunkten bzw. den maßgebenden Stahlbetonbauteilen des Bauwerks (Auflagerbalken, Bestandsfundament) erkannt werden können. Mit Hilfe der geodätischen Messungen können die tatsächlich eingetretenen Verformungen direkt mit den prognostizierten Verformungen der zuvor geführten FEM-Berechnungen bzw. den prognostizierten Setzungen und Verdrehungen der Bauteile verglichen werden. Mittels der Inklinometermessungen in der KBE-Konstruktion kann die Setzungsverteilungen über ihren gesamten Längsschnitt festgestellt werden. Da die vorgesehenen Inklinometerrohre etwa 3 m länger als die KBE-Konstruktion sind, kann auch das unterschiedliche Setzungsbzw. Verformungsverhalten zwischen der KBE-Konstruktion und dem Hinterfüllbereich erfasst werden. Darüber hinaus können Größenordnung und Verteilung der Setzungen infolge der Lastausbreitung unterhalb der Auflagerbank bestimmt werden. Zur Vermeidung von Kollisionen und Zwängungen zwischen den Inklinometerrohren und der übrigen Messtechnik wurde entschieden, die Inklinometerrohre übereinander und statt in der Symmetrieachse (Stokkumer Straße) leicht versetzt dazu anzuordnen. Unterhalb der Auflagerbank wurden Erddruckgeber angeordnet, um Bodenspannungen zu messen. Um die maßgebenden Spannungen zu erfassen, werden Messgeber zur Aufnahme von vertikalen Spannungen direkt unter dem Punkt der Krafteinleitung - den Auflagerpunkten des Überbaus - angeordnet. Ziel der Messungen ist die Verifizierung der Lastausbreitung von der Auflagerbank in die KBE und ein entsprechender Vergleich mit dem für die Verformungsprognosen angesetzten bodenmechanischen Modell. Zur Verifizierung der Lastansätze des Überbaus soll zudem die Kraft am festen Auflagerpunkt des Brückenüberbaus mittels Kraftmessdosen ermittelt werden. Ziel dieser Messung ist es, die gemessenen Bodenspannungen und Geogitterspannungen mit den tatsächlich wirkenden Lasten aus dem Überbau in Deckung zu bringen. An ausgewählten Bewehrungslagen der KBE wurden Geogitterdehnungsaufnehmer (Wegaufnehmer) angebracht. Über die gemessenen Dehnungen der Geogitter kann auf die Zugkräfte in den Geogittern geschlossen werden. Die Messungen dienen somit zur Verifi-zierung der Größenordnung der Zugbeanspruchung einerseits und der aktiven/ passiven Bereiche der KBE andererseits. Aufgrund dessen wurden die Wegaufnehmer dort angeordnet, wo mit potentiellen Scherfugen gerechnet wird. Bild 9 zeigt exemplarisch einen Wegaufnehmer während der Installation auf dem Geogitter. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 135 Pilotbrücke „Stokkumer Straße“: Ein innovatives Bauwerk mit Brückenwiderlagern aus geokunststoffbewehrter Erde Bild 9: Geogitterdehnungsaufnehmer der Fa. Glötzl während der Installation Die Messwerterfassung erfolgt mit Ausnahme der Inklinometermessungen und der geodätischen Messungen durch Aufzeichnungen und intervallmäßiges Auslesen der Messergebnisse vor Ort. Hierzu wurde seitlich des Widerlagers an der Vorsatzschale ein Messkasten angebracht, in dem die Leitungen der Erddruckgeber, der Geogitterdehnungsaufnehmer und der Kraftmessdose zusammenlaufen. Die Inklinometermessungen und geodätischen Messungen sind Stichtagsmessungen zu vorzugebenden Zeitpunkten. Die insgesamt 9 Messintervalle richten sich nach den Bauzuständen und die Nullmessungen nach dem jeweiligen Baufortschritt (Einbau des jeweiligen Messgebers). 36 Monate nach der Verkehrsfreigabe soll die letzte planmäßige Messung erfolgen. Kurzfristig nach dem Auslesen bzw. der jeweiligen Messwerterfassung werden die Messergebnisse einer Erstauswertung unterzogen, um beurteilen zu können, ob unerwartete Belastungs- oder Verformungszustände vorliegen. Darüber hinaus sollen die Messergebnisse hinsichtlich der Modellbildungen im Detail ausgewertet werden. 3.7 Erste Messergebnisse Die Messergebnisse der ersten sechs Messphasen (Nullmessung bis 5. Folgemessung mit Ausbaulasten ohne Verkehrslasten) werden zum Zeitpunkt der Manuskripterstellung im Detail noch ausgewertet. Die geodätischen Messungen der an den seitlichen Wänden des Auflagerbalkens angeordneten Messmarken zeigen Verformungen im unteren Millimeter-Bereich und bestätigen zugleich die erwartete geringe Verdrehung der Auflagerbank in Richtung des Überbaus. Absolut fallen die Verformungen des Auflagerbalkens deutlich geringer aus als mittels FEM-Berechnungen prognostiziert. Anhand der Erstauswertung der Geogitterdehnungsaufnehmer konnten die in den Geogittern aktivierten Zugspannungen abgeleitet werden. Diese betragen mit wenigen kN/ m nur einen Bruchteil der Bemessungsfestigkeit der eingebauten Geogitter. Zusammenfassend kann zum jetzigen, frühen Stand der Auswertung davon ausgegangen werden, dass deutliche Tragreserven in der Konstruktion aus bewehrter Erde vorhanden sind. Alle gemessenen Verformungen befinden sich in einem für die Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit verträglichen Maß. 4. Bauausführung 4.1 Widerlager Die Bauarbeiten im Bereich des Bestandsbauwerkes begannen mit den Rückbauarbeiten im Bereich des vorhandenen Wirtschaftsweges auf den Rampen und dem Freilegen des Brückenbauwerkes. Für die später erforderliche Aufstellfläche der Fertigteilverkleidung wurde die Fundamentverbreiterung erstellt. Am Wochenende ab dem 20.09.19 um 22.00 Uhr wurde das alte Spannbetonbauwerk bis auf die Bodenplatte der Widerlager in einer ersten Vollsperrung der BAB A3 abgerissen und das Abbruchmaterial von der Baustelle gefahren. Am Sonntagmittag konnte die Autobahn wieder für den Verkehr freigegeben werden. Gänzlich ohne Beeinträchtigung des Autobahnverkehrs wurde dann in der darauffolgenden Woche parallel an beiden Achsen mit der Erstellung der geogitterbewehrten Erdwiderlager begonnen (Bild 10). Bild 10: Parallele Herstellung der beiden Widerlager ohne Verkehrseinschränkung 136 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Pilotbrücke „Stokkumer Straße“: Ein innovatives Bauwerk mit Brückenwiderlagern aus geokunststoffbewehrter Erde Für die schnelle und reibungslose Ausführung wurden im Vorfeld in einem 1: 1 maßstäblichen Probefeld die Einbautechniken und Geräteeinsätze optimiert und das Personal geschult. Durch diese Maßnahmen konnten die erforderlichen Einbaulagen des geogitterbewehrten Erdkörpers innerhalb von nur einer Woche bis UK Auflagerbalken fertiggestellt werden. Mit den einzelnen Schüttlagen erfolgte die Baugrubenverfüllung. Im östlichen Widerlager musste mit der geogitterbewehrten Erde umfangreiche Messtechnik in unterschiedlichen Lagen für das spätere Monitoring der Konstruktion eingebaut werden. Bild 11: Teilfertiggestelltes Widerlager Oberhalb der KBE Konstruktion wurden dann die Stahlbetonauflagerbalken mit den Kammerwänden und den späteren Lagersockeln in Ortbetonbauweise errichtet. Auch diese Arbeiten wurden parallel an beiden Achsen durchgeführt. Es folgte die Montage der dahinterliegenden Winkelstützelemente, die als Flügelersatz dienen. Diese Arbeiten nahmen ein Zeitfenster von ca. einem Monat in Anspruch. Danach wurden die hinter dem Auflagerbalken liegenden Bereiche der geogitterbewehrten Erde aufgebaut und die Baugruben weiter verfüllt. Währenddessen wurde auch die unabhängig vor dem Erdwiderlager stehende Betonvorsatzschale aus Stahlbetonfertigteilen als Widerlagerverkleidung an beiden Seiten der Autobahn montiert, die Gabionen im Flügelbereich aufgestellt, verfüllt und die Bauwerksausstattung (Entwässerungsrinne und Böschungstreppen) komplettiert. Bild 12: Herstellung der bewehrten Erde hinter dem Widerlagerbalken 4.2 Überbau Die Arbeiten an dem aus zwei Stahlhohlkästen bestehenden Stahlverbundüberbau begannen Anfang August mit der Sperrung des zum Brückenbauwerk nahegelegenen Autobahnparkplatzes „Hohe Heide“. Nach einigen vorbereitenden Tätigkeiten wurde hier das Traggerüst für die Herstellung des Überbaus aufgebaut. Mit der Anlieferung und dem Ablegen der Stahlhohlkästen auf den Stütztürmen und dem Aufbau der Schalung für die Verbundbetonplatte wurden die Leistungen fortgeführt. Es folgten der Einbau der Bewehrung für die Fahrbahnplatte und der Endquerträger. Die Lager wurden ebenso schon im Bereich der Endquerträger montiert, wie auch die Fahrbahnübergangskonstruktion an einem Überbauende eingebaut wurde. Die Fertigung des Überbaus erfolgte somit ganz konventionell, lediglich räumlich versetzt zum späteren Brückenbauwerk. Die weiteren Arbeitsschritte waren also das Aufbringen der Abdichtung, die Herstellung der Kappen samt Geländer und das Aufbringen der Schutzschicht. Wichtig für die korrekte und passgenaue Herstellung des Überbaus waren die korrekten Vorgaben der Verformungen in den unterschiedlichen Bauzuständen, die damit im Zusammenhang stehenden Bauteilabmessungen und die sorgfältige Bauvermessung, damit der Überbau auch später in der Endlage zwischen die Widerlager passt. 4.3 Transport Während der Planungsphase der Bauausführung spielte das später für das Einfahren des Überbaus nötige Transportkonzept eine wesentliche Rolle. Der sehr weiche Stahlverbundüberbau muss die aus den unterschiedlichen 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 137 Pilotbrücke „Stokkumer Straße“: Ein innovatives Bauwerk mit Brückenwiderlagern aus geokunststoffbewehrter Erde Transportu. Lagerungszuständen auftretenden Belastungen schadensfrei überstehen. Daher musste das Transportkonzept frühzeitig festgelegt werden, damit diese Angaben in der Statik berücksichtigt werden konnten. Bild 13: Anheben des Überbaus auf Endhöhe mittels Hubgerüst Die Herstellung des ca. 400 Tonnen schweren Überbaus auf dem Parkplatz in Endhöhe hätte ein sehr hohes Traggerüst erfordert und unnötige Schwierigkeiten bei der Andienung des Bauteils mit allen erforderlichen Baustoffen verursacht und die Zugänglichkeit für die Arbeiter verkompliziert. Daher sah das Konzept vor, den Überbau auf einem tiefliegenden Traggerüst herzustellen, das fertige Bauteil mit einem Hubgerüst unter den Endquerträgern auf Einbauhöhe anzuheben in der dann die Übernahme auf die SPMTs erfolgt. Die Anordnung der SPMTs für den darauffolgenden Längstransport konzentriert sich in den Drittelspunkten des Überbaus mit frei auskragenden Endquerträgern. Diese unterschiedlichen Verformungen mussten planerisch in der Statik ebenso abgesichert und berücksichtigt werden wie Setzungsdifferenzen in den Auflagerpunkten während der Fahrt. Durch mehrere gekoppelte Hydraulikkreise konnte für den Längstransport eine statisch bestimmte Lagerung erreicht werden (siehe auch 2.3). Nur zwei Monate nach dem Brückenabbruch konnte der komplette Überbau in einem Stück in Endlage eingefahren werden. Dazu wurde am Vortag der zweiten Vollsperrung der BAB A3 der Überbau mit dem Hubgerüst angehoben und auf den SPMTs abgesetzt. In der Nacht wurde dann die Mittelstreifenüberfahrt für das Einfahren in Endlage hergestellt. Am Samstagmorgen des 23.11.19 wurde in nur ca. 5 Stunden der Längstransport der Brücke über ca. 500 m und das Einfahren in Endlage erfolgreich durchgeführt. Der Überbau wurde auf temporären Absetzstapeln und Hydraulikpressen abgesetzt. In diesem Zustand konnten die vorbereiteten Lagersockel und die Lager vergossen werden. Es folgten die Rückbauarbeiten an der Mittelstreifenüberfahrt, bevor dann die Autobahn am Sonntagmorgen wieder freigegeben werden konnte. Bild 14: Brückenüberbau während des Transportes Nachfolgend zum Einfahren des Überbaus wurden dann die letzten Arbeiten an der Übergangskonstruktion durchgeführt und der Straßenbau des Wirtschaftsweges komplettiert, so dass die Maßnahme innerhalb der 80 Tage-Vorgabe erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Bild 15: Brückenüberbau beim Einheben Die Heitkamp Brückenbau GmbH hat die Bauweise patentrechtlich geschützt und als Marke unter „Heitkamp Schnellbaubrücke“ eintragen lassen. 5. Projektbeteiligte Bauherr: Straßen.NRW, ANL Krefeld Baufirma: Heitkamp Brückenbau GmbH Planung Bauwerk: Thomas & Bökamp Ingenieurgesellschaft mbH Planung bewehrte Erde: IBH - Herold & Partner Ingenieure Part mbB Geotechnischer Prüfer: Prof. Dr.-Ing. Dietmar Placzek, c/ o ELE Beratende Ingenieure GmbH, Essen Bautechnische Prüfung: Dr.-Ing. Renato Eusani Messtechnik: Fachhochschule Münster BIM Begleitung: TU Dortmund 138 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Pilotbrücke „Stokkumer Straße“: Ein innovatives Bauwerk mit Brückenwiderlagern aus geokunststoffbewehrter Erde 6. Literaturverzeichnis [1] Handout Infrastrukturpaket, 08. Mai 2018, Ministerium für Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen [2] Vidal, H.: Die bewehrte Erde. Annales de l’Institut Technique du Batiment et des Travaux Publics, Supplément au no. 299, Nov. 1972. [3] Herold, A.: Das erste Straßenbrückenwiderlager in Deutschland als Permanentkonstruktion in der Bauweise KBE-Kunststoffbewehrter Erde. In: Floss, R. (Hrsg.): Tagungsband der 7. Informa-tions- und Vortragstagung über „Kunststoffe in der Geotechnik“ (KGEO), März 2001, München, Sonderheft der Zeitschrift Geotechnik der DGGT, 2001, S.113- 119. [4] DIN EN 1997-1: 2014-03: Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik- Teil 1: Allgemeine Regeln. Beuth Verlag, Berlin. [5] DIN 1054/ A2: 2015-11: Baugrund - Sicherheitsnachweise im Erd- und Grundbau - Ergänzende Regelungen zu DIN EN 1997-1; Änderung 2. Beuth Verlag, Berlin. [6] DIN 4084: 2009-01: Baugrund - Geländebruchberechnungen. Beuth Verlag, Berlin. [7] EBEGO (2010): Empfehlungen für den Bau und die Berechnung von Erdkörpern mit Bewehrungen aus Geokunststoffen, Deutsche Gesellschaft für Geotechnik, 2. Auflage, Ernst und Sohn, Berlin, 2010. [8] Allen, T.M.; Bathurst, R.J. und Berg, R.R.: Global level of safety and performance of geosynthetic walls: An historical perspective. Geosynthetics International 9 (5-6): 395-450, 2002. [9] Crouse, P.E.; Wu, J.T.H.: Long-Term Field Per-formance of Geosynthetic-Reinforced Soil Retaining Walls; Center for Mechanically Stabilized Backfill Research University of Colorado at Denver; Report No. CDOT-DTD-97-12, May 1996. [10] Bathurst, R.J.: Challenges an recent progress in the analysis, design and modelling of geosynthetic reinforced soil walls. In: Ziegler, M.; Bräu, G.; Heerten, G.; Laackmann, K. (Hrsg.): Tagungs-band der 10th ICG, Giroud Lecture auf der Inter-national Conference on Geosynthetics, 21. - 25.9. 2014 in Berlin, Deutsche Gesellschaft für Geo-technik e.V. (DGGT), ISBN 978-3-9813953-9-6, 2014, Paper 235. [11] Hangen, H.: Review ausgewählter Beiträge der 10th ICG - Geokunststoffbewehrte Gründungspolster auf vertikalen Traggliedern, Bewehrte Stützkonstruktionen, Interaktion Geogitter - Boden. In: Ziegler, M. (Hrsg.): Tagungsband der 15. FS-KGeo. 26.3.2015 in München, Deutsche Gesellschaft für Geotechnik DGGT, 2016, S. 11-16. [12] Alexiew, D.: Belastungsversuche an einem 1: 1 Modell eines geogitterbewehrten Brückenwider-lagers. In: Katzenbach, R. (Hrsg.): Tagungsband des 14. Darmstädter Geotechnik-Kolloquiums. März 2007, Mitteilungen des Institutes und der Versuchsanstalt für Geotechnik der Technischen Universität Darmstadt, Heft Nr. 76, 2007, 205-218. [13] Alexiew, D., Detert, O.: Analytical and Numerical Analyses of a Real Scaled Geogrid Reinforced Bridge Abutment Loading Test. In: Dixon, N. (Hrsg.): Proceedings of the 4th European Geo-synthetics Conference, Edinburgh, UK, Septem-ber 2008. [14] Bräu, G., Bauer, A.: Versuche im Boden mit gering dehnbaren Geogittern. In: Floss, R. (Hrsg.): Tagungsband der 7. Informations- und Vortragstagung über „Kunststoffe in der Geotechnik“ (KGEO), März 2001, München, Sonderheft der Zeitschrift Geotechik der DGGT, 2001, S.139-146. [15] Hangen, H., Bordbar, E.: Umsetzung geokunststoffbewehrter Stützkonstruktionen im Rahmen des Großprojektes Buitenring Parkstad. In: Vogt, C. & Moormann, C. (2018, Hrsg.): Tagungshandbuch zum 11. Kolloquium „Bauen in Boden und Fels“ der TA Esslingen, 16. und 17. Januar 2018, S. 193- 199 (Technische Akademie Esslingen). Nachrechnung/ Nachweisverfahren 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 141 Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Stahlbetonplattenbrücken mit Aufbiegungen Dipl.-Ing. Dr.techn. Tobias Huber TU Wien, Institut für Tragkonstruktionen, Wien, Österreich o. Univ.Prof. Dr. Ing. Johann Kollegger TU Wien, Institut für Tragkonstruktionen, Wien, Österreich Dipl.-Ing. Dr. techn. Patrick Huber FCP Fritsch, Chiari & Partner ZT GmbH, Wien, Österreich Zusammenfassung Die historische Ausführungsform der aufgebogenen Längsstäbe zur Schubsicherung ist nach den heutigen Regelwerken nur bedingt vorgesehen. Bei der Bewertung von bestehenden Tragwerken steht der Ingenieur daher vor der Herausforderung, dass die Anwendung der Querkraftmodelle nach Eurocode 2 aufgrund von konstruktiven Regeln in vielen Fällen nicht möglich ist. An der TU Wien wurde auf Basis großformatiger Belastungsversuche ein Nachweiskonzept entwickelt, welches eine realistische Bewertung dieser Situation ermöglicht. Das Modell des potentiellen Schubrisses (PSC-Modell) wird in diesem Beitrag anhand der Nachrechnung einer realen Stahlbetonplattenbrücke erläutert und die Vorteile in der Bestandsbewertung werden dabei aufgezeigt. Die neuen Erkenntnisse werden bereits in der neuen ÖNORM B4002-8 zur Bewertung der Tragfähigkeit bestehender Tragwerke berücksichtigt, wodurch ein Bogen der universitären Forschung in die Anwenderpraxis gespannt wurde. 1. Einleitung Die Anwendung der aktuellen Stahlbetonnormen [1,2] bei bestehenden Spann- und Stahlbetonbrücken birgt mitunter Probleme bei der Nachweisführung gegenüber Querkraftbeanspruchung. Diese Problematik wurde bereits in verschiedenen Arbeiten aufgezeigt [3-5] und es wird nach Möglichkeiten gestrebt, die Situation realistischer bewerten zu können. In den letzten Jahren wurde daher mit neu entwickelten Modellen für die Nachrechnung von Spannbetonbrücken [6-9], aber auch für breitere Anwendungen [8,9] reagiert. Die historische Bauweise der aufgebogenen Längsstäbe wurde im Zuge der Nachrechnungsproblematik in einem wissenschaftlichen Kontext nie genauer betrachtet, obwohl die Relevanz groß ist. In Österreich gelten neben den nur schwach querkraftbewehrten Stegen von Spannbetonbrücken insbesondere Stahlbetonplatten, welche unbewehrt oder mit aufgebogenen Längsstäben bewehrt sind aufgrund der Normenentwicklung als potentiell querkraftgefährdet [5]. In Deutschland zeigten exemplarisch durchgeführte Nachrechnungen von 27 Plattenbrücken aus Stahlbeton in [4], dass für rund ein Drittel der Brücken keine positiven Querkraftnachweise trotz der Anwendung der Nachrechnungsrichtlinie für bestehende Brückenbauten [10] erbracht werden können. Die Gründe hierfür liegen einerseits in der Tatsache, dass zur Bauzeit aufgrund der höheren normativen Querkraftwiderstände für Beton zum Teil schlichtweg keine Querkraftbewehrung eingebaut wurde und andererseits können die heutigen normativen Anforderungen an die Bewehrungsführung nicht erfüllt werden [4]. Der zweite Teil des Eurocode 2 (EC2) für die Bemessung im Brückenbau [1] übernimmt im Wesentlichen die Regelungen des Hochbaus bezüglich Querkraft, welche nachfolgend anhand der DIN-Reihe beschrieben werden. Generell wird zur Anwendung der Bemessungsregeln ein Mindestwert der bezogenen Rippenfläche vorausgesetzt, weshalb die Modelle für glatten Stahl nicht anwendbar sind. Bei Brücken mit Bewehrung der Klasse St I oder Torstahl ist somit ein Nachweis nur mit Hilfe der Nachrechnungsregelwerke [10, 11] möglich. Nach EC2 wird strikt zwischen Bauteilen mit und ohne rechnerisch erforderlicher Querkraftbewehrung unterschieden, wobei hier der Querkraftwiderstand des Betons V Rd,c das Kriterium ist (Gl. 1). (1) 142 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Stahlbetonplattenbrücken mit Aufbiegungen mit dem Vorfaktor C Rk,c (0,15 nach [2]), dem Teilsicherheitsbeiwert für Beton γ c , dem Maßstabsfaktor k = 1+(200/ d [mm]) 1/ 2 , dem Bewehrungsgrad der Längsbewehrung ρ l ≤ 0,02, der charakteristischen Betondruckfestigkeit f ck , dem Faktor zur Berücksichtigung einer Normalkraft k 1 (0,12 nach [2]), der Normalspannung aufgrund einer Normalkraft σ cp , der geringsten Breite des Querschnitts b w und der statischen Nutzhöhe d. Sobald dieser Grenzwert überschritten wird, ist in der Regel im ganzen Bauteil, außer bei Platten (b/ h > 5 nach [2]) zumindest eine Mindestquerkraftbewehrung vorzusehen. Die Querkraftbewehrung kann im Brückenbau [2] mit unterschiedlichen Bewehrungselementen bewerkstelligt werden: Bügel, welche die Längszugbewehrung und die Druckzone umfassen, aufgebogene Stäbe sowie eine Kombination von beiden. Querkraftzulagen in Form von einschnitten Bügeln mit Haken oder Bügelkörben. Mindestens 50 % der Querkraft müssen jedoch von konventionellen Bügeln übernommen werden. Die genannten Regelungen lassen damit keine Anrechnung von aufgebogener Längsbewehrung zu, wenn diese alleine und nur an den Auflagern vorgesehen wurde. Im Zuge der Bemessung von Stahlbetonplatten kann bei geringer Ausnützung der Druckstrebentragfähigkeit V Rd,max (V Ed ≤ 1/ 3∙V Rd,max ) auch nach aktueller Normenlage die gesamte Querkraftbewehrung aus aufgebogenen Längsstäben bestehen. Diese sind ausreichend zu verankern (0,7∙l bd in der Druckzone, bzw. 1,3∙l bd in der Zugzone). Zur Berechnung des Querkraftwiderstands der Bewehrung V Rd,s wird kein eigenes Berechnungsmodell angegeben, womit lediglich das Fachwerkmodell mit Rissreibung herangezogen werden kann. Im EC2 [ 1 ] ist dafür folgende Formel vorgesehen (Gl. 2). (2) mit der Fläche der Querkraftbewehrung A sw , dem horizontalen Abstand der Bewehrungselemente s, dem Bemessungswert der Streckgrenze der Schubbewehrung f ywd , dem innerem Hebelarm z, dem Druckstrebenwinkel θ, dem Abminderungsfaktor der Festigkeit aufgrund von geneigten Rissen ν 1 , dem Beiwert zur Berücksichtigung der Vorspannung α cw , und der Neigung der Schubbewehrung bezogen auf die Bauteilachse α. Der Druckstrebenwinkel θ kann nach [ 2 ] in folgenden Grenzen gewählt werden (Gl. 3). (3) Der maximale Abstand s b für aufgebogene Längsstäbe soll kleiner als die statische Nutzhöhe d sein (s b ≤ d). So ist das Modell bei häufig vorkommenden größeren Abständen der Aufbiegungen oder bei unzureichender Verankerung der Stäbe ebenso nicht anwendbar. Zusammenfassend können folgende Probleme hinsichtlich der Nachrechnung von Stahlbetonplattenbrücken mit aufgebogenen Längsstäben angeführt werden: - Vorhandensein glatter Bewehrung - Bügelanteil kleiner als 50 % der gesamten Querkraftbewehrung - Keine Mindestquerkraftbewehrung im gesamten Bauteil (unbewehrte Bereiche) bei Balken - Zu große vorhandene Abstände der aufgebogenen Längsstäbe - Zu geringe Verankerung der Stäbe Um diesen Umständen gerecht zu werden, wird in diesem Beitrag ein Nachweiskonzept vorgestellt, welches die Nachrechnung von bestehenden Stahlbetonplattenbrücken mit Aufbiegungen ermöglichen soll [13,14,15]. Das Potential des vorgestellten Modells wird anhand der Nachrechnung einer realen Stahlbetonplattenbrücke aufgezeigt. Das vorgestellte Modell bildet die Grundlage für die Formulierungen in der neuen ÖNORM B4008-2: Bewertung der Tragfähigkeit bestehender Tragwerke - Teil 2: Brückenbau [11]. 2. Querkraftmodell für Bauteile mit Aufbiegungen 2.1 Querkraftwiderstand Angrenzend an den Nachweisschnitt A-A wird ein Schubriss mit einem Winkel β cr konstruiert (Bild 1). Bewehrungsstäbe, welche innerhalb der Risslänge l cr von dem Schubriss gekreuzt werden, können in Abhängigkeit der vorhandenen Verankerungslänge bis zur Spannung σ sd,i belastet werden. Durch das Aufsummieren der vertikalen Anteile ergibt sich der Stahltraganteil V Rd,s . Zusätzlich kann ein Betontraganteil V Rd,c berücksichtigt werden. Wird kein Bewehrungsstab in der schrägen Länge gekreuzt, ist der Querkraftwiderstand für Beton ohne rechnerisch erforderlicher Querkraftbewehrung V Rd,c anzusetzen. Bild 1: Berechnung des Querkraftwiderstands in einem potentiellen Schubriss 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 143 Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Stahlbetonplattenbrücken mit Aufbiegungen Die Risslänge l cr kennzeichnet jenen Bereich im potentiellen Schubriss, in welchem Bewehrungsstäbe aktiviert werden können und wird mit Gleichung (4) ermittelt. Der innere Hebelarm darf vereinfacht mit z = 0,9∙d berechnet werden. Die Rissneigung β cr beträgt 45° und kann auf 36° abgemindert werden, wenn in einem Nachweisschnitt A-A in Bild 1 eine gerippte Aufbiegung geschnitten wird oder eine Mindestbügelbewehrung nach [ 1 ] vorhanden ist. (4) mit dem inneren Hebelarm z und dem Winkel β cr zwischen der Rissebene und der Schwerachse der Platte oder des Balkens. Der Querkraftwiderstand V Rd in einem potentiellen Schubriss wird mit Gl. (5) ermittelt. (5) mit dem Querkraftwiderstand der Stahleinlagen V Rd,s , dem Querkraftwiderstand des Betons V Rd,c und dem Interaktionsfaktor k i . Der Querkraftwiderstand der Stahleinlagen V Rd,s kann nach Gleichung (6) ermittelt werden. (6) und mit der Querschnittsfläche des Bewehrungsstabs A s,i , dem Bemessungswert der Stahlspannung eines Bewehrungsstabs σ sd,i , dem Winkel zwischen der Achse eines Bewehrungsstabs und der Schwerachse der Platte oder des Balkens αi, dem Bemessungswert der Streckgrenze eines Bewehrungsstabs f yd,i , der vorhandenen Verankerungslänge eines Bewehrungsstabs im Beton l b,eff nach Bild 1und dem Bemessungswert der Verankerungslänge l bd . Für Stäbe, welche die Mindestanforderungen an die bezogene Rippenfläche f R nach EC2 [1] erfüllen, kann der Bemessungswert der Verankerungslänge l bd nach EC2 [1] ermittelt werden. Für andere Stäbe können diese Werte vereinfacht mit dem Faktor 2,25 multipliziert werden (glatter Betonstahl). Alternativ dazu kann die Verankerungslänge mit anderen rechnerischen oder experimentellen Verfahren ermittelt werden, wenn diese die tatsächlichen Verbundeigenschaften des verwendeten Stahls besser abbilden können. Zur Vermeidung einer Spaltung in Längsrichtung ist bei aufgebogenen Längsstäben die Einhaltung der Mindestbiegeradien zu kontrollieren, welche sich unter Berücksichtigung der Mindestbiegerollendurchmesser nach EC2 [1] ergeben. Bei Einhaltung der historischen normativen Regelungen in der Bauausführung, sollte dies gewährleistet sein [15]. Der Querkraftwiderstand des Betons V Rd,c kann nach Gleichung (7) ermittelt werden. (7) mit dem Teilsicherheitsfaktor für Beton γ c , der Bauteilbreite b w [mm], der statischen Nutzhöhe d [mm], dem Längsbewehrungsgrad ρ an der Schnittstelle des Schubrisses mit der Längsbewehrung nach Bild 1 der charakteristischen Druckfestigkeit f ck , dem Beiwert zur Berücksichtigung der Rauigkeit im Schubriss d dg = 16+d g < 40 wobei der maximale Korndurchmesser d g [mm] für höherfeste Betone aufgrund von Kornbruch (f c > 60 MPa) mit d g ·(f c / 60) 2 abzumindern ist. Der Interaktionsfaktor k i zur Überlagerung der Stahltragwirkung V Rd,s mit einer Betontragwirkung V Rd,c ist bei Verwendung von Stäben, welche die Mindestanforderungen an die bezogene Rippenfläche f R nach EC2 [2] erfüllen mit Gl. (8) zu ermitteln. (8) Für Stäbe mit geringeren Werten der bezogenen Rippenfläche (Glatte Stäbe, Torstahl) ist der Beiwert k i = 0,0 zu setzen. 2.2 Nachweisführung Für jeden Nachweisschnitt A-A in Bild 1 und Bild 2 wird der Schubriss (A-B) entsprechend der vorhandenen Querkraftbewehrung im Schnitt A-A konstruiert (β cr , l cr ). In jedem Nachweisschnitt wird der Widerstand V Rd,s der Stahleinlagen (Gl. 6) und des Betons V Rd,c (Gl. 7) ermittelt. Die Querkraftdeckungslinie (siehe Bild 2) ergibt sich aus den entlang einer Platte oder eines Balkens ermittelten Widerständen unter Beachtung von Gleichung (5). Die Bemessungsquerkraft muss nicht näher als im Abstand l cr vom Auflager nachgewiesen werden. Zusätzlich ist nachzuweisen, dass die Querkraft am Auflager die Tragfähigkeit der Druckstrebe V Rd,max nach EC2 [1] bzw. an den Aufbiegepunkten 1/ 3∙V Rd,max nicht überschreitet. Für den Druckstrebenwinkel θ ist der Risswinkel β cr einzusetzen. 144 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Stahlbetonplattenbrücken mit Aufbiegungen 3. Modellanwendung bei der Nachrechnung einer bestehenden Stahlbetonbrücke 3.1 Bauwerksbeschreibung Das Brückenobjekt besteht aus zwei getrennt hergestellten Überbauten, welche als Plattenbrücken im Jahr 1979 ausgeführt wurden. Das Einfeldsystem weist eine Stützweite von 10,75 m auf und der Querschnitt ist konstant 75 cm hoch (Bild 3). Die Tragwerke haben an der Plattenunterseite eine Plattenbreite von b = 4,89 m, welche nach oben hin einseitig breiter wird. Die ursprüngliche Querkraftbemessung erfolgte auf Basis des schweren Lastentzug „S-Zug“ nach [16] und es sind lediglich Aufbiegungen am Auflagerrand ausgeführt worden. Der Nachweis wird für einen Plattenstreifen mit einer Breite von 1,0 m geführt. Das Tragwerk wurde mit einer Betongüte B400 hergestellt. Dies entspricht in Anlehnung an die ÖNORM B4008-2 [11] in etwa einer Betongüte C25/ 30 nach EC2. Als Bewehrungsstahl wurde Rippentorstahl 50 verwendet. Bild 2: Ermittlung der Querkraftdeckungslinie durch das Verschieben des Schubrisses entlang einer Platte oder eines Balkens Tabelle 1: Materialkennwerte der verwendeten Baustoffe nach ÖNORM B4008-2 Baustoff Druck Zug E-Modul [-] [MPa] [MPa] [kN/ mm²] Beton B400 f ck = 26,4 f ctk,0.05 = 1,9 E cm = 31,9 Rippentorstahl 50 f yk = 500,0 E s = 205,0 Die Querkraftbewehrung im unmittelbaren Auflagerbereich besteht aus zwei Reihen von aufgebogenen Längsstäben (jeweils Ø30/ 360 mm, Bild 3). Für den Plattenstreifen können daher 2,78 aufgebogene Stäbe je Meter berücksichtigt werden. Zusätzlich wurden Ø30/ 180 mm durchgehend verlegt. Der untere Biegepunkt der ersten Reihe ist 1,22 m von der Auflagerachse entfernt, während der Abstand der Aufbiegungen untereinander 0,87 m beträgt (ρ w ≈ 0,16 %). Dieser ist somit höher als die statische Nutzhöhe von ca. 0,7 m, weshalb beim Querkraftnachweis nach EC2 nur der Betonwiderstand nach (Gl. 1) angesetzt werden kann (siehe Abschnitt 1 Eine zusätzliche Bügelbewehrung ist nicht vorhanden. In Querrichtung wurde eine Bewehrung Ø16/ 125 mm angeordnet, welche oberhalb der Hauptbewehrung liegt. Hier wurde ebenfalls jeder zweite Stab aufgebogen. Ein Bewehrungsnetz an der Plattenoberseite ist zudem vorhanden (längs: Ø16/ 170 mm, quer: Ø10/ 200 mm). 3.2 Einwirkung Die Ermittlung der Schnittgrößen erfolgt mit Hilfe einer Excel-Berechnung, wobei die Belastung vereinfachend über die gesamte Plattenbreite gemittelt wurde. Die ständigen Lasten wurden dabei gemäß Originalplänen ermittelt und die spezifischen Wichten nach Eurocode angesetzt. Diese Lasten beinhalteten das Eigengewicht der Konstruktion sowie die Ausbaulasten aufgrund des Schotterbetts, des Randbalkens, der Geländer sowie der Kabeltrasse. Im Rahmen dieser Beurteilung wurde das Lastmodell 71 [17] einschließlich des anzusetzenden Laststeigerungsfaktors α = 1,21 für den Neubau angesetzt. Die einwirkenden Lasten wurden zudem mit dem dynamischen Faktor vergrößert, welcher für Gleise mit sorgfältiger Instandhaltung ermittelt wurde. Zudem wur- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 145 Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Stahlbetonplattenbrücken mit Aufbiegungen de die nach [17] zulässige gleichmäßige Verteilung der Einzellasten des Lastmodells 71 angewendet, um einen günstigeren Querkraftverlauf zu erzielen. Bild 4 zeigt den Querkraftverlauf für die Umhüllende aus ständigen und veränderlichen Lasten (rote Linie). 3.3 Widerstand nach dem PSC-Modell Nachfolgend wird exemplarisch der Widerstand nach PSC-Modell (Abschnitt 2) für die Querkraftdeckungslinie in Bild 4 für drei Punkte ermittelt. Zu Beginn wird überprüft, in welchen Nachweisschnitten A-A aufgebogene Längsstäbe geschnitten wird. In all diesen Querschnitten darf die idealisierte Rissneigung des potentiellen Schubrisses auf 36° abgemindert werden, wenn gerippter Betonstahl verwendet wird. Anschließend werden die potentiellen Schubrisse mit ihrer idealisierten Rissneigung für jeden Schnitt konstruiert (Beispiel Schnitt A-B in Bild 1). Der Fußpunkt liegt auf der Schwerachse der Bewehrung, während der Kopfpunkt am unteren Ende der Druckzone (d c ≈ 0,8·z = 0,72·d) liegt. Eine zur Schwerachse um die Rissneigung β cr geneigte Linie kennzeichnet nun den schrägen Part des potentiellen Schubrisses, welcher zum jeweiligen Nachweisschnitt A-A gehört. Dadurch kann zugleich die äußerste Nachweisstelle ermittelt werden. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass der potentielle Schubriss durch den Rand der Auflagerplatte verläuft. Für die konstruierte schräge Linie (potentieller Schubriss) werden alle von der geneigten Linie geschnittenen Reihen von Bewehrungselementen (aufgebogene Längsstäbe und Bügel) zur Ermittlung des Querkraftwiderstands herangezogen. Für die Platte ergeben sich nun drei wesentliche Bereiche: Bereiche in dem keine, ein oder zwei aufgebogene Längsstäbe vom potentiellen Schubriss geschnitten werden. Bild 3: Beispielbrücke: (a) Querschnitt inkl. Randbalken und Aufbauten, (b) System in Längsrichtung, Details zur Querkraftbewehrung 146 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Stahlbetonplattenbrücken mit Aufbiegungen 3.3.1 Bereiche, in denen keine aufgebogenen Längsstäbe vom potentiellen Schubriss geschnitten werden Im Bereich zwischen Schnitt 0, rechts in Bild 4 kann nach Gl. (5) lediglich der Betonwiderstand angesetzt werden (Gl. 7). In allen anderen Bereichen muss ebenfalls der Betonwiderstand berechnet werden, um den Gesamtwiderstand nach Gl. (5) zu ermitteln. Zu beachten ist, dass der Längsbewehrungsgrad, und somit der Querkraftwiderstand des Betons in Richtung des Auflagers, nach jeder Aufbiegung abnimmt. Der Querkraftwiderstand des Betons für verschiedene Bereiche ergibt sich zu: 3.3.2 Bereiche, in denen eine einzelne Reihe aufgebogener Längsstäbe mit unterschiedlicher Neigung βcr des potentiellen Schubrisses geschnitten wird Im Bereich zwischen Schnitt 0 und 1 bzw. 2 und 3 in Bild 4 werden die Traganteile von Beton und Stahl kombiniert und die Ermittlung der Querkraftwiderstands erfolgt nach Gl. (5). Da gerippter Bewehrungsstahl verwendet wird, kann der Interaktionsfaktor k i für jede Stelle gemäß Gl. (8) ermittelt werden. Die Komponente des Querkraftwiderstands der Bewehrung ergibt sich zu: mit mit mit Der Bemessungswert der Verankerungslänge l bd zur Ermittlung des anrechenbaren Bemessungswerts der Stahlspannung σ sd ist nach EC2 zu ermitteln. Da ein aufgebogener Längsstab zur Stabachse um den Winkel α i = 45° geneigt ist, kann Verbundbereich 1 bei der Ermittlung von η 1 in Rechnung gestellt werden. Der Beiwert η 2 ist 1,0 für Stäbe mit einem Durchmesser ϕ ≤ 32 mm. mit Der Gesamtwiderstand ergibt sich somit zu: mit mit mit 3.3.3 Bereiche, in denen zwei Reihen von aufgebogenen Längsstäben unter dem Winkel βcr = 36° geschnitten werden Im Bereich zwischen Schnitt 1 und 2 in Bild 4 werden die Traganteile von Beton und Stahl kombiniert und die Ermittlung des Querkraftwiderstands erfolgt ebenfalls nach Gl. (9). Der Interaktionsfaktor wird durch die im Vergleich zum Betontraganteil größeren Stahlanteile geringer. mit mit Der Gesamtwiderstand ergibt sich somit zu: mit 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 147 Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Stahlbetonplattenbrücken mit Aufbiegungen mit Bild 4: Berechnung des Querkraftwiderstands nach dem PSC-Modell 3.4 Beurteilung Bild 4 zeigt einen Vergleich des Querkraftwiderstands V Rd nach dem PSC-Modell (Schwarz) mit der einwirkenden Querkraft V Ed (Rot). Bei Ermittlung des Querkraftwiderstands nach EC2 ergibt sich ein rechnerisches Defizit im Auflagerbereich. Trotz des Vorhandenseins von aufgebogenen Längsstäben, kann lediglich der Betonwiderstand nach Gl. (1) angesetzt werden, da die zulässigen Abstände zwischen den Aufbiegungen nicht eingehalten werden. Während für dieses Brückenobjekt nach einer Beurteilung gemäß EC2 eine wirtschaftlich fragwürdige und aufwändige Schubverstärkung erforderlich wäre oder eine entsprechende Maßnahme für die Nutzung getätigt werden müsste, kann basierend auf dem in Abschnitt 2 erläuterten Nachweismodells eine ausreichende Querkrafttragfähigkeit V Rd bescheinigt werden (siehe Bild 4). Die Kombination der Tragmechanismen von Beton und Stahl (eine Reihe aufgebogener Längsstäbe) liefert die fehlende Schubtragfähigkeit zur Erfüllung des Nachweises im Auflagerbereich. Nur in einem kleinen Bereich können beide Reihen von aufgebogenen Längsstäben zum Nachweis angesetzt werden (1,60 ≤ x ≤ 1,90 in Bild 4). 4. Zusammenfassung In diesem Beitrag wurde das normative Modell des potentiellen Schubrisses zur Ermittlung des Querkraftwiderstands von Balken und Platten mit Aufbiegungen vorgestellt. Der potentielle Schubriss wird grafisch konstruiert und teilt das Bauteil gedanklich in zwei Hälften. Der Querkraftwiderstand wird auf Basis eines vertikalen Kräftegleichgewichts am Schnittufer dieses Schubrisses ermittelt. Je nachdem ob innerhalb des schrägen Rissufers eine Bewehrungsstab geschnitten wird, ergeben sich querkraftbewehrte und -unbewehrte Bereiche, wobei für jeden Bereich ein eigenes Modell angewendet wird. Für Bereiche ohne Bewehrungsstäbe wird ein bestehender Ansatz verwendet, welcher an der EPFL Lausanne entwickelt wurde und die Grundlage für die Neufassung des Eurocode 2 bildet. Für Bereiche mit Bewehrungsstäben wurde dieser dehnungsbasierte Modellansatz erweitert, und eine Überlagerung eines Stahltraganteils mit dem Betontraganteil abgeleitet. Die statische Nachrechnung einer Plattenbrücke mit Aufbiegungen zeigt zudem das Potenzial des hergeleiteten Ansatzes auf. Während eine Beurteilung der Querkrafttragfähigkeit nach dem aktuellen Normenstand Eurocode 2 eine aufwändige Ertüchtigung ergeben würde, kann die Schubtragfähigkeit auf Basis der vorgeschlagenen Berechnungsmodelle am Auflager nachgewiesen werden. Zum jetzigen Zeitpunkt konnte dieser Ansatz aufgrund fehlender experimenteller Untersuchungen nur anhand von Schubversuchen mit gerippten Stäben verifiziert werden. Im nächsten Schritt soll das Berechnungsmodell auch für die häufig verwendeten glatten Stäbe erweitert werden. Danksagung Diesem Artikel liegen Teile des im Auftrag der ÖBB- Infrastruktur AG durchgeführten Forschungsprojekts „Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Stahlbetonplattenbrücken aus dem Zeitraum 1950 bis 1990“ zugrunde. Den Auftraggebern wird für deren finanzielle Unterstützung und die produktive Zusammenarbeit im Rahmen dieses Forschungsvorhabens gedankt. 148 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Stahlbetonplattenbrücken mit Aufbiegungen Literatur [1] DIN EN 1992-2: Eurocode 2 - Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln. DIN Deutsches Institut für Normung e. V., Berlin, Ausgabe April 2013. [2] DIN EN 1992-2/ NA: Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter - Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln. DIN Deutsches Institut für Normung e. V., Berlin, Ausgabe April 2013. [3] Hegger, J., Karakas, A., Pelke, E., Schölch, U.: Zu Querkraftgefährdung bestehender Spannbetonbrücken Teil 1: Grundlagen. In: Beton- und Stahlbetonbau 104 (2009), Heft 11, S. 737 - 746. [4] Fischer, O., Müller, A., Lechner, T., Wild, M., Kessner, K.: Ergebnisse und Erkenntnisse zu durchgeführten Nachrechnungen von Betonbrücken in Deutschland. In: Beton- und Stahlbetonbau 109 (2015), Heft 2, S. 107 - 127. [5] Huber, P.: Beurteilung der Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Stahlbeton- und Spannbetonbrücken. Dissertation, TU Wien, Fakultät Bauingenieurwesen, 2016. [6] Gleich, P., Kattenstedt, S., Maurer, R.: Erweitertes Druckbogenmodell für die Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit von Stahl- und Spannbetonbalken. In: Beton- und Stahlbetonbau, 111(5) (2016), S. 268-277. [7] Huber, P., Kromoser, B., Huber T., Kollegger J.: Berechnungsansatz zur Ermittlung der Schubtragfähigkeit bestehender Spannbetonbrückenträger mit geringem Querkraftbewehrungsgrad. In: Bauingenieur 91 (2016), Heft 6, S. 227-237. [8] Herbrand, M., Kueres, D., Claßen, M., Hegger, J.: Einheitliches Querkraftmodell zur Bemessung von Stahl- und Spannbetonbrücken im Bestand. In: Beton- und Stahlbetonbau, 111(2) (2016), S. 58-67. [9] Marí, A., Bairán, J., Cladera, A., Oller, E., Ribas, C.: Shear-flexural strength mechanical model for the design and assessment of reinforced concrete beams. In: Structure and infrastructure engineering: maintenance, management, lifecycle design and performance. Taylor & Francis Online (2014), S. 1-21. [10] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand. Berlin, 2011. [11] ÖN B 4008-2: Bewertung der Tragfähigkeit bestehender Tragwerke - Teil 2: Brückenbau. Austrian Standards International, Wien, Ausgabe November 2019. [12] ÖN B 1992-1-1: Eurocode 2 - Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau - Nationale Festlegungen zu ÖNORM EN 1992-2, nationale Erläuterungen und nationale Ergänzungen. Austrian Standards International, Wien, Ausgabe Januar 2018. [13] Huber, T.: Beurteilung der Querkrafttragfähigkeit bestehender Stahlbetonplattenbrücken mit Aufbiegungen. Dissertation, TU Wien, 2019. [14] Huber, T., Huber, P., Fasching, S., Vill, M., Kollegger, J.: Querkrafttragverhalten von Stahlbetonbauteilen mit aufgebogenen Bewehrungsstäben auf Basis photogrammetrischer Messungen. In: Bauingenieur 95.6 (2020) [15] Huber, T., Huber, P., Kollegger, J.: Querkraftmodell für bestehende Stahlbetonbauteile mit aufgebogenen Längsstäben. Angenommen: Beton- und Stahlbetonbau 115(8) (2020) [16] ÖN B 4203: Berechnung und Ausführung der Tragwerke; Massivbau; Eisenbahnbrücken. Österreichisches Normungsinstitut, Wien, Ausgabe Juli 1963. [17] ÖN EN 1991-2: Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke - Teil 2: Verkehrslasten auf Brücken. Österreichisches Normungsinstitut Wien. Ausgabe März 2012. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 149 Neue Erkenntnisse zum Querkrafttragverhalten bestehender Spannbetonbrücken aus aktuellen Labor- und Feldversuchen Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Oliver Fischer Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau, München, Deutschland Nicholas Schramm, M.Sc. Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau, München, Deutschland Sebastian Felix Gehrlein, M.Sc. Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau, München, Deutschland Zusammenfassung Aufgrund der ansteigenden Verkehrslasten und der Fortschreibung der Nachweisformate für die Bauwerkswiderstände ergeben sich bei der Nachrechnung bestehender Brückenbauwerke mit aktuellen Regelwerken in vielen Fällen große rechnerische Defizite, vor allem in Bezug auf den Nachweis einer ausreichenden Querkrafttragfähigkeit. Während eine Berücksichtigung von Reserven bei der Planung von neuen Bauwerken sinnvoll ist und nur zu moderaten Zusatzkosten führt, ergeben sich dadurch im Bestand in der Regel aufwändige Ertüchtigungsmaßnahmen und Behinderungen des vorhandenen Verkehrs. Für die Nachrechnung und Beurteilung bestehender Brückenbauwerke kommt daher wirklichkeitsnahen Ansätzen und Modellen erhebliche Bedeutung zu. Als Grundlage für die Verfeinerung der Modellansätze dienen hierbei die Ergebnisse von entsprechenden experimentellen Untersuchungen. Der vorliegende Beitrag stellt diesbezüglich aktuelle experimentelle Forschungsvorhaben im Labor und in-situ an realen Bauwerken vor. Hierbei werden ausgewählte Ergebnisse der jeweiligen experimentellen Untersuchungen vorgestellt und diskutiert. Für die Versuche wurde der Fokus dabei auf Prüfkörper mit wirklichkeitsnahen baupraktischen Abmessungen gelegt. 1. Einleitung Ein Großteil des Brückenbestands in Deutschland weist Nutzungsdauern von 40 bis 60 Jahren auf und wurde zumeist in Stahl- und Spannbetonbauweise errichtet. Als Teil der Brückenertüchtigung werden zur Zustandsbeurteilung dieser Bauwerke Nachrechnungen durchgeführt. Diese sind insbesondere vor dem Hintergrund von im Vergleich zum Errichtungszeitraum erhöhten Verkehrsbeanspruchungen, geänderter Bemessungsvorschriften aufgrund von technischen Weiterentwicklungen sowie zur Bewertung der Auswirkungen von ggf. vorhandenen Schäden auf die Tragfähigkeit erforderlich. Bei der Nachrechnung von Spannbetonbrücken zeigen sich dabei häufig ausgeprägte rechnerische Defizite beim Nachweis der Querkrafttragfähigkeit (vgl. [1], [2]), wenngleich bei Brückenprüfungen nur selten damit korrelierende Schadensbilder festgestellt werden können. Aufgrund dieser Nachweisdefizite werden oftmals aufwändige Verstärkungsmaßnahmen bis hin zu Neubauten der Brücken gerechtfertigt, die eine erhebliche volkswirtschaftliche Belastung darstellen. Der Entwicklung von realitätsnäheren Ingenieurmodellen zur Ermittlung der Querkrafttragfähigkeit von Brücken im Bestand kommt daher eine besondere Rolle zu. Vor diesem Hintergrund bilden wissenschaftliche Untersuchungen zur Querkrafttragfähigkeit auch heute noch einen wichtigen Schwerpunkt nationaler und internationaler Forschung. Zur Fortschreibung der Nachrechnungsrichtlinie für Straßenbrücken sind experimentelle Untersuchungen als Grundlage für die (Weiter-)Entwicklung realitätsnaher Querkraftmodelle von großer Bedeutung. Hierbei sind insbesondere großformatige Bauteilversuche mit baupraktisch relevanten Querschnittsabmessungen sowie gezielte Untersuchungen zu ausgewählten für Bestandsbrücken charakteristischen Merkmalen von großer Relevanz. Mit Blick auf die Ergebnisse diverser Nachrechnungen und bisher durchgeführter Versuche (vgl. [3]) wurde das Querkrafttragverhalten im Bereich der Innenstütze durchlaufender Spannbetonbrücke bisher nur unzureichend experimentell untersucht. Dies ist vor allem damit begründet, dass entsprechende Versuche im Labor in der Regel einen erheblichen Aufwand nach sich ziehen. Am Lehrstuhl für Massivbau der TUM wurden vor diesem Hintergrund im Rahmen zweier Forschungsvorhaben nicht-konventionelle Versuchskonzepte verfolgt, 150 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Neue Erkenntnisse zum Querkrafttragverhalten bestehender Spannbetonbrücken aus aktuellen Labor- und Feldversuchen um Querkraftversuche im Bereich der Innenstütze von durchlaufenden Spannbetonträgern durchzuführen. So wurden einerseits in-situ Versuche an einem realen Bauwerk und andererseits spezielle Laborversuche an Teilsystemen (sog. Substrukturversuche) durchgeführt. Der vorliegende Beitrag stellt diese Konzepte kurz vor und geht auf ausgewählte neue Erkenntnisse zum Querkrafttragverhalten aus den Versuchen ein. 2. Aktuelle Forschung 2.1 Substrukturversuche im Rahmen des BASt-Forschungsvorhabens „Beurteilung der Querkraft- und Torsionstragfähigkeit von Brücken im Bestand erweiterte Bemessungsgrundsätze“ Im Rahmen eines größeren Verbundforschungsprojektes (vgl. hierzu auch [4]-[9]) wurden an der Technischen Universität München umfangreiche experimentelle Untersuchungen zum Einfluss nicht mehr zugelassener Bügelformen, sowie generell von einem geringen Querkraftbewehrungsgehalt, auf die Querkrafttragfähigkeit durchgeführt (für weiterführende Informationen und Details wird auf [10], [11], [12] verwiesen). Um möglichst viele Einzelversuche mit vergleichsweise geringem Aufwand durchführen und gleichzeitig die Beanspruchungsverhältnisse im Bereich der Innenstütze möglichst realitätsnah abbilden zu können, wurde ein neuartiges Versuchskonzept angewendet. Dabei wurden lediglich ausgewählte Ausschnitte von Spannbetonträgern (sogenannte Substrukturen) geprüft. Abbildung 1 zeigt eine Animation des Versuchsstands und eine Darstellung des „Prüfbereichs“. Mit diesem Versuchskonzept können nahezu beliebige Momenten-Querkraft-Interaktionen für großmaßstäbliche Versuchskörper geprüft werden. Aufgrund des vergleichsweise geringen Aufwands bei der Versuchsdurchführung lassen sich zudem mehr Versuche durchführen. Abbildung 1: Versuchsanlage für die Prüfung von Balkenelementen nach dem Prinzip der „Substrukturtechnik“ [13] 2.2 Feldversuche „Saalebrücke Hammelburg“ Neben den Laborversuchen bilden in-situ Versuche am realen Bauwerk einen weiteren wichtigen Baustein zur Beurteilung des Querkrafttragverhaltens bestehender Spannbetonbrücken. Zum einen können mittels einzelner Feldversuche die Ergebnisse aus umfangreichen Testserien im Labor unter wirklichkeitsnahen Bedingungen überprüft und bestätigt werden. Zum anderen können am bestehenden Bauwerk weitere Parameter wie etwa Maßstabseffekte oder der Einfluss des Längsbewehrungsgrades untersucht werden, die unter Laborbedingungen oft nicht ausreichend darstellbar sind. Nach intensiver Recherche und umfangreichen Vorbereitungen konnte der Lehrstuhl für Massivbau der Technischen Universität München auf Initiative und mit Förderung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) sowie der Obersten Baubehörde im bayerischen Staatsministerium des Inneren im Jahr 2017 Feldversuche an einer stillgelegten Brücke in der Nähe der fränkischen Stadt Hammelburg durchführen. An der 1955 fertiggestellten Spannbetonbrücke (dreistegiger Plattenbalkenquerschnitt) konnten aufgrund der gegebenen Randbedingungen in fünf der sieben Felder Belastungsversuche bis in den Nachbruchbereich verwirklicht werden. Die dazu notwendigen Lasten, die in allen untersuchten Feldern zu einem auflagernahen Querkraftversagen des mittleren Steges führten, wurden mittels einer über die jeweiligen Felder spannenden Belastungseinrichtung mit insgesamt sechs weggesteuerten Hydraulikzylindern aufgebracht (vgl. Abbildung 2). Um klare Randbedingungen zu schaffen, wurde für die Versuchsdurchführung der Mittelsteg mittels Trennschnitten von den äußeren Randstegen gelöst. Der untersuchte Plattenbalkenquerschnitt hatte somit eine Gesamtbreite von 3,95 m, eine Höhe von 1,10 m und eine Stegbreite von 0,70 m (Feldbereich) bis 1,20 m (Stützbereich). Die Stützweite der untersuchten Felder betrug 20,0 m (Randfelder) bzw. 24,6 m (Innenfelder). Der Querkraftbewehrungsgrad lag im kritischen Bereich der Stege bei lediglich 30,7% bis 36,5% der aktuell nach DIN EN 1992-2 geforderten Mindestquerkraftbewehrung. Sowohl die Ausführung der Bügel aus glattem Stahl, die Bügelform (zweiteilige Bügel mit Endhaken) als auch der geringe Querkraftbewehrungsgrad sind typisch für die Konstruktionszeit der Bestandsbrücke. Die Materialeigenschaften der Längs- und Querkraftbewehrung, des verwendeten Betons und der Vorspannung wurden anhand von Begleitversuchen bestimmt. Die Streckgrenze des Betonstahls wurde mit 273,8 N/ mm² und die mittlere Vorspannung der Spannglieder mit 630 N/ mm² ermittelt, der Ortbeton des Überbaus wurde anhand der gemessenen Druck- und Spaltzugfestigkeiten in die Betonklasse C45/ 55 eingestuft. Weitere Angaben zur Konzeption der Versuche, zum Versuchsaufbau, dem Messprogramm sowie zu weiteren 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 151 Neue Erkenntnisse zum Querkrafttragverhalten bestehender Spannbetonbrücken aus aktuellen Labor- und Feldversuchen Parametern der untersuchten Bestandsbrücke sind [14], [15], [16] zu entnehmen. Abbildung 2: Querschnitt der untersuchten Plattenbalkenbrücke sowie der Belastungseinrichtung [14] 3. Erkenntnisse aus Labor- und Feldversuchen zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken 3.1 Allgemeines Die im Rahmen der Forschungsvorhaben durchgeführten Versuche zielten insbesondere auf die Untersuchung der Einflüsse von für Bestandsbrücken typischen Charakteristika an großmaßstäblichen Versuchskörpern ab. Nachfolgend werden ausgewählte Ergebnisse der jeweiligen Versuchsreihen dargestellt. 3.2 Laborversuche an großformatigen Trägerausschnitten Abbildung 3 und Abbildung 4 zeigen beispielhafte Bruchbilder von Spannbeton-Durchlaufträger-elementen mit Rechteck und Plattenbalkenquerschnitt. Für beide Versuchskörper ist die klare Lokalisierung eines diskreten kritischen Schubrisses erkennbar. Abbildung 3: Bruchbild eines Spannbeton-Durchlaufträgerelements mit rechteckigem Querschnitt (h = 80 cm, σ cp = 2,5 MPa, ρ w = 0,905 ‰) [13] Abbildung 4: Bruchbild eines Spannbeton-Durchlaufträgerelements mit T-Querschnitt (h = 110 cm, σ cp = 2,0 MPa, ρ w = 1,005 ‰) [12] Ein Vergleich der bezogenen Betontraganteile der Querkrafttragfähigkeit (auf die statische Nutzhöhe, die Betondruckfestigkeit und die Querschnittsbreite bezogene und um den Bügeltraganteil sowie Vertikalanteil der Vorspannung bereinigte Querkrafttragfähigkeit) zeigt, dass dieser bei den Versuchskörpern mit Plattenbalkenquerschnitt um bis zu 22 % höher liegt als für Rechteckquerschnitte. Dies bestätigt somit eine generelle Erhöhung der Querkrafttragfähigkeit durch seitliche Flansche, die auch aus weiteren experimentellen Untersuchungen der Literatur weitestgehend bekannt ist. Bei T-Querschnitten bewirken die oben genannten Umstände, dass der kritische Schubriss mit fortschreitender Rissbildung oftmals als horizontaler Deliminationsriss entlang der Unterkante des Flansches verläuft, was auf eine deutliche Rotation des kritischen Schubrisses sowie eine Biegebeanspruchung des Flansches hindeutet. Dieser typische Rissverlauf konnte für alle Versuche mit Plattenbalkenquerschnitt beobachtet werden. Dabei zeigte sich ein seitliches Ausstrahlen des Risses in den Flansch. Im Vergleich zu den Trägern ohne Flansch war das Versagen duktiler, es kam zu keiner schlagartigen Lokalisierung des kritischen Schubrisses und durch die lastverteilende Wirkung des Flansches bildeten sich tendenziell mehr Risse aus. Darüber hinaus verfügten die Träger mit Plattenbalkenquerschnitt über höhere Restquerkraftwiderstände nach dem Bruch. Es zeigt sich somit ein deutlicher Einfluss der Querschnittsform, der in den meisten aktuellen Querkraftmodellen jedoch nicht oder nur unzureichend erfasst wird. Abbildung 6 stellt einen Vergleich der Rissbildung für einen Träger ohne Querkraftbewehrung (Abbildung 6a-c) und einen Versuchskörper mit einem Querkraftbewehrungsgehalt von ρ w = 2,513 ‰ (Abbildung 6d-f) für jeweils gleiche Laststufen dar. Bei einer Querkraft von 420 kN (Abbildung 6a und d), kurz nach Einsetzen einer ersten Schrägrissbildung, lag zunächst ein relativ ähnliches Rissbild vor. Bei weiterer Laststeigerung zeigte sich bei dem nicht querkraftbewehrten Träger jedoch eine weitaus stärkere Rissbildung und nach der deutlichen Ausbildung von Schrägrissen war nur noch eine vergleichsweise geringe Laststeigerung bis zum Bruch 152 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Neue Erkenntnisse zum Querkrafttragverhalten bestehender Spannbetonbrücken aus aktuellen Labor- und Feldversuchen möglich. Diese Laststeigerung lässt sich auf einen Spannungszuwachs im Spannglied zurückführen, der sich auch in den Ergebnissen der kamerabasierten optischen Messungen (vgl. Abbildung 6c) in Form von Dehnungsänderungen entlang der Spanngliedachse deutlich zeigt. Für den Versuchsträger mit vergleichsweise hohem Bügelbewehrungsgehalt war nach Schrägrissbildung, durch die Aktivierung der Bügelbewehrung, noch eine deutliche Laststeigerung möglich. Der Vergleich verdeutlicht den Einfluss des Querkraftbewehrungsgehaltes auf die Schubrissbildung. Dieser spiegelt sich auch in unterschiedlichen Werten für die Rissöffnung und -gleitung wieder. So liegen im Bruchzustand für Träger mit geringem Bügelbewehrungsgrad (ρ w = 0,5-1,0 ρ w,min , wie bei Bestandsbrücken üblich) im Vergleich zu Trägern mit hohem Querkraftbewehrungsgrad große Rissöffnungen vor. Dies führt wiederum dazu, dass der Querkrafttraganteil der Rissreibung in diesem Fall in Frage zu stellen ist. Abbildung 6: Vergleich der Rissbildung (dargestellt über die Hauptformänderung) für zwei Versuchsträger mit unterschiedlichem Querkraftbewehrungsgehalt [13] Ein Vergleich der Bruchlasten für die untersuchten Spannbetonträgerelemente mit Rechteckquerschnitt in Abhängigkeit des Querkraftbewehrungsgrades (vgl. Abbildung 5) verdeutlicht, dass die restlichen Traganteile neben denen der Bügelbewehrung sehr dominant sind. Neben eher untergeordneten Traganteilen sowie der Mitwirkung der geneigten Spannglieder basiert der Querkraftwiderstand der untersuchten Trägerelemente daher insbesondere auf dem Betontraganteil. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 153 Neue Erkenntnisse zum Querkrafttragverhalten bestehender Spannbetonbrücken aus aktuellen Labor- und Feldversuchen Abbildung 5: Einfluss des Querkraftbewehrungsgehaltes auf die maximale Querkrafttragfähigkeit für Spannbetonträgerelemente mit Rechteckquerschnitt [13] Ein Betontraganteil wird bei der Querkraftbemessung gemäß Fachwerkmodell nach EC 2 aktuell jedoch nicht explizit, sondern lediglich indirekt und in geringerem Maße über einen (für geringe Querkraftbewehrungsgrade fraglichen) Anteil aus Rissreibung berücksichtigt. Somit können aktuellere Modellvorstellungen, die einen „Betontraganteil“ explizit berücksichtigen, die Querkrafttragfähigkeit von Bestandsbrücken weitaus zutreffender beschreiben. Der Betontraganteil wird dabei in diesen Modellen entweder empirisch angesetzt, über das Tragverhalten eines Druckbogens beschrieben, oder der Druckzone zugesprochen. 3.3 Feldversuche an der Saalebrücke Hammelburg In Abbildung 7 ist exemplarisch die Rissbildung in den Mittelstegen für zwei der untersuchten Felder der Bestandsbrücke zum Zeitpunkt der maximalen Belastung dargestellt. Sowohl der kritische Schubriss als auch die sekundären Biegerisse im Bereich der Lasteinleitung sind deutlich erkennbar. Die Versuche in den Randfeldern wiesen einen deutlich flacheren Verlauf des kritischen Schubrisses auf, der mit einem etwas duktilerem Versagen dieser Träger korrelierte (vgl. Abbildung 7). Bedingt durch den flacheren Rissverlauf konnte bei diesen Versuchen - und analog zu den in Kapitel 3.2 beschrieben Laborversuchen - ein Teil der freiwerdenden Bruchlast durch Spannungszuwächse in den kreuzenden Spanngliedern aufgenommen werden. Eine deutliche Laststeigerung nach dem ersten Auftreten des kritischen Schubrisses war jedoch bei keinem Versuch zu beobachten. Bei den Versuchen in den Innenfeldern zeigte sich zudem ein sehr sprödes Versagen; mit oder kurz nach Bildung des ersten sichtbaren Schubrisses nahm die aufnehmbare Belastung schlagartig und deutlich ab. Abbildung 7: Vergleich der Rissbildung zwischen Auflagerachse und Hauptlasteinleitungspunkt für zwei der unter-suchten Mittelstege der Bestandsbrücke (Rand- und Innenfeld, vgl. [15]) Wie auch bei den Laborversuchen konnte bei allen in-situ Versuchen (in unterschiedlichem Umfang) ein horizontaler Deliminationsriss festgestellt werden. Dieser befand sich entweder zwischen Steg und Voute oder zwischen Voute und Flansch. Auch bei den Feldversuchen breiteten sich die Risse vom Deliminationsriss ausgehend sowohl schräg Richtung Lasteinleitung als auch diagonal Richtung Plattenrand aus. Anhand dieser Rissbildung im Flansch kann der an den Laborversuchen beobachtete Einfluss der Querschnittsform auf das Tragverhalten grundsätzlich bestätigt werden. In Abbildung 8 (oben) werden die Lastverformungskurven für vier der fünf durchgeführten Versuche (keine validen Messdaten für die Rissöffnung bei Versuch 4) dargestellt. Dazu wird die berechnete, über den Versuchsaufbau eingebrachte Querkraft am Ort des Hauptbelastungszylinders der vertikalen Verformung des Steges an dieser Stelle gegenübergestellt. Der deutliche Lastabfall nach Erreichen der Maximalkraft belegt das spröde Versagen, das bei den Querkraftversuchen an der Bestandsbrücke beobachtet werden konnte. Zudem zeigt sich das grundsätzlich ähnliche Verhalten der Versuche in den Rand- (V1 und V3) und Innenfeldern (V2 und V4). 154 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Neue Erkenntnisse zum Querkrafttragverhalten bestehender Spannbetonbrücken aus aktuellen Labor- und Feldversuchen Die größere Steifigkeit der Versuche in den Randfeldern ist dabei hauptsächlich durch die geringere Feldlänge in den Randbereichen bedingt. Im unteren Teil von Abbildung 8 ist die zu der gemessenen Versuchskraft korrespondierende Rissöffnung des Steges wiedergegeben. Der dargestellte Wert bildet den mittleren Messwert von drei induktiven Wegaufnehmern ab, die die Höhenänderung des belasteten Steges aufzeichneten. Auch an dieser Messung lässt sich das spröde Versagen der Versuchsträger belegen. Für alle Versuche konnte erst unmittelbar vor oder mit Erreichen der maximalen Tragfähigkeit Rissöffnungen von mehr als 0,1 mm verzeichnet werden. Nach Auftreten der ersten messbaren Risse erhöhen sich diese Werte zudem schlagartig und deutlich. Die über die Höhenänderung des Stegs aufgenommenen, kritischen Schubrisse können dabei ab einem Lastniveau von 92,2 % (Versuch 5) bis 100 % (mit Erreichen der Traglast, Versuch 2) der maximalen Versuchslast verzeichnet werden. Der Mittelwert für das Lastniveau bei Schubrissbildung beträgt für die dargestellten Versuche 96,2 %. Speziell dieses hohe Lastniveau bestätigt einige der aus den Laborversuchen gewonnenen Erkenntnisse (vgl. Kapitel 3.1). Unter den gegebenen Randbedingungen der Versuche an einer bestehenden Brücke konnte kein signifikanter Einfluss aus Rissreibungseffekten auf die Querkrafttragfähigkeit festgestellt werden. Da sich die kritischen Risse erst kurz vor oder mit Erreichen der Maximallast bildeten, konnten über die zu diesem Zeitpunkt entstanden Risse im Maximalfall nur noch sehr geringe zusätzliche Lasten übertragen werden. Vielmehr resultiert die Laststeigerung nach Rissbildung aus einem Spannungszuwachs in den, den kritischen Schubriss kreuzenden, Spanngliedern. Ähnliches gilt für die, nur in sehr geringem Umfang vorhandene (vgl. Kapitel 2.2) Querkraftbewehrung. Aufgrund des geringen Querkraftbewehrungsgrades können die mit Rissbildung freiwerdenden Kräfte nicht von den vorhandenen Bügeln aufgenommen werden. Bei genauer Betrachtung der aufgetretenen Risse zeigte sich, dass alle den Schubriss kreuzenden Bügel an dieser Stelle ein Zugversagen (Bruch der Bügelbewehrung, vgl. [15]) aufwiesen. Aufgrund des geringen Einflusses der Bügelbewehrung und anderer Mechanismen wie der Rissreibung auf die Querkrafttragfähigkeit der untersuchten Brücke, kann - zumindest unter den gegebenen Rahmenbedingungen (massiver Plattenbalkenquerschnitt) - davon ausgegangen werden, dass ein überwiegender Teil der aufgenommenen Querkraftbelastung über Betontraganteile wie etwa eine Druckbogenwirkung oder über die Betondruckzone aufgenommen wird. Somit belegen auch die am realen Bauwerk durchgeführten Versuche die Vorteile von Modellvorstellungen, die einen „Betontraganteil“ explizit berücksichtigen. Dies gilt speziell für die Nachrechnung von bestehenden Brücken, die oft in massiver Bauweise und mit geringen Querkraftbewehrungsgraden erstellt wurden. Abbildung 8: Rissöffnung im Vergleich zur Lastverformungskurve für vier exemplarische in-situ Versuche (vgl. [15]) 4. Zusammenfassung und Ausblick Die in diesem Beitrag vorgestellten nicht-konventionellen Versuchskonzepte, die im Rahmen zweier Forschungsvorhaben am Lehrstuhl für Massivbau der Technischen Universität München verwirklicht wurden, tragen dazu bei speziell das Querkrafttragverhalten von Bestandsbrücken im Bereich der Innenstützen noch realitätsnaher darstellen zu können. Dadurch können die Entwicklung von Ingenieurmodellen, die die Querkrafttragfähigkeit von bestehenden (Spannbeton-) Brücken möglichst exakt darstellen, vorangetrieben und damit auf wissenschaftlicher Basis die notwendige Fortschreibung der aktuell gültigen Nachrechnungsrichtlinie angestoßen werden. Die Substrukturversuche im Labor und die in-situ Versuche an einer bestehenden Brücke ergänzen sich dabei in vielfältiger Weise und belegen u.a. den Einfluss der Querschnittsform auf die Querkrafttragfähigkeit. Weiterhin zeigten beide Versuchsreihen, dass der Anteil der Querkraftbelastung, der über Betontraganteile wie die Druckbogenwirkung oder die Betondruckzone abgetragen werden kann, aktuell noch nicht genügend berücksichtigt wird. Weitere Aspekte und Fragestellungen, die sich aus den Ergebnissen der vorgestellten Versuche ergeben haben, werden aktuell oder im Rahmen zukünftiger Forschungsvorhaben bearbeitet. Im Zuge dessen werden u.a. die Auswirkungen des Längsbewehrungsgrades, der Querschnittsform, der Spanngliedlage und die des Spannkraftzuwachses auf die Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Brückenbauwerken untersucht. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 155 Neue Erkenntnisse zum Querkrafttragverhalten bestehender Spannbetonbrücken aus aktuellen Labor- und Feldversuchen Danksagung Unser besonderer Dank gilt dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) sowie der Obersten Baubehörde im bayerischen Staatsministerium des Inneren für die Ermöglichung der Großbelastungsversuche an der Saalebrücke in Hammelburg. Darüber hinaus bedanken wir uns vor allem auch beim staatlichen Bauamt Schweinfurt für die hervorragende und stets konstruktive Zusammenarbeit, ohne die die Realisierung der Versuche so nicht möglich gewesen wäre. Zudem danken wir der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) für die Gewährung von Fördermitteln für das Verbundforschungsprojekt [4] zur Entwicklung erweiterter Bemessungsansätze für Querkraft und Torsion. Literaturverzeichnis [1] Fischer, O., et al.: Ergebnisse und Erkenntnisse zu durchgeführten Nachrechnungen von Betonbrücken in Deutschland. Beton- und Stahlbetonbau 109 (2014), H. 2, S. 107-127 [2] Fischer O., et al.: Nachrechnung von Betonbrücken, systematische Auswertung nachgerechneter Bauwerke. Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bericht B 124, 2016 [3] Reineck, K.,H.; Kuchma, D.,A.; Fitik, B.: Erweiterte Datenbanken zur Überprüfung der Querkraftbemessung für Konstruktionsbetonbauteile mit und ohne Bügel, Deutscher Ausschuss für Stahlbeton, Heft 597, 2012 [4] J. Hegger, R. Maurer, O. Fischer, K. Zilch et al.: Beurteilung der Querkraft und der Torsionstragfähigkeit von Brücken im Bestand - erweiterte Bemessungsansätze; BASt Projekt FE 15.0591/ 2012/ FRB, Schlussbericht, 2020 [5] Hegger, J. et al.: Erweiterte Nachweise zur Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem. Beiträge zum 4. Brückenkolloquium - Fachtagung über Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken, 2020 [6] Herbrand, M.; Hegger, J.: Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden. Beiträge zum 4. Brückenkolloquium - Fachtagung über Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken, 2020 [7] Stakalies, E.; Maurer, R.: Zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung. Beiträge zum 4. Brückenkolloquium - Fachtagung über Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken, 2020 [8] Gleich, P; Maurer, R.: Querkraftversuche an Spannbetondurchlaufträgern mit Plattenbalkenquerschnitt. Bauingenieur 93 (2018), Heft 2, S. 51-61. [9] Herbrand, M.; Classen, M.; Adam, V.: Querkraftversuche an Spannbetondurchlaufträgern mit Rechteck- und I-Querschnitt. Bauingenieur 92 (2017), Heft 11, S. 465-473. [10] Schramm, N; Fischer, O.; Scheufler, W.: Experimentelle Untersuchungen an vorgespannten Durchlaufträger-Teilsystemen zum Einfluss nicht mehr zugelassener Bügelformen auf die Querkrafttragfähigkeit. Bauingenieur, Band 94, 2019, S. 9-20 [11] Fischer, O.; Schramm, N.; Gehrlein, S.: Labor- und Feldversuche zur realitätsnahen Beurteilung der Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Spannbetonbrücken. Bauingenieur 92, Heft 11, S. 455-463, 2017 [12] Schramm, N.; Gehrlein, S.; Fischer, O.: Querkrafttragverhalten von großformatigen Spannbetonbalkenelementen mit Plattenbalkenquerschnitt - Ergänzende Laborversuche zu den in-situ-Querkraftversuchen an der Saalebrücke Hammelburg. Beton- und Stahlbetonbau 115 (2020), H. 1, S. 2-12 [13] Schramm, N.: Zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbalkenelementen unter besonderer Berücksichtigung der Bügelform, Dissertation (in Bearbeitung), Technische Universität München, 2020 [14] Gehrlein, S.; Landler, J.; Oberndorfer T.; Fischer, O.: Großversuche zur Querkrafttragfähigkeit bestehender Spannbetonbrücken an der Saalebrücke Hammelburg. Teil 1: Konzeption, Beurteilung des Bestands und Durchführung der Versuche. Beton- und Stahlbetonbau 113 (2018), H. 9, Ernst & Sohn, Berlin, S. 667-675 [15] Gehrlein, S.; Fischer, O.: Großversuche zur Querkrafttragfähigkeit bestehender Spannbetonbrücken an der Saalebrücke Hammelburg. Teil 2: Messprogramm, Versuchsergebnisse, Vergleich mit verschiedenen Berechnungsansätzen. Beton- und Stahlbetonbau 113 (2018), H. 10, Ernst & Sohn, Berlin, S. 696-704 [16] Gehrlein, S.; Fischer, O.: Full-scale shear capacity testing of an existing prestressed concrete bridge. Civil Engineering Design, Volume 1 (2019), Issue 2, Ernst & Sohn, Berlin, S. 64-73 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 157 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden Dr.-Ing. Martin Herbrand WTM Engineers GmbH, Hamburg, Deutschland Viviane Adam, M. Sc. Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, Aachen, Deutschland Univ.-Prof. Josef Hegger Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, Aachen, Deutschland Zusammenfassung Infolge normativer Veränderungen in den letzten Jahrzehnten und gleichzeitig stark angestiegenen Verkehrslasten entsprechen zahlreiche Spannbetonbrücken im Bestand nicht den Anforderungen aktueller Normen. Bei der Nachrechnung von Brücken mit einem geringen Querkraftbewehrungsgrad ist daher oft die Anwendung von Ansätzen nach Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie erforderlich, um den Querkraftnachweis zu erbringen. Die Anwendbarkeit der unterschiedlichen Querkraftmodelle in Stufe 4 ist für Spannbetondurchlaufträger dabei bisher nicht ausreichend experimentell verifiziert gewesen. Daher wurden am Institut für Massivbau der RWTH Aachen Querkraftversuche an Spannbetondurchlaufträgern durchgeführt, die geringe Querkraftbewehrungsgrade aufwiesen. Neben der Bügelmenge wurde in den experimentellen Untersuchungen die Querschnittsform (Rechteck- und I-Profil) sowie die Belastungsart (Einzel- und Gleichlasten) variiert. Über die experimentellen und ergänzenden theoretischen Untersuchungen konnte ein erweitertes Fachwerkmodell hergeleitet werden, das die genauere Berechnung der Querkrafttragfähigkeit von Stahl- und Spannbetonträgern mit Querkraftbewehrungsgraden unterhalb des Mindestquerkraftbewehrungsgrades ermöglicht. Im Rahmen des Vortrags sollen die Versuche und der Berechnungsansatzvorgestellt werden. 1. Einleitung Die Anforderungen an die Straßeninfrastruktur nehmen aufgrund des stets steigenden Güterverkehrs zu [1],[2]. Während viele ältere Brücken in einem allgemein schlechten Zustand sind [3], verschärfen Änderungen in den Normen zu Lastannahmen und robustere Ansätze für die Bauteilwiderstände die Situation. Dadurch ergeben sich häufig Defizite in der rechnerischen Querkraft- und Torsionstragfähigkeit vieler älterer Bestandsbrücken [2]- [4]. Zur zutreffenden Bewertung der Tragfähigkeit von Brücken im Bestand ist die Frage nach einer möglichst realistischen Berechnung der Reserven der Bauteilwiderstände immer wichtiger geworden [5]. Um einen Teil der kritischen Infrastrukturbauwerke erhalten zu können, können genauere Nachweise die erforderliche Abhilfe schaffen [6]. Unter anderem durch die Tatsache, dass ein Großteil der für die Herleitung und Kalibrierung der Querkraftbemessungsansätze zugrunde gelegten Versuche an Einfeldträgern mit Einzellasten durchgeführt wurde [7], ergeben sich in realen Tragstrukturen oftmals rechnerisch ungenutzte Tragfähigkeitsreserven. Die meisten Brückenträger sind Mehrfeldträger und die maßgebende Belastung eher gleichförmig als konzentriert. Die Interaktion von Biegemoment und Querkraft ist hierdurch nicht hinreichend abgedeckt und bedarf der weiteren Erforschung. Außerdem existieren nur sehr wenige Versuche an vorgespannten Durchlaufträgern mit geringen Querkraftbewehrungsgraden, wie es bei älteren Brücken häufig der Fall ist [8]. Mit Einführung der Nachrechnungsrichtlinie [9] wurde für die Bewertung von Bestandbrücken ein vierstufiges Nachweisverfahren eingeführt, das in Stufe 2 erweiterte Bemessungsansätze und in Stufe 4 wissenschaftliche Berechnungsverfahren zulässt. In einem Forschungsvorhaben [6] wurden u. a. aufgrund mangelnder einheitlicher Vorschriften kurzfristige Lösungen zur Modifikation bestehender Bemessungsansätze auf Grundlage bisher durchgeführter Forschungsvorhaben und gesammelter Erfahrungen, bzw. Gutachten zur Nachrechnung von Bestandsbrücken erarbeitet, um auch Modifikationen zuzulassen, die bis dahin nur Anwendung in Gutachten fanden. Die Ergebnisse waren die Grundlage für die erste Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie [10]. 158 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden In einem darauf aufbauenden BASt-Forschungsprojekt wurden erweiterte Bemessungsansätze zur Beurteilung der Querkraft- und Torsionstragfähigkeit von Bestandsbrücken erarbeitet [11], welche die Vorarbeiten für eine zweite Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie bilden. Hierbei wurden Querkraftversuche an Spannbetondurchlaufträgern mit kleinen Querkraftbewehrungsgraden unter Einzel- und Gleichstreckenlasten durchgeführt [8] [12], wobei neben Rechteckauch Plattenbalken- und I- Querschnitte verwendet wurden. Weitere Durchlaufträger wurden unter gleichzeitiger Wirkung von Biegung, Querkraft und Torsion getestet, wobei Möglichkeiten zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung untersucht wurden [13]. An Spannbetonträgerausschnitten wurde die Wirksamkeit nicht normkonformer Bügelformen bei Querkraftbeanspruchung von Spannbetonbrückenträgern mit kleinen Querkraftbewehrungsgraden untersucht [14]. Neben den experimentellen wurden auch theoretische Untersuchungen zu wissenschaftlichen Verfahren für Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie durchgeführt [15],[16]. Für die Querkraftbemessung in Stufe 2 wurde ein modifiziertes Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil vorgeschlagen, das eine verbesserte Genauigkeit in Bezug auf die Ermittlung der Querkrafttragfähigkeit von Trägern mit geringem Querkraftbewehrungsgrad ( r w,vorh < r w,min ) erlaubt [17]. Im vorliegenden Beitrag werden einige Hintergründe zum Querkrafttragverhalten, ein Teil der durchgeführten Querkraftversuche an Spannbetondurchlaufträgern mit Gleichstreckenlast sowie das vorgeschlagene Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil zur Querkraftbemessung von Bestandsbrücken mit kleinen Querkraftbewehrungsgraden vorgestellt. 2. Querkrafttragverhalten von Bauteilen mit kleinen Querkraftbewehrungsgraden 2.1 Rechnerische Abbildung Bild 1. Einfluss der Rissreibung auf den Druckstrebenwinkel bei einem querkraftbewehrten Stahlbetonbalken nach [23] a) Darstellung der Kräfte an entlang des Schubrisses abgetrennten Träger; b)-d): Spannungszustände im Beton und zwischen den Rissen Die Grundlage für die Berechnung der Querkraftübertragung in querkraftbewehrten Balken ist das parallelgurtige Fachwerkmodell von Ritter bzw. Mörsch, bestehend aus Ober- und Untergurten sowie Stahlzugstreben und Betondruckstreben im Steg. Nach der klassischen Fachwerkanalogie wird der Neigungswinkel der Druckstreben bei 45 ° angesetzt. Weiterführende Forschung zeigte, dass sich in der Regel größere Querkraftwiderstände einstellen, als sich nach dem 45 °-Fachwerkmodell ergeben. Im Zuge von Versuchen konnte festgestellt werden, dass die Differenz zwischen rechnerischer und experimenteller Tragfähigkeit in etwa der Schubrisslast von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung entsprach [18],[19]. Später erfolgte dann die Weiterentwicklung des 45°-Fachwerkbindermodells zu einem gleichgewichtsbasierten Fachwerkmodell mit variabler Druckstrebenneigung. Dabei wird die Fachwerkneigung nach der Plastizitätstheorie so definiert, dass Zug- und Druckstrebenversagen gleichzeitig auftreten. Für Träger mit kleinen Querkraftbewehrungsgraden ist dieser Ansatz weniger geeignet, da die Tragfähigkeit der Druckstreben auch durch Dehnungen infolge Querzug beeinflusst wird, die bei flachen Druckstreben überproportional anwachsen. Durch nachträgliche Definition weiterer Kompatibilitätsbedingungen für Dehnungen in gerissenen Stegen in verschiedenen Modellen ermöglichte die Ermittlung realistischerer Druckstrebenwinkel [20],[21]. Der Traganteil des Betons ergibt sich dabei entweder durch Berücksichtigung im Schubriss übertragbarer Rissreibungskräfte oder infolge Anrechnung von Zugspannungen im diagonal gerissenen Beton [20],[22],[23]. In den Modellen wird ein gleichmäßiges Rissbild von parallel verlaufenden Schrägrissen vorausgesetzt, weshalb Traganteile der Querkraftbewehrung nur dann berücksichtigt werden, wenn sie wenigstens dem Mindestquerkraftbewehrungsgehalt entspricht. Deren Wert ist innerhalb der verschieden Normen und Regelwerken zwar nicht gleich, jedoch in Abhängigkeit der Materialfestigkeiten sehr ähnlich definiert. Das Querkraftmodell des EC2 ohne NA(D) beruht auf einem Fachwerkmodell mit variabler Druckstrebenneigung, wobei der Druckstrebenwinkel innerhalb vorgegebener Grenzen frei gewählt werden darf (Plastizitäts- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 159 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden theorie). Im Gegensatz hierzu erfolgt die Ermittlung der Querkrafttragfähigkeit von Bauteilen mit rechnerisch erforderlicher Querkraftbewehrung nach EC2 NA(D) und DIN Fachbericht 102 auf Basis eines Fachwerkmodells mit Rissreibung [23]. Bild 1 zeigt das Prinzip: Das Fachwerk besteht aus parallel zu den Bauteilkanten verlaufenden Zug- und Druckgurten, die durch Zug- und Druckstreben miteinander verbunden sind. Über die Schubrisse im Winkel b r hinweg können in diesem Modell zusätzliche Kräfte aus Rissreibung übertragen werden, sodass sich geringere Druckstrebenwinkel ergeben. Der Winkel der geneigten Druckstreben θ ergibt sich damit in Abhängigkeit der Querkraft- und Normalkraftauslastung. 2.2 Versuchsergebnisse aus der Literatur Der Einbau von Querkraftbewehrung ermöglicht eine Steigerung der Querkrafttragfähigkeit von Stahlbetonbauteilen mit Einzellasten auch wenn der Mindestquerkraftbewehrungsgrad nicht erreicht wird [24]-[27]. Weiterhin konnte anhand von Versuchen festgestellt werden, dass das Querkraftversagen von Balken mit wenig Querkraftbewehrung in der Regel durch einen maßgebenden Biegeschubriss hervorgerufen wird (z. B. [28]-[30], was dem typischen Biegeschubversagen von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung entspricht. Dies konnte auch dann festgestellt werden, wenn eine Steigerung der Querkrafttragfähigkeit durch Einbau geringer Bügelmengen erreicht werden konnte. Demnach kann bereits eine geringe Menge Querkraftbewehrung bereits einen Effekt auf den Querkraftwiderstand haben, ohne die Versagensart zu beeinflussen. Daraus kann geschlossen werden, dass sich in diesen Fällen zwar kein Kraftfluss entsprechend dem Fachwerkmodell einstellen, jedoch das Risswachstum des versagensmaßgebenden Schubrisses in einem gewissen Maße kontrolliert werden kann. Bild 2 zeigt den Einfluss von Querkraftbewehrung auf das Rissbild im Bruchzustand. Während das Schubrissbild von Bauteilen mit sehr geringen Querkraftbewehrungsgraden (Bild 2b)-d)) dem von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung entspricht (Bild 2a), entsteht bei höheren Querkraftbewehrungsgraden das bei aktvierter Fachwerktragwirkung typische fächerartige Schubrissbild (Bild 2e) und f)). Größere Bügelmengen ermöglichen also nicht nur eine Steigerung der Querkrafttragfähigkeit, sondern auch eine Modifizierung des Tragverhaltens bzw. Versagensmechanismus. Die Abplatzungen des Betons bei dem Balken mit dem höchsten Querkraftbewehrungsgrad (Bild 2f)) zeigen das Bruchbild bei Betondruckversagen, das sich einstellt, wenn so viele Bügel vorhanden sind, dass die Fließgrenze der Zugstreben des Fachwerks beim Versagen der Druckstreben noch nicht erreicht ist. Die dargestellten Querkraftversagensbilder stammen alle aus Versuchen an Einfeldträgern mit Einzellasten. Wie bereits erwähnt, ergeben sich in Abhängigkeit des statischen Systems und der Belastungsart unterschiedliche Bauteilreaktionen bei Einbau sehr kleiner Bügelmengen. Es konnte in weiteren Versuchen jedoch auch festgestellt werden, dass sich das Querkrafttragverhalten von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung bei mehrfeldrigen Systemen oder unter Gleichstreckenlasten von dem üblicherweise herangezogener Einfeldträger mit Einzellasten unterscheidet [33]-[37]. Auch die wenigen vorliegenden Ergebnisse aus Prüfungen von Spannbetondurchlaufträgern mit Querkraftbewehrung [38]-[42] untermauern die Notwendigkeit, verstärkt vom Einfeldträger mit Einzellasten abweichende Systeme zu prüfen, welche die Randbedingungen bei Brücken deutlich realitätsnäher darstellen. 160 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden 3. Experimentelle Untersuchungen an Spannbetondurchlaufträgern 3.1 Versuchsprogramm Bild 2. Querkraftversagen bei Versuchen an Stahlbetonbauteilen mit verschiedenen Querkraftbewehrungsgraden; a) [31] b)-d) [30] e) [24] f) [32] Das Versuchsprogramm umfasste Bauteilversuche an insgesamt fünf vorgespannten Durchlaufträgern. Darin wurden die Einflüsse der Parameter Querkraftbewehrungsgrad, Querschnittsgeometrie und Belastungsart untersucht. Es wurden zwei unterschiedliche Querschnittsgeometrien verwendet, ein Rechteckquerschnitt und ein I-Profil, wobei erwartet wurde, dass profilierten Balken bei gleicher Stegbreite einen signifikant höheren Querkraftwiderstand erreichen als die Versuchskörper mit Rechteckprofil, da die Flansche ein vorzeitiges Versagen der Träger durch einen Schubdruckbruch oder infolge Ausfalls der Dübelwirkung verhindern. Die Variation des Querkraftbewehrungsgrades erfolgte in Abhängigkeit des Mindestquerkraftbewehrungsgrades nach EC2 NA(D). Im Zuge der Versuche wurden so Verhältnisse von geometrischem zu Mindestbewehrungsgrad von 0,5 bis 2,0 vorgesehen. Hierüber sollte der mechanische Übergang vom Fachwerkmodell mit Betontraganteil (singulärer Schubriss bei geringem Querkraftbewehrungsgrad) zu den geneigten Druckfeldern der Plastizitätstheorie (gleichmäßige verteilte Schubrisse bei höherem Querkraftbewehrungsgrad) festgestellt werden. Schließlich erfolgte ein Vergleich der Tragfähigkeiten bei unterschiedlicher Belastung durch Einzel- und Streckenlasten. Aus praktischen Gründen werden Querkraftversuche in der Regel an Einfeldträgern unter Einzellasten durchgeführt. Aus Versuchen an Einfeldträgern unter Streckenlasten ist jedoch bekannt, dass diese eine vergleichsweise höhere Querkrafttragfähigkeit aufweisen [43]. Die Streckenlast wurde über neun hydraulische Pressen in einem Abstand von 0,50 m je Feld aufgebracht. Im vorliegenden Beitrag werden die Ergebnisse der Versuche an den beiden Trägern mit Gleichstreckenlast vorgestellt (DLT 1.4 und DLT 1.5). Details zu den Versuchen mit Einzellasten (DLT 1.1 bis DLT 1.3) können [8] entnommen werden. Neben den Versuchen in Aachen wurden im Zuge des Forschungsprojekt weitere Querkraftversuche an Durchlaufträgern mit Plattenbalkenquerschnitt an der TU Dortmund durchgeführt [12]. Bild 3 zeigt eine Übersicht der Querschnitte, die im Zuge der im Projekt [11] durchgeführten Querkraftversuche verwendet wurden. Bild 3. Untersuchte Querschnittsformen bei den Querkraftversuchen [11], R- und I-Querschnitte wurden in Aachen (hier und [8]), T-Querschnitt in Dortmund [12] angewendet 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 161 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden 3.2 Materialien Betoneigenschaften Bild 4 Spanngliedführung der Versuchskörper [8] Für die Versuche wurde ein Transportbeton mit einem Größtkorndurchmesser von 8 mm und einer Zielfestigkeit entsprechend eines C30/ 37 verwendet. Die Frischbetoneigenschaften sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Begleitend zu den Bauteilversuchen wurden die Materialeigenschaften des Festbetons anhand von Baustoffproben ermittelt. Die Zylinderdruckfestigkeit f cm,cyl , der Sekantenmodul E cm und die Spaltzugfestigkeit f ctm,sp wurden an Zylindern mit einer Höhe von 300 mm und einem Durchmesser von 150 mm ermittelt. Die Würfeldruckfestigkeit f cm,cube150 bezieht sich auf Würfel mit einer Kantenlänge von 150 mm. Die Biegezugfestigkeit f ctm,BZ wurde an einem Balken mit Abmessungen von 150 × 150 × 700 (mm) ermittelt. Die Ergebnisse der Baustoffproben sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Die ermittelten Festigkeiten ergaben sich in der Regel als Mittelwerte aus mehreren Baustoffproben, wobei die Anzahl der Proben in Klammern angegeben ist. Das Betonalter in Tagen ist gleichzeitig das Alter des Trägers zum Versuchszeitpunkt. Betonstahl- und Spannstahleigenschaften Die mechanischen Eigenschaften des Betonstahls wurden als Mittelwerte von jeweils drei Zugproben bestimmt. Die Mittelwerte der 0,2 %-Dehngrenze f 0,2 , der Zugfestigkeit f yu und des E-Moduls E s sind in Tabelle 3 zusammengefasst. Die Vorspannung des Trägers erfolgte im nachträglichen Verbund mit zwei parallelen Litzenspanngliedern, die aus jeweils drei 0,6“-Litzen und einem Metallhüllrohr (d = 47 mm) bestanden. Jede Litzen hatte eine Querschnittsfläche von 140 mm², sodass sich je Spannglied eine Gesamtfläche von 420 mm² ergibt. Die 0,1 %-Dehngrenze f p0,1 , die 0,2 %-Dehngrenze f p0,2 , die Zugfestigkeit f pt und der E-Modul E p des Spannstahls sind als Mittelwerte in Tabelle 4 angegeben. Vorspannung Der Verlauf der girlandenförmigen Spanngliedführung ist in Bild 4 dargestellt. Zur Sicherstellung des nachträglichen Verbundes zwischen Hüllrohr und Spannlitzen wurde nach dem Vorspannen Einpressmörtel verarbeitet. Dazu wurde entsprechend der Anforderungen ein Portland-Zement (CEM I 52,5R) verwendet. Der Wasser-Zementwert lag bei w/ z = 0,5. Es wurden jeweils Mörtelprismen (40 mm × 40 mm × 160 mm) hergestellt, an denen mithilfe des Biegezugversuchs die Zugfestigkeit f BZ ermittelt wurde. Nach der Spaltung der Körper während des Biegezugversuchs wurde die Druckfestigkeit f cm,prism ermittelt. Die Mörtelprismen lagerten bis zur 162 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden Prüfung der Druckfestigkeit bei einer durchschnittlichen Temperatur von 20°C in Wasser. Tabelle 5 zeigt die Vorspannkräfte und Spannkraftverluste der Versuchsträger. Zum Versuchszeitpunkt sollte sich eine mittlere Betonquerschnittspannung von 2,5 MPa infolge Vorspannung ergeben. Das Aufbringen der Vorspannung an beiden Spanngliedern erfolgte mit hydraulischen Pressen, die auf entgegengesetzten Trägerenden angeordnet waren. Dadurch sollten sich die Reibungsverluste der Spannglieder annähernd aufheben, sodass sich eine gleichmäßige Vorspannung über die Trägerlänge einstellt. Die Vorspannkraft zum Messzeitpunkt ist in Spalte 2 von Tabelle 5 angegeben. Die Reibungsverluste durch das Metallhüllrohr ∆ P µ (mit µ = 0,21) wurden für die Trägermitte berechnet. Die Spannkraftverluste aus Kriechen und Schwinden ∆ P KSR wurden über Setzdehnungsmessungen ebenfalls in Trägermitte bestimmt. Die Betondruckspannung σ cp,test im Schwerpunkt in Trägermitte unter Berücksichtigung der Spannkraftverluste zum Versuchszeitpunkt ist in der letzten Spalte angegeben. Durch die versetzte Anordnung der Pressen kann diese Querschnittsspannung als annähernd konstant über die Länge des Trägers angenommen werden. Tabelle 1 Frischbetoneigenschaften Bauteil CEM I 52,5R Wasser VZ FM w/ z Körnung 0-2 mm Körnung 2-8 mm Ausbreitmaß Frischbetonrohdichte [kg/ m3] [kg/ m3] [kg/ m³] [kg/ m³] [-] [kg/ m3] [kg/ m3] [cm] [t/ m³] DLT 1.4 320 160 0,92 2,21 0,5 1050,0 913,3 48,5 2,45 DLT 1.5 320 160 0,94 2,25 0,5 1044,7 924,7 47,5 2,45 Tabelle 2 Festbetoneigenschafen zum Versuchszeitpunkt Bauteil f cm,cyl E cm f cm,cube150 f ctm,sp f ctm,BZ Betonalter [MPa] [MPa] [MPa] [MPa] [MPa] [d] DLT 1.4 47,57 (3) 23 369 (3) 57,13 (5) 3,25 (3) 5,73 (1) 154 DLT 1.5 47,32 (3) 26 618 (3) 58,12 (7) 3,68 (4) 5,69 (1) 162 Tabelle 3 Eigenschaften des verwendeten Betonstahls Durchmesser f 0,2 f yu E s [mm] [MPa] [MPa] [MPa] Ø6 561 625 200 553 Ø8 531 656 196 673 Ø10 520 597 195 510 Ø12 555 637 194 990 Ø16 596 691 196 840 Ø25 557 658 201 370 Tabelle 4 Eigenschaften des verwendeten Spannstahls Litze A p f p0,1 f p0,2 f pt E p [mm²] [MPa] [MPa] [MPa] [MPa] 0,6“ 140 1729 1764 1950 190 000 Tabelle 5 Vorspannkräfte und Spannkraftverluste je Spannglied Versuch P t=0. ∆ P m=0,21 ∆ P m=KSR σ cp,test [kN] [kN] [kN] [MPa] DLT 1.4 335 -65,4 -20,5 2,49 DLT 1.5 510 -99,4 -7,0 2,52 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 163 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden Tabelle 6 Zusammenfassung der untersuchten Parameter und Ergebnisse der Querkraftversuche an Durchlaufträgern aus [20] Versuch Querschnitt Längsbewehrung Querkraftbewehrung r w,vorh / r w,min [‰] Belas-tung 1 Vorspannung σ cp [N/ mm²] Querkrafttragfähigkeit V u [kN] Feld 1 Feld 2 Feld 1 Feld 2 DLT 1.1 oben: 6Ø25 unten: 6Ø25 0,5 (Ø6/ 25) 1,5 (Ø10/ 25) EL 2,7 515 806 DLT1.2 oben: 4Ø25 + 6Ø16 unten: 4Ø25 + 6Ø16 0,5 (Ø6/ 25) 1,5 (Ø10/ 25) EL 2,5 721 1020 DLT 1.3 oben: 4Ø25 + 6Ø16 unten: 4Ø25 + 6Ø16 1,0 (Ø8/ 25) 2,0 (Ø12/ 25) EL 2,5 815 1154 DLT 1.4 oben: 6Ø25 unten: 6Ø25 0,5 (Ø6/ 25) 1,5 (Ø10/ 25) GL 2, 2,5 832 - DLT 1.5 oben: 4Ø25 + 6Ø16 unten: 4Ø25 + 6Ø16 0,5 (Ø6/ 25) 1,5 (Ø10/ 25) GL 3,6/ 3,5 (Feld 1/ Feld 2) 913 1280 DLT 2.1 oben: 16Ø12 unten, Feld: 3Ø16 + 2Ø20 unten, Stütz: 3Ø16 + 2Ø25 0,9 (Ø8/ 20) 2,3 (Ø12/ 20) EL 3,7 1012 1100 DLT 2.2 oben: 16Ø12 unten, Feld: 3Ø16 + 2Ø20 unten, Stütz: 3Ø16 + 4Ø20 0,8 (Ø6/ 20) 1,8 (Ø10/ 20) EL 3,7 935 1222 DLT 2.3 oben: 16Ø12 unten, Feld: 3Ø16 + 2Ø20 unten, Stütz: 3Ø16 + 4Ø20 0,5 (Ø6/ 30) 1,0 (Ø8/ 20) EL 3,7 909 1019 DLT 2.4 oben: 16Ø12 unten, Feld: 3Ø16 + 2Ø20 unten, Stütz: 3Ø16 + 10Ø20 0,9 (Ø6/ 20) 1,5 (Ø8/ 20) GL 3,7 1480 1781 1 EL: Einzellast, GL: Gleichlast 164 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden 3.3 Versuchsaufbau und -durchführung Um das Trag- und Verformungsverhaltens der Träger mit zunehmender Belastung kontinuierlich zu erfassen, wurden Dehnungsmessstreifen (DMS), induktive Wegaufnehmer (WA), Kraftmessdosen und ein photogrammetrisches Messsystem verwendet. Durch Messrechner wurde für eine kontinuierliche Messwerterfassung gesorgt. Für die Photogrammetriemessung wurde mit Sprühfarbe ein kontrastreiches Zufallsmuster innerhalb eines Messfeldes aufgetragen, das sich in den Schubfeldern befand. Die Erstellung der Bilder erfolgte bei den Einzellastversuchen jeweils bei Laststufen im Abstand von 50 kN. Am Mittelauflager und unterhalb der Pressen wurden die Kräfte mittels Kraftmessdosen erfasst. Die Durchbiegung der Träger wurde unterhalb der Lasteinleitung mit induktiven Wegaufnehmern (WA) gemessen. Auf der Betonoberfläche im Schubfeld erfolgte eine Dehnungs- und Verformungsmessung mittels DMS- und Wegaufnehmerrosetten zur Bestimmung der Hauptdehnungsrichtungen. Zusätzlich wurde das Risswachstum mittels photogrammetrischer Messungen (DIC) an der Lasteinleitung erfasst. Die Bügeldehnungen wurden mit Stahl-DMS gemessen. Neben konventioneller Messtechnik wurden von der Bundesanstalt für Materialforschung Ultraschallsensoren im Beton des Trägers eingesetzt und mittels Codawelleninterferometrie ausgewertet [44]. Die Versuchsanordnung der Streckenlastversuche ist in Bild 5 dargestellt. Bei diesen Versuchen wurden neun einzelne hydraulische Pressen je Feld verwendet, um über das Prinzip der verschmierten Einzellasten eine gleichmäßig verteile Last zu erzeugen. Durch Zusammenschluss aller Pressen in einem Ölkreislauf, übten alle Zylinder auch bei zwangsläufig entstehenden abweichenden Hubwegen die gleiche Kraft aus. Aus praktischen Gründen wurde der Träger verkehrt herum aufgebaut, sodass die Pressen unterhalb der Träger angeordnet waren und die Auflager des Trägers über Traversen in das Spannfeld rückverankert wurden. Auf diese Weise wurde keine lastverteilende Traverse in Längsrichtung benötigt. Die bei den Einzellastversuchen vorgenommene Messtechnik wurde bei den Streckenlastversuchen analog eingesetzt. Die Last wurde in Schrittweiten von 10 kN bezogen auf einen einzelnen Zylinder aufgebracht. Kurz vor dem Versagen des schwächer bewehrten Schubfelds sollte der Versuch unterbrochen und das Schubfeld mit Schubspangen verstärkt werden, um durch anschließende Wieder- und Weiterbelastung bis zum Versagen des stärker bewehrten Schubfelds zwei Teilversuche zu ermöglichen. Während die bei Träger DLT 1.5 gelang, kam es im ersten Teilversuch von Träger DLT 1.4 zu einem Versagen in der Biegedruckzone, sodass kein zweiter Teilversuch durchgeführt werden konnte. 3.4 Ergebnisse Die während der Versuche dokumentierten Rissbilder sind in Bild 6 dargestellt. Bei Versuchen kam es erwartungsgemäß zu einem Schubversagen am Auflager. Es ist zu erkennen, dass sich mindestens zwei kritische Schubrisse sich entlang der Verbindungslinie von Lasteinleitung und Auflager gebildet haben, sodass der Rückschluss zugelassen werden kann, dass diese Schubrisse auf den direkten Lastabtrag ins Auflager zurückzuführen sind. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 165 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden Bild 5. a) Versuchsanordnung und Messtechnik Streckenlastversuch; Versuchsaufbau von b) DLT 1.4, c) DLT 1.5 (Quelle: IMB, RWTH) In Bild 7 sind die Verformungskurven in Abhängigkeit der im Schubfeld wirkenden Querkräfte angegeben. Die Querkräfte wurden aus den gemessenen Pressenlasten und der am Mittellager gemessenen Auflagerkräfte unter Vernachlässigung des Vertikalanteils der Spannglieder ermittelt. Während die Belastung wie beschrieben in beiden Feldern parallel gesteigert wurde und stets gleich hoch war, zeigen die Last-Durchbiegungskurven, dass sich in den weniger schubbewehrten Feldern eine größere Durchbiegung bei gleichem Lastniveau einstellte. Die Querkräfte wurden in jedem Diagramm in jeweils drei Schnitten ermittelt. Der erste Schnitt bezieht sich auf die Auflagervorderkante und die weiteren Schnitte auf die Vorderkanten der weiter im Feld liegenden Lasteinleitungsplatten. Ein Vergleich mit den erreichten Querkrafttragfähigkeiten der Einzellastversuche [8] zeigt, dass die Streckenlastversuche am Auflager deutlich höhere Querkräfte aufnehmen können als Einzellastversuche. Dies ist auf die direkte Lasteinleitung der auflagernahen Pressen zurück-zuführen. Die Querkräfte bei den Gleichstreckenlastversuchen in einem Schnitt von a = 1,375 m Entfernung von wAuflager entsprechen in etwa der Querkrafttragfähigkeit der entsprechenden Einzellastversuche. Diese Länge stimmt in etwa mit dem 1,8-fachen Wert der statischen Nutzhöhe d überein. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die übliche Bemessungsvorschrift, den Nachweisschnitt für Querkraft im Abstand d vom Auflager zu positionieren, für Innenauflager von Spannbetonträgern tendenziell konservativ ist. Die erreichten Querkräfte sind zusammen mit den Bruchlasten der anderen im Zuge des Forschungsprojektes durchgeführten Querkraftversuche an Stahlbetondurchlaufträgern und den wichtigsten Eigenschaften der Versuche in Tabelle 6 zusammengefasst. 166 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden Bild 6. Rissbilder nach Durchführung der Versuche an DLT 1.4 (oben) und DLT 1.5 (unten, Quelle: IMB, RWTH) Bild 7. Last-Verformungskurven der Versuche: a) DLT 1.4 im Vergleich mit DLT 1.1 mit Einzellasten, b) DLT 1.5, 1. Teilversuch und c) DLT 1.5, 2. Teilversuch (Quelle: IMB, RWTH) 4. Bemessungsvorschlag für Bestandsbrücken 4.1 Hintergrund Das Fachwerkmodell mit variablem Druckstrebenwinkel basiert auf den Regeln der Plastizitätstheorie. Der Zusammenhang zwischen vorhandener Querkraftbewehrung und Querkrafttragfähigkeit kann in Bezug auf die geometrischen und Materialeigenschaften der betrachteten Bauteile normiert im Plastizitätskreis anschaulich dargestellt werden, wie Bild 8 zeigt. Die in schwarz dargestellten Linien zeigen das Fachwerkmodell für verschiedene Druckstrebenwinkelneigungen. Für cot θ = 2,5 ergibt sich z. B. Linie (1). Es ist jedoch auch ersichtlich, dass sich ohne Querkraftbewehrung (ω w = 0), demnach auch keine Traglast ergibt (v sy = 0), die sich über die Tragfähigkeit der Zugstreben bestimmt. Bei Einbau von wenig Schubbewehrung erhöht sich der Querkraftwiderstand zwar überproportional, viele ältere Bestandsbrücken befänden sich bei Eintrag in die Grafik jedoch außerhalb des Plastizitätskreises. Die rot dargestellten Linien (2)/ (3) in Bild 8 zeigen Möglichkeiten für das Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil für unterschiedliche Winkel b r . Dies ermöglicht durch Berücksichtigung einer Grundtragfähigkeit von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung (gedanklich durch Verschub des Minimums aus dem Ursprung des Koordinatensystems entlang der Abszisse), rechnerisch auch Bereiche außerhalb des Plastizitätskreises zu erfassen. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 167 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden Bild 8. Plastizitätskreis mit (1) Begrenzung des Druckstrebenwinkels θ auf cot θ = 2,5 und (2) / (3) Fachwerkmodelle mit Betontraganteil nach Zur Begrenzung der rechnerischen Wertebereiche außerhalb des Plastizitätskreises, wird cot b r entsprechend Gl. (1) begrenzt, Linie (3). Weitere Details sind in [17] beschrieben. (1) 4.2 Berechnungsansatz Im Folgenden wird der Vorschlag für zweite Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie entsprechend der Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt [11] zur Querkraftbemessung der Längsträger älterer Spannbetonbrücken mit kleinen Schubbewehrungsgraden durch ein Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil vorgestellt. Es gilt die Vorzeichennotation nach DIN Fachbericht, da dieser der Nachrechnungsrichtlinie zugrunde liegt. Anders als nach EC2 werden hierbei Druckspannungen negativ und Zugspannungen positiv definiert. Die Querkrafttragfähigkeit nach dem Modell ergibt sich nach Gl. (2). (2) Dabei ist wird ein Duktilitätskoeffizient k ct berücksichtigt (Gl. (3)), um dem Übergang vom spröden Biegeschubversagen zum duktileren Zugstrebenversagen Rechnung zu tragen. (3) mit r w,vorh. vorhandener Querkraftbewehrungsgrad r w,min Mindestwert für den Querkraftbewehrungsgrad nac h DIN-Fachbericht 102, II-5.4.2.2 Der Bemessungswert der Querkrafttragfähigkeit V Rd,ct biegebewehrter Bauteile ohne Querkraftbewehrung als Grundwert des additiven Betontraganteils entspricht Gleichung (4). (4) Dabei sind die Begrenzungen nach den Gl. (5) und (6) zu berücksichtigen, die den Mindestbzw. Höchstwert angeben. V v b d Rd ct min min cd w , , , 0 15 (5) (6) Dabei ist g c der Teilsicherheitsbeiwert für bewehrten Beton nach DIN-Fachbericht 102, II2.3.3.2 k ein Maßstabsfaktor mit k = 1 + (200/ d) 0,5 ≤ 2,0 mit d in [mm] r l der Längsbewehrungsgrad mit r l = A sl / (b w d) ≤ 0,02 A sl die Fläche der Zugbewehrung, die mindestens um das Maß d über den betrachteten Querschnitt hinausgeführt und dort wirksam verankert wird (siehe DINFB 102, Abb. 4.12). Bei Vorspannung mit sofortigem Verbund darf die Spannstahlfläche voll auf A sl angerechnet werden. f ck der charakteristische Wert der Betondruckfestigkeit in N/ mm² σ cd der Bemessungswert der Betonlängsspannung in Höhe des Schwerpunkts des Querschnitts mit σ cd = N Ed / A c ≤ 0,4f cd in N/ mm² N Ed der Bemessungswert der Längskraft im Querschnitt infolge äußerer Einwirkungen oder Vorspannung (N Ed < 0 als Längsdruckkraft) b w die kleinste Querschnittbreite innerhalb der Zugzone des Querschnitts d die statische Nutzhöhe der Biegezugbewehrung im betrachteten Querschnitt v min = (0,0525/ g c ) ∙ k 3/ 2 ∙ f ck 1/ 2 für d ≤ 600 mm v min = (0,0375/ g c ) ∙ k 3/ 2 ∙ f ck 1/ 2 für d > 800 mm Für 600 mm < d ≤ 800 mm darf interpoliert werden. Der Beiwert ν für die aufnehmbare Druckspannung des gerissenen Betons ergibt sich nach Gleichung (7). 168 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden (7) Der rechnerische Schubrisswinkel b r darf in den in Gl. (8) angegebenen Grenzen gewählt werden. (8) Die Druckstrebentragfähigkeit für eine Querkraftbewehrung rechtwinklig zur Bauteilachse ergibt sich nach Gl. (9). (9) Der rechnerische Druckstrebenwinkel θ zur Berechnung von V Rd,max ergibt sich nach Gl. (10). (10) Der mechanische Querkraftbewehrungsgrad ergibt sich nach Gl. (11). (11) 4.3 Vergleich mit Versuchsergebnissen Ein Vergleich der bezogenen Querkrafttragfähigkeiten (V exp aus einem Versuch zu V calc entsprechend eines Berechnungsansatzes), die sich durch Anwendung des in Abschnitt 4.2 beschriebenen Ansatzes auf die im Zuge des Forschungsprojekts [11] durchgeführten Querkraftversuche gemäß Tabelle 6 ergeben, mit den bezogen Querkrafttragfähigkeiten entsprechend der aktuellen Regeln der 1. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie ist in Bild 9 in Abhängigkeit des Querkraftbewehrungsgrades dargestellt. Bei der Auswertung wurden die Teilversuche mit erreichten Bruchlasten (dreieckige Markierungen) getrennt von den Versuchen ausgewertet, die vorzeitig beendet wurden, um einen zweiten Teilversuch am Träger durchführen zu können (runde Markierungen). Infolge der auf der sicheren Seite liegend gewählten Lasten zum Zeitpunkt der Verstärkung der ersten Trägerhälfte wurden die erreichten Beanspruchungsniveaus von beiden Ansätzen deutlich unterschätzt (gestrichelte Trendlinien). Bei den Teilversuchen, die ihre Bruchlast erreichten (durchgehende Trendlinien), zeigt sich eine gute Vorhersage der Querkrafttragfähigkeiten auf Basis des Vorschlags für Stufe 2. Im Vergleich zum aktuellen Bemessungsansatz können insbesondere für geringe Querkraftbewehrungsgrade zutreffendere Ergebnisse erzielt werden. Bild 9. Vergleich der Querkrafttragfähigkeiten der in [11] durchgeführten Großversuche mit den rechnerischen Tragfähigkeiten 5. Zusammenfassung und Ausblick Im vorliegenden Beitrag wurde ein Teil der Querkraftversuche vorgestellt, die im Zuge eines von der BASt beauftragten Forschungsprojektes durchgeführt wurden. Ziel des Projekts war es, durch experimentelle und theoretische Untersuchungen verfeinerte Bemessungsmöglichkeiten für die Querkraft- und Torsionstragfähigkeit von Spannbetonbrücken im Bestand zu entwickeln. Am Institut für Massivbau der RWTH Aachen wurden Querkraftversuche an insgesamt fünf großformatigen Spannbetondurchlaufträgern durchgeführt. Dabei wurden der Querkraftbewehrungsgrad, die Querschnittsform (Rechteck- und I-Profil) sowie die Belastungsart (Einzel- und Gleichstreckenlast) variiert. Alle Träger wiesen geringe Querkraftbewehrungsgrade vom 0,5bis 2,0-fachen Wert der Mindestquerkraftbewehrung nach DIN Fachbericht 102 auf. Während die Versuche mit konzentrierter Belastung in einem anderen Beitrag bereits vorgestellt wurden, erfolgte hier die Beschreibung der Versuche mit Gleichstreckenbelastung. Insgesamt wiesen die Bauteile erhebliche Querkrafttragfähigkeiten in Bezug auf die geringen Bügelbewehrungsmengen auf. Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse wurde ein modifiziertes Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil entwickelt und vorgestellt, das eine zutreffendere Ermittlung der Querkrafttragfähigkeiten gering schubbewehrter Spannbetonträger erlaubt, die sich häufig in älteren Bestandsbrücken wiederfinden. Dieses Modell wurde als Ansatz für Stufe 2 der 2. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie vorgeschlagen und erlaubt gegenüber der aktuellen Nachrechnungsrichtlinie die rechnerische Aktivierung weiterer Tragreserven. Der Betontraganteil des Modells ist dabei identisch zur Bie- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 169 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden geschubtragfähigkeit für Bauteile ohne Querkraftbewehrung und der Fachwerktraganteil verwendet einen flacheren Druckstrebenwinkel. Obwohl die Bemessungsansätze durch dieses Forschungsvorhaben weiter verbessert werden konnten, besitzen Spannbetonbrücken im Bestand noch erhebliche Tragreserven unter Querkraft- und Torsionsbeanspruchung. Diese könnten durch erweiterte Bemessungsansätze genutzt werden, um einen Weiterbetrieb ohne Verstärkung oder vorzeitigen Ersatzneubau zu ermöglichen. Hauptgründe für die vorhandenen Tragreserven sind zum einen die günstigen Einflüsse aus dem statischen System des Durchlaufträgers (geringere Schubschlankheit im Vergleich zum Einfeldträger), der Vorspannung (spätere Schubrissbildung) und der Belastungsart (Streckenlasten anstelle von Einzellasten in fast allen Versuchen). Weitere offene Fragestellungen ergeben sich bei den Verfahren der Stufe 4. Zurzeit können beispielsweise nichtlineare FE-Berechnungen, das erweiterte Druckbogenmodell oder die Modified Compression Field Theory angewendet werden. Mit allen Verfahren lassen sich hohe rechnerische Tragreserven ermitteln, da sie das nichtlineare Materialverhalten und das Systemtragverhalten zutreffender erfassen als eine vereinfachte Nachweisführung. Allerdings ist die Anwendung um ein Vielfaches komplexer. Offene Fragen bestehen zu den Anwendungsgrenzen, der Vergleichbarkeit und vor allem zum erreichbaren Sicherheitsniveau. Diese Punkte sollen in den nächsten Jahren in einem weiteren Forschungsvorhaben adressiert werden. Danksagung Der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) wird für die Förderung des Projektes und den Mitgliedern des Betreuungsausschusses für die hilfreichen Diskussionen gedankt. Diesem Bericht liegen Teile der im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur, vertreten durch die Bundesanstalt für Straßenwesen, unter FE-Nr. 15.0591/ 2012/ FRB durchgeführten Forschungsarbeit zugrunde. Die Verantwortung für den Inhalt liegt allein bei den Autoren. 6. Literatur [1] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Strategie zur Ertüchtigung der Straßenbrücken im Bestand der Bundesfernstraßen. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin Ausgabe Mai 2013. [2] Naumann, J.: Brücken und Schwerverkehr - Eine Bestandsaufnahme. In: Bauingenieur 85 (2010), Heft 1, S. 1-9. [3] Zilch, K.; Weiher, H.: Untersuchung des Zustands der deutschen Spannbetonbrücken. In: Zilch, K. (Hrsg.): Tagungsband zum 10. Münchner Massivbau-Seminar. Eigenverlag der TUM, 2006, S. 1-18. [4] Maurer, R.; Bäätjer, G.: Sicherheit von Spannbetonbrücken - Entwicklung von Konstruktions- und Bemessungsgrundsätzen in Deutschland. 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Kolloquium Brückenbauten - September 2020 171 Beitrag nicht normgemäßer Bügelformen zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken im Bestand Nicholas Schramm, M.Sc. Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau, München, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Oliver Fischer Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau, München, Deutschland Zusammenfassung Aufgrund von gestiegenen Anforderungen an Bestandsbrücken zeigen sich bei der Nachrechnung von Spannbetonbrücken häufig ausgeprägte rechnerische Defizite bezüglich der Querkrafttragfähigkeit, obwohl in der Praxis oftmals keine entsprechenden Schadensbilder am Bauwerk erkennbar sind. Diese Diskrepanz ist aktuell Gegenstand mehrerer Forschungsvorhaben. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach dem Einfluss von aktuell nicht mehr zugelassenen Bügelformen, sowie generell von einem geringen Querkraftbewehrungsgehalt (geringer als die aktuell geforderte Mindestbewehrung), auf die Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken. Diesbezüglich wurden durch den Lehrstuhl für Massivbau der Technischen Universität München (TUM) umfangreiche experimentelle Untersuchungen an insgesamt 14 Spannbetonträgerausschnitten mit einem innovativen Versuchskonzept unter Anwendung der Substrukturtechnik durchgeführt. Hierbei konnten wichtige neue Erkenntnisse zum Einfluss der Bügelform auf das Querkrafttragverhalten gewonnen werden. Auf Grundlage der experimentellen Untersuchungen wurden Vorschläge zur teilweisen Anrechnung dieser Bügelformen auf die Querkrafttragfähigkeit erarbeitet. Der Beitrag stellt die Ergebnisse der experimentellen Untersuchungen sowie ein Bemessungskonzept zur Anrechenbarkeit nicht normgemäßer Bügelformen auf die Querkrafttragfähigkeit dar. 1. Einleitung Bei der Nachrechnung von Massivbrücken finden sich häufig Querkraftbewehrungsformen, die nach heutigen Vorschriften nicht mehr zulässig sind, da sie die Anforderungen an die derzeit geforderte konstruktive Durchbildung nicht erfüllen. Bisher dürfen solche Bügelformen bei der Nachrechnung auf Grundlage der Nachrechnungsrichtlinie [1], [2] rechnerisch nicht für den Nachweis der Querkrafttragfähigkeit in Ansatz gebracht werden. In der Baupraxis finden sich diverse Abweichungen. So wurden in der Vergangenheit häufig zweiteilige Bügel mit kurzen Übergreifungslängen der vertikalen Bügelschenkel (vgl. Abbildung 1), oben offene Bügel mit geraden Stabenden oder Steckbügel, die nicht über die gesamte Steghöhe reichen (vgl. Abbildung 2), verwendet. Abbildung 1: Zweiteilige Bügelbewehrung mit kurzer Übergreifungslänge der Bügelschenkel in einem Feldquerträger der Rheinbrücke Bonn-Nord [3] 172 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Beitrag nicht normgemäßer Bügelformen zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken im Bestand Abbildung 2: Einseitig offene Steckbügel mit geraden Stabenden, die nicht über die gesamte Querschnittshöhe reichen am Beispiel der Ruhrtalbrücke Mintard [3] Zum Einfluss der genannten Bügelformen auf die Querkrafttragfähigkeit finden sich, wenngleich diese zur damaligen Zeit normativ zulässig waren, nur wenige Versuche zur Absicherung der Wirksamkeit für die Abtragung von Querkräften. Vor diesem Hintergrund wurden am Lehrstuhl für Massivbau der Technischen Universität München im Rahmen eines großen Verbundforschungsvorhabens [4] (s. hierzu auch [5], [6], [7]) umfangreiche experimentelle Untersuchungen zum Einfluss nicht mehr zugelassener Bügelformen auf die Querkrafttragfähigkeit durchgeführt. Um möglichst viele Versuche (für verschiedene Bügelformen) mit vergleichsweise geringem Aufwand durchführen zu können und um gleichzeitig die Beanspruchungsverhältnisse im Bereich der Innenstütze von Spannbetonbrücken möglichst realitätsnah abbilden zu können, wurde hierbei ein neuartiges Versuchskonzept angewendet und es wurden lediglich Ausschnitte von Spannbetonträgern (sogenannte Substrukturen) geprüft (für nähere Informationen vgl. [4], [8], [9] und [10]). In dieser Weise wurden für die genannten Bügelformen (inkl. Referenzversuchen mit konventioneller und ohne Bügelbewehrung) insgesamt 14 Versuche durchgeführt. Der vorliegende Beitrag stellt die experimentellen Untersuchungen vor, geht auszugsweise auf die Versuchsergebnisse ein und legt ein Bemessungskonzept zur Anrechenbarkeit nicht normgemäßer Bügelformen auf die Querkrafttragfähigkeit dar. 2. Experimentelle Untersuchungen 2.1 Allgemeines Um die Beanspruchungsverhältnisse im Bereich der Innenstütze eines vorgespannten Durchlaufträgers zu simulieren, wurde der entsprechende Teilbereich aus dem Gesamtsystem herausgelöst betrachtet (vgl. Abbildung 3). Abbildung 3: Betrachtetes Teilsystem im Bereich der Innenstütze eines Durchlaufträgers sowie zugehörige Weg- und Schnittgrößen [3] Es wurden zwei verschiedene Prüfkörpergeometrien, Rechteckquerschnitte und T-Querschnitte, untersucht und jeweils die Bügelform, der Querkraftbewehrungsgehalt sowie (für die T-Querschnitte) der Vorspanngrad als Parameter variiert. Insgesamt wurden elf Versuche mit Rechteckquerschnitt und drei Versuche mit Plattenbalkenquerschnitt durchgeführt. 2.2 Versuchstechnik Die experimentellen Untersuchungen wurden in einem neuartigen Versuchstand am Lehrstuhl für Massivbau der TUM durchgeführt. Dabei ist es mittels der realisierten Echtzeitsteuerung von sechs Hydraulikzylindern (doppeltwirkend, max. Druckkraft je Zylinder 1 600 kN, max. Zugkraft je 1 100 kN) und massive Stahl-Lasteinleitungsplatten möglich, vorgespannte Trägerausschnitte mit Querschnittshöhen bis 1,8 m mit einer Querkraft von bis zu 3,2 MN und einem maximalen Moment von bis zu 3,2 MNm zu belasten. Somit lässt sich, wie es bei den hier vorgestellten Versuchen der Fall war, z. B. auch die Momenten-Querkraft Interaktion im Bereich der Innenstütze eines Durchlaufsystems mit feldweisen Einzellasten (vgl. Abbildung 3) simulieren, siehe hierzu auch [11]. Die so untersuchten Trägerelemente werden dann jeweils durch eine konstante Querkraft sowie ein linear veränderliches Biegemoment (mit Momentennullpunkt in Trägermitte) beansprucht. [9] 2.3 Versuchsträger und -programm Die Versuchsträger mit Rechteckquerschnitt waren alle 3,5 m lang, 80 cm hoch und 25 cm breit. An den beiden Enden wurden diese jeweils auf eine Breite von 45 cm linear aufgeweitet. Die Prüflinge mit T-Querschnitt waren 1,10 m hoch, 1,05 m breit und besaßen eine Stegbreite von 40 cm. Für beide Versuchsreihen wurde ein geringer Querkraftbewehrungsgrad gewählt und die Bügel- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 173 Beitrag nicht normgemäßer Bügelformen zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken im Bestand form variiert. Bei den Versuchen mit Plattenbalkenquerschnitt wurde ein glatter Betonstahl aus Baustahl S 275 verwendet. Für die Versuche mit Rechteckquerschnitt kam ein Betonstahl B500B zur Anwendung. Als Längsbewehrung wurden 6Ø25 (Rechteckquerschnitte) bzw. 10Ø25 (T-Querschnitte) gewählt. Die Trägerelemente wurden stirnseitig über Schubnocken an die Einleitungsplatten des Versuchstands angeschlossen. Tabelle 1 gibt einen zusammenfassenden Überblick über das Versuchsprogramm und die wesentlichen Parameter der Prüfkörper. Bei den Versuchskörpern mit Rechteckquerschnitt wurden oben offene Bügel mit geraden Stabenden (vgl. Abbildung 4a), zweiteilige Bügel mit geraden Stabenden und geringer Übergreifungslänge (vgl. Abbildung 4b) sowie einseitig offene Steckbügel, die nicht über die gesamte Steghöhe reichen, untersucht. Des Weiteren wurden Referenzversuche ohne und mit geschlossener Bügelbewehrung durchgeführt. Für die T-Querschnitte wurden lediglich geschlossene und einseitig (im Gurt) offene Bügel mit geraden Stabenden aus glattem Betonstahl untersucht. Abbildung 4: Untersuchte Bügelformen a) oben offene Bügel mit geraden Stabenden b) Zweiteilige Bügel mit geraden Stabenden und kurzer Übergreifungslänge c) einseitig offene Steckbügel, die nicht über die gesamte Querschnittshöhe reichen [3] Tabelle 1: Versuchsprogramm [3] In den Versuchen kam eine sehr umfangreiche Messtechnik zum Einsatz. Zum einen wurde konventionelle Messtechnik wie Weg- und Neigungssensoren und bis zu 71 Dehnmessstreifen je Versuch auf der Bügel- und Längsbewehrung verwendet. Darüber hinaus wurde ein kamerabasiertes optisches Messsystem mit einer Mess- 174 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Beitrag nicht normgemäßer Bügelformen zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken im Bestand feldbreite von ca. 90 cm eingesetzt, um das Riss- und Verformungsverhalten (sowie insbesondere die Risskinematik) zu erfassen. Zudem wurden auf der Bügelbewehrung faseroptische Sensoren angebracht, wodurch die Beanspruchungen in der Bewehrung nicht nur sehr lokal, sondern quasi-kontinuierlich entlang der Bügelschenkel gemessen werden konnten. Dadurch war eine detaillierte Erfassung des Trag- und Verankerungsverhaltens der unterschiedlichen Bügelformen möglich. [9] Im Rahmen von Begleitversuchen wurde eine Würfeldruckfestigkeit zwischen 36,9 und 48,1 MPa ermittelt. 2.4 Versuchsergebnisse Bei allen 14 Trägern trat ein Querkraftversagen auf. Die Bruchquerkräfte lagen dabei zwischen 596 und 1 455 kN bei einer Schubrissneigung zwischen 17 und 35 ° (vgl. Tabelle 2). Das Verhältnis der Bruchquerkräfte zur Bruchlast des Versuchsträgers ohne Querkraftbewehrung für die Prüflinge mit Rechteckquerschnitt (vgl. Tabelle 2) verdeutlicht den dominanten Betontraganteil der untersuchten Spannbetonträgerelemente. Tabelle 2: Bruchquerkräfte (V max ), gemittelte Neigungen des kritischen Schubrisses (β r ), Schrägrisslasten (V cr ) und Verhältnis der Querkrafttragfähigkeiten mit und ohne Querkraftbewehrung (V max / V ult,ρw=0 ) [3] Um den Einfluss der Bügelform auf die Querkrafttragfähigkeit zu bewerten, wurde der Traganteil der Querkraftbewehrung für die Versuche mit Rechteckquerschnitt aus der Differenz der gemittelten Bruchlasten des jeweiligen Versuchsträgers (mit entsprechender Bügelform) und dem Mittelwert der Bruchlasten aus den Versuchen ohne Querkraftbewehrung errechnet (vgl. Abbildung 5). Für diesen vereinfachten Vergleich wurde der geringe Einfluss abweichender Betondruckfestigkeiten der einzelnen Versuche nicht berücksichtigt. Hierbei sei ferner erwähnt, dass der Bügeltraganteil bei Ermittlung aus der Differenz der Bruchlasten mit und ohne Bügelbewehrung unterschätzt wird, da keine Rissreibungsanteile des unbewehrten Trägers berücksichtigt werden. Für die grundsätzliche Betrachtung des Einflusses unterschiedlicher Bügelformen ist dies jedoch vernachlässigbar. Abbildung 5: Einfluss der Bügelform auf den Traganteil der Querkraftbewehrung bei konstantem Querkraftbewehrungsgrad ρ w [3] Es zeigt sich, dass der Bügeltraganteil für zweiteilige Bügel mit reduzierten Übergreifungslängen im Vergleich zu konventionellen, geschlossenen Bügeln nur unerheblich geringer ausfällt. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Tragwirkung im Vergleich zu einem geschlossenen Bügel lediglich in den Bereichen reduziert ist, in denen die Übergreifung der beiden Bügelteile durch Schubrisse gekreuzt wird. Zudem zeigen die Dehnungsmessungen (vgl. Abbildung 6), dass trotz der geringen Übergreifungslänge selbst im Stoßbereich nahezu die volle Bügelkraft übertragen werden kann. Diese Erkenntnisse decken sich auch mit den Untersuchungen von [12]. [3] Demgegenüber reduziert sich der Traganteil für oben offene Bügel mit geraden Stabenden deutlich. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der kritische Schubriss die Bügelschenkel zum Teil in Bereichen kreuzt, in denen sich die Bügelkraft durch die ungünstigere Verankerung (gerade Stabenden) nicht bis zur Streckgrenze aufbauen kann. Der Bügeltraganteil der oben offenen Bügel im Vergleich zu geschlossenen, konventionellen Bügeln reduziert sich daher abhängig von der Anzahl an Bügeln, die durch den kritischen Schubriss im Bereich der Verankerungslänge der oben offenen Stabenden gekreuzt werden. [3] 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 175 Beitrag nicht normgemäßer Bügelformen zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken im Bestand Abbildung 6: Beispielhafte Darstellung des Dehnungsverlaufs entlang eines unten offenen Steckers mit geraden Stabenden im Stützbereich (Messung lediglich an einem Bügelschenkel) [3] Für die Versuche an T-Querschnitten mit oben offener, glatter Bügelbewehrung lässt sich bei Vergleich der gemessenen Bruchquerkräfte hingegen auf keine Reduktion der Querkrafttragfähigkeit schließen. Selbiges wurde auch von [13] bei Versuchen an Spannbetonträgern mit I-Querschnitt und oben offener, gerippter Bügelbewehrung mit geraden Stabenden festgestellt. Der positive Einfluss der Gurte auf das Verankerungsverhalten der geraden Stabenden kann dabei insbesondere darauf zurückgeführt werden, dass der kritische (Biege-)Schubriss für die untersuchten Querschnitte bei Erreichen der maximalen Querkraft entlang der Kante zwischen Gurt und Steg verläuft und dieser sich somit nicht in den Flansch fortpflanzt. Es ist jedoch zu erwarten, dass dieses Tragverhalten lediglich bei voller Verankerung der geraden Stabenden im Gurt vorliegt und sich die Wirksamkeit der offenen Bügelbewehrung andernfalls (analog zu den Versuchen an Rechteckquerschnitten) entsprechend reduziert. Für die Träger mit einseitig offenen Steckbügeln (als Zulage im negativen Momentenbereich) verlagert sich das Versagen in den Feldbereich. Somit zeigt sich ein deutlicher Einfluss dieser Bügelform auf das Querkrafttragverhalten. Die zugehörigen Dehnungsmessungen machen generell deutlich, dass analog zu den über die gesamte Bauteilhöhe reichenden offenen Bügeln ein Fließen in den vertikalen Bügelschenkeln auftreten kann, falls der Bügel außerhalb der Verankerungslänge von einem Schubriss gekreuzt wird. [3] Ergänzend zu den Bauteilversuchen wurden Ausziehversuche mit glattem Betonstahl durchgeführt, um die ansetzbaren Verbundspannungen für Glattstahl nach [2] und anderen Ansätzen zu verifizieren. Hierbei zeigte sich, dass die Verbundspannung von glattem Betonstahl sehr großen Schwankungen unterworfen ist, da diese insbesondere auf die Haftreibung beruht, die wiederum von der relativ stark schwankenden Rauigkeit des Stahls abhängt. Die Verbundspannung für Glattstahl sollte daher mit einem auf der sicheren Seite liegenden Ansatz bestimmt werden. Da Bügelbewehrung aus glattem Betonstahl in der Vergangenheit jedoch in der Regel immer mit Haken am Stabende (die wiederum als punktuelle Verankerung angesehen werden können) ausgeführt wurde, kann diese auch für den Fall, dass sie nicht geschlossen ist grundsätzlich bis zur Streckgrenze ausgenutzt werden. Es zeigt sich jedoch, dass für die Aktivierung einer solchen Querkraftbewehrung größere Schubrissöffnungen erforderlich sind. 3. Ingenieurmodelle und Anwendungsregeln zur vereinfachten Berücksichtigung nicht normgemäßer Bügelformen Die nachfolgenden Ausführungen basieren zu großen Teilen auf [3], falls nicht anderweitig gekennzeichnet. Die Erkenntnisse zu den Versuchen und die zur Wirksamkeit der Bügelbewehrung angestellten theoretischen Überlegungen wurden für die verschiedenen Bügelformen in einen vereinfachten Bemessungsansatz zur Bestimmung des Bügeltraganteils überführt. Der wesentliche Fokus des nachfolgend vorgestellten Ansatzes, der so auch Eingang in die 2. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie [14] finden soll, lag auf einer einfachen baupraktische Anwendbarkeit sowie Konformität zu DIN-Fachbericht-102 [15]. Grundsätzlich setzt der nachfolgend vorgestellte Ansatz auf die Überlegungen nach [15] auf und ermittelt den ansetzbaren Bügeltraganteil über die Fachwerkanalogie. Da auf die Berücksichtigung eines Traganteils infolge Rissreibung und Dübelwirkung der Querkraftbewehrung verzichtet wird, sind der Risswinkel und Neigungswinkel der Druckstreben jedoch identisch, daher wird nachfolgend einheitlich nur der Begriff Risswinkel verwendet. Da die dem Ansatz zugrunden liegenden Versuche mit einem geringen Querkraftbewehrungsgrad (unterhalb der erforderlichen Mindestquerkraftbewehrung nach [15]) durchgeführt wurden, beschränken sich die Anwendungsregeln auf Querkraftbewehrungsgehalte von ρ w,vorh < 1,5 ∙ ρ w,min . Die Bügelbewehrung wird erst durch eine Schrägrissbildung für die Abtragung von Querkräften aktiviert. Der Bügeltraganteil ergibt sich somit aus der Summe der durch einen Schubriss gekreuzten Bewehrungselemente. Der Risswinkel wird als diskreter Riss mit idealisierter Neigung β r betrachtet, der sich analog zu [14], [16] und [17] nach Gleichung (1) bestimmen lässt: cot β r = 1,2 + f ck / (150 ∙ ρ w ∙ f yk ) - 2,4 ∙ σ cp / f ck ≤ 2,25 (1). mit: β r Rissneigungswinkel f ck char. Wert der Betondruckfestigkeit ρ w vorh. Querkraftbewehrungsgehalt f yk char. Streckgrenze des Betonstahls σ cp char. Vorspannung im Schwerpunkt 176 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Beitrag nicht normgemäßer Bügelformen zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken im Bestand Beim Vergleich mit den in den Versuchen bestimmten Schubrisswinkel zeigt sich eine sehr gute Übereinstimmung für die Rechteckquerschnitte und eine etwas schlechtere (aber auf der sicheren Seite liegende) Übereinstimmung für die T-Querschnitte (vgl. Abbildung 7). Die schlechtere Übereinstimmung für die Plattenbalkenquerschnitte ist dabei darauf zurückzuführen, dass die Querschnittsform selbst einen Einfluss auf die Rissreibung besitzt und das Vorhandensein einer glatten Bügelbewehrung womöglich zu flacher geneigten Schubrissen führt. Abbildung 7: Vergleich der experimentell und nach Gleichung (1) ermittelten Kotangens der Schubrisswinkel in Abhängigkeit der Beton- und Betonstahlkennwerte für Rechteck- und Plattenbalkenquerschnitte [3] Aus den eigens durchgeführten Versuchen geht hervor, dass der kritische Schubriss die Bügelschenkel zum Teil in Bereichen kreuzt, in denen sich die Bügelkraft durch die teilweise unzureichende Verankerung bzw. unterschiedlichen Verbundbedingungen der nicht normenkonform ausgeführten Bügelbewehrung nicht bis zur Streckgrenze aufbauen kann. In den restlichen Bereichen kann hingegen die gleiche Querkraft wie bei konventionellen Bügeln abgetragen werden. Demnach kann der innere Hebelarm z zur Berechnung des Bügeltraganteils um das Maß der Verankerungsbzw. Übergreifungslänge der Bügelschenkel reduziert werden, sodass sich aus den geometrischen Beziehungen ein reduzierter Bereich für die Anrechnung der Bügelbewehrung im jeweiligen Bemessungsschnitt ergibt. Für oben offene Bügel mit geraden Stabenden, die über die gesamte Querschnittshöhe reichen, ist zu unterscheiden, ob die geraden Stabenden vollständig im Gurt verankert sind (die Verankerungslänge wird dann vollständig durch den Gurt eingeschlossen), ob diese lediglich teilweise im Gurt verankert sind (Verankerungslänge nur teilweise vom Gurt umfasst), oder aber vollständig außerhalb des Gurtes verankert werden. Bei vollständiger Verankerung im Gurt (Einbindelänge der geraden Stabenden im Gurt größer als die erforderliche Verankerungslänge nach DIN-Fachbericht-102 [15]) darf die Querkraftbewehrung voll in Ansatz gebracht werden. Dies gilt auch für den Fall, dass ein entsprechender Gurt in der Zugzone liegt, da davon ausgegangen werden kann, dass sich der kritische Schubriss wenn dann erst im postkritischen Bereich bzw. infolge der resultierenden Versagenskinematik in den Gurt fortpflanzt. Dementsprechend zeigt sich weder bei den eigenen noch bei Versuchen aus der Literatur (vgl. [13]) eine merkliche Reduktion der Querkrafttragfähigkeit für diesen Fall. Der Bügeltraganteil berechnet sich folglich nach Gleichung (2): V Rd,sy,ad = a sw ∙ z ∙ f ywd ∙ cot β r (2). mit: f ywd Bemessungswert der Streckgrenze des Betonstahls a sw Querschnittsfläche der Querkraft-bewehrung auf 1 m Länge bezogen z Hebelarm der inneren Kräfte Für den Fall, dass die Verankerung der geraden Stabenden jedoch nur teilweise im Gurt erfolgt (Einbindelänge der geraden Stabenden im Gurt geringer als die nach DIN- Fachbericht-102 [15] erforderliche Verankerungslänge), ist der Hebelarm der inneren Kräfte zu reduzieren, um den reduzierten Wirkungsbereich der Bügelbewehrung zu berücksichtigen (vgl. Abbildung 8). Abbildung 8: Ermittlung des Bügeltraganteils für oben offene Bügel mit geraden Stabenden, bei teilweiser Verankerung im Gurt [3] Der innere Hebelarm z wird daher um die Differenz der erforderlichen Verankerungslänge und der Einbindelänge im Gurt reduziert, so dass sich der Bügeltraganteil für diesen Fall wie folgt berechnet (Gl. (3)): V Rd,sy,ad = a sw ∙ (z - (l b,Bü,net l f )) ∙ f ywd ∙ cot β r (3), mit: l b,Bü,net Verankerungslänge der geraden Stabenden des Bügels nach [15] l f Einbindetiefe der geraden Stabenden im Gurt Liegt eine Verankerung der geraden Stabenden der offenen Bügel außerhalb eines Gurtes vor, wie dies beispielsweise bei Querträgern ohne einen ausgeprägten Gurt, bei 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 177 Beitrag nicht normgemäßer Bügelformen zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken im Bestand einer Verankerung im Steg oder allgemein bei Rechteckquerschnitten der Fall ist (vgl. Abbildung 9), so ist der Hebelarm der inneren Kräfte um die gesamte erforderliche Verankerungslänge der geraden Stabenden zu reduzieren. Dadurch wird geometrisch gesehen lediglich die Bügelbewehrung außerhalb des Bereichs der Verankerungslänge der geraden Stabenden (wirksamer Bereich) berücksichtigt. Abbildung 9: Ermittlung des Bügeltraganteils für oben offene Bügel mit geraden Stabenden, bei Verankerung ohne Gurt [3] In den Versuchen konnte für diesen Fall eine deutliche Reduktion der Querkrafttragfähigkeit im Vergleich zu Trägern mit konventioneller, geschlossener Bügelbewehrung festgestellt werden. Dies kann damit begründet werden, dass der kritische Schubriss die Bewehrungselemente vollständig im Bereich der Verankerungslänge kreuzt. Der Verankerungsbereich ist somit für die Anrechenbarkeit der Querkraftbewehrung auszuschließen. Demnach kann für die Berechnung des Bügeltraganteils in diesem Fall Gleichung (4) angewendet werden: V Rd,sy,ad = a sw ∙ (z l b,Bü,net ) ∙ f ywd ∙ cot β r (4). Das gleiche Vorgehen kann auch für einseitig offene Steckbügel, die nicht über die gesamte Querschnittshöhe reichen, angewendet werden. Dabei ist dann in Gleichung (4) der Hebelarm der inneren Kräfte durch die Höhe der Steckbügel zu ersetzen ist. Da diese Bügelform häufig als Zulagebewehrung im Stützbereich von oben eingebracht wurde und somit in der Regel nur in einem beschränkten Bereich des Trägers vorzufinden ist, darf eine solche Bewehrung zudem nur dann in Ansatz gebracht werden, wenn sie mindestens um das Maß e = 0,5 ∙ cot β r ∙ z über den im Nachweis betrachteten Bemessungsschnitt reicht. Zweiteilige Bügel mit kurzer Übergreifungslänge dürfen analog zu einer geschlossenen Bügelbewehrung behandelt werden, wenn die vorhandene Übergreifung der geraden Stabenden größer oder mindestens gleich der (im Vergleich zu DIN-Fachbericht-102 [15] reduzierten) Länge l 0,Bü nach Gleichung (5) ist. l 0,Bü = 2/ 3 ∙ l b,rqd (5) Abbildung 10: Ermittlung des Bügeltraganteils für zweiteilige Steckbügel mit unzureichender Übergreifungslänge [3] Für den Fall, dass die vorhandene Übergreifungslänge den reduzierten Wert l 0,Bü nach Gleichung (5) dennoch unterschreitet (vgl. Abbildung 10), ist der effektive Bügeltraganteil wie folgt zu ermitteln (Gl. (6)): V Rd,sy,ad = a sw ∙ (z - (l 0,Bü l 0,Bü,prov )) ∙ f ywd ∙ cot β r (6) mit: l 0,Bü erforderliche Übergreifungslänge der geraden Stabenden des Bügels nach [15] l 0,Bü,prov vorhandene Übergreifungslänge der geraden Stabenden des Bügels Die aufgezeigten Regeln sind auch für eine Anwendung bei glattem Betonstahl zulässig. In der Regel finden sich in der Baupraxis jedoch keine geraden Stabenden aus Glattstahl. Die Stabenden wurden bei Vorhandensein von glattem Betonstahl fast ausnahmslos mit Haken am Stabende ausgeführt und bis zu einem Stabdurchmesser von 25 mm als punktuelle Verankerung betrachtet. Vor diesem Hintergrund kann die erforderliche Verankerungsbzw. Übergreifungslänge mit einem reduzierten Hakenbeiwert von α a = 0,5 unter Ansatz einer mittleren Verbundspannung für Glattstahl (hier: gute Verbundbedingungen) nach Gleichung (7) berechnet werden: f bd = 0,36 ∙√(f ck ) ∙ 1/ γ c (7). Aufgrund der großen Streuung der Verbundspannungen für glatte Bewehrung infolge einer schwankenden Oberflächenrauigkeit (vgl. hierzu auch die Ergebnisse von Ausziehversuchen mit glattem Betonstahl in [3]) ist die ansetzbare Verbundspannung beim Vorhandensein von geraden Stabenden ohne geometrische Umlenkstellen zusätzlich mit dem Faktor 0,5 zu reduzieren. Für die Versuche mit Rechteckquerschnitt wurde ein Vergleich der Modellansätze mit den Ergebnissen der eigenen Versuche durchgeführt, indem der versuchstechnisch bestimmte Bügeltraganteil aus der Differenz der Bruchlasten mit und ohne Bügelbewehrung ermittelt wurde. Für die Versuche mit geringem Querkraftbewehrungsgehalt konnte im Versuch aus photogrammetrischen Messungen der Risskinematik kein Traganteil der Rissreibung verifiziert werden, wohingegen für die Referenzversuche ohne Bügelbewehrung ein geringer Rissreibungsanteil festgestellt werden konnte. Demnach wurde dieser für den 178 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Beitrag nicht normgemäßer Bügelformen zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken im Bestand Vergleich zwischen Versuch und Modell rechnerisch berücksichtigt. Mit dieser Vorgehensweise zeigt sich eine gute Übereinstimmung zwischen den Modell- und den Versuchslasten. 4. Zusammenfassung Im vorliegenden Beitrag wurden ausgewählte Ergebnisse aus einem Programm mit 14 Versuchen an Spannbetonbalkenelementen vorgestellt. Die Versuche wurden mithilfe der Substrukturtechnik durchgeführt, die es ermöglicht, die Momenten-Querkraft-Interaktion im Bereich der Innenstütze eines Durchlaufträgers wirklichkeitsnah abzubilden. Zudem lassen sich die Versuche damit deutlich schneller durchführen, als die im Rahmen konventioneller Untersuchungen an vollständigen Durchlaufträgern möglich wäre. Der Schwerpunkt der experimentellen Untersuchungen lag dabei auf der Analyse der Wirksamkeit einer nicht normenkonform ausgeführten Bügelbewehrung auf die Querkrafttragfähigkeit. Die Versuchsergebnisse zeigen, dass nicht normenkonform ausgeführte Bügelbewehrung den Querkraftwiderstand merklich erhöht, auch wenn die Mitwirkung dieser Bewehrungsformen im Vergleich zu geschlossenen Bügeln deutlich reduziert sein kann. Der Beitrag stellt einen vereinfachten Ansatz zur Anrechnung solcher Bügelformen dar und stützt sich auf den Ergebnissen der Versuche sowie auf theoretischen Überlegungen ab. Danksagung Der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) wird für die Gewährung von Fördermitteln für das Verbundforschungsprojekt [4] zur Entwicklung erweiterter Bemessungsansätze für Querkraft und Torsion und die gute Zusammenarbeit gedankt. Literaturverzeichnis [1] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS): Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie). Berlin, 05/ 2011 [2] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI): 1. Ergänzung zur Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie). Berlin, 04/ 2015 [3] Schramm, N.: Zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbalkenelementen unter besonderer Berücksichtigung der Bügelform, Dissertation (in Bearbeitung), Technische Universität München, 2020 [4] Hegger, J.; Maurer, R.; Fischer, O.; Zilch, K.; et al.: Beurteilung der Querkraft und der Torsionstragfähigkeit von Brücken im Bestand - erweiterte Bemessungsansätze; BASt Projekt FE 15.0591/ 2012/ FRB, Schlussbericht, 2020 [5] Hegger, J. et al.: Erweiterte Nachweise zur Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem. Beiträge zum 4. Brückenkolloquium - Fachtagung über Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken, 2020 [6] Herbrand, M.; Hegger, J.: Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden. Beiträge zum 4. Brückenkolloquium - Fachtagung über Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken, 2020 [7] Stakalies, E.; Maurer, R.: Zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung. Beiträge zum 4. Brückenkolloquium - Fachtagung über Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken, 2020 [8] Schramm, N; Fischer, O.: Spezielle Aspekte der Querkrafttragfähigkeit - Laborversuche an Teilsystemen. In: Beiträge zum 21. Münchener Massivbau Seminar, S. 43-52, 2017 [9] Schramm, N; Fischer, O.; Scheufler, W.: Experimentelle Untersuchungen an vorgespannten Durchlaufträger-Teilsystemen zum Einfluss nicht mehr zugelassener Bügelformen auf die Querkrafttragfähigkeit. 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In: Vorträge zum „Betontag 1975“, Wiesbaden: Deutscher Beton-Verein [13] Rupf, M.: Querkraftwiderstand von Stahlbeton- und Spannbetonträgern mittels Spanungsfeldern, Ecole Polytechnique federale de Lausanne, Diss., 2014 [14] Nachrechnungsrichtlinie - 2. Ergänzung. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur - Abteilung Straßenbau: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand, (Nachrechnungsrichtlinie) - 2. Ergänzung, 2020 (in Vorbereitung) [15] DIN Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN- Fachbericht 102 Betonbrücken. Beuth Verlag GmbH, März 2009 [16] Görtz, S.: Zum Schubrissverhalten von Stahlbeton- und Spannbetonbalken aus Normal- und Hochleistungsbeton. Aachen, RWTH Aachen University, Diss., 2004 [17] Herbrand, M.: Shear strength models for reinforced and prestressed concrete members / Querkraftmodelle für Bauteile aus Stahl- und Spannbeton, RWTH Aachen University, Diss., 2017 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 181 Zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung Eva Stakalies TU Dortmund, Dortmund, Deutschland Reinhard Maurer TU Dortmund, Dortmund, Deutschland Zusammenfassung Im Rahmen von Brückennachrechnungen gemäß Nachweisstufe 1 und 2 der Nachrechnungsrichtlinie [1] ergibt sich häufig ein Defizit beim Nachweis der Torsionslängsbewehrung [2,3]. Da hierbei die Nachweise auf Querschnittsebene für die Schnittgrößen M, V und T jeweils getrennt geführt und die Bewehrungen anschließend überlagert werden stellt sich die Frage, in welchem Umfang nicht voll ausgenutzte Spannglieder, auch wenn sie nicht entsprechend der Theorie für reine Torsion in den Ecken des Querschnitts angeordnet sind, auf die Torsionslängsbewehrung angerechnet werden können. Hierzu wurden an der TU Dortmund, basierend auf Versuchen mit reiner Momente-Querkraft-Interaktion (M+V), Versuche an drei großformatigen Spannbeton-Durchlaufträgern mit kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) durchgeführt. Alle Versuchsträger wurden mit einem erweiterten Bemessungsmodell für die Torsionslängsbewehrung bei kombinierter Beanspruchung ausgelegt, welches im folgenden Beitrag erläutert wird. 1. Einleitung Da nur wenige experimentelle Untersuchungen an vorgespannten Versuchsbalken mit einer kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) existieren, wurden an der TU Dortmund im Rahmen eines Forschungsvorhabens im Auftrag der BASt, in Kooperation mit der RWTH Aachen, Großversuche an zweifeldrigen Spannbetonbalken (5,75m je Feld) durchgeführt [4]. Insgesamt drei Großversuche bauen auf bereits durchgeführten Versuchen auf, die an baugleichen Versuchsbalken ohne zusätzliche Torsionsbelastung durchgeführt wurden, so dass unmittelbar die Vergleichbarkeit gegeben ist. Ziel der Versuche mit zusätzlicher Torsionsbelastung ist die Untersuchung zum Einfluss der Bügel- und insbesondere der Torsionslängsbewehrung auf die Traglast unter kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T). Alle Versuchsträger wurden mit einem erweiterten Bemessungsmodell für die Torsionslängsbewehrung bei kombinierter Beanspruchung ausgelegt. 2. Torsionsverhalten bei kombinierter Beanspruchung aus M+V+T 2.1 Allgemeines Die Bemessungsformeln in Eurocode 2 (EC2) [5] gelten für reine Torsionsbeanspruchung bei einem Stahlbetonstab. Während beispielsweise bei den Stegen die vertikalen Kraftkomponenten der unter dem Winkel θ geneigten Betondruckstrebenkräfte durch die Bügel aufgenommen werden, müssen deren horizontalen Kraftkomponenten an der Stirnfläche durch die Torsionslängsbewehrung ins Gleichgewicht gesetzt und zurückverankert werden. 182 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung Reine Torsion: Stahlbeton Reine Torsion: Spannbeton Kombinierte Beanspruchung: M+V+T Bild 1 Modellvorstellung - Reine Torsion (T) und kombinierte Beanspruchung (M+V+T) Im Falle einer zusätzlichen äußeren Druckkraft P auf die Stirnflächen, z. B. aufgebracht über eine starre Platte durch eine Vorspannkraft, reduziert sich die erforderliche Torsionslängsbewehrung, bzw. bei ausreichend großer Kraft P ist sie nicht mehr erforderlich, da die horizontalen Kraftkomponenten der geneigten Druckstrebenkräfte durch die Vorspannkraft P ins Gleichgewicht gesetzt werden. Bei einem Spannbetonbalken sind die Trägerenden mit den Spanngliedverankerungen i. d. R. ungerissen, so dass sich vergleichbare Verhältnisse ergeben, die eine Reduzierung der Torsionslängsbewehrung gemäß Eurocode 2-2 (EC2-2) [6] erwarten lassen (Bild 1). Basierend auf diesen Modellvorstellungen wird eine Vorgehensweise zur Ermittlung der Torsionslängsbewehrung für die Auslegung der Versuchsträger mit kombinierter Beanspruchung (M+V+T) zugrunde gelegt. Dabei wird die Belastung zur Erzeugung einer zusätzlichen Torsion gegenüber den Referenzversuchen exzentrisch zur Balkenachse aufgebracht. 2.2 Torsionsbelastung bei kombinierter Beanspruchung (M/ T-Verhältnis) Im Rahmen von Voruntersuchungen wurde der Einfluss des M/ T-Verhältnisses auf die Tragfähigkeit von Plattenbalkenquerschnitten im Brückenbau anhand von umfangreichen Untersuchungen an ausgewählten Brückenbauwerken durchgeführt [7]. Dabei ergaben sich für reale Brücken M/ T-Verhältnisse zwischen 10 - 15 für gedrungene Plattenbalken Querschnitte. Überträgt man diese Verhältnisse auf die Versuchsträger, erhält man eine Exzentrizität zwischen 5 und 10 cm. Für den in Bild 2 dargestellten Biege- und Torsionsmomentenverlauf lässt sich das Verhältnis von Torsions- und Biegebeanspruchung für den Feldbereich wie folgt herleiten: Bei den Versuchsträgern DLT 2.5 und DLT 2.6 wurde eine Exzentrizität von 7,5 cm zugrunde gelegt, bei dem Versuchsträger DLT 2.7 wurde die Exzentrizität feldweise deutlich vergrößert. Um eine konstante durchlaufende Torsionslänsgbewehrung bei variierendem Druckstrebenneigungswinkel zu realisieren, ergab sich für Feld 1 eine Exzentrizität von 11,3 cm und für Feld 2 eine Exzentrizität von 15,0 cm. Eine Übersicht über die Exzentrizitäten und M/ T-Verhältnisse ist in Tabelle 1 dargestellt. Tabelle 1 Exzentrizität und M/ T Verhältnisse Träger Exzentrizität e M/ T - Verhältnis Feld 1 Feld 2 Feld 1 Feld 2 [m] [m] [-] [-] DLT2.5 0,075 0,075 13,2 13,2 DLT2.6 0,075 0,075 13,2 13,2 DLT2.7 0,113 0,150 8,8 6,6 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 183 Zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung Bild 2 Übersicht, System und Schnittgrößenverteilung unter exzentrischer Belastung [4] 2.3 Ermittlung der zusätzlichen Bügelbewehrung infolge Torsion (M+V+T) Grundlage für die Bemessung der Versuchsträger mit kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) bilden die Referenzversuchsträger DLT 2.2 (Feld 1) und DLT 2.3 (Feld 2) mit reiner Querkraftbiegung (M+V) [4]. Ausgehend von den Referenzversuchen mit bekannter Versuchstraglast F u sowie den zugehörigen Schnittgrößen M u und V u wurde zunächst die aus Torsion infolge der Lastexzentrizität e zusätzlich erforderliche Torisonsbügelbewehrung mit dem räumlichen Fachwerkmodell nach EC2-2 ermittelt und in voller Größe zusätzlich eingebaut. Wie bereits in [8] gezeigt, resultiert die gesamte erforderliche Bügelbewehrung aus der Querkraftbewehrung unter Berücksichtigung des Betontraganteils beispielsweise nach dem Druckbogenmodell (entsprechend den Referenzträgern), superponiert mit dem ermittelten zusätzlichen Anteil aus der nach EC2-2 erforderlichen Torsionsbügelbewehrung. Während bei der Querkraftbeanspruchung eine deutlich reduzierte Bügelbewehrung aus dem Druckbogenmodell resultiert, wurde die erforderliche Torsionsbügelbewehrung nach Norm vollständig eingebaut, da bei Torsion keine Druckbogenwirkung als zusätzlicher Betontraganteil analog zur Querkraft / Momentenbeanspruchung zu erwarten ist. 2.4 Ermittlung der zusätzlichen Längsbewehrung infolge Torsion (M+V+T) Hinsichtlich der Längsbewehrung wurden die Versuchsträger so konzipiert, dass eine Bemessung der zusätzlich erforderlichen Torsionslängsbewehrung unter Berücksichtigung der kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion erfolgte [8]. Es wurde dabei die resultierende Längszugkraft (N Tu ) aus der statisch erforderlichen Torsionslängsbewehrung ermittelt. Diese wurde dann als Zugkraft zentrisch im Schwerpunkt des Querschnitts angesetzt und bei der Biegebemessung berücksichtigt (Bild 3). Diese Idealisierung erfolgt bei einer Beanspruchung überwiegend durch Biegung. 184 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung Bild 3 Längsbewehrung infolge M u + N Tu : A s(M,T) [8] Bei der Ermittlung der zusätzlichen Längsbewehrung infolge Torsion wird zunächst von dem, durch die Torsionslängsbewehrung aufnehmbaren Torsionsmoment T u nach EC2-2 [6] ausgegangen, wobei für Versuchsnachrechnungen die Mittelwerte der Festigkeiten eingesetzt werden: (1) Daraus geht durch Umstellung der Gleichung (1) die zugehörige Längskraft aus Torsion N Tu hervor, die im Schwerpunkt des Querschnitts bei der Biegebemessung mit angesetzt wird: (2) Bei dieser Vorgehensweise wird für überwiegend biegebeanspruchte Bauteile der positive Effekt aus der Überdrückung der Torsionslängszugkräfte im Bereich der Biegedruckzone infolge Biegung, sowie der Tragwirkung der Spannglieder entsprechend ihrer Lage im Querschnitt bei der Bemessung berücksichtigt. Auf diese Weise kann die Längsbewehrung gegenüber einer Bemessung bei reiner Torsion deutlich reduziert werden. Tabelle 2 Versuchsprogramm - Kombinierte Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion Versuch Querschnitt Längsbewehrung Querkraftbewehrung ρ w,geo / ρ w,min [‰] Belastung Beton Vorsp. σ cp [MPA] Feld 1 Feld 2 Referenz versuche DLT 2.2 - Feld 1 DLT 2.3 - Feld 2 T A s,o = 16Ø12 A s,u,Feld = 3Ø16+2Ø20 A s,u,Stütz = A s,u,Feld +2Ø20 0,77 (Ø6/ 20) (a sw,V ) 1,04 (Ø8/ 20) (a sw,V ) M+Q Einzellast C30/ 37 3,9 DLT 2.5 T A s,o =14Ø12+2Ø20 A s,u,Feld = 3Ø16+2Ø20 A s,u,Stütz = A s,u,Feld +2Ø20 A s,Steg = 4Ø12 je Seite 1,03 (Ø8/ 20) (a sw,V+T ) 1,66 (Ø10/ 20) (a sw,V+T ) M+Q+T Einzellast exzentrisch C35/ 45 3,3 DLT 2.6 T A s,o = 16Ø12 A s,u,Feld = 3Ø16+2Ø20 A s,u,Stütz = A s,u,Feld +2Ø20 1,03 (Ø8/ 20) (a sw,V+T ) 1,66 (Ø10/ 20) (a sw,V+T ) M+Q+T Einzellast exzentrisch C35/ 45 3,3 DLT 2.7 T A s,o =14Ø12+2Ø20 A s,u,Feld = 3Ø16+2Ø20 A s,u,Stütz = A s,u,Feld +2Ø20 A s,Steg = 4Ø16 je Seite 1,74 (Ø8/ 10) (a sw,V+T ) 2,72 (Ø10/ 10) (a sw,V+T ) M+Q+T Einzellast exzentrisch C35/ 45 3,3 3. Versuche mit kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) 3.1 Versuchsprogramm Das Versuchsprogramm der Versuche mit kombinierter Beanspruch aus Biegung, Querkraft und zusätzlicher Torsion an der TU Dortmund umfasst Bauteilversuche an drei vorgespannten Durchlaufträgern. An jedem der zweifeldrigen Spannbetonträger werden zwei Teilversuche durchgeführt. Dazu weisen die beiden Felder unterschiedliche Querkraft- und Längsbewehrungsgrade auf. Eine Übersicht über das Versuchsprogramm der Versuche mit kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion ist in Tabelle 2 dargestellt. Die Versuche mit kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion stellen eine Erweiterung des Versuchsprogramms der Versuche mit reiner Querkraftbiegung dar [9,10]. Folglich sind die Versuche hinsichtlich der Trägergeometrie, der Bewehrungsführung und dem Vorspanngrad weitestgehend in Übereinstimmung mit den reinen Querkraftversuchen, so dass diese als Re- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 185 Zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung ferenzversuche herangezogen werden können und entsprechend in Tabelle 2 mit aufgeführt sind. Die Versuchslasten wurden durch zwei kraftgesteuerte hydraulische Pressen mit einer Kapazität von 2,0 MN aufgebracht. Die Einzellasten sind jeweils in einem Abstand von 3,50 m von der Innenstützte exzentrisch zur Längsachse des Trägers angeordnet. Dadurch entsteht im Bereich zwischen Lasteinleitung und Innenstütze eine konstante Torsionsbeanspruchung mit wechselndem Vorzeichen an der Innenstütze, vergleich bar mit der Beanspruchung an den Innenstützten von Plattenbalkenbrücken mit Querträgern. Der so belastete Balken wurde über einen nachträglich anbetonierten Querträger ins Gleichgewicht gesetzt. Die Querschnittsgeometrien der Versuchsträger entsprechen den in Bild 4 bis Bild 6 dargestellten T- Querschnitten. Die Versuchsträger weisen eine Stützweite von 5,75 m bei einer Gesamtlänge von 12,0 m auf. Die Querschnittshöhe beträgt 0,8 m bei einer Plattenbreite von ebenfalls 0,8 m. Die Stegbreite wurde zur besseren Aufnahme des Torsionsmomentes über den Ersatzhohlkasten sowie zur Vermeidung eines Versagens der Betondruckzone bzw. der Betondruckstreben im Steg an der Innenstütze von 0,30 m auf 0,35 m im Vergleich zu den Referenzversuchen verbreitert. Zur Aufnahme der Vorspannkräfte sind die Querschnitte an den Enden des Trägers aufgeweitet, so dass die Stegbreite hier 0,60 m betragen. Je Spannglied werden 5 x 0,6‘‘-Litzen der Festigkeit St1570/ 1770 verwendet. Bild 4 Stützquerschnitt - DLT 2.5[4] Bild 5 Stützquerschnitt - DLT 2.6 [4] Bild 6 Stützquerschnitt - DLT 2.7 3.2 Versuchsergebnisse Rissbilder In Bild 7 sind die Rissbilder der Versuchsträger im Bruchzustand dargestellt. Im Bruchzustand sind die Versuchsträger über die gesamte Länge gerissen, wobei die kritischen Risse, die im stärker bewehrten Feld zum endgültigen Bruch geführt haben, rot eingezeichnet sind. Während der Versuchsträger DLT 2.5 durch eine Überbeanspruchung der Bügelbewehrung versagte, zeigte sich bei dem Versuchsträger DLT 2.6 ohne zusätzliche Tor- 186 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung sionslängsbewehrung eine deutliche Zunahme der Rissbildung bis in den Bereich der Druckzone an der Innenstütze hinein. Dies ließ ein bevorstehendes gleichzeitiges Versagen sowohl der Bügel als auch der Druckzone an der Innenstütze vermuten. Beim Versuchsträger DLT 2.7 führte ein Versagen der Druckstreben in Feld 2 zum Bruchzustand. Ursache war ein starker Zuwachs bei der Exzentrizität e infolge von Effekten nach Theorie II. Ordnung durch die unerwartet große Verdrehung des Balkens im Bereich der Lasteinleitung und entsprechende Schiefstellung der Pressen, wodurch die Torsionsmomente stark überproportional anstiegen. Die Auswertung und Quantifizierung der Effekte nach Theorie II. Ordnung in Feld 2 sind derzeit noch Gegenstand der weiteren Forschung. Last-Durchbiegungskurven In Bild 8 bis Bild 10 sind die Last-Durchbiegungskurven der Träger DLT 2.5 bis DLT 2.7 jeweils für den ersten Teilversuch, bis zur Verstärkung des schwächer bewehrten bzw. belasteten Feldes und den zweiten Teilversuch, bis zum Bruch des stärker bewehrten bzw. belasteten Feldes, dargestellt. Versagen der Versuchsträger DLT 2.5 und DLT 2.6 trat jeweils im stärker bewehrten Feld an der Lasteinleitung durch Bruch der Druckzone ein. Bei dem Versuchsträger DLT 2.7 trat das Versagen an der Innenstütze durch Druckstrebenbruch in Feld 2 auf. Das Bemessungskonzept für die Bewehrung konnte bei Versuchsträger DLT 2.5 durch das Erreichen von 97 % der Traglast im Vergleich zu den Referenzversuchen bestätigt werden. Der Versuchsträger DLT 2.6 konnte dagegen erwartungsgemäß nur ca. 90 % der Traglast der Referenzversuche erreichen (Tabelle 3), da er gänzlich ohne zusätzliche Torsionslängsbewehrung ausgeführt wurde. Von einer Mitwirkung der Spannglieder kann dementsprechend ausgegangen werden. Das endgültige Versagen trat bei beiden Trägern in Feld 2 nahe der Lasteinleitungsstelle letztlich durch den Bruch der stark eingeschnürten Betondruckzone auf. Primäre Ursache für das Versagen war das Fließen der Bewehrung in Verbindung mit großen Stahldehnungen. Bei dem Versuchsträger DLT 2.7 kam es durch die starke Vergrößerung der Exzentrizität, ausgehend von 11,3cm (Feld 1) bzw. 15,0cm (Feld 2), zu Effekten nach Theorie II. Ordnung, die das Torsionsmoment stark überproportional vergrößert haben. In Feld 1 konnte die Traglast des Referenzversuchsträgers trotz überproportionaler Vergrößerung der Exzentrizität und der damit verbundenen höheren Torsionsbeanspruchung erreicht werden. Das Betondruckstrebenversagen, trat schlussendlich im Bereich der Innenstütze des durch Torsion wesentlich höher belasteten Feld 2 auf. Eine Übersicht über die erreichten Traglasten im Verhältnis zu den Referenzversuchsträgern gibt Tabelle 3. Tabelle 3 experimentell ermittelte Versuchstraglasten Versuchsträger Versuchstraglast Referenzversuch Abweichung DLT2.5 - Feld 1 1549 kN 1607 kN -3,2 % DLT2.5 - Feld 2 1792 kN 1798 kN -0,2% DLT2.6 - Feld 1 1453 kN 1607 kN -9,2% DLT2.6 - Feld 2 1688 kN 1798 kN -6,1% DLT2.7. - Feld 1 1603 kN 1607 kN -0,25% DLT 2.6 DLT 2.7 Bild 7 Rissbilder im Bruchzustand (Versagensrisse rot) 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 187 Zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung Bild 8 Experimentell bestimmte Last- Durchbiegungskurven - DLT 2.5 [4] Bild 9 Experimentell ermittelte Last- Durchbiegungskurven - DLT 2.6 [4] Bild 10 Experimentell ermittelte Last- Durchbiegungskurven - DLT 2.7 - Feld 1 4. Zusammenfassung und Ausblick Im vorliegenden Beitrag wurden Ergebnisse von drei Versuchsträgern mit kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion vorgestellt. Dabei wurde ein erweiterter Ansatz für die Bestimmung der Torsionslängsbewehrung vorgestellt und durch die Versuche verifiziert. Außerdem wurde gezeigt, dass die aus dem analytischen Druckbogenmodell ermittelte Bügelbewehrung für Querkraft mit der vollen Torsionsbügelbewehrung nach EC2 überlagert werden muss, für die gesamte erforderliche Bügelbewehrung unter der kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion. Aufgrund unterschiedlicher Torsionsbügel- und -längsbewehrung in beiden Felder, konnten sechs verschiedene Varianten hinsichtlich der Torsionsbewehrung und Größe der Torsionsmomente experimentell untersucht werden. Alle Versuchsträger wurden mit einem erweiterten Bemessungsmodell für die Torsionslängsbewehrung bei kombinierter Beanspruchung ausgelegt. Bei dieser Vorgehensweise wird für überwiegend biegebeanspruchte Bauteile der positive Effekt aus der Überdrückung der Torsionslängszugkräfte im Bereich der Biegedruckzone infolge Biegung, sowie der Tragwirkung der Spannglieder entsprechend ihrer Lage im Querschnitt bei der Bemessung berücksichtigt. Auf diese Weise kann die Längsbewehrung gegenüber einer Bemessung bei reiner Torsion deutlich reduziert werden. Durch den Versuchsträger DLT 2.7 mit deutlich erhöhter Exzentrizität aufgrund von Effekten nach Theorie II. Ordnung konnte das erweiterte Bemessungsverfahren für Feld 1 des Versuchsträgers mit einem M/ T-Verhältnis < 10 ebenfalls verifiziert werden. Die Auswertung und Quantifizierung der Effekte nach Theorie II. Ordnung müssen im Rahmen der weiterführenden Forschung noch näher analysiert werden. Der umfassende Einsatz von Messtechnik bildet die Basis für noch folgende weitergehende Untersuchungen hinsichtlich des Tragverhaltens von vorgespannten Durchlaufträgern bei kombinierter Beanspruchung. Dabei soll besonderes Augenmerk auch auf die ergänzende Simulationsberechnung mittels der nichtlinearen FEM, zum besseren Verständnis des Tragverhaltens gelegt werden. Literaturverzeichnis [1] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie), Berlin, 2011. [2] Haveresch, K.-H.: Erfahrungen bei der Nachrechnung und Verstärkung von Brücken. Beton- und Stahlbetonbau 110 (2015), booklet 2, p. 96-112 [3] Naumann, J.: Brücken und Schwerverkehrt - Eine Bestandsaufnahme, Bauingenieur 85 (2010), Heft 1, S. 1-9. 188 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung [4] Hegger, J.; Maurer, R.; Fischer, O.; Zilch, K. et. al.: Beurteilung der Querkraft- und Torsionstragfähigkeit von Brücken im Bestand - erweiterte Bemessungsansätze, Schlussbericht zu BASt FE 15.0591/ 2012/ FRB, 2018. [5] DIN EN 1992-1-1, Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau mit zugehörigem nationalen Anhang DIN EN 1992-1-1: 2011, Deutsche Fassung, Ausgabe 2011. [6] DIN EN 1992-2: Eurocode 2-2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln mit zugehörigem nationalen Anhang DIN EN 1992-/ NA: 2013; Deutsche Fassung, Ausgabe 2013. [7] Bondarzew, V.: Einfluss des M/ T-Verhältnisses auf die Tragfähigkeit von Rechteck- und Plattenbalkenquerschnitten im Brückenbau, Abschlussarbeit (2017), TU Dortmund. [8] Maurer, R.; Stakalies, E.: Versuche und Bemessungsvorschlag zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung, Bauingenieur 95 (2020), Heft 1 [9] Maurer, R.; Gleich, P.; Zilch, K.; Dunkelberg, D.: Querkraftversuche an einem Durchlaufträger aus Spannbeton. Beton- und Stahlbetonbau (2014), Heft 10. [10] Gleich, P; Maurer, R.: Querkraftversuche an Spannbetondurchlaufträgern mit Plattenbalkenquerschnitt, In: Bauingenieur 93 (2018), Heft 2. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 189 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Dr.-Ing. Matthias Müller Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach Zusammenfassung Zur Ermittlung der Tragfähigkeit der schubfesten Verbindung zwischen Bodenplatte und Steg in der Biegedruckzone bestehender Hohlkastenbrücken werden genauere Nachweisformate vorgestellt. Mit diesen Rechenverfahren wird die für diese Bereiche charakteristische Beanspruchungsverteilung berücksichtigt und dem günstigen Einfluss der Interaktion zwischen vorhandener Längsdruckkraft und zugehöriger Längsschubkraft Rechnung getragen. Einige Besonderheiten im Tragverhalten des Druckgurtanschlusses von Bodenplatten in Hohlkastenbrücken, die die Grundlage für die Nachweismodifikationen darstellen, werden erläutert. Darüber hinaus erfolgt die exemplarische Anwendung der Nachweisformate auf ein konkretes Brückenbauwerk im Bestand sowie der Vergleich mit den Ergebnissen bei einer Berechnung auf Grundlage der Regelungen nach DIN EN 1992-2/ NA. 1. Herausforderung Die Anforderungen an Brückenbauwerke haben sich in den vergangenen Jahren infolge ständig steigender Verkehrslastzahlen deutlich erhöht. Gleichzeitig wurden die Bemessungsvorschriften zum Nachweis des schubfesten Anschlusses von Gurten an die Stege kontinuierlich weiterentwickelt. Die für Neubauten konzipierten Nachweisformate zur Ermittlung der Gurtanschlussbewehrung führen derzeit teilweise zu erheblichen rechnerischen Tragfähigkeitsdefiziten bei der Nachrechnung bestehender Brückenbauwerke. Hierbei stellen sich insbesondere die Bodenplatten von Hohlkastenbrücken im Bereich der Druckgurtanschlüsse über den Innenstützen häufig als besonders kritisch heraus. Dieses Ergebnis kann nur zum Teil auf die im Laufe der Jahre deutlich gestiegenen und derzeit bei der Nachrechnung anzusetzenden Verkehrslasten zurückgeführt werden, die nur einen kleinen Beanspruchungsanteil an den gesamten Bemessungsschnittgrößen im GZT liefern. In der Regel stellen die relativ hohen Eigengewichtsanteile bereits etwa 70% der Gesamtbeanspruchung. Von Maurer et al. in [1, 2] durchgeführte Untersuchungen zu den Auswirkungen der mit Einführung der Eurocodes für den Brückenbau geänderten Verkehrslastmodelle auf die Gesamtbeanspruchungen bestätigen diese Aussage. Folglich sind die Ursachen für die bei der Nachrechnung festzustellenden rechnerischen Tragfähigkeitsdefizite auf Querschnittsebene vor allem auf die mit der Weiterentwicklung der Regelwerke geänderten Bemessungsvorschriften und Konstruktionsregeln zurückzuführen. Die Bemessung des schubfesten Anschlusses von Gurten gegliederter Querschnitte erfolgt in Deutschland derzeit analog zum Querkraftnachweis für Stegquerschnitte mit einem Fachwerkmodell unter Berücksichtigung eines zusätzlichen Betontraganteils infolge Rissreibung. Die Neigung des Druckstrebenwinkels innerhalb des Fachwerks wird bei Anwendung dieses Bemessungsmodells auf die Gurte gegliederter Querschnitte nicht auf Grundlage des tatsächlichen Spannungszustandes bei Erstrissbildung festgelegt. Stattdessen erfolgt die Festlegung des Winkels auf Basis eines rein rechnerischen Spannungszustandes, mit einer theoretisch zur Schubrissbildung führenden Schubspannung [3], wobei die Längsspannung σ x nicht gleichermaßen mit der Schubspannung τ xy gesteigert wird. Tatsächlich wachsen unter einer Laststeigerung bis zum GZT die Spannungen τ xy und σ x im Gurtanschnitt gleichermaßen an. In den in [3] durchgeführten Untersuchungen zum Tragverhalten von Druckgurtanschlüssen wurde gezeigt, dass diese Vorgehensweise das tatsächliche Tragverhalten nicht hinreichend genau berücksichtigt. Dies führt insbesondere in Gurtbereichen, die unter hohen Längsdruckspannungen stehen, zu konservativen Ergebnissen. Es wurden daher Bemessungsvorschläge erarbeitet, die die tatsächlichen Spannungsverhältnisse und die wahrscheinliche Rissbildung mit größerer Genauigkeit erfassen. Die Anwendungsmöglichkeiten für die unterschiedlichen Bemessungsvorschläge werden hier beschrieben und anhand von Beispielrechnungen mit den derzeitigen Bemessungsregeln nach DIN EN 1992 [4, 5, 6] verglichen. Die Nachweisverfahren für die 2. Ergänzung der Nach- 190 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken rechnungsrichtlinie werden vorgestellt. Dabei orientieren sich die Formulierungen im Hinblick auf Gliederung, Abkürzungen und Formelzeichen an der derzeit gültigen Fassung der Nachrechnungsrichtlinie, Stand Mai 2011 [8], inkl. der ersten Ergänzung, Stand April 2015 [9]. 2. Nachweisformate für den Druckgurtanschluss 2.1 Hintergründe Bei der Anwendung der DIN EN 1992-2/ NA bzw. des DIN Fachberichts 102, der die Grundlage der Stufe 1 der Nachrechnungsrichtlinie darstellt, erfolgt der Nachweis der schubfesten Verbindung zwischen Balkenstegen und Gurten in gegliederten Querschnitten auf Basis der gleichen Modellvorstellung wie die Ermittlung der Querkrafttragfähigkeit in Stegquerschnitten. Beiden Nachweisen liegt ein Fachwerkmodell zur Ermittlung der Beanspruchungen im Betonquerschnitt und der Bewehrung zugrunde. Die Druckstrebenneigung wird hierbei auf Grundlage eines theoretischen Schubrisswinkels, der durch einen Betontraganteil infolge Rissverzahnung modifiziert wird, ermittelt. Die Gleichungen zur Ermittlung des theoretischen Risswinkels erfordern hierbei die Berücksichtigung des Bemessungswerts der Betonlängsspannung in Höhe des Schwerpunktes des Querschnitts. Die gleichzeitig im Querschnitt wirkende Schubspannung geht jedoch nicht in die Berechnung ein. Stattdessen berücksichtigt das Verfahren implizit eine fiktive Schubspannung, durch die in Kombination mit der tatsächlich vorhandenen Betonlängsspannung die resultierende Hauptzugspannung die Betonzugfestigkeit gerade erreicht [10, 11]. Die mit diesem Verfahren ermittelte Richtung der Hauptdruckspannung entspricht dem theoretischen Risswinkel β bei Erreichen der Betonzugfestigkeit unter ansteigender Schubbeanspruchung, allerdings konstant gehaltener Längsspannung [10]. Dieses Vorgehen wurde für die Ermittlung der Querkrafttragfähigkeit von Balkenstegen entwickelt, bei welchen die vorhandenen Normalkräfte in der Regel weitgehend unabhängig von den zu übertragenden Querkräften sind. Für den Nachweis der schubfesten Verbindung zwischen Gurt und Stegquerschnitten stellt diese Vorgehensweise jedoch eine grobe Vereinfachung dar, die insbesondere für unter Biegelängsdruckspannungen stehende Bodenplatten von Hohlkastenbrücken zu sehr konservativen Ergebnissen führt. Ein ausführlicher Vergleich der Unterschiede im Tragverhalten von Gurt und Stegquerschnitten gegliederter Querschnitte ist in [10] zu finden. 2.2 Interaktion zwischen Längs- und Schubspannung Die mitwirkenden Gurtflächen gegliederter Querschnitte stellen in Bauteilen unter vorwiegender Biegebeanspruchung eine Erweiterung der jeweiligen Biegezugbzw. Biegedruckzone dar. Die Ausbreitung bzw. allmähliche Einleitung der Biegedruckbzw. Biegezugspannungen vom Steg in die daran anschließenden Gurte wird durch die Schubspannung im Anschnitt zwischen Gurt und Steg bewirkt. Die vorhandenen Längskräfte in den Gurten sind folglich direkt abhängig von den Schubspannungen im Anschnitt zwischen Steg und Gurt. Die Längsspannungen in den Gurten und die Schubbeanspruchungen im Gurtanschnitt folgen in ihrer Verlaufscharakteristik den Biegemoment- und Querkraftverläufen des Längssystems. Der Anstieg der Gurtlängsspannung wird hierbei immer durch ein Polynom höheren Grades beschrieben als der Verlauf der zugehörigen Schubbeanspruchung im Gurtanschnitt. Dieser Zusammenhang gilt für alle Druckgurtanschlüsse unabhängig davon, ob es sich um die Fahrbahnplatte eines Plattenbalkens oder Hohlkastens handelt, oder ob der Druckgurtanschluss einer Bodenplatte in einer Hohlkastenbrücke betrachtet wird. Dennoch unterscheidet sich letzterer hinsichtlich des Zusammenwirkens von Schub- und Längsdruckspannung ganz wesentlich vom Tragverhalten in den übrigen Bereichen, da in Mehrfeldsystemen im Bereich von Zwischenstützungen die maximalen Längsdruckspannungen und die maximalen Schubbeanspruchungen in den Bodenplatten von Hohlkästen im gleichen Querschnitt auftreten. Hierdurch treten die hohen Längsdruckspannungen, die den Schubwiderstand durch eine flachere Druckstrebenneigung signifikant vergrößern, in den selben Querschnitten wie die zu übertragenden hohen Schubbeanspruchungen auf. Dieser Zusammenhang ist für die Druckgurtbereiche von Fahrbahn- und Bodenplatte einer Hohlkastenbrücke anschaulich in Bild 1 dargestellt. Die im Verhältnis zu den Schubbeanspruchungen in den Gurtanschlüssen stärker anwachsenden Längsdruckspannungen in den Gurten führen zu flacher werdenden Neigungswinkeln der resultierenden Hauptdruckspannungen, die der theoretischen Rissrichtung entsprechen. Von diesem positiven Einfluss der Längsdruckspannungen infolge Biegung profitiert insbesondere der Tragwiderstand der schubfesten Verbindung zwischen Bodenplatte und Steg in den Stützbereichen des Hohlkastens. 2.3 Nachweisformate für die Nachrechnung bestehender Bauwerke Die nachfolgend beschriebenen Nachweisformate berücksichtigen das zuvor dargestellte günstige Zusammenwirken von Schub- und Längsdruckbeanspruchung im Bereich des Druckgurtanschlusses von Bodenplatten in Hohlkastenbrücken. Das erste Nachweisformat kann ohne rechnerische Berücksichtigung der vorhandenen Gurtanschlussbewehrung für ungerissene Druckgurtanschlüsse angewandt werden. Das zweite Nachweisformat berücksichtigt den Gurtanschluss als gerissenen Querschnitt. Grundlage ist das Fachwerkmodell in DIN Fachbericht 102 (Stufe 1). Die rechnerisch anzunehmenden Druckstrebenwinkel werden jedoch auf Basis der tatsächlichen Spannungsverhältnisse und den zu erwartenden Risswinkeln senkrecht zu σ I modifiziert. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 191 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Bild 1: Interaktion der Beanspruchungen infolge Biegung im Bereich der Druckgurtanschlüsse einer Hohlkastenbrücke Vorschlag für den Nachweis der Schubkräfte zwischen Balkensteg und Druckgurt unter Vernachlässigung der Gurtanschlussbewehrung In ungerissenen Bereichen der Bodenplatten von Hohlkastenbrücken (auch keine verpressten Risse) kann der Nachweis der schubfesten Verbindung zwischen Gurt- und Stegquerschnitt unter Vernachlässigung der vorhandenen Gurtanschlussbewehrung auf der Grundlage des Hauptzugspannungskriteriums mit den Spannungen σ Ed , τ Ed im GZT in folgenden Bereichen erfolgen: • Querschnittsbereiche, die infolge Biegung mit Längskraft unter Längsdruckspannungen stehen. • Querschnittsbereiche, die nicht im unmittelbaren Wirkungsbereich von Spanngliedverankerungen liegen. • Gurtbereiche, in denen die Biegezugspannungen infolge Querbiegung aus Eigengewicht am Querschnittsrand den Wert f ctd nicht überschreiten (hierdurch wird die Anwendung auf Bodenplatten mit großen Spannweiten in Querrichtung ausgeschlossen). Der Bemessungswert der Betonzugfestigkeit ergibt sich hierbei nach Gleichung (1): (1) mit und In Bereichen, die die genannten Anforderungen erfüllen, darf der Nachweis der schubfesten Verbindung zwischen Druckgurt und Steg durch den Nachweis der schiefen Hauptzugspannungen im Anschnitt in der Mittelfläche des Gurtquerschnitts erbracht werden. Aufgrund der über die Länge der Gurtanschlussfuge veränderlichen Hauptzugspannungen sowie des Einflusses einer etwaigen Biegerissbildung am gezogenen Rand des Gesamtquerschnitts sind die maximalen Bemessungswerte der Hauptzugspannungen über die volle Gurtanschlusslänge in verschiedenen Schnitten „i“ zu ermitteln. Für den Bemessungswert der Hauptzugspannung ist die Bedingung nach Gleichung (2) nachzuweisen. (2) 192 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Bild 2 Bezeichnungen für den Anschluss der unter Längsdruckspannungen stehenden Bodenplatte an den Hohlkastensteg beim Nachweis in ungerissenen Bereichen Der Abstand der Nachweisschnitte „i“ darf h/ 2 nicht überschreiten (siehe Bild 2). Darüber hinaus sind ggf. Querschnittsänderungen und Spanngliedverankerungen (außerhalb des Gurts) bei der Wahl der Nachweisschnitte und bei der Ermittlung der Beanspruchungen zu berücksichtigen. Der Ansatz einer verminderten rechnerisch mitwirkenden Gurtbreite ist bei dieser Nachweisführung nicht zulässig, da die hierbei unterstellte Beanspruchungsumlagerung eine Rissbildung erforderlich macht. 2.4 Nachweis der Schubkräfte zwischen Balkensteg und Druckgurt unter Berücksichtigung der Gurtanschlussbewehrung Der Nachweis des schubfesten Anschlusses von unter Längsdruckspannungen stehenden Bodenplatten in Hohlkastenbrücken darf auf Grundlage der nach Gleichungen (3) im Nullpunkt der Biegemomentenlinie bzw. (4) im Abstand h von der Zwischenunterstützung ermittelten Druckstrebenwinkel cot q f geführt werden. Ein Anteil infolge einer Rissreibung tritt nicht auf [3, 10]. Der Verlauf über die Gurtanschlusslänge darf zwischen den Punkten näherungsweise linear veränderlich angenommen werden (siehe Bild 3). Bild 3 Verlauf der Druckstrebenneigung über die Länge des Druckgurtanschlusses im Bereich von Stützmomenten Bild 4 Bezeichnungen für den Anschluss der unter Längsdruckspannungen stehenden Bodenplatte an den Hohlkastensteg beim Nachweis unter Berücksichtigung der Gurtanschlussbewehrung (3) (4) Dabei sind mittlere Längsspannung in Gurtmitte Schubspannung aus der Längskraftdifferenz im Gurt infolge Biegung mit Längskraft. Für die Ermittlung der Schubspannung darf die Längskraftdifferenz ∆ F d in über die Länge a v ≤ h konstant angenommen werden (Bild 4) Resultierende Längsdruckkraft im mitwirkenden Teil des Druckgurts im betrachteten Schnitt mitwirkende Gurtfläche im betrachteten Schnitt mit b eff,i gem. DIN FB 102, II2.5.2.2.1 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 193 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Schubspannung infolge Torsion (mit W T = 2A k ·h f ) Daraus resultiert die maximale Schubspannung zu Kann der Nachweis der schubfesten Verbindung zwischen Balkensteg und Gurt nicht auf Grundlage der mitwirkenden Gurtbreite nach [7] erbracht werden, darf der Nachweis im GZT unter Berücksichtigung einer verminderten rechnerisch mitwirkenden Gurtbreite erfolgen. Alle Nachweise im GZT sind hierbei unter Berücksichtigung der reduzierten mitwirkenden Gurtbreite zu führen. 3. Anwendung auf ein bestehendes Brückenbauwerk 3.1 Bauwerk Beim vorliegenden Bauwerk handelt es sich um eine vorgespannte Hohlkastenbrücke aus dem Jahr 1968. Die als Zweifeldträger errichtete Brücke mit einer Gesamtlänge von 112 m wurde mit girlandenförmig geführten Längsspanngliedern in den Stegen im nachträglichen Verbund vorgespannt. Tabelle 1: Angaben zur Konstruktion des Bauwerks Brückentyp Spannbetonhohlkasten Anzahl Felder 2 Stützweiten 66,4m - 46,0m Brückenklasse BK 60 nach DIN 1072 Beton B 450 nach DIN 1045 bis 1972 → C30/ 37 Betonstahl BSt IIIb nach DIN 488 f yk =420 MPa Vorspannung SIGMA St 145/ 160 oval 40 Koppelfugen Nein Angaben zur Konstruktion sind in Tabelle 1 zusammengestellt. Die nachfolgenden Betrachtungen beziehen sich ausschließlich auf die schubfeste Verbindung zwischen Druckgurt (Bodenplatte) und Steg. Weitere Defizite und potentielle Schwachstellen (bspw. der verwendete spannungsrisskorrosionsgefährdete Spannstahl, siehe Tabelle 1) sind nicht Gegenstand der hier dargestellten Untersuchungen. 3.2 Querschnitte und Beanspruchungen Der Überbau ist über die Brückenlänge gevoutet ausgeführt. Die Konstruktionshöhe variiert dabei zwischen 1,6 m im Feld und 3,3 m im Bereich der Mittelstütze. Die für die Nachrechnung des Gurtanschlusses im Stützbereich maßgebenden Querschnittsabmessungen sind in Bild 5 dargestellt. Bild 5 Querschnitte des Bauwerks im Stützbereich und resultierende Höhenlage der Spannglieder Die Änderung der Querschnittsabmessungen über die Bauwerkslänge betrifft neben der Gesamthöhe des Hohlkastens auch eine Aufweitung der Stege und der Bodenplatte mit zunehmender Nähe zum Mittelauflager. In Tabelle 2 sind die für die Bemessung des Gurtanschlusses maßgebenden Beanspruchungen zusammengestellt. Hierbei wurden das Biegemoment M y,d und die Querkraft V z,d jeweils ohne den statisch bestimmten Anteil aus Vorspannwirkung angegeben. 194 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Tabelle 2: Beanspruchungen in den Schnitten 1 bis 7 QS M y,d [MNm] V z,d [MN] M p,dir [MNm] V p,dir [MN] N p [MN] 1 -160 -17,30 44,63 0 -40,84 2 -124 -15,58 39,15 1,40 -40,82 3 -91,8 -13,87 30,53 2,65 -40,75 4 -63,2 -12,15 19,89 3,25 -40,71 5 -27,4 -9,58 3,02 3,56 -40,68 6 0 -7,00 -8,24 2,22 -28,50 7 13,5 -5,28 -12,85 1,65 -28,54 Die Ermittlung der Längskräfte in der Bodenplatte erfolgt durch Auswertung der Dehnungsebenen in den Querschnitten 1 bis 7 für die gegebenen Gesamtbeanspruchungen im GZT unter der ständigen und vorübergehenden Bemessungskombination (Tabelle 2). Hierbei werden die Spannungs-Dehnungs-Linien für die Querschnittsbemessung gemäß DIN EN 1992 verwendet. Der statisch bestimmte Anteil der Vorspannwirkung wird in Form einer Vordehnung des Spannstahls in den einzelnen Querschnitten berücksichtigt. Die Auswertung der Längsbeanspruchungen der Bodenplatte ist in Tabelle 3 zusammengestellt. Die mitwirkende Druckgurtbreite wurde gemäß DIN EN 1992 ermittelt. Im vorliegenden Fall kann die ganze geometrische Druckgurtbreite als mitwirkend in Ansatz gebracht werden. Tabelle 3: Dehnungen, Spannungen und resultierende Kräfte im Druckgurt QS ε BP,u [‰] ε BP,o [‰] σ BP,u [MPa] σ BP,o [MPa] N BP [MN] 1 -1,922 -1,361 -16,97 -15,26 -28,39 2 -1,408 -1,090 -15,51 -13,48 -23,07 3 -1,071 -0,904 -13,33 -11,89 -17,95 4 -0,851 -0,755 -11,39 -10,41 -14,52 5 -0,61 -0,557 -8,79 -8,15 -9,11 6 -0,342 -0,324 -5,31 -5,06 -5,57 7 -0,204 -0,206 -3,29 -3,22 -3,55 (BP: Bodenplatte; o, u: Oberer Rand, Unterer Rand) 1v Ed je Steganschnitt (2 vorhanden) 3.3 Nachweis des Druckgurtanschlusses Der Nachweis des schubfesten Druckgurtanschlusses erfolgt nachfolgend auf Basis des Nachweisformats der DIN EN 1992 sowie nach Abschnitt 2.3. 3.4 Vereinfachtes Fachwerkmodell nach DIN EN 1992-2/ NA Für den Nachweis des schubfesten Anschlusses von Druckgurten an die Stege gegliederter Querschnitte darf gemäß DIN EN 1992 der Neigungswinkel der Betondruckstreben im Fachwerkmodell vereinfachend zu cot θ = 1,20 angenommen werden. Im Zuge der Anwendung des vereinfachten Fachwerkmodells werden die zulässigen maximalen Gurtabschnittslängen ∆ x=a v rechnerisch berücksichtigt. Der Maximalwert, der für ∆ x angesetzt werden darf, ist der halbe Abstand zwischen Momentennullpunkt und betragsmäßigem Momentenmaximum. Die Ergebnisse der Berechnung sind in Tabelle 4 zusammengestellt. Die Ermittlung der erforderlichen Gurtanschlussbewehrung erfolgt nach Gleichung (5). (2) Tabelle 4: Erforderliche Anschlussbewehrung für den Druckgurt gem. vereinfachtem Verfahren nach DIN EN 1992-2/ NA ∆ x [m] F d [MN] F d +∆F d [MN] v Ed 1 [MN/ m] cot θ [-] erf. a s [cm²/ m] 1 6,60 -5,6 -14,5 0,67 1,2 15,4 2 6,60 -14,5 -28,4 1,05 1,2 24 Die auf diese Weise ermittelte Bewehrung ist je Steganschnitt erforderlich. Auf die Darstellung des Nachweises der Betondruckstreben wird hier verzichtet.Fachwerkmodell mit Rissreibung nach DIN EN 1992-2/ NA Bei diesem Nachweisformat erfolgt die Ermittlung des Druckstrebenwinkels analog zum Nachweis der Querkrafttragfähigkeit schubbewehrter Stegquerschnitte nach Gleichung (6). (6) 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 195 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Mit Für die Übertragung dieser Gleichungen zur Ermittlung des Druckstrebenwinkels auf den Druckgurt ist b w =h f zu setzen. Da im hier vorliegenden Beispiel die Ermittlung des Widerstands pro laufenden Meter Gurtanschlusslänge erfolgt, wurde z= ∆ x=a v =1,0 in der Gleichung für v Rd,cc bereits berücksichtigt. Die tatsächliche Länge des betrachteten Gurtabschnitts wird bei der Ermittlung der Beanspruchung v Ed je laufenden Meter berücksichtigt. Für s cp wird gemäß DIN EN 1992-2/ NA die mittlere Beton- 2v Ed je Steganschnitt (2 vorhanden) 3 erf. as ohne Berücksichtigung des Grenzwinkels von cot θ = 1,75 längsspannung s cp,m = N BP / (h f ·b eff ) im anzuschließenden Gurtabschnitt mit der Länge ∆ x=a v angesetzt. Durch die zunehmend größeren Längsdruckspannungen im Gurt stellen sich immer flacher werdende Neigungswinkel für die Druckstreben ein. Um die Auswirkungen der zur Mittelstützung hin größer werdenden Längsdruckspannungen in der Gurtscheibe zu berücksichtigen, erfolgt die Nachweisführung daher anders als zuvor beim vereinfachten Verfahren nach DIN EN 1992-2/ NA in kürzeren Gurtabschnittslängen. Für die konkrete Nachrechnungspraxis ist es darüber hinaus empfehlenswert eine möglicherweise abgestufte Gurtanschlussbewehrung bei der Festlegung der Abschnittslängen zu berücksichtigen. Die erforderliche Gurtanschlussbewehrung nach DIN EN 1992-2/ NA ist in Tabelle 5 zusammengestellt. Tabelle 5: Erforderliche Anschlussbewehrung für den Druckgurt je Steganschnitt gem. DIN EN 1992-2/ NA Q N BP [MN] ∆x [m] h f,M [m] ∆ cp,m [MPa] v Rd,cc [MN/ m] v Ed 2 [MN/ m] cot θ [-] erf. as [cm²/ m] erf. as 3 [cm²/ m] 1 -28,39 2,2 0,425 -15,45 0,00 1,21 2,47>1,75 18,9 13,4 2 -23,07 2,2 0,375 -13,6 0,011 1,16 2,30>1,75 18,2 13,8 3 -17,95 2,2 0,335 -11,8 0,042 0,78 2,30>1,75 12,2 9,3 4 -14,52 3,3 0,285 -9,7 0,067 0,82 2,15>1,75 12,8 10,4 5 -9,11 3,3 0,25 -6,7 0,098 0,54 2,15>1,75 8,5 6,9 6 -5,57 2,2 0,25 -4,12 0,132 0,46 2,15>1,75 7,2 5,9 7 -3,55 3.5 Anwendung des Vorschlags zur Nachrechnung von Druckgurtanschlüssen mit vorhandener Gurtanschlussbewehrung In Abschnitt 2 werden Unterschiede im Tragverhalten zwischen Gurt- und Stegquerschnitten beschrieben. Diese und die Ausführungen in [3, 10] zeigen, dass die Übertragung des für Stegquerschnitte hergeleiteten Fachwerkmodells mit Rissreibung auf die unter hohen ansteigenden Längsdruckspannungen stehenden Bereiche von Druckgurten nicht sinnvoll ist. Die sehr niedrigen Werte für den Rissreibungsanteil v Rd,cc in Tabelle 5 im Bereich der Mittelstützung sind ein Beleg für den in [3, 10] beschriebenen geringen Einfluss dieses Traganteils unter diesen Randbedingungen. Nachfolgend wird die erforderliche Gurtanschlussbewehrung daher nach dem Verfahren in Abschnitt 2.3 unter Berücksichtigung der vorhandenen Gurtanschlussbewehrung ermittelt. Hierbei erfolgt die Festlegung des Neigungswinkels der Druckstreben im Fachwerkmodell unter Berücksichtigung der vorhandenen Hauptspannungsrichtungen im Druckgurt im Bereich der Mittelstütze (Abstand h vom Zwischenauflager) nach Gleichung (4). Für die Längs- und Schubspannung im Abstand h = 3,3m werden die die mittleren Spannungen zwischen Q2 (Abstand 2,2m) und Q3 (Abstand 4,4m) verwendet (siehe Tabelle 6). Zum Vergleich sind die maßgebenden Beanspruchungen in den Bildern 8 und 9 markiert. Längsspannung σ x,Ed = σ cp,m =-13,6 MPa Schubspannung (im Gurtanschnitt) τ Ed = v Ed / h f = 3,1 MPa → maßgebend: 196 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Die vorhandene Längsspannung s x,Ed im Momentennulldurchgang entspricht mit -3,6 MPa der Spannung infolge des zentrisch wirkenden Anteils der Vorspannung auf den Gesamtquerschnitt. Die Neigung der Betondruckstrebe wird durch Einsetzen in Gleichung (3) wie folgt ermittelt: → maßgebend: Bild 6 Wahl der Druckstrebenwinkel in den verschiedenen Gurtabschnitten 4v Ed je Steganschnitt (2 vorhanden) Die Wahl der Druckstrebenwinkel in den verschiedenen Gurtabschnitten ist in Bild 6 dargestellt. Darüber hinaus sind die zugehörigen Berechnungsergebnisse für alle Abschnitte in Tabelle 6 zusammengefasst. Innerhalb eines Abschnitts wird analog zum Vorgehen nach DIN EN 1992-2/ NA ein konstanter Winkel für die Neigung der Betondruckstrebe angenommen. Zur Überprüfung der Plausibilität der mit diesem Verfahren gewählten Druckstrebenwinkel erfolgt zusätzlich die Auswertung der Neigungswinkel der schiefen Betondruckstreben bzw. der numerisch am Faltwerkmodell mit Schalenelementen ermittelten Risswinkel. Hierbei wird das physikalisch nichtlineare Materialverhalten des Betons unter Berücksichtigung der Rissbildung beachtet. Da der Druckgurt unter Bemessungslasten ungerissen ist, erfolgt eine weitere Berechnung mit um den Faktor 1,25 erhöhten Bemessungslasten sowie unter Ansatz der Bemessungszugfestigkeit. Um diese Laststufe erreichen zu können, wurde für diese Rechnung die Druckfestigkeit eines C50/ 60 in Ansatz gebracht. Tabelle 6: Erforderliche Anschlussbewehrung für den Druckgurt je Steganschnitt gem. Berechnungsvorschlag für Druckgurtanschlüsse mit vorhandener Gurtanschlussbewehrung Q N BP [MN] ∆x [m] h f,M [m] σ cp,m [MPa] v Ed 4 [MN/ m] θ[°] cot θ [-] v Rd,max [MN/ m] erf. as [cm²/ m ] 1 -28,39 2,2 0,425 -15,45 1,21 15 3,73 1,35 8,9 2 -23,07 2,2 0,375 -13,6 1,16 15 3,73 1,19 8,6 3 -17,95 2,2 0,335 -11,8 0,78 18 3,0 1,26 7,1 4 -14,52 3,3 0,285 -9,7 0,82 22 2,5 1,26 8,9 5 -9,11 3,3 0,25 -6,7 0,54 27 2,0 1,29 7,4 6 -5,57 2,2 0,25 -4,12 0,46 31 1,73 1,40 7,3 7 -3,55 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 197 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Bild 7 Hauptdruckspannungen und zugehörige Winkel q f im Gurt unter Bemessungslasten (oben) und unter 1,25-fachen Bemessungslasten inkl. Vergleich mit Winkeln des Bemessungsvorschlags (unten) 198 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Bild 7 enthält die Darstellung der so ermittelten Hauptdruckspannungswinkel im Druckgurt unter Bemessungslasten (obere Darstellung). Die Veränderung der Neigungswinkel bei weiterer Laststeigerung im FE-Modell ist in der unteren Darstellung zu erkennen. Die Druckstrebenwinkel im Gurtanschnitt im FE-Modell sind durch Linien oberhalb der Gurtdarstellungen ausgewertet. Im unteren Teilbild sind zusätzlich die rechnerischen Druckstrebenwinkel des hier angewendeten Bemessungsvorschlags aufgetragen. Es ist zu erkennen, dass die Entwicklung der Druckstrebenneigung im FE-Modell gut mit der des Bemessungsvorschlags angenähert wird. Dabei führt der Bemessungsvorschlag mit etwas größeren Winkeln im Vergleich zu den rechnerischen Risswinkeln in der FE-Berechnung zu auf der sicheren Seite liegenden Ergebnissen. 3.6 Anwendung des Vorschlags zur Ermittlung der mit der vorhandenen Anschlussbewehrung aktivierbaren Gurtbreite Da der Nachweis einer ausreichenden Tragfähigkeit der schubfesten Verbindung zwischen Balkensteg und 5v Ed je Steganschnitt (2 vorhanden) Druckgurt auch unter Berücksichtigung der im Vergleich zum Ansatz nach DIN EN 1992-2/ NA deutlich flacheren Druckstrebenwinkel mit dem hier vorgeschlagenen Bemessungsansatz nicht erbracht werden kann, wird nachfolgend die mitwirkende Gurtbreite soweit reduziert, dass die übrigen Nachweise im GZT am Gesamtquerschnitt noch erbracht werden können. Bei einer maximalen Reduktion der rechnerischen Druckgurtbreite um 0,85 m kann der Nachweis der Tragfähigkeit für Biegung mit Längskraft noch erbracht werden. Die Grenzdehnung in Gurtmitte wurde hierbei gemäß DIN EN 1992-2/ NA auf 2‰ festgesetzt. Die auf Basis der reduzierten Gurtbreite ermittelten resultierenden Längsdruckkräfte wurden durch Auswertung der Dehnungsebenen in den verschiedenen Schnitten ermittelt und sind ebenso wie die erforderliche Anschlussbewehrung in Tabelle 7 zusammengestellt. Die rechnerische Druckstrebenneigung bleibt unverändert. Tabelle 7: Erforderliche Anschlussbewehrung für den Druckgurt je Steganschnitt gem. Berechnungsvorschlag für Druckgurtanschlüsse mit reduzierter Gurtbreite Q N BP [MN] ∆x [m] h f,M [m] σ cp,m [MPa] v Ed 5 [MN/ m] θ[°] cot θ [-] v Rd,max [MN/ m] erf. as [cm²/ m] 1 -22,95 2,2 0,425 -16,1 0,9 15 3,73 1,35 6,6 2 -18,97 2,2 0,375 -14,3 0,9 15 3,73 1,19 6,6 3 -15,0 2,2 0,335 -12,4 0,66 18 3,0 1,26 6,1 4 -12,06 3,3 0,285 -10,1 0,67 22 2,5 1,26 7,3 5 -7,62 3,3 0,25 -7,1 0,45 27 2,0 1,29 6,1 6 -4,67 2,2 0,25 -4,4 0,38 31 1,73 1,40 6,1 7 -2,98 3.7 Anwendung des Vorschlags zur Nachrechnung von ungerissenen Druckgurtanschlüssen mit geringer Anschlussbewehrung Die Bodenplatte im Innenstützenbereich des hier betrachteten 50 Jahre alten Bauwerks weist bis zum heutigen Tag keine erkennbare Rissbildung auf. Die Schubkraftübertragung zwischen Balkensteg und Druckgurt kann folglich gewährleistet werden, ohne dass die Hauptzugspannungen die vorhandene Betonzugfestigkeit erreichen bzw. überschreiten. Aus dieser Beobachtung lässt sich jedoch noch kein Rückschluss auf die vorhandene Sicherheit im Hinblick auf ein Aufreißen des Anschlussbereichs ableiten, da das Bauwerk zum einen tatsächlich nur den Gebrauchsbeanspruchungen ausgesetzt ist und zum anderen nicht bekannt ist wie hoch die tatsächlich vorhandenen Zugspannungen im Beton sind. Das nachfolgende Nachweisformat dient der Einschätzung, ob der in der Beobachtung vor Ort festgestellte Bauteilzustand (ungerissener Zustand I) auch im GZT 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 199 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken unter Bemessungslasten mit ausreichender Sicherheit zu erwarten ist. In den Bildern 8, 9 und 10 sind die ermittelten Dehnungsebenen in verschiedenen Schnitten des Längssystems qualitativ dargestellt. Es ist zu erkennen, dass der Gesamtquerschnitt im Bereich der Mittelstütze auf der Biegezugseite (Fahrbahnplatte) bereits infolge Biegung gerissen ist. Je nach vorhandener Auslastung der Biegedruckzone (Beton) und der Biegezugzone (Spannstahl bzw. Betonstahl) kommt es zu einer Abnahme der Druckzonenhöhe. Dies führt dazu, dass die Längsspannungen im Druckgurt verglichen mit einer linear elastischen Rechnung am ungerissenen Gesamtquerschnitt schneller ansteigen (siehe Bild 8). Entsprechend ändert sich auch der Schubfluss bzw. die Schubspannungen im Anschnitt vom Steg an den Gurt (siehe Bild 9). Aus diesem Grund ist es erforderlich, die Rissbildung im Gesamtquerschnitt infolge Biegung mit Längskraft bei der Nachweisführung zu berücksichtigen. Überdies sind ggf. die Spannungszustände infolge der Lasteinleitung von Spanngliedverankerungen, die außerhalb des Druckgurtes verankert sind, zu ermitteln und bei der Nachweisführung zu beachten. Die Ermittlung der Beanspruchungen erfolgt an einem Stabquerschnitt mit einem Knotenabstand von 55 cm. Der geringe Abstand der Rechenknoten wird gewählt, um die Ungenauigkeit, die durch die Vergleichmäßigung des Schubflusses zwischen zwei Schnitten entsteht, möglichst gering zu halten. Die Ermittlung der Zusatzbeanspruchung bzw. des Wirkungsbereichs der Lastausbreitung eines im Steg verankerten Spanngliedes erfolgte im vorliegenden Beispiel durch eine Zusatzbetrachtung an einem Schalenmodell. Aus dieser Betrachtung wurden Eingangswerte für eine Modifikation der am Stabmodell ermittelten Spannungen abgeleitet: • Wirkungsbereich von l Einl =3,4 m vor und hinter der Verankerung (dies entspricht einer Lastausbreitung von etwa 30°). • Der Schubfluss wird im Wirkungsbereich hinter der Verankerung um ∆ F U / l Einl vergrößert. • Die Längsdruckspannung hinter der Verankerung wird infolge des Verankerungsschubflusses modifiziert. Die auf der unsicheren Seite liegende positive Wirkung der zusätzlichen Drucknormalkraft infolge des Spannungssprungs am Stabsystem wird auf diese Weise rechnerisch entfernt (siehe gestrichelte rote Linie in Bild 8). • Der Schubfluss wird im Wirkungsbereich vor der Verankerung um 1/ 3· ∆ F U / l Einl vergrößert. ∆ F U Längskraftunterschied in der Bodenplatte im Querschnitt der Zwischenverankerung des Spannglieds am Stabmodell l Einl Einleitungslänge von ∆ F U in die Bodenplatte Eine Zusatzbetrachtung an einem Schalenmodell zur Ermittlung der Beanspruchungen örtlicher Lasteinleitungen sollte in jedem Einzelfall zur Plausibilisierung vereinfachter Rechenannahmen erfolgen, da die Randbedingungen des Beispiels nicht allgemeingültig übertragbar sind. In Bild 10 ist zu erkennen, dass nach allen Verfahren die ermittelten Hauptzugspannungen in der Mittelfläche des Gurtquerschnitts im Anschnitt zum Steg kleiner sind als der abgeminderte Bemessungswert der Betonzugfestigkeit. Überdies ist erkennbar, dass der Einfluss der Rissbildung auf die Dehnungsebene und den Spannungszustand infolge Biegung mit Längskraft im Gesamtquerschnitt sowie der Spanngliedverankerung im Steg auf die Spannungsverläufe nicht vernachlässigbar ist und immer beachtet werden muss. Bei dem vorgestellten Ansatz handelt es sich um ein Näherungsverfahren, das die Realität unter Berücksichtigung von Vereinfachungen beschreibt. Der tatsächliche Spannungszustand einer Spannbetonbrücke, beeinflusst durch Eigenspannungen, Schnittgrößenumlagerungen durch Kriechen des Betons nach Systemwechseln, etc. lässt sich im Rahmen einer Nachrechnung nicht bestimmen. Das Verfahren dient daher primär der Abschätzung der Wahrscheinlichkeit einer Schubrissbildung in den Druckgurtanschlüssen bestehender älterer Bauwerke, die bislang keine Risse aufweisen. Bild 8 Vergleich der Längsspannungen im Druckgurtanschnitt ermittelt nach verschiedenen Verfahren 200 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Bild 9 Vergleich der Schubspannungen im Druckgurtanschnitt ermittelt nach verschiedenen Verfahren Bild 10 Vergleich der Hauptzugspannungen im Druckgurtanschnitt ermittelt nach verschiedenen Verfahren 4. Zusammenfassung und Ausblick 4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse In Bild 11 sind die nach den unterschiedlichen Verfahren ermittelten erforderlichen Gurtanschlussbewehrungsmengen der vorhandenen Bewehrung gegenübergestellt. Es ist zu erkennen, dass das vereinfachte Nachweisformat der DIN EN 1992-2/ NA, in dem der Druckstrebenneigungswinkel im Fachwerkmodell für die Berechnung des Druckgurtanschlusses pauschal zu cot θ=1,20 angesetzt werden darf, zu sehr konservativen Bemessungsergebnissen führt. Die genauere Berechnung nach DIN EN 1992-2/ NA auf Basis des Fachwerkmodells mit Rissreibungsanteil führt zu deutlich geringen erforderlichen Bewehrungsmengen im Vergleich zum vereinfachten Verfahren. Jedoch wird in der zweiten Hälfte des Druckgurtes (zwischen ~60 m und 67 m) die positive Wirkung der vorhandenen hohen Längsdruckspannung durch das Fachwerkmodell mit Rissreibung, selbst unter Berücksichtigung eines verringerten zulässigen Grenzwinkels für die Druckstrebenneigung von cot θ ≤ 3,0, nicht hinreichend berücksichtigt. Der minimal mögliche Druckstebenneigungswinkel nach DIN EN 1992-2/ NA errechnet sich hierbei im betrachteten Beispiel zu cot θ= 2,47 und die Rissreibungskomponente geht mit zunehmender Längsdruckkraft erwartungsgemäß allmählich gegen Null (siehe Tabelle 5). Bild 11 Vergleich der vorhandenen Gurtanschlussbewehrung mit der nach verschiedenen Nachweisverfahren rechnerisch erforderlichen Bewehrung Durch den vorgestellten Berechnungsvorschlag unter Berücksichtigung einer an den vorhandenen Scheibenspannungsverhältnissen orientierten Wahl der Betondruckstrebenwinkel q f für den Nachweis der erforderlichen Gurtanschlussbewehrung können die rechnerischen Defizite erheblich reduziert werden. Der Auslastungsgrad der Anschlussbewehrung konnte von maximal über 300% beim Nachweis nach derzeitigem Regelwerk auf maximal 120% reduziert werden. Durch Anwendung des Hauptspannungskriteriums konnte der Nachweis im vorliegenden Beispiel erbracht werden (siehe Bild 10). 4.2 Ausblick Das Schubtragverhalten der Gurt- und Stegquerschnitte von Spannbetonbrücken unterscheidet sich in mehreren Punkten voneinander. Direkte Druckstreben, Sprengwerk- oder Druckbogentraganteile und damit vergleichbare Mechanismen, die zum Tragwiderstand von Stegquerschnitten beitragen, sind auf die Gurtscheiben gegliederter Querschnitte nicht übertragbar [3, 10]. Darüber hinaus wird das Rissverhalten maßgeblich vom sich stetig über die Bauwerkslänge ändernden Längsspannungszustand beeinflusst. Die exemplarische Anwendung der vorgeschlagenen Nachweisformate auf ein älteres Spannbetonbrückenbauwerk und der Vergleich der Ergebnisse mit den nach aktuellen Regelwerken ermittelten, macht das Potential der Nachweisformate für die Beurteilung bestehender Bauwerke deutlich. Gleichzeitig sind die hohen rech- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 201 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken nerischen Defizite (>200%), die teilweise bei der Nachrechnung nach aktuellen Regelwerken errechnet werden, ein deutlicher Hinweis darauf, dass die aktuellen Nachweisformate das Tragverhalten nicht zutreffend und zu konservativ erfassen. Diese Herangehensweise bei der Bemessung kann für die Planung von Neubauten durchaus sinnvoll sein, da sie zu einer robusten und zukunftsfähigen Tragwerksauslegung führt und sich die Mehrkosten durch die so ermittelte Bewehrung gleichzeitig in Grenzen halten. Allerdings sind für die Bewertung bestehender Bauwerke genauere Verfahren notwendig, da nachträgliche Verstärkungen in diesem Bereich sehr aufwändig und oft technisch fragwürdig sind. Die bereichsweise sehr geringen Druckstrebenneigungswinkel nach dem hier vorgeschlagenen Berechnungsansatz werden daher nur für die Tragfähigkeitsbewertung bestehender älterer Bauwerke vorgeschlagen. Nichtsdestotrotz erscheint im Hinblick auf die zukünftige Regelwerksbearbeitung eine Differenzierung zwischen Gurt- und Stegquerschnitten bei der Festlegung der Grenzwinkel der Druckstrebenneigung auch für den Neubau sinnvoll. Der vorgestellte Ansatz zur Ermittlung der Tragfähigkeit über den Nachweis der schiefen Hauptzugspannungen erscheint insbesondere für ungerissene Gurte sinnvoll. Hierdurch soll nicht nur die augenscheinliche Rissfreiheit rechnerisch bestätigt werden, sondern durch die Nachweisführung auf Bemessungslastniveau und die Festlegung einer abgeminderten Bemessungszugfestigkeit als Nachweisgrenze soll vielmehr gezeigt werden, dass der betrachtete Gurt mit einer ausreichenden Sicherheit ungerissen ist und auch weiterhin keine Rissbildung zu erwarten ist. In den durchgeführten Untersuchungen wurde jedoch auch deutlich, dass die derzeit vorhandene Versuchsdatengrundlage sehr gering ist. So existieren insgesamt nur sehr wenige Versuche zum Tragverhalten von Druckgurten. Bei einem überwiegenden Teil der Versuche trat der Bruch im Experiment darüber hinaus nicht als Folge eines Versagens des Gurtanschlusses ein. Weitere experimentelle Untersuchungen zum Tragverhalten des schubfesten Anschlusses der Gurte gegliederter Querschnitte an die Stege sind daher zur Verifikation genauerer Bemessungsverfahren erforderlich. Literatur [1] Maurer, R., Arnold, A. und Müller, M.: Auswirkungen aus dem neuen Verkehrslastmodellnach DIN EN 1991-2/ NA bei Betonbrücken. In: Beton- und Stahlbetonbau 106(11/ 2011), S. 747-759. [2] Maurer, R. et al.: Anpassung von DIN-Fachberichten „Brücken“ an Eurocodes, Teil 2: Anpassung des DIN-Fachberichts 102 „Betonbrücken“ an Eurocodes. BASt Heft B 77,Bergisch Gladbach, 2011. [3] Müller, M.: Zum schubfesten Anschluss von Druckgurten in Hohlkastenbrücken. Dissertation. Technische Universität Dortmund, 2016. [4] DIN EN 1992-1-1: 2011: Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau, Deutsche Fassung EN 1992-1-1: 2004 + AC: 2010. Beuth Verlag, Berlin, 2011. [5] DIN EN 1992-2: 2010: Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln, Deutsche Fassung EN 1992- 2: 2005 + AC: 2008. Beuth Verlag, Berlin, 2010. [6] DIN EN 1992-2/ NA: 2013: Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter - Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln. Beuth Verlag, Berlin, 2013. [7] DIN-FB 102: 2009: DIN-Fachbericht 102 Betonbrücken (2009). Beuth Verlag, Berlin, 2009. [8] Nachrechnungsrichtlinie: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie) Ausgabe 05/ 2011. BMVBS, 2011. [9] Nachrechnungsrichtlinie: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie) Ausgabe 05/ 2011, 1. Ergänzung Ausgabe 04/ 2015. BMVI, 2015. [10] Müller, M., Maurer, R.: Untersuchungen zum Tragverhalten von Druckgurtanschlüssen in Hohlkastenbrücken. In: Beton- und Stahlbetonbau 112 (02/ 2017), S. 60-74. [11] Reineck, K.-H.: Hintergründe zur Querkraftbemessung in DIN 1045-1 für Bauteile aus Konstruktionsbeton mit Querkraftbewehrung. In: Bauingenieur 76 (4/ 2001), S. 168-179. Digitalisierung 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 205 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding Matthias Haslbeck Universität der Bundeswehr München Institut für Konstruktiven Ingenieurbau Werner-Heisenberg-Weg 39 85577 Neubiberg matthias.haslbeck@unibw.de Christian Merkl Institut für Konstruktiven Ingenieurbau Universität der Bundeswehr München Thomas Braml Institut für Konstruktiven Ingenieurbau Universität der Bundeswehr München Zussammenfassung Sicherheit ist der Zentralbegriff der Nachrechnung. Sicherheit kann dann geschaffen werden, wenn es gelingt die Unsicherheit in den Systemparametern zu reduzieren. Um statische Systeme in den tatsächlichen Systemeigenschaften zu beschreiben, sind Messungen unabdingbar. Im Rahmen des vorgestellten Forschungsvorhabens wurden Versuche an einer Spannbetonbrücke geplant und durchgeführt, die es ermöglichen, aus den am Bestandsbauwerk beobachteten Systemreaktionen Rückschlüsse auf die strukturellen Eigenschaften des Systems zu ziehen. Die Prozesskette der Systemidentifikation erstreckt sich dabei von der Versuchsplanung über die Versuchsdurchführung und Datenauswertung bis zum Nachjustieren des Finite-Elemente-Modells durch Bayes’sches Updating. Neben der Beschreibung der durchgeführten Belastungsversuche wird im Rahmen dieses Beitrags besonderes Augenmerk auf die verwendeten Messsysteme gelegt. Zum Einsatz kamen unter anderem Verfahren der drohnengestützten Photogrammetrie, des Lasertrackings, der elektrischen und faseroptischen Dehnungsmessung und der optischen Bewegungs- und Verformungsanalyse (Digitale Bildkorrelation). Da sich im Rahmen des Rückbaus die Möglichkeit bot, Teile der Versuchsbrücke einer genaueren Untersuchung an der Universität der Bundeswehr München zu unterziehen, wurden zudem Verfahren der hochgenauen Geometrieerfassung und zur Detektion von Spanngliedbrüchen angewendet. 1. Modellupdating im Kontext der Nachrechnung und des Building Information Modeling Die statische Modellbildung in der Berechnung baulicher Strukturen basiert im Wesentlichen auf normativ festgelegten Material- und Systemparametern sowie auf Erfahrungswerten. Diese Annahmen sind jedoch erheblichen Schwankungen unterworfen, wie in [1] eingehend ausgeführt wird. Im Rahmen von Nachrechnungen soll die Ermittlung der vom Tragwerk aufnehmbaren Bemessungslast so realitätsnah und objektspezifisch wie möglich durchgeführt werden, jedoch auch mit dem erforderlichen Augenmaß erfolgen, um einen optimalen Ausgleich zwischen den Zielsetzungen der Sicherheit, der Minimierung des Nachrechnungsaufwands und einer größtmöglichen Lebensdauer des Bauwerks zu erzielen (Abbildung 1). 206 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding Abb. 1: Zielkonflikt bei den Anforderungen an die Nachrechnung Eine Methodik für die realitätsnahe Beschreibung des vorhandenen Systems bietet die Systemidentifikation durch Bayes‘sches Updating. Dabei können aus Versuchen gewonnene Systemreaktionen dazu genutzt werden, die rechnerischen Modellannahmen derart anzupassen, dass diese die gemessenen Daten bestmöglich approximieren. Die Kenntnis dieser verbesserten Modellannahmen ermöglicht neue Wege in der Bewertung von Bestandsbauten und der Anreicherung von BIM-Modellen um die so upgedateten Systemparameter. 2. Zielsetzung der Untersuchungen Diese Arbeit geht auf die Gewinnung von Messdaten für das Updating statischer Modelle ein und stellt dabei verschiedene Messverfahren zur Bestimmung von Bauwerksreaktionen vor. Im Rahmen der weiteren Forschung soll die Eignung dieser unterschiedlichen Verfahren zur Ermittlung der Messgrößen untersucht werden, um das Updating bzw. die Kalibrierung von FE-Modellen durch gemessene Daten zu einem validen Teil der Nachrechnungspraxis im Bauingenieurwesen werden zu lassen. 3. Beschreibung der Versuchsbrücke Beim untersuchten Brückenbauwerk handelt es sich um eine Kastenbrücke mit einer Gesamtlänge von 137 m. Die Konstruktion aus dem Jahr 1965 überführte die Bundesstraße 85 als Dreifeldträger über den Fluss Regen bei Roding. Die Einzelfeldlängen betrugen 39 m + 55 m + 39 m. Durch eine verhältnismäßig geringe Überbauhöhe von 1,2 m bis maximal 2,25 m ergab sich eine große Schlankheit des vorgespannten Tragwerks. Eine zeichnerische Darstellung des untersuchten Bauwerks kann den Abbildungen 2 und 3 entnommen werden. Abb. 2: Regelquerschnitt der Versuchsbrücke Roding Abb. 3 : Längsschnitt der Versuchsbrücke Roding 4. Geometrieerfassung durch drohnengestützte Photogrammetrie Aufgrund des großen Einflusses geometrischer Größen in den Berechnungs- und Bemessungsformeln, beispielsweise des Trägheitsmoments, wurde mit UAV-Photogrammetrie ein spezifisches Augenmerk auf ein modernes, umfassendes und schnelles Objekterfassungsverfahren gelegt. Als Photogrammetrie werden Verfahren bezeichnet, bei denen die geometrischen Größen eines Messobjekts aus der Interpretation von fotografischen Aufnahmen gewonnen werden [2],[3]. Instrumentierte und unbemannte Fluggeräte, kurz Drohnen oder UAVs, bieten die Möglichkeit, ohne die Notwendigkeit zusätzlicher Zugangstechnik zum Bauwerk, die äußere Gestalt von Objekten digital zu erfassen. Obwohl die geometrische Beschreibung von Bauwerken unter Verwendung von Drohnenbeflügen eher die Aus- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 207 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding nahme als die Regel darstellt, finden photogrammetrische Untersuchungen zunehmend Eingang in die Ingenieurpraxis [4]. Abbildung 4 zeigt das entstandene Modell, welches aus den Aufnahmen des Instituts für Baustatik und Baudynamik der Universität der Bundeswehr München generiert wurde. Hierfür wurde die opensource-Software meshroom verwendet, welche auf aktuellen Forschungsergebnissen der Computer Vision beruht und dabei zunächst gemeinsame Features zwischen den einzelnen Bildern erzeugt und verknüpft, eine grobe Punktwolke durch einen „Structure from Motion“-Prozess berechnet und diese anschließend mittels Deep-Mapping verfeinert. Bezüglich der Umsetzungsdetails sei auf die Literaturquellen verwiesen, welche auf alicevision.org für den Ablaufprozess detailliert hinterlegt sind. [6] Innerhalb des Arbeitsprozesses werden die aus unterschiedlichen Perspektiven aufgenommenen Bilder mittels des sogenannten Bündelblockverfahrens [3],[5] in dreidimensionale Geometrieinformationen in Form von Punktwolken überführt. Diese Form von Bestandsaufnahme bietet die Möglichkeit, den gewonnenen Daten die geometrischen Abmessungen der Struktur zu entnehmen, was speziell bei fehlenden Bestandsunterlagen oder zur Überprüfung von geometrischen Annahmen sinnvoll ist. Abb. 4: Durch Verfahren der Photogrammetrie erzeugtes 3D-Modell der Versuchsbrücke Roding Abb. 5: Übersicht über die untersuchten Messgrößen und die verwendeten Verfahren 5. Datengewinnung im Rahmen der Belastungsversuche Um Messdaten zur Kalibrierung des FE-Modells zu generieren, wurden im Mai 2019 Versuche durchgeführt, die, ausgehend von definierten und separat erfassbaren Versuchslasten, als Eingangsdaten für den Updating-Prozess fungieren. Der Auswahl der Messtechnik fiel im Rahmen der Datenerhebung eine besondere Bedeutung zu. 5.1 Messgrößenkonzept Besondere Bedeutung für die spätere Verwendbarkeit der Ergebnisse fällt der Auswahl der Messorte und der zu messenden physikalischen Größen zu. Als Messorte wurden die Brückenmitte (M1), der Stützbereich über 208 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding dem Pfeiler in Fahrtrichtung Schwandorf (M2) und die Mitte des Randfeldes am Widerlager Schwandorf (M3) ausgewählt. Abbildung 5 zeigt eine Übersicht über die Messstellen und die verwendete Sensorik. Bei der Konzeption wurde berücksichtigt, dass lediglich zerstörungsfreie Messverfahren verwendet wurden und die Messungen an Orten eingeplant wurden, die sowohl eine ausreichende Signalstärke als auch eine gute Zugänglichkeit boten. Zudem wurde darauf geachtet, dass Redundanz in der Erfassung der Messgrößen bestand, um die durch verschiedene Messsysteme erlangten Daten vergleichen zu können. 5.2 Versuchsfahrzeuge Zur Berechnung der Systemparameter ist eine detaillierte Kenntnis des Belastungszustands erforderlich, weswegen Versuchsfahrzeuge mit definierten Lastbeträgen und Lastverteilungen zu verwenden sind. Bei der Planung muss weiterhin darauf geachtet werden, Versuchsfahrzeuge zu verwenden, welche ausreichend starke Messsignale erzeugen, um die messtechnische Erfassbarkeit der auftretenden Bauwerksreaktionen gewährleisten zu können. Die Wahl fiel auf zwei verschiedene Fahrzeugtypen, um deren Eignung untersuchen zu können. Bei den Messungen kamen deshalb ein Bergepanzer und ein mit Erdreich beladener Muldenkipper zum Einsatz (Abbildungen 6 und 7). Im Falle des eingesetzten Kettenfahrzeugs konnte zur Lastspezifikation auf tabellierte Angaben zurückgegriffen werden. Zur Bestimmung der durch den LKW aufgebrachten Last wurde eine mobile Achslastwaage verwendet. Abb. 6: Bergepanzer auf der Versuchsbrücke Abb. 7: Muldenkipper während des Belastungsversuchs 6. Im Belastungsversuch eingesetzte Messtechnik Zur Erforschung der Möglichkeiten und Grenzen unterschiedlicher Messverfahren in der Brückennachrechnung wurden im Rahmen dieses Großversuchs eine Vielzahl von Messverfahren angewandt, von denen eine Auswahl nachfolgend vorgestellt wird. Auf die Darstellung von Methoden der Ingenieurgeodäsie, der Neigungsmessung, der Messung von Beschleunigungen am Bauwerk und der Spannungsermittlung durch Messung von Ultraschalllaufzeiten wird an dieser Stelle verzichtet. 6.1 Elektrische und faseroptische Dehnungsmessung Die am weitesten verbreitete Methode zur Bestimmung mechanischer Dehnungen ist die Änderung des elektrischen Widerstands eines Drahtes durch dessen Verzerrungsänderung. Diese ist in gewissen Grenzen annähernd linear, was die Möglichkeit bietet, die mechanische Dehnung in elektrische Signale umzuwandeln und digital zu verarbeiten. Für eine genauere Darstellung der Anwendungsmöglichkeiten und der Funktion von elektrischen Dehnmessstreifen wird auf [8] verwiesen. Neben den Verfahren der elektrischen Dehnungsmessung finden zunehmend auch auf optischen Messprinzipien beruhende Sensorsysteme Verbreitung. Die verwendeten Sensoren basieren auf dem Prinzip der Rückstreuung von Licht an zuvor definierte Messpunkte. Die Glasfaser wird hierfür von Seiten des Herstellers mit einer Resonanzstruktur versehen, dem sogenannten Faser-Bragg-Gitter. Dieses reflektiert Licht einer definierten Wellenlänge zurück an das Endgerät. Je nach Dehnungszustand des Messobjekts verändert sich die Wellenlänge, was einen Rückschluss auf die herrschenden Dehnungen zulässt. Neben der Konfektionierung der Sensoren zur Dehnungsmessung werden zudem Temperatursensoren zum Kauf angeboten, was eine Kompensation von Temperatureinflüssen auf die Dehnungsmessung ermöglicht. [9] 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 209 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding Abbildung 8 zeigt eine Übersicht zur Sensoranbringung unterhalb der Stege. Abb. 8: angebrachte Dehnungssensoren unter der Brücke 6.2 Optische Bewegungs- und Verformungsanalyse Neben den Verfahren der elektrischen Messung von Dehnungen und Verformungen oder den Methoden der Ingenieurvermessung finden zunehmend auch Verfahren der optischen Bewegungs- und Verformungsanalyse Eingang in die wissenschaftliche und industrielle Praxis. Das Hauptanwendungsgebiet liegt jedoch noch vor allem in kleinformatigen Probekörpern der Automobil- und Konsumgüterindustrie, welche hauptsächlich unter Laborbedingungen getestet werden. [10] Für die meist großformatigen Probekörper und Bauteile des Bauwesens bieten sich hierfür die Verfahren der digitalen Bildkorrelation an, welche sich am menschlichen Sehen orientieren. Anhand der Versuchsbrücke Roding wird die Anwendbarkeit dieser berührungslosen Bewegungs- und Verformungsanalyse auf Brückenbauwerksabschnitte untersucht und Erfahrungen bei Messungen im Feldversuch gesammelt. Hierzu wurden zwei Systeme der Firma GOM ® vom Typ „ARAMIS“ nahe der Mitte des Randfeldes am Widerlager in Fahrtrichtung Schwandorf eingesetzt [11]. Eine Übersicht über den Messaufbau gibt die Abbildung 9. Abb. 9: Eingesetztes System zur 3D-Bewegungs- und Verformungsanalyse während der Messkampagne Die optische Bildanalyse ermöglicht die Messung von Verformungen, Beschleunigungen, Geschwindigkeiten und Dehnungen. Dabei wird ein mittels vorheriger Kalibrierung definierter, kubischer Messbereich durch zwei hochauflösende Stereokameras aufgenommen. Zusammen mit einem geeignet festzulegenden Kameraabstand können so basierend auf dem Strahlensatz mathematisch Bewegungen im Raum ermittelt werden, was eine dreidimensionale Messung ermöglicht. Neben statischen Veränderungen am Objekt lassen sich anhand von passend gesampelten Bilderserien auch dynamische Prozesse verfolgen. Das Grundprinzip der berührungslosen Verformungsmessung ist also ebenso wie in Abschnitt 4 eine photogrammetrische Aufnahme des Messbereichs durch hochauflösende Digitalkameras mit geeigneter Bildfrequenz und die anschließende Auswertung anhand von Verfahren der digitalen Bildkorrelation. [7] Für die Aufnahme räumlicher Bewegungen kommen sowohl definierte und durch die Systeme erkennbare Messmarken in Frage, als auch stochastisch gemusterte Flächen, aus welchen innerhalb fixer Pixelareale sogenannte Facettenpunkte wiedererkennbar generiert und anschließend nachverfolgt werden. Hierbei sind die Verformungen der Mess- und Facettenpunkte direkt erfassbar. Die Verzerrungen können dann entweder aus dem Verhalten zweier in Relation gesetzter Messmarken oder aus der Veränderung der Pixelareale je Facettenpunkt hergeleitet werden. Durch dieses Verfahren ist somit auch eine vollflächige Verformungsanalyse größerer Messflächen möglich. [11] Eine Visualisierung der daraus resultierenden flächigen Verformungen sowie der punktuell messbaren Verformungsvektoren zeigt die nachfolgende Abbildung 10. 210 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding Abb. 10: Verformung der Fläche an der Messposition M3 verursacht durch den Versuchs-LKW im mittleren Feld 7. Durchführung der Belastungsversuche Die Versuchsplanung der im Mai 2019 durchgeführten Versuche umfasste sowohl eine Vielzahl an statischen Belastungsversuchen als auch die Aufzeichnung der dynamischen Bauwerksreaktionen auf mehrere unterschiedliche Überfahrtsszenarien. Im Rahmen der statischen Messungen wurden vom Kettenfahrzeug jeweils die Feldmitten der Brücke angefahren. Zudem erfolgte eine Positionierung des LKWs entlang der Fahrbahnmitte und des nördlichen Fahrbahnrandes. Für die statischen Messungen in Querschnittsmitte wurden 33 Messungen durchgeführt, was einem Abstand der Messpositionen von jeweils 4 Metern entspricht. Während der dynamischen Überfahrten erfolgte die Aufzeichnung von Zeitreihen durch die jeweiligen Messsysteme, wobei die Versuchsfahrzeuge die Brücke mit Geschwindigkeiten von 10, 30 und 50 km/ h überfuhren. Abbildung 11 zeigt das ermittelte Messsignal bei der Überfahrt des LKWs für eine Geschwindigkeit von 10 km/ h. Für das Kettenfahrzeug wurden die untersuchten eschwindigkeiten bis 50 km/ h um eine weitere eschwindigkeitsstufe von 70 km/ h erweitert. Eine zusätzliche Versuchsreihe wurde mit über die Fahrbahn gelegten Holzbrettern als künstliche Hindernisse durchgeführt, um die dynamischen Bauwerksreaktionen in ihrem Betrag zu verstärken. Abbildung 12 zeigt die ermittelten Dehnungen bei der Überfahrt des Bergepanzers über die Holzbretter bei einer Geschwindigkeit von 10 km/ h im Vergleich zur Überfahrt ohne Hindernisse. Abb. 11: Dehnungen in Brückenmitte bei Überfahrt des LKWs Abb. 12: Rohdaten der Dehnungsmessung bei Überfahrt von Holzbrettern mit einer Höhe von 12 cm (orange) und bei nahezu ebener Fahrbahn (blau) Zur Untersuchung der Brückeneigenschwingung wurde als weitere Art der Anregung ein Dirac-artiger Einzelimpuls durch das schlagartige Herabfallen einer vordefinierten Last von der Brücke erzeugt. Mit Hilfe eines 1,7 t-Gewichts wurde eine Auslenkung des dritten Randfeldes herbeigeführt, sodass im anschließenden Ausschwingvorgang die Eigenfrequenzen und Dämpfungsparameter beobachtet werden können (Abbildung 13). 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 211 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding Abb. 13: Angehängtes Gewicht kurz vor dem Durchtrennen des Halteseils zur Erzeugung einer Impulsantwort kurz vor dem Durchschneiden des Halteseils Der Graph aus Abbildung 14 zeigt die zugehörigen Aufzeichnungen des Dehnmessstreifens in der Mitte des Randfeldes (M3) nach Lösen der Verbindung. Abb. 14: Dehnung am MP3 nach Impulsanregung 8. Detailuntersuchungen an den Trägerstegen Durch den Rückbau der Brücke ergab sich die Möglichkeit, Teile des Bauwerks zur genaueren Untersuchung an die Universität der Bundeswehr München zu verbringen. Deshalb wurden insgesamt fünf Teile des nördlichen Stegs nach München transportiert. Im Fokus der Untersuchungen standen die photogrammetrische Aufnahme der Bauteile zur Beurteilung der Maßabweichungen der Stegbreite sowie die metrologische, hochgenaue Erfassung der Stegschnitte zur Quantifizierung des auftretenden Spanngliedschlupfs nach dem Durchtrennen der Stege beim Abbruch. Im Rahmen einer Kooperation mit dem Institut für Massivbau der Technischen Universität Dresden wurden sowohl während der Versuche in Roding als auch an den nach München verbrachten Stegteilen gezielt Drahtbrüche in den im Verbund liegenden Spanndrähten erzeugt und die während des Bruchvorgangs imitierten Schallwellen aufgezeichnet. 8.1 Detektion von Spanngliedbrüchen Die Zustandsbewertung von Spanngliedern steht immer wieder im Fokus verschiedener Forschungsarbeiten. Das Grundproblem der Beurteilung besteht darin, dass die häufig hochbeanspruchten Tragelemente gut verborgen im Inneren der Betonkonstruktion liegen und kaum zugänglich sind. Schäden, die z.B. durch Spannungsrisskorrosion oder Ermüdung am Spannstahl auftreten, können dementsprechend nur schwer festgestellt werden. Diese können jedoch insbesondere bei älteren Brücken aufgrund konstruktiver Besonderheiten (z.B. fehlende Robustheitsbewehrung) zu kritischen Zuständen führen, die mit herkömmlichen Inspektionsmethoden kaum feststellbar oder gar prognostizierbar sind. Für die Detektion von Drahtbrüchen ist die Schallemissionsanalyse ein vielversprechendes Monitoringverfahren. Drahtbrüche sind in der Regel energiereiche Ereignisse, die von anderen Geräuschen, wie beispielsweise Verkehr, zuverlässig abgegrenzt werden können. Die Güte dieser Klassifizierung ist jedoch von der Menge und Qualität der Vergleichsdaten und anderen Randbedingungen abhängig, die u.a. durch materialabhängige Dämpfungseffekte und die Messstellenanordnung beeinflusst werden. Das Ziel des Forschungsprojektes von Herrn Dipl.-Ing. Max Käding unter Leitung von Herrn Prof. Dr.-Ing. Steffen Marx ist daher, die Charakteristiken bei der Entstehung und Ausbreitung eines Drahtbruchs besser zu verstehen und die technischen Prozesse zu optimieren. Um die Fragestellungen mit Messdaten einer „realen“ Struktur untersuchen zu können, wurden verschiedene Messungen durchgeführt. Am Bestandsbauwerk wurden zuvor für einen begrenzten Zeitraum Betriebsgeräusche aus Verkehr erfasst und die Trennung eines Spanngliedes begleitet. Einen Eindruck der im Hohlkasten angebrachten Messtechnik vermittelt Abbildung 15. 212 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding Abb. 15: Messtechnik zur Schallemissionsanalyse im Hohlkasten (Bild: Max Käding) An zwei der Trägerelemente wurden im Folgenden ca. 120 Drahtbrüche herbeigeführt, welche mit verschiedenen Messinstrumenten aufgezeichnet wurden. Einerseits wurde der Luftschall mit handelsüblichen Mikrofonen erfasst, andererseits wurden die Festkörperwellen mit piezoelektrischen Sensoren in verschiedenen Frequenzbereichen aufgezeichnet. Die umfangreichen Messeinrichtungen und eine exemplarisch herausgegriffene Messstelle zeigen die Abbildungen 16 und 17. Abb. 16: Messeinrichtung zur Detektion von Spanngliedbrüchen an den Trägerstegen (Bild: Max Käding) Abb. 17: offengelegte und durchtrennte Spannglieder und angebrachte Sensorik an einem der Stegteile (Bild: Max Käding) 8.2 Nahbereichsphotogrammetrische Untersuchungen Neben der geometrischen Beschreibung der gesamten Brückenstruktur durch die drohnengestützte Photogrammmetrie wurden die nach München verbrachten Trägerstücke auch im Einzelnen aus dem Nahbereich photogrammetrisch untersucht. Hierzu zeigt Abbildung 18 das Aufnahmeergebnis in Form des erzielten texturierten, dreidimensionalen Abbildungsobjekts eines mit einer handelsüblichen Digitalkamera aufgenommenen Trägerteils. Abb. 18: Fotorealistische Darstellung eines der Trägerteile Hierbei basiert die Nahbereichsphotogrammetrie selbst auf einer Vielzahl von Bildaufnahmen aus unterschiedlichen, sich überlappenden Perspektiven. Dabei wird das untersuchte Bauteil aus dem dreidimensionalen, realen Objektraum mittels Zentralprojektion durch das Projektionszentrum der Kamera auf den zweidimensionalen Bildraum übertragen. Auf allen Bildern werden zunächst mittels „Natural Feature Selection“ wiedererkennbare Pixelgruppen identifiziert. Darauf aufbauend dienen die gleichen Features anschließend der Verknüpfung und Orientierungsberechnung zwischen den einzelnen Bil- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 213 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding dern. Daraus generiert das „Structure from Motion“-Prinzip, welches auf der Verbindung der Projektionsstrahlen der einzelnen Features durch das Projektionszentrum und dem Strahlensatz basiert, im ebenfalls dreidimensionalen, digitalen Objektraum eine erste grobe Punktwolke aller miteinander übereinstimmenden Features. Diese wird anschließend durch den „Semi-global Matching“- Algorithmus sowie einer darauffolgenden 3D Delauney Triangulation verfeinert und anhand der farbigen Bilddaten texturiert. Dieser Schritt erfolgte vollständig in der durch die EU geförderten Computer Vision Software „meshroom“ [6]. Ziel der photogrammetrischen Aufnahme im Nahbereich ist die Ermittlung der tatsächlichen Maßabweichungen in Breitenrichtung unter angemessenem Aufnahmeaufwand. Die gewonnenen Kenntnisse über den Betrag und den Ort der Abweichungen ermöglichen dabei die genauere Berücksichtigung der Schwankungen geometrischer Abmessungen im Rahmen der probabilistischen Nachrechnung von Bestandsbauwerken. Als Referenz für diese photogrammetrischen Aufnahmen dient eine vergleichende Bestimmung der Bauteilgeometrie mit Hilfe eines Laserscanners vom Typ ATS600 der Firma Leica, welche eine hochgenaue Aufnahme des Messobjekts ermöglichte. Hieraus soll iterativ ermittelt werden, welche Erfassungsgenauigkeit für die noch experimentelle Nahbereichsphotogrammetrie erforderlich ist, um aufwändigere und kostenintensivere Laserscans ersetzen zu können. 8.3 Laserscan der Schnittkanten Bedingt durch das Freiwerden der Vorspannkraft beim Zerschneiden der Stege traten an den Schnittkanten (Abbildung 19) Relativverschiebungen zwischen den Spannstahlgliedern und den umgebenden Stahlbetonquerschnitten auf. Die Größe dieser als Schlupf bezeichneten Verschiebungen sind charakteristisch für die Güte der Verankerung des jeweiligen Spannglieds. Zur Bestimmung des Betrags der Verschiebung wurden die Schnittkanten mit Hilfe eines handgeführten Laserscanners, der auf dem Lichtschnittverfahren beruht, abgetastet und eine hochgenaue 3-D-Punktwolke generiert. Zum Einsatz kam ein Handscanner vom Typ T-Scan und ein LV-Trackingsystem der Firma Zeiss. Dieses System erfasst Oberflächen mit einer Genauigkeit von ca. 80 µm [12]. Einen Ausschnitt des entstandenen Netzes zeigt Abbildung 20. Aufgrund der Empfindlichkeit des Systems auf natürliches Licht, welches durch die photogrammetrische Nachverfolgung des T-Scans durch Infrarotkameras im LV-Tracker bedingt ist, wurde die Messung unter einem Messzelt durchgeführt (Abbildung 21). Zur Ermittlung und Quantifizierung des Schlupfes werden mit der Flächenrückführungssoftware Geomagic Design X Ebenen und NURBS-Oberflächen aus den mittels „meshroom“ erzeugten STL-Dreiecksnetzen extrahiert und anschließend verglichen. Abb. 19: Spannglieder an der Schnittkante Abb. 20: Generiertes Netz der Schnittkante Abb. 21: Betrieb des Handscanners zur Erfassung der Schnittkantengeometrie 9. Schlussfolgerung und Ausblick Die Alterung von Brückenbauwerken und die sich gleichzeitig verstärkende Verkehrsbelastung im deutschen Straßennetz führen zur unabdingbaren Notwendigkeit der Neubewertung bestehender Brückenbauwerke in Bezug auf deren Standsicherheit, Ermüdungsfestigkeit und Gebrauchstauglichkeit [13]. 214 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding In diesem Beitrag werden die in Roding durchgeführten Messungen beschrieben und die angewendeten Messverfahren diskutiert Diese ermöglichen eine systematische Datengewinnung zum Zweck einer besseren Beschreibung des zu verwendenden Modells im Rahmen von statischen Berechnungen. Innerhalb der Prozesskette der Identifikation des statischen Systems sind dabei sowohl Aspekte der Versuchsdurchführung, der Messtechnik als auch der späteren Auswertung der gewonnenen Daten zu berücksichtigen. Im Rahmen des Projekts wurden auf verschiedene Arten Systemreaktionen erzeugt und durch unterschiedlichste Messverfahren aufgezeichnet. Mit Hilfe der so gewonnenen Vorinformationen soll das statische System durch Verfahren der künstlichen Intelligenz dahingehend trainiert werden, dass eine bessere Beschreibung des tatsächlichen Systemverhaltens durch ein upgedatetes FE-Modell möglich wird. Ein detaillierter Vergleich der verschiedenen Verfahren soll zudem zeigen, welche Möglichkeiten die einzelnen Messmethoden bieten und wie sich diese für die Kalibrierung von statischen Systemen durch Bayes‘sches Updating nutzen lassen. Das Updating der Eigenschaften bestehender Ingenieurbauwerke bietet die Chance, die getroffenen Modellannahmen mit am Bauwerk gemessenen Daten derart zu verfeinern, dass eine realitätsnähere Bewertung von Bestandsbauwerken den Erhalt bestehender Strukturen ermöglicht. Danksagung Die Autoren danken herzlich Herrn Univ.-Prof. Dr.-Ing. Otto Heunecke, Herrn Dr.-Ing. Thorsten Strübing und Herrn Günter Kraus vom Institut für Geodäsie der Universität der Bundeswehr München, sowie Herrn Maximilian Garsch vom Institut für Baustatik der Universität der Bundeswehr München, welche durch ihre Mitarbeit dieses Projekt erst möglich gemacht haben. Zudem möchten sich die Autoren bei Herrn Prof. Dr.-Ing. Steffen Marx und Herrn Dipl.-Ing. Max Käding für Ihre Beteiligung am Projekt und für die fachliche Unterstützung bei der Erstellung dieses Beitrags bedanken. Für die Hilfe bei der Durchführung der Messungen sind die Autoren dem Laborpersonal des Instituts für Konstruktiven Ingenieurbau der Universität der Bundeswehr München, namentlich Herrn B.Eng. Maik Hopke und Herrn Nedim Husacovic zu Dank verpflichtet. Ferner soll der Panzerbrigade 12 „Oberpfalz“ unter Herrn Brigadegeneral Björn Schulz vielmals für die logistische Unterstützung während der Versuche und für die Bereitstellung des Versuchsfahrzeugs und der Besatzung gedankt werden. Für die Bereitstellung des Muldenkippers und die organisatorische Hilfe möchte sich das Autorenteam herzlich bei der Firmengruppe Max Bögl, Sengenthal, bedanken. Der Zugang zum Bauwerk wurde freundlicherweise durch das Staatliche Bauamt Regensburg ermöglicht. Literatur [1] HASLBECK, M., KRAUS, M.A., BRAML, Th.: Bayesian Reliability Assessment and System Identification for existing Concrete Bridge Structures - Elaboration of a template for existing civil engineering structures - International Probabilistic Workshop 2019 [2] PROMASKA, G.: Bildbasierte 3D-Modellierung - Vom digitalen Bild bis zum 3D-Druck, VDE Verlag 2016 [3] LUHMANN, Rh., ROBSON, S., Kyle, S., BO- EHM, J.: Close-Range Photogrammetry and 3D Imaging, De Gruyter, 2. Auflage [4] HERTLE, Th., GARSCH, M., GEBBEKEN, N.: Die aktuellen Vorgehensweisen bei der Bauwerksprüfung und der Dokumentation sind heute nicht mehr zeitgemäß. Drohnen und Smartphones sind die neuen Werkzeuge für Bauwerksüberwachungen und die BIM-Modellierung, Der Prüfingenieur 53 (2018), S. 38-55 [5] BACHER, U. Praxisseminar Photogrammetrie. 2017 [6] alicevision.org, abgerufen: 03.07.2020 [7] SCHUTH, M., BUERAKOV, W.: Handbuch Optische Messtechnik - Praktische Anwendung für Entwicklung, Versuch, Fertigung und Qualitätssicherung [8] KEIL, S.: Dehnungsmesstreifen, Springer Verlag, 2.Auflage 2017 [9] STROBEL,O.: Lichtwellenleiter - Übertragungs- und Sensortechnik, VDE-Verlag, 3.Auflage, 2014 [10] www.gom-conference.com/ de, abgerufen: 01.07.2020 [11] GOM GmbH: GOM Testing - Grundlagen der digitalen Bildkorrelation und Dehnungsberechnung (Technisches Dokument ab V8 SR1) [12] SCHMIEDER, L.: Untersuchung der Geometrie von Testkörpern aus Beton mittels Photogrammetrie, Laserscanning und Lasertracking, Bachelorarbeit am Institut für Geodäsie der Universität der Bundeswehr München, 2020 [13] MAURER, R., HEEKE, G., KIZILITAN, H., KO- LODZIEJCZYK, A. ZILCH, K. DUNKELBERG, D., FITIK, B.,: Nachrechnung von Betonbrücken zur Bewertung der Tragfähigkeit bestehender Bauwerke (BASt-Bericht B89), 2012 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 215 KI zur Erkennung und Beurteilung von Oberflächenschäden an Betonbauwerken Nicolai Nolle, Projektleiter AI4I NFRA Viscan Solutions GmbH Wie kann künstliche Intelligenz bei der Unterhaltung, Inspektion und Instandsetzung unserer Infrastruktur eine Hilfe sein? Diese Frage beantworten wir im Rahmen des AI4INFRA Projektes. Das Projekt ist ein Konsortium aus Start-Up, Ingenieurbüros, Hochschule, der Deutschen Bahn und dem Verkehrsministerium BW. Wir haben die Aufgabe, ein Standardverfahren und eine öffentlich zugängliche Plattform für den Einsatz von KI zu entwickeln und bereitzustellen. Die Plattform eignet sich für die Auswertung, Kartierung und das Reporting von oberflächigen Schadstellen an Bahngleisen, auf Autobahnen oder an Brückenbauwerken und soll die Schnittstellen der Objektdatenbanken in unserem Fall die SIB-Datenbank bedienen. Im Zuge unserer Entwicklungen erarbeiten wir auch praktische Lösungen zur Digitalisierung von Bauwerksprüfungen vor Ort am Objekt. Darunter UAS/ UAV, Smartphone/ Tabletlösungen oder das dokumentieren und kartieren im Modell. Im Rahmen des Projektes wird gemeinsam mit dem Steinbeis Institut an einer möglichen Lösung zur Ermittlung der Tiefenstruktur eines oberflächigen Schadens geforscht. Im Rahmen unseres Vortrags berichten wir über den aktuellen Stand im Projekt und welche Lösungen bereits eingesetzt werden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 217 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann Autor: Jens Kühne, Wölfel Engineering GmbH + Co. KG, Höchberg, kuehne@woelfel.de, 0172/ 6424695 Co-Autor: Dr.-Ing. Carsten Ebert, Wölfel Engineering GmbH + Co. KG, Höchberg, ebert@woelfel.de Zusammenfassung Dieser Vortrag vergleicht die zum Industriestandard gewordenen Systeme zur Rotorblatt- und Tragstrukturüberwachung aus der Windenergie sowie deren Einfluss auf die wiederkehrenden, periodischen Prüfungen mit den Predic-tive-Maintenance-Ansätzen bei Brückenbauwerken. Design, Errichtung und Betrieb von Brücken und Windenergieanlagen (WEA) weisen wesentliche Unterschiede, aber auch viele Gemeinsamkeiten auf. Was also ist zu tun, um die im Windenergiemarkt so erfolgreichen Monitoring-Lösungen auch für die Betriebsüberwachung von Brücken nutzen zu können? Wie wichtig ist die Bauwerkshistorie, was leistet Standardisierung, wie treiben Zugangsprobleme, KI und smart data-Ansätze die Innovation und wie kann dadurch die Bewirtschaftung der Assets wirtschaftlicher werden? Fragen, die in der Windenergie weitestgehend beantwortet sind und die uns den Weg zum effizienten Einsatz von intelligenten Zustandsüberwachungssystemen aufzeigen. Wölfel hat leistungsfähige und marktgerechte Lösungen für die messtechnische Überwachung von Windkraftanlagen entwickelt. Das Unternehmen setzt bei der Datenanalyse zunehmend neue Methoden und digitale Instrumente ein und überträgt nun das Know-How dieser hocheffizienten Monitoring-Lösungen auf den Brückenmarkt. 1. Einleitung Ziel der Zustandsüberwachung von Brückenbauwerken nach DIN 1076 [1] ist die Gewährleistung der Standsicherheit sowie eine hohe und lange Verfügbarkeit. Die volkswirtschaftliche Dimension der Vermeidung von Sperrungen und Staus und die damit einhergehende Aufrechterhaltung der Mobilität der Bürger und der Lieferketten von Industrie und Handel bilden dabei den monetär nur abschätzbaren Zielrahmen. Kostenkontrolle spielt vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen jedoch eine zunehmend bedeutende Rolle. Der Ruf nach Zustandsinformationen, welche die Inspektionsergebnisse ergänzen, ist derzeit im Wesentlichen an zwei Ereignisse gekoppelt - Schadenseintritt (Schadensüberwachung) und eingeschränkte Nachweisführung (messtechnische Ermittlung von Parametern, die die Nachweisführung ermöglichen). Dies führt fälschlicherweise dazu, dass Dauermesstechnik nur im letzten Lebensabschnitt der Bauwerke zum Einsatz kommt (Schadensbegrenzung) [2]. Im Gegensatz zum Bestand an Brückenbauwerken werden Windparks profitorientiert betrieben. Offshore sorgen der erschwerte und teure Transfer per Schiff oder Hubschrauber und die faktische Unzugänglichkeit bei Extremwetterlagen dafür, dass die Betreiber der Parks ein hohes Interesse an der permanenten Verfügbarkeit von Zustandsinformationen über die Windenergieanlagen haben. Auch gibt die lückenlose Dokumentation von Einwirkungen im Verkaufsfall der Anlagen/ Parks Aufschluss über den Verschleiß der Anlagen und begünstigt eine Due-Dilligence-Bewertung maßgeblich. Neben Zustandsaussagen zu einzelnen Anlagen nimmt die Bestandsbewertung des gesamten Parks bzw. des gesamten Portfolios (Fleet-Management) einen immer breiteren Raum ein. So lässt sich der Erhaltungsaufwand ganzheitlich steuern und minimieren. 2. Treiber und Hemmnisse Die Betreiber der Verkehrsinfrastruktur stehen vor der Herausforderung, die bestehenden Prozesse, Richtlinien und Aufgaben für völlig neue digitale Herangehensweisen zu öffnen, um die Sicherheit weiter zu verbessern, die Verfügbarkeit zu erhöhen und die Effizienz der Bewirtschaftung maßgeblich zu verbessern (kurze Reaktionszeiten, Kostenreduktion), und zwar ohne die bestehenden hohen Sicherheitsstandards zu gefährden. Gehemmt wird die digitale Umwälzung durch fehlende Rahmenvorgaben und Standards (auch in den bestehenden Regelwerken), lange Zeiträume zur Anpassung dieser Regelwerke, Zurückhaltung der Betreiber (Mangel an Erfahrung, Scheu vor Zusatzaufwand, fehlende Prozesse), bisheriger Nichtnachweisbarkeit der langfristigen Wirtschaftlichkeit der neuen Methoden oder Angst vor technologischen Sackgassen. Treiber einer schnellen Digitalisierung ist die Vereinheitlichung und Zusammenführung aller verfügbaren Bauwerksinformationen vor dem Hintergrund volkswirtschaftlicher Zwänge wie 218 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann - Erhöhung der Verfügbarkeit - Verbesserung des Netzzustandes - Ausnutzung der Restlebensdauer - intelligente Verkehrssteuerung - Kostenkontrolle und -reduktion. Auch Erfahrungen und Ergebnisse aus anderen Branchen sowie zunehmende Ressourcenknappheit befördern den Gedanken „intelligenter Strukturen“. Im Windenergiemarkt ist der Einsatz intelligenter Überwachungssysteme längst fester Bestandteil der Erhaltungsstrategien und Inspektionskonzepte (VDI 4551, VDI 3834 [3; 4]). Nach vielen Messungen im Rahmen von Forschungsprojekten und einer mehrjährigen Lernkurve sind Technik und Algorithmen so gut, dass der wirtschaftliche Betrieb der Anlagen ohne diese Systeme nicht mehr denkbar ist. 3. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Brücken und WEA Tab. 1: Gemeinsamkeiten Konstruktion • Designgrundlagen (Eurocode, BIM, Nachweise) • Struktureigenschaften (Gründung, Tragstruktur) • Entwicklungstools (Software) • Lastmodelle Bau • Fundamenterstellung (Pfahlgründung, Flachgründung) Betrieb • Regelmäßige Prüfungen • (6 Jahre / 4 Jahre) • Vermeidung von Nutzungseinschränkungen (Sperrungen / Stillstand) • Weiterbetrieb (Nachrechnung bzw. Gutachten mit analytischem Teil) Tab. 2: Unterschiede Brücke WEA Konstr. • Nur Strukturkomponenten (kaum bewegte Teile) • Struktur- (Fundament, Turm, Rotorblatt) und Maschinenkomponenten (Antriebsstrang, Rotor) • Vorwiegend statische Nachweise (aber auch dynamische, insbesondere bei Stahl und schlanken BW) • Gesamtdynamische Berechnung inkl. aeroelastischer Kopplung (aber auch statische Nachweise, Standsicherheit) • Individ. Design • (aber auch zunehmend Standardkomponenten (Lager, ÜKO) und modulare Bauweisen, Clusterung möglich • hoher Standardisierungsgrad (aber auch anlagenindividuelle Bestandteile (Gründungen, teilweise handgeschweißte Nähte) • überwiegend Beton (aber auch Stahl) • Überwiegend Stahl und GFK (aber auch Betongründungen und -türme) Bau • Projektgeschäft überwiegend im Bestand (aber auch Neubau) • Projektgeschäft überwiegend Neuerschließung (aber zunehmend auch Ersatz) 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 219 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann Brücke WEA Betrieb • Geplant 100 Jahre • 20/ 25 Jahre + Verlängerung • Gute Zugänglichkeit (aber nicht überall) • Schlechte Zugänglichkeit (offshore) • Notensystem für Zustandsbewertung (Anpassung Prüfzeiträume möglich, aber nur Verkürzung) • Zustandsbericht (Möglichkeit der Fokussierung von Prüfszenarien und Anpassung der Prüfzeiträume) • Kein Monitoring vorgeschrieben (außer Nachrechnungs-RiLi, Teil 3) • Dauerüberwachung von ~ 10 % aller Offshore-Strukturen (SHM); ca. 100 % CMS für Antriebsstrang • Dauerhaft ein behördlicher Betreiber • Private Betreiber, Weiterverkauf möglich Fazit: Trotz vieler konstruktiver Unterschiede und abweichender Eigenschaften und Nutzung gibt es viele verbindende Elemente. Diese ermöglichen die grundsätzliche Übertragbarkeit der Technologien und Ansätze aus der Windenergie auf den Brückenbau. 4. Was die Brücke von der WEA lernen kann 4.1 Lektion 1: Historie ist wichtig für die Zukunft! Für WEA existieren fertige Lösungen für verschiedene Überwachungsszenarien. Die Systeme werden bereits in der Produktionsphase der Anlage oder bei deren Errichtung eingebaut und in Betrieb genommen. Die Dauerüberwachung beginnt mit der ersten Betriebsstunde (teilweise schon während des Rammprozesses der Gründung) und wird bis zur Abschaltung (20/ 25 Jahre) kontinuierlich betrieben. So sind zu jeder Zeit Aussagen über Lasten und Zustand von Struktur, Blättern und Maschinen möglich, welche dann mithilfe von Modellen auf den Park übertragen werden können. Brücken hingegen werden für 100 Jahre Betriebsdauer geplant. In den ersten Jahren nach der Errichtung können interessante Effekte durch Kriech- und Schwindeffekte sowie Setzerscheinungen entstehen, dann folgt in der Regel eine eher ruhige Phase, in der die Brücke weitestgehend mängelfrei betrieben werden kann. Wenn erste Schäden bei der handnahen Prüfung sichtbar werden, sind meist auch schon unsichtbar Veränderungen aufgetreten, die sich nachträglich nur schwer oder nicht mehr messtechnisch erfassen lassen. Daher greift man in diesen Fällen zur Nachrechnung. Sie hilft, unter Zugrundelegung aller Randbedingungen (Lastmodelle, Lasten, Schäden, etc.) den Zustand und die zu erwartende Restlebensdauer zu bestimmen. Dabei entsteht in der Regel ein konservativ gerechnetes Ergebnis, da Annahmen - beispielsweise für Verkehrslasten - getroffen werden müssen und man die Historie des Bauwerks nicht sicher kennt. Es ist naheliegend, die Unsicherheiten aus dem fehlenden Wissen zur Bauwerkshistorie künftig zu beseitigen und damit die Datenbasis für notwendige Nachrechnungen deutlich zu verbessern, indem man bereits in frühen Lebensphasen Messungen durchführt. Ein zielführender Ansatz wird durch das periodische Messen (Abb. 1) beschrieben. Hierbei wird nach der Errichtung im Rahmen der Bauabnahme eine Nullmessung (dynamisch und geometrisch) durchgeführt, um zu prüfen, wie Designannahmen und Modellgrößen mit der Realität übereinstimmen. Bei der Erfassung der Geometrie, beispielsweise mittels Drohne, entsteht ein digitaler 3D-Zwilling, der - über das Designmodell gelegt - geometrische Abweichungen und Toleranzen sichtbar macht. Deren Auswirkungen auf den Betrieb und die Dauerhaftigkeit des Bauwerks können damit bewertet werden. Bei der späteren Beurteilung von Schadensbildern helfen diese Resultate bei der Ursachenforschung. Die Messungen können vor Ablauf der Gewährleistungszeit und anschließend bei jeder zweiten Hauptprüfung wiederholt werden, sodass sich ein zusammenhängendes Bild über die gesamte Betriebszeit ergibt. Erst bei Auftreten standsicherheits- oder dauerhaftigkeitsrelevanter Veränderungen/ Schäden ergänzen Dauermesssysteme die periodischen Messungen. Abb. 1: Schematische Darstellung periodischer Messungen an Brücken 4.1.1 Exemplarische Beispiele zu Lektion 1 1. Die Schäden an einer WEA sind anfangs nicht sichtbar, aber messbar! 220 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann Abb. 2: Visualisierung von Ermüdungslasten an einer WEA 2. Im Rahmen der Umsetzung des o.g. Konzeptes periodischer Messungen wurde an der Hochmoselbrücke im Anschluss an die erste Hauptprüfung eine Nullmessung zur Dokumentation der dynamischen Eigenschaften durchgeführt. Abb.: 3: Exemplarische Ergebnisse dynamische Messung 4.2 Lektion 2: Eingeschränkte Zugänglichkeit ist ein Innovationstreiber! Die Zustandsüberwachung von Rotorblättern und Tragstruktur, insbesondere von Offshore-WEA, ist eine große Herausforderung. Ähnlich der Pfeilerprüfung bei Brücken müssen die Blätter und Türme beklettert und vollständig geprüft werden (bis 1.000 m²/ WEA). Dafür muss die Anlage stundenweise die Produktion stoppen, was zu wirtschaftlichen Verlusten führt. In den letzten Jahren setzten sich Dauermess-Systeme durch. Sensoren erfassen sowohl die Umwelteinflüsse (Lasten) als auch Strukturantworten (Schwingungen, Verformungen). Aus Zeitreihen werden verschiedene KPIs (Key-Performance-Indikatoren) abgeleitet. Eine wesentliche Information ist die Ermittlung von Ermüdungsbeanspruchungen mittels Rainflow-Analyse [5]. Wölfel hat ein zertifiziertes Verfahren entwickelt, um aus Beschleunigungsmessungen in Verbindung mit einem Digital Twin segmentweise die Beanspruchungen am Turm und Fundament sehr kostengünstig bestimmen zu können, die dann mit Designannahmen verglichen werden können [6]. Intelligente Algorithmen verknüpfen anschließend die Daten zu Schädigungskollektiven und leiten daraus Lebensdauerprognosen für die Strukturen ab (siehe Lösungen zu Lektion 2). Seit einiger Zeit unterstützen Drohnen erfolgreich die wiederkehrende Prüfung von Rotorblättern. Verschiedene optische Sensorsysteme erkennen Schadstellen (Risse, Delamination). Handnahe visuelle Inspektionen durch Seilkletterer und die damit verbundenen Stillstandszeiten können so deutlich reduziert werden. Auch Bereiche von Hang-, Fluss- und hohen Talbrücken sind für Bauwerksprüfer oft schwer erreichbar. Die benötigte Zugangstechnik (Gerüste, Untersichtgeräte) ist teuer, Verkehrseinschränkungen oft unumgänglich. In vielen Forschungsprojekten wurden Bauwerke bereits beflogen, wobei der Fokus auf Verformungsmessungen, Rissbildanalysen und thermischen Untersuchungen (auch Erkennen von Feuchte) lag. Eine praxisorientierte Lösung für unzugängliche Brücken- oder Teilbauwerke stellt beispielsweise die Befliegung ergänzend zur periodischen Messung in Lektion 1 oder die Kamera-Befahrung hoher Hohlpfeiler dar. Die Tätigkeit der hochqualifizierten Prüfer lässt sich so auf die Prüfschwerpunkte lenken. Um die Technologie abschließend beurteilen zu können, sollten geeignete Brückenbauwerke gefunden und beflogen werden (Siehe Lösungen zu Lektion 2). Die Ergebnisse erlauben die Validierung des Verfahrens hinsichtlich Zuverlässigkeit, Genauigkeit und Wetterabhängigkeit, wodurch eine Überführung in die Regelwerke schneller möglich wird. 4.2.1 Exemplarische Beispiele zu Lektion 2 1. WEA: Der Turm wird in Höhen- und Winkelsegmente geteilt, in jedem Segment werden die Ermüdungsbeanspruchungen ermittelt, welche sich zum Gesamtlebensdauerverbrauch aufsummieren (siehe auch Lösungen zu Lektion 3) 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 221 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann Abb. 4: Segmentweise Ermüdungslastermittlung bei Windenergieanlagen mittels SHM.Tower 2. Brücke: Nach der Verkehrsübergabe im Winter 2019 wurde im Frühjahr 2020 die Hochmoselbrücke beflogen. Ziel war eine Georeferenzierung und bildgestützte geometrische 3D-Rekonstruktion des Bauwerks als Grundlage für wiederkehrende Bauwerksprüfungen. Außerdem wurden an verschiedenen Stellen Risse aufgenommen. Abb. 5: Befliegung der Hochmoselbrücke 4.3 Lektion 3: Standardisierung ermöglicht die Übertragbarkeit von Ergebnissen (Fleet Management)! Zustände miteinander vergleichen hier kann die Windenergieanlage auch von den Brücken lernen! Vorgaben zum ergänzenden Einsatz von Messtechnik waren bereits in den ersten Konstruktions-Richtlinien für Offshore- WEA enthalten. Aufgrund des hohen Standardisierungsgrades der WEA wird bisher jedoch nicht an allen Anlagen eines Offshore-Parks ein Strukturmonitoring umgesetzt, sondern nur an etwa jeder zehnten Anlage. Ausgewählt werden Anlagen mit erhöhten Risiken und Einwirkungen (höhere Wellen, tiefere oder weichere Gründung, mehr Wind, etc.). Die ermittelten Performance-Indikatoren geben durch Vergleich mit den Designannahmen Auskunft über die verbrauchte Betriebszeit und werden durch Parkmodelle und Annahmen auf die nicht gemessenen Anlagen übertragen. Durch Einsatz von KI und entsprechenden (Kurzzeit)-Vergleichsmessungen werden die Modelle und damit die Korrelationen zunehmend besser. Ziel ist es jedoch, künftig maßgeschneiderte kompakte Mess-Systeme an allen Anlagen zu haben, um die individuellen Charakteristika besser berücksichtigen zu können. Die flächendeckende Prüfung von Brücken basiert im Wesentlichen auf der DIN 1076 sowie den Richtlinien zur Bauwerkserhaltung RI-ERH-ING [7]. Am Ende des Prüfprozesses steht eine bauwerksindividuelle Zustandsnote, die unter Berücksichtigung bestimmter Rahmenbedingungen beispielsweise als Substanzkennzahl durchaus eine netzweite Vergleichbarkeit der Bauwerkszustände ermöglicht. Dabei sind die Zustandsnoten ein seit Jahrzehnten etabliertes System, was aufgrund seiner Langzeiterfahrung zu validen Ergebnissen führt. Die Dokumentation erfolgt mit Hilfe der SIB-Bauwerke-Software. Analysen sind möglich, jedoch schwierig und zeitaufwendig. Eine Novellierung ist zwingend notwendig und steht mit der Version SIB Bauwerke 2.0 bevor. Das Strukturmonitoring an Brücken ist leider noch so selten, so schwachstellen- und so bauwerksbezogen, dass eine Übertragbarkeit von Ergebnissen auf andere Bauwerke derzeit nahezu unmöglich ist. Lediglich die Wirksamkeit der Methoden wird im Rahmen der Projekte nachgewiesen, aber Standard-Lösungen für vergleichbare Messaufgaben gibt es nicht [8]. Dabei helfen sie, die subjektiv variierenden Zustandsnoten zu objektivieren, was insbesondere bei der Prognose der Restnutzungsdauer wichtig wäre. Einen Einstieg in dieses Thema markiert das Forschungsprojekt BrAssMan, bei dem für Brücken vergleichbarer Bauart mit ähnlichem Alter und ähnlichen Schadensbildern Standardlösungen entwickelt werden. So sollen Unterschiede in Performance und Tragreserven offengelegt und die Auswirkungen im gesamten Fernstraßennetz bewertet werden können. 4.3.1 Exemplarische Beispiele zu Lektion 3 1. Das Strukturmonitoring an jeder WEA im Windpark erlaubt es, das statische und dynamische Tragverhalten zu beurteilen und Unterschiede von Ermüdungsbeanspruchungen festzustellen [9]. Der Betrieb kann optimiert (z.B. Unwuchterkennung), die Lebensdauer verlängert werden (Fleet Management). Abb. 6: SHM.Tower (messdatenbasierte Lebensdauerverteilung verschiedener WEA) (DEL = Damage Equivalent Load) 222 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann 2. Forschungsprojekt BrAssMan (Bridge Asset Management): Das Projekt geht davon aus, dass eine Vergleichbarkeit von Brücken mit ähnlichen Tragstrukturen bzw. Eigenschaften einfacher herzustellen ist, als eine Standardisierung über alle Brückenarten. Daher wird der Bestand nach Brücken gleicher Bauart, ähnlicher Altersstruktur und ähnlicher Nutzung geclustert. Für Teile dieser Brücken, welche sich über einheitliche Modelle abbilden lassen, werden vergleichbare Key Performance Indikatoren (KPI) und standardisierte Messkonzepte entwickelt. Ziele: • Ermittlung ZUSÄTZLICHER Informationen (inkl. Vergleichbarkeit mit Zustandsnoten) • Ermittlung ERSETZENDER Informationen (inkl. Vergleichbarkeit mit Zustandsnoten) • Herstellen Vergleichbarkeit von KPI’s der Brücken gleichen Clusters • Prüfen Vergleichbarkeit von KPI‘s der Brücken unterschiedlicher Cluster Abb. 7: Vergleichbarkeit von Zustandskenngrößen iterative Lösungsfindung in BrAssMan 4.4 Lektion 4: Ingenieure wissen viel, Maschinen rechnen schnell! In der Herangehensweise der Ingenieure spielen mechanische Modelle eine wichtige Rolle. Diese werden mit Eingangsgrößen gefüttert, die vom Modell gelieferten Ergebnisse werden dann bewertet. Dabei bietet die Kenntnis des Modells hohe Transparenz, es ist jedoch meist unvollständig und bildet die Realität im Regelfall nur näherungsweise ab. Modelle sind mehrdimensional, die Anzahl der Parameter ist jedoch begrenzt. Künstliche Intelligenz (KI) basiert auf der Analyse der Realität. Die Übertragungsfunktion (Modell) zwischen Ein- und Ausgangsgrößen wird gesucht. Die Methoden erlauben hochdimensionale Betrachtungen, die Zuverlässigkeit der Aussagen hängt jedoch vom Betrachtungszeitraum ab. Oft gibt es auch keine Antwort. Abb. 8: Die zwei Paradigmen zur Problemlösung Der Einsatz von KI kann die Aussagekraft eines Kennwertes nochmals deutlich verbessern, ersetzt aber nicht die Analyse und Modellierung mithilfe der Physik und des Ingenieurwissens. Die Methoden des maschinellen Lernens bieten wertvolle Zusatznutzen hinsichtlich der Ausschöpfung des vollen Informationsgehaltes der Messdaten. Die Nachweise für die Grenzzustände von Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit basieren für WEA und Brücken auf den gleichen ingenieurtechnischen Verfahren und Herangehensweisen. Messungen im Rahmen der Nachweisführung erfordern daher die Ermittlung ähnlicher Kennwerte, die sich aus Größen wie Schiefstellung, Verformung, Beulen, Schwingspielen und -amplituden ergeben. Neben den Ingenieurmodellen kommen zunehmend KI-Methoden zum Einsatz. 4.4.1 Exemplarische Beispiele zu Lektion 4 1. Die Schiefstellung einer WEA hat Auswirkungen auf die Gebrauchstauglichkeit. Für eine Beurteilung ist meist der quasistatische Anteil der Neigung von Interesse, der jedoch durch äußere Einwirkungen (insb. Wind) im Regelfall um ein Vielfaches von den dynamischen Anteilen aus dem Betrieb maskiert wird. Kurzzeitige Messungen im Zuge der wiederkehrenden Prüfung sind kaum geeignet verlässliche Ergebnisse hierfür zu liefern. Neben deterministischen Verfahren nutzen wir insbesondere mittels KI trainierte Modelle zur Kompensation der äußeren Einflüsse, um hohe Genauigkeiten und Sensitivitäten zu erreichen. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 223 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann Abb. 9: Neigung = f (Leistung, Wind, Azimut, Temp.) - Ingenieurmodell vs. KI-Methode 4.5 Lektion 5: Viele Daten, wenig Information? ! Bei der Messung insbesondere schnell veränderlicher Vorgänge am Bauwerk entstehen große Datenmengen. Je nach Abtastrate und Auflösung entstehen schnell mehrere Hundert Megabyte Rohdaten pro Monat. Ziel jeder Datenanalyse ist es, aus den monatlich auflaufenden Daten die für das Auslösen einer Aktivität notwendigen Informationen zu selektieren. Die Umsetzung erfolgt über mehrere Prozessschritte auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Umgebungen. Zu beachten ist, dass es im Rahmen der Beweissicherung notwendig sein kann, Daten (auch Rohdaten) über längere Zeiträume aufzuheben. Daher ist die Erarbeitung eines Konzeptes für Datenerhebung, Datenreduktion, -selektion und -bevorratung notwendig. 4.5.1 Exemplarische Beispiele zu Lektion 5 1. Noch vor dem Weitertransport der Daten eines Windparks ist eine edgeseitige Datenreduktion und Datenselektion im Regelfall geboten. Hierfür werden die Daten aller WEA über glasfaserbasierte Bussysteme zusammengeführt, plausibilisiert, analysiert und die Features (zum Beispiel Neigung oder Verformung) in einfach übertragbare Übergangsgrößen umgerechnet (zum Beispiel Min., Max., Mittelwert). Es werden dabei nur die für die Informationsgewinnung notwendigen Daten selektiert und gesichert. In einem nächsten Schritt werden auf einer Analyse-Plattform (Server, Cloud) durch Anwendung von Physik und Ingenieurwissen (Algorithmen) sowie Machine Learning (KI- Methoden) [10] Key Performance Indikatoren generiert, welche aufgrund ihrer hohen Aussagekraft Basis für die letzte Phase sind in der Betriebszentrale löst ein Algorithmus, der entsprechende Aktivitäten- und Meldungspläne repräsentiert, eine Warnung bzw. einen Alarm, die dann, nach einer Plausibilisierung, entsprechende Maßnahmen (Abschaltung, Sperrung, Serviceeinsatz, etc.) auslöst. Abb. 10: Schematische Darstellung von Datenanalyse und Datenreduktion Zum besseren Verständnis der Daten und einer Absicherung der Entscheidung durch den Betreiber ist eine nutzerfreundliche und übersichtliche Visualisierung der gerechneten Ergebnisse unerlässlich. Abb. 11: gezielte Datenreduktion durch KI 224 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann 4.6 Lektion 6: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser! Obwohl Messungen an Brücken meist erst initiiert werden, wenn die Prüfingenieure allein die Sicherheit nicht mehr nachweisen können, werden die meisten Messprojekte öffentlich ausgeschrieben und oft einzig unter Zugrundelegung des angebotenen Preises vergeben. Die Spezifikationen der Aufgabe und der Erwartungen sind oft unvollständig, was zu großen Preisspannen bei den Angeboten, wichtiger aber zu völlig unbekannten Qualitätsunterschieden bei der Umsetzung und damit Risiken bei der Bewertung der Ergebnisse führt. Jeder Anbieter kann eigene HardundSoftware programmieren und einsetzen, ohne dass unabhängige Stellen deren Funktion überprüft haben. Notwendig wird daher die Definition von Mindeststandards für Lieferanten, Mess-Systeme und Algorithmen! Ein erster ernst zu nehmender Schritt in Richtung Normierung von messtechnischen Anwendungen gelang 2018 mit dem Merkblatt des DBV „Brückenmonitoring - Planung, Ausschreibung und Umsetzung“ [11]. Es unterstützt die Betreiber bei der Umsetzung von Projekten, gibt aber keinerlei technischen Rahmen für Überwachungssysteme oder Lösungen vor. Technische Hilfestellung wird die derzeit überarbeitete DGZfP-Richtlinie B9 „Automatisierte Dauerüberwachung im Ingenieurbau“ bieten. Auch eine Technische Richtlinie ist bereits konzeptionell in Vorbereitung beim Normenausschuss DIN/ VDI. Parallel dazu ist es notwendig, die verwendeten Algorithmen hinsichtlich ihrer Aussagekraft zu bewerten, um die Richtigkeit der Ergebnisse sicher zu stellen. Im Bereich der Windenergie ist es üblich, dass nahezu alle eingesetzten Systeme und Lösungen, aber auch das Strukturdesign von unabhängigen Institutionen zertifiziert werden. Das führt zunächst zu zusätzlichen Kosten, die aber durch eine Sicherstellung der Einhaltung von Mindeststandards im Zuge des Betriebes mehr als ausgeglichen werden. 4.6.1 Exemplarische Beispiele zu 6 1. Zertifizierungen von messtechnischen Lösungen von der Sensorik über das Datenmanagement bis hin zur Plausibilität der Ergebnissen sind im Windenergiemarkt üblich. Abb. 12: SHM.Tower - Zertifizierung nach DNVGL-SE-0439 [12] 5. Fazit Konstruktive Unterschiede gibt es und sie spielen bei der Auswahl der Methoden eine Rolle. Aber wie groß ist der „kleine Unterschied“ zwischen Windenergieanlagen und Brückenbauwerken wirklich? Welche Ansätze aus dem Bereich Windenergie sind für das Brückeningenieurwesen adaptierbar, welche müssen einer wissenschaftlichen Prüfung unterzogen werden? Mobilität wird komplexer langfristige Verkehrsprognosen werden schwieriger. Immer neue und unberechenbare Nutzungsszenarien (Platooning, Gigaliner, illegale Überlasten, Grenzlastbetrieb) erfordern mehr Wissen über die Verkehrsinfrastruktur. Der Einsatz intelligenter Überwachungssysteme ist daher notwendig, um die künftigen Herausforderungen moderner Mobilität zu bewältigen. Wichtig ist die schnelle Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen für den flächendeckenden Einsatz der erfolgreich getesteten Technologien. Dabei hilft der Blick auf Branchen, in denen Monitoring und KI längst Stand der Technik sind! 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 225 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann 6. Literaturangaben [1] DIN 1076, Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung, Ausgabe 1999 [2] Jens Kühne, Jennifer Rudloff-Grund: Messkonzepte und teilstandardisierte Ausstattung von Brücken mit Messtechnik, TAE, 3. Brückenkolloquim, Fachtagung für Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken, 2018 [3] VDI, Richtlinie 4551, Strukturüberwachung und -beurteilung von Windenergieanlagen und Offshorestationen, Ausgabe 2020 [4] VDI, Richtlinie 3834, Messung und Beurteilung der mechanischen Schwingungen von Windenergieanlagen und deren Komponenten - Windenergieanlagen mit Getriebe, Ausgabe 2015 [5] Kraemer, Peter: Schadensdiagnoseverfahren für die Zustandsüberwachung von Offshore-Windenergieanlagen“, Siegen 2011 [6] Nuber, Andreas; Friedmann, Herbert; Häckell, Moritz; Kraemer, Peter: Offshore foundation monitoring - from R&D to an industrial application, Vortrag 7. Gigawind Symposium, 2017, Hannover [7] Bundesanstalt für Straßenwesen, Richtlinien für die Erhaltung von Ingenieurbauten (RI-ERH-ING), Ausgabe 2017 [8] S. Dabringhaus, P. Haardt: Infrastruktur im Wandel - Die Intelligente Brücke, 6. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken, TAE Esslingen 2019 [9] Ebert, Carsten; Friedmann, Herbert: Offshore- Strukturmonitoring-Systeme zur Überwachung von Fundamenten und Grout-Verbindungen - Erfahrungen aus der Praxis und aus aktuellen Forschungsprojekten, Vortrag im Workshop „Groutverbindung in der Betriebsphase“ am 22. März 2017 bei Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, BAM, Berlin [10] Smarsly, K., Dragos, K., & Wiggenbrock, J.: Machine learning techniques for structural health monitoring. In Proceedings of the 8th European Workshop on Structural Health Monitoring, EWSHM 2016, Bilbao, Spain [11] DBV, Merkblatt „Brückenmonitoring - Planung, Ausschreibung und Umsetzung“, Ausgabe 2018 [12] DNVGL-SE, Certification of Condition Monitoring, 2016 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 227 Intelligente Brücke: Datenaufbereitung und -analyse mittels modell- und datenbasierter Ansätze Sarah Dabringhaus Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, Deutschland Zusammenfassung Ziel des bei der BASt eingerichteten Themenschwerpunkts „Intelligente Brücke“ ist die Entwicklung von Lösungen, die es gestatten, relevante Informationen direkt am Bauwerk zu erfassen sowie ganzheitlich zu bewerten und für ein prädiktives Erhaltungsmanagement bereitzustellen. Voraussetzung dafür ist die Erzeugung hochqualitativer und plausibler Daten. Sowohl modellals auch datenbasierte Ansätze können dazu ihren Beitrag leisten. Durch eine Kombination beider Ansätze sollen zukünftig die Stärken eines jeden Ansatzes weit möglichst durch die Potenziale des anderen Ansatzes unterstützt werden. 1. Einleitung Das Netz der Bundesfernstraßen (BfSt) umfasst derzeit knapp 40.000 Brücken mit einer Brückenfläche von rund 31 Mio. m² (Bundesanstalt für Straßenwesen 2020). Durch regelmäßige Bauwerksinspektionen, die vornehmlich aus visuellen Prüfungen zur Erfassung von Schäden und Mängeln bestehen, werden Bauwerke der BfSt hinsichtlich Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit bewertet und ggf. erforderliche Maßnahmen zur Sicherstellung der Verfügbarkeit abgeleitet. Ein Großteil von Schäden entsteht im Inneren der Brückenkonstruktion. Diese werden meist erst bei fortschreitender Schädigung sichtbar und damit für einen Bauwerksprüfer als Grundlage für die Erhaltungsplanung erfassbar. Aus diesem Grund wird das derzeitige Erhaltungshaltungsmanagement für Brücken als reaktiv bezeichnet (Dabringhaus und Haardt 2019). Zu den aktuellen Herausforderungen der BfSt gehören vor allem steigende verkehrsbedingte und klimatische Einwirkungen sowie die Altersstruktur der Brücken, die mehrheitlich in den 1960er und -80er Jahren errichtet wurden (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur 2015). Um die Verfügbarkeit von Verkehrswegen langfristig bestmöglich sicherzustellen und den wachsenden Mobilitätsanforderungen gerecht werden zu können, gilt es vor allem den Herausforderungen adäquat zu begegnen und Voraussetzungen für vorausschauendes Handeln zu schaffen (Dabringhaus und Haardt 2019). Dafür wurde in der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) 2011 der Forschungsclusters „Intelligente Brücke“ ins Leben gerufen. Seither werden hierzu umfassende Konzeptionen und Machbarkeitsstudien erstellt, Messsysteme und Strategien zur Auswertung der erfassten Daten entwickelt, unter Realbedingungen erprobt, bewertet und weiterentwickelt. Dabei gilt es vor allem auch die durch die digitale Transformation entstehenden technologischen Entwicklungen für die Intelligente Brücke im Hinblick auf ihre Anwendbarkeit zu bewerten. Moderne Datenanalyseverfahren bzw. ihre Kombination mit klassischen Methoden der Datenanalyse und -bewertung gewinnen dabei zunehmend an Bedeutung. 2. Die Intelligente Brücke Die „Intelligente Brücke“ ist ein modulares System, das permanent in nahezu Echtzeit maßgebliche Messgrößen hinsichtlich Bauwerkseinwirkungen und -reaktionen erfasst, analysiert und ganzheitlich bewertet. Die hiermit gewonnenen Informationen können als Grundlage für ein prädiktives Lebenszyklusmanagement dienen. Die Realisierung einer Intelligenten Brücke ist sowohl beim Neubau als auch bei Bestandsbauwerken mit ausreichend hoher Restnutzungsdauer möglich. Hierbei stehen Brückenbauwerke mit großer Bedeutung für das Bundesfernstraßennetz und/ oder repräsentative Bauwerke im Vordergrund. Die Intelligente Brücke behandelt vordergründig objektspezifische Fragestellungen. Bestimmte Erkenntnisse können dabei ggf. auch auf den Teil-/ Gesamtbestand übertragen werden. Das Konzept der Intelligenten Brücke hebt sich vor allem durch eine ganzheitliche Bewertung und eine im Rahmen der Nutzungsdauer zeitlich unbegrenzte Bauwerksüberüberwachung vom herkömmlichen Bauwerksmonitoring ab. Der Begriff „Monitoring“ beschreibt hingegen den Gesamtprozess zur Erfassung, Analyse und Bewertung von Bauwerksreaktionen und einwirkenden Größen über einen repräsentativen Zeit- 228 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Intelligente Brücke: Datenaufbereitung und -analyse mittels modell- und datenbasierter Ansätze raum (Deutsche Beton- und Bautechnik-Verein E.V. 2018). In der Regel stehen die Überwachung bekannter Schäden im Fokus mit dem Ziel der Bewertung der Zuverlässigkeit und des Risikos der Bauwerksnutzung (Structural Health Monitoring). Zu den Kernkomponenten des Konzepts der Intelligenten Brücke zählt die Sensorik, Datenaufbereitung, -analyse, -bewertung und -management sowie eine Informationsplattform für den Betreiber. Das grundlegende Zusammenwirken dieser Komponenten ist in Bild 1 schematisch dargestellt. Mittels installierter Sensoren können Bauwerksreaktionen erfasst werden und Einwirkungen sowie das Widerstandsverhalten abgeleitet werden. Hierbei können sowohl drahtgebundene als auch drahtlose Sensornetzwerke zum Einsatz kommen. Zusätzlich können auch Sensordaten herangezogen werden, die nicht am Bauwerk installiert sind, wie z.B. Wetterdaten einer nahegelegenen Wetterstation. Die Aufbereitung und Analyse von Daten mit dem Ziel der Erzeugung hochqualitativer, plausibler Daten ist für die Bewertung der Daten von großer Bedeutung. Hierbei können sowohl physikalische Modelle als auch statistische Methoden zum Einsatz kommen. Durch die Einbindung aufbereiteter und analysierter Messdaten in Ingenieurmodelle können der Zustand und die Zuverlässigkeit eines Bauwerks und seiner Bauteile bestimmt und Aussagen über die Restlebensdauer abgeleitet werden. Anhand einer Informationsplattform sollen alle für den Betreiber relevanten Informationen zum Zustandsverlauf des Bauwerks und seiner Bauteile angezeigt werden. Bei relevanten Veränderungen soll der Bauwerkstreiber zeitnah beispielsweise per Mail oder SMS informiert werden. Ein Datenmanagement für die Intelligente Brücke ist unerlässlich, um im laufenden Betrieb eine optimale Nutzung der Daten in Bewertungsmodellen in nahezu Echtzeit gewährleisten zu können. Bei der Intelligenten Brücke fallen große Datenmengen an, die in unterschiedlichen Prozessschritten zu verarbeiten sind, bevor sie in Bewertungsmodellen eingesetzt werden können. Ein geeignetes Datenmanagement soll sämtliche Aspekte des Datenlebenszyklus der Intelligenten Brücke, u.a. Datenerfassung, -verarbeitung, -bewertung, -speicherung und -archivierung berücksichtigen. Darüber hinaus umfasst dieses auch die Aspekte der Datenqualität, -sicherung und -schutz (Dabringhaus und Haardt 2019). Aspekte wie der Datenschutz sind z.B. bei der Erfassung von Bild/ Videoaufnahmen zur Verifikation der Fahrzeugerfassung relevant. Der Nutzen der Intelligenten Brücke besteht ergänzend zur Bauwerksprüfung vor allem im Zugewinn an Objektivität und Sicherheit, in der Verbesserung der Verfügbarkeit von Bauwerken sowie der frühzeitigen Erkennung von Verhaltensänderungen, die als Indikator für eine zuverlässigkeitsbasierte Bauwerksprüfung dienen können. Damit wird eine Grundlage für ein optimiertes, prädiktives Lebenszyklusmanagement geschaffen. Anhand gewonnener Informationen können Systemannahmen sowie das Bauteil- und Bauwerksverhalten verifiziert werden und Ingenieurmodelle überprüft werden. Ggf. können daraus Anpassungen an Bemessungsnormen erfolgen. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 229 Intelligente Brücke: Datenaufbereitung und -analyse mittels modell- und datenbasierter Ansätze Bild 1 Schema der Intelligenten Brücke 3. Datenaufbereitung und -analyse Die Datenaufbereitung und -analyse sind essenziell für die Intelligente Brücke zur Erzielung des in Kapitel 2 beschriebenen Nutzens. Zu den wesentlichen Schritten der Datenaufbereitung und -analyse zählen u.a. die Datenreduktion, die zeitliche Synchronisierung von Messdaten unterschiedlicher Messsysteme zur gemeinsamen Auswertung, die Transformation und Fusion von Messdaten sowie die Datenplausibilisierung. Um zuverlässige Aussagen über den Zustand eines Bauwerks treffen zu können, müssen vor allem plausible Daten für die Einbindung in Bewertungsmodellen vorliegen. Ziel einer Plausibilisierung ist es, Anomalien in einem Datenstrom sicher zu erkennen und diesen ggf. geeignet zu bereinigen. Zu den gewöhnlichsten Anomalien von Sensordatenströmen zählen u.a. fehlende Daten, Ausreißer und Drifts. Um eine erkannte Anomalie bewerten zu können und ggf. Schlussfolgerungen für das Bauwerk oder das Messsystem ableiten zu können, ist es wichtig, die Ursache der Anomalie zu kennen (Bao et al. 2019). Ein Sensorsignal wird in der Regel durch Bauwerksreaktionen, welche von Bauwerkseinwirkungen und -widerstand beeinflusst werden, Umwelteinflüssen sowie dem Sensorzustand und -eigenschaften bestimmt. Um Anomalien durch Sensorsignalfehler wie z.B. Sensorausfall, Alterung von Sensoren und Störeinflüsse zu erkennen, werden in der Regel bei Monitoringanwendungen redundante Messungen durchgeführt (Sawo et al. 2015). Relevante Bauwerkseinwirkungen wie Verkehr und klimatische Einflüsse werden beim Bauwerksmonitoring u.a. ermittelt, um deren Effekte in Messdaten zu kompensieren und die Messdaten zu glätten. Von besonderer Bedeutung sind die Anomalien in Messdaten, die Veränderungen im Bauwerk repräsentieren. Für die Erkennung von u.a. Anomalien können zwei grundlegend verschiedenen Vorgehensweisen, das modellbasierte sowie das rein datengetriebene und modellfreie Verfahren, unterschieden werden. 3.1 Modellbasierte und rein datenbasierte Ansätze Die konventionelle Herangehensweise ist das modellbasierte Verfahren. Hierbei stehen zur Abbildung eines Prozesses physikalische Zusammenhänge und Eigenschaften im Vordergrund. Der größte Vorteil der modelbasierten Verfahren liegt in der Nachvollziehbarkeit ihrer Ergebnisse, was vor allem für sicherheitsrelevante Bereiche der Bauwerksüberwachung von größter Bedeutung ist. Grundvoraussetzung für diese Herangehensweisen ist jedoch die Verfügbarkeit physikalischer Modelle, die die Realität möglichst genau abbilden. Entsprechende Modellierungen können zum Teil mit sehr hohem Aufwand und teilweise unbekannten Parametern verbunden sein 230 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Intelligente Brücke: Datenaufbereitung und -analyse mittels modell- und datenbasierter Ansätze (Sawo et al. 2015). Für manche Prozesse existieren derzeit noch keine Modelle, da u.a. noch kein ausreichendes Prozessverständnis zur Beschreibung von Modellen vorliegt (Thöns et al. 2015). Im Gegensatz zu den modelbasierten Verfahren liegen den rein datengetriebenen Ansätzen keine physikalischen Modelle sondern Datenmodelle zugrunde. Die Datenmodelle werden mittels Trainingsdaten aufgebaut. Grundlage für die Anwendung dieses Verfahrens ist die Verfügbarkeit großer Datenbestände, um anhand umfangreicher Trainingsdaten Datenmodelle zu erzeugen, die die Wirklichkeit so gut wie möglich abbilden und um die erzeugten Modelle evaluieren zu können. Der Einsatz von datengetriebene Ansätze bietet großes Potenzial, wenn sich die physikalischen Gesetzmäßigkeiten eines Bauwerks nicht oder nur mit einem hohem Auswand modellieren lassen. Datengetriebene Verfahren lassen sich in „überwachte“, „nicht überwachte“ und „semi-überwachte“ Verfahren unterscheiden. Beim „überwachten“ Verfahren werden die Datenmodelle anhand von Trainingsdatensätzen, deren Klassenzugehörigkeit bekannt ist, gelernt. Ein Beispiel hierfür ist die Erkennung von Schäden auf Fotos mittels eines Algorithmus, dessen Datenmodell mit Schadensfotos und den zugehörigen Schadensarten erstellt wurde. Werden Trainingsdaten ohne Label zur Erzeugung von Datenmodellen verwendet, handelt es sich um ein „nicht überwachtes“ Verfahren. Durch Mustererkennung können mit diesem Verfahren Anomalien, Defekte innerhalb eines Datenstroms sowie Zusammenhänge zwischen verschiedenen Datenströmen gefunden werden (Smarsly et al. 2016). Beispiele für datengetriebene Ansätze sind z.B. Gaußprozesse, statistische Lerntheorien, künstliche neuronale Netze, Data Mining sowie weitere maschinelle Lernalgorithmen. Für die aufgezählten Verfahren ist wenig Prozesswissen erforderlich. Jedoch ist mit diesen Verfahren eine Rückverfolgbarkeit der Ergebnisse nicht möglich. Eine weitere Herausforderung besteht in der geringen Verfügbarkeit von Daten, die einen Schädigungsfall abbilden (Sawo et al. 2015). 3.2 Simulierte Messdaten einer geschädigten Brücke Ein wesentliches Ziel des Brückenmonitorings ist die frühzeitige Erkennung relevanter Strukturveränderungen. Aufgrund des wechselnden Betriebszustandes von Brücken, der durch eine komplexe Ausprägung der Messdaten wiedergespiegelt wird, ist die Unterscheidung zwischen planmäßigen und unplanmäßigen Verhalten eine Herausforderung. Hierfür kann sowohl ein modellbasierter als auch ein rein datengetriebener Ansatz herangezogen werden. Beim modellbasierten Verfahren dienen Sensordaten zur kontinuierlichen Aktualisierung eines Finite-Elementen-Modells und ermöglichen damit eine solide Strukturanalyse. Ferner können sie auch für eine Schadenserkennung herangezogen werden. In Rahmen des mFund-Projekts „Online Sicherheitsmanagement für Brücken“ (OSIMAB) wurde u.a. eine Methode zur Modellierung von Litzen- und Spanngliedbrüchen entwickelt, die sich in ein Finite-Elemente-Modell integrieren lässt. Hierbei wurde die Wiederverankerung der Vorspannelemente berücksichtigt (Seiffert und Jansen 2019). Bei der rein datengetriebenen Vorgehensweise werden keine physikalischen Modelle für die Anomalieerkennung in Datenströmen herangezogen. Allein auf der Grundlage von Sensordaten wird zunächst ein „Normal-Modell“ des ungeschädigten Bauwerkszustands erzeugt und dieses im Laufe der Nutzungsdauer mit aufgezeichneten Sensordaten abgeglichen (Kleinert und Sawo 2020). Bei der Erstellung des „Normal-Modells“ sollten Daten über einen Überwachungszeitraum von mindestens einem Jahr herangezogen werden, um den temperaturbedingten Jahreszyklus abzudecken. Zur Unterscheidung der Ursache einer erkannten Anomalie und zur Überprüfung der Zuverlässigkeit von entwickelten Algorithmen können Daten, die während des Bauwerksbetriebs eine definierte Schädigung beschreiben, dienen. Dieser Zustand ist jedoch absichtlich kaum zu erzeugen und steht darüber hinaus im Widerspruch zum Erhalt der Bauwerks- und Verkehrssicherheit. Angesichts fehlender realer Messdaten bei unplanmäßigem Verhalten werden im Rahmen eines Projektes der BASt Kenngrößen-Zeitverläufe einer im Betrieb befindlichen Spannbetonbrücke mit einer Finiten Element Simulation erstellt. Diese werden für den ungeschädigten Zeitraum unter Berücksichtigung der Einwirkungen infolge schwankender Temperaturbeanspruchungen und Verkehrsbeanspruchungen über einen Zeitraum von 1 Jahr simuliert. Darüber hinaus werden Kenngrößen-Zeitverläufe für folgende Schadensszenarien über einen Zeitraum von 1 Monat simuliert: • lokal begrenzte und schleichend zunehmende Schädigung : Korrosion der Bewehrung im Überbauquerschnitt • lokal begrenzte und plötzlich eintretende Schädigung: Bruch eines oder mehrerer Spannglieder im Verbund • global wirkende und schleichend zunehmende Schädigung: Lagerversteifung Die erzeugten künstlichen Messdaten für das planmäßige und unplanmäßige Verhalten sollen ein Hilfsmittel für weitere Forschung zur Entwicklung bzw. Weiterentwicklung bereits vorhandener datengetriebener Algorithmen sowie zur Validierung bezüglich ihrer Zuverlässigkeit zur Früherkennung von unplanmäßigen Veränderungen im Systemverhalten dienen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die simulierten Daten von der Güte des FE-Modells abhängen und die Realität nicht in Gänze wirklichkeitsgetreu abbilden können. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 231 Intelligente Brücke: Datenaufbereitung und -analyse mittels modell- und datenbasierter Ansätze 3.3 Konzept für die algorithmisch gestützte Sensordatenanalyse Mit einer Datenanalyse wird das Ziel verfolgt, relevante Informationen und Wissen aus Sensordaten abzuleiten. Datengetriebene Ansätze bieten ergänzend zu den konventionellen Methoden das Potenzial ohne explizites Vorwissen bisher unbekannte Zusammenhänge in Daten zu erkennen. Im Rahmen des von der BASt beauftragten Projekts „Intelligente Brücke - Verfahren zur Auswertung, Verifizierung und Aufbereitung von Messdaten“ wurde u.a. ein Konzept für die rein algorithmisch gestützte Sensordatenanalyse entwickelt mit dem Ziel, mögliche Zusammenhänge zwischen verschiedenen Datenströmen halbautomatisch zu erkennen ohne eine explizite Modellierung durch ein physikalisches Modell vorauszusetzen. Hiermit sollen Bauingenieure bei der Datenbewertung komplexer Bauwerksüberwachungen mit großen Datenbeständen zusätzlich zu den konventionellen Methoden unterstützt werden (Kleinert und Sawo 2020). Der schematische Ablauf des erarbeiteten Konzepts für die Analyse einzelner Datenströme ist in Bild 2 dargestellt. Bild 2 Ablauf der algorithmisch unterstützten Sensordatenanalyse (Kleinert und Sawo 2020) Voraussetzung für das erarbeitete Vorgehen ist die Verfügbarkeit von an einem Bauwerk erhobenen Messdaten, die in zeitlich synchronisierter Form und einem einheitlichen Format vorliegen. In einem ersten Schritt werden die zu untersuchenden Daten vorverarbeitet. Ziel der Vorverarbeitung ist die Extraktion relevanter Merkmale von Ausschnitten eines Datenstroms, die für eine vorliegende Fragestellung relevant sind. Bei dieser Vorgehensweise ist nur ein geringer Speicherbedarf und Rechenleistung erforderlich. Eine Herausforderung dahingegen besteht darin, eine minimale systematische Verzerrung (Bias) zu erzielen, so dass alle relevanten Merkmale erfasst werden. Zunächst werden die Signale einer Medianfilterung unterzogen, um Einflüsse von Prozessen mit zeitlich langsamer Veränderung zu separieren. Die Detektion von Merkmalen erfolgt durch die Bestimmung von lokal-dominanten Maxima im gefilterten Signal. Beim Schritt der Fensterung wird ein Ausschnitt des Signalverlaufs symmetrisch um das lokal-dominante Maximum ausgeschnitten. Die Fenstergröße wird automatisch über eine Skalenraumanalyse ermittelt und anschließend erfolgt eine Merkmalsextraktion. Der Einbettungsschritt beinhaltet eine Dimensionsreduktion und eine Transformation der Merkmalsdeskriptoren, so dass diese von den folgend eingesetzten Gruppierungsmethoden gut erkannt werden und Zusammenhänge in den Daten sichtbar werden. Vor allem Verfahren wie das „t-Distributed Stochastic Neighbor Embedding“ (t-SNE) oder das „Autoencoder“ Verfahren können nicht-lineare Zusammenhänge abbilden und sind als Einbettungsverfahren geeignet. Der nächste Schritt beinhaltet die Zusammenfassung von ähnlichen Merkmalen zu Gruppen. Die Anzahl an Gruppen kann auf die Anzahl an unterschiedlich ablaufenden Prozessen hindeuten. Sind keine scharf abgegrenzten Klassen erkennbar, weist dies auf eine geringe Güte der Einbettung hin. Geeignete Verfahren hierfür sind z.B.: „k-means“, „Dirichlet-Process means“ und „Density-based spatial clustering of aplications with noise” (DBSCAN). Der letzte Schritt wird als Attribuierung bezeichnet und beinhaltet die Einfärbung der eingebetteten Merkmale auf Grundlage einer weiteren Datenquelle. In diesem Schritt ist eine ausreichende zeitliche Synchronisation eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Attribuierung. Das vorgestellte Konzept wurde anschließend erweitert, um eine kombinierte Auswertung mehrere Sensorsignale zu realisieren. (Kleinert und Sawo 2020). Zur Demonstration des erarbeiteten Konzepts zur halbautomatischen Erkennung möglicher Zusammenhänge zwischen verschiedenen Datenströmen ohne eine explizite Modellierung (vgl. Bild 2) wurde ein einfaches und offensichtliches Beispiel ausgewählt. Für das Beispiel wurden Messdaten aus der Pilotstudie „Intelligente Brücke im digitalen Testfeld Autobahn“ herangezogen. Bei dieser Pilotstudie handelt es sich um ein 2016 neuerrichtetes Ersatzbauwerk im Autobahnkreuz Nürnberg, das mit verschiedenen im Rahmen der BASt-Forschung entwickelten Bausteinen zu Demonstrations- und Weiterentwicklungszwecken ausgestattet wurde. An dem Bauwerk wurde ein Bauwerksinformationssystem, ein drahtloses Sensornetzwerk, instrumentierte Lager und Fahrbahnübergang installiert. Eine Besonderheit des instrumentierten Fahrbahnübergangs ist, dass dieser für die zwei Fahrspuren getrennt ist. Im Rahmen von verschiedenen Forschungsprojekten werden u.a. Strategien zur Datenauswertung für die verschiedenen Messsysteme entwickelt. Beim instrumentierten Fahrbahnübergang stehen dabei v.a. die Ableitung von Informationen hinsichtlich des Verkehrs sowie dessen Funktionsüberwachung im Fokus. Für die Demonstration wurden Messdaten eines Beschleunigungssensors an einer Lamelle der linken 232 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Intelligente Brücke: Datenaufbereitung und -analyse mittels modell- und datenbasierter Ansätze Fahrspur herangezogen und zwei unterschiedliche Gruppierungsverfahren untersucht. Im ersten Fall wurde das t-SNE Verfahren auf vorverarbeitete Spektren angewendet und die Merkmalsvektoren damit in die Ebene abgebildet. Anschließend wurden die Merkmalsvektoren in Abhängigkeit von der Überfahrt auf der linken oder rechten Fahrspur eingefärbt, siehe Bild 3. Die Informationen über die Zuordnung der Fahrspur zur Einfärbung der Merkmalsvektoren wurden aus einem zusätzlichen Datensatz herangezogen. Das Maß an Übereinstimmung einer Einfärbungsfläche und eines Clusters kann auf die Güte des Zusammenhangs zwischen Einfärbungsattribut und durch den Cluster repräsentierten Signalverlauf hinweisen. Im zweiten Fall wurden die entsprechend zum ersten Fall eingebetteten Daten automatisch mittels des DBSCAN Algorithmus gruppiert, siehe Bild 4. Der Vergleich von Bild 3 und Bild 4 zeigt eine gute Übereinstimmung des Gruppierungsergebnisse sowie der gefundenen Fahrzeugüberfahrten auf der rechten und linken Fahrspur mittels des DBSCAN-Algorithmus (Kleinert und Sawo 2020). Bild 3 Eingebettete Merkmale eingefärbt nach Fahrspur (grün: Überfahrt links, blau: Überfahrt rechts, rot: nicht zugeordnet), (Kleinert und Sawo 2020) Bild 4 Eingebettete Merkmale eingefärbt nach Gruppierung durch den DBSCAN Algorithmus (rot: Ausreißer), (Kleinert und Sawo 2020) Das Beispiel deutet darauf hin, dass das Beschleunigungssignal des linken Fahrbahnübergangs trotz der Trennung der beiden Fahrbahnübergänge sowohl von Überfahrten auf der linken als auch auf der rechten Fahrspur beeinflusst wird. Hierbei handelt es sich um einen offensichtlichen Zusammenhang. In der Regel sind die physikalischen Vorgänge in einem Bauwerk sehr komplex. Daher wird eine große Expertise bei der Interpretation von gefundenen möglichen Zusammenhängen und ihrer Evaluierung hinsichtlich der Plausibilität durch einen Ingenieur benötigt. 4. Fazit Der Einsatz von datengetriebenen Ansätzen wird in vielen verschiedenen Bereichen aufgrund der Verfügbarkeit gestiegener Rechenleistungen und Speicherplatz sowie dem verstärkten Einsatz des Internet of Things (IoT) und der damit verbundenen Verfügbarkeit großer Datenmengen zunehmend realistisch. Einsatzmöglichkeiten bestehen für diese neben den konventionellen Methoden auch bei der Datenaufbereitung und -analyse während des Bauwerksmonitorings. Hierbei steht unterstützend zur Bauwerksprüfung die Gewährleistung der Sicherheit im Fokus, weshalb die Nachvollziehbarkeit von Lösungswegen unerlässlich ist. Diese ist jedoch in der Regel bei derzeitigen datengetriebenen Ansätzen nicht gegeben. Ergebnisse, die mittels modellbasierten Verfahren ermittelt wurden, sind hingegen in der Regel sehr gut nachvollziehbar. Die Komplexität der physikalischen Vorgänge in einem Bauwerk erfordert im Allgemeinen tiefes Expertenwissen. Um die Stärken eines jeden Ansatzes weit möglichst durch die Potenziale des anderen Ansatzes zu unterstützen und eine Verbesserung der Bauwerksüberwachung zu erzielen, sollten in Zukunft hybride Ansätze verfolgt werden. Diese kombinieren datengetriebene Ansätze und vorhandenes Expertenwissen (z.B. Ingenieurmodelle) miteinander. Zur Entwicklung eines Konzepts eines hybriden Modells für das Bauwerksmonitoring sind auf Grundlage der Potenziale und Grenzen beider Ansätze Anwendungsgebiete für datengetriebene Ansätze beim Brückenmonitoring zu identifizieren, erforderliche Schritte zur zielgerichteten Verknüpfung von Expertenwissen und datengetriebenen Methoden zu erarbeiten und dafür notwendige Voraussetzungen zu definieren. Die Verwendung von simulierten Messdaten (siehe Kapitel 3.2), die mittels Expertenwissen erzeugt wurden, kann bei rein datengetriebenen Methoden neben anderen einen Teilaspekt eines hybriden Ansatzes darstellen. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 233 Intelligente Brücke: Datenaufbereitung und -analyse mittels modell- und datenbasierter Ansätze Literaturverzeichnis Bao, Yuequan; Chen, Zhicheng; Wei, Shiyin; Xu, Yang; Tang, Zhiyi; Li, Hui (2019): The State of the Art of Data Science and Engineering in Structural Health Monitoring. In: Engineering 5 (2), S. 234-242. DOI: 10.1016/ j. eng.2018.11.027. Bundesanstalt für Straßenwesen (2020): Brückenstatistik. Hg. v. Bundesanstalt für Straßenwesen. Online verfügbar unter https: / / www.bast.de/ BASt_2017/ DE/ Ingenieurbau/ Statistik/ statistik-node.html. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2015): Brückenmodernisierung im Bereich der Bundesfernstraßen. Hg. v. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Dabringhaus, Sarah; Haardt, Peter (2019): Infrastruktur im Wandel - Die Intelligente Brücke. 6. Kolloquium : Erhlatung von Brückenbauwerken. Hg. v. Technische Akademie Esslingen. Deutsche Beton- und Bautechnik-Verein E.V. (Hg.) (2018): DBV Merkblatt Brückenmonitoring. Kleinert, Markus; Sawo, Felix (2020): Intelligente Bauwerke- Verfahren zur Auswertung, Verifizierung und Aufbereitung von Messdaten. Schlussbericht FE 15.0636/ 2016/ GRB. Sawo, Felix; Klumpp, Vesa; Beutler, Frederik (2015): Intelligente Bauwerke - Anforderungen an die Aufbereitung von Messgrößen und ihrer Darstellungsform. Hg. v. Bundesanstalt für Straßenwese. Online verfügbar unter http: / / bast.opus.hbz-nrw.de. Seiffert, Annemarie; Jansen, Andreas (2019): A practical approach for modeling tendon and wire failures for model-based damage detection of prestressed concrete bridges. 5th International Conference on Smart Monitoring, Assessment and Rehabilitation of Civil Structures. Potsdam. Smarsly, Kay; Dragos, Kosmas; Wiggenbrock, Jens (2016): Machine leraning techniques for structural health monitoring. Hg. v. Bauhaus University Weimar, Chair of Computing in Civil Engineering. 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Kolloquium Brückenbauten - September 2020 235 UAS und KI - Potentiale zur Unterstützung der Bauwerksprüfung von Brücken und Ingenieurbauwerken Ralph Holst Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach Guido Morgenthal Bauhaus-Universität Weimar, Professur Modellierung und Simulation - Konstruktion, Weimar Norman Hallermann Bauhaus-Universität Weimar, Professur Modellierung und Simulation - Konstruktion, Weimar Zusammenfassung Innovative digitale Technologien können uns zukünftig bei der Bewältigung der anstehenden und immer komplexeren Herausforderungen im Bereich der Straßenverkehrsinfrastruktur unterstützen. Der Tagungsbeitrag stellt aktuelle Entwicklungen auf dem Gebiet der Bauwerksprüfung nach DIN 1076 dar und zeigt auf, wie mit Hilfe des Einsatzes von Unbemannten Flugsystemen (UAS unmanned aerial system) in Kombination mit Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) die Bauwerksprüfung zukünftig unterstützt werden kann. UAS bieten die Möglichkeit einer schnellen, automatisierten und sicheren Erfassungen von Bauwerksdaten in Form von hochaufgelösten digitalen Bildern, die einerseits für eine hochgenaue 3D-Rekonstruktion der IST-Geometrie und somit auch für die Erfassung kleinster geometrischer Veränderungen und andererseits für die automatische Detektion und Quantifizierung von visuell erfassbaren Schäden an der Bauwerksoberfläche genutzt werden können. Letzteres wird durch den Einsatz moderner Methoden des maschinellen Sehens (Computer Vision) und den Einsatz von KI-Methoden möglich. 1. Einleitung/ Hintergrund Die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland bildet das Rückgrat der Wirtschaft, indem es ermöglicht Waren möglichst schnell und störungsfrei von einem Ort zum nächsten zu transportieren. Bundesfernstraßen nehmen hierbei eine sehr wichtige Rolle ein. Dafür muss die Funktionsfähigkeit dieser aber gewährleistet sein. Diese wiederum wird durch unterschiedliche vorhersehbare und ungeplante Einwirkungen negativ beeinflusst. Das führt dazu, dass Maßnahmen, im Allgemeinen baulicher Art, geplant und durchgeführt werden müssen. Damit diese aber bestmöglich und mit möglichst geringem Einfluss auf die Nutzer und die Umwelt durchgeführt werden können, ist es notwendig, dass der Straßen-baulastträger im Vorfeld so umfassend wie möglich über den Zustand der Verkehrsinfrastruktur informiert ist. Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und hierbei insbesondere Brücken, stellen eine besondere Herausforderung dar. Denn diese Bauwerke können unterschiedlichste Schäden aufweisen, die so weit fortgeschritten sein können, dass ein statisches Versagen nicht mehr ausgeschlossen werden kann und ggf. Sofortmaßnahmen ergriffen werden müssen. Eindringliche Beispiele hierfür stellen die Sperrung der Leverkusener Rheinbrücke für den LKW- Verkehr und der Brücke der B1 am Altstädter Bahnhof in Brandenburg an der Havel sogar für den gesamten Verkehr dar. Die Sperrungen mussten sehr kurzfristig angeordnet werden und führte zu erheblichen Belastungen für die Wirtschaft, nicht nur im direkten Umfeld, sondern auch weit darüber hinaus. Hierfür gibt es bekannte und eingespielte Verfahren. 2. Stand der Technik zur Zustandserfassung und -bewertung von Ingenieurbauwerken 2.1 Einleitung/ Hintergrund Die Erfassung des Zustandes von Bauwerken und das daraus abgeleitete zukünftige Verhalten bilden die wichtigste Grundlage für die Eigentümer und Betreiber dieser Infrastruktur hinsichtlich kurz-, mittel- oder langfristig zu ergreifenden Maßnahmen. Für diese Aufgabe gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen und Methoden. Am bekanntesten und in fast allen europäischen und außereuropäischen Ländern verbreitet ist die Aufnahme von Mängeln und Schäden durch entsprechend ausgebildetes 236 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 UAS und KI - Potentiale zur Unterstützung der Bauwerksprüfung von Brücken und Ingenieurbauwerken Prüfpersonal. Diese Vorgehensweise ist im Allgemeinen eine visuelle und dabei wird vorausgesetzt, das Mängel und Schäden von außen bzw. an der Oberfläche des Bauwerks bzw. der Bauteile zu erkennen sind. Was sich in der inneren Konstruktion abspielt, ist zunächst nicht erkenn- und somit auch nicht bewertbar. Zudem stellt diese Art der Aufnahme nur eine Momentaufnahme dar, da Bauwerksprüfungen in regelmäßigen Abständen durchgeführt werden. Werden kontinuierliche Informationen über Schadensverläufe bzw. Veränderungen über die Zeit benötigt, kann es sinnvoll sein, ein sogenanntes Monitoring durchzuführen. Hierbei werden mit entsprechenden Sensoren Messgrößen, wie z.B. Verschiebungen, Verdrehungen, Temperaturen oder auch Überfahrten von Fahrzeugen erfasst, ggf. vorausgewertet und gespeichert. Zur Erfassung von Konstruktions- und Zustands-informationen aus dem Inneren einer Konstruktion können sogenannte zerstörungsfreie Prüfverfahren, kurz ZfP, eingesetzt werden. Mit diesen indirekten Verfahren werden Messgrößen, z.B. Laufzeitveränderungen von Wellen, aufgezeichnet und auf Basis von vorher durchgeführten Kalibrierungen Indizien für Veränderungen an Bauteilen detektiert. 2.2 Nach DIN 1076/ RI-EBW-PRÜF In Deutschland wird seit Anfang der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts eine Prüfung der Bauwerke im Zuge von Straßen auf Basis der DIN 1076 [1] durchgeführt. Diese Norm regelt die grundsätzliche Vorgehensweise der Prüfung, indem unterschiedliche Prüfungsarten und deren Intervalle definiert werden. Das wichtigste an dieser Norm ist die Tatsache, dass diese für alle Baulastträger von Brücken unter öffentlichem Verkehr bindend ist und diese zu einer regelmäßigen Bauwerksprüfung verpflichtet. Für den Bereich der Bundesfern-, Landes- und Staatsstraßen gibt es darüber hinaus die Richtlinie RI-EBW-PRÜF [2]. Diese regelt die Art der Schadenserfassung und -bewertung und stellt den Algorithmus zur Berechnung der Zustandsnote und der Substanzkennzahl bereit. Diese Art der Zustandsbewertung ist in Deutschland für die Bundesfern-, Landes- und Staatsstraßen vorgeschrieben. Die Zustandsnote ist vergleichbar einem Schulnotensystem aufgebaut. Dabei bedeutet eine 1,0 einen neu, komplett ungeschädigten Zustand, während eine 4,0 sofortigen Handlungsbedarf bis hin zu Verkehrseinschränkungen oder sogar der Sperrung einer Brücke bedeutet. Dabei signalisiert die Zustandsnote, dass an dem Bauwerk Handlungsbedarf besteht. Die Höhe der Note gibt zwar einen Anhalt über die Dringlichkeit einer Maßnahme, aber nicht über das zeitliche und finanzielle Ausmaß zur Beseitigung einer schlechten Zustandsbewertung. 2.3 Ansätze moderner bildgebender Methoden und Verfahren in Verbindung mit KI in der Bauwerksprüfung Bildgebende Verfahren, wie die Nahbereichsphotogrammetrie, bieten aufgrund der enormen technischen Weiterentwicklungen, wie z.B. im Bereich der Kamera- und Drohnentechnologie aber auch auf Seiten der Computerhardware zur Auswertung der Bilddaten, in den letzten Jahren ein enormes Potential, die Zustandserfassung wesentlich effizienter sowie objektiver zu gestalten und zugleich in ihrer Qualität zu steigern. Drohnengestützt können Bauwerke bereits teilautomatisiert auf vorgeplanten Flugrouten schnell und sicher aus kurzer Distanz erfasst werden. Die erfassten extrem hochaufgelösten digitalen Bilddaten liefern die Grundlage einerseits für die Extraktion geometrischer Bauwerksinformationen, wie z.B. georeferenzierte 3D-Punktwolken oder texturierte 3D-Bauwerksmodelle und andererseits für die automatische Bildanalyse zur Erfassung von visuell erfassbaren Schäden an der Bauwerksoberfläche. In Verbindung mit neuen leistungsfähigen Methoden der künstlichen Intelligenz, wie z.B. die Nutzung von Convolutional Neural Networks (CNN oder auch Faltungsnetze), die derzeit einem immensen Entwicklungsschub unterliegen, können sehr große Bilddatensätze effizient und automatisch ausgewertet werden, um weitere Bauwerkszustandsinformationen zu extrahieren. So können beispielsweise Risse auf Betonoberflächen in den 2D-Bilddaten erkannt werden. Über eine entsprechende Georeferenzierung am Bauwerk und der Bilder können quantitative Schadensinformationen, wie z.B. die Rissbreite, ermittelt werden. Durch die bildbasierte und georeferenzierte 3D-Rekonstruktion können die 2D-Schadensinformationen exakt am Bauwerk bzw. im Bauwerksmodell verortet werden, was mit Blick auf eine kontextbezogene Speicherung aller Daten im Lebenszyklus eines Bauwerks unter Nutzung von BIM-Ansätzen unabdingbar ist. Die voran genannten Methoden und Verfahren können bei konsequenter und normativ geregelter Umsetzung unter Einhaltung qualitativer Mindestanforderungen in der Datenerfassung und -auswertung eine nahezu lückenlose Schadenserfassung, -dokumentation und -fortschrittsentwicklung ermöglichen. Durch wiederholte Aufnahmen im Zuge regelmäßiger Bauwerksprüfungen können Unterschiede in den 2D- und 3D-Datensätzen erkannt und entsprechend visualisiert werden. Eine Gesamtmethodik für die drohnen- und bildbasierte Zustandserfassung im Zuge der wiederkehrenden Bauwerksprüfung wurde bereits von Morgenthal et. al [3] entwickelt und das Potential moderner Technologien für eine digitale Instandhaltungsstrategie von Hallermann et. al [4] aufgezeigt. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 237 UAS und KI - Potentiale zur Unterstützung der Bauwerksprüfung von Brücken und Ingenieurbauwerken 3. Innovative Technologien 3.1 Anforderungen Die unter 2.2 beschriebenen Verfahren und Methoden sind teilweise schon sehr lange im Einsatz, sind stetig weiterentwickelt und angepasst worden und haben sich im Rahmen der Möglichkeiten bewährt. Allerdings haben diese Verfahren ihre Grenzen. Diese Grenzen werden nicht nur durch die Verfahren selbst, sondern auch durch geänderte Rahmenbedingungen oder Anforderungen an Baulastträger definiert. So ist es mittlerweile weit verbreitet ein Management-System zur Optimierung der Erhaltung von Bauwerken einzusetzen, um nicht mehr nur die Betriebsphase, sondern den gesamten Lebenszyklus in die Betrachtung mit einzubeziehen, siehe Abbildung 1. Hierfür werden zusätzliche Informationen benötigt, die bisher so nicht erhoben wurden bzw. werden konnten. Daneben haben sich in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten ganz wesentliche Fortschritte auf dem Gebiet der Zustandserfassung ergeben und die Digitalisierung stellt die Verantwortlichen nicht nur vor neue Heraus-forderungen, sondern bietet auch neue Möglichkeiten. Diese gilt es zu erkunden und soweit sinnvoll und zielführend in die bestehenden Abläufe zu integrieren oder sogar neue Vorgehensweisen zu ermöglichen. Unter dem Begriff der „Digitalisierung“ sind dabei nicht nur die Umstellung von analogen Abläufen und Vorgängen in digitale Vorgehensweisen zu verstehen, sondern insbesondere die Erzeugung eines Mehrwertes dadurch, dass Informationen digital verfügbar und somit kombiniert und zusammenhängend auswertbar werden. Diese verdichteten Informationen müssen und können dann ebenfalls mit digitalen Methoden besser verständlich dargestellt werden. Damit können diese Informationen auch Personen und Institutionen vermittelt werden, die zur Beurteilung der fachlichen Hintergründe ansonsten nicht das notwendige Hintergrundwissen haben. Abbildung 1: Bauwerksprüfung im Kreislauf „Erhaltung“ 3.2 UAS/ UAV Die visuelle, handnahe Bauwerksprüfung aller Bauteile, z.B. an einer Brücke, ist mit sehr hohen Anforderungen an das Prüfpersonal verbunden. Neben dem nicht immer einfachen, teils nur mit zusätzlichen Besichtigungs-geräten möglichen Zugang zu allen Bauteilen unter Lärm- und Staubbelastung und nahe am befahrenen Verkehrsraum, kann zu Gefährdungen des Prüfpersonal und zusätzlichem Stress führen. Zudem kann es passieren, dass z.B. nach einem Unfall, ein schneller Zugang zu Bauteilen erreicht werden muss, ohne im Vorab alle sonst notwendigen Sperrungen durchführen zu lassen. Unter anderem für diesen Fall bietet es sich an, sogenannte unmanned aerial vehicles bzw. systems (UAV/ UAS) unterstützend einzusetzen, wie in der nachfolgende Abbildung 2 dargestellt. Abbildung 2: Einsatz einer Drohne (Typ: Intel Falcon 8+) an einem Brückenbauwerk zur Generierung von Bilddaten aus kurzer Distanz für die 3D-Rekonstruktion und automatische Schadenserfassung. 238 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 UAS und KI - Potentiale zur Unterstützung der Bauwerksprüfung von Brücken und Ingenieurbauwerken Hiermit können fast alle Bauteile von Ingenieurbau-werken im Zuge von Straßen schnell und ohne Gefährdung des Prüfpersonals und Verkehrs erreicht werden. Mit der verfügbaren Kameratechnik können in kurzer Zeit sehr viele, qualitativ hochwertige Bildaufnahmen von Einzelbauteilen bzw. vom gesamten Bauwerk erfasst und anschließend verarbeitet werden. Sowohl die Flugals auch die Aufnahmetechnik kann als so ausgereift bezeichnet werden, dass ein Einsatz unter normalen Wetterbedingungen plan- und durchführbar ist. Regen und böiger Wind in Bauwerksnähe stellen zurzeit noch Herausforderungen bzw. Beschränkungen dar. Es ist aber zu erwarten, dass auch hierfür, z.B. durch aktive Kollisionsvermeidungs-assistenten oder Abstandskontrollen zum Bauwerk, zukünftig Verbesserungen erzielt werden können. Gleiches gilt auch für die möglichen Flugzeiten, die zurzeit noch durch die geringen Kapazitäten der Akkus und hohe Nutzlasten erheblich eingeschränkt werden. Da der Austausch der Akkus aber sehr schnell durchgeführt werden kann und wenn das Untersuchungsobjekt nicht zu weit vom Start-/ Landeplatz entfernt ist, sind die Zeitverluste hierdurch überschaubar. Es steht derzeit eine „Basistechnologie“ zur Verfügung, die eine Bauwerksprüfung bereits punktuell unterstützen kann. Für einen flächendeckenden und „vollautomatisierten“ Einsatz am Bauwerk zur Erzeugung qualitativ sehr hochwertiger Bilder aus kurzer Distanz sind aber noch weitere technische Entwicklungen erforderlich, die insbesondere den Piloten in seiner Arbeit unterstützen. Erst die Fusion einer verlässlichen Abstandssensorik mit der Flugroutenplanung und automatischen Befliegung, insbesondere bei schlechten GPS-Bedingungen, wie z.B. in Bauwerksnähe oder unterhalb von Bauwerken, ermöglicht eine automatisierte Aufnahme des gesamten Bauwerks. Zudem können durch Integration noch leistungsfähigerer Kameras hochwertige Daten aus größerer Entfernung zum Objekt und somit auch sicherer und bei tendenziell weniger Daten mit gleicher Aussagekraft erfasst werden. 3.3 Künstliche Intelligenz (KI) Die einfache bildhafte Dokumentation von Sach-verhalten an Bauwerken in digitaler Form stellt an sich schon eine sehr gute Unterstützung der bisheriger Prüfaufgaben dar, u.a. da diese Bildinformation auch für ein Building Information Modelling (BIM) genutzt werden können, um einzelne Schäden im Zusammen-hang mit der aktuellen Gesamtzustands-bewertung des Bauwerks besser verstehen zu können. Allerdings ermöglicht die Digitalisierung eine noch sehr vielweitreichendere Unterstützung. Digitale Bildauf-nahmen enthalten eine Vielzahl von unterschiedlichen Information über Mängel und Schäden an Bauwerken. Tagtäglich werden im Rahmen von Bauwerksprüfungen Bildaufnahmen von Schäden erfasst, die zwar grundsätzlich ähnlich, aber im Einzelfall doch sehr unterschiedlich sein können. Die Methoden der KI und hierbei insbesondere die Mustererkennung unter Einsatz von CNNs befassen sich genau mit dieser Fragestellung, aus ähnlichen, aber doch verschiedenen Mustern eine grundsätzlich gemeinsame Charakteristik zu erkennen, die auf eine bestimmte Art von Schädigung, z.B. Risse auf Betonoberflächen, hinweist. Die Anforderungen an die Qualität der gelieferten Bilddaten sind hierfür noch sehr hoch, da auch kleinste Risse detektiert werden sollen, sodass eine Schadenserkennung sehr frühzeitig gewährleistet und eine Schadensfortschrittsentwicklung von Beginn an ermöglicht wird. Insbesondere die Struktur von Betonoberflächen an Bauwerken, die unterschiedlichen Licht- und Schattenverhältnissen unterliegen, stellen die Algorithmen zurzeit noch vor erhebliche Herausforderungen. Der große Vorteil am Ansatz der künstlichen Intelligenz ist es, dass die Algorithmen die Qualität der Aussagen durch jedes weitere Trainingsbild und zusätzliche Bild-informationen stetig verbessern. Hierfür werden allerdings qualitativ hochwertige Trainingsdatensätze mit typischen Schadensbildern benötigt, um die Algorithmen auf das entsprechende Schadensmuster so zu trainieren, dass eine ausreichend hohe Erkennungs-wahrscheinlichkeit erreicht wird. Abbildung 3 zeigt exemplarisch die typische Kette zur Entwicklung eines geeigneten Neuronalen Netzes zur bildbasierten Schadenserkennung. Abbildung 3: Arbeitsschritte zur Entwicklung einer bildbasierten Schadenserkennung mit maschinellem Lernen. [5] Im Forschungsvorhaben „Unterstützung der Prüfung gemäß DIN 1076 durch (halb-) automatisierte Bildauswertung u. a. mittels UAV - FE 89.0334/ 2017) [5] konnten erste verwendbare Trainingsdatensätze und KI- Methoden mit Blick auf die Risserkennung erfolgreich umgesetzt werden. Durch Annotation visuell erfassbarer Schäden in den Bildern müssen in einem manuellen sehr aufwendigen Prozess zunächst geeignete Trainings-bilder zum Anlernen des Erkennungs-Algorithmus erzeugt werden. Bewährt sich ein ausgewähltes neuronales Netz bei der Erkennung ausgewählter Schäden, muss dieses Netz weiter trainiert werden, um eine ausreichend hohe Trefferquote bei der Schadens-detektion zu erreichen. Dies geschieht durch die Verwendung einer sehr hohen Anzahl typischer Schadensbilder (meist mehrere hundert tausend). Wurde das neuronale Netz ausreichend trainiert, können Schäden in den digitalen Bildern visuali- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 239 UAS und KI - Potentiale zur Unterstützung der Bauwerksprüfung von Brücken und Ingenieurbauwerken siert und die Schadenserkennung bewertet werden. Die nachfolgende Abbildung 4 zeigt exemplarisch das Ergebnis einer automatischen Risserkennung, die im Zuge von Forschungsarbeiten an der Bauhaus-Universität Weimar entwickelt wurde. Abbildung 4: Beispiel einer automatischen Rissdetektion auf einer Betonoberfläche von einer drohnenbasierten Aufnahme, oben: Originalaufnahme, unten: Rissdetektion (Rissbreite: 0,15 mm). Somit kann davon ausgegangen werden, dass heute noch nicht oder nur schwer detektierbare Schädigungen sehr bald mit sehr hoher Trefferwahrscheinlichkeit erkannt werden können. Dies bedeutet eine sehr große Unterstützung des Prüfpersonals im Zuge der Vor- und Nachbereitung Bauwerksprüfungen oder sogar direkt vor Ort. In Kombination mit weiteren modernen Technologien der Datenvisualisierung, z.B. Virtual Reality (VR) oder auch Augmented Reality (AR), können den Prüfern aus den Bilddaten extrahierte Bauwerkszustands-informationen aufgabenbezogen am 3D-Bauwerks-modell in VR oder sogar am Bauwerk direkt mit AR visualisiert bzw. angezeigt werden. Zustands-informationen, wie 3D-Bauwerksdaten oder auch Bilder mit Schadensinformationen vergangener Prüfungen, können eingeblendet werden, sodass der Bauwerks-prüfer „auf einen Blick“ entsprechende Veränderungen über die Zeit sehen kann. 4. Einsatz im Rahmen der Zustandserfassung und -bewertung von Ingenieurbauwerken Zahlreiche Pilotstudien und abgeschlossene Forschungsvorhaben der BASt und an der Bauhaus-Universität Weimar in den letzten Jahren haben bereits gezeigt, dass der Einsatz von Drohnen in Verbindung mit einer bildbasierten Bauwerkserfassung und Nutzung leistungsfähiger Methoden des maschinellen Sehens (Computer Vision) sowie neuer Methoden der KI in der Zustandserfassung von Bauwerken enormes Potential bietet, den gesamten Prozess der Bauwerksprüfung von der Bauwerksaufnahme über die Datenauswertung und Speicherung (Dokumentation) bis hin zur Visualisierung digital neu zu denken. In der Praxis kommt diese Technologie bisher aber noch kaum oder nur punktuell zur Anwendung. Dies ist einerseits in fehlenden Vorgaben und Regularien zur Datenerfassung (insbesondere der Datenqualität) und andererseits in der noch immer großen Unsicherheit in Bezug auf die Datenmengen und weiteren Verwendbarkeit der digitalen Daten begründet. Die Einbindung digitaler Zustandsinformationen in Bauwerksinformations-modelle existiert derzeit in der Praxis noch nicht. Aktuelle Forschungsarbeiten zeigen Konzepte zur Datenintegration und prototypische Umsetzungen. Im Rahmen des aktuellen Verbundforschungsvorhabens „AISTEC - Bewertung alternder Infrastrukturbauwerke mit digitalen Technologien“ an der Bauhaus-Universität Weimar [6] werden Technologien von der Aufnahme über die Auswertung bis hin zur Visualisierung von Bauwerksdaten für eine effiziente Bauwerksprüfung entwickelt. Dabei werden die Endanwender, Infrastrukturbetreiber aber auch Ingenieurbüros für die Planung und Unterhaltung von Infrastrukturbauwerken von Beginn an als Praxispartner eingebunden, die Anwendungsszenarien und entsprechende Anforderung an die neuen digitalen Verfahren definieren. Die Grundlage der Zustandserfassung und daraus resultierenden Zustandsbewertung des Bauwerks bilden digitale, sehr hochaufgelöste und qualitativ hochwertige Bilddaten, die wenn möglich automatisiert z.B. unter Einsatz von Drohnen am Bauwerk erfasst werden. Da diese Bilddaten sowohl für eine photogrammetrische 3D-Rekonstruktion des Bauwerks als auch für die automatische Bildanalyse zur Schadenserkennung genutzt 240 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 UAS und KI - Potentiale zur Unterstützung der Bauwerksprüfung von Brücken und Ingenieurbauwerken werden, entstehen folglich sehr große Bilddatensätze, die mit leistungsfähiger Hard- und Software ausgewertet werden müssen. Aus den Bilddaten können visuelle 2D- (z.B. Risserkennung mit Rissbreite) und geometrische 3D-Zustands-informationnen (z.B. Verformungen von Bauteilen) abgeleitet werden. Abbildung 5 zeigt beispielhaft einen 28 m hohen Brückenpfeiler (Grundfläche 1,50 x 6,00 m) mit einer vorgeplanten Flugroute in einem konstanten Aufnahmeabstand zum Objekt. Ziel der Aufnahme war die Erfassung der Ist-Geometrie, sowie aller visuell erfassbaren Schäden auf der Betonoberfläche. Abbildung 5: Beispiel einer berechneten Flugroute (Kamera-position mit Blickrichtung) für einen Brückenpfeiler zur Erfassung eines überlappenden Bildverbandes für die 3D-Rekonstruktion und Ermittlung des Verformungszustandes. Für den dargestellten Pfeiler wäre rechnerisch ein Bildverband von ca. 25.000 Bildern erforderlich, um mit einer automatischen Bildanalyse eine Rissbreite von 0,1 mm sicher zu detektieren, beim Einsatz einer Kamera vom Typ Sony Alpha7R mit 35mm Objektiv. Für eine Rissbreite von 0,3 mm wären immer noch 4000 Bilder erforderlich, die in einem Abstand von ca. 1,70 m zum Objekt erfasst werden müssten. Der Pfeiler wurde zur Ermittlung der Ist-Geometrie mit 450 Bildern erfasst, sodass eine Objektauflösung (3D-Auflösung) von ca. 1 mm/ Pixel erreicht wurde. Die zu unterschiedlichen Temperaturen wiederholte Aufnahme und erzeugten 3D-Punktwolken mit ca. 25 Mio. Punkten des Pfeilers wurden u.a. für die Ermittlung der temperaturbedingten Verformungen des Pfeilers genutzt. Die Anzahl der Bilder allein zeigt, dass die Anforderungen an die zu erfassenden Daten bzw. zu extrahierenden Zustandsinformationen für die Bewertung des Bauwerkszustandes vor der Bauwerks-aufnahme aufgabenspezifisch definiert sein müssen, um unnötig große Datenmengen zu vermeiden. So sind Zweck und Ziel der Inspektions-/ Messaufgabe einhergehend mit der Benennung von Grenzwerten und Zielgrößen sowie -qualität festzulegen. Wie unter 3.3 und in Abbildung 4 bereits gezeigt, können die Bilddaten bei entsprechender Auflösung und Qualität für automatische Schadensanalysen, z.B. die Risserkennung genutzt werden. Neben der visuellen Darstellung können weitere Informationen der Rissstrukturen, wie Risslänge und -breite, extrahiert werden. Aus den Bilddaten können aber auch geometrische 3D-Bauwerksinformationen generiert werden, wie z.B. eine hochgenaue Ist-Geometrie oder der aktuelle Verformungszustand eines Brückenpfeilers. Werden Risse oder nicht erwartete Verformungs-änderungen festgestellt, muss deren Einfluss auf die Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit untersucht werden. Hierfür können Finite Elemente Modelle (FEM) genutzt werden, die sowohl unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verformungen die exakte Geometrie des Bauwerkes als auch erkannte Schädigungen enthalten und für Simulationen des Tragverhaltens und die Bestimmung der Resttragfähigkeit genutzt werden. Unter Verwendung eines Referenzzustandes werden Belastungs- und Schädigungsmodelle kalibriert, sodass der aktuelle mechanische Tragwerkszustand für Simulationen genutzt werden kann. Auf Basis dieser Daten erfolgt eine Bewertung des aktuellen Bauwerkszustandes für kritische Belastungszustände. Für die Ableitung der geometrischen Zustands-informationen, globaler (Pfeilerverformungen) wie auch lokaler Art (Abplatzungen), werden sehr hochaufgelöste und detaillierte 3D-Bauwerksmodelle in Form von 3D-Punktwolken und vermaschter texturierter 3D-Oberflächenmodelle benötigt. Diese Modelle bieten aufgrund ihres enormen Detailgrades darüber hinaus die Möglichkeit, gewisse Arbeiten im Rahmen der Bauwerksprüfung am digitalen Bauwerk durch-zuführen, auch mit mehreren Experten gleichzeitig. Abbildung 6 zeigt die Visualisierung eines digitalen 3D-Bauwerksmodell in einer kolla- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 241 UAS und KI - Potentiale zur Unterstützung der Bauwerksprüfung von Brücken und Ingenieurbauwerken borativen Virtual-Reality-Umgebung. Mit dem Digital Bauhaus Lab (DBL) verfügt die Bauhaus-Universität Weimar über eine sehr leistungsfähigste Forschungsinfrastruktur zur Visualisierung von sehr großen 3D-Daten in Mehrbenutzer-Umgebungen der Virtuellen Realität. Hier können bis zu sechs Experten gleichzeitig an einem 3D-Bauwerksmodell, 3D-Punktwolken oder vermaschte und texturierte 3D-Oberflächenmodelle, in unterschiedlichen Detaillierungsgraden arbeiten. Abbildung 6: Integrierte Visualisierung registrierter 3D-Bauwerksmodelle in einer kollaborativen VR-Umgebung. [Foto: S. Beck, Bauhaus-Universität Weimar] Ein wesentlicher Vorteil der Verwendung digitaler Bilddaten gegenüber der konventionellen Bauwerks-prüfung ist, die Verknüpfung von extrahierten visuellen 2D-Schadensinformationen mit der 3D-Bauwerks-geometrie. Somit können identifizierte Schäden gemessen sowie exakt im digitalen Bauwerksmodell respektive am Bauwerk verortet und betrachtet werden. Schäden können zudem im 3D-Modell selbst annotiert und mit weiteren Informationen versehen werden. Die Speicherung aller Informationen erfolgt kontextbezogen mit entsprechenden zeitlichen Referenzen in einem Bauwerksinformationsmodell, sodass zurückliegende Prüfkampagnen jederzeit im Vergleich betrachtet werden können und eine nahezu lückenlose Dokumentation der Schadensfortschrittsentwicklung gewährleistet ist. Abbildung 7 und 8 zeigen die Arbeiten an einem geschädigten Bereich eines Brückenpfeilers in einer VR-Umgebung. Abbildung 7: Manuelle Markierung und automatische Annotation von Schadstellen am Detail eines hochaufgelösten und in 3D rekonstruierten Brückenpfeilers innerhalb einer VR-Umgebung. [Foto: Beck, Bauhaus- Universität Weimar] Abbildung 8: Lokale Einblendung automatisch detektierter Risse (grün) mittels einer Linsenmetapher (blauer Bereich). [Foto: Beck, Bauhaus-Universität Weimar] Darüber hinaus können zusätzliche Informationen aus Tragwerkssimulationen zur Zustandsbewertung des Bauwerks in das digitale Bauwerksmodell zurückgespielt werden, sodass auch solch komplexe Simulationsergebnisse direkt im hochaufgelösten Bauwerksmodell visualisiert werden können. Verformungszustände des Tragwerks wie z.B. aus Temperaturänderungen oder auch dynamischen Lasten lassen sich so zusammen mit etwaigen sichtbaren Schäden darstellen. Abbildung 9 zeigt die Visualisierung der Ergebnisse einer Tragwerks-simulation aus einer dynamischen Last (Fahrzeug-überfahrt) am 3D-Bauwwerksmodell in der VR-Umgebung. 242 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 UAS und KI - Potentiale zur Unterstützung der Bauwerksprüfung von Brücken und Ingenieurbauwerken Abbildung 9: Visualisierung einer Tragwerkssimulation in einer VR-Umgebung. [Foto: Beck, Bauhaus-Universität Weimar] Weitere Informationen zum Projekt AISTEC und den erzielten Ergebnissen können auf der Projektwebseite unter www.uni-weimar.de/ aistec eingesehen werden. 5. Zusammenfassung Eine Zustandserfassung und -bewertung von Ingenieurbauwerken der Straßeninfrastruktur stellt die wichtigste Grundlage für eine zielführende Erhaltung dieser dar. Somit wächst der Anspruch an die Qualität und Aussagekraft dieser Erfassung bei gleichzeitigem Wunsch die Gefährdungen und Kosten die davon sowohl für das Personal, als auch Dritte ausgehen zu minimieren. Da sich gleichzeitig innovative Technologien zur Datenerfassung, -auswertung und -speicherung anwendungsreif weiterentwickelt haben, ist es die logische Konsequenz diese zur Unterstützung der Bauwerksprüfung einzusetzen. Durch diese entwickelten digitalen Methoden kann zukünftig der Zustand von Infrastrukturbauwerken genauer, sicherer, objektiver und effizienter überwacht werden. Dadurch können Inspektionen bedarfsgerechter durchgeführt und Inspektionslücken geschlossen werden, sodass Schäden früher erkannt werden und somit ein schnelleres und gezielteres Eingreifen möglich wird, bevor Nutzungseinschränkungen oder sogar die Sperrung des Bauwerks drohen. Durch die lückenlose Zustandserfassung und konsistente Speicherung aller im Prozess der Bauwerkprüfung anfallenden Daten in einem digitalen Zwilling wird die Grundlage für ein zukünftiges digitalisiertes Anlagenmanagement der Verkehrsinfrastruktur geschaffen. Bis diese Technologie für alle Situationen fehlerfrei anwendbar ist, ist noch eine Menge an Forschungs-, Entwicklungs- und Umsetzungsarbeit zu leisten. Aber gute praktisch anwendbare Ergebnisse sind schon jetzt für Teilbereiche möglich und somit kann und wird es gelingen den Mehrwert der Digitalisierung auch im Baubereich zu etablieren. Dieser ist gekennzeichnet durch lange Nutzungszeiten, individuelle Bauwerke sowie hohe Investitionskosten und erfordert damit längere Vorlauf- und Prüfzeiten, als andere Bereiche der Wirtschaft. Denn einmal gemachte Fehler oder Fehlentwicklungen bleiben sehr lange im Straßennetz erhalten und können erst nach und nach mit viel Zeit-, Personal- und Finanzmitteleinsatz korrigiert werden. 6. Literatur [1] DIN 1076 (1999) Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung. Berlin: Beuth. [2] RI-EBW-PRÜF, Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Aus-wertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Bonn 2017 [3] Morgenthal, G., Hallermann, N., Kersten, J., Taraben, J., Debus, P., Helmrich, M., Rodehorst, V.: Framework for Automated UAS-based Structural Condition Assessment of Bridges. Automation in Construction 97 (2019), pp. 77-95 [4] Hallermann, N., Helmrich, M., Morgenthal, G., Schnitzler, E.: UAS-basierte Diagnostik von Infrastrukturbauwerken - Teil einer digitalen Instandhaltungsstrategie. Bautechnik 95 (2018) [5] Morgenthal, G., Rodehorst, V., Hallermann, N., Debus, P., Benz, C.: Unterstützung der Prüfung gemäß DIN 1076 durch (halb-) automatisierte Bildauswertung u. a. mittels UAV (unmanned aerial vehicles). Schlussbericht zu FE 89.0334/ 2017 (2019). Unveröffentlicht [6] URL: https: / / www.uni-weimar.de/ aistec, Zugriff: 28.06.2020 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 243 Brückenprüfung und Digitalisierung mittels AI und Cloud Computing Albrecht Karlusch, MSc, MBA (Managing Director), DI Peter Furtner (Managing Director) und DI Ernst Forstner (Head of Operations) PALFINGER Structural Inspection GmbH (STRUCINSPECT), Wien, Österreich Zusammenfassung Der vorliegende Beitrag präsentiert die innovative AI-basierte Strukturinspektions-Plattform STRUCINSPECT, welche mit der Nutzung einer Artificial Intelligence (AI) die Brückeninspektion schneller, sicherer und nachhaltiger macht. STRUCINSPECT ist eine All-in-one-Solution, welche zum einen die Erstellung von Digitalen Zwillingen und BIMs, die AI-basierte Schadenserkennung von Rissen, Abplatzungen, offenen und korrodierten Bewehrungen sowie Asset Management und eine transparentere Strukturinspektion erlaubt, zum anderen aber auch als Kommunikations- und Arbeitsplattform zwischen dem Auftraggeber (Strukturbetreiber), Auftragnehmer (Ingenieur), Service Partnern (Data Capturer) und Technologie-Bereitstellern dient. Zusätzlich erhalten die Ingenieure die Möglichkeit ihre Prozesse zu digitalisieren und mit der AI-basierten Schadenserkennung zu beschleunigen. Die Strukturbetreiber können mit Hilfe von STRUCIN- SPECT auch eine präzisere Lebenszyklusanalyse durchführen. 1. Einleitung Ingenieurbauwerke (= Kunstbauten) haben Anforderungen hinsichtlich Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit zu erfüllen. Kunstbauten sind daher einer periodischen Inspektion zu unterziehen. Diesbezüglich gibt es in den meisten Ländern entsprechende Gesetze und Regelwerke. Beispielsweise sind dies in Deutschland die DIN 1076 und die RI-EBW-Prüf und in Österreich die RVS Reihe 13.03.XX und das Dokument „06.01.02 Instandhaltung / / Instandhaltungsplan“ der ÖBB Infrastruktur AG. Der vorliegende Beitrag präsentiert die innovative Inspektions-Plattform von STRUCINSPECT, welche mit Hilfe von Fotos Digitale Zwillinge und BIM-Modelle erstellt. Auf diesen 3D-Modellen werden mit einer Artificial Intelligence (AI) Schäden detektiert, klassifiziert und dokumentiert. Die Plattform dient dabei nicht ausschließlich als Bearbeitungs-Tool sondern erfüllt auch die Funktion eines Kommunikations- und Präsentations-Tools für den Infrastrukturbetreiber. 2. Eine kollaborative AI-basierte Plattform für Ingenieure und Infrastrukturbetreiber 2.1 Das Joint Venture STRUCINSPECT STRUCINSPECT ist ein JV von PALFINGER, VCE und der ANGST Gruppe, also von drei Spezialisten aus verschieden Bereichen des Bauwesens. PALFINGER stellt Spezialausrüstung für Bauwerksinspektionen zur Verfügung, die den Zugang von Kontrollorganen und Bauingenieuren zu schwer zugänglichen Bereichen ermöglicht. VCE arbeitet als High-Tech-orientiertes Ingenieurbüro, spezialisiert auf Zustandsinspektionen und Bewertungen von Infrastrukturbauwerken. Die ANGST Gruppe ist Spezialist für mobile Kartierung, professionellen Drohnenbetrieb und Fotogrammmetrie. Gemeinsamen haben diese drei Firmen eine AI-basierte Plattform zur kollaborativen Strukturinspektion der Zukunft entwickelt. Auf der STRUCINSPECT Plattform können die Bauwerksprüfer eine komplette, AI-basierte und digitale Strukturanalyse durchführen sowie gleichzeitig mit dem Infrastrukturbetreiber die Zwischen- und Endergebnisse teilen. Dies ermöglicht höchste Transparenz bei gleichzeitiger Effizienzsteigerung und Zeitersparnis. Aktuell bietet die STRUCINSPECT Plattform folgende Services an: Management von Bauwerken und Bauwerksprüfungen, Digitaler Zwilling und BIM-Erstellung, AI-Schadensanalyse, Verortungs-, Dokumentations- und Visualisierungsservice, Ergebnis- und Be- 244 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Brückenprüfung und Digitalisierung mittels AI und Cloud Computing funds-Toolbox für Bauwerksprüfer, Zusammenarbeit und Teilen von Ergebnissen sowie Lebenszyklusanalyse und Asset-Management-Service. 2.2 Die STRUCINSPECT Plattform für kollaboratives, interdisziplinäres Arbeiten Auf der STRUCINSPECT Plattform können Ingenieure Zwischenergebnisse ihrer Prüfung teilen und gleichzeitig gemeinsam an Projekten arbeiten. Das Endergebnis können Bauwerksprüfer direkt mit den Kunden bzw. Bauwerkserhaltern teilen. Zudem können die Bauwerkserhalter sämtliche Ergebnisse mit Dritten, z.B. Ingenieurbüros und Bauunternehmen, teilen und für weitere gemeinsame Arbeiten, z.B. für die Instandhaltung und Instandsetzung, nutzen. Zusätzlich können Bauwerkserhalter, die bereits aktive STRUCINSPECT Plattform Kunden sind, die erhaltenen Ergebnisse in ihre Asset-Management-Systeme einpflegen bzw. an diese Systeme anbinden. Bild 1 Mögliche Austauschprozesse unter den Teilnehmern der Plattform 2.3 Management von Bauwerken und Prüfungen Mit einem sicheren Login erhält der Nutzer Zugang zu allen Services, Projekten, Visualisierungen und Befunden. Neue Projekte können angelegt und an die jeweiligen Bedürfnisse angepasst werden. Um welches Bauwerk handelt es sich? Welche Art von Inspektion benötige ich? Möchte ich einen Digitalen Zwilling erstellen? Möchte ich die AI-Analyse-Services in Anspruch nehmen? Brauche ich Schadenszuordnung und Georeferenzen? Bild 2 Projektübersicht mit den zugeordneten Kunden und Strukturen 2.4 Datenerfassung Grundlage für die weiteren Analysen ist die vollflächige Aufnahme des gesamten Bauwerks mit hochauflösenden Bildern nach vorgegebenen Qualitätskriterien. Der Bauwerksprüfer kann diese Daten (Bilder) selbst aufnehmen oder optional über die Plattform Unterstützung von Experten für die Datenbeschaffung (Bildaufnahme) anfordern und auch beauftragen. Diese Experten beschaffen die Daten in der Luft (mittels UAVs), zu Land und zu Wasser (z.B. per Boot), je nach Anforderung und Zugangsmöglichkeit. Die derart erfassten Daten werden nach dem Hochladen auf der STRUCINSPECT Plattform automatisiert auf ihre Vollständigkeit und Qualität geprüft. Die Datenqualität und Vollständigkeit ist essentiell für die weitere Bearbeitung, wie die AI-basierte Schadensanalyse sowie die Erstellung eines exakten Digitalen Zwillings und eines IFC-konformen BIM-Modells. Deswegen wurde von STRUCINSPECT ein verbindlicher Qualitäts- und Schnittstellenkatalog mit harten Kriterien erarbeitet (z.B. Auflösung, Überlappung, GSD, Fokus Art) die jedenfalls erfüllt werden müssen, bevor die Daten zur Weiterverarbeitung akzeptiert werden. Bild 3 Interface zum Strukturen-Management auf der STRUCINSPECT Plattform 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 245 Brückenprüfung und Digitalisierung mittels AI und Cloud Computing 2.5 Digitaler Zwilling und BIM Bei der Erstellung des Digitalen Zwillings aus den aufgenommenen Bildern können verschiedene Qualitätsstufen ausgewählt werden: In der „Basic“ Version wird ein 3D-Zwilling als Punktwolke erstellt, welche absolute Georeferenzierung zur genauen Lokalisierung von Schäden ermöglicht. Die „Premium“ Version beinhaltet die Erstellung eines hochauflösenden texturierten 3D-Zwillings, welcher so genau ist, dass er eine virtuelle, manuelle Inspektion und eine 3D-Schadenskontrolle ermöglicht. Die „Premium“ Version beinhaltet auch die Erstellung eines IFC-konformen BIM-Modells im ausgewählten LOD (Level of Detail). Zusätzlich werden zu allen 3D-Modellen alle erforderlichen und vorhandenen Bauwerksdaten aufgenommen, wie z.B. Nutzung, Alter des Bauwerks, Bauwerktyp oder Länge der Brücke. Bild 4 Originalaufnahme: Drauquerung, Kunde: ÖBB Bild 5 Punktwolken Digitaler Zwilling Bild 6 Texturierter Digitaler 3D-Zwilling 2.6 AI-Schadensanalyse Die AI-basierte Schadenserkennung, kann Risse, Abplatzungen, freiliegende Bewehrungen, die Korrosion von Bewehrungen, Rostfahnen, Hohlstellen, Feuchtigkeit, Kiesnester und Bemoosungen mit einer Erkennungsrate (TPR) von 99,9%, vollautomatisch erkennen. Neben der Erkennung und Markierung der Schäden erfolgt auch eine automatische geometrische Analyse (z.B. Rissbreitenmessung, Bestimmung der Schadensfläche). Dabei können die gewünschten Genauigkeitskriterien und Klasseneinteilungen vorab festgelegt werden. So kann eine definierte Rissbreite von 0,1mm bei Spannbeton- 246 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Brückenprüfung und Digitalisierung mittels AI und Cloud Computing bauwerken und von 0,3mm bei Stahlbetonbauwerken vorgegeben werden. Unterbrochene, jedoch zusammengehörende Risse und Netzrisse werden als ein zusammenhängender Schaden erkannt, markiert und dokumentiert. Abplatzungen mit einer einstellbaren Mindestgröße werden ebenfalls automatisch von der AI als Schaden erkannt, markiert und vermessen. Bild 7 Original Bild mit Abplatzung, freiliegender Bewehrung und Korrosion Bild 8 Segmentiertes Bild und von der AI markierte Schäden Bild 9 Original Bild mit Abplatzung und offener korrodierender Bewehrung Bild 10 Darstellung auf der STRUCINSPECT Plattform mit markierter Abplatzung und offener korrodierender Bewehrung Bild 11 Von AI aus schrägem Winkel erkannte, markierte und gruppierte Risse auf der STRUCINSPECT Plattform 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 247 Brückenprüfung und Digitalisierung mittels AI und Cloud Computing Bild 12 Frontalaufnahme mit von AI erkannten und gruppierten Rissen zu einem Schaden (Rahmen) auf der STRUCINSPECT Plattform Bild 13 Große Rissgruppe an einem Brückenpfeiler, von AI erkannt und zugeordnet, auf der STRUCINSPECT Plattform Bei Artifical Intelligence Systemen wird die Qualität der Erkennungsrate anhand von drei Kennzahlen definiert und gemessen: Die True Positive Rate (TPR) oder auch „Recall“ genannt, setzt die Anzahl von gefundenen Schadensobjekten eines Datensatzes ins Verhältnis zur Gesamtanzahl der Schäden des Datensatzes. Die False Positive Rate (FFR) oder auch „Fall out“ genannt, setzt die Anzahl von fälschlicherweise als Schaden klassifizierten Stellen ins Verhältnis zur Gesamtzahl schadensfreier Stellen. Der Positive Prediction Value (PPV) auch „Precision“ genannt, setzt die Anzahl von gefundenen Schadensobjekten eines Datensatzes ins Verhältnis zu der Anzahl vorhergesagter Schäden. [1] Die von STRUCINSPECT genutzte AI hat folgende Werte dafür: Tabelle 1 AI-Erkennungs-KPIs von STRUCINSPECT True Positive Rate > 99% False Positive Rate < 50% Positive Prediction Value > 80% 2.7 AI-basierter Zuordnungs-, Dokumentations- und Visualisierungsservice Mit Hilfe der AI werden die erkannten Schäden auf 2D- Bildern (Originalbilder) und 3D-Bildern (georeferenzierter Digitaler Zwilling) mit einer eigenen, eindeutigen Identifikationsnummer zugeordnet und dokumentiert. Wird der selbe Schaden auch auf weiteren Bildern und aus anderen Winkeln detektiert, erfolgt ein automatischer Abgleich und eine automatische Zuordnung zu dieser Identifikationsnummer. Ein und derselbe Schaden, auch wenn dieser auf mehreren Bildaufnahmen detektiert wird, wird nur einmal in die Schadensdatenbank aufgenommen.. Alle Schäden mit ihrer eindeutigen Identifikationsnummer sind absolut georeferenziert auf dem 3D-Digitalen Zwilling verankert. Bild 14 Mit Identifikationsnummern markierte Schäden auf dem 3D-Modell Bild 15 Farsund Brücke in Norwegen als texturiertes 3D-Modell auf der STRUCINSPECT Plattform (Schäden ausgeblendet) 248 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Brückenprüfung und Digitalisierung mittels AI und Cloud Computing Bild 16 Zoomausschnitt eines texturierten 3D-Modells des Brückenpfeilers mit eingeblendeten Schäden 2.8 Ergebnis- und Befunds-Toolbox für Ingenieure Alle gefundenen Schäden werden in der Datenbank gespeichert und können in 2D und 3D mit nur ein paar Klicks bearbeitet werden. Der Bauwerksprüfer kann Schadensempfehlungen und Bewertungen annehmen, modifizieren, erweitern oder ablehnen. Eventuelle Folgemaßnahmen können ebenfalls hinzugefügt werden. Bild 17 STRUCINSPECTs Plattform-Toolbox für Ingenieure: (1) Sortierte Identifikationsnummern der Schäden, (2) Schadensempfehlung von AI, kann vom Ingenieur überprüft und gegebenenfalls geändert werden, (3) Schäden werden Komponenten zugeordnet, kann ebenfalls vom Ingenieur geändert werden, (4) Angaben zu eventuellen Folgemaßnahmen 2.9 Zusammenarbeit und Teilen von Ergebnissen, Asset Management Die Bauwerksprüfer können ihren Kunden, den Infrastrukturbetreibern, und auf Wunsch der Kunden auch anderen Service-Partnern definierten Zugriff auf die generieten Ergebnisse gewähren und somit für höchste Transparenz sorgen und die Zusammenarbeit vereinfachen. Die Befunde, welche von den Infrastrukturbetreibern eingesehen werden können, beinhalten Schadenskataloge, Ratings, (empfohlene) Maßnahmen und vieles mehr. Sämtliche Ergebnisse können außerdem als Schadensdatensatz, BIM-Datensatz oder als PDF-Bericht heruntergeladen werden. Auch die direkte oder indirekte Anbindung an bereits beim Kunden vorhandene Bauwerksdatenbanken und Asset-Management-Systeme ist zum einfachen Datenaustausch möglich Als weitere umfangreiche Leistungen ermöglich die STRUCINSPECT Plattform unter anderem die Durchführung von Lebenszyklusanalysen und Erhaltungsplanungen auf Basis von diversen Alterungsmodellen und Kostenmodellen. Ein Management-Center ermöglicht jedem Nutzer einen einfachen Überblick über alle seine Projekte, Bauwerke und Daten. 3. Mehrwert Im Vergleich zur herkömmlichen Bauwerksprüfung nach dem Stand der Technik ist die STRUCINSPECT Plattform eine zeitsparende, effektive und effiziente Alternative. Wesentliche Vorteile von STRUCINSPECT sind die absolute Objektivität und Wiederholbarkeit der Bearbeitung, die vollständige und lückenlose Dokumentation des Zustandes der gesamten Bauwerksoberfläche (auch schadensfreie Bereiche werden vollständig dokumentiert) und die einfache und automatisierte Dokumentation des Schadensfortschrittes bei aufeinanderfolgenden, periodischen Prüfungen. 4. Ausblick und Weiterentwicklung Die STRUCINSPECT Plattform ist in einem konstanten Weiterentwicklungsprozess, wodurch auf explizite Wünsche, Feedback und Inputs von Nutzern zeitnaheeingegangen werden kann. Weitere geplante Features in der aktuellen Entwicklungspipeline sind so zum Beispiel: zusätzliche Asset-Management-Features mit Kollaborationen bzw. Plug-ins für Asset-Management-Software-Systeme von Dritten, die Inspektion und Prüfung von weiteren Asset-Klassen 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 249 Brückenprüfung und Digitalisierung mittels AI und Cloud Computing (Straßen, Tunnel) sowie die Integration eines vertieften Datenaufnahme- und Auswertungsverfahrens (multispektral) für zusätzliche Schadenstypen. 5. Literaturangaben [1] Powers David M W (2011. „Evaluation: From Precision, Recall and F-Measure to ROC, Informedness, Markedness & Correlation”. Journal of Machine Learning Technologies. 2 (1): 37-63 Erhaltungsmanagement 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 253 Relevante Brückenbauwerke für ein prädiktives Erhaltungsmanagement Andreas Socher, Matthias Müller Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, Deutschland Zusammenfassung Ziel des Verbundforschungsprojekts OSIMAB ist die Entwicklung eines ganzheitlichen Konzepts zur kontinuierlichen Überwachung, Bewertung und Prognose des Zustandes von Straßenverkehrsbrücken. Es soll der Grundstein für ein prädiktives Erhaltungsmanagement gelegt werden. Ziel ist es, Verkehrsbeschränkungen zu minimieren, indem größere Zeiträume für die Planung und Durchführung von Baumaßnahmen geschaffen werden. Das Projekt konzentriert sich auf repräsentative Bauwerke des Brückenbestandes, deren vorausschauende Zustandsanalyse einen großen volkswirtschaftlichen Nutzen bietet. 1. Analyse des Brückenbestandes 1.1 Einleitung Mit zunehmender Komplexität der Baurechtserlangung, Planung und Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen wird es erforderlich, frühzeitig die Notwendigkeit derartiger Maßnahmen zu erkennen. Da der Brückenbestand einem kontinuierlichen Degradationsprozess unterliegt, gilt es, neue Methoden zur Früherkennung von Schäden und Mängeln an bestehenden Brückenbauwerken zu finden, um ein prädiktives Erhaltungsmanagement zu betreiben. Das Projekt OSIMAB zielt darauf ab, Bausteine für einen derartigen Lösungsansatz zu entwickeln. Der bestehende, umfangreiche Datenbestand des Bundes bildet in diesem Zusammenhang die Grundlage für die Identifizierung relevanter Brückenbauwerke. Um die für das Projekt relevanten Bauwerke zu finden, ist eine Systemidentifikation erforderlich, die über ein modulares Bewertungssystem verfügt. Diesbezüglich werden systematische Bauwerksschwachstellen, überwachungsrelevante Bauteile und Einflussparameter analysiert und bewertet. Dabei werden die gängigen Bauarten von Stahl-, Stahlverbund-, Stahlbeton- und Spannbetonbrücken untersucht. Anhand dieser Vorgehensweise kann ein Großteil der Brückenfläche des deutschen Bundesfernstraßennetzes bewertet werden [1]. Vor diesem Hintergrund repräsentieren Spannbetonbrücken 70% der gesamten Brückenoberfläche [1]. Dementsprechend wird diese Bauart im Mittelpunkt der Diskussion stehen. Die Systemidentifikation, das Clustern relevanter Brückenbauwerke, wird daher am Beispiel der Spannbetonbrücken veranschaulicht. 1.2 Aufschlüsselung und Filterung Aufgrund des angestrebten Ziels, werden nur Brücken betrachtet, die im Sinne ihres vorgesehenen Verwendungszwecks in erster Linie dem motorisierten Verkehr dienen. Hierdurch reduziert sich die Gesamtzahl von 52.288 Teilbauwerken in der Straßeninformationsbank, Teilsystem Bauwerke, auf 40.428. Zu den ausgeklammerten Bauwerken gehören u.a. Wildtierübergänge sowie Brücken, die ausschließlich für Fußgänger und Radfahrer vorgesehen sind. Im Rahmen der Beurteilung des Brückenbestandes werden zudem vereinzelt gebaute (z.B. Hub- oder Klappbrücken) und überschüttete Brückenbauwerke nicht berücksichtigt. Infolgedessen reduziert sich der Gesamtbestand an bewerteten Teilbauwerken weiter auf 37.030. Die Verwendung von Bewertungsmodulen, die sich auf typische schädliche Einflüsse sowie Defizitrisiken beziehen, wird auf diese Weise ermöglicht. Da sich das Projekt OSIMAB auf Brücken konzentriert, die noch für ein prädiktives Erhaltungsmanagement geeignet sein sollen, wird auch die Substanzkennzahl (SK) der Teilbauwerke zum Filterkriterium. Die Substanzkennzahl jedes Brückenbauwerks wurde durch fachkundige Prüfingenieure anhand vorgeschriebener, handnaher Bauwerksprüfungen entsprechend der DIN 1076 [2] sowie der RI-EBW-PRÜF [3] bestimmt. Zur Ermittlung der Substanzkennzahl werden die vorherrschenden Schäden und Mängel im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Standsicherheit und Dauerhaftigkeit des Bauwerks bewertet. Die Substanzkennzahl kann den folgenden Noten entsprechen: 1,0 - 1,4: sehr gut; 1,5 - 1,9: gut; 2,0 - 2,4: befriedigend; 2,5 - 2,9: ausreichend; 3,0 - 3,4 nicht ausreichend; 3,5 - 4,0: ungenügend [2]. 254 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Relevante Brückenbauwerke für ein prädiktives Erhaltungsmanagement Mit einer Note von 2,4 und besser befindet sich ein Bauwerk mindestens in einem befriedigenden Zustand und gehört somit zur Zielgruppe in Bezug auf ein prädiktives Erhaltungsmanagement. Eine Substanzkennzahl mit befriedigender Note (2.0 ≤ SK ≤ 2.4) besagt, dass nach dem derzeitigen Zustand des Bauwerks Folgeschäden oder Schadensausbreitungen auftreten können, jedoch nicht zu erwarten sind [2]. Die Notwendigkeit kurzfristiger Erhaltungsmaßnahmen wird daher per Definition als unwahrscheinlich angesehen [2]. Für Bauwerke, deren aktuelle Substanzkennzahl einen höheren Wert aufweist, besteht mittel- oder kurzfristig der Bedarf entsprechende Instandhaltungsmaßnahmen zu ergreifen. Da dieser Handlungsbedarf bereits bekannt ist, werden die entsprechenden Bauwerke herausgefiltert. Nach der Durchführung der erforderlichen Maßnahmen zur Schadensbzw. Mängelbeseitigung werden die Bauwerke, deren Substanzkennzahl sich entsprechend verbessert hat, wieder in die weiteren Auswertungen aufgenommen. Durch die kontinuierliche Durchführung derartiger Bewertungen kann sich das OSIMAB-System den Anforderungen des Brückenbestandes stetig anpassen. Nach Anwendung des Filterkriteriums der Substanzkennzahl (SK ≤ 2.4) bleiben 28.027 Brückenbauwerke (Stand 26.10.2018) für die weitere Durchführung der Systemidentifikation erhalten. Diese, als zukunftsfähig betrachteten Brückenbauwerke, teilen sich auf die folgenden Baustoffe auf: 18.403 Stahlbeton-, 8.842 Spannbeton-, 632 Stahlverbund- und 150 Stahlbauwerke. Für jeden Baustoff wurde im Rahmen der Systemidentifikation eine materialspezifische Bauwerksclusterung durchgeführt. 1.3 Prinzip des modularen Bewertungssystems Das modulare Bewertungssystem, das ein Teil der Systemidentifikation repräsentiert, ermittelt aus typischen Schädigungseinflüssen sowie konstruktiven Schwachstellen, die in sich jeweils Schädigungspotenziale darstellen, individuelle Punktzahlen. Die einzelnen Bewertungsmodule beziehen sich auf die verwendeten Baustoffe, Bauarten, die Konstruktionsparameter sowie den erfassten Verkehr. Dazu werden die Brückenbauwerke in mehreren Modulen bewertet, die auf verkehrstechnischen, materialspezifischen und konstruktiven Kriterien basieren. Im Kontext der verschiedenen Baustoffe werden die einzelnen Bewertungsmodule in allgemein anwendbare und baustoffspezifische Module unterteilt. Die Einzelbewertungen der verschiedenen Modultypen werden später je Bauwerk zu einer Gesamtbewertung zusammengefasst. 1.4 Baustoffspezifische Bewertungsmodule Die baustoffspezifischen Bewertungsmodule basieren in erster Linie auf der Historie von Richtlinien und Verordnungen. Dieser Ansatz nutzt den historischen Verlauf der Erkennung und Beseitigung von konstruktiven und materialbezogenen Schwachstellen. Da die Bauwerksclusterung anhand von Tausenden von Brückenbauwerken durchgeführt werden soll, werden nur weit verbreitete Schwachstellen in Betracht gezogen. Das Prinzip der Bewertung basiert auf dem Bewertungsverfahren von Kaschner et al., 2009 [4]. Das Konzept der Schädigungspotenziale berücksichtigt die relevanten Erkenntnisse in der zeitlichen Entwicklung der Bauweisen, welche auch zu entsprechenden Anpassungen der Regelwerke für den Brückenbau führten. Hierzu zählen beispielsweise Änderungen der Bemessungsvorschriften, der Konstruktionsregeln oder der Lastannahmen. Für die verschiedenen Bauweisen wurden die für die Standsicherheit und Dauerhaftigkeit relevanten historischen Entwicklungen bereits in mehreren Veröffentlichungen, bspw. in [5, 6 und 7] zusammengestellt. Es folgt eine Auflistung von Schädigungspotenzialen exemplarisch für Spannbetonbrücken, die im Zuge des Bewertungssystems jeweils einzelne Module darstellen: Nicht überdrückte Koppelfugen, die daraus resultierende erhöhte Ermüdungsbeanspruchung sowie die damit durch die Rissbildung verbundene, eingeschränkte Dauerhaftigkeit sind typische Schädigungspotenziale, bzw. Defizite, älterer Spannbetonbrücken. Die seinerzeit angewandte Bemessungsphilosophie unterstellte Rissfreiheit unter der Voraussetzung einzuhaltender Hauptzugspannungen für Schub und machte zum Teil nur sehr geringe Betonstahlbewehrungsgehalte erforderlich. Diese Bewehrung kann aus heutiger Sicht hinsichtlich ihrer konstruktiven Durchbildung nicht auf die vorhandene Bewehrung angerechnet werden. Aus dem gegebenen Zusammenhang weisen die betroffenen Bauwerke Schädigungspotenziale auf. Verstärkt werden diese konstruktiven Defizite durch die zum Teil unzureichende Berücksichtigung der Auswirkungen infolge von Temperaturbeanspruchungen und stetig steigenden Verkehrslasten. Die zunächst nicht beachtete und später unterschätzte Mindestbewehrung hinterließ Bauwerke, die diesbezüglich weitere Defizite aufweisen. Der mangelnde Schutz von Spanngliedern vor Umwelteinflüssen, insbesondere vor Chloriden, sowie die Gefahr, die von Spannungsrisskorrosion ausgeht, wurden als zwei weitere Schädigungspotenziale identifiziert [6, 8]. 1.5 Allgemein anwendbare Bewertungsmodule Unabhängig vom verwendeten Baustoff kommen drei Bewertungsmodule zum Einsatz, deren Ergebnisse für alle Bauwerke gleichermaßen Gültigkeit haben. Das erste Modul bezieht sich ausschließlich auf den durchschnittlichen täglichen Schwerverkehr (DTV-SV), um auf Grundlage des aufgezeichneten Verkehrs eine Differenzierung der Bauwerke zu ermöglichen. Die bauwerksspezifischen Verkehrsdaten sind das Ergebnis einer Verknüpfung von Verkehrs- und Bauwerksdaten. Die Daten der Straßeninformationsbank, Teilsystem Bau- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 255 Relevante Brückenbauwerke für ein prädiktives Erhaltungsmanagement werke, wurden um Informationen aus Datensätzen der manuellen und automatischen Verkehrszählstellen erweitert. Insgesamt wurden auf diese Weise die Daten aus 1736 automatischen und 10684 manuellen Straßenverkehrszählungen den Brückenbauwerken der Bundesfernstraßen zugeordnet. Das Modul ist somit in der Lage die Verkehrsbelastung nahezu aller Brückenbauwerke der Bundesfernstraßen zu bewerten. Für die Implementierung des zweiten Moduls wurden Verkehrseinwirkungen auf Basis der ermittelten Schwerverkehrsstärken und Zusammensetzungen der Verkehrsströme abgeschätzt. Hierzu wurden die Verkehrsdaten der einzelnen Bauwerke sowie die „Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand“ herangezogen [9]. Im Anschluss wurden die Verkehrseinwirkungen mit den theoretischen Widerständen der Bauwerke verglichen. Das Modul bewertet im Anschluss die Defizite der theoretischen Widerstände im Hinblick auf die abgeschätzten Verkehrseinwirkungen. Das dritte Modul nutzt die Ergebnisse eines bereits abgeschlossenen Forschungsvorhabens [10]. In diesen Analysen wurden Verkehrseinwirkungen eines typisierten, simulierten Verkehrsflusses den normierten Beanspruchungen unterschiedlicher theoretischer Widerstände gegenübergestellt und die Differenz der Biegemomente in Prozent angegeben. Bei diesen Untersuchungen wurden unterschiedliche Varianten von Brückenbauwerken untersucht, die sich u.a. in ihren Feldanzahlen, Spannweiten und Widerständen unterscheiden. Durch dieses Modul werden Bauwerke besonders berücksichtigt, die hinsichtlich der vorhandenen Randbedingungen des statischen Systems sensitiv auf die abgeschätzten Verkehrseinwirkungen reagieren. 1.6 Zusammenführung der Modulbewertungen Um die Einzelbewertungen der unterschiedlichen Module nutzbringend einsetzen zu können, werden die einzelnen Punktzahlen innerhalb ihrer jeweiligen Modulkategorie aufsummiert. Die Gesamtbewertung eines Bauwerks setzt sich im Anschluss gleichermaßen aus den Summen der beiden Kategorien zusammen. Die Gesamtbewertung dient der qualitativen Abschätzung des Potenzials zukünftiger Mängel und Schäden und bildet auf diese Weise die Grundlage für die anschließende Bauwerksclusterung. 2. Systemidentifikation 2.1 Zielvorstellung Die Systemidentifikation ist die Suche nach Referenzstrukturen für die Entwicklung des OSIMAB-Systems. Diese Bauwerke sollen nicht nur den Brückenbestand der Bundesfernstraßen repräsentieren [1], sondern auch auf Grundlage der ermittelten bauwerksspezifischen Schwachstellen als Basis für prädiktive Zustandsanalysen dienen. Die Eignung für ein prädiktives Erhaltungsmanagement sollte dennoch gegeben sein; daher werden lediglich Bauwerke berücksichtigt, die sich zumindest noch in einem befriedigenden Zustand befinden (SK ≤ 2,4). 2.2 Verifikation der Bewertungsmethode Um die Funktionsweise der vorgestellten, qualitativen Bewertungsmethode zu verifizieren, werden die Gesamtbewertungen der Brückenbauwerke in ein Verhältnis zur Substanzkennzahl gesetzt. Es ist zu prüfen, ob sich eine Bewertung anhand von Schädigungspotenzialen als geeignet erweist. Sofern sich eine eindeutige Korrelation zwischen den Gesamtbewertungen und den Substanzkennzahlen ableiten lässt, kann davon ausgegangen werden, dass die beschriebene modulare Bewertungsmethode eine hinreichende Aussage über das Potenzial für zukünftige Schäden und Mängel liefert. Um diesen Zusammenhang zu visualisieren, werden alle bewerteten Bauwerke anhand ihrer Substanzkennzahl unterteilt. Darüber hinaus werden die jeweiligen Bauwerksanzahlen dargestellt, siehe Abbildung 1. Es zeigt sich, dass eine starke Korrelation zwischen der Substanzkennzahl und der Gesamtbewertung besteht: Die Gesamtbewertung steigt linear zur Substanzkennzahl an. Daher kann die Gesamtbewertung als Indikator für zukünftige Schäden und Mängel angesehen werden. Abbildung 1: Gesamtbewertung und Bauwerksanzahl in Bezug zur Substanzkennzahl (SK) 256 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Relevante Brückenbauwerke für ein prädiktives Erhaltungsmanagement 2.3 Bildung des Bauwerksclusters Aus den bewerteten Spannbetonbrücken, die eine Substanzkennzahl unter 2,5 aufweisen, wird ein Bauwerkscluster gebildet. Da der Fokus auf Bauwerke gelegt werden soll, die ein hohes Potenzial für zukünftige Schäden und Mängel aufweisen, wird ein abschließendes Filterkriterium erforderlich: Es wird ein Schwellenwert in Bezug zur Gesamtbewertung festgelegt, der lediglich 10% der höchstbewerteten Spannbetonbrücken mit einer Substanzkennzahl unter 2,5 für das vorgesehene Cluster zulässt. Da Brückenbauwerke die gleiche Punktzahl aufweisen können, deckt das Cluster mehr Bauwerke ab, als der Prozentsatz vermuten lässt (913 von 8.842). Unabhängig der Substanzkennzahl wurden insgesamt 13.000 Spannbetonbrücken bewertet. Die Zusammensetzung der clusterspezifischen Bauwerkseigenschaften wurde bereits genutzt, um typische, aussagekräftige Merkmale der relevanten Brücken zu identifizieren. Auf Grundlage dieser Ergebnisse wurden relevante systematische Bauwerksschwachstellen, die diesbezüglichen überwachungsrelevanten Bauteile sowie deren Einflussparameter identifiziert. Darauf aufbauend wurden Sensorkonzepte entwickelt, die eine standardisierte, messtechnikgestützte Untersuchung signifikanter Anteile des Brückenbestandes ermöglichen. 2.4 Ergebnisse 2.4.1 Spannbetonbrücken Das Cluster der Spannbetonbrücken besteht aus 913 Bauwerken und weist folgende Eigenschaften auf: Der DTV- SV des Clusters konzentriert sich vorwiegend auf höhere Werte, siehe Abbildung 2. Abbildung 2: Durchschnittlicher täglicher Schwerverkehr aller bewerteten und geclusterten Spannbetonbrücken Darüber hinaus sind die Brückenlängen des Clusters im Vergleich zum bewerteten Bestand der Spannbetonbrücken im Durchschnitt größer. Die entscheidenden Baujahre des Clusters reichen von 1959 bis 1979, wie in Abbildung 3 dargestellt ist. Abbildung 3: Baujahre aller bewerteten und geclusterten Spannbetonbrücken Die Anzahl der Felder zeigt, dass Einfeldbauwerke im Cluster deutlich unterrepräsentiert sind, wohingegen Mehrfeldbauwerke im Hinblick auf die Feldanzahlen stets überrepräsentiert sind. Die Spannweiten der geclusterten Brücken liegen im Wesentlichen zwischen 15 m und 45 m. Während sich der Bestand der bewerteten Spannbetonbrücken auf verschiedene theoretische Widerstände, Brückenklasse 60, 60/ 30 sowie Lastmodell 1, aufteilt, konzentrieren sich innerhalb des Clusters Bauwerke der Brückenklasse 60, wie Abbildung 4 zu entnehmen ist. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 257 Relevante Brückenbauwerke für ein prädiktives Erhaltungsmanagement Abbildung 4: Theoretische Widerstände aller bewerteten und geclusterten Spannbetonbrücken Die entscheidenden Bauwerksarten sind die Folgenden: Hohlkastenbrücken, Plattenbrücken und Plattenbalkenbrücken. Abgesehen von Hohlkastenbrücken, die eine erhebliche Überrepräsentierung erfahren, spiegelt das Cluster in diesem Zusammenhang den gesamten bewerteten Bestand an Spannbetonbrücken wieder. 2.4.2 Gesamter Brückenbestand Die kombinierte Betrachtung der Cluster der Bauarten, Stahlbeton, Spannbeton, Stahlverbund und Stahl, ergab die folgenden Erkenntnisse: Die Bauwerkslängen, Spannweiten und Stützweiten der geclusterten Brückenbauwerke sind in den meisten Fällen deutlich größer als Die des korrespondierenden Anteils des bewerteten Bestandes. Darüber hinaus weisen die Bauwerkscluster, mit Ausnahme der Stahlverbundbrücken, eine hohe Konzentration bei der Brückenklasse 60 auf. Im Cluster der Stahlverbundbrücken fokussieren sich die Bauwerke neben der Brückenklasse 60 auch auf Brückenklasse 60/ 30. In Bezug auf die Baujahre ist festzustellen, dass die 1960er und 1970er Jahre die entscheidenden Zeiträume für die Bauwerkscluster der Spannbeton- und Stahlbetonbrücken darstellen. Darüber hinaus kann festgestellt werden, dass im Durchschnitt eine hohe Schwerverkehrsbelastung bei den geclusterten Brückenbauwerken vorliegt. Dementsprechend weisen die Teilbauwerke der Cluster größere Breiten auf, als der korrespondierende bewertete Bestand, i.d.R. 15 m und mehr. In Bezug auf die Bauarten ist festzustellen, dass Hohlkastenbrücken, Plattenbrücken und Plattenbalkenbrücken überwiegend in den Bauwerksclustern vertreten sind. 2.5 Fazit Die Systemidentifikation bildete die Grundlage für die weitere Entwicklung des Projekts OSIMAB: Die Sensorkonzepte für die Instrumentierung relevanter Brückenbauwerke basierten auf den Charakteristika der geclusterten Bauwerke. Die gewonnenen Erkenntnisse über die systematischen Bauwerksschwachstellen, überwachungsrelevanten Bauteile sowie deren Einflussparameter sind zudem in die Entwicklung der Methoden der Zustandsanalyse eingeflossen. Die Ergebnisse der Systemidentifikation wurden für die Erstellung der Systemmodelle sowie für die Berücksichtigung und Einbindung relevanter Schädigungsszenarien genutzt. Insbesondere im Zuge der Herleitung der Schädigungsszenarien ist es unerlässlich gewesen, dass die vorherrschenden Problemstellungen des Brückenbestandes, u.a. Spannungsrisskorrosion von Spanngliedern, in Bezug auf ihre Häufigkeit untersucht wurden. Schließlich wurde ein Demonstrator, ein einzelnes Brückenbauwerk, das das Cluster der Spannbetonbrücken repräsentiert, ausgewählt. Es handelt sich um die Talbrücke Sachsengraben auf der A45 südlich von Dortmund, siehe Abbildung 5. Abbildung 5: Talbrücke Sachsengraben auf der A45 - Demonstrator des Projekts OSIMAB Das Bauwerk entspricht hinsichtlich seiner konstruktiven Eigenschaften einem signifikanten Anteil des Brückenbestandes. Im Rahmen des Projekts wurde die Brücke bereits mit Messtechnik ausgestattet. Derzeit werden umfangreiche Datensätze gesammelt, die die weiteren Arbeiten zur Analyse der Zustandsentwicklung unterstützen. Im Fokus der Untersuchungen stehen nicht nur die Einwirkungen und korrespondierenden Bauwerksreaktionen, sondern auch die bereits aufgetretenen Schäden, u.a. durchgehende Querrisse. Aus diesem Grund kann nicht nur das Projekt OSIMAB, sondern auch die zuständige Straßenbaubehörde, Straßen.NRW, von der kontinuierlichen Zustandsanalyse des Demonstrator-Bauwerks profitieren. 258 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Relevante Brückenbauwerke für ein prädiktives Erhaltungsmanagement Das Verbundforschungsprojekt OSIMAB wird im Rahmen des Modernitätsfonds „mFUND“ des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) gefördert. Darüber hinaus wird das Projekt von Straßen. NRW, der Straßenbaubehörde des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, vielseitig unterstützt. 2.6 Projektkonsortium Das Verbundforschungsprojekt OSIMAB wird gemeinschaftlich durch die folgenden Partner bearbeitet: • Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach (Verbundforschungskoordination) • Rheinische Friedrich-Wilhelms- Universität Bonn Bonn-Aachen International Center for Information Technology • Hottinger Baldwin Messtechnik GmbH, Darmstadt • ITC Engineering GmbH & Co. KG, Stuttgart • Technische Universität Berlin Fachgebiet Entwerfen und Konstruieren - Stahlbau Literatur [1] Brückenstatistik: Interne Auswertung der Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, 2018. [2] DIN 1076: Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung, Beuth Verlag, Berlin, 1999. [3] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) (2017). Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 (RI-EBW-PRÜF 2017), Ausgabe 22.02.2017. [4] Kaschner, R., Roder, C., Mayer, T., Brang, C.: Ermittlung relevanter Bauwerke zur Ertüchtigung des Brückenbestandes der Bundesfernstraßen. Sachstand: Mai 2009; Datennacherhebung und Priorisierung: September 2009. Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, 2009. [5] Hegger, J., Beutel, R., Karakas, A.: Handlungsanweisung für die Berechnung und konstruktive Durchbildung schubkraftgefährdeter Bauwerke. Abschlussbericht für das Hessische Landesamt für Straßen- und Verkehrswesen, Bericht -Nr. IMB: 193/ 2007, Aachen, 2007. [6] Schnellenbach-Held, M. et al.: Intelligente Brücke - Schädigungsrelevante Einwirkungen und Schädigungspotenziale von Brückenbauwerken aus Beton. In: BASt Schriftenreihe B, Heft B 110, ff. 42-44. Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, 2015. [7] Neumann, W., Brauer, A.: Nachrechnung von Stahl- und Verbundbrücken - Systematische Datenauswertung nachgerechneter Bauwerke. In: BASt Schriftenreihe B, Heft B 144, ff. 48-53. Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, 2018. [8] Fingerloos, F.: Historische technische Regelwerke für den Beton-, Stahlbeton- und Spannbetonbau. Bemessung und Ausführung. 1. Ausgabe. Ernst & Sohn, Berlin, 2009. [9] Nachrechnungsrichtlinie: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie), Ausgabe 5/ 2011, BMVBS, 2011. [10] Geißler, K.: Auswirkung der Zulassung von 60t- Lkw auf Brückenbauwerke im Zuge der Bundesfernstraßen. In: BASt Schriftenreihe B, Heft B 68, p. 325. Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, 2007. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 259 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement Prof. Dr.-Ing. Jan Akkermann Institut für Angewandte Forschung Hochschule Karlsruhe Simon Weiler M. Eng. Institut für Angewandte Forschung Hochschule Karlsruhe Dr.-Ing. Jörg Bödefeld Referat Infrastrukturmanagement Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe Sarah Elting M. Eng. Referat Infrastrukturmanagement Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe Zusammenfassung Die übliche Zustandsbewertung im Kontext der DIN 1076 erfolgt aktuell nach den Vorgaben der RI-EBW-PRÜF. Hierbei werden zunächst Schäden in den Bauwerkshauptprüfungen nach Intensität, Art und Einfluss auf Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit klassifiziert. Die strukturelle Leistungsfähigkeit von Brückenbauwerken und Teilen hiervon, auf diese Schäden vulnerabel oder robust zu reagieren, stellt einen wesentlichen Indikator für die Ausfallwahrscheinlichkeit dar. Die konstruktionsinhärente Bauwerksrobustheit ist damit eine zusätzliche Ausgangsinformation für eine qualifizierte Zustandsbewertung im Erhaltungsmanagement und für die Priorisierung von Maßnahmen. Ursprünglich für Verkehrswasserbauwerke konzipiert, wird die von der Hochschule Karlsruhe (HsKA) in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) entwickelte Methode zur Ermittlung der Bauwerksrobustheit und deren Verknüpfung von Schadensprozessen zu einem „Schadensindex“ auf Brückenbauwerke der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) übertragen. Hierdurch werden perspektivisch sowohl eine typologische Clusterung gleichartiger Bauarten in Bezug auf Schadensprozesse als auch Maßnahmenreihungen im Bauwerksportfolio ermöglicht. Gleichzeitig ergeben sich aus der Systematik ggf. erweiterte Anforderungen an die Bauwerksprüfung und -dokumentation. Der Beitrag stellt die Systematik der Methode sowie die exemplarische Anwendung auf Brückenbauwerke dar. 1. Einleitung - Erhaltungsmanagement von Brücken Der Erhalt der bundesdeutschen Verkehrsinfrastruktur stellt eine der wesentlichen Aufgaben im aktuellen Brückenbau dar. Der Bundesverkehrswegeplan 2030 sieht mit 70% der veranschlagten Mittel erstmalig den Erhalt bedeutender als Neu- und Ausbau an. Wesentlicher Steuerparameter im Erhaltungsmanagement sind Zustandserfassung und -bewertung. Die Regelungen für Straßenbrücken im Kontext von DIN 1076 und RI-EBW-PRÜF [1] sind die Basis für Einzel- und Portfoliobewertungen - sowohl für den Hoheitsbereich des BMVI als auch auf kommunaler Ebene. Während sich für Bundesfernstraßen durch konzertierte Erhaltungs- und Erneuerungsprogramme die problematischen Bauwerksbewertungen (Noten > 3,5) verbessern konnten [2], nimmt die Bewertung des Bauwerksportfolios insgesamt ab. Abb. 1 verdeutlicht bspw. eine zunehmende Verschlechterung der Bauwerksnoten an Bundesautobahnen. Gleiches lässt sich für die geschätzten 100.000 kommunalen Straßenbrücken feststellen. 260 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement Abb. 1 Zustandsnoten nach RI-EBW-PRÜF an Bundesautobahnen nach M arzahn [2] Für die Brücken im Hoheitsbereich der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV), die grundsätzlich auch nach [1] beurteilt werden, stellt sich der aktuelle Zustand etwas günstiger dar (Abb. 2). Gleichwohl ist auch hier eine kontinuierliche Degradation des Zustandes zu erkennen. Abb. 2 Zustandsnoten und Substanzkennzahlen der Brückenprüfung nach DIN 1076 von Straßen- und Wegebrückenanlagen im Verantwortungs-bereich der WSV Bei der üblichen Bewertung gemäß RI-EBW-PRÜF [1] nach Standsicherheit (S), Verkehrssicherheit (V) und Dauerhaftigkeit (D) sind im bautechnischen Erhaltungsmanagement insbesondere die Werte von S und D von Interesse, welche zusammen die Substanzkennzahl ergeben. Schlechte Substanzkennzahlen sind zunächst Indikatoren für einen mittel- oder kurzfristig kritischen Bauwerkszustand und damit für die qualitative Ausfallwahrscheinlichkeit einer Brücke. Die kontinuierliche Degradation der Bauwerke überlagert sich aktuell mit erheblicher Ressourcenknappheit. Obgleich beim Bund finanzielle Mittel in bedeutendem Umfang bereitgestellt werden, fehlt es in der Verwaltungsstruktur, gerade auch in Kommunen, an Personal zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben. Zwecks Priorisierung von Instandsetzungsmaßnahmen sind daher erweiterte Zustandsbewertungen der Bauwerke an sich und eine Einbeziehung der Ausfallfolgen [3] in die Maßnahmenreihung sinnvoll. 2. Bauwerksrobustheit 2.1 Robustheitsdefinition und -kriterien Wie in [4], [5] bereits festgestellt, liegt in einer normenkonformen Planung von Brückenbauwerken nicht automatisch eine in allen Aspekten hohe Nachhaltigkeit der Konstruktion begründet. Vielmehr stellt die Möglichkeit einer Konstruktion, während ihrer Lebensdauer auch auf unvorhergesehene Einflüsse „gutmütig“ zu reagieren, ein entscheidendes Qualitätsmerkmal dar. Als unvorhergesehenes Ereignis kann hierbei sowohl eine außergewöhnliche Belastung, bspw. ein Unfallereignis, aber insbesondere auch die unplanmäßige Degradation des Bauwerks durch verzögerte und unterlassene Instandhaltung angesehen werden. Trotz aktuell gültiger, deskriptiver Bemessungskonzepte zur Dauerhaftigkeit in gültigen Normen sind die Streuungen der Lebensdauerprognosen erheblich. Insbesondere aber bei älteren Brückenbauwerken, denen in ihrer Entstehungszeit noch nicht moderne Nachhaltigkeitsbemessungen (z. B. Betongüte, Betondeckung; Rissbreitenbegrenzung usw.) zugrunde lagen, zeigt sich oft ein signifikanter Unterschied bei den Auswirkungen gleichartiger Schädigungen auf Tragsicherheit und Gebrauchstauglichkeit. Bei der ursprünglich für Schleusenbauwerke [6] entwickelten Methode zur Bewertung der Bauwerksrobustheit hinsichtlich Alterungs- und Abnutzungsschäden im Erhaltungsmanagement, wurde die Robustheit als Differenz der strukturellen Leistungsfähigkeit zwischen einem ungeschädigten und einem geschädigten System definiert (Abb. 3). 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 261 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement Abb. 3 Definition der Robustheit als Maß der strukturellen Leistungsfähigkeit: a) üblicher Ansatz von Schädigung im Erhaltungs-management, b) Robustheit als erweiterte Bauwerksqualität hinsichtlich des Schädigungsgrades [6] In der für Verkehrswasserbauwerke gültigen Nachrechnungsvorschrift BAW-TbW [7] wird Robustheit ähnlich definiert: „Robustheit (Schadenstoleranz) ist die Eigenschaft eines Tragwerks, unvorhergesehenen bzw. unberücksichtigten Beanspruchungen oder Ausfällen zielgerecht zu widerstehen.“ Zur qualitativen aber auch quantitativen Bewertung der Bauwerksrobustheit, um sie sowohl potentiellen als auch realen Schäden gegenüberzustellen, bedarf es der Definition von Robustheitskriterien, die sich sowohl auf die Tragfähigkeit als auch auf die Gebrauchstauglichkeit erstrecken. Hierzu wurden für Brücken im Hinblick auf deren Entwurf bereits qualitative Vorschläge unterbreitet [8] (Tab. 1). Tab. 1 Robustheitskriterien Brückenentwurf nach [8] Robustheitskriterium 1 Redundanz (Alternativer Lastpfad) 2 Ausfallsicherheit gegenüber außergewöhnlichen Einwirkungen 3 Stabilisierende Konstruktion (Stabilitätsgefährdung) 4 Duktilität 5 Monolithische Bauweise 6 Verformungsfähigkeit 7 Kraftflussorientierte Form 8 Kompaktheit 9 Austauschbarkeit 10 Anpassungsfähigkeit 11 Fehlerunanfällige Herstellbarkeit In einer eigenen Betrachtungsweise [6] werden diese Kriterien neu geordnet, zusammengefasst und auf die bei Bestandsbauwerken zu erwartenden Alterungsschäden bezogen. Hieraus ergeben sich zunächst sieben Robustheitskriterien (Tab. 2). Tab. 2 Robustheitskriterien Schleusen nach [6] Robustheitskriterium 1 Redundanz (bestimmt durch den statischen Ausnutzungsgrad) 2 Progressiver Kollaps 3 Duktilität 4 Verformungsfähigkeit 5 Nutzungsintensität (Ermüdung) 6 Instandsetzungsaufwand 7 Globale Standsicherheit (Geotechnik) Für alle Kriterien werden qualitative Bewertungen mit Noten zwischen 1 und 4 vergeben. Hierbei können die statischen Ausnutzungsgerade für die Kriterien Redundanz und Ermüdung direkt aus den Ergebnissen der Bauwerksnachrechnung nach TbW [7] entnommen werden, sofern diese vorliegen (Abb. 4a und 4b). Für die anderen Kriterien werden Noten nach qualitativen Gesichtspunkten vergeben (Abb. 4c). Diese Noten werden für unterschiedliche Bauwerksbereiche ermittelt und ergeben 262 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement nach Überlagerung eine Gesamtnote zur Bewertung der Robustheit des Gesamtbauwerks. Abb. 4 Robustheitsnoten 1-4 für: a) „Redundanz“ bei Biegenachweisen im Grenzzustand der Tragfähigkeit; b) „Nutzungsintensität“ bei Ermüdungsnachweisen im Grenzzustand der Tragfähigkeit; c) „Instandsetzungsaufwand“ [6] In einer aktuellen Fortentwicklung der Methode [9] für Verkehrswasserbauwerke aus Stahlbeton wird die Anzahl der Robustheitskriterien nochmals reduziert und sehr stark auf die Berechnungsergebnisse nach TbW [7] bezogen. Die primär hinsichtlich des quantitativen Kriteriums Ausnutzungsgrad benoteten Nachrechnungen der Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit sowie Ermüdung - sowohl für die Konstruktionselemente als auch die Geotechnik - werden durch qualitative Kriterien wie Lastumlagerung, Verformungsfähigkeit, Nutzungsintensität und Instandsetzungsaufwand graduell korrigiert. Tab. 3 optimierte Robustheitskriterien nach [9] Robustheitskriterium 1 Ausnutzungsgrad (Note 1-4) • Tragfähigkeit • Gebrauchstauglichkeit • Geotechnik 2 Korrekturfaktoren zu 1 (+/ - 0,1) aus a) Lastumlagerung • Kraftflussorientierte Form • statische Bestimmtheit • stabilisierende Bettung • Bewehrungsreserven b) Verformungsfähigkeit • Ankündigungsverhalten • Duktilität Stahl • Mindestbewehrung • Rotationsvermögen • Mindestdruckzone c) Nutzungsintensität • Anzahl Nutzlasten d) Instandsetzungsaufwand • Erhalt Funktionstüchtigkeit Mögliche Lastumlagerungen oder eine hohe Duktilität relativieren bspw. hohe Ausnutzungsgrade. Bei statisch bestimmten Konstruktionen wirkt sich eine hohe Ausnutzung hingegen negativ auf die Robustheit aus. Bei Schleusen werden im Kammerquerschnitt die in Abb. 5 dargestellten Bereiche und Regel-Berechnungsschnitte berücksichtigt. Abb. 5 Nachweisbereiche und Berechnungsschnitte in Schleusenkammerquerschnitten [9] 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 263 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement 2.2 Robustheit von Brücken Die vorgenannten Robustheitskriterien nach [9] (Tab. 3) lassen sich sinngemäß auf Stahlbetonbzw. Spannbetonbrücken übertragen. Zunächst bietet die Nachrechnungsrichtlinie des Bundesverkehrsministeriums (NRR) [10] ebenso wie die TbW [7] im Ergebnis Ausnutzungsgrade in den Einzelnachweisen an. Die in der Anlage 2 zur NRR dargestellte Ergebniszusammenfassung beinhaltet ebenfalls die Ergebnisse zu Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Ermüdung. Zusätzlich werden - soweit vorhanden - die Brückenlager rechnerisch bewertet. Die Lage der Nachweisführung im Querschnitt ist i.d.R. durch die NRR vorgegeben (Abb. 6). Neben einer Querschnittbetrachtung ist auch das statische System in Längsrichtung von Bedeutung (Abb. 7). Nach [8] sind lagerfreie (integrale) Stahlbetonbrücken, die zumeist statisch unbestimmt sind, als robuster einzustufen. Basierend auf den Ausnutzungsgraden gemäß NRR können somit für alle Brückenbereiche in Längsrichtung und jeweiligem Querschnitt die Robustheitsnoten ermittelt werden. Die Auswertung der Robustheit kann sodann bezogen auf: • Brückenquerschnitt • Nachweisformat (z. B. Spanngliedermüdung) • Spezialbauteile (z. B. Lager) • Gesamtbauwerk erfolgen. Abb. 6 Nachweisbereiche in Brückenquerschnitten gemäß Anlage Nachrechnungsrichtline [10] Abb. 7 Nachweisbereiche in Brückenlängsrichtung gemäß Anlage Nachrechnungsrichtline [10] Das prinzipielle Vorgehen wird an zwei Fallbeispielen (Tab. 4 und 5) überschlägig erläutert. 264 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement Tab. 4 Fallbeispiel 1: Stahlbeton-Halbrahmen Bereich: Rahmenecke Widerlagerwand Randbedingung Kriterium Note Ausnutzung Rahmeneckbewehrung 95% Ausnutzung 3 Schlaff bewehrt, höherduktiler Stahl BSt III Verformungsfähigkeit, Duktilität -0,1 Hinterfüllung Widerlager Lastumlagerung, Bettung Baugrund -0,1 statisch unbestimmt Lastumlagerung -0,1 Mindestbewehrung vorh. Verformungsfähigkeit -0,1 Rotationsvermögen vorh. Verformungsfähigkeit -0,1 Kreisstraße (DTV-SV < 1000) Intensität -0,1 einfacher Fahrbahnbelag Instandsetzungsaufwand -0,1 Korrigierte Robustheitsnote 2,3 Der in Tab. 4 dargestellte Fall eines einfachen Stahlbeton-Halbrahmens (s. Beispielbauwerk in Abb. 8) weist alle Merkmale einer robusten Konstruktion auf. Die zunächst geringe Robustheit (Note 3) wird durch mehrere Kriterien signifikant erhöht. Die hohe Ausnutzung der betrachteten Rahmeneckbewehrung würde im Fall eines Alterungsschadens, z. B. chloridinduzierte Korrosion aufgrund defekter oberseitiger Abdichtung, dennoch nicht zu einem Globalversagen führen. Abb. 8 Beispiel: Straßenbrücke über Kanal als Stahlbetonrahmen [WSV] Die in Tab. 5 behandelte Spannbetonbrücke (s. Beispielbauwerk in Abb. 9) hat zwar grundsätzlich eine geringere Ausnutzung des Spannstahls in Feldmitte, weist aber gleichzeitig wenig robuste Merkmale auf. Die Robustheitsnote ist daher in Summe schlechter als bei dem Stahlbeton-Halbrahmen. Abb. 9 Beispiel: Straßenbrücke über Kanal als Spannbeton-Einfeldträger [WSV] Es sei daran erinnert, dass bei beiden Bauwerken die normative Bemessung als eingehalten angenommen wird. Ferner wird bislang keinerlei Schädigung des betrachteten Bereiches berücksichtigt. Die unterschiedliche Robustheitsnote verdeutlicht jedoch, dass ein im Zuge einer Bauwerksinspektion festgestellter Schaden sich bei der Spannbetonbrücke in Feldmitte - unabhängig von den Ausfallfolgen des Bauwerks - ungünstiger auswirken würde als beim Stahlbeton-Halbrahmen in der Rahmenecke. Bei gleicher Verkehrsbedeutung der Bauwerke und gleicher Schadensintensität wäre daher die Spannbetonbrücke priorisiert zu behandeln. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 265 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement Tab. 5 Fallbeispiel 2: Spannbeton-Einfeldträger Bereich: Feldmitte Randbedingung Kriterium Note Ausnutzung Spannbewehrung 90% Ausnutzung 3 Spannstahl Verformungsfähigkeit, Duktilität +0,1 statisch bestimmt Lastumlagerung +0,1 Lastabtrag nur durch Lager Lastumlagerung, Bettung Baugrund +0,1 keine Robustheitsbewehrung Verformungsfähigkeit +0,1 Bundesstraße (DTV-SV > 2000) Intensität +0,1 Flussquerung Instandsetzungsaufwand +0,1 Korrigierte Robustheitsnote 3,6 3. Einfluss von Bauwerksschäden 3.1 Schäden an Verkehrswasserbauwerken Im Zuge der Bauwerksinspektionen werden festgestellte Schäden nach BAWMerkblatt MSV [11] in Schadensklassen von 1 bis 4 eingeteilt. Hierbei wird in verschiedene Schadensprozesse unterschieden. Für eine Korrelation der Schadensprozesse mit der jeweiligen Robustheit in den betrachteten Bauwerksbereichen wird in [6] eine Zuordnungsmatrix erstellt. Die quantitative Überlagerung erfolgt gewichtet. Hieraus wird ein Schadensindex SI als erweiterte Zustandsnote ermittelt. (1) Hierbei nehmen die Parameter folgende Werte an: SI Schadensindex 0 - 16 R maßgebende Robustheitsnote am Betrachtungsort i 0 - 4 W Wichtung der Kriterien 1 - 3 SK Schadensklasse 1 - 4 F Faktor Zusammenhangs von Schaden und Kriterium; vereinfachend 1 1 i Betrachtungsorte 1 - 16 j Kriterien 1 - 7 Zur besseren Verständlichkeit wird anschließend der Schadensindex SI auf Werte zwischen 0 und 1 normiert. Ein Schadensindex von 1 ergibt sich aus geringer Robustheit bei gleichzeitig hohem Schaden. Ein Vergleich von Schleusenquerschnitten unterschiedlicher Bauart (Abb. 10) verdeutlicht den relativierenden Effekt der um die Bauwerksrobustheit erweiterten Zustandsbetrachtung. Die in Tab. 6 gezeigten Bewertungsergebnisse zeigen, dass Schleusen mit hohen Schadensklassen aufgrund guter Robustheitsnoten in der Priorisierung von Instandsetzungsmaßnahmen zurückstehen. So weist die Schleuse Bachhausen zwar eine hohe Schadensklasse nach Bauwerksinspektion aus, hat aber aufgrund der gedrungenen Rahmenstruktur eine hohe Robustheit. Hierdurch wird der Schadensindex signifikant reduziert. 266 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement Tab. 6 Vergleich Schleusenquerschnitte [6] Schleuse Zustandsnote Schadensindex Anzahl > 0,72 Robustheit Schnitt Schadensklasse Maßgeb. Verfallsprozess Erlangen 3,9 1,00 15 0,19 1 4 Fugen und Dichtungen Eibach 3,9 1,00 8 0,23 2 4 Fugen und Dichtungen Leerstetten 4,0 1,00 5 0,66 2 4 Fugen und Dichtungen Strullendorf 4,0 1,00 4 0,29 13 4 Fugen und Dichtungen Nürnberg 3,9 0,88 2 0,19 5 3,1 Risse im Stahlbeton Uelzen I 4,0 0,61 0 0,44 13 3,2 Oberflächenschäden Beton Oberhausen 3,2 0,50 0 0,59 7 3,2 Oberflächenschäden Beton Herne-Ost 4,0 0,34 0 0,58 3 2,2 Oberflächenschäden Beton Kelheim 4,0 0,32 0 0,69 7 2,9 Fugen und Dichtungen Bachhausen 4,0 0,30 0 0,84 13 3,1 Oberflächenschäden Beton Zeltingen 2,1 0,25 0 0,62 15 2,1 Risse im Stahlbeton Henrichenburg 3,2 0,18 0 0,67 9 1,9 Oberflächenschäden Beton Abb. 10 Parameterstudie an unterschiedlichen Schleusenquerschnitten [6] 3.2 Schäden an Brückenbauwerken Die an Brückenbauwerken im Rahmen der Bauwerksinspektion festgestellten Schäden werden nach [1] klassifiziert. Die ergänzend zur RI-EBW-PRÜF zur Verfügung gestellten Schadensbeispiele legen den Rahmen für die Bewertung der Kriterien S/ V/ D fest. Allerdings erfolgt die Bewertung hinsichtlich der Gebrauchs- und Tragfähigkeit nur überschlägig. Die Auswirkungen auf das Bauwerksverhalten werden größtenteils implizit beurteilt. Bei gleichem Schadensbild und gleicher Konstruktionsart wird die gleiche Schadensbewertung vorgenommen - unabhängig von den Konsequenzen auf das Gesamtbauwerk. Zur Verdeutlichung werden die vorherigen Fallbeispiele wieder aufgenommen. Fall 1: Stahlbeton-Halbrahmen Beispiel-ID 002-05 Tragbewehrung liegt im karbonatisierten Bereich und ist korrodiert ⇒ S = 1; D = 3 Fall 2: Spannbeton-Einfeldträger Beispiel-ID 201-04 einsetzende Korrosion der Spannstähle (verpresste Hüllrohre) ⇒ S = 1; D = 3 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 267 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement Die festgestellten, sich ähnelnden Schäden führen quasi zu gleichen Bauwerksnoten im Prüfbericht. Perspektivisch ist jedoch der Fall 2 aufgrund der geringeren Bauwerksrobustheit von viel größerer Bedeutung im Erhaltungsmanagement. Anders als bei Verkehrswasserbauwerken werden die Schäden von Brücken über zwei Schadensbewertungen klassifiziert. Hierbei geht die Dauerhaftigkeitsbewertung D immer der Standsicherheitsbewertung S voraus. Im Kontext von Schadensprozessmodellen gilt es hier Korrelationen herzustellen. Eine vereinfachende Umrechnung könnte hierbei wie folgt lauten: (2) 4. Zusammenfassung und Perspektive Die im vorliegenden Beitrag vorgestellte Bewertung der Robustheit von Infrastrukturkonstruktionen ermöglicht eine detailliertere Bewertung der Bauwerke, als dass sie über die reine Zustandsbewertung der Bauwerksprüfung möglich ist. Im Ergebnis ergibt sich auf Basis einer nach NRR [10] durchgeführten Nachrechnung ein Robustheitsindex zwischen 0 und 1, der durch Überlagerung mit der Zustandsnote zu einem Schadensindex zusammengeführt wird. Je nach in der Bauwerksprüfung festgestellter Schadenspropagation können damit die Instandsetzungsmaßnahmen gezielter für geringer robuste Bauwerke priorisiert werden. Für eine verlässlichere Überlagerung von aus Nachrechnungsergebnissen gewonnenen Robustheitsnoten mit Schadensprozessen wäre ein Abgleich von Nachweisbereichen nach NRR [10] und Dokumentationsbereichen in der Hauptprüfung von Vorteil. Bislang erfolgt die Verbuchung von Schäden in der Bauwerksdatenbank SIB-Bauwerke nur grob nach Brückenkomponenten (Überbau, Unterbau, etc.). Digitale Dokumentationshilfen ermöglichen hier zukünftig genauere Ortsangaben. Literatur [1] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2017) Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 (RI-EBW-PRÜF). Bonn 2017. [2] Marzahn, G. (2018) Straßenbrücken der Zukunft -Anforderungen aus Sicht eines Bauherrn. Symposium Intelligente Brücke - Neue Entwicklungen. Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach. [3] Schmidt-Bäumler, H. (2016) Risikobetrachtungen bei der Instandhaltung von Infrastrukturbauwerken. Kolloquium Instandhaltung von Wasserbauwerken. Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe [4] Kersken-Bradley, M. (1992) Unempfindliche Tragwerke - Entwurf und Konstruktion. Bauingenieur, Band 67, S. 1-5. [5] Pötzl, M. (1996) Robuste Tragwerke - Vorschläge zu Entwurf und Konstruktion. Bauingenieur, Band 71, S. 481-488. [6] Akkermann, J., Weiler, S., Bödefeld, J., Meier, J. (2018) Die Bauwerksrobustheit im Kontext eines risikobasierten Erhaltungsmanagements. Beton- und Stahlbetonbau 113, H. 10, S. 716-726, doi: 10.1002/ best.201800057. [7] Bundesanstalt für Wasserbau (2016) BAW- Merk-blatt: Bewertung der Tragfähigkeit bestehender, massiver Wasserbauwerke (TbW). [8] Pötzl, M. (1996) Robuste Brücken. Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig/ Wiesbaden. [9] Akkermann, J., Wild, M. (2020) Robustheit von Verkehrswasserbauwerken - Systemoptimierung. FuE-Vorhaben der Bundesanstalt für Wasserbau, Institut für Angewandte Forschung, Hochschule Karlsruhe, 1. Zwischenbericht (unveröffentlicht) [10] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2011) Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie). [11] Bundesanstalt für Wasserbau (2015) BAWMerkblatt Schadensklassifizierung an Verkehrswasserbauwerken (MSV). 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 269 Ein FMEA-Ansatz zur besseren Auswertung von Inspektionsergebnissen François Marie Nyobeu Fangue Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Deutschland Annemarie Seiffert Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Deutschland Dr. Jörg Bödefeld Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Deutschland Zusammenfassung In diesem Beitrag wird die Fehlermöglichkeiten- und Ausfallanalyse (FMEA) zur qualitativen Bestimmung der strukturellen Zuverlässigkeit von Verkehrswasserbauwerken verwendet. Ziel ist es, zusätzlich zu den aktuellen Zustandsnoten Kennzahlen zu entwickeln, die den Entscheidungsprozess hinsichtlich der Dringlichkeit von Instandsetzungsmaßnahmen unterstützen können. Sie werden auf der Grundlage von Expertenbefragungen und Inspektionsergebnissen ermittelt und sollen ein genaueres Bild über die Auswirkungen von Schäden auf bestimmte Bauwerksanforderungen liefern. Die ursprünglich für Wasserbauwerke entwickelte Methodik wird auf Brückenbauwerke übertragen und exemplarisch auf zwei Straßenbrücken (Schachtschleuse und Bierweg) angewendet. Trotz ihrer identischen Zustandsnote lässt die Anwendung der FMEA auf einen vorrangigen Instandsetzungsbedarf des Überbaus der Brücke „Schachtschleuse“ schließen. 1. Einleitung Die Erhaltung der Verkehrswasserbauwerke, insbesondere Schleusen, Wehre und Brücken, ist eine der wichtigsten Aufgaben der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV). Der heterogene Wasserbauwerksbestand in Deutschland ist gekennzeichnet durch eine beträchtliche Anzahl von Bauwerken, die sich aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters und den veränderten Umwelt- und Nutzungsbedingungen in einem unzureichenden Zustand befinden [1]. Unzureichende Unterhaltungsmaßnahmen aufgrund begrenzter personeller und finanzieller Ressourcen haben zudem zu einem Rückstand an notwendigen Erhaltungsmaßnahmen geführt. Aufgrund ihres Alters ist damit zu rechnen, dass die Zahl der erhaltungsbedürftigen Bauwerke in den kommenden Jahren weiter zunehmen wird. Die aktuelle Entscheidung über notwendige Erhaltungsmaßnahmen orientiert sich stark an der Zustandsnote, die auf Basis von Inspektionsergebnissen, generiert wird. Diese Kennzahl geht jedoch nicht explizit auf die Auswirkungen der Schäden auf die strukturelle Zuverlässigkeit der Bauwerke ein. Zur Behebung des Problems hat die Bundesanstalt für Wasserbau die Methodik „Fehlermöglichkeiten- und -Ausfallanalyse (FMEA)“ für eine Anwendung zur strategischen Priorisierung von Instandsetzungsmaßnahmen an Schleusen und Wehren angepasst [2, 3]. Das Forschungsvorhaben wurde im Rahmen des dritten Themenfeldes „Verlässlichkeit der Verkehrsinfrastruktur erhöhen“ des BMVI-Experten-netzwerks initiiert. Die FMEA ist ein weitverbreitetes Instrument zur Bewertung und Priorisierung des Risikos potentieller Fehler an Produkten oder Prozessen mithilfe einer Risikoprioritätszahl. In diesem Beitrag wird eine mögliche Übertragung des Ansatzes auf Brückenbauwerke der WSV vorgestellt. Unter Berücksichtigung von Expertenbefragungen wird mit Hilfe der Methodik eine fundierte Entscheidungsbasis für die Priorisierung des Instandhaltungsbedarfs geschaffen. Zu Beginn steht ein kurzer Überblick über die Brücken, die sich im Zuständigkeitsbereich der WSV befinden. Dem schließt sich eine Darstellung des erarbeiteten FMEA-Ansatzes zur Priorisierung von Instandsetzungsmaßnahmen an Brücken bis hin zu seiner beispielhaften Anwendung auf zwei Stahlbetonbrücken der WSV an. 2. Hintergrund Zu den Brückenbauwerken, für deren Betrieb und Erhaltung die WSV zuständig ist, gehören rund 1.300 Straßen- und Eisenbahnbrücken, die Bundeswasserstraßen 270 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ein FMEA-Ansatz zur besseren Auswertung von Inspektionsergebnissen queren. Hierunter fallen 1.052 Straßen- und Wegebrückenanlagen, an denen regelmäßig nach DIN 1076 „Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen“ [4] Schäden erfasst und im Hinblick auf ihren Einfluss auf die Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit bewertet werden. Anders als die übrigen wasserbaulichen Anlagen im Zuständigkeitsbereich der WSV, stammt mit einem Anteil von knapp 70 % die Mehrzahl der Straßenbrücken aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, was zu einem mittleren Alter der Bauten von 45 Jahren führt, siehe Abbildung 1. Angesichts dieser Altersstruktur spricht die in Abbildung 2 dargestellte Zustandsverteilung mit 200 Bauwerken (14 %) in einem nicht ausreichenden bzw. ungenügenden Zustand für ein Optimierungspotential bei der Planung und Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen. Gerade der hohe Anteil von Bauwerken mit einem Zustand im mittleren Bereich deutet darauf hin, dass in Zukunft ein erhöhter Instandhaltungsbedarf zu erwarten ist, für dessen zielgerichteten Abbau im Folgenden ein mögliches Vorgehen aufgezeigt wird. Abbildung 1: Altersstruktur der 1.052 Straßen- und Wegebrückenanlagen im Zuständigkeitsbereich der WSV Abbildung 2: Zustandsnotenverteilung der 1.052 Straßen- und Wegebrückenanlagen im Zuständigkeitsbereich der WSV 3. Methodik Der Grundgedanke der Fehlermöglichkeiten- und Ausfallanalyse (FMEA) ist es, bereits in der frühen Phase der Produktentstehung bekannte und potenzielle Fehler, die die Funktionsfähigkeit eines Produktes beeinträchtigen könnten, zu identifizieren und zu verhindern, dass diese den Kunden erreichen [5]. Auch bezeichnet als Fehlerzustandsart- und Auswirkungsanalyse, ist die FMEA eine formalisierte und qualitative Methode zur systematischen und vollständigen Erfassung potentieller Fehler in Konstruktion, Planung und Produktion (DIN EN 60812) [5]. In der industriellen Praxis wird sie insbesondere zur präventiven Fehleranalyse und Qualitätssicherung von Produkten eingesetzt. Bereits in der Produkt- und Prozessentwurfsphase sollen potentielle Fehlerarten, die während der Herstellung oder Nutzung eines Produktes durch den Kunden auftreten könnten, identifiziert werden. Zu diesem Zweck werden von einem funktionsübergreifenden und multidisziplinären Team für jedes Produktelement die Fehlerursachen und deren möglichen Folgen auf die Kunden- und Qualitätsanforderungen abgeleitet. Die frühzeitige Kenntnis von Fehlern, Ursachen und deren Folgen ermöglicht es, das Risiko eines Fehlers abzuschätzen und geeignete Gegenmaßnahmen einzuleiten. Die erste Anwendung der FMEA geht auf das Jahr 1949 zurück, als die Methode vom amerikanischen Militär in der Luft- und Raumfahrtindustrie zur Erhöhung der Zuverlässigkeit und Sicherheit von Produkten und Prozessen während der Konstruktions- und Produktionsphase eingeführt wurde [7]. Von 1977 an wurde die FMEA zur Verbesserung der Produktqualität und zur Vermeidung von Rückrufen für Autos in der Automobilindustrie eingesetzt. Seitdem wurde die FMEA in verschiedenen Industriezweigen, einschließlich der Nuklear-, Elektronik-, Chemie-, Mechanik- und Gesundheitsindustrie, in denen Sicherheit und Zuverlässigkeit von entscheidender Bedeutung sind, umfassend eingesetzt [8]. 3.1 Schritte Die FMEA ist eine induktive, qualitätssichernde Methode, die in den vier Schritten Systemanalyse, Funktionsanalyse, Fehleranalyse und Risikobewertung durchgeführt wird, siehe Abbildung 3 [5]. In der Systemanalyse werden die Elemente des betrachteten Systems identifiziert und zu einer hierarchischen Systemstruktur angeordnet. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 271 Ein FMEA-Ansatz zur besseren Auswertung von Inspektionsergebnissen Abbildung 3: Ablauf einer FMEA zur Risikobewertung Hierfür werden alle relevanten Informationen über das System gesammelt und ausgewertet. In einer Top-down- Vorgehensweise wird ein System in einzelne Elemente untergliedert und die Schnittstellen zwischen ihnen ermittelt. Ziel des Schrittes ist die genaue Definition des zu berücksichtigenden Umfangs des betrachteten Systems. Den ermittelten Systemelementen werden in der darauffolgenden Funktionsanalyse Funktionen zugeordnet, die zu einer Funktionsstruktur miteinander verknüpft werden. Sie dient der Beschreibung der funktionalen Zusammenhänge zwischen den Systemelementen. Aus der System- und Funktionsstruktur resultiert die Fehlfunktionsstruktur, in der mögliche Fehlfunktionen abgeleitet werden. Häufig erfolgt die Ermittlung von Fehlfunktionen durch eine einfache Negation der Erfüllung der Funktionen der Elemente. Ziel dieser Fehleranalyse ist es, die kausalen Zusammenhänge zwischen dem Eintritt eines Fehlers und der Nichterfüllung einer geforderten Funktion bzw. Anforderung zu erkennen. Neben den Fehlerarten werden mögliche Fehlerfolgen und Fehlerursachen eindeutig identifiziert und in Zusammenhang gebracht. Es resultiert die in Abbildung 4 dargestellte Ursache-Wirkungskette (UWK), durch die sich Risiken im Prozess und ihre Wirkung auf das Produkt bzw. den Endkunden bestimmen lassen [5]. Abbildung 4: Ursache-Wirkungsketten mit den zugehörigen Kriterien: Bedeutung (B), Auftreten (A), Entdeckung (E) Der letzte Schritt, die Risikobewertung, dient der Erarbeitung von Vermeidungs-, Entdeckungs- oder Verbesserungsmaßnahmen zur Risikominimierung. Hierfür werden die Bedeutung der Fehlerfolge (B), die Auftretenshäufigkeit der Fehlerursache (A) und die Entdeckungswahrscheinlichkeit der Fehlerart (E) vor Übergabe an den Kunden abgeschätzt, siehe Abbildung 4. Aus der Multiplikation der drei Faktoren ermittelt sich die Risikoprioritätszahl (RPZ), die mit Werten von 1 bis 1000 das Gesamtrisiko jedes potentiellen Fehlers anzeigt. Die Berücksichtigung potentieller Verbesserungsmaßnahmen in einer erneut durchgeführten Risikobewertung ermöglicht schließlich eine Einschätzung der Effektivität bzw. Dringlichkeit der Maßnahmen. 3.2 Anpassung der FMEA Die Originalität der vorliegenden Studie besteht darin, dass die FMEA nicht in der Planungsphase, sondern in der Nutzungsphase für das Erhaltungsmanagement eines großen Objektportfolios eingesetzt wird. Zielstellung der angepassten FMEA ist es, zusätzliche Kennzahlen zur Priorisierung von Instandsetzungsmaßnahmen an Bauwerken zu entwickeln. Die Eingangsdaten für die Durchführung der Methodik sind die Ergebnisse der regelmäßigen Bauwerksinspektionen, die als qualitative Daten vorliegen. Die FMEA wird als Methodik gewählt, da sie sich eignet um nicht nur die Zuverlässigkeit von Bauwerken qualitativ mithilfe von Expertenbefragungen zu beschreiben, sondern auch eine Aussage über die kausalen Zusammenhänge zwischen den erfassten Schäden und den strukturellen Anforderungen zu machen. Die Anwendung der FMEA zu einem anderen Verwendungszweck hat unterschiedliche Anpassungen erforderlich gemacht, die im Folgenden erläutert werden. Der Begriff Fehler ist in der konventionellen FMEA je nach Verwendungszweck mit einer unterschiedlichen Bedeutung hinterlegt. Für den Einsatz der FMEA im Erhaltungsmanagement werden als Fehler die Schäden gesehen, die im Rahmen der Bauwerksinspektionen nach DIN 1076 [4] erfasst werden und deren Instandsetzungsmaßnahmen priorisiert werden. Die Fokussierung auf Bauwerksschäden hat zu der in Abbildung 5 dargestellten Ursache-Wirkungskette geführt, die den Zusammenhang zwischen Schadensart, Schadensfolge und Schadensbild aufführt. Abbildung 5: Modifizierte Ursache-Wirkungskette und zugehörige Kriterien: Bedeutung (B), Auftretenshäufigkeit (A), Effektivität (E) In Abbildung 5 wird der erste Unterschied zur herkömmlichen Ursache-Wirkungskette deutlich, der darin besteht, dass an der Stelle der Fehlerursache das Schadensbild, als eine Gruppierung von Schäden ähnlicher 272 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ein FMEA-Ansatz zur besseren Auswertung von Inspektionsergebnissen Gestalt, steht. Hintergrund ist, dass die Schadensbilder einen direkten kausalen Zusammenhang zur Schadensfolge aufweisen. Auf eine zusätzliche Identifizierung möglicher Schadensursachen wird verzichtet, da die verfügbaren Inspektionsberichte keine ausreichenden Informationen über die Ursachen der verschiedenen Schäden geben. Zur Ermittlung der Ursachen wären umfangreiche Untersuchungen der Materialeigenschaften und der Schadensmechanismen erforderlich. In der konventionellen FMEA wird mit der Bewertungszahl B die Bedeutung der Fehlerfolge für das Gesamtsystem bewertet, welches stets aus Sicht des Endverbrauchers geschieht [5]. Im Kontext des Erhaltungsmanagements bewertet die Bewertungszahl B die Sensitivität eines Objekts bzw. dessen Robustheit gegenüber der jeweiligen Schadensfolge. Dementsprechend wird die Nichteinhaltung vorgegebener Anforderungen (Tragfähigkeit, Dauerhaftigkeit und Gebrauchstauglichkeit) aufgrund der Schadensfolgen als Zielgröße für die B-Bewertung angesehen. Beispielsweise kann eine Schadensakkumulation/ -vergrößerung zu einer Beeinträchtigung der Anforderung an die Dauerhaftigkeit führen. Beim Kriterium Auftretenshäufigkeit (A) wird äquivalent zur herkömmlichen FMEA auf Erfahrungswerte und statistischen Auswertungen vorhandener Schadensdaten zurückgegriffen. Üblicherweise soll mit der Entdeckungswahrscheinlichkeit (E) geprüft werden, wie groß der nicht entdeckte, fehlerhafte Anteil in einem Gesamtlos eines Produktes ist. Zu diesem Zweck wird ermittelt mit welcher Wahrscheinlichkeit die Entdeckung der Fehlerursache vor der Auslieferung an den Kunden gelingt. Die E-Bewertung wird entsprechend der Effektivität bzw. Wirksamkeit der Entdeckungsmaßnahmen der jeweiligen Fehlerursachen vergeben [5]. Anders als in der konventionellen FMEA steht beim hier vorgestellten Ansatz die Priorisierung von Instandsetzungsmaßnahmen von Schäden, die bereits aufgetreten sind, im Vordergrund. Die Behebung einer Schadensursache und die Verbesserung des baulichen Zustands hängen zumeist von der Effektivität der Instandsetzungsmaßnahme ab. Sie wird daher als ein Maß für die Qualitätssicherung verwendet. Durch die Instandsetzung eines hoch bewerteten Schadens lässt sich der Zustand des Bauwerks effektiver auf ein gewünschtes Niveau heben als durch die Instandsetzung eines niedrig bewerteten Schadens. Aus diesem Grund wird die Effektivität einer Instandsetzungsmaßnahme in Abhängigkeit der Schadensbewertung beurteilt. 4. Anwendung auf zwei Beispielbrücken Im Folgenden wird das Verfahren exemplarisch auf zwei Teilbauwerke von zwei Straßenbrücken im Verwaltungsbereich der WSV angewendet. Dabei handelt es sich um das zweite Teilbauwerk der „Straßenbrücke Schachtschleuse“ (Bauwerksnr. 6501280), die unweit von Eisenhüttenstadt die Oder überquert, und das erste Teilbauwerk der „Straßenbrücke Bierweg“ (Bauwerksnr. 5857010) in der Nähe der Stadt Marienwerder. Die Bauwerke wurden ausgewählt, weil sie als Stahlbeton-Plattenbalkenbrücken die Mehrzahl der Straßenbrücken der WSV repräsentieren. Die Überbauten der beiden Straßenbrücken weisen die gleiche Zustandsnote in von 3,0 auf. Ziel der im Folgenden dargestellten FMEA ist es daher eine stärkere Differenzierung zwischen den Bauwerken vorzunehmen, um das Bauwerk mit dem vordringlichen Instandsetzungsbedarf zu identifizieren. Auf eine vollständige Systemanalyse wird in diesem Fall verzichtet und stattdessen die Systematik am Systemelement Überbau aufgezeigt. Als seine Hauptfunktion wird die Weiterleitung von Lasten in den Unterbau und damit die mögliche Fehlfunktion keine Weiterleitung von Lasten in den Unterbau identifiziert. Die für die beiden Brücken durchgeführte Fehleranalyse und Risikobewertung wird im Folgenden erläutert. 4.1 Fehleranalyse Zentraler Bestandteil bei der Durchführung einer FMEA ist eine Fehleranalyse. Zur Sicherstellung der Qualität eines Produktes, müssen Abweichungen von festgelegten oder vorausgesetzten Funktionen bzw. Anforderungen an ein Produkt vermieden werden. Basierend auf der System- und Funktionsstruktur werden potentielle Fehlerarten, -folgen und -ursachen der Systemelemente identifiziert. Ein Fehler ist dabei als die Nichterfüllung einer Anforderung definiert. Die kausalen Zusammenhänge zwischen den drei Faktoren werden durch Ursache-Wirkungsketten (UWK) abgebildet, die anhand von Erfahrungen und Expertenbefragungen ermittelt werden. Tabelle 1 zeigt die Ursache-Wirkungsketten, die für Überbauten aus Stahlbeton von Straßenbrücken entwickelt wurden. Die Funktionen des Bauteils einer Brücke werden mit den Anforderungen an die Dauerhaftigkeit, Standsicherheit und Verkehrssicherheit nach DIN EN 1992-1-1 [9] beschrieben, deren Überschreiten eine fehlende Funktionsfähigkeit des Bauwerks bedeutet. Ihre Beeinträchtigung führt damit auf die untersuchten Schadensarten. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 273 Ein FMEA-Ansatz zur besseren Auswertung von Inspektionsergebnissen Tabelle 1: Ursache-Wirkungsketten für den Überbau von Straßenbrücken aus Stahlbeton Schadensart Schadensfolge Schadensbild Eingeschränkte Dauerhaftigkeit Schadensakkumulation/ -vergrößerung Oberflächenabtrag nicht über Verkehrsraum Offenporige Oberfläche Risse ohne Trennrisse/ Gefügelockerung Feuchtigkeitsbzw. Wassereintritt Fugenschäden Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes Verschmutzung Eingeschränkte Standsicherheit Bauteilversagen Lageänderung Korrosion Trennrisse, Risse mit Gefügelockerung Eingeschränkte Verkehrssicherheit Eingeschränkte Funktionsfähigkeit Durchbiegung Oberflächenabtrag über Verkehrsraum Zu Beginn steht die Aggregation möglicher Schäden am Massivbau zu Schadensbildern, welche die mögliche Ursache für die Nichteinhaltung einer Anforderung darstellen. Die in den Schadensbeispielen der „Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 (RI-EBW-PRÜF)“ [10] genannten Schäden werden zu zehn Schadensbildern aggregiert: - Oberflächenabtrag, nicht über Verkehrsraum (OA); - Offenporige Oberfläche (OO); - Risse ohne Trennrisse, Risse ohne Gefügelockerung (R1); - Fugenschäden (FS); - Verschmutzung (VS); - Lageänderung (LÄ); - Korrosion (K); - Trennrisse oder Risse mit Gefügelockerung (R2); - Durchbiegung (DB); - Oberflächenabtrag, über Verkehrsraum (OAV). In einem zweiten Schritt werden als mögliche Folgen der Schadensbilder die Schadensakkumulation/ -vergrößerung, der Feuchtigkeitsbzw. Wassereintritt, die Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes, das Bauteilversagen und die eingeschränkte Funktionsfähigkeit identifiziert. Sie werden entsprechend ihrer Wirkung hinsichtlich der Dauerhaftigkeit, Standsicherheit oder Verkehrssicherheit klassifiziert. 4.2 Durchführung der Risikobewertung Das Ziel der FMEA-Implementierung im Erhaltungsmanagement ist die Ableitung zusätzlicher Kennzahlen, die die aktuelle Zustandsnote bei der Priorisierung von Instandsetzungsmaßnahmen an Bauwerken ergänzen können. Hierbei wird das potentielle Risiko jeder einzelnen Schadensart- Schadensfolge- Schadensbild-Kombination bewertet und geeignete Gegenmaßnahmen identifiziert. Als Basis für die Risikobewertung werden für jede Kombination (Ursache-Wirkungskette) folgende Bewertungskriterien qualitativ festgelegt: die Bedeutung der Schadensfolge (B), die Auftretenshäufigkeit (A) und die Effektivität der Maßnahmen (E) Aus den drei Bewertungskriterien wird durch Multiplikation die Risikoprioritätszahl (RPZ) errechnet, wobei die Werteskala zur Bewertung der drei Kriterien die ganzzahligen Werte von 1 bis 10 umfasst. Der Wertebereich für die RPZ erstreckt sich folglich von 1 bis 1000. Die RPZ ist ein Maß für das Gesamtrisiko jeder einzelnen möglichen Schadensart und dient als grober Richtwert für die Dringlichkeit von Instandsetzungsmaßnahmen. 4.2.1 Bedeutung der Schadensfolge (B) Die Bewertung der Bedeutung der Schadensfolge (B) wird in zwei Schritten durchgeführt. Die Bewertung wird für jeden Hauptbaustoff getrennt vorgenommen. Im ersten Schritt werden normative Anforderungen für den betrachteten Hauptbaustoff aufgestellt. Im zweiten Schritt wird die Auswirkung der Schadensfolgen auf die normativen Anforderungen bewertet. Die betrachteten Brückenüberbauten bestehen beide aus Stahlbeton, weshalb sie die gleiche B-Bewertung erhalten. Als normative Anforderung an Stahlbetonbauteilen wird die innere Tragfähigkeit, Dauerhaftigkeit, Gebrauchstauglichkeit und äußere Tragfähigkeit identifiziert und hinsichtlich ihrer relativen Bedeutung zueinander bewertet. Zum Einsatz kommt dabei die Bewertungsmethode analytischer-hierarchischer Prozess (AHP) entsprechend Tabelle 2 [11]. Die Festlegung der Bewertungszahl B erfolgt im Anschluss, indem in einer Evaluationsmatrix in Zeilen die Anforderungen an Bauwerke und in Spalten die Schadensfolgen gegenübergestellt und erneut paarweise verglichen werden. Das Vorgehen führt für Stahlbetonbauteile auf die in Tabelle 3 dargestellten Bedeutungen. 274 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ein FMEA-Ansatz zur besseren Auswertung von Inspektionsergebnissen 4.2.2 Auftretenshäufigkeit des Schadensbildes (A) Mit der Bewertung der Auftretenshäufigkeit (A) soll die Anfälligkeit der Bauart bzw. Konstruktionsweise gegenüber dem jeweiligen Schadensbild bewertet werden. Eigentlich wird die Bewertungszahl auf der Grundlage einer Kombination aus statistischen Auswertungen der vorhandenen Inspektionsergebnissen und Expertenwissen abgeleitet. Zum jetzigen Zeitpunkt steht jedoch noch keine flächendeckende statistische Auswertung der Schadenshäufigkeit an Brücken der WSV zur Verfügung. Tabelle 2: Paarweiser Vergleich der Anforderungen an Stahlbetonbauteilen Innere Tragfähigkeit Gebrauchstauglichkeit / Betriebssicherheit Äußere Tragfähigkeit Dauerhaftigkeit Rang (Faktor f) Innere Tragfähigkeit 1,0 3,0 0,5 3,0 0,3 Gebrauchstauglichkeit / Betriebssicherheit 0,3 1,0 0,3 2,0 0,1 Äußere Tragfähigkeit 2,0 3,0 1,0 4,0 0,5 Dauerhaftigkeit 0,3 0,5 0,3 1,0 0,1 Summe 3,7 7,5 2,1 10,0 Tabelle 3: Ermittlung der Bedeutung der Schadensfolge (B) für Stahlbetonbauteile Faktor f Schadensakkumulation/ -vergrößerung Feuchtigkeitsbzw. Wassereintritt Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes Bauteilversagen Eingeschränkte Funktionsfähigkeit Faktor 2 Innere Tragfähigkeit 0,3 1 1 0 2 1 0,6 Gebrauchstauglichkeit / Betriebssicherheit 0,1 1 1 1 2 2 0,3 Äußere Tragfähigkeit 0,5 1 0 0 2 1 0,9 Dauerhaftigkeit 0,1 2 2 1 1 1 0,2 Summe 1,1 0,6 0,2 1,9 1,1 2,0 Bedeutung 5 3 1 10 6 10 Um dennoch die Systematik der FMEA illustrieren zu können, werden die Werte auf Basis einer Schadensauswertung an Straßenbrücken, die in den Zuständigkeitsbereich der Straßenbauverwaltung fallen und damit keine Wasserstraßen überführen, generiert [12]. Darin sind typische Schadensbilder speziell für Überbauten getrennt nach Konstruktionsweisen aufgeführt. Die Überbauten der Brücke „Schachtschleuse“ und „Bierweg“ sind beide in der Konstruktionsform „Plattenbalken“ ausgeführt. Da die A-Bewertung für bestimmte Konstruktionsweisen festgelegt wird, resultieren für die Bauten dir in Tabelle 5 aufgeführten identischen A-Bewertungen. 4.2.3 Effektivität der Maßnahmen (E) Ausgangspunkt für die Bewertung der Effektivität der Maßnahmen (E) sind die Zustandsberichte der betrachteten Brücken, die am 29.06.2020 aus SIB-Bauwerke ausgelesen wurden. Die darin enthaltenen Schäden werden den in der Ursache-Wirkungskette genannten Schadensbildern zugeordnet. Ausschlaggebend für die Beurteilung der Effektivität ist dabei stets der Schaden mit der schlechtesten Schadensbewertung eines Schadensbildes. Dabei wird entsprechend der Zuordnung des Schadensbildes zur Schadensart, siehe Tabelle 1, die Schadensbewertung der „Standsicherheit“, der „Verkehrssicherheit“ 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 275 Ein FMEA-Ansatz zur besseren Auswertung von Inspektionsergebnissen oder der „Dauerhaftigkeit“ verwendet. Unter Berücksichtigung des Schadensumfangs wird ein Zuschlag (+0,1) oder ein Abschlag (-0,1) auf die vom Inspektionspersonal vergebene Schadensbewertung addiert, um die modifizierte Zustandsnote auf der Schadensebene zu erhalten. Beispielsweise wird für eine „mehrfach“ aufgetretene „Abplatzung mit freiliegender Bewehrung“ mit einer Schadensklasse 3 auf Schadensebene eine modifizierte Note von 3,1 berechnet. Zur Vereinheitlichung der Notenskalen wird die Bewertung der Effektivität im Anschluss auf eine Bewertungsskala von 0 bis 10 umgerechnet (Tabelle 4), welches auf die in Tabelle 5 aufgeführten I-Bewertungen führt. Tabelle 4: Skalierung der Benotung der Effektivität Note auf Schadensebene E-Bewertung 1 1 1,1 2 1,9 3 2 4 2,1 5 2,9 6 3 7 3,1 8 3,9 9 4 10 5. Ergebnisse Tabelle 5 zeigt die Werte der drei Bewertungskriterien B, A und E, die für die Überbauten der zwei Straßenbrücken „Schachtschleuse“ (2. Teilbauwerk) und „Bierweg“ (1. Teilbauwerk) ermittelt wurden. Unter Verwendung der drei Bewertungskriterien (B, A und E) wurde die Risikoprioritätszahl für jedes Schadensbild berechnet und in Abbildung 6 dargestellt. Anhand Abbildung 6 lassen sich drei Haupttendenzen erkennen. Die erste Hälfte des Risikoprofils, einschließlich der Schadensbilder Oberflächenabtrag, nicht über Verkehrsraum (OA), offenporige Oberfläche (OO), Risse ohne Trennrisse/ Gefügelockerung (R1), Fugenschäden (FS) mit Werten bis 320, besteht hauptsächlich aus der Bewertung von Schäden, die die Dauerhaftigkeit des Bauwerks einschränken könnten. Dort ist zu erkennen, dass der Überbau der Straßenbrücke „Schachtschleuse“ im Vergleich zu der Straßenbrücke „Bierweg“ stärker von dauerhaftigkeitsrelevanten Schäden betroffen ist. Das wesentliche Schadensbild für den Überbau der Straßenbrücke Schachtschleuse ist das massive Auftreten von dauerhaftigkeitsrelevanten Rissen (R1), die langfristig die Standsicherheit des Bauwerks beeinträchtigen könnten. Hervorzuheben ist auch, dass im Gegensatz zum Überbau der Straßenbrücke „Schachtschleuse“ die Auswertung des Überbaus der Straßenbrücke „Bierweg“ verkehrssicherheitsrelevante Schäden aufweist. In Bezug auf standsicherheitsrelevante Schäden (Lageänderung (LÄ), Korrosion (K) und Trennrisse oder Risse mit Gefügelockerung (R2)) zeigen beide Überbauten den gleichen Trend. Besonders die Korrosion des Betonstahls steht offenbar als Hauptursache für die strukturellen Schäden der Bauten im Vordergrund. Obwohl beide Überbauten die gleiche Zustandsnote aufweisen, deuten die berechneten Risikoprioritätszahlen auf einen höheren Bedarf an Instandsetzungsmaßnahmen der Brücke „Schachtschleuse“ hin. Die dauerhaftigkeitsrelevanten Risse sollten beseitigt werden, um eine weitere Verschlechterung des baulichen Zustands der Straßenbrücke „Schachtschleuse“ zu vermeiden. Tabelle 5: Resultierende FMEA für die Überbauten der Brücken „Schachtschleuse“ (Teilbauwerk 2) und „Bierweg“ (Teilbauwerk 1) Brücke Schachtschleuse Brücke Bierweg Schadensbild B A E RPZ B A E RPZ OA 5 8 8 320 5 8 8 320 OO 5 4 8 160 5 4 6 120 R1 5 7 8 280 5 7 0 0 FS 3 3 6 54 3 3 0 0 VS 1 2 0 0 1 2 0 0 LÄ 10 2 0 0 10 2 0 0 K 10 10 5 500 10 10 5 500 R2 10 4 0 0 10 4 0 0 DB 6 3 0 0 6 3 0 0 OAV 6 5 0 0 6 5 2 60 276 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ein FMEA-Ansatz zur besseren Auswertung von Inspektionsergebnissen Abbildung 6: Risikoprofile der Überbauten, grau hinterlegt Schadensbilder mit Auswirkungen auf die Standsicherheit 6. Zusammenfassung und Ausblick In diesem Beitrag wird ein Ansatz zur qualitativen Bewertung der strukturellen Zuverlässigkeit von Wasserbauwerken mittels der FMEA vorgestellt. Ausgehend von den Auswirkungen verschiedener Schäden auf die spezifischen Anforderungen an Bauwerken werden zusätzliche Kennzahlen entwickelt. Zur Ermittlung der kausalen Zusammenhänge zwischen Schäden und den normativen Anforderungen (Standsicherheit, Dauerhaftigkeit und Verkehrssicherheit) dienen Ursache-Wirkungs-Ketten. Das Risiko der einzelnen Kombinationen wird durch eine Risikoprioritätszahl (RPZ), die sich aus dem Produkt der Bewertungskriterien Bedeutung (B), Auftretenshäufigkeit (A) und Effektivität der Maßnahme (E) zusammensetzt. Auf Grundlage von Ergebnissen der RPZ können in Ergänzung zur derzeitigen Zustandsnote Instandsetzungsmaßnahmen priorisiert werden. Die FMEA-Methodik wird beispielhaft auf die Überbauten von zwei Stahlbetonbrücken der WSV angewendet, welches auf einen höheren Instandsetzungsbedarf der Brücke „Schachtschleuse“ führt. Die Bewertung der Kriterien (B, A und E) wurde durch Erfahrungs- und Expertenwissen unterstützt. Aus diesem Grund können sie mit Unsicherheiten behaftet sein, die berücksichtigt werden müssen. Darüber hinaus müssen auch die Schwächen der FMEA berücksichtigt werden, wie die relative Bedeutung der Risikofaktoren und das Fehlen eines mathematischen Hintergrundes für die Formulierung der RPZ als Produkt von B, A und E. Daher besteht die zukünftige Forschung darin, Unsicherheitstheorien (Fuzzy-Set-Theorie) [13] und Methoden der multikriteriellen Entscheidungsfindung anzuwenden, um die Aussagefähigkeit der FMEA-Ergebnisse zu steigern [8]. 7. Literatur [1] Westendarp, Andreas; Becker, Holger; Bödefeld, Jörg; Fleischer, Helmut; Kunz, Claus; Maisner, Matthias et al. (2015): Erhaltung und Instandsetzung von massiven Verkehrswasserbauwerken. In: Frank Fingerloos und Johann-Dietrich Wörner (Hg.): Beton-Kalender 2015 Schwerpunkte. Bauen im Bestand Brücken. 5th ed. Hoboken: Wiley (Beton-Kalender (VCH) *), S. 186-246. [2] Panenka, Andreas; Nyobeu, François (2018a): Condition assessment based on results of qualitative risk analyses. In: Robby Caspeele, Luc Taerwe und Dan M. Frangopol (Hg.): Life Cycle Analysis and Assessment in Civil Engineering. Proceedings of the Sixth International Symposium on Life-Cycle Civil Engineering (IALCCE 2018), 28-31 October 2018, Ghent, Belgium. Milton: Chapman and Hall/ CRC (Life-Cycle of Civil Engineering Systems Ser, v.5), S. 3053-3060. [3] Panenka, Andreas; Nyobeu, François (2018b): Maintaining an Aging Infrastructure based on a Fuzzy Risk Assessment Methodology. In: Kok- Kwang Phoon (Hg.): Proceedings of the 6th International Symposium on Reliability Engineering and Risk Management. Proceedings of the 6th International Symposium on Reliability Engineering and Risk Management. Singapore. Singapore: Research Publishing Services, S. 833-838. [4] DIN 1076: 1998-03: Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen. [5] Bertsche, Bernd; Lechner, Gisbert (2004): Zuverlässigkeit im Fahrzeug- und Maschinenbau. Ermittlung von Bauteil- und System-Zuverlässigkeiten. 3. Auflage (VDI-Buch). Berlin Heidelberg: Springer- Verlag. [6] DIN EN 60812: 2006: Analysetechniken für die Funktionsfähigkeit von Systemen - Verfahren für die Fehlzustandsart- und -auswirkungsanalyse (FMEA) (IEC 60812: 2006) Deutsche Fassung EN 60812: 2006. [7] Paciarotti, Claudia; Mazzuto, Giovanni; D’Ettorre, Davide (2014): A revised FMEA application to the quality control management. In: Int J Qual & Reliability Mgmt 31 (7), S. 788-810. DOI: 10.1108/ IJQRM-02-2013-0028. [8] Liu, Hu-Chen (2016): FMEA using uncertainty theories and MCDM methods. Singapore: Springer Science+Business Media. [9] DIN EN 1992-1-1: 2011-01: Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau; Deutsche Fassung EN 1992-1-1: 2004 + AC: 2010. [10] BMVI (2017): Richtlinien für die Erhaltung von Ingenieurbauten (RI-ERH-ING). Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 (RI-EBW-PRÜF). [11] Peters, Malte L.; Zelewski, Stephan (2002): Analytical Hierarchy Process (AHP) - dargestellt am 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 277 Ein FMEA-Ansatz zur besseren Auswertung von Inspektionsergebnissen Beispiel der Auswahl von Projektmanagement- Software zum Multiprojektmanagement. Universität Essen, Fachbereich 5: Wirtschaftswissenschaften. Essen. [12] Schnellenbach-Held, Martina; Peeters, Michael; Miedzinski, Gregor (2015): Intelligente Brücke - Schädigungsrelevante Einwirkungen und Schädigungspotenziale von Brückenbauwerken aus Beton. Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt); Wirtschaftsverlag N.W. Verlag für Neue Wissenschaft. Bremen (Berichte der Bundesanstalt für Strassenwesen - Brücken- und Ingenieurbau (B)). [13] Bowles, John, B.; Peláez, Colón, E. (1995): Application of fuzzy logic to reliability engineering. In: Proceedings of the IEEE, March 1995 83 (3), S. 435-449. Instandsetzung 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 281 Notsicherung und denkmalgerechte Instandsetzung der Anna-Ebert-Brücke in Magdeburg Gewölbe und Unterbauten - Planung und erfolgreiche Instandsetzung - Dr.-Ing. Johannes Bach BACH + BACH Ingenieure, Planer / Pretzien Dipl.-Wirtsch.-Ing. M. Eng. Felix Bach BACH + BACH Ingenieure, Planer / Pretzien Dipl.-Ing. Jan Rassek w+s bau-instandsetzung gmbh / Kassel Max Franksmann, B. Eng. w+s bau-instandsetzung gmbh / Kassel Steckbrief Hauptmaßnahme: Ausführung: Juni 2016 - Dezember 2020 AG: Landeshauptstadt Magdeburg Der Oberbürgermeister 66 Tiefbauamt 39090 Magdeburg Planung: BACH + BACH Ingenieure, Planer Große Sorge 3 39217 Pretzien Ausführung: w+s bau-instandsetzung gmbh Crumbacher Straße 23-25 34277 Fuldabrück-Berghausen 3 Kassel Zusammenfassung Die Anna-Ebert-Brücke über die Alte Elbe wurde am 10. Juni 1882 nach nur zwei Jahren Bauzeit in Betrieb genommen. Nach 138 Jahren erfüllt sie noch immer ihre wesentliche Funktion. Dies ist vornehmlich ihrer grundsoliden Konstruktion und der damals erfolgten, sorgfältigen Bauausführung zu verdanken, wobei die verkehrlichen Anforderungen stark zugenommen haben, in zwei Kriegen wesentliche Bauteile der Brücke beschädigt wurden, die Unterhaltung vernachlässigt wurde und immer wiederkehrender Hochwässer der Elbe zu Schäden führten. Das Jahrhunderthochwasser der Elbe im Juni 2013 hat die vorgeschädigte alte Brücke mit einem bisher noch nie dagewesenen Höchstwasserstand bis knapp unter die Scheitel der Gewölbebögen schwer getroffen und in der Folge zu einem kritischen Bauwerkszustand geführt. Nach Auswertung der Sonderprüfung im Jahr 2015 musste als Folge der vorgefundenen Schäden als Zustandsnote eine 4,0 vergeben werden. Sofortmaßnahmen zur Reduzierung der verkehrlichen Belastung waren umgehend umzusetzen. Auf Basis umfangreicher Voruntersuchungen und Probeinstandsetzungen, die 2015 an den unterschiedlichen Bauteilen anliefen, konnte eine in zwei Bauphasen gegliederte Instandsetzung geplant werden. Das darin definierte Instandsetzungsziel beinhaltet unter anderem die Wiederherstellung des beschädigten Klinkermauerwerks der Gewölbebögen mittels Rasterinjektion und die Querverspannung der Gewölbebögen. Die Bedeutung des denkmalgeschützten Bauwerks erforderte auch die Erfüllung sehr umfangreicher denkmalpflegerischer Aufgaben, welche in die Instandsetzungsplanung und -ausführung zu integrieren waren. Aufgrund der verkehrlichen Bedeutung für die Landeshauptstadt Magdeburg waren sämtliche Arbeiten unter vollem Verkehr auszuführen. Aktuell befindet sich die Instandsetzung in der zweiten Bauphase, noch in der Umsetzung. Die Fertigstellung ist für Dezember 2020 avisiert. Ein wichtiger Meilenstein wurde jedoch bereits im Dezember 2019 mit dem Abschluss der „Statischen Sicherung der 11 Gewölbebögen“ erreicht. 282 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Notsicherung und denkmalgerechte Instandsetzung der Anna-Ebert-Brücke in Magdeburg Abb. 1: Luftaufnahme Anna-Ebert-Brücke von Südwesten 1. Historie und Verkehrsbedeutung Zur Brückeneinweihung am 10. Juni 1882 war die Anna-Ebert-Brücke, damals noch Lange-Brücke genannt, reich verziert. Den seitlichen Abschluss bildete eine durchbrochene Sandstein-Balustrade mit Granitabdeckung. Über den Gruppenpfeilern befanden sich verzierte, ca. 7 m hohe, Obelisken. Als Brückenwächter dienten ursprünglich vier überlebensgroße Löwenskulpturen aus hellem Kalkstein, die auf Postamenten über den beiden Widerlagervorköpfen thronten. Die verbliebenen Pilaster und Gewölbeschlusssteine sind mit stark plastischen Reliefs, die Wappen, Tierkreiszeichen sowie Köpfe von Göttern und Fabelwesen zeigen, verziert. Deren Entwürfe sind auf die Bildhauer Emil Hundrieser und Ernst Habs zurückzuführen. Die Anna-Ebert-Brücke steht unter Denkmalschutz und gilt, u. a. wegen der zuvor beschriebenen reichlichen Verzierungen, als größtes und bedeutendstes wilheminisches Bauwerk ihrer Art in Sachsen-Anhalt [3]. Die Brückenzier ist heute nur noch zum Teil vorhanden, teilweise stark beschädigt und musste im Rahmen der beschriebenen Baumaßnahme gesichert bzw. auch an vielen Stellen rekonstruiert werden. Die Balustrade wurde dem Verfall preisgegeben und in den 1960´er Jahren durch eine geschlossene Mauer ersetzt, an deren Stelle wiederum in den 1970er Jahren ein schmuckloses Füllstabgeländer gebaut wurde. Dabei erfolgte die Entsorgung der Überreste der Balustrade, der seitlichen Konsolverbreiterungen der Gehbahnen, aber auch von Obelisken, Wappensteinen und weiteren Elementen der Bauzier durch Verkippen in die Alte Elbe. Schäden durch Kriegseinwirkungen betreffen vornehmlich die Untersichten und Ansichten der Gewölbebogen. Wahrscheinlich hat die Druckwelle einer neben der Brücke explodierenden Luftmine zu einem Teilversatz des Brückenpfeilers 1 geführt hat. Historisch bedeutend und später auch eine Erschwernis für das hier beschriebene Projekt, ist der Zusammenhang der Brückenerrichtung mit der Magdeburger Festung. Wesentliche Hochwasserschäden aus der Vergangenheit vor 2013 sind nicht bekannt. Die Anna-Ebert-Brücke ist in der Landeshauptstadt Magdeburg von hoher verkehrlicher Bedeutung, da sie als Bestandteil von nur zwei verfügbaren Brückenzügen die Elbquerung ermöglicht. Täglich wird die Brücke durch ca. 25.000 PKW und in Spitzenzeiten durch zusätzlich 360 Straßenbahnen befahren. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 283 Notsicherung und denkmalgerechte Instandsetzung der Anna-Ebert-Brücke in Magdeburg Abb. 2: Lage der Anna-Ebert-Brücke (Quelle: google earth) 2. Konstruktion und Bauweise Mit einer Gesamtlänge von ca. 194 m zwischen den Widerlagern überspannt die Anna-Ebert-Brücke die Alte Elbe, einen durch die Insel Rothehorn im Zentrum von Magdeburg gebildeten Seitenarm der Stromelbe. Das Tragwerk der Brücke bilden 11 aus Klinkern gemauerte, flache Kreissegmentbögen, für die ca. 750.000 Klinker vermauert worden sind. Die Bögen stützen sich auf den beiden Widerlagern, zwei mächtigen Gruppenpfeilern sowie acht Zwischenpfeilern ab. Widerlager und Pfeiler bestehen außen aus feinfugig versetzten und vergossenen Werksteinquadern aus Sächsischem Sandstein und im Kern aus einem Konglomerat aus gebrochenem, hochfestem Kalkstein und Mörtel. Kämpfersteine und Stirnringe bestehen aus mächtigen, bossierten Sandsteinquadern. Vor und hinter den Pfeilern sind massige Vorköpfe, aus großen, abgerundeten Sandsteinblöcken bestehend, angeordnet. Über die Gründung der Brücke lagen zum Planungszeitpunkt nur unzureichende Angaben vor. In historischen Quellen wird eine Gründung direkt auf dem Fels beschrieben, der ca. 2 m bis 7,5 m unter dem Flussgrund ansteht und stark verspringt [2]. Im Strombereich der Alten Elbe sind an einigen Pfeilern die Überreste von Spundkästen aus Eichenpfählen vorhanden. Der Aufbau der zwei Pfeilertypen ist Abb. 3 zu entnehmen. Abb. 3: Teilschnitte durch die Pfeiler der AEB Die zwischen den Geländern 11,6 m breite Geh- und Fahrbahn ist auf einem, den Raum oberhalb der zwischen 0,9 m und 1,3 m dicken Gewölbebögen vollständig ausgleichenden Füllmauerwerk aus aufgelagert. Dort sind schätzungsweise weitere 750.000 Ziegel verbaut worden. Eine 19 cm bis 27 cm dicke, bewehrte Lastverteilungsplatte liegt seit Mitte der 1990er Jahre zwischen Füllmauerwerk und Fahrbahnaufbau. Ein Planauszug der nördlichen Brückenansicht ist in der Abb. 4 auf der folgenden Seite dargestellt. Abb. 4: Nordansicht der Brücke 3. Untersuchungen Die Durchführung zahlreicher Untersuchungen ist aus Bestandsunterlagen der Brücke in ihren annährend 140 Betriebsjahren mehr oder meist weniger detailliert überliefert. Eine akribische Durchsicht dieser Unterlagen war Bestandteil der Planung. Hier aufgeführte Untersuchungen beschränken sich auf die Zeit ab 1990 und den Zeitraum der beschriebenen Planung. 3.1 Vorangegangene Untersuchungen Wahrscheinlich bedingt durch die schon in den 1990er Jahren vorhandene hohe Verkehrsbelastung, gab es frühzeitig signifikante Schäden am Bauwerk. Auch die Schä- 284 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Notsicherung und denkmalgerechte Instandsetzung der Anna-Ebert-Brücke in Magdeburg den durch Kriegseinwirkungen wurden nicht vollständig beseitigt. Die Erkenntnisse mehrerer statischer Nachrechnungen des Brückentragwerks aus den Jahren 1990, 1995 und 2014 dienten für die Planungsarbeiten als erste rechnerische Grundlage. Bemerkenswert dabei war zum einen die Begleitung der Nachrechnungen 1995 und 2014 durch aufwändige Belastungsmessungen und zum anderen die bis nach 1995 noch immer gegebene hohe Lasteinstufung (Brückenklasse 30/ 30) des Bauwerks. Zu diesem Zeitpunkt war die Ertüchtigung des Überbaus mit einer Lastverteilungsplatte und einer Instandsetzung der Brückenabdichtung kurz vor der Umsetzung. Erst mit der messwertgestützten Nachrechnung 2014 wird dokumentiert, dass eine Einstufung des Bauwerks nach Eurocode nicht möglich ist. Zunehmend wurden Schäden verzeichnet, mit denen eine Verschlechterung der Zustandsnote von 2,7 auf 3,8 im Rahmen der Zustandskontrolle im Zeitraum zwischen 1999 und 2014 verbunden war. Als Maßnahme nach der Hauptprüfung 2013 wurden bereits verkehrliche Einschränkungen für den Straßenbahnverkehr veranlasst und eine Verkürzung des Prüfintervalls auf zwei Jahre empfohlen [7]. Als wesentliches, wiederkehrendes Schadensbild werden Längsrisse in den Gewölben verzeichnet. Rissursachen und -entwicklung wurden jedoch bis dahin nicht detailliert dokumentiert. Ein Rissmonitoring beschränkte sich auf die an sich unkritischen Stirnringrisse. Ergebnisse von Baugrund- und Gründungsuntersuchungen, bei unklarer Gründungssituation und bekannt komplizierten Baugrundverhältnissen im Bereich der Alten-Elbe, lagen, über kurze textliche Erwähnungen hinausgehend, nicht vor. Bis auf die Flügelwände beider Widerlager, waren augenscheinlich jedoch auch keine Gründungsschäden vorhanden. Die Dokumentation eines Tauchereinsatzes im Zusammenhang mit der Hauptprüfung 2013, zeigt teilweise fehlenden Kolkschutz und ausgewaschene Fugen der Strompfeilern. Erste Erkenntnisse zum Bauwerksaufbau konnten mehrfache Entnahmen von Probekörpern zu unterschiedlichen Prüfungszeitpunkten aus dem Sandstein der Pfeiler und der Stirnringe und aus dem Mauerwerk der Gewölbe und der Aufmauerung im Zuge der vorgenannten Untersuchungen liefern. Wesentlich ist die Erkenntnis der starken Durchfeuchtung der Gewölbebögen, die auch nach der eigentlichen Instandsetzung der Brückenabdichtung 1995 in Prüfberichten adressiert wird. Weiterhin wurden die Materialeigenschaft von Klinkern und Natursteinen untersucht, wobei bei den Klinkern die mittlere Druckfestigkeit 1990 bei ca. 40 N/ mm² und 2009 bei ca. 32 N/ mm² liegt. Von den verwendeten Mörteln wurden nur Festigkeiten im Bereich der Gewölbe, nicht aber die chemische Zusammensetzung, untersucht. 3.2 Ergänzende Untersuchungen Aus dem Vorkapitel ist zusammenfassend festzustellen, dass mehrfach umfangreiche Untersuchungen durchgeführt wurden, ohne dass, vom Ertüchtigungsversuch des Überbaus 1995 abgesehen, die Erkenntnisse zielgerichtet in Instandsetzungsmaßnahmen umgesetzt werden konnten. Als Ergebnis war eine stetige Verschlechterung des Bauwerkszustandes über die Nutzungsdauer festzustellen. Im Rahmen einer nach dem Jahrhunderthochwasser 2014 durchgeführten Sonderprüfung, ging eine erste Kostenschätzung von ca. 3,5 Mio. € für die statische Ertüchtigung der Anna-Ebert-Brücke aus. Aufgrund der weiteren Zustandsverschlechterung als Folge des Hochwassers 2013 wurde 2015 eine weitere Prüfung aus besonderem Anlass von der Landeshauptstadt beauftragt. Dabei wurde erstmals ein detailliertes Rissaufmaß und fotogrammetrisch gestütztes Schadenskataster aller Gewölbebögen erarbeitet. In Abbildung 5 ist dies beispielhaft für den am stärksten geschädigten Bogen 4 (BG 4) dargestellt. Die aufgenommenen Risse sind in Magenta hervorgehoben. Abb. 5: Riss- und Schadensaufmaß am Beispiel des BG 4 Den ergänzenden Untersuchungen sind weiterhin alle Arbeiten zugeordnet, die im Zusammenhang mit der Instandsetzungsplanung zur Feststellung differenzierter Schadensbilder und zum Beibringen der für die Instandsetzung notwendigen Information, z. B. zur tiefergehenden Erkundung vom Aufbau der Brücke, ausgeführt wurden. Auch die Grundlagen zur Erstellung von Bestands- und Planungszeichnungen mit ausreichendem Detaillierungsgrad waren praktisch nicht vorhanden. In Ergänzung zur Ingenieurvermessung wurde daher zur Zeichnungserstellung eine Fotogrammmetrie der Gewölbe und Unterbauten beauftragt. Das war auch erforderlich, um den Aufwand zur Zeichnungserstellung bei der Bauteilkomplexität unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu begrenzen. Auch innovative Verfahren, wie z. B. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 285 Notsicherung und denkmalgerechte Instandsetzung der Anna-Ebert-Brücke in Magdeburg die Infrarot-Thermografie kam zum Einsatz, um Hohllagen im Mauerwerk aufzuspüren. Weitergehende materialtechnische Laboruntersuchungen mit erneuter Entnahme von Probekörpern aus Gewölben, Stirnmauerwerk und Pfeilern wurden beauftragt. Positiv hervorzuheben ist die Herangehensweise der Landeshauptstadt Magdeburg, die für umfangreiche Voruntersuchungen die notwendigen Mittel bei vereinfachten Vergabemodalitäten bereitgestellt hat. In dieser Phase wurden vorausschauend bereits die Denkmalbehörden eingebunden sowie die Erarbeitung eines umfassenden restauratorischen Gutachtens veranlasst. Hier auszugsweise zu nennende Untersuchungen sind: - Probeinjektion im Gewölbebogen 2 - Probefugeninstandsetzung des Klinker- und des Natursteinmauerwerks der Unterbauten - Reinigungsverfahren auf Natur- und Kunststein - Materialuntersuchungen von Restaurierungsmaterialien mit Unterstützung eines hoch spezialisierten und sehr engagierten Mörtelherstellers - Chemische Laboruntersuchungen zur Belastung des Mauerwerks und zu Materialzusammensetzungen Da keinerlei Zeichen für Gründungsschäden festzustellen waren, wurden keine derartigen Untersuchungen durchgeführt, was sich in der Ausführung aus problematisch herausgestellt hat. 3.3 Untersuchungsergebnisse Als am stärksten geschädigt galt bis zur Nachrechnung von 2104 der Bogen 8, der durch Bombensplittereinwirkung großflächige Oberflächenschäden aufwies. Aus dem detaillierten Rissaufmaß ging jedoch hervor, dass mittlerweile der Zustand vom BG 4 (s. Abb. 5) deutlich schlechter zu bewerten war. Mehrere parallele Längsrisse, teilweise über die komplette Gewölbelänge, unterteilten den Bogen in einzelne Lamellen mit teilweise sehr geringen Breiten unter 2,5 m. Auf der Basis des Rissaufmaßes wurde eine Nachrechnung vorgenommen. Einzelne Gewölbebögen der Brücke waren danach für die bereits reduzierte Verkehrsbelastung nicht mehr nachweisbar. Schwerpunkte der Instandsetzung waren damit zum einen die Ertüchtigung des Gewölbemauerwerks und zum anderen die Sicherung der notwendigen Querverteilung der Lasten in den Gewölbebögen. Auf Grund der vorgefundenen Schäden und des kritischen Ausmaßes im BG 4 wurde, als weitere Sondermaßnahme ein teilautomatisiertes Bauwerksmonitoring mittels Extensiometern geplant und installiert. Übliche Maßnahmen, wie ein nochmals verkürztes Prüfintervall oder eine vermessungstechnische Lagekontrolle, waren aufgrund der baulichen Gegebenheiten sowie des möglichen Versagensmechanismus nicht umsetzbar. Aus der Probeinjektion im Gewölbe 2 konnten wertvolle Informationen gewonnen werden. Die grundsätzliche Schwierigkeit bestand darin, ein Injektionsmaterial mit einer an die Mauerwerksfestigkeit angepasster Festigkeit und guten Fließeigenschaften zu finden. Ein in der Denkmalpflege eingesetztes Standardmaterial erwies sich als ungeeignet, da die Fließeigenschaften für die Gegebenheiten unzureichend waren. Im handwerklich hervorragend ausgeführten Sandsteinmauerwerk entsprach bspw. die Injektionsmenge einem verfüllten Hohlraumgehalt von ca. 1,2 Vol. % und im Klinkermauerwerk ca. 0,7 Vol. % bei maximalen Injektionsmengen bis zu 15 l/ Packer. Das ursprünglich angedachte Injektionsraster musste von 4 auf 8 Packer je/ m² erhöht werden. Der desolate Zustand der äußeren Mauerwerksschale des Klinkermauerwerks führte zu der Erkenntnis, dass die Fugeninstandsetzung der Injektion zwingend vorlaufen muss, da sonst ein praktisch nicht umsetzbarer Verdämmungsumfang entsteht. Anhand von in den Probeinstandsetzungen der Fugen und des Klinker- und Natursteinmauerwerks angelegten Musterflächen konnten Materialien, deren Farbigkeit und Ausführungsdetails zur Einarbeitung in das spätere Leistungsverzeichnis der Instandsetzung am denkmalgeschmützten Objekt gemeinsam mit der Restauratorin und der Denkmalpflege festgelegt werden. Da Gewölbe und Unterbauten auch ausgeprägte, großflächige Verkrustungen, Aussinterungen und Graffiti aufwiesen, konnten die notwendigen Reinigungsverfahren festgelegt werden. Chemische Reiniger erwiesen sich auf dem Sandstein als ungeeignet. Abrasive Reinigungsverfahren, z. B. Hochdruck-Heißwasserwasserwaschen mit bis zu 500 bar, führten zu hohen Schädigungen bei sämtlichen Materialien an der Brücke, daher werden Restverschmutzungen zugunsten schonender Reinigungsverfahren in Kauf genommen. Als Ergebnis der Materialuntersuchungen konnten aus den Bemusterungen Fugen- und Antragungsmörtel festgelegt werden, die auch in die Ausschreibung einfließen konnten. Wie zu erwarten war, liegt infolge des jahrzehntelangen Einsatzes von Tausalzen, in Verbindungen mit der mangelhaften Abdichtung, eine sehr hohe Salzbelastung vor. In Laboruntersuchungen der entnommenen Proben aus dem Klinkermauerwerk konnten Chloridgehalte bis zu 0,54 M % nachgewiesen werden. Im Vergleich dazu zeigt der Sandstein, außer an den exponierten Pfeilervorköpfen, eine deutlich geringere Belastung. Dies war bei der Materialauswahl, z. B. durch eine geeignete Mörtelauswahl zu berücksichtigen. Die in Teilbereichen ermittelten Feuchtekonzentrationen in den Unterbauten lassen auf einen Durchfeuchtungsgrad von bis zu 100 % schließen. Auch unter Berücksichtigung früherer Prüfbemerkungen ist davon auszugehen, dass dieser Zustand schon lange andauert. Bindemittelanalysen waren ebenfalls für die Auswahl von geeigneten Injektionsmaterialien und Mörteln unerlässlich. Bei der Errichtung wurden Romankalk als Fugen- und Vergussmörtel der Sandsteine und hydrauli- 286 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Notsicherung und denkmalgerechte Instandsetzung der Anna-Ebert-Brücke in Magdeburg scher Kalk sowie Kalk-Zementmörtel für die Klinkergewölbe eingesetzt. In Teilbereichen nachgewiesene Gipsanteile werden in den labortechnischen Untersuchungen [8] auf Einwirkungen von Schwefeldioxid aus der Luft zurückgeführt. Da in der Vergangenheit bereits umfangreiche Bohrkernentnahmen- und Untersuchungen stattgefunden haben (vgl. 3.1), wurden aus den Untersuchungen gezielt fehlende Informationen gewonnen. So konnten Druckfestigkeiten des Konglomerats in den Pfeilerkernen im Mittel von 78,4 N/ mm² und 67,3 N/ mm² bei augenscheinlich sehr homogener Gefügezusammensetzung festgestellt werden. Unter Berücksichtigung der Bedeutung des Denkmals und zur Vervollständigung der Voruntersuchungen, wurden durch die restauratorische Bestandserfassung und die Erstellung eines umfangreichen restauratorischen Gutachtens, die benötigten Arbeitsanweisungen für sämtliche Bauteile zur Verfügung gestellt. 4. Instandsetzungskonzept Die einleitend geschilderte verkehrliche Bedeutung und die Komplexität der Instandsetzungsaufgabe waren maßgeblich in der Entwicklung des Instandsetzungskonzepts. Durch den zwingend aufrecht zu erhaltenden Verkehr war es nicht möglich, den bei einer derartigen Instandsetzung erforderlichen ersten Schritt, das Abdichten des Bauwerks von oben, vorzunehmen. Es war somit klar, dass auch nach der statischen Sicherung weiterhin Wasser von der Oberseite in die Gewölbe und Unterbauten gelangen wird und diese weiter schädigt. Als weitere Prämisse galt die Ausführung der Maßnahme in zwei Bauphasen. Dies ermöglichte das Planen einer örtlich begrenzten Notsicherung in Bauphase 1 zur Beseitigung der unmittelbaren Gefahr eines Bauwerksversagens. Außerdem bot die Aufteilung auch die Möglichkeit, gewonnene Erkenntnisse für die Umsetzung der Hauptleistung in Bauphase 2 zu nutzen. Weiterhin war bei weiterer Zunahme der Schäden im Bogen 4 eine Vollsperrung der Brücke nicht mehr auszuschließen, wodurch eine zeitliche Vorspannung bestand. 4.1 Instandsetzungsziele und Nicht-Ziele Aus den oben genannten Prämissen lassen sich folgende, hier nur stichpunktartig gefasste, wichtige Instandsetzungsziele ableiten: - Beseitigung der Schäden am und im Klinkermauerwerk der Gewölbebögen - Homogenisierung des gemauerten Tragwerks durch Rasterinjektion - Wiederherstellen der Quertragwirkung der Gewölbebögen durch Einbau von leicht vorgespannten Horizontalankern - Austausch geschädigter Sandsteine von Stirnringen und Pfeilern - Vollständige Erneuerung der Verfugung des Natursteinmauerwerks - Beseitigung von Kriegsschäden - Erneuerung der Fahrdrahtaufhängung der Straßenbahn und der Brückenbeleuchtung - Denkmalschutzgerechte Ausführung der Leistung und weitgehende Beschränkung auf den Einsatz mineralischer Materialien - Schnittstellentauglichkeit aller Leistungen zum zukünftigen, zweiten Bauabschnitt - Notsicherung als Behelfsbrücke mit dem Hauptziel der weiteren verkehrlichen Nutzung bis zur Fertigstellung des neuen Strombrückenzugs - Ausführung unter strengen Naturschutzauflagen - Winterbau zur Einhaltung der zeitlichen Vorgaben - Ausführung unter Verkehr mit nur minimalen nächtlichen Sperrpausen Wichtig war es auch in der Planung, auf Grund der zuvor beschriebenen Randbedingungen, u. a. folgende Punkte für die anstehende Maßnahme auszuschließen: - Abdichtung des Brückenüberbaus - Instandsetzung der Entwässerung des Überbaus - Wiederherstellung der ursprünglichen Breite des Überbaus - Vollständige denkmalschutzgerechte Wiederherstellung 5. Vergabe Mit dem geschilderten Leistungsumfang und den für die Maßnahme berechneten Kosten musste das Bauvorhaben jeweils europaweit ausgeschrieben werden. Die Komplexität der Arbeiten zeigt sich u. a. in einem Leistungsverzeichnis mit mehr als 500 Einzelpositionen. Aus Sicht der Planer ist die aktuelle Vergabepraxis nach EU-Recht für ein solches Vorhaben mit einem derartigen Anspruch an die Ausführungsqualität und die denkmalpflegerischen Anforderungen, nicht zielführend, da der damit einhergehende Preiswettbewerb nicht zwingend zu der notwendigen Ausführungsqualität führt. Die Verfahrensführung erfolgte durch die Zentrale Vergabestelle der Landeshauptstadt Magdeburg. Im Rahmen eines nichtoffenen Verfahrens mit öffentlichem Teilnahmewettbewerb wurden in Bauphase 1 aus einem Teilnehmerkreis von 11 Firmen in einem ersten Schritt drei geeignete Bieter ermittelt, welche nach Prüfung und Vervollständigung der Bewerbungsunterlagen dann zur Abgabe eines Angebotes aufgefordert wurden. Für die Vergabe der Bauphase 2 musste das Verfahren trotz nachgewiesener Leistungsfähigkeit der Ausführungsbetriebe und der bereits gewonnenen Erfahrungen erneut durchgeführt werden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 287 Notsicherung und denkmalgerechte Instandsetzung der Anna-Ebert-Brücke in Magdeburg Eine besondere Schwierigkeit bestand darin, die sehr unterschiedlichen Hauptleistungen - Spezialinstandsetzung und Restaurierung mit hohem denkmalpflegerischem Anspruch in einem Projekt zu bündeln. Die zuvor erwähnte Ausführung in zwei Bauphasen war mit dem Risiko von zwei Vergaben an unterschiedliche Ausführungsbetriebe verbunden, eröffnet aber auch die Möglichkeit gewonnene Erfahrung in das Hauptprojekt einfließen zu lassen und die Massen- und Kostensicherheit zu erhöhen. 6. Ausführung der Instandsetzungsmaßnahme Zunächst muss an dieser Stelle auf die urbane Lage der Brücke verwiesen werden. Wie bereits beschrieben, befindet sich das Bauwerk in enger räumlicher Bebauung (vergleiche Abb. 2). Des Weiteren grenzen an die Anna- Ebert-Brücke FFH-Gebiete, welche die Flächenverfügbarkeit für eine Baustelleneinrichtung ebenfalls beeinträchtigen. Die zwei Weltkriege beschädigten nicht nur die Brücke sondern sie führten auch dazu, dass im Rahmen der Ausführung erhebliche Kampfmittelsondierungen durchzuführen waren. Diese beinhalteten sowohl Flächenals auch Tiefensondierungen für die Gründung umfangreicher Baubehelfe. Gemäß der Ausschreibung beinhaltet das Baustellenlogistikkonzept eine zentrale BE-Fläche auf der Westseite, eine kleinere BE-Fläche auf der Ostseite, zwei Turmdrehkrane und einen Spundwandkasten inkl. Fahrdämme. Letzterer Kasten sollte eine Trockenlegung der Pfeilerschäfte ermöglichen. Dies wird in der nachfolgenden Abbildung 6 dargestellt. Abb. 6: Schnitt d. Baubehelfe (Quelle: Planungsbüro BACH+BACH) Das Gerüstbaukonzept sah vor, die Gewölbebögen mittels Standgerüst im Schutz des Spundwandkastens einzurüsten. Lediglich in der Hauptströmungsachse der „Alten Elbe“ war ein Hängegerüst geplant. Hierbei sollten immer zwei nebeneinanderliegende Gewölbe eingerüstet und bearbeitet werden. Ein drittes Gerüst sollte für einen entsprechenden Vorlauf als „Springer“ fungieren, sodass auch nach Abschluss eines Gewölbes ein zweites direkt zur Bearbeitung zur Verfügung stehen sollte. 6.1 Vorbereitende Arbeiten Gerüstbau, Kampfmittelsondierung Im Zuge der vorbereitenden Arbeiten sind zunächst die bereitgestellten Flächen des AG´s eingemessen und gegenüber der FFH-Gebiete mittels eines Schutzzaunes abgegrenzt worden. Die außerhalb des Gewässers liegenden BE-Flächen konnten via Flächensondierung von Kampfmitteln befreit werden. Die Baubehelfe im Gewässer wurden unter Aufsicht von Feuerwerkern im Rahmen der Kampfmittelsondierung begleitet. Die Gründungsebenen der Turmdrehkrane und der Spundwände wurden im Vorfeld über Tiefensondierungen auf Kampfmittel überprüft. Bis auf zwei Verdachtsfälle, Munition und kleinerer Granaten wurden glücklicherweise keine größeren Objekte vorgefunden. Abb. 7: Hängegerüst Bogen 8 Nachdem die Dämme in die „Alte Elbe“ eingebracht wurden, sollte mit der Errichtung des Spundwandkastens begonnen werden. Es zeigte sich jedoch nach kurzer Bearbeitungszeit, dass der anstehende Felshorizont deutlich höher angetroffen wurde. Infolgedessen musste die Ausführung der geplanten Leistung unterbrochen werden. Nach weiteren Untersuchungen und in Abstimmung mit allen Beteiligten musste festgestellt werden, dass die Erstellung einer trocknenden Baugrube wirtschaftlich nicht darstellbar ist. Aus diesem Grund musste nachträglich der gesamte Bauablauf sowohl technisch als auch organisatorisch grundlegend überarbeitet werden. Die Gerüste konnten im Bereich der Ufer als Standgerüst aufgebaut werden. Im Bereich des Gewässers wurden die Gerüste, wie in Abbildung 7 dargestellt, vollständig als Hängegerüst ausgebildet. Aufgrund der technischen Änderung der Gerüste folgte eine organisatorische Änderung des Bauablaufes. Dies war notwendig, da die Last der Hängegerüste teilweise über die Pfeiler abgetragen wurde. Aus diesem Zusammenhang konnten die Pfeiler nicht zeitgleich mit den Gewölben bearbeitet werden. Hieraus resultierte, dass die Bearbeitung der Pfeiler im Nachgang zu den Gewölben erfolgen musste. Die Scheibengerüste der Pfeiler 288 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Notsicherung und denkmalgerechte Instandsetzung der Anna-Ebert-Brücke in Magdeburg wurde auf kleinen Erweiterungen der beiden Dämme in Pfeilerachse aufgestellt. Sämtliche Arbeiten wurden in enger Abstimmung mit dem Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt abgestimmt. Das Ergebnis der Abstimmung wurde in einem Gerüstrückbaukonzept festgehalten. In diesem Konzept wurden wasserstandsbezogene Arbeitsanweisungen hinterlegt. 6.2 Statische Sicherung Im Wesentlichen besteht die statische Sicherung der Anna-Ebert-Brücke aus insgesamt drei Arbeitsschritten, wobei der erste nur indirekt zur statischen Sicherung beiträgt. Es handelt sich hierbei um die Widerherstellung des Klinkermauerwerks der Gewölbeuntersichten. Dieser Arbeitsschritt ist aufgrund des erheblichen Verdämmungsumfanges aus wirtschaftlicher Sicht zwingend notwendig. Der zweite Schritt der statischen Sicherung beinhaltet die Wiederherstellung eines homogenisierten Tragwerkes mittels Rasterinjektion. Diese wurde sowohl in den Untersichten der Gewölbe als auch in den Pfeilern und den Widerlagern der Brücke ausgeführt. Der letzte Schritt der statischen Sicherung umfasst die Ertüchtigung der Quertragwirkung der Gewölbebögen durch den Einbau von vorgespannten Horizontalankern. 6.2.1 Rasterinjektion Bei der Ausführung der Rasterinjektion kamen grundlegend zwei verschiedene Injektionsraster zur Anwendung. Im Bereich der Pfeiler wurden ca. vier Injektionspacker pro Quadratmeter eingebaut. Die eingebrachten Injektionsbohrungen wurden drehendschlagend bis auf eine Tiefe bis ca. 150 cm erstellt. Der Durchmesser betrug hierbei 18 mm. Die Injektion der Gewölbeunterseiten erfolgte, abweichend von der Probemaßnahme, über ca. zwölf Packer je Quadratmeter, wobei diese ebenfalls einen Durchmesser von 18 mm aufwiesen. Die Rasterverdichtung ist aufgrund eines deutlich besseren Injektionserfolges vorgenommen worden. Festgestellt wurde dies in der 1. Bauphase, durch anlegen weiterer Probeflächen. Die Tiefe der Injektionsbohrung im Gewölbe betrug jedoch lediglich 90 cm. Bei beiden Injektionsrastern wurden Schraubpacker verwendet (siehe Abbildung 8). Abb. 8: Injektionsraster Gewölbeuntersicht (Quelle: Ingenieurbüro Bruno Timme) Damit ein optimales Injektionsergebnis erzielt werden konnte, wurden die Injektionen vertikal aufsteigend ausgeführt. Dies bedeutet, dass die Pfeiler vom Sockel aufsteigend zum Kämpferbereich verpresst wurden. Die Gewölbe wurden jeweils mit zwei Injektionsanlagen ausgehend vom Kämpfer zum Gewölbescheitel verpresst. Gemäß Ausschreibungsunterlagen wurden druck- und mengengesteuerte Injektionsanlagen zum Einsatz gebracht. Für die Aufbereitung des Materials ist eine hochtourige Mischanlage eingesetzt worden. Durch Umpumpen in einen entsprechenden Pufferbehälter konnte durch konstante Rührgeschwindigkeit mit einem hohen Aufschlussgrad bis zu 11000 U/ min die Pumpbarkeit des Verpressgutes gewährleistet werden. Die Verwendung von Doppelplungerpumpen garantierte einen konstanten Verpressdruck und eine gleichbleibende Fördermenge bei beständigen Materialeigenschaften. Die Steuerungs- und Datenspeichereinheit sicherte die Nachvollziehbarkeit der Verpressung und ermöglichte eine Abrechnung der Injektionsarbeiten nach Verpressmenge und -zeit. Die automatische Verpressdrucküberwachung visualisierte fortlaufend die Momentanwerte, die über elektronische Druck- und Mengensensoren kontinuierlich erfasst wurden. Eingebracht wurde eine Suspension mit einem Bindemittel- Größtkorn von d95 < 40μm und einer Druckfestigkeit von ca. 15 N/ mm². Im Zuge der Verpressarbeiten wurden im Mittel je Gewölbe 14.300 ltr. Suspension verpresst. Dies stellt durchschnittlich ein Volumen von ca. 5,7 Litern pro Packer dar. Die Qualitätssicherung der Injektionsarbeiten erfolgte gemäß Ausschreibungsunterlagen. Diese umfassten umfangreiche grafische Auswertungen und Überwachungen der Injektionsdaten sowie Prüfungen am Bauwerk, am frischen und ausgehärteten Injektionsgut. In Abbildung 9 ist beispielhaft eine grafische Auswertung zu einem Gewölbebogen dargestellt. Es wurden alle Packer mit der aufgenommenen Menge in einer Grafik zusammengefasst. Nur auf diesem Weg ist, aufgrund der hohen Anzahl an Packern (ca. 2.300 Stück pro Gewölbe), eine nachvollziehbare Darstellung möglich. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 289 Notsicherung und denkmalgerechte Instandsetzung der Anna-Ebert-Brücke in Magdeburg Abb. 9: Grafische Auswertung Die oben genannten Prüfungen am Bauwerk beinhalteten WD-Versuche und Bohrkernentnahmen. Die durchgeführten W/ D-Versuche dienten vor der Injektion zur Erfassung der Ausgangslage und nach der Injektion als Nachweis zur Erreichung des Injektionsziels. Die W/ D- Versuche der Ausgangslage wurden in den W/ D-Bohrungen gemessen, die Nachweise „Reduzierung der Wasserwegigkeiten“ werden mit Erreichen des vorgegebenen Lugeon-Wertes in den Kontrollbohrungen verifiziert. Grundsätzlich wurden die Kontrollbohrungen erst nach ausreichender Erhärtung des Injektionsgutes der Gewölbebögen abgeteuft. Ein Großteil der Kontrollbohrungen wurden im späteren Verlauf zu Fledermausschlafplätzen ausgebaut. Eine visuelle Begutachtung des Injektionserfolgs war anhand der Bohrkerne der Horizontalanker möglich. Diese wiesen eine deutlich erkennbare Füllung der Klüfte und Wegigkeiten mit Zement auf. Die Dokumentation erfolgte mittels Kamerabefahrung. Die Prüfung des angemischten Injektionsguts während der Ausführung erfolgte durch eine permanente Eigenüberwachung der angemischten Suspensionen nach DWA Merkblatt 506 (Bestimmung der Rohdichte, Temperatur, Auslaufzeit Marshtrichter, Sedimentation, Fließgrenze und Viskosität). Zur Qualitätskontrolle des erhärteten Injektionsguts wurde die Bestimmung der Rohdichte, sowie der Druck- und Biegezugfestigkeit der Zementsuspension an hergestellten Prismen durchgeführt. 6.2.2 Einbau der Horizontalanker Im Zuge der Sanierungsarbeiten an der „Anna-Ebert- Brücke“ in Magdeburg war es notwendig, Spannanker in die Gewölbebögen einzubauen um diese zu sichern. Insgesamt wurden je Gewölbebogen zwölf Anker verbaut. Abb. 10: Lage d. Horizontalanker (Quelle: Planungsbüro BACH+BACH) Die Spannanker befinden sich, wie in Abbildung 10 dargestellt, in der Gewölbeunterseite. Sie weisen einen Abstand von ca. 50 cm von der Unterkante der Gewölbebögen auf. Die Regelausführung beinhaltet einen „doppelten“ Ankerkopf, der zum Einen das eigentliche Gewölbe spannt und zum Anderen eine Sicherung der Stirnringe darstellt. Diese Ausführung wird in der folgenden Abbildung 11 dargestellt. Abb. 11: Detail des doppelten Ankerkopf (Quelle: Planungsbüro BACH+BACH) Für das Einbringen der Ankerbohrungen ist ein hydraulisches Bohrgerät verwendet worden. Die Bohrungen entstanden im Endlosbohrverfahren mit Diamantkopfbesatz. Das Spülwasser wurde dem Trinkwassernetz der Stadt Magdeburg entnommen. Der Spannvorgang erfolgte mittels zweier unterschiedlicher Hohlkolbenzylinder, da während der Ausführung festgestellt wurde, dass ein größerer Zylinder einen besseren Arbeitsablauf garantierte. Während des Spannvorganges sollte sichergestellt werden, dass keinerlei Krafteinleitungen für die Vorspannung über die Stirnringe erfolgt. Die Vorgehensweise an den Gewölben beinhaltete das Spannen der Anker vom Kämpferbereich in den 290 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Notsicherung und denkmalgerechte Instandsetzung der Anna-Ebert-Brücke in Magdeburg Gewölbebogenscheitel. Dies bedeutet, dass zunächst abwechselnd die Anker im Bereich der Kämpfer gespannt wurden und anschließend der jeweils nächste Anker in Richtung Gewölbescheitel. Grundlegend wird der Einbau der Horizontalanker in vier Arbeitsabläufe eingeteilt. Hierbei umfasst der Erste das Erstellen der Horizontalbohrungen für die Befestigung der Stirnringsteine, inklusive der händisch eingebrachten Nuten. Darauffolgend werden die Anker eingebaut und gespannt, wobei in diesem Fall die Vorspannkraft 215 kN betrug. Nachdem ein Gewölbe vollständig gespannt wurde, werden die Ankerkanäle (Hohlraum zwischen Horizontalanker und Bohrungswandung) verpresst. Der abschließende vierte Arbeitsgang umfasst das Befestigen der Stirnringe mittels Spritzbetonplombe. 6.3 Natursteinarbeiten und denkmalpflegerische Restauration Im Zuge der Notsicherung der Anna-Ebert-Brücke wurde neben der statischen Instandsetzung auch eine denkmalgerechte Restauration der Natur- und Kunststeine nötig. Hierbei umfasste der Arbeitsumfang neben der bereits erwähnten Instandsetzung der Brückenunterseiten auch die Instandsetzung der Pfeilerschäfte sowie der Gewölbebogenansichten. Im Bereich der Brückenunterseiten sind Kunststeine vorzufinden, welche als Klinkersteine ausgebildet sind. Hier wurden sowohl ein umfangreicher Steinersatz als auch Antragungen durchgeführt. Des Weiteren sind sämtliche Fugen erneuert worden. In den weiteren Bereichen der Brücke wurden ausschließlich Natursteine verbaut, für deren Restauration vorwiegend Antragungen, Formergänzungen sowie Vierungen verbaut wurden. Eine Besonderheit der Antragung und Formergänzung ist, dass die Antragungsbzw. Ergänzungsmasse vor der Verarbeitung dem Bauteil entsprechend eingefärbt wurde. Dieser außergewöhnliche Arbeitsschritt ist aufgrund der hohen Salzbelastung der Brücke notwendig. Die üblicherweise eingesetzten Retuschen würden in kurzer Zeit durch Salzausblühungen wieder zerstört werden. Die hohe Salzbelastung der Brücke führte weiterhin dazu, dass die eingesetzten Vierungen und Ersatzsteine zur Restauration einen sehr hohen Qualitätsstandard entsprechen müssen. Neben den üblicherweise bekannten Maßnahmen zur denkmalpflegerischen Widerherstellung werden außerdem bis heute umfangreiche Arbeiten an der Brückenzier durchgeführt. Diese umfassen die Restauration und Wiederherstellung der Wappen und Schlusssteine sowie die Aufarbeitung der Pfeilervorkopfabdeckung. 6.4 Sonstige Arbeiten Im Rahmen der statischen Sicherung wurde zudem die Fahrdrahtanlage der Straßenbahn erneuert. Hierzu wurden die vorhandenen Maste der Anlage zurückgebaut und neue Mastfundamente inkl. Fahrleitungsmasten erstellt. Das Besondere an den Fundamenten ist, dass sie durch eine Rückverankerung an die Brücke gehangen werden. Dabei bestehen die Anker in Summe aus vier eingeklebten Stahlankern. Jeder Anker weist eine Länge von 4 Metern und einen Durchmesser von 32 mm auf. Die Ankerbohrungen wurden mittels hydraulischem Kernbohrgerät in den Brückenkörper abgeteuft. Jede Bohrung ist sowohl in der horizontalen als auch in der vertikalen Achse abgeteuft. In Abbildung 12 ist ein Mastfundament exemplarisch dargestellt. Abb. 12: Detail Mastfundament (Quelle: Planungsbüro BACH+BACH 6.5 Besonderheiten Besonders zu erwähnen ist, dass die Baumaßnahme auch im Winter stattfinden musste. Dies war ursprünglich nicht eingeplant, sondern ein Resultat daraus, dass der Bauablauf aufgrund einer nicht zu realisierenden Spundwandkastens grundlegend neu geplant werden musste. Durch die Verschiebung des Projekts in die Wintermonate musste ein erheblicher Aufwand betrieben werden um einen konstanten Bauablauf zu gewährleisten. Dies beinhaltete eine aufwendige Winterschutzeinhausung für die jeweiligen eingerüsteten Gewölbe und eine in diesem Zusammenhang aufgebaute Heizungsanlage für die Bereiche. Als weitere Besonderheit ist anzusehen, dass während der Bauzeit mehrfach Hochwasser herrschte und die errichteten Behelfsdämme in der Elbe mehrfach repariert und teilweise neu hergestellt werden mussten. Bezüglich der durchgeführten Injektionen ist besonders hervorzuheben, dass sehr lange Wegstrecken zwischen dem Injektionskomplex und dem zu verpressenden Bau- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 291 Notsicherung und denkmalgerechte Instandsetzung der Anna-Ebert-Brücke in Magdeburg teil überwunden werden mussten. Hieraus folgten Leitungslängen von bis zu 120 m, welche es vor Witterungseinflüssen zu schützen galt. 7. Schlussbemerkung Die vorherrschenden Gegebenheiten und Eigenschaften der Anna-Ebert-Brücke stellten alle Projektbeteiligten vor eine große Herausforderung. Eine erfolgreiche Instandsetzung konnte nur durch eine intensive Zusammenarbeit realisiert werden. Bogen 4 wurde bereits in 2016 gesichert. Seitdem wurde in diesem Bereich keine neue Längsrissbildung verzeichnet. Die statische Sicherung der übrigen Bögen wurde nun im Jahr 2019 planmäßig abgeschlossen. Die verkehrliche Einschränkungen bleiben jedoch, da die Maßnahme zwar eine Bestandssicherung, nicht aber eine Zustandsverbesserung darstellt. In naher Zukunft wird die Hauptverkehrslast auf den aktuell in Magdeburg entstehenden neuen Brückenzug übergehen. Durch die starke Salzbelastung kann es zu einer Rückversalzung neu eingesetzter Baustoffe kommen, die bereits nach kurzer Zeit zu erneutem Substanzverlust und zu starken Salzablagerungen auf sämtlichen Bauteiloberflächen führen kann. Dies wird vermutlich für ein saniertes Bauwerk eine unbefriedigende Ansicht darstellen. Aus Sicht des Planers ist dies bei vergleichbaren Projekten zu berücksichtigen. In einem 2. Bauabschnitt werden voraussichtlich die vollständige denkmalschutzgerechte Ertüchtigung und die Erneuerung des Oberbaus mit der dringend erforderlichen Brückenabdichtung erfolgen. Literaturverzeichnis [1] BACH + BACH: Sprengstofffund in der Anna- Ebert-Brücke über die Alte Elbe in Magdeburg, VSVI-Jahreszeitung, Magdeburg, 2016 [2] Beer, M.: Über den Brückenbau im Allgemeinen und speziell über die Elbbrücke bei Magdeburg, Blätter für Handel, Gewerbe und soziale Leben, Magdeburg, April 1882 [3] Grimm-Remus, Corinna: Restauratorisches Gutachten zur Erhaltenden Bauzier und Mauerwerksoberflächen, Schadensglossar und Empfehlungen zur Konservierung, Magdeburg, Juni 2016 [4] Beyer, Prof. Dipl.-Ing. Dieter: Gutachten zur Einschätzung der Standsicherheit der Anna-Ebert-Brücke, Magdeburg nach dem Hochwasser 2013, Nr. 4824/ 15, Magdeburg, Dezember 2015 [5] NBI GmbH: Prüfbericht 201/ 09, Nordhausen, September 2009 [6] NBI GmbH: Erweiterter Untersuchungsbericht der Anna-Ebert-Brücke, Materialtechnische Untersuchungen durch Prüfungen nach Vorgabe, Nordhausen, Mai 2016 [7] Schulze, M.: Anna-Ebert-Brücke Prüfbericht 2013 H nach DIN 1076, Magdeburg, Oktober 2013 [8] FEAD GmbH: Materialanalysen Anna-Ebert-Brücke, Magdeburg, Berlin, Juli 2015 8. Kontakt: Felix Bach, Dipl.-Wirtsch.-Ing. M. Eng. BACH + BACH Ingenieure, Planer Große Sorge 3 39217 Schönebeck, OT Pretzien Tel: (039200) 7828-10 Fax: (039200) 7828-11 f.bach@bachundbach.de Jan Rassek, Dipl.-Ing. Geschäftsführer w+s bau-instandsetzung gmbh Crumbacher Straße 23-25 34277 Fuldabrück-Berghausen Tel: (0561) 94878-0 Fax: (0561) 94878-20 jan.rassek@ws-bau.de 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 293 Der kathodische Korrosionsschutz an Brückengelenken Daniel Oberhänsli, dipl. Bauingenieur FH Geschäftsführer, suicorr AG, Bernstrasse 388, CH-8953 Dietikon, daniel.oberhaensli@suicorr.com Dr. Thorsten Eichler, Bauingenieur Geschäftsführender Gesellschafter, CORR-LESS Isecke & Eichler Consulting GmbH & Co.KG, Ruhlsdorfer Straße 7, DE-14513 Teltow, eichler@corr-less.de Nachdem Heinrich Gottfried Gerber erstmals im Jahr 1867 die nach ihm Benannten Gerbergelenke einsetzte, um aus dem statisch unbestimmten Durchlaufsystem ein statisch bestimmtes zu machen, wurden diese für viele Jahrzehnte zum Standard. Gerbergelenke haben jedoch einen entscheidenden Nachteil: Die darüberliegenden Fahrbahnübergänge werden oft undicht, so dass chloridhaltiges Wasser an die Endverankerungen der Brückenplatten gelangen kann. Eine Instandsetzung dieser Flächen ist mit konventionellen Methoden äusserst schwierig und häufig sogar unmöglich. Mittels kathodischem Korrosionsschutz lässt sich an beweglichen Gelenken trotz eingedrungener Chloride die Korrosionsrate auf ein vernachlässigbares Niveau reduzieren, so dass die Nutzungsdauer der Brücke trotz der vorhandenen substanzschädigenden Agenzien deutlich erhöht werden kann. Der kathodische Korrosionsschutz (KKS) wird in Europa seit Mitte der Achtzigerjahre erfolgreich für die Instandsetzung von Stahlbetonstrukturen eingesetzt. Geregelt wird die Projektierung und Ausführung des KKS in der EN ISO 12696 [1]. Aktuell wird in Europa diese Art des Korrosionsschutzes vorwiegend im Rahmen von Instandsetzungsmaßnahmen verwendet, wenn die Integrität des Bauwerks noch nicht so stark gefährdet ist, dass eine statische Ertüchtigung erforderlich wäre und der Ist-Zustand im Wesentlichen konserviert werden soll. Die präventive Anwendung des Verfahrens im Zuge des Neubaus eines Objektes ist nicht nur möglich, sondern wäre häufig eine wünschenswerte und geeignete Maßnahme um die Lebensdauer des Bauwerks mit wirtschaftlichen Mitteln signifikant zu erhöhen. Aufgrund der Einwirkung von Chloriden (Winterdienst) oder der Karbonatisierung (CO 2 in der Luft) entstehen unterschiedliche Bedingungen für den Stahl im Beton. Abhängig von den Rahmenbedingungen verliert der Bewehrungsstahl stellenweise seine Passivität. Er ist damit teilweise ungeschützt und der Korrosionsprozess setzt ein. Dabei kann es am Stahl im zu starker Elementbildung kommen, die mit sehr hohen Korrosionsraten einhergeht. An den weiterhin geschützten Stellen wird der Stahl zur Kathode und an der ungeschützten Stelle zur Anode. Infolge des daraus resultierenden Potentialdifferenz und der notwendigerweise fließenden Elementströme korrodiert der Stahl in den anodischen Bereichen. Die Wirkungsweise eines KKS mit Fremdstrom entspricht dem einer Elektrolysezelle, in der der natürliche, aber zerstörende Korrosionsstrom durch Schaltung der gesamten Bewehrung als Kathode entgegengewirkt wird. Zu diesem Zweck werden dauerhafte Anoden in das Objekt eingebaut, über welche später der Schutzstrom abgegeben wird. Dieses Verfahren hat den grossen Vorteil, dass chloridkontaminierte oder karbonatisierte Betonschichten nicht zwingend abgetragen werden müssen. Bereits vorhandene oder neu eintretende Chloride können in der Struktur verbleiben. Dadurch gestaltet sich der Eingriff in die Tragstruktur deutlich geringer. Lärmemissionen aufgrund von Höchstdruckwasserstrahlarbeiten werden reduziert und Bauzeiten verkürzt. Ausserdem werden provisorische statische Abstützungsmassnahmen wesentlich verringert oder sind nicht mehr notwendig. Ein weiterer Vorteil des kathodischen Korrosionsschutzes ist seine Anwendbarkeit auf Strukturteile, die von aussen nicht direkt zugänglich sind. Dazu werden beispielsweise Stabanoden in Bohrlöcher eingeführt und mit einem fliessfähigen Mörtel verpresst. Mit dieser Anodenart können auch Korrosionsherde in der Tiefe einer Struktur gezielt auf eine technisch nicht relevante Grösse reduziert werden. KKS an der Achereggbrücke Die 16 Meter breite und 200 Meter lange Hohlkastenbrücke bei Stansstad im Kanton Nidwalden besteht aus drei festen Abschnitten und zwei zusätzlichen Einhängeträgern. Die Konstruktion entspricht einem statisch bestimmten Gerberträgersystem. In Längsrichtung ist die Brücke mit dem BBRV-System vorgespannt. 294 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Der kathodische Korrosionsschutz an Brückengelenken Abb. 1: Grössenverhältnisse des Querträgers Quelle: luftbild-drohne.ch Eine Voruntersuchung zeigte, dass die zu erhöhende Schubtragsicherheit in den Gelenkbereichen sowie die chloridinduzierten Korrosionsschäden an der Vorspannung und an der Bewehrung die wesentlichen Herausforderungen darstellten. Die Zugänglichkeit zu den Quer- und Längsträgern ist im Gelenkbereich sehr schlecht, weshalb der Zustand der Vorspannung und der Bewehrung nicht lückenlos erhoben werden konnte. Eine konventionelle Instandsetzung war aus gleichem Grund nicht an allen erforderlichen Stellen möglich. Die Verhinderung des weiteren Schadensfortschrittes war nur mit dem kathodischen Korrosionsschutz realisierbar. Abb. 2: Querträger vor der Instandsetzung Abb. 3: Querträger nach der Instandsetzung Das entsprechende Instandsetzungsprojekt sollte die Nutzungsdauer der 50 jährigen Brücke um weitere 50 Jahre verlängern. Dazu gehörten auch der Ersatz sämtlicher Fahrbahnübergänge, die neben ihrer Hauptfunktion zugleich den Schutz der Gerbergelenke vor chloridhaltigem Strassenabwasser gewährleisten müssen. Die Schäden am Betontragwerk wurden durch Betonersatz umfassend instandgesetzt. Dort, wo die Beweh- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 295 Der kathodische Korrosionsschutz an Brückengelenken rung korrosionsbedingte Querschnittsverluste zeigt, wurde sie zur Wiederherstellung des ursprünglichen Tragwiderstands durch neue Bewehrung ergänzt. Die Längs- und Querträger der bestehenden Konstruktion wurden, zur Sicherstellung ihrer Tragwirkung, im Gelenkbereich mit kathodischem Korrosionsschutz ausgerüstet. Konkret sah das Schutzkonzept vor, sowohl die Gesamtstruktur der Querträger als auch die der angrenzenden Längsträger auf einer Länge von ca. 1.5 Metern mit einem KKS auszurüsten. Als weitere Herausforderung war zu beachten, dass die Brücke längsvorgespannt ist. Die für die Stabanoden erforderlichen Bohrungen mussten sehr genau platziert werden, um die Spannkabel nicht zu beschädigen. Dazu wurde im Vorfeld die Lage der verschiedenen Kabel bis in eine Tiefe von 30 Zentimetern geortet und markiert. Während der Ausführungsarbeiten zeigte sich, dass die Markierungen sehr genau passten und keine Kabel beschädigt wurden. Abb. 4: aufgeklebte Tapete mit Bewehrungslagen Abb. 5: Montage der Stabanoden Die vorab installierte KKS-Musterfläche, als auch die Hauptinstallation, zeigten, dass die Anforderungen an den künftigen Korrosionsschutz einwandfrei erfüllt werden. Sowohl die schlaffe Bewehrung als auch die Verankerung der Spannglieder können mit dem KKS geschützt werden. Der dafür benötigte permanent fliessende Strombedarf ist vergleichsweise gering. Bei einer Spannung von ca. 2-5 Volt ist ein Strom von ca. 10-15mA / m 2 Bewehrungsoberfläche zu erwarten. Die elektrische Leistung des gesamten Objekts entspricht damit ungefähr der Leistung einer permanent leuchtenden Glühbirne. KKS an der Megastütze der Elbhochstraße Die Elbhochstraße (K20) ist ein Teil der zurzeit längsten Straßenbrücke Deutschlands (Hochstraße Elbmarsch). Die Hochstraße ist wiederum ein Teil der Autobahn A7 und liegt in Hamburg südlich vor dem neuen Elbtunnel. Erstellt wurde das Bauwerk zwischen 1971 und 1974. Im Regelbereich besteht die Autobahnbrücke aus zwei 17.75m breiten und 2.1m hohen Überbauten mit Stützweiten von 35m. Vier neben einander liegende Spannbetonfertigteilträger bilden die Basis des Plattenbalkenquerschnittes welcher als Überbau dient. Die vorgespannten Träger lagern im Regelquerschnitt auf einem Querbalken, welcher wiederum auf drei Rundstützen aufliegt. An zwei Stellen entlang der Brücke lässt die darunterliegende Straßenführung den beschriebenen Regelaufbau nicht zu. Anstatt die Querriegel auf drei Stützen abzustellen, lagert pro Fahrrichtung ein deutlich größerer Querriegel auf einer zentralen Megastütze. Im Rahmen des Fahrstreifenausbaus von sechs auf acht Spuren soll auch eine Betoninstandsetzung der bestehenden Struktur erfolgen. Eine vorgängige Zustandsuntersuchung zeigte diverse Korrosionsprobleme auf. Insbesondere der Querriegel wurde aufgrund von undichten Fahrbahnübergängen über Jahre mit chloridhaltigem Wasser beaufschlagt. 296 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Der kathodische Korrosionsschutz an Brückengelenken Abb. 6: Grössenverhältnisse des Querträgers Abb. 7: Darstellung der Wasserläufe entlang dem Querträger Die Zugänglichkeit für eine konventionelle Instandsetzung stellte bei den chloridhaltigen Bauteilen eine sehr grosse Herausforderung dar und ist ohne umfangreiche Abbrucharbeiten nicht möglich. Diese Arbeiten führen wiederum zu grossen Beeinträchtigungen der Verkehrsführung der stark befahrenen Autobahn. Abb. 8: Nachbarträger bei welchem konventionell Beton abgetragen wurde Abb. 9: Korrosionsschäden am Querträger Aus erwähnten Gründen hat sich daher die Bauherrschaft DEGES dazu entschieden eine KKS-Musterfläche anlegen zu lassen. Die suicorr Deutschland GmbH wurde beauftragt in Zusammenarbeit mit der CORR-LESS Isecke & Eichler Consulting GmbH & Co.KG ein KKS-Konzept zu erstellen, eine numerische Simulation der Schutzwirkung durchzuführen, als auch die Musterfläche zu realisieren. Bei der Erarbeitung des Schutzkonzeptes zeigte sich, dass die von der Bauherrschaft gewünschte Schutzwirkung durch verschiedene Anodensysteme erreicht werden könnte. Aus praktischer Sicht musste erkannt werden, dass der Einbau von Stabanoden aufgrund der vielen Vorspannkabel im Querträger wenn überhaupt möglich sehr schwierig sein würde. Für die weiteren Projektphasen rückten daher Bandanoden ins Zentrum welche auf dem aufgerauten Beton aufgelegt würden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 297 Der kathodische Korrosionsschutz an Brückengelenken Abb. 10: Teilflächen der Musterfläche Abb. 11: Resultat eines Vorversuches der Fläche Nr. 1 im Labor Auf der unteren vertikalen Fläche (Nr. 3) des Querträgers war dies kein Problem und entspricht einer üblichen KKS-Anwendung. Bereits bei der horizontalen Fläche (Nr. 2) waren die örtlichen Verhältnisse erschwert da nur eine lichte Höhe von ca. 20 cm zur Verfügung stand. Die Fläche Nr. 1 bedurfte aber einigen Vorabklärungen damit diese realisiert werden konnte. Da nur gerade eine ca. 10-15 cm breite Öffnung zwischen dem Querträger und dem Plattenbalken bestand und die Musterfläche auf einer Tiefe von ca. 2m angelegt werden sollte war dies ein echtes Problem. Nach einigen Versuchen im Labor der suicorr AG konnte eine Schalung entwickelt werden, mit welcher die Bandanoden, als auch der Einbettmörtel, eingebracht und anschließend die Schalung wieder entfernt werden konnte. Abb. 12: KKS-Fläche im Zwischenraum (Nr. 1) Abb. 13: fertiggestellt Fläche Nr. 3 298 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Der kathodische Korrosionsschutz an Brückengelenken Nach einer zwei monatigen Betriebsdauer der Anlage konnte nachstehendes Fazit gezogen werden: - Das eingebaute Monitoringsystem bestätigte die Wirksamkeit der KKS-Anlage. - Die nach Norm geforderten Schutzkriterien konnten erreicht werden. - Eine KKS-Anlage kann unter den vorliegenden objektbedingten stark erschwerten Bedingungen eingebaut werden. - Der KKS ist für den vorliegenden Fall eine Alternative gegenüber der konventionellen Instandsetzung. Leider kam der kathodische Korrosionsschutz für die Hauptmassnahme nicht zur Anwendung. Nach Abschluss aller Untersuchungen bezüglich dem KKS zeigten sich am Objekt weitere Schäden wie z. B. AKR (Alkali-Kieselsäure-Reaktion) was schlussendlich zu einer konventionellen Instandsetzung führte. Literatur [1] DIN EN ISO 12696 Kathodischer Korrosionsschutz von Stahl in Beton (ISO 12696: 2017); Deutsche Fassung EN ISO 12696: 2017, D. D. I. f. N. e.V., Berlin, 2017. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 299 Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigten Anlegerbrücke in der Nordsee Lars Wolff, Michael Bruns Ingenieurbüro Raupach Bruns Wolff, Aachen, Deutschland Zusammenfassung Die Umschlaganlage Voslapper Groden in Wilhelmshaven ist ein Tiefwasseranleger für den Umschlag von chemischen Produkten. Errichtet wurde die Anlage in den Jahren 1979 bis 1980. Der etwa 2,1 km lange Anleger besteht aus einer 1,3 km langen Transportbrücke zwischen Deich und Anlegerabzweig sowie einer etwa 800 m langen Anlegerbrücke. Die auf Stahlpfählen aufgelagerte Konstruktion besteht aus Stahl- und Spannbetonfertigteilen mit einer Spannweite von bis zu 35 m. Infolge der Exposition im Meerwasser zeigen die Stahlbeton- und Spannbetonbauteile verschiedene, komplexe Schadensbilder, die eine umfangreiche Instandsetzung des Bauwerks erfordern. So weisen eine Vielzahl der Bauteile ausgeprägte Schäden in Form von Rissen und großflächigen Hohllagen infolge Alkali-Kieselsäure-Reaktion (AKR) auf. Weiterhin haben aus dem Meerwasser stammende Chloride bereits großflächig zu Bewehrungskorrosion geführt. Die beiden für sich gesehen getrennt ablaufenden Schädigungsmechanismen überlagern sich im vorliegenden Fall, so dass im Zuge einer Instandsetzung der betreffenden Stahl- und Spannbetonbauteile beide Schädigungsmechanismen berücksichtigt werden mussten. Im Zuge einer Pilotinstandsetzung in den Jahren 2010 und 2011 wurden erste Teile der Umschlaganlage durch Kombination verschiedener Instandsetzungsprinzipien, u.a. durch Anwendung des Prinzips des kathodischen Korrosionsschutzes (KKS) instandgesetzt. Im Jahr 2019 erfolgten erneut Untersuchungen an den beiden in den Jahren 2010 und 2011 instandgesetzten Bauteilen der Umschlaganlage. Im Zuge dieser Untersuchungen konnten keine neuen Schäden an den instandgesetzten Bauteilen festgestellt werden. Basierend auf diesen Erfahrungen wurde im Jahr 2020 mit der Instandsetzung weiterer Bauteile der Umschlaganlage begonnen. 1. Einleitung Die Umschlaganlage Voslapper Groden in Wilhelmshaven ist ein Tiefwasseranleger für den Umschlag von chemischen Produkten. Errichtet wurde die Anlage zwischen 1979 und 1980. Die etwa 2,1 km lange Konstruktion besteht aus einer 1,3 km langen Transportbrücke zwischen Deich und Abzweigbauwerk sowie einer etwa 800 m langen Verbindungsbrücke, welche zu den drei Anlegerbauwerken führt. Die Transportbrücke wiederum besteht aus zwei getrennten parallel verlaufenden Brücken, der Zufahrts- und der Montagebrücke. Die auf Stahlpfählen aufgelagerte Konstruktion besteht aus Stahl- und Spannbetonfertigteilen mit einer Spannweite von bis zu 35 m. Die Gründung erfolgte auf eingerammten Stahlpfählen mit einem Pfahlkopf aus Stahlbeton. Auf diesem Pfahlkopf liegt ein Jochbalken auf, der den Pfahlkopf (im Fall der Verbindungsbrücke) oder die beiden Pfahlköpfe (im Fall der Transportbrücke) ringförmig umschließt. Im Fall der Transportbrücke weisen die Joche einen aufgelösten Querschnitt auf, d.h. zwischen den beiden Pfahlköpfen befindet sich ein nach unten offener kastenförmiger Querschnitt, siehe auch Bild 12. Auf den Jochen liegen die Spannbeton-Überbauteile der Zufahrts-, Montage- und Verbindungsbrücke sowie die Unterkonstruktionen für die Medienleitungen für die Versorgung der naheliegenden chemischen Produktionsanlagen auf. Bild 1 gibt einen Eindruck von der Größe und Konstruktion der Umschlaganlage. 300 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigten Anlegerbrücke in der Nordsee Transportbrücke Verbindungsbrücke Bild 1: Umschlaganlage Voslapper Groden, Luftbild (oben, Quelle: Niedersachsen Ports GmbH & Co. KG) und Blick vom Deich auf die Transportbrücke mit Zufahrtsbrücke (rechts im Bild) und Montagebrücke (links im Bild) sowie im Hintergrund die Verbindungsbrücke (unten) Infolge der Exposition im Meerwasser zeigen die Stahlbeton- und Spannbetonbauteile verschiedene komplexe Schadensbilder, die eine umfangreiche Instandsetzung des Bauwerks erfordern. So weisen eine Vielzahl der Bauteile ausgeprägte Rissbilder auf, die u.a. auf Treiberscheinungen des Betons hindeuten. Infolge der unterschiedlichen Konstruktion und Belastung der einzelnen Bauteile, z.B. der Vorspannung des Überbaus, ist die Ausprägung dieser Rissbilder bauteilbezogen jedoch höchst unterschiedlich. Des Weiteren zeigen die Stahl- und Spannbetonbauteile deutlich erhöhte Chloridgehalte sowie eine z.T. bereits fortgeschrittene Bewehrungskorrosion. Infolge der exponierten Lage im Meerwasser und der komplexen, sich z.T. überlagernden Schadensbilder sind die klassischen Instandsetzungsprinzipien, z.B. nach [12], nicht oder nur bedingt anwendbar. 2. Vorgehensweise bei den Bauwerksuntersuchungen Sowohl aufgrund der Größe des Bauwerks mit einer Gesamtlänge von 2,1 km, der unterschiedlichen Konstruktion der Transport- und Verbindungsbrücke, des dazwischen liegenden Abzweigbauwerks und der Anlegerbauwerke sowie der deutlich dreistelligen Gesamtanzahl an Stahl- und Spannbetonfertigteilen ist der Ist-Zustand eines derartigen Bauwerkes nur mit einem abgestuften Untersuchungsprogramm sinnvoll zu erfassen. Erschwerend kommt hinzu, dass einzelne Bauteile, dazu zählen beispielsweise die Innenseiten der Joche der Transportbrücke zwischen den beiden Pfahlköpfen oder die Anlegerbauwerke, nicht mit einem Brückenuntersichtgerät, sondern nur mit Hilfe sehr aufwändiger Hängegerüste vollflächig untersucht werden können. Bei widrigen Witterungsbedingungen mit starkem Wind und hohem Wellengang besteht hier stets die Gefahr, dass Teile des Gerüstes durch Wellenschlag zerstört werden, so dass derartige Untersuchungen nur in Jahreszeiten mit einer geringen Sturmwahrscheinlichkeit durchgeführt werden können. Zur Untersuchung des Ist-Zustandes der Umschlaganlage Voslapper Groden als Basis für die Erarbeitung von Instandsetzungskonzepten wurde ein abgestuftes Untersuchungsprogramm erarbeitet. Hierbei wurden bestimmte Bauteilgruppen, dazu zählen beispielsweise die Joche als Unterkonstruktion, sehr ausführlich untersucht, während andere Bauteilgruppen exemplarisch untersucht wurden und der Zustand nur visuell untersuchter Bauteile anhand der umfassend untersuchten Bauteile abgeschätzt wurde. In einem ersten Schritt erfolgten zunächst intensive Begehungen der Umschlaganlage, sowohl auf der Oberseite, als auch mittels der unterhalb der Zufahrts- und Verbindungsbrücke verlaufenden Kontrollgänge, siehe Bild 2 links. Durch eine Befahrung mittels Schiff, welche unmittelbar unter der Brücke aufgrund der starken Gezeitenströmung nur in einem engen Zeitfenster von etwa einer Stunde bei Hoch- oder bei Niedrigwasser durchgeführt werden kann, konnte zudem ein Eindruck vom Zustand der Untersicht der Joche, der Anlegerbauwerke oder des Abzweigbauwerks zwischen Transport- und Verbindungsbrücke gewonnen werden, siehe auch Bild 2 unten. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 301 Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigten Anlegerbrücke in der Nordsee Bild 2: Beispiel für den unterhalb der Brücken verlaufenden Kontrollgang (oben), Ansicht einer der Anlegerplattformen vom Schiff aus (unten) Nach dieser Begehung wurden für ein erstes fünftägiges Untersuchungsprogramm insgesamt vier Joche der Transport- und Verbindungsbrücke ausgesucht, die mittels Hängegerüst handnah untersucht werden konnten. Bei diesen Jochen war von außen visuell erkennbar ein unterschiedlich stark ausgeprägtes Schadensbild vorhanden. Ergänzend wurden stichpunktartig direkt zugängliche Bauteile, wie z.B. die auflagernahen Bereiche einzelner Spannbeton-Überbauteile sowie kleine Teilflächen der Anlegerbauwerke untersucht. Ein wesentlicher Schwerpunkt dieser Untersuchungen war der Nachweis einer AKR u.a. mit den in diesem Beitrag beschriebenen Bauwerks- und Laboruntersuchungen. Auch wurde in Teilflächen eine Potentialfeldmessung mit ergänzender Bestimmung von Chloridtiefenprofilen und Inspektionsöffnungen durchgeführt. Parallel erfolgte eine Auswertung der vorliegenden Unterlagen, wie z.B. den Bautagebüchern, Informationen bzw. Eignungsprüfungen zu den in der Bauzeit verwendeten Baustoffen, Ergebnissen aus Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 [15] sowie bereits erfolgter Instandsetzungsmaßnahmen einzelner Bauteile. Vor allem die detaillierte Auswertung der vorliegenden Ergebnisse aus Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 [15] erlaubte eine Bewertung der bisherigen Schadensentwicklung, z.B. die Zunahme von Rissen bei einzelnen Bauteilgruppen. Auch konnte anhand der Bautagebücher sowie des visuell bei einigen Bauteilen vorhandenen höchst unterschiedlich ausgeprägten Schadensbildes eine Zeitspanne in der Bauphase festgestellt werden, in der vermutlich Abweichungen in der Ausführung bei Erstellung der Spannbeton-Überbauteile auftraten, da Bauteile aus dieser Zeitspanne unabhängig von der Lage am Bauwerk ein deutlich ausgeprägteres Schadensbzw. Rissbild zeigten als andere Bauteile. Nach Abschluss dieses ersten Untersuchungsprogramms war es möglich, die wesentlichen Ursachen der umfangreichen Schadensbilder bauteilbezogen zu erfassen sowie die Vielzahl an unterschiedlichen Rissbildern verschiedenen Ursachen und begleitenden Faktoren zuzuordnen. Auch konnte anhand dieses ersten Untersuchungsprogramms ein erster überschläglicher Instandsetzungsaufwand abgeschätzt und dem Bauherrn vorgestellt werden. Für das weitere Vorgehen war in Rücksprache mit dem Bauherrn zunächst abzuklären, welche Anforderungen der Bauherr an die weitere Nutzungsdauer des Bauwerks stellt, um die möglichen Optionen bei Erarbeitung des Instandsetzungskonzeptes berücksichtigen zu können. Um die angestrebte Nutzungsdauer zu erreichen, stehen nach DIN EN 1504-9 [16] grundsätzlich folgende Optionen zur Verfügung: a) keine Maßnahmen für eine bestimmte Zeitdauer, jedoch Überwachung des Bauwerks; b) erneuter Nachweis der Tragfähigkeit, der möglicherweise zu einer reduzierten Einstufung der Funktionstüchtigkeit des Betontragwerks führt c) Vermeidung oder Verminderung einer weiteren Verschlechterung des Zustandes des Tragwerks; d) vollständige oder teilweise Verstärkung oder Instandsetzung und Schutz des Betontragwerks; e) vollständige oder teilweise Rekonstruktion oder Austausch des Betontragwerks; f) vollständiger oder teilweiser Abriss des Betontragwerks. Seitens des Bauherrn wurde die Option d) der vorgenannten Optionen gewählt. In einem zweiten wesentlich umfangreicheren sechswöchigen Untersuchungsprogramm wurden alle Joche der Transport- und Verbindungsbrücke umfassend untersucht, da diese aufgrund der direkten Nähe zum Meerwasser eine deutlich größere Schädigung infolge AKR sowie chloridinduzierter Korrosion aufwiesen als die darüber angeordneten Spannbeton-Überbauteile. Die Untersuchung erfolgte parallel mittels Brückenuntersichtgerät sowie Hängegerüsten, die im Fortschritt der Untersuchungen von Joch zu Joch umgehängt wurden. Im Rahmen dieses Untersuchungsprogramm erfolgten 302 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigten Anlegerbrücke in der Nordsee u.a. vollflächige Potentialfeldmessungen, begleitet von Schadenskartierungen und ergänzenden Bohrkernentnahmen. An den entnommenen Bohrkernen wurden u.a. die Druckfestigkeiten des Bauwerksbetons als auch weitere Bestimmungen des AKR-bedingten Resttreibpotentials vorgenommen. Im Rahmen ergänzender Untersuchungsprogramme erfolgten zudem ergänzende Untersuchungen direkt zugänglicher Bauteile, z.B. eine flächige Potentialfeldmessung der Fahrbahn der Zufahrtsbrücke. 3. Beschreibung der Bauwerksuntersuchungen 3.1 Allgemeines Zur Bestimmung der Schadensursachen sowie als Grundlage zur Entwicklung geeigneter Instandsetzungskonzepte wurden durch das Ingenieurbüro Raupach Bruns Wolff in Kooperation mit dem Institut für Bauforschung der Aachen University, ibac, umfangreiche Bauwerks- und Laboruntersuchungen durchgeführt. Zu den Bauwerksuntersuchungen zählten unter anderem: - Risskartierung an Spannbetonträgern der Transport- und Verbindungsbrücke - Schadenskartierung der Joche der Transport- und Verbindungsbrücke - Exemplarische Bestimmungen der Betondeckung - Potentialfeldmessungen - Bestimmung von Chloridtiefenprofilen - Anlegen von Inspektionsöffnungen zur Bestimmung des Korrosionszustands der Bewehrung - Entnahme von Bohrkernen zur weitergehenden Untersuchung im Labor In anschließenden Laboruntersuchungen wurden im Wesentlichen die Ursachen und Auswirkungen der am Objekt vorhandenen Rissbildungen bestimmt. Hierzu zählten im Einzelnen: - Licht- und Rasterelektronenmikroskopische Untersuchungen an Bauwerksproben und Dünnschliffen zur Klärung des Vorhandenseins sowie der Ursachen von Treiberscheinungen - Bestimmung des Resttreibpotentials infolge einer Alkali-Kieselsäurereaktion AKR sowohl ohne als auch mit einer zusätzlichen Alkalizufuhr von außen - Bestimmung der Betondruckfestigkeit vor und nach Bestimmung des Resttreibpotentials 3.2 Erfassung und Kartierung bauteiltypischer Rissbilder Das Bauwerk zeigt verschiedene bauteilspezifische Rissbilder, deren wesentliche Ursachen sowohl konstruktiver Art, herstellungsbedingt als auch Folge von Treiberscheinungen im Beton sind. So weisen die Spannbeton-Überbauteile der Fahrbahnen vor allem im Bereich der Endverankerungen der Spannglieder Rissverläufe auf, die etwa den Drucktrajektorien des Bauteils folgen. Innerhalb des Druckbogens der Träger hingegen sind kaum Rissbildungen vorhanden. Bild 3: Spannbeton-Überbauteil der Transportbrücke, Rissbildung im Bereich der Endverankerung der Spannglieder (oben) und netzförmige Risse im Bereich der Kappen (unten) Genauere Untersuchungen dieser Bauteile zeigten unter anderem, dass die im Bereich der Endverankerungen vorhandenen Rissbilder auf eine Überlagerung verschiedener Ursachen zurückzuführen sind. Dazu zählen u.a.: • Fehlerhafte Bewehrungsführung, vor allem bzgl. der Verbügelung der Trägerenden • Unzureichender Bewehrungsgrad der Spaltzugbewehrung • AKR-bedingte Rissbildung im nicht durch die Vorspannung überdrückten Bereich des Betons 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 303 Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigten Anlegerbrücke in der Nordsee Exemplarische Bauteilöffnungen im Bereich der Endverankerungen zeigten, dass hier entgegen den Vorgaben der Bewehrungspläne keine Verbügelung der Trägerenden vorhanden ist. Diese fehlende Verbügelung ist vor allem für die parallel zu den Trägerenden verlaufenden Risse verantwortlich. Die Tatsache, dass in den Kappen im Bereich der Trägerenden verstärkt netzförmige Risse vorhanden sind, nicht jedoch innerhalb des Druckbogens, zeigt, dass das Auftreten AKR-bedingter Treiberscheinungen durch die Vorspannung überlagert wird. So ist bekannt, dass durch AKR entstehende Spannungen durch Druckspannungen im Bauteil, z.B. durch die im vorliegenden Fall vorhandene Vorspannung, effektiv überdrückt werden können. Eine schädigende Rissbildung tritt, je nach Bauteilgeometrie, Reaktionsrate der AKR sowie Größe der vorhandenen Druckspannungen somit nur in geringerem Maße oder im Extremfall gar nicht zu Tage. Die Größe der für eine Inhibierung der AKR erforderlichen Druckspannungen im Beton wird in [1] mit etwa 3 bis 10 N/ mm² angegeben. In [2] wird in Versuchen eine signifikante Abnahme der Dehnungen bei Druckspannungen größer als etwa 10 N/ mm² gezeigt. Die Jochbalken der Transportbrücke sowie der Anlegerbauwerke weisen vor allem im Bereich der Auflagerung auf den Pfahlköpfen konstruktionsbedingte, im Wesentlichen vertikal verlaufende Risse, z.T. aber auch netzförmige Risse auf, siehe Bild 4. Auch in diesem Fall liegt eine Überlagerung konstruktionsbedingter Ursachen mit AKR-bedingten Treiberscheinungen, verstärkt durch die bestehende Art der Entwässerung rund um die Pfahlköpfe, vor. So weisen die Joche, je nach Typ, ein bis zwei konusförmige Aussparungen auf, welche auf den Pfahlköpfen aufliegen. Der Ringspalt zwischen Joch und Pfahlkopf ist nicht verschlossen, so dass zwischen den Überbauteilen herablaufendes Wasser in diesen Ringspalt eindringt und damit die Joche im Bereich der Pfahlköpfe praktisch dauerhaft wassergesättigt sind. Erkennbar wird dies u.a. an wasserführenden Rissen auf den an die Pfahlköpfe angrenzenden Innenseiten der Joche, siehe Bild 5. Bild 4: Bereiche netzförmiger Risse (Schraffierung) im Bereich der Pfahlköpfe; Joch der Transportbrücke (oben) sowie Joch eines Anlegerbauwerks (unten) Der erhebliche Einfluss dieser Wassersättigung auf den Schädigungsgrad des Betons infolge AKR wurde auch beim Vergleich der unterschiedlich exponierten Bereiche innerhalb eines Bauteiltyps, z.B. der Joche, oder zwischen unterschiedlichen Bauteilen deutlich. So wurden Hohllagen im Beton, welche im Wesentlichen auf eine AKR zurückgeführt werden können (vergleiche Kapitel 3 sowie Bild 11), nahezu ausschließlich auf den Innenseiten der Joche der Transportbrücke gefunden. Hier liegen aufgrund der unmittelbaren Lage über dem Wasser und dem nach oben geschlossenen Querschnitt dauerhaft hohe Luftfeuchten vor, so dass die Innenwände dieser Joche praktisch dauerhaft wassergesättigt sind, auch wenn diese nicht direkt wasserbeaufschlagt werden. Auf den Außenseiten der Joche hingegen wurden netzförmige Risse u.a. als Anzeichen einer AKR vorwiegend im Bereich rund um die Pfahlköpfe festgestellt. Hier liegt aufgrund der beschriebenen Konstruktion ebenfalls eine hohe Wassersättigung des Betons vor. 304 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigten Anlegerbrücke in der Nordsee Ringspalt Bild 5: Ursache der Wasserführung in den bauteilspezifischen typischen Trennrissen der Joche im Bereich der Pfahlköpfe: Aufstehendes Wasser auf einem Joch im Bereich des Ringspaltes zwischen Joch und Pfahlkopf (oben) und Ablauffahnen im Bereich von Rissen auf der an einen Pfahlkopf angrenzenden Innenwand eines Joches (unten) Andere Bereiche hingegen, wie z.B. die Flügelwände der Joche, welche zwar direkt beregnet werden aber auch infolge Wind und Sonneneinstrahlung trocknen können, waren lange Zeit weitgehend frei von AKR-typischen Schadensbildern. Hier traten nennenswerte Schäden erst deutlich später auf. 3.3 Untersuchungen zum Korrosionszustand der Bewehrung Zur Lokalisierung im Hinblick auf Bewehrungskorrosion kritischer Bereiche wurde zunächst eine Potentialfeldmessung der Joche, der Seitenflächen einzelner Spannbeton- Überbauteile sowie der Zufahrtsbrücke im Bereich der Fahrbahn durchgeführt. Während im Bereich der untersuchten Spannbeton-Überbauteile lediglich lokal Hinweise auf eine korrosionsaktive Bewehrung gefunden wurden, zeigte sich im Bereich der Joche ein wesentlich differenzierteres Bild. Ergänzend zu Potentialfeldmessungen an allen Jochen erfolgte eine Kartierung von Schadstellen. Im folgenden Bild 6 ist die Potentialfeldmessung an der Außenseite eines Joches beispielhaft dargestellt. Bild 6: Potentialfeldmessung an der Außenseite eines Jochs vom Brückenuntersichtgerät aus Ausführliche Informationen zur Auswertung der Potentialfeldmessungen im vorliegenden Fall sind in [8] enthalten. Vor allem aufgrund der lokal sehr unterschiedlichen Wassersättigung in Teilbereichen der Joche und damit verbundener Belüftungsunterschiede waren im Zuge der Auswertung der Potentialfeldmessungen besondere Überlegungen erforderlich, um Fehlinterpretationen der gemessenen Potentiale zu vermeiden. Hier bestätigte sich einmal mehr, dass feste Potentialgrenzwerte bei Auswertung von Potentialfeldern nicht existieren. Weitere Informationen zu diesem Thema finden sich z.B. auch in [3] bis [5]. Im vorliegenden Fall konnten objektbezogene Potentialgrenzen, ab denen mit hoher Wahrscheinlichkeit von korrodierender Bewehrung auszugehen ist, vor allem durch ergänzende Bauteilöffnungen bestätigt werden. Bei den Jochen wurden auf Basis der beschriebenen Vorgehensweise Potentialwerte, bei denen von einer sehr hohen Korrosionswahrscheinlichkeit auszugehen ist, von -400 bis -450 mV CSE ermittelt. Inspektionsöffnungen im Bereich von Potentialen kleiner -450 mV CSE zeigten an allen angelegten Inspektionsöffnungen Korrosionserscheinungen der freigelegten Bewehrung. Die Auswertung der Potentialfelder vor dem Hintergrund der Festlegung des erforderlichen Instandsetzungsaufwandes 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 305 Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigten Anlegerbrücke in der Nordsee erfolgte unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Inspektionsöffnungen, des Vorhandenseins von Potentialgradienten in den Potentialfeldern, den bestimmten Chloridtiefenprofilen, der Exposition der Bauwerksteile sowie vorhandener Schadensbilder wie z.B. Risse oder Hohllagen. Beispiele für zwei deutlich unterschiedliche Potentialfelder zweier nahe beieinander liegender Joche sind in Bild 7 gegeben. Bild 7: Vergleich der Potentialbilder von zwei nahe beieinander liegenden Jochen der Transportbrücke mit deutlich unterschiedlich ausgeprägten Potentialverteilungen 4. Untersuchungen zur Bewertung der Schädigung infolge AKR 4.1 Allgemeines Die so genannte Alkali-Silika-Reaktion AKR beschreibt die Reaktion von Gesteinskörnungen, die alkalilösliche Kieselsäure enthalten, mit Alkalihydroxid der Porenlösung des Betons. Die Alkalien, vornehmlich Natrium, stammen entweder aus dem Zement oder dringen infolge der Exposition von außen in den Beton ein (z.B. Tausalze im Straßenbau, Salze aus Meerwasser). Gesteinskörnungen gelten nach [6] dann als alkaliempfindlich, wenn sie diese reaktionsfähige amorphe und wasserhaltige Modifikationen der Kieselsäure enthalten. Grundsätzlich kann eine AKR bei allen SiO 2 -haltigen Gesteinskörnungen ablaufen. I.d.R. sind die Reaktionsraten sowie die gebildeten Gelmengen jedoch so klein, dass keine Schäden auftreten. Als kritisch im Hinblick auf eine schädigende AKR gelten nach [7] alle amorphen, kryptokristallinen und gittergestörten SiO 2 -Minerale. In [6], [7] und [8] werden u.a. folgende Gesteinsarten genannt: • Opalsandsteine (Opal. Chrisobalit) • Kieselkreide, Kieselkalke (Chalcedon, kryptokristalliner Quarz) • Obsidian (vulkanisches Glas) • Gebrochene Grauwacken • Gebrochener Kies des Oberrheins • Silikathaltiger dolomitischer Kalkstein • Gläser • Gebrochener Quarzporphyr (Rhyolith) • Rezyklierte Gesteinskörnungen; Die an der Umschlaganlage Voslapper Groden u.a. verwendeten Gesteinsvarietäten, Grauwacken sowie Porphyre, sind somit grundsätzlich als AKR-gefährdet einzustufen. Des Weiteren sind offensichtlich im verwendeten Jadesand Kieselkalke, d.h. Kalksteine mit einem eingelagerten Anteil an überwiegend mikrokristallinem SiO 2 vorhanden, die laut vorgenannter Aufstellung ebenfalls AKR-gefährdet sein können. Bevorzugt findet die AKR bei Temperaturen zwischen 10 bis 40 °C und hoher Wassersättigung des Betons statt. Meerwasserbauwerke unterliegen somit infolge der i.d.R. dauerhaft hohen Wassersättigung des Konstruktionsbetons sowie der stetigen Alkalizufuhr aus dem Meerwasser einem deutlich höheren Risiko einer AKR als Bauwerke in anderen Expositionen. Die AKR verläuft je nach Gesteinsvarietät sowie klimatischen Randbedingungen unterschiedlich schnell. So können erste Schäden an Bauwerken sowohl bereits nach wenigen Monaten bis 2 Jahren als auch erst nach mehr als 20 bis 30 Jahren auftreten. Nach [7] kann die AKR in drei Reaktionstypen eingeteilt werden: • Alkali-Silika-Reaktion • Alkali-Silikat-Reaktion • Alkali-Carbonat-Reaktion 306 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigten Anlegerbrücke in der Nordsee Die häufigste Reaktion ist die Alkali-Silika-Reaktion. So reagiert bei dieser Reaktion amorphe Kieselsäure, ausgehend von der Oberfläche eines Gesteinskorns, sehr schnell mit der alkalischen Betonporenlösung. Die Folge sind eine starke Gelbildung sowie hohe Treibraten, die bereits nach wenigen Jahren zu umfangreichen Schäden der Bauteilstruktur führen können [9]. Bei der Alkali-Silikat-Reaktion hingegen dringen Alkalien vornehmlich über Mikrorisse in das Gesteinskorn ein, wobei geringe Gelmengen gebildet werden. Mit der Zeit wird das Gesteinskorn entlang dieser vorgeprägten Schwächezonen durch die Gelbildung aufgesprengt, die Risse setzen sich in der Betonmatrix fort. Der Schadensverlauf ist gegenüber der klassischen AKR i.d.R. deutlich langsamer. Typischerweise tritt dieses Schadensbild bei Grauwacken, Quarzporphyren oder auch gebrochenen quarzitischen Zuschlägen auf [9]. Ein Schema dieser beiden Schadensformen der AKR nach [9] ist im folgenden Bild 8 gezeigt. Bild 8: Ablaufschema der Alkali-Kieselsäure-Reaktion oder Alkali-Silikat-Reaktion bei verschiedenen Gesteinstypen nach [9] Die dritte Variante der AKR, die Alkali-Carbonat-Reaktion hingegen ist eher selten und in ihren Reaktionsmechanismen sowohl weitgehend unbekannt als auch umstritten [7]. Äußerlich kann sich eine AKR sowohl in Form von einer großflächigen Zerstörung des Gefüges, z.B. in Form von Rissbildungen, Schalenbildungen etc. als auch lokal in Form so genannter „Pop-Outs“ äußern. Ein Beispiel eines solchen „Pop-Outs“ an einem Joch der Umschlaganlage Voslapper Groden ist im folgenden Bild 9 gezeigt. Bild 9: „Pop-Out“ infolge AKR-bedingter Umwandlung eines oberflächennahen, kleinen Gesteinskorns an einem Joch der Umschlaganlage 4.2 Laboruntersuchungen zum Nachweis einer AKR Neben den in Bild 9 dargestellten, am Objekt vorhandenen „Pop-Outs“ zeigten auch die entnommenen Bohrkerne klare Hinweise auf Gefügeschädigungen infolge AKR. So wiesen einige der entnommenen Bohrkerne nicht nur quer zur Oberfläche sondern auch parallel zur Oberfläche verlaufende Schalenrisse auf, die sich am Bauteil i.d.R. akustisch durch Abklopfen mit einem Hammer bereits als Hohllage wahrnehmen ließen. Ein vergleichbares Rissbild wie das in den folgenden beiden Bildern wurde auch am Eidersperrwerk an entnommenen Bohrkernen festgestellt [10]. Auch in [11] wird eine parallel zur Oberfläche verlaufende Rissbildung in Form von Schalenrissen als ein typischer Hinweis auf eine Schädigung infolge AKR angesehen. Bild 10: Beispiele für Bohrkerne mit Schalenrissen parallel zur Bauteiloberfläche (Quelle: Institut für Bauforschung der Aachen University, ibac) Im Anschluss an die visuelle Untersuchung der Bohrkerne erfolgte eine Untersuchung der Bohrkerne am Lichtmikroskop. In diesen Untersuchungen wurde zum Teil eine nahezu vollständige Umwandlung kleiner Gesteinskörnungen infolge AKR festgestellt, deren Herkunft ver- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 307 Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigten Anlegerbrücke in der Nordsee mutlich der zur Herstellung der Betonbauteile verwendete Jadesand in der Körnung 0 bis 2 mm ist. Auch lichtmikroskopische Untersuchungen an Dünnschliffen sowie Untersuchungen am Rasterelektronenmikroskop zeigten Gefügestörungen infolge AKR. So wurden auch an den Dünnschliffen Risse an den groben Gesteinskörnungen festgestellt, die sich in der Matrix fortsetzen. Eine signifikante Gelbildung wurde nicht festgestellt, da im vorliegenden Fall offenbar in erster Linie eine Alkali-Silikat-Reaktion abläuft. Lediglich bei kleinen Gesteinskörnungen aus dem Jadesand spielte auch eine Alkali-Silika-Reaktion eine Rolle. Wesentlich für die Bewertung der zukünftig zu erwartenden AKR-bedingten Dehnungen sowie die sich daraus ergebenden Möglichkeiten der Instandsetzung ist das anhand von Lagerungsversuchen an Bohrkernen ermittelte Resttreibpotential des Betons (vgl. z.B. [10] oder [13]). Durchgeführt wurde ein zweistufiges Verfahren. Zunächst erfolgte eine konstante Lagerung bei 60 °C über Wasser. Anschließend erfolgte ein zyklisches Verfahren mit einer Alkalizufuhr von außen. Details zu den durchgeführten Lagerungsversuchen können u.a. [17] entnommen werden. Die Ergebnisse zeigten hinsichtlich der Lagerungsbedingungen signifikante Unterschiede. Bei der konstanten Lagerung bei 60 °C über Wasser wurde lediglich bei einigen Bohrkernen eine gewisse Zunahme der Dehnungen infolge der erhöhten Feuchte- und Temperaturverhältnisse beobachtet. Bei der zyklischen Lagerung mit Alkalizufuhr hingegen zeigten alle Bohrkerne eine unterschiedlich stark ausgeprägte Zunahme der Maximaldehnungen. So erreichen einzelne Bohrkerne aus den Jochen Gesamtdehnungen von bis etwa 3 mm/ m und mehr. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen beispielsweise auch Seyfarth und Giebson [13] oder Breitenbücher und Sievering [14]. Auch in ihren Versuchen nahm die Dehnung unter einer äußeren Alkalizufuhr z.T. um den Faktor 3 bis 4 gegenüber einer alkalifreien Lagerung zu. 5. Instandsetzungskonzept Basierend auf den durchgeführten Bauwerksuntersuchungen wurde in einem ersten Schritt bauteilbezogen für jedes Joch bzw. deren Teilflächen der Instandsetzungsbedarf erarbeitet. Da eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg einer solchen Instandsetzung eine zielgerichtete Entwässerung ist, wurde parallel die Wasserführung bzw. Wasserableitung von Niederschlagswasser von den Verkehrsflächen der Umschlaganlage geändert. Zur Vermeidung einer chloridinduzierten Korrosion stehen dem Planer gemäß RL SIB [12] mehrere Verfahren, wie z.B. R-Cl, W-Cl oder K bzw. Kathodischer Korrosionsschutz KKS zur Verfügung. Die Instandsetzung durch AKR geschädigter Bauteile ist grundsätzlich nur durch Trockenlegung der Konstruktion, nicht selten sogar nur durch einen partiellen Austausch des AKRgeschädigten Betons möglich. Bei Meerwasserbauten ist die Trockenlegung aufgrund der Exposition grundsätzlich kritisch, häufig sogar unmöglich. Wesentliches Kriterium für die Bewertung geeigneter Instandsetzungskonzepte ist die Ermittlung des Resttreibpotentials der Gesteinskörnungen infolge AKR. Ist praktisch kein weiteres Treibpotential vorhanden, kann eine Instandsetzung dauerhaften Erfolg haben, ohne dass mit weiteren Rissbildungen und zunehmenden Festigkeitseinbußen gerechnet werden muss. Bei einem weiterhin vorhandenen Resttreibpotential hingegen ist i.d.R. auch nach Instandsetzung dauerhaft von einem erhöhten Instandhaltungsaufwand sowie ggf. Nutzungseinschränkungen auszugehen (Reduktion der Verkehrslast etc.). Zur Klärung der Umsetzbarkeit der erarbeiteten Instandsetzungskonzepte wurden im Rahmen einer Probeinstandsetzung in den Jahren 2010 und 2011 zwei hinsichtlich des Schädigungsgrades höchst unterschiedliche Joche ausgewählt. Bei diesen Jochen wurde das zuvor erarbeitete Instandsetzungskonzept umgesetzt. Dieses Instandsetzungskonzept sah für die beiden Joche teilflächenbezogen die Instandsetzungsprinzipien R-Cl sowie den Kathodischen Korrosionsschutz vor. Die Wahl geeigneter Instandsetzungskonzepte für die Teilflächen erfolgte anhand der zuvor beschriebenen Bauwerks- und Laboruntersuchungen. So wurden die Innenwände beider Joche mittels Prinzip R-Cl instandgesetzt. Für die Außenflächen wurde in Teilflächen ein KKS-System installiert, z.T. war aufgrund der geringen Korrosionswahrscheinlichkeit und praktisch nicht vorhandenen Vorschädigung die Applikation eines Oberflächenschutzsystems ausreichend. Im Bild 11 sind beispielhaft Teilflächen eines Joches nach Betonabtrag mittels HDW-Handlanze dargestellt. Die Reprofilierung der HDW-gestrahlten Flächen erfolgte mit einem Spritzmörtel gemäß der damals geltenden Ausgabe 2004 der ZTV-W LB 219 [18] in Verbindung mit dem BAW-Merkblatt „Spritzmörtel/ Spritzbeton nach ZTV-W LB 219 [19]. Allerdings wurde in Absprache mit dem Produkthersteller ein Austausch des Zementes gegen einen NA-Zement vorgenommen. Als Anoden für die Außenwandflächen kam ein KKS- System mit in Schlitzen angeordneten Ti/ MMO-Bandanoden zum Einsatz. Abschließend wurde vollflächig an den Innen- und Außenseiten der Joche ein Oberflächenschutzsystem der Klasse OS 5b (Polymer-Zementschlämme) nach RL SIB [12] aufgetragen. 308 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigten Anlegerbrücke in der Nordsee Bild 11: Teilflächen eines Jochs nach begonnenem Betonabtrag mittels HDW-Handlanze; Untersicht des Jochs im Bereich eines Pfahlkopfes (oben) sowie Innenwand zwischen zwei Pfahlköpfen (unten) Die Probeinstandsetzung der beiden Joche wurde im Jahr 2011 abgeschlossen. 6. Bauwerksuntersuchungen im Jahr 2019 Etwa 9 Jahre nach Abschluss der Probeinstandsetzung wurde eines der beiden in den Jahren 2010/ 2011 instandgesetzten Joche erneut handnah untersucht. Bei diesem Joch lagen im Jahr 2010 vor Beginn der Instandsetzung bereits große oberflächenparallele Hohllagen an den Innenseiten der Wände vor, zudem waren lokal auch bereits nennenswerte korrosionsbedingte Querschnittsverluste vorhanden. Dieses Joch war zum Zeitpunkt der damaligen Bauwerksuntersuchungen als ein besonders stark geschädigtes Joch eingestuft worden. Für die Untersuchung im Jahr 2019 wurde das Joch teilweise eingerüstet, um vor allem den innenliegenden Bereich zwischen den beiden Pfahlköpfen vollflächig untersuchen zu können. Bild 12 zeigt diesen Bereich im Jahr 2019. Im Zuge der handnahen Untersuchungen wurden keine erneut aufgetretenen Hohllagen festgestellt. Lediglich vereinzelt zeigten sich kleine Aussinterungen im Bereich von an die Pfahlköpfe angrenzenden Wandflächen sowie lokal einzelne kleinflächige Beschädigungen des OS 5b Systems. Bild 12: Mittlerer Bereich eines der im Jahr 2010/ 2011 instandgesetzten Joche im Jahr 2019 Auch bei dem zweiten Joch, welches im Jahr 2019 allerdings nicht handnah untersucht wurde, zeigten sich von einem Brückenuntersichtgerät keine Hinweise auf erneut aufgetretene Schäden. 7. Geplante Instandsetzungsmaßnahmen Aufgrund der positiven Erfahrungen mit den beiden im Zuge einer Probeinstandsetzung instandgesetzten Joche wurde beschlossen, nun auch die Instandsetzung weiterer Joche nach dem gleichen Prinzip vorzunehmen. Aufgrund der fortgeschrittenen Schädigungen wurde allerdings das Prinzip W-Cl nach RL SIB [12], d.h. das alleinige Aufbringen eines Oberflächenschutzsystems, an den Außenwandflächen nicht mehr angewendet, sondern nur noch die Instandsetzungsprinzipien R-Cl und KKS. Basierend auf den Ergebnissen der Ist-Zustandserfassung und den nachfolgenden Bauwerksprüfungen wurden in einem ersten Schritt besonders stark geschädigte Joche für eine Instandsetzung ausgewählt. In den kommenden Jahren sollen entsprechend ihres Ist-Zustandes weitere Joche folgen. 8. Zusammenfassung und Ausblick Die Komplexität bei der Bewertung von Schäden an Offshore-Bauten wurde anhand der Umschlaganlage Voslapper Groden in der Nordsee beschrieben. So beeinflussen die Konstruktion, die verwendeten Baustoffe, die Bauausführung sowie die Exposition die einzelnen Schädigungsmechanismen erheblich. Dieser Umstand erschwert die Auswahl geeigneter Instandsetzungskonzepte, da es durchaus sein kann, dass ein Instandsetzungsprinzip zwar einen Schädigungs- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 309 Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigten Anlegerbrücke in der Nordsee mechanismus stoppen, einen anderen jedoch verstärken kann. Auf Basis von Probeinstandsetzungen von zwei Jochen und der bislang positiven Erfahrungen über einen Zeitraum von 9 Jahren wurde im Jahr 2020 mit der Instandsetzung weiterer Joche begonnen. Nach und nach sollen nun sämtliche besonders stark geschädigten Joche der einzelnen Brücken sowie der Flächenbauwerke nach einem vergleichbaren Schema instandgesetzt werden. In Abhängigkeit des höchst unterschiedlichen Schädigungsgrades sind hier lokal jeweils bauteilspezifische Anpassungen erforderlich. Dies betrifft beispielsweise die bauteilflächenbezogene Auswahl der jeweils anzuwendenden Instandsetzungsprinzipien. 9. Literaturverzeichnis [1] Herrador, M.F. ; Martinez-Abella, F. ; Rabunal Dopicp, J.R.: Experimental Evaluation of Expansive Behavior of an Old-Aged ASR-Affected Dam Concrete: Methodology and Application. In: Materials and Structures (RILEM) 41 (2008), Nr. 1, S. 173-188 [2] Multon, S. ; Toutlemonde, F.: Effect of Applied Stresses on Alkali-Silica Reaction-Induced Expansions. In: Cement and Concrete Research 36 (2006), Nr. 5, S. 912-920 [3] RILEM TC 154-EMC ; Elsener, B. ; Andrade, C. ; Gulikers, J. ; Raupach, M.: Half-Cell Potential Measurements - Potential Mapping on Reinforced Concrete Structures. 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Zeitschrift Restoration of Buildings and Monuments. 2012 [18] ZTV-W LB 219: Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen Wasserbau (ZTV-W) für die Instandsetzung der Betonbauteile von Wasserbauwerken (Leistungsbereich 219). Ausgabe 2004 [19] BAW-Merkblatt „Spritzmörtel/ Spritzbeton nach ZTV-W LB 219, Abschnitt 5“ Ausgabe 2005. Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe. Lebenszyklusmanagement 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 313 Ausreißererkennung zur Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring mit vier Signalmerkmalen Andreas Jansen, M.Sc. Technische Universität Berlin, Berlin, Deutschland Karsten Geißler, Prof. Dr.-Ing. Technische Universität Berlin, Berlin, Deutschland Zusammenfassung Die Ausreißererkennung mit Methoden des maschinellen Lernens kann genutzt werden, um Bauwerksschäden als Veränderungen in den Messdaten von kontinuierlichen Brückenmessungen zu identifizieren. Damit bietet dieser Ansatz großes Potenzial für die kontinuierliche Strukturüberwachung von Bestandsbrücken. Der vorliegende Aufsatz erläutert das zugrundeliegende Konzept der Ausreißererkennung. Am Beispiel des Monitorings einer Straßenbrücke mit unterschiedlichen Sensortypen werden vier Signalmerkmale zur Strukturüberwachung aufgeführt: die temperaturabhängige Auflagerverschiebung, die Schwingungseigenschaften sowie die Verhältniswerte von Integralen (R-Signatur) und Extremwerten von Dehnungsmessungen während Fahrzeugüberfahrten. Die Abhängigkeiten der Merkmale von äußeren Einflüssen, vorrangig der Temperatureinwirkungen, werden diskutiert. Die Anwendung der Ausreißererkennung mit unterschiedlichen Modellen des maschinellen Lernens wird anhand der Messdaten eines Jahres demonstriert. Dabei erweisen sich die Signalmerkmale der Dehnungsmessdaten als besonders geeignet zur Strukturüberwachung. 1. Einführung Beim Brückenmonitoring können zwei Bereiche unterschieden werden (Bild 1): zum einen Monitoring als Ergänzung einer statischen Nachrechnung und zum anderen die kontinuierliche Strukturüberwachung, engl. Structural Health Monitoring (SHM). Die Ergänzung der Nachrechnung durch Brückenmonitoring ist Stand der Technik und wird von spezialisierten Firmen bereits kommerziell angeboten. Im Rahmen des Monitorings wird i.d.R. zunächst eine Systemidentifikation vorgenommen, d.h. rechnerische Annahmen werden mittels der Messdaten überprüft und gegebenenfalls angepasst. Häufig wird dazu ein Finite Elemente- Modell anhand der Messdaten kalibriert. Bei einer automatisierten Anpassung der FE- Parameter durch Optimierungsalgorithmen wird von FE-Update gesprochen. Neben einem genaueren Berechnungsmodell bietet Monitoring die Möglichkeit, die Einwirkungen und Beanspruchungen am Bauwerk zu erfassen. Zur messtechnischen Erfassung von Ermüdungsbeanspruchungen können beispielsweise Dehnmessstreifen (DMS) an mehreren Querschnitten appliziert und die Messdaten durch Rainflowzählung ausgewertet werden. Für den Grenzzustand der Tragfähigkeit kann die Datenauswertung durch Extremwertstatistik erfolgen. Die objektspezifische Beanspruchung kann daraufhin in das Sicherheitskonzept zur Nachrechnung eingeordnet werden [1]. Zur genaueren Identifikation der Einwirkungen besteht neben der direkten Messung von Temperatur und Wind auch die Möglichkeit, Achslasten näherungsweise zu ermitteln. Entsprechende Verfahren werden unter Bridge Weigh-in- Motion (BWiM) zusammengefasst. Außerdem können bauwerksspezifische Fragestellungen, wie die Verfolgung von Rissbewegungen oder Setzungen, auf der Basis von Messungen untersucht werden. Die benötigte Messdauer für Monitoring als Ergänzung zur Nachrechnung erstreckt sich von einem Tag für die Systemidentifikation bis zu mehreren Monaten für die Identifikation von Beanspruchungskollektiven und Einwirkungen. 314 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ausreißererkennung zur Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring mit vier Signalmerkmalen Bild 1 Teilbereiche des Brückenmonitorings Bei der Strukturüberwachung ist die Messung keine Ergänzung der Nachrechnung, sondern ein eigenständiges Bewertungsinstrument, durch das ein Bauwerksschaden erkannt werden soll, bevor er ein kritisches Ausmaß annimmt. Die Schadenserkennung wird dadurch erreicht, dass die Messdaten im ungeschädigten Zustand durch ein mathematisches Modell erfasst werden. Ein Schaden kann daraufhin durch die Abweichung neuer Messdaten im Vergleich zu den Vorhersagen des Modells erkannt werden. Als Modelle können physikalische Modelle, oder nichtphysikalische Modelle genutzt werden. Als physikalische Modelle kommen üblicherweise FE-Modelle zum Einsatz, die durch FE-Update kalibriert werden [2]. FE- Modelle bieten den Vorteil, dass der Ort und das Ausmaß eines Schadens, z.B. in Form einer lokalen Steifigkeitsreduktion, direkt bewertet werden kann. Bei FE-Modellen besteht die Schwierigkeit, alle auftretenden Effekte, wie z. B. temperaturabhängige Steifigkeiten zu erfassen. Ein weiterer Nachteil ist die Berechnungsintensität. Nicht-physikalische Modelle erfassen ausschließlich die Struktur der Messdaten. Hier finden zunehmend Methoden des maschinellen Lernens Anwendung [3], insbesondere Ansätze zur Ausreißererkennung. Diese Methoden sind flexibler und weniger berechnungsintensiv als FE- Modelle. Ein Nachteil ist, dass die physikalischen Abhängigkeiten u. U. verborgen bleiben und lediglich die Präsenz einer Abweichung in den Messdaten erkannt werden kann. Diese kann durch einen Bauwerksschaden verursacht werden, aber beispielsweise auch durch einen Sensordefekt. Die Beurteilung einer Abweichung muss unbedingt durch eine Bauingenieur*in erfolgen. Unabhängig von den verwendeten Modellen basieren die meisten Ansätze zur Strukturüberwachung in der Literatur auf der Überwachung des Schwingungsverhaltens der Brücke. Die schwingungsbasierte Strukturüberwachung von Brücken konnte sich allerdings bisher nicht in der Praxis durchsetzen [4]. Aus diesem Grund werden in der jüngeren Forschung verstärkt Signalmerkmale untersucht, die Messungen von Weggrößen, wie Dehnungen [5], Neigungen [6] oder Verschiebungen [7] nutzen. Im Folgenden wird das Konzept der Ausreißererkennung für die Strukturüberwachung dargelegt. Am Beispiel einer Brücke wird ein Messsystem vorgestellt, das unterschiedliche Sensortypen nutzt, um möglichst viele Eigenschaften des Bauwerks zu erfassen. Neben den Schwingungseigenschaften werden drei weitere Signalmerkmale beschrieben, die für eine Strukturüberwachung mittels Ausreißererkennung verwendet werden. Die Abhängigkeiten der Merkmale von äußeren Einflüssen werden beschrieben und eine Ausreißererkennung beispielhaft durchgeführt. 2. Konzept der Ausreißererkennung Mithilfe der Ausreißererkennung sollen Veränderungen des normalen Tragverhaltens durch einen Bauwerksschaden in den Signalen erkannt werden. Ausreißer bzw. Anomalien sind Punkte, die so weit von den restlichen Daten abweichen, dass ein Verdacht besteht, dass sie durch einen anderen Mechanismus entstanden sind [8]. Die Erkennung von Ausreißern ist für eine Vielzahl von Anwendungen relevant. Ein einfacher Fall ist der Ausschluss von Datenpunkten bei der Anpassung von statistischen Verteilungen oder Regressionsgeraden, auch als robuste Anpassung bezeichnet. Komplexere Anwendungsfälle finden sich beispielsweise in der Erkennung von Kreditkartenbetrug und im IT-Sicherheitsbereich. Erste Veröffentlichungen zur Anwendung für die Schadenserkennung bei mechanischen Strukturen finden sich um das Jahr 2000, z. B. [9]. Bild 2 Schematischer Ablauf der Strukturüberwachung mittels Ausreißererkennung Die Ausreißererkennung fällt beim maschinellen Lernen in die Kategorie der Klassifizierung. Maschinelles Lernen soll hier als Oberbegriff für Methoden verstanden werden, die automatisch Muster in Daten erkennen und dadurch Vorhersagen bezüglich neuer Daten erlauben [10]. Die Eingangsgrößen einer Methode des maschinellen Lernens werden Merkmale (Features) genannt. Die 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 315 Ausreißererkennung zur Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring mit vier Signalmerkmalen Aussagekraft der Merkmale bestimmt im großen Maße die Güte einer Vorhersage. Für die Strukturüberwachung ist das Ziel der Ausreißererkennung, den momentanen Bauwerkszustand anhand der Messdaten in die Kategorien ungeschädigt (normal) und geschädigt (anomal) zu klassieren. Der Ablauf der Strukturüberwachung einer Brücke mithilfe einer Ausreißererkennung ist schematisch in Bild 2 dargestellt. Die Rohdaten werden zunächst von der Brücke an einen zentralen Server übermittelt. Aus der großen Menge an Rohdaten werden daraufhin Merkmale extrahiert. Abhängig von der Art der Merkmale wird eine Vorverarbeitung der Daten (Abschnitt 4) benötigt. Da die Verkehrseinwirkung beim Brückenmonitoring im Regelfall nicht direkt gemessen werden kann, sollten geeignete Merkmale möglichst unabhängig von der Verkehrseinwirkung sein. Zusätzlich sollten die verwendeten Merkmale möglichst schadenssensitiv sein, sich also im Fall eines Bauwerksschadens wesentlich verändern. Die Ausreißererkennung wird durch einen Vergleich der Merkmale der neuen Messdaten x mit den Vorhersagen x* eines Modells realisiert. Die Abweichung wird dabei auch als Rekonstruktionsfehler ε bezeichnet und wird durch eine geeignete Norm, z.B. der euklidischen Distanz (Gl. 1) oder dem durchschnittlichen absoluten Fehler, berechnet. Überschreitet der Rekonstruktionsfehler eine definierte Schwelle, liegt ein Ausreißer vor. ε(x, x*) = || x x*|| 2 (1) Bei der Strukturüberwachung können als Modelle Regressionsmethoden oder Methoden zur Dimensionsreduktion genutzt werden (Bild 3). Bei Regressionsmethoden wird die Abhängigkeit f(ξ) eines Merkmals x von einer Einflussgröße ξ direkt abgebildet. Dies kann zum Beispiel die Abhängigkeit der Auflagerverschiebung einer Brücke von der Außentemperatur sein. Abhängig von der Art des Zusammenhangs (linear/ nicht-linear) kommen z. B. Lineare-/ Polynomregression, Gauß-Prozess-Regression oder Regression mit neuronalen Netzen infrage. Bei einem Regressionsansatz besteht der Nachteil, dass die Einflussgröße in der Bauwerksmessung aufgezeichnet werden muss. Bild 3 Ansätze für die Ausreißererkennung: (a) Regression (b) Dimensionsreduktion mit anschließender Rekonstruktion Bei einem Ansatz über eine Dimensionsreduktion besteht der Aufbau aus einer Funktion f e (x), die eine Transformation der Merkmale x auf eine Variable ξ* in einem reduzierten Raum durchführt. Diese Funktion wird Encoder genannt. Die Variable ξ* enthält die wesentliche Information der Daten, auch Code oder latente Repräsentation genannt. Eine zweite Funktion f d (x), der Decoder, rekonstruiert die ursprünglichen Merkmale x* anhand der latenten Repräsentation. Als Beispiel sollen die Auflagerverschiebung und die Eigenfrequenz einer Brücke betrachtet werden. Angenommen bei beiden Merkmalen besteht eine Temperaturabhängigkeit, so können die Merkmale mittels des Encoders aus dem zweidimensionalen Raum auf die eindimensionale Variable ξ* reduziert werden. Durch ξ* wird die Temperaturabhängigkeit berücksichtigt, ohne dass diese gemessen wird. Werden mehrere Merkmale mit komplexeren Zusammenhängen berücksichtigt, ist es allerdings nicht gegeben, dass ξ* direkt einer realen physikalischen Einflussgröße ξ entspricht. Im Fall einer Temperaturabhängigkeit ist diese einfach zu messen. Der Vorteil eines solchen Vorgehens besteht allerdings darin, dass auch andere Einflüsse, die schwieriger zu messen sind, erfasst werden, z.B. Abhängigkeiten von Fahrzeugeigenschaften während Überfahrten. Eine einfache Methode zur Dimensionsreduktion ist die Hauptkomponentenanalyse, engl. Principal Component Analysis (PCA). Mit der Hauptkomponentenanalyse kann ein Datensatz mit korrelierenden Variablen auf eine Linearkombination weniger unkorrelierter Variablen (Hauptkomponenten) reduziert werden [10]. Es handelt sich um eine lineare Transformation. Sollen auch nicht lineare Zusammenhänge abgebildet werden, eignen sich Ansätze mit neuronalen Netzen, sogenannte Autoencoder [10]. Je nach Aufbau der neuronalen Netze und der Art der verwendeten Schichten können äußerst komplexe Zusammenhänge berücksichtigt werden. Mit mehrschichtigen Netzen (Deep Learning) und Schichten, die auch zeitliche Abhängigkeiten erfassen können, z.B. Long Short-Term Memory- (LSTM-) Schichten, ist es theoretisch möglich, die Rohdaten direkt zu verarbeiten 316 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ausreißererkennung zur Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring mit vier Signalmerkmalen und damit auf eine Vorverarbeitung und eine Extraktion von Merkmalen gänzlich zu verzichten (Bild 2). Ein solches Vorgehen ist allerdings zunächst sehr rechenintensiv und für die Anwender*in u. U. nur schwer zu interpretieren. 3. Bauwerk und Messsystem Die Merkmale zur Strukturüberwachung sollen anhand einer einfeldrigen im Grundriss gekrümmten (R = 525 m) Stahlhohlkastenbrücke der Stützweite L = 47 m mit schiefwinkliger Lagerung aus dem Jahr 1971 demonstriert werden. Die Brücke überführt eine stark befahrene Bundesstraße auf zwei getrennten Überbauten. Der Verkehr wurde aufgrund von Korrosionsschäden von zwei Spuren auf derzeit eine Spur je Überbau begrenzt. Das Messsystem nutzt unterschiedliche Sensortypen, um verschiedene Eigenschaften der Brücke kontinuierlich zu überwachen (Bild 4). Ziel der Konzeption des Messsystems ist es, mit einer geringen Anzahl an Sensoren sowohl globale Eigenschaften der Brücke wie die temperaturbedingte Auflagerverschiebung oder Eigenfrequenzen als auch lokale Beanspruchungen durch DMS zu erfassen. Je Überbau wird die Verschiebung der Rollenlager (Bild 4b) auf der Loslagerseite mit jeweils einem induktiven Wegaufnehmer (WA) gemessen (a-wa, b-wa in Bild 4a). Mithilfe von zwei Beschleunigungsaufnehmern (BA) in Feldmitte wird das Schwingungsverhalten der Brücke aufgezeichnet. Insgesamt sechs DMS befinden sich je Überbau in Feldmitte an den Stegblechen der jeweiligen Hauptträger (HT). Aufgrund der Schiefwinkligkeit liegen die Sensoren am HT-a und HT-b (b01-b04, a01, a02 in Bild 4a) nicht in einem Querschnitt. Die befahrene Fahrspur (FS) 2 liegt oberhalb des HT-b. Weitere DMS zur Erfassung von Fahrzeuglasten befinden sich an den Fahrbahnrippen und den Querträgern. Diese Sensoren werden für die Strukturüberwachung allerdings nicht berücksichtigt. (a) (b) Bild 4 Auszug der verwendeten Sensorik: (a) DMS im Querschnitt in Feldmitte, (b) Wegaufnehmer am Rollenlager des HT-b Die Bauwerks- und Außentemperatur wird mit insgesamt 10 Temperatursensoren gemessen. In der Auswertung hat sich gezeigt, dass vor allem die Temperatur unterhalb des Deckblechs und am Untergurt einen Einfluss hat. Aus der Differenz der beiden Temperaturen ergibt sich ein Temperaturgradient ΔT über der Querschnittshöhe. Die Sensoren werden mit 50 Hz abgetastet. In der folgenden Auswertung werden die Messdaten eines Jahres für einen Überbau betrachtet. 4. Datenvorverarbeitung Für die Berechnung der Merkmale müssen die Signale zunächst in ihre Anteile aufgeteilt werden. Die Signale von Sensoren, die Weggrößen messen, setzen sich bei kleineren Straßenbrücken vorrangig aus einem langwelligen Anteil aus Temperatureinwirkung und einem kurzwelligen Anteil aus Verkehrseinwirkung zusammen. Die Signalanteile können außerdem in statische Anteile mit Frequenzen, die wesentlich niedriger sind als die Eigenfrequenzen des Bauwerks und dynamische Anteile mit Frequenzen in der Nähe und oberhalb der Eigenfrequenzen zerlegt werden. Ein letzter Signalanteil besteht aus Messfehlern, wie z. B. elektrischem Rauschen, Brummen oder Sensordrifts. Im Rahmen der Vorverarbeitung der Messdaten der DMS und der WA wird der Anteil aus Temperatur- und Verkehrseinwirkung getrennt (Bild 5). Die weiteren Signalanteile zeigen nur einen geringen Einfluss, weshalb auf eine weitere Trennung verzichtet wird. Die Merkmale werden dann separat für den Temperaturanteil x T (Abschnitt 5.1) und den Anteil aus Verkehr x V berechnet. Als Merkmale während Verkehrseinwirkung wird das numerische Integral I (Abschnitt 5.3) und der Extremwert E (Abschnitt 5.4) je Überfahrt betrachtet (vgl. Bild 5a). Die Messdaten der Beschleunigungssensoren enthalten nur dynamische Anteile. Die Vorverarbeitung der Daten für die Modalanalyse (Abschnitt 5.2) beschränkt sich auf eine Trendbereinigung, sodass die Zeitreihen einen Mittelwert von Null haben. Die Datenvorverarbeitung und die Extraktion der Merkmale erfolgen automatisiert in einem Datenbanksystem. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 317 Ausreißererkennung zur Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring mit vier Signalmerkmalen (a) (b) Bild 5 Datenvorverarbeitung durch Trennung der Signalanteile aus Verkehrs- und Temperatureinwirkung: (a) Detailansicht für Sensor b01mit Extremwert E und Integral I als Merkmal, (b) Tagesverlauf für Sensor b-wa 5. Merkmale 5.1 Auflagerverschiebung durch Temperatureinwirkung Aus den Signalen der WA an den Rollenlagern wird die temperaturabhängige Auflagerverschiebung als Merkmal extrahiert. Nach der Trennung der Signalanteile wird dazu der Mittelwert von x T je 15-Minuten Zeitfenster gebildet. Durch die Berechnung dieses Merkmals soll die Funktionsfähigkeit des Lagers überwacht werden und Schäden, wie das Blockieren eines Lagers, erkannt werden. Der zeitliche Verlauf der Messdaten ist in Bild 6 zu sehen. Der Verlauf der Verschiebung ist bei beiden Lagern synchron. Am Sensor a-wa kam es im Mai und Juni 2019 zu Ausfällen. Während Wartungsarbeiten am 09.04.2020 hat sich die Kalibrierung der Sensoren verändert. Die Veränderung der Kalibrierung lässt sich einfach in den Daten entfernen, allerdings soll sie hier beibehalten werden, um zu demonstrieren, wie die Abweichung mittels der Ausreißererkennung identifiziert werden kann (Abschnitt 6). Bild 6 Verlauf der temperaturbedingten Auflagerverschiebungen über den Messzeitraum In Bild 7 ist die Auflagerverschiebung des Rollenlagers in Abhängigkeit der Temperatur unterhalb des Deckblechs dargestellt. Es ist zu sehen, dass sich nahezu ein linearer Zusammenhang ergibt. Dieser lineare Zusammenhang kann durch lineare Regression (LR, n in = 1) angenähert werden. Wird in der Regression zusätzlich die Temperatur am Untergurt als Eingangswert berücksichtig (n in = 2), kann ein größerer Anteil der Varianz der Daten erfasst werden. Bild 7 Auflagerverschiebung in Abhängigkeit von der Temperatur unterhalb des Deckblechs mit linearer Regression 5.2 Schwingungseigenschaften Ein Vorteil der Schwingungseigenschaften (Eigenfrequenzen, Schwingungsform und modale Dämpfung) als Merkmale besteht darin, dass sie bei Straßenbrücken i.d.R. nur unwesentlich von der Verkehrsbelastung abhängig sind und dadurch unter Betriebsbedingungen einfach bestimmt werden können. Allerdings besteht der Nachteil, dass sich insbesondere Eigenfrequenzen infolge von Bauwerksschäden nur geringfügig ändern. Zusätzlich unterliegen die Eigenfrequenzen Variationen infolge von Temperatureinwirkungen, die deutlich größer sein können als Veränderungen durch Schäden. Als 318 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ausreißererkennung zur Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring mit vier Signalmerkmalen eine wesentliche Einflussgröße wird dabei die temperaturabhängige Steifigkeit des Asphaltbelags identifiziert, s. a. [11]. Aus den Beschleunigungsmessdaten werden Eigenfrequenzen und Schwingungsformen mithilfe der Frequency Domain Decomposition (FDD) berechnet [12]. Es erfolgt eine automatische Erkennung von lokalen Maxima in den Spektren des ersten und zweiten Singulärwerts. Es wird zunächst angenommen, dass die Verkehrseinwirkung bei der betrachteten Brücke nur einen geringen Einfluss hat. Aus diesem Grund erfolgt die Modalanalyse ohne eine Trennung unterschiedlicher Signalanteile jeweils für Zeitfenster von 15 Minuten. Die Frequenzen und Schwingungsformen der Maxima werden gespeichert. Auf eine Ermittlung der modalen Dämpfung wird verzichtet. Drei Schwingungen mit Mittelwerten der Frequenzen von f 1 = 2.20 Hz (Biegung), f 2 = 3.38 Hz (Torsion), f 3 = 8.95 Hz (Biegung) können verlässlich identifiziert werden. Der zeitliche Verlauf der Eigenfrequenzen ist in Bild 8 dargestellt. Insbesondere bei f 3 lässt sich eine Temperaturabhängigkeit feststellen. Bei f 1 zeigt sich ein sprunghafter nicht-linearer Anstieg bei Temperaturen um 0 °C (Bild 10). Ähnliche Beobachtungen zeigen Veröffentlichungen zu anderen Brücken [11]. Bild 8 Verlauf der Eigenfrequenzen über den Messzeitraum Für die Eigenfrequenzen wird aufgrund der nicht-linearen Eigenschaften ein Regressionsansatz mit einem neuronalen Netz, ein Multi-Layer Perceptron (MLP) [10], mit einer versteckten Schicht (25 Neuronen, TanH- Aktivierungsfunktion, Adam-Solver), gewählt. Zunächst wird nur die Temperatur unterhalb des Deckblechs als Eingangsgröße genutzt (n in = 1). Die Ergebnisse sind in Bild 9 dargestellt. Ähnlich wie bei der Auflagerverschiebung zeigt sich, dass ein größerer Anteil der Varianz der Daten durch die zusätzliche Berücksichtigung der Temperatur am Untergurt erfasst werden kann (n in = 2). Dies gilt hauptsächlich für Temperaturen über 25 °C. Es zeigt sich, dass im Bereich zwischen 0 °C und 30 °C weiterhin größere Abweichungen zwischen dem Modell und den Messdaten bestehen. Hier ist zu klären, ob die Verkehrseinwirkung eine weitere Einflussgröße ist. Beispielsweise könnte die Haftreibung der Lager erst ab einer gewissen Verkehrslast überwunden sein, wodurch die Eigenfrequenzen beeinflusst werden. Für diesen Fall ist die Modalanalyse für ein 15 Minuten- Zeitfenster ungeeignet, stattdessen ist eine Analyse des Ausschwingverhaltens der Brücke jeweils unmittelbar nach einer Überfahrt zielführender. Bild 9 Erste Eigenfrequenz in Abhängigkeit von der Temperatur unterhalb des Deckblechs mit MLP-Regression Im Bereich von tiefen Temperaturen (< 3 °C) kommt es hier ebenfalls zu größeren Abweichungen, s. Bild 9. Da der Messzeitraum in ein relativ warmes Jahr fällt, liegen für diese niedrigen Temperaturen nur wenige Daten vor, was die Güte der Anpassung des Modells in diesem Bereich negativ beeinflusst. 5.3 Integrale Für ein Fahrzeug, das eine Brücke genau mittig auf der Fahrspur quert, kann gezeigt werden, dass das Integral I k über das Signal s k eines Sensors k, der eine Weggröße misst, proportional zur Masse und reziprok proportional zur Geschwindigkeit des querenden Fahrzeugs ist [13]. Ein Einfluss der Fahrzeuggeometrie, also der Achsabstände besteht nicht. Wird der Verhältniswert zwischen dem Integral I j des Sensors j und dem Integral I k des Sensors k betrachtet, so entfällt die Fahrzeugmasse sowie die Geschwindigkeit und der Wert ist theoretisch konstant (Gl. 2). R(s j , s k ) = I j / I k = const. (2) Dieser Verhältniswert wird als R-Wert bezeichnet und in einer anderen Veröffentlich der Autoren, die zeitnah erscheinen soll, genauer behandelt [14]. Die R-Werte aller möglichen Sensorpaare können in einem Vektor zusammengefasst werden. Dieser Vektor wird als R-Signatur bezeichnet. Ähnlich einer Schwingungsform gibt die R-Signatur Auskunft über die Steifigkeitsverteilung im Tragwerk. Ändert sich die Steifigkeitsverteilung durch 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 319 Ausreißererkennung zur Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring mit vier Signalmerkmalen einen Bauwerksschaden, zeichnet sich dies in der R-Signatur ab. Simulationen mit einem FE-Modell, in dem ein unterschiedlich langer Riss in den Untergurt des beschriebenen Bauwerks eingeprägt wird, zeigen, dass die R-Signatur deutlich empfindlicher auf diesen Schaden reagiert, als die vorab betrachteten Eigenfrequenzen. Entsprechend erweist sich die R-Signatur als ein sehr geeignetes Merkmal zur Strukturüberwachung. In Realität variieren die Positionen in Brückenquerrichtung, in denen Fahrzeuge die Brücke queren. Es zeigt sich (Bild 10a), dass die Variation dieser Spurlage innerhalb einer Fahrspur einen annähernd linearen Einfluss auf die R-Werte zwischen den verschiedenen Sensorpaaren hat. Diese Beobachtung deckt sich mit den Ergebnissen der Simulationen [14]. Dieser lineare Zusammenhang von einer Größe, die nicht gemessen wird, kann in geeigneter Weise durch die Hauptkomponentenanalyse erfasst werden [10]. In Bild 10a ist die Richtung der ersten Hauptkomponente (PC 1) dargestellt. Neben der Spurlage ist ein schwacher linearer Einfluss der Temperatur zu verzeichnen (Bild 10b). Der Verlauf von drei R-Werten über den Messzeitraum ist in Bild 11 dargestellt. Insgesamt stehen im Messzeitraum rund 110.000 Überfahrten von Fahrzeugen über 7.5 t zur Verfügung. Der Mittelwert und die Varianz der Merkmale bleiben über den Messzeitraum annähernd konstant. Werden die Mittelwerte je Tag betrachtet, verringert sich der Einfluss der Spurlage und der Einfluss der Temperatur ist schwach erkennbar. (a) (b) Bild 10 (a) Lineare Abhängigkeiten zwischen R-Werten mit erster Hauptkomponente (PC 1), (b) R-Wert in Abhängigkeit von der Temperatur unterhalb des Deckblechs mit linearer Regression Bild 11 Verlauf von drei R-Werten über den Messzeitraum 320 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ausreißererkennung zur Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring mit vier Signalmerkmalen Bild 12 Verlauf von drei M-Werten über den Messzeitraum 5.4 Extremwerte Als viertes Signalmerkmal soll der Verhältniswert der Extremwerte, also der Minimal- und Maximalwerte, zwischen den Signalen s verschiedener Sensoren j und k während einzelnen Fahrzeugüberfahrten betrachtet werden (Bild 5, Gl. 3). Dieser Zusammenhang wird mit M bezeichnet. M(s j , s k ) = E j / E k (3) Anders als der R-Wert ist das Verhältnis der Extremwerte abhängig von der Fahrzeuggeometrie, also den Achsabständen. Es zeigt sich allerdings, dass dieser Einfluss für die betrachteten Sensoren gering ist. Der zeitliche Verlauf für drei Sensorpaare ist in Bild 12 zu sehen. Der Mittelwert und die Varianz der Merkmale bleiben über den Messzeitraum annähernd konstant. Die Abhängigkeiten von der Spurlage und der Temperatur ergeben sich äquivalent zu den R-Werten. 6. Anwendung der Ausreißererkennung Eine Ausreißererkennung wird exemplarisch anhand der vorgestellten Merkmale durchgeführt. Um eine Vergleichbarkeit der verschiedenen Merkmale zu erhalten, werden die Daten zunächst standardisiert, so dass sich für jedes Merkmal ein Mittelwert von 0 und eine Standardabweichung von 1 ergeben. Für die Auflagerverschiebung und die Eigenfrequenzen wird ein Regressionsansatz, für die Integrale und Extremwerte ein Ansatz über eine Dimensionsreduktion mit anschließender Rekonstruktion mittels Hauptkomponentenanalyse verwendet. Die Modelle werden anhand der Daten von Mai 2019 bis einschließlich Februar 2020 angepasst (Lernphase). Dabei werden nur 80 % der Daten der Lernphase für die eigentliche Anpassung verwendet (Trainingsdaten) und 20 % für die Validierung des Modells (Testdaten). Nur wenn sich ein vergleichbarer Fehler bei der Anwendung des Modells auf die Trainings- und die Testdaten ergibt, gilt das Modell als valide. Als Anwendungsphase wird März und April 2020 definiert. Für die Ausreißererkennung wird die durchschnittliche Summe der absoluten Fehler als Rekonstruktionsfehler betrachtet. Da es insbesondere bei den Merkmalen, die einzelne Überfahrten bewerten, vereinzelt zu großen Fehlern kommt, wird der Median des Rekonstruktionsfehlers je Tag für die Ausreißererkennung herangezogen. Eine Schwelle für den Rekonstruktionsfehler, ab der ein Tag als Ausreißer gewertet wird, kann durch Anpassungen von Verteilungsfunktionen statistisch begründet werden. Hier wird vereinfacht das empirische 99%-Quantil des Medians des Rekonstruktionsfehlers der Lernphase verwendet. Als Merkmal für die temperaturbedingte Auflagerverschiebung werden die Daten des Sensors b-wa genutzt. Als Modell wird die lineare Regression (n in = 2) mit der Temperatur unterhalb des Deckblechs und am Untergurt verwendet (Abschnitt 5.1, Bild 7). Der zeitliche Verlauf des Rekonstruktionsfehlers ist in Bild 13a zu sehen. Im Vergleich zu den anderen Merkmalen unterliegt der Fehler nur wenigen Streuungen innerhalb eines Tages. Allerdings zeigt sich, dass das Modell nicht alle Einflussgrößen abbildet und es insbesondere im Mai 2019 und März 2020 zu größeren Fehlerwerten kommt. Die veränderte Kalibrierung am 09.04.2020 ist klar als Ausreißer zu identifizieren. Dies demonstriert, dass z. B. Sensorausfälle durch das Vorgehen erkannt werden können. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 321 Ausreißererkennung zur Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring mit vier Signalmerkmalen (a) (b) (c) (d) Bild 13 Anwendung der Ausreißererkennung - Verlauf der Rekonstruktionsfehler: (a) temperaturbedingte Auflagerverschiebung am Auflager HT-b, (b) Erste Eigenfrequenz, (c) R-Werte, (d) M-Werte Für die Überwachung der Eigenfrequenzen wird die erste Eigenfrequenz mit dem Regressionsmodell MLPR (n in = 2) betrachtet (Abschnitt 5.2, Bild 9). Hier kommt es in der Lernphase zu vereinzelten Ausreißern (Bild 13b). Dies ist durch die Abweichung zwischen Modell und Messung für gewisse Temperaturbereiche zu erklären (Abschnitt 5.2). Für die überwiegende Zeit, insbesondere für den Anwendungszeitraum, liefert die Rekonstruktion relativ konstante Fehler. Für die Verhältniswerte der Integrale und der Extremwerte werden die Sensoren am b01, b02, a01 und a02 berücksichtigt. Es ergeben sich sechs verschiedene Sensorpaare je Merkmal. Mithilfe der Hauptkomponentenanalyse werden die jeweils sechs Verhältniswerte auf eine Linearkombination von drei Hauptkomponenten reduziert. Es zeigt sich, dass durch drei Hauptkomponenten nahezu die gesamte Varianz der Daten erfasst wird. Die Anzahl an Hauptkomponenten stimmt außerdem mit der Anzahl der bekannten Einflüsse überein: der Spurlage, der Temperatur unterhalb des Deckblechs und der Temperaturgradient. Der durchschnittliche Rekonstruktionsfehler für die R-Signatur ist in Bild 13c und für die Verhältniswerte der Extrema in Bild 13d dargestellt. Bei beiden Fehlergrößen ergeben sich für einzelne Überfahrten innerhalb eines Tages vereinzelt höhere Werte. Der Median je Tag bleibt allerdings für den gesamten Messzeitraum konstant niedrig, insbesondere im Vergleich zu den anderen Merkmalen. Zusammen mit den Simulationen (siehe [14]) bestätigt sich, dass sowohl die R-Signatur als auch die Verhältniswerte der Extrema geeignete Merkmale zur Strukturüberwachung darstellen. In der Anwendungsphase wird nur für die Auflagerverschiebung ein Ausreißer erkannt. Dies spricht dafür, dass der verursachende Mechanismus entweder ein Sensorschaden oder ein Bauwerksschaden mit sehr lokalem Einfluss ist. Im vorliegenden Fall ist bekannt, dass die Neukalibrierung des Sensors den Ausreißer verursacht. Bei einer unbekannten Ursache muss sowohl das Messsystem als auch das Bauwerk auf Schäden untersucht werden. 7. Schlussfolgerungen und weitere Forschung Durch eine Kombination der Merkmale aus Wegmessungen an den Auflagern, Beschleunigungs- und Dehnungsmessungen überwacht das vorgestellte System eine Bandbreite an Bauwerkseigenschaften. Die Merkmale, die aus den Dehnungsmessungen extrahiert werden (R- und M- Werte) zeigen nahezu konstante Rekonstruktionsfehler über den Verlauf der Messung und erweisen sich damit 322 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ausreißererkennung zur Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring mit vier Signalmerkmalen als besonders geeignet für die Strukturüberwachung. In der Anwendungsphase der Ausreißererkennung wird demonstriert, dass eine Veränderung der Signalmerkmale durch eine Neukalibrierung eines Sensors erkannt wird. Aus den Untersuchungen ergeben sich folgende weitere Forschungsansätze: • Es ist zu untersuchen, welche Bauwerksschäden und ab welchem Schadensausmaß diese durch das System sicher erkannt werden können. Da 1: 1 Versuche mit gezielter Schadenseinprägung für Brücken quasi nicht möglich sind, muss das zunächst durch FE- Simulationen erfolgen. In diesen Simulationen müssen die komplexen Temperatureinflüsse auf die Bauwerkseigenschaften detailliert berücksichtigt werden. • Bei der temperaturbedingten Auflagerverschiebung und der ersten Eigenfrequenzen kann das verwendete Modell nicht alle real auftretenden Variationen abbilden. Hier wird geprüft, ob die Modelle verbessert werden können. Bei den Eigenfrequenzen wird weiterhin untersucht, ob durch eine Modalanalyse je Überfahrt Einflüsse durch das Fahrzeuggewicht identifizierbar sind. • Im weiteren Verlauf der Messung wird sich zeigen, wie das System auf ungewöhnlich hohe oder tiefe Temperaturen reagiert. Da die Modelle in Bereichen mit wenigen Daten schlechter angepasst sind, werden für extreme Temperatureinwirkungen größere Rekonstruktionsfehler erwartet. Hier ist zu untersuchen, wie eine Bewertung der Struktur unter außergewöhnlicher Einwirkung erfolgen kann. • Bisher werden separate Modelle für die unterschiedlichen Merkmale verwendet. Es ist zu prüfen, ob es Vorteile birgt, die Merkmale aller Sensoren in einem einzigen Modell zu vereinen. Aufgrund der nicht-linearen Eigenschaften der Eigenfrequenzen, ist hierzu ein Autoencoder ein geeigneter Ansatz. Danksagung: Die Autoren möchten sich beim Landesbetrieb für Straßenwesen Brandenburg für die Bereitstellung der Messdaten und die Ergebnisdiskussion bedanken. 8. Literatur [1] Geißler, K.; Steffens, N.; Stein, R.: Grundlagen der sicherheitsäquivalenten Bewertung von Brücken mit Bauwerksmonitoring. In: Stahlbau 88 (2019), Heft 4, S. 338-353. [2] Teughels, A.; De Roeck, G.: Damage detection and parameter identification by finite element model updating. In: Revue Européenne de Génie Civil, Vol. 9 (2005), Iss. 1-2, pp. 109-158. [3] Farrar, C. R.; Worden, K.: Structural health monitoring: a machine learning perspective. John Wiley & Sons, Chichester, 2012. [4] Brownjohn, J. M.; De Stefano, A.; Xu, Y. L. et al.: Vibration-based monitoring of civil infrastructure: challenges and successes. In: Journal of Civil Structural Health Monitoring, Vol. 1 (2011), Iss. 3-4, pp. 79-95. [5] Waibel, P.; Schneider, O.; Keller, H. et al.: A strain sensor based monitoring and damage detection system for a two-span beam bridge. In: Proceedings of the 9th International Conference on Bridge Maintenance, Safety and Management (IABMAS 2018), Melbourne, 2018, pp. 1627-1634. [6] Huseynov F.; Kim, C.; OBrien, E.J. et al.: Bridge damage detection using rotation measurements - Experimental validation. In: Mechanical Systems and Signal Processing, Vol. 135 (2020), pp. 106380. [7] Erdenebat, D.; Waldmann, D.; Scherbaum, F. et al.: The Deformation Area Difference (DAD) method for condition assessment of reinforced structures. In: Engineering Structures, Vol. 155 (2018), pp. 315-329. [8] Hawkins, D.M.: Identification of outliers. Chapman and Hall, London, 1980. [9] Worden, K.; Manson, G.; Fieller, N. R.: Damage detection using outlier analysis. In: Journal of Sound and Vibration, Vol. 229 (2000), Iss 3, pp. 647-667. [10] Murphy, K. P.: Machine learning: a probabilistic perspective. MIT press, Cambridge, 2012. [11] Peeters, B.; De Roeck, G.: One-year monitoring of the Z24-Bridge: environmental effects versus damage events. In: Earthquake engineering & structural dynamics, Vol. 30 (2001), Iss. 2, pp. 149-171. [12] Rainieri, C.; Fabbrocino, G.: Operational modal analysis of civil engineering structures. Springer, New York, 2014. [13] Stein, R., Jansen, A. und Krohn, S.: Baubegleitendes Monitoring der Pilotmaßnahme zur Verbreiterung der A7 im Bereich Hochstraße Elbmarsch. In: Konferenzband Messen im Bauwesen, Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), Berlin, 2018, S. 31-43. [14] Jansen, A.; Geißler, K.: Strukturüberwachung von Straßenbrücken durch Bauwerksmonitoring mit einem auf Einflusslinien basierenden Merkmal (in Vorbereitung). 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 323 Neue Möglichkeiten zur Rissweitenbestimmung an bestehenden Betonkonstruktionen mittels verteilter optischer Fasermessungen Alois Vorwagner, Maciej Kwapisz, Dominik Prammer Center for Mobility Systems AIT Austrian Institute of Technology GmbH, Wien, Österreich Prof. Werner Lienhart, Christoph Monsberger, Madeleine Winkler Institut für Ingenieurgeodäsie und Messsysteme (IGMS) Technische Universität Graz, Graz, Österreich Urs Grunicke UHG Consult ZT, Infrastructure Asset Management, Salzburg, Österreich Zusammenfassung Risse, deren Entstehung, Rissmuster und fortlaufende Änderungen dienen als wichtige Indikatoren für die Bauwerksbeurteilung. Änderungen der Tragwerksbeanspruchung korrelieren meist mit typischen Rissmustern, sodass eine umfassende Registrierung und Dokumentation, insbesondere der Rissweiten, und Veränderungen von Rissmustern für eine Zustandserfassung wie Brücken- oder Tunnelinspektion erforderlich ist. Risse und deren Änderungen werden an Bestandsbauwerke derzeit meist visuell anhand von Rissweitenschablonen oder Risslupen bestimmt und kartiert. Ein automatisches Monitoring mit beispielsweise Fissurometer oder Weggebern liefert in Sonderfällen an diskreten Punkten Messwerte auch über einen längeren Zeitraum. Auch wenn bereits automatisierte Inspektionssysteme auf Basis optischer Erfassungssystemen vorhanden sind, sind diese oft in der räumlichen Auflösung begrenzt, unzureichend zuverlässig und benötigen immer einen freien Blick und Zugänglichkeit auf die Konstruktion. In diesem Beitrag wird die Anwendung eines neuen Verfahrens basierend auf verteilten faseroptischen Messungen und dessen mögliche Anwendung an Bestandsbauten vorgestellt. Mit nachträglich am Bauwerk angebrachten Glasfaserkabeln können u.a. Dehnungsmessungen mit einer hohen Messpräzision von ca. 1µm/ m alle 10 mm mit Messlängen bei bis 70 m bzw. unter Einschränkungen auch bis zu mehreren km Faserlänge durchgeführt werden. Damit wird die Identifizierung lokaler Schäden wie Risse in der Struktur oder unerwartete Veränderungen im Dehnungsmuster und der Temperatur möglich. Da das System nachträglich auf die Betonoberfläche appliziert werden kann, können auch nicht zugängliche Bereiche (z.B. hinter Verkleidungen zur Brandschutzertüchtigung) überwacht werden. Aus den gemessenen Dehnungsprofilen kann die effektive Rissbreite auf bis zu 0,01 mm genau ermitteln werden. 1. Einleitung Risse und deren Veränderungen sind in der Bestandsbeurteilung von Gebäuden oder Tragwerken ein wichtiger Parameter für die Bewertung des Zustandes. Deren Verlauf oder Muster sowie deren Veränderungen können Rückschlüsse auf Änderungen in Beanspruchungen oder Materialschäden geben und sind somit auch ein wichtiges Vorhersageinstrument in der Bauwerksbeurteilung. Für Ingenieurbauwerke (Brücken, Tunnel) finden Risskartierungen im Zuge der Bauwerksinspektionen in üblichen Intervallen zwischen 6 (Brücke) und 12 Jahren (Tunnel) statt. Anlassbezogen können diese Intervalle kürzer ausfallen oder das Tragwerk einem dauerhaften Monitoring versehen werden. 1.1 Risserfassung Grundsätzlich muss bei der Erfassung von Rissen zwischen der automatischen Rissdetektion und der Bestimmung der Breite und Tiefe von bereits bekannten Rissen unterschieden werden. Ist die Position von Rissen bereits bekannt, so kann deren Breite im einfachsten Fall manuell durch einen visuellen Abgleich mit einem Rissbreitenlinear erfolgen. Diese Aufnahme ist jedoch subjektiv, eine genaue Kartierung schwierig und eine kontinuier- 324 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Neue Möglichkeiten zur Rissweitenbestimmung an bestehenden Betonkonstruktionen mittels verteilter optischer Fasermessungen liche Messung nicht möglich. Um die Veränderung von Rissen automatisch zu beobachten, können punktuell lineare Wegaufnehmer eingesetzt werden. Diese ermöglichen die Bestimmung der Änderung in eine Richtung. Für eine Bestimmung der Rissbewegung in alle drei Raumrichtungen können Fissurometer verwendet werden. Diese stellen eine Sonderform des linearen Wegaufnehmers dar. Durch spezielle Aufnahmeköpfe auf beiden Seiten eines Risses können mittels mehrerer manueller oder automatischer Wegaufnehmer die Verschiebungen in zueinander orthogonale Richtungen erfasst werden. Auch wenn diese Messverfahren die genaue Messung der Veränderung eines einzelnen Risses ermöglichen, ist eine Bestimmung des Rissbildes damit nicht möglich. Die Lokalisierung von einzelnen Rissen und die Bestimmung von Rissbildern ist nur mittels lückenlosen Messverfahrens möglich. Zum Stand der Technik gehören dabei bildgebende Messverfahren und Laserscanning. Bildgebende Messverfahren verwenden Ansätze aus der Photogrammmetrie, der Bildverarbeitung und des maschinellen Sehens. Beleuchtungsqualität und Luftqualität sind entscheidend. Eine geringe Lichtstärke und staubige Luft liefern Bilder mit hohem Rauschen, wodurch eine genaue Auswertung schwierig oft auch unmöglich wird. Weiters kann sich Schmutz an den Rissen ablagern, sodass diese in den Bilddaten größer als tatsächlich erscheinen oder gar nicht erst erkennbar sind. Laserscanningverfahren eigen sich sehr gut, um großräumige Aussagen zu treffen. Für die Detektion von feinen Rissen ist die Divergenz der ausgesandten Laserstrahlen jedoch zu groß. Das Abtastraster des Lasers beträgt üblicherweise ein Vielfaches der Rissbreite, weshalb die Risse in der Punktwolke nur ungenügend abgebildet werden. All diese Techniken zur Rissbilderfassung zeichnen sich derzeit noch durch starke manuelle Arbeit aus und sind oft auch subjektiv. Zusätzlich erfordern nahezu alle der derzeitigen Verfahren eine Zugänglichkeit zum Bauteil oder freie Sichtverbindungen. Falls diese durch Verkleidungen abgedeckt sind oder nicht ausreichend nah erreicht werden, können in diesen Bereichen auch keine Risse detektiert werden. 2. Verteilte optische Fasermessungen Verteilte faseroptische Messverfahren (Distributed Fibre Optic Sensing, DFOS) basieren auf optischen Sensorkabeln, welche in das Bauteil eingegossen oder nachträglich verklebt werden können. Die Glasfaser agiert gleichzeitig Leitmedium und Sensor. Der wesentliche Vorteil ist, dass damit nicht nur punktuelle Messungen bei bereits bekannten Schadstellen durchgeführt, sondern strukturelle Informationen über die gesamte Faserlänge bestimmt werden können. Damit ist eine Erfassung von Dehnungs- und Temperaturzuständen über die gesamte Sensorkabellänge entlang ganzer Bauwerke möglich. In der Boden- und Felsmechanik sind aktuell vermehrt DFOS-Anwendungen in der Literatur bekannt. Beispielsweise eignen sich DFOS Systeme zur Erfassung von Dehnungsverteilungen entlang von Anker- oder Pfahlsystemen, aus welchen sich mechanische Kraftflüsse ableiten lassen, siehe [1] oder [2]. Des Weiteren sind ebenso Anwendungen im maschinellen und konventionellen Tunnelbau bekannt [3]. Durch die nachträgliche Applikation können mit dieser Technologie gerade für die Zustandserfassung und Rissmessung entlang von bestehenden Infrastrukturbauten neue Monitoring-Möglichkeiten geschaffen werden. 2.1 Messprinzip Das grundlegende Messprinzip faseroptischer Sensoren beruht auf einem optischen Lichtpuls, der durch eine Ausleseeinheit (Interrogator) in eine Glasfaser eingekoppelt wird, welche gleichzeitig als Mess- und Leitmedium dient. Eine grundlegende Unterscheidung ist das verwendete Messprinzip, womit der Auflösungsgrad der Messung definiert wird. In Abbildung 1 sind drei der grundlegenden Verfahren dargestellt. Bei quasiverteilten Messungen mit Faser-Bragg-Gitter/ FBG-Sensoren wird das Glasfaserkabel mit (Bragg) Gittern vorbehandelt. Damit ist die Messung nicht lückenlos und es bleiben blinde Flecken zwischen den Messpunkten vorhanden. Verteilte faseroptische Sensorsysteme besitzen den wesentlichen Vorteil, dass das Messkabel weder vorbehandelt werden muss und zudem auch sehr kostengünstig sein können. Grundlegend wird dabei bei der Dehnungsmessung zwischen zwei unterschiedlichen Messverfahren unterschieden. Brillouin Messungen ermöglichen typischerweise eine Ortsauflösung von 0.5m. Folglich verschmieren sich Risse über einen größeren Bereich und treten möglicherweise nicht aus dem Rauschen heraus. Außerdem können mehrere Risse nur ein kombiniertes Signal liefern, wodurch lokale Effekte wie Risse im Messsignal nicht detektierbar sind. Im Gegensatz zu Brillouin Messungen können mit Messverfahren basierend auf der Rayleigh-Rückstreuung Dehnungen lückenlos und mit einer Ortsauflösung von 1 cm oder weniger erfasst werden. In der Vorstellung ist dies ein Sensor, der aus einer Kette von tausenden Dehnmesstreifen entlang eines einzelnen Kabels im Abstand von 1 cm oder weniger besteht. Neue Risse können detektiert und die zugehörige Rissweitenänderungen abgeleitet werden. Abbildung 1 Risserfassung mit faseroptischen Messverfahren: FBG Messverfahren (links oben), rechts oben 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 325 Neue Möglichkeiten zur Rissweitenbestimmung an bestehenden Betonkonstruktionen mittels verteilter optischer Fasermessungen Brillouin Messverfahren (rechts oben) und Rayleigh Messverfahren (unten). Ein entwickeltes Rayleigh-Messsystem wurde bereits erfolgreich zur Erkennung und Lokalisierung und von Rissen in bewehrten Betontübbingen eingesetzt [4]. Abbildung 3 zeigt, dass Risse bei einem bewehrten Belastungstest durch lokale Dehnungsspitzen erkennbar sind. Abbildung 2 Rissdetektion im Inneren von Tübbingen mit verteilten faseroptischen Messungen basierend auf der Rayleigh-Rückstreuung [4] 2.2 Rissbestimmung Zur Identifikation neuer Risse müssen die gewählten Sensorkabel und die Befestigungsmittel aufeinander abgestimmt werden. Theoretisch geht eine Rissbildung mit einer sprunghaften Dehnungszunahme einher. Da die Dehnung als ε = ΔL/ L definiert ist, bedeutet dies hypothetisch ε = ΔL/ L = ∞, eine unendliche hohe Dehnung an der Position des Risses. Würde die Messfaser die Bewegung des reißenden Betons 1: 1 mitmachen, kann diese die hohe Dehnung nicht aufnehmen und würde ebenfalls reißen. In der Realität besitzt aber jedes Messkabel einen mehrschichtigen Aufbau, weshalb diese Dehnungsspitze über eine größere Basislänge L ≠ 0 verteilt wird. Um aus dem verschmierten Messsignal die tatsächliche Rissbreite bestimmen zu können, ist daher eine geeignete Faser für den erwarteten Rissbereich zu verwenden. Dazu sind folgende Fragestellungen zu beantworten: • Zusammenhang zwischen Dehnungsspitze, Dehnungsverlauf und Rissbreite. Dies ist essentiell, damit nicht nur eine Rissentstehung detektiert wird, sondern auch seine Breite bestimmt werden kann. • Rissprognosemodell: numerische Nachbildung, damit Rissentstehung und unterschiedliche Eingangsparameter wie Neigung, Rissverlauf in der Berechnung der Rissweite richtig berücksichtigt werden. • Zuverlässigkeit der Messung bzw. Messbereich, in welchem kein Bruch der Messfaser oder Verklebung entsteht bzw. durch eine Hysterese verfälscht werden. • Maximal erfassbare Rissweite. Für Langzeitanwendungen ist es essentiell, dass die Messfaser auch beim Auftreten von Rissen nicht zerstört wird. Falls ein Faserbruch auftritt, kann nur mehr bis zum Ort des Bruches gemessen und die dahinterliegende Messstrecke nicht mehr erfasst werden. Einige der oben genannten Punkte stehen im Gegensatz zueinander. Ein robusteres Sensorkabel verschmiert das Signal stärker, sodass die minimal detektierbare Rissbreite verschlechtert wird. Ein sensitiveres Kabel kann zwar Risse exakter erkennen, birgt aber die Gefahr, dass es leichter reist. Eine optimale Abstimmung wurde im Zuge von Versuchen evaluiert. Ein Sensorkabel, bestehend aus Faser und Ummantelung, kann wie in Abbildung 3 sowohl nachträglich auf dem Tragwerk appliziert werden, eingegossen oder in einem Schlitz verklebt werden. Abbildung 3 Aufbau und unterschiedliche Applikationen von Glasfaserkabel oder Sensor (1), Ummantelung (2) und Verklebung (3). 3. Rissweitenbestimmungen Der Fokus der beschriebenen Untersuchungen liegt auf Bestandstragwerken. Bei Neubauten kann die Faser grundsätzlich in die Schalung eingelegt bzw. in den Frischbeton eingebettet werden. Anschließend wird eine Nullmessung der Faser durchgeführt (vgl. bespielweise Tübbinge [4]). Bei Bestandstragwerken kann die Glasfaser nachträglich auf dem Bauteil appliziert werden, wobei Kleber und Faser optimal aufeinander abgestimmt sein müssen. Als geometrische Änderung des Objektes können lediglich Längenänderungen gemessen werden, weshalb Umwelteinflüsse, insbesondere Temperatureinflüsse, kompensiert werden müssen. Dazu wird üblicherweise zusätzlich die Bauteiltemperatur über ein Referenzkabel in einem zusätzlichen, nicht verklebten Sensorstrang gemessen und direkt kompensiert. Zur Verifizierung und Entwicklung der Methodik und Beantwortung der in Abschnitt 2.3 gestellten Fragestellungen wurde sowohl Laborversuche als auch ein Berechnungsmodell von Faser und Rissentwicklung erstellt und im Detail analysiert. Durch Referenzmessungen mit bekannten Systemen (Weggeber, Risslupen…) wurden im Zuge dieser Tests eine zuverlässige Konfiguration aus 326 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Neue Möglichkeiten zur Rissweitenbestimmung an bestehenden Betonkonstruktionen mittels verteilter optischer Fasermessungen Fasertyp und Klebeapplikation gefunden und die Ableitung von Rissbreiten W R aus den Dehnungsmessungen durchgeführt. 3.1 Versuchssetup und Durchführung Auf 3 Probekörper wurden Glasfasern mit unterschiedlichen Verklebungen, Applikationsarten und Kreuzungswinkel zum Riss getestet. Insgesamt wurden auf den 3 Testplatten mit den Abmessung 2,5 m x 0,9 m x 0,2 m in der Güte C25/ 30/ XF3/ XC3 bis zu 9 verschiedene Applikationsarten untersucht. Die Versuchskörper wurden im Dreipunktbiegezugversuch belastet und waren so ausgelegt, dass Rissweiten bis zu W R = 2,5 mm möglich waren. Dazu wurden die Bewehrung sehr tief verlegt und zusätzlich mit externer Vorspannung belastet, um versuchstechnisch eine gute Ansteuerung der Rissweiten zu ermöglichen. Neben unterschiedlichen Kabeln und Klebermaterial wurden auch unterschiedliche Kreuzungswinkel (30°/ 60°/ 90°) zur Faser (Versuch #2 und #3) variiert. Die Versuchskörper und Sensoranordnung sind in Abbildung 4 in einer Draufsicht ersichtlich. Abbildung 4 Draufsicht Versuchskörper Im Rahmen des Versuchs wurde zunächst in 10 kN Laststufen bis zur Erstrissbildung belastet. Danach wurden 5 Be- und Entlastungszyklen zwischen W R = 0,20 und 0,80 mm Rissweite in 0,20 mm Schrittweite durchgeführt. Zum Schluss wurde mit einer Dauerschwinglast mit einer Rissamplitude von 0,40 bis 0,80 mm belastet. Detaillierte Informationen zu den Versuchssetup finden sich in [3]. Auszüge der Versuchsergebnisse sind folgend dargestellt. 3.2 Erstrissbildung und Rissprognose Es stellt sich die Frage wie weit eine Rissankündigung durch die Messung möglich ist. Dazu wurde die Erstbelastung Phase 1 detailliert betrachtet. Wie in Abbildung 5 & 6 ersichtlich, tritt bei einer Laststeigerung jenseits der 90 kN erstmalig ein Riss auf. Dieser ist durch eine sprunghafte, lokale Zunahme der Dehnung klar erkennbar. Da die Faser in der Ummantelung nicht starr verbunden ist, kommt es zu einer Dehnung über einen Bereich L von ca. 10 cm um die Rissstelle. Die Faser bleibt intakt und über das Integral der Dehnungskurve kann durch Annäherung mit einer Dreiecksverteilung eine Rissweite von W R ≈ε max / 2*L ≈ 0,1 mm berechnet werden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 327 Neue Möglichkeiten zur Rissweitenbestimmung an bestehenden Betonkonstruktionen mittels verteilter optischer Fasermessungen Abbildung 5 Laststufen bis Erstrissbildung (oben), Dehnungsverteilung gemessen am Versuchskörper #1 (mitte) und mit vereinfachtem Modell berechnet (unten). Mittels einem auf Finte Elementen basierenden Modell wurde die Faser, deren Aufbau sowie die Verklebung detailliert entsprechend Abbildung 3 (links) nachgebildet und der Rissvorgang simuliert. Das Modell wurde mittels Anpassung von Materialparameter anhand der Versuchsergebnisse nachkalibriert und, darauf aufbauend, die Versuche nachgerechnet. In der Abbildung 6 sind Dehnungsverläufe um den Riss für Messung als auch für das nachgerechnete FE-Modell sichtbar. Die Rissweiten können auch mit dem Modell verifiziert werden, wobei aufgrund der Modellierung die Bestimmung des Verlaufs der Dehnungskurve mit höherer Auflösung möglich ist und die Stufen der Laststeigerung detaillierter nachvollzogen werden können. Anzeichen einer Verformungskonzentration sind im Versuch bereits bei einer Laststufe von F=79,3 kN erkennbar, was auf eine Rissindizierung durch Microrissbildung hindeutet. Eindeutig gerissen ist der Körper im Versuch #1 bei einer Last von F=88,7 kN, wobei die Dehnungsmessungen immer nur an den Lasthaltepunkte durchgeführt wurde und somit der exakte Dehnungsverlauf direkt vor Rissbildung nicht gemessen werden konnte. Zusätzlich wurde während der Messung eine Schwankung der Versuchslast von ca. ±2,5 kN festgestellt. Abbildung 6 Erstrissbildung im Detail: Gemessene Dehnungsprofile im Versuch #1 (oben) und entsprechende FE-Rechnung (unten). Mit dem FE-Modell können die Messwerte detaillierter nachvollzogen werden. Eine Rissentstehung ist vorab nur über das Auffinden der Grenzdehnung, bei welcher der Riss entsteht, bestimmbar. Eine Vorankündigung im Dehnungsverlauf über die Länge war selbst beim Dreipunktbiegeversuch nicht eindeutig versuchstechnisch erkennbar, da diese spröd und damit ohne deutliche Vorwarnung eintrat. Eine Prognose des Erstrisseintritts kann nur bedingt bei bekannter Arbeitslinie und Grenzdehnung des Materials rückgerechnet werden. Dies setzt aber voraus, dass das Bauteil bei Aufbringung der Faser bzw. Nullmessung noch spannungsfrei oder bekannt ist. Da bekanntlich die Zugspannung bzw. Grenzzugdehnungen von Betontragwerken sehr streut, macht dies eine Vorankündigung noch schwieriger. Im durchgeführten Versuch war bei einer Dehnung von 160 µm/ m gerade noch kein Riss erkennbar. Unmittelbar danach konnte ein sprunghafter Anstieg auf 1600 µm/ m festgestellt werden, was einer Rissweite von W R =0,09 mm entspricht. Sind Risse entstanden, sind diese gut im Messignal durch lokale Dehnungsspitzen (hier Faktor 10) erkennbar. 328 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Neue Möglichkeiten zur Rissweitenbestimmung an bestehenden Betonkonstruktionen mittels verteilter optischer Fasermessungen 3.3 Rissüberwachung Mittels des mechanisch abgestimmten FE-Modells können die Rissweiten sehr gut berechnet werden. Für die weiteren durchgeführten Laststufen sind in Abbildung 7 der Verlauf der Dehnung für Rissöffnung für die Stufen W R = 0,4 mm, 0,6 mm und 0,8 mm dargestellt, wobei Mess- und Modellwerte direkt verglichen werden. Dazu wurden im Modell wie im Rahmen des Versuchs die Be- und Entlastungszyklen berücksichtigt. Abbildung 7 Vergleich Modell und Versuche unter 90° Kreuzungswinkel zwischen Faser und Riss. Die Versuche (durchgezogene Linien) zeigen klar, dass das faseroptische Messsystem keine Hysterese aufweist und die einzelnen Kurven der 5 Be- und Entlastungskurven auch nach mehreren Zyklen eine gute Übereinstimmung haben. Die Einleitungslänge der gewählten Faser beträgt ca. ± 12 cm. Die berechnete Modellkurve stimmt ebenfalls gut überein. Die Rissweiten können über das Integral des Dehnungsverlaufs gut angenähert werden und sind über das Prognosemodell noch exakter ermittelbar. Auch kann bis zum begrenzten Maße das Rissatmen, also neben Rissöffnung auch das Schließen der Risse nachvollzogen werden, wenn die Entlastungskurven siehe beispielsweise [5] für die Auswertung herangezogen werden. All diese Überlegungen gelten, solange der Kreuzungswinkel zwischen Riss und Faser annähernd 90° entspricht. Bei neuen unbekannten Rissen ist auch der auftretende Kreuzungswinkel unbekannt. Aus diesem Grunde wurden hier auch Untersuchungen unter geneigten Applikationen durchgeführt und im Detail analysiert. Abbildung 8 Versuchsergebnisse unter 90°(oben) 60 ° Mitte und 30 ° unten der Probekörperserie 2. Abbildung 8 zeigt die Messwerte im Vergleich für einen Kreuzungswinkel von 90°, 60° und 30° für die 3 Rissweitenstufen Stufen W R =0,4 mm, 0,6 mm und 0,8 m. Bei allen Winkelapplikationen können auch bei mehreren Be- und Entlastungszyklen gute Übereinstimmungen gefunden werden, die Hysterese ist hier wiederum grundsätzlich gering. Klar erkennbar ist, dass mit Abnahme des 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 329 Neue Möglichkeiten zur Rissweitenbestimmung an bestehenden Betonkonstruktionen mittels verteilter optischer Fasermessungen Winkels die Messsignale verrauschter werden. Die Störeinflüsse sind beispielsweise bei 60° Neigung bei einer Rissweite von W R =0,8mm erkennbar. Beim 30° Winkel treten diese bereits bei der Stufe W R =0,4 mm auf. Schematisch ist dieser Effekt entsprechend in Abbildung 9 dargestellt. Stimmen Bewegung und Faserrichtung überein, wird die Faser im Kabel gedehnt, und die Dehnung bildet sich bei Entlastung auch wieder zurück. Bei stark geneigten Anordnungen kommt es durch die Schiefstellung zu einem Versatz über der Rissstelle. Dadurch entstehen die Störeinflüsse, die in den Messignalen in Abbildung 8 deutlich sichtbar sind. Abbildung 9 Mechanismus bei 90° und 30° Kreuzungwinkel. Bei einem Kreuzungswinkel von 90° bis 75° können die Rissweiten genau bestimmt werden, jedoch ist kein Rückschluss auf den Winkel möglich. Bis ca. 60° werden die Rissweiten geringfügig unterschätzt, wobei die Signalstörungen im Peak-Bereich auf einen flacheren Winkel hindeuten. Ab 45° findet eine wesentliche Unterschätzung der Rissweiten statt. Diese Winkel werden gut durch Signalstörung im Rissbereich angedeutet. 4. Fazit In diesem Artikel wurde ein entwickeltes Messsystem basierend auf verteilten faseroptischen Messungen und dessen mögliche Anwendung an Betonbestandsbauten vorgestellt. Mit nachträglich am Bauwerk angebrachten Glasfaserkabel können u.a. Dehnungsmessungen mit einer hohen Genauigkeit von ca. 1 µm/ m alle 10 mm bei bis 70 m Kabellänge bzw. unter Einschränkungen bis zu mehreren km Faserlänge durchgeführt werden. Aus den gemessenen Dehnungsprofilen kann die effektive Rissbreite im Labor auf bis zu 0,01 mm genau ermitteln werden. Somit können die im Massivbau üblicherweise relevanten Rissweiten zwischen Haarriss < 0,1 mm bis mehrere mm gemessen werden. Auch die Änderungen der Rissweiten und Rissbewegungen wie Öffnen und Schließen können erfasst werden. Das entwickelte System wurde im Zuge von Laborversuchen und numerischer Nachrechnung verifiziert. Aktuell werden praktische Versuche unter realen Umgebungsbedingungen in einem Tunnel durchgeführt, welche fortlaufend ausgewertet werden, um die Auswertung zu optimieren und ein mögliches Konzept für Epochenmessungen zu entwickeln. Da das System nachträglich auf die Betonoberfläche appliziert werden kann, können auch nicht zugängliche Bauteiloberflächen im Tunnel oder an Brücken dauerhaft gut überwacht werden. Folglich ist eine Erfassung der Rissweitenentwicklung auch über längeren Zeitraum ohne physischen Zugang des Bauwerks möglich. Die Forschungen sind im Rahmen des Förderprogramms Mobilität der Zukunft- VIF 2017 (Fördernummer 866968) finanziert worden, die Autoren danken den dem österreichischen Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK), der Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft ASFiNAG, der ÖBB Infrastruktur AG sowie der Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) für die gute Zusammenarbeit und Unterstützung. Literatur [1] C.M. Monsberger, W. Lienhart, M. Hayden (2020): Distributed fiber optic sensing along driven ductile piles: Design, sensor installation and monitoring benefits. Journal of Civil Structural Health Monitoring 10 (4): 627-637; doi: 10.1007/ s13349-020- 00406-3 [2] C. Monsberger, H. Woschitz, W. Lienhart, V. Racanský, D. Gächter, R. Kulmer (2017): Überwachung von Ankerausziehversuchen im Rahmen der Hangsicherung für den Neubau einer Raffinerie. Proc. 32nd Christian Veder Kolloquium ‘Zugelemente in der Geotechnik‘, TU Graz, Gruppe Geotechnik 58: 173-192 [3] C.M. Monsberger, W. Lienhart, B. Moritz (2018): In-situ assessment of strain behaviour inside tunnel linings using distributed fibre optic sensors. Geomechanics and Tunnelling 11 (6): 701-709; doi: 10.1002/ geot.201800050 [4] C. Monsberger, W. Lienhart (2017): In-situ Deformation Monitoring of Tunnel Segments using High-resolution Distributed Fibre Optic Sensing. Proc. 8th International Conference on Structural Health Monitoring of Intelligent Infrastructure - SHMII-8, Brisbane, Australia: RS1-9, 12p [5] M. Winkler, C.M. Monsberger, W. Lienhart, A. Vorwagner, M. Kwapisz (2019): Assessment of crack patterns along plain concrete tunnel linings using distributed fiber optic sensing. Proc. 5th International Conference on Smart Monitoring, Assessment and Rehabilitation of Civil Structures 2019 - SMAR, Potsdam, Germany: 8p 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 331 Erhöhung der Restnutzungsdauer am Beispiel der Vogelsangbrücke Thomas Lehmann Leonhardt, Andrä und Partner Beratende Ingenieure VBI AG, Stuttgart Zusammenfassung Die Vogelsangbrücke wird instandgesetzt, für das Ziellastniveau LM 1 ertüchtigt und mit einem Dauerüberwachungs-system ausgestattet, um eine Nutzung für weitere 20 Jahre trotz der Defizite aus der Nachrechnung und der vorhandenen spannungsrisskorrosionsgefährdeten Spannstähle zu ermöglichen. Das Überwachungskonzept baut systematisch auf der Nachrechnung der Vogelsangbrücke und den vorangegangenen Untersuchungen bezüglich der Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion (HA) auf. Der Umgang mit diesen nicht alltäglichen Instandsetzungs-, Ertüchtigungs- und Bauwerküberwachungsmaßnahmen ist Thema dieses Vortrags. 1. Einführung Die Stadt Esslingen am Neckar ist mit drei großen Neckarbrücken an die Bundesstraße B10 und somit an das übergeordnete Straßennetz angebunden. Die Hanns- Martin-Schleyer Brücke wurde 1964 als erste der drei Brücken errichtet. Daraufhin folgte in den Jahren 1966 bis 1970 der Bau der Adenauerbrücke und von 1971 bis 1973 der Vogelsangbrücke. Die vorhandenen Bauwerksschäden, Defizite aus der Nachrechnung und das Vorhandensein von spannungsrisskorrosionsgefährdetem Spannstahl in den Brückenüberbauten führte nach weiteren Untersuchungen und Studien zu dem Ergebnis, dass für alle drei Brückenbauwerke ein Ersatzneubau erforderlich ist. Im nächsten Schritt wurde die Realisierbarkeit der umfangreichen Ersatzneubaumaßnahmen überprüft, insbesondere hinsichtlich des Aufrechterhalten des Verkehrs, der Leitungsverlegungen und Berücksichtigung der erforderlichen Planungs- und Genehmigungszeiträume. Ein zeitgleicher Neubau der drei Neckarbrücken sowie der weiterführenden Hochstraßen und Rampen ist aus logistischer und finanzieller Sicht nicht möglich. Um weiterhin einen sicheren Betrieb zu ermöglichen und die Standsicherheit und Verkehrssicherheit über diesen Zeitraum zu gewährleisten, wurde ein entsprechendes Konzept ausgearbeitet. Der Problematik spannungsrisskorrosionsgefährdeter Spannstahl und Defizite aus der Nachrechnung wird als Sofortmaßnahme mit Sonderprüfungen in regelmäßigen Abständen begegnet und die Überbauten werden hinsichtlich der Schadensankündigung untersucht. Wo möglich, erfolgten Entlastungen der Bauwerke durch Reduzierung von Fahrspuren. Bis zum Ersatzneubau wird die Vogelsangbrücke instandgesetzt, ertüchtigt und mit einem Dauerüberwachungssystem ausgerüstet, so dass diese noch über weitere 20 Jahre genutzt werden kann und die Standsicherheit und Verkehrssicherheit über diesen Zeitraum gewährleistet ist. In den folgenden Kapiteln werden die Besonderheiten und Maßnahmen im Zuge der Planung und Ausführung von Instandsetzungs-, Ertüchtigungs- und Dauerüberwachungsmaßnahmen am Beispiel der in 2019 und 2020 im Bau befindlichen Vogelsangbrücke vorgestellt. 2. Allgemeines Die Vogelsangbrücke besteht aus 13 Teilbauwerken und überführt die Landstraße L1150 mit beidseitigen Gehwegen über den Neckar, den Neckartalradweg, Gleise der DB, die Ulmer Straße, die Ein- und Ausfahrt zum Parkhaus Pliensauturm, die Neckar Straße, die Vogelsangstraße sowie verschiedenste Parkplatzflächen. 332 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erhöhung der Restnutzungsdauer am Beispiel der Vogelsangbrücke Abbildung 1: Übersicht Teilbauwerke der Vogelsangbrücke Von Defiziten aus der Nachrechnung und dem Vorhandensein von spannungsrisskorrosionsgefährdetem Spannstahl sind die Überbauten der Neckarbrücke (TBW B1 und B2), der Hochstraßenbrücke (TBW C1 und C2) sowie der Rampenbrücken (TBW C3 und C4) betroffen. Bei der Konstruktion der Teilbauwerke B1 und B2 handelt es sich jeweils um einen Dreifeldträger mit angeschlossenem Kragarm, welcher auf Lehrgerüsten und als Spannbetonhohlkastenquerschnitt ausgeführt wurde. Die Überbaulänge liegt bei ca. 110 m, Stützweiten der einzelnen Felder sowie die Bauhöhen sind unterschiedlich. Die getrennten Überbauten (B1 und B2) weiten sich am südlichen Brückenende geringfügig auf. Abbildung 2: TBW B1 und B2, Grundriss, Längsschnitt, Regelquerschnitt Am nördlichen Brückenende schließen die Teilbauwerke C1 und C2 mit den seitlichen Rampen C3 und C4 als Hochstraße an die Teilbauwerke B an. Die Hauptbrücke (TBW C1 und C2) bildet sich aus zwei getrennten, 8-feldrigen Durchlaufträgern mit einer Gesamtlänge von 192,5 m. Die Stützweiten der einzelnen Felder sind unterschiedlich. Die Querschnitte sind als einstegige Plattenbalken mit Hohlquerschnitten (Verdrängungsrohren) ausgebildet. Der westliche Abzweig (TBW C3) bildet sich aus einem 5-feldrigem Durchlaufträger, welcher durch einen Übergangsbereich an die Hauptbrücke angeschlossen ist. Der östliche Abzweig (TBW C4) bildet sich aus einem 5-feldrigem Durchlaufträger welcher durch einen Übergangsbereich an die Hauptbrücke angeschlossen ist. Die Querschnitte sind als einstegige Plattenbalken mit Hohlquerschnitten (Verdrängungsrohren) analog den Teilbauwerken C1 und C2 ausgebildet. Abbildung 3: TBW C1 und C2, Grundriss, Längsschnitt, Regelquerschnitt 3. Bauwerksuntersuchungen 3.1 Bauwerksprüfungen Im Zuge der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 wird in einem ersten Schritt der Bauwerkszustand auf empirische Art und Weise festgestellt. Dabei ergeben sich nachfolgende Zustandsnoten für die Teilbauwerke. Teilbauwerk: B1 B2 C1 C2 C3 C4 Zustandsnote: 3,0 3,0 3,0 3,0 2,9 2,8 Die Ergebnisse, deren Ursachen und Bewertungen werden näher analysiert. Die meisten Schäden sind auf normale Abnutzung und Verschleiß zurückzuführen, für einige sind Ausführungsfehler und Unterhaltungsmängel ursächlich. Grundsätzlich gibt es jedoch keine Schäden, die sich nicht mit einer grundhaften Instandsetzung beheben lassen. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 333 Erhöhung der Restnutzungsdauer am Beispiel der Vogelsangbrücke 3.2 Nachrechnung Im Rahmen dieser statischen Berechnung werden die Überbauten in Längs- und Querrichtung sowie die Lager und Pfeiler nach Stufe 1 bzw. 2 der aktuellen Fassung der Nachrechnungsrichtlinie Fassung (05/ 2011) mit einem Ziellastniveau LM1 nachgerechnet. Zum Abschluss der Nachrechnung erfolgt eine Empfehlung über die Einordnung des Bauwerks in eine Nachweisklasse, die Aufschluss über die Nachweisführung und über erforderliche Nutzungseinschränkungen gibt. Für Brücken mit empfindlichem Spannstahl gegenüber Spannungsrisskorrosion darf höchstens die Nachweisklasse B und unter Verwendung der speziellen Regelung für den Nachweis der Dekompression höchstens die Nachweisklasse C zugeordnet werden (vorläufig eingeschränkte Nutzungsdauer von 20 Jahren). Bei den Überbauten aller Teilbauwerke ergeben sich bei den Nachweisen Defizite und keines der Bauwerke kann einer Nachweisklasse zugeordnet werden. Dieses Ergebnis führt zu weiteren Untersuchungen. Die Machbarkeit von Ertüchtigungsmaßnahmen in Kombination mit Nutzungsänderungen wird untersucht und ausgearbeitet, um das Bauwerk der Nachweisklasse C mit einer vorläufig eingeschränkten Nutzungsdauer von 20 Jahren zuordnen zu können. 3.3 Spannungsrisskorrosion Beim Bau der Brücke ist Spannstahl Holzmann KA 141/ 40, Sigma oval 40 der Festigkeitsklasse St 145/ 160 und Holzmann/ Interspan KA 40 St 145/ 160 (Bezeichnung „Neptunbzw. Sigma-Stahl“) zur Anwendung gekommen. Dieser Spannstahldraht neigt zu wasserstoffinduzierter Spannungsrisskorrosion auch im alkalischen Umfeld des Hüllrohrs. Brücken, in denen der gefährdete Spannstahl eingebaut ist, können in sich ein Risiko bergen, wenn sich der Versagenszustand des Tragwerks nicht rechtzeitig ankündigen kann. Ein Versagen würde spontan erfolgen. Mit einem rechnerischen Nachweis zum Ankündigungsverhalten nach dem Riss-vor-Bruch-Kriterium lässt sich das Versagensrisiko eines Bauwerks beurteilen. Ein ausreichendes Ankündigungsverhalten und damit eine Risikominimierung sind gegeben, wenn sich bereits frühzeitig und unter Gebrauchslasten eine deutlich erkennbare Rissbildung einstellt, noch bevor unter voller Verkehrsbeanspruchung die Tragsicherheit auf ein unzulässig niedriges Niveau fällt. Anhand der Handlungsanweisung wird ein Nachweis des Ankündigungsverhaltens auf Querschnittsebene und der stochastische Nachweis des Ankündigungsverhaltens auf Systemebene untersucht. Die Überprüfung des Ankündigungsverhaltens erfolgt durch Berechnung mit den im Rahmen der Nachrechnung erzeugten Systemen. Dabei ist für den Nachweis des Ankündigungsverhaltens jenes Verkehrslastmodell zu berücksichtigen, welches der Ausführungsstatik zu Grunde liegt. Hier ist somit die Brückenklasse BK 60 nach DIN 1072 angesetzt. Dem vorliegenden Bauwerk kann auf Querschnittsebene kein ausreichendes Ankündigungsverhalten nachgewiesen werden. Die Gründe liegen zum einen in der nicht gegebenen Detektion der Stützbereiche und in der nicht gegebenen Restsicherheit von γp ≥ 1,1 auf die Verkehrsschnittgröße mit Ansatz der Restspannstahlfläche. Das vereinfachte Nachweisverfahren zur Überprüfung auf Systemebene wird zur Einschätzung des Gesamtbauwerks für alle Untersuchungsbereiche durchgeführt. In den Bereichen mit erforderlichem Monitoring (Stützquerschnitte) wird dieses als gegeben vorausgesetzt. Für die einzelnen Untersuchungsbereiche ergeben sich unterschiedliche Ergebnisse. Diese sind am Beispiel der Teilbauwerke B1 und B2 dragestellt. In dem dunkelgrünen Bereich kann der stochastische Nachweis ohne zusätzliche Dauerüberwachungsmaßnahmen (Stützbereiche) eingehalten werden, in den hellgrünen Bereichen sind Dauerüberwachungsmaßnahmen erforderlich um die geforderte Restsicherheit einzuhalten. In den orangen Bereichen kann der stochastische Nachweis nicht eingehalten werden und in den roten Bereichen sind nicht ausreichend Einzelquerschnitte mit Ankündigung (Rissbildung bei gleichzeitiger Resttragfähigkeit) vorhanden um den stochastischen Nachweis zu führen. Der schwarz markierte Bereich umfasst zu wenig Nachweisquerschnitte zum Nachweis über das stochastische Verfahren. Abbildung 4: Einteilung in unterschiedliche Betrachtungs-bereiche Für die einzelnen Untersuchungsbereiche des Bauwerkes besteht kein durchgehendes, ausreichendes Ankündigungsverhalten. Um ein ausreichendes Ankündigungsverhalten und eine Restsicherheit für das Bauwerk zu erreichen, wird die Machbarkeit von Ertüchtigungsmaßnahmen und Dauerüberwachungsmaßnahmen untersucht und ausgearbeitet. 334 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erhöhung der Restnutzungsdauer am Beispiel der Vogelsangbrücke 4. Verstärkungsmaßnahmen Die Defizite aus der Nachrechnung und Bereiche ohne Ankündigungsverhalten bei Spannstahlausfall werden durch verschiedene Ertüchtigungsmaßnahmen und Nutzungsänderungen behoben. Bei den Teilbauwerken B1 und B2 erfolgt eine Ertüchtigung der Bodenplatte mit einer Aufbetonverstärkung von 20 cm über einen Bereich von knapp 20 m im Hohlkasten. Abbildung 5: Verstärkung Bodenplatte TBW B1 und B2 Bei den Teilbauwerken C3 und C4 werden die Torsionsdefizite durch Umbaumaßnahmen beseitigt. Durch Reduzierung der Fahrstreifenanzahl von 2 auf 1, Verschmälerung der Fahrbahn von 7 m auf 5,3 m und symmetrischen Anordnung zur Bauwerksachse lässt sich ein nachweisbarer Zustand erreichen. Den Torsionsdefiziten an den Überbauten der Teilbauwerke C1 und C2 wird durch eine geänderte Lagerung des Überbaus in den Achsen 8 und 9 begegnet. Im Bestand sind hier mittig unter dem Überbau Einzelstützen mit querfesten Topflagern angeordnet. Die Stützenköpfe werden umgebaut und mit einem Spannbetonhammerkopf versehen, auf dem jeweils zwei neue Brückenlager angeordnet werden. Abbildung 6: Umbau Stützenkopf Bereiche ohne ausreichendes Ankündigungsverhalten werden verstärkt. Generell ist die Verstärkung so zu dimensionieren, dass ein ausreichendes Sicherheitsniveau ohne Mitwirkung des spannungsrisskorrosionsgefährdeten Spannstahls in allen Querschnitten gegeben ist. Die Verstärkungsmaßnahmen zur Absicherung des Ankündigungsverhaltens lassen keine Rückschlüsse auf die zu erwartende Restnutzungsdauer zu. Es muss davon ausgegangen werden, dass der spannungsrisskorrosionsgefährdete Spannstahl jederzeit ausfallen kann. In diesem Fall ist jedoch durch die Verstärkungsmaßnahmen eine ausreichende Restsicherheit und ein duktiles Tragwerksverhalten gewährleistet. Sobald sich jedoch ein Spannstahlausfall ankündigt, sind Sofortmaßnahmen, Spannstahluntersuchungen sowie ggf. zusätzliche Verstärkungsmaßnahmen oder ein Ersatzneubau notwendig. Mit Hilfe der durchzuführenden Voruntersuchungen (Untersuchung auf Rissbildung) kann jedoch eine bereits vorhandene und bisher unbemerkte Vorschädigung des Spannstahls ermittelt werden und in Abhängigkeit vom Ergebnis der Voruntersuchungen das ökonomische Risiko der Verstärkungsmaßnahme bewertet werden. Es gibt jedoch keine gesicherten Erkenntnisse über einen Zusammenhang zwischen dem Vorschädigungsgrad des Spannstahls und dessen zukünftigen Ausfallrisiko. Abbildung 7: zu verstärkende Bereiche bei TBW C1 und C2 ohne Ankündigungsverhalten Die Verstärkung erfolgt über CFK-Lamellen, so dass die Steifigkeit des Querschnittes nur geringfügig beeinflusst wird. Dabei sind einige Feldquerschnitte zu verstärken. Der erste Querschnitt ist soweit zu ertüchtigen, dass die Restsicherheit bei der Rissbildung erfüllt wird, der zweite Querschnitt ist lediglich soweit zu verstärken, dass die erforderliche Restspannstahlfläche auf ein verträgliches Maß zum Nachweis der Versagenswahrscheinlichkeit des Spannabschnittes eingehalten wird. Ein Nachweis der Restsicherheit bei Rissbildung ist für diesen Querschnitt nicht zwingend erforderlich, da bereits 50% der Querschnitte über ein Ankündigungsverhalten verfügen. 5. Dauerüberwachung 5.1 Problematik Das Überwachungskonzept baut systematisch auf der Nachrechnung und der vorangegangenen Untersuchungen auf. Die in der nachfolgenden Abbildung markierten Stützbereiche sind nicht einsehbar und es kann nach HA kein Ankündigungsverhalten nachgewiesen werden. Eine Ankündigung des Bruchversagens durch Spannungsrisskorrosion in Form von Betonbiegerissen würde in diesen Bereichen an der Bauteiloberseite unter dem Belag auftreten, daher ist eine visuelle Überwachung unmöglich. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 335 Erhöhung der Restnutzungsdauer am Beispiel der Vogelsangbrücke Abbildung 8: Bereiche mit Ankündigungsverhalten aber ohne Möglichkeit der visuellen Überwachung Rechnerisch stellt sich in den Querschnitten des Bauwerks überwiegend eine Ankündigung des Versagens durch das „Riss vor Bruch Verhalten“ ein. Die folgenden Abbildungen zeigen die vorhandene Restspannstahlfläche bei Rissbildung und bei Bruch nach HA. Die schwarzen Quadrate stellen die Position der Stützenachsen dar. Die übrigen Teilbauwerke zeigen einen vergleichbaren qualitativen Verlauf und sind deshalb hier nicht aufgeführt. Abbildung 9: Restvorspannung TBW B2, Riss/ Bruch In den Stützbereichen müssen demnach 30-50 % der Spannstahlfläche ausfallen bis zur Rissbildung nach HA unter der häufigen Einwirkungskombination (1.0*G + 0.5 Q). Die Querschnitte weisen bei Rissbildung überwiegend eine Restsicherheit bis zum Bruch auf, sodass sich eine Versagensankündigung (Riss vor Bruch) einstellen kann. Bis zum Versagen nach HA unter erhöhter Bruchlast (1.0*G + 1.1 Q) müssen 50-70% der Spannstahlfläche ausfallen. Abbildung 10: Restvorspannung TBW C3, Riss/ Bruch 5.2 Ziele und Maßnahmen Bisher wurde die ungeschädigte Spannstahlfläche der Längsbewehrung nur rechnerisch gemäß HA ermittelt. Allerdings handelt es sich bei den Berechnungen um eine konservative Annahme und die Bauwerksuntersuchungen (2018) deuten nicht auf Schäden infolge Spannungsrisskorrosion hin. Resultierend wird die tatsächliche ungeschädigte Spannstahlfläche höher eingeschätzt. Eine solche Einschätzung des aktuellen Bauwerkszustands mit Bezug auf die Berechnungen nach HA und Risikobewertung des Versagens durch Spannungsrisskorrosion soll erfolgen, um ein zusätzliches Sicherheitsniveau für die Überwachung des Bauwerks über die Restlebensdauer zu schaffen. Zusätzlich soll eine Überwachung des gesamten Überbaus für die Restlebensdauer von 20 Jahren bezüglich zukünftigen Schäden und Versagensankündigung durch Spannungsrisskorrosion erfolgen. Ein stufenweiser Maßnahmenplan im Umgang mit der Problematik der Spannungsrisskorrosion an der Vogelsangbrücke wird für das Überwachungskonzept formuliert: 1. Probebelastung zur Identifikation von Tragwerksreserven bezüglich der Restspannstahlfläche vor Beginn der Instandsetzungsmaßnahme 2. Detaillierte Bestandserfassung bezüglich Spannungsrisskorrosion mit Rissuntersuchung und magnetsicher Streufeldmessung während den Bauphasen der Instandsetzungsmaßnahme 3. Monitoringsystem zur Überwachung des Bauwerkzustands bezüglich zukünftigen Schädigungen des Bauwerks durch Spannungsrisskorrosion für die Restlebensdauer von 20 Jahren 5.3 Probebelastung zur Identifikation von Tragwerksreserven Die Belastungsversuche werden vor Beginn der Instandsetzungsarbeiten durchgeführt. Das Konzept für den Belastungsversuch bezieht sich auf die Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion und die DAfStb Richtlinie: Belastungsversuche an Betonbauwerken. Die Probebelastung dient der Identifikation von Tragwerks- 336 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erhöhung der Restnutzungsdauer am Beispiel der Vogelsangbrücke reserven mit Bezug auf die Berechnungen nach der HA. Die Hypothese der Belastungsversuche lautet, dass mindestens 10% mehr Restspannstahlfläche der Längsvorspannung im Überbau ungeschädigt sein soll als nach HA anrechenbar. Diese Hypothese wird durch die anschließende Rissuntersuchung überprüft, somit kann ein zusätzliches Sicherheitsniveau für die Restlebensdauer und das Monitoringsystem geschaffen werden. Die Ziellast soll im betreffenden Querschnitt größer als 110% der häufigen EWK nach HA betragen. Wenn keine Rissbildung detektiert wird, können rechnerisch über 10% zusätzliche Restspannstahlfläche angesetzt werden. Die Probelast wird für die kritischen Stützenquerschnitte definiert. Das Biegemoment aus der Probebelastung unterschreitet das maximale Biegemoment aus der einfachen Verkehrsbelastung für BK60 an jeder Stelle. Der Puffer gibt an um welchen Prozentsatz die Spannungen am Querschnittsrand aus der häufige EWK durch die Ziellast überschritten werden. 5.4 Detaillierte Bestandserfassung Die detaillierte Bestandserfassung setzt sich aus der Rissuntersuchung und der magnetischen Streufeldmessung zusammen. Ziel der Rissuntersuchung ist die Überprüfung der Hypothese des Belastungsversuchs bezüglich der vorhandenen Restspannstahlfläche und Ziel der magnetischen Streufeldmessung ist eine zusätzliche Einschätzung über eventuelle Korrosionsschäden an den Spanngliedern. 5.4.1 Rissuntersuchung Nach dem Abtrag des Belags- und Abdichtungsaufbaus wird die Betonoberfläche gereinigt und angefeuchtet, so dass sich mögliche Risse, insbesondere auch mit sehr geringer Rissbreite abzeichnen und erkennen lassen. Sind nach der Probebelastung keine Biegerisse vorhanden, kann die rechnerische Restspannstahlfläche gemäß HA um 10% erhöht werden. 5.4.2 Magnetische Streufeldmessung Die Längsspannglieder werden soweit möglich (Betondeckung der Spannglieder maximal 25 cm) mittels Streufeldmessung auf Spannstahlbrüche untersucht. Sollten bruchartige Signale detektiert werden, so werden diese Bereiche vorsichtig geöffnet und das Spannglied auf Schäden untersucht. 5.4.3 Ergebnis der Bestandserfassung Aus den Ergebnissen der Bestandserfassung lässt sich der Bauwerkszustand und das Risiko der Spannungsrisskorrosion nun genauer abschätzen und die Ergebnisse liefern ein zusätzliches Sicherheitsniveau für das Überwachungssystem und die weitere Nutzung. Bei Rissfreiheit nach der Probebelastung können mindestens 10% mehr Restspannstahlfläche gegenüber den Berechnungen nach HA angesetzt werden, entsprechend erhöht sich auch die Resttragfähigkeit bis zum Bruch. Mit den Ergebnissen der magnetischen Streufeldmessung lassen sich zudem stochastische Auswertung der wahrscheinlichen Restspannstahlfläche tätigen. 6. Grundlagen des Monitoringsystems 6.1 Allgemeines Das Monitoringsystem dient der Überwachung des Bauwerkszustands bezüglich Spannungsrisskorrosion für die Restnutzungsdauer von 20 Jahren. Nach den Verstärkungsmaßnahmen ist in allen Überbauquerschnitten eine ausreichende rechnerische Resttragfähigkeit bei Rissbildung bis zum Bruch gegeben, sodass ein plötzliches Versagen des Bauwerks ausgeschlossen werden kann. Im Rahmen der detaillierten Bestandserfassung wird ein erhöhtes Sicherheitsniveau von 10% neben der HA auf Basis des tatsächlichen Bauwerkszustands geschaffen. Bedingt durch die intensiven Voruntersuchungen wird das Monitoringsystem nicht als sicherheitsrelevantes Alarmsystem ausgelegt. Die Erfassung einer tendenziellen Schädigung ist daher ausreichend und kann als Vorwarnstufe dienen. Bei fortschreitender Schädigung mit Erreichen der Grenztragfähigkeit muss dennoch ein Hinweissignal ausgelöst werden. 6.2 Auswahl der Messgröße Für das Monitoringsystem ist die Überwachung der Verformungen des Bauwerks als Indikator für Schäden infolge Spannungsrisskorrosion vorgesehen. Insbesondere die Neigungsmessung mithilfe von Inklinometern stellt erfahrungsgemäß eine effiziente und sensible Überwachungsmöglichkeit dar. Diese globale Formänderungsgröße spiegelt im Gegensatz zu einer Dehnungsmessung alle Verformungsinformationen des Bauwerks wieder. Eine Messbasis ist für die Neigungsmessung nicht erforderlich. Über die Ergebnisse der Neigungsmessung [φ in m°] an den Endpunkten eines Untersuchungsbereiches lässt sich die mittlere Krümmung [m°/ m] des Bereiches [Δs] als globale Verformungsgröße bestimmen: 6.3 Dimensionierung der Systemgenauigkeit Das Messsystem muss für die kontinuierliche Überwachung des Tragwerkszustandes geeignet sein, um Schädigungen infolge Spannungsrisskorrosion flächig zu detektieren. Die erforderliche Genauigkeit des Messsystems ist so auszulegen, dass plastische Schädigungen 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 337 Erhöhung der Restnutzungsdauer am Beispiel der Vogelsangbrücke des Bauwerks infolge Spannungsrisskorrosion frühzeitig identifiziert werden können. Im Folgenden wird die Schädigung beispielhaft über die Verformung des Bauwerks definiert. Der Schädigungsverlauf beginnt mit der Dekompression des Betons über die Rissbildung des Betons bis hin zum Versagen des Querschnitts und des Gesamtsystems. Die folgende Abbildung zeigt das allgemeine Last-Verformungs-Verhalten eines Spannbetonbalkens bis zum Versagen des Bauteils. Abbildung 11: Last-Verformungsverhalten eines Spannbetonbalkens (aus Betonkalender 2017) Gemäß der HA soll die Spannungsrisskorrosion bereits mit einsetzender Rissbildung des Betons detektiert werden. Resultierend muss die Sensorik in der Lage sein den Bereich der Rissbildung bis zum Fließen der Bewehrung zu identifizieren. Das Fließen der Bewehrung muss dabei den absoluten Grenzwert der Verformung darstellen und stellt das Erreichen der Grenztragfähigkeit dar. Für die Bestimmung der Messgenauigkeit wird das Last- Verformungsverhalten für drei Zustände der Vorspannung untersucht. • 100% Vorspannung: unbeschädigtes Bauwerk (0.9*P0) • 44% Vorspannung: Schaden durch Sprk aber keine Rissbildung unter häufigen Einwirkungen nach HA • 34% Vorspannung: Schaden durch Sprk und Rissbildung unter häufigen Einwirkungen nach HA Für die folgenden Abbildungen gilt: Dekompression/ Rissbildung (A), Fließen der Stahlbewehrung (B), Bruch des Querschnitts (C). Abbildung 12: Last-Verformungsverhalten am Beispiel von Teilbauwerk B 1 Entgegen den Berechnungen nach HA können die Querschnitt ein größeres Zwangsmoment aufnehmen, da das Mitwirken des Betons im Zugbereich berücksichtigt wurde. Die erforderliche Genauigkeit des Messsystems lässt sich aus der Verformung auf der X-Achse zwischen den Bereichen A und B ableiten. • Die erforderliche Genauigkeit des Messsystems bezüglich Neigung beträgt 1m° • Die erforderliche Genauigkeit des Messsystems bezüglich Dehnung beträgt 0,1 mm/ m 6.4 Kalibrierung des Monitoringsystems Im Rahmen der Inbetriebnahme des Monitoringsystems ist eine Kalibrierung des Ausgangszustands erforderlich. Eine 50t Verkehrslast wird als Referenz das Bauwerk überfahren. Die resultierenden Querschnittsspannungen liegen unter der häufigen EWK, und stellen somit zu keinem Zeitpunkt ein Risiko für die Tragsicherheit dar. Das zugehörige Tragwerksverhalten wird über die Messeinrichtung aufgenommen und dient als Ausgangszustand für das Monitoringsystem. Die resultierenden Neigungen (mrad) im Messbereich des TBW B1 Achse 2 sind in der Abbildung beispielhaft für eine Belastung in Feldmitte dargestellt. 338 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erhöhung der Restnutzungsdauer am Beispiel der Vogelsangbrücke Abbildung 13: Darstellung der resultieren Neigung Diese Berechnung soll nur ein Beispiel zur Veranschaulichung der Machbarkeit zeigen. Die exakten Verformungen werden sich aus den Messwerten ergeben. 6.5 Betrieb des Messsystems Das folgende Beispiel soll den Regelbetrieb und den Alarmplan verdeutlichen. Im Rahmen des planmäßigen Verhaltens wird der Krümmungs-Zeit-Verlauf ausgelesen (folgende Abb.). Die Vorwarnstufe wird eingeleitet. Im Fall einer tendenziellen Schädigung des Tragwerks stellt sich unter gleichen Randbedingungen eine veränderte mittlere Krümmung im Überwachungsbereich ein. Eine erneute Probebelastung mit 50t wird durchgeführt und die resultierende mittlere Krümmung des Überwachungsbereichs wird mit dem Ausgangswert der Kalibrierung verglichen. Abweichende Randbedingungen müssen bei dem Vergleich berücksichtigt werden. Eine Alarmierung erfolgt stufenweise. Abbildung 14: beispielhafte Aufzeichnung der Neigung über den Jahresverlauf 6.6 Ausführung des Messsystems Die Sensoren und die Verkabelung werden abschnittsweise mit der Instandsetzungs- und Ertüchtigungsmaßnahme am Bauwerk jederzeit zugänglich an der Überbauunterseite angebracht. Nur im Bereich über der Bahn werden die Sensoren in Nischen in der Fahrbahnplattenoberseite und über dem Neckar an der Fahrbahnplattenunterseite im Hohlkasten montiert. Die Basisstation wird im Widerlager der Teilbauwerke B1 und B2 installiert. Die Installation soll bis Anfang 2021 abgeschlossen werden und anschließend die Kalibrierung und Testphase starten. Zum Ende 2021 soll die Dauerüberwachungsanlage in den Regelbetrieb gehen. 7. Fazit Am Beispiel der Vogelsangbrücke wird deutlich, wie mit ingenieurmäßigem Verstand Möglichkeiten zu einem sinnvollen Umgang mit dem Brückenbestand eingesetzt werden können. Durch die Verwendung und Kombination von Werkzeugen zur Instandsetzung und Ertüchtigung, gepaart mit der Dauerüberwachung, lassen sich verborgene Resourcen aktivieren und das Bauwerk für weitere 20 Jahre sicher nutzen. Dadurch kann, wie in vorliegendem Fall wichtige Zeit verschafft werden, um der großen Aufgabe zur Planung und Ausführung eines Ersatzneubaus, ohne zeitliche Zwänge und Nutzungsausfälle zu begegnen. Literatur [1] DIN-Fachbericht 101 - Einwirkungen auf Brücken, März 2019 [2] Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie). Ausgabe Mai 2011 mit Ergänzung April 2015. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur [3] Handlungsanweisung zur Überprüfung und Beurteilung von älteren Brückenbauwerken, die mit vergütetem, spannungsrisskorrosions-gefährdetem Spannstahl erstellt wurden (Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion). Ausgabe Juni 2011, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur 4. Brückenkolloquium - September 2020 339 Über die Zuverlässigkeit von Monitoring-basierten Frühwarnsystemen für Brücken Marian Ralbovsky AIT Austrian Institute of Technology GmbH, Wien, Österreich Dominik Prammer AIT Austrian Institute of Technology GmbH, Wien, Österreich Alois Vorwagner AIT Austrian Institute of Technology GmbH, Wien, Österreich Zusammenfassung Bei der Anwendung von Brückenüberwachung wird oft das Ziel der Früherkennung von Schäden verfolgt, um eventuell eine Warnung auszusenden und risikoreduzierende Maßnahmen einzuleiten. In diesem neuen System „Brücke-Überwachung-Maßnahme“ spielt die Zuverlässigkeit der Überwachungsanlage eine wichtige Rolle. Wenn ein bestimmtes Niveau der operativen Zuverlässigkeit gewährleistet werden soll, muss u.a. die Frage der Zuverlässigkeit des Überwachungssystems beantwortet werden. Zu diesem Zweck wurde eine Umfrage unter erfahrenen Betreibern von Überwachungssystemen durchgeführt und Daten über die Ausfallraten verschiedener Komponenten wurden gesammelt. Die gewonnenen Informationen wurden statistisch evaluiert und probabilistische Verteilungen für Ausfallraten verschiedener Komponenten wurden ermittelt. Diese Untersuchung liefert Basisdaten, die verwendet werden können, um die Zuverlässigkeit von Überwachungssystemen abzuschätzen, wenn keine spezifischeren Informationen über das verwendete Überwachungssystem vorhanden sind. 1. Einführung Die messtechnische Überwachung der Brückentragwerke dient der kontinuierlichen Erfassung von Messgrößen, die für die Erhaltungsplanung oder die Nutzung des Tragwerks relevante Informationen liefern. Die klassische Art der Anwendung von Überwachungssystemen sieht vor, die Entwicklung von bekannten Tragwerksschäden (z.B. Risse, Setzungen) zu verfolgen. Dies ist eine Weiterentwicklung der Einzelmessungen bei Sonderprüfmethoden im Zuge von Tragwerksprüfungen. Weiterhin wurde versucht, auch aus Messdaten von unbeschädigten Tragwerken Indikatoren abzuleiten, die auf potenzielle Degradation des Tragwerks hinweisen. Hier wurden verschiedene Methoden entwickelt, die meistens auf Vibrationsdaten [1] oder gemessenen Dehnungen [2], [3] basieren und hauptsächlich einen qualitativen Charakter haben. Um den Zustand des Tragwerks auch quantitativ zu bewerten, ist i.d.R. ein Vergleich mit simulierten Schädigungsszenarien notwendig, wie die Literaturbeispiele basierend auf Dehnungsdaten [4] oder Vibrationsdaten [5] zeigen. Neben der Erfassung des Brückenverhaltens im Normalbetrieb werden Überwachungssysteme auch zur Feststellung der Brückenantwort bei Extremereignissen, sowie zur Verifikation der Ausführung vor allem nach Sanierungsarbeiten [6] verwendet. Schon lange etabliert ist die Überwachung im Bau, wo die gemessene Brückendeformation den Bauprozess direkt beeinflusst. Insbesondere ist hier die Funktion als Frühwarnsystem bei unplanmäßigen Tragwerkszuständen von Wichtigkeit. Im Normalbetrieb kann ein Überwachungssystem auch als Frühwarnsystem verwendet werden, wenn das kritische Ereignis ein Ankündigungsverhalten hat (d.h. nicht plötzlich auftritt), welches eine Reaktion innerhalb einer angemessenen Zeit erlaubt. Dies ist oft bei Setzungsproblemen der Fall, oder auch bei Rissentwicklung im Stahlbeton. Wenn das kritische Ereignis nicht von der Brückendegradation abhängt, sondern ausschließlich von der Verkehrslast bestimmt wird, müssten die Verkehrslasten in ausreichendem Abstand vor der Brücke gemessen werden, um die Ankunft der überkritischen Verkehrslast an der Brücke rechtzeitig zu verhindern. Diese Problematik wurde z.B. für den Grenzzustand des Kippens bei 1-stützigen Brückenpfeilern in [7] untersucht. Ein Monitoring-basiertes Frühwarnsystem kann in Kombination mit entsprechenden Maßnahmen, die nach Überschreitung der Warnschwelle gesetzt werden, ein 340 4. Brückenkolloquium - September 2020 Über die Zuverlässigkeit von Monitoring-basierten Frühwarnsystemen für Brücken kritisches Ereignis (z.B. Tragwerksversagen) verhindern. Daher beeinflusst ein funktionierendes Frühwarnsystem die Versagenswahrscheinlichkeit der Brücke. Mit der Quantifizierung dieses Einflusses hat sich das Forschungsprojekt [8] beschäftigt, welches auch die Grundlage und Datenbasis für den hier präsentierten Beitrag liefert. Bei der Quantifizierung des Einflusses von Frühwarnsystemen auf die Versagenswahrscheinlichkeit muss auch die Zuverlässigkeit des Frühwarnsystems selbst berücksichtigt werden, denn Überwachungssysteme unterliegen auch Störungen und Ausfällen. Daher muss auch der Fall berücksichtigt werden, wenn das Monitoringsystem temporär nicht funktioniert. Wie zuverlässig die Komponenten eines Monitoringsystems sind, wird in diesem Beitrag gezeigt. 2. Überwachung und Tragwerkszuverlässigkeit In diesem Abschnitt wird schemenhaft der Einfluss von Brückenüberwachung auf die operative Zuverlässigkeit des Tragwerks dargestellt (Bild 1). Aus den Messdaten des Überwachungssystems wird laufend ein Indikator des Brückenzustands ermittelt, der mit der Tragwerkszuverlässigkeit β zusammenhängt. Im Falle der Überschreitung einer Warnschwelle (I warn ) wird eine Warnung ausgelöst und eine entsprechende Maßnahme zur Risikominderung wird eingeleitet. Dazu bietet sich eine Verkehrsbeschränkung oder Brückensperre an. Zwischen den Zeitpunkten der Warnungsauslösung (τ warn ) und der Maßnahmenumsetzung (τ action ) kann sich die Tragwerksschädigung weiterentwickeln. Deshalb sollte die Maßnahme möglichst schnell umgesetzt werden, damit die Zuverlässigkeit nicht den Grenzwert β lim unterschreitet. Bild 1: Schema des Zusammenhangs zwischen Indikator und Tragwerkszuverlässigkeit, sowie der Einfluss der eingeleiteten Maßnahme Durch die temporäre Verkehrsbeschränkung / Brückensperre wird die Tragwerkszuverlässigkeit erstmal nur durch Lastminderung gesteigert (Zeitpunkt τ action ), bis eine Verstärkung oder Sanierung des Tragwerks die Aufnahme des Vollbetriebs wieder erlaubt. Damit die Tragwerkszuverlässigkeit gewährleistet werden kann, muss auch der Fall der Funktionsstörung des Überwachungssystems berücksichtigt werden. Im Falle einer Störung kann der Indikator nicht ermittelt werden, wodurch sich der Zeitpunkt der Maßnahmenumsetzung τaction deutlich verzögern kann, weil die Auslösung der Warnung fehlt. Während bei einer funktionierenden Anlage die Maßnahme innerhalb von wenigen Stunden umgesetzt werden kann, wird bei einer Störung diese Zeit bis auf mehrere Wochen ausgedehnt. Dies beeinflusst die operative Zuverlässigkeit des Systems Brücke-Überwachung-Maßnahme. Deshalb sollten die Störungen möglichst selten vorkommen und deren Behebung möglichst kurz dauern. Die Ausfallsraten der Geräte sowie die Reparaturzeiten werden im Abschnitt 5 dargestellt. 3. Zuverlässigkeit der Messgeräte Über die Zuverlässigkeit der Messgeräte und Messketten sind in der Literatur nur spärliche Informationen zu finden. Das Projekt „Sustainable Bridges“ [9] hat ein Konzept für die Zuverlässigkeit der Messanlagen vorgestellt, in dem die wichtigsten Größen und Zusammenhänge erläutert sind. Aus dieser Quelle wurden die Bezeichnungen und Gleichungen übernommen. Hier ist die Zuverlässigkeit eines Sensors R(t) als die Wahrscheinlichkeit, dass der Sensor zum Zeitpunkt t noch nicht ausgefallen ist, definiert (Gl. 1). Dabei ist der Zeitpunkt des tatsächlichen Sensorausfalls mit t f bezeichnet. Die Ausfallsrate h(t) ist der Anteil der noch funktionierenden Sensoren, die innerhalb einer Zeiteinheit versagen, d. h. Anzahl der Neuausfälle durch Anzahl der noch funktionierenden Sensoren. Der Zusammenhang zwischen Ausfallsrate h(t) und Zuverlässigkeit R(t) ist durch Gl. 2 gegeben. Gl. 1 Gl. 2 Gl. 3 Obwohl es anzunehmen ist, dass die Ausfallsrate aufgrund der Abnutzung mit der Zeit steigt, wird oft einfachheitshalber eine konstante Ausfallsrate benützt. Bei einer konstanter Ausfallsrate h(t)=λ ergibt sich eine exponentielle Funktion der Sensorzuverlässigkeit (Gl. 3). Diese zwei Fälle sind beispielhaft im Bild 2 dargestellt, wobei der Fall 1 eine steigende und der Fall 2 eine konstante Ausfallsrate (hier λ=3%/ Jahr) annimmt. 4. Brückenkolloquium - September 2020 341 Über die Zuverlässigkeit von Monitoring-basierten Frühwarnsystemen für Brücken Bild 2: Zwei Beispiele des Zusammenhangs zwischen Sensorzuverlässigkeit R und Ausfallsrate h. Weitere wichtige Kennzahlen sind die mittlere Dauer zwischen Ausfällen (MTTF - mean time to failure) und die mittlere Reparaturdauer (MTTR - mean time to repair), aus denen sich die Betriebsbereitschaft (A) ableitet. Die mittlere Dauer zwischen Ausfällen ergibt sich aus der Sensorzuverlässigkeit (Gl. 4) und bei konstanter Ausfallsrate gleicht sie dem Kehrwert der Ausfallsrate (Gl. 5). Die Betriebsbereitschaft A (Gl. 6) beschreibt den Anteil der Zeit, in der der Sensor funktionsfähig ist. Gl. 4 Gl. 5 Gl. 6 Um dieses Konzept anwenden zu können, werden konkrete Werte der Ausfallsraten benötigt. Da diese in der Literatur nicht zu finden waren, wurde eine Umfrage zur Erhebung der nötigen Daten durchgeführt. 4. Erhebung der Erfahrungswerte durch Umfrage Die Umfrage wurde an die Anbieter von Überwachungsdienstleistungen gerichtet, die Dauerüberwachungsanlagen betreiben, und daher Erfahrungen über die tatsächlichen Ausfallraten der Brückenmonitoringsysteme besitzen. Diese Umfrage wurde web-basiert durchgeführt. Es konnten Antworten von 17 Dienstleistern aus Österreich, Deutschland, Portugal, Belgien, Niederlande und Kroatien gesammelt werden. In dieser Umfrage wurden insbesondere die Erfahrungen mit Ausfallsraten einzelner Komponenten der Überwachungsanlagen abgefragt. Neben den Erfahrungen mit verschiedenen Sensortypen wurde hier auch auf die Ausfallsraten anderer Komponenten, wie z.B. Signalwandler, Industrie-PC und der Fernkommunikation, eingegangen. Weiterhin wurden auch Informationen zur geschätzten Reparaturdauer gesammelt, sowie Informationen über die Erfahrung der Dienstleister, wie z.B. die Anzahl der bisher betriebenen Anlagen. Um die Umfrage benutzerfreundlich zu gestalten, wurden die Antwortsoptionen in Form von Wertebereichen vorgegeben. Zum Beispiel bei der Frage „Gemäß Ihrer Erfahrung, wie hoch ist die jährliche Ausfallsrate vom Sensortyp …? “ wurden 5 Antwortsoptionen geboten: a) weniger als 1%, b) 1-2%, c) 2-4%, d) 4-8%, e) mehr als 8%. Bei der Auswertung wurde dann programmintern jedem gebotenen Wertebereich eine probabilistische Verteilung zugewiesen, die die jeweilige ausgewählte Antwort mathematisch beschreibt. Hierbei wurde die Beta-Verteilung benützt, mit einer definierten Unter- und Ober-grenze. Bild 3 zeigt die kumulativen Dichtefunktionen dieser Verteilungen, die den Antworten a) und c) zugewiesen wurden. Bild 3: Angenommene Verteilungen, die den Wertebereichen „weniger als 1%“ (links) und „2-4%“ (rechts) zugewiesen wurden. Unter anderem wurde auch die Frage: „Was ist die durchschnittliche Reparaturdauer eines Defektes? “ mit den Optionen: a) weniger als 1 Tag, b) 1-2 Tage, c) 3-6 Tage, d) 7-14 Tage, e) 15-30 Tage, gestellt. Neben den Ausfallsraten wurden auch Informationen über die Plausibilität der vorhandenen Messdaten erhoben, sowie über manche Folgen des Ausfalls von elektronischen Komponenten. In die letztere Kategorie gehörte z.B. die Frage: „Wenn ein Defekt an einem Signalwandler auftritt, wie viele Sensoren sind im Durchschnitt davon betroffen? “, die sich auf die Konnektivität der Sensoren mit Signalwandlern bezieht. 5. Auswertung der erhobenen Daten Bei der Auswertung der Umfrage wurden die Antworten aller Teilnehmer kombiniert, wobei sie mit der Anzahl der bisher betriebenen Anlagen jedes Teilnehmers gewichtet wurden. Somit sind die Antworten der Dienstleister mit größerer Erfahrung entsprechend stärker ins Gewicht gefallen. Programmintern wurden die Antworten zunächst in probabilistische Verteilungen umgewandelt, aus denen 342 4. Brückenkolloquium - September 2020 Über die Zuverlässigkeit von Monitoring-basierten Frühwarnsystemen für Brücken Stichprobensätze erstellt wurden. Diese wurden dann unter allen Umfrageteilnehmern kombiniert. Aus den so erstellten Daten wurden Histogramme gebildet, die in diesem Abschnitt unten dargestellt sind. Weiterhin wurde eine geeignete Verteilung an diese Daten angepasst, die diese Daten am besten repräsentiert. 5.1 Ausfallsraten Die Bedeutung der Ausfallsrate wurde im Abschnitt 3 beschrieben. Wenn z.B. eine Komponente eine Ausfallsrate von 5 % pro Jahr hat, ist mit ihrem Ausfall nach ca. 20 Betriebsjahren (durchschnittlich) zu rechnen. In den unten gezeigten Bildern wird pro Sensortyp das Histogramm der Erfahrungswerte aus Umfragen, sowie die darauf angepasste Verteilung gezeigt. Für numerische Beschreibung der gezeigten Verteilungen wird auf den Bericht [8] verwiesen. Hier ist anzumerken, dass diese Ausfallsraten nicht rein die Langlebigkeit der Produkte beschreiben, sondern auch die Qualität der Montage, Einfluss der Umgebungsbedingungen, sowie unvorgesehene Ereignisse miteinschließen. Bild 4, Bild 5 und Bild 6 zeigen jeweils die Erfahrungswerte der Ausfallsraten von Vibrationssensoren, Dehnmessstreifen (DMS) und anderen Dehnungssensoren. Bild 4: Verteilung der Ausfallsraten für Beschleunigungsaufnehmer (links) und Geophone (rechts). Bild 5: Verteilung der Ausfallsraten für geklebte (links) und verschraubte (rechts) Dehnmessstreifen. Bild 6: Verteilung der Ausfallsraten für Schwingsaitensensoren (links) und optische Fasern (rechts). Dass hier die Montagequalität miteinbegriffen ist, ist am besten am Bild 5 sichtbar, welches die geklebten und verschraubten DMS vergleicht. Bei geklebten DMS ist das Risiko von Fehlern bei der Montage an der Brücke höher als bei verschraubten DMS. Das spiegelt sich deutlich an den Ausfallsraten wider. Die Erfahrungen verschiedener Betreiber unterschieden sich in manchen Fällen deutlich. Dies ist z.B. am Histogramm der Ausfallsraten für Schwingsaitensensoren (Bild 6 links) ersichtlich. Hier sind zwei Wertegruppen zu erkennen: erste im Bereich 2-4 %, zweite im Bereich über 8 %. Der Grund für diese unterschiedlichen Erfahrungen einzelner Betreiber ist leider nicht bekannt. Konsistent niedrig wurden die Ausfallsraten der Neigungs- und Temperatursensoren bewertet (Bild 7). Bild 7: Verteilung der Ausfallsraten für Neigungssensoren (links) und Temperatursensoren (rechts). Der Vergleich zwischen induktiven Wegaufnehmern und Laserdistanzsensoren (Bild 8) spricht zugunsten der kontaktlosen Messtechnik. 4. Brückenkolloquium - September 2020 343 Über die Zuverlässigkeit von Monitoring-basierten Frühwarnsystemen für Brücken Bild 8: Ausfallsraten für induktive Wegaufnehmer (links) und Laserdistanzsensoren (rechts). Stärker als durch Ausfälle der Sensoren wird die Zuverlässigkeit der Überwachungsanlage durch Ausfälle von elektronischen Komponenten beeinflusst. Dazu gehören Signalwandler, Industrie-PCs und Modems. Die Ausfälle dieser Komponenten sind vor allem der Langlebigkeit dieser Produkte zuzuschreiben, die den wechselnden Umgebungsbedingungen (Temperatur, Feuchtigkeit) standhalten müssen. Im Bild 9 sind die Ausfallsraten der Industrie-PCs und der Fernkommunikation (Modems) dargestellt. Beim Ausfall des Industrie-PCs, der die Sensordaten sammelt, kann es auch zum Datenverlust kommen, abhängig von der Beschädigung der Festplatte. Die Ausfälle der Fernkommunikation kommen häufiger vor, bedeuten i.d.R. aber keinen Datenverlust, sondern eine Verzögerung in der Datenlieferung. Bild 9: Verteilung der Ausfallsraten für Industrie-PCs (links) und die Fernkommunikation (rechts). Die Erfahrungswerte zeigen, dass die Signalwandler seltener ausfallen (Bild 10 links) als Industrie-PCs oder Modems. Neben ihrer Ausfallsrate ist hier auch die Anzahl der betroffenen Sensoren wichtig, denn an einen Signalwandler sind i.d.R. mehrere Sensoren angeschlossen. Am kritischsten ist jedoch der Ausfall des Industrie-PCs, weil er den Gesamtausfall der Anlage verursacht. Bild 10: Verteilung der Ausfallsraten für Signalwandler (links) und die Anzahl der davon betroffenen Sensoren (rechts). 5.2 Ungültige und fehlende Daten Aufgrund der oben beschriebenen Ausfälle kommt es zur Unterbrechung der Datenaufzeichnung an einzelnen Sensoren oder in der gesamten Anlage. Bild 11 zeigt Erfahrungswerte über den geschätzten Gesamtanteil der Daten, der dadurch fehlt. Bild 11: Erfahrungswerte über den Gesamtanteil der fehlenden Daten. Zusätzlich können durch unterschiedliche Störungen ungültige Daten auftreten. Am häufigsten kommt hier die Überschreitung des Messbereichs vor, es können aber auch elektrische Störungen in der Übertragung der Analogsignale oder mechanische Störungen an der Sensorhalterung vorkommen. Bild 12 zeigt beispielhaft die erhobenen Erfahrungswerte über Anteil der ungültigen Daten an zwei Sensortypen. 344 4. Brückenkolloquium - September 2020 Über die Zuverlässigkeit von Monitoring-basierten Frühwarnsystemen für Brücken Bild 12: Erfahrungswerte über den Anteil von ungültigen Daten an Laserdistanzsensoren (links) und Neigungssensoren (rechts). 5.3 Verfügbarkeit Eine der wichtigsten Größen, die die Verfügbarkeit bestimmen, ist neben der Ausfallsraten die Reparaturdauer. Es wird angenommen, dass beim Auftreten einer Störung der Überwachungsanlage die Beseitigung der Störung umgehend eingeleitet wird. Die Umfrageteilnehmer haben in ihren Kommentaren angemerkt, dass die Reparaturdauer sehr unterschiedlich sein kann, abhängig von der Art des Defektes, und insbesondere vom Lagerbestand der Ersatzteile. Nichtsdestotrotz muss eine Annahme über eine voraussichtliche Reparaturdauer getroffen werden. Bild 13 zeigt die durch die Umfrage erhobenen Erfahrungswerte. Es zeigt sich, dass viele Störungen innerhalb einer Woche behoben werden können, aber in einigen Fällen sich die Reparatur über mehrere Wochen hinzieht. Bild 13: Erfahrungswerte über die Reparaturdauer. Aus diesen Daten ergab sich eine mittlere Reparaturdauer von MTTR = 8,42 Tage. Weiterhin wurden aus den erhobenen Daten mittlere Ausfallsraten bestimmt, und durch dessen Kehrwert wurde die mittlere Dauer zwischen Ausfällen (MTTF) berechnet. Daraus wurde die Verfügbarkeit (A) berechnet. Diese Werte sind in der Tabelle 1 gelistet. Tabelle 1: Verfügbarkeit von Komponenten Komponente MTTF [Jahre] A [%] Beschleunigungssens. 72,0 99,968 Geophon 118,7 99,981 Neigungssensor 74,2 99,969 Induktiver Wegaufn. 48,2 99,952 Laserdistanzsensor 98,3 99,977 DMS geklebt 15,1 99,847 DMS verschraubt 92,9 99,975 Optischer Dehnungs. 58,6 99,961 Schwinsaitensensor 26,4 99,913 Temperatursensor 82,1 99,972 Industrie-PC 29,1 99,921 Signalwandler 50,6 99,955 Hier ist anzumerken, dass dies die Verfügbarkeit der Komponenten darstellt, aber noch nicht die Verfügbarkeit der Daten. Bei der Bestimmung der Verfügbarkeit von Daten muss die gesamte Messkette berücksichtigt werden, in der sich ein Ausfall jedes Elementes auf die Datenverfügbarkeit auswirkt. 6. Schlussfolgerungen Der Bedarf, Dauerüberwachungssysteme für Brücken zum Auslösen von sicherheitsrelevanten Maßnahmen einzusetzen, stellt neue Fragen auf. Diese beziehen sich insbesondere auf das garantierte Sicherheitsniveau des neuen Systems „Brücke-Überwachung-Maßnahme“, und folglich auf die Zuverlässigkeit des Überwachungssystems selbst. Dieser Beitrag befasste sich mit der Zuverlässigkeit verschiedener Komponenten einer Dauerüberwachungsanlage, und hat somit Teilaspekte dieses Problems beleuchtet. Basierend auf Erfahrungswerten, die unter Betreibern der Anlagen gesammelt wurden, wurden Ausfallsraten verschiedener Sensortypen und anderen Komponenten vorgestellt. Hierbei zeigte sich, dass auch die Montageart die Ausfallsraten beeinflusst. Beispielsweise die geklebten DMS, deren Anbringung an Brücken oft problematisch ist, zeigten auch die größten Ausfallsraten. Verschiedene Betreiber haben in manchen Fällen sehr unterschiedliche Erfahrungswerte berichtet, wie z.B. im Falle von Schwingsaitensensoren. Den größten Einfluss auf die Zuverlässigkeit der Überwachungsanlage haben aber die elektronischen Komponenten der Datenerfassung und Fernkommunikation. Deshalb sollte hier bei der Umsetzung der Überwa- 4. Brückenkolloquium - September 2020 345 Über die Zuverlässigkeit von Monitoring-basierten Frühwarnsystemen für Brücken chungsanlage besonders auf die Langlebigkeit dieser Komponenten geachtet werden. Die mittlere Reparaturdauer einer Störung an der Überwachungsanlage wurde hier mit ca. 8 Tagen bestimmt. Für eine schnelle Reparatur ist insbesondere die Verfügbarkeit von Ersatzteilen wichtig. Die erhobenen Werte liefern eine Datenbasis, die bei der Bestimmung der Zuverlässigkeit von Dauerüberwachungssystemen eingesetzt werden kann. Die hier vorgestellten Werte wurden aus einer relativ breiten Sammlung an Erfahrungswerten ausgewertet, und eignen sich insbesondere dann zum Einsatz, wenn keine genaueren Angaben zu der im konkreten Fall eingesetzten Überwachungsanlage vorhanden sind. Es versteht sich von selbst, dass wenn spezifischere Daten zu der Anlage im Einsatz vorhanden sind, diese vorzuziehen sind. Diese könnten z.B. aus langjährigen Störungsprotokollen von Überwachungsanlagen eines Betreibers oder eines bestimmen Anlagentyps stammen. Danksagung Das Forschungsprojekt, aus dem dieser Beitrag entstanden ist, wurde durch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) finanziert. Die Autoren bedanken bei BASt für die Unterstützung und das entgegengesetzte Vertrauen. Literatur [1] S. Maas, A. Zürbes, D. Waldmann, M. Waltering, V. Bungard, G. De Roeck: Damage assessment of concrete structures through dynamic testing methods. Part 2: Bridge tests, Engineering Structures vol. 34, 2012, p. 483-494. [2] Y.Y. Li: Hypersensitivity of strain-based indicators for structural damage identification: A review, Mechanical Systems and Signal Processing vol. 24, 2010, p. 653-664. [3] A. J. Reiff, M. Sanayei, R. M. Vogel: Statistical bridge damage detection using girder distribution factors, Engineering Structures vol. 109, 2016, p. 139-151. [4] S.-Z. Chen G. Wua, D.-C. Feng: Damage detection of highway bridges based on long-gauge strain response under stochastic traffic flow, Mechanical Systems and Signal Processing vol. 127, 2019, p. 551-572. [5] F. Magalh-es, A. Cunha, E. Caetano: Vibration based structural health monitoring of an arch bridge: From automated OMA to damage detection, Mechanical Systems and Signal Processing, 2011. [6] Y. Fujino, D. M. Siringoringo, Y. Ikeda, T. Nagayama, T. Mizutani: Research and Implementations of Structural Monitoring for Bridges and Buildings in Japan, Engineering vol. 5, 2019, p. 1093-1119. [7] L. Ge, D. Dan, X. Yan, K. Zhang: Real time monitoring and evaluation of overturning risk of single-column pier box-girder bridges based on identification of spatial distribution of moving loads, Engineering Structures vol. 210, 2020, https: / / doi. org/ 10.1016/ j.engstruct.2020.110383 [8] M. Ralbovsky, D. Prammer, S. Lachinger, A. Vorwagner: Verfahren und Modelle zur Quantifizierung der Zuverlässigkeit von dauerüberwachten Bestandsbrücken, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft B 151, Bergisch Gladbach, Mai 2020, ISBN 978-3-95606-505-7. [9] B. Luczynski, P.H. Nielsen, F.S. Collette, Deliverable D5.2-S4: Estimating Reliability of Monitoring Systems for Bridges, FP6-project “Sustainable Bridges”, contract no. TIP3-CT-2003-001653, 2007. Verstärkung 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 349 Nachträgliche Querkraftverstärkung von Brückentragwerken mit Betonschrauben Jürgen Feix Universität Innsbruck, Innsbruck, Österreich Johannes Lechner Prof. Feix Ingenieure, München, Deutschland Zusammenfassung In den letzten Jahrzehnten haben sich auf der einen Seite die Brückenlasten und auf der anderen Seite auch das Verkehrsaufkommen auf mitteleuropäischen Hauptverkehrswegen drastisch erhöht. Berücksichtigt man das durchschnittliche Alter des Großteils des Brückenbestandes von 40 - 50 Jahren, so ergibt sich eine bedeutende Zahl an instandzusetzenden bzw. zu verstärkenden Infrastrukturbauwerken. Wie zahlreiche Untersuchungen und Erfahrungen aus Nachrechnungen zeigen, ergeben sich sehr häufig Defizite an vorhandener Querkraftbewehrung in Bestandsbrücken. Aus diesem Grund wurde in den letzten Jahren an Universität Innsbruck ein neues Verstärkungsverfahren der nachträglichen Querkraft- und Durchstanzverstärkung entwickelt. Dieses neue Verfahren basiert auf der Nutzung von modifizierten Betonschrauben, die aus der Verankerungstechnik bekannt sind, als nachträgliche Bewehrung. In Versuchen konnte die hervorragende Eignung des Systems gezeigt werden und auf den Versuchsergebnissen aufbauend ein Bemessungsmodell auf Basis des Eurocode 2 Bemessungskonzeptes abgeleitet werden. Somit war es möglich in den letzten Jahren einige Pilotprojekte in Deutschland und Österreich an Infrastrukturbauten umzusetzen. Dabei konnte gezeigt werden, dass das System durch die Möglichkeit des Einbaus von einer Seite und die sehr schnelle Installation auch unter laufendem Betrieb des Tragwerks durchgeführt werden kann. Im September 2019 wurde nun für das neue Verfahren eine bauaufsichtliche Zulassung des Deutschen Instituts für Bautechnik erteilt, die auch für dynamisch beanspruchte Tragwerke, wie Brücken gilt. Damit wird diese neue Verstärkungstechnologie einem breiten Anwenderkreis zugänglich gemacht. 1. Einleitung Ein Großteil der vorhandenen Brückentragwerke der zentraleuropäischen Staaten wurde in den Jahren zwischen 1960 und 1990 errichtet (vgl. [1]). Die Brückentragwerken an den deutschen Bundesfernstraßen sind mit über 45 % der Bauwerksflächen heute zwischen 60 und 40 Jahre alt. Eine Betrachtung der verwendeten Materialwahl bei diesen Brücken der Deutschen Bundesanstalt für Straßenwesen [1] zeigt, dass der überwiegende Teil fast 90 % der Tragwerke in den Bauweisen Stahlbeton- oder Spannbeton errichtet wurde. Neben dem zunehmenden Alter der Brückeninfrastruktur im zentral-europäischen Raum spielt aber auch die Steigerung des Verkehrsaufkommens und speziell das des Schwerverkehrs eine bedeutende Rolle für Verschlechterung der Brückeninfrastruktur. So zeigt etwa das Beispiel der Brennerautobahn in Österreich, welche Ende der 1970er Jahre errichtet wurde, sehr deutlich, dass sich die Lasten auf die Infrastruktur seit Inbetriebnahme massiv gesteigert haben. Abbildung 1 zeigt die Verzehnfachung der transportierten Güter über den Brennerpass seit Ende der 1970er Jahre. Abbildung 1: Entwicklung der transportierten Güter über den Brenner-Pass in Österreich, nach [2] 350 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachträgliche Querkraftverstärkung von Brückentragwerken mit Betonschrauben Ähnlich kann der Verkehrsstatistik der Bundesanstalt für Straßenwesen [3] entnommen werden, dass auch auf deutschen Fernstraßen das durchschnittliche Verkehrsaufkommen zwischen 1960 und heute von etwa 7000 auf knapp 50 000 KFZ/ 24 h angestiegen ist. Mit dieser massiven Zunahme des Verkehrs geht auch eine deutliche Zunahme der Lasten einher, welche auf die vorhandenen Tragwerke einwirkt. Insbesondere durch den wachsenden Schwerverkehr und neue größere Güterfahrzeuge. Abbildung 2: Entwicklung der Zustandsnoten der Brücken an Deutschen Bundesfernstraßen zwischen 2000 und 2015, aus [4] und [5] Durch die zunehmende Alterung der Infrastruktur und die gleichzeitige steigende Belastung hat sich in den letzten Jahren der Zustand der Infrastrukturbauwerke vor allem durch übermäßigen Verschleiß deutlich verschlechtert, wie die Abbildung 2 zeigt. Hier ist allen voran erkennbar, dass der Anteil der mit gut oder sehr-gut bewerteten Brücken in den letzten Jahren kontinuierlich abgenommen hat. Untersuchungen wie etwa [6] und [7], welche sich mit der Nachrechnung von Bestandsbrücken im Zuge der neuen Normenansätze infolge der Einführung der Eurocode-Serie beschäftigten, zeigen, dass bei der Nachrechnung von Bestandsbrücken zahlreiche Tragfähigkeitsdefizite auftreten. Große Defizite ergeben sich vor allem im Bereich der Querkrafttragfähigkeit, wie die Untersuchungen in [6] zeigen. Darin wird dargestellt, dass von 142 untersuchten Brückentragwerken 72 Bauwerke Defizite im Bereich der Querkraftragfähigkeit auf Basis der aktuellen Normung aufweisen. Vor diesem Hintergrund ergibt sich für diese Tragwerke ein enormer Verstärkungsbedarf, um solche Bauwerke weiterhin im Netz halten zu können. Um diese Defizite an vorhandener Querkraftbewehrung in bestehenden Strukturen auszugleichen braucht es innovative Verstärkungssysteme. Diese müssen nicht nur eine hohe Verstärkungswirkung bei geringem Einsatz an Verstärkungselementen aufweisen, sondern auch eine möglichst schnelle und einfache Installation ermöglichen. Idealerweise soll die Verstärkung von der Unterseite in das Tragwerk eingebaut werden können, um den Verkehr am Tragwerk nicht einzuschränken. Zudem kann dadurch ein kostspieliger Abtrag des Fahrbahnaufbaus und der Abdichtung verhindert werden. 2. Betonschrauben als Verstärkungselement Der Einsatz von Betonschrauben als nachträgliche Querkraft- und Durchstanzverstärkung kann diese Erfordernisse erfüllen. Daher wurde in den vergangenen zehn Jahren an der Universität Innsbruck an diesem neuen Verstärkungssystem geforscht und in zahlreichen Versuchsserien anhand von Bauteilversuchen die Eignung der Schrauben als nachträgliche Bewehrung untersucht (vgl. [8] - [11]). Auf Basis dieser Untersuchungen wurden im September 2019 zwei bauaufsichtliche Zulassungen für das System durch das Deutsche Institut für Bautechnik erteilt. Die Zulassungen Z-15.1-339 [12] bzw. Z-15.1-344 [13] regelt den Einsatz der Betonschrauben als nachträgliche Querkraftbewehrung, die Zulassungen Z-15.1-340 [14] bzw. Z-15.1-345 [15] den Einsatz als nachträgliche Durchstanzverstärkung. 2.1 Tragwirkung der Betonschrauben Betonschrauben sind seit Beginn der 1990er Jahre als Verankerungselement in Stahlbetonstrukturen bekannt und wurden in den vergangenen Jahren vermehrt eingesetzt. Ein großer Vorteil von Betonschrauben gegenüber anderen Ankermitteln sind die schnelle Installation und die sofortige Belastbarkeit, welche sich durch den mechanischen Verbund der Schraube mit der Betonstruktur ergibt. Betonschrauben werden in ein vorgebohrtes Loch mit entsprechendem Durchmesser eingedreht und schneiden sich dabei ein Gewinde in die Bohrlochwandung, wodurch eine Verzahnung mit dem Beton erzeugt wird. Damit ergibt sich eine kraftschlüssige Verbindung, die sofort belastet werden kann, wie in Abbildung 3 ersichtlich ist. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 351 Nachträgliche Querkraftverstärkung von Brückentragwerken mit Betonschrauben Abbildung 3: Tragwirkung der Betonschrauben als Kombination aus mechanischem und Klebeverbund Um die Tragfähigkeit der Betonschrauben weiter zu erhöhen, wurden die sogenannten Verbundankerschrauben entwickelt, bei denen ein Vinylesthermörtel vor dem Eindrehen der Schrauben in das Bohrloch injiziert wird. Damit wird der existierende Ringspalt zwischen Schraube und Beton verfüllt, was durch die größere Auflagefläche des Gewindes und den Klebeverbund (vgl. Abbildung 3) zu größeren Traglasten führt. Der Auszugswiderstand der Schrauben kann mittels Verklebung um etwa 40 % gesteigert werden, wie auch in [16] gezeigt wird. 2.2 Betonschrauben für die Tragwerksverstärkung Diese Verbundankerschrauben werden für den Einsatz als nachträgliche Querkraft- und Durchstanzverstärkung in etwas modifizierter Art gemäß den Zulassungen verwendet. Abbildung 4 Betonschrauben nach den bauaufsichtlichen Zulassungen [12] - [15] zur Anwendung als nachträgliche Querkraft- und Durchstanzverstärkung Für den Einsatz als nachträgliches Bewehrungselement, welche eine Rückverankerung der eingeleiteten Kraft am hinteren Ende der Schraube erfordert, wurden Rückverankerungselemente entwickelt, wie Abbildung 4 zeigt. Dies wird über eine Unterlegplatte mit einer Keilsicherungsfederscheibe und eine Mutter am ISO-Gewinde der Schraube an der Außenseite des Tragwerks ausgeführt. Über die Mutter an der Außenseite ist es auch möglich eine Vorspannung in der Schraube durch Andrehen zu erzeugen Gemäß der Zulassungen sind die Schraubentypen TSM- 22 und TSM-16, welche sich hinsichtlich des Bohrlochnenndurchmessers (d 0 = 22 mm bzw. d 0 = 16 mm) unterscheiden, als nachträgliche Verstärkungselemente zugelassen. Die Länge der Schrauben kann an das jewei- 352 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachträgliche Querkraftverstärkung von Brückentragwerken mit Betonschrauben lige Verstärkungsprojekt angepasst werden und ist in den Zulassungen über die maximale Bohrlochtiefe (200 cm für die Querkraftverstärkung, 100 cm für die Durchstanzverstärkung) begrenzt. Bei Bohrungen über 170 mm für die TSM-16 bzw. 210 mm für die TSM-22 Schrauben sind Stufenbohrungen auszuführen, um das korrekte Eindrehen der Schrauben zu gewährleisten. Alle Schrauben des zugelassenen Systems werden aus Stahl mit einer charakteristischen Fließspannung von mindestens f ywk = 500 MPa gefertigt und mit einem speziellen Korrosionsschutzsystem versehen. Dieser Schutz gewährleistet eine Korrosionsschutzklasse nach C5-I gemäß DIN EN ISO 12944-6. Diese Korrosionsschutzklasse ermöglicht somit auch den Einsatz des Systems in stark korrosiven Umgebungen, wie z.B. auf Brücken bei Einsatz von Tausalz. Die Verwendung des des Verbundmörtels erhöht den Korrosionsschutz durch die Verfüllung des Ringspaltes zusätzlich. 3. Wissenschaftliche Untersuchungen zur Zulassung Als Ergebnis eines Vergleichs der Eigenschaften verschiedenster Verankerungselemente, wurden Betonschrauben aufgrund ihres mechanischen Verbundes, der schnellen und einfachen Installation und der hohen Tragfähigkeit als ideales nachträgliches Bewehrungselemente identifiziert. Um die Eignung der Schrauben als nachträgliche eingebaute Bewehrung zu zeigen wurden in den letzten Jahren insgesamt 5 Versuchsreihen zur nachträglichen Querkraft- und 4 Versuchsreihen zur nachträglichen Durchstanzverstärkung mit über 80 einzelnen Bauteilversuchen durchgeführt. 3.1 Durchstanzversuche Die generelle Eignung des Systems konnte bereits 2012 anhand von ersten Durchstanzversuchen eindrucksvoll nachgewiesen werden, wie zum Beispiel in [17] gezeigt wird. Dazu wurden Versuchsplatten mit einer Plattenstärke von 20 cm und einem Durchmesser von 2,7 m hergestellt. An diesen Platten wurde ein Stützenstummel vorgesehen, über welchen im Versuch mittels einer hydraulischen Presse die Durchstanzlast aufgebracht wurde. Über eine Rückverankerung an den Plattenrändern konnte so eine Durchstanzbeanspruchung einer Stahlbetonplatte auf einer Stütze als Ausschnitt abgebildet werden. Anhand dieser Versuche konnte gezeigt werden, dass je nach verwendeter Schraube und Installationsart die Traglaststeigerung bei Verwendung von 32 Schrauben im Versuch um bis zu 53 % gegenüber einem Versuch ohne Durchstanzbewehrung gesteigert werden konnte, wie auch die obere Grafik der Abbildung 5 zeigt. Abbildung 5: erzielte Traglaststeigerungen einiger durchgeführter Durchstanzversuche gegenüber Referenzversuchen ohne Durchstanzbewehrung mit dem reLAST Verstärkungssystem Auf Basis dieser Versuche wurden in den letzten Jahren im Zuge von zwei Forschungsprojekten weitere Durchstanzversuche mit Betonschrauben als nachträgliche Durchstanzverstärkung durchgeführt. Dabei wurden weitere Parameter untersucht, wie etwa die Verklebung der Schrauben, die Setztiefe der Schrauben, die Schraubenanzahl und der Längsbewehrungsgrad in den Probekörpern. Ebenfalls wurden mehrere Versuche mit zyklischen Lasten durchgeführt, wobei gezeigt werden konnte, dass bei Belastungen zwischen einem Drittel und der Hälfte der statischen Bruchlast bei zwei Millionen Lastwechseln kein Versagen infolge dynamischer Lasten eintritt. Erst bei Wiederbelastung mit statischen Lasten konnte nach der dynamischen Lasteinwirkung das Versagen der Versuchskörper herbeigeführt werden. Details zu diesen Versuchen und den Ergebnissen werden auch in [18] und [19] beschrieben und diskutiert. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 353 Nachträgliche Querkraftverstärkung von Brückentragwerken mit Betonschrauben 3.2 Querkraftversuche An der Universität Innsbruck wurden in 32 Versuchen die generelle Eignung des Systems experimentell auch unter dynamischen Lasten untersucht und ausgezeichnete Resultate für statische und dynamische Lasten erzielt (vgl [8], [9] und [10]). Zur Erlangung der Zulassung wurden weitere Versuche, speziell an Plattenstreifen erforderlich. Die Versuchsergebnisse dieser Versuche sind unter anderem in [20] diskutiert. Im Zuge des Zulassungsverfahrens wurden vom Gutachter zu den bereits durchgeführten 32 Versuchen der ersten drei Versuchsreihen weitere Versuche an Balken mit größerer Höhe und an Plattenstreifen gefordert. Daher wurden weitere Versuchsreihen durchgeführt, wobei die Balkenversuche an der Universität Innsbruck als Vierpunktbiegeversuch durchgeführt wurden. Hier wurden zwei Balkenhöhen von 32 cm und 44 cm untersucht, wobei der Schraubendurchmesser und die Setztiefe der Schrauben variiert wurden. Die erzielten Traglaststeigerung der Balkenversuche mit einer Höhe von 44 cm sind in Abbildung 6 dargestellt. Hier konnten maximale Traglaststeigerungen von bis zu 150 % gegenüber Versuchen ohne Querkraftbewehrung erzielt werden. Abbildung 6: Versuchsergebnisse der durchgeführten Querkraftversuche an Balken mit h = 44 cm zur Erlangung der bauaufsichtlichen Zulassung Die Versuche an den Plattenstreifen konnten aufgrund der hohen erforderlichen Prüflasten nicht in der Versuchsanstalt der Universität Innsbruck durchgeführt werden. Diese Versuche wurden daher im Labor der Universität der Bundeswehr in München an einer 10 MN Prüfmaschine durchgeführt. Abbildung 7 zeigt die Querkraft-Verformungskurven der durchgeführten Versuche an Plattenstreifen mit einer Breite von 88 cm und einer Höhe von 32 cm. Jede Platte war mit jeweils 12 Schrauben in verklebter Installation verstärkt, wobei der Schraubendurchmesser (TSM-22 und TSM-16) sowie die Installationstiefe variiert wurden. Die Installationstiefe wurde zum einen mit d = 29 cm so gewählt, dass die Spitze der Schraube auf Höhe der Oberkante der oberen Längsbewehrung lag, zum anderen mit d = 26 cm so, dass die Schraube unter der oberen Längsbewehrung lag. Abbildung 7: Versuchsergebnisse der durchgeführten Querkraftversuche an Plattenstreifen mit h = 32 cm zur Erlangung der bauaufsichtlichen Zulassung Die Versuchsergebnisse zeigen dementsprechend einen Einfluss der Verankerung unter oder auf Höhe der oberen Längsbewehrung, wie in Abbildung 7 ersichtlich ist. So liegt die erzielte Traglaststeigerung mit 90 % bei größerer Bohrlochtiefe deutlich über den erzielten 64 % Traglaststeigerung, wenn unter der oberen Längsbewehrung verankert wird. Nahezu identisch stellt sich dies bei Verwendung der Schrauben mit kleinerem Nenndurchmesser dar, wobei hier die erzielbaren Traglaststeigerungen mit 84 % bzw. 53 % generell etwas unter denen der Schrauben mit größerem Durchmesser liegen. 3.3 Bemessungskonzept Auf Basis der durchgeführten Versuche wurde sowohl für das System der Querkraftverstärkung als auch für die Durchstanzverstärkung ein Bemessungsmodell abgeleitet, welches in die Zulassung aufgenommen wurde. Beide Bemessungskonzepte basieren auf den Bemessungsmodellen des Eurocode 2 und somit auf der akutellen Normung für die Stahlbetonbemessung. Bei der Bemessung der erforderlichen Querkraftverstärkung wird das erweiterte Fachwerkmodell für die Bemessung von Betonstrukturen mit Querkraftbewehrung verwendet, wobei der nach Eurocode 2 variable Druckstrebenwinkel θ bei der Bemessung der Betonschraubenverstärkung mit θ = 45° fixiert wird. Ebenso wird der Winkel der Betonschrauben mit α = 90° gegenüber der Stablängsachse fest definiert. Der Nachweis der Betondruckstrebe V Rd.max des Fachwerkmodells erfolgt unter Berücksichtigung dieser beiden Winkel unverändert zu den Regelungen des EC 2. Der Nachweis der Zugstrebe V Rd.s, also der erforderlichen 354 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachträgliche Querkraftverstärkung von Brückentragwerken mit Betonschrauben Verstärkung, erfolgt ebenfalls mit der Gleichung des Eurocode 2 bei Beachtung der beiden genannten Winkel. Allerdings wird anstelle des vollen Bemessungswerts der Streckgrenze der Querkraftbewehrung eine effektive Fließspannung der Schrauben fywd.ef in der Bemessung verwendet. Da die Gleichung zur Ermittlung der Fließspannung aus den Versuchsergebnissen durch statistische Verfahren abgeleitet wurde, gehen darin über zwei Faktoren c 1 und c 2 der Schraubendurchmesser und die Verankerungstiefe ein, die einen wesentlichen Einfluss auf die Verstärkungswirkung haben, wie die Versuchsergebnisse gezeigt haben (vgl. Abbildung 6 und Abbildung 7). Bei der Bemessung der Durchstanzverstärkung mit dem reLAST-System wird ebenfalls das Bemessungskonzept des Eurocode 2 verwendet. Bei Überschreiten des Durchstanzwiderstandes des Betons V Rd.c darf der Durchstanzwiderstand V Rd.cs bis zu einer Größe von 1.4 • V Rd.c mit Verbundankerschrauben gesteigert werden. Dafür wird ähnlich zur Querkraftverstärkung ein effektiver Bemessungswert der Streckgrenze fywd.ef der Durchstanzbewehrungselemente ermittelt, welcher ebenfalls auf den Ergebnissen der durchgeführten Durchstanzversuche basiert und in den unter anderem der Schraubendurchmesser einfließt. Neben den Gleichungen zur Ermittlung der notwendigen Verstärkungselemente geben die Zulassungen ebenfalls Regelungen zur konstruktiven Anordnung der Verstärkung an, welche zum einen auf den Versuchsergebnissen, aber auch auf den konstruktiven Regeln des Eurocode 2 basieren. 4. Pilotprojekte Auf Basis der erzielten Erkenntnisse der Versuche und den daraus abgeleiteten Bemessungsmodellen konnten in den letzten Jahren bereits einige Pilotanwendungen mit den beiden neuen Verstärkungssystemen ausgeführt werden. Es zahlreiche Brücken aber auch Tiefbaubauwerke nachträglich erfolgreich verstärkt. 4.1 Biege- und Querkraftverstärkung einer Balkenbrücke Die Eisenbahnüberführung über die Bundesautobahn A70 wurde als zweifeldrige Spannbetonbrücke 1967 errichtet. Die Brücke wurde mittels des damals gebräuchlichen Sigma Oval Spannstahl vorgespannt. Dieser Spannstahl ist nach heutigem Wissenstand stark spannungsrisskorrosionsgefährdet. Aufgrund dessen wurde eine Nachrechnung durchgeführt, welche keine verbleibende Restlebenszeit ergab, da für den Fall einen Spanngliedbruches kein Ankündigungsverhalten nachweisbar war. Um das Schlüsselbauwerk weiterhin im Netz halten zu können und eine Totalsperrung der wichtigen Eisenbahnstrecke zu vermeiden, wurde eine Verstärkungsmaßnahme geplant, um die Restlebenszeit der Brücke auf 20 Jahre zu erhöhen. Aufgrund der Gefährdung durch den verwendeten Spannstahl musste nicht nur eine Querkraft-, sondern auch eine Biegeverstärkung vorgenommen werden. Diese wurde durch externe Bewehrung in Form von Stahllaschen an beiden Seiten des Hohlkörpers ausgeführt, wie auch in Abbildung 8 zu erkennen ist. Diese Stahllaschen wurden in Form von einzelnen Schüssen mit Betonschrauben an den Stegen befestigt und anschließend miteinander verbunden und vorgespannt. Diese Stahllaschen wurden mit Betonschrauben mit ca. 2 m Länge in die Endquerträger der Brücke rückverankert. Zusätzlich wurden etwa 1,25 m lange Betonschrauben als nachträgliche Querkraftbewehrung durch den Hohlkörper der Brücke von unten eingebaut. Abbildung 8: Verkehr unter und auf der Brücke während der Ausführung der Verstärkungsmaßnahme Eine wesentliche Vorgabe bei der Ausführung der Verstärkung war dabei, dass der Eisenbahnverkehr auf der Brücke nicht unterbrochen werden darf. Es konnten dementsprechend keine Maßnahmen von der Oberseite der Brücke durchgeführt werden. Gleichzeitig durfte unter der Brücke jedoch auch lediglich jeweils ein Fahrstreifen der Autobahn A70 gesperrt werden. Dazu wurde ein spezielles Verstärkungskonzept erarbeitet mit dem die gesamte Maßnahme innerhalb von 4 Wochen ohne Störung 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 355 Nachträgliche Querkraftverstärkung von Brückentragwerken mit Betonschrauben des Eisenbhanverkehrs und mit lediglich geringfügiger Störung des Verkehrs unter der Brücke umgesetzt werden konnte (vgl. Abbildung 8). 4.2 Querkraftverstärkung einer Plattenbrücke Die Eisenbahnunterführung unterführt eine zweispurige Straße unter einer Eisenbahnstrecke, wobei das Tragwerk im Eingangsbereich eines Bahnhofes liegt und dadurch eine Weiche auf dem Bauwerk angeordnet ist. Die Brücke ist in Form einer einfeldrigen Plattenbrücke mit einer Spannweite von 11,3 m bei einer Breite von ca. 18 m errichtet worden. An der Unterführung wurden im Zuge eine Bauwerksprüfung Schubrisse an den Plattenseiten erkannt. Daraufhin wurden Monitoring-Maßnahmen durchgeführt. Gleichzeitig wurde eine statische Nachrechnung des Tragwerks nach aktueller Normung beauftragt, welche zu dem Ergebnis führte, dass die Tragfähigkeit der Struktur aufgrund zu geringer Schubbewehrung nicht gegeben ist. Die in den 1980er Jahren errichtete Unterführung wurde mit den damals üblichen Schubaufbiegungen der Längsbewehrung als Querkraftbewehrung hergestellt. Diese Schubaufbiegungen sind auch in Abbildung 9 zu erkennen. Aufgrund der großen Längsabstände der Schubaufbiegungen genügen diese jedoch heute nicht mehr den konstruktiven Anforderungen der aktuellen Norm und können dementsprechend nicht für die Tragfähigkeit der Platte berücksichtigt werden. Abbildung 9: geplante Verstärkung der Platte mit Hilfe von TSM-22 Betonschrauben als nachträgliche Querkraftverstärkung Aufgrund der Bedeutung des Bauwerks und dem damit verbundenen Verkehrsaufkommen sowie der vorhandenen Weiche auf der Brücke wurde von Seiten des Betreibers beschlossen, dass das Tragwerk ausschließlich von der Unterseite ertüchtigt werden kann und keine Maßnahmen auf der Brückenoberseite möglich sind. Die ursprünglich geplante Verstärkung beruhte auf in einem 45◦ Winkel eingebohrter und geklebter Bewehrung, die zwischen die Aufbiegung eingebaut werden sollte. Mit dem neuen System reLAST war es jedoch im Zuge einer Umplanung möglich die Anzahl an Verstärkungselemente zu reduzieren und vor allem den Einbauaufwand, den die geneigten Bohrungen erzeugt hätten drastisch zu reduzieren. Die Verstärkung wurde in 4 Reihen parallel zu den Auflagerrändern geplant, wie im oberen Bild der Abbildung 9 zu sehen ist. In den stumpfen Ecken der im Grundriss leicht schiefen Brücke war eine etwas größere Bewehrungsmenge erforderlich (vgl unteres Bild der Abbildung 9). Abbildung 10: von unten ausgeführte Verstärkung mit reLAST TSM-22 Betonschrauben der Plattenbrücke, Bild mit freundlicher Genehmigung der ÖBB Die Abbildung 10 zeigt die ausgeführte Verstärkung, die gänzlich von unten von den beiden Gehwegen aus eingebaut werden konnte. Somit stellte die Verstärkung auch keine Beeinträchtigung des Verkehrs unter der Brücke dar und konnte innerhalb weniger Tage ausgeführt werden. 4.3 Durchstanzverstärkung einer Plattenbrücke Ebenfalls konnte eine punktgestützte Plattenbrücke einer Schnellstraße verstärkt werden, bei der die vorhandenen Schubaufbiegungen um die Punktlagerungen nicht zur Aufnahme der Durchstanzlasten in der Platte ausreichten. Daher wurde eine Verstärkung mit radial um die Punktlager angeordneten reLAST TSM-22 Schrauben geplant und ausgeführt, wodurch die Durchstanz-Traglast auf das geforderte Niveau der aktuellen Normung gebracht werden konnte. Wie die Abbildung 11 zeigt, wurde auch hier die Verstärkungsmaßnahme komplett von der Tragwerksunterseite unter Aufrechterhaltung des Verkehrs auf der Brücke 356 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachträgliche Querkraftverstärkung von Brückentragwerken mit Betonschrauben durchgeführt. Durch den Einsatz von kleinen Rüstungen um die Stützen zum Einbau der Verstärkung konnte auch die Verkehrsbehinderung unter der Brücke auf ein Minimum reduziert werden und der Einbau der Verstärkung innerhalb weniger Tage umgesetzt werden. Abbildung 11: Einbau der Durchstanzverstärkung in die Plattenbrücke von unten, Bild mit freundlicher Genehmigung der Asfinag 5. Zusammenfassung Seit Anfang September 2019 sind die reLAST Verbundankerschrauben als nachträgliche Querkraft- und Druchstanzbewehrung durch das Deutsche Institut für Bautechnik zugelassen. Dem gingen jahrelange wissenschaftliche Untersuchungen und zahlreiche Bauteilversuche an der Universität Innsbruck voraus. Diese Versuche zeigten, dass mit Hilfe der nachträglich eingebauten Betonschrauben die Traglasten gegenüber Referenzversuchen ohne Schubbewehrung um bis zu 150 % bei Querkraftverstärkung und um bis zu 55 % bei Durchstanzverstärkung gesteigert werden können. Zudem konnte über Versuche nachgewiesen werden, dass das System uneingeschränkt für dynamische Belastungen geeignet ist. Auf Basis der Versuchsergebnisse wurden anschließend Bemessungskonzepte abgeleitet, die auf den Bemessungsmodellen der aktuellen Normung basieren. Diese Bemessungskonzepte, die nun auch in den Zulassungen enthalten sind, ermöglichen dem planenden Ingenieur eine einfache Dimensionierung der Verstärkung mit Hilfe der bekannten Gleichungen der Normung. Wie zahlreiche durchgeführte Pilotprojekte gezeigt haben, liegt der große Vorteil der nachträglichen Verstärkung mit Betonschrauben in der einfachen Installation und sofortigen Belastbarkeit. Das Verstärkungssystem kann aufgrund der Tragwirkung auf dem Prinzip des Hinterschnitts von einer Seite in die zu verstärkende Struktur eingebaut werden. Damit entfällt der Abtrag von Fahrbahnaufbauten an der Oberseite. Dadurch kann die Verstärkung unter laufendem Betrieb ausgeführt werden, wie die exemplarisch gezeigten Pilotprojekte zeigen. Das neue System der Tragwerksverstärkung mit Betonschrauben zeichnet sich somit durch die einfache und schnelle Installation während des laufenden Betriebs des Tragwerks aus. Literatur [1] Bundesanstalt für Straßenwesen, „Brücken an Bundesfernstraßen-Brückenstatistik09/ 2019“,2019.[Online]. Verfügbar unter: https: / / www.bast.de/ BASt_2017/ DE/ Statistik/ Bruecken/ Brueckenstatistik.pdf; jsessionid=B8402C5DC792B15352D4823E5F45FEF4. live11291? __blob=publicationFile&v=13. [Zugegriffen: 08-Jan-2020]. [2] Amt der Tiroler Landesregierung, „Verkehr in Tirol - Bericht 2018“, Innsbruck, 2018. [3] A. Fitschen und H. Nordmann, „Verkehrsentwicklung auf Bundesfernstraßen 2015“, Bergisch Gladbach, 2018. [4] O. Fischer, T. Lechner, M. Wild, A. Müller, und K. Kessner, Nachrechnung von Betonbrücken- Systematische Datenauswertung nachgerechneter Bauwerke, Heft B 124. Bergisch Gladbach: Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, 2016. [5] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, „Brückenmodernisierung im Bereich der Bundesfernstraßen“, Berlin, 2015. [6] O. Fischer, A. Müller, T. Lechner, M. Wild, und K. Kessner, „Ergebnisse und Erkenntnisse zu durchgeführten Nachrechnungen von Betonbrücken in Deutschland“, Beton- und Stahlbetonbau, Bd. 109, Nr. 2, S. 107-127, 2014. [7] R. Maurer, A. Arnold, und M. Müller, „Auswirkungen aus dem neuen Verkehrslastmodell nach DIN EN 1991-2 / NA bei Betonbrücken“, Beton- und Stahlbetonbau, Bd. 106, Nr. 2011, S. 747-759, 2011. [8] J. Feix, J. Lechner, und R. Schneider, „Nachträgliche Verstärkung von Betonbauwerken mit Betonschrauben“, EI- Eisenbahningenieur, Bd. 67, Nr. 2, S. 28-33, 2016. [9] J. Feix, J. Lechner, R. Walkner, und M. Spiegl, „Betonschrauben als Querkraftverstärkung für dynamisch belastete Stahlbetonbauteile“, 3. Grazer Betonkolloqium, S. 65-73, 2016. [10] J. Lechner und J. Feix, „Development of an efficient shear strengthening method for dynamically loaded structures“, in The 11th fib International PhD Symposium in Civil Engineering, 2016, S. 753-761. [11] J. Lechner und J. Feix, „First experiences with concrete screw-anchors as post-installed shear reinforcement in concrete bridges“, Civ. Eng. Des., Bd. 2019, Nr. 1, S. 17-27, 2019. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 357 Nachträgliche Querkraftverstärkung von Brückentragwerken mit Betonschrauben [12] Deutsches Institut für Bautechnik, „Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung - TOGE TSM BC SB reLAST für die Querkraftverstärkung“, Z-15.1- 339, 2019. [13] Deutsches Institut für Bautechnik, „Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung - Würth Verbundankerschraube RELAST in Durchmesser 16 mm und 22 mm zur Anwendung als nachträglich verankerte Querkraftbewehrung“, Z-15.1-344, 2019. [14] Deutsches Institut für Bautechnik, „Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung - TOGE TSM BC SB reLAST für die Durchstanzverstärkung“, Z-15.1- 340, 2019. [15] Deutsches Institut für Bautechnik, „Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung - Würth Verbundankerschraube RELAST in Durchmesser 16 mm und 22 mm zur Anwendung als nachträglich verankerte Durchstanzbewehrung“, Z-15.1-345, 2019. [16] J. Lechner, N. Fleischhacker, C. Waltl, und J. Feix, „Zum Verbundverhalten von Betonschraubdübeln mit großem Durchmesser“, Beton- und Stahlbetonbau, Bd. 112, Nr. 9, S. 589-600, 2017. [17] J. Feix, P. Wörle, und A. Gerhard, „Ein neuer Ansatz zur Steigerung der Durchstanztragfähigkeit bestehender Stahlbetonbauteile“, Bauingenieur, Bd. 87, 2012. [18] M. Spiegl, R. Walkner, H. Axmann, E. Pilch, A. Schön, und J. Feix, „Betonschrauben als Durchstanzertuechtigung für statisch und zyklisch belastete Platten“, Bauingenieur, Bd. 93, Nr. 7, S. 274-285, 2018. [19] R. Walkner, M. Spiegl, und J. Feix, „Experimentelle Untersuchungen und Vorstellung eines Bemessungsansatzes zur Durchstanzverstärkung von Betonbauteilen mit Betonschrauben“, Bauingenieur, Bd. 95, Nr. 1, S. 26-36, 2020. [20] J. Lechner, J. Feix, und R. Hertle, „Strengthening of a City Center Tunnel with Concrete Screw Anchors under Special Boundary Conditions“, in 20th Congress of IABSE, 2019, S. 1493-1502. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 359 Verbundfugen bei nachträglicher Verstärkung: Statische und Ermüdungsbeanspruchung Jens Heinrich Technische Universität Dortmund, Dortmund, Deutschland Thomas Zenk Hilti Entwicklungsgesellschaft mbH, Kaufering, Deutschland Reinhard Maurer Technische Universität Dortmund, Dortmund, Deutschland Zusammenfassung Mit Veröffentlichung der ETA-18/ 0122, Ausgabe März 2019 in Verbindung mit dem EOTA TR 066, Ausgabe April 2019 steht mit den HCC-B Schubverbindern ein System zur Verbundsicherung bei einer nachträglichen Verstärkung durch Aufbeton auch bei Ermüdungsbeanspruchung zur Verfügung. Im Gegensatz zum Bemessungskonzept nach Eurocode 2 wird ein expliziter Ermüdungsnachweis als „Gesamtsystem Verbundfuge“ mithilfe eines Goodman-Diagramms geführt. Liegt das Verhältnis der Höhe der Ermüdungsbeanspruchung in der Verbundfuge zur statischen Tragfähigkeit unterhalb eines bestimmten Grenzwertes, ist nicht mit einem ermüdungsbedingten Versagen der Verbundfuge zu rechnen. Diese Aussage konnte u. a. an der TU Dortmund anhand von Bauteilversuchen mit Verbundfugen der Rauigkeitskategorie „verzahnt“ (R t ≥ 3mm) und einem entsprechenden Verbundbewehrungsgrad bestätigt werden. Ferner konnte gezeigt werden, dass bei ausreichend begrenzten Ermüdungsbeanspruchungen so kleine Relativverformungen zwischen der alten und neuen Betonschicht und damit einhergehend so geringe Stahlspannungen in den Schubverbindern entstehen, dass auf einen expliziten Nachweis der Verbundmittel gegen Ermüdung verzichtet werden kann. 1. Einleitung Das Bemessungskonzept für die Schubkraftübertragung in Fugen nach DIN EN 1992-2, 6.2.5 [1] wurde für den Neubau bei nachträglicher Ergänzung von Fertigteilen mit Ortbetonergänzung entwickelt. Bei dem Nachweis wird der Bemessungswert der Schubtragfähigkeit in der Fuge τ Rdi der einwirkenden Schubkraft τ Edi gegenübergestellt. Die entsprechenden Gleichungen sind nachfolgend für den in Deutschland geltenden Nationalen Anhang DIN EN 1992-2/ NA [2] aufgeführt, wobei die Notation für die Schubspannungen τ nach Model Code 2010 (MC2010) [3] verwendet wurde: Bemessungswert der Schubkraft in der Fuge ([2]Gl. 6.24) Bemessungswert der Schubtragfähigkeit in der Fuge ([2] Gl. 6.25) Der Tragwiderstand τ Rdi ergibt sich aus der Summe verschiedener Traganteile: Anteil aus Adhäsion (c∙f ctd ), Anteil aus Reibung infolge einer senkrecht zur Fuge wirkenden Druckspannung (µ∙σ n ), Anteil aus Schubbewehrung (ρ∙f yd (1,2µ∙sinα + cosα)). Die Beiwerte c, µ und ν werden durch die Oberflächenbeschaffenheit bestimmt. In Anlehnung an das DAfStb- Heft 525 wird zwischen vier Rauigkeitskategorien (sehr glatt, glatt, rau und verzahnt) unterschieden. Als wesentliche Kenngröße zur Einstufung einer Oberfläche dient die mittlere Rautiefe nach Kaufmann (R t ) [4]. Für Bauteile wie z.B. Brücken, die einer Ermüdungsbeanspruchung ausgesetzt sind, sieht das Bemessungskonzept des Eurocode 2 keinen expliziten Ermüdungsnachweis vor. Gemäß DIN EN 1992-2/ NA ist vielmehr der Nachweis für den statischen Bemessungswert der Schubspannung zu führen, wobei der Traganteil aus der Adhäsion mit (c = 0) vollständig vernachlässigt wird. Da der Traganteil aus der senkrecht zur Fuge wirkenden Be- 360 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Verbundfugen bei nachträglicher Verstärkung: Statische und Ermüdungsbeanspruchung anspruchung i.d.R. sehr klein ist und daher üblicherweise ebenfalls nicht angesetzt wird, muss die gesamte Schubspannung durch den Traganteil aus der Schubbewehrung aufgenommen werden. Durch diese sehr konservative Vorgabe ergeben sich zum einen sehr große Bewehrungsgrade in der Schubfuge, die bei Neubaumaßnahmen bei der Bewehrungsplanung berücksichtigt werden können, sowie zum zweiten zusätzliche Tragreserven durch die vollständige Vernachlässigung des Betontraganteils. Bei der Anwendung dieses Bemessungskonzeptes bei der Verstärkung bestehender Bauwerke mit einer nachträglich aufgebrachten Ortbetonschicht, ergeben sich allerdings große Probleme. So muss die erforderliche Verbundfugenbewehrung nachträglich hergestellt werden. Diese kann eigentlich nur in den bestehenden Beton gebohrt und anschließend eingeklebt werden. Der Eingriff in die bestehende Konstruktion ist somit groß und kann schnell bei hohen erforderlichen Bewehrungsgraden die Grenzen der Machbarkeit erreichen. Des Weiteren kann bei der nachträglichen Verstärkung mit Aufbeton die erforderliche Verankerungslänge l bd nach DIN EN 1992-2 für die Verbundbewehrung nicht realisiert werden. Die nachträgliche Verbundbewehrung kann nur als Dübel nachgewiesen werden. Bis zum April 2019 existierte kein Produkt, welches zum Zweck der nachträglichen Verstärkung von Bauteilen mit Ermüdungsbeanspruchung zugelassen war. Bei der Ausführung wurde eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE) von der obersten Verkehrsbehörde erforderlich. Mit der Veröffentlichung der ETA-18/ 0122 [5] (European Technical Assessment) in Verbindung mit dem EOTA TR 066 [6] (Technical Report) hat die Firma Hilti mit dem HCC-B Schubverbinder ein entsprechend System zur Verfügung gestellt, welches auf einem alternativen Bemessungskonzept beruht und ausschließlich für die nachträgliche Verstärkung mit Aufbeton ausgelegt ist (Bild 1). Zur Verifikation des im EOTA TR 066 hinterlegten Bemessungskonzeptes wurden u.a. an der TU Dortmund Bauteilversuche unter statischer und zyklischer Belastung (Ermüdung) durchgeführt. Bild 1 Schematische Darstellung des Schubverbinders Hilti HCC-B im Einbauzustand, Auszug aus [5] 2. Nachweiskonzept nach EOTA TR 066 2.1 Statische Tragfähigkeit Zur Nachweisführung der Schubkraftübertragung in der Verbundfuge ist im EOTA TR 066 [6] ein Bemessungsmodell basierend auf dem MC2010 [4] angegeben. Dieses unterscheidet zwischen bewehrten und unbewehrten Verbundfugen. Die nachfolgenden Betrachtungen beziehen sich ausschließlich auf bewehrte Verbundfugen. Der aufnehmbare Bemessungswert der Schubspannung in der Verbundfuge τ Rdi wird nach folgender Gleichung ermittelt und gilt für bewehrte Schubfugen unter statischer bzw. quasistatischer Beanspruchung: mit N Rd maßgebender Widerstand des Verbundmittels nach DIN EN 1992-4 c r , µ, κ 1 , κ 2 , β c Beiwerte nach Tab. 1 α k1 , α k2 Produktspezifische Beiwerte des Verbundmittels Gegenüber dem Bemessungskonzept des MC2010 wurden einige Modifikationen vorgenommen, die nachfolgend kurz beschrieben werden. So wird vorausgesetzt, 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 361 Verbundfugen bei nachträglicher Verstärkung: Statische und Ermüdungsbeanspruchung dass die Verbundmittel ausschließlich senkrecht eingebaut werden (α = 90°). Zudem wird bei dem Traganteil der Schubreibung bzw. „Klemmwirkung“ die aus N Rd berechnete Stahlspannung σ s des Schubverbinders anstatt der Streckgrenze angesetzt. N Rd bezeichnet hier den maßgebenden Widerstand als axiale Zugkraft des Verbundmittels mit der Querschnittsfläche A s , der aus den Verankerungsnachweisen als Dübel nach DIN EN 1992-4 [7] ermittelt wurde. Die Beiwerte für die Fugenoberflächenbeschaffenheit (Tab. 1) sind im EOTA TR 066 angegeben und entsprechen den Vorgaben des Model Code 2010. Tabelle 1 Beiwerte für Fugenoberfläche in Abhängigkeit der Rauigkeitskategorie Kat. R t c r κ 1 κ 2 β c µ f ck ≥20 f ck ≥35 Verzahnt ≥3,0 0,2 0,5 0,9 0,5 0,8 1,0 Rau ≥3,0 0,1 0,5 0,9 0,5 0,7 Glatt - 0 0,5 1,1 0,4 0,6 Sehr glatt - 0 0 1,5 0,3 0,5 In der ETA sind die produktspezifischen Kennwerte des Schubverbinders (HCC-B), des Injektionsmörtels (HIT- RE 500 V3) sowie allgemeine Anforderungen an die Verbundfugenvorbereitung, den Aufbeton oder die Montage der Verbundmittel beschrieben. Für den HCC-B Schubverbinder gilt die ETA-18/ 0122 [5]. Bei den Beiwerten α k1 und α k2 handelt es sich um zwei Faktoren zur Berücksichtigung der verminderten Duktilität des verwendeten Dübelmaterials (α k1 = 0,8) bzw. der höheren Biegetragfähigkeit eines Kreisringquerschnittes gegenüber einem Vollquerschnitt (α k2 = 1,3), die entsprechend in der ETA zu finden sind. 2.2 Nachweis gegen Ermüdung Im Gegensatz zu dem Bemessungskonzept im Eurocode 2 ist im EOTA TR 066 ein expliziter Ermüdungsnachweis für die Verbundfuge vorgegeben. Hierbei handelt es sich um einen Nachweis auf Grundlage eines Goodman-Diagramms (Bild 2): für für Der Nachweis wird mit den Schubspannungen in der Verbundfuge infolge der häufigen Einwirkungskombination geführt. Die Beanspruchungen aus der häufigen Einwirkungskombination werden wiederum auf den statischen Tragwiderstand τ Rdi bezogen. Die maßgebende Kenngröße stellt hier der Wert η sc dar. Dieser beschreibt die zulässige Schwingbreite bei N * = 2∙10 6 Lastwechseln bei Schwellbeanspruchung mit einer Unterlast von genau 0. Dieser Wert ist in der ETA des Schubverbindersystems angegeben und wird experimentell bestimmt. Für den HCC