Brückenkolloquium
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expert verlag Tübingen
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Herausgegeben von Bernd Isecke Jürgen Krieger 5. Brückenkolloquium Fachtagung für Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken Tagungshandbuch 2022 5. Brückenkolloquium 6. und 7. September 2022 Technische Akademie Esslingen Herausgegeben von Dir. Prof. Dr.-Ing. Jürgen Krieger Prof. Dr.-Ing. Bernd Isecke 5. Brückenkolloquium Fachtagung für Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken Tagungshandbuch 2022 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das vorliegende Werk wurde mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autoren oder Herausgeber übernehmen deshalb eine Haftung für die Fehlerfreiheit, Aktualität und Vollständigkeit des Werkes und seiner elektronischen Bestandteile. © 2022. Alle Rechte vorbehalten. expert verlag Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen E-Mail: info@verlag.expert Internet: www.expertverlag.de Printed in Germany ISBN 978-3-8169-3549-0 (Print) ISBN 978-3-8169-0125-9 (ePDF) Technische Akademie Esslingen e. V. An der Akademie 5 · D-73760 Ostfildern E-Mail: bauwesen@tae.de Internet: www.tae.de 5. Brückenkolloquium - September 2022 5 Vorwort Brückenbauwerke sind unverzichtbarer Bestandteil der Straßenverkehrsinfrastruktur. Sie ermöglichen die Überwindung von Tälern, Gewässern oder anderer Verkehrswege und stellen somit die eigentliche Funktion der überführten Straße sicher. Allein im Netz der Bundesfernstraßen gibt es 39.928 Brückenbauwerke (Stand 09/ 2020). Aus einer weiteren Zunahme des Güterverkehrs ergeben sich für einen signifikanten Anteil der bestehenden Brücken Beanspruchungen bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Der Klimawandel in Verbindung mit einer zu erwartenden Zunahme von Extremwetterlagen stellt neue Herausforderungen. Neben der Verfügbarkeit und Sicherheit sind verstärkt auch Aspekte der Nachhaltigkeit und Resilienz von Verkehrsinfrastrukturen zu betrachten. Das Lebenszyklusmanagement von Brücken - von der Planung, Bauausführung, Instandhaltung und Betrieb bis zum Rückbau - ist in wesentlichen Teilen noch von traditionellen eher reaktiv ausgerichteten Strategien geprägt. Die Möglichkeiten der Digitalisierung werden hier bislang nur für Teilprozesse genutzt. Im Kontext einer rasant fortschreitenden Digitalen Transformation ermöglichen neue prädiktiv ausgerichtete Ansätze künftig eine integrierte und lebenszyklusorientierte Betrachtung. Ziel der bewährten Fachtagung zum Brückenbau ist ein interdisziplinärer Erfahrungs- und Wissensaustausch von Forschern, Planern, Ausführenden, Eigentümern, Betreibern und der Bauwirtschaft zu neuen und innovativen Methoden, Verfahren und Technologien im Brückenbau. Themenschwerpunkte beim 5. Brückenkolloquium mit mehr als 70 Plenar- und Fachvorträgen in vier parallelen Sessions sind: • Bauwerksausstattung (Kappen, Übergänge) • Beurteilung und Bewertung des Zustands • BIM und Digitalisierung • Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel • Einwirkungen • Fallbeispiele (Beton-/ Stahlbrücken) • Holzbrücken • Innovative Bauweisen, Bauverfahren und Bauprodukte • Instandhaltung und Bauwerksmanagement • Monitoring, Bauwerksprüfung, Schadenserfassung • Nachrechnung • Neue Erkenntnisse zur Querkraft- und Torsionstragfähigkeit • Normen und Regelwerke • Rückbau, Schadstoffe • Verstärkung, Ertüchtigung Das vorliegende Tagungshandbuch enthält die vorab eingereichten Beiträge zu den Vorträgen und gibt einen Überblick über neue und innovative Methoden, Verfahren und Technologien zur Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken. Weitere Informationen unter: www.tae.de/ go/ bruecken 5. Brückenkolloquium - September 2022 7 Inhaltsverzeichnis 0.0 Plenarvorträge 0.2 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick 17 Gero Marzahn 0.3 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken 37 Prof. Dr.-Ing. Karsten Geißler, Dr.-Ing. Josef Kraus 0.4 Analytische und numerische Verfahren zur Brückennachrechnung der NRR 47 Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger 0.5 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) 57 Univ.-Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer, Eva Stakalies M. Sc. 0.6 Einflüsse aus Schubrissbildung auf die Fachwerktragwirkung und vorgespannter Balkenquerschnitte 69 Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Oliver Fischer, Sebastian Thoma M.Sc. 1.0 BIM und Digitalisierung 1.1 BIM2Twin: Einsatz von BIM im Betrieb von Brückenbauwerken 79 Jennifer Bednorz, M. Eng., Sonja Nieborowski M. Sc. 1.2 Digitale Transformation der Bauwerksdiagnostik 89 Christina Fritsch M. Sc., Chris Voigt, M. Eng., Dipl.-Ing. Torsten Harke M. Sc. 1.3 BIM aus Sicht einer öffentlichen Auftraggeberin 97 Ing. Sabine Hruschka 1.4 From Pixel to Pset 99 Dipl.-Ing. Peter Furtner, B.Eng. (Honours), M. Sc. Arch. RAIA MIEAust Peter O’Brien 1.5 Ansatz für künstliche Intelligenz und Mixed Reality zur Optimierung des Arbeitsablaufs bei Brückeninspektionen 107 Stephan Embers, Sven Zentgraf, Patrick Herbers, Firdes Celik, Benedikt Faltin, Prof. Dr.-Ing. Markus König, Jan-Derrick Braun, Jessica Steinjan, David Schammler, Sonja Nieborowski, Ralph Holst 1.6 Brückeninspektion: Datenerfassung, -prozessierung & -analyse - ein moderner Ansatz 119 DI Gerald Fuxjäger 1.7 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring 125 Andreas Jansen, Prof. Dr.-Ing. Karsten Geißler 1.8 Szenarienbasierte Schadenserkennung: Anwendungen der künstlichen Intelligenz 137 Yasser Alshaban Alqasem M. Sc., Prof. Dr.-Ing. Markus König 8 5. Brückenkolloquium - September 2022 1.9 Ereignisbasierte und bedarfsorientierte Datenerfassung für die 4-D-BIM-basierte Flugplanung von Drohnen 147 Thomas Tschickardt M. Eng., Fabian Kaufmann M. Eng., Univ.-Prof. Dr.-Ing. Christian Glock 1.10 Drohnengestützte Erfassung von Bestandsmodellen zur Automatisierung von Prozessen des digitalen Managements von Brückenbauwerken 155 Fabian Kaufmann M. Eng., Thomas Tschickardt M. Eng., Univ.-Prof. Dr.-Ing. Christian Glock 2.0 Verstärkung, Ertüchtigung 2.1 Temperaturstabilität und Dauerhaftigkeit von geklebten CFK-Lamellen im Brückenbau 165 Dipl.-Ing. (FH) Florian Eberth 2.2 Zur Verstärkung von Ingenieurbauwerken unter Verkehr 169 Prof. Dr.-Ing. Jürgen Feix, Dr. Johannes Lechner, Dipl.-Ing. Matthias Egger 2.3 Erhalt einer der ersten „Eisenbeton“-Brücken Deutschlands - dank Carbonbeton! 179 Alexander Schumann, Sebastian May, Felix Kniebel, Jan Geißler, Frank Thorwirth 2.4 Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung 185 Dipl.-Ing. Michael Schrick, Dipl.-Ing. Janette Todt 2.5 Nachhaltige Verstärkung der 1,8 km langen Spannbetonbrücke auf der A13 bei Ferrara, Italien, durch externe Vorspannung 193 Dipl.-Ing. Kay Löffler, Ing. Marco A. Bizzozero 2.6 Sofortmaßnahmen für 40-t-Lkws 197 Stéphane Cuennet, Jean-Marc Waeber 3.0 Monitoring, Bauwerksprüfung, Schadenserfassung 3.1 Sicherstellung der Verfügbarkeit einer Autobahnbrücke mithilfe von Bauwerksmonitoring 207 Dr.-Ing. Matthias Bode, Dipl.-Ing. Ronald Stein, Prof. Dr.-Ing. Karsten Geißler 3.2 Von fehlenden Bestandsunterlagen zu einem belastbaren Bauwerksmodell für die handnahe und visuelle Prüfung von Infrastrukturbauwerken 217 Dipl.-Ing. BM Stefan S. Grubinger, Dipl.- Ing. Simon Jimenez, Dr. Wolfgang Walcher, Alexander Huber, MBA, Dipl.-Ing. Slaven Kalenjuk, Dipl.-Ing. Dipl.-Ing. Dr.techn. Matthias J. Rebhan, BM 3.3 Multi-Sensor measurements on a large-scale bridge model 223 Dr. Chun-Man Liao, Dr. Konstantin Hicke, Dr. Felix Bernauer, Dr. Heiner Igel, Dr. Celine Hadziioannou, Dr. Ernst Niederleithinger 3.4 Bedarfsorientierte Informationsanreicherung von Bestandsbrückenbauwerken im Kontext des SHM 231 Martin Köhncke M. Sc., Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Sascha Henke, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Sylvia Keßler 5. Brückenkolloquium - September 2022 9 4.0 Bauwerksausstattung (Kappen, Übergänge) 4.1 Grunewaldbrücke: Erneuerung der Fahrbahnübergänge auf der BAB A59 (DE) 239 Stefan Adam Dipl. Ing. (FH) 4.2 Ausbau des Radverkehrsnetzes der Stadt Freising 245 Magdalena Dimler M. Sc., Dipl.-Ing. (FH) Stefan Lankes, Tobias Reuther M. Sc. 4.3 Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten mit hochfestem Beton 251 Iris Hindersmann, Heinz Friedrich 5.0 Innovative Bauweisen, Bauverfahren und Bauprodukte 5.1 Vorgespannte Tragwerksverstärkung mit Fe-SMA - memory-steel 263 Dipl.-Ing. Dr. sc. ETH Zürich Bernhard Schranz, Dr.-Ing. Eva-Maria Ladner, Dipl-Bauing. Dr.sc. Julien Michels, MBA 5.2 UHPC-Traverse für die Querkraftverstärkung von Brückenstegen 273 Dr.-Ing. Dipl.-Kfm. Hermann Weiher 5.3 Fahrbahnübergangskonstruktionen mittels Schleppplatten 281 Dipl.-Ing. Dipl.-Ing. Dr. techn. Erwin Pilch 5.4 Schnellbausystem „Expressbrücke“ 287 Dipl.-Ing. (TU) Theo Reddemann 5.5 Ersatz einer Brücke im Zuge der L171 über die DB 293 Prof. Dr.-Ing. Thomas Bösche, Felix Kaplan M.Sc., Dipl.-Ing. Alexander Ehrlich 5.6 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert 299 Dr.-Ing. Jan Bielak, Raphael Walach, Jochen Riederer, Thorsten Helbig, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger 5.7 Erste Straßenbrücke aus Carbonbeton - Erfahrungen und Erkenntnisse aus Planung und Bau 309 Sebastian May, Alexander Schumann, Enrico Lorenz 6.0 Normen und Regelwerke 6.1 Auswirkungen der geänderten Nachweisverfahren in prEN 1992-1-1: 2021 für die Begrenzung der Rissbreiten bei Stahlbeton-, Spannbeton- und Verbundbrücken 317 Eva Stakalies M. Sc., Univ. Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer, Dipl.-Ing. (FH) Fabian Kischkewitz M. Eng., Univ. Prof. Dr.-Ing. Bernd Naujoks 6.2 Weiterentwicklung des Eurocodes 2 für den Brückenbau 323 Christian Dommes, M. Sc., Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger 6.3 Dauerhaftigkeit und Nutzungsdauer von Ingenieurbauwerken 335 Dr.-Ing. Maria Teresa Alonso Junghanns, Dr.-Ing. Peter Haardt, Dr.-Ing. Matthias Müller 10 5. Brückenkolloquium - September 2022 7.0 Fallbeispiele (Beton-/ Stahlbrücken) 7.2 Probabilistische Untersuchungen zur Beurteilung der Beulsicherheit des Stahlhohlkastens der Hamburger Köhlbrandbrücke 347 Prof. Dr.-Ing. Martin Herbrand, Timo Jabs M. Sc., Dr.-Ing. Gerhard Zehetmaier, Dipl.-Ing. Christof Ullerich 7.3 Herausforderung Brückenmodernisierung - Projektbeispiele der DEGES (Maßnahmen an der A1) 355 Dipl.-Ing. Gregor Gebert 7.4 Echelsbacher Brücke - Ersatzneubau unter Einbeziehung des denkmalgeschützten Bestandsbogens 361 Gerhard Pahl, Stefan Wilfer 8.0 Nachrechnung 8.1 Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken 371 Dr.-Ing. Naceur Kerkeni, Dr.-Ing. Frederik Teworte, Dr.-Ing. Ehsan Sharei 8.2 Brückennachrechnung mit erweiterten Nachweisen der Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem 383 Maximilian Schmidt M.Sc., Dr.-Ing. Viviane Adam, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger 8.3 Neue Erkenntnisse aus Ermüdungsversuchen mit sehr hohen Lastwechselzahlen an Spannbetonbauteilen mit Spanngliedern im nachträglichen Verbund 393 Dipl.-Ing. Jens Heinrich, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer 9.0 Beurteilung und Bewertung des Zustands 9.1 Sonderprogramm Plattenbrücken des Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg 407 Felix Kaplan M. Sc., Dr.-Ing. Oliver Steinbock, Prof. Dr.-Ing. Thomas Bösche, Michael Grune M. Sc. 9.2 Experimental Measurement of the Anchorage Length of Interrupted Prestressing Reinforcement 413 Ing. Adam Svoboda, doc. Ing. Ladislav Klusá č ek, CSc., Ing. Petr Gajdoš, Ing. Michal Vajdák 9.3 Prestressed footbridge over Morava River in Kromӗríž - strengthening, rehabilitation and measurement using geodetic method in combination with advanced optical methods 419 doc. Ing. Ladislav Klusácek, CSc., Ing. Adam Svoboda, doc. Ing. Ji ř í Bureš, Ph.D., Ing. Petr Gajdoš, Ing. Michal Vajdák 5. Brückenkolloquium - September 2022 11 10.0 Instandhaltung und Bauwerksmanagement 10.1 Anwendung elektrochemischer Verfahren bei der Instandsetzung von Stahl- und Spannbetonbrücken - Schwerpunkt elektrochemische Chloridextraktion 429 Lars Wolff, Michael Bruns 10.2 Nachhaltig sichere Abdichtung und Schutz von Betonbauwerken auch bei niedrigen Temperaturen mit Silikattechnologie 435 Dr. Jörg Rathenow 10.3 Strategisches Bauwerkserhaltungsmanagement im Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg 439 Dipl.-Ing. Kay Degenhardt, Felix Kaplan M. Sc., Martin Günther M. Sc. 11.0 Holzbrücken 11.2 Anschlussdetails für Abdichtungssysteme und Asphaltbeläge auf Fahrbahnplatten aus Holz 447 Prof. Dipl.-Ing. Andreas Müller, Marcus Schiere, Sébastien Bonifacio 11.3 Acetyliertes Buchen-Furnierschichtholz 453 Dipl.-Ing. Reiner Klopfer, Prof. Dr.-Ing Jürgen Graf 12.0 Neue Erkenntnisse zur Querkraft- und Torsionstragfähigkeit 12.1 Untersuchungen zur Schubrissbildung von Spannbetondurchlaufträgern mit baupraktischen Querschnittsabmessungen 459 Sebastian Lamatsch M.Sc., Prof. Dr.-Ing. Oliver Fischer 12.2 Experimentelle Untersuchungen zur Querkrafttragfähigkeit von großformatigen Spannbetonbindern unter gleichmäßig verteilten Lasten 467 Christian Dommes M. Sc., Dr.-Ing. Viviane Adam, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger 12.3 Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion 477 Dipl.-Ing Vladimir Lavrentyev, Eva Stakalies M.Sc., Univ.-Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer 12.4 Bewertung des Sicherheitsniveaus der kanadischen Norm in Bezug auf DIN-Fachbericht beim Nachweis der Querkrafttragfähigkeit 489 Remus Tecusan M. Sc., Dr.-Ing. Christian Stettner, Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Dr.-Ing. E. h. Konrad Zilch 12 5. Brückenkolloquium - September 2022 13.0 Einwirkungen 13.1 Objektspezifische Verkehrslastansätze im Rahmen des Ankündigungsnachweises nach „Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion“ am Beispiel der Kreuzhofbrücken München 499 Thibault Tepho M.Sc. , Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Oliver Fischer, Dipl.-Ing. (FH) Marcel Nowak M.Sc. 13.2 Untersuchung zum Einfluss der Fahrbahnqualität auf die Lebensdauer von Brückentragwerken aus Stahlbeton 505 Timo Hondl, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Christian Glock 13.3 Konzept zur datenbasierten Bewertung der Verkehrsbeanspruchung kommunaler Straßenbrücken - DakomStra 511 M.Sc. Gregor Rösler, Prof. Dr.-Ing. Theda Lücken-Girmscheid, Dip.-Ing. Michael Girmscheid, Prof. Dr.-Ing. Alexander Buttgereit, M.Sc. Maria Koordt 13.4 Alternative Wege bei der Berechnung des Tragvermögens einer bestehenden Straßenbrücke aus Stahlbeton 517 Prof. Dr. Ivan Markovic, dipl. Bauing. 14.0 Rückbau, Schadstoffe 14.1 A 23 Autobahn Südosttangente Wien 523 Ing. Thomas Kozakow 14.2 Rückbau von Spannbetonbrücken 531 M. Sc. Caroline Barr, Dr.-Ing. Gregor Schacht 15.0 Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel 15.1 Bauwerksschäden an der Brücke am Altstädter Bahnhof 543 M. Sc. Felix Kaplan, Dr. Ing. Oliver Steinbock, Dipl. Ing. M. Sc. Katrin Saloga 15.2 Rückbau der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel 549 Dipl.-Ing. Stephan Pirskawetz, M. Sc. Sebastian Schmidt, Dr.-Ing. Oliver Steinbock 15.3 Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel 555 PD Dr. rer. nat. Ernst Niederleithinger, Dr.-Ing. Falk Hille, Dipl.-Ing. Detlef Hofmann, Dr.-Ing. Thomas Kind 15.4 Neue Erkenntnisse zu wasserstoffinduzierten Spannungsrissen infolge korrosiver Belastung hochempfindlicher Spannstähle in Spannblockverfahren nach TGL 173-33 567 M. Eng. Gino Ebell, Dr.-Ing. Andreas Burkert 16.0 Anhang 573 16.1 Programmausschuss 575 16.2 Autorenverzeichnis 577 Plenarvorträge 5. Brückenkolloquium - September 2022 17 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Gero Marzahn Bundesministerium für Digitales und Verkehr 1. Einleitung Im internationalen Vergleich verfügt Deutschland über eine gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur. Allerdings machen der überproportionale Anstieg des Schwerverkehrs in den vergangenen Jahrzehnten insbesondere im Güterverkehr sowie die Altersstruktur der Infrastruktur umfängliche Erhaltungsmaßnahmen zur Verbesserung des Zustandes und Erhöhung der Tragfähigkeit vieler älterer Brücken erforderlich. Viele Brücken müssen verstärkt oder gar erneuert werden, um auch in Zukunft den Anforderungen aus dem Verkehr auf Dauer gerecht werden zu können. Während bislang jedes Bundesland einzeln auf die Brücken seines Gebiets geschaut hat, können wir jetzt - wo die Verwaltungsverantwortung für die Brücken im Autobahnnetz bei der Autobahn GmbH in einer Hand liegt - eine Gesamtbetrachtung vornehmen und das Autobahnnetz als Ganzes in den Blick nehmen. Daher wird mit dem vorliegenden Bericht eine Bilanz zu den Brücken an Bundesfernstraßen gezogen sowie eine Übersicht zum aktuellen Stand der Umsetzung der Modernisierung von Brücken an Bundesfernstraßen gegeben. 2. Brückenbestand an Bundesfernstraßen Mit Stand September 2021 befinden sich fast 40.000 Brücken in der Baubzw. Unterhaltungslast des Bundes, d. h. sowohl Brücken im Zuge von Bundesfernstraßen als auch zur Überführung von Straßen und Wegen über Bundesfernstraßen. Berücksichtigt man, dass bei Autobahnen i. d. R. jede Fahrtrichtung auf einem eigenen Brückentragwerk liegt oder große Flussbrücken in Strom- und Vorlandbrücken unterteilt werden, entspricht die Anzahl der o. g. Brücken 52.386 Teilbauwerken. Davon befinden sich 27.915 Teilbauwerke im BAB-Netz und 24.471 Teilbauwerke im Netz der Bundesstraßen. Da ein Teilbauwerke im Wesentlichen für ein Brückentragwerk steht, wird bei allen nachfolgenden Auswertungen jeweils auf Teilbauwerke bzw. gleichlautend auf Brücken-Teilbauwerke Bezug genommen, auch wenn nicht in jedem Einzelfall darauf gesondert hingewiesen wird. Wird z. B. die Lage der Brücken-Teilbauwerke betrachtet, befinden sich von den 27.915 Teilbauwerken im BAB- Netz 20.693 Teilbauwerke im Zuge einer BAB-Strecke, diese werden also direkt durch mehrstreifigen Autobahnverkehr belastet, während 7.222 Teilbauwerke als Überführungsbauwerke dienen. Im Bundesstraßennetz befinden sich von den gesamten 24.471 Teilbauwerken 19.393 Teilbauwerke im Zuge einer Bundesstraße, während 5.078 Teilbauwerke als Überführungsbauwerke genutzt werden. Die Gesamtbrückenfläche aller Bundesfernstraßenbrücken erreicht etwa 31 Mio. m 2 Brückenfläche (entsprechend ca. 4.350 Fußballfelder in Standardgröße 105 m x 68 m), die Gesamtlänge summiert sich auf zirka 2.150 km auf (entspricht etwa der Luftlinie Berlin-Rom). Die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg verlangte moderne, leistungsfähige Straßen. Groß angelegte Ausbauprogramme vor allem im Autobahnnetz waren die Antwort, weshalb die meisten, auch vielfach heute noch genutzten Brücken in den westlichen Bundes-ländern aus den Jahren 1960 bis 1985 stammen. In den östlichen Bundesländern setzte eine größere Erneuerungs- und Ausbauwelle im Autobahnbau nach der Wiedervereinigung 1990 ein, erkennbar am zweiten Peak der Altersstruktur der Brücken im Bild 1. Das Autobahnnetz in Ostdeutschland ist damit deutlich jünger als das in den westlichen Bundesländern einhergehend mit einem allgemein besseren baulichen Zustand und höheren Tragfähigkeit der Bauwerke. Auch wenn die großen Brücken meist sofort ins Auge fallen, so sind es doch die kleineren Brücken, die von der Anzahl her das Gros der Brücken bei den Bundesfernstraßen ausmachen. Fast 50 % der Brücken besitzen weisen Brückenlängen kleiner 30 m auf. Dagegen sind die Großbrücken mit Längen von mindestens 100 m mit knapp 7 % an der Gesamtanzahl vertreten (ca. 3.700 Teilbauwerke), dennoch verbirgt sich hierhinter eine große Brückenfläche von über 50 % der Gesamtbrückenfläche der Bundesfernstraßenbrücken. Gemessen an der Brückenfläche haben Spannbetonbrücken im Bereich der Bundesfernstraßen mit etwa 70-% den weitaus größten Anteil am Bestand, gefolgt von Brücken in Stahlbetonbauweise mit einem Anteil von etwa 17-%. Stahl- und Stahlverbundbrücken sind mit jeweils 7- % am Gesamtbestand vertreten. Andere Bauweisen, z.-B. Mauerwerkbrücken, rangieren deutlich darunter. 18 5. Brückenkolloquium - September 2022 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Bild 1: Altersstruktur der Brücken an Bundesfernstraßen anteilig nach Anzahl an Teilbauwerken 3. Bestandsaufnahme zum Bauwerkszustand 3.1 Zustandsnote - Bewertung des baulichen Zustands Regelmäßig werden die Brücken einer Brückenprüfung nach DIN 1076 unterzogen. Hierbei werden die Bauwerke durch besonders geschulte und langjährig erfahrene Bauwerksprüfingenieure im Wesentlichen handnah auf Schäden, Verschleiß und Alterungserscheinungen hin geprüft. Alle sechs Jahre findet eine „Hauptprüfung“ und drei Jahre nach der Hauptprüfung eine „Einfache Prüfung“ statt, ergänzt durch jährliche „Besichtigungen“ und halbjährliche „Laufende Beobachtungen“ ausgeführt durch geschultes Personal der Straßenmeistereien. Die Bewertung des vorgefundenen Zustands erfolgt anhand der Kriterien Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit. Mit einer Zustandsnote (ähnlich dem Schulsystem zwischen 1,0 und 4,0) inkl. einem Prüf bericht wird der bauliche Zustand der Brücke im Bauwerksbuch dokumentiert und in einer Bauwerksdatenbank abgelegt. Die Zustandsnote ist ein wichtiges Kriterium zur Planung von Erhaltungsmaßnahmen. Der aktuelle Zustand für Brücken der Bundesfernstraßen ist im Bild- 2 getrennt für Bundesautobahnen und Bundesstraßen dargestellt. Die roten Säulen repräsentieren die Zustandsnotenverteilung der Autobahnbrücken und die blauen Säulen die der Brücken an Bundesstraßen mit den stärksten Anteilen jeweils in den mittleren Zustandsnotenbereichen. Schlechtere Bauwerkszustände sind mit Zustandsnoten von drei und größer bewertet. Allerdings bedeutet eine ungenügende Zustandsnote von 3,5 nicht eine sofortige oder kurzfristige Sperrung des Tragwerks, vielmehr wird Bedarf zum Handeln aufgezeigt. Die Zustandsnoten sind bewusst so angelegt, dass bei der Ermittlung über alle Bauteile schlechtere Teilnoten durchschlagen, um den Verwaltungen frühzeitig die Möglichkeit einzuräumen, das Bauwerk instandzusetzen, bevor größere Schäden eintreten. 5. Brückenkolloquium - September 2022 19 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Bild 2: Zustandsnotenverteilung für Brücken an Autobahnen und Bundesstraßen anteilig nach Brückenfläche Der bauliche Zustand von Bundesstraßenbrücken ist tendenziell besser als jener von Autobahnbrücken. Zurückzuführen ist dieser Sachverhalt auf das deutlich geringere Güterverkehrsaufkommen mit allgemein geringeren Fahrzeuggesamtgewichten auf den Bundesstraßen. Autobahnen sind deutlich schwerer beladen, was in Summe für die Autobahnbrücken zu einer permanent hohen Brückenauslastung führt mit allen negativen Konsequenzen, wie z. B. beschleunigte Alterung und Verschleiß. Insbesondere hohe Achslasten, teilweise auf Überladungen oder falsche Beladungen der Lkw zurückzuführen, setzen den Autobahnbrücken zu. Faktisch fast alle Schäden an den Rheinbrücken sind Folge einer zu hohen örtlichen Belastung durch hohe Achslasten. Von daher nehmen wir zukünftig nicht nur den baulichen Zustand der Brücken stärker in den Fokus, sondern werden auch Anstrengungen für eine engmaschigere Überwachung des Verkehrs unternehmen. Hinsichtlich der baulichen Zustände von Brücken fällt die Zustandsbewertung von Großbrücken (Brücken mit Längen größer 100 m) generell schlechter aus als jene von kleineren Brücken, weil sich statische Defizite und Schäden bei entsprechenden Brückenlängen aufsummieren. Im Bild-3 ist die Verteilung der Zustandsnoten in Bezug auf die Brückenanzahl und in Bezug zur Brückenfläche dargestellt. Durch die regelmäßige Bauwerksprüfung nach DIN 1076 ist sichergestellt, dass unter Verkehr stehende Brücken überwacht und Schäden rechtzeitig erkannt werden. Sofern erforderlich, z. B. zur Überwachung von geschädigten Bauteilen, werden die Brücken darüber hinaus mittels eines sensorischen Brückenmonitorings kontinuierlich im 24/ 7-Dauerbetrieb überwacht (z. B. Rheinbrücken Leverkusen A-1, Duisburg-Neuenkamp A-40, Rhein-Herne-Kanalbrücke A-43). Dadurch werden zusätzliche Informationen zum Brückenzustand oder spezielle Informationen zur Schadensentwicklung an ausgewählten Tragwerksstellen in Echtzeit gewonnen, die dann in die Zustandsbewertung einspeist werden können. Die Verkehrssicherheit ist somit stets gewährleistet. 20 5. Brückenkolloquium - September 2022 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Bild 3: Zustandsnotenverteilung für Großbrücken größer 100 m Länge an Bundesfernstraßen anteilig nach Anzahl an Teilbauwerken und Brückenfläche 3.2 Traglastindex - Bewertung der Tragfähigkeitseigenschaften Die Zustandsnote als Ergebnis einer äußeren, handnahen Sichtprüfung des Bauwerks ist nur bedingt geeignet, mögliche Tragfähigkeitsdefizite einer Brücke einzuordnen. Aus dem enorm gestiegenen Schwerverkehr sowie aus Schwächen in den ursprünglichen Bemessungsvorschriften können Defizite gegenüber den heute geforderten Anforderungen bestehen, die sich auch nicht zwingend aus dem äußerlich erkennbaren Zustand der Brücken ableiten lassen, sofern keine äußeren Schäden erkennbar sind. Es erfordert einen „Blick in das Innere“ eines Tragwerks, um u. a. Abweichungen vom Soll im Tragverhalten zu erkennen und Abhilfe zu schaffen. Diese Abweichungen können bereits daraus resultieren, dass aufgrund der hohen Verkehrsbeanspruchung die Ausnutzung des Tragwerks übermäßig hoch ist, somit die zulässige Beanspruchung übersteigt, weshalb die Nutzungsfähigkeit eingeschränkt wird und Alterung sowie Verschleiß zunehmen. Durch die überproportionale Verkehrsentwicklung haben die Brücken eine Nutzungsänderung erfahren. Der Traglastindex als ein neuer, weiterer zusätzlicher Kennwert ist hier besser geeignet. Er repräsentiert die strukturellen Eigenschaften eines Tragwerks, die maßgeblichen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit einer Brücke haben. Die Bewertung erfolgt in einem Soll-Ist-Vergleich zwischen erforderlicher bzw. zukunftsfähiger Brückentragfähigkeit (Ziellastniveau gemäß der vom Bund eingeführten Nachrechnungsrichtlinie) und der rechnerisch tatsächlich vorhandenen Tragfähigkeit. Darüber hinaus werden noch bauart- oder materialbedingte Parameter berücksichtigt. Die Bewertung erfolgt in fünf Stufen: I bis V. Mit aufwachsender Stufe nehmen die Abstände zum aktuellen Ziellastniveau zu: Stufe I = keine Abweichung, Stufe V = die meisten Abweichungen. Indirekt lassen sich aus der Stufung ebenfalls Dringlichkeiten ableiten; die Stufe V umfasst demnach auch die dringlichsten Problemstellungen. Die Einordnung in die Indexstufe V muss dabei nicht bedeuten, dass eine kurzfristige Brückensperrung erforderlich ist. Sie gibt aber den Hinweis, dass aufgrund der festgestellten Zahl an statisch relevanten Kriterien die vorhandenen Reserven der Brücke zunehmend aufgebraucht sein könnten. Hierdurch wird Handlungsbedarf aufgezeigt, der im Rahmen der Brückenmodernisierung abgearbeitet wird. Eventuell können belastungsmindernde verkehrliche Maßnahmen oder Beschränkungen notwendig werden, um die Restnutzungsdauer der Bauwerke zu verlängern. Eine aktuelle Verteilung der Traglastindizes getrennt nach Bundesautobahnen und Bundestraßen ist in Bild-4 dargestellt. Bauwerke mit höherem Traglastindex ab Stufe III werden hinsichtlich der Modernisierung besonders priorisiert angegangen, weil bei diesen Brücken die Reserven zunehmend aufgebraucht sind. Die große Anzahl an Bauwerken mit Handlungsbedarf weist auf die Herausforderungen hin, die für alle Beteiligten aus den Planungsbüros, den Baufirmen und den Verwaltungen bereits heute und auch in den nächsten Jahren anstehen. Angesichts der immensen Aufgabe ist es wichtig, den Beruf des Bauingenieurs attraktiv zu gestalten, um ausreichend viele Nachwuchsingenieure gewinnen zu können. 5. Brückenkolloquium - September 2022 21 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Bild 4: Verteilung der Traglastindizes bei Brücken an Bundesautobahnen und Bundesstraßen anteilig nach Brückenfläche Von den 27.915 Brücken-Teilbauwerken im Autobahnnetz sind 8.665 Teilbauwerke der Stufe III und damit einer mittleren Dringlichkeit, 2.154 Teilbauwerke der dringlicheren Stufe IV und 1.001 Teilbauwerke der dringlichsten Stufe V zugeordnet (Tabelle-1). Wie bei den Zustandsnoten sieht die Verteilung der Indexstufen des Traglastindex bei den Brücken der Bundesstraßen günstiger aus. Von den 24.471 Teilbauwerken im Netz der Bundesstraßen sind gegenwärtig 3.307 Teilbauwerke der Indexstufe III, 824 Teilbauwerke der Indexstufe IV und 759 Teilbauwerke der dringlichsten Indexstufe V zugeordnet (Tabelle-2). Tabelle 1: Traglastindex für Brücken der Autobahnen nach Anzahl und Fläche der Teilbauwerke (A-Bauwerke = Bauwerke im Zuge von BAB, Ü-Bauwerke = Bauwerke über eine BAB) 1) Geh- und Radwegbrücken, 2) Wirtschaftswege oder Brücken ohne Tragfähigkeitseinstufung Tabelle 2: Traglastindex für Brücken der Bundesstraßen nach Anzahl und Fläche der Teilbauwerke (A-Bauwerke = Bauwerke im Zuge von B, Ü-Bauwerke = Bauwerke über eine B) 1) Rad- und Gehwege, 2) Wirtschaftswege oder Brücken ohne Tragfähigkeitseinstufung 22 5. Brückenkolloquium - September 2022 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick 4. Aktuelle Herausforderungen im Brückenbau 4.1 Verkehrsentwicklung Der überproportionale Anstieg des Schwerverkehrs in den letzten Jahrzehnten, sowohl bei den Fahrzeuggesamtgewichten, den Achslasten als auch in der Häufigkeit (DTV und Jahresfahrleistung, Bild- 5), in Verbindung mit der Altersstruktur der Brücken machen Erhaltungsmaßnahmen zur Verbesserung des Zustandes und vor allem der Tragfähigkeit vieler älterer Brücken erforderlich. Dem Anstieg der Verkehrsleistung steht bei den älteren Brücken oftmals eine eingeschränkte Tragfähigkeit gegenüber, die sich neben bauartspezifischen Defiziten vor allem aus den damaligen normativ geforderten Brückentragfähigkeiten ergibt. Die Brückentragfähigkeit wird anhand der Brückenstatik festgelegt, indem entsprechende normative Verkehrslastmodelle bei der Dimensionierung der Tragwerke berücksichtigt werden. Hier hat sich in den letzten Jahrzehnten eine deutliche Steigerung ergeben (Bild-6). Folglich sind ausgewiesene Brückentragfähigkeiten an jeweilige Normungsstände gebunden. a) Entwicklung des durchschnittlichen täglichen Verkehrs (DTV) in Kfz/ 24h b) Entwicklung der jährlichen Fahrleistung in Mrd. Kfz-km Bild 5: Entwicklung der Verkehrsleistung: a) DTV und b) Fahrleistung [1] 5. Brückenkolloquium - September 2022 23 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Bild 6: Normative Verkehrslastmodelle in Verbindung mit der Entwicklung der zulässigen Fahrzeuggesamtgewichte und Achslasten gemäß StVO Im Bild-7 sind die vorhandenen Brückentragfähigkeiten aller Bauwerke an Bundesfernstraßen dargestellt. Aktuelle Brückenneubauten werden seit 2013 für das europäische Lastmodell LMM bzw. wurden davor seit 2003 für das Lastmodell LM1 nach DIN-Fachbericht 101 ausgelegt. Diese Brückengeneration erfüllt alle aktuellen Anforderungen an Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit. Bei den Brücken der Brückenklasse 60/ 30 erfüllen zumindest die jüngeren Bauwerke ab Herstelljahr 1985 weitgehend alle heute gestellten Anforderungen. Brücken älterer Jahrgänge vor 1985 sind jedoch für deutlich geringere Verkehrslasten ausgelegt worden. Immerhin zählen zu dieser Gruppe über 50 % der Bestandsbrücken an Bundesfernstraßen. Diese Bauwerke werden in den nächsten Jahren zu modernisieren sein. Bild 7: Tragfähigkeitsverteilung für Brücken im Zuge der Bundesfernstraßen anteilig nach Anzahl der Teilbauwerke Bei Brücken der Brückenklasse 60 oder geringer sind die einstmals vorhandenen Tragreserven inzwischen zunehmend aufgebraucht. Hier bedarf es Verstärkungen oder Ersatz älterer Bauwerke für einen möglichst ungehinderten Verkehrsfluss. Verkehrliche Einschränkungen, z. B. Lkw-Überholverbot, Lkw-Abstandsgebot auch im Stau etc. können eine Interimslösung sein, um Tragwerksschwächen zu kompensieren, solange die Verstärkung noch nicht umgesetzt oder der Ersatzneubau noch nicht fertiggestellt wurde. Die Kompensationsmaßnahmen sind in der Nachrechnungsrichtlinie des Bundes [2] geregelt. 4.2 Bauliche Defizite Bauliche Defizite aus der Herstellung der Bauwerke sind ebenfalls an Ausgabestände von Normen gebunden. Bei Spannbetonbrücken betrifft dies neben der Koppelfugenproblematik und der Verwendung von gegenüber Spannungsrisskorrosion sensitiven Spannstählen vorrangig das Querkrafttragverhalten, weil sich u. a. die Bemessungsansätze über die Jahrzehnte insbesondere bei Spannbetonbrücken mehrfach geändert haben und erst seit 1966 Mindestbewehrungsgrade zur Verhinderung eines spröden Versagens quantitativ gefordert werden. Bei Stahl- und Stahlverbundbrücken steht neben der Materialermüdung von Stahlbauteilen das Stabilitätsverhalten, z. B. das Beulen großer Blechfelder von Stahlträgern, bei den Untersuchungen im Vordergrund. Die Beulnachweise hoher Hauptträgerstege genügen erst seit 1978 den heutigen, aktuellen Anforderungen. Ältere Stahl- und Stahlverbundbrücken, die vor 1980 gebaut wurden und bei denen die Methodik der heutigen Nachweisverfahren noch keine Anwendung fand, können je nach Ausführung das systemische Problem einer zu geringen Beulsicher- 24 5. Brückenkolloquium - September 2022 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick heit in sich tragen. Aufgrund der aktuellen Probleme mit der Rahmedetalbrücke, A-45, wurde eine entsprechende Untersuchung zu möglichen Beulverformungen für ähnlich aufgebaute Brücken bei den Ländern und der Autobahn GmbH des Bundes veranlasst. Bei der Entwicklung von Bauvorschriften werden regelmäßig erkannte Defizite und Schwächen adressiert und durch angepasste oder neue Regelungen bei der Normenfortschreibung abgestellt. So kann festgestellt werden, dass ab 1985 ein Normungsstand erreicht war, der in wesentlichen Zügen für die konstruktive Durchbildung der Tragwerke vielfach auch heute noch Bestand hat. 5. Modernisierung von Brücken der Bundesfernstraßen 5.1 Grundsätzliche Vorgehensweise bei der Brückenmodernisierung Die grundsätzliche Vorgehensweise bei der Modernisierung von Brücken ist im Bild-8 dargestellt. Durch eine Nachrechnung nach Nachrechnungsrichtlinie des Bundes [2] werden die Abweichungen vom Soll einer Brücke hinsichtlich Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit genau ermittelt, bewertet und mögliche Abhilfemaßnahmen erörtert, während der Traglastindex hierfür nur ein Indiz vermittelt. Anhand einer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung erfolgt die Festlegung baulicher Maßnahmen, die dann finanziert und umgesetzt werden. Bild 8: Ablauf der Brückenmodernisierung Die Bauwerke, die prioritär zu untersuchen sind, müssen zuvor nach baulichen und/ oder verkehrlichen Kriterien aus dem zu untersuchenden Bauwerksbestand herausgefiltert werden. 5.2 Bisherige Priorisierung von Einzelbauwerken (BASt-Liste) Ausgehend von der von Bund und Ländern gemeinsam erarbeiteten „Strategie zur Ertüchtigung der Straßenbrücken im Bestand der Bundesfernstraßen“ wurden in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) und den Ländern in einem ersten Schritt ca. 2.500 Teilbauwerke aus dem Gesamtbestand der Brücken der Bundesfernstraßen herausgefiltert und hinsichtlich ihrer Dringlichkeit zur statischen Untersuchung und ggf. Verstärkung gereiht. Weil sehr unterschiedliche Faktoren und Kriterien Einfluss auf die Dringlichkeit haben, wurde ein multi-kriterieller Ansatz zu Bewertung der Bauwerke gewählt: • Zustandsbewertung der Bauwerke: Zustandsnote und Substanzkennzahl, • Bauwerksalter, • Besondere Brückencharakteristika: Großbrücken (Länge ≥ 100 m), Brücken mit Einzelstützweiten ≥ 20 m, fehlende Temperaturlastfälle in der Brückenstatik, Angaben zu Koppelfugen und bestimmten Spannstählen bei Spannbetonbrücken in Abhängigkeit vom Baujahr, • Verkehrsbelastung: DTV-SV (durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke des Schwerverkehrs). Die Priorisierung der Bauwerke umfasste damit eine qualitative Bewertung sowohl der Streckenabschnitte als auch der darin befindlichen Brücken, indem mittels eines Punktesystems die Einzelkriterien benotet und mathematisch miteinander zu einer Bewertungsziffer (Prioritätszahl) verbunden wurden. Hohe Bewertungsziffern führen zu entsprechenden Dringlichkeiten, wodurch die Reihung letztlich gegeben war. Sie sind jedoch kein Ausdruck einer etwaigen Gefährdung von Bauwerken. Großbrücken stellten sich regelmäßig hierbei als besonders dringlich dar, weil diese Einzelschäden und Defizite aufsummieren. Die Bauwerksliste wurde aus Übersichtlichkeitsgründen anfangs auf 2.500 Teilbauwerke begrenzt, weshalb die BASt-Liste tatsächlich nur einen begrenzten Ausschnitt des gesamten Untersuchungsraums darstellt. Von den 2.500 Teilbauwerken ist inzwischen ein erheblicher Anteil abgearbeitet worden oder wird derzeit bearbeitet (Bild-9). Während 833 Teilbauwerke fertiggestellt wurden, befinden sich 1.157 Teilbauwerke in der Bearbeitung, d. h. diese werden statisch nachgerechnet oder hinsichtlich notwendiger Verstärkungsmaßnahmen beplant, oder es werden bereits die planerischen Vorarbeiten für einen Ersatzneubau vorangetrieben, wenn dieses Vorgehen wirtschaftlicher ist. Etwa 484 Bauwerke müssen noch bearbeitet werden. 5. Brückenkolloquium - September 2022 25 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Bild 9: Stand der Abarbeitung besonders dringlich eingeschätzter Bauwerke (Bauwerke der BASt-Liste, BAB und B) 5.3 Neue Priorisierung von Einzelbauwerken im Netz der Autobahnen Vor dem Hintergrund vorliegender mehrjähriger Erfahrungen von Brückennachrechnungen wurden die Brücken des gesamten Bestandsnetzes der Bundesfernstraßen mit zugeschärften technischen Kriterien aktuell erneut ausgewertet und Bilanz gezogen. Hierbei wurde vor allem der Traglastindex erstmals herangezogen, der seinerzeit bei der ersten grundlegenden Auswertung der Bestandsbauwerke, die zur BASt-Liste führte, noch nicht verfügbar war. Das Ergebnis der Auswertung ist in Abschnitt 3.2, insbesondere in den Tabellen 1 und 2, wiedergegeben und beschrieben. Mit dem Traglastindex lässt sich die Priorisierung von Modernisierungsmaßnahmen der BASt-Liste sinnvoll fortschreiben, indem zum einen Brücken mit technischen Unzulänglichkeiten sehr einfach und schnell identifiziert, zum anderen durch die gestufte Indexdarstellung die Dringlichkeiten hinsichtlich notwendiger Modernisierungsmaßnahmen abgeleitet werden können. Darüber hinaus können mit dem Traglastindex ähnlich den Zustandsnoten aggregierte Darstellungen erzeugt werden, anhand derer Vergleiche von Brücken untereinander auch zu verschiedenen Zeitpunkten möglich werden. Die Priorisierung wird sehr transparent. Die sehr breite Untersuchungsbasis gewährleistet darüber hinaus, dass alle Bauwerke der ehemaligen BASt-Liste in der Priorisierung mit dem Traglastindex aufgehen. Von daher ist es folgerichtig, dass der Traglastindex die BASt-Liste als Priorisierungsinstrument ablöst. Bei der Netzanalyse gilt es jedoch zu beachten, dass der Traglastindex zwar als Leitgröße, jedoch nicht als alleinige Grundlage für die Priorisierung von Erhaltungs- und Ertüchtigungsmaßnahmen an Brücken dienen sollte. Eine Priorisierung erfordert zumindest auch die Berücksichtigung des baulichen Erhaltungszustandes der Brücken, also die Bewertung nach Zustandsnoten. Darüber hinaus können weitere Parameter, wie z. B. die Verkehrsbedeutung der Strecke (u. a. Korridorbetrachtung in der Brückenmodernisierung), geplante Um-, Ausbau oder Erhaltungsmaßnahmen der Strecke sowie eine geplante gemeinsame Abwicklung von Baumaßnamen an Strecke und Bauwerken im Sinne einer Baustellenkoordination berücksichtigt werden. Für eine Gesamtnetzanalyse im BAB-Netz werden in Summe alle Bauwerke im Zuge einer Autobahn und nur teilweise Überführungsbauwerke betrachtet, hier mit der Einschränkung nur für die Überführung höherwertiger klassifizierter Straßen über eine Autobahn (B-, L-, Kreisstraßen), also keine Gemeindestraßen und Wirtschaftswege. Gemeinde- und Wirtschaftswege werden nicht in die Untersuchung einbezogen, weil die verkehrliche Bedeutung und damit auch die Anforderungen an diese Kategorie von Straßen und Wegen geringer und nicht vergleichbar mit den übrigen Brücken sind. Insgesamt wurden damit 23.395 Bauwerke betrachtet. Damit ergibt sich eine erste Übersicht zur Anzahl der zu priorisierenden Bauwerke (Tabelle-3), aufgeschlüsselt nach den jeweiligen Stufen des Traglastindex, und Bauwerken, die keiner Maßnahme bedürfen. Von Bedeutung sind hierbei insbesondere jene Teilbauwerke, die einen Traglastindex III, IV oder V aufweisen. 26 5. Brückenkolloquium - September 2022 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Tabelle 3: Priorisierung von Autobahnbrücken (A- und Ü-Bauwerke, jeweils Teilbauwerke) nach dem Traglastindex 1) Kleine Brücken oder Brücken ohne Tragfähigkeitseinstufung Die Priorisierung mit den Traglastindex fokussiert vor allem auf Tragfähigkeitsdefizite der Bauwerke. Brücken, die derzeit dem Traglastindex I zugeordnet sind, weisen in der Regel das Tragfähigkeitsniveau LM1 nach DIN- Fachbericht 101 oder LMM nach Eurocode 1 auf und erfüllen alle aktuellen Anforderungen an die Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit. Diese Brücken bedürfen keiner weiteren speziellen Untersuchung. Bauwerke, die derzeit in die Brückenklasse 60/ 30 (BK60/ 30) eingestuft sind und 1985 oder später gebaut wurden - hierbei handelt es sich um Bauwerke, die in Bezug auf die konstruktive Durchbildung den heutigen Anforderungen genügen, z. B. alle Brücken in Strecken der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit (VDE) - sind in Abhängigkeit von Stützweitenverhältnissen und der Verkehrsbelastung der Indexstufe III oder II zugeordnet und können aufgrund der vorhandenen Tragreserven und Robustheit nachrangig betrachtet werden oder sogar unberücksichtigt bleiben. Dagegen sind Bauwerke der Tragfähigkeitsklasse BK60/ 30 mit Baujahr vor 1985 trotz Traglastindex III als prioritär anzusehen, weil bei dieser Generation von Brücken technische Sachverhalte anders beurteilt wurden als heute. Das Verhältnis der Bauwerke mit einem Baujahr vor und nach 1985 wird in etwa als hälftig abgeschätzt. Bauwerke der Indexstufe IV und V weisen die größten Abweichungen vom Soll auf. Hierunter fallen viele Autobahnbrücken mit einer Brückenklasse 60 und geringer. Aufgrund der teilweise sehr großen Abweichungen zwischen IST- und SOLL-Tragfähigkeit bei Brücken der Indexstufe IV und V kann nahezu immer wegen fehlender technischer Machbarkeit oder Unwirtschaftlichkeit von Verstärkungsmaßnahmen eine Modernisierung durch einen Ersatzneubau angenommen werden. Im Bild- 10 ist die regionale Verteilung der Autobahnbrücken (Teilbauwerke) mit einer Indexstufe IV und V dargestellt. Eine Konzentration auf die älteren Autobahnen in den westlichen Bundesländern ist zu erkennen, d. h. hier ist ein entsprechend großer Bedarf an Modernisierungsmaßnahmen von Autobahnbrücken vorhanden. 5. Brückenkolloquium - September 2022 27 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Bild 10: Regionale Verteilung von Autobahnbrücken (A- und Ü-Bauwerke, jeweils Teilbauwerke) mit einem Traglastindex der Stufe IV und V im Autobahnnetz) Teilbauwerke mit einem Traglastindex III und einem Baujahr vor 1985 werden verstärkt oder ebenfalls ersetzt, wohingegen Bauwerke mit einem Traglastindex III mit einem Baujahr nach 1985 oder auch Bauwerke mit dem besseren Traglastindex II im Regelfall wenig Verstärkungsaufwand erfordern und deshalb als nachrangig angesehen werden; aus statischer Sicht sind i. d. R. vorerst keine dringenden Maßnahmen erforderlich. Neben dem Traglastindex als Leitgröße fließt final auch der bauliche Zustand der Brücken in die Priorisierung ein. Dies gilt insbesondere für jene Teilbauwerke, die einen schlechten Bauwerkszustand aufweisen, weil Schäden, Alterungserscheinungen und Verschleiß sich mittelfristig nachteilig auf die Tragfähigkeit eines Bauwerks auswirken können. Deshalb werden zu den obigen Auswertungen nach dem Traglastindex folglich noch jene Teilbauwerke hinzugerechnet, die eine schlechte Zustandsbewertung (Zustandsnote >- 3,5) haben, jedoch nicht den Indexstufen III, IV oder V zugeordnet sind. Dies sind im Autobahnnetz 61 Teilbauwerke. 28 5. Brückenkolloquium - September 2022 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Folglich lässt sich der voraussichtliche Gesamtbedarf an zu modernisierenden Autobahnbrücken (Teilbauwerke) wie folgt abschätzen: Traglastindex III zu 50 % 4.461 Teilbauwerke Traglastindex IV 2.287 Teilbauwerke Traglastindex V 1.274 Teilbauwerke Zustandsnote > 3,5 61 Teilbauwerke Gesamtnetz BAB 8.083 Teilbauwerke 5.4 Besonders dringliche Einzelbauwerke im Netz der Bundesstraßen Bei den Bundesstraßen lassen sich die Gesamtaufwendungen hinsichtlich Brückenmodernisierung in derselben Weise wie bei den Autobahnen zusammenfassen, indem alle Bauwerke im Zuge einer Bundesstraße und alle Überführungsbauwerke höherwertiger klassifizierter Straßen über eine Bundesstraße (B-, L-, K-Straßen), also keine Gemeindestraßen und Wirtschaftswege, in die Betrachtung einbezogen werden. Insgesamt wurden 20.552 Bauwerke bewertet. Tabelle 4: Priorisierung von Brücken der Bundesstraßen (Teilbauwerke) nach dem Traglastindex 1) Wirtschaftswege oder Brücken ohne Tragfähigkeitseinstufung, 2) Rad- und Gehwege Die Anzahl an zu priorisierenden Bauwerken ergibt sich aus der Zuordnung zu den Traglastindexstufen, wie in Tabelle-4 ersichtlich ist, aufgeschlüsselt nach den jeweiligen Traglastindexstufen. Wiederum von Bedeutung sind hierbei insbesondere jene Teilbauwerke mit einem Traglastindex IV oder V (Bild-11), und hälftig die der Indexstufe III. Auch wenn sich die schlecht bewerteten Brücken (Teilbauwerke) nicht an ausgewiesenen Hauptstrecken festmachen, so ist doch wie bei den Autobahnbrücken beim Traglastindex ein deutliches Ost-West-Gefälle zu beobachten. Wegen der schlechten Zustandsbewertung einiger Bauwerke sind trotz eines Traglastindex von I oder II noch etwa 100 Teilbauwerke mit einer Zustandsnote größer 3,5 hinzuzurechnen, so dass in der Gesamtschau ca. 3.000 Teilbauwerke im Bundesstraßennetz vordringlich zu modernisieren sind: Traglastindex III zu 50 % 1.576 Teilbauwerke Traglastindex IV 714 Teilbauwerke Traglastindex V 640 Teilbauwerke Zustandsnote > 3,5 100 Teilbauwerke Gesamtnetz BStr. 3.030 Teilbauwerke 5. Brückenkolloquium - September 2022 29 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Bild 11: Regionale Verteilung von Brücken im Netz der Bundesstraßen (A- und Ü-Bauwerke, jeweils Teilbauwerke) mit einem Traglastindex der Stufe IV und V) 6. Modernisierung von Autobahnkorridoren (Brückenmodernisierungsnetz) Für eine systematische Modernisierung eines Autobahn- Gesamtnetzes ist es nicht sinnvoll und auch nicht zielführend, allein und losgelöst von zusammenhängenden Streckenzügen singuläre Bauwerke zu betrachten. Wegen der bedeutenden überregionalen Verbindungsfunktion der Autobahnen muss die Brückenmodernisierung im Autobahnnetz differenzierter angegangen werden. Anstelle von Einzelbauwerken müssen vielmehr wichtige Netzabschnitte und Korridore mit hoher Verkehrsbedeutung vordringlich modernisiert werden (Bild 12), um den Verkehr zwischen Metropolen, Industriezentren und Seehäfen verlässlich, verkehrssicher und mit hoher Verfügbarkeit aufnehmen und abwickeln zu können. Dringliche Autobahnabschnitte können somit schneller zukunftsfähig hergerichtet und in leistungsfähigerer Form verkehrswirksam werden; sie tragen somit in kürzerer Zeit zur Steigerung von Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs bei. 30 5. Brückenkolloquium - September 2022 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Bild 12: Brückenmodernisierungsnetz (gelb hinterlegte BAB-Strecken) Die Strategie zur Modernisierung von Autobahnbrücken wurde auf die Modernisierung von Brücken ganzer Streckenzüge ausgeweitet. Auf diese Weise konzentriert sich die Brückenmodernisierung zwar in erster Linie auf ein vordringlich herzurichtendes Teilnetz an BAB-Strecken (Brückenmodernisierungsnetz), derweil der Verkehr im übrigen Teilnetz fließen kann, lässt aber dennoch ausreichend Ressourcen für die Modernisierung von besonders dringlichen Einzelbauwerken außerhalb des prioritären Netzes und für eine ungeschmälerte Fortführung sonstiger Erhaltungsmaßnahmen an Autobahnbrücken zu. Denn trotz Fokussierung auf das Brückenmodernisierungsnetz dürfen besonders dringliche Einzelbauwerke außerhalb des Teilnetzes sowie die normalen Erhaltungsmaßnahmen an allen Brücken nicht vernachlässigt werden. Mit dieser durchgehenden Netzstrategie soll in den nächsten acht Jahren ein Teilnetz aus Autobahnstrecken mit leistungsfähigen Brücken zukunftssicher hergerichtet werden, während Nachbarstrecken außerhalb des Brückenmodernisierungsnetzes mit ausreichender Zuverlässigkeit den Verkehr abwickeln. Das Brückenmodernisierungsnetz deckt mit einer Länge von rund 7.000-km etwas mehr als die Hälfte des Autobahnnetzes ab und enthält 10.683 Teilbauwerke (Tabelle 5). 5. Brückenkolloquium - September 2022 31 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Die Festlegung der Korridore erfolgte in enger Abstimmung mit den Straßenbauverwaltungen der Länder, später auch unter Mitwirkung der Autobahn GmbH des Bundes. Hierbei wurden Maßnahmen des neuen Bedarfsplans 2016, Maßnahmen der Streckenerhaltung (soweit bekannt), Strecken des europäischen TEN-V-Kernnetzes, Zulaufstrecken zu Seehäfen sowie Strecken, die von der Schwertransportindustrie als besonders wichtig deklariert wurden, berücksichtigt. Während in den ersten Darstellungen des prioritären Netzes die Bundesautobahnen A 45 und A 81 nicht Bestandteil des Brückenmodernisierungsnetzes waren, sind sie seit diesem Jahr integraler Teil des Netzes. Dieser Schritt ist sinnvoll, weil beide Autobahnen zu großen Teilen nur aus Brückenbauwerken bestehen und kaum Umfahrungsmöglichkeiten für unplanmäßige Ausfälle bieten. Daher sind beide Strecken möglichst schnell zukunftsfest zu machen. Die Auswertung der aktuellen Tragfähigkeitseinstufung der Bauwerke im Zuge von BAB-Strecken des Brückenmodernisierungsnetzes inkl. der neu zugeordneten Autobahnen A-81 und A-45 (Tabelle-5) zeigt, dass in Bezug zur Gesamtanzahl von 10.683 Teilbauwerken im prioritären Netz etwas weniger als die Hälfte in die nicht zukunftsfähige Brückenklasse 60 oder geringer eingestuft sind, was einem Traglastindex IV und V und teilweise III (ca. 70-%) entspricht. Der Anteil ist hoch, aber auch nachvollziehbar. Denn tendenziell werden durch das Brückenmodernisierungsnetz die Hauptrouten im Autobahnnetz erfasst, vielfach in Westdeutschland, die durch ihre Verbindungsfunktion von Metropolen und Industriezentren besonders viel und vor allem schweren Güterverkehr zu tragen haben. Fast immer trifft es hierbei die älteren Autobahnen mit Brücken, die für deutlich geringere Verkehre vor 1985 gebaut wurden und die aufgrund des permanent hohen Verkehrsaufkommens eine andauernde hohe Bauwerksauslastung aufweisen. Tabelle 5: Traglastindex der Brücken im Brückenmodernisierungsnetz (Bauwerke nur im Zuge von BAB-Strecken) 1) Kleine Brücken oder Brücken ohne Tragfähigkeitseinstufung Für die Priorisierung im Brückenmodernisierungsnetz werden jene Teilbauwerke mit einem Traglastindex der Stufen IV und V sowie anteilig die Stufe III berücksichtigt. Der Anteil der Bauwerke der Stufe III wird hier mit etwa 70 % als dringlich angerechnet. In Summe ergeben sich Stand heute für das Brückenmodernisierungsnetz 3.946 zu modernisierende Teilbauwerke im Zuge von Autobahnen, darunter viele kleinere Standardbauwerke. Derzeit befinden sich 1.296 Teilbauwerke in verschiedenen Phasen der Planung oder des Baus, sind also in Bearbeitung und werden nachgerechnet, verstärkt, als Ersatzneubauten beplant oder sind bereits im Bau. Aus diesem Kontingent rekrutiert sich zu wesentlichen Teilen die Planungsreserve für die nächsten Jahre. Weitere 2.650 Teilbauwerke müssen einer Bearbeitung noch zugeführt werden (Tabelle-6). Tabelle 6: Abarbeitungsstand der Brücken im Zuge von Autobahnen im Brückenmodernisierungsnetz nach Anzahl der Teilbauwerke Anzahl noch zu modernisierender Teilbauwerke 3.946 Davon sind in Bearbeitung noch nicht in Bearbeitung 1.296 2.650 Auch wenn die Brückenmodernisierung noch nicht den eingeschwungenen Zustand erreicht hat und weitere Anstrengungen hinsichtlich Planungs- und Baubeschleunigung notwendig sind, so ist doch im Bild-13 zu erkennen, dass die massiven Investitionen in die Brückenerhaltung und -modernisierung den negativen Trend in der Zustandsentwicklung der Bauwerke gestoppt haben. Der Anteil der mit sehr gut bis gut bewerteten Bauwerke (grüne Farbkodierung) bezogen auf die Gesamtbrückenfläche aller Brücken der Bundesfernstraßen hat sich stabilisiert, der Anteil der Bauwerke mit schlechterem Zustand (Zustandsnote größer 3,0, rote Farbkodierung) ist spürbar verringert worden. 32 5. Brückenkolloquium - September 2022 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Bild 13: Zustandsnotenverteilung für Brücken an Bundesfernstraßen im Jahresvergleich anteilig nach Brückenfläche 7. Finanzierung und Mittelumsatz bei der Brückenmodernisierung Insgesamt hat das BMDV die Investitionen in die Erhaltung der Bundesfernstraßen (Strecke und Brücke) kräftig aufgestockt. Ausgehend von derzeit rund 4,5 Mrd. Euro pro Jahr, von denen im Jahr 2022 rund 1,6- Mrd. Euro in die Brückenerhaltung fließen werden, ist nun in Umsetzung des Koalitionsvertrages seitens des BMDV eine weitere schrittweise Erhöhung der Erhaltungsmittel auf 5,7 Mrd. Euro im Jahr 2026 angestrebt. Der jährliche Mittelbedarf für die Brückenerhaltung inkl. Modernisierung ist weiterhin hoch und muss zukünftig gesteigert werden. Mit den gesteigerten Investitionen sind alle geplanten jährlichen Maßnahmen ordnungsgemäß umsetzbar. Der höhere Mittelbedarf ist eng mit einer notwendigen Steigerung der Leistungsfähigkeit der Autobahn GmbH des Bundes verbunden. Wurden in den letzten Jahren im Mittel etwa 200 Autobahnbrücken modernisiert, so verlangt das immense Aufgabenportfolio nahezu eine Verdopplung des Bauumsatzes auf ca. 400 Autobahnbrücken pro Jahr (Bild-14), wenn die Brückenmodernisierung im Autobahnnetz in etwa zwei Dekaden geleistet werden soll. Bild-14: Geplanter jährlicher Aufwuchs der modernisierten und fertiggestellten Autobahnbrücken bis zum Jahr 2026 5. Brückenkolloquium - September 2022 33 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Anhand einer Modellrechnung mit Mittelwerten lässt sich der dafür erforderliche Mittelbedarf ableiten. Bezogen auf alle Brücken-Teilbauwerke im Autobahnnetz ergibt sich eine rechnerische Vergleichsbrücke mit folgenden Kenndaten: mittlere Länge 50 m, mittlere Breite 15 m und mittlere Brückenfläche 750 m 2 . Mittelbedarf für Brückenmodernisierung der Autobahnbrücken Wurden bisher im Mittel der letzten Jahre ca. 200 Autobahnbrücken (Teilbauwerke) in einem Jahr modernisiert, so ergeben sich anhand der Vergleichsbrücke mit einem aktuellen mittleren Kostenansatz von ca. 4000-EUR/ m² ein aktueller Mitteleinsatz von ca. 600 Mio. EUR pro Jahr für die Brückenmodernisierung im Autobahnbereich. Diese Summe ist in der Wirtschaftsplanung der Autobahn GmbH für das Jahr 2022 enthalten (Bild 15): 750 m² ´ 4000,00 EUR/ m² ´ 200 TBW = 600 Mio. EUR Da die Zahl der modernisierten Brücken im Autobahnnetz bis zum Jahr 2026 auf ca. 400 Autobahnbrücken (Teilbauwerke) pro Jahr ansteigen soll und darüber hinaus auf der Kostenbasis von 2022 eine 4 %ige jährliche Kostensteigerung in Ansatz gebracht werden muss (neuer Kostenansatz 1,04 4 ´ 4000 EUR/ m² = 4.700 EUR/ m²) ergibt sich ein notwendiger Haushaltmitteleinsatz von ca. 1,4 Mrd. EUR allein für die Autobahnen, für den wir uns einsetzen werden: 750 m² ´ 4700,00 EUR/ m² ´ 400 TBW = 1.410 Mio. EUR ≈ 1,4 Mrd. EUR Im Bild 15 ist der erforderliche Mittelaufwuchs für die Modernisierung der Autobahnbrücken dargestellt. * geschätzte 600-Mio.-€ sind in der Wirtschaftsplanung der Autobahn GmbH für die Jahre 2022 ff. bereits enthalten Bild 15: Erforderlicher Mittelaufwuchs für die Modernisierung von Autobahnbrücken Mittelbedarf für Brückenmodernisierung der Bundesstraßenbrücken Für die Brücken der Bundesstraßen sind analoge Betrachtungen anzustellen. Wurden in den letzten Jahren ca. 250 bis 300 Mio. EUR für die Brückenmodernisierung verausgabt, werden bei vergleichbarem jährlichen Modernisierungsaufwand inkl. einer 4-%igen jährlichen Preisentwicklung im Jahr 2026 bekanntermaßen etwa 400-Mio. EUR zu veranschlagen sein. Mittelbedarf für übliche Bauwerkserhaltung Die Aufwendungen der üblichen Erhaltungsmaßnahmen, z. B. Betoninstandsetzung bei Betonbrücken, Erneuerung des Korrosionsschutzes von Stahlbrücken, Lagertausch etc., werden sich für die Bundesfernstraßen (BAB und B) bei vergleichbarem Aufgabenumfang bis 2026 bei etwa ca. 700 Mio. EUR jährlicher Kosten (inkl. jährlicher Preisentwicklung) einpendeln. Gesamter Mittelbedarf für die Bundesfernstraßen In der Gesamtbetrachtung der Bauwerkserhaltung werden für die Brückenmodernisierung für die Bundesfernstraßenbrücken (BAB und B) im Jahr 2026 etwa 1,8 Mrd. EUR benötigt werden. Hinzukommen die Aufwendungen für übliche Erhaltungsmaßnahmen in Höhe von 700 Mio. EUR, so dass in Summe die erforderlichen Erhaltungsmittel auf ca. 2,5-Mrd. EUR im Jahr 2026 anwachsen werden (Bild 16). Für diese Summe werden wir uns einsetzen. 34 5. Brückenkolloquium - September 2022 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Bild 16: Erforderlicher Mittelaufwuchs für die Erhaltung der Bundesfernstraßen Es zeichnet sich folglich ab, dass die notwendigen Investitionsmittel in die Bauwerkserhaltung in den kommenden Jahren dringend verstärkt werden müssen, um die gewaltige Aufgabe der Zukunftssicherung der Brücken der Bundesfernstraßen zu stemmen. Für diesen Mittelaufwuchs werden wir uns bei den anstehenden Haushaltsverhandlungen einsetzen. Personalbedarf Zur Umsetzung der Investitionsmittel ist ein entsprechender Personaleinsatz erforderlich, so dass der jeweilige Bedarf stark mit dem Jahresbauprogramm verwoben ist. In Abhängigkeit vom verfügbaren eigenen Personalbestand (inkl. Personalaufwuchs) muss der darüber hingehende Bedarf über Drittmittelvergaben an Ingenieurbüros gedeckt werden, um das ambitionierte Bauprogramm sowohl bei den Bundesstraßen als auch bei den Bundesautobahnen realisieren zu können. Die notwendigen Ingenieurmittel (eigenes Personal und Ingenieurverträge) für die notwendigen Planungen lassen sich etwa mit 18 % der Baukosten abschätzen. 8. Rechtlich flankierende Maßnahmen für Ersatzneubauplanungen für Brücken im Zuge von Bundesfernstraßen Ein wesentlicher Zeitfaktor bei der Vorbereitung von Brückenmodernisierungsmaßnahmen ist die Schaffung von Baurecht. In Bezug auf Ersatzneubauplanungen für Brücken im Zuge von Bundesfernstraßen sind zwei Gesetzesanpassungen aus der letzten Legislaturperiode hervorzuheben: • Um den Ersatz von hoch belasteten Brücken zu beschleunigen, hat der Bund mit dem in 2018 in Kraft getretenen Gesetz zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich Regelungen zur Planungsbeschleunigung geschaffen. Dies bringt insoweit eine Erleichterung, als dass anstelle eines Planfeststellungsverfahrens auch dann ein Plangenehmigungsverfahren durchgeführt werden kann, wenn eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist. • Mit dem Gesetz zur weiteren Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich aus 2020 wird der Begriff der „Änderung“ einer Bundesfernstraße in §-17 Abs. 1 Bundesfernstraßengesetz (FStrG) legaldefiniert und restriktiver gefasst, um Maßnahmen leichter als Unterhaltungsmaßnahmen und damit ohne Baurechtverfahren durchführen zu können. Über eine 1: 1 Wiederherstellung hinaus sind auch konstruktive Anpassungen der neuen Infrastruktur als Unterhaltungsmaßnahmen möglich. Rein konstruktive Verbesserungen der Straße zur Anpassung an aktuelle Regelwerke, Standards, Sicherheits- oder Verkehrsbedürfnisse können dann zwar eine bauliche Umgestaltung der Straße darstellen, aber überschreiten nicht zwingend die Erheblichkeitsschwelle, sind damit keine Änderungen im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG und werden somit nach einer Einzelfallprüfung als Unterhaltungsmaßnahmen qualifiziert. Bereits nach geltender Rechtslage kann der Ersatz einer abgängigen Autobahnbrücke an Ort und Stelle genehmigungsfrei und auch ohne Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgen. Maßgebend sind stets die Umstände des Einzelfalls. Empfehlenswert ist die frühzeitige Einbindung und Abstimmung des Vorhabenträgers mit den zuständigen Behörden. In dieser Legislatur stehen vor allem die Digitalisierung von Verwaltungsprozessen und die Optimierung interner Verfahrensabläufe im Fokus. Eine Digitalisierung des Planungs- und Genehmigungsverfahrens ist geboten, um dieses Verfahren unter der Zielsetzung der Beschleunigung, Qualitätssicherung sowie unter Wahrung der Öffentlichkeitsbeteiligung zu modernisieren. Durch Digitalisierung können Schnittstellen eingespart und Entscheidungswege beschleunigt werden. Digitale Projekte, wie Wissensplattformen zum Datenaustausch, zum Beispiel beim Artenschutz, könnten zukünftig einen Beitrag zur Verfahrensbeschleunigung leisten. Auch die Nutzung von Building Information Modeling (BIM) soll weiter vorangetrieben werden. Neben der Digitalisierung spielt auch die Qualität interner Verwaltungsstrukturen und Prozesse eine entscheidende Rolle bei der Planungsdauer. Damit die internen Strukturen und Prozesse gut funktionieren, ist ausreichendes, gut ausgebildetes Personal erforderlich, das interdisziplinär zusammenarbeitet. Notwendig sind auch eine effiziente Projektorganisation, eine frühzeitige Ab- 5. Brückenkolloquium - September 2022 35 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick stimmung mit allen Beteiligten, klare Entscheidungswege sowie ein effizientes Controlling. Darüber hinaus sollen auch alle noch bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten zur Planungsbeschleunigung ausgeschöpft werden. Welche Gesetzesanpassungen für die Baurechtsschaffung von Brückenersatzneubauten erfolgen können, wird aktuell geprüft. Dies schließt auch die Prüfung der Legalplanung für ausgewählte Brückenbauwerke als Pilotvorhaben ein. Generell gilt, dass mit der Genehmigung von Vorhaben auf Grundlage des Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetzes bislang noch keine praktischen Erfahrungen bestehen. Im Rahmen des derzeit laufenden Vertragsverletzungsverfahrens der EU KOM gegen dieses Gesetz hatte die Bundesregierung im Juli 2021 gegenüber der Europäischen Kommission ihre Position dargelegt. 9. Schlussfolgerungen und Ausblick Durch die ungünstige Altersstruktur mit vielen Brücken jenseits der 50 Jahre einerseits und der ungebremsten Zunahme des Güterverkehrs andererseits müssen viele Brückenbauwerke im deutschen Bundesfernstraßennetz verstärkt oder erneuert werden, um für die Zukunft gut aufgestellt zu sein. Die Problemstellungen der älteren Brücken sind erkannt; sie werden zielgerichtet angegangen. Dafür werden die Brücken nachgerechnet und Defizite aufgedeckt, Abhilfemaßnahmen erarbeitet und baulich umgesetzt. Fast immer sind die notwendigen Maßnahmen bei laufendem Verkehr durchzuführen. Zur zielgerichteten Umsetzung dieser Aufgabe wurde ein Programm zur Brückenmodernisierung aufgelegt, welches für die nächsten Jahre eine Schwerpunktaufgabe darstellt. Das Programm Brückenmodernisierung konzentriert planerische und bauliche Aktivitäten auf die zukunftssichere Ausrichtung verkehrswichtiger Korridore vorwiegend im Autobahnnetz. Die Korridore bestehen aus zusammenhängenden Autobahnstrecken, die in Summe das Brückenmodernisierungsnetz bilden und mit 7.000 km etwas mehr als die Hälfte des deutschen Autobahnnetzes umfassen. Darüber hinaus wird sichergestellt, dass ausreichend Ressourcen für die Modernisierung von einzelnen Brücken außerhalb des prioritären Netzes zur Verfügung stehen, um ungewollte Ausfälle zu verhindern. Ansonsten bleiben Strecken außerhalb des Brückenmodernisierungsnetzes möglichst frei von Baumaßnahmen, um den Autobahnverkehr flüssig abwickeln zu können. Sonstige Erhaltungsmaßnahmen an Autobahnbrücken werden bedarfsgerecht fortgeführt. Nach Fertigstellung des Brückenmodernisierungsnetzes werden die notwendigen Arbeiten in der verbliebenen Hälfte des Autobahnnetzes fortgesetzt. Ziel ist es, größere Streckenabschnitte für die Modernisierung zusammenzufassen, z. B. durch andere, funktionale Vergabeformen, um die Effektivität der Umsetzung von Modernisierungsmaßnahmen zu steigern. Unmittelbar verkehrswirksame Verbesserungen würden Raum gewinnen, je mehr zukunftssichere Autobahnabschnitte vorhanden sind und je länger die daraus zusammengesetzten Streckenabschnitte werden. Die Leistungsfähigkeit und Zukunftssicherheit des deutschen Autobahnnetzes hängen maßgeblich von einer erfolgreichen Brückenmodernisierung ab. Für eine Umsetzung in angemessenen Zeiträumen müssen insbesondere die personellen, aber auch die finanziellen Mittel bedarfsgerecht verstärkt und auf hohem Niveau über viele Jahre hinweg fortgeführt werden. Literatur [1] BMDV-(2020) Verkehrsinvestitionsbericht [2] BMVI- (2011) Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie), Bonn/ Berlin, 05/ 2011, 1. Ergänzung, 04/ 2015 5. Brückenkolloquium - September 2022 37 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken Prof. Dr.-Ing. Karsten Geißler Fachgebiet Entwerfen und Konstruieren - Stahlbau, Technische Universität Berlin Dr.-Ing. Josef Kraus GMG Ingenieurgesellschaft Berlin Zusammenfassung Der Brückenbestand des Straßennetzes weist insbesondere durch die in den letzten Jahrzehnten permanente Verkehrslaststeigerung systemische Probleme auf. Allerdings kann nicht jedes Bauwerk zügig ersetzt werden. Für die Bewertung der Brücken und damit die Priorisierung der Ersatzneubauten steht seit ca. 10 Jahren die „Nachrechnungsrichtlinie für Straßenbrücken“ zur Verfügung. Im vorliegenden Beitrag wird die Nachrechnung in den 4 Bewertungsstufen thematisiert. Auf die beiden für Stahlbrücken wichtigen Themenbereiche Beultragfähigkeit und Ermüdungssicherheit, für die häufig in den niedrigen Bewertungsstufen 1 und 2 rechnerisch kein befriedigendes Ergebnis erreicht werden kann, wird besonders eingegangen. Weiterhin wird die meist zielführende Einbindung von Bauwerksmonitoring in die Nachrechnung erläutert. 1. Normative Grundlagen der Bewertung Für die Bewertung von Brücken steht seit ca. 10 Jahren die Nachrechnungsrichtlinie für Straßenbrücken [1] zur Verfügung. Die Nachrechnung kann bedarfsweise in 4 Stufen verfeinert werden, wobei die Stufe 1 i.- W. den Regelungen für die Neubemessung eines Bauwerks entspricht. Aufgrund der Weiterentwicklung der Einwirkungs- und Bemessungsnormen ist es dabei systemisch, dass einige Nachweise in der Stufe-1 der Nachrechnung nicht erbracht werden können. In Stufe-2 der Nachrechnung können bestimmte Nachweise modifiziert angewandt werden, wobei diese Ergebnisse mit eingeschränkter Nutzungsdauer bzw. -parametern verbunden sind. Insofern die rechnerischen Nachweise im Grenzzustand der Tragfähigkeit (GZT) und der Ermüdungssicherheit weiterhin kein befriedigendes Ergebnis aufweisen, ist das zwar ein Indiz für eine hohe Auslastung des Tragwerks, muss aber noch nicht dessen zu geringe Zuverlässigkeit bedeuten. Dieser Bereich wird durch die Stufen 3 und 4 der Nachrechnungsrichtlinie erfasst (siehe Abb. 1). Hier werden die weitergehenden Methoden zur noch gezielteren (objektspezifischen) Ausnutzung rechnerischer Reserven angegeben. Abb. 1: Bewertungsstufen Brückennachrechnung [1] Die Methoden der Stufe 3, also die Umsetzung von Messergebnissen zum Tragwerk, sollen dabei im Regelfall vor den speziellen „wissenschaftlichen“ Rechenmethoden der Stufe 4 eingesetzt werden, da erfahrungsgemäß durch die realistische Erfassung der Beanspruchungen bereits ein großer Nutzen erreicht werden kann. Die Methoden in Stufe 3 umfassen i. W.: - Systemmessungen mit bekannter Last (i.d.R. Lkw oder Kranfahrzeug) und anschließender Kalibrierung des rechnerischen Modells vom Tragsystem und punktuell wiederholter Nachweisführung, - Bauwerksmonitoring zur Erfassung der Beanspruchungskollektive, Extremwerte der Verkehrsbeanspruchung, Auftretenswahrscheinlichkeiten und Extremwerte der Beanspruchungen im Messzeitraum infolge zeitveränderlicher Begleiteinwirkungen (z.-B. Wind, Temperatur), - Bauwerksmonitoring und Extrapolation auf den Nutzungszeitraum zur Begründung objektspezifischer Lastmodelle, 38 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken - Bauwerksmonitoring zur kontinuierlichen Erfassung des zeitabhängigen Verhaltens der Bauteile oder des Tragsystems (z.B. Rissverhalten, Baugrundbewegungen). Ein sicherheitsrelevantes Bauwerksmonitoring ist der Stufe 4 zuzuordnen und bedingt eine zugehörige Maßnahmenkette bei Grenzwertüberschreitungen. Weiterhin betreffen die Methoden in Stufe-4 insbesondere die geometrisch und physikalisch nichtlinearen Berechnungsverfahren, zuverlässigkeitstheoretische Methoden bzw. Nachweise sowie Verkehrslastsimulationen zur rechnerischen Begründung objektspezifischer Lastmodelle im GZT bzw. für Ermüdung. Im Folgenden wird neben einem kurzen Kommentar zu den einwirkungsseitigen Aspekten auf zwei zentrale Problembereiche der Nachrechnung von Stahlbrücken, die Tragsicherheit (dabei insbesondere die Beulsicherheit) sowie die Ermüdungssicherheit, näher eingegangen. 2. Sicherheitskonzept und Einwirkungen Nach früheren Vorschriften geplante Tragwerke mit geringeren einwirkungsseitigen Bemessungswerten sind heute häufig - systemisch bedingt - bei Nachrechnung auf Basis der Eurocodes nicht nachweisbar. Eine „Neubauvorsorge“ ist allerdings in der Nachrechnung nur in wesentlich geringerem Umfang erforderlich. Es ist entsprechend zu prüfen, inwieweit das Defizit wegen einwirkungsseitig geringerer Werte früherer Bemessung durch begründete Minderung der aktuellen Teilsicherheitsbeiwerte etwas ausgeglichen werden kann. Bei Bestandsbauwerken liegen Vorkenntnisse vor, welche die bei der Planung anzusetzenden Unsicherheiten verringern. Dazu zählen Informationen über die tatsächlichen Abmessungen, Eigenlasten und Festigkeiten der Bauteile. Die Wahrscheinlichkeit grober Fehler in der Planungs- und Ausführungsphase ist bei Bestandsbauten, die viele Jahre schadensfrei gestanden haben und mindestens alle 6 Jahre inspiziert werden, deutlich verringert. In [3] wird vorgeschlagen, bei der Begründung der erforderlichen Teilsicherheitsfaktoren für die zeitveränderlichen Einwirkungen bzw. für probabilistische Nachweise davon auszugehen, dass für die Nachrechnung eines Bestandstragwerkes im guten Zustand ein Zuverlässigkeitsindex b erf =-3,2 ausreichend wäre. Es stellt sich die Frage, ob dieser Ansatz richtig ist, denn die gesellschaftlich akzeptierte Versagenswahrscheinlichkeit, d.h. die Zielzuverlässigkeit, sollte nicht verändert werden. Allerdings ist der rechnerische Spielraum für den Nachweis der Zuverlässigkeit bei Bestandsbauwerken größer, da mehrere Eingangsparameter wegen der reduzierten o. g. Unsicherheiten weniger streuen. Diese Thematik muss weiter aufgearbeitet werden, da viele Bauwerke trotz deren möglicherweise ausreichender Zuverlässigkeit nicht mehr mit den traditionellen Berechnungskonzepten nachweisbar sind. Unabhängig von diesen grundlegenden Fragen sind folgende Aspekte nach Auffassung der Autoren für die Nachrechnung von stählernen Straßenbrücken zu diskutieren: - Der Teilsicherheitsfaktor g G -=-1,20 für ein durch Aufmaß kontrolliertes Eigengewicht der Stahlkonstruktion ist akzeptabel. In diesem Fall sind spezifische Festlegungen zum Kontrollaufwand verbunden, womit die Streuung der jeweiligen Last eingegrenzt wird. Es wird allerdings darauf hingewiesen, dass die Gewichte der „Kleinbauteile“ wie Knoten-bleche, Verbindungsmittel, Korrosionsschutz etc. bei Nachrechnungen sorgfältig ermittelt werden müssen, da ein pauschaler Faktor von z. B. 5 % diese Gewichte stark unterschätzen kann. - Die Bemessungswerte der Beanspruchungen infolge vertikaler Straßenverkehrslasten sind - wie bereits festgelegt - mit dem Teilsicherheitsbeiwert g F -=-1,50 bei Ansatz des LM-1 nach DIN-Fb-101 zu ermitteln, da die charakteristischen Werte deutlich geringer als bei Ansatz des LMM nach EC-1 zur Abdeckung zukünftiger Straßenverkehrslasten sind. Wegen der relativ großen Streuung der Extremwerte der Straßenverkehrslasten ist pauschal zunächst keine günstigere Regelung möglich. - Nur auf der Basis von Bauwerksmonitoring (s. [15]) oder Verkehrslastsimulationen (s. [14]) können die charakteristischen Werte modifiziert begründet werden. In diesem Fall müssen die extremalen dynamischen Überhöhungen mit innerhalb des charakteristischen Wertes abgebildet werden. - Die heute gegenüber früheren Vorschriften ungünstigeren Temperatureinwirkungen sind besonders zu beachten. Für die Beurteilung der Temperatureinwirkungen spielt neben den bekannten Einflussfaktoren auch die geografische Ausrichtung des Bauwerks (insbesondere Richtung und Dauer der täglichen Sonneneinstrahlung) eine Rolle. - Für typische durch Straßenverkehr und vertikale Temperaturdifferenz gleichzeitig beanspruchte Tragwerke wurde durch probabilistische Analysen begründet (vgl. [4], [5], [6]), dass in der Nachrechnung der Kombinationsbeiwert y 0 -=-0,50 für die Temperatureinwirkung (im GZT als Begleiteinwirkung zum Straßenverkehr) möglich wäre. Der Teilsicherheitsbeiwert für die Temperatureinwirkung sollte aber mit 1,35 bestehen bleiben. 3. Grenzzustand der Tragfähigkeit 3.1 Erforderliche Nachweise Für die Nachweise der Querschnittstragfähigkeit werden analog zur Neubemessung die Bemessungswerte der Beanspruchungen und der jeweiligen Grenztragfähigkeit gegenübergestellt. Da früher die Vergleichsspannung nicht explizit nachgewiesen wurde, kann es in oberen bzw. unteren Randbereichen durchlaufender Stege über Innenstützen zu rechnerischen Überschreitungen des Nachweises kommen, die aber meist diskutiert werden können. Hinsichtlich der Tragfähigkeit von bis ca. 1970 noch verwendeten Nietverbindungen ergaben sich mit der bisherigen Regelung der Nachrechnungsrichtlinie (die analog 5. Brückenkolloquium - September 2022 39 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken zu den Schraubennachweisen ist) häufig zu ungünstige Nachweisergebnisse. Das mechanische Werkstoffverhalten der Niete ist allerdings nicht deckungsgleich mit dem spröderen Verhalten (hochfester) Schrauben, sondern eher mit dem des Grundmaterials zu vergleichen (vgl. erforderliche Bruchdehnung von ca. 30 % für Niete nach DIN-101, Abb. 2). Das gute Werkstoffverhalten der Niete kann berücksichtigt werden, indem der widerstandsseitige Teilsicherheitsbeiwert für den Abschernachweis der Niete St-34 bzw. St-36 und St-44 nicht mit g M2 -=-1,25, sondern wie für das Grundmaterial mit g M0 (bzw. alternativ ein entsprechend höherer Vorfaktor für die Abschertragfähigkeit, derzeit a-=-0,60) angesetzt werden kann. Abb. 2: Auszug aus DIN-101 (1952) zu Anforderungen an Nietwerkstoffe Für die Stabstabilität wird der Bezug auf die gemäß Eurocode erforderlichen Nachweise mit den differenzierteren europäischen Knickspannungslinien (einschließlich der zugehörigen rechnerischen Stabimperfektionen) hergestellt. Das Biegeknicken und das Biegedrillknicken kann wahlweise nach dem Ersatzstabverfahren oder mit einer Berechnung nach Theorie II. Ordnung nachgewiesen werden. Die Differenzierung der Teilsicherheitsbeiwerte für reines Festigkeitsversagen und für Stabilitätsversagen, wie es in der Neubemessung mit g M0 = 1,0 und g M1 = 1,10 angewandt wird, ist auch für die Nachrechnung notwendig. 3.2 Nachweis der Beultragfähigkeit Der Nachweis gegen Plattenbeulen ist mit Bezug auf DIN-EN-1993-1-5 [9] zu führen. Dabei ist in der Nachrechnung von Brücken zunächst das Verfahren mit Grenzbeulspannungen (DIN-EN-1993-1-5, Abschn.-10) mit den von dort referenzierten Beulabminderungskurven anzuwenden. Dieses Rechenverfahren ermöglicht auch die direkte Einbindung von FE-- Ergebnissen für komplex beanspruchte Beulfeldgeometrien. Abb. 3: Beulfelder an einem Kastenquerschnitt Die Beulabminderungskurve für Längsspannungen der DIN EN 1993-1-5 entspricht nur für das Gesamtfeld und einem Spannungsverhältnis y = 1,0 (konstanter Druck) früheren Festlegungen der DASt-Ri 012 [10] bzw. DIN 18800-3 [11]. Einzelfelder wiesen nach den früheren deutschen Normen etwas höher liegende und damit günstigere Beulabminderungskurven auf. Die Beulabminderungskurve für Schubspannungen liegt nach DIN EN 1993-1-5 für verformbare Auflagersteifen etwas tiefer als nach früheren deutschen Normen. Entsprechend ergeben sich Auswirkungen auf den Interaktionsnachweis. Abb.-4: Beulabminderungskurven für Längsspannungen mit y-=-1,0 nach DIN-EN 1993-1-5 und DIN-18800- 3, aus [12] Das alternative Rechenverfahren mit wirksamen Querschnitten berücksichtigt eine (überkritische) Umlagerung der Längsbeanspruchungen innerhalb des Querschnittes. Dieses Verfahren sollte erst zur Anwendung kommen, wenn die linear-elastischen Beulnachweise nach Abschnitt 10 (Grenzbeulspannungen) nicht erfüllt werden können. Deutliche Vorteile ergeben sich mit dem nichtlinearen Verfahren vor allem im Bereich der biegebeanspruchten Stege, da dort die Umlagerungen über der Querschnittshöhe häufig am größten sind. 40 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken Die in der Fertigung einzuhaltenden geometrischen Toleranzen der Beulfelder sind für Neubauten in der ZTV- ING geregelt, s. Abb. 5. Sollten diese Werte am Bestandsbauwerk überschritten werden, wird eine FE-Berechnung nach Th.- II.- Ordnung mit Imperfektionen (Vorbeulen) erforderlich. Die Größe der anzusetzenden Imperfektion muss dabei mindestens der gemessenen Geometrie entsprechen, allerdings unter Berücksichtigung, dass die Beanspruchungen infolge Eigengewicht bereits in die Konstruktion eingetragen sind. Im Einzelfall ist noch ein Zuschlag auf den Stich der gemessenen Geometrie der Vorbeulen zur Berücksichtigung von Eigenspannungen (strukturelle Imperfektion) vorzunehmen. Allerdings wäre die für stabförmige Bauteile geltende Näherung, dass geometrische und strukturelle Imperfektionen jeweils in ungefähr gleicher Größe rechnerisch anzusetzen sind, hier zu ungünstig. Man kann davon ausgehen, dass die strukturellen Imperfektionen beim Beulen deutlich kleiner sind, wobei belastbare Untersuchungen hierzu nicht vorliegen. Abb. 5: Toleranzen der Bauteile des Beulfeldes für den Neubau Auf die Notwendigkeit der Überprüfung des knickstabähnlichen Verhaltens der Beulfelder wird besonders hingewiesen, da dieser sicherheitsrelevante Nachweis erst seit ca. Mitte der 1970er-Jahre in der Neubemessung normativ zwingend geführt worden ist. Er kann im vorliegenden Endzustand vor allem im Innenstützbereich für die Bodenbleche, aber auch die Stege, durchlaufender Hohlkastenbrücken relevant werden. Der widerstandsseitige Teilsicherheitsbeiwert ist unabhängig vom Nachweisverfahren mit g M1 = 1,10 anzusetzen - hier ist zukünftig nochmal zu diskutieren, ob nicht eine Differenzierung angezeigt ist oder ob die höheren Versagensfolgen z. B. bei knickstabähnlichem Verhalten des Gesamtfeldes im Vergleich zum Beulen eines Einzelfeldes anderweitig im Nachweis berücksichtigt werden. 3.3 Beispiel für Verstärkungsmaßnahmen Eine mögliche Ertüchtigung hinsichtlich der Beultragfähigkeit soll am Beispiel einer größeren Stahlbrücke gezeigt werden. Das dreifeldrige Haupttragsystem mit Einzelstützweiten von 67,9-m, 143,3-m und 68,4-m besteht aus drei parallelen Hohlkästen. Die beiden äußeren Hohlkästen wurden im Jahr 1963 und der mittlere Hohlkasten 1977 errichtet. Die Überbauten sind durch Koppelverbände kraftschlüssig miteinander verbunden. Abb. 6: Ansicht und Querschnitt der Autobahnbrücke Im Rahmen der Nachrechnung dieses Bauwerks wurden u.a. Defizite der Beultragfähigkeit identifiziert, deren rechnerische Ursachen zum einen in der überarbeiteten Nachweisführung im Vergleich zur Ursprungsstatik sowie in der Anpassung der normativen Verkehrslastmodelle wegen Zunahme des Schwerverkehrs in den letzten Jahrzehnten liegen. Die Ertüchtigung erfolgt sowohl durch den Einbau neuer als auch durch Verstärkung bestehender Beulsteifen, hier vorwiegend an den Hauptträgerstegen der Innenstützbereiche. Rechnerisch liegt damit der Fall eines Beulfeldes mit unterschiedlichen Steifen vor, die sowohl hinsichtlich knickstabähnlichem Verhalten als auch der Neigung offener Steifen zum Drillknicken separat zu betrachten sind. 5. Brückenkolloquium - September 2022 41 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken Abb. 7: Ertüchtigung der Hauptträgerstege im Stützbereich) zur Erhöhung der Beultragfähigkeit Besondere Beachtung ist für Tragwerke der Bauzeit bis ca. 1970 der Schweißbarkeit der Stähle zu widmen. Bei zu hohem Kohlenstoffäquivalent ist eine besondere Abstimmung der eingesetzten Zusatzstoffe und Schweißverfahren vorzunehmen bzw. - wenn möglich - für ermüdungsbeanspruchte Bauteile ganz auf Schweißungen zu verzichten. Hier erfolgt deshalb der Anschluss an den Bestand über vorgespannte Passschrauben. Zu berücksichtigen ist der teilweise erhebliche Aufwand für Einpassarbeiten, z. B. an Querschotten oder Montagestößen, sowie ein eventuell erforderlicher Toleranzausgleich wegen Unebenheiten der Steg- und Bodenbleche. 4. Ermüdungssicherheit 4.1 Nachweisverfahren - allgemein Die realitätsnahe Beurteilung der Ermüdungssicherheit ist bei der Bewertung von Brücken von großer Bedeutung. Die Nachweisführung gegen Ermüdung kann grundsätzlich (mit steigendem Aufwand) erfolgen: - bei kleinem Maximalwert des Kollektivs der Spannungsdifferenzen als Dauerfestigkeitsnachweis, - als Betriebsfestigkeitsnachweis mit schädigungsäquivalenten Spannungsdifferenzen, für Straßenbrücken unter Ansatz des ELM-3 und zugehörigen Betriebslastfaktoren, - als Betriebsfestigkeitsnachweis mit direkter Berechnung der akkumulierten Schadenssumme über ein Mehrstufenkollektiv (für Straßenbrücken i.-d.-R. vereinfacht durch das ELM-4). 4.2 Nachweisverfahren nach Nachrechnungsrichtlinie [1], Bewertungsstufen 1 und 2 In Stufe 1 sind die Ermüdungsbeanspruchungen auf Grundlage des ELM-3 (Abb.-8) unter Berücksichtigung der Schadensäquivalenzfaktoren l zu ermitteln. Die sich ergebende schädigungsäquivalente Spannungsschwingbreite Δs E ist als Einstufenkollektiv mit n E =-2 ´ 10 6 äquivalent zum mehrstufigen Beanspruchungskollektiv des realen Verkehrs und wird zur Nachweisführung dem wiederum n E -fachen Kennwert des lokal vorliegenden Kerbfalls Δs C i.d.R. nach [13] gegenübergestellt. Abb.-8: ELM-3 - Modell mit 4 Achsen à 120-kN Wesentlich ist bei bestehenden Bauwerken die im Gegensatz zum Neubau bessere Datenlage hinsichtlich Verkehrsaufkommen und -zusammensetzung (l 2 ), s.a.-[14]. Das tatsächliche Verkehrsaufkommen wird über den Parameter N obs (Schwerverkehrsstärke je Jahr im 1. Fahrstreifen) gut abgebildet. Defizite lagen bisher jedoch bei der Berücksichtigung der Verkehrsart mit ihrem großen Einfluss vor. Diese war im Stahlbau bislang über Q m1 nicht abbildbar. Durch eine aktuelle Neuregelung wurde der Einfluss der Verkehrsart bzw. -zusammensetzung bereits in der ersten Stufe der Nachrechnung berücksichtigt (Tabelle-1 und Tabelle-2), was erheblichen Einfluss auf die Ergebnisse haben kann, siehe Abb.-9. Tabelle-1: Schadensäquivalenzfaktoren l 2 für Baustahl bis 2022 geltende Regelung Aktualisiert (2022) bei Neubauten: l 2 ≥ 1,10 n. ARS 22/ 2012 (Q m1 = 400 kN N obs = 2,0 ∙ 10 6 ) 42 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken Tabelle-2: Aktualisierung und Vereinheitlichung der Beiwerte für die Verkehrsart für Bauteile aus Spannbzw. Betonstahl (k 2 ) sowie Baustahl (m 2 -=-5) Beiwert Verkehrsart Große Entfernung Mittlere Entfernung Ortsverkehr m 2 = 5 bzw. k 2 = 5 1,0 0,90 0,73 k 2 = 7 1,0 0,92 0,78 k 2 = 9 1,0 0,94 0,82 Abb.-9: Vergleich bisheriger und aktualisierter Regelung zur Berücksichtigung der Verkehrsart über In Stufe 2 der Nachrechnungsrichtlinie kann der Nachweis der Ermüdungssicherheit alternativ über die direkte Berechnung der Schadenssumme D erfolgen. Dieses Nachweisformat basiert auf einem modifizierten ELM 4 mit einer Gruppe von Lastkraftwagen, welche eine Analogie zum realen Schwerverkehr darstellen und je Lkw über ein zugehöriges (schädigungsäquivalentes) Gesamtgewicht, feste Achsabstände und Radaufstandsfläche definiert ist. Das ELM 4 ist in vielen Fällen genauer als das ELM 3, sollte jedoch nur angewendet werden, wenn „die gleichzeitige Anwesenheit von mehreren Lkw auf der Brücke unberücksichtigt bleiben kann“, ist also praktisch auf Bauwerke mit kurzen und mittleren Stützweiten oder mit sehr geringer Verkehrsstärke begrenzt. Mit dem Nachweisformat über das ELM 4 entfällt die Linearisierung der Bezugs-Wöhlerlinie, welche bei der Kalibrierung der Schadensäquivalenzfaktoren des ELM 3 erforderlich ist, vgl. [8]. Dadurch liefert der Nachweis (durch die mögliche Berücksichtigung einer Dauerfestigkeitsgrenze) realistischere Ergebnisse. 4.3 Weitergehende Ermüdungsnachweise gemäß Nachrechnungsrichtlinie, Stufen 3 und 4 Insofern in der Nachrechnung die rechnerischen Nachweise der Ermüdungssicherheit nach Stufen 1 oder 2 kein befriedigendes Ergebnis aufweisen, ist das zwar ein Indiz für eine hohe Auslastung des Tragwerks infolge Verkehrsbelastung, muss aber noch nicht dessen zu geringe Ermüdungssicherheit bedeuten. Dieser Bereich wird durch die Stufe 3 (s. Abschnitt 5) und Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie erfasst - mit den diesen Stufen wird das Potenzial geschaffen, rechnerische Reserven der Bauwerke noch besser auszunutzen. Die Methoden der Stufe 3, also die Umsetzung von Messergebnissen zum Tragwerk, sollen dabei im Regelfall vor den speziellen „wissenschaftlichen“ Rechenmethoden eingesetzt werden, da erfahrungsgemäß durch die realistische Erfassung der Beanspruchungen bereits ein großer Nutzen erreicht werden kann. Die objektspezifische - auf die Tragfähigkeit und/ oder Ermüdung bezogene - Kalibrierung des rechnerischen Lastmodells bietet für die Bewertung bestehender Brücken eine wichtige Alternative zu sonst erforderlichen Kompensationsmaßnahmen. 4.4 Beispiel für Ertüchtigungsmaßnahmen Die Detailausbildung älterer Stahlbrücken entspricht häufig nicht den heutigen Anforderungen hinsichtlich Ermüdung, insbesondere an Elementen der orthotropen Fahrbahnplatte sowie am Quertragsystem. Verstärkt wird das Problem durch die in den Anfangsjahren der großflächigen Schweißanwendungen teilweise noch reduzierte Schweißnahtqualität. Das Beispiel der o.-g. Stahlbrücke zeigt diese gravierenden Defizite der Ermüdungssicherheit u.-a. an den Details der Querrahmenkonstruktionen, s. Abb.- 10. Die lokal am Anschluss der Querträger an die Vertikalsteifen vielfach bereits aufgetretenen Ermüdungsrisse zeigen eindeutig, dass nicht nur ein rechnerisches Defizit vorliegt. Im Rahmen des Ertüchtigungskonzeptes wurde ein zweistufiges Vorgehen gewählt, bestehend a) aus einer Notinstandsetzung vorhandener und teilweise bereits in Richtung Hauptträgersteg gewachsener Risse sowie b) das nachträgliche Einsetzen relativ kerbfreier Eckbleche. Mit den Eckblechen werden die gerissenen Bereiche entlastet und die Kerbwirkung an den Schadensstellen verringert. Die Ermüdungsbeanspruchungen werden damit in weniger belastete bzw. weniger geschädigte Bereiche umgelagert. 5. Brückenkolloquium - September 2022 43 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken Abb.-10: Ermüdungsschäden an den Querrahmen-Eckbereichen, zugehöriges numerisches Modell Abb.-11: Sanierung der Querrahmenecken zur Verbesserung der Ermüdungssicherheit Aufgrund der schwach ausgebildeten Querrahmen sind hier die normativen Ermüdungsnachweise trotz umfangreicher Verstärkungsmaßnahmen nicht gänzlich erfüllbar (bzw. wären dies erst bei einem unwirtschaftlichen Mehraufwand). Die Ermüdungssicherheit wird jedoch mit den Maßnahmen im Gegensatz zum Ist-Zustand trotzdem um Größenordnungen verbessert. Für die verbleibende Nutzungsdauer wurde neben den in DIN 1076 vorgesehenen Prüfintervallen von 3 bzw. 6 Jahren eine mindestens jährliche Sonderprüfung der Stellen mit weiterhin rechnerisch unzureichender Ermüdungsfestigkeit festgelegt. Nach der so sichergestellten rechtzeitigen Feststellung neuer Ermüdungsrisse sind diese in Anlehnung an bereits erprobte Notinstandsetzungsmaßnahmen zu sanieren. 5. Messtechnische Bewertung in Stufe 3 5.1 Stand der Technik hinsichtlich Bauwerksmonitoring zur Brückenbewertung Grundsätzlich ist bei statischen oder dynamischen Messungen an Brücken zwischen Systemmessungen zur Modellkalibrierung mit entsprechend optimierter Berechnung und dem Bauwerksmonitoring zur Langzeiterfassung und Auswertung von Beanspruchungen bzw. ggf. objektspezifischen Kalibrierung der Lastmodelle zu unterscheiden, s. Abb.-12. Die Stufe 3 der Nachrechnungsrichtlinie beinhaltet nicht nur die Bauwerksmessungen an sich, sondern insbesondere auch ein vorgeschaltetes Konzept mit eindeutiger, auf den Ergebnissen der Stufe 2 basierender Zielstellung, und weiterhin die punktuell wiederholte Nachweisführung mithilfe der aus den Messungen gewonnenen zusätzlichen Informationen. Deshalb ist die Bezeichnung „Messwertgestützte Bewertung“ passend. Wegen der komplexen Thematik ist Stufe 3 auch nur von Ingenieuren/ innen, die über ausgewiesene Erfahrungen sowohl im Brückenbau als auch der Messtechnik verfügen, anzuwenden. Abb.-12: Überblick zu den Möglichkeiten in Stufe 3 Systemmessungen Durch die Systemmessung und die darauf basierende Modellkalibrierung kann man häufig bereits viel erreichen. In jedem Fall fördert sie das Verständnis für das tatsächliche Tragverhalten und damit die Beurteilung der Nachrechnungsergebnisse. Die Messungen finden unter definierter Belastung im Gebrauchslastbereich statt. Im Rahmen der Nachweisführung des GZT ist zu beachten, ob möglicherweise ein nichtlineares Verhalten des Bauteils bzw. Tragsystems oberhalb des (messtechnisch er- 44 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken fassten) Gebrauchslastniveaus auftreten könnte und dann rechnerisch zu berücksichtigen ist. Systemmessungen mit Modellkalibrierung werden normalerweise auch immer eingangs eines Bauwerksmonitoring durchgeführt. Durch Fahrten von Lkw unterschiedlicher Geschwindigkeit können Hinweise zum dynamischen Verhalten von Bauteilen bzw. des Tragwerks und seiner Steifigkeitsverteilung gewonnen werden. Eine automatisierte Modelloptimierung, die aber erst bei maßgeblichem Einfluss mehrerer Parameter sinnvoll wird, bezeichnet man als FE-Update. Statische oder dynamische Systemmessungen führen immer zu einer Reduzierung der Modellunsicherheiten (was man im Einzelfall rechnerisch begründet auch in reduzierten Teilsicherheitsbeiwerten ausdrücken kann) und in der Konsequenz zu einer präziseren Nachweisführung. Bauwerksmonitoring Bauwerksmonitoring, als kontinuierliche Messung über einen längeren Zeitraum, kann nach aktualisierter Ausgabe der Nachrechnungsrichtline bereits in Stufe 3 zur objektspezifischen Kalibrierung der Lastmodelle verwendet werden. Dies betrifft je nach Anforderung die Lastmodelle für die Nachweise der Tragfähigkeit (s. Abschnitt 5.2), vor allem aber der Ermüdungssicherheit (Abschnitt 5.3). Dabei ist zu bedenken, dass Bauwerksmonitoring den Ist-Zustand analysiert und daher im Zuge der Auswertung eine Verkehrsprognose für die Zukunft zu berücksichtigen ist. 5.2 Gemessene Extremwertverteilungen für Nachweise im GZT Die objektspezifische Kalibrierung der Lastmodelle für die Tragfähigkeit (a NR ∙LM-1 oder BK-xx, vgl. [7]) wird wegen der maßgeblichen Auswirkungen nur im Ausnahmefall und mit Zustimmung der Straßenbauverwaltung vorgenommen. Weiterhin ist zu beachten, dass bei objektbezogenen Lastmodellen die einfache Behandlung im Genehmigungsverfahren für Schwerverkehr verloren geht. Hierfür sind Messzeiträume von mindestens 12 Monaten erforderlich. Zu berücksichtigen sind immer auch mögliche Situationen des Baustellenverkehrs (im positiven wie negativen Sinn). Auf Grundlage der temperaturkompensierten Messdaten werden unter Beachtung des erforderlichen Grundzeitintervalls Verteilungen der Extremwerte gebildet, z. B. aus den 52 Wochenextrema bei einer einjährigen Messung und einer daran angepassten Gumbelverteilung, s. Abb.-13. Diese dient anschließend im Rahmen einer statistischen Extrapolation zur Ableitung eines charakteristischen Wertes, siehe z. B. [15] bei Ansatz der Gumbelverteilung: E K,Mess = m ∙ [1 - 0,78 ∙ v ∙ (0,5772 + ln {- ln q})] Mit diesem messtechnisch ermittelten charakteristischen Wert der Verkehrsbeanspruchung ist eine Kali-brierung des Ziellastniveaus, über einen Anpassungsfaktor a NR des LM-1, wie folgt möglich: Abb.-13: Gemessene Wochenextremwerte und Extrapolation auf den Bezugszeitraum Die das Tragwerk betreffenden Zwangsbeanspruchungen infolge Temperatur sind messtechnisch immer separat zu erfassen, d.h. bezüglich ihrer Extremwerte getrennt von den Verkehrsbeanspruchungen auszuwerten. Die Teilsicherheitsbeiwerte in der Nachrechnung sind analog den Festlegungen der Nachrechnungsrichtlinie zu verwenden. 5.3 Gemessene Beanspruchungskollektive für Nachweise der Ermüdungssicherheit Eine objektspezifische Kalibrierung der Ermüdungslastmodelle (ELM-3 oder ELM-4) oder ein direkter Ermüdungsnachweis ist auf Grundlage eines Messzeitraumes von i.d.R. 2 - 3 Monaten möglich, wobei zu beachten ist, dass die Messungen innerhalb des Regel-Verkehrszustandes stattfinden. Auf Grundlage der temperaturkompensierten Messdaten wird eine Rainflow-Zählung durchgeführt, die das Beanspruchungskollektiv infolge des Straßenverkehrs liefert. Die so berechenbare Schädigung D bzw. rückgerechnete schadensäquivalente Schwingbreite Δs E,Mess wird anschließend genutzt, um das Ermüdungslastmodell entsprechend den örtlichen Gegebenheiten zu kalibrieren. Der Vorteil dieser Methode ist, dass für die eigentliche Nachweisführung in Stufe 3 dann dieses Lastmodell genutzt werden kann, um Ermüdungsnachweise auch an den anderen Bauteilen des Tragwerks (eine gleichermaßen richtige Charakteristik durch das Ermüdungslastmodell vorausgesetzt) zu führen. Alternativ können die Ermüdungsnachweise auch direkt über eine Schadensakkumulationsberechnung mit den gemessenen Beanspruchungskollektiven geführt werden. Dieses Vorgehen kann allerdings nur an wenigen (maß- 5. Brückenkolloquium - September 2022 45 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken gebenden) Tragwerkspunkten realisiert werden, um den messtechnischen Aufwand vertretbar zu halten. Sinnvolle Einsatzszenarien sind Bauteile, wo Risse bereits aufgetreten sind oder potenziell an wenigen diskreten Stellen mit schlechtem Kerbfall und/ oder bei z. B. gleichzeitiger Beanspruchung infolge Verkehr und Wind (Hängeranschlusspunkte bei Stabbogen o. ä.) zu erwarten wären. Einwirkungsseitig sind beim Ermüdungsnachweis keine Sicherheitsbeiwerte erforderlich, da die Ermüdungsnachweise mit Gebrauchslasten geführt werden. Die widerstandsseitigen Teilsicherheitsbeiwerte sind analog der Festlegungen der Nachrechnungsrichtlinie anzusetzen. Für die o. g. Stahlbrücke ist das Tragsystem durch die nachträgliche Kopplung der Hohlkästen verschiedener Bauzeiten als kompliziert zu bewerten und Abweichungen der tatsächlichen Beanspruchungen von den berechneten nicht unwahrscheinlich. Um im Vorfeld der Ertüchtigung das rechnerische Tragwerksmodell zu verifizieren, die Beanspruchungen der zu verstärkenden Bauteile zweifelsfrei festzustellen und auch die Ursachen für die Entstehung der Ermüdungsrisse an Querrahmen und Querverbänden zu bestätigen, wurde die Brücke zeitweilig mit einer Dauermessanlage ausgerüstet, s. Abb.-14. Über die Klassierung der Verkehrsbeanspruchungen wurde eine belastbare Aussage zu den real einwirkenden Lastkollektiven möglich. Parallel dazu wurden die Beanspruchungskollektive an mehreren kritischen Tragwerkspunkten direkt gemessen, s. z.-B. Abb.-15, die als Grundlage für eine direkte Berechnung der Schadenssumme nach der Schadensakkumulationshypothese von Palmgren/ Miner dienten. Bereits anhand der Beanspruchungskollektive (Abb.-15) wurde für mehrere Messpunkte des Quertragsystems deutlich, dass die Beanspruchungen im hoch ermüdungswirksamen Bereich liegen und damit die Wahrscheinlichkeit für Ermüdungsrisse groß ist. Abb.-14: Messstellen am Quertragsystem Abb.-15: Gemessene Beanspruchungskollektive für Bauteile des Quertragsystems 6. Weitergehende Maßnahmen (Bewertungsstufe-4) Die Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie betrifft wissenschaftliche Methoden zum Nachweis ausreichender Tragbzw. Ermüdungssicherheit. Sie kann separat oder in Kombination mit Stufe 3 durchgeführt werden, da Messergebnisse als Eingangswerte gerade bei spezielleren Methoden sinnvoll sein können. Die Stufe 4 ist jedoch aufgrund der Komplexität und der notwendigen Erfahrung im Umgang mit den jeweiligen Methoden momentan nur im Einzelfall von Experten anzuwenden. Zu den geometrisch und physikalisch nichtlinearen Berechnungsverfahren zählen nach heutigem Kenntnisstand vor allem: - nichtlineare Berechnung der Beanspruchungen bei stetiger Laststeigerung und zugehörige Nachweise im GZT, - rechnerische Überprüfung des Umlagerungsvermögens und damit der Schadenstoleranz bzw. Robustheit von einzelnen Bauteilen und/ oder im Tragsystem, 46 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken - Ermüdungsberechnungen mit nichtlinearen Schadensakkumulationshypothesen einschließlich bruchmechanischer Berechnung der Restnutzungsdauer. Neben den nichtlinearen Berechnungsverfahren werden voraussichtlich in nächster Zeit die probabilistischen Berechnungsmethoden an Bedeutung gewinnen, konkret können das sein: - zuverlässigkeitstheoretische Analysen zur Begründung von Modifikationen der normativen Sicherheits- und Kombinationsfaktoren, - direkte zuverlässigkeitstheoretische Nachweise (Berechnung der Versagenswahrscheinlichkeit und Nachweis auf diesem Niveau). 7. Ausblick Die Nachrechnungsrichtlinie für Straßenbrücken bildet eine der wesentlichen Grundlagen, die Trag- und Ermüdungssicherheit der nicht selten hochbeanspruchten Bauwerke einzuschätzen und damit die erforderlichen Sanierungs-, Verstärkungs- und Ersatzbaumaßnahmen zu priorisieren. Trotz des bereits sehr entwickelten Regelwerkes sind in den nächsten Jahren weitere Ergänzungen bzw. Detaillierungen notwendig, um aus Sicht der Ingenieur*innen den anstehenden Aufgaben der Brückenbewertung zu entsprechen. Dazu sind insbesondere die in Bewertungsstufe 4 angeführten Maßnahmen für die breite praktische Anwendbarkeit weiterzuentwickeln, insbesondere die direkte und durchgängige Nachweisführung auf Basis der Zuverlässigkeitstheorie. Nur so werden einige - rechnerisch nach bisherigem Regelwerk nicht mehr nachweisbare - Bauwerke bei ausreichender Zuverlässigkeit unter Betrieb zu halten sein, denn nicht jedes Bauwerk kann sofort ersatzneugebaut oder auch „nur“ verstärkt werden. Es gilt in jedem Einzelfall, ein Optimum zwischen der uneingeschränkten Verfügbarkeit der Tragwerke und deren technischer Zuverlässigkeit zu finden. Die möglichst lange Weiternutzung der bestehenden Bauwerke kann übrigens einen wesentlichen Beitrag zum optimalen Umgang mit knapper werdenden Ressourcen (Material, Ingenieurkapazität, Baukapazität) darstellen. Literatur [1] BMVBS: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (2011) [2] Marzahn, G., et al.: Die Nachrechnung von bestehenden Straßenbrücken aus Beton (Beton-Kalender 2013: Lebensdauer und Instandsetzung) [3] DBV-Heft 24: Begründung eines reduzierten Zuverlässigkeitsindexes und modifizierter Teilsicherheitsbeiwerte für Stahlbetontragwerke im Bestand. Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein e.V. (Hrsg.), Berlin 2013, Autoren: Fischer,- A.; Grünberg,-J.; Schnell,-J.; Stauder,-F. [4] Frenzel, B., Freundt, U., König, G., Mangerig, I., Merzenich, G., Novak, B., Sedlacek, G., Sukhov, D.: Bestimmung von Kombinationsbeiwerten und -regeln für Einwirkungen auf Brücken, Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Heft 715, Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, 1996 [5] Frenzel, B.: Kombination der kurzzeitigen Lasten Verkehrslast und Temperaturunterschied für massive Straßenbrücken, unveröffentlichter Bericht 1989 zur Überarbeitung der TGL 32274/ 01 „Lastannahmen für Bauwerke, Grundsätze“ [6] Geißler,- K.: Überarbeitung der Richtlinie 805 - Gutachten zum Kombinationsbeiwert für vertikale Temperaturdifferenz, Gutachten für DB Netz 09/ 2021, unveröffentlicht [7] Freundt, U., Böning, S., Kaschner, R., Geißler, K., Kraus, J. K.: Methodik zur Entwicklung neuer Verkehrslastmodelle für die Nachrechnung des Brückenbestandes, Schlussbericht FE 15.0629/ 2016/ FRB, BASt, 2018 [8] Geißler, K., Kraus, J. K., Freundt, U., Böning, S.: Zukunftssicherheit der Ermüdungslastmodelle nach DIN EN 1991-2, Schlussbericht FE 15.0629/ 2016/ FRB, BASt, 2018 [9] DIN- EN 1993-1-5: 2010-12: Eurocode 3: Bemessung und Konstruktion von Stahlbauten - Teil 1-5: - Plattenförmige Bauteile. Deutsche Fassung EN 1993-1-5: 2006 + AC: 2009, Beuth-Verlag Berlin [10] DASt-Richtlinie 012: Plattenbeulen, Deutscher Ausschuss für Stahlbau [11] DIN-18800-3: Stahlbauten - Teil 3: Stabilitätsfälle, Plattenbeulen. Beuth Verlag, Berlin 1990 [12] Geißler, K.: Handbuch Brückenbau, Ernst und Sohn, 2014 [13] DIN- EN 1993-1-9: 2010-12: Eurocode 3: Bemessung und Konstruktion von Stahlbauten - Teil 1-9: Ermüdung. Deutsche Fassung EN 1993-1-9: 2005 + AC: 2009, Beuth-Verlag-Berlin [14] Kraus, J. K.: Zur analytischen Herleitung von Verkehrslastmodellen für die Tragfähigkeit und Ermüdung von Straßenbrücken, Dissertation TU Berlin, 2021 [15] Steffens, N.: Sicherheitsäquivalente Bewertung von Brücken durch Bauwerksmonitoring, Dissertation TU Berlin, 2019 5. Brückenkolloquium - September 2022 47 Analytische und numerische Verfahren zur Brückennachrechnung der NRR Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger Institut für Massivbau (IMB), RWTH Aachen University Zusammenfassung Neben gestiegenen Verkehrslasten führen Weiterentwicklungen der Normen während der letzten Jahrzehnte zu höheren Anforderungen an Spannbetonbrücken. Darüber hinaus ist die Altersstruktur der Brücken im Bundesfernstraßennetz ein weiterer wesentlicher Grund für den schlechten Zustand zahlreicher Brückenbauwerke. Viele bestehende Spannbetonbrücken weisen aus den genannten Gründen rechnerische Defizite bei der Querkrafttragfähigkeit auf, obwohl sie trotz dieser Randbedingungen noch keine Querkraftrisse zeigen. Genauere Nachweise der Nachrechnungsrichtlinie, die 2011 erschienen, 2015 erstmals erweitert und jetzt in der BEM-ING nochmals verbessert sind, können hier helfen. Grundlage für die verfeinerten Bemessungsansätze sind Ergebnisse aus Forschungsvorhaben der vergangenen ca. zehn Jahre. Durch experimentelle und theoretische Untersuchungen in einem aktuellen durch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) finanzierten Forschungsprojekt sollen verfeinerte Berechnungsansätze für die Querkrafttragfähigkeit erarbeitet werden, die gegenüber den aktuellen Bemessungsansätzen weitere Querkrafttragreserven berücksichtigen. 1. Einleitung Bei der Beurteilung der Standsicherheit bestehender Stahl- und Spannbetonbrücken ergeben sich auf Grundlage aktuell gültiger Bemessungsansätze in vielen Fällen konservative Tragfähigkeiten. Insbesondere die Querkrafttragfähigkeit von Bauwerken mit vergleichsweise geringen Querkraftbewehrungsgraden in den hoch vorgespannten Hauptträgern wird im Zuge der Nachrechnung teilweise erheblich unterschätzt. Infolgedessen wird der Zustand der betroffenen Bestandsbrücken schlechter eingeschätzt als wahrscheinlich erforderlich. Gründe für die rechnerischen Tragfähigkeitsdefizite sind vor allem das gestiegene Verkehrsaufkommen und die im Laufe der Zeit erhöhten Anforderungen an die bauliche Durchbildung der Bauwerke. Abb.-1: Altersstruktur der Straßenbrücken im Bestand in Deutschland nach [1]; Grafik: IMB, RWTH Aachen Ein Großteil der Brücken des Bundesfernstraßennetzes wurde vor 1985 gebaut (Abb. 1, blaue Bereiche). Seitdem sind beim Schwerlastverkehr erhebliche Steigerungen zu verzeichnen. Gemäß aktuellen Studien sind weitere Güterverkehrssteigerungen zu erwarten [2], wie Abb. 2 zeigt. Ein großer Teil der Bestandsbrücken wurde allerdings noch für das Lastmodell BK60 [3] bemessen. Abb.-2: Entwicklung der Beförderungsleistung auf Bundesfernstraßen [4], Grafik: IMB, RWTH Aachen Zudem gab es in den letzten Jahrzehnten in den Normen eine Reihe von Modifikationen, die insbesondere für früher übliche Bewehrungsführungen eine Anwendung der dem Eurocode 2 [5-8] zugrundeliegenden Modelle (z. B. [9-11]) nicht ohne Weiteres zulassen. Beispielsweise gab es erst Ende der 1960er-Jahre erstmals einen Mindestwert des Querkraftbewehrungsgrades für das Haupttragsystem [12]. Darüber hinaus erfolgten verschiedene Anpassungen der Bemessungsansätze für Querkraft. Dies führt neben den höheren Einwirkungen zu rechnerischen Defiziten bei der Nachrechnung von Bestandsbauwerken gemäß DIN-Fachbericht 102 [13]. Es ergeben sich daher 48 5. Brückenkolloquium - September 2022 Analytische und numerische Verfahren zur Brückennachrechnung der NRR rechnerisch erforderliche Querkraftbewehrungsgrade, die in den Stegen der Bestandsbauwerke nicht vorhandenen sind [14]. Hinzu kommt der allgemein schlechte Gesamtzustand vieler Bestandsbrücken infolge des hohen Alters und der hohen Verkehrsbelastung [15]. Die auf den Regelungen in den DIN-Fachberichten basierende Nachrechnungsrichtlinie ist erstmals 2011 erschienen. Hintergründe sind z.- B. in [8-10] zu finden. Die Nachrechnungsrichtlinie beinhaltet ein vierstufiges Verfahren (Abb.-3), wobei mit aufsteigender Nachrechnungsstufe sowohl die Genauigkeit der Berechnungsverfahren zunimmt als auch ein höherer Berechnungsaufwand entsteht. So sind in Stufe 2 u.a. Modifikationen in der Querkraft- und Torsionsbemessung bei Bestandsbrücken in Massivbauweise erlaubt, die entweder an die alte Normengeneration angelehnt sind (DIN-4227 vor 2003) oder auf neuen Erkenntnissen basieren. Abb.-3: Vierstufiges Verfahren der Nachrechnungsrichtlinie zur Bewertung der Standsicherheit von Brückenbauwerken Lässt sich trotz der verfeinerten Berechnungsansätze keine ausreichende rechnerische Tragfähigkeit nachweisen, kann in Abhängigkeit der verkehrlichen Bedeutung und der örtlichen Randbedingungen eine genauere Untersuchung in Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie erfolgen. Nichtlineare FE-Berechnungen ermöglichen neben Nachweisen zur Standsicherheit auch Untersuchungen zum Bauteiltragverhalten, die gezielte Hinweise für Bauwerkprüfungen (z.B. Bereiche mit Rissbildung) liefern. 2. Querkrafttragfähigkeit nach EC-2 [5-8] und DIN FB 102 [13] 2.1 Allgemeines Nach aktuellen normativen Vorgaben wird bei der Querkraftbemessung zwischen Bauteilen mit und ohne Querkraftbewehrung unterschieden. Dabei weisen balkenförmige Bauteile stets eine Mindestquerkraftbewehrung auf, während Stahlbetonplatten auch ohne Querkraftbewehrung zulässig sind. Zudem ist bei Platten in Ortbetonbauweise eine Ausführung ohne Querkraftbewehrung aus baupraktischer Sicht vorzuziehen, um den hohen Aufwand bei deren Einbau zu vermeiden. 2.2 Bauteile ohne Querkraftbewehrung 2.2.1 Schubzugversagen Für einen ungerissenen Betonquerschnitt können die Hauptspannungen nach der Technischen Mechanik unter Annahme eines ebenen Spannungszustandes und linearelastischer Materialgesetze bestimmt werden. Ein Versagen des Querschnitts tritt nicht ein, wenn die Hauptdruckspannungen die zulässige Betondruckfestigkeit und die Hauptzugspannungen die zulässige Betonzugfestigkeit nicht überschreiten. Ein Schubzugversagen tritt dann ein, wenn die schiefen Hauptzugspannungen die Betonzugfestigkeit vor der Biegerissbildung überschreiten, d.-h., Schubrisse treten vor der Biegerissbildung auf. Dies kann insbesondere bei profilierten Bauteilen mit Vorspannung oder äußeren Drucknormalkräften der Fall sein. 2.2.2 Biegeschubversagen Der aktuelle Bemessungsansatz für Querkraft ohne Querkraftbewehrung (Biegeschubversagen) nach EC-2 basiert auf dem Ansatz aus dem Model Code 1990 (MC 90) [16], der auf empirische Untersuchungen der 1960er Jahre zurückgeht [17]. Anhand von einigen Hundert Querkraftversuchen und theoretischen Vorüberlegungen zu potentiellen Einflussgrößen wurde über Regressionsanalysen ein Produktansatz für schlanke Bauteile hergeleitet, der aufgrund nachträglicher Auswertungen weiterer Versuche an gedrungenen Bauteilen leicht modifiziert wurde [18]. Bei der Überführung in MC 90 wurde ein Faktor zur Berücksichtigung des Maßstabseffekts ergänzt. Dieser Bemessungsansatz wurde später ohne wesentliche Änderungen, abgesehen von der Vernachlässigung eines Parameters für die Schubschlankheit, in den EC-2 übernommen. 2.3 Bauteile mit Querkraftbewehrung Dem Querkraftbemessungsansatz für Bauteile mit Querkraftbewehrung nach EC-2 mit Nationalem Anhang für Deutschland [8] liegt ein Fachwerkmodell mit Rissreibung zugrunde [10]. Entlang der im Winkel b r verlaufenden Schubrisse können in diesem Modell zusätzliche Kräfte infolge Rissreibung übertragen werden. Dadurch ergeben sich rechnerisch kleinere Druckstrebenneigungswinkel q. Aufgrund des unterschiedlichen Rissverhaltens von Bauteilen ohne und mit Querkraftbewehrung entspricht der Betontraganteil beim Nachweis für Bauteile mit Querkraftbewehrung nicht der Querkrafttragfähigkeit von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung. Der Nachweis der Querkrafttragfähigkeit von Bauteilen mit Querkraftbewehrung umfasst sowohl den Nachweis der Druckstrebentragfähigkeit als auch den Nachweis der Zugstreben, der bei Bauteilen mit niedrigen Schubbewehrungsgraden aufgrund der nicht voll ausgenutzten Druckstrebentragfähigkeit maßgebend wird. Experimentelle Untersuchungen haben ergeben, dass nach dem Ausfall der Rissreibung Umlagerungen auf andere Traganteile stattfinden, sodass die aus dem Fachwerkmodell mit Rissreibung errechnete Traglast insbesondere bei Bautei- 5. Brückenkolloquium - September 2022 49 Analytische und numerische Verfahren zur Brückennachrechnung der NRR len mit geringen Schubbewehrungsgraden die tatsächliche Bruchlast unterschätzt [19; 20]. 3. Zusätzliche Regelungen der Nachrechnungsrichtlinie 3.1 Querkraft 3.1.1 Hauptspannungsnachweis Für die Ergänzung [21] der Nachrechnungsrichtlinie von 2011 [22] wurde zur Vereinfachung der Nachweisführung und zur Vermeidung von iterativen Berechnungen vorgeschlagen, den Querkraftnachweis als Hauptzugspannungsnachweis zu führen [23-25], der für die unterschiedlichen Schnittgrößenkombinationen in mehreren Abschnitten entlang der Bauteilhöhe zu führen ist. Die zusätzlichen Festlegungen beruhen auf Untersuchungen in [26; 27]. So wurden die zulässigen Randzugspannungen im Grenzzustand der Tragfähigkeit für den Fall, dass innerhalb der Flansche Zugspannungen infolge der Biegebeanspruchung des Längssystems auftreten, auf f ctm erhöht. Außerdem ist für Spannbetonbauteile mit einem vorhandenen Querkraftbewehrungsgrad von mindestens etwa 50-% der nach DIN FB 102 erforderlichen Mindestquerkraftbewehrung nach den Bauteilversuchen kein sprödes Versagen zu erwarten. Da Spannbetonträger mit zunehmender Vorspannung weniger duktil versagen, wird auf Basis der Untersuchungen für Bauteile, die mindestens über die nach DIN FB 102 erforderliche Mindestquerkraftbewehrung verfügen, eine Begrenzung der Betondruckspannungen empfohlen. Die zulässigen Betondruckspannungen dürfen für Querkraftbewehrungsgrade zwischen dem 0,5- und dem 1,0-Fachen der Mindestquerkraftbewehrung linear interpoliert werden. Für Bauteile, in denen weniger als das 0,5-Fache der Mindestquerkraftbewehrung enthalten ist, wurde ein Abminderungsbeiwert für die rechnerische Betonzugfestigkeit von a ct -=-0,85 eingeführt, um der Gefahr eines spröden Bruchverhaltens bei geringen Querkraftbewehrungsgraden vorzubeugen. Für Bauteile, die mindestens einen 0,5-fachen Mindestquerkraftbewehrungsgrad aufweisen, darf dagegen ein gegenüber EC 2 erhöhter Beiwert von a ct -=-1,0 verwendet werden, da Versuchsergebnissen zufolge nach der Schubrissbildung noch ausreichende Tragreserven existieren [28]. 3.1.2 Modifiziertes Fachwerkmodell mit Rissreibung Im Nationalen Anwendungsdokument für Deutschland zum EC-2 wird die Druckstrebenneigung auf 29,7° (cot-q-=-1,75) als unterer Grenzwert für den Brückenneubau beschränkt. Bei Brückennachrechnungen nach Stufe 2 darf der minimal zulässige Druckstrebenwinkel unter bestimmten Voraussetzungen auch auf 21,8° (cot-q-=-2,5), bzw. 18,4° (cot-q-=-3,0) verringert werden, was jedoch häufig wegen der zusätzlichen Begrenzung durch das Rissreibungskriterium nicht möglich ist und daher nur eine geringe rechnerische Verbesserung der Querkrafttragfähigkeit ergibt. 3.2 Torsion Die Schnittgrößenverteilung in statisch unbestimmten Systemen hängt von den Steifigkeitsverhältnissen im Querschnitt ab. In Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass das Tragverhalten im Grenzzustand der Tragfähigkeit durch eine Abminderung der Torsionssteifigkeit der Hauptträger infolge Rissbildung realitätsnah abgebildet wird [23; 29]. In der ersten Ergänzung zur Nachrechnungsrichtlinie wurde daher unter Berücksichtigung einer Fallunterscheidung festgelegt, dass bei der Schnittgrößenermittlung mehrstegiger Plattenbalkenbrücken die Torsionssteifigkeit ohne weiteren Nachweis abgemindert werden darf. 4. Untersuchungen für die 2. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie 4.1 Allgemeines In [30] wurde u. a. festgestellt, dass sich insbesondere bei kleinen Querkraftbewehrungsgraden mit ρ w,vorh -<-ρ w,min deutlich höhere Querkrafttragfähigkeiten ergeben als rechnerisch über das Fachwerkmodell ermittelt. Dies konnte auch durch die Ergebnisse anderer Untersuchungen bestätigt werden [31-33]. Daher wurde ein erweitertes Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil hergeleitet, das die Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonträgern mit geringem Bügelbewehrungsgrad wirtschaftlicher abbildet als aktuelle Ansätze [34]. Weiterhin wurde ein Ansatz zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung formuliert und Anwendungsregeln für heute nicht mehr zulässige Bügelformen in Bestandsbrücken erarbeitet [30]. 4.2 Erweitertes Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil 4.2.1 Allgemeines Bereits in den Anfängen des Stahlbetonbaus wurde auf Basis von Versuchsergebnissen vermutet, dass zusätzlich zur Fachwerktragwirkung der Bügel ein Betontraganteil existiert [35]. Die Addition eines Betontraganteils, der dem Anteil eines unbewehrten Bauteils entspricht, war auch in den Regeln von Model Code 1978 [36] enthalten. Auch im Model Code 2010 [37] wird als Level-III-Ansatz ein additiver Betontraganteil vorgeschlagen, der mit der Querkrafttragfähigkeit eines Bauteils ohne Querkraftbewehrung identisch ist. Versuchskörper mit geringen Querkraftbewehrungsgraden weisen beim Versagen einen einzelnen konzentrierten Schubrisses und keine gleichmäßig verteilten Schubrisse wie bei Bauteilen mit höheren Schubbewehrungsgraden auf. Zudem verläuft dieser Schubriss nicht gerade, sondern oft gekrümmt, wie es für Bauteile ohne Querkraftbewehrung zu beobachten ist (z. B. [38; 39]). Weiterhin zeigen Versuche an Spannbetonträgern, dass eine Berücksichtigung der veränderlichen Druckzonenhöhe bei Ermittlung der Querkrafttragfähigkeiten zutreffendere Ergebnisse liefert (z. B. [28; 40; 41]). Diese Beobachtungen belegen, dass ein kontinuierlicher Übergang 50 5. Brückenkolloquium - September 2022 Analytische und numerische Verfahren zur Brückennachrechnung der NRR des Tragverhaltens von Trägern ohne zu Trägern mit geringer Querkraftbewehrung existiert. 4.2.2 Berechnungsvorschlag Zur Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung wurde der bisherige Ansatz nach Gl. 6.2a aus dem DIN FB 102 übernommen. Auf Grundlage einer Datenbankauswertung wurden lediglich die Beiwerte k 1 zur Berücksichtigung der günstigen Wirkung von Drucknormalspannungen infolge Vorspannung angepasst. Eingetragen im Plastizitätskreis ergeben sich u. a. die in Abb.-4 dargestellten Fälle. Abb.-4: Plastizitätskreis mit (1) Begrenzung des Druckstrebenwinkels q auf cot-q-=-2,5 und (2)/ (3) Fachwerkmodellen mit Betontraganteil, Grafik: nach [42], IMB, RWTH Aachen Die gestrichelt dargestellten Linien zeigen das Fachwerkmodell für verschiedene Neigungen des Druckstrebenwinkels, bspw. ergibt sich für cot q = 2,5 Linie (1). Die rot dargestellten Linien (2) und (3) zeigen Möglichkeiten für das Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil für unterschiedliche Winkel β r . Da rechnerisch Wertebereiche außerhalb des Plastizitätskreises möglich sind, wird cot β r begrenzt (Linie (3)). Weitere Informationen werden in [34; 42] gegeben. Das vorgestellte Modell ermöglicht einen rechnerisch fließenden Übergang von Bauteilen ohne zu Bauteilen mit Querkraftbewehrung. 5. Anwendungsbeispiel zur Nachrechnung in Stufe-4 5.1 Allgemeines Im Rahmen der Nachrechnung von Bestandsbrücken in Stufe-2 der Nachrechnungsrichtlinie lässt sich trotz der verfeinerten Berechnungsansätze nicht immer eine ausreichende rechnerische Querkraft- und Torsionstragfähigkeit nachweisen. Zur Sicherstellung der Tragfähigkeit des Bauwerks kann eine entsprechende Verstärkungsmaßnahme vorgesehen werden. Alternativ kann eine genauere rechnerische Untersuchung der Brücke in Stufe-4 der Nachrechnungsrichtlinie erfolgen. Eine Anwendung wissenschaftlicher Verfahren in Stufe-4 erfordert die Abstimmung mit der zuständigen obersten Baubehörde. Hierzu sind entsprechende Erfahrungen des Anwenders erforderlich. Weiterhin ist sicherzustellen, dass die verfahrensspezifischen Anwendungsgrenzen eingehalten werden können und das erreichbare Sicherheitsniveau sinnvoll ermittelt werden kann. Die Nachrechnung in Stufe-4 ist insbesondere dann sinnvoll, wenn aufgrund der verkehrlichen Bedeutung des Bauwerks im Straßennetz kompensatorische Einschränkungen bis zur Fertigstellung der Verstärkungsmaßnahme (z. B. Spursperrung, Gewichtsbeschränkung, Sperrung für Schwertransporte) nicht vertretbar sind. Darüber hinaus kann eine solche Berechnung zielführend sein, wenn eine bauliche Verstärkung bzw. ein Ersatzneubau aufgrund der örtlichen Randbedingungen (z. B. Lichtraumprofile) oder der Kombination vorhandener rechnerischer Defizite nicht ohne weiteres möglich ist. Die Berechnung in Stufe-4 der Nachrechnungsrichtlinie umfasst die Nachweisführung unter Anwendung wissenschaftlicher Methoden. Hierzu gehören neben verfeinerten analytischen Ansätzen [43; 44] unter anderem räumliche nichtlineare Finite Elemente-Berechnungen. Da in der Regel eine Überprüfung bzw. Validierung einer Berechnung in Stufe-4 nur durch andere wissenschaftliche Methoden möglich ist, ist eine Kombination der verschiedenen Berechnungsansätze zielführend. Nichtlineare Finite Elemente-Berechnungen ermöglichen eine Untersuchung des Bauteiltragverhaltens nach Schubrissbildung unter Berücksichtigung möglicher Umlagerungsreserven im Zustand-II. Darüber hinaus können basierend auf der Ermittlung des rechnerischen Ankündigungsverhaltens bis zum Versagen (z. B. Rissentwicklung) gezielte Maßnahmen zur Überprüfung des Bauwerks festgelegt werden. Im Folgenden wird die Anwendung anhand eines Bauwerks mit rechnerischen Tragfähigkeitsdefiziten aufgezeigt, zu dem im Rahmen von gutachterlichen Stellungnahmen und der statischen Prüfung Brückennachrechnungen durchgeführt wurden. 5.2 Berechnung eines Plattenbalkenquerschnitts 5.2.1 Vorstellung des Bauwerks Das im Jahr 1959 errichtete Bauwerk dient der Überführung der BAB über eine Eisenbahntrasse und wurde für die Brückenklasse-60 nach DIN-4227 [45] bemessen. Der schiefwinklige Ortbetonüberbau wurde als längs vorgespannter Einfeldträger ausgebildet. Die Gesamtlänge des Überbaus beträgt 31,2-m bei einer Stützweite von 30,1-m. Die Konstruktionshöhe des 13,35-m breiten, sechsstegigen Plattenbalkenquerschnitts beträgt im Regelbereich 1,44-m. Der Überbau besitzt Endquerträger in beiden Auflagerachsen und Feldquerträger in den Viertelspunkten. Am östlichen Widerlager werden die Kräfte in Brückenlängsrichtung über längsfeste Lager abgetragen. In Querrichtung werden die Kräfte über querfeste Lager in einer Längsachse aufgenommen. An den übrigen verschieblichen Auflagerpunkten liegt der Überbau auf Kalottenlagern auf. Eine vorhergehende Nachrechnung des Bauwerks gemäß Nachrechnungsrichtlinie in den Stufen 1 und 2 für 5. Brückenkolloquium - September 2022 51 Analytische und numerische Verfahren zur Brückennachrechnung der NRR das Ziellastniveau BK-45 nach DIN-1072 [46] mit Fahrbahneinengung ergab deutliche rechnerische Defizite der Querkraft- und Torsionstragfähigkeit der Längsträger. 5.2.2 Bauwerksmodellierung Die statische Berechnung und Nachweisführung nach Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie erfolgte mit Hilfe der nichtlinearen FEM-Software Limfes [47]. Dazu wurde der Überbau unter Berücksichtigung aller Voutungen und Querschnittsänderungen als räumliches Volumenmodell abgebildet. Abb.-5 zeigt einen Ausschnitt des dreidimensionalen Volumenmodells. Abb.-5: Bauwerksabbildung im FE-System Limfes Grafik: H+P Ingenieure Die vorhandene Betonstahl- und Spannstahlbewehrung wurde gemäß den Bestandsplänen diskret eingegeben (Abb. 6). Hierbei wurde neben der Längs- und der Querbewehrung der Fahrbahnplatte sowie der vorhandenen Bügelbewehrung in den Stegen auch die Spaltzugbewehrung der Spannglieder implementiert. Abb.-6: Betonstahlbewehrung der gesamten Brücke (oben) und parabelförmige Spannglieder in Feldmitte (unten), Grafik: H+P Ingenieure Das nichtlineare Werkstoffverhalten des Betons wurde unter Berücksichtigung der Betonzugfestigkeit durch das Microplane-Modell [48] beschrieben. Zur Abbildung der Bewehrungs- und Spannstahlelemente wurden elastischplastische Materialmodelle verwendet. 5.2.3 Berechnungsablauf Ziel der Untersuchung war es, die rechnerische Tragfähigkeit des Brückenüberbaus unter der maximalen Beanspruchung (Querkraft und Torsion mit zugehöriger Biegung) für die maßgebende Stelle nachzuweisen. Dieser Nachweis ist erbracht, wenn sich bei der Berechnung unter der maßgebenden Bemessungskombination im Grenzzustand der Tragfähigkeit (1) ein stabiles Gleichgewicht einstellt und (2) die Grenzdehnungen (Beton, Beton- und Spannstahl) eingehalten sind. Dann kann gemäß DIN-Fachbericht 102 [13] davon ausgegangen werden, dass der Widerstand des Tragwerks gegen Versagen mit ausreichender Sicherheit gegeben ist. Gemäß DIN FB 102 ist für die Einwirkungen die Ständige und Vorübergehende Bemessungssituation in Kombination mit einem einheitlichen Teilsicherheitsbeiwert von g R -=-1,3 für die Baustoffkennwerte zu betrachten sowie dem (vgl. DIN FB 102, Kap. A.2.1). Zur Nachweisführung in Stufe-4 werden vorab die relevanten Laststellungen auf Basis der Ergebnisse aus Stufe-2 identifiziert. In Abb.-7 sind die Ausbaulasten und die für die nichtlineare Berechnung maßgebende Verkehrslaststellung dargestellt. Bei der nichtlinearen Systemanalyse werden alle Lasten unter Berücksichtigung der Teilsicherheitsbeiwerte in einem Lastfall betrachtet, da das Superpositionsprinzip nicht gültig ist. Die Lastauf bringung in einer nichtlinearen FE-Berechnung erfolgt hierbei schrittweise. Zunächst werden alle ständigen Lasten und die Vorspannung aufgebracht. Danach erfolgte analog zu den ständigen Lasten schrittweise die Auf bringung der Verkehrslast, sodass das Gebrauchstauglichkeitsniveau (LS-GZG) erreicht wird. In den anschließenden Lastschritten wurden die ständigen Lasten und die Verkehrslast um die zugehörigen Teilsicherheitsbeiwerte von 1,35 bzw. 1,5 gesteigert. Zur Sicherstellung des nach DIN FB 102 geforderten Sicherheitsniveaus muss diese Laststufe in Verbindung mit dem einheitlichen Teilsicherheitsbeiwert der Baustoffkennwerte von 1,3 betrachtet werden. Die Laststellung LS-GZT bildet damit das Tragfähigkeitsniveau nach DIN Fachbericht [13; 49] ab. Alle weiteren Laststufen darüber hinaus dienen der Untersuchung eventueller Tragfähigkeitsreserven. Abb.-7: Ausbaulasten (links) und maßgebende Verkehrslaststellung (rechts), Grafik: H+P Ingenieure 52 5. Brückenkolloquium - September 2022 Analytische und numerische Verfahren zur Brückennachrechnung der NRR 5.2.4 Ergebnisse Das angestrebte Sicherheitsniveau unter Berücksichtigung des globalen Teilsicherheitsbeiwerts von g R -=-1,3 wurde erreicht. Die anschließende Steigerung der Verkehrslast bis zum Versagenszustand führte zu deutlichen Verformungen und Rissen. In Abb.-8 sind die Hauptdehnungen ε 1 in Hauptzugspannungsrichtung des Bauwerks im rechnerischen Grenzzustand der Tragfähigkeit und im Bruchzustand dargestellt. Der Hauptdehnungsverlauf kann hierbei dem Rissbild gleichgesetzt werden. Abb.-8: Hauptdehnung ε 1 im GZT und im Versagenszustand (oben, unten rechts) und Bügelspannungen im Versagenszustand (unten links), Grafik: H+P Ingenieure Unter den im GZT nach DIN FB anzusetzenden γ-fachen Lasten stellt sich eine Biegerissbildung im Feldbereich in den Stegen ein. Hierbei weist der Randsteg die größten Hauptzugdehnungen auf. Eine beginnende diagonale Schubrissbildung im Randsteg ist im Bereich des letzten Feldquerträgers festzustellen. Die Erhöhung der Verkehrslast führt bis zum Versagen sowohl zu einem deutlichen Wachstum dieses Schubrisses als auch zur Bildung zusätzlicher Schubrisse im Randsteg und den benachbarten Innenstegen. Die zweischnittige Bügelbewehrung (f yk = 240 N/ mm²) des Randsteges erreicht im Bereich der kreuzenden Schubrisse die Streckgrenze. Die große Laststeigerung zwischen rechnerischem GZT und Versagenszustand zeigt hierbei die Umlagerungsmöglichkeiten der Einwirkungen trotz des Fließens der Bügelbewehrung. Die damit verbundenen großen Verformungen des Überbaus resultieren in hohen Betonstauchungen. Die lokale Überschreitung der zulässigen Betondruckstauchungen (ε c >3,5 ‰) führt letztendlich zu einem Systemversagen, wobei vorher eine ausgeprägte Versagensankündigung oberhalb des nach DIN FB 102 geforderten Sicherheitsniveaus vorliegt. Neben dem rechnerischen Nachweis der Tragfähigkeit unter kombinierter Querkraft-, Torsions- und Biegebeanspruchung konnten durch die Ermittlung des Ankündigungsverhaltens die für Brückenprüfungen relevanten Trägerbereiche mit zugehörigen, kritischen Rissbildern identifiziert werden. 6. Vergleich mit Nachrechnungsbeispiel In Abb.-9 werden die Ergebnisse einer in [23] beschriebenen Beispielbemessung für verschiedene Querkraftbemessungsansätze mit dem Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil gegenübergestellt. Dazu wird der Quotient aus der einwirkenden Querkraft V Ed und der Querkrafttragfähigkeit entsprechend dem jeweiligen Modell V Rd gebildet. Abb.-9: Gegenüberstellung einer Beispielberechnung aus [23] mit dem Ergebnis nach dem vorgestellten Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil Mit dem erweiterten Modell für Stufe 2 der Nachrechnungsrichtlinie ergibt sich eine höhere rechnerische Querkrafttragfähigkeit im Vergleich zu den anderen Ansätzen der Stufe 2. Obwohl die wissenschaftlichen Modelle nach Stufe 4, wie (1) das erweiterte Druckbogenmodell (Maurer), (2) die kanadische Norm und (3) FEM (hellblaue Balken in Abb. 9), geringere Ausnutzungsgrade ergeben, ist dennoch der Vorteil des Fachwerkmodells mit additivem Betontraganteil für diese Beispielberechnung deutlich erkennbar. 7. Zusammenfassung und aktuelle Untersuchungen Durch eine Erweiterung der Querkraftnachweise in Stufe-2 der Nachrechnungsrichtlinie ist unter Ansatz eines Fachwerkmodells mit Betontraganteil insbesondere bei Brücken mit geringen Querkraftbewehrungsgraden eine zutreffendere Ermittlung der Querkrafttragfähigkeiten möglich. Der Betontraganteil wurde so definiert, dass sich ein stetiger Übergang der Querkrafttragfähigkeit von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung zu Bauteilen mit Querkraftbewehrung ergibt. Dadurch ist eine progressivere und vor allem realitätsnähere Bewertung der Standsicherheit älterer Massivbrücken hinsichtlich Querkraft und Torsion möglich. Darüber hinaus besitzen Spannbetonbrücken im Bestand weitere Tragreserven unter Querkraft- und Torsionsbeanspruchung. Hauptgründe für die noch vorhandenen Tragreserven sind zum einen die günstigen Einflüsse aus dem statischen System bei Durchlaufträgern (geringere Schubschlankheit im Vergleich zum Einfeldträger), der 5. Brückenkolloquium - September 2022 53 Analytische und numerische Verfahren zur Brückennachrechnung der NRR Vorspannung (spätere Schubrissbildung) und der Belastungsart (hohe Streckenlasten aus Eigengewicht im Vergleich zu Einzellasten aus Verkehr). Alle drei Faktoren reduzieren die effektive Schubschlankheit und vergrößern die Querkrafttragfähigkeit. Die Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken mit geringen Querkraftbewehrungsgraden (0,5bis 1,5-fache Mindestbewehrung) wird maßgeblich durch den Betontraganteil gesteuert. Der Betontraganteil ist dabei abhängig von der Querschnittsform (Rechteck-, T- oder I-Querschnitt), dem Vorspanngrad, dem Spannungszuwachs der geneigten Spannglieder und auch der der Momenten- Querkraftinteraktion (Schubschlankheit). Bei der Aktivierung dieser Traganteile ist daher die Interaktion von Querkraft und Torsion genauer zu untersuchen. In einem von der BASt finanzierten Forschungsvorhaben werden aktuell experimentelle und theoretische Untersuchungen zu diesen Fragestellungen durchgeführt [50]. An dem Forschungsprojekt sind drei Hochschulinstitute (RWTH Aachen, TU München, TU Dortmund) und zwei Ingenieurbüros (H+P Ingenieure, ZMI Ingenieure) beteiligt. Anhand von für die Praxis relevanten Untersuchungsparametern soll in diesem Projekt die Basis für eine weitere Verbesserung der Bemessungsansätze in Stufe-2 der NRR geschaffen werden. Um das Tragverhalten von Durchlaufsystemen unter Querkraftbeanspruchung und auch mit kombinierter Torsion zu untersuchen, werden 28 Versuche an großformatigen Spannbetondurchlaufträgern (RWTH Aachen: 16, TU Dortmund: 12) und zwölf Versuche an Spannbetonträgerausschnitten (TU München) durchgeführt. Ziel ist es, mit verfeinerten Bemessungsansätzen eine genauere rechnerische Abbildung der Traglastreserven in der NRR zu ermöglichen. Außerdem werden die wissenschaftlichen Verfahren in Stufe-4 der Nachrechnungsrichtlinie adressiert. Zurzeit dürfen nichtlineare FE-Berechnungen, das erweiterte Druckbogenmodell oder die Modified Compression Field Theory angewendet werden, wenn sich die Ergebnisse der Berechnungen durch andere Methoden bestätigen lassen. Mit allen Verfahren lassen sich hohe rechnerische Tragreserven ermitteln, da sie das nichtlineare Materialverhalten und das Systemtragverhalten zutreffender erfassen als eine vereinfachte Nachweisführung. Da die Überprüfung einer solchen Berechnung nur durch andere wissenschaftliche Methoden möglich ist, ergeben sich Fragen, die insbesondere die verfahrensspezifischen Anwendungsgrenzen oder das erreichbare Sicherheitsniveau betreffen. Gezielte theoretische Untersuchungen in Form von Vergleichsberechnungen und Parameterstudien sollen entsprechende Antworten liefern. Darauf auf bauend sollen Handlungsanweisungen erarbeitet werden, welche die Anwendung der Stufe-4-Verfahren für Tragwerksplaner und Straßenbauverwaltungen erleichtern und die Vergleichbarkeit verschiedener Stufe-4-Verfahren herstellen. Literatur [1] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (13.12.2018) Bericht „Stand der Modernisierung von Straßenbrücken der Bundesfernstraßen“. [2] Naumann, J. 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Dabei stellt sich die Frage, inwieweit hier auch M berücksichtigt werden muss, da auch M die Hauptdruckspannungen beeinflusst. Bei einer Bewertung bestehender Spannbetonbrücken durch eine Nachrechnung muss die Nachweisführung bei einer kombinierten Beanspruchung an die Nachweisformate der Stufe 2 und 4 angepasst werden. Dabei interessiert die Frage, ob durch ein genauere Nachweisführung unter Berücksichtigung von Interaktionsbedingungen Tragfähigkeitsreserven aktiviert werden können. Zusätzlich müssen ggf. auch von den heutigen normgemäßen Konstruktionsregeln abweichende konstruktive Durchbildungen bei der Bewehrung beachtet werden. Zu diesen Fragestellungen erfolgen im Rahmen eines FE-Auftrags der BASt [1] theoretische und experimentelle Untersuchungen im Rahmen von Großversuchen. Die dabei bisher gewonnenen Erkenntnisse und die daraus abgeleiteten Nachweisformate für die NRR werden nachfolgend im Beitrag vorgestellt. 1. Einleitung Bei der Bewertung bestehender Spannbetonbrücken durch eine Nachrechnung besteht häufig das Problem, dass die älteren Bauwerke nach heutigem Stand der Normung keinen ausreichenden Widerstand gegen Schubbeanspruchungen aus Querkraft und Torsion aufweisen. Daher besteht ein Bedarf nach genaueren Berechnungsverfahren, um weniger kritische Bauwerke auf der Grundlage einer Stufe 2 Nachrechnung ggf. mit Verstärkungsmaßnahmen weiter nutzen zu können und um kritische Bauwerke mit einer Stufe 4 Nachrechnung noch so lange unter Verkehr halten zu können, bis sie durch einen Ersatzneubau ersetzt werden können. Durch ein Forschungskonsortiums der Technischen Universitäten Aachen, Dortmund und München sowie den Ingenieurgesellschaften H&P, Aachen und ZMI, München wurden und werden im Rahmen von FE-Aufträgen der Bast genauere Nachweisverfahren mittels experimenteller und theoretischer Untersuchungen entwickelt. Diese sollen in der fortgeschriebenen Fassung der Nachrechnungsrichtlinie (BEM-ING, Teil 2) ihren Niederschlag finden. 2. Unterschiede im Tragverhalten von Hohlkasten- und Plattenbalkenbrücken bei Querkraft und Torsion (V+T) Die Bemessungsmodelle im Eurocode 2 gelten für reine Torsions- und reine Querkraftbeanspruchung. Bei einer kombinierten Beanspruchung werden die ermittelten Bewehrungen addiert. Zur Begrenzung der Hauptdruckspannungen im Beton, erfolgt für die geneigten Betondruckstreben im Steg infolge V+T der Nachweis auf Grundlage einer Interaktionsbedingung, die für Plattenbalkenbrücken und Hohlkastenbrücken unterschiedlich ist. Plattenbalkenbrücke: Hohlkastenbrücke: 2.1 Tragverhalten bei V+T von Plattenbalkenbrücken Grundsätzlich wird bei den offenen Querschnitten der zweistegigen Plattenbalken das Torsionsmoment aus einer exzentrischen Verkehrsbelastung anteilig durch Querschnittsverwölbung (unterschiedliche Stegbiegung) und anteilig durch St. Venant-Torsion aufgenommen. Die Querschnittsverwölbung wird durch die Querverteilung berücksichtigt, die von der Torsionssteifigkeit der Stege beeinflusst wird. Nachfolgend wird die St. Venant-Torsion in den Stegen betrachtet. Bei Plattenbalkenbrücken erzeugen die St.Venant-Torsionsmomente primär in den Stegen sowie zu einem gewissen Anteil in den angrenzenden Gurtplatten der 58 5. Brückenkolloquium - September 2022 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) Hauptträger im Zustand I umlaufende Schubspannungen, die tangential zu den Querschnittsrändern verlaufen. Die von den Gurtplatten anteilig aufgenommene Torsion wird in der Regel bei der Bemessung vernachlässigt, indem das Torsionsmoment vollständig den Stegen zugewiesen wird. Das Moment aus den umlaufenden Schubspannungen bezogen auf den Schubmittelpunkt ist gleich dem im Querschnitt wirkenden Torsionsmoment (St--Venant’sche Torsion). Im Zustand II erfolgt die Bemessung auf Grundlage eines räumlichen Fachwerkmodells am Ersatzhohlkasten mit der effektiven Wanddicke t eff,i . Das Tragverhalten im Zustand II ist in Bild 1 auf Querschnittsebene in Form von mittleren Schubspannungen über den Querschnitt dargestellt. Der Querschnittsbereich innerhalb des Ersatzholkastens beteiligt sich nicht nennenswert an der Aufnahme des Torsionsmomentes. Im dünnwandigen geschlossenen Profil des Ersatzhohlkastens ist der umlaufende Schubfluss infolge reiner Torsion konstant. Für die Schubspannung in einer Schubwand gilt daher Die Schubkraft V Ed,i in einer Schubwand i infolge Torsion wird wie folgt ermittelt: Bei Querkraft ist die mittlere vertikal gerichtete Schubspannung im Querschnitt über die gesamte Breite b w konstant. Bei einer kombinierten Beanspruchung kommt es im Bereich der seitlichen Schubwände des Ersatzhohlkastens zur Überlagerung der Schubspannungen aus Querkraft und Torsion. Auf einer Seite kommt es dabei zur Addition, wodurch die resultierende Schubbeanspruchung verstärkt wird, auf der anderen Seite heben sich die Schubspannungen teilweise auf. Aus der Darstellung ist klar zu erkennen, dass für den Tragwiderstand bei Querkraft die gesamte Stegbreite mitwirkt. Dagegen wirken beim Tragwiderstand für Torsion nur relativ schmale Randzonen mit, wobei die effektive Wanddicke t eff des Ersatzhohlkastens im deutschen NA als der doppelte Abstand von der Außenfläche bis zur Mittellinie der Längsbewehrung festgelegt ist. Dagegen darf nach EC2-1-1, 6.3.2 (1) für die effektive Dicke einer Schubwand t eff,i = A ⁄u ≥ 2 · d 1 . angesetzt werden. Bild 1: Tragverhalten bei Querkraft und Torsion eines Plattenbalkens auf Querschnittsebene Mit dem konservativeren Ansatz im NA soll in den hohen und sehr ungünstig beanspruchten Randzonen der Stege ein vorzeitiges Druckstrebenversagen verhindert werden, wie es bei einigen der nachfolgend beschriebenen Versuche beobachtet wurde. Dabei muss allerdings zwischen primärem und sekundärem Druckstrebenversagen unterschieden werden. Hierzu später mehr. Was die Querkrafttragfähigkeit betrifft, so trägt der Querschnitt über die gesamte Stegbreite zum Betontraganteil und damit zu einem sehr günstigen Tragverhalten bei. Dagegen ist das Tragverhalten bei Torsion eher 5. Brückenkolloquium - September 2022 59 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) ungünstig, da der Tragwiderstand nur in einer relativ schmalen Randzone mit nur einer Bewehrungslage aktiviert wird. Bei Spannbetonbrücken mit üblichen Betondeckungen beträgt die absolute effektive Wanddicke beispielsweise etwa mit: und ist damit deutlich kleiner als bei Hohlkastenbrücken. Die Fläche A k = b k · h k innerhalb der Mittellinie des Ersatzhohlkastens ist im Allgemeinen erheblich kleiner als bei Hohlkastenbrücken. 2.2 Tragverhalten bei V+T bei Hohlkastenbrücken Die geschlossenen Zellen von Hohlkastenquerschnitten sind optimal geeignet, um eine Torsionsbeanspruchung durch einen umlaufenden Schubfluss aufzunehmen (Bild 2). Sofern die Stegbreite kleiner ist als 1/ 6 der Kastenbreite (b w ≤ b/ 6), darf die gesamte Stegbreite b w für t eff,i angesetzt werden, wobei zwei Bewehrungslagen vorhanden sind, je eine auf der Innen- und eine auf der Außenseite des Steges. Dadurch entsteht eine optimale Tragwirkung zwischen Druck- und Zugstreben in den Schubwänden des räumlichen Fachwerks. Die Schubkräfte in einem Steg überlagern sich daher vollständig zu In geschlossenen dünnwandigen Profilen ist der umlaufende Schubfluss v Ed an jeder Stelle entlang des Querschnittsumfangs gleich groß. Entsprechend unterscheiden sich die Schubspannungen in ihrer Größe in Abhängigkeit von der lokalen Wanddicke t eff, i. Bild 2: Tragverhalten bei Querkraft und Torsion eines Hohlkastens auf Querschnittsebene 3. Bemessung der Bewehrung 3.1 Empfehlung für den Nachweis bei kombinierter Querkraft und Torsion Bei der Nachrechnung einer bestehenden Spannbetonbrücke werden im ersten Schritt die statisch erforderlichen Torsionsbügel ermittelt und von der vorhandenen Bügelbewehrung abgezogen. Mit der verbleibenden Bügelbewehrung wird der Nachweis der Querkrafttragfähigkeit geführt. Bei der Ermittlung der Torsionsbügel kann kein Betontraganteil in Ansatz gebracht werden. Die statisch erforderliche Torsionslängsbewehrung kann bei der Biegebemessung unter Berücksichtigung der Tragreserven der Spannglieder über eine zur Torsions- 60 5. Brückenkolloquium - September 2022 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) längsbewehrung äquivalente Längszugkraft gemeinsam mit der Biegebewehrung ermittelt werden. 3.2 Torsionsbügelbewehrung Die Torsionsbügelbewehrung wird auf Grundlage eines räumlichen Fachwerkmodells nach DIN EN 1992-2 ermittelt und muss in voller Größe berücksichtigt werden. Die gesamte erforderliche Bügelbewehrung resultiert aus der Querkraftbewehrung basierend auf einem idealisierten Fachwerkmodell mit Betontraganteil (z.B. Druckbogenmodell) zuzüglich der vollen Torsionsbügelbewehrung. Bei der Torsionsbügelbewehrung erfolgt keine Reduzierung durch einen Betontraganteil. 3.3 Torsionslängsbewehrung Infolge der umlaufenden Druckstreben im räumlichen Fachwerk will sich der Balken strecken, d.h. verlängern. Daran wird er durch die Torsionslängsbewehrung gehindert, die die Kraftkomponenten der umlaufenden Druckstreben in Längsrichtung der Stabachse ins Gleichgewicht setzt (Bild 3). Durch das Auf bringen einer Vorspannkraft wird die erforderliche Torsionslängsbewehrung reduziert (Bild 4). Die horizontalen Kraftkomponenten der geneigten Druckstrebenkräfte können anteilig oder vollständig durch die Vorspannung ins Gleichgewicht gesetzt werden. Bild 3: Erforderliche Torsionslängsbewehrung bei reiner Torsion - Stahlbeton Bild 4: Reduzierte Torsionslängsbewehrung durch die Vorspannwirkung. Idealisierte Krafteinleitung von P durch starre Platte Bei dem aus diesen mechanischen Zusammenhängen entwickelten Bemessungsmodell wird zunächst aus der Torsionslängsbewehrung eine resultierende Längskraft (N Ed,T ) berechnet. Diese wird dann zentrisch im Schwerpunkt des Querschnitts angesetzt und bei der Biegebemessung berücksichtigt (Bild 5). Diese Idealisierung wurde durch die nachfolgend beschriebenen Versuche verifiziert. Die Idealisierung ist anwendbar bei einer Beanspruchung überwiegend durch Biegung, wie sie bei Plattenbalkenbrücken auftritt. Bild 5: Bemessung der Längsbewehrung infolge M Ed und N Ed,T : erf A s,M+NT Bei der Ermittlung wird zunächst von der Gleichung für das durch die Längsbewehrung aufnehmbare Torsionsmoment ausgegangen: Durch Umstellen der Gleichung geht daraus die äquivalente Längskraft hervor, die bei der Biegebemessung für M Ed im Schwerpunkt des Querschnitts zusätzlich angesetzt wird (Bild 5). Dabei wird der positive Effekt aus der Überdrückung der Torsionslängszugkräfte im Bereich der Biegedruckzone sowie der Tragwirkung der Spannglieder entsprechend ihrer Anordnung im Querschnitt automatisch mitberücksichtigt. 4. Schließen der Torsionsbügel Durch die Umlenkung der Druckstreben bei der räumlichen Fachwerktragwirkung besteht die Gefahr eines Ausbrechens der Ecken, dargestellt im Bild 6 für einen Rechteckquerschnitt. Das Ausbrechen der Ecken soll durch einen engen Bügelabstand und steife Längsstäbe in den Ecken, auf die sich die Druckstreben abstützen können, verhindert werden. Zudem fordert der Eurocode 2, dass bei Torsion nur geschlossenen Bügel verwendet werden dürfen. Bild 6: Ausbrechende Ecken infolge Umlenkung der Druckstreben (aus [2]) Die Konstruktionsregeln für die Torsionslängs- und Torsionsbügelbewehrung in DIN EN 1992-1-1 mit zugehörigem NA gelten für reine Torsion und Rechteckquerschnitte. Bei Brücken tritt immer eine kombinierte Beanspruchung aus überwiegender Querkraftbiegung mit 5. Brückenkolloquium - September 2022 61 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) zugehöriger Torsion auf. Daher ist eine Anpassung dieser Regeln an die brückenspezifischen Verhältnisse sinnvoll. Bei Brückenquerschnitten wird durch die in Querrichtung durchlaufende Fahrbahnplatte ein Ausbrechen der Ecken infolge Umlenkung der Druckstreben bei Torsion im oberen Stegbereich verhindert, weil die Querbewehrung der Fahrbahnplatte als starkes Zugband durchläuft und sich darunter die Biegedruckkraft aus der Quertragwirkung abstützt. Zusätzlich erfolgt die vertikale Verankerung der Ecken durch die Haken oder Winkelhaken als Verankerungselemente der Bügelschenkel. Bei den nachfolgen beschriebenen Versuchen an vorgespannten Plattenbalken wurde diese Form der konstruktiven Durchbildung untersucht. Das Schließen der Bügel erfolgte durch die obere Querbewehrung. Das Schließen der Bügel in den Stegen von Plattenbalkenbrücken, die durch Torsion beansprucht werden, darf durch die obere Querbewehrung in der durchlaufenden Fahrbahnplatte erfolgen. Im Zusammenwirken mit den Verankerungselementen der Bügelschenkel verhindert sie das Ausbrechen der oberen Eckbereiche, durch die Umlenkung der Druckstreben im räumlichen Fachwerkmodell (Bild 7). Bild 7: Schließen der Querkraft- und Torsionsbügel bei Plattenbalkenbrücken 5. Nachweis der Hauptdruckspannungen im Beton Bei einigen Versuchen an Durchlaufträgern wurde im Bereich unmittelbar vor den Innenstützen ein Betondruckversagen beobachtet, was durch Abplatzungen und einem Ablösen zunächst der seitlichen Betondeckung bis hinein in die Biegedruckzone eingeleitet wurde. Dabei kam es auch zum Ablösen der Betondeckung auf der Trägerunterseite in Verbindung mit einem tiefer gehenden lokalen Betonausbruch. Infolge der Querschnittsschwächung in der Biegedruckzone kam es in der Folge zu einem Biegebruch. In diesem Zusammenhang muss allerdings zwischen einem primären und einem sekundären Versagen des Betons unterschieden werden. Ein sekundäres Betonversagen im Bereich der Innenstützen der Durchlaufträger erfolgt, wenn die Bügel mit großen plastischen Dehnungen (10-20 ‰) Fließen, wodurch große Querdehnungen und Zugspannungen in die geneigten Betondruckstreben eingeleitet werden (Bild 8). Dadurch kommt es im Wirkungsbereich der Bewehrung zu einem deutlichen Festigkeitsabfall des Betons, der umso ausgeprägter ist, je flacher die Betondruckstreben geneigt sind. In der Folge löst sich zunächst die Betondeckung außerhalb der Bügel ab, was eine Querschnittsschwächung zur Folge hat. Es besteht dann die Gefahr eines anschließenden Versagens der Biegedruckzone auch innerhalb der Bügel, wie es bei den nachfolgend in Abschnitt 6 beschriebenen Versuchen teilweise zu beobachten war. Bild 8: a) Einleitung von Querzugspannungen in die Druckstreben im Steg; b) Abminderung der Betondruckfestigkeit infolge gleichzeitig auftretender Querzugbeanspruchung (schematisch) Ein primäres Betonversagen liegt vor, wenn die Bügel nicht Fließen oder nur mit geringen plastischen Dehnungen Fließen und es zu einem echten Druckstrebenbruch durch Überschreiten der Druckfestigkeit kommt. DIN EN 1992-2 mit zugehörigem NA sieht zur Vermeidung eines Druckstrebenbruchs eine Interaktionsbedingung für Querkraft und Torsion vor. Da die Hauptdruckspannungen im Beton auch vom gleichzeitig wirkenden Biegemoment M beeinflusst werden, stellt sich die Frage, ob das Biegemoment ebenfalls dabei berücksichtigt werden muss. Um all diesen Fragen nachzugehen, wurden in einer Versuchsreihe entsprechend konzipierte Versuche durchgeführt [3]. 6. Verifikation der Bemessungsmodelle durch Versuche 6.1 Versuchsprogramm Das hier vorgestellte Versuchsprogramm zur Verifikation der in Abschnitt 3 und 4 vorgestellten Bemessungsmodelle durch Versuche umfasst in Summe vier großformatige Durchlaufträger mit kombinierter Beanspruch aus Biegung, Querkraft und zusätzlicher Torsion, die an der TU Dortmund im Rahmen eines Forschungsvorhabens der BASt [1] getestet wurden. Wie bereits teilweise in [4] vorgestellt, wurden an jedem der zweifeldrigen Spannbetonträger zwei Teilversuche durchgeführt. Dazu weisen die 62 5. Brückenkolloquium - September 2022 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) beiden Felder unterschiedliche Querkraft- und Längsbewehrungsgrade o-der unterschiedlichen Bewehrungsformen für die Torsionsbügel auf. Eine Übersicht über das Versuchsprogramm der Versuche mit kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion an Durchlaufträgern ist in Tabelle 1 dargestellt. Grundlage für die Versuche mit kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion stellen Versuche mit reiner Querkraftbiegung dar [6], [7], die hinsichtlich der Trägergeometrie, der Bewehrung (bis auf die zusätzliche Torsionsbügel und Torsionslängsbewehrung) sowie dem Vorspanngrad in Übereinstimmung mit den Versuchen unter kombinierter Beanspruchung sind. Sie können als Referenzversuche mit bekannter Versuchstraglast herangezogen und den Versuchstraglasten aus den Versuchsträgern DLT 5-DLT -8 gegenübergestellt werden (Tabelle 2). Die Versuchslasten der Versuchsträger DLT 5 - DLT 7 wurden durch zwei kraftgesteuerte hydraulische Pressen mit einer Kapazität von 2,0 MN aufgebracht. Die Einzellasten sind jeweils in einem Abstand von 3,50 m von der Innenstützte exzentrisch zur Längsachse des Trägers angeordnet. Dadurch entsteht im Bereich zwischen Lasteinleitung und Innenstütze eine konstante Torsionsbeanspruchung mit wechselndem Vorzeichen an der Innenstütze, vergleich bar mit der Beanspruchung an den Innenstützten von Plattenbalkenbrücken mit Querträgern. Der Versuchsträger DLT 8 wurde durch eine Streckenlast beansprucht. Auf Grund der Vielzahl an Einzellasten kann dabei in guter Näherung von einer Streckenbelastung ausgegangen werden. Die so belasteten Balken wurden über nachträglich anbetonierte Querträger an der Innenstütze zur Aufnahme der Torsion ins Gleichgewicht gesetzt. Während bei den Versuchsträgern DLT 5-DLT 7 primär das Bemessungskonzept für eine kombinierte Beanspruchung aus M+V+T (vgl. Abschnitt 3) verifiziert werden sollte, wurde bei dem Versuchsträger DLT 8 zusätzlich der direkte Vergleich einer unterschiedlichen Verankerung der Bügelbewehrung in der Gurtplatte getestet (vlg. Abschnitt 4). Hierzu wurde ein Feld mit offenen und ein Feld mit nach Norm geschlossenen Bügeln ausgeführt (Bild 9). Die offenen Bügel wurden durch die Querbewehrung der Gurtplatte geschlossen. Tabelle 1: Versuchsprogramm - Kombinierte Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion Versuch Querschnitt Längsbewehrung Querkraftbewehrung ρ w,geo / ρ w,min [‰] Belastung Beton Vorsp. s cp [MPA] Feld 1 Feld 2 DLT 5 T A s,o =14Ø12+2Ø20 A s,u,Feld = 3Ø16+2Ø20 A s,u,Stütz = A s,u,Feld +2Ø20 A s,Steg = 4Ø12 je Seite 1,03 (Ø8/ 20) (a sw,V+T ) 1,66 (Ø10/ 20) (a sw,V+T ) M+Q+T Einzellast exzentrisch C35/ 45 3,3 DLT 6 T A s,o = 16Ø12 A s,u,Feld = 3Ø16+2Ø20 A s,u,Stütz = A s,u,Feld +2Ø20 1,03 (Ø8/ 20) (a sw,V+T ) 1,66 (Ø10/ 20) (a sw,V+T ) M+Q+T Einzellast exzentrisch C35/ 45 3,3 DLT 7 T A s,o =14Ø12+2Ø20 A s,u,Feld = 3Ø16+2Ø20 A s,u,Stütz = A s,u,Feld +2Ø20 A s,Steg = 4Ø16 je Seite 1,74 (Ø8/ 10) (a sw,V+T ) 2,72 (Ø10/ 10) (a sw,V+T ) M+Q+T Einzellast exzentrisch C35/ 45 3,3 DLT 8 T A s,o =14Ø12+2Ø20 A s,u,Feld = 3Ø16+2Ø20 A s,u,Stütz = A s,u,Feld +2Ø20 A s,Steg = 4Ø16 je Seite 1,74 (Ø8/ 10) (a sw,V+T ) 1,74 (Ø8/ 10) (a sw,V+T ) M+Q+T Streckenlast exzentrisch C35/ 45 3,3 5. Brückenkolloquium - September 2022 63 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) Feld- und Stützquerschnitt - Feld 1 - offene Bügel, geschlossen durch die Querbewehrung im Gurt Feld- und Stützquerschnitt - Feld 2 -Bügel geschlossen mit Steckbügeln Bild 9: Querschnittsgeometrie und Bewehrung Versuchsträger DLT 8 6.2 Versuchsergebnisse 6.2.1 Last-Durchbiegungskurven In Bild 10 sind die Last-Durchbiegungskurven der Träger DLT 5 bis DLT 8 jeweils für den ersten Teilversuch, bis zum Einbau der Verstärkung des schwächer bewehrten Feldes und den zweiten Teilversuch, bis zum Bruch des stärker bewehrten Feldes, dargestellt. Versagen der Versuchsträger DLT 5 und DLT 6 trat jeweils im stärker bewehrten Feld an der Lasteinleitung durch Bruch der Druckzone ein. Bei dem Versuchsträger DLT 7 trat das Versagen an der Innenstütze durch Druckstrebenbruch in Feld 2 auf. Bei DLT 8 waren beide Felder für die gleiche Traglast ausgelegt und unterschieden sich lediglich hinsichtlich der konstruktiven Ausbildung der Bügel (Bild 9). Da sich bis zum Eintreten der Bruchlast keine Unterschiede im Tragverhalten anhand von Rissbildung, Dehnungsmessungen oder Verformungen erkennen ließen, kam es zu keiner Verstärkung des vermeintlich konstruktiv schwächer ausgebildeten Feldes 1 mit offenen Bügeln, die über die Bewehrung der Gurtplatte geschlossen wurden. Das Bemessungskonzept aus Abschnitt 3 für die Bewehrung konnte bei Versuchsträger DLT 5 durch das Erreichen von 97 % der Traglast im Vergleich zu den Referenzversuchen bestätigt werden. Der Versuchsträger DLT 6 konnte dagegen erwartungsgemäß nur ca. 90 % der Traglast der Referenzversuche erreichen (Tabelle 2), da DLT 6 gänzlich ohne zusätzliche Torsionslängsbewehrung ausgeführt worden war. Dies hatte gegenüber dem Referenzversuch einen Abfall der Versuchstraglast um 10 % zur Folge. Das endgültige Versagen trat bei beiden Trägern in Feld-2 nahe der Lasteinleitungsstelle letztlich durch den Bruch der stark eingeschnürten Betondruckzone auf. Primäre Ursache für das Versagen war das Fließen der Bewehrung in Verbindung mit großen Stahldehnungen (vgl. Abschnitt 5). Bei dem Versuchsträger DLT 7 kam es durch die starke Vergrößerung der Exzentrizität infolge der überproportional zunehmenden Bauteilverformungen, ausgehend von 11,3 cm (Feld 1) bzw. 15,0 cm (Feld 2), zu Effekten nach Theorie II. Ordnung, wodurch das Torsionsmoment stark überproportional vergrößert wurde. In Feld 1 konnte die Traglast des Referenzversuchsträgers trotz überproportionaler Vergrößerung der Exzentrizität und der damit verbundenen höheren Torsionsbeanspruchung erreicht werden. Das Betondruckstrebenversagen, trat schlussendlich im Bereich der Innenstütze des durch Torsion wesentlich höher belasteten Feld 2 auf. Die Auswertungen für das Feld 2 sind noch nicht abgeschlossen. Daher fehlt die entsprechende Zeile in Tabelle 2 64 5. Brückenkolloquium - September 2022 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) Bild 10: Experimentell bestimmte Last- Durchbiegungskurven - DLT 5-8 6.2.2 Versuchstraglasten Eine Übersicht über die erreichten Traglasten im Vergleich zu den Referenzversuchsträgern aus [1] gibt Tabelle 2. Tabelle 2: Experimentell ermittelte Versuchstraglasten Versuchsträger Versuchstraglast Referenz-versuch Abweichung Versuchsträger Versuchstraglast Referenzversuch Abweichung DLT 5 - Feld 1 1549 kN 1607 kN -3,2 % DLT 5 - Feld 2 1792 kN 1798 kN -0,2 % DLT 6 - Feld 1 1453 kN 1607 kN -9,2 % DLT 6 - Feld 2 1688 kN 1798 kN -6,1 % DLT 7 - Feld 1 1603 kN 1607 kN -0,25 % DLT 8 - Feld 1 522 kN/ m 413 kN/ m 26,4 % DLT 8 - Feld 2 522 kN/ m 413 kN/ m 26,4 % Beim Streckenlastversuch DLT 8 wurde die Traglast des Referenzversuchs entsprechend dem Bemessungsvorschlag für die zusätzliche Torsionsbewehrung nicht nur erreicht, sondern wie aus Tabelle 2 ersichtlich, sogar um 26,4 % übertroffen. Diese höhere Versuchstraglast lässt sich allerdings auf die deutlich geringere Druckfestigkeit des Referenzversuchsträgers zurückführen. Bei dem Referenzversuchsträger wurde die Zielfestigkeit des bestellten Betons der Festigkeitsklasse C35/ 45 auf Grund der mangelhaften Qualität des Transportbetons nicht erreicht (f cm = 26,7 MN/ m²). Dieser Fehler konnte erst nach Erhärtung und Prüfung der ersten Probekörper bemerkt werden, wodurch der gesamten Versuchsbalken eine um 53 % reduzierten Druckfestigkeit gegenüber dem angestrebten Wert aufwies. Dieser Problematik geschuldet, kam es bei dem Versuchsträger DLT 8 mit f cm = 48,9 MN/ m² noch nicht zum Fließen der Bügelbewehrung als die Versagenslast des Referenzversuchsträgers erreicht war. Erst bei weiterer Steigerung der Last wurde die Streckgrenze der Bügelbewehrung erreicht, die plastischen Dehnungen nahmen zu und in der Folge kam es unter einer deutlich höheren Laststufe als beim Referenzversuch auf Grund einer Querschnittsschwächung durch Abplatzen der seitlichen Betondeckung ebenfalls zu einem sekundären Druckstrebenversagen. Primäre Versagensursache war das Fließen der Bügel. 6.2.3 Rissbilder In Bild 11 sind die Rissbilder der Versuchsträger im Bruchzustand dargestellt. Im Bruchzustand sind die Versuchsträger über die gesamte Länge gerissen, wobei die kritischen Risse, die im stärker bewehrten Feld zum endgültigen Bruch geführt haben, rot eingezeichnet sind. Während der Versuchsträger DLT 5 durch eine Überbeanspruchung der Bügelbewehrung versagte, zeigte sich 5. Brückenkolloquium - September 2022 65 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) bei dem Versuchsträger DLT 6 ohne zusätzliche Torsionslängsbewehrung eine deutliche Zunahme der Rissbildung bis in den Bereich der Druckzone an der Innenstütze hinein. Dies ließ ein bevorstehendes gleichzeitiges Versagen sowohl der Bügel als auch der Druckzone an der Innenstütze vermuten. Beim Versuchsträger DLT 7 führte letztlich ein Versagen der Druckstreben in Feld 2 zum Bruchzustand. Ursache war ein starker Zuwachs bei der Exzentrizität e infolge von Effekten nach Theorie II. Ordnung durch die unerwartet große Verdrehung des Balkens im Bereich der Lasteinleitung und entsprechende Schiefstellung der Pressen, wodurch die Torsionsmomente stark überproportional anstiegen. Die Auswertung und Quantifizierung der Effekte nach Theorie II. Ordnung in Feld 2 sind, wie bereits erwähnt derzeit noch nicht abgeschlossen. Bei dem Versuch mit Streckenlast (DLT 8) stellt sich ein gänzlich anderen Rissbild ein. Aufgrund der gegenüber den Einzellasten veränderten Schnittgrößenverteilung konzentriert sich die Ausbildung der schrägen Schubrisse im Wesentlichen auf den Bereich der Innenstütze, während sich im Feldbereich hauptsächlich vertikale Biegerisse einstellen. Das Versagen des Trägers DLT 8 erfolgte schlussendlich an der Innenstütze im Feld mit offener Bügelbewehrung infolge eines sekundären Druckzonenversagens. Auf Grund großer plastischer Dehnungen im Zuge des Fließens der Bügelbewehrung (10 - 20‰) kam es zu großen Querdehnungen und Zugspannungen in den geneigten Betondruckstreben und dementsprechend zu einen Festigkeitsabfall des Betons. Durch flächenhafte Betonabplatzungen kam es in der Folge zur Querschnittsschwächung, die schlussendlich das sekundäre Druckzonenversagen eingeleitet hat (Vgl. Abschnitt 5). Bis zum Versagen war kein Einfluss der Bügelbewehrungsform auf das Tragverhalten zwischen den Feldern erkennbar. 7. Torsionssteifigkeit In statisch unbestimmten Systemen ist die Verteilung der Schnittgrößen abhängig von den Steifigkeitsverhältnissen. Bei Plattenbalkenbrücken beeinflusst die Torsionssteifigkeit der Längsträger sowohl die Querverteilung als auch die absolute Größe der Torsionsmoment der Hauptträger. Daher ist es bei der Nachrechnung von bestehenden Plattenbalkenbrücken von Interesse, die Torsionssteifigkeit der Hauptträger für die Schnittgrößenermittlung im Grenzzustand der Tragfähigkeit aufgrund der Rissbildung abzumindern, um das Tragverhalten möglichst realitätsnah abzubilden. Bild 11: Rissbilder im Bruchzustand (Versagensrisse rot) 66 5. Brückenkolloquium - September 2022 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) Aus durchgeführten Forschungsvorhaben [5] ging in diesem Zusammenhang für die Nachrechnung von Bestandsbauwerken das Ergebnis hervor, dass die Torsionssteifigkeit GI T für die Nachweise im Grenzzustand der Tragfähigkeit bei der Schnittgrößenermittlung von mehrstegigen Plattenbalkenbrücken pauschal auf 40% des linearelastischen Wertes nach Zustand I abgemindert werden darf. Diese Empfehlung fand bereits in der 1. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie Berücksichtigung und stellt derzeit einen unteren Grenzwert für die pauschale Abminderung der Torsionssteifigkeit dar. Anhand der vorgestellten Versuchsträger unter kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion konnte der Abfall der Torsionssteifigkeit durch kontinuierliche Messung der Torsionsmomenten-Verdrillungs-Beziehung (M, ′) analysiert werden und der rechnerischen Torsionssteifigkeit nach Zustand I gegenübergestellt werden. Die rechnerische Torsionssteifigkeit nach Zustand I ist abhängig vom Schubmodul G und dem Torsionsträgheitsmoment I T , die sich wie folgt ermitteln: Dabei ist: für Beton Für gegliederte Vollquerschnitte, wie z.B. bei Plattenbalkenbrücken, setzt sich das Torsionsträgheitsmoment I T entsprechend den Regeln für Rechteckquerschnitte im Verhältnis der Steifigkeiten im Zustand I zusammen (Bild 12). Bild 12: Aufteilung von I T in Einzelquerschnitte Das Torsionsträgheitsmoment nach Zustand I für die Versuchsträger DLT 5 bis DLT 8 ermittelt sich daher wie folgt: Tabelle 1 enthält die rechnerischen Torsionssteifigkeiten GI T(cal) des Zustand I. Anhand der nichtlinearen Torsionsmomenten-Verwindungs-Zuordnung im gerissenen Zustand II kann mithilfe der mechanischen Zusammenhänge aus den Versuchen eine Tangenten- und Sekanten-Torsionssteifigkeit bestimmt werden. Dabei ist der grundsätzliche Unterschied zwischen Sekanten- und Tangentensteifigkeit von Bedeutung. Die unterschiedlich definierten Torsionssteifigkeiten werden in Bild 14 und Bild 15 veranschaulicht. Bild 13: Torsionsmoment I T und Widerstandsmoment W T für Rechteckquerschnitte mit linear-elastischem Werkstoff Tabelle 3: rechnerische Torsionssteifigkeit im Zustand I - DLT 5-8 f cm [MN/ m²] E cm [MN/ m²] G [MN/ m²] I T [m4] GI T(cal) [MNm²] DLT 5 46,31 34.844 14.518 8,498 × 10 -3 123 DLT 6 46,46 34.878 14.533 8,498 × 10 -3 124 DLT 7 57,53 37.187 15.495 8,498 × 10 -3 132 DLT 8 56,40 36.966 15.403 8,498 × 10 -3 131 5. Brückenkolloquium - September 2022 67 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) Bild 14: Tangentensteifigkeit Bei der Tangentensteifigkeit wird die zugehörige aktuelle Steifigkeit zu einer schrittweisen Laststeigerung ermittelt, wie sie im Brückenbau z. B. für die Ermittlung der Querverteilung einer Plattenbalkenbrücke bei der Steigerung von 1,0-fachen auf g-fache Lasten erforderlich ist. Die Sekantensteifigkeit beschreibt die zu einer bestimmten Laststufe zugehörige Endsteifigkeit, wie es z.B. für die Verformungsberechnung unter einer bestimmten Laststufe von Interesse ist. Bild 15: Sekantensteifigkeit Die für einen Trägerabschnitt in Längsrichtung dargestellte Torsionsmomenten- Verwindungs- Beziehung, exemplarisch für den Versuchsträger DLT 5, weist ähnlich den Momenten-Krümmungs-Linien bei Biegebeanspruchung drei charakteristische Phasen auf: den ungerissenen Zustand I, den gerissenen Zustand II und den plastischen Bereich durch das Fließen der Bewehrung (Bild 16). Bei allen Versuchsträgern ist ein deutlicher Übergang vom linearelastischen ungerissenen Zustand I in den gerissenen Zustand II zu erkennen. Auch der Übergang zum Fließen der Bewehrung unter deutlicher Zunahme der Verdrehung bei nur noch sehr geringer Laststeigerung ist deutlich für alle Versuchsträger zu erkennen. Zur Quantifizierung des Abfalls der Torsionssteifigkeit wurde die Entwicklung der effektiven Torsionssteifigkeit in Abhängigkeit vom Torsionsmoment anhand der im Versuch ermittelten Verdrillung auf Basis von Differenzenquotienten in Bild 17 sowohl für die Tangentenals auch für die Sekantensteifigkeit exemplarisch für den Versuchsträger DLT 5 gegenübergestellt. Bild 16: Torsionsmomenten-Verwindungs-Beziehung - exemplarisch für DLT 5 (Feld 1) Zu erkennen ist, dass die Torsionssteifigkeit der Versuchsträger bereits im Zustand I auf Werte zwischen 85- 90% der Torsionssteifigkeit nach Elastizitätstheorie bedingt durch eine Mikrorissbildung reduziert wurde. Wie in Bild 17 zu erkennen erfolgt der Abfall der Torsionssteifigkeit im gerissenen Zustand II bei 40-60 % der Traglast zunächst aufgrund von Biegerissen. Durch fortschreitende Biege- und Torsionsrissentwicklung setzte sich der Abfall der Torsionssteifigkeit bis zu einem Lastniveau von etwa 60-80 % der Traglast auf 20-60 % des Ausgangswertes fort. Es wird deutlich, dass der Unterschied von Tangenten- zur Sekantensteifigkeit mit zunehmendem Torsionsmoment T größer wird. Bild 17: Entwicklung der effektiven Torsionssteifigkeit - (beispielhaft für den Versuchsträger DLT 5) 8. Fazit und Ausblick Im vorliegenden Beitrag wurden erweiterte Ansätze und konstruktive Details thematisiert, die im Rahmen der Bewertung bestehender Spannbetonbrücken durch eine Nachrechnung bei einer kombinierten Beanspruchung für Nachweisformate der Stufe 2 und 4 von großem Interesse sind. Zum einen wurde durch einen Bemessungsvorschlag zur Ermittlung der Torsionslängsbewehrung bei überwiegender Biegung gezeigt, dass im Zuge einer genaueren Nachweisführung unter Berücksichtigung von Interaktionsbedingungen Tragfähigkeitsreserven aktiviert werden können. 68 5. Brückenkolloquium - September 2022 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) Dabei wurden Ergebnisse von insgesamt vier Versuchsträgern mit kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion vorgestellt über die der Ansatz für die Bestimmung der Torsionslängsbewehrung verifiziert werden konnte. Aufgrund unterschiedlicher Torsionsbügel- und -längsbewehrung in beiden Felder, konnten acht verschiedene Varianten hinsichtlich der Torsionsbewehrung und Größe der Torsionsmomente experimentell untersucht werden. Alle Versuchsträger wurden mit dem vorgestellten erweiterten Bemessungsmodell für die Torsionsbügel- und Torsionslängsbewehrung bei kombinierter Beanspruchung ausgelegt. Bei dieser Vorgehensweise wird für überwiegend biegebeanspruchte Bauteile der positive Effekt aus der Überdrückung der Torsionslängszugkräfte im Bereich der Biegedruckzone infolge Biegung, sowie der Tragwirkung der Spannglieder entsprechend ihrer Lage im Querschnitt bei der Bemessung berücksichtigt. Auf diese Weise kann die Längsbewehrung gegenüber einer Bemessung bei reiner Torsion unter Ausnutzung der Tragreserven der Spannglieder deutlich reduziert werden. Durch den Versuchsträger DLT 7 mit deutlich erhöhter Exzentrizität aufgrund von Effekten nach Theorie II. Ordnung konnte das erweiterte Bemessungsverfahren für Feld 1 des Versuchsträgers mit einem M/ T-Verhältnis < 10 ebenfalls verifiziert werden. Die Auswertung und Quantifizierung der Effekte nach Theorie II. Ordnung für das Feld 2 sind noch nicht abgeschlossen. Darüber hinaus wurde gezeigt, dass die aus dem analytischen Druckbogenmodell ermittelte Bügelbewehrung für Querkraft mit der vollen Torsionsbügelbewehrung nach EC2 überlagert werden muss, für die gesamte erforderliche Bügelbewehrung unter der kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion. Um die Grenzen der Anwendbarkeit und Gültigkeit dieses Bemessungsvorschlages weiter zu verifizieren, werden derzeit weitergehende Untersuchungen mit experimentellem Fokus vorangetrieben über deren erste Ergebnisse in einem weiteren Beitrag berichtet wird [3]. Zusätzlich konnte durch den Versuchsträgers DLT 8 bestätigt werden, dass die Torsionsbügel auch durch die Querbewehrung in der Gurtplatte geschlossen werden können. Der umfassende Einsatz von Messtechnik bildet die Basis für noch folgende weitergehende Untersuchungen hinsichtlich des Tragverhaltens von vorgespannten Durchlaufträgern bei kombinierter Beanspruchung. Dabei soll besonderes Augenmerk auch auf die ergänzende Simulationsberechnung mittels der nichtlinearen FEM, zum besseren Verständnis des Tragverhaltens gelegt werden. Abschließend wurde gezeigt, dass die Abminderung der Torsionssteifigkeit GI T für die Nachweise im Grenzzustand der Tragfähigkeit auf 40 % des linearelastischen Wertes nach Zustand I bei der Schnittgrößenermittlung im Zuge der Nachrechnung von Plattenbalkenbrücken berechtigt ist. Damit kann das Tragverhalten zutreffend und realitätsnah abgebildet werden. Literaturverzeichnis [1] Hegger, J.; Maurer, R.; Fischer, O.; Zilch, K. et. al.: Beurteilung der Querkraft- und Torsionstragfähigkeit von Brücken im Bestand - erweiterte Bemessungsansätze, Schlussbericht zu BASt FE 15.0591/ 2012/ FRB, 2018. [2] Leonhardt, F.: Vorlesungen über Massivbau - Teil 1 Grundalgen zur Bemessung im Stahlbetonbau, Springer Verlag, 1984 [3] Lavrentyev, V.; Stakalies, E.; Maurer, R.: Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion. Beitrag zum Tagungsband des 5. Brückenkolloquium der TAE, Esslingen, September 2022 [4] Stakalies, E.; Maurer, R.: Zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung. Beitrag zum Tagungsband des 4. Brückenkolloquiums der TAE, Esslingen, September 2020 [5] Hegger, J.; Maurer, R.; Zilch, K.; Rombach, G.: Beurteilung der Querkraft und Torsionstragfähigkeit von Brücken im Bestand - kurzfristige Lösungsansätze. Schlussbericht zu BASt FE 15.0482/ 2009/ FRB, 2014.TAE 2020, ES [6] Maurer, R.; Gleich, P.; Zilch, K.; Dunkelberg, D.: Querkraftversuche an einem Durchlaufträger aus Spannbeton. Beton- und Stahlbetonbau (2014), Heft 10. [7] Gleich, P; Maurer, R.: Querkraftversuche an Spannbetondurchlaufträgern mit Plattenbalkenquerschnitt, In: Bauingenieur 93 (2018), Heft 2. 5. Brückenkolloquium - September 2022 69 Einflüsse aus Schubrissbildung auf die Fachwerktragwirkung und vorgespannter Balkenquerschnitte Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Oliver Fischer Lehrstuhl für Massivbau, Technische Universität München Sebastian Thoma, M.Sc. Lehrstuhl für Massivbau, Technische Universität München Zusammenfassung Die Querkrafttragfähigkeit von vorgespannten Betonträgern mit geringem Querbewehrungsgrad ist ein aktuelles und fortwährendes Thema, insbesondere im Hinblick auf die Beurteilung von bestehenden Betonbrücken. In diesem Beitrag werden Teile einer Versuchsreihe vorgestellt, die diesen Kontext aufgreift und gleichzeitig den Grad der Längsbewehrung im Sinne einer wirtschaftlichen Bemessung von Brückenquerschnitten deutlich reduziert, was im Einklang mit bestehenden Brückenquerschnitten und im Gegensatz zur großen Mehrheit der relevanten Versuchsreihen steht. Die konstruktive Durchbildung erlaubte in allen Versuchen ein Schubversagen des Systems bei teilweise plastischer Verzerrung der Längsbewehrung. Der Schwerpunkt der vorgestellten Inhalte liegt auf der lastabhängigen Risskinematik der Balkenelemente auf Grundlage der Messdaten aus digitaler Bildkorrelation. Es wird gezeigt, dass sich, in Abhängigkeit der Längsverzerrung des Querschnitts, Tragmechanismen, die auf den Gedanken der Rissreibung beruhen, mechanisch nur begrenzt begründen lassen und eine Erweiterung der plastizitätstheoretischen Vorstellungen einer Fachwerktragwirkung durch einen geneigten Druckgurt bzw. einen allgemeinen Betontraganteil der Druckzone konsistenter wirken. 1. Einleitung Vor dem Hintergrund offener Fragestellungen zur Bewertung des Querkrafttragverhaltens von Spannbetonquerschnitten in Bestandsbrücken sind in jüngster Vergangenheit theoretische und experimentelle Bemühungen intensiviert worden [1-4], wobei insbesondere charakteristische Tragmechanismen vorgespannter Durchlaufträger zur Diskussion standen und einzelne Parameter isoliert betrachtet wurden. Ein Umstand, der diesen experimentellen Untersuchungen gemein ist, findet sich im vergleichsweise hohen Längsbewehrungsgrad der Prüfkörper, der ein vorzeitiges Biegeversagen zu Gunsten des gewünschten Schubversagens ausschließen soll. Eine Versuchsreihe, die in Auszügen nachfolgend vorgestellt wird, untersucht den Einfluss eines sukzessive reduzierten Längsbewehrungsgrades, der die mögliche Längsverzerrung wirtschaftlich bemessener Brückenbauquerschnitte besser approximiert. Einer kurzen Beschreibung des Versuchsprogramms und ausgewählten Aspekten zum Trag- und Bruchverhalten folgend, werden auf Basis der Schubrissbildung, die anhand der digitalen Bildkorrelation analysiert wird, verschiedene Gedanken zur Annahme einer Fachwerktragwirkung und Betontraganteilen aus Rissreibung im Kontext der Versuchsergebnisse kritisch diskutiert. 2. Experimentelle Untersuchungen 2.1 Versuchskonzeption Die vorgespannten Balkenelemente orientieren sich am globalen System eines Referenzdurchlaufträgers mit einer Einzellast je Feld. Das freigeschnittene Subsystem bildet den Bereich zwischen maximalem Feldmoment unter der Einzellast und Mittelstütze ab. Der hierfür konzipierte Versuchsstand erlaubt somit die Untersuchung realitätsnah skalierter Prüfkörper bei Reduktion auf den wesentlichen Trägerausschnitt unter Berücksichtigung der Verträglichkeitsbedingungen an den definierten Schnittufern. Abbildung 1 zeigt angreifende Kräfte am verformten Balkenelement. Die Bewehrung des gemischt bewehrten Zuggurts (schlaffer Betonstahl und girlandenförmig verlaufende Spannglieder) sind jeweils in der Zugzone aus äußerer Last rückseitig in den einfassenden Schubnockenplatten verankert. Druckkräfte werden über den trockenen Kontakt in der Schubnockenfuge übertragen. Die gesteuerte Lastplatte bildet den Feldquerschnitt ab und stellt neben der vertikalen Auflast auch das Momentengleichgewicht mittels horizontaler Zylinderpaare sicher. Weitere, ausführliche Erläuterungen zur genutzten Substrukturtechnik finden sich hier [5, 6]. 2.2 Versuchsprogramm Anhand von acht Substrukturversuchen wird der Einfluss des Längsbewehrungsgrades auf die Querkrafttragfähigkeit untersucht. Dabei werden drei abgestufte Längsbewehrungsgehalte mit geripptem Betonstahl an Rechteck- und Plattenbalkenquerschnitt bei ansonsten gleichen Randbedingungen untersucht. Die wesentlichen Daten sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Der profilierte Plattenbalkenquerschnitt erlaubt zudem Rückschlüsse auf den Traganteil der Gurte, der auch in Relation zur Steifigkeit des Zugbandes zu sehen ist. Die Länge der Trägerausschnitte beträgt inklusive der Vouten (optimierte Kontaktfläche für Lastübertrag via Schubnocken) 4,5-m 70 5. Brückenkolloquium - September 2022 Einflüsse aus Schubrissbildung auf die Fachwerktragwirkung und vorgespannter Balkenquerschnitte bei einer Querschnittshöhe von 80-cm. Damit ergibt sich eine Schubschlankheit von l ≈ 3. Darüber hinaus wird je Querschnitt ein Tastversuch mit glatter Längsbewehrung durchgeführt, die im Rahmen dieses Beitrags aber nicht weiter thematisiert werden. Alle Balkenelemente werden mit ca. 1,0-facher Mindestschubbewehrung ausgeführt. Alle Träger werden zudem mit Vorspannung im nachträglichen Verbund geprüft, wobei die Vorspannung erst nach Einbau in den Versuchstand aufgebracht wird. Tabelle 1: Auszug der Versuchsreihe, Variation des Längsbewehrungsgrades, Betonkennwerte [MPa], Vorspannung [MPa] und erreichte Bruchlasten ID ρ sl [-] (abs.) f c,cyl f ct,sp E cm s cp V max [kN] R25 0,016 (6D25) 41,9 3,03 28.810 2,50 484 R22 0,012 (6D22) 40,3 3,04 29.480 2,50 517 R18 0,008 (6D18) 44,4 3,04 28.630 2,50 585 T25 0,016 (6D25) 41,9 3,54 27.960 2,50 510 T22 0,012 (6D22) 53,7 3,67 31.260 2,50 609 T18 0,008 (6D18) 43,8 3,84 28.590 2,50 579 Abbildung 1: a) Schematische Darstellung der Substrukturtechnik, b) resultierende, qualitative Schnittgrößenverläufe 2.3 Charakteristisches Trag- und Bruchverhalten Alle Träger der Versuchsserie mündeten in einem Schubversagen. Das Versagen kann unter Berücksichtigung der gesamten Belastungshistorie ausnahmslos als klassisches Biegeschubversagen klassifiziert werden. Unter starker Rissöffnung kommt es zu einem Reißen der Querkraftbewehrung und gleichzeitiger Einschnürung der Druckzone. Insbesondere die Plattenbalkenquerschnitte zeigen vor Erreichen der Bruchlast aber auch vermehrt unmit- 5. Brückenkolloquium - September 2022 71 Einflüsse aus Schubrissbildung auf die Fachwerktragwirkung und vorgespannter Balkenquerschnitte telbare Schubzugrisse in bereits gerissenen Druckspannungsfeldern in Feld- und Stützbereichen. Mit Erreichen der Bruchlast lokalisiert sich in einem kritischen Biegeschubriss bzw. einschießendem Schubzugriss die finale Bruchkinematik. Die freiwerdende Energie wird kann nur durch die Steifigkeit der Gurte bzw. das kreuzende Spannglied gedämpft werden, weshalb der Bruch der Versuche mit geringstem Längsbewehrungsgrad besonders abrupten Charakter zeigt. Im Rahmen der betrachteten Versuchsreihe beeinflusst ein reduzierter Längsbewehrungsgrad die Schubtragfähigkeit nicht nachteilig. Dies wird durch einen signifikanten Dehnungszuwachs der initial moderat vorgespannten Spannglieder ermöglicht. Das innere Kräftegleichgewicht im Bruchzustand ist von allgemeiner Systemverzerrung, den Steifigkeitsverhältnissen in den Zuggurten und dem gerissenen Druckspannungsfeld im Steg in Interaktion mit kreuzender Bewehrung und Spanngliedern abhängig. Der Dehnungszuwachs in den Spanngliedern erlaubt das innere Gleichgewicht der Kräfte in den Schnittufern unter maximaler Biegung aufrecht zu erhalten, sodass selbst bei plastischer Verzerrung der schlaffen Bewehrung der Lastpfad durch ein Schubversagen final definiert wird. Die Neigung kritischer Schubrisswinkel verläuft bei allen Versuchen flacher als der Schubrisswinkel br nach Gl. 12.13 (Abs. 12.4.3.3) der Nachrechnungsrichtlinie zulässt (cot- b r -≤ -2,25; b r ≤-25,45-°). Der Versuch T18 erreicht final einen Schubrisswinkel von 15,0 Grad. Die Mobilisierung eines derart flach geneigten Druckspannungsfeldes ermöglicht die unter Abschnitt 3.5 ausgewiesenen erreichten Traglasten. Vor dem Hintergrund der Nachrechnung von Bestandsbrücken ist - neben der begrenzten Datengrundlage - von einer weiteren Anpassung hin zu flacher ansetzbaren Schubrisswinkeln abzusehen, da damit implizit eine ausreichende Duktilität der Querkraftbewehrung angenommen wird. Dieser Umstand wird aber nicht geprüft, meist ist dies auf Basis der Bestandsunterlagen ohnehin nicht möglich. 3. Überlegungen zum Fachwerkmodell bei schwachem Schubbewehrungsgrad Die Wahl außerordentlich flacher Druckstrebenneigungswinkel erscheint problematisch, weil die Kompatibilität der Verzerrungen bei begrenzter Duktilität der Querkraftbewehrung nicht gewährleistet werden kann. Ein derart schwacher Querkraftbewehrungsgrad mit dünnen Bügelschenkeln DS-=-6-mm und gutem Verbund (Messung der bezogenen Rippenfläche f R,m -=-0,062) erlaubt nach initialer Rissöffnung nur eine geringfügige weitere Rissöffnung (max. w cr -=-0,3-mm) bevor die Stahldehnung im Riss sich der Maximaldehnung des Stahls im Verbund ohne weitere Kraftzunahme nähert und die Fachwerktragwirkung infolge Rissfortschritt noch vor Erreichen der Bruchlast lokal ausfallen kann. Begleitende Zugversuche zeigen eine Gesamtdehnung A gt -=-53,8 ‰, sodass im vertikalen Zuggurt eines Bügelschenkels in etwa von 8.8-‰ mittlere Stahldehnung möglich sind, bevor es zu einem Reißen der Bügel im Riss kommt [7, 8]. Dies lässt sich anhand der Betrachtung am Mohr’schen Verzerrungskreis nachvollziehen. ε z -=-ε 2 + (ε x ---ε 2 ) · cot 2 -q (1) Entsprechend der plastizitätstheoretischen Annahme, dass die statische Traglast gleichzeitig von Bügelbewehrung und Betondruckstrebe (effektive Festigkeit durch den Faktor k c reduziert) im Steg erreicht wird, kann ε 2 -=-ε c2 zur maximalen Betonstauchung gesetzt werden. Bei zunehmender Längsverzerrung und flachem Druckstrebenneigungswinkel wird der Querkraftbewehrung eine Verzerrung aufgezwungen, die nicht mit ihrer maximal möglichen plastischen Verzerrung vereinbar ist, die Kompatibilität kann nicht gewährleistet werden. Abbildung 2 zeigt beispielhaft die Auswertung der digitalen Bildkorrelation im Stützbereich des Balkens T22. Die ausgeprägte Biegerissbildung im Gurt des Plattenbalkenquerschnitts wird nicht von der DIC-Aufnahme erfasst, diese beschränkt sich auf die Stegebene. Aus den Biegerissen entwickeln sich unter zunehmender Last klassisch abdrehende Biegeschubrisse, wobei mit weiterer Entfernung vom maximalen Stützmoment die schiefen Hauptzugspannungen im Steg für die Rissbildung und -entwicklung eine immer dominantere Rolle einnehmen. Flach geneigte Schubzugrisse, die die Spangliedachse kreuzen (linker Rand des dargestellten Bereichs des DIC- Messfelds in Abbildung 2b) entfestigen das Druckspannungsfeld abrupt und definieren die finale Bruchlast. Zu diesem Zeitpunkt kann bereits abschnittsweise von einer reduzierten Fachwerktragwirkung ausgegangen werden, da auf Grundlage der DIC-Verzerrungen Bügeldehnungen jenseits der Maximalkraft oder sogar ein Reißen angenommen werden kann. 72 5. Brückenkolloquium - September 2022 Einflüsse aus Schubrissbildung auf die Fachwerktragwirkung und vorgespannter Balkenquerschnitte Abbildung 2: Beispielhafte Auswertung des Balkens T22 im Stützbereich unter 90 % V max ; a) Kontur der Schubrissbildung im Steg aus DIC-Auswertung, b) Vertikale Verzerrung in ausgewählten Schnitten Abbildung 3: Verzerrung in Richtung der Bügel in Abhängigkeit der Druckfeldneigung und variierender Längsverzerrung 4. Entwicklung der Risskinematik 4.1 Ansätze zur Auswertung der digitalen Bildkorrelation Die Daten eines Zeitschritts der digitalen Bildkorrelation werden einer Normalisierung des Wertebereichs unterzogen, um den Kontrast eines DIC-Schrittes zu erhöhen und somit eine bessere Extraktion der Risskontur zu ermöglichen. Dieser Schritt entfernt auch etwaiges Rauschen. Diese Vorgehensweise verfälscht zwar die Absolutwerte der gemessenen relativen Pixelverschiebungen, dient aber nur als Grundlage weiterer morphologischer Methoden [9] zur Extraktion der Risskontur. Die Auswertung der Hauptverzerrungen erfolgt auf Basis der unverfälschten Daten. Die über die Laststufen dargestellten Risse in Abbildung 5 variieren zum Teil leicht, da nur die Hauptrisse unter der jeweiligen Laststufe mit einem Schwellenwert in Abhängigkeit von Median und Standardabweichung einer Korrelationsstufe ausgewertet werden. Die Standardabweichung wird zu s-=-0,33 angenommen, was sich als robuster Wert zur Isolierung der Risskonturen erwiesen hat. Auf dieser Basis kann jede Risskontur in ihrem Verlauf verfolgt und bei vergleichsweise feiner Diskretisierung der Normalenvektor beidseits aufgespannt werden. Die entsprechenden Vektoren c i und c j indizieren wiederum die lokalen Ergebnisse der digitalen Bildkorrelation, im Wesentlichen die Pixelrelativverschiebungen u und v. Diese lokal veränderlichen Informationen entlang eines Risspfades lassen Rückschlüsse auf die Relativbewegungen der Rissflanken zu, sodass anhand der Winkel zwischen Rissnormale c und resultierender Relativverschiebung r auf den Charakter der Bruchkinematik geschlossen werden kann, vgl. Abbildung 4. 5. Brückenkolloquium - September 2022 73 Einflüsse aus Schubrissbildung auf die Fachwerktragwirkung und vorgespannter Balkenquerschnitte Abbildung 4: Auswertung der lokalen Risskinematik; a) Morphologisch detektierter Risspfad vor Verlauf der Hauptverzerrung aus DIC-Daten und beidseitige rissnormale Vektoren, b) Bezeichnung einzelner verwendeter Vektorkomponenten zur Bestimmung der Winkel g, c) Klassifizierung der Winkel 4.2 Analyse der Rissuferverschiebungen Die Risskinematik und der Charakter der Bruchprozesse werden im Rahmen der vorgestellten Auswertung für den größten und den kleinsten Längsbewehrungsgrad für Rechteck- und Plattenbalkenquerschnitte behandelt. Abbildung 5 zeigt den Kehrwert der Differenzwinkel entlang signifikanter Risspfade für ein Lastniveau mit den Hauptdehnungen e 1 aus den DIC-Daten skaliert. Die Länge der roten Linien wächst also mit dem Kehrwert der lokalen Rissbreite und indiziert damit Rissabschnitte, deren Rissöffnung ausreichend klein ist, um Kräfte zu übertragen - sofern überhaupt eine dominante gleitende Rissuferverschiebung vorliegt. Das beschriebene Vorgehen aus Abschnitt 4.1 reduziert das Rissbild auf die wesentlichen Risskonturen und verfälscht nicht den Eindruck, sodass ein sekundärer Rissprozess und sein möglicherweise erhöhter Anteil an erfassten Rissverschiebung nicht zu einem globalen Traganteil der Rissreibung beitragen kann, wenn er durch stark öffnende Schubzugrisse im Steg flankiert wird. Die Balkenelemente R25 und T25 mit einem hohen Längsbewehrungsgrad können aus phänomenologischer Sicht noch Traganteile aus mobilisierter Rissverzahnung unter moderatem Lastniveau entwickeln; für den Plattenbalkenquerschnitt scheint dies sogar eher möglich zu sein. Auch vorrangig vertikale Rissabschnitte vor einsetzender Rotation der Risswurzel weisen größere Tangentialverschiebungen der Rissflanken auf. Unter zunehmender Belastung und bei Erreichen des Grenzzustands der Tragfähigkeit bewegen sich die Rissflanken fast ausschließlich senkrecht zur Rissebene entsprechend Modus I einer bruchmechanischen Betrachtung. Einzelne unstetige Maxima, die als Artefakte der der feinen Diskretisierung entlang des Rissverlaufs zu werten sind, haben keine mechanische Bedeutung. Eine relevante Größenordnung vorliegender Rissverzahnung zur Beschreibung darauf auf bauender Tragmechanismen auf Bruchlastniveau scheint nicht gerechtfertigt. Dies gilt umso mehr für R18 und T18, die einen vergleichsweise geringen Grad an Längsbewehrung aufweisen und für wirtschaftlich konstruierte Brückenquerschnitte repräsentativ erscheinen. Hier bilden sich Rissprozesse, die sich nicht vorrangig öffnen, nur in wenigen Fällen, meist in Übereinstimmung mit einem abnehmenden Gradienten im Bereich der Rissprozesszone ausgehend von der Risswurzel aus [10]. Verschiedene bruchmechanische Ansätze können auch in diesem Bereich angewendet werden. Insbesondere neuere Untersuchungen mit Druckspannungen parallel zur Risskontur bieten hier einen möglichen Ansatz [11]. Vor diesem Hintergrund angestellter Untersuchungen und Auswertungen erscheint die Anwendung der weit verbreiteten, oft implizit angenommenen Traganteile aus Rissverzahnung (aggregate interlock) [12, 13] zur Ermittlung einer zugehörigen resultierenden globalen Tragfähigkeitskomponente bei der Formulierung des Querkraftwiderstandes nach Ansicht der Autoren nicht geeignet. Die Formulierung eines Querkrafttraganteils auf dieser Grundlage umgeht die Kontrolle des Systemgleichgewichts. Diese Vorgehensweise überschätzt im Zweifel den Beitrag aus Rissverzahnung und führt implizit zu einer falschen Denkweise in der Annahme einer Modellvorstellung in der Ableitung des inneren Tragverhaltens. Weitere Überlegungen und Diskussionen über die Grenzen des physikalischen Hintergrunds für einen Modellansatz zur Erfassung möglicher Phänomene aus Rissverzahnung finden sich auch in anderen neueren Studien [14-16]. Eine weitere Unschärfe in der Adaption möglicher Traganteile aus Rissreibung besteht im Charakter der skalierten Push-Off-Probekörper [12] zur Ableitung übertragbarer Schubspannungen in Abhängigkeit von Rissöffnung und Rissgleitung. Neben der vorgebrochenen Rissfläche erscheint vor allem die Annahme strikt konsekutiver Prozesse aus Rissöffnung und anschließender monotoner Rissgleitung nicht mit den Bruchmechanismen und inneren Umlagerungen praxisrelevanter Balkentragwerke vereinbar. Der Ansatz einer wirksamen Rissverzahnung erscheint für vorliegende vorgespannte Balkentragwerke bei geringem Schubbewehrungsgrad damit nicht konsistent. 74 5. Brückenkolloquium - September 2022 Einflüsse aus Schubrissbildung auf die Fachwerktragwirkung und vorgespannter Balkenquerschnitte Abbildung 5: R25, R18 und T25, T18: Bewertung der Bruchkinematik für dominante Risspfade auf der Grundlage lokaler Risswinkel, skaliert anhand auftretender Hauptverzerrung zur Gewichtung der Rissbreite 5. Modellvergleich Abschließend werden die experimentellen Bruchlasten der vorgestellten Versuche mit den Traglastprognosen zweier Modellvorstellungen verglichen. Abbildung 6 zeigt die normalisierte Schubtragfähigkeit der Balkenelemente, geordnet nach Querschnittsform und Längsbewehrungsgrad. Vergleichend wird die Tragfähigkeit nach dem Biegeschubrissmodell (FSCM) [17, 18] und der Modifizierten Druckfeldtheorie (MCFT) [19, 20] den Versuchen gegenübergestellt. Während letztere einen impliziten Betontraganteil auf der Annahme der Rissreibung begründet und um einige empirische Modellfaktoren ergänzt, erlaubt das FSC-Modell die Berücksichtigung einer tragenden Komponente der Betondruckzone aus Biegung, die durch ein biaxiales Versagenskriterium begrenzt wird. Der explizite Betontraganteil darf in Ansatz gebracht werden, wenn der Vorspanngrad des Längssystems ausreichend ist. Die allgemeine Vorgehensweise des FSC-Modells sieht eine iterative Bestimmung des Nachweisschnitts in Abhängigkeit vorliegender Randzugspannungen vor. Für die MCFT-Analyse werden Schnittgrößen, Materialverzerrungen und Spanngliedneigung in einem Abstand d vom Beginn der Voute im Auflagerbereich berücksichtigt. Eine deutlich bessere Approximation der Bruchlasten zeigt sich unter der Annahme, dass Schubspannungen in der Betondruckzone einen dominanten Traganteil in vorgespannten Balkentragwerken mit geringem Schubbewehrungsgrad in Ergänzung zu den vergleichsweise geringen Fachwerkmechanismen der Bügelbewehrung und der vertikalen Komponente der Spannglieder bilden. Es sei noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Vorhersage nicht als Maß für eine Erklärung oder eine Plausibilitätsprüfung geeignet ist, da man natürlich auch vordergründig präzise Vorhersagen aus einem falschen Modell ableiten kann. Nur mechanisch konsistente Modelle, die auf kausalen Zusammenhängen auf bauen, erscheinen sinnvoll, da der experimentelle Stichprobenumfang selbst bei expliziter Modellrestriktion nie ausreichend sein kann. Wie bereits anhand verschiedener Blickwinkel auf diverse Fragen, die auf eine Beschreibung der Schubtragfähigkeit und deren verantwortliche Mechanismen [14, 18, 21], gezeigt wurde, bildet die Beschreibung des Tragverhaltens auf der Grundlage des statischen und kinematischen Gleichgewichts den logischsten Ansatz ab. 5. Brückenkolloquium - September 2022 75 Einflüsse aus Schubrissbildung auf die Fachwerktragwirkung und vorgespannter Balkenquerschnitte Abbildung 6: Normierte Schubtragfähigkeit geprüfter Balkenelemente im Vergleich zu ausgewählten Modellvorstellungen 6. Fazit und Ausblick Die Versuche an vorgespannten Balkenelementen mit gestuft reduziertem Längsbewehrungsgrad erlauben die Untersuchung des Schubtragverhaltens bei repräsentativer Längsverzerrung im Querschnitt im Hinblick auf zu bewertende Bestandsbrücken. Die wesentlichen Erkenntnisse gliedern sich in folgende Aspekte: - Ein reduzierter Längsbewehrungsgrad beeinflusst die Schubtragfähigkeit nicht nachteilig, solange die Spannglieder entsprechenden Dehnungszuwachs mobilisieren können. - Die Annahme sehr flacher Druckstrebenneigungswinkel ist mit theoretisch einhergehender Verzerrung und vorhandener Duktilität der Bügelbewehrung nicht vereinbar. - Untersuchungen zur Risskinematik unterstreichen die vorherrschende Auffassung, dass Traganteile aus Rissreibung bei Spannbetonquerschnitten mit schwachem Schubbewehrungsgrad und entsprechender Entwicklung der Schubrissbreiten keine signifikante Rolle spielen können. - Die Annahme eines Betontraganteils, der der Druckzone aus Biegung zuzuordnen ist, bietet eine mechanisch plausible und quantitativ vielversprechende Möglichkeit zur additiven Formulierung den zu erwartenden Schubwiederstand unter Berücksichtigung des charakteristischen Trag- und Bruchverhaltens anzunähern. Literatur [1] N. Schramm und O. Fischer, „Zur Anrechenbarkeit von nicht normgemäßen Bügelformen auf die Querkrafttragfähigkeit von Bestandsbrücken“, Bauingenieur, Jg. 95, Nr. 11, S. 408-418, 2020, doi: 10.37544/ 0005-6650-2020-11-66. [2] Martin Herbrand, „Shear strength models for reinforced and prestressed concrete members“. Phdthesis, RWTH Aachen; RWTH Aachen University, Aachen, Germany, 2017. [3] V. Adam, M. Herbrand und J. Hegger, „Querkrafttragfähigkeit von Brückenträgern aus Spannbeton mit geringen Querkraftbewehrungsgraden“, Bauingenieur, Jg. 95, Nr. 11, S. 397-407, 2020, doi: 10.37544/ 0005-6650-2020-11-55. [4] P. Gleich, S. Kattenstedt und R. Maurer, „Erweitertes Druckbogenmodell für die Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit von Stahl- und Spannbetonbalken“, Beton- und Stahlbetonbau, Jg. 111, Nr. 5, S. 268-277, 2016, doi: 10.1002/ best.201600008. [5] N. Schramm, O. Fischer und W. Scheufler, „Experimentelle Untersuchungen an vorgespannten Durchlaufträger-Teilsystemen zum Einfluss nicht mehrzugelassener Bügelformen auf die Querkrafttragfähigkeit“, Bauingenieur, Jg. 94, 2019. [6] N. O. Schramm, „Zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbalkenelementen unter besonderer Berücksichtigung der Bügelform“. Dissertation, Technische Universität München, München, 2021. [Online]. Verfügbar unter: https: / / mediatum.ub.tum. de/ 1601310- [7] P. Marti, M. Alvarez, W. Kaufmann und V. Sigrist, „Tension Chord Model for Structural Concrete“, Structural Engineering International, Jg. 8, Nr. 4, S. 287-298, 1998, doi: 10.2749/ 101686698780488875. [8] M. Alvarez, „Einfluss des Verbundverhaltens auf das Verformungsvermögen von Stahlbeton“, ETH Zürich. [9] S. van der Walt et al., „scikit-image: image processing in Python“, PeerJ, Jg. 2, e453, 2014, doi: 10.7717/ peerj.453. [10] M. Zink, Zum Biegeschubversagen schlanker Bauteile aus Hochleistungsbeton mit und ohne Vorspannung. Wiesbaden, Germany: Vieweg+Teubner Verlag, 2000. 76 5. Brückenkolloquium - September 2022 Einflüsse aus Schubrissbildung auf die Fachwerktragwirkung und vorgespannter Balkenquerschnitte [11] N. Hoang, P. Madura, R. Masoud, I. Mohsen, C. Gianluca und P. Bazant, „New perspective of fracture mechanics inspired by gap test with crack-parallel compression“, Proceedings of the National Academy of Sciences, Jg. 117, Nr. 25, S. 14015-14020, 2020, doi: 10.1073/ pnas.2005646117. [12] J. C. Walraven, Aggregate Interlock: A theoretical and experimental analysis. Delft University Press. [13] P. G. Gambarova und C. Karakoc, „A New Approach to the Analysis of the Confinement Role in Regularly Cracked Concrete Elements“, IASMiRT, S. 251-261, 1983. [Online]. Verfügbar unter: https: / / repository.lib.ncsu.edu/ handle/ 1840.20/ 26052. [14] A. Beck, „Paradigms of shear in structural concrete: Theoretical and experimental investigation“, ETH, Zu\elseü\firich, Switzerland, 2021. [15] M. Pundir, M. Tirassa, M. Ferna\elseá\findez Ruiz, A. Muttoni und G. Anciaux, „Review of fundamental assumptions of the Two-Phase model for aggregate interlocking in cracked concrete using numerical methods and experimental evidence“, Cement and Concrete Research, Jg. 125, S. 105855, 2019, doi: 10.1016/ j.cemconres.2019.105855. [16] I. Völgyi und A. Windisch, „Experimental investigation of the role of aggregate interlock in the shear resistance of reinforced concrete beams“, Structural Concrete, Jg. 18, Nr. 5, S. 792-800, 2017, doi: 10.1002/ suco.201600137. [17] P. Huber, T. Huber und J. Kollegger, „Experimental and theoretical study on the shear behavior of singleand multi-span Tand I-shaped post-tensioned beams“, Structural Concrete, Jg. 21, Nr. 1, S. 393- 408, 2020, doi: 10.1002/ suco.201900085. [18] P. Huber, T. Huber und J. 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Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, Deutschland Sonja Nieborowski, M.Sc. Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, Deutschland Zusammenfassung Mit der Einführung des Masterplans BIM Bundesfernstraßen [1] stellt das BMDV eine weiterführende Strategie der stufenweisen Implementierung der BIM-Methode im Bereich der Bundesfernstraßen bereit. Ziel ist der flächendeckende Einsatz von BIM als Regelprozess in der angestrebten vollen Ausbaustufe ab 2025. Auf Grundlage der durchgängigen und flächendeckenden Anwendung der BIM-Methode über den gesamten Lebenszyklus soll die physische Bundesfernstraßeninfrastruktur digital und in ihrer gesamten Komplexität langfristig in einem Digitalen Zwilling abgebildet werden. Der Fokus liegt dabei besonders auf der Digitalisierung und Unterstützung der Betriebsphase auf Basis Digitaler Zwillinge. Auf dem Weg hin zu einem digitalen Zwilling sind verschiedene Herausforderungen im Lebenszyklus von Brücken- und Ingenieurbauwerken zu bewältigen. Diesen stellt sich die aktuelle Forschung u. a. mit der (teil)automatisierten Erstellung von BIM-Modellen unter dem Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) und der Festlegung von Informationsanforderungen an BIM-Betriebsmodelle in Anlehnung an mögliche Anwendungsfälle im Betrieb. Ein Anwendungsfall im Betrieb ist die digitale Unterstützung der Bauwerksprüfung unter Einsatz von BIM in Kombinationen mit Anwendungen der erweiterten und virtuellen Realität in der Vor- und Nachbereitung sowie der Durchführung vor Ort. In diesem Beitrag wird auf die Möglichkeiten der Digitalisierung von Bestandsbauwerken unter Verwendung von KI-Methoden, Anforderungen an BIM-Betriebsmodelle, Anwendungsfälle im Betrieb, neue Technologien wie virtuelle und erweiterte Realität sowie die Potentiale eines Digitalen Zwillings im Hinblick auf ein verbessertes Lebenszyklusmanagement eingegangen. 1. Hintergrund Brücken und Ingenieurbauwerke in Deutschland sind großen Herausforderungen wie z.B. zunehmendes Alter, Einflüsse durch den Klimawandel und steigenden Verkehrslasten ausgesetzt. Die Bewältigung dieser und zukünftiger Herausforderungen im Bundesfernstraßennetz und der damit verbundenen erhöhten Anforderungen an Planung, Bau, Betrieb und Erhalt auch unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten kann durch Digitale Zwillinge unterstützt werden. Mit der Einführung des „Masterplans BIM Bundesfernstraßen“ und dem darin angestrebten Zukunftsbild eines gesamten Lebenszyklus auf Basis voll integrierter Digitaler Zwillinge wird dies auch durch das BMDV hervorgehoben. [2]. Auf Grundlage der durchgängigen und flächendeckenden Anwendung der BIM-Methode über den gesamten Lebenszyklus, liegt dabei der Fokus besonders auf der Digitalisierung und Unterstützung der Betriebsphase auf Basis Digitaler Zwillinge. Nach [1] bilden digitale Zwillinge die physische Bundesfernstraßeninfrastruktur mit allen relevanten Informationen digital und in ihrer gesamten Komplexität ab. Die BIM-Methodik und deren durchgängige Anwendung in Planung, Bau und Betrieb schafft somit die Grundlage für den Auf bau umfangreich vernetzter Digitaler Zwillinge und den sich daraus ergebenden Potenzialen für die Datenanalyse und -nutzung. Eine wesentliche Grundlage für den Auf bau digitaler Zwillinge bildet das digitale Bauwerksmodell mit den Daten aus den Phasen Planen und Bauen, das den tatsächlichen Bestand abbildet. Für den überwiegenden Teil der Brücken- und Ingenieurbauwerke auf Bundesfernstraßen liegen derzeit keine digitalen Modelle vor. Die essentiellen Fragen sind daher: - Welche Möglichkeiten bieten sich im Bereich der Digitalisierung von Bestandsbauwerken und kann dieser Prozess durch die Verwendung von künstlicher Intelligenz unterstützt werden? - Welche Anforderungen werden an die Modelle gestellt? - Welche Anwendungsfälle sind im Betrieb denkbar und wie können diese mit digitalen Technologien und Methoden unterstützt werden? - Welche Potentiale eines Digitalen Zwillings ergeben sich im Hinblick auf ein verbessertes Lebenszyklusmanagement? Im Rahmen dieses Beitrags wird auf die oben genannten Fragestellungen eingegangen und ein Überblick über 80 5. Brückenkolloquium - September 2022 BIM2Twin: Einsatz von BIM im Betrieb von Brückenbauwerken die Forschungsaktivitäten der BASt gegeben. Die Forschungsergebnisse stellen wichtige Grundlagen dar, um die gewonnenen Erkenntnisse in die Konzeption und den Auf bau von Digitalen Zwillingen für Infrastrukturbauwerke einfließen zu lassen. 2. Vision Digitaler Zwilling Das übergeordnete Ziel, das mit dem Digitalen Zwilling eines Brückenbauwerks angestrebt wird, ist die bestmögliche Unterstützung der Bauwerksbetreibenden bei der Gewährleistung der Sicherheit, Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit. Sie müssen sich zunehmend großen Herausforderungen infolge Alterung, Einflüssen des Klimawandels und steigender Verkehrslasten stellen. Zur Begegnung dieser Herausforderungen werden Werkzeuge benötigt, die den Übergang von einer aktuell überwiegend reaktiven Herangehensweise im Erhaltungsmanagement zu einem zukunftsfähigen prädiktiven Lebenszyklusmanagement unterstützen [7]. Hier zeigt die Vision des Digitalen Zwillings Brücke vielfältige Potenziale auf. Der Digitale Zwilling eines Ingenieurbauwerks ist ein digitales Abbild eines realen Bauwerks und spiegelt sämtliche Eigenschaften und sein Verhalten über dessen gesamten Lebenszyklus hinweg anhand verschiedener Modelle (u.a. Geometrie-, Struktursowie Datenmodelle). Der Digitale Zwilling aktualisiert sich kontinuierlich, um den aktuellen Status des realen Bauwerks sowie die daraus ableitbaren Prognosen in nahezu Echtzeit darzustellen. Zu diesem Zweck greift er auf große Datenmengen zurück, die u.a. am realen Bauwerk, dem Reallabor, gesammelt oder von bereits bestehenden Systemen bereitgestellt werden. Daneben kann er Informationen aus unkonventionellen Datenquellen wie z. B. vernetzten Fahrzeugen, Smartphones und sozialen Medien nutzen. In Anbetracht der großen Datenmengen kommen Big Data/ Smart Data- Anwendungen und Verfahren der Künstlichen Intelligenz (KI) zur Datenanalyse und -bewertung zum Einsatz. Darüber hinaus beinhaltet der Digitale Zwilling einen virtuellen Experimentierraum, in dem szenariobasierte Untersuchungen und Prognosen hinsichtlich des Bauwerksstatus erfolgen können. [2], [12]. Bild 1 zeigt den Zusammenhang der genannten Zukunftsfelder mit dem Digitalen Zwilling Brücke auf. Die Potenziale des Digitalen Zwillings Brücke zeigen sich vor allem in der Lebenszyklusphase des Betriebs. Das aktuelle Bauwerksmodell nach der BIM-Methodik stellt eine wesentliche Grundlage des Digitalen Zwillings dar, der weitere Komponenten wie zum Beispiel die Vernetzung von Echtzeitdaten aus Sensorik, Prognosen, Simulationen [1] sowie den bidirektionalen Datenfluss zum physischen Bauwerk einbindet. Die Generierung von BIM-Modellen im Bestand hat demnach auf dem Weg zum Digitalen Zwilling Brücke eine wichtige Bedeutung. Die BASt-Forschung beschäftigt sich intensiv mit diesem Thema, um den Weg zum Digitalen Zwilling und das prädiktive Lebenszyklusmanagement zu unterstützten. Bild 1: Relevante Felder des digitalen Zwillings Brücke 3. Digitalisierung von Bestandsbauwerken Der Masterplan BIM Bundesfernstraßen beschreibt die phasenweise Einführung der BIM-Anwendung für alle neu zu planenden Ingenieurbauwerke ab 2021. Allerdings machen die Neubauten nur einen geringen Anteil der Brücken im Bundesfernstraßennetz aus. Der überwiegende Teil der Brücken existiert bereits und wird auch noch für Jahre bzw. Jahrzehnte weiter genutzt werden. Das Potential, das sich mit dem Einsatz von BIM im Betrieb und in der Erhaltung eröffnet, kann erst dann voll ausgeschöpft werden, wenn für einen Großteil der Bestandsbrücken BIM-Modelle vorhanden sind. Eine zeitnahe ganzheitliche Anwendung von BIM in der Betriebsphase ist daher erst möglich, wenn BIM-Modelle für die bestehenden Brücken realisiert werden. Für die Einführung des BIM-gestützten Erhaltungsmanagements bei Bestandsbrücken ergibt sich die große Herausforderung, dass Daten vielfach nur begrenzt digital vorliegen. Fehlende Informationen müssen daher nachträglich ergänzt werden. Für den überwiegenden Anteil der Bestandsbauwerke liegen Ausführungsbzw. Bestandspläne (in Papierform oder nachträglich digitalisierte 2-D-Pläne) in unterschiedlicher Qualität vor. Zusätzlich sind in der Bauwerksdatenbank SIB-Bauwerke Detailinformationen gemäß ASB-ING zu den Bestandsbauwerken hinterlegt. Eine nachträgliche manuelle Erstellung eines BIM-Modells auf Grundlage der vorhandenen 2D- Pläne ist prinzipiell möglich, erfordert jedoch einen großen Arbeitsaufwand und ist daher flächendeckend zeitnah kaum umsetzbar. Hinzu kommt die Unsicherheit, inwieweit die Pläne mit der aktuellen Ist-Situation übereinstimmen. Mit der dynamischen Weiterentwicklung der Vermessungstechnik im Bereich des 3D-Laserscanning und der Fotogrammmetrie sowie der Methoden der KI erge- 5. Brückenkolloquium - September 2022 81 BIM2Twin: Einsatz von BIM im Betrieb von Brückenbauwerken ben sich vielversprechende neue Optionen zur effizienten (teil)automatisierten Erstellung von BIM-Modellen. Vor allem durch die Weiterentwicklungen und Verbesserung der Praxistauglichkeit von Methoden und Ansätzen des maschinellen Lernens (ML) und des Deep Learnings (DL) gewinnt die Verwendung von KI zunehmend an Bedeutung [3], [4]. Unter ML wird das Konzept der Verwendung mathematischer Modellierung verstanden, um analytische Erkenntnisse aus der Erforschung komplexer Daten zu generieren. In diesem Zusammenhang können strukturierte Daten (z. B. klassifizierte 3-D-Punktwolken, annotierte Bilder usw.) oder unstrukturierte Daten (z. B. digitalisierte Textdokumentation) verstanden werden. DL ist ein Teilbereich des ML, die auf überwachte Lernmethoden zurückgreift, wobei das Wissen darüber, was die Daten darstellen und wie sie klassifiziert werden sollen, grundsätzlich bekannt ist. DL-Methoden versuchen also, auf der Grundlage eines Modells, das darauf trainiert ist, die gleichen Arten vorhandener Daten zu erkennen und darauf basierend vorherzusagen, was die Daten repräsentieren sollen. Dazu kann z. B. ein Bildklassifikationsmodell gehören, das auf verschiedenen Bildern von Abplatzungen auf Brückenoberflächen trainiert wurde und in der Lage ist, zu erkennen, ob ein bisher ungesehenes Bild einer Brückenoberfläche Abplatzungen enthält [5]. Sowohl MLals auch DL-Verfahren sind wichtige Werkzeuge für die (teil)automatisierte Generierung digitaler Darstellungen des Ist-Zustands von Bestandsbauwerken. Im Rahmen des Projekts „Entwicklung von Verfahren zur (teil)automatisierten Erstellung von BIM-Modellen für Straßenbrücken im Bestand“ wird ein Konzept zur (teil)automatisierten Erstellung von BIM-Modellen auf der Grundlage der vorhandenen Daten sowie der mit modernen Vermessungstechniken gewonnener Punktwolken bestehender Brücken des Bundesfernstraßennetzes entwickelt [6]. Damit soll der Aufwand zur Erstellung derartiger Modelle signifikant reduziert und die Grundlage für eine flächendeckende Erfassung von BIM-Modellen im gesamten Bundesfernstraßennetz geschaffen werden. Mit der Verwendung von Vermessungsdaten kann sichergestellt werden, dass die erstellten Modelle dem aktuellen Ist-Zustand des Bestands entsprechen. Bild 2 zeigt einen terrestrischen Laserscan der Dura- BASt-Brücke im Demonstrations-, Untersuchungs- und Referenzareal der BASt am Autobahnkreuz Köln-Ost. Die Aufnahmen des Laserscans dienen der Validierung des entwickelten Konzepts. Bild 2: Laserscan der DuraBASt-Brücke am Autobahnkreuz Köln-Ost Erfahrungsgemäß benötigt eine KI für eine Aufgabe der gegebenen Komplexität eine große Menge an Lerndaten. Diese Menge an Lerndaten durch echte Messungen von Punktwolken zu generieren würde einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten. Um eine ausreichende Menge an Lerndaten zu erzeugen, werden daher zusätzlich zu tatsächlich erfassten 3-D-Punktwolken künstliche BIM- Modelle generiert, deren Vermessung in einem späteren Schritt anhand einer virtuellen Befliegung simuliert wird. Für die Generierung der BIM-Modelle werden im Rahmen des Projekts als Tragwerkstypen einfache Systeme von Massivbrücken (z. B. zweistegiger Plattenplatten) mit konventioneller Lagerung und integralen Lösungen definiert. Die Tragwerke werden als Kombination unterschiedlicher Komponenten erzeugt. Ein Tragwerk ist dabei eine Kombination aus - zwei Widerlagern, - Stützen, sofern es mehrere Felder gibt und - einem Träger. Für diese drei Bauteilarten werden unterschiedliche Typen definiert und die Kombinierbarkeit der unterschiedlichen Varianten analysiert. Bild 3: virtuelle Befliegung [6] Bild 3 zeigt die Erstellung synthetischer Trainingsdaten, die durch die Simulation einer Befliegung per Drohne generiert werden. Das Hauptziel hier ist, möglichst nahe an der Realität zu bleiben, damit das angelernte Netz später die echten Daten klassifizieren kann. 82 5. Brückenkolloquium - September 2022 BIM2Twin: Einsatz von BIM im Betrieb von Brückenbauwerken Neben den durch 3-D-Laserscanning oder Fotogrammmetrie zu erstellenden Punktwolken und synthetischer Trainingsdaten werden auch die bereits heute in digitaler Form vorhandenen Datengrundlagen zu Bestandsbrücken in die Modellbildung einbezogen werden. Dies sind insbesondere die in SIB-Bauwerke vorhandenen Daten. Im Rahmen der Grundlagenermittlung werden diese Daten analysiert und es wird evaluiert, welche Informationen, in welcher Form, in die Modellbildung einbezogen werden können. Eine Verknüpfung mit den Daten aus SIB-Bauwerke ist sowohl als Hilfestellung für die KI, als auch für die spätere Referenzierung der Bauteile sinnvoll. Das zu entwickelnde Konzept soll einerseits eine möglichst weitgehende Automatisierung erlauben aber gleichzeitig korrekte und reproduzierbare BIM-Modelle zuverlässig liefern. In einem ersten Schritt ist daher von einer teilautomatisierten Lösung auszugehen, bei der die automatisch generierten Vorschläge zur geometrischen Strukturierung und zur semantischen Erweiterung jeweils manuell geprüft und gegebenenfalls angepasst werden müssen. Mit jeder Anpassung im praktischen Einsatz wird das System weiter trainiert (zusätzlich zum initialen Training mit Beispieldaten), so dass mit zunehmender Einsatzdauer der Grad der Automatisierung zu- und die erforderlichen manuellen Eingriffe abnehmen werden [7]. 4. Informationsanforderungen an BIM-Betriebsmodelle Um die BIM-Methode im Erhaltungsmanagement von Brückenbauwerken anzuwenden und die BIM-Modelle über die Lebenszyklusphasen Planung und Bau auch im Betrieb durchgehend nutzen zu können, sind frühzeitig Definitionen und Anforderungen festzulegen, die an die BIM-Methodik für das Erhaltungsmanagement gestellt werden. Dazu wurde im Rahmen des Forschungsprojektes „BIM im Brückenbau“ [8] der gesamte Informationsfluss, der im Laufe des Lebenszyklus eines Brückenbauwerkes anfällt, untersucht und dabei insbesondere die für das Betriebs- und Erhaltungsmanagement notwendigen Informationen analysiert. Wesentlich dabei war es, zu identifizieren, welche Informationen relevant für die gängigen Anwendungsfälle und Szenarien im Erhaltungsmanagement sind. Der Fokus lag dabei auf der Praxistauglichkeit sowohl beim Erhaltungsmanagement, als auch im Informationsbeschaffungsprozess. Bild 4: Datenmanagement im BIM basierten Erhaltungsmanagement [8] 5. Brückenkolloquium - September 2022 83 BIM2Twin: Einsatz von BIM im Betrieb von Brückenbauwerken Zur Ermittlung der Informationsanforderungen wurden Expertenbefragungen durchgeführt. Aus den Befragungen und Analysen des Status-Quo im Erhaltungsmanagement hat sich das in Bild 4 dargestellte Konzept entwickelt. Dargestellt ist zum einen das Frontend, also die Benutzeroberflächen, eines BIM-Bestandsmanagementsystems und zum anderen das Backend mit den jeweiligen Datenquellen. Bei der Analyse der Informationsanforderungen der einzelnen Anwendungsszenarien zur Erhaltung von Brückenbauwerken stellte sich heraus, dass einige Informationen, die im Status quo der Erhaltung verwendet werden, bereits nach der Planungs- und Bauphase in den Modellen enthalten sind. Diese Informationen werden in den Modellen durch Attribuierung der verschiedenen Bauteile vorgehalten und im Rahmen der Anwendungsfälle in der Planungs- und Bauphase weiterverwendet. Für die als notwendig identifizierten Informationen wurde untersucht, wie diese möglichst aufwandsarm erhoben und für den Betrieb bereitgestellt werden können. Aus den Datenanforderungen zur BIM-basierten Umsetzung der in Kapitel 5 genannten Anwendungsfälle ergeben sich die nachfolgend dargestellten Anforderungen an ein Asbuilt Modell. In Tabelle 1 werden die Informationen bauteilorientiert dargestellt. Dabei wird unterschieden, ob die Informationen als Attribut (x) im Modell hinterlegt werden sollen oder die Informationen mit dem Bauteil verknüpft (o) werden sollen. Für die Verlinkung zwischen den Daten wurde eine Konvention entwickelt, welche sich aus Ortsinformationen und Bauteilinformationen zusammensetzt. Zur Demonstration der entwickelten Konzepte erfolgte die Implementierung der BIM-Anwendungsfälle exemplarisch an einem konkreten Brückenbauwerk. Diese werden im nachfolgenden Kapitel näher erläutert. Tabelle 1: Auszug aus der Tabelle „Informationsanforderungen“ [8] Tabelle 2: Auszug aus der Konvention der Metadaten zur Verlinkung von Daten und Dokumenten [8] 84 5. Brückenkolloquium - September 2022 BIM2Twin: Einsatz von BIM im Betrieb von Brückenbauwerken 5. Anwendungsfälle im Betrieb Mit der phasenweisen Einführung der BIM-Methodik im Bundesfernstraßenbau werden sukzessiv eine bestimmte Anzahl an Anwendungsfällen eingeführt. Tabelle 3 zeigt die Liste der standardisierten Anwendungsfallbezeichnungen in Anlehnung an [9] von AWF-Nr. 000 - AWF-Nr. 200. Farblich hervorgehoben sind die acht prioritären Anwendungsfällen der Phase I des Masterplans BIM Bundesfernstraßen, die in [10] anhand von Steckbriefen, Umsetzungsdetails sowie weiterer Zusatzmaterialien zur standardisierten Beschreibung in zusammengefasster Form dargestellt werden. Tabelle 3: Liste der standardisierten Anwendungsfallbezeichnungen in Anlehnung an [9], hervorgehoben die acht prioritären Anwendungsfällen der Phase I des Masterplans BIM Bundesfernstraßen Unter dem AWF-Nr. 200 „Nutzung für Betrieb und Erhaltung wurden in [8] für die in Tabelle 4 dargestellten Anwendungsfälle Bauwerksprüfung, Nachrechnung, Schwertransporte, Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen, Erweiterung des Bauwerks in Form von Um- und Ausbau sowie die Auswertung von Netzstatistiken der Einfluss von BIM, die Nutzung der Informationen sowie die daraus entstehenden Soll-Prozesse im Betrieb konzipiert. Tabelle 4: mögliche Anwendungsfälle in Betrieb und Erhaltung Im Rahmen dieses Papers wird auf den Anwendungsfall „Bauwerksprüfung“ eingegangen. Der Nutzen digitaler Arbeitsmethoden und Technologien wird hier besonders deutlich. Zur Erfassung des Ist-Zustandes, der Gewährleistung der Sicherheit und der frühzeitigen Schadenserfassung werden Bauwerksuntersuchungen nach DIN 1076 durchgeführt. Bei diesen Bauwerksprüfungen werden die Bauwerke nach einem systematischen Verfahren geprüft und festgestellte Schäden nach den Kriterien Verkehrssicherheit, Standsicherheit und Dauerhaftigkeit beurteilt. Das technische Personal ist bei der Bauwerksprüfung auf die Verfügbarkeit und anschauliche Darstellungen einer Vielzahl umfangreicher Informationen über das Bauwerk incl. seiner Schäden angewiesen, um den Zustand umfassend beurteilen zu können. Digitale Prozesse können als Unterstützung dienen und letztlich dazu beitragen, die Zukunftsfähigkeit von Brückenbauwerken auch bei steigendem Erhaltungsaufwand und geänderten Einwirkungen zu gewährleisten [7]. Mit dem Einsatz von BIM bzw. dem Linked-Data-Ansatz können in der Bauwerksprüfung die Grundlagendaten in einer höheren Qualität zur Verfügung gestellt werden. Zudem kann in einem modellorientierten digitalen Prozess eine objektorientierte Schadenserfassung durchgeführt werden. Eine ausführliche Prozessbeschreibung der vier wesentlichen Phasen der Bauwerksprüfung einschließlich der Informationsanforderung im BIM-Prozess ist in [7] zu finden. 5. Brückenkolloquium - September 2022 85 BIM2Twin: Einsatz von BIM im Betrieb von Brückenbauwerken Der Mehrwert durch den Einsatz von BIM in der Bauwerksprüfung spiegelt sich in der Qualität der Grundlagendaten wider, da neben den Bestandsmodellen auch idealerweise der Bauablauf dargestellt ist. Eine Bewertung von Schäden und Mängel kann so besser und leichter erfolgen. Beispielsweise sind bauablauf bedingte Öffnungen im Modell der Ausführung fortzuschreiben, sodass die dadurch entstehenden Schäden, besser bewertet werden können. BIM kann dabei die Schadenserfassung unterstützen, indem Schäden objektorientiert beispielsweise per Marker direkt mit festem Bezug am digitalen Bauteil verortet werden. Durch eine Schnittstelle zwischen diesem Schadensmodell und der Bauwerksdatenbank, können entsprechende Attribute synchronisiert werden. Bilder und Schadensskizzen werden als verlinktes Dokument mit dem Schadensobjekt verbunden, sodass alle Komponenten (Bauwerksdatenbank, Modell und Dokumente) miteinander verknüpft sind. 6. neue Technologien wie virtuelle und erweiterte Realität BIM hat das Potenzial den Bauwerksprüfungsprozess nach DIN 1076 zu optimieren. Dieser beruht nach langjähriger Praxis auf eher konventionellen Methoden. Digitale Technologien finden nur selten Anwendung. Unterstützungsbedarfe werden jedoch vor allem in der Verfügbarkeit und Visualisierung von Informationen, der Verortung und Trendverfolgung von Schäden sowie dem kollaborativen Arbeiten gesehen. BIM zeigt Potenziale auf, große Teile dieser Bedarfe abzudecken. Damit die Potenziale im Anwendungsfall der Bauwerksprüfung durch die Prüfenden genutzt werden können, bedarf es darüber hinaus geeigneter Visualisierungsmöglichkeiten. Insbesondere für die handnahe Bauwerksprüfung werden Werkzeuge benötigt, die die strukturierte und anwendungsfreundliche Visualisierung von Modelldaten sowie die Bearbeitung damit fusionierter Informationen ermöglichen. Den Technologien der virtuellen und erweiterten Realität werden in diesem Bereich gewinnbringende Einsatzmöglichkeiten zugemessen. Eher aus der Spielindustrie bekannt, eröffnen sich durch neue Entwicklungen im Bereich leistungsstarker Computer, elektronischer Sensorik und hochauflösender Bildschirme auch jenseits der Spielindustrie innovative technische Möglichkeiten. Im Rahmen eines Forschungsprojekts [11] im Auftrag der BASt wurden, auf Basis der Anforderungen und Bedürfnisse in einer Bauwerksprüfung nach DIN 1076, ein modulares Konzept sowie Demonstratoren zur digitalen Unterstützung der Prüfenden entwickelt. Hierfür wurden die Potenziale des BIM sowie der erweiterten und virtuellen Realität kombiniert, um Anwendungsmöglichkeiten in der Vor- und Nachbereitung im Büro und der Durchführung der Bauwerksprüfung an einer Brücke zu untersuchen. Als Demonstratorbauwerk diente die Intelligenten Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn bei Nürnberg. Die Vor- und Nachbereitung der Bauwerksprüfung wird durch die virtuelle Realität unterstützt, indem die virtuelle und interaktive Begehung des 3-D-Bauwerksmodells ermöglicht wird. Die anwendende Person hat die Möglichkeit, das virtuelle Bauwerksmodell, das mit den Schadensdaten und weiteren Informationen verknüpft ist, zum Beispiel im Büro zu „durchlaufen“ und sich damit ein Bild von den Gegebenheiten vor Ort zu machen. Zu diesem Zweck wurde sowohl die Visualisierung anhand einer Desktopanwendung als auch anhand einer VR-Brille demonstriert. Verknüpfte Informationen werden verortet visualisiert. Hierbei wurde auf die Entwicklung eines kollaborativen Moduls geachtet. D. h. stellen Bauwerksprüfende vor Ort die gerade aufgenommenen Schadensdaten über die Cloud zur Verfügung, sind sie schon während der Prüfung auch in der virtuellen Realität im Büro einsehbar. Zur aufgenommenen Prüfung lassen sich außerdem Anpassungen oder Veränderungen vornehmen. Hiermit ergeben sich z. B. Möglichkeiten, spezifische, nicht eindeutige Schäden zu rekapitulieren, Beschreibung von Schäden zu verbessern, den Dialog im Kollegium zu suchen und eine zweite Meinung einzuholen sowie die Möglichkeit, bedeutende Schäden zu visualisieren und nachzubearbeiten. Bei der Prüfung vor Ort an der Brücke kommt ein Tablet mit Funktionalitäten der erweiterten Realität zum Einsatz. Auch hier wurden mehrere Funktionen demonstriert. Das Modell kann über Verortung, u.a. anhand von Markern durch die Kamera des Tablets, über das Abbild der Realität gelegt werden (s. Bild 5). Es besteht die Möglichkeit, nur das Modell einzublenden, es auszublenden oder transparent über das Abbild der realen-Umgebung-zu-legen. Bild 5: Überlagerung des virtuellen Models Schäden können in der Bauwerksprüfung vor Ort durch einfache Kameraaufnahmen verortet, mit dem 3-D-Bauwerksmodell verknüpft und mit weiteren Informationen zur Unterstützung der lückenlosen Protokollierung über den Lebenszyklus versehen werden (s. Bild 6). Die Schadenseingabe orientiert sich im endgültigen Prototyp an den Eingaben in SIB-Bauwerke. Über eine Cloud können die aufgenommenen Daten bereits während der Prüfung übertragen und vom Kollegium im Büro am 3-D- Bauwerksmodell mittels virtueller Realität begutachtet und weitergehend analysiert werden. Informationen zu 86 5. Brückenkolloquium - September 2022 BIM2Twin: Einsatz von BIM im Betrieb von Brückenbauwerken Schäden, die in vergangenen Prüfungen aufgenommenen wurden, werden den Prüfenden vor Ort über das Tablet als digitale Überlagerung mittels erweiterter Realität angezeigt. Die vorhandenen Schäden können im neuen Prüfungszyklus mit weiteren Informationen und Fotos versehen werden. Auf diesem Weg wird eine Schadenshistorie erstellt, die mit der Schadenskugel im BIM-Modell verknüpft und durch die Prüfenden verortet einsehbar ist. Insgesamt wurden die folgenden Funktionalitäten anhand des Demonstrators zur Verwendung vor Ort aufgezeigt: • Überlagerung virtueller und verorteter Informationen wie Modelldaten und Schadensdaten • Schadensverortung und virtuelle Darstellung vorhandener Schäden mittels „Kugel“ samt hinterlegter Historie • Bildliche Dokumentation von Schäden und Verknüpfung mit Schadensort über Kameraaufnahme • Schadensbeschreibung über Menü mit Vorauswahl und manueller Eingabe weiterer Messdaten • Vermessung von Schadenslängen durch integriertes Messsystem • Synchronisierung der Daten über eine Cloud • Exemplarische Implementierung der Arbeitskarten in Form von Checklisten (zum Abhaken durchgeführter Aufgaben) • Ein- und Ausblenden des verorteten digitalen Modells (auch im Transparenzmodus) • Abrufen und Anzeigen von Arbeitshilfen, Normen oder anderweitigen Richtlinien über Cloudlösung Bild 6: Demonstrator im Hohlkasten einer Brücke Insgesamt hat das Forschungsprojekt aufgezeigt, dass Technologien, technische Möglichkeiten und Potenziale zur Unterstützung der Bauwerksprüfung vorhanden sind. In Praxistests der entwickelten Demonstratoren konnten die Bedarfe zur Nutzung eines digitalen Unterstützungssystems bei den Anwendenden festgestellt werden. Die Forschungsergebnisse zeigen außerdem, dass die Motivation, digitale Hilfsmittel zu nutzen, bei den Bauwerksprüfenden vorhanden ist. Ihre Reaktionen während der Demonstration erläuterten, dass sie aktuell noch auf bessere und geeignetere Werkzeuge warten und zukünftig angewiesen sind. Insgesamt können vor allem folgende Vorteile durch die Anwendung der Technologien gegenüber der herkömmlichen Vorgehensweise angenommen werden: Durch Verwendung eines ähnlichen Systems könnte die Qualität der Prüfung gesteigert werden. Teilnehmende haben in dem Workshop u.a. eine erhöhte Präzision bei der Lokalisierung von Schäden erwähnt. Die Informationen liegen an einem Ort vor und werden über die Technologien gebündelt für die Prüfung visualisiert. Bei einem Tablet-basierten Tool entfiele die Notwendigkeit, eine separate Kamera mitzuführen und Papier zu nutzen. Durch die digitale Schadenserfassung bieten sich Potenziale hinsichtlich einer konsistenten, weniger fehleranfälligen und lückenlosen Protokollierung der Schäden über den Lebenszyklus. Es wurde u.a. gezeigt, dass Informationen schnell zwischen Büro und Prüfung vor Ort ausgetauscht werden könnten. Damit ergibt sich eine Plattform für alle am Projekt Beteiligten und das kollaborative Arbeiten wird unterstützt. Nicht zuletzt ergibt sich auch ein Zeiteinsparungspotenzial während der Bauwerksprüfung. 7. Ausblick und Fazit In diesem Beitrag wurden exemplarische Forschungsprojekte der Bundesanstalt für Straßenwesen aufgezeigt, die zum Einsatz von BIM im Betrieb auf dem Weg zum Digitalen Zwilling Brücke beitragen. Das übergeordnete Ziel, das auf diesem Weg mit dem Digitalen Zwilling Brücke verfolgt wird, ist der Übergang zu einem prädiktiven Lebenszyklusmanagement. Die Forschungsaktivitäten zeigen vielfältige Optimierungspotenziale im Rahmen des Betriebs auf. Für BIM wurden diese exemplarisch bereits demonstriert. Der Digitale Zwilling Brücke verspricht darüber hinaus weitergehende Unterstützung in verschiedenen Anwendungsfällen des Betriebs. Anwendungsfälle und Potenziale werden z.B. in optimierten Betriebsprozessen, reduzierten und optimierten Erhaltungsmaßnahmen durch kontinuierliche Zustandserfassung sowie im strategischen Lebenszyklusmanagement anhand szenariobasierter Prognosen gesehen. Durch die umfängliche Datenerfassung und -analyse lassen sich potenziell Entscheidungsverfahren zukünftig auch unter Einbeziehung von Nachhaltigkeitsaspekten über den gesamten Lebenszyklus anhand des Digitalen Zwillings unterstützen. Der Digitale Zwilling von Ingenieurbauwerken schafft insgesamt das Potenzial bei maximaler Sicherheit, Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit des Bauwerks den Einsatz von Ressourcen zu reduzieren und damit eine Verbesserung der Nachhaltigkeit der Straßeninfrastruktur zu erreichen [12]. 5. Brückenkolloquium - September 2022 87 BIM2Twin: Einsatz von BIM im Betrieb von Brückenbauwerken Literatur [1] BMDV (2021): Masterplan BIM Bundesfernstraßen. Online verfügbar unter https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ StB/ masterplan-bim-bundesfernstrassen.html [2] Sarah Windmann, Sarah; Nieborowski, Sonja (2022): Digitaler Zwilling und Reallabor - Visionspapier der Abteilung B Brücken- und Ingenieurbau der Bundesanstalt für Straßenwesen, Version 1.1. Unveröffentlicht [3] Ioannidou, Anastasia; Chatzilari, Elisavet; Nikolopoulos, Spiros; Kompatsiaris, Ioannis (2017): Deep Learning Advances in Computer Vision with 3D Data: A Survey. In: ACM Comput. Surv. 50 (2). DOI: 10.1145/ 3042064. [4] Griffiths, David; Boehm, Jan (2019): A Review on Deep Learning Techniques for 3D Sensed Data Classification. In: Remote Sensing 11 (12), S. 1499. DOI: 10.3390/ rs11121499. [5] Isailović, Dušan; Stojanovic, Vladeta; Trapp, Matthias; Richter, Rico; Hajdin, Rade; Döllner, Jürgen (2020): Bridge damage: Detection, IFC-based semantic enrichment and visualization. In: Automation in Construction 112, S. 103088. DOI: 10.1016/ j. autcon.2020.103088. [6] Hajdin, Rade; Richter, Rico; Isailović, Dušan; Diederich, Holger; Hildebrand, Justus (2021): Entwicklung von Verfahren zur (teil-)automatisierten Erstellung von BIM-Modellen für Straßenbrücken im Bestand. unveröffentlichter Bericht zu FE 02.0436/ 2020/ ARB. [7] Bednorz, Jennifer; Hindersmann, Iris; Nieborowski, Sonja; Windmann, Sarah (2021): „BIM - auf dem Weg zum Digitalen Zwilling“ in Straße und Autobahn. [8] Seitner, Martin; Probst, Rebecca; Borrmann, Andre; Vilgertshofer, Simon (2021): Building Information Modeling (BIM) im Brückenbau. Schlussbericht FE 15.0622/ 2016/ RRB. Veröffentlichung in Vorbereitung. [9] BMDV (2021): Masterplan BIM Bundesfernstraßen - Ergänzung zu den Rahmendokumenten: Liste der standardisierten Anwendungsfallbezeichnungen. Online verfügbar unter https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ StB/ masterplan-bim-bundesfernstrassen.html [10] BMDV (2021): Masterplan BIM Bundesfernstraßen - Rahmendokument: Streckbriefe der Anwendungsfälle - Version 1.0. Online verfügbar unter https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ StB/ masterplan-bim-bundesfernstrassen.html [11] Bahlau, Sascha; Hill, Marcos; Klein, Florian; Kukushkin, Alexander; Oppermann, Leif; Riedlinger, Urs et al. (2021): Bauwerksprüfung mittels 3D-Bauwerksmodellen und erweiterter/ virtueller Realität. Abschlussbericht zum Forschungsprojekt 15.0666/ 2019/ LRB im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen. Abschlussbericht zu 15.0666. Veröffentlichung in Vorbereitung. [12] Dabringhaus, S.; Neumann, S.; Hindersmann, I. (2020): Monitoring, Intelligente Brücke, Digital Twin. Positionspapier der Abteilung B Brücken- und Ingenieurbau der Bundesanstalt für Straßenwesen. Unveröffentlicht. 5. Brückenkolloquium - September 2022 89 Digitale Transformation der Bauwerksdiagnostik Christina Fritsch, M. Sc. MKP GmbH, Weimar, Deutschland Chris Voigt, M. Eng. MKP GmbH, Weimar, Deutschland Dipl.-Ing. Torsten Harke, M. Sc. MKP GmbH, Weimar, Deutschland Zusammenfassung Bauwerksdiagnostische Untersuchungen bilden eine wichtige Grundlage für die verlässliche Bewertung von bestehenden Tragwerken. Sie können aus unterschiedlichsten Anlässen über die Nutzungsphase eines Bauwerks erfolgen und tragen beispielsweise zu realitätsnahen rechnerischen Nachweisen oder möglichst effizienten Instandsetzungsmaßnahmen bei. Die dabei entstehenden Diagnostikdaten werden gegenwärtig im Allgemeinen jedoch nicht optimal auf bereitet: Die entstehenden Untersuchungsberichte oder -protokolle liegen häufig nur in analoger Form vor und sind inhaltlich nicht miteinander verknüpft. Die sich bietenden Potenziale für die Bauwerksbewertung können dadurch nicht umfassend genutzt werden. Ein Schwerpunkt der Digitalisierung des Bauwesens ist die Zusammenführung und Vernetzung heterogener Bestands- und Zustandsinformationen unterschiedlichster Herkunft, beispielsweise in Zusammenhang mit Building Information Modeling (BIM) sowie Digitalen Zwillingen, um bestehende Tragwerke in Zukunft effizienter und insbesondere länger sicher nutzen zu können. Dementsprechend müssen zwangsweise auch alle bauwerksdiagnostischen Daten konsequent digitalisiert und für die Integration in digitale Modelle vorbereitet werden. Sind die Daten einmal digital auf bereitet, stehen unzählige Möglichkeiten der Datenauswertung, Datenvisualisierung und -bereitstellung an unterschiedliche Nutzer zur Verfügung: Von der Erstellung von BIM-Fachmodellen der Diagnostik bis hin zur Entwicklung von VR-/ AR-Anwendungen zur interaktiven Erfassung der Daten. Im Rahmen des Tagungsbeitrags sollen unterschiedliche Anwendungsfälle und Lösungsbeispiele für eine solche digitale Bauwerksdiagnostik an Brücken gezeigt werden. 1. Einleitung Wie in so vielen Situationen des Lebens gilt auch im Erhaltungsmanagement von Ingenieurbauwerken: Wissen ist Macht. Erst, wenn möglichst alle zustandsrelevanten Daten zu einem Bauwerk bekannt sind, können wirklich effektive und effiziente Erhaltungsmaßnahmen erfolgen. All diese zustandsrelevanten Daten aus Bauwerksbüchern, Bauwerksprüfungen, Gutachten und Planunterlagen nur zu beziehen, reicht dabei jedoch bei weitem nicht aus. Um die Potenziale des sich über die Lebensdauer eines Bauwerks anhäufenden Datenschatzes optimal nutzen zu können, muss eine Zentralisierung, Strukturierung, Verknüpfung und Aggregation der Daten erfolgen. Der allgegenwärtige Prozess der Digitalisierung bietet in diesem Zusammenhang vielfältige technologische Möglichkeiten. Eine dieser Möglichkeiten für die kollaborative und interdisziplinäre Zusammenarbeit ist die Methode des Building Information Modeling (BIM), welches insbesondere in den Planungs- und Ausführungsphasen des Brückenneubaus zunehmend an Bedeutung gewinnt und künftig sogar verpflichtend Anwendung findet [1] [2]. Der Masterplan Bundesfernstraßen des BMDV sowie dessen Rahmendokumente bilden eine umfassende Grundlage für die Einführung der BIM-Methode bei Baulastträgern, Anlagenverantwortlichen und Planenden. Die innerhalb des Masterplanes definierten Anwendungsfälle beziehen sich im Wesentlichen auf die Planung und Ausführung von Ingenieurbauwerken im Zuge von Bundesfernstraßen. Demgegenüber steht der überproportionale Anteil bestehender Straßenbrücken, die sich gegenwärtig in Nutzung befinden und deren Betrieb sich bisher kaum in den BIM-Anwendungsfällen widerspiegelt (siehe auch Abbildung 1). Abbildung 1: Altersstruktur der Brücken im Zuge von Bundesfernstraßen aus [3] 90 5. Brückenkolloquium - September 2022 Digitale Transformation der Bauwerksdiagnostik Abbildung 2: Anknüpfungspunkte von Bauwerksdiagnostik über den Lebenszyklus von Ingenieurbauwerken in Anlehnung an RPE-ING entsprechend [4] Vergleichbar schwach normativ geregelt ist das Gebiet der Bauwerksdiagnostik, wenngleich es eine Vielzahl an Möglichkeiten umfasst, den Bestand und Zustand bestehender Bauwerke möglichst realitätsnah zu erkunden. Bauwerksdiagnostische Daten besitzen eine entsprechend große Relevanz für die ganzheitliche Bewertung von Bestandsbauwerken und können zu unterschiedlichen Phasen der Erhaltung beitragen (siehe auch Abbildung 2). Voraussetzung für die Ausnutzung der Potenziale von Diagnostikdaten ist jedoch die anschauliche, strukturierte und rückführbare Dokumentation - beispielsweise im Kontext von BIM und Digitalen Zwillingen. Der nachfolgende Tagungsbeitrag strebt eine Verdeutlichung der Potenziale, aber auch Herausforderungen bei der digitalen Transformation der Bauwerksdiagnostik an. Anhand von praktischen Anwendungsfällen und prototypischen Entwicklungen soll der objektive Mehrwert einer künftigen digitalen Bauwerksdiagnostik verdeutlicht werden. Er soll helfen, das Verständnis für und Vertrauen in bauwerksdiagnostische Untersuchungen auf Seiten der Bauherren und Anlagenverantwortlichen zu stärken. Der Beitrag erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern schildert ausgewählte, aktuelle Erfahrungen der Autoren im Umgang mit Ingenieurbauwerken und den dabei anfallenden Diagnostikdaten. 2. Begriffsbestimmung Regelmäßig, ob im Zusammenhang mit Projekten oder auch Veröffentlichungen, wird deutlich, dass innerhalb der Ingenieurbranche kein gemeinschaftliches Verständnis von Bauwerksdiagnostik existiert. Eine Adaption überspannender Definitionen ist teilweise möglich: Diagnostik meint dementsprechend die Identifikation der Ursache und Herkunft bestimmter Zustände (in Anlehnung an [5]). Diese Definition schließt jedoch artverwandte Ingenieurdisziplinen, wie beispielsweise die normativ geregelt Bauwerksprüfung nach DIN 1076 [6] sowie das Bauwerksmonitoring, inhaltlich ein. Im nachfolgenden Tagungsbeitrag und Kontext der Straßen- und Bahnbrücken meint Bauwerksdiagnostik daher konkret: - die Anwendung einer Vielzahl von zerstörungsfreien, zerstörungsarmen und zerstörenden Untersuchungen mit dem Ziel einer ganzheitlichen Bewertung von Bauwerken - anlassbezogene Untersuchungen, die ortsdiskret erfolgen, in der Tiefe jedoch im Allgemeinen über den Umfang einer Bauwerksprüfung hinausgehen (Abgrenzung Bauwerksprüfung) - anlassbezogene Untersuchungen, die zu konkreten Untersuchungszeitpunkten, aber oft mehrstufig über die Lebensdauer eines Bauwerks, erfolgen (Abgrenzung Bauwerksmonitoring) Eine Besonderheit stellt in Verbindung mit Brücken auf Bundesfernstraßen die Objektbezogene Schadensanalyse (OSA) entsprechend [7] dar. Die OSA entspricht einer schadensbezogenen Bauwerksdiagnostik, die im Ergebnis einer Bauwerksprüfung angeordnet wird und deren Resultate unmittelbar Eingang in die Zustandsnoten des Bauwerks finden. 3. Status quo Das Image der Bauwerksdiagnostik ist teilweise verstaubt und überholt. Mitunter kursieren Vorurteile bezüglich des Erfordernisses diagnostischer Untersuchungen und insbesondere der damit verbundenen Eingriffe in die Bausubstanz. Dabei kann eine Vielzahl von invasiven Untersuchungen mittlerweile durch zerstörungsfreie Prüfverfahren (Zf P-Verfahren) ergänzt oder gar substituiert werden. Die Einsatzbereiche, und verbunden mit der wachsenden Erfahrung auch die Akzeptanz, nehmen stetig zu [8]. Eine tatsächliche Herausforderung, mit der die Bauwerksdiagnostik sowie artverwandte Fachgebiete der Bestandsbewertung und -erkundung zu kämpfen haben, ist die 5. Brückenkolloquium - September 2022 91 Digitale Transformation der Bauwerksdiagnostik heterogene sowie dezentrale Dokumentation und Datenablage. Insbesondere bei komplexen Ingenieurbauwerken entstehen über den Lebenszyklus unterschiedlichste Gutachten, beispielsweise im Rahmen objektbezogener Schadensanalysen oder in Zusammenhang mit Erhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen. Aufgrund des geringen Standardisierungsgrades und der gegenwärtig schwachen Normenlage können Art, Umfang und Qualität der Gutachten sehr stark voneinander abweichen. Daraus folgend sind in der Vergangenheit durchgeführte Untersuchungen teilweise nicht rückführbar und damit nur bedingt verarbeitbar. Auch eine Verknüpfung unterschiedlicher Daten und Datenquellen miteinander wird dadurch deutlich erschwert [4]. Verstärkt wird diese Problematik durch die bisher übliche Dokumentation in Form von Untersuchungsberichten oder -protokollen, welche häufig nur in Papierform bei den Anlagenverantwortlichen vorliegen. Eine umfassende und überspannende Konsultation der zustandsrelevanten Daten ist unter diesen Randbedingungen kaum möglich. 4. Potenziale bauwerksdiagnostischer Untersuchungen Bauwerksdiagnostische Untersuchungen und deren Ergebnisse können auf unterschiedlichste Weise zu einer optimierten Bewertung von Ingenieurbauwerken beitragen. Insbesondere im Hinblick auf die sich weiter zuspitzende Klima- und Ressourcenkrise stellt Bauwerksdiagnostik ein wichtiges und vielfältiges Werkzeug im Umgang mit bestehenden Bauwerken dar. Denn die ressourcenschonende Verlängerung der Nutzungsdauer von Bestandsbauwerken erfordert eine möglichst umfassende Bewertungsgrundlage, um den Ansprüchen an Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit gerecht zu werden. Ein Kernziel diagnostischer Untersuchungen ist in der Regel die Ermittlung von realitätsnahen Bestands- und Zustandsinformationen über den rein visuellen Eindruck hinaus: Es wird ein Blick ins Bauteilinnere geworfen (beispielsweise mithilfe von Radarmessungen zur Erkundung der tatsächlichen Lage von Spanngliedern und Bewehrung entsprechend Abbildung 3). Dieser Einblick über den Oberflächenzustand hinaus ermöglicht es, Material- und Gefügeeigenschaften der unterschiedlichsten Baustoffe qualitativ und quantitativ zu erfassen, anstatt sie anhand von Bestandsunterlagen abzuschätzen. Darüber hinaus können verdeckte Schäden und Mängel erkundet werden, welche an der Oberfläche (noch) nicht sichtbar sind. Bei bereits aufgetretenen Schäden liefern bauwerksdiagnostische Untersuchungen oft wesentliche Grundlagen für die Bewertung der Schadensursache oder des Schadensverlaufs und tragen damit auch zu einer Optimierung der zur Zustandsverbesserung erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen bei (siehe auch [9]). Beispielhafte Anwendungsfälle der Bauwerksdiagnostik sind: der Abgleich der gebauten Realität mit vorhandenen Planungs- oder Ausführungsunterlagen, die Erfassung von (inneren) Konstruktionen und Materialeigenschaften bei fehlenden Bestandsunterlagen, die Ermittlung von tatsächlichen Materialeigenschaften zur Präzisierung der Eingangsparameter rechnerischer Bewertungen die Beurteilung der Dauerhaftigkeit von Bauteilen und Baustoffen als Grundlage für die Planung von Erhaltungsmaßnahmen oder auch die Erfassung von Zuständen zur Prognostizierung von Schadensverläufen und Restnutzungsdauern. Verbunden mit der Weiterentwicklung der zerstörungsfreien Prüfverfahren und dem zunehmenden Digitalisierungsdruck in der Baubranche können die vorhandenen Potenziale der Diagnostikdaten für die Bestandsbewertung zunehmend besser genutzt werden. Die weitere Verlängerung der Wertschöpfungskette von diagnostischen Daten ist bereits Bestandteil verschiedener Forschungsansätze (siehe auch [10] und [11]) und wird auch in den kommenden Jahren einen Forschungsschwerpunkt bilden. Abbildung 3: Zerstörungsfreie Radarmessungen zur Erkundung von Spannglied- und Bewehrungsverläufen, Auf bauten und Gefügeeigenschaften 5. Herausforderungen der Digitalisierung Die digitale Transformation der Diagnostik ist richtig und relevant, aber in keinem Fall trivial. Die wohl größte Herausforderung in diesem Zusammenhang ist die generell schwache Normenlage, die unterschiedlichste Begriffsdefinitionen, Methodiken und inhaltliche Schwerpunkte bedingt. Man könnte sagen, dass der Diagnostik innerhalb des Bauingenieurwesens eine gemeinsame Sprache fehlt. Um nachhaltige, interoperable Werkzeuge für die Datenverarbeitung und -bereitstellung zu entwickeln, bedarf es jedoch einer gewissen Standardisierung oder zumindest Harmonisierung. Das betrifft neben Bezeichnungen und Definitionen unter anderem auch Datentypen oder Dateiformate (siehe auch [12]). Ein standardisiertes Datenmodell für die Bauwerksdiagnostik existiert bisher nicht, erste Anregungen dafür gibt es jedoch in der artverwandten Disziplin der Baugrunderkundung [13]. Die Entwicklung eines solchen Datenmodells ist eine wesentliche Voraussetzung für die interoperable Verwendung von Diagnostikdaten im Kontext von BIM und Digitalen Zwillingen. 92 5. Brückenkolloquium - September 2022 Digitale Transformation der Bauwerksdiagnostik Einen Stolperstein auf dem Weg zur Standardisierung von Diagnostikdaten stellen insbesondere die Messdaten der zerstörungsfreien Prüfverfahren dar. Art und Umfang deren Dokumentation sind sehr heterogen, ebenso die Ausgabeformate der unterschiedlichen Gerätehersteller. Teils werden proprietäre Dateiformate verwendet und die Schnittstellen der herstellerspezifischen Auswertesoftwares sind sehr begrenzt. Eine Konvertierung der Messdaten in ein einheitliches, offenes Dateiformat ist teilweise möglich, beispielsweise durch teilautomatisierte Algorithmen (siehe auch [12]). Eine weitere Schwierigkeit stellt darüber hinaus die Digitalisierung bereits in der Vergangenheit erhobener Diagnostikdaten dar. Idealerweise können in Zukunft auch solche zustandsrelevanten Daten für Auswertungs- und Bewertungsmethoden herangezogen werden, die gegenwärtig noch unstrukturiert, dezentral und vorwiegend analog bei den Bauherren sowie Anlagenverantwortlichen vorliegen. Dafür bedarf es jedoch technologischer Hilfsmittel zur nachträglichen Digitalisierung derartiger Dokumente. Die vorgenannten Herausforderungen hemmen gegenwärtig noch die umfängliche Nutzung der Potenziale diagnostischer Daten, sind jedoch in keinem Fall unüberwindbar. Ein wichtiger Baustein für die erforderlichen Entwicklungen und Weiterentwicklungen ist die Umsetzung interdisziplinärer Pilot- und Forschungsprojekte sowie der Eingang dieser Fragestellungen in die Arbeitskreise und Gremien. 6. Einblicke in die Praxis Durch Marx Krontal Partner wurden in den vergangenen Jahren unterschiedliche Ansätze zur digitalen Transformation der Diagnostik erprobt. Eine Auswahl dessen soll nachfolgend dargestellt werden. Ziel ist die Darstellung der Möglichkeiten und des Mehrwerts einer digitalen Bauwerksdiagnostik. Dabei wird zwischen unterschiedlichen, praxisrelevanten Anwendungsfällen des Bauens im Bestand und insbesondere im Kontext von Ingenieurbauwerken unterschieden. 6.1 Anwendungsfall: Datenerfassung und Dokumentation Die strukturierte und einheitliche Datenerfassung ist die wesentliche Grundlage für alle denkbaren Datenverarbeitungsprozesse. Um dieser Forderung gerecht zu werden, wurde mit dem Forschungsprojekt Digitale Bauwerksdiagnose (Thüringer Auf baubank, FKZ 2019 FE 9114, MKP GmbH/ Fachhochschule Erfurt/ Bau-Consult Hermsdorf GmbH), ein digitales Erfassungstool für die Dokumentation von Diagnostikdaten vor Ort, im Labor oder auch im Büro entwickelt. Herzstück dieses Erfassungstools ist ein prototypisches Datenmodell für Diagnostikdaten, fokussiert bisher jedoch auf Ingenieurbauwerke aus Stahl- und Spannbeton. Innerhalb des hierarchischen Datenmodells sind IDs, Bezeichnungen, Datentypen und Beziehungen definiert. Eine grundlegende Variante des Erfassungstools wurde zunächst mittels Microsoft Access umgesetzt, womit vergleichsweise schnell und einfach Formulare zu den zugrundeliegenden Tabellen einer Datenbank erstellt werden können (siehe exemplarisch Abbildung 4). Im Praxiseinsatz wurde die Variante als nutzerfreundlich sowie intuitiv bewertet und die Vorteile gegenüber der ursprünglichen Dokumentation auf Papierprotokollen einschließlich der sich anschließenden fehleranfälligen Digitalisierungsschritte wurden sehr deutlich. Es zeigten sich jedoch auch Herausforderungen hinsichtlich der kollaborativen Bearbeitung und Kompatibilität mit unterschiedlichen mobilen Endgeräten. Eine darauf aufbauende Variante des Erfassungstools, welche webbasiert und hersteller- und geräteunabhängig laufen wird, befindet sich aktuell in der Entwicklung. Abbildung 4: Erfassungstool, Variante Microsoft Access (lizenzpflichtig) 6.2 Anwendungsfall: Fehlende Bestandsunterlagen Fehlende Bestandsunterlagen stellen keine Ausnahme dar. Verbunden mit der vorbeschriebenen, oft dezentralen und papiergebundenen Ablage, besitzen bauzeitliche Pläne auch rein physisch eine sehr heterogene Qualität. Die Durchführung bauwerksdiagnostischer Untersuchungen zur Kompensation unzureichender Bestandsinformationen ist daher ein typischer Anwendungsfall. Am Beispiel eines Stegabschnittes mit Spanngliedkoppelstelle einer zurückgebauten Spannbetonbrücke wurden unterschiedliche Möglichkeiten der äußeren und inneren Bestandserfassung erprobt, kombiniert und hinsichtlich ihres Mehrwerts für die Bestandsbewertung betrachtet. Die Erfassung der äußeren Geometrie des Bauteils erfolgte in Form eines Laserscans. Die aktuell auf dem Markt verfügbare Technik ermöglicht es, sehr schnell und unkompliziert einfache Punktwolkenmodelle zu erstellen. Die Punktwolke bildete eine Grundlage des Bestandsmodells und kann neben geometrischen Parametern auch Aufschluss über den oberflächlichen Bauteilzustand geben, da neben der Lage der Punkte auch Farb- und Bildinformationen erfasst werden (siehe Abbildung 5 links oben). 5. Brückenkolloquium - September 2022 93 Digitale Transformation der Bauwerksdiagnostik Abbildung 5: Beispielhafte Darstellung der Visualisierung von Diagnostikdaten (Spanngliedverlauf, Bewehrungsverteilung) anhand des Stegabschnittes Darüber hinaus sind zerstörungsfreie magnetinduktive, Radar- und Ultraschallmessungen zur Erkundung der Lage der Bewehrung und Spannglieder am gesamten Bauteil erfolgt. Die resultierenden Messdaten wurden teilautomatisiert in ein 3-D-Modell des Stegabschnittes übertragen, welches aus der Punktwolke abgeleitet wurde. Auf bauend darauf hat der Nutzer die Möglichkeit, beispielsweise die Gleichmäßigkeit der Bewehrungsverteilung oder die Anordnung der Spannglieder im Bereich der Koppelstelle realitätsnah zu begutachten (siehe Abbildung 5 links und mittig unten). In einem nächsten Schritt wurden die bereits vorhandenen Erkenntnisse zum Verlauf der Bewehrungselemente mit zusätzlichen Betondeckungsmessungen grafisch überlagert. Auf Basis einer definierten Legende wurde dadurch auf einen Blick erkennbar, welche Bauteilbereiche aufgrund einer ungenügenden Betondeckung eine tendenziell verminderte Dauerhaftigkeit aufweisen. 6.3 Anwendungsfall: Eingangsparameter für die Planung im Bestand Im Zuge der Bahnstrecken sowie des Verantwortungsbereiches der Deutschen Bahn existieren vielzählige Ingenieurbauwerke, deren Erhalt und Weiterbetrieb wertvolle Ressourcen schonen. Eine Besonderheit gegenüber den Straßenbrücken stellen in diesem Zusammenhang die vielen Tausend Mauerwerksbrücken im Bestand der Deutschen Bahn dar. Nicht selten finden sich darunter Gewölbebogenbrücken, die bereits 100 Jahre und älter sind, und nach wie vor zuverlässig ihren Dienst erfüllen (siehe beispielsweise [14]). Bei der Bewertung, und erforderlichenfalls auch Ertüchtigung, von Gewölbebogenbrücken sind unter anderem Aussagen zum Auf bau, zu verwendeten Baustoffen und deren Eigenschaften erforderlich. Zur Erkundung der Bestandsbauwerke kommen in diesem Zusammenhang häufig zerstörungsarme Kern- und Sondierungsbohrungen zum Einsatz. Erfahrungsgemäß können aus den dabei entnommenen Bohrkernen jedoch nur bedingt Aussagen zum Zustand des inneren Gefüges getroffen werden. Gründe dafür sind beispielsweise das Zerschlagen von vergleichsweise weichen Baustoffen beim Bohrvorgang oder auch das Ausspülen geringfester Bestandteile im Zuge von Nassbohrungen. Das Ergebnis: Bei der visuellen Begutachtung der entnommenen Bohrkerne kann mitunter der Eindruck entstehen, dass bspw. großformatige Fehlstellen im Bauwerk vorhanden sind. Zur Kompensation dieser Unschärfe bei der Bewertung der Proben werden oft ergänzende videografische bzw. videoendoskopische Befahrungen der Bohrkanäle durchgeführt. Der Aufwand bei der manuellen Befahrung sowie Dokumentation vor Ort und insbesondere der Auf bereitung und Ergebnisdarstellung im Nachgang ist hoch. Darüber hinaus wird meist nur ein Teil des Bohrkanals auf den erzeugten Fotos und Videos deutlich, da den Kameraobjektiven der Rundumblick fehlt. Im Rahmen des Forschungsprojektes SI-Modeling (mFUND des BMDV, FKZ 19F2175A, MKP GmbH) wurde prototypisch der Einsatz eines Bohrkanalscanners aus der Geotechnik für die Dokumentation von Bohrkanälen in der Bauwerksdiagnostik erprobt. Mithilfe des Scanners kann am Bauwerk eine 360°-Aufnahme des Bohrkanals erfolgen. Als Ergebnis wird im Nachgang eine fotorealistische Abwicklung des Bohrkanals erzeugt. Diese kann weiterverwendet werden, um beispielsweise Auf bauten/ Materialien und etwaige Gefügeschäden zu kartieren oder kann zur Visualisierung des Bauwerksinneren als Grundlage für die Übertragung in 94 5. Brückenkolloquium - September 2022 Digitale Transformation der Bauwerksdiagnostik 3-D-Modelle dienen (siehe exemplarisch Abbildung 6). Das Verfahren wurde im Rahmen des Forschungsprojektes sowohl an Laborprobekörpern als auch an einer realen Bahnbrücke erprobt. Die zusammenhängende Visualisierung des inneren Gefüges kann gegenüber der videoendoskopischen Befahrung deutlich Punkten. Wenngleich der Nachbereitungsaufwand in Abhängigkeit der konkreten Ziel-/ Aufgabenstellung dennoch relativ hoch sein kann, wird die Rückführbarkeit der Bewertungen erhöht und die Fehleranfälligkeit bei der Dokumentation vor Ort merklich reduziert. Abbildung 6: 3D-Modell eines Bohrkerns mit einer Oberflächentextur aus der fotorealistischen Abwicklung des Bohrkanals sowie der Kartierung von Rissen und Gefügen 6.4 Anwendungsfall: Rückbau von Talbrücken Der Rückbau von Talbrücken ist eine ingenieurtechnische Herausforderung [15]. Zur Minimierung der Risiken bei Planung, Ausschreibung und Ausführung des Rückbaus sind möglichst realitätsnahe Bestands- und Zustandsinformationen erforderlichen. Diagnostische Untersuchungen bieten dafür umfangreiche Möglichkeiten, die rückzubauenden Bauwerke zerstörungsfrei und zerstörungsarm zu erkunden (siehe dazu auch [16]). In der Regel gibt es drei Aspekte der Bauwerksdiagnostik als Grundlage für die Rückbauplanung: - Chemisch-physikalische Untersuchungen, geometrische Untersuchungen und statisch-konstruktive Untersuchungen. Die chemisch-physikalischen Untersuchungen dienen der umfassenden Grundlagenermittlung für die Planung von Entsorgung und Verwertung der Baustoffe nach dem Rückbau. Die geometrischen Untersuchungen dienen in erster Linie einem Soll-Ist-Abgleich zwischen der bauzeitlichen Planung und dem realen Bestandsbauwerk. Der Abgleich kann sowohl lokal anhand markanter Punkte erfolgen (bspw. Durchdringungen, ausgewählte Abwicklungen, o. Ä.) als auch mithilfe von 3-D-Modellen des gesamten Bauwerks (As-Maintained-Modell). Sie können als eine Grundlage für die Ermittlung des Eigengewichtes und darauf auf bauend die Anpassung des zugehörigen Teilsicherheitsbeiwertes dienen. Die statisch-konstruktiven Untersuchungen bilden im Allgemeinen den umfangreichsten Teil der Bauwerksdiagnostik für den Rückbau. Eine essenzielle Fragestellung ist dabei die Ermittlung der physikalischen Materialeigenschaften für die Nachweisführung. Dabei besteht nicht nur die Frage nach einer rechnerischen Festigkeit, sondern auch nach deren Streuung bzw. Verteilung (siehe auch [17]). Am Beispiel zweier Spannbetontalbrücken wurde in diesem Kontext für die Ermittlung der Betondruckfestigkeit ein stufenweises Vorgehen erprobt: Um einen Überblick über den Beton des Gesamtbauwerks zu erhalten, ohne dabei massive Eingriffe in die Bausubstanz vorzunehmen, wurden in einer ersten Stufe teilflächige zerstörungsfreie Ultraschalllaufzeitmessungen, verteilt in Längs- und Querrichtung, durchgeführt. Unter Berücksichtigung der Querschnittsdicken sind anhand der Ultraschalllaufzeit bzw. -geschwindigkeit Rückschlüsse auf das Betongefüge und die Betonqualität möglich. Die teilflächigen Messungen sollen Aufschluss darüber geben, ob das Betongefüge (und damit verbunden die Betondruckfestigkeit) eher homogen ist oder ob es Anzeichen für systematische Inhomogenitäten oder Ausreißer gibt. Für die Visualisierung dieser Daten erwiesen sich Farbstufengrafiken (Heatmaps) als geeignet. Darüber hinaus kann eine grafisch-statistische Aufbereitung in Form von Histogrammen sowie Boxplots hilfreich sein, um potenziell unterschiedliche Grundgesamtheiten zu identifizieren. Wie bspw. in Abbildung 7 auf bereitet, bilden die zerstörungsfrei erfassten Daten eine geeignete Grundlage für die visuelle Erfassung vergleichsweise großer Datenmengen und daraus auf bauend Auswahl konkreter Probeentnahmestellen sowie Probeentnahme zur Ermittlung der Betondruckfestigkeit entsprechend DIN EN 13791 [18] in der zweiten Stufe. Abbildung 7: vergleichende grafische Darstellung teilflächiger Ultraschalllaufzeitmessungen in entlang eines Brückenfeldes in Form von Farbstufengrafiken Da in Abhängigkeit der Größe und Komplexität der rückzubauenden Talbrücken schnell große Datenmengen entstehen, wurde deutlich, dass eine manuelle grafische Auf bereitung nicht nur fehleranfällig ist, sondern auch umfangreiche personelle Ressourcen bindet. Um dem entgegenzutreten, wurden das im Rahmen des Forschungsprojektes Digitale Bauwerksdiagnose entwickelte Erfassungstool und ergänzende Auswertealgorithmen angewendet. Mit Hilfe der Algorithmen wurden beispielsweise die erfassten Ultraschalllaufzeiten mit den sich veränderten Stegdicken (vertikale und horizontale Aufvoutungen der Brückenstege) in Ultraschallgeschwin- 5. Brückenkolloquium - September 2022 95 Digitale Transformation der Bauwerksdiagnostik digkeiten umgerechnet, welche miteinander vergleichbar sind. Die Algorithmen ermöglichen eine grafisch sowie statistische Auswertung für beliebig viele Datensätze. Ebenfalls ist die Ermittlung der tatsächlichen Betondruckfestigkeit auf Grundlage der DIN EN 13791 möglich. Im Rahmen des Forschungsprojektes wurde dies prototypisch mit einer Art Baukastenprinzip umgesetzt. Der Nutzer kann wählen, ob er nur direkte (Bohrkernentnahme) oder auch indirekte Prüfverfahren (Ultraschalllaufzeitmessung) verwenden will, ob die Bewertung anhand einer logarithmischen Normalverteilung erfolgen soll oder auch in welcher Form die Ergebnisse grafisch und numerisch ausgegeben werden sollen. In vergleichsweise kurzer Zeit lassen sich mithilfe dieses Algorithmus unterschiedliche Auswertekonfigurationen vergleichend gegenüberstellen [4]. 6.5 Anwendungsfall: Digitaler Zwilling Digitale Zwillinge werden in Zukunft eine essenzielle Rolle im Umgang mit Bestandsbauwerken spielen und damit verbunden den Betrieb sowie die Erhaltung von Infrastrukturbauwerken maßgeblich beeinflussen. Der Digitale Zwilling strebt dabei an, ein digitales Abbild eines physischen Objekts zu sein, welches sich dynamisch mit der Realität verändert. Er spiegelt zu jedem Zeitpunkt den aktuellen Bauwerkszustand wider und berücksichtigt dabei unterschiedlichste Datenquellen, wie insbesondere die Ergebnisse der Bauwerksprüfung sowie Messdaten eines Dauermonitorings oder anlassbezogener diagnostischer Untersuchungen. Im Projekt smartBRIDGE Hamburg wurde am Beispiel der Köhlbrandbrücke neben der Pilotierung eines Digitalen Zwillings für Ingenieurbauwerke auch die Integration von Diagnostikdaten prototypisch umgesetzt [12] [19]. Ein Kernziel von smartBRIDGE Hamburg ist die bedarfsgerechte und nutzerspezifische Visualisierung und Bereitstellung von fachlichen Informationen. Für die Bauwerksdiagnostik wurde dieses Ziel über ein mehrstufiges Drilldown erfüllt: Vom Bauwerk bzw. von der Bauteilgruppe aus gelangt man in erster Instanz auf die Ebene der Untersuchungsziele. Diese sind konstruktiv geprägt und dienen einer überspannenden Filterung (bspw. Untersuchungsziel Bestands- und Zustandserfassung Spannglieder). Von den Untersuchungszielen aus gelangt man zu den einzelnen Untersuchungsstellen (bspw. Sondierungsöffnung Spannglied), vergleichbar mit Messstellen eines Monitorings. Je Untersuchungsstelle werden unmittelbar die erfassten Parameter sowie Basisinformationen angezeigt, welche vor Ort erkundet wurden (siehe Abbildung 8). Abbildung 8: Einblick in smartBRIDGE Hamburg | conditionCONTROL Die detaillierten Untersuchungsergebnisse kann man in einer Expertenumgebung einsehen, der tiefsten Ebene des Drilldown. In smartBRIDGE Hamburg wird diese Ebene durch structureVIEW dargestellt: Einer fotorealistischen 360°-Umgebung des Bauwerks, in welcher die Untersuchungsstellen verortet sind und die Ergebnisse quasi auf der Wandoberfläche visualisiert werden können (siehe Abbildung 9). Der Nutzer kann sich in structureVIEW frei bewegen und die Ergebnisse verschiedener Untersuchungsstellen gemeinsam bewerten. Für den intuitiven Datenzugriff vor Ort wurde darüber hinaus eine prototypische AR-Anwendung entwickelt, mithilfe welcher beispielsweise ein Bauwerksprüfer vor Ort einen Überblick zu Art, Lage und Anzahl vorhandener Untersuchungsstellen, aber auch Schäden der Bauwerksprüfung sowie Messstellen eines Monitorings erhält. Abbildung 9: Einblick in smartBRIDGE Hamburg | structureVIEW Ein weiterer zentraler Aspekt von smartBRIDGE Hamburg ist die mehrstufige Aggregation fachlich komplexer Daten zu intuitiv verständlichen Zustandsindikatoren [12] [20]. Neben Messdaten eines Monitorings bilden Diagnostikdaten eine Grundlage für die Entwicklung von Zustandsindikatoren. Dies wurde anhand des Partial Condition Indicators (PCI) Korrosionsrisiko gezeigt. Der PCI Korrosionsrisiko berücksichtigt Diagnostikdaten zur Beschreibung des realen Referenzzustandes aus Sondierungskernbohrungen (Betondeckung, Carbonatisierungstiefe, bewehrungsnaher Chloridgehalt, 96 5. Brückenkolloquium - September 2022 Digitale Transformation der Bauwerksdiagnostik usw.) sowie Messdaten aus der dauerhaften Erfassung der bauwerksklimatischen Verhältnisse (Bauteiltemperatur, Lufttemperatur, relative Luftfeuchte). Im Ergebnis der Aggregation steht die Bewertung eines qualitativen Korrosionsrisikos und dessen Auswirkungen auf die Dauerhaftigkeit des Bauwerks. Im Falle eines hohen Korrosionsrisikos erhält der Anlagenverantwortliche im Digitalen Zwilling eine Meldung und die Möglichkeit, die Ursache dafür zu erkunden, um mögliche Gegenmaßnahmen einzuplanen. Die Umsetzung des PCI dient als proof of concept für die Integration von Diagnostikdaten in eine Echtzeit-Zustandsbewertung und bildet eine Basis für die Weiterentwicklung von Zustandsindikatoren auf Grundlage bauwerksdiagnostischer Untersuchungen. 7. Fazit Die vorgenannten Anwendungsbeispiele zeigen, dass mithilfe digitaler Methoden und Technologien deutliche Mehrwerte bei der Wertschöpfung aus Diagnostikdaten generiert werden können. Eine digitale Bauwerksdiagnostik kann dazu beitragen, zustandsrelevante Daten verständlicher, zugänglicher und damit auch nachhaltiger für alle am Prozess der Bestandsbewertung beteiligten Nutzer zu machen. Neben den Vorteilen wurden auch bereits erkennbare Herausforderungen der digitalen Transformation beschrieben, welche jedoch keine unüberwindbaren Hürden darstellen und teilweise bereits jetzt in aktuellen Forschungs- und Entwicklungsvorhaben angegangen werden. Literatur [1] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Masterplan BIM Bundesfernstraßen. September 2021. [2] Deutsche Bahn AG: BIM-Strategie - Implementierung von Building Information Modeling (BIM) im Vorstandsressort Infrastruktur der Deutschen Bahn AG, 2022. [3] Bundesanstalt für Straßenwesen, Brückenstatistik, Datum 17.11.2021 https: / / www.bast.de/ DE/ Statistik/ Bruecken/ Brueckenstatistik.html [4] Schacht, G., Fritsch, C., Voigt, C., Ewert, E. and Arndt, R. (2022), Structural Information Modeling - Die digitale Transformation der Bauwerksdiagnostik. Bautechnik 99 (3), S. 213-221, 2022. [5] Stevenson, A.: Oxford Dictionary of English. Oxford University Press, 2010. [6] Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN 1076 Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung. Beuth Verlag, Berlin, November 1999. [7] BMVI (2007) Leitfaden Objektbezogene Schadensanalyse (OSA), Bonn. [8] Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein e. V.: DBV-Merkblatt „Anwendung zerstörungsfreier Prüfverfahren im Bauwesen“. Berlin, Fassung Februar 2014. [9] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Leitfaden zur Prüfung von Instandsetzungs- und Ertüchtigungsmaßnahmen an Ingenieurbauwerken (Abgrenzung Ersatzneubau), RPE-ING, Stand 2020/ 12 [10] Küttenbaum, S., Maack, S., Braml, T., Taffe, A. and Haslbeck, M. (2019), Bewertung von Bestandsbauwerken mit gemessenen Daten. Beton- und Stahlbetonbau 114 (6), S. 370-382, 2019. [11] Küttenbaum, S., Maack, S., Braml, T., Taffe, A. and Strübing, T. (2021), Bewertung von Bestandsbauwerken mit gemessenen Daten, Teil 2. Beton- und Stahlbetonbau 116 (3), S. 183-199, 2021. [12] Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein e. V.: Digitaler Zwilling - Strategie für den Bestandserhalt. DBV-Heft 51. Fassung Oktober 2021, Veröffentlicht 2022 [13] Beck, J. und Henke, S.: Building Information Modeling - zur Attribuierung des Fachmodells Baugrund. Bautechnik 98 (12), S. 953-961, 2021. [14] Hering, E., Lorenz, E., Meichsner, E., Schwedes, R., Herrmann, T. and Bösche, T. (2022), Das Heiligenborner Viadukt - 170-jähriges Eisenbahnviadukt - fit gemacht für den nächsten Nutzungsabschnitt. Beton- und Stahlbetonbau 117 (3), S. 206-216, 2022. [15] Schacht, G., Müller, L., Kromminga, S., Krontal, L. and Marx, S. (2018), Tragwerksplanung beim Rückbau von Spannbetonbrücken. Bautechnik 95 (1), S. 6-15, 2018. [16] 5. Brückenkolloquium der Technischen Akademie Esslingen, Tagungsbeitrag: Rückbau von Spannbetonbrücken - der Bauwerkszustand als Herausforderung für die Rückbauplanung [17] Gebauer, D., Schmidt, B., Schacht, G. and Marx, S. (2021), Beurteilung der Festigkeitseigenschaften bestehender Talbrücken aus Spannbeton. Beton- und Stahlbetonbau 116 (2), S. 76-88, 2021. [18] Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN EN 13791: 2020-02 Bewertung der Druckfestigkeit von Beton in Bauwerken und in Bauwerksteilen. Beuth Verlag, Berlin, Februar 2020. [19] Ullerich, C.; Grabe, M.; Wenner, M.; Herbrand, M.: smartBridge Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings. Bautechnik 97 (2), S. 118-125, 2020. [20] Herbrand, M.; Lazoglu, A.; Ullerich, C.; Marx, S.; Zehetmaier, G.: Aggregation von Zustandsindikatoren aus Inspektions- und Monitoringdaten im Brückenbau. Bautechnik 99 (2), S. 95-103, 2022. 5. Brückenkolloquium - September 2022 97 BIM aus Sicht einer öffentlichen Auftraggeberin Von BIM zu DIM Ing. Sabine Hruschka ASFINAG (Autobahn- und Schnellstraßen Finanzierungs Aktiengesellschaft), Wien, Österreich Zusammenfassung Unsere Zukunft ist digital und BIM ist aus unserem Unternehmen nicht mehr wegzudenken. Im Jahr 2016 wurden die ersten 4 BIM-Pilotprojekte gestartet. Heute - 2022 - ist die Pilotierungsphase bereits seit über einem Jahr abgeschlossen. BIM ist in der Unternehmensstrategie verankert, umfangreiche Standards und neue Leistungsbilder liegen vor, eine eigene BIM-Datenstruktur und dazugehörige Modelliervorgaben wurden erarbeitet. Auch der Prozess für die Brückenprüfung mit BIM wurde bereits erarbeitet. Wie wir diesen Weg beschritten haben und welche Anforderungsstandards an unsere Auftragnehmer gestellt werden, berichten wir gerne. Im Vortrag geben wir auch Einblicke, wie die ASFINAG als eine der größten Infrastrukturbetreiberinnen Österreichs mit ihren Daten zukünftig umgeht und wie BIM die dazugehörigen Prozesse verändert. Ausgangssituation Mit lediglich 4 Projekten hat die ASFINAG 2016 erste BIM-Erfahrungen gesammelt. Diese dafür gegliedert in Brücken-, Straßen- und Tunnelbau. Erste Learnings haben gezeigt, dass BIM auch für die ASFINAG Vorteile bringt und diese auch im Rahmen der kooperativen Projektabwicklung von wesentlichen Nutzen sein kann. Von BIM zu DIM DIM steht für Digitalisierung im Infrastrukturmanagement. Dahinter steht ein langfristiges Projekt, um ein nachhaltiges Datenmanagement zu erarbeiten. Mittlerweile laufen mehr als 20 Projekte mit BIM in der ASFI- NAG. Wie in diesen Projekten und auch danach mit den Daten umzugehen ist, um keine Datenfriedhöfe zu erzeugen, wird in DIM neu gedacht. Schlussendlich sollen die relevanten Daten den Weg in die Erhaltung finden und danach wieder retour in die nächste Planungsphase. Dazu hat die ASFINAG gesellschaftsübergreifend eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die für ein nachhaltiges, durchgehendes und aktuelles Datenmanagement verantwortlich ist. Eine angepasste Datenstruktur ist dafür eine wesentliche Grundlage. Ebenso ist ein Prozess zu erarbeiten, wie sowohl die Daten als auch die Modelle über die Erhaltungsphase aktuell gehalten werden. Die Brückenprüfung mit BIM Auch sämtliche Zustandserfassungen können zukünftig mit BIM abgewickelt werden. Die Schadenkartierung wird im tatsächlichen Ausmaß dargestellt, da dies umfangreiche Vorteile für die nachfolgenden Nutzer des Fachmodells darstellt. Auch können langfristig gesehen, entsprechende Maßnahmenableitungen und Grobkostenschätzungen für Sanierungsprojekte erstellt werden. Ausblick Grundsätzlich soll BIM in den Projekten der ASFINAG Standard werden. Wie dieser Standard aussieht, ist noch in Erarbeitung. Möglichkeiten sind von der digitalen Bestandsaufnahme bis hin zum vollumfänglichen BIM-Projekt. Wieviel BIM in den Projekten Sinn macht, ist aber projektspezifisch festzulegen. Eine standardisierte Festlegung wie zum Beispiel „alle Projekte mit mehr als einer Million Auftragssumme“ ist nicht angedacht. 5. Brückenkolloquium - September 2022 99 From Pixel to Pset Automatisierte Erstellung eines IFC-4-konformen Fachmodells Bauwerksprüfung aus einer digitalen Bauwerksinspektion unterstützt durch KI Dipl.-Ing. Peter Furtner VCE, Vienna Consulting Engineers ZT GmbH, Wien, Österreich B.Eng. (Honours), M. Sc.Arch. RAIA MIEAust Peter O’Brien VCE, Vienna Consulting Engineers ZT GmbH, Wien, Österreich Zusammenfassung Dieser Beitrag beschreibt eine technologische Lösung zur digitalen Bauwerksinspektion, welche den ganzen Prozess, beginnend mit der Bildaufnahme vor Ort, bis hin zum IFC-4 konformen Endergebnis umfasst. Im Detail umfasst der Prozess folgende Schritte: • Digitale Bildaufnahme des gesamten Objekts vor Ort • Automatisierte Erstellung eines 3-D-Modells aus den Bilddaten in Form einer texturierten Punktwolke • Generierung eines BIM Teilmodells Geometrie aus der Punktwolke • Vollautomatisierte Schadenserkennung in den Originalbildern mittels KI (pixelgenau) • Exakt Lagerichtige Verortung der Schäden am 3-D-Modell als Polylinie und Verknüpfung der Schäden mit zugehörigen Schadensinformation in einer Datenbank (Bsp. Risslänge, Rissbreite, Schadensfläche) • Vollautomatisierte Erstellung eines IFC-4 konformen Fachmodells Bauwerksinspektion. 1. Einleitung Ingenieurbauwerke (= Kunstbauten) haben Anforderungen hinsichtlich Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit zu erfüllen. Kunstbauten sind daher einer periodischen Inspektion zu unterziehen. Diesbezüglich gibt es in den meisten Ländern entsprechende Gesetze und Regelwerke. Beispielsweise sind dies in Deutschland die DIN 1076 und die RI-EBW-Prüf und in Österreich die RVS Reihe 13.03.XX. Der vorliegende Beitrag präsentiert einen Prozess für eine digitale Bauwerksinspektion, welche die normgerechte Brückenprüfung unterstützt und in weiterer Folge die Instandsetzung unterstützt, von der Planung bis hin zur Durchführung. Abb. 1: Testobjekt auf der A99 in Bayern Der gesamte Prozess wird Anhand des Brückenobjekts BW32/ 1 auf der A99 der Autobahndirektion Nordbayern anschaulich präsentiert. Das Projekt und die technologische Lösung sind beim internationalen buildingS- MART Wettbewerb 2021 in der Kategorie „Technology“ aus mehreren hundert Einreichungen von einer weltweiten Jury zum Sieger gekürt worden. 2. Digitale Bauwerksaufnahme und laufende Zustandsdokumentation mittels Photogrammmetrie und Künstlicher Intelligenz 2.1 Digitale Datenaufnahme Grundlage für eine digitale bildbasierte Inspektion ist die vollflächige Aufnahme des gesamten Bauwerks mit hochauflösenden Bildern nach vorgegebenen Qualitätskriterien und einer speziell dafür entwickelten Aufnahmemethode. Der Bauwerksprüfer kann diese Daten (Bilder) selbst aufnehmen oder optional Unterstützung von Experten für die Datenbeschaffung (Bildaufnahme) anfordern und auch beauftragen. Die Datenaufnahme erfolgt aus der Luft (mittels UAVs), zu Land und zu Wasser (mittels Boot), je nach Anforderung und Zugangsmöglichkeit. Die Datenaufnahme erfolgt dabei mittels hochwertiger Digitalkameras bzw. mittels 360°-Kameras. Die derart erfassten Daten werden nach dem Hochladen auf 100 5. Brückenkolloquium - September 2022 From Pixel to Pset einer Online-Plattform wie Strucinspect automatisiert auf ihre Vollständigkeit und Qualität geprüft und gesichert. Abb. 2: Beispiel texturiertes Modell (3-D-Zwilling) Die Datenqualität und Vollständigkeit ist essentiell für die weitere Bearbeitung, wie die AI-basierte Schadensanalyse sowie die Erstellung eines exakten Digitalen Zwillings. Deswegen wurde ein verbindlicher Qualitäts- und Schnittstellenkatalog mit harten Kriterien erarbeitet (z. B. Auflösung, Überlappung, GSD, Fokus Art) die jedenfalls erfüllt werden müssen, bevor die Daten zur Weiterverarbeitung akzeptiert werden. 2.2 Digitaler 3-D-Zwilling Aus den hochauflösenden digitalen Bildaufnahmen wird mittels photogrammetrischer Auswertung ein Millimetergenauer digitaler 3-D-Zwilling als texturierte Punktwolke oder als Mesh-Modell erstellt. Die Auswertung erfolgt mittels leistungsfähigem Cloudcomputing, um die Auswertung in kürzester Zeit zu ermöglichen. Dieser digitale Zwilling kann mit allen Projektbeteiligten über einen geschützten Zugang in der Cloud geteilt und auch gemeinsam bearbeitet werden. Eine Überlagerung mit einem BIM-Modell ist möglich. 2.3 AI-(Artificial Intelligence-)basierte Schadensanalyse Im nächsten Schritt erfolgt eine AI-basierte Schadenserkennung. Diese kann Risse, Abplatzungen, freiliegende Bewehrungen, die Korrosion von Bewehrungen, Rostfahnen, Hohlstellen, Feuchtigkeit, Kiesnester und Bemoosungen etc. mit einer Erkennungsrate (TPR) von 99,9 %, vollautomatisch erkennen. Neben der Erkennung und Markierung der Schäden in den Einzelbildern erfolgt auch eine automatische geometrische Analyse (z. B. Rissbreitenmessung, Bestimmung der Schadensfläche). Alle Schäden werden mit einer Polylinie pixelgenau erfasst und die exakte Geometrie und geometrische Verortung sowie die Art des Schadens in einer Datenbank gespeichert. Dabei können die gewünschten Genauigkeitskriterien und Klasseneinteilungen vorab festgelegt werden. So kann eine definierte Rissbreite von 0,1mm bei Spannbetonbauwerken und von 0,3mm bei Stahlbetonwerken vorgegeben werden. Unterbrochene, jedoch zusammengehörende Risse und Netzrisse werden als ein zusammenhängender Schaden erkannt, markiert und dokumentiert. Abplatzungen mit einer einstellbaren Mindestgröße werden ebenfalls automatisch von der AI als Schaden erkannt, markiert und vermessen. 2.4 Zuordnung und Visualisierung Mithilfe der AI werden die erkannten Schäden auf 2-D- Bildern (Originalbilder) und dem 3-D-Zwilling mit einer eigenen, eindeutigen Identifikationsnummer exakt georeferenziert dargestellt und dokumentiert. Wird derselbe Schaden auch auf weiteren Bildern und aus anderen Winkeln detektiert, erfolgt ein automatischer Abgleich und eine automatische Vereinigung und Zuordnung zu dieser Identifikationsnummer. Ein und derselbe Schaden, auch wenn dieser auf mehreren Bildaufnahmen detektiert wird, wird nur einmal in die Schadensdatenbank aufgenommen. 5. Brückenkolloquium - September 2022 101 From Pixel to Pset Abb. 3: Schadensanalyse am Bsp. A99 in Bayern Abb. 4: 3-D-Zwilling mit den am Objekt verorteten Schäden inkl. Mängel-I 102 5. Brückenkolloquium - September 2022 From Pixel to Pset Alle Schäden mit ihrer eindeutigen Identifikationsnummer sind absolut georeferenziert auf dem 3-D-Digitalen Zwilling verankert. Die Schadensinformationen, die originalen 2-D-Bilder und die von der KI durchgeführten Auswertungen sind über den 3-D-Zwilling durch Anklicken des Schadens zugänglich. 2.5 Befundung Alle gefundenen Schäden werden in der Datenbank gespeichert und können in 2-D und 3-D mit nur ein paar Klicks bearbeitet werden. Der Bauwerksprüfer kann Schadensempfehlungen und Bewertungen annehmen, modifizieren, erweitern oder ablehnen. Eventuelle Folgemaßnahmen können ebenfalls hinzugefügt werden. Durch den befugten Bearbeiter können Schäden und Informationen auch jederzeit bearbeitet werden. Schäden und sonstige Informationen können gelöscht (wenn nicht relevant) oder manuell hinzugefügt werden. Dies inkludiert eine Bewertung der schwere des Schadens / Mangels sowie die Zustandsbeurteilung des jeweiligen Bauteils und des Gesamtbauwerks durch den Bauingenieur. 2.6 Kollaboration - Zusammenarbeit und Teilen von Daten und Ergebnissen bis hin zum Asset- Management Die Bauwerksprüfer können ihren Projektpartnern, den Infrastrukturbetreibern, und auf Wunsch der Kunden auch anderen Service-Partnern definierten, vollen oder eingeschränkten Zugriff auf die generieten Ergebnisse gewähren und somit für höchste Transparenz sorgen und die Zusammenarbeit vereinfachen. Die Ergebnisse, welche eingesehen werden können, beinhalten Schadenskataloge, Ratings, (empfohlene) Maßnahmen und vieles mehr. Sämtliche Ergebnisse können außerdem als Schadensdatensatz, BIM-Datensatz oder als PDF-Bericht heruntergeladen werden. Auch die direkte oder indirekte Anbindung an bereits beim Kunden vorhandene Bauwerksdatenbanken und Asset-Management-Systemen ist zum einfachen Datenaustausch möglich. Ein übergeordnetes Management-Center ermöglicht jedem Nutzer einen einfachen Überblick über alle seine Projekte, Bauwerke und Daten. 3. Erstellung eines IFC-4-konformen As-Built BIM Teilmodells Geometrie und laufende Zustandsdokumentation IFC-4-konform als BIM Fachmodell 3.1 Von der Digitalen Datenaufnahme zu den BIM Teilmodellen Bauwerksgeometrie und zu Fachmodellen Bauwerksinspektion Die digitale Bauwerksinspektion, die KI-basierte Schadensdetektion, die Erstellung von 3-D-Geometriemodellen (Punktwolke und Mesh-Modell), die Schadensverortung am Objekt und die Dokumentation wurden bereits beschrieben. Ein noch größerer Mehrwert kann durch die Überführung all dieser Ergebnisse in IFC-konforme BIM-Modelle, genauer einem Teilmodell Bauwerksgeometrie und einem Fachmodell Bauwerksprüfung, erreicht werden. Diese As-Built-BIM-Modelle können als Grundlage für die Instandsetzungsplanung, die Bauausführung und die Dokumentation herangezogen werden. Durch fortlaufende digitale Aufnahmen und die Überführung in ein IFC-konformes Fachmodell Bauwerksinspektion können Veränderungen, wie z. B. Veränderung von Schäden oder ausgeführte Instandsetzungsmaßnahmen, laufend dokumentiert werden (4D-BIM). 3.2 Das Teilmodell Bauwerksgeometrie Die Erstellung eines Teilmodells Bauwerksgeometrie aus einer Punktwolke (die ein Ergebnis der photogrammetrischen Auswertung der digitalen Bauwerksaufnahme ist) stellt immer noch eine große Herausforderung dar. Eine manuelle Überführung durch den BIM-Modeller ist mit hohem Personalaufwand verbunden. Die vollautomatisierte Überführung ist nach aktuellem Stand bisher noch nicht möglich. Daher wird ein kombinierter Ansatz verfolgt. Im ersten Schritt erfolgt eine Segmentierung der Punktwolke zu Bauwerkselementen mit Unterstützung einer KI-Anwendung. Im zweiten Schritt wird diese Vorsegmentierung durch den Bearbeiter in ein Teilmodell Bauwerksgeometrie übergeführt. Maßgebend für den Aufwand ist die Wahl des LOD (Level of Detail). Aus Budgetgründen wird für die Erstellung der As-Built-Modelle aus der digitalen Bauwerksinspektion meist LOD 200 gewählt. Höhere Detailierungsgrade sind mit entsprechendem Mehraufwand möglich. 3.3 Das Fachmodell Bauwerksprüfung Das IFC-4-konforme Fachmodell Bauwerksprüfung wird mittels einer eigens dafür entwickelten Software auf Python Basis vollautomatisiert aus der Strucinspect Prüfergebnis-Datenbank abgeleitet. Dabei werden folgende Anforderungen erfüllt: • Übernahme der exakten Schadensgeometrie aus der Datenbank • Extrahierung der Geometrie normal zur Bauwerksoberfläche, um die Sichtbarkeit bei Verwendung mit Geometriemodellen sicher zu stellen • Übernahme sämtlicher Information zum Schaden aus der Datenbank • IFC-konformes Ergebnis, Software-neutral und nachhaltig • Verwendungsmöglichkeit des Fachmodells Bauwerksprüfung nicht nur mit BIM-Geometriemodellen, sondern auch mit rein geometrischen 3-D-Modellen, Punktwolken und Mesh-Modellen ist möglich. 5. Brückenkolloquium - September 2022 103 From Pixel to Pset Abb. 5: Teilmodell Bauwerksgeometrie am Bsp. A99 in Bayern 3.4 Ableitung von 2-D-Plänen Trotz der fortschreitenden Digitalisierung im Bauwesen sind in vielen Fällen noch 2-D-Bauwerksinspektionspläne erforderlich. Ohne digitale Bauwerksinspektion und dem daraus generierten Fachmodell Bauwerksprüfung ist die Erstellung solcher Pläne mit großem Aufwand verbunden. Die diesem Konzept zugrunde liegende Software ermögliche auch eine einfache Ableitung von 2-D Plänen aus dem Geometriemodell und dem Schadensmodell, wie nachfolgendes Beispiel zeigt. Mehrwert für den Infrastrukturerhalter 3.5 Mehrwert der digitalen Inspektion Im Vergleich zur herkömmlichen Bauwerksprüfung nach dem Stand der Technik ist die digitale Inspektion z. B. über die Strucinspect Plattform eine zeitsparende, effektive und effiziente Alternative. Wesentliche Vorteile sind die absolute Objektivität und Wiederholbarkeit der Bearbeitung, die vollständige und lückenlose Dokumentation des Zustandes der gesamten Bauwerksoberfläche (auch schadenfreie Bereiche werden vollständig dokumentiert) und die einfache und automatisierte Dokumentation des Schadensfortschrittes bei aufeinanderfolgenden, periodischen Prüfungen. Die Technologie ermöglicht eine schnelle, zuverlässige periodische Aufnahme eines gesamten Objekts oder nur von Teilen (z. B. bereits Instand gesetzten Fehlstehlen), mit exakter Verortung am Objekt und vollständiger digitaler Dokumentation in der Datenbank. Bei Bedarf können jederzeit teilautomatisiert Fortschrittsdokumentationen, Mängellisten, Prüf berichte etc. generiert werden. Die Erstellung eines BIM-Teilmodells Bauwerksgeometrie in Kombination mit dem BIM-Fachmodell Bauwerksprüfung auf Basis der digitalen Bauwerksprüfung bietet eine ausgezeichnete Grundlage für die Detailplanung, Ausführung und Dokumentation von Instandsetzungsmaßnahmen. Abb. 7: Ergebnis der Ableitung aus der Schadensdatenbank Abb. 6: Ableitung des BIM-Fachmodells Bauwerksprüfung aus digitaler Bauwerksprüfung mittels einer Python-Software 104 5. Brückenkolloquium - September 2022 From Pixel to Pset Abb. 8: Visualisierung von Rissen dokumentiert im BIM-Fachmodell Bauwerksprüfung am Geometriemodel Abb. 9: 2-D-Bauwerksinspektionsplan abgeleitet aus den BIM Modellen am Bsp. der A99 in Bayern 5. Brückenkolloquium - September 2022 105 From Pixel to Pset Neben der exakten Geometrie und Verortung der dokumentierten Mängel wird auch sämtliche in der Datenbank vorhandene Information (Art des Schadens, Massen, Bewertung etc.) mit in das IFC-konforme Schadensmodell übernommen. Bei aufeinanderfolgenden digitalen Bauwerksaufnahmen bzw. -prüfungen können die Schadensmodelle überlagert werden und somit eine Veränderung einfach erkannt und dokumentiert werden. Das IFC-4 konforme Ergebnis kann Softwareneutral und nachhaltig verwendet werden. Eine Kombination mit bereits bestehenden BIM-Modellen und auch anderen Modellen (Punktwolke, Mesh-Modell, rein geometrisches 3-D-Modell) ist möglich. 3.6 Einsatzmöglichkeiten in der Bauwerksinspektion und Bauwerkserhaltung Für den Bauwerkserhalter ergeben sich folgende Einsatzmöglichkeiten mit Zusatznutzen: • Gewährleistungsprüfung und Erstdokumentation sowie Folgeprüfungen: Digitale Aufnahme aller Kunstbauten, Erstellung eines digitalen Zwillings in Form einer Punktwolke oder eines Mesh-Modells, KI-basierte Identifikation aller Mängel (exakt georeferenziert, Art, Ausmaß etc.) am Objekt, Ablage in der Datenbank, Erstbericht, Visualisierung aller Ergebnisse am 3-D-Modell in der zugangsgesicherten Cloud, zugänglich für alle Projektbeteiligten. Eine Überlagerung mit einem bestehenden BIM-Modell ist möglich. • Planung von lokalen Instandsetzungsmaßnahmen: Verwendung der Datenbankdaten und des 3-D-Zwillings aus der Erstdokumentation für die Unterstützung der Planung der detaillierten Instandsetzung (Massen etc.). • Fortlaufende Dokumentation und Prüfung der durchgeführten Arbeiten: Die fortlaufenden Instandsetzungsarbeiten können durch digitale Aufnahme und KI-Auswertung (wie bei der Erstdokumentation) der betroffenen Bauteile dokumentiert, geprüft und visualisiert werden. Erforderlichenfalls können die durchgeführten Arbeiten am Modell mitdokumentiert werden. Zusätzlich zur „Digitale Bauwerksaufnahme und laufende Zustandsdokumentation mittels Photogrammmetrie und Künstlicher Intelligenz“ ermöglicht die Bearbeitung im IFC-konformen BIM die Aufnahme, Dokumentation und Visualisierung sämtlicher Instandsetzungsmaßnahmen (Typ der Instandsetzung nach RVS, verwendete Materialen, Ausmaß, Position etc.). Die Dokumentation der Instandsetzungsmaßnahmen und die Aufnahme nach erfolgter Instandsetzung könne für eine digitale Abrechnung herangezogen werden. 5. Brückenkolloquium - September 2022 107 Ansatz für künstliche Intelligenz und Mixed Reality zur Optimierung des Arbeitsablaufs bei Brückeninspektionen Stephan Embers Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland Sven Zentgraf Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland Patrick Herbers Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland Firdes Celik Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland Benedikt Faltin Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Markus König Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland Jan-Derrick Braun HOCHTIEF ViCon, Essen, Deutschland Jessica Steinjan HOCHTIEF ViCon, Essen, Deutschland David Schammler HOCHTIEF ViCon, Essen, Deutschland Sonja Nieborowski Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, Deutschland Ralph Holst Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, Deutschland Zusammenfassung Die frühzeitige Erkennung von Schäden an Brücken ist aus finanziellen und ökologischen Gründen sehr wichtig. Dies kann nur durch regelmäßige und häufige Inspektionen durch Experten erreicht werden, die ihre Befunde meist handschriftlich dokumentieren. Ziel dieses Beitrags ist es, ein Konzept für ein Brückeninspektionstool vorzustellen. Dieses wird mehrere Arten von Hardware-Geräten verwenden, um das Brückeninspektionspersonal bei der Beurteilung und Dokumentation von Schäden zu unterstützen, wobei Kombinationen aus KI- und MR-Technologien eingesetzt werden. Hierfür wurden Interviews mit Bauwerksprüfern aus verschiedenen Unternehmen und Branchen durchgeführt, um wichtige Anforderungen zu ermitteln. Auf der Grundlage dieser Anforderungen wurde ein Konzept entwickelt, das mit bestehenden Datenbanken für Infrastrukturen kompatibel ist. 1. Einführung Aufgrund der Alterung, der veränderten Verkehrszusammensetzung, der Einflüsse des Klimawandels, und der zunehmenden Verkehrsbelastungen an Ingenieurbauwerken, müssen in erheblichem Umfang Maßnahmen zur Erhaltung dieser durchgeführt werden. In Deutschland sind diese Erhaltungsmaßnahmen in der DIN 1076 [1] definiert. Die Regeln der Schadensbewertung werden in der RI-EBW-PRÜF [2] aufgeführt. Bei der Prüfung von Brücken und anderen Ingenieurbauwerken nach diesen Normen kommt es darauf an, dass die vorgefundenen Schäden vollständig erfasst, sowie reproduzierbar und einheitlich bewertet werden. Dies ist insbesondere für die Beurteilung des Schadensverlaufs und damit für die Bewertung der Dringlichkeit von Instandsetzungsmaßnahmen unerlässlich. Dazu ist es wichtig, dass der 108 5. Brückenkolloquium - September 2022 Ansatz für künstliche Intelligenz und Mixed Reality zur Optimierung des Arbeitsablaufs bei Brückeninspektionen Brückeninspekteur seine Erfahrungen und Fähigkeiten in der Schadenserfassung und -beurteilung optimal einsetzt und bei Aufgaben unterstützt wird, die durch den Einsatz digitaler Technologien leichter erledigt werden können. Die Einführung von IT-gestützten Prozessen im Betrieb der Infrastruktur hat somit eine wichtige Bedeutung für die Reduzierung des erforderlichen Instandhaltungsaufwandes. Nach der deutschen Norm für Bauwerksprüfungen DIN 1076 [1] gliedert sich der Prozess der Brückenprüfung in drei Phasen: Datenvorbereitung, Datenerfassung vor Ort und Datenverarbeitung. Dieser Beitrag konzentriert sich auf Phase 2, die Datenerfassung vor Ort. Phase 2 beginnt vor Ort mit der Lokalisierung bekannter Schäden anhand schriftlicher Unterlagen und der Suchen nach möglichen neuen Schäden am Bauwerk. Die Schäden werden dann mit Digitalkameras dokumentiert und in schriftlicher Form kategorisiert. Anhand dieser Daten werden anschließend Entscheidungen über den Zustand des Bauwerks und möglichen Maßnahmen der Instandhaltung getroffen. Dieser Prozess lässt sich durch den Einsatz digitaler Technologien optimieren. Augmented und Mixed Reality (AR/ MR) bieten neue Möglichkeiten der Visualisierung virtueller Inhalte, der Informationseingabe, und der Informationsbereitstellung. Virtuelle Inhalte können Inspektionsmitarbeitern zur Verfügung gestellt werden, die damit die Möglichkeit haben, diese in ihre Entscheidungsfindung einzubeziehen und zu verarbeiten. Technologien der künstlichen Intelligenz (KI) können eingesetzt werden, um Schäden an Bauwerken zu erkennen und zu analysieren. In Kombination mit AR kann die KI die vom AR/ MR-System aufgezeichneten Daten in Echtzeit verarbeiten, Muster erkennen und dem Benutzer über das AR/ MR-System eine Bewertung des Schadens liefern. Die Anwendung einer Kombination aus AR/ MR und KI kann den Prozess der Brückeninspektion unterstützen, wie ähnliche Studien zeigen [3]- [5]. Diese Studien zeigen, wie die Verwendung eines Geräts, meist eines Head-Mounted Displays (HMD), den Arbeitsablauf der Brückeninspektion verbessern kann. In den Beiträgen von [3], [5] wird das verwendete Gerät nur zur Anzeige von Informationen ohne Interaktion genutzt und bietet dem Benutzer nur begrenzte Möglichkeiten zur Interaktion mit dem System. Dies kann bei der Dokumentation komplexerer Daten, wie z. B. Schadensberichten, eine Herausforderung darstellen. Darüber hinaus ist die Navigation von großen Datenstrukturen oder das Inspizieren von Bauplänen auf HMDs schwierig. Durch den Einsatz von weiteren Geräten, wie z. B. Tablets, könnten die in diesen Studien vorgestellten Arbeitsabläufe verbessert werden. Die DIN 1076 empfiehlt, dass aus Sicherheitsgründen mindestens zwei Personen eine Hauptprüfung durchführen sollen. Dies wird im deutschen Arbeitsablauf der Brückenprüfung weitgehend akzeptiert und praktiziert. Aus diesem Grund schlägt der in diesem Beitrag vorgestellte Ansatz einen digitalisierten Arbeitsablauf für Brückenprüfungen mit zwei verschiedenen Geräten vor. Durch den Einsatz von zwei Geräten kann der Arbeitsablauf aufgeteilt werden, was die Arbeitsbelastung sowohl für die Prüfer als auch für die Geräte reduziert und die verschiedenen Geräte jeweils auf Informationsvisualisierung oder Dokumentation spezialisiert. 2. Verwandte Arbeiten Zur Unterstützung der Brückeninspektoren vor Ort werden Augmented Reality (AR) zur Informationsvisualisierung und künstliche Intelligenz (KI) zur Schadenserkennung eingesetzt. AR ist ein Mensch-Maschine- Interaktions-Paradigma, bei dem virtuelle Informationen über eine reale Umgebung gelegt werden. Dadurch kann der Benutzer die reale Umgebung mit zusätzlichen virtuellen Objekten sehen. AR soll die reale und die virtuelle Welt verbinden und in Echtzeit bedienbar sein. Darüber hinaus sollten Objekte im virtuellen und realen Raum in einer 3-dimensionalen Beziehung zueinander stehen [6]. Zu den Stärken von AR gehören die in Echtzeit interpretierten Informationen über die Umgebung des Benutzers und die einfache Darstellung dieser Umgebung. Durch die Überlagerung der digitalen Informationen mit der realen Umgebung kann z.B. eine Bedienungsanleitung auf dem Display angezeigt werden, ohne das zu nutersuchende Objekt aus den Augen zu verlieren. Weitere Stärken von AR sind die papierlose Bereitstellung großer Informationsmengen und die Möglichkeit, zusätzliche Geräte an das System anzuschließen. Viele dieser Stärken variieren je nach Anwendungsbereich. Ein solcher Anwendungsbereich ist die Brückeninspektion. Um die Stärken von AR bestmöglich zu nutzen, führten Moreu et al. [5] Interviews mit Interessenvertretern durch, um das Potenzial zur Erkennung, Analyse und Hervorhebung von Schäden an einer Brücke für den Inspektor vor Ort aufzuzeigen. Salamak & Januszka [3] stellen ein Konzept vor, wie ein AR-Brückeninspektionstool unter Verwendung eines HMD implementiert werden kann. Das vorgeschlagene System würde es den Inspektoren ermöglichen, Videos und Bilder von Schäden aufzunehmen und über ein visuelles Overlay zu interessanten Punkten geführt zu werden. Damit das System funktioniert, wäre ein digitales Modell der Brücke erforderlich. Riedlinger et al. [7] stellen einen weiteren Ansatz vor, bei dem ein digitales Modell verwendet wird, um den Prozess der Brückeninspektion mithilfe von AR zu verbessern und gleichzeitig sowohl die Vorbereitungsals auch die Nachbearbeitungsphase mithilfe von Virtual Reality zu optimieren. Da eine manuelle Inspektion in kleinen Zeitabständen nicht immer gewährleistet werden kann, hat sich die Forschung auf die bildverarbeitungsbasierte Automatisierung der Schadenserkennung konzentriert, die nicht nur eine häufigere, sondern auch eine zeit- und kosteneffizientere Überwachung und Inspektion ermöglichen würde. Die bildbasierte Erkennung von Betonschäden stellt jedoch eine große Herausforderung dar: Bilder von Brücken können inter- und intrakategorische Unterschiede bei den Schäden, Rauschelemente wie Graffiti, Pflanzen, Insekten, Müll, Verfärbungen, unterschiedli- 5. Brückenkolloquium - September 2022 109 Ansatz für künstliche Intelligenz und Mixed Reality zur Optimierung des Arbeitsablaufs bei Brückeninspektionen che Lichtverhältnisse usw. enthalten. Es gibt bereits KIbasierte Methoden zur Erkennung von Schäden in Bildern, wie z. B. Support-Vektor-Maschinen [8], neuronale Netze [9], [10] und k-nearest neighbor [11]. Die Veröffentlichung von Krizhevsky et al. [12] und die jüngste Steigerung der GPU-Leistung, rückten das maschinelle Lernen in den Fokus der bildbasierten Schadenserkennung. Insbesondere die Verwendung von Convolutional Neural Networks (CNNs) führte zu guten Ergebnissen bei der Bilderkennung. In der Folge wurden CNNs als Basisarchitektur für die meisten auf maschinellem Lernen basierenden Methoden der Schadenserkennung verwendet. Diese Entwicklung wurde insbesondere durch die Einführung fortschrittlicher Erkennungsmethoden begünstigt. Dies sind insbesondere Bounding-Box-Objekterkennungsmethoden [13], semantische Segmentierungsmethoden [14] und Instanzsegmentierungsmethoden [15]. Karaaslan et al. [4] stellen ein AR-System vor, das eine künstliche Intelligenz (KI) verwendet und mit einem Strukturinspektor zusammenarbeitet, um Schäden an der Brückenstruktur zu identifizieren. Die vorgeschlagene AR-Anwendung wird während der Brückeninspektion auf einem HMD ausgeführt, auf dem auch die KI implementiert ist. Die KI kann u. a. Risse und Abplatzungen erkennen und die Größe dieser Schäden erfassen. Erkannte Schäden werden dem Bauwerksinspektor auf dem HMD durch eine virtuelle Überlagerung der realen Schäden angezeigt. Um Schäden an einem Brückenmodell zu lokalisieren und abzurufen, muss eine Form der Lokalisierung des Geräts und der erfassten Schäden durchgeführt werden. Das Lokalisierungsproblem ist ein Begriff aus der Robotik, der die Aufgabe beschreibt, die Pose eines Geräts (Position und Rotation) aus der Umgebung zu bestimmen. Die Pose kann auf ein Modell oder eine bereits besuchte Umgebung bezogen sein. Dieses Problem wird in der Literatur auch als „Kidnapped-Robot-Problem“ bezeichnet, bei dem ein Roboter nach dem Aufwachen in einer bekannten Umgebung seine eigene Position herausfinden muss. Die bekannteste Lokalisierungsmethode ist GPS, wobei die Position mithilfe eines Satellitennetzes bestimmt wird. Die Orientierung wird bei einem solchen System in der Regel durch ein Gyroskop und einen Kompass bestimmt. GPS kann zwar überall auf der Welt eingesetzt werden, seine Genauigkeit ist jedoch auf wenige Meter begrenzt. In geschlossenen Räumen, Tunneln oder Straßenschluchten kann sich die Genauigkeit weiter verringern. Nichtsdestotrotz kann es im Freien für Visualisierungen mit einem AR-Gerät verwendet werden [16]. Eine weitere Methode zur Lokalisierung sind lokale Signalstationen wie RFID- oder WiFi-Verteiler. Anhand der Signalstärke der verschiedenen Verteiler kann die Position eines Geräts mit einer Genauigkeit von weniger als einem Meter bestimmt werden [17]. Diese Methode setzt jedoch voraus, dass das Gebiet von einem Netz solcher Verteiler abgedeckt ist und das Netz entsprechend kalibriert wurde. Eine Möglichkeit, die Lokalisierung ohne externe Sensoren durchzuführen, ist die geometrische Lokalisierung. AR-Geräte können räumliche Kartierungstechniken (Structure-from- Motion, Tiefenkameras) verwenden, um die Geometrie ihrer Umgebung zu bestimmen und diese mit bestehenden Geometrien abzugleichen. Dazu gehören Ansätze wie der Punktwolkenabgleich [18] oder der Grundrissabgleich [19]. Diese Methoden können sehr genaue Posen bestimmen, sind aber an Orten mit sich wiederholender oder selbstähnlicher Geometrie unzuverlässig. In den letzten Jahren wurde auch verstärkt an KI-basierten Lokalisierungsmethoden geforscht. Mithilfe von CNNs kann ein Netzwerk eine Zuordnung zwischen Bildern und Posen erlernen [20]. Solche Ansätze haben in der Regel eine Genauigkeit von ein bis drei Metern und sind effizient in der Ausführung, aber für das Training ist eine beträchtliche Menge an Daten erforderlich. 3. Methodik Um mögliche Funktionen für das vorgeschlagene Brückenprüfsystem zu ermitteln, wurde eine Anforderungsanalyse durchgeführt. Im Zuge der Anforderungsanalyse wurde eine detaillierte Analyse des Brückenprüfungsablauf nach DIN 1076 [1], [21] durchgeführt, um entscheidende Prozessschritte innerhalb des Workflows zu identifizieren, die potenziell durch den Einsatz von AR oder KI optimiert werden könnten. Das Vorgehen bei der Anforderungsanalyse folgt den Prinzipien des Requirements Engineering und berücksichtigt Anforderungen, die sich aus dem Ablauf des Bauwerksprüfprozesses ergeben. Darüber hinaus wurden Interviews mit Bauaufsichtsbeamten verschiedener Unternehmen und aus unterschiedlichen Bereichen geführt. Die Befragten wurden aufgrund ihrer Erfahrung mit dem Prüfverfahren ausgewählt. Insgesamt wurden fünf Personen befragt, von denen drei auf die Instandhaltung von Brücken spezialisierte Bauwerksprüfer und zwei Projektleiter bei öffentlichen Auftraggebern für Infrastruktur sind. Die Interviews basierten auf der oben erwähnten detaillierten Analyse der DIN 1076 und wurden in einheitlicher Weise durchgeführt, wobei jeder Teilnehmer einen Überblick über das zugrundeliegende Projekt erhielt. Die Teilnehmer wurden nur gefragt, ob ein bestimmter Prozessschritt von einem AR- oder KI-Unterstützungssystem profitieren würde. Jeder einzelne Prozessschritt wurde gemeinsam besprochen, um genaue Anknüpfungspunkte für die zu entwickelnde AR-Anwendung und den Einsatz der unterstützenden KI zu identifizieren. Die Interviews dauerten jeweils eine Stunde und wurden online durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Interviews flossen in die Formulierung der notwendigen Anforderungen an das vorgeschlagene AR/ KI- Konzept ein. 110 5. Brückenkolloquium - September 2022 Ansatz für künstliche Intelligenz und Mixed Reality zur Optimierung des Arbeitsablaufs bei Brückeninspektionen Abb. 1: Neuer Brückenprüfungsablauf für das BISS Zusätzlich wurde eine Hardware-Analyse durchgeführt, um mögliche Kombinationen verschiedener Geräte zu ermitteln. In dieser Analyse werden die Geräte nach ihrem Potenzial zur Visualisierung und Verarbeitung von Daten, ihrer Benutzerfreundlichkeit und anderen Kriterien zur Unterstützung eines Bauwerkprüfers vor Ort bewertet. Auch die Kosten, die Verfügbarkeit, und die Akkulaufzeit der Geräte werden berücksichtigt. Um den in dieser Arbeit zu entwickelnden angepassten AR-gestützten Brückenprüfungsablauf zu spezifizieren, fließen diese Anforderungen in den anschließenden Konzeptionsvorschlag ein. 4. Ergebnisse Der folgende Abschnitt gliedert sich in die Ergebnisse der Experteninterviews, die Ergebnisse der Hardwareanalyse, und das vorgeschlagene System. 4.1 Ergebnisse der Experteninterviews Die detaillierte Analyse der einzelnen Prozessschritte des Brückenprüfablaufs nach DIN 1076 [1], [21] bietet verschiedene Ansatzpunkte für eine mobile AR-Anwendung mit integrierter KI zur Unterstützung des Prüfprozesses. In den Interviews wird ein Mehrwert für den Einsatz der neuen digitalen Technologien in der Reduzierung des Aufwands, insbesondere des manuellen Aufwands bei der Bereitstellung der Dokumente vor Ort, gesehen. Die automatische Hervorhebung von Schäden bei der Aufnahme und der direkte Vergleich mit früheren Zustandsdaten wird als Effizienzsteigerung genannt. Eine Bewertungsempfehlung als Leitfaden für die Schadensbeurteilung durch den Inspektor und die abschließende Bauzustandsnote könnte die Genauigkeit ebenfalls verbessern. Je nach Ausmaß und Größe des Schadens werden gemeinsame Bewertungsstufen vorgeschlagen. Auch die Zusammenführung und Auswertung der erfassten Daten für eine standardisierte Dokumentation wird als vielversprechend angesehen. Die Lokalisierung der Schäden am Bauwerk spielt bei der Schadensdokumentation eine große Rolle. Die KI soll vorhandene Schadensmuster identifizieren und Veränderungen seit der letzten Inspektion in der AR-Anwendung visualisieren. Obwohl es innerhalb des Brückenprüfablaufs noch weitere potenzielle Interessenspunkte gibt, wurden die oben genannten Schritte als die vielversprechendsten identifiziert. 4.2 Ergebnisse der Hardwareanalyse In diesem Beitrag werden zwei verschiedene technische AR-Systeme verwendet: ein AR-Tablet, das auf Googles ARCore basiert, und ein Trimble XR10-System mit einer angeschlossenen Microsoft HoloLens 2. Das Trimble XR10 System mit HoloLens 2 wurde speziell für den Einsatz in Bereichen mit erhöhten Sicherheitsanforderungen wie Baustellen, Offshore-Anlagen oder Bergbau entwickelt und entspricht dem AN-SI/ ISEA Industriestandard. Mehrere mobile AR-Geräte mit unterschiedlichen Betriebssystemen (Apple, Google, Microsoft) wurden evaluiert. Es wurden mehrere Konzepte für die Konfiguration eines Zwei-Geräte-Ansatzes untersucht: Tablet/ Tablet, Tablet/ HMD und HMD/ HMD. Die Tablet-/ Tablet-Konfiguration ist eine kostengünstige und robuste Methode, welche die analoge Arbeit auf Papier durch digitale Arbeit auf einem Tablet ersetzen soll. Die Akzeptanz und Erfahrung mit der Hardware ist in der Bevölkerung hoch, was die Umschulung vereinfacht. Eine erweiterte AR-Immersion ist mit dieser Konfiguration jedoch nicht möglich. Dies steht im Gegensatz zur HMD/ HMD-Konfiguration, bei der beide Brückenprüfer ein am Kopf getragenes AR-Gerät verwenden, um die Brückenprüfung durchzuführen. Diese Kombination würde viele innovative Interaktionen ermöglichen, wie immersive AR und Multi-User-Räume. Da es sich bei AR-HMDs jedoch um eine sehr neue Technologie handelt, ist für die Verwendung solcher Geräte eine umfangreiche Schulung erforderlich, und die Akzeptanz der Benutzer ist geringer. Darüber hinaus sind präzise Eingaben, wie das Tippen oder Bedienen eines Bauplans, mit einem HMD komplexer und insgesamt langsamer. 5. Brückenkolloquium - September 2022 111 Ansatz für künstliche Intelligenz und Mixed Reality zur Optimierung des Arbeitsablaufs bei Brückeninspektionen Abb. 2: Datenauf bau innerhalb des ICDD-Containers Aus diesen Gründen wurde das Tablet/ HMD-Konzept gewählt, da es die Vorteile der oben genannten Konfigurationen vereint und gleichzeitig die Nachteile minimiert, indem es eine robuste Anwendung mit innovativen Methoden kombiniert. Die Dateneingabe und das Nachschlagen von vorhandenen Daten erfolgt auf dem Tablet, während die Datenerfassung und Visualisierung mit dem HMD erfolgt. Bei der Entwicklung wird darauf geachtet, die Kopplung zwischen den Geräten so flexibel wie möglich zu halten, damit das Hardwarekonzept in Zukunft leicht erweitert oder verändert werden kann. So soll beispielsweise nicht für jede Inspektion ein HMD notwendig sein, sondern ein einziges Tablet ausreichen. Dies würde einen flexiblen Einsatz der neuen Technologien ermöglichen. 4.3 Bridge Inspection Support System Basierend auf der Anforderungsanalyse erfolgt die detaillierte Spezifikation der zu implementierenden Funktionseinheiten der Anwendung zur Bauwerksprüfung im Brückenbau, fortan Bridge Inspection Support System (BISS) genannt. Im Folgenden wird auf den vorgesehenen Prozess des neuen Systems, die Systemarchitektur, die Visualisierung der Daten mittels AR, und die Mensch-Maschine-Interaktion mit dem BISS eingegangen. Für eine Brückenprüfung mit dem BISS ist eine Anpassung an das herkömmliche Verfahren notwendig. Zu diesem Zweck wird ein neuer Brückenprüfungsablauf entworfen, das den Einsatz des BISS integriert (Abb. 1). Der angepasste Prozess beginnt in der Datenschicht. Diese Schicht enthält die Bestandsdatenbank mit Informationen über den aktuellen Zustand des zu inspizierenden Bauwerks, z. B. einer Brücke, sowie Informationen über vergangene Inspektionen und deren erfasste Schäden. Um mit der bestehenden Bauwerksdatenbank kompatibel zu sein, wird eine zweite Datenbank für zusätzliche Informationen verwendet, die mithilfe des neuen Arbeitsablaufs gesammelt werden. Die Mesh-Datenbank enthält 3-D-Daten über aufgezeichnete Schäden aus vergangenen Brückeninspektionen und deren Umgebungsdaten, die später für die Relokalisierung von Schäden verwendet werden. Die Meshes werden im offenen glTF- Dateiformat gespeichert, während die Relokalisierungsdaten in einem proprietären Dateiformat gespeichert werden, das von der Microsoft HoloLens verwendet wird. Aus beiden Datenbanken werden die Brückendaten zu Beginn der Brückeninspektion aus der Datenebene auf einen Bürorechner importiert. Die vom Desktop-Computer aus den Datenbanken importierten Daten enthalten alle Daten über das zu prüfende Bauwerk, d. h. Baupläne, dokumentierte Schäden aus früheren Inspektionen, Umgebungsmeshes zu den Schäden, falls vorhanden, Beschreibungen und Bewertungen der dokumentierten Schäden, und andere für die Bauwerksprüfung erforderliche Daten. Der Datenprüfer bereitet die Vor-Ort Begehung in der Regel wie in der ersten Phase der DIN 1076 beschrieben vor (z. B. Einholung von Genehmigungen, Festlegung von Inspektionsterminen, usw.). Die erforderlichen Daten werden dann mit der BISS-Anwendung auf das für die Brückenprüfung verwendete Tablet übertragen. Ist dies geschehen, kann die Brückenprüfung vor Ort beginnen. Während der Brückenprüfung vor Ort verwendet der Dateninspektor, der Prüfer der für die Datenverwaltung zuständig ist, die BISS-Anwendung auf dem Tablet und der visuelle Inspektor, der die Schäden identifiziert und aufnimmt, das HMD. Dabei sendet der Daten- 112 5. Brückenkolloquium - September 2022 Ansatz für künstliche Intelligenz und Mixed Reality zur Optimierung des Arbeitsablaufs bei Brückeninspektionen inspektor die relevanten Bauwerksinformationen über das Tablet an das HMD des visuellen Inspektors. Anhand der vom Tablet empfangenen Daten kann der visuelle Inspektor das Bauwerk auf Schäden überprüfen. Dem Inspektor stehen mehrere Funktionen des BISS auf dem HMD zur Verfügung, die ihm bei der Bewertung der festgestellten Schäden helfen. Dokumentierte Schäden von früheren Inspektionen können mit der Relokalisierungsfunktion der HoloLens visualisiert werden. Neu entdeckte Schäden können aufgezeichnet und kategorisiert werden, einschließlich der aktuellen Position und der umgebenden Geometrie. In der zukünftigen Forschung können diese Schäden auch durch eine integrierte KI hervorgehoben werden, die in der Lage sein wird, Schäden automatisch zu markieren und zu kategorisieren. Wie in Abb. 1 zu sehen ist, besteht die Datenschicht des BISS aus unabhängigen Datenbanken. Die aktuellen Zustandsdaten für Brückenbauwerke werden in den Datenbanken gespeichert. Die für eine Brückenprüfung benötigten Daten werden über die von den Datenbanken bereitgestellten REST-Schnittstellen abgerufen. Dazu greift der Dateninspektor über die Desktop-Komponente auf die Datenbanken zu und kann so die Pläne, die bereits dokumentierten Schadensbilder sowie Beschreibungen und Bewertungen herunterladen und auf bereiten. Die auf bereiteten Daten werden dann über eine DIN SPEC 91391-2 konforme REST-API an die ICDD-Komponente übergeben und, sofern vorhanden, mit den Umgebungsmeshes, Relokalisierungs-Ankerpunkten, und Schadensmasken verknüpft und in einem Container abgelegt. Der Information Container for linked Document Delivery (ICDD) [22], veröffentlicht in der internationalen Norm ISO 21597-1, führt eine Datenstruktur ein, die die Verknüpfung von mit einem Container verknüpften Dokumenten unter Verwendung semantischer Webtechnologien ermöglicht [23]. Die Spezifikation DIN SPEC 91391-2 (bekannt als openCDE) kann verwendet werden, um den Austausch und den Zugriff auf verschiedene Arten von Informationscontainern zu ermöglichen [24]. Sie definiert Anforderungen für die Entwicklung einer offenen Web-API für die Speicherung, Verwaltung und Verteilung dieser Container. Die vom Dateninspektor in der ICDD-Plattform gespeicherten Daten der Brückeninspektion können in der Tablet-Komponente über die von der Büroanwendung bereitgestellte openCDE-API in Form eines ICDD-Containers heruntergeladen werden. Während der Brückenprüfung werden die vom visuellen Inspektor über die HMD-Komponente erfassten Schäden direkt an den Dateninspektor in der Tablet-Komponente zurückgespielt. Der Dateninspektor wertet die übermittelten Schäden aus und finalisiert diese. Abb. 2 zeigt den genauen Auf bau der Daten innerhalb des ICDD-Containers. Nach Abschluss einer Brückeninspektion werden die Bestandsdaten und die neu erfassten Schäden und Berichte wiederum in einem ICDD-Container gespeichert und über die openCDE-API zurück an die ICDD-Plattform übertragen. Von hier aus können die bei der Vor-Ort-Inspektion neu erfassten Daten dann mithilfe der Desktop- Komponente über die REST-Schnittstelle in die Datenbanken übertragen werden. Der Austausch von Daten innerhalb von BISS erfolgt dateibasiert. Die Verknüpfung der verwendeten Daten erfolgt über die in der ICDD- Plattform implementierten semantischen Webtechnologien. Eine Übersicht über die vorgeschlagene Systemarchitektur ist in Abb. 3 zu sehen. Abb. 3: BISS Systemarchitektur3 5. Brückenkolloquium - September 2022 113 Ansatz für künstliche Intelligenz und Mixed Reality zur Optimierung des Arbeitsablaufs bei Brückeninspektionen Um die Schadenshistorie bei späteren Inspektionen visualisieren zu können, müssen die erfassten Informationen ortsbezogen gespeichert werden. AR-Geräte verwenden dazu sogenannte Ankerpunkte: Punkte im AR-Raum, die bestimmten Umgebungsmerkmalen im realen Raum zugeordnet sind. Ein Ankerpunkt speichert zum Beispiel lokale Bildinformationen oder die lokale Geometrie der Umgebung (in Form von Punktwolken oder Meshes). Beim Betreten eines Ortes, der bereits bei einer früheren Inspektion besucht wurde, vergleicht das AR-Gerät die Umgebung mit der Liste der gespeicherten Ankerpunkte. Wenn eine Übereinstimmung gefunden wird, kann der Ankerpunkt an der erkannten Stelle platziert werden, wodurch der AR-Raum der vorherigen Inspektion und der reale Raum der aktuellen Inspektion wieder zusammengeführt werden. Das BISS speichert mindestens einen Ankerpunkt pro Schaden. Es wäre zwar möglich, nur einen einzigen Ankerpunkt zu verwenden, von dem aus alle Schäden positioniert werden, aber die Genauigkeit der Lokalisierung nimmt ab, je weiter das Gerät von diesem Ankerpunkt entfernt ist. Stattdessen wird ein elastisches Netz von Ankerpunkten gebildet, dass die Positionierungsfehler zwischen den Ankerpunkten abmildern soll. Jedem erfassten Schaden wird ein Ankerpunkt zugewiesen, der einen Knoten im Netz bildet. Dieses Netz von Ankerpunkten wird am Ende einer Inspektion aus dem Gerät exportiert und in der Datenbank gespeichert, wobei pro Brücke ein Ankernetz verwaltet wird. Dies ermöglicht auch die Übertragung von Ankerpunkten auf andere Geräte. Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Entwicklung neuer Software, insbesondere bei neueren Technologien wie AR und der Verwendung neuer Hardware wie HMDs, ist die Benutzerfreundlichkeit der neuen Software. Der Aspekt der Benutzerfreundlichkeit hat auch einen direkten Einfluss auf die Akzeptanz der neuen Software durch die Benutzer. Aus diesem Grund wurde ein einfaches und intuitives Mensch-Maschine-Interaktionskonzept für die beiden verwendeten Systeme, das Tablet und die Holo- Lens, entwickelt. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den unterschiedlichen Interaktionsmethoden der Holo- Lens und den Benutzeroberflächen der beiden Geräte, mit denen der Nutzer interagiert. Die HoloLens bietet dem Benutzer mehrere Möglichkeiten, mit ihr oder ihrer Oberfläche zu interagieren. Die beiden am häufigsten verwendeten Interaktionsmöglichkeiten sind die Sprachsteuerung und die Gestensteuerung. Bei der Sprachsteuerung überträgt der Nutzer Befehle per Stimme an das HoloLens-Gerät; meist wird dies durch vorgegebene Schlüsselwörter initiiert. Bei der Gestensteuerung werden die Hände als Eingabemethode verwendet. Dabei können verschiedene Handgesten genutzt werden, um Befehle an die HoloLens weiterzugeben, zum Beispiel durch Winken oder Zeigen. Eine Unterkategorie der Gestensteuerung ist die Verwendung eines virtuellen Touch-Interfaces, das virtuelle Schaltflächen und Bedienelemente bereitstellt. Des Weiteren ist zu erwähnen, dass das Sichtfeld der HoloLens kleiner ist als das Sichtfeld des Nutzers, was bedeutet, dass die Informationen meist in der Mitte des Sichtfeldes des Nutzers angezeigt werden. Aus diesem Grund sollte bei der Platzierung von Schnittstellenkomponenten besonders darauf geachtet werden, dass der Nutzer nicht überfordert wird oder sein Sichtfeld verdeckt wird. Das vorgeschlagene Konzept besteht aus einer Kombination von Gestensteuerung und virtuellen Eingabeelementen. Durch diese Kombination kann eine fehlerfreie und einfache Bedienung gewährleistet werden. Darüber hinaus können die Vorteile beider Methoden weiter ausgebaut werden. Durch den Einsatz der reinen Gestensteuerung kann das Blickfeld des visuellen Inspektors bei der Brückenprüfung freigehalten werden und zusätzliche Informationen werden nur dann angezeigt, wenn sie benötigt werden. Darüber hinaus bieten die virtuellen Eingabeelemente einfache Bedienelemente für die Erfassung von Bauschäden, wenn diese benötigt werden. Während der Erfassung von Bauschäden werden zur besseren Übersicht nur die benötigten Informationen und Eingabeelemente angezeigt. Diese sind an das Sichtfeld des visuellen Inspektors gebunden, so dass der visuelle Inspektor beim Umschauen die Eingabeelemente nicht aus den Augen verliert. Sobald der visuelle Inspektor die Eingabe der benötigten Informationen beendet hat, werden die für diese Eingabe relevanten Eingabeelemente ausgeblendet, bis sie wieder benötigt werden. So hat der visuelle Inspektor jederzeit ein möglichst klares Sichtfeld. Bei Beginn der Bauwerksprüfung mit der HoloLens sieht der visuelle Inspektor zuerst ein komplett freies Interface ohne störende Interfaceelemente, um Schäden besser erkennen zu können. Mit dem Drehen der Handfläche nach oben, wird ein Kontextmenü geöffnet. Welche Hand zum Öffnen des Kontextmenüs genutzt wird spielt keine Rolle, da das Kontextmenü über beide Hände auf diese Weise geöffnet werden kann. Das Kontextmenü ist an die gedrehte Hand geankert, sodass das Menü der Handbewegung folgt, solange diese in der zuvor genannten „Handfläche nach oben“-Position verbleibt (Abb. 4). Wird die Hand wieder umgedreht, wird auch das Kontextmenü wieder geschlossen. Abb. 4: Öffnen der HoloLens Menüführung Über das Kontextmenü können das Schadensaufnahmemenü (Abb. 5), sowie die KI aufgerufen werden. Das Schadensaufnahmemenü bietet Werkzeuge zur Dokumentation von identifizierten Schäden am untersuchten Bauwerk. Hierzu gehören die Angaben des Schadentyps, 114 5. Brückenkolloquium - September 2022 Ansatz für künstliche Intelligenz und Mixed Reality zur Optimierung des Arbeitsablaufs bei Brückeninspektionen die Schadensbewertung über SVD, und die Aufnahme eines Fotos. Die so dokumentierten Daten können anschließend an die Tablet-Anwendung gesendet werden. Einige Interaktionen, wie z. B. die Auswahl von Strukturkomponenten oder die Anzeige von Strukturzeichnungen, würden eine größere Anzeigefläche erfordern und möglicherweise das gesamte Sichtfeld des Benutzers verdecken. Außerdem kann die Navigation in langen Listen von Bauteilen oder Bauwerkzeichnungen schwierig sein. Um dieses Problem zu umgehen, werden diese Interaktionen auf das Tablet des Dateninspektors ausgelagert. Abb. 5: Virtuelles Schadensaufnahmemenü der Holo- Lens Anwendung Die Tablet-Anwendung kann, wie jede herkömmliche mobile Anwendung, über das Hauptmenü des Tablets gestartet werden. Nach dem Starten und Einloggen der BISS-Anwendung erhält der Nutzer ein Menü zur Auswahl von den auf dem Gerät gespeicherten Brückeninspektionsdatensets. Hierbei muss die Brücke ausgewählt werden, für die die Inspektion durchgeführt werden soll. Nach der Auswahl des Bauwerks wird eine Übersicht der Baupläne angezeigt (Abb. 6). Über eine Schaltfläche können neue Schäden eingetragen werden. Bereits eingetragene Schäden von vorherigen Begehungen sind auf den Plänen markiert und können hier angewählt werden. Zudem wird ein Suchfilter zur Verfügung gestellt, um genauer nach bestimmten Bauteilen, Plänen, oder Schäden zu suchen. Bei Auswahl eines Filters werden nur passende Bauteile in der Liste angezeigt. Abb. 7 zeigt die Nutzeroberfläche für die Dokumentation von Neuschäden oder die Aktualisierung von Altschäden. Über diese Nutzeroberfläche können alle Informationen des Schadens eingetragen werden. Hierzu gehören unter anderen das Bauteil, an dem sich der Schaden befindet, die Schadensart, eine Kurzbeschreibung des Schadens und der ASB-ING Schlüssel. Weiter können Bilder des Schadens aufgenommen und eine präzisere Beschreibung des Schadens hinzugefügt werden. Eine Bewertung über die Standsicherheit, Verkehrssicherheit, und Dauerhaftigkeit ist ebenfalls vorgesehen. Sobald alle Daten eingetragen wurden, kann der Dateninspektor den Schaden speichern. Der so dokumentierte Schaden wird anschließend in der Liste der Schäden des zugehörigen Bauteils angezeigt. Abb. 6: Bauplan-Übersichtsanzeige der Tablet-Anwendung 5. Brückenkolloquium - September 2022 115 Ansatz für künstliche Intelligenz und Mixed Reality zur Optimierung des Arbeitsablaufs bei Brückeninspektionen Abb. 7: Schadensaufnahmemenü der Tablet-Anwendung Abb. 8: Importmenü für das Importieren von gesendeten Daten der HoloLens 116 5. Brückenkolloquium - September 2022 Ansatz für künstliche Intelligenz und Mixed Reality zur Optimierung des Arbeitsablaufs bei Brückeninspektionen Alternativ kann der Vorgang der Schadensaufnahme über einen HoloLens-Import (XR-Import) gestartet werden (Abb. 8). In dem XR-Import-Reiter werden alle vom visuellen Inspektor aufgenommenen und verschickten Schäden der HoloLens an das Tablet angezeigt. Hier kann ein aufgenommener Schaden weiter dokumentiert und finalisiert werden, da der visuelle Inspektor, aufgrund von eingeschränkten Interaktionsmöglichkeiten der HoloLens, nicht alle Daten angeben kann. Um den Schaden in der Tablet-Anwendung aufzunehmen, muss zunächst das dazugehörige Bauteil zugeordnet werden und anschließend der Schaden über die Nutzeroberfläche importiert werden. Die so importierten Schadensdaten werden in die Schadensdokumentation-Nutzeroberfläche eingetragen. Hierbei werden alle Daten, die bereits auf der HoloLens erfasst wurden, in den dafür vorgesehenen Felder eingetragen, sodass nur noch die fehlenden Daten ergänzt werden müssen. Der Rest des Vorganges verläuft analog zu dem Vorgang der neuen Schadensaufnahme. 5. Fazit In diesem Beitrag wurde untersucht, wie der bestehende Prozess für Brückenprüfungen strukturiert ist und welche Potenziale für die Digitalisierung durch computergestützte Prozesse und neue Technologien bestehen. Darauf auf bauend wurde ein digitalisiertes Zwei-Geräte-Verfahren für Brückenprüfer zur Unterstützung des Prüfprozesses bei der Bewertung und Dokumentation von Schäden entwickelt, das Kombinationen aus KI- und MR-Technologien einsetzt. Die Hardware-Anforderungen wurden untersucht und geeignete Technologien definiert. Es wurde ein Konzept in Form einer Tablet-Anwendung auf dem Android-Betriebssystem und einer AR-Anwendung auf der Microsoft HoloLens entwickelt. Die vorgeschlagene Zwei-Geräte-Konfiguration nutzt die Vorteile der AR- Technologien (Immersion, Freihandnutzung) und mildert gleichzeitig die Nachteile (komplexe Bedienung, Nutzerakzeptanz). Das System soll es ermöglichen, Schäden digital zu beschriften und zu lokalisieren. Eine Schadenshistorie für jedes Bauteil kann eingesehen werden, um die Entwicklung und Veränderungen seit früheren Schadensinspektionen mithilfe der integrierten KI zu überwachen. Über räumliche Ankerpunkte können früher erfasste Schäden leicht abgerufen und zum Vergleich mit dem aktuellen Zustand eingeblendet werden. In einem nächsten Schritt wird ein Demonstrator entwickelt, der das vorgesehene Konzept beinhaltet. Es werden Tests durchgeführt, um die optimale Methode der Kommunikation zwischen den beiden Geräten vor Ort zu überprüfen. Besonderes Augenmerk wird auf die Modularität, Belastbarkeit, und Benutzerfreundlichkeit des Systems gelegt. Die trainierten KI-Netzwerke werden für den Einsatz vorbereitet und in die Geräte integriert. Darüber hinaus werden das Verfahren und der Demonstrator von Fachleuten anhand einer Aufwand-Nutzen-Analyse bewertet. 6. Danksagung Dieser Beitrag basiert auf Teilen des Forschungsprojekts, das im Auftrag des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr und seines Expertennetzwerks „Wissen - Können - Handeln“, vertreten durch die Bundesanstalt für Straßenwesen, im Rahmen des Forschungsprojekts FE-Nr. 69.0006/ 2020 durchgeführt wurde. Die Verantwortung für den Inhalt liegt allein bei den Autoren. Wir bedanken uns bei den Mitgliedern des Betreuerkreises für ihre hilfreichen Hinweise und Rückmeldungen. Literatur [1] DIN 1076: 1999-11, ‘Ingenieurbauwerke im Zuge von Strassen und Wegen - Überwachung und Prüfung’, Beuth Verlag GmbH, 1999. doi: 10.31030/ 8499929. [2] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, ‘RI-EBW-PRÜF’, 2017. [3] M. Salamak and M. Januszka, ‘BrIM bridge inspections in the context of Industry 4.0 trends’, in Maintenance, Safety, Risk, Management and Life-Cycle Performance of Bridges, CRC Press, 2018, pp. 2260-2267. doi: 10.1201/ 9781315189390-307. [4] E. Karaaslan, U. Bagci, and F. N. Catbas, ‘Artificial Intelligence Assisted Infrastructure Assessment using Mixed Reality Systems’, Transp. Res. Rec. J. Transp. Res. Board, vol. 2673, no. 12, pp. 413-424, Dec. 2019, doi: 10.1177/ 0361198119839988. [5] F. Moreu, C. Lippitt, D. Maharjan, M. Aguero, and X. Yuan, ‘Augmented Reality Enhancing the Inspections of Transportation Infrastructure: Research, Education, and Industry Implementation’, Transportation Consortium of South-Central States, Aug. 2019. [6] R. T. Azuma, ‘A survey of augmented reality’, Presence Teleoperators Virtual Environ., vol. 6, no. 4, pp. 355-385, 1997. [7] U. Riedlinger et al., ‘Supporting Bridge Inspectors with Interactive Mixed Reality Visualizations of BIM Process and Geometry Data’, in Proceedings of the International Bridge Conference 2021, Jun. 2021. [8] Z. Liu, S. A. Suandi, T. Ohashi, and T. Ejima, ‘Tunnel crack detection and classification system based on image processing’, in Machine Vision Applications in Industrial Inspection X, Mar. 2002, vol. 4664, pp. 145-152. doi: 10.1117/ 12.460191. [9] R. Oullette, M. Browne, and K. Hirasawa, ‘Genetic algorithm optimization of a convolutional neural network for autonomous crack detection’, in Proceedings of the 2004 Congress on Evolutionary Computation, Jun. 2004, vol. 1, pp. 516-521. doi: 10.1109/ CEC.2004.1330900. [10] H. C. S. Rughooputh, S. D. D. V. Rughooputh, and J. M. Kinser, ‘Automatic inspection of road surfaces’, in Machine Vision Applications in Industrial Inspection VIII, Mar. 2000, vol. 3966, pp. 349-356. doi: 10.1117/ 12.380090. 5. Brückenkolloquium - September 2022 117 Ansatz für künstliche Intelligenz und Mixed Reality zur Optimierung des Arbeitsablaufs bei Brückeninspektionen [11] M. S. Kaseko, Z.-P. Lo, and S. G. Ritchie, ‘Comparison of Traditional and Neural Classifiers for Pavement-Crack Detection’, J. Transp. Eng., vol. 120, no. 4, pp. 552-569, Jul. 1994, doi: 10.1061/ (ASCE)0733-947X(1994)120: 4(552). [12] A. Krizhevsky, I. Sutskever, and G. E. Hinton, ‘ImageNet classification with deep convolutional neural networks’, Commun. ACM, vol. 60, no. 6, pp. 84-90, May 2012, doi: 10.1145/ 3065386. [13] R. Girshick, J. Donahue, T. Darrell, and J. Malik, ‘Rich Feature Hierarchies for Accurate Object Detection and Semantic Segmentation’, in Proceedings of the IEEE Conference on Computer Vision and Pattern Recognition (CVPR), Jun. 2014. [14] J. Long, E. Shelhamer, and T. Darrell, ‘Fully Convolutional Networks for Semantic Segmentation’, in Proceedings of the IEEE Conference on Computer Vision and Pattern Recognition, 2015, pp. 3431-3440. [15] B. Hariharan, P. Arbeláez, R. Girshick, and J. Malik, ‘Simultaneous Detection and Segmentation’, in Computer Vision - ECCV 2014, Cham, 2014, pp. 297-312. doi: 10.1007/ 978-3-319-10584-0_20. [16] G. Schall et al., ‘Handheld Augmented Reality for underground infrastructure visualization’, Pers. Ubiquitous Comput., vol. 13, no. 4, pp. 281-291, May 2009, doi: 10.1007/ s00779-008-0204-5. [17] K. Chintalapudi, A. Padmanabha Iyer, and V. N. Padmanabhan, ‘Indoor localization without the pain’, in Proceedings of the sixteenth annual international conference on Mobile computing and networking, New York, NY, USA, Sep. 2010, pp. 173-184. doi: 10.1145/ 1859995.1860016. [18] M. Bueno, F. Bosché, H. González-Jorge, J. Martínez-Sánchez, and P. Arias, ‘4-Plane congruent sets for automatic registration of as-is 3D point clouds with 3D BIM models’, Autom. Constr., vol. 89, pp. 120-134, May 2018, doi: 10.1016/ j.autcon.2018.01.014. [19] P. Herbers and M. König, ‘Indoor Localization for Augmented Reality Devices Using BIM, Point Clouds, and Template Matching’, Appl. Sci., vol. 9, no. 20, p. 4260, Jan. 2019, doi: 10.3390/ app9204260. [20] F. Walch, C. Hazirbas, L. Leal-Taixe, T. Sattler, S. Hilsenbeck, and D. Cremers, ‘Image-Based Localization Using LSTMs for Structured Feature Correlation’, in Proceedings of the IEEE International Conference on Computer Vision, 2017, pp. 627-637. [21] DIN 1076, ‘Bauwerksprüfung nach DIN 1076. Bedeutung, Organisation, Kosten’, 2013. [22] L. Höltgen, F. Cleve, and P. Hagedorn, ‘Implementation of an Open Web Interface for the Container-based Exchange of Linked Building Data’, in 32. Forum Bauinformatik 2021, Darmstadt, Germany, 2021, p. 9. doi: 10.26083/ tuprints-00019496. [23] EN ISO 21597-1, ‘Information container for linked document delivery - Exchange specification - Part 1: Container’, 2020. [24] DIN SPEC 91391-1: 2019-04, ‘Gemeinsame Datenumgebungen (CDE) für BIM-Projekte - Funktionen und offener Datenaustausch zwischen Plattformen unterschiedlicher Hersteller - Teil 1: Module und Funktionen einer Gemeinsamen Datenumgebung’, Beuth Verlag GmbH, 2019. doi: 10.31030/ 3044838. 5. Brückenkolloquium - September 2022 119 Brückeninspektion: Datenerfassung, -prozessierung & -analyse - ein moderner Ansatz DI Gerald Fuxjäger Vermessung ADP Rinner ZT GmbH Zusammenfassung Brückeninspektionen haben nach österreichischen normativen Vorgaben spätestens alle sechs Jahre zu erfolgenden Bei Brückeninspektionen steht nach wie vor die subjektive Bewertung des Sachverständigen (SV) im Vordergrund. Durch sensorbasierte Datenaufnahmen, terrestrisch- oder Drohnengestützt, einhergehende Anwendung navigationsspezifischer und photogrammetrischer Methoden, weitgehend automatisierter Triangulation und darauf basierter Anfertigung eines Digital Twin sowie Schadensdetektion mittels künstlicher Intelligenz (KI) und automatisiertem Reporting als Cloud Service soll der Sachverständige (SV) entsprechend unterstützt und die Inspektionsbefundung objektiviert werden. Nachvollziehbare Ergebnisse der maschinellen Zustandsbewertung können somit in das Asset Management der Infrastrukturbetreiber einfließen. Besondere Herausforderungen stellen die Navigation, die erforderliche Bildqualität und die Zuverlässigkeit der KI-Ergebnisse dar. 1. Modernisierungsbedarf 1.1 Instandhaltungsvorgaben Gemäß den Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen (RVS), festgehalten in der RVS-Reihe 13.03. xx, sind Brücken und andere Ingenieurbauten (FSV 2012) alle 4 Monate zu überwachen, alle 2 Jahre zu kontrollieren und spätestens alle 6 Jahre zu prüfen (FSV 2011). Ziel der regelmäßigen bautechnischen Begutachtung ist die laufende Gewährleistung der Zuverlässigkeit und Verkehrssicherheit entsprechender Konstruktionen. Durch periodische Erhebung, Dokumentation und Bewertung des Erhaltungszustands von Brücken und ähnlichen Ingenieurbauwerken sind Mängel und allfällig eingetretene Schäden rechtzeitig zu erkennen und zu beheben, bevor ein größerer wirtschaftlicher Schaden eintritt bzw. die Zuverlässigkeit und/ oder die Verkehrssicherheit beeinträchtigt wird. Im Rahmen der Prüfung von Brücken und artverwandten Kunstbauten sind von einem sachkundigen Ingenieur mit einschlägiger Erfahrung Mängel und Schäden, die Einfluss auf die Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit des Bauwerks haben, festzustellen, zu dokumentieren und zu beurteilen. Zu den dabei qualitativ als auch quantitativ festzuhaltenden Mängeln und Schäden zählen dabei unter anderem Hohlstellen, Verschmutzungen, Bemoosungen, auffällige Verformungen, Risse, Roststellen, Korrosion der Bewehrung, freiliegende Bewehrung und Abplatzungen. 1.2 Traditionelle Inspektionspraktiken In der Regel wird der Erhaltungszustand bzw. die Funktionstüchtigkeit einer Brücke durch zwangsweise im Freien stattfindende Sicht- und gegebenenfalls Klopfprüfungen unter Verwendung besonderer Rüstungen und Geräte festgestellt. Hierfür begeben sich sachkundige Inspekteure nach Bewerkstelligung erforderlicher Verkehrsabsicherungen meist auf temporäre Baugerüste oder - um die Sicherheit des entsprechend geschulten und erfahrenen Fachpersonals zu erhöhen - auf fahrbare Brückenuntersichtgeräte (d.s. auf einem LKW montierte, vertikal ausfahrbare und horizontal schwenkbare Plattformen) und untersuchen die Brückenoberfläche auf kurzen Entfernungen visuell unter Zuhilfenahme einfacher Mittel wie Zollstock, Risslupe oder Rissmaßstab und Hammer (SEIM 2018). Zu Dokumentationszwecken werden die Schäden abfotografiert, deren Verortung skizzenhaft und deren Ausdehnungen quantitativ festgehalten, bevor sie schließlich einer Bewertung seitens des SV unterzogen werden. Damit sind herkömmliche Zugangstechniken und handnahe Inspektionspraktiken durch eine komplexe Logistik charakterisiert, mit einem hohen Risiko für Prüfer und Verkehrsteilnehmer verbunden und arbeits-, zeit- und kostenintensiv. Zudem erfolgt die Dokumentation, bedingt durch die ausschließliche Fokussierung auf Schäden, vorwiegend punktuell. Darüberhinaus ist die Zustandsbewertung zwangsläufig subjektiv, kaum nachvollziehbar und ist bei hohen Brückenbauwerken aufgrund der begrenzten Reichweite des Brückenuntersichtgerätes praktisch kaum vollständig durchführbar. 120 5. Brückenkolloquium - September 2022 Brückeninspektion: Datenerfassung, -prozessierung & -analyse - ein moderner Ansatz Abb. 1: Brückeninspektionsgerät 1.3 Schwerpunktverlagerung: Digitalisierung Um den immensen Aufwand aus personeller, organisatorischer und finanzieller Sicht zu minimieren und gleichzeitig die mit den Inspektionsarbeiten verbundenen Sicherheitsrisiken von Prüfer und Verkehrsteilnehmer zu reduzieren, liegt es nahe, bereits bestehende digitale Lösungen, die in einem interdisziplinären Zusammenspiel an der Umsetzung der Optimierungsvorhaben beteiligt sind, geeignet miteinander zu verknüpfen und der Reihe nach einzusetzen. Im Folgenden wird eine bereits erfolgreich umgesetzte und in der Praxis abgedeckte Prozesskette der digitalisierten Bauwerksinspektion präsentiert, die es erlaubt den gesteigerten Einsatz von Brückenuntersichtgeräten zu reduzieren und dadurch ggf. notwendige Brückenbetriebseinschränkungen deutlich zu verkürzen, Dokumentationen unter Einbeziehung eines flächendeckenden Abbildes des gesamten Bauwerks auszuweiten, Zustandsbeurteilungen zu objektivieren und für eine zuverlässige Zustandsvergleichbarkeit zu homogenisieren. 2. Brückeninspektion 4.0 Text Das Konzept der digitalisierten Brückeninspektion ist in drei aufeinanderfolgende Arbeitspakete gegliedert (vgl. Abb. 1). Diese umfassen (1) die vorwiegend luftgestützte Datenerfassung mittels eigens entwickeltem und auf die Brückeninspektionsbedürfnisse angepasstem Flugroboter, (2) die als Cloud Service verpackte dreiteilige Datenprozessierung samt softwareunabhängiger visueller Auf bereitung und tabellarischer Auflistung eruierter Zustandsdaten in einem webbasierten geografischen Informationssystem (WebGIS), sowie (3) die Bereitstellung vorklassifizierter bzw. vorkalkulierter Ergebnisse (automatisiertes reporting), zur kontrollierten Vervollständigung und Integration in bestehende Berichte seitens des SV. Abb. 2: Prozesskette digitalisierte Brückeninspektion - von der vollständigen Erfassung und Digitalisierung des Bauwerks bis hin zur objektivierten Bauwerksanalyse und Zustandsbeurteilung (Quelle: STRUCIN- SPECT 2020A) 2.1 Datenerfassung mittels maßgeschneiderter UAV Die Herausforderungen zum konsequenten Einsatz von unbemannten Luftfahrzeugen, auch als UAV (engl. Unmanned Aerial Vehicle) bezeichnet, werfen diverse rechtliche, organisatorische und technische Fragen auf, wobei hier nur auf letztgenannten und da aktuell nur auf die RGB Datenerfassung mit Kameras für die optische Prüfung eingegangen wird. Für eine effiziente Datenauswertung, s. u., müssen die Bildaufnahmen, die mittels Drohnenbefliegung erzeugt werden, sowohl geometrische Kriterien erfüllen um eine photogrammetrische Triangulation und in weiterer Folge einen Digital Twin berechnen zu können, andererseits radiometrische oder Bildqualitätskriterien um die KI für die Schadensdetektion einsetzen zu können. Die wesentlichen zugehörigen Vorgaben dazu sind eine GSD (Bildauflösung am Objekt) mit 0,5 mm/ Pixel, eine ausreichende Überlappung der Bilder zueinander, eine sehr hohe Bildschärfe, geringstmögliches Bildrauschen und eine möglichst homogene Ausleuchtung. Die wichtigsten - meist behindernden - Randbedingungen sind die sichere Zugänglichkeit, die Vegetation in der unmittelbaren Umgebung, die Größe und Form des Objekts (der Brücke), die Verkehrsbehinderungen, die Lichtverhältnisse und die GNSS Abschattungen. Daraus abgeleitet ergibt sich folgende Anforderung an die Drohnenauswahl: möglichst großer Bildsensor auf möglichst kleiner Drohne, Aufnahmeabstand ca. 2-5 m und eine sichere und effiziente Steuerungsmöglichkeit sowie eine adäquate Beleuchtung. Abb. 3: Maßgeschneiderte UAV für die Datenerfassung: „Scorpion L“ 5. Brückenkolloquium - September 2022 121 Brückeninspektion: Datenerfassung, -prozessierung & -analyse - ein moderner Ansatz Die „Scorpion L“ ist ein unbemanntes Luftfahrzeug, ausgestattet mit einer Vollformatkamera und einer Beleuchtung mit einer Flugzeit von mehr als 10 Minuten. Mit einer Abmessung von unter 800mm und einem Aufnahmeabstand von 2-5 m ist das UAV perfekt für Aufnahmen unter Brücken und zwischen Baustrukturen geeignet. Das maximale Abfluggewicht beträgt unter 3,9 kg. Abb. 4: Die zum Flug notwendige FPV Kamera sitzt am Ende der Drohne um dem UAV-Piloten eine Third-Person-Perspektive zu erlauben. Abb. 5: Third-Person Perspektive aus der Sicht des zu steuernden UAV-Piloten Zur Einhaltung der notwendigen GSD bekommt der UAV Pilot durch eine LED Beleuchtung die Information über den momentanen Aufnahmeabstand zum Objekt. Dank der Third-Person-Perspektive kann der UAV Pilot durch Sicht auf die Ausleger der Drohne Abstände einschätzen, um gefahrlos an Hindernisse vorbei zu manövrieren. 2.2 Photogrammetrische Datenverarbeitung Die digitale Photogrammetrie ist als Überbegriff all jener berührungslosen Messmethoden und robusten Auswerteverfahren zu verstehen, mit denen die Lage, Form und optische Beschaffenheit von in digitalen Messbildern dargestellten Objekten rekonstruiert wird (KRAUS 1994). Das Ergebnis der photogrammetrischen Auswertung kann dabei die Form eines digitalen, photorealistischen Geometriemodells einnehmen, das in Informationssysteme einfließt - ein sogenannter Digital Twin. Ausgangspunkt zur weitgehend automatisierten, photogrammetrischen Erstellung eines digitalen Bauwerkszwillings stellt der Bildverband dar, bei dem es sich um eine Vielzahl von sich bis zu 90% überlappenden Bildern handelt, die von verschiedenen Standorten aus aufgenommene Objektpunkte der zu rekonstruierenden Bauwerksoberfläche in mindestens zwei Aufnahmen abbilden. Voraussetzung für die photogrammetrische Mehrbildauswertung ist die Bildorientierung, bei der die Aufnahmesituationen mathematisch rekonstruiert, d.h. die Positionen und Drehungen der Kamera bzw. der Bilder zu den Aufnahmezeitpunkten bestimmt werden. Die eigentliche Auswertung beruht auf dem Prinzip der Triangulation, bei der räumlich zu bestimmende Objektoberflächenpunkte zunächst individuell in mindestens zwei Bildern lokalisiert werden. In Verbindung mit den zugehörigen Orientierungsdaten der betroffenen Bilder können daraus in weiterer Folge korrespondierender Sehstrahlen rekonstruiert und für jeden der vielen Objektpunkte einzeln zum Schnitt gebracht werden. Das Ergebnis ist eine räumlich strukturierte, wenn auch unorganisierte und mit unscharfen Grenzen gekennzeichnete Menge von Punkten (OTEPKA et al. 2013), die als Diskretisierung der einzelnen Oberflächen der Bauwerkskomponenten zu verstehen ist. Die Punkte selbst sind dabei durch ihre dreidimensionalen, kartesischen Koordinaten in einem gemeinsamen Projektkoordinatensystem definiert. Die Einbindung des digitalen Zwillings in das übergeordnete Koordinatensystem geschieht für gewöhnlich über Passpunkte, die im Landeskoordinatensystem geodätisch eingemessen wurden, bzw. über RTK oder PPK der Aufnahmestandpunkte. Die georeferenzierte 3-D-Punktwolke kann anschließend mathematisch durch geometrische Formen (bspw. durch eine Dreiecksvermaschung) approximiert bzw. interpoliert werden. Die so entstehenden mehrdimensionalen Bauwerksmodelle bzw. -hüllen können in einem abschließenden Schritt mit den Texturen der zugehörigen Bilder versehen werden, um ein detailtreues digitales Abbild der Realität darzustellen. 2.3 KI-unterstützte Musterkennung Durch Methoden der künstlichen Intelligenz (KI) werden Brückenschäden qualitativ (Schadenstyp) und quantitativ (Schadensintensität) klassifiziert (vgl. Abb. 2). Ein künstliches neuronales Netz (NN) mit zahlreichen Schichten zwischen Ein- und Ausgabeschicht, das mittels Deep Learning trainiert wird, sorgt dabei für eine automationsgestützte, schablonisierte Untersuchung auf sowie eine objektivierte Detektion, Markierung und Klassifikation von in den aufgenommenen Brückenbildern optisch erkennbaren Schäden, zu welchen u. a. Verschmutzungen, vegetativer Befall, auffällige Verformungen, Risse, Roststellen, Korrosion der Bewehrung, freiliegende Bewehrung und Abplatzungen zählen. Für das Trainieren der einzelnen Schadenstypen sind a) ausreichend Bilder - dies können tausende sein, die sowohl die allgemeinen, sich wiederholenden, als auch die konkreten projektspezifischen Muster und Aufnahme- und Lichtverhältnisse repräsentieren sollen, und b) Experten, die die 122 5. Brückenkolloquium - September 2022 Brückeninspektion: Datenerfassung, -prozessierung & -analyse - ein moderner Ansatz Schadensmuster fachlich korrekt manuell erfassen, notwendig. Nur dadurch kann die angestrebte False-Negative Rate ≤ 0,5 % und False-Positive Rate ≤ 10 % erreicht werden, weiters die in nachfolgenden Schritten notwendige Zusammenführung der detektierten Schäden aus mehreren Einzelbildern in jeweils einen eindeutigen zuordenbaren Schaden. Abb. 6: KI-basierte Schadensdetektion und -extraktion: Darstellung unterschiedlicher Schadenstypen im Originalbild (links) und KI-gestützte, klassifizierte Segmentierung (rechts) (Quelle: STRUCINSPECT 2020B) 2.4 Datenvisualisierung und -management Die softwareunabhängige Verfügbarmachung der dynamischen Visualisierung des digitalen Zwillings sowie der qualitativen als auch quantifizierten Schadensdokumentation erfolgt in einem Web-basierten geographischen Informationssystem (WebGIS) via Einbettung eines Viewers zur dreidimensionalen Modellbetrachtung sowie einer datenbankgestützten tabellarischen Auflistung exakt verorteter Schäden mit Klassifizierungsdetails. Dadurch wird dem erfahrenen Bauingenieur die Möglichkeit einer ortsunabhängigen, augenscheinlichen Bewertung geboten. Darüber hinaus sind dem Experten, der für die an die Vorklassifizierung anschließende Zuweisung von Zustandsnoten zuständig ist, strukturierte Archivierungs- und positionsbezogene Abfragemöglichkeiten hinsichtlich Brückenbestands- und -zustandsdaten gegeben. Zur Unterstützung des Bearbeiters bei der Berichterstellung verfügt das WebGIS zudem über einen Report Generator. Abb. 7: Dreidimensionales Modell einer Brücke im WebGIS Abb. 8: Georeferenzierte, durchnummerierte Bauwerksschäden dargestellt im WebGIS und auswählbar per Mausklick zur Weiterleitung zu korrespondierenden Klassifizierungsdetails (Quelle: STRUCINSPECT 2020B) 3. Zusammenfassung & Ausblick Brücken und artverwandte Ingenieurbauten haben Anforderungen hinsichtlich Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit sowie Verkehrssicherheit zu erfüllen. Sie sind daher in möglichst gleichmäßigen Zeitabständen, spätestens alle sechs Jahre, einer Inspektion zu unterziehen. Normative Regelwerke beschreiben diese insbesondere in Österreich und Deutschland seit Jahrzehnten und werden nicht zuletzt aufgrund der neuen digitalen Möglichkeiten in den nächsten Jahren überarbeitet. Traditionelle Brückenprüfungen mit dem Einsatz von Untersichtgeräten führen darüber hinaus zu massiven Verkehrseinschränkungen und Sicherheitsrisiken. Zudem sind sie subjektiv, kostenintensiv und schwer nachvollziehbar, womit nur schwierig verlässliche Aussagen zu Veränderungen der Bauwerkssicherheit und zur Kostenabschätzung von Sanierungen abgeleitet werden können. Vor diesem Hintergrund sind zur Ermöglichung vorbeugender Instandsetzungsmaßnahmen und die damit einhergehende laufende Gewährleistung zur sicheren Nutzbarkeit innovative Ansätze für Brückeninspektionen unter Einbeziehung von Technologien der Industrie 4.0 erforderlich. Durch nahtlose Kombination neuartiger Prozesse zur Datenerfassung (mittels maßgeschneiderter Drohnen als zentrale Sensorplattformen), zur Datenprozessierung (durch die Verwendung künstlicher Intelligenz zur automatisierten Detektion und Vorklassifizierung von Bauwerksschäden) sowie 5. Brückenkolloquium - September 2022 123 Brückeninspektion: Datenerfassung, -prozessierung & -analyse - ein moderner Ansatz zur Datenanalyse (mithilfe der Visualisierung des photogrammetrisch erstellten digitalen Zwillings und die übersichtliche Darstellung in einem Web-basierten geographischen Informationssystems) werden objektivierte und flächendeckende Zustandsinformationen erzeugt, Kosten für Verkehrssperren, Brückeninspektionsgeräte und Einrüstungen vermieden, sowie die Sicherheit und Verfügbarkeit der Verkehrsinfrastruktur und der damit verbundenen Versorgungssicherheit als auch die Minimierung der Verkehrsstörung bei Inspektionen sichergestellt. Aus technischer Sicht wird sich die Weiterentwicklung insbesondere auf den Bereich verbesserter automatisierbarer Datenerfassung konzentrieren, es werden weitere v.a. chemisch-physikalische Sensoren zur Erfassung z. B. der Chloridisierung oder Karbonatisierungstiefe adaptiert werden, im Bereich der Datenverarbeitung werden auch künstliche Intelligenz und die notwendige Anbindung an Asset-, bzw. Infrastrukturmanagement an Bedeutung zunehmen. Literatur [1] FSV (2011): RVS 13.03.11 Qualitätssicherung bauliche Erhaltung; Überwachung, Kontrolle und Prüfung von Kunstbauten; Straßenbrücken, ausgearbeitet von der Österreichischen Forschungsgesellschaft Straße - Schiene - Verkehr. [2] FSV (2012): RVS/ Mkbl 13.03.01 Qualitätssicherung bauliche Erhaltung; Überwachung, Kontrolle und Prüfung von Kunstbauten; Monitoring von Brücken und anderen Ingenieurbauwerken, ausgearbeitet von der Österreichischen Forschungsgesellschaft Straße - Schiene - Verkehr. [3] KRAUS, K. (1994): Photogrammetrie, Band 1, Grundlagen und Standardverfahren. 5., durchgesehene und erweiterte Auflage, Dümmler Verlag, Bonn. [4] OTEPKA, J., SAJID, G., WALDHAUSER, C., HOCHREITER, R. & PFEIFER, N. (2013): Georeferenced Point Clouds: A Survey of Features and Point Cloud Management. In: ISPRS International Journal of Geo-Information, vol. 2, no. 4, 1038- 1065. [5] SEIM, W. (2018): Bewertung und Verstärkung von Stahlbetontragwerken. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage, Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin. STRUCINSPECT (2020A): Aivolution of Structural Inspection, https: / / strucinspect.com/ wp-0adb9content/ uploads/ 2019/ 09/ Strucinspect-Folder-DE. pdf (11.11.2020) [6] STRUCINSPECT (2020B): Information provided by strucinspect, Vienna, 2020. Kontakt DI Gerald Fuxjäger ADP Rinner ZT GmbH Münzgrabenstr. 4/ 1 A-8010 Graz gerald.fuxjaeger@adp-rinner.at 5. Brückenkolloquium - September 2022 125 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring Andreas Jansen Fachgebiet Entwerfen & Konstruieren - Stahlbau, Technische Universität Berlin, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Karsten Geißler Fachgebiet Entwerfen & Konstruieren - Stahlbau, Technische Universität Berlin, Deutschland Zusammenfassung Methoden aus dem Bereich des maschinellen Lernens (ML) versprechen großes Potenzial für die Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring. Mittels einer Anomalieerkennung auf Grundlage von ML-Methoden können Veränderungen in den Signalen durch Bauwerksschäden oder Fehler im Messsystem identifiziert werden. Im vorliegenden Artikel wird ein Ansatz zur Anomalieerkennung mit einem Temporal Convolutional Autoencoder untersucht. Temporal Convolutional Networks (TCN) sind eine Art von neuronalen Netzen, die speziell für die Anwendung auf Zeitreihen ausgelegt sind. Der verwendete Autoencoder kann entsprechend Sensorsignale direkt verarbeiten, ohne dass eine Extraktion von Merkmalen, wie z.-B. Eigenfrequenzen, für die Strukturüberwachung notwendig ist. Die Anomalieerkennung wird mit simulierten Dehnungssignalen einer stählernen Straßenbrücke unter realitätsnaher Verkehrs- und Temperatureinwirkung untersucht. Ein Ermüdungsriss im Haupttragwerk wird mit der vorgestellten Methodik erkannt und lokalisiert. Außerdem erfolgt die Identifikation von zwei simulierten Sensorfehlfunktionen. 1. Einleitung Die Strukturüberwachung durch Bauwerksmonitoring, engl. Structural Health Monitoring (SHM), kann insbesondere bei nicht für heutige Verkehrslasten ausgelegte Bestandsbrücken ein wichtiger Bestandteil eines modernen und digitalen Erhaltungsmanagements werden. Durch die Strukturüberwachung soll ein Bauwerksschaden zum frühestmöglichen Zeitpunkt erkannt werden. Dies kann den schlimmsten Fall des Brückeneinsturzes verhindern, v.-a. wird aber eine bessere Planbarkeit von Erhaltungsmaßnahmen erreicht. Konzeptionell wird die Schadenserkennung bei der Strukturüberwachung in fünf Stufen entsprechend Abb.-1 kategorisiert [1]. Abb.-1: Konzeptionelle Stufen der Schadenserkennung bei der Strukturüberwachung nach [1] Umfassende Forschung existiert vorrangig auf dem Gebiet der schwingungsbasierten Schadenserkennung [2]. Bei diesen Verfahren werden üblicherweise Beschleunigungsaufnehmer eingesetzt, um die Modaleigenschaften (Eigenfrequenzen, Schwingungsformen und modale Dämpfungen) einer Brücke zu bestimmen. Die Schwingungseigenschaften zeigen dabei Abhängigkeiten von äußeren Einflüssen, in erster Linie von der Bauwerkstemperatur, v. a. infolge temperaturabhängigen Steifigkeitseigenschaften des Asphaltbelags, aber auch die Wind- und Verkehrseinwirkung können eine Rolle spielen [3]. Für eine Schadenserkennung (Stufe 1) können die Abhängigkeiten der Schwingungseigenschaften in numerischen Modellen aus dem Bereich des maschinellen Lernens (ML) erfasst werden. Die Eigenfrequenzen werden dabei beispielsweise durch Regressionsmodelle anhand der Bauwerkstemperatur vorhergesagt [3], [4]. Die Schadenserkennung erfolgt dann durch eine Anomalieerkennung auf Grundlage des Vergleichs zwischen gemessener und vorhergesagter Eigenfrequenzen. Entsprechende Regressionsmodelle basieren dabei nur auf den Daten, d. h. es werden keine Annahmen über die physikalischen Eigenschaften des Bauwerks, wie z. B. dem E-Modul, getroffen. Für eine Lokalisierung eines Schadens (Stufe-2) kommen beispielsweise Methoden zum Einsatz, die Schwingungsformen betrachten [5]. Für die höheren Stufen der Schadenserkennung sind physikalische Modelle der Brücke nötig. Hier werden u.-a. Ansätze verwendet, die eine iterative Anpassung von Finite Elemente (FE)-Modellen anhand der Messdaten vornehmen (FE-Update) [6]. Die schwingungsbasierte Strukturüberwachung konnte sich bisher allerdings nicht in der Praxis durchsetzen, v.- a. da die Veränderungen von Eigenfrequenzen, die durch Schäden der Struktur hervorgerufen werden, meist nur sehr gering sind [2]. Neuere Entwicklungen zeigen sich in der Forschung durch den verstärkten Einsatz von ML- und Deep-Learning-(DL-)Modellen sowie u.-a. durch Methoden auf Basis von Dehnungs- [7],-[8],-[9], Neigungs--[10] oder Schallemissionsmessungen-[11]. 126 5. Brückenkolloquium - September 2022 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring 2. Anomalieerkennung mit Autoencoder für die Strukturüberwachung von Brücken 2.1 Konzept Für die Strukturüberwachung wird angenommen, dass die Messdaten der ungeschädigten Struktur den normalen Ausgangszustand darstellen. Ein Modell zur Anomalieerkennung erfasst die Abhängigkeiten in den Messdaten. Anhand dieses Modells sollen Abweichungen der Abhängigkeiten, infolge von Veränderungen des Tragverhaltens durch einen Bauwerksschaden sowie Fehler des Messsystems, u.-a. Sensordefekte, als Anomalien bzw. Neuheiten frühzeitigt erkannt werden (s. Abb.-2). Abb.-2: Schema der Anomalieerkennung zur Schadenserkennung anhand von Messdaten einer Brücke Die im vorliegenden Artikel betrachteten Modelle sind Autoencoder, eine spezielle Architektur für neuronale Netze, die bei der Anomalieerkennung in die Kategorie der Rekonstruktionsmethoden fällt [12]. Der Auf bau eines Autoencoder besteht aus einer Funktion f e (x), die eine Transformation der Daten x auf eine Variable ξ * in einen Raum mit geringerer Dimension durchführt. Diese Funktion wird Encoder genannt. Die Variable ξ * enthält die wesentliche Information der Daten und wird auch als Code oder latente Repräsentation bezeichnet. Eine zweite Funktion f d (x), der Decoder, ermittelt eine Rekonstruktion x̂ der Daten anhand der latenten Repräsentation. Die Annahme bei der Rekonstruktion ist, dass normale Daten eine gewisse Korrelationsstruktur aufweisen bzw. formal in einem gewissen topologischen Raum liegen - im einfachsten Fall einer Linie oder Ebene. Als Anomaliewert wird bei Autoencodern üblicherweise ein Rekonstruktionsfehler ε betrachtet, der die Abweichungen zwischen neuen Messdaten x und der Rekonstruktion des Modells x̂ bewertet, z. B. die Summe der quadrierten Residuen. Liegt der Anomaliewert eines Datenpunkts oberhalb einer definierten Schwelle, wird dieser als anomal gekennzeichnet. Je nachdem, welche Arten von neuronalen Netzen verwendet werden, können Autoencoder quasi auf beliebige Daten angewendet werden. So ist es möglich, die Abhängigkeiten von Merkmalen, wie z. B. Eigenfrequenzen, mit Autoencoder abzubilden. Mit mehrschichtigen Neuronalen Netzen (Deep Learning) können aber die Zeitreihen der Sensoren auch direkt im Modell verarbeitet werden - eine Extraktion von Merkmalen entfällt. Weiterhin ist es möglich, verschiedene Merkmale oder auch Signale unterschiedlicher Sensoren in einem Autoencodermodell zu kombinieren. Im Gegensatz zu Regressionsmodellen werden die Abhängigkeiten der Daten implizit betrachtet, ohne dass eine Einflussgröße, z.-B. Temperatur, und eine Zielgröße, z.-B. eine Eigenfrequenz explizit definiert werden müssen. Die Parameter eines Autoencoders werden in einer Lernphase durch einen Optimierungsalgorithmus anhand von Trainingsdaten bestimmt, s. [13]. Ein übliches Vorgehen ist es, einen Teil der Trainingsdaten als Testdaten zu verwenden, um die Güte des Modells zu prüfen. Die Daten der Lernphase decken dabei möglichst den gesamten realistischen Wertebereich ab. Wegen des zumeist großen Einflusses der Temperatur bei der Strukturüberwachung von Brücken bedeutet dies, dass die Lernphase mindestens einen Sommer und einen Winter beinhalten sollte. Bei den Messdaten einer Brücke in der Lernphase sollten keine Beispiele für anomale Daten vorliegen. Damit fällt die Anomalieerkennung grundsätzlich in die Kategorie des unbetreutem Lernens. Implizit wird die Annahme getroffen, dass alle Daten der Lernphase normal sind, also das Bauwerk ungeschädigt ist. Manche Autoren nutzen deshalb auch die Bezeichnung semi-betreut. Ob die Annahme eines ungeschädigten Ausgangszustandes auch wirklich zutreffend ist, muss bei Praxisanwendungen auf Grundlage der Bauwerksprüfung und einer ersten Analyse der Messdaten bestätigt werden. 2.2 Stand der Forschung Erste Anwendungen mit Rekonstruktionsmethoden zur Strukturüberwachung von Brücken betrachten Eigenfrequenzen als Merkmale. Beispielsweise wird in [14] die Hauptkomponentenanalyse, engl. Principal Component Analysis (PCA), für die Schadenserkennung anhand von Eigenfrequenzen betrachtet. Die PCA wird dabei als lineares Rekonstruktionsmodell ähnlich zu einem Autoencoder verwendet. In einer anderen frühen Veröffentlichung wird ein Autoencoder, in diesem Fall als Auto-Associative Neural Network (AANN) bezeichnet, auf die Parameter eines Autoregressionsmodells als Merkmale angewendet [15]. Eine Schadenserkennung wird anhand von Beschleunigungsmessdaten eines Hochbaumodells im Labor demonstriert. Die Autoren des vorliegenden Artikels untersuchen in einer anderen Veröffentlichung ebenfalls, wie ein Autoencoder auf extrahierte Merkmale einer Brücke zur Schadenserkennung angewendet werden kann [8]. Es werden vier Signalmerkmale untersucht, u.- a. zwei Arten von Verhältniswerten von Dehnungs- und Wegsignalen, die als Rbzw. M-Signatur definiert werden. Die Schadenserkennung wird mit simulierten 5. Brückenkolloquium - September 2022 127 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring Daten verifiziert. In realen Messdaten einer Brücke kann ein Fehler im Messsystem identifiziert werden. Veröffentlichungen mit Autoencodern, die DL-Ansätze mit wenigen Vorverarbeitungsschritten nutzen, finden sich im Bereich der Strukturüberwachung erst seit wenigen Jahren. In [16] wird beispielsweise ein 2-D Convolutional-Network-(CNN-)Autoencoder mit Beschleunigungsmessungen an einer kleinmaßstäblichen einfeldrigen Modellbrücke verwendet. CNNs werden häufig für Anwendungen mit Bilddaten (2-D) verwendet, z.-B. Computer Vision. In der Veröffentlichung werden die Signale zunächst mittels Wavelet-Transformation in die Zeit-Frequenz-Domäne übertragen. Der Autoencoder wird darauf hin auf die Bilddaten der Zeit-Frequenz- Darstellung angewendet. Das Lösen einer Schraubverbindung wird mit dem Modell erkannt und anhand der Sensorposition mit dem größten Fehlerwert lokalisiert. Eine direkte Anwendung eines 1-D-CNN-Autoencoders auf ambiente Beschleunigungssignale erfolgt in [17]. Die Anomalieerkennung wird hier anhand der latenten Repräsentation realisiert. Der beschriebene Ansatz wird mit simulierten Daten eines Hochbaus, eines kleinmaßstäblichen Brückenmodells sowie realen Daten der Tianjin- Yonghe-Brücke unter Schädigung demonstriert. Eine Anwendung, die explizit die Beschleunigungsantwort einer Brücke während Überfahrten von Fahrzeugen betrachtet, findet sich in [18]. Für eine einfeldrige Spannbeton-Straßenbrücke werden Überfahrten einzelner Fahrzeuge sowie zeitgleiche Überfahrten mehrerer Fahrzeuge simuliert. Als Schaden wird der Ausfall eines externen Spannglieds berücksichtigt. Ein CNN-Autoencoder wird direkt auf die simulierten Beschleunigungssignale angewendet. Deutlich verlässlichere Ergebnisse werden bei der Schadenserkennung unter der isolierten Betrachtung einzelner Überfahrten erreicht. In [19] werden ebenfalls Beschleunigungssignale während einzelner Fahrzeugüberfahrten sowohl in numerischen Untersuchungen als auch in einem kleinmaßstäblichen Laborversuch betrachtet. Hier wird ein 1-D-CNN-Variational-Autoencoder als Modell verwendet. Eine Schadenslokalisierung wird anhand des Zeitpunktes der Überfahrt (umgerechnet als Fahrzeugposition) mit dem größten Rekonstruktionsfehler erreicht. Ein CNN-Va-riational-Autoencoder wird ebenfalls in [20] zur Schadenserkennung angewendet. Als Signale werden hier Durchbiegungen einer kleinmaßstäblichen Modellbrücke aus Videodaten einer hochauflösenden Kamera extrahiert. Fahrzeugüberfahrten werden durch einen kleinen Modellwagen nachgeahmt. Anstelle eines fest installierten Monitoringsystems werden in [21] die Beschleunigungssignale von Fahrzeugen analysiert. Es wird davon ausgegangen, dass zukünftig Sensorik von Lkw-Flotten auch für die Schadenserkennung bei Brücken verwendet werden kann. Überfahrten von Fahrzeugen werden mit Stabwerksmodellen für eine einfeldrige und eine mehrfeldrige Balkenbrücke simuliert. Die Schadenserkennung erfolgt mit einem Autoencoder-Modell, das CNN- und Long-Short-Term-Memory- (LSTM-)Schichten kombiniert. Durch die LSTM-Schichten werden die Langzeitabhängigkeiten erfasst. Im Vergleich zur beschriebenen Literatur ist die vorgestellte Anwendung eines Autoencoders auf Dehnungssignale sowie die Verwendung von Temporal Convolutional Networks im Kontext der Strukturüberwachung von Brücken ein Novum. 2.3 Temporal Convolutional Autoencoder Temporal Convolutional Networks (TCN) sind eine Weiterentwicklung der CNNs speziell für die Anwendung auf Daten mit Zeitabhängigkeit, wie u.-a. Sensorsignale [22],-[23]. In CNNs und somit auch in TCNs wird die mathematische Operation der Faltung, engl. Convolution, mit sogenannten Filtern verwendet. Bezogen auf digitale Signale für SHM-Anwendungen, soll das Grundprinzip von 1-D-CNNs und TCNs nachfolgend kurz erläutert werden. Die Eingangsgröße einer 1D-Convolutional-Schicht sei ein Signal x mit n t × n S Datenpunkten für n t Zeitschritte und n S Kanälen bzw. Sensoren. Der Filter oder auch Kernel der Länge k sei w mit Dimension k × n S . Die Ausgangsgröße y der Schicht zum Zeitpunkt t berechnet sich dann über die Faltungsoperation nach Gl.-1. Anschaulich kann die Berechnung als das Gleiten des Filters über die Signale angesehen werden (s. Abb.-3). (1) Abb.-3: Exemplarischer Auf bau eines TCN-Blocks mit akausaler Faltung Konkret wird hier eine akausale Faltung betrachtet, d. h. es werden auch zukünftige Werte, z. B. x t+1 in der Berechnung berücksichtigt (s. [23]). Bei einer kausalen Faltung werden nur die Werte in der Vergangenheit verwendet. Weiterhin wird das Signal x am Anfang und Ende mit Nullen ergänzt, sodass die Ausgabe y die gleiche Länge n t in der Zeitdimension hat (same padding). Eine Schicht kann n F verschiedene Filter beinhalten. Die gesamte Ausgabematrix y hat entsprechend die Dimension n t × n F . Zuletzt wird i. d. R. eine nicht-lineare Aktivierungsfunktion auf die Ausgabe angewendet. Die Werte der Filter werden im neuronalen Netz gelernt. Je Filter werden bestimmte Signalanteile verstärkt oder unterdrückt. Auf diese Weise kann das neuronale Netz 128 5. Brückenkolloquium - September 2022 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring Muster in den Signalen identifizieren. Neben Convolutional-Schichten kommen in CNNs im Regelfall sogenannte Pooling-Schichten zur Anwendung (s.-[24]). In Pooling- Schichten werden statistische Kenngrößen wie der Mittelwert oder das Maximum je Fenster mit Länge n P entlang der Zeitdimension berechnet. Durch Pooling wird erreicht, dass die Ausgabe der Schicht invariant gegenüber kleineren Veränderungen der Position der erkannten Muster im Signal ist. Im Rahmen der vorgestellten Arbeit wird keine Überlappung angrenzender Fenster und keine Ergänzung mit Nullen in Pooling-Schichten berücksichtigt, so dass die Ausgabe einer Schicht der Dimension n t / n P entlang der Zeitachse entspricht. Durch eine Pooling-Schicht wird folglich eine Reduktion der Dimension vorgenommen. In einem CNN werden üblicherweise mehrere Blöcke aus Convolutional- und Pooling-Schichten hintereinander verwendet, um komplexe Zusammenhänge in den Signalen zu erfassen. Die Neuerung des TCN besteht aus einem hierarchischen Auf bau von Convolutional-Schichten, um sowohl Kurzzeitals auch Langzeitabhängigkeiten zu erfassen. In Veröffentlichungen wurde gezeigt, dass mit TCNs genauere Ergebnisse erzielt werden als mit LSTM-Netzen, die v.-a. für Zeitreihen gebräuchlich sind [22],-[23]. Die TCNs zeigen dabei Vorteile in der benötigten Rechenleistung. Ein TCN-Block berücksichtigt mehrere Convolutional- Schichten, wobei in jeder Schicht die Faltung über eine größere Ausdehnung (Dilation) betrachtet wird. Exemplarisch ist in Abb.-3 ein TCN-Block mit Ausdehnung d = (1, 2, 4) dargestellt. Bei Filtergröße k = 3 werden im Beispiel zur Berechnung des Ausgangsignals y t im Eingangssignal 15 Datenpunkte berücksichtigt. Die Langzeitabhängigkeiten innerhalb dieses Zeitraums werden entsprechend erfasst. Im vorliegenden Artikel wird ein TCN-Autoencoder in Anlehnung an die Basis-Architektur in [23] verwendet (s. Abb.-4). Encoder und Decoder bestehen dabei aus jeweils einem TCN-Block und einer Convolutional-Schicht. Die Convolutional-Schichten dienen dabei v.-a. dem Zweck, eine gewünschte Dimension der Daten durch lineare Transformation herzustellen. Eine weitere Dimensionsreduktion wird im Encoder durch eine Mittelwert-Pooling-Schicht erreicht. In der Upsampling-Schicht des Decoders werden die Eingangswerte auf die geforderte Länge in der Zeitdimension gebracht (Abtastratenerhöhung, s.-[23]). Weitere Details zum Modellauf bau werden in Abschnitt-4.1 beschrieben. (2) Die Filter w und weitere Parameter des TCN-Autoencoders werden durch Optimierung bzw. Minimierung einer Verlustfunktion anhand von n Signalausschnitten x als Trainingsdaten bestimmt. Als Verlustfunktion wird dabei die durchschnittliche quadratische Abweichung nach Gl.-2 zwischen Signalausschnitt x und Rekonstruktion x̂ = (f d ° f e ) x betrachtet. Zur Minimierung wird der gradientenbasierte ADAM-Algorithmus verwendet (s. [24]). Der Trainingsdatensatz wird während der Minimierung mehrfach dem neuronalen Netz zugeführt. Jeder Durchlauf wird dabei als Epoche bezeichnet. Die Batchgröße gibt an, wie viele Signalausschnitte zur Berechnung des Gradienten berücksichtigt werden. Abb.-4: Verwendete Architektur eines TCN-Autoencoders 3. Simulation von Messdaten Zur Validierung verschiedener Ansätze zur Schadenserkennung wurde am FG Stahlbau der TU Berlin ein simulierter Datensatz für eine einfeldrige Stahlbrücke unter realitätsnahen Verkehrs- und Temperatureinwirkungen mit einem detaillierten FE-Modell erstellt (s.-a.-[7],-[8]). Am realen Bauwerk (Baujahr 1971) wird eine Messanalage unter Verwendung von Dehnmesstreifen (DMS), Beschleunigungsaufnehmern sowie Wegaufnehmern an den Rollenlagern zur Überwachung der Struktur betrieben (s. Abb.-5). Für die Untersuchungen mit dem TCN-Autoencoder sollen die simulierten Signale von 20 DMS an den Stegen der Hauptträger (HT) während Fahrzeugüberfahrten betrachtet werden. Von diesen Sensoren wird mit vier DMS in Feldmitte am realen Bauwerk gemessen. Die weiteren DMS werden zusätzlich in der Simulation angenommen. 5. Brückenkolloquium - September 2022 129 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring Abb.-5: Übersicht zu Bauwerk und Sensorik in Schnitt (links) und Draufsicht (rechts) mit Temperatursensoren T und T UG , Wegaufnehmer b-d und a-d sowie 20 DMS Insgesamt werden Daten für den Zeitraum eines Jahres (Mai 2019-Mai 2020) generiert. Am Ende des Jahres wird ein Ermüdungsriss im Untergurt des HT-b in vier Schadensszenarien mit fortschreitender Risslänge betrachtet. Der Riss liegt bei ca. einem Drittel der Trägerlänge am Ort eines Dickensprungs im Blech des Untergurts und beginnt im Szenario S1 mit einer Risslänge L R von 20 cm (S2: 40 cm, S3: 80 cm). Im Szenario S4 wird ein vollständiger Riss des Blechs des Untergurts angenommen. Der ungeschädigte Ausgangszustand wird mit S0 bezeichnet. Im FE-Modell wird eine Asphaltschicht mit temperaturabhängigem E-Modul berücksichtigt. Der E-Modul variiert dabei in Abhängigkeit der Temperatur am Deckblech T, die als Eingangsgröße aus den Messdaten des realen Bauwerks übernommen wird. Die Signale der Fahrzeugüberfahrten werden mit Hilfe von Interpolationsmodellen generiert. Die Interpolationsmodelle h(x P , y, T) entsprechen dabei Einflussflächen unter zusätzlicher Abhängigkeit von der Temperatur. Die Stützstellen der Interpolationsmodelle werden für ein Raster an Achspositionen in Brückenlängsrichtung x P , -querrichtung y sowie für mögliche Temperaturen T im FE-Modell berechnet. Für jeden Sensor und jedes Schadensszenario werden einzelne Modelle unter Verwendung der Spline-Interpolation erstellt. Je Schadensszenario werden dabei 2520 FE-Lösungen berechnet. (3) Das Signal s k (x P ) eines DMS k während Überfahrten wird entsprechend Gl.-3 aus den Beiträgen der einzelnen Fahrzeugachsen i superponiert. Die Position x P gibt dabei die Position der ersten Fahrzeugachse an. Die Eingangsgrößen für Achslasten P i und -abstände a i werden aus den Daten einer Achslastzählstelle übernommen. Die Spurlage y der Fahrzeuge in Brückenquerrichtung wird normalverteilt variiert und während der Überfahrt als konstant angenommen. Die Standardabweichung s y wird dabei so gewählt, dass 3s y = 0.5 m entspricht (s. Abb.-5). Verkehr wird wie beim realen Bauwerk auch nur auf der Fahrspur (FS)-2 berücksichtigt. Die Signale der DMS werden unter einer angenommenen Fahrzeuggeschwindigkeit v in den Zeitbereich s(t) mit t = x P / v übertragen. Die Geschwindigkeit v wird normalverteilt angenommen mit Mittelwert 30 km/ h und einer Standardabweichung von 5 km/ h. Abb.-6: Darstellung der Signale des DMS b01 während 20 zufällig gewählten Überfahrten Für die Betrachtungen mit dem TCN-Autoencoder wird eine Abtastrate von 10 Hz gewählt. Je Überfahrt wird eine Matrix x von n t × n S Datenpunkten mit n t = 256 Zeitschritten und n S = 20 Sensoren betrachtet. Die maximale Zeitdauer von 25.6 s wird von allen Überfahrten unterschritten. Der Anfangszeitpunkt einer Überfahrt wird zufällig variiert. Den Signalen wird ein normalverteiltes Rauschen mit einer Standardabweichung von 1 µm/ m zugesetzt. Für das betrachtete Jahr wird je halbe Stunde eine einzelne Fahrzeugüberfahrt generiert, was einer Gesamtanzahl von 17 566 Überfahrten entspricht. In Abb. 6 sind die Signale des DMS b01 für einige Überfahrten exemplarisch dargestellt. Zur Einordnung: Die Überfahrt eines 40-t-LKW erzeugt ca. eine Maximalamplitude von 90 µm/ m. Es soll angemerkt werden, dass die Signalgenerierung nach dem beschriebenen Vorgehen auf der Annahme linear-elastischen Materialverhaltens ohne Berücksichtigung von dynamischen Bauwerksreaktionen basiert. Die Schädigungsprozesse werden entsprechend als abgeschlossen angesehen. 130 5. Brückenkolloquium - September 2022 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring 4. Anwendung auf simulierte Messdaten 4.1 Modell zur Anomalieerkennung Für die Untersuchungen mit dem TCN-Autoencoder werden die simulierten Daten in eine Lernphase und eine Anwendungsphase eingeteilt. Die Lernphase umfasst rund 10 Monate von 01.-Mai-2019 bis zum 21.-Februar 2020. Dabei werden nur 85 % der Daten für die eigentliche Modellanpassung verwendet (Trainingsdaten) und 15 % für die Validierung des Modells (Testdaten). Die Anwendungsphase beginnt am 21. Februar und umfasst jeweils zwei Wochen für ein Kontrollszenario S0 im ungeschädigten Zustand und die Schadensszenarien S1-S4. Die Eingangsdaten des TCN-Modells werden anhand des Maximums der Trainingsdaten skaliert. Der Mo-dellaufbau erfolgt entsprechend Abb.- 4. Für die TCN-Blöcke werden jeweils 32 Filter mit Länge k = 5 verwendet. Im Encoder wird die Ausdehnung mit d = (1, 2, 4, 8, 16) spezifiziert und analog im Decoder in umgedrehter Reihenfolge. Es werden Rectified Linear Units (ReLU) als Aktivierung angewendet (s. [24]). Die Convolutional-Schicht im Encoder hat 8 Filter und die im Decoder 20 Filter jeweils mit der Länge k = 1. Die Convolutional-Schichten nutzen eine lineare Aktivierungsfunktion. Die Pooling- Schicht verwendet eine Fensterlänge n P von 16. Die Dimension der Daten je Überfahrt wird im Encoder folglich von 256 × 20 auf 16 × 8 reduziert. Dies entspricht einer Kompression im Verhältnis 40: 1. Das Modell wird für 100 Epochen mit einer Batchgröße von 32 trainiert. Als Abbruchkriterium wird eine Zunahme der Verlustfunktion für die Testdaten in fünf aufeinanderfolgenden Epochen definiert. Dieses Kriterium wird bei 80 Epochen erreicht. Der Wert der Verlustfunktion (Gl.-2) ist nach der Optimierung für Trainings- und Testdaten ähnlich und beträgt rund 4.7e-04. Abb.-7: Dichteverteilung des Anomaliewerts ε der Daten der Lernphase mit Fehlerschwelle ε th Als Anomaliewert ε wird die Summe der quadrierten Residuen als Rekonstruktionsfehler zwischen den simulierten Messdaten x und der Vorhersage des Modells x̂ je Überfahrt betrachtet (Gl. 4). Der Fehler wird dabei mit den skalierten Werten gebildet und ohne Einheiten betrachtet. Die Verteilung des Anomaliewerts der Trainingsdaten kann durch eine Log-Normalverteilung beschrieben werden (s. Abb. 7). Dass der Rekonstruktionsfehler der Testdaten der gleichen Verteilung entspricht, zeigt, dass ungesehene normale Daten durch das Modell ähnlich gut rekonstruiert werden. Als Schwelle ε th zur Anomalieerkennung wird das 99%-Quantil der Log-Normalverteilung mit einem Wert von 0.26 gewählt. (4) 4.2 Verbleibende Abhängigkeiten des Modells Ein Modell zur Anomalieerkennung soll möglichst unabhängig von den Variationen der normalen Betriebsbedingungen einer Brücke sein, sodass es nicht zu Fehlalarmen des Systems kommt, wenn beispielsweise extreme Temperaturen vorliegen oder ein außergewöhnlich schweres Fahrzeug die Brücke quert. Die Verwendung der simulierten Messdaten bietet die Möglichkeit, die Abhängigkeiten des Modells zu untersuchen. In Abb.-8 ist dazu der Anomaliewert der Lernphase den Eingangsgrößen der Simulation gegenübergestellt. Es zeigt sich, dass keine wesentlichen Abhängigkeiten zur Spurlage y, zur Temperatur T und zur Fahrzeuglänge vorliegen. Lediglich in den Randbereichen, bei selten auftretenden Werten für y und besonders großen Fahrzeuglängen zeigt die Trendlinie einen Anstieg. In Bereichen mit wenig Daten ist eine schlechtere Anpassung des Modells möglich, sodass größere Abweichungen hier nachvollziehbar sind. Eine leichte Zunahme der Anomaliewerte ist für steigende Fahrzeuggewichte feststellbar. Überschreitungen der Schwelle treten fast ausschließlich für Fahrzeuge über 25 t auf. Die Trendlinie überschreitet dabei die Schwelle für selten auftretende Fahrzeuge ab 50 t, liegt aber ansonsten darunter. 5. Brückenkolloquium - September 2022 131 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring Abb.-8: Abhängigkeit des Rekonstruktionsfehlers ε der Daten der Lernphase von den Eingangsgrößen der Simulation. Die Trendlinie kennzeichnet den Median je Intervall für jeweils 20 Intervalle entlang der Abzisse. Abb.-9: Zeitliche Darstellung des Anomaliewertes ε für Lern- (links) und Anwendungsphase (rechts) Abb.-10: Signale x und Rekonstruktion x̂ ausgewählter DMS während einer Überfahrt im Schadensszenario S1 Für den überwiegenden Anteil der Daten wird die Abhängigkeit vom Fahrzeuggewicht als vertretbar angesehen. Der maximale Wert für ε von ca. 0.325 ist auf keine Ausfälligkeit in den betrachteten Größen zurückzuführen. Insgesamt wird die Anpassung des Modells als geeignet beurteilt. 4.3 Erkennung des Bauwerkschadens Die Anomalieerkennung mit den simulierten Daten ist in Abb.-9 für die Lern- und Anwendungsphase dargestellt. Neben den Anomaliewerten der einzelnen Überfahrten ist auch der Median je Tag zu sehen. Durch die Betrachtung des Medians werden langfristige Veränderungen in den Daten sichtbar und einzelne hohe Anomaliewerte, die z.-B. durch ein ungewöhnlich schweres Fahrzeug entstehen, fallen nur geringfügig ins Gewicht. Es ist davon auszugehen, dass sich ein Bauwerksschaden, aber auch eine Fehlfunktion des Messsystems, im Regelfall permanent in den Daten niederschlägt. Entsprechend kann der Median je Tag ein aussagekräftiger Indikator sein. Es zeigt sich, dass der Median in der Lernphase relativ konstant ist und dass die Anomaliewerte bis auf vereinzelte Ausnahmen unterhalb der Schwelle liegen. In der Anwendungphase ist zu sehen, dass die Anomaliewerte in allen Schadensszenarien S1-S4 die Schwelle überschreiten. Folglich wird der simulierte Bauwerksschaden erkannt. Die Anomaliewerte steigen dabei mit zunehmendem Schadensausmaß an, dies ist insbesondere am Median sichtbar. Entsprechend kann der Anomaliewert im Beispiel als qualitativer Indikator für das Schadensausmaß betrachtet werden. In Abb.-10 sind die Signale von vier DMS während einer einzelnen Überfahrt im Schadensszenario S1 dargestellt. Für die DMS b01 und b21 in der Nähe des Schadens (vgl. Abb.-5) ist eine deutliche Abweichung zwischen dem Signal x und der Rekonstruktion des Modells x̂ zu sehen. Folglich sind die Umlagerungen im Tragwerk infolge des 132 5. Brückenkolloquium - September 2022 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring Schadens hier messbar. Die DMS am HT-a zeigen keine wesentlichen Abweichungen. Die Ergebnisse aller Überfahrten können für den simulierten Datensatz als binäres Klassifizierungsproblem anhand von Kennzahlen bewertet werden (s. [13]). Die Richtig-positiv-Rate (TPR, für True Positive Rate) oder auch Sensitivität gibt dabei an, in wieviel Prozent der Fälle ein anomales Ereignis, in diesem Fall eine Überfahrt auf der geschädigten Brücke, auch als solches erkannt wird (Gl.-5). Sie ergibt sich aus dem Quotienten der Anzahl der richtig positiven Bewertungen (TP) und der Gesamtanzahl der bekanntermaßen anomalen Ereignisse (P). Die Richtig-negativ-Rate (TNR, für True negative Rate) wird analog gebildet mit TN für richtig negative (normale) Bewertung und N für die Gesamtzahl der normalen Daten. Weitere übliche Maßzahlen sind die Genauigkeit (ACC für Accuracy, s. Gl.-5) und die Fläche unter der Grenzwertoptimierungskurve (AUC für Area Under Curve). Der AUC-Wert gibt dabei unabhängig von der gewählten Schwelle an, wie gut ein Modell anomale und normale Daten unterscheiden kann. Bei einem Modell das zufällig eine Klasse wählt, liegt der Wert bei 0.5. Je näher der Wert bei 1.0 liegt, desto leistungsfähiger ist das Modell. (5) Die Bewertungen der Vorhersagen des TCN-Autoencoders für die einzelnen Szenarien in der Anwendungsphase sind in Tab.-1 zusammengefasst. Im Kontrollszenario S0 werden die Daten bei rund 99 % der Überfahrten als normal klassiert. Da das 99 %-Quantil als Schwelle für die Anomalieerkennung gewählt wurde, liegt dieser Wert im erwartbaren Bereich. Im Szenario S1 bei einer simulierten Risslänge von 20 cm wird der Schaden bereits bei 98 % der Überfahrten erkannt. Bei größeren Risslängen steigt die Rate und in den Szenarien S3 und S4 wird der Schaden bei jeder Überfahrt identifiziert. Für die Genauigkeit und den AUC-Wert werden die Daten von jeweils einem Schadensszenario S1-S4 mit dem Kontrollszenario S0 gemeinsam ausgewertet. Für beide Bewertungsmaße werden im simulierten Beispiel sehr hohe Werte erreicht mit ACC über 98 % und AUC quasi 1.0 in allen Szenarien. Tab.-1: Bewertung der Schadenserkennung Schadensszenario S0 S1 S2 S3 S4 TNR [%] 98.81 TPR [%] 98.07 99.25 100.00 100.00 ACC [%] 98.44 99.03 99.41 99.41 AUC [-] 0.997 1.0 1.0 1.0 4.4 Schadenslokalisierung Zur Lokalisierung von Bauwerkschäden wird hier ein heuristischer Ansatz betrachtet. Dabei wird angenommen, dass die größten Veränderungen des Tragverhaltens an den Sensoren in der Nähe des Schadens messbar sind. Weiterhin wird davon ausgegangen, dass die größten Abweichungen zwischen den Messdaten und der Rekonstruktion des Modells entsprechend an diesen Sensoren vorliegen (vgl. [16]). Als Bewertungsgröße zur Lokalisierung wird der durchschnittliche Fehler ε k für den Sensor k über n Überfahrten betrachtet (Gl.-6). (6) Abb.-11: Schadenslokalisierung anhand des durchschnittlichen Fehlers ε k je DMS (s.-a. Abb.-5) Die Ermittlung des durchschnittlichen Fehlers erfolgt für jedes Schadensszenario S1-S4. Die Lokalisierung kann darauf hin durch einen qualitativen Vergleich der Fehler je Sensor vorgenommen werden. Die entsprechenden Werte sind in Abb. 11 für die Schadensszenarien S1 und S2 dargestellt. Bereits im Szenario S1 ist der höchste Fehlerwert für den DMS b21 feststellbar. Dieser Sensor liegt in unmittelbarer Nähe des Schadens (vgl. Abb. 5). Im Szenario S2 zeichnet sich das Maximum noch deutlicher am Sensor b21 ab. Die Schadenslokalisierung ist entsprechend mit dem untersuchten Ansatz im simulierten Beispiel möglich. 4.5 Erkennung von Sensorfehlfunktionen Exemplarisch wird anhand von zwei Fällen untersucht, ob das Autoencodermodell in der Lage ist, Sensorfehlfunktionen zu detektieren. Als simulierte Fehlfunktionen wird zum einen die Zunahme des Rauschens angenommen und zum anderen der komplette Ausfall eines Sensors (s.-a. [25]). In beiden Fällen wird der DMS a02 betrachtet. Zur Erhöhung des Rauschanteils wird dem Signal zusätzliches normalverteiltes Rauschen mit Standardabweichung 3-µm/ m beigefügt. Zur Simulation des 5. Brückenkolloquium - September 2022 133 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring Ausfalls wird die Signalamplitude konstant auf 0-µm/ m gesetzt. Die fehlerhaften Signale sind in Abb.-12 dargestellt. Die Anomaliewerte nach Gl.-4 liegen für beide Fälle oberhalb der Schwelle ε th von 0.26 - beim Sensorausfall sogar sehr deutlich. Folglich werden die Sensorfehlfunktionen durch die Anomalieerkennung erfolgreich identifiziert. Abb.-12: Signale x und Rekonstruktion x̂ für DMS a02 mit zusätzlichem Rauschen (oben) und bei Ausfall (unten) 5. Schlussfolgerungen und Ausblick In den durchgeführten Untersuchungen wird ein TCN- Autoencoder zur Anomalieerkennung in Zeitreihen mit dem Ziel verwendet, Bauwerksschäden und Fehler im Messsystem anhand der Signale von Monitoringanlagen von Brücken zu identifizieren. Die Ergebnisse sollen wie folgt zusammengefasst werden: • Zur Validierung der Schadenserkennung wird ein Ermüdungsriss im Hauptträger einer Stahlbrücke mit einem detaillierten FE-Modell in vier Szenarien S1-S4 mit zunehmenden Schadensausmaß simuliert. Basierend auf den FE-Berechnungen werden Dehnungssignale von 20 DMS unter realitätsnaher Verkehrs- und Temperatureinwirkung für den Zeitraum eines Jahres generiert. • Die wesentlichen Eigenschaften der Dehnungssignale werden im TCN-Autoencoder in komprimierter Form gelernt. Encoder und Decoder setzen sich dabei jeweils aus einem TCN-Block und einer separaten Convolutional-Schicht zusammen. Die TCN-Blöcke bestehen aus einem hierarchischen Auf bau von Convolutional-Schichten und können sowohl Kurzzeitals auch Langzeitabhängigkeiten in den Signalen abbilden. Die Daten werden durch den Encoder im Verhältnis 40: 1 komprimiert. • Der Autoencoder wird direkt auf die simulierten Dehnungssignale einzelner Überfahrten angewendet, ohne Datenvorverarbeitung und ohne Annahmen bzgl. der physikalischen Zusammenhänge in den Signalen. Es soll angemerkt werden, dass bei realen Messdaten eine Isolation einzelner Überfahrten als Vorverarbeitungsschritt nötig wäre, um ähnliche Daten zu erhalten. Jedoch ist in weiterer Forschung zu klären, ob dieser Schritt für das Modell erforderlich ist. • Als Anomaliewert wird die Summe der quadrierten Residuen zwischen neuen Messdaten und der Rekonstruktion des Autoencoders betrachtet. Der Anomaliewert hat eine ähnliche Verteilung für Trainings- und Testdaten, wodurch die Gültigkeit des Modells bestätigt wird. Als Schwellenwert für die Anomalieerkennung wird das 99 %-Quantil einer Log-Normalverteilung gewählt, die an den Anomaliewert der Trainingsdaten angepasst wird. • Der Anomaliewert zeigt eine geringe Abhängigkeit vom Fahrzeuggewicht der simulierten Überfahrten, ist ansonsten aber weitestgehend unabhängig von den betrachteten Eingangsgrößen der Simulation, d.-h. Position des Fahrzeugs in Brückenquerrichtung, Temperatur sowie Fahrzeuglänge. • Der simulierte Bauwerksschaden wird bereits im Schadenszenario S1 in 98 % der Überfahrten richtig erkannt. Die Anomaliewerte steigen mit zunehmenden Schadensausmaß und können im Beispiel als qualitativer Indikator für das Schadensausmaß betrachtet werden. In den höheren Schadenszenarien wird eine Richtig-Positiv-Rate nahe 100 % erreicht. Für Genauigkeit und AUC-Wert zeigt das Modell ebenfalls sehr hohe Werte. • Zur Schadenslokalisierung wird ein durchschnittlicher Rekonstruktionsfehler je Sensor betrachtet. Der Bauwerksschaden kann mit diesem heuristischen Ansatz bereits im Szenario S1 erfolgreich lokalisiert werden. • Als Fehlfunktionen eines Sensors wird zum einen starkes Rauschen des Signals und zum anderen ein kompletter Ausfall simuliert. Beide Fehlfunktionen werden durch die Anomalieerkennung identifiziert. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die vorgestellten Untersuchungen das Potenzial von TCN- Autoencodern und ähnlichen DL-Ansätzen für die Strukturüberwachung unterstreichen. Bis zu einem umfassenden Einsatz in der Bewertung und Überwachung des Brückenbestandes sind allerdings noch mehrere offene Fragen zu untersuchen. Nachfolgend sollen einige aus der Sicht der Autoren kritische Punkte umrissen werden: • Zunächst ist die Anwendung der vorgestellten Methodik mit realen Messdaten von Brücken zu demonstrieren. Insbesondere ist zu validieren, dass es möglich ist, reale Bauwerksschäden unter üblichen Betriebsbedingungen in der Anomalieerkennung zu identifizieren. Hierzu sind Messdaten von großangelegten Experimenten mit künstlich induzierten Schäden an Brücken am Ende ihrer Nutzungsdauer nach dem Vorbild der z24-Brücke wünschenswert. • Weiterführend ist zu untersuchen, welche Arten an Bauwerksschäden bei welchen Brückentypen grund- 134 5. Brückenkolloquium - September 2022 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring sätzlich erkannt werden können sowie welche Sensortechnologien und Sensorpositionen dafür am geeignetsten sind. • Autoencoder für Zeitreihen bieten grundsätzlich die Möglichkeit, die Signale unterschiedlicher Sensortypen kombiniert zu verarbeiten. Hier ist zu untersuchen, welche Modell-Architekturen sinnvoll sind und wie beispielweise mit unterschiedlichen Abtastraten verschiedener Sensorgruppen umgegangen wird. • Ein Nachteil der vorgestellten Methodik besteht darin, dass ein Autoencoder zunächst mit den Messdaten einer Brücke über einen langen Zeitraum trainiert werden muss. Das Modell gilt dann auch nur für das betrachtete Bauwerk. Hier sind Ansätze zu entwickeln, wie Modelle auf unterschiedliche, beispielweise in der Konstruktionsart ähnliche Brücken, übertragen werden können (Transfer Learning). In diesem Zusammenhang muss für die Anwender interpretierbar sein, wie sich die Modelle in Bereichen mit wenig oder keinen Lerndaten verhalten (Extrapolation). • Für die Instandhaltung des Brückenbestands ist es nicht nur relevant, ob ein Bauwerksschaden an einer Brücke vorliegt, sondern v.-a. welche Konsequenzen daraus entstehen und ob das Bauwerk noch die geforderte Zuverlässigkeit bietet. Für diese höheren Stufen der Schadenserkennung werden physikalische Ingenieurmodelle benötigt. Hier sind Konzepte zu erarbeiten, wie die Information aus den nicht physikalischen DL-Modellen zur Anomalieerkennung in physikalische Modelle zur Bewertung der Zuverlässigkeit einfließen kann. Letztlich stellt sich dabei auch die Frage nach der Zuverlässigkeit und Modellunsicherheit der DL-Modelle. Literatur [1] Farrar, C. R., Worden K. (2010) An Introduction to Structural Health Monitoring. In: Deraemaeker, A.; Worden, K. [Hrsg.] New Trends in Vibration Based Structural Health Monitoring. 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Yasser Alshaban Alqasem Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Markus König Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland Zusammenfassung Anwendungen von Algorithmen des maschinellen Lernens bei der Sicherheitsbewertung von Elementen der Infrastruktur wie Straßen, Brücken, Windkraftanlagen, usw. sind in den letzten Jahren intensiv erforscht worden. Mit den zunehmenden Entwicklungen auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz können heutzutage komplexe Entscheidungsmodelle abgebildet werden, die die Möglichkeit bieten, den Lebenszyklus der Infrastruktur auf der Grundlage großer Datenmengen zu bewerten. In diesem Beitrag wird die Erarbeitung eines maschinellen Lernmodels vorgestellt, das anhand von Daten aus verschiedenen Schadensszenarien bzw. Schadensmustern eine Entscheidung über den Zustand treffen kann. 1. Einleitung Die Funktionsfähigkeit der Straßeninfrastruktur spielt eine wichtige Rolle für die Entwicklung einer modernen Gesellschaft. Der Großteil der Brücken in Deutschland wurde in den 70er Jahren gebaut und in Betrieb genommen [1]. Aufgrund von vorhandenen Defiziten und der kontinuierlich anwachsenden Schwerverkehrsbelastung ist bei einem zunehmenden Anteil dieser Brücken das Ende der Nutzungsdauer erreicht. Um die Erhaltung der bestehenden Brücken zu optimieren, ist die Gesellschaft auf die Überwachung der Brücken angewiesen. Die bisherige Erhaltungsstrategie des Straßenbaublasträgers ist reaktiv und basiert seit Jahrzehnten auf der handnahen Bauwerksprüfung nach DIN 1076. Da die Bestandbrücken nicht mehr die aktuellen Anforderungen der Norm erfüllen, wurde ab 2011 die traditionelle Überwachung von Brücken durch die Einführung der Nachrechnungsrichtlinie [2] um rechnerische Methoden ergänzt, um die Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit der nach alten Normungen bemessenen Brücken einheitlich zu bewerten [3]. Allerdings bleibt die Erhaltungsstrategie reaktiv. Es wird erst gehandelt, wenn die Schäden sichtbar sind. In den letzten Jahren hat die Forschung zur Echtzeit-Brückenüberwachung an Bedeutung zugenommen, um die Zustandserfassung von Brücken intelligent, und digital unterstützt weiter zu entwickeln. Die automatisierte Erkennung von Schäden und Bewertung von Risiken an der Straßeninfrastruktur stellt eine große Herausforderung für das Erhaltungsmanagement der Straßenbauverwaltungen dar. Die wesentliche Herausforderung bei der Schadenserkennung ist es, zum einen die Änderung im Tragverhalten, die Art, den Ort und das Ausmaß eines Schadens sowie ggf. eine Änderung im Tragverhalten zu identifizieren. In diesem Zusammenhang können Algorithmen der künstlichen Intelligenz (KI) zum Einsatz kommen. KI benötigt eine Menge von Daten bei unterschiedlichen Verkehrs- und Witterungsbedingungen über einen längeren Zeitraum, um sie aussagekräftig gestalten zu können sowie alle möglichen Szenarien abzudecken. Dazu sollen Daten aus messtechnisch ausgestatteten Brücken (Reallabore) unter realen Bedingungen gesammelt werden. Zu diesem Zweck sind weltweit Reallabore eingerichtet worden [4], um die Entwicklung von intelligenten Echtzeit-Überwachungssysteme voranzutreiben. Eine Brücke hat jedoch ein komplexes Tragverhalten, das von ihrer Konstruktion, den verwendeten Baumaterialien und der Qualität der Ausführung abhängt, so dass es schwierig ist, Schäden mittels traditioneller Vorgehensweisen zu erkennen oder festzustellen. Hinzu kommt, dass ein Großteil der Reallabore an Bestandsbauwerken eingerichtet wurde. Diese Bauwerke waren bereits längere Zeit dem Einfluss von Verkehr und Witterung ausgesetzt und Informationen über den Ausgangszustand sind in der Regel nicht vorhanden, so dass die Erkennung von neuen Schäden und die Erfassung von Veränderungen im Tragverhalten schwierig sind. Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) hat im Rahmen des Forschungsschwerpunktes „Intelligente Brücke“ Reallabore sowohl im Bestand als auch als Neubau eingerichtet, um die Entwicklung intelligenter Systeme zur Unterstützung der bisherigen Erhaltungsmanagementstrategie zu realisieren [5] [6]. Angesicht der fortschreitenden Digitalisierung und steigender Rechenkapazitäten sowie intensiver Entwicklung von Sensoren setzt sich die künstliche Intelligenz in vielen Branchen der Industrie durch. Big Data bezeichnet eine große Menge an strukturierten und unstrukturierten Messdaten oder Zustandsdaten, und bildet den Grundstein für die Entwicklung von intelligenten Systemen, die dank ihrer Lernfähigkeit Entscheidungen zu bestimmten Aufgaben treffen können [7] [8]. Rohdaten aus Messsensoren haben nur eine geringe Aussagekraft über den Zustand eins Bauwerks. Deshalb ist es 138 5. Brückenkolloquium - September 2022 Szenarienbasierte Schadenserkennung: Anwendungen der künstlichen Intelligenz notwendig, aus den Messdaten gewisse Kenngrößen bzw. Merkmale (eng. Features) abzuleiten [9], die charakteristische Eigenschaften eines Signals beschreiben [10]. Somit können Merkmale sinnvolle Informationen enthalten, die in einem maschinellen Lernmodell weiterverarbeitet werden können. Das Extrahieren von Merkmalen erfolgt mit Methoden der Signalverarbeitung im Zeit-, Frequenz- und Zeitfrequenzbereich [11]. Der Fokus dieses Beitrages liegt an der Erstellung eines grundlegenden Konzepts zur szenarien-basierten Schadenserkennung, die darauf basiert, virtuell Schäden an einem Bauwerk einzufügen und die Änderung im Tragverhalten abzuleiten (Szenario-basierte Simulation). Die gewonnenen Daten werden den Schadensarten zugeordnet, und mit einem maschinellen Lernmodell verarbeitet. Das Modell lernt das Verhalten jedes Szenarios und wird dadurch für neue, unbekannte Daten Vorhersagen treffen können. 2. Theoretische Grundlagen Seit über 50 Jahren ist künstliche Intelligenz (KI) Gegenstand der Forschung. Der Begriff KI wird dadurch definiert, dass eine Maschine bestimmte Entscheidungsstrukturen des Menschen nachbilden kann. Darüber hinaus beinhaltet KI gewisse Systeme, die ihre Umgebung erfassen und berücksichtigen und aus eigenen Erfahrungen lernen können [12]. Aufgrund der Lernfähigkeit der KI ist sie in verschiedenen Bereichen der Naturwissenschaft, Forschung, Medizin, Wirtschaft usw. intensive erforscht und angesetzt worden. KI ist mit zwei weiteren Begriffen verbunden: Maschinelles Lernen (ML = Machine Learning) und tiefes Lernen (DL = Deep Learning). DL ist Teilbereich des ML und unterscheidet sich von ML durch den Lernprozess. Beim ML werden mathematischen Methoden der Mustererkennung verwendet, um die Methodik der Lösung eines Problems zu lernen. ML benötigt menschliche Vorarbeit bei der Ableitung von Merkmalen. Im Gegensatz dazu richtet sich das DL nach der Struktur der menschlicheren Neuronen beim Lernen. Neuronen, die zur richtigen Lösung führen, werden durch Gewichtung verstärkt. Dadurch können neuronale Netze selbst aus den Daten Merkmale finden [13]. KI umfasst ein breites Spektrum von Algorithmen und Modellierungswerkzeugen, die für eine Vielzahl von Datenverarbeitungsaufgaben angesetzt werden können. Das allgemeine Ziel von maschinellem Lernen (ML) ist es, Muster in den Daten zu erkennen, die die Art und Weise bestimmen, wie Probleme behandelt werden, die bisher mit üblichen Verfahren nicht lösbar waren [14]. ML lässt sich in überwachtes Lernen (Supervised Learning), unüberwachtes Lernen (unsupervised Learning), halbüberwachtes Lernen (semi-supervised learning) und bestärkendes Lernen (reinforcement learning) unterteilen [15]. Der Zweck des überwachten Lernens ist es, ein Modell zu erstellen, dass auf Grundlage von gekennzeichneten (labeled) Lern- und Testdatensätzen eine Vorhersage über unbekannte Daten machen kann. Im Gegensatz dazu bedarf unüberwachtes Lernen keinen gekennzeichneten Datensatz. Bei diesen Modellen werden in den vorhandenen Datensätzen Mustern oder Strukturen gesucht [10]. Clustern ist die am weitesten verbreitete unüberwachte Lerntechnik [16] [15]. Beim halbüberwachten Lernen ist nur ein Teil der Datensätze gekennzeichnet. Beim bestärkenden Lernen wird der Algorithmus vorab nicht angelernt, wie eine Vorhersage getroffen werden kann, sondern der Algorithmus lernt aus den eigenen Erfahrungen, und somit kann er die Qualität seiner Entscheidung selbst evaluieren [17]. Im Folgenden wird das erarbeitete Konzept zur Schadenserkennung vorgestellt. Es lässt sich in vier grundlegende Schritte einteilen, siehe Abbildung 1. Der erste Schritt beginnt mit der Erstellung eines Finite-Elemente-Modells für das betrachtete Bauwerk. In dieses Modell werden im zweiten Schritt zu untersuchende Schadenzszenarien eingefügt. Aus der FE-Berechnung dieser Szenarien wird eine umfassende Datenmenge gesammelt. Die Daten sind entweder mechanische Größen wie statische oder dynamische Größen oder künstliche Messdaten. Anschließend werden die Daten zur Ableitung von Merkmalen verarbeitet. Abgeleitete Merkmale werden wiederum zum Trainieren eines Algorithmus verwendet und abschließend ist ein iterativer Prozess zur Optimierung des Modelles vorzunehmen. Wenn die angestrebte Genauigkeit erreicht ist, kann das Modell für neue unbekannte Daten verwendet werden [18]. Abbildung 1: Schematische Darstellung des Konzeptes zur szenarien-basierten Schadenserkennung 3. Künstliche Intelligenz in Zusammenhang mit numerischen Rechenmodellen KI kann aufgrund ihrer Lernfähigkeit und hohen Flexibilität beim Lösen stark nichtlinearer Problemstellungen unterstützen. Die Verwendung von KI an Daten, die durch numerische physikalische Modelle generiert sind, kann für das Monitoring von Echten Produkten Verwendung finden. In der Forschung gibt es bereits Ansätze zum Monitoring von Produkten wie Teile von Autos, Pumpen, Roboter, Flugzeuge usw. anhand aus physikalischen Modellen generierten Daten [19] [20]. Dazu kann KI für die Optimierung der Bemessung von Bauteilen verwendet werden. [21]. In diesem Abschnitt werden zwei Beispiele auf der Grundlage des in Abbildung 1 dargestellten Schemas behandelt. Im ersten Beispiel werden verschiedene Schadensszenarien an einem numerischen Modell eines Einfeldträgers erzeugt. Diese werden durch ein maschinelles Lernmodell erlernt und an einem neuen unbekannten Testdatensatz evaluiert. Im zweiten Beispiel werden die Schadenzszenarien unter Berücksichtigung des realen Verkehrs 5. Brückenkolloquium - September 2022 139 Szenarienbasierte Schadenserkennung: Anwendungen der künstlichen Intelligenz erstellt. Hierzu werden künstlich erzeugte Messdaten für imaginäre Neigungssensoren verwendet. 3.1 Numerisches Model zur Ermittlung von modalen Eigenschaften für verschiedene Schadensszenarien Ein Schaden an einem Bauwerk kann sich durch die Änderung der dynamischen Eigenschaften bezeichnen. Modale Eigenschaften, wie Eigenfrequenzen, Eigenformen und der Dämpfungsbeiwert können eine Änderung durch strukturelle Schäden aufweisen. Jeder Riss oder jede örtliche Beschädigung an einem Bauwerk kann die Steifigkeit verringern und die Dämpfung bzw. die Reibung erhöhen. Die Verringerung der Steifigkeit ist mit einer Veränderung der Eigenfrequenzen und der Eigenformen des Bauwerks verbunden. In dokumentierten Forschungsarbeiten wurde eines oder wurden mehrere der o.g. Eigenschaften verwendet, um einen Riss zu erkennen und zu lokalisieren. Oftmals wird die Änderung der Krümmung als Indikator zur Erkennung eines Schadens betrachtet. Veröffentlichungen zu diesem Thema sind in [22] und [23] zu finden. Zhu [24] zeigt, dass die Verarbeitung der Krümmung eines Bauwerks im Zeitfrequenzbereich ein mögliches Merkmal darstellt, um die Diskontinuitäten eines Signals zu erkennen. In diesem Beitrag wird der Fokus auf die Ableitung der Krümmung durch das Ableiten der ersten Verdrehungseigenform sowie das Verwenden von ML-Modellen zur Erkennung eines Schadens und des Schadensorts gelegt. Die Erkennung eines Schadens bzw. von mehreren gleichzeitig auftretenden Schäden wird mit Hilfe von ML erarbeitet. Für die Untersuchung wird ein numerisches Modell eines Einfeldträgers in MATLAB erstellt. MATLAB ist eine matrixbasierte Programmiersprache, mit der sich verschiedene mathematische und physikalische Probleme lösen lassen [25]. FEM wird verwendet, um sowohl die Verdrehungseigenformen als auch Verschiebungseigenformen zu berechnen. Die zweite Ableitung der Verdrehungseigenformen (Entspr. der ersten Ableitung der Krümmung) wird durch numerische Differentiation ermittelt [26]. An dem erstellten Modell werden fünf Schadensszenarien untersucht, um die Sensibilität der KI bei der Erkennung der Schäden darzustellen. Schadensszenarien werden durch die Verringerung des E-Moduls der Elemente erstellt [27]. Der Einfeldträger in Abbildung 2 wird in eine Reihe von 100 finiten Elementen in (MATLAB, Version R2021a) diskretisiert. Für jedes Element werden die Elementsteifigkeitsmatrix [k e ] und die Massenmatrix [me] formuliert. Anschließend werden alle Elementmatrizen der finiten Elemente in globalen Matrizen K und M zusammengestellt, siehe Gleichungen (2) und (3). An jedem Knoten eines Elements werden zwei Freiheitsgrade w (Verschiebung) und j (Verdrehung) in Betracht gezogen. Wenn alle Elemente zusammengesetzt sind, ergibt sich die endgültige Gleichung, siehe Gleichung (1): Abbildung 2: Darstellung des einfachen numerischen Modells (1) Wobei (2) (3) Nach dem Auf bauen der Steifigkeits- und Massenmatrix werden die Randbedingungen als fest angenommen. Die Steifigkeit wird durch die Geometrie und das Material des Einfeldträgers bestimmt. Die Berechnung zielt darauf ab, die Eigenformen der vordefinierten Freiheitsgrade (w und j) zu ermitteln. Modale Eigenschaften des ungedämpften Systems lassen sich durch die Gleichung (4) berechnen [28]. (4) Wobei w die Eigenfrequenz und {X}Eigenvektor des betrachteten Freiheitsgrads darstellt. Die ersten fünf ermittelten Eigenvektoren bzw. Eigenformen der betrachteten Freiheitsgrade w und j sind in Abbildung 3 und Abbildung 4 über die Modelllänge dargestellt. Abbildung 3: Darstellung der ersten fünf Verschiebungseigenformen 140 5. Brückenkolloquium - September 2022 Szenarienbasierte Schadenserkennung: Anwendungen der künstlichen Intelligenz Abbildung 4: Darstellung der ersten fünf Verdrehungseigenformen 3.1.1 Schadensszenarien Zunächst werden an dem Einfeldträger mehrere Schadensszenarien an verschiedenen Stellen betrachtet. Die Schäden werden jeweils durch eine Verringerung des E Moduls des beschädigten Elements um 10 % berücksichtigt, siehe Abbildung 5, Szenario B. Dies kann eine lokal plötzlich auftretende Schädigung wie z.B. Litzenbrüche eines Spanngliedes darstellen. Die Szenarien B, C, D und E unterscheiden sich durch den Ort des Schadens bzw. mehrerer Schäden. Szenario A steht für das Modell ohne Schäden. Im Weiteren wird jedes Szenario mit drei unterschiedlichen Längen 1-3 m und in einem Fall mit einer Verringerung der Elementsteifigkeit um 10 % mit der Länge L = 1 m analysiert. Dies kann z. B. eine geänderte Querschnittform repräsentieren. Die Variierung der Länge und Querschnittsform dient zur Abbildung 5: Schematische Darstellung der Szenarien. Gewinnung von Daten, die anschließend mit einem ML-Modell verarbeitet werden sollen. Das ML-Modell soll diese Daten lernen und anhand von neuen unbekannten Daten Entscheidungen treffen, an welcher Stelle Schäden entstanden sind. 3.1.2 Ergebnisse Insgesamt wurden 10 Eigenformen ermittelt. Für die weitere Berechnung sind nur die ersten Eigenformen von Interesse, siehe Abbildung 3 und Abbildung 4, jeweils blaue Linien. Die erste Verschiebungseigenform wird für die Ermittlung des ersten Merkmals der Szenarien verwendet. Das erste Merkmal wird statistisch mit der mittleren absoluten Abweichung von Median (MADm01) gerechnet, siehe Gleichung (5). (5) 5. Brückenkolloquium - September 2022 141 Szenarienbasierte Schadenserkennung: Anwendungen der künstlichen Intelligenz Abbildung 6: Darstellung der abgeleiteten Krümmung im Zeitfrequenzbereich (Short Time Fourier Transformation [STFT]). Szenario B (oben links), Szenario C: (oben rechts), Szenario D: (unten links), Szenario E: (unten rechts). Die durch numerische Differenzierung abgeleitete Krümmung wird im Zeitfrequenzbereich dargestellt, um die Änderung des Frequenzinhaltes am Schadensort zu kennzeichnen. Die Short Time Fourier Transformation (STFT) wurde dafür verwendet und als Spektrogramm dargestellt [29], siehe Abbildung 6. Es zeigt sich, dass sich am Ort des Schadens eine klare Änderung der Magnitude abzeichnet. Dies deutet darauf hin, dass sich die Frequenzinhalte der abgeleiteten Krümmung an der Stelle des Schadens verändert. Das Prinzip der STFT basiert auf der Erstellung eines Analysefensters, mit einer konstanten Länge, das schrittweise über die zu analysierenden Daten verschoben wird, um die Änderung im Frequenzinhalt der Daten zu erkennen [30]. Aus der Darstellung des Spektrogramms aller Szenarien wurden die Maxima und ihre Amplituden als weitere Merkmale für das maschinelle Lernen verwendet. Nachdem die Merkmale vorbereitet sind, werden sie in einem iterativen Prozesse mit einem Klassifikations-Ensemble Modell verarbeitet. Das Klassifikations-Ensemble Modell ist ein baumbasierter Ensemble-Lernalgorithmus, der dem Prinzip des Boosting folgt. Boosting ist dabei eine Technik, bei der mehrere schwache Lernalgorithmen verwendet werden, um einen starken Lernalgorithmus zu konfigurieren [31] [32]. Das Modell bedarf zweier Phasen, eine Lernphase mit 75 % und Testphase mit 25 % der Daten. Die Ergebnisse der szenarien-basierten Schadenserkennung mit maschinellem Lernen zeigen, dass das Lernmodell alle Szenarien wiedererkannt hat, siehe Abbildung 7. Das Modell wurde zusätzlich an neuen Szenarien mit der Variation des Schadensorts und der Anzahl der Schäden getestet. Das Modell konnte die zu testenden Schäden den ähnlich angelernten Szenarien zuordnen.In der Realität ist die Erkennung von Schäden anhand der Änderung der Eigenfrequenzen oder. Eigenformen schwierig, da die Änderung erst ab einem gewissen Schädigungsausmaß dargestellt werden kann [33]. Eine bessere Aussagequalität entsteht, wenn eine höhere Dichte von Sensoren verwendet wird und damit eine Aussage über den Zustand abgeleitet werden kann. Dies ist mit höheren Kosten und Rechenaufwand verbunden. In dem nächsten Beispiel werden künstlich erzeugte Messdaten für die Ableitung von Merkmalen unter real gemessenen Verkehrseinwirkungen verwendet. 142 5. Brückenkolloquium - September 2022 Szenarienbasierte Schadenserkennung: Anwendungen der künstlichen Intelligenz Abbildung 7: Konfusionsmatrix der validierten (links) und getesteten (rechts) Datensätze 3.2 Künstlich erzeugte Messdaten einer geschädigten Brücke Im Rahmen des Themenschwerpunkts „Intelligente Brücke“ der Bundesanstalt für Straßenwesen wurde im Jahr 2015 das vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) geförderte Reallabor „Intelligente Brücke im digitalen Testfeld Autobahn“ auf der A9 zwischen Nürnberg und München eingerichtet [5]. Es handelt sich um eine gekrümmte Spannbetonbrücke mit einem begehbaren einzelligen Hohlkasten, siehe Abbildung 8. Die Brücke besteht aus vier Feldern und die einzelnen Spannweiten betragen 37,8 m, 45,0 m, 44,0 m, 29,0 m. Die Gesamtbreite des Überbaus beträgt 15,4 m zwischen den Geländern. Die maximale Querschnittshöhe beträgt 3,17 m. Um digitale Innovationen unter realen Bedingungen testen zu können, wurde das Bauwerk mit umfangreicher Messtechnik ausgestattet [34]. Unter anderem wurde damit das Verkehrsaufkommen im Rahmen mehrerer Forschungsprojekte untersucht [34]. Für die Brücke wurde ein Schalenelementmodell in der kommerziellen Software InfoCAD der Firma InfoGraph erstellt, dem der reale Verkehr zugewiesen wurde. Dadurch wurden die Einflussflächen der Brücken berechnet, anhand derer künstliche Messdaten generiert wurden. Vertiefende Informationen sind in [34] zu finden. Abbildung 8: Querschnitt der intelligenten Brücke [34] 5. Brückenkolloquium - September 2022 143 Szenarienbasierte Schadenserkennung: Anwendungen der künstlichen Intelligenz Das Ziel der Generierung von Messdaten ist es, neuere KI-Entwicklungen testen zu können. Da die meisten neuen Brücken noch keine Schäden aufweisen und die bestehenden Brücken keine Referenzmessung aufweisen, ist es sinnvoll, Daten bei verschiedenen Schadensszenarien zu generieren und diese mit KI-Algorithmen zu bewerten. 3.2.1 Messkonzept Die intelligente Brücke im digitalen Testfeld Autobahn wurde im vierten Feld zwischen den Achsen 40 und 50 virtuell mit einem Monitoringsystem ausgestattet. Das virtuelle Monitoringsystem besteht aus fünf Messquerschnitten, an denen virtuelle Messsensoren angebracht sind, siehe Abbildung 9. Der Messquerschnitt über dem Pfeiler und dem Auflager ist identisch und beinhaltet je zwei Sensoren für die Neigungsmessung und die Verschiebungsmessung, die auf der unteren Platte des Hohlkastens zentriert sind, siehe Abbildung 10 oben. Die Messquerschnitte 2, 3 und 4 sind identisch. Sie bestehen aus vier virtuellen Dehnungsmessstreifen. Zwei befinden sich links und rechts an der Bodenplatte, zwei sind oben und unten zentriert. Dazu ist an der unteren Platte ein virtueller Neigungssensor angebracht, siehe Abbildung 10 unten. Die Messfrequenz der Sensoren beträgt 75 Hz. Abbildung 9: Darstellung der fünf virtuellen Messquerschnitte im vierten Feld der Brücke sowie der Ort der Szenarien sz1 und sz2 [34] Abbildung 10: Messsensoren in Messquerschnitt 1 und 5 MQ_1/ 5 (oben) und in Messquerschnitt 2, 3 und 4 MQ_2/ 3/ 4 (unten) [34] 3.2.2 Schadensszenarien An dem mit FEM erstellten Modell der Brücke werden zwei Schäden durch die Abminderung des E-Moduls und ein Schäden durch die Änderung der Lagerbedingungen verursacht. Das erste Schädigungsszenario (SZ1) stellt eine örtlich begrenzte, allmählich zunehmende Schädigung des Bauwerks dar. In der Realität kann dies z. B. eine chloridinduzierte Korrosion des Betonstahls sein [34]. Im Tragwerk wird der E-Modul allmählich mit der Zeit bis zu 30 % im Feld 4 vom Momentennullpunkt bis zur Achse 50 verringert [34], siehe Abbildung 9. Das Schädigungsszenario (SZ2) stellt einen lokal plötzlich eintretenden Schaden dar. Dies kann in der Realität als plötzlich eintretender Bruch eines Spanngliedes betrachtet werden. Der Schaden wurde durch die Verringerung des E-Modules um 50 % an der betrachteten Stelle abgebildet, siehe Abbildung 9. Das Schädigungsszenario (SZ3) stellt einen global schleichend eintretenden Schaden dar. Dies kann in der Realität als Blockierung eines Lagers verstanden werden. Die Lagerbedingungen wurden in der Analyse allmählich geändert. Die Verschiebung der Brücke in Längsrichtung wurde von freier Bewegung des Überbaus auf eine mit Feder behinderte Bewegung umgewandelt [34]. 3.2.3 Ableitung von Merkmalen Zunächst werden die künstlichen Messdaten aus den fünf Messquerschnitten herangezogen. Es werden Untersuchungen an jeden Messquerschnitt zu den Schadensszenarien durchgeführt. Aus dem Neigungssignal aller Messquerschnitte sowie Verschiebungssignal in Messquerschnitte 1 und 5 wurden Merkmale im Zeit- und Frequenzbereich abgeleitet. Im Zeitbereich betrifft dies den maximalen Signalwert, die Standardabweichung, den Impulsfaktor und den quadratischen Mittelwert. Für die Ermittlung der Merkmale im Frequenzbereich wird eine Spektralanalyse durchgeführt. Dabei werden die Zeitreihen mit einem autoregressivem (AR) Spektralschätzer im Frequenzbereich dargestellt. Mit einem AR Spektralschätzer können die Zeitreihen jedes Signals in einem Spektrum der Frequenzinhalte und ihre Amplituden umgewandelt werden. Der Vorteil dieses Modells im Gegensatz zur Fourier Transformation liegt darin, dass einerseits Rauschen unterdrückt werden kann, anderseits kann das Modell besser nahe beieinander liegende Amplituden trennen [35]. Mehr Informationen zum Thema Spektralanalyse sind in [36] [37] enthalten. oftmals sind die Daten im Frequenzbereich einfacher zu bearbeiten und können maßgebende physikalische Informationen über Änderungen eines Signals beinhalten. 3.2.4 Ergebnisse In der Abbildung 11a ist das Neigungssignal im Messquerschnitt 4 für die Schadensszenarien (S1, S2, S3) sowie den ungeschädigten Zustand (S0) dargestellt. Zusätzlich ist in der Abbildung 11b der Maßstab des Signals in markierten Bereich der Abbildung a vergrößert dargestellt, um zu erkennen, inwieweit sich die Szenarien im Zeitverlauf untereinander unterscheiden lassen. Aus dem 144 5. Brückenkolloquium - September 2022 Szenarienbasierte Schadenserkennung: Anwendungen der künstlichen Intelligenz Signal sind augenscheinlich keine Unterschiede der Neigungen zu erkennen. Jedoch ist aus der Darstellung der abgeleiteten Merkmale aus dem Frequenzbereich in der Abbildung 12 zu erkennen, dass der plötzliche Schaden (S2) in einer deutlich anderen Richtung als die anderen Schadensszenarien (S1 und S3) im Vergleich zum unbeschädigten Zustand (S0) verläuft. Die Szenarien S1 (Rot) und S3 (Violett) sind hinlänglich von dem unbeschädigten Zustand der Brücke S0 zu unterscheiden. Allerdings überlappen sich die Merkmale an manchen Stellen. Diese Überlappung führt zur Verschlechterung der Ergebnisse des ML-Modells. In der Tabelle 1 ist die Genauigkeit der Ergebnisse für die einzelnen Messquerschnitten aufgeführt. Das o.g. Klassifikations-Ensemble Lernmodell wird hier verwendet. 70% der Daten werden für das Trainieren und 30% für den Test angenommen. Die Ergebnisse zeigen, dass das Modell mit bis zu 87% Genauigkeit zwischen unbeschädigtem Zustand und den Schadensszenarien im Messquerschnitt 4 unter realen Verkehr unterscheiden kann. Eine Verbesserung der Ergebnisse kann mit der Zerlegung des Modells in mehrere Untermodelle erfolgen, wobei jedes Modell für ein Szenario zuständig ist. Dieser Schritt dient zur Verringerung der Überlappung der Merkmale. Die letzten zwei Zeilen in der Tabelle 1 stellen dar, dass bei der Verwendung von Untermodellen bis zu 97 % Genauigkeit erreicht werden kann. Dies entspricht der Steigerung der Genauigkeit um 12 % in den Messquerschnitten 3 und 5. Tabelle 1: Genauigkeit der berechneten Szenarien aus den fünf Messquerschnitten in %. Messquerschnitt_Szenarien Validation Test MQ1_S0S1S2S3 69 56 MQ2_S0S1S2S3 96 74 MQ3_S0S1S2S3 97 82 MQ4_S0S1S2S3 96 87 MQ5_S0S1S2S3 97 85 MQ5_S0S3 100 97 MQ3_S0S1S2 100 97 Abbildung 11: Darstellung der Neigung aus dem Messquerschnitt 4 im unbeschädigten Zustand S0 und bei den betrachteten Schadensszenarien S1, S2, S3 (a) Sowie bei der Vergrößerung des Neigungssignals im markierten Bereich der Abbildung a (b) In der Abbildung 13 sind die Merkmale aus dem Frequenzbereich für das Verschiebungssignal im Messquerschnitt 1 dargestellt. Die Merkmale für das Schadensszenario S3 (Violett) sind deutlich von dem unbeschädigten Zustand S0 (Blau) entfernt. Das deutet darauf hin, dass die Blockierung eines Lagers zur deutlichen Änderung der modalen Eigenschaften eines Bauwerks führt, und somit eine Genauigkeit von 100 % mittels maschinellen Lernens für dieses Szenario zu erwarten ist. 5. Brückenkolloquium - September 2022 145 Szenarienbasierte Schadenserkennung: Anwendungen der künstlichen Intelligenz Abbildung 12: Matrix-Plot der abgeleiteten Merkmale aus dem Frequenzbereich in Messquerschnitt 4 Abbildung 13: Matrix-Plot der abgeleiteten Merkmale aus dem Frequenzbereich in Messquerschnitt 1 4. Zusammenfassung und Ausblick In diesem Beitrag wurde die Anwendung von maschinellem Lernen bei mehreren Schadens- und Verkehrsszenarien für ein Brückenmonitoring dargestellt. Anhand zweier Beispiele wurde ein Konzept zur Unterscheidung zwischen unbeschädigtem und beschädigtem Zustand erarbeitet. Im ersten Beispiel wurde ein numerisches Modell eines Einfeldträgers erstellt, um Daten bei verschiedenen Schadensszenarien zu generieren, und wiederum mit maschinellem Lernen zu verarbeiten. Im zweiten Beispiel wurden künstlich erzeugte Messdaten einer echten Brücke herangezogen. Die Generierung der Daten erfolgte mit FEM unter Berücksichtigung des realen Verkehrs bei verschiedenen Schadensszenarien. Für die Erarbeitung eines maschinelles Lernmodells wurden Merkmale für beide Beispiele abgeleitet. Im ersten Beispiel wurden die Merkmale direkt aus mechanischen Größen (Verlauf der abgeleiteten Krümmung) ermittelt. Im Gegensatz zum ersten Beispiel sind die Merkmale aus dem Messsignal im Zeit- und Frequenzbereich abgeleitet. Es zeigte sich, dass es großes Potenzial zur Anwendung von KI in Brückenmonitoring gibt. Die Ergebnisse zeigen, dass KI Änderungen im Verhalten eines Bauwerks lernen und wiedererkennen kann, wenn eine Referenz zum normalen Zustand eines Bauwerks bei verschiedenen Verkehrsszenarien vorhanden ist. Bei der Entwicklung eines maschinellen Lernmodelles spielen die Merkmale eine entscheidende Rolle. Schadenssensitive Merkmale bestimmen die Aussagekraft eines Modelles. Merkmale können im Zeit-, Frequenz- und Zeitfrequenzbereich abgeleitet werden. Im Zeitfrequenzbereich kann die Änderung im Tragverhalten durch mechanische Größen bzw. Verläufe erkannt werden. Die Ergebnisse aus dem zweiten Beispiel zeigen, dass Merkmale im Frequenzbereich schadenssensibler als Merkmale im Zeitbereich sind, und eine Auskunft über die physikalische Änderung des Verhaltens eines Bauwerks geben. Mit bis zu 100 % Genauigkeit konnten die Schäden nach der Trainingsphase wiedererkannt werden. Die Erkennung von Schäden mit realen Messdaten stellt eine große Herausforderung dar, da es hier darum geht, mehrere Parameter aufgrund des Witterungseinflusses (z. B. Temperatur, Feuchtigkeit usw.) und des materialbedingten Verhaltens, wie z. B. Kriechen und Schwinden beim Beton und Relaxation bei Spanngliedern im unbeschädigten Zustand zu berücksichtigen. Es besteht Forschungsbedarf hinsichtlich des Einflusses dieser Parameter auf die Aussagekraft der künstlichen Intelligenz. Um die Genauigkeit des verwendeten Modelles an einem Messquerschnitt in allen Szenarien zu steigern, wird für die Zukunft angestrebt, eine kombinierte Verarbeitung von verschiedenen Messsignalen an einem Messquerschnitt zu verwenden. Literaturverzeichnis [1] „Brückenstatistik“, Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), 01 09 2021. [Online]. Available: https: / / www.bast.de/ DE/ Statistik/ Bruecken/ Brueckenstatistik.pdf? __blob=publicationFile&v=17. [Zugriff am 29 April 2022]. [2] „Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie)“, 2011. [3] W. Neumann und A. Brauer, „Nachrechnung von Stahl- und Verbundbrücken: Systematische Datenauswertung nachgerechneter Bauwerke“, Bundesanstalt für Straßenwese (BASt): ISBN 978-3- 95606-395-4, Bergisch Gladbach, 2018. [4] D. Inaudi, „Overview of 40 Bridge Structural Health Monitoring Projects, SMARTEC SA, Switzerland, Roctest Ltd, Canada“, International bridge conference, IBC, 2010 , 2010. [5] S. Dabringhaus, S. 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Thomas Tschickardt Technische Universität Kaiserslautern, Fachbereich Bauingenieurwesen, Fachgebiet Massivbau und Baukonstruktion, Kaiserslautern, Deutschland Wayss & Freytag Ingenieurbau AG, Frankfurt, Deutschland M. Eng. Fabian Kaufmann Technische Universität Kaiserslautern, Fachbereich Bauingenieurwesen, Fachgebiet Massivbau und Baukonstruktion, Kaiserslautern, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. Christian Glock Technische Universität Kaiserslautern, Fachbereich Bauingenieurwesen, Fachgebiet Massivbau und Baukonstruktion, Kaiserslautern, Deutschland Zusammenfassung In der Ausführungsphase ist eine kurzyzklische Informationsbereitstsellung entscheidend, um bei auftretenden Störungen oder Verzögerungen direkt reagieren zu können. Der Erfassungsprozess kann heutzutage mittels autonom operienden Drohnen erfolgen. Eine zentrale Herausforderung bei der BIM-basierten Flugplanung mit Drohnen ist das Planen, Simulieren, Verifizieren, Optimieren und Ausführen einer modellbasierten Erfassung auf Basis eines 4-D-BIMs. Der vorgestellte „Lean Erfassungsprozess“ (LEP) löst eine Datenerfassung ereignisbasiert und bedarfsorientiert (Pull-Prinzip) für relevante Aktivitäten der Baustelle aus. Anschließend umfasst der LEP einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess (PDCA) der eine modellbasierte Planung (Plan), eine realitätsnahe Simulation (Do), eine Validierung und einheitliche Bewertung (Check) sowie eine Anpassung (Act) der Flugplanung vorsieht. Durch dieses Vorgehen wird sichergestellt, dass ausschließlich relevante Daten und Informationen in der notwendigen Qualität aus dem Bauprozess erfasst werden. 1. Einleitung 1.1 Ausgangssituation Der „Masterplan BIM Bundesfernstraßen“ [1] des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr der Bundesrepublik Deutschland stellt den Regelungsrahmen für die bundesweite Anwendung der BIM-Methodik für öffentliche Infrastrukturprojekte in Deutschland dar. In der BIM-Methodik erstreckt sich der Lebenszyklus eines BIM von der Planungsphase über die Ausführungsphase bis hin zur Betriebs- und Erhaltungsphase [2]. Erste umfangreiche Praxiserfahrungen werden derzeit für die Planungsphase im Infrastrukturbau gesammelt [3] und sollen z. B. durch die Weiterentwicklung des IFC-Formats (Industry Foundation Classes) für die Infrastruktur standardisiert werden [4]. Abbildung 1: Informationsverlust während des Lebenszyklus eines Brückenbauwerks [5] 148 5. Brückenkolloquium - September 2022 Ereignisbasierte und bedarfsorientierte Datenerfassung für die 4-D-BIM-basierte Flugplanung von Drohnen Die BIM-Methodik wird im Hoch- und Tief bau derzeit noch in der Ausführungs- [6] und Betriebs- und Erhaltungsphase erprobt. In der Ausführungsphase besteht eine hohe Frequenz an Entscheidungsfindungen, da Bauprozesse aufgrund der Einzelfertigung komplex und heterogen sind. Eine automatisierte Datenerfassung während der Bauphase ist unabdingbar zur Eröhung der Effizienz, um die notwendigen Informationen für diese schnelle Entscheidungsfindung, z. B. im Rahmen des Projektmanagements, zu generieren. Abbildung 1 zeigt den Verlust an Informationen während des Lebenszyklus eines Brückenbauwerks, insbesondere in der Bauphase. In der Entwicklungs- und Planungsphase sind die Daten und Informationen meist ganzheitlich mit dem BIM verknüpft. Die Datenerfassung und Dokumentation des Baufortschritts erfolgten dagegen noch in einem überwiegend manuellen, aufwändigen und fehleranfälligen Prozess. Informationen wie Bautagebücher, Pendellisten, Lieferscheine, Berichte zur Qualitätssicherung, Besprechungsprotokolle, Wetterdaten, Vermessungsprotokolle und andere werden täglich auf einer Baustelle generiert. Diese Daten und Informationen werden über verschiedene mögliche Informationskanäle erfasst. Einige werden handschriftlich erfasst, andere sind bereits in einem maschinenlesbaren Tool (z. B. Excel) enthalten und wieder andere gehen durch menschliche Fehler verloren. Erste Forschungsansätze, die auf einer automatisierten Datenerfassung basieren, sehen den Einsatz von photogrammetrischen Methoden und/ oder Laserscanning (Light Detection and Ranging, „LiDAR“) und die Auswertung der benötigten Informationen während der Ausführungsphase vor. Mit LiDAR-Sensoren ausgestattete Drohnen können die Dokumentation der Baustelle unterstützen. Wesentliche Vorteile sind der leichtere Zugang zu den meisten Teilen des Bauwerks, eine höhere Abdeckung und Genauigkeit, eine verbesserte Effizienz und eine erhöhte Sicherheit während der Datenerfassung durch die Verringerung der Absturzgefahr. Heute erfolgt eine drohnenbasierte Datenerfassung meist manuell, wobei die Qualität der erfassten Daten und die Abdeckung relevanter Bauwerksbereiche hauptsächlich von Erfahrungswerten der erfassenden Person abhängen [7]. Eine systematische Gestaltung und Planung der Datenerfassung wird in der Regel nicht durchgeführt. Die Planung und Validierung der Datenerfassung hilft, die Datenerfassung von relevanten Bauteilen des Bauwerks zu einem bestimmen Zeitpunkt sicherzustellen. Es ist noch wenig erforscht, wie die Planung der Datenerfassung automatisch auf der Grundlage des BIM durchgeführt werden kann [8]. Semantisch reichhaltige BIMs (d. h. 4-D-BIM [9]) können für die Automatisierung des Planungsprozesses genutzt werden. Darüber hinaus sollte das 4-D-BIM kontinuierlich mit neuen, aus den erfassten Daten aggregierten Informationen aktualisiert werden, um eine effiziente Informationsquelle in der Bauphase zu bieten. Derzeit mangelt es den Daten einer manuell geplanten Erfassung und Umsetzung an Genauigkeit und Abdeckungsgrad [10]. Die drohnengestützte Datenerfassung kann dies bereits unterstützen. Die Planung der Datenerfassung ist bisher arbeitsintensiv, fehleranfällig und ineffizient. Der Vermessungsingenieur muss manuell Informationen aus konventionellen 2-D-Zeichnungen oder nicht aussagekräftigen geometrischen Modellen extrahieren, den Standort relevanter Bauteile des Bauwerks identifizieren und schließlich einen Plan für die Datenerfassung erstellen. Dies führt zu einer Verringerung der Kosteneffizienz, einem „zu viel“ oder „zu wenig“ an Daten und einem Mangel an Effizienz [7]. Grundsätzlich wird die Erfassung baurelevanter Daten bis heute unzureichend gehandhabt. Laut einer Umfrage [11] unter Bauleitern beträgt der Zeitraum einer manuellen Erfassung baurelevanter Daten bis zur Verarbeitung in 65 % der Fälle eine Woche. Die Bautagebücher werden nur von 23 % der Befragten täglich geführt. Dieser lange Zeitraum erschwert es zusätzlich, ein aktuelles Bild der Bauprozesse zu erhalten. Die Automatisierung der Baudokumentation kann die Bauleitung hinsichtlich des Erfassungsaufwandes entlasten. Eine effiziente Datenerfassung kann durch einen vorgeschalteten Planungsoptimierungsprozess erreicht werden, der als „Planning For Scanning“ (P4S) bezeichnet wird [12]. Eine zentrale Herausforderung besteht darin, eine modellbasierte und drohnenbasierte automatisierte Datenerfassung auf Basis des 4-D-BIMs zunächst zu planen, zu simulieren, zu verifizieren, ggf. zu optimieren und schließlich auszuführen. 1.2 Zielsetzung Ziel der Forschung ist es, aktuelle Prozesse und Bautätigkeiten im Brückenbau zu evaluieren, um zu identifizieren, welche Vorgänge durch eine automatisierte Datenerfassung mittels Drohnen unterstützt werden können. Dies beinhaltet die Einbeziehung des Pull-Prinzips und der kontinuierlichen Verbesserung (PDCA) als Teil der Lean-Methodik in die Planung und Durchführung einer drohnenbasierten Datenerfassung in der Bauphase von Brückenbauwerken. Die Forschung konzentriert sich auf LiDAR-generierte Punktwolken anstelle von photogrammetrischen Punktwolken, da die Genauigkeit für eine Projekt- und Bauwerksdokumentation eine entscheidende Rolle spielt. 2. Stand der Wissenschaft Eine effektive und effiziente Datenerfassung kann durch einen vorausgehenden Planungsoptimierungsprozess erreicht werden [12]. In diesem Kapitel werden die Grundlagen von Lean Construction und der Stand der Forschung auf dem Gebiet der automatisierten drohnenbasierten Datenerfassung vorgestellt. 2.1 Lean Construction Ein Prozess ist eine Abfolge von aufeinanderfolgenden Handlungen. Die derzeitigen Abläufe und Rahmenbedingungen in der Bauwirtschaft haben häufig Termin- und Kostenüberschreitungen sowie Baumängel zur Folge, die nur mit großem Aufwand beseitigt werden können. Dies geschieht selbst bei gut organisierten Projekten und trotz großer Anstrengungen des Projektteams. Der Haupt- 5. Brückenkolloquium - September 2022 149 Ereignisbasierte und bedarfsorientierte Datenerfassung für die 4-D-BIM-basierte Flugplanung von Drohnen grund dafür ist der traditionelle lineare Planungsprozess [13]. Lean Construction ist eine der innovativen Methoden, um die Schwächen des konventionellen Ansatzes zu überwinden. Lean Construction umfasst die folgenden Prinzipien: Spezifizierung des Wertes aus der Sicht des Kunden, Just-in-Time-Ansatz, kontinuierliche Verbesserung (PDCA), wertstromorientierter Ansatz, Flussprinzip und Pull-Prinzip anstelle des Push-Prinzips. Abbildung 2: Pull-Prinzip [14] Lean Construction ist eine Philosophie, die auf den Lean- Prinzipien von Taiichi (Toyota Production System) basiert und als Lean-Manufacturing-Prinzipien aus dem Automobilbereich entwickelt und als Lean Construction und Lean Philosophy weiterentwickelt wurde. Das Ziel von Lean Construction ist die kontinuierliche Verbesserung, die Reduzierung von Verschwendung, ein hochwertiges Management von Projekten und Lieferketten sowie eine verbesserte Kommunikation auf der Baustelle und im Team. Der Ansatz basiert auf der Idee, das gesamte Projekt und seine Teilprozesse in der Planung und Ausführung gemeinsam kontinuierlich zu verbessern. Dies erfordert ein zugängliches und transparentes Informations- und Datenmanagement. Nur so können exzellente Prozesse auf der Baustelle erreicht werden. Nach [14] wird der Produktionsprozess durch einen Kundenauftrag angestoßen. Die Produktion ist nach dem Pull-Prinzip aufgebaut, so dass jeder Produktionsschritt die Produktion für den jeweils vorgelagerten Schritt auslöst. Dieser Ansatz erzeugt einen Nachfragesog. Der Auftrags- oder Informationsbedarf wird reziprok zum Materialfluss von Produktionsschritt zu Produktionsschritt weitergegeben (Abbildung 2). Abbildung 3: Kontinuierliche Verbesserung [13] Abbildung 3 zeigt den PDCA-Zyklus, der für die erfolgreiche Umsetzung der kontinuierlichen Verbesserung genutzt werden kann. Er beschreibt die Reihenfolge, in der Tätigkeiten durchgeführt, bewertet und anschließend verbessert werden können. Der Zyklus ermöglicht eine fortlaufende Verbesserung der Tätigkeit, indem der Zyklus ständig durchlaufen wird. Die Anwendung des PDCA- Zyklus bei der Planung der Datenerfassung ist Erfolg versprechend, da er sicherstellt, dass die Erfassung auf der Baustelle effizient durchgeführt werden und ihre Dauer auf ein Minimum reduziert wird. 2.2 Scanpositionen zur Abdeckung Es ist aufgrund der bereits erwähnten arbeitsintensiven, fehleranfälligen und ineffizienten Erfassungsplanung erforderlich, den derzeitigen manuellen Datenerfassungsprozess zu optimieren und eine Datenerfassung auf Grundlage eines BIM mit optimaler Abdeckung nach Lean-Prinzipien automatisiert zu erstellen. Die Verfasser in [12] geben in Ihrer Arbeit eine Übersicht über bisherige terrestrisch-basierte Ansätze zur Planung einer Datenerfassung. In dieser ist zu erkennen, dass die meisten Ansätze aktuell planbasiert und nicht modellbasiert umgesetzt werden. Der Ansatz von [7] konzentriert sich bei der Planung einzelner Standpunkte eines terrestrischen Laserscanners (TLS) auf die erfassten Oberflächen der Bauteile, da nicht nur ein einzelner Punkt eine ausreichende Genauigkeit aufweisen muss, sondern auch die Erfassung möglichst vieler Oberflächen von Bauteilen. Eine vollautomatische Abdeckungsplanung kann nach der Übersicht von [12] durch BIMs unterstützt werden, wobei nur die beiden Ansätze [7] und [15] eine Abdeckung von Flächen innerhalb eines BIMs vorgeschlagen haben. In [15] werden Oberflächen von Bauteilen mit homogen verteilten Punktmengen diskretisiert um so das Problem der Oberflächenabdeckung auf eine Punktabdeckung zu reduzieren. Im Gegensatz dazu versucht [7] die tatsächliche Oberflächenabdeckung der Bauteile zu bestimmen. Aus Sicht der Verfasser ist eine Verwendung der Oberfläche der Bauteile vorteilhaft, da hierdurch eine höhere Genauigkeit erreicht werden kann. Die Bauteiloberfläche kann zudem mit minimalem Aufwand aus dem 4-D- BIM und auf Grundlage von assoziierten Vorgängen abgeleitet werden. Die Planung der Datenerfassung kann dahingehend durchgeführt werden, dass Kriterien wie die Punktgenauigkeit (Level of Accuracy, „LOA“) [16], Punktdichte (Level of Detail, „LOD“) [16] und Oberflächenvollständigkeit (Level of Completeness, „LOC“) [7] berücksichtigt werden. 2.3 Flugplanung In [17] geben die Verfasser einen Überblick über drohnenbasierte Ansätze der Flugplanung. Der Überblick der Verfasser ist anhand folgender Kategorisierung aufgebaut (1) die Methode der Flugplanung (modellbasiert oder nicht modellbasiert); (2) sofern anwendbar der Typ des verwendeten geometrischen Modells (3-D, BIM, 2-D, Punktwolke oder Bilder); (3) die Art des Sensors an der Drohne (Kamera, Sonarkamera oder LiDAR); (4) die Rahmenbedingungen, die bei der Flugplanung berücksichtigt werden (Vibrationen, Geschwindigkeit, Wind, 150 5. Brückenkolloquium - September 2022 Ereignisbasierte und bedarfsorientierte Datenerfassung für die 4-D-BIM-basierte Flugplanung von Drohnen Batteriekapazität und Freiheitsgrad der Drohne); (5) die Rahmenbedingungen, die bei der Generierung von Wegpunkten berücksichtigt werden (vollständige Abdeckung, überlappende Ansichten, Kritikalität und optimaler Pfad); (6) die Methode zur Generierung der Wegpunkte; (7) die Methode zur Generierung der Flugroute; und (8) den Anwendungsbereich (überwiegend Bauwerksinspektion). Ebenfalls in dieser Übersicht ist erkennbar, dass das Heranziehen eines BIMs noch kein Standard in der Flugplanung darstellt. In [17] wird der kürzeste Weg der Flugplanung mit Hilfe des genetischen Algorithmus, die Hindernisvermeidung mit dem A*-Algorithmus und die Raytracing-Berechnung für die optimale Abdeckung während der Erfassung auf der Grundlage eines geometrischen Modells berechnet. In [18] werden Qualitätskriterien einer bildbasierten Bestandsaufnahme zur Bewertung der Flugplanung vorgestellt. Die vorgeschlagenen Qualitätskriterien sind für die Bild- und drohnenbasierte Erfassung vielversprechend, müssen aber für die LiD- AR-basierte Erfassung noch weiterentwickelt werden. [19] stellen ebenfalls Metriken und Methoden zur Bewertung einer BIM-gestützten Datenerfassungsplanung vor, die auf kamerabestückte Drohnen oder Bodenfahrzeuge angewendet werden können. Die Metriken und Methoden berücksichtigen unter anderem die visuelle Abdeckung der Bauteile in den erfassten Fotos und die Auflösung jeder erfassten Komponente unter Verwendung des Oberflächenabstands. Der Ansatz in [20] verwendet bereits ein 4-D-BIM in IFC als Grundlage zur Erfassungsplanung. Die Aktivitäten und zugehörigen Bauteile, für die eine Datenerfassung erforderlich ist, werden im IFC über eine Schnittstelle manuell gefiltert, z. B. nach Fertigstellungstermin oder verantwortlichem Subunternehmer. Anschließend werden die Bauteile im frei navigierbaren Raum des Grundrisses dargestellt, um eine Reihe von Wegpunkten zu generieren, die eine vollständige Erfassung der identifizierten Elemente gewährleisten. Die umfangreiche Literaturrecherche abgeschlossener und noch laufender Forschungsprojekte zeigt, dass die drohnenbasierte Datenerfassung automatisiert werden sollte, um Wegpunkte auf Basis eines 4-D-BIMs zu ermitteln und die Flugplanung automatisiert zu planen, simulieren und zu validieren. Wesentliche Vorteile sind dabei, dass nur die notwendigen Daten erfasst werden und der Eingriff in das operative Tagesgeschäft minimiert wird. Die generierte Flugroute sollte unter Berücksichtigung der Flugdauer, der Batteriekapazität, des Abdeckungsgrades der Komponenten, der Bewegungsmöglichkeiten der Drohne, der zu erwartenden Wetterbedingungen während des geplanten Fluges, der Nutzlast und des Abfluggewichtes sowie der Drohne optimiert werden. Darüber hinaus besteht Forschungsbedarf, wie Wegpunkte aus 4DBIMs in IFC (bzw. in 4-D- Software) ermittelt werden können und welche Methoden geeignet sind, um daraus Wegpunkte und Flugpläne in einer automatisierten Datenerfassungsplanung abzuleiten. Zudem ist eine Auswertung des Flugplans mit realen Umgebungsbedingungen notwendig, um weitere Einflüsse, die einen entscheidenden Einfluss auf die Datenerfassung haben, zu identifizieren und in die Planung Design zu integrieren. Derzeit fehlt es an allgemein anerkannten Qualitätskriterien für die drohnenbasierte LiDAR-Datenerfassung, anhand derer die erfassten Daten in Bezug auf Abdeckung, Vollständigkeit und Genauigkeit sowie die Flugroute in Bezug auf die zu befliegenden Wegpunkte und die Flugdauer überprüft werden können. Im Gegensatz zu den evaluierten Forschungsmethoden werden in der vorgestellten Methodik die Wegpunkte auf Basis der semantischen und geometrischen Informationen des 4-D-BIM über die IFC-Schnittstelle (oder in einer 4-D-Software) und den Oberflächen der assoziierten Bauteile abgeleitet. Darüber hinaus erfolgt die Simulation der erfassten LiDAR-basierten Punktwolken und eine analytische Auswertung und Vollständigkeitsprüfung der erfassten Daten, um Qualitätskriterien zu erfüllen und die Flugplanung vor dem eigentlichen Flug zu optimieren. 3. Konzept für eine modellbasierte Flugplanung zur Automatisierung der Datenerfassung In diesem Kapitel wird das Konzept für eine Automatisierung der Planung einer Datenerfassung im Brückenbau vorgestellt. Eine Übersicht über das Konzept des Lean Erfassungsprozesses (LEP) ist in Abbildung 4 dargestellt. Abbildung 4: Konzept des Lean Erfassungsprozesses (LEP) 5. Brückenkolloquium - September 2022 151 Ereignisbasierte und bedarfsorientierte Datenerfassung für die 4-D-BIM-basierte Flugplanung von Drohnen 3.1 Konzeptvorstellung Die Datenerfassung wird zu Beginn der Methodik gemäß dem PullPrinzip ereignisbasiert und bedarfsorientiert für relevante Vorgänge und den assoziierten Bauteilen initiiert (siehe Pull in Abbildung 4), z. B. wenn ein Bauteil oder eine Schalung fertiggestellt ist oder wenn die Prüfung eines Bauteils ansteht. Die Flugroute wird im Rahmen eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses mit den Teilschritten Plan-Do-Check-Act (PDCA) fortlaufend optimiert, die Farben in Abbildung 4 sind korrespondieren zu denen in Abbildung 3. Die Optimierung erfolgt in folgenden Teilschritten: 1. eine automatisierte und modellbasierte Planung des Flugplans für die Datenerfassung (Plan), 2. eine Simulation der Datenerfassung unter Berücksichtigung der typischen Eigenschaften der Sensoren und Drohnen sowie der örtlichen Gegebenheiten (Do), 3. eine Validierung und einheitliche Auswertung mit Kennzahlen der Simulation (Check), sowie 4. eine Anpassung des entworfenen Datenerfassungsflugplans (Act). und wird nachfolgend kurz erläutert, bevor diese in dem kommenden Kapitel im Detail vorgestellt werden. Zunächst erfolgt eine automatisierte modellbasierte Planung der Datenerfassung (siehe PDCA - Plan in Abbildung 4). Hierbei werden aus dem bauzeitlichen BIM relevante Wegpunkte identifiziert. Dies kann auf Basis des herstellerneutralen und technologieoffenen Datenformats IFC, das für den standardisierten Datenaustausch in der Bauindustrie vorgesehen ist, oder in einer 4-D-Software erfolgen. Die Flugroute ist die Verbindung aller ermittelten Wegpunkte entlang eines Pfades und beinhaltet zusätzlich Start- und Landepunkte, die manuell definiert werden können. Zur Ermittlung der Flugroute können verschiedene Suchalgorithmen eingesetzt werden, um die kostengünstigste und/ oder kürzeste Route mit den wenigsten Hindernissen zwischen diesen Wegpunkten zu finden. Die Flugroute wird in einer Simulationssoftware validiert (siehe PDCA - Do in Abbildung 4), um unter anderen Kollisionen mit dem Brückenbauwerk auszuschließen und die Qualität der zu erfassenden Daten im Vorfeld überprüfen zu können. Die Validierung der synthetischen Datenerfassung soll über noch zu entwickelnde Qualitätskriterien erfolgen, die allgemeingültig und nicht fachspezifisch für eine LiDARbasierte drohnenbasierte Datenerfassung sein sollen (siehe PDCA - Check in Abbildung 4). Die Anpassung (siehe PDCA - Act in Abbildung 4) der Flugroute wird kontinuierlich und iterativ durchgeführt, bis alle Qualitätskriterien hinreichend erfüllt sind. 3.2 Initiierung der Datenerfassung Die Haupthypothese der eigenen Forschung ist, dass jede Datenerfassung einem bestimmten Informationsbedarf und Anwendungsfall (AWF) dienen sollte. Zu Anfang erfolgt eine Katalogisierung und Kategorisierung der zu erfassenden Daten und Informationen gemäß bundesweiten Richtlinien und Standards sowie dem internen Berichtssystem des beteiligten Unternehmens. Dazu gehört insbesondere die Bewertung der aktuellen Bauprozesse im Infrastrukturbau, insbesondere im Brückenbau, um festzustellen, welche Prozesse durch eine automatisierte Datenerfassung mittels Drohne unterstützt werden können. Nach der Katalogisierung und Kategorisierung wird die Datenerfassung dann z. B. durch Ereignisse im Bauablauf, wie z. B. der planmäßigen Fertigstellung von Vorgängen, ausgelöst. Diese Vorgehensweise stellt sicher, dass nur relevante Daten während des LEP erfasst werden. Abbildung 5: Ableitung der Wegpunkte zur Erfassung von Schalungselementen 3.3 Plan - Planung der Datenerfassung Die Planung der Datenerfassung für eine (teil-)autonome Befliegung kann aus dem 4-D-BIM im herstellerneutralen und offenen Datenformat IFC oder in einer 4DSoftware erfolgen. Auf Basis des 4-D-BIMs werden relevante Bauteile ereignis- und bedarfsorientiert durch die zugehörigen Vorgänge analog zu [20] identifiziert und Wegpunkte für eine drohnenbasierte Datenerfassung abgeleitet. Dies geschieht durch die Bestimmung der Bauteiloberflächen der relevanten Vorgänge und der entsprechenden IFC-Entitäten (IfcTask, IfcBuldingElement, IfcCartesianPoint) oder Verknüpfungen in der 4-D-Software. In Abbildung 5 ist bspw. der Vorgang „Schalung stellen“ eines Brückenbauwerks dargestellt. Ausschließlich die sechs markierten Flächen (Innenseite der Schalung) sind für die Datenerfassung relevant, da diese mit dem Vorgang „Schalung stellen“ verknüpft sind. Abbildung 6: Simulation der drohnenbasierten Datenerfassung Voraussetzung für die Berechnung der Wegpunkte sind u. a. die Konfigurationen des Laserscanners (vertikales und horizontales Sichtfeld sowie Messrate und Ge- 152 5. Brückenkolloquium - September 2022 Ereignisbasierte und bedarfsorientierte Datenerfassung für die 4-D-BIM-basierte Flugplanung von Drohnen schwindkeit der Drohne). Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass der Wegpunkt eine ausreichende LiDAR-Abdeckung und -Qualität bei der Datenerfassung liefert. Der Flugroute wird dann mit Hilfe von Suchalgorithmen errechnet. 3.4 Do - Simulation der Datenerfassung Eine Simulation der Datenerfassung wird mit der Software AirSim (Shah et al., 2017) durchgeführt, um die Datenerfassung hinsichtlich der Qualität der erfassten Daten zu validieren und zu evaluieren. Die LiDAR-Sensoren werden von einer simulierten Drohne getragen, die die geplante Flugroute befliegt und kontinuierlich synthetische Daten erfasst. Eine Registrierung der erfassten synthetischen Daten ist nicht erforderlich, da alle Punkte entsprechend der Position der Drohne transformiert und auf ein gemeinsames Koordinatensystem bezogen werden. Dies ist für Zwecke der Baufortschrittskontrolle ausreichend. Die Simulation kann reales aerodynamisches Verhalten und mögliche Störungen berücksichtigen. Störungen treten unter anderem in Form von Böen auf, die die Drohne vorübergehend beeinflussen kann, und in Form von gestörtem GNSS-Empfang, der zu ungenauen Positionsmessungen führt. 3.5 Check - Bewertung der Datenerfassung An die Simulation schließt die Auswertung der synthetischen Datenerfassung an. Dabei werden die Methoden von Debus & Rodehorst und Ibrahim et al. (Debus & Rodehorst, 2021a; Ibrahim et al., 2021) adaptiert und hinsichtlich der Erfassungstechnik erweitert. Mithilfe statistischer Methoden werden die Qualitätskriterien (LOC, LOA und LOD) der synthetischen Punktwolke bestimmt, um ausreichende Anforderungen der einzelnen Bauteile zu gewährleisten. Folgende Kriterien fließen ebenfalls in die Bewertung des Flugroute ein: das Ziel der Datenerfassung (AWF), (d. h. Baufortschrittkontrolle, Projekt- und Bauwerkdokumentation); eine Kollisionsvermeidung, die Sichtbarkeit der Drohne und die Überprüfung der Abstandseinhaltung gemäß Vorschriften; sowie Umwelteinflüsse, (z. B. Wind); und Drohnendaten, (d. h. Geschwindigkeit, Positionsgenauigkeit und GNSSAbdeckung). Die Bewertung der Flugroute wird kontinuierlich durchgeführt, bis die gewünschten Ergebnisse in der Simulation erreicht sind. Dies ermöglicht die Planung einer automatisierten und LiDAR-gestützten drohnenbasierten Datenerfassung. Die Drohne ist dann in der Lage, auf Basis des Flugroute (teil)autonom zu operieren, wodurch ausschließlich relevante Bauteile in der notwendigen Qualität (Genauigkeit, Dichte und Vollständigkeit) erfasst werden. 3.6 Act - Anpassung der Datenerfassung Eine Anpassung der Flugroute kann vorgenommen werden, wenn die Auswertung des Simulationsprozesses ergibt, dass die Datenerfassung hinsichtlich der Flugparameter oder der Datenqualität unzureichend ist. Überschreitet die Flugdauer beispielsweise die Batteriekapazität, muss ein Batteriewechsel eingeplant werden. Darüber hinaus können die Wetterbedingungen oder die örtlichen Gegebenheiten eine Anpassung der Flugroute erforderlich machen. Wird die Qualität der erfassten Daten als unzureichend beurteilt, z. B. in Bezug auf die Abdeckung oder die Dichte (siehe Abbildung 6), müssen die Wegpunkte angepasst und eventuell zusätzliche hinzugefügt werden. Die angepasste Flugroute kann dann zur (teil-)autonomen Datenerfassung an die Drohne übertragen werden. Abbildung 7: Synthetische Datenerfassung mit der segmentierten Punktwolke 3.7 (Teil)-autonome drohnenbasierte Erfassung Auf der Grundlage des LEPs kann eine (teil-)autonome Datenerfassung durchgeführt werden. Trotz einer sorgfältigen realistischen Simulation der Flugplanung können unerwartete Hindernisse auf der Flugroute der Drohne auftreten. Daher ist es notwendig, dass die Drohne selbst mit einem System zur Kollisionsvermeidung ausgestattet ist und Hindernisse selbstständig erkennen und ausweichen kann. Darüber hinaus ist in Einzelfällen das Eingreifen der steuernden Person notwendig, um Ausnahmesituationen zu lösen. 4. Fazit und Ausblick In diesem Beitrag wird ein neuartiger Ansatz für die Datenerfassung vorgeschlagen, der so genannte „LEP“ (Lean-Erfassungsprozess). Die drohnenbasierte Datenerfassung wird zunächst ereignisbasiert und bedarfsorientiert ausgelöst und unter Berücksichtigung des Pull- Prinzips und der kontinuierlichen Verbesserung nach dem PDCA-Zyklus durchgeführt. Die Datenerfassung wird automatisch auf Basis des 4DBIMs im IFC-Format oder in einer 4-D-Software automatisiert geplant, realitätsnah simuliert, validiert, einheitlich bewertet und bei Bedarf angepasst. Dieses Vorgehen stellt sicher, dass nur relevante Daten und Informationen aus dem Bauprozess erfasst werden. Die erfassten Daten können anschließend genutzt werden, um das Ausführungs-BIM (insbesondere Ist-Termine der Vorgänge) mit bauteilspezifischen Informationen zu aktualisieren. Dies kann durch eine Objekterkennung in den erfassten Daten und deren Abgleich mit dem Ausführungs-BIM geschehen, um festzustellen, ob das Bauteil vorhanden ist oder nicht. Dies ermöglicht einen effizienten Prozess der Baufortschrittskontrolle. Darüber hinaus können die erfassten Daten zur geometrischen Aktualisierung des Ausführungs-BIM verwendet wer- 5. Brückenkolloquium - September 2022 153 Ereignisbasierte und bedarfsorientierte Datenerfassung für die 4-D-BIM-basierte Flugplanung von Drohnen den, bspw. mittels IfcOpenShell (Krijnen, 2021). Dies gewährleistet die Generierung eines Übergabemodells, welches für die Betriebs- und Erhaltungsphase genutzt werden kann. Abschließend können die generierten synthetischen Daten aus der Simulation als Trainingsdaten für die maschinellen Lernmethoden (Scan2BIM) [8, 21, 22] zur Objekterkennung oder für andere Zwecke verwendet werden. Durch die Umsetzung des Pull-Prinzips und der kontinuierlichen Verbesserung (PDCA) der Lean-Methodik im Rahmen der Datenerfassung kann sichergestellt werden, dass nur die Daten mit einer ausreichenden Qualität zielgerichtet erfasst werden. Außerdem kann durch dieses Vorgehen das Ausführungs-BIM effizient aktualisiert werden, um den Baufortschritt oder den aktuellen Zustand des Brückenbauwerks abzubilden. Der vorgestellte Ansatz eignet sich besonders für Infrastrukturprojekte, wie Brücken- und Straßenbau im Freiraum. Darüber hinaus sind auch Bauwerke wie Fußballstadien, große Fabrikhallen oder Offshore-Windparks/ Produktionsplattformen sowie große Betonkonstruktionen für Gebäude realisierbar. Innenausbau und beengte Räume sind dagegen nicht realisierbar, da die Drohne bestimmte geometrische Abmessung besetzt und das Empfangssignal jederzeit gegeben sein muss. Der vorgestellte Ansatz wird derzeit sukzessive implementiert, wobei die Schwerpunkte auf der drohnenbasierten Flugplanung und -simulation liegen. Die Schritte der Katalogisierung und Kategorisierung der erfassbaren Daten und die Festlegung, welche Bauprozesse mittels Drohne unterstützt werden können, werden derzeit noch untersucht. Ebenfalls in Bearbeitung befinden sich die Definition von Qualitätskriterien wie LOC und LOD, die bestimmte Werte zur Erfüllung nachfolgender Prozesse und Anwendungsziele erfordern. Der Ansatz gewährleistet eine automatisierte und qualitätsgesicherte Datenerfassung in kurzen Zyklusintervallen, was für das Projektmanagement des Bauwerks von Vorteil ist. Danksagung Diese Arbeit wird in Zusammenarbeit mit der Abteilung Unternehmensentwicklung und Prozessmanagement (UEPM) der Wayss & Freytag Ingenieurbau AG (W&F) durchgeführt. W&F ist eines der führenden Bauunternehmen in Deutschland und war das erste Unternehmen im Infrastrukturbereich in Deutschland, das das Zertifikat der ISO 19650 (Informationsmanagement mit Building Information Modeling) erhalten hat. Literatur [1] BMDV: Masterplan BIM - Bundesfernstraßen [2] Glock, Christian: Digitalisierung im konstruktiven Bauwesen. In: Beton- und Stahlbetonbau 113 (2018), Nr. 8, S. 614-622 [3] Liebich, Thomas; Borrmann, André; Elixmann, Robert; Eschenbruch, Klaus; Hausknecht, Kerstin; Häußler, Marco; Hochmuth, Markus; König, Markus: Wissenschaftliche Begleitung der BMVI Pilotprojekte zur Anwendung von BIM im Infrastrukturbau : Endbericht Handlungsempfehlungen - Überprüfungsdatum 2021-12-10 [4] buildingSMART: Industry Foundation Classes, 2022. 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Technische Universität Kaiserslautern, Fachbereich Bauingenieurwesen, Fachgebiet Massivbau und Baukonstruktion, Kaiserslautern, Deutschland Thomas Tschickardt, M. Eng. Technische Universität Kaiserslautern, Fachbereich Bauingenieurwesen, Fachgebiet Massivbau und Baukonstruktion, Kaiserslautern, Deutschland Wayss & Freytag Ingenieurbau AG, Frankfurt, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. Christian Glock Technische Universität Kaiserslautern, Fachbereich Bauingenieurwesen, Fachgebiet Massivbau und Baukonstruktion, Kaiserslautern, Deutschland Zusammenfassung In der Ausführungs- und Betriebsphase eines Brückenbauwerks ist wenig erforscht, wie Daten und Informationen automatisiert erfasst und in Bauwerksinformationsmodelle (BIM) integriert werden können. Der vorgestellte Ansatz umfasst die autonome Datenerfassung mit Drohnen und die Erzeugung von BIMs bzw. eine Fortschreibung bestehender BIMs. Alle Schritte sollen automatisiert werden, um die Bereitstellung von Informationen in Echtzeit in kurzen Zyklen zu ermöglichen. Auf der Grundlage des 4-D-MonitoringBIM (4-D-MBIM) werden relevante Komponenten identifiziert und Wegpunkte für die drohnengestützte Datenerfassung abgeleitet. Anschließend wird die UAVMission auf Basis des 4-D- MBIM unter Berücksichtigung der Datenerfassungstechnologie, möglicher Hindernisse und anderer Randbedingungen geplant und per Simulation validiert. Die Datenerfassung erfolgt mithilfe von autonom operierenden UAVs. Innerhalb der erfassten Punktwolken wird eine Bauteilerkennung durchgeführt. Pro Objektklasse werden einzelne Objekte geclustert und anschließend (i) eine vollständige BIM-Rekonstruktion, (ii) ein BIM-Scan-Vergleich und (iii) eine weitere Informationsextraktion, z. B. die Erkennung von Betonrissen und Abplatzungen, durchgeführt. Alle Informationen werden gemäß der BIM-Methodik unter Verwendung offener Standards daargestellt. 1. Einleitung 1.1 Ausgangssituation Die Veröffentlichung des „Masterplans BIM im Bundesfernstraßenbau“ [1] sieht die digitale Methodik der Projektabwicklung für den Regelbetrieb im Jahre 2025 vor. Langfristig soll die Projektabwicklung gemäß dem Masterplan auf Basis digitaler Zwillinge erfolgen. Ein digitaler Zwilling stellt die physische Infrastruktur mit allen relevanten Informationen digital und in ihrer Komplexität dar. Dieses Zukunftsbild wird im „Masterplan Digitaler Zwilling Bundesfernstraßen“ wahrscheinlich im Jahr 2024 veröffentlicht werden. In diesem Zukunftsbild sollen Themen, wie die Vernetzung von Echtzeitdaten, modellbasierte Simulationen und Prognosen, die verstärkte Einbindung von Hersteller- und Maschinendaten, die Integration von künstlicher Intelligenz sowie die Vernetzung des digitalen Zwillings mit autonom operierenden Fahrzeugen betrachtet werden. Autonom operierende Fahrzeuge können bspw. das Bauwerk und dessen Zustand erfassen und eine kurzzyklische Informationsbereitstellung gewährleisten. Der Lebenszyklus eines Bauwerksinformationsmodells (BIM) reicht von der Entwurfsphase über die Ausführungsphase bis hin zur Betriebs- und Instandhaltungsphase [2]. In der Betriebsphase bildet eine ständige Aktualisierung der Informationen aus der Planungs- und Bauphase die Grundlage für einen zuverlässigen Betrieb über den gesamten Lebenszyklus. Die heutigen manuellen Verfahren zur Aktualisierung von Bestandsinformationen entsprechen jedoch noch nicht den Anforderungen eines BIM-basierten digitalen Bestandsmanagements während des Betriebs einer Infrastruktur. Erstens sind manuell erfasste Daten, z. B. aus visuellen Inspektionen, nicht mit der objektorientierten Struktur eines BIM verknüpft. Zweitens sind manuelle Datenerfassungsverfahren arbeitsintensiv und fehleranfällig, so dass regelmäßige Inspektionen nicht häufig, sondern nur jedes x-te Jahr durchgeführt werden [3-5]. Bei alternden Brücken sind häufigere Inspektionen unerlässlich, um einen zuverlässigen Betrieb, die frühzeitige Erkennung von Schäden und die Durchführung von Instandhaltungsmaßnahmen zu gewährleisten. 156 5. Brückenkolloquium - September 2022 Drohnengestützte Erfassung von Bestandsmodellen zur Automatisierung von Prozessen des digitalen Managements von Brückenbauwerken Abbildung 1: Informationsverlust während des Lebenszyklus eines Brückenbauwerks [6] Abbildung 1 zeigt die Problematik der fehlenden Daten und Informationen während des Lebenszyklus eines Brückenbauwerks, insbesondere in der Bau- und Betriebsphase. Während der Entwicklungs- und Planungsphase sind die Daten und Informationen weitgehend mit dem BIM verknüpft. In der Bauphase sorgen sogenannte BIM- 2Field-Ansätze für eine regelmäßige Aktualisierung des BIMs in Richtung eines As-Built-BIM, obwohl Informationen wie Bautagebuch, Pendelliste, Auslieferungsnotizen, Qualitätssicherungs-/ Qualitätskontrollberichte, Besprechungsprotokolle, Stundenzettel, Wetterbedingungen, Vermessungsprotokolle und andere noch nicht vollständig in das BIM integriert sind und manuell aktualisiert werden. Während der Betriebsphase werden die manuellen Inspektionen in Zeichnungen und Fotos dokumentiert und mit Datenbanken verknüpft. Eine regelmäßige Organisation dieser Informationen innerhalb von BIM ist heute noch nicht erreicht, da die Integration heterogener Daten in BIM einen hohen manuellen Aufwand erfordert. Daher müssen BIM-konforme Datenerfassungsverfahren entwickelt und implementiert werden. Um auch bei häufiger Datenerfassung und BIM-Aktualisierung eine hohe Effizienz zu gewährleisten, müssen die Verfahren (i) automatisiert und (ii) auf Basis des BIMs geplant und validiert werden, um die Datenqualität und -integrität sicherzustellen. Derzeit gibt es erste Forschungsansätze, die auf einer automatisierten Daten- und Informationserfassung mithilfe photogrammetrischer Methoden und/ oder Laserscanning (Light Detection and Ranging, „LiDAR“) basieren, meist während der Ausführungsphase. Im Brückenbau können (teil)autonom operierende Drohnen diesen Prozess unterstützen, da sie sich besonders für die Befliegung und Datenerfassung von größeren Bauwerken eignen. Drohnen werden manuell nach einer groben Flugplanung gesteuert, was zu erheblichen Kosten durch ineffiziente Flugrouten und unzureichende Datenmenge und -qualität führt. Eine effektive und effiziente Datenerfassung lässt sich durch einen vorausgehenden Planungsoptimierungsprozess erreichen, der als „Planning for Scanning“ (P4S) bezeichnet werden kann [7]. Eine weitere Herausforderung besteht darin, aus der während des Fluges erzeugten unstrukturierten Punktwolke Informationen zu extrahieren, die in das BIM zu integrieren sind. Bei der Übersetzung von Punktwolken in BIMs ist die Bauteilerkennung ein wichtiger Schritt der semantischen Auswertung. Für die Bauteilerkennung in Punktwolken erscheint der Einsatz von Methoden der künstlichen Intelligenz vielversprechend und wird bereits von den Autoren [8] und anderen im Rahmen der Scan- Net Benchmark Challenge [9] erforscht. Die Methoden sind jedoch noch nicht ausreichend entwickelt, um in der Praxis in der Bauwirtschaft eingesetzt zu werden. Hier sind Weiterentwicklungen und intensive praktische Anwendungen erforderlich. Neben der eigentlichen BIM-Rekonstruktion und -fortschreibung von Elementen ist in der Betriebsphase vor allem die weitere Untersuchung von Schäden, Verformungen und allgemeinen Veränderungen des Bauwerks von Interesse. Hier bietet die drohnenbasierte Datenerfassung wesentliche Vorteile, da die Drohne mit verschiedenen anderen Sensoren wie Kameras, Tiefenkameras, etc. ausgestattet werden kann, um aus diesen Daten Informationen über Schäden abzuleiten. Vorarbeiten wurden z. B. zur Erforschung der bildbasierten Risserkennung in Betonstrukturen durchgeführt [10]. Eine vollständige Verbindung zum BIM mit offenen Datenaustauschstandards ist nur teilweise gegeben, da es 5. Brückenkolloquium - September 2022 157 Drohnengestützte Erfassung von Bestandsmodellen zur Automatisierung von Prozessen des digitalen Managements von Brückenbauwerken noch Forschungslücken bei der Informationsextraktion und -verarbeitung gibt. 1.2 Zielsetzung Zunächst erfolgt die Entwicklung und Umsetzung eines drohnen-gestützten Datenerfassungsprozesses auf der Grundlage der Lean-Prinzipien zur kontinuierlichen Verbesserung der Flugplanung. Weil dieses Konzept in einem anderen Beitrag ausführlich dargestellt wird, liegt der Fokus dieser Arbeit auf der Analyse, Überführung und Integration der erfassten Punktwolke und der zugehörigen Daten in das BIM. Hierbei ist zu unterscheiden, ob ein BIM aus der Bauausführung vorliegt und in die Betriebsphase übergeben wird oder ob ein BIM basierend auf Punktwolken erst erzeugt werden muss. Aus Sicht des Betriebs und der Erhaltung müssen relevante zeitliche Informationen hinzugefügt werden, z. B. regelmäßige Wartungs- und Inspektionsintervalle pro Objekt. Mit solchen Informationen wird das BIM zum 4-D-Monitoring-BIM (4-D-MBIM) weiterentwickelt. Dabei ist zu beachten, dass alle zeitlichen Informationen nicht statisch bleiben, sondern entsprechend den Ergebnissen der digitalen Inspektionen aktualisiert werden. Werden Schäden am Bauwerk festgestellt, können im Rahmen des 4-D- MBIM zusätzliche, häufigere Inspektionen geplant werden, um Veränderungen zu verfolgen und vorausschauende Instandhaltungsmaßnahmen zur Vermeidung weiterer Schäden durchzuführen. Somit ist das 4-D-MBIM ein dynamisches digitales Asset, das den Betrieb und die Instandhaltung kontinuierlich unterstützt. Aus dem 4-D- MBIM wird nach festgelegten Inspektionszyklen ein Datenerfassungsereignis ausgelöst. Im Rahmen der Erfassungsplanung werden relevante Elemente im 4-D- MBIM identifiziert und mittels Drohne wie in [11] erfasst. Abweichungen können dann in einen Scan vs. BIM Abgleich erkannt und das BIM entsprechend fortgeschrieben werden. Liegt kein BIM aus der Bauausführung vor und kann dieses auch nicht aus vorhandenen Daten abgeleitet werden, muss das Bauwerk digital erfasst und in ein BIM-Modell überführt werden. Hierfür müssen zunächst Bauteile in den unstrukturierten Punktwolken erkannt werden, wofür maschinelle Lernverfahren und wissensbasierte Ansätze vorgestellt werden. Zudem wird dargestellt, wie aus der Gesamtmenge der einer Bauteilklasse zugeordneten Punkte einzelne Bauteile geclustert werden können. Mit Hilfe geeigneter Verfahren werden die geclusterten Bauteile anschließend geometrisch ausgewertet und in BIM- Objekte überführt. Auch das so erstellte BIM kann durch Ergänzung der für das digitale Asset Management erforderlichen Informationen zu einem 4-D-MBIM erweitert werden. Liegt das 4-D-MBIM vor, können weitere Informationen ergänzt werden, z. B. die bildbasierte Rissbzw. Schädigungserkennung und deren Abgleich mit dem BIM sowie die Rekonstruktion von Bewehrung, falls keine entsprechenden Bestandsdaten vorliegen, wofür hier geeignete Verfahren vorgestellt werden. 2. Stand der Wissenschaft und Technik 2.1 Erfassung Die Technologien und Geräte zur Datenerfassung wurden in den letzten Jahren stetig weiterentwickelt. Neben traditionellen Methoden wie terrestrischem Laserscanning und Photogrammetrie stehen komplexe Technologien wie „Mobile Mapping Systeme“ und Drohnen zur schnellen Erfassung der Brückenbauwerke zur Verfügung [11]. Um sicherzustellen, dass die erfassten Punktwolken für die vorgesehene Anwendung geeignet sind, muss gewährleistet sein, dass alle Ziele der Flugroute mit der vorgegebenen Datenqualität und innerhalb des verfügbaren Zeitrahmens erfasst werden. Die Effizienz der Datenerfassung ist wichtig, um die Beeinträchtigung der Aktivitäten am Bauwerk zu reduzieren. 2.2 Scan vs. BIM Liegt ein BIM des Bauwerks vor, kann ein Abgleich von Punktwolke und BIM für verschiedene Anwendungen genutzt werden. Braun et al. stellen eine Methode vor, mit deren Hilfe die Baufortschrittserfassung durch einen Abgleich der Punktwolke mit dem vorhandenen BIM weitgehend automatisiert werden kann [12]. Zudem stellen Chen et al. eine Methode vor, bei der BIM und Punktwolke punktbasiert miteinander verglichen werden mit dem Ziel, Abweichungen zu erkennen [13]. 2.3 Bauteilerkennung in Punktwolken Bei der semantischen Segmentierung wird jeder Datenpunkt, z. B. jeder Pixel oder jeder Punkt in einer 3-D- Punktwolke, klassifiziert. Jedem Datenpunkt wird ein Label zugewiesen, das die jeweilige Klasse repräsentiert. Im Kontext von Scan-to-BIM-Workflows stellen die Klassen Bauwerkskomponenten dar. Eine texturierte und segmentierte Punktwolke ist in Abbildung 2 dargestellt. Abbildung 2: Texturierte und segmentierte Punktwolke Die Farbwerte entsprechen den Bauteilklassen, z. B. Wand, Decke, Fenster. Zur Lösung dieser Klassifikationsaufgabe können Verfahren des maschinellen Lernens und wissensbasierte Ansätze eingesetzt werden. Beim maschinellen Lernen wird ein Algorithmus durch ein Modell, das Trainingsdaten verarbeitet. Dazu wer- 158 5. Brückenkolloquium - September 2022 Drohnengestützte Erfassung von Bestandsmodellen zur Automatisierung von Prozessen des digitalen Managements von Brückenbauwerken den künstliche neuronale Netze aufgebaut, die aus mehreren Millionen Neuronen bestehen, die miteinander verbunden sind. Das Lernen erfolgt durch Gewichtung der Verbindungen der Neuronen in der Vorwärtsberechnung. Einen guten Überblick über Implementierungen, die für die Bauteilerkennung in Punktwolken relevant sind, bietet die Scannet Benchmark Challenge, bei der die erreichbare Genauigkeit an einem Datensatz mit Innenraumszenarien getestet werden kann [9]. Neben Multi-View-CNNs konnten auch Implementierungen von „Submanifold Sparse Convolutional Neural Networks“ sehr gute Ergebnisse erzielen, wie von Graham et al. eingeführt [14]. Neben datengetriebenen Ansätzen verfolgt Ponciano für die semantische Segmentierung von Straßenszenarien einen wissensbasierten Ansatz, der sogar höhere Genauigkeiten erzielt als ein auf maschinellem Lernen basierender Ansatz [15]. In einer anderen Arbeit wird ein wissensbasierter Ansatz zur Erkennung von Bauteilen in Punktwolken von Brückenbauwerken vorgestellt [16]. Weil aktuell sowohl auf datengetriebene als auch wissensbasierte Ansätze hinsichtlich ihrer Robustheit und erzielbarer Klassifikationsgenauigkeit konkurrieren, sind beide Möglichkeiten für die weitere Entwicklung des hier vorgestellten Konzepts in Betracht zu ziehen. 2.4 Scan to BIM Die Erzeugung von BIM-Modellen aus Punktwolken geschieht weitgehend manuell, wie in [17] dargestellt. Dabei besteht die Schwierigkeit zudem darin, dass hochparametrisierte Autorenwerkzeuge für die Erstellung von BIMs von Brücken es meist nicht erlauben, die geometrischen Abweichungen des realen Bauwerkszustandes exakt abzubilden, weil hierfür die Werkzeuge zur Freiformmodellierung fehlen. 2.5 Bewehrung Zur dreidimensionalen Erfassung von Bewehrung werden in der Praxis sowohl Radarals auch Ultraschallverfahren angewendet. Geräte mit beiden Aufnahmetechnologien sind am Markt verfügbar, wobei manche Geräte die Möglichkeit bieten, Bewehrung auch flächenhaft zu erfassen und ein dreidimensionales Oberflächenmodell der Bewehrung zu erzeugen (z. B. Hilti PS1000 X-Scan). Diese Verfahren sind besonders geeignet im Hinblick auf die Integration in BIM, weil die erfassten 3-D-Oberflächenmodelle eine geometrische Rekonstruktion der Bewehrung mit den hier vorgestellten Verfahren erlauben. 2.6 Bildbasierte Schadenserkennung Einen Überblick über Verfahren zur bildbasierten, automatisierten Risserkennung und deren kritische Würdigung bietet [18]. Ein auf maschinellem Lernen basierendes Verfahren zur Erkennung von Abplatzungen mittels Regressionsanalyse ist in [19] dargestellt. Die hier diskutierten Methoden zielen zwar auf die Ableitung von Parametern (Länge, Breite, usw.) zur Beschreibung der Schädigungen ab, enthalten aber keine Ansätze zur Überführung der Schädigungen in ein BIM. 3. Überführung der erfassten Daten in BIM 3.1 Konzept Ein konzeptioneller Ansatz für die BIM-basierte Flugplanung, die automatische Datenerfassung und die semantische Informationsextraktion wird im folgenden Kapitel vorgestellt. Eine Übersicht ist in Abbildung 3 dargestellt. Kernelemente sind (2) die automatisierte Flugplanung [11], der (teil)autonome Flug, (4) die Bauteilerkennung in Punktwolken zur semantischen Anreicherung der erfassten Daten, die Abbildung anderer erfasster Daten (RGB/ RGB-D, etc.) auf das 4-D-MBIM und (5) Rekonstruktion, Abgleich und Analyse z. B. hinsichtlich Schäden am Bauwerk. Abbildung 3: Konzept der Methode für die Automatisierung von Prozessen im Rahmen der digitalen Verwaltung von Brückenbauwerken 5. Brückenkolloquium - September 2022 159 Drohnengestützte Erfassung von Bestandsmodellen zur Automatisierung von Prozessen des digitalen Managements von Brückenbauwerken 3.2 Datenerfassung In der Betriebsphase kann ein Datenerfassungsprozess durch zuvor geplante Prüfzyklen ausgelöst werden oder bei Bedarf, wenn Änderungen im Zustand des Bauwerks durch Sensoren innerhalb des Structural Health Monitoring erkannt werden. Abhängig vom auslösenden Ereignis werden die relevanten Bauteile des Brückenbauwerks auf Basis des 4D MBIM, wie in [11] vorgeschlagen, bestimmt. 3.3 Objekterkennung und Rekonstruktion Für die Bauteilerkennung werden momentan die oben dargestellten datengetriebenen bzw. wissensbasierten Methoden erprobt und auf die Anwendung bei Brückenbauwerken angepasst. Nach erfolgter Bauteilerkennung werden in den Punktwolken pro Bauteilklasse einzelne Bauteile geclustert. Bei Bauteilen, die von planaren Seitenflächen begrenzt werden, erfolgt zunächst eine Segmentierung in Teilflächen mittels RANSAC Algorithmus [20]. Durch die Bestimmung des Abstandes zweier Teilflächen zueinander können zusammenhängende Bauteile, bspw. die beiden parallelen Flächen einer Wand, identifiziert werden. Hierfür muss der Abstand, bis zu dem zwei parallele Flächen einem Bauteil zugeordnet werden, vorher manuell durch einzelne Messungen bestimmt und dem Programm als Input vorgegeben werden. Bei gedrungenen Bauteilen (Stützen, usw.) können dichtebasierte Clustering-Algorithmen wie in [21] vorgestellt eingesetzt werden. Dieser Ansatz bietet den Vorteil, dass im Vergleich zu anderen Clustering-Algorithmen die Anzahl der gesuchten Cluster im Vorfeld nicht bekannt sein muss. Insbesondere bei Stützen bzw. Pfeilern ist im nächsten Schritt zu bestimmen, ob es sich um runde bzw. quadratische oder rechteckige Geometrien handelt. Hierfür können Verfahren zu Bestimmung der Oberflächenkrümmung wie in [22] vorgestellt und in CloudCompare [23] implementiert eingesetzt werden. Durch statistische Auswertung der Oberflächenkrümmung lassen sich so Bauteile mit rundem und quadratischem bzw. rechteckigem Querschnitt voneinander unterscheiden, wie Abbildung 4 zeigt. Abbildung 4: Bestimmung der Querschnittsform am Beispiel von Stützen Bei planaren, quaderförmigen Bauteilen erfolgt die Bestimmung der geometrischen Parameter (Lage, Orientierung, Länge, Breite) durch die Bestimmung der Horizontal ausgerichteten minimalen Umfassungsgeometrie (engl. horizontal aligned bounding box - h-obb), s. Abbildung 5. Dieses Verfahren wurde von den Autoren in [24] eingeführt und basiert auf der Vereinfachung, dass die obere und untere Begrenzungsfläche von Bauteilen horizontal liegt. Somit kann die Bestimmung der Abmessungen auf ein zweidimensionales Problem rückgeführt und eine hohe Zuverlässigkeit der Methode im Vergleich zu anderen Ansätzen zur Bestimmung der minimalen Umfassungsgeometrie, wie in [25] implementiert, erreicht werden. Weil aber gerade bei Brückenbauwerken häufig wandartige Bauteile mit geneigten Begrenzungsflächen, z. B. Flügelwände an Auflagern, vorkommen, ist eine Weiterentwicklung der Methode notwendig. Abbildung 5: h-obb am Beispiel einer Wand mit zwei Öffnungen Im Zuge der Rekonstruktion von Bewehrung erfolgt zunächst die Auf bereitung des aus der Erfassung vorliegenden Oberflächenmodells der Bewehrung durch Bereinigung und Erzeugung einer Punktwolke durch Sampling von Punkten auf dem Oberflächenmodell. Anschließend erfolgt die Auswertung mittels RANSAC [20], wobei in einem iterativen Ansatz durch kontinuierliche Anpassung der Parameter des RANSAC Algorithmus eine möglichst vollständige Zuordnung der Punkte zu Zylindern umgesetzt wird. Anschließend erfolgt die Umsetzung der ausgewerteten Geometrien zu BIM-Objekten mittels IfcOpenShell [26] als IfcRebar mit entsprechender Geometrierepräsentation. Das Ergebnis der Überlagerung von erfasstem Oberflächenmodell und rekonstruierten BIM ist in Abbildung 6 dargestellt. 160 5. Brückenkolloquium - September 2022 Drohnengestützte Erfassung von Bestandsmodellen zur Automatisierung von Prozessen des digitalen Managements von Brückenbauwerken Abbildung 6: BIM-Rekonstruktion von Bewehrung 3.4 4-D-Monitoring BIM Integration Alle erfassten Informationen müssen in das 4-D-MBIM integriert werden. Um Interoperabilität zu gewährleisten, werden alle BIM-Objekte gemäß den geometrischen und semantischen Definitionen des IFC-Standards modelliert. Neben den Objekten, die im IFC-Standard beschrieben sind, müssen andere von Grund auf mit spezifischen geometrischen Darstellungen und Eigenschaftssätzen entwickelt werden. Ein Beispiel ist in Abbildung 7 dargestellt, das die Darstellung von Rissen und Abplatzungen in einem BIM einer Brücke zeigt. Das 4-D-MBIM bietet einen wertvollen Input für die Überwachung des Bauwerkszustands und die Ableitung von Zustandsindikatoren. Die Ermittlung und Bewertung von Schäden an Brückenbauwerken ist derzeit durch DIN 1076 und RI-EBW-PRÜF definiert und wird über das Programmsystem der SIB-Bauwerke [5] umgesetzt. Die summarischen Zustandsnoten für Teilbauwerke und Bauteilgruppen sowie die Bewertung von Einzelschäden werden über das Programm erfasst und können anschließend abgefragt werden. Dabei sind weder die Prozesse noch die Datenstruktur BIM-konform. Informationen aus der drohnengestützten Erfassung sollen daher automatisch ausgewertet und als BIM-Entitäten zur Verfügung gestellt werden. So können bestehende BIMs gezielt zu digitalen Modellen erweitert werden, die den Ist-Zustand des Bauwerks abbilden. Digitale Modelle, die digitale Verknüpfung mit Bestandsdaten und die Ableitung von Zustandsindikatoren bilden die Grundlage für ein integriertes Bauwerksmonitoring zur Verlängerung der Nutzungsdauer von Brückenbauwerken. Abbildung 7: BIM-Darstellungen von Betonrissen und Abplatzungen an einer Brücke 5. Brückenkolloquium - September 2022 161 Drohnengestützte Erfassung von Bestandsmodellen zur Automatisierung von Prozessen des digitalen Managements von Brückenbauwerken 4. Fazit und Ausblick In diesem Beitrag wird ein Ansatz vorgestellt mit dem Prozesse des digitalen Managements von Brückenbauwerken weiter automatisiert werden können. Dazu werden zunächst Daten autonom mit Drohnen erfasst, wobei der Flugplanung im Vorfeld auf Basis des 4-D-MBIM entworfen und in einer Simulation validiert wird. Der vorgestellte Ansatz orientiert sich an den Lean- Prinzipien und wird als „Lean Erfassungsprozess“ bezeichnet. Die Datenerfassung wird analog zum PullVerfahren bei Bedarf für relevante Aktivtäten ausgelöst und erfasst ausschließlich zugehörige Bauteile. Der Prozess umfasst die automatisierte und modellbasierte Planung (Plan), die realitätsnahe Simulation (Do), die Validierung und einheitliche Bewertung (Check) sowie die bedarfsorientierte Anpassung (Act). Durch diesen Ansatz wird sichergestellt, dass nur die benötigten Informationen erfasst werden, die auch erfasst werden sollen. Die erfassten Daten werden in BIMs integriert, wobei Bauteile in der Punktwolke zunächst detektiert, geometrisch rekonstruiert und anschließend zu einem 4-D- MBIM zusammengeführt. Zusätzlich können weitere Schadenserkennungsmethoden angewendet werden, um z. B. Risse und Abplatzungen zu erkennen und in das 4-D-MBIM zu integrieren. Der vorgestellte Ansatz wird derzeit sukzessive umgesetzt, wobei der Schwerpunkt derzeit auf der Drohnensimulation und der Generierung von synthetischen Trainingsdaten liegt. Ziel ist es, die Methode auf einer Infrastrukturbaustelle und an einem Brückenbauwerk einzuführen. Literatur [1] BMDV: Masterplan BIM - Bundesfernstraßen.- [2] Glock, Christian: Digitalisierung im konstruktiven Bauwesen. In: Beton- und Stahlbetonbau 113 (2018), Nr. 8, S. 614-622.- [3] DIN 1076: 1999-11, Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung.- [4] BMDV: Richtlinie zur Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Ingenieurbauten (RPE-ING).- [5] BMDV: Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen (RI-EBW-PRÜF).- [6] Kaufmann, Fabian; Tschickardt, Thomas; Glock, Christian: Drone-based acquisition of as-built models for the automation of processes within the digital management of bridge assets. In: 8th International Symposium on Reliability Engineering and Risk Management (ISRERM 2022), 2022.- [7] Aryan, Afrooz; Bosché, Frédéric; Tang, Pingbo: Planning for terrestrial laser scanning in construction: A review. In: Automation in Construction 125 (2021), W2, S. 103551.- [8] Glock, Christian; Kaufmann, Fabian: Ready for BIM - Digitizing capturing and assessment of existing structures. In: FBF Betondienst GmbH (Hrsg.): Proceedings 65th BetonTage : Concrete Solutions, 2021, S. 63.- [9] Dai, Angela; Chang, Angel X.; Savva, Manolis; Halber, Maciej; Funkhouser, Thomas; Nießner, Matthias: ScanNet: Richly-annotated 3D Reconstructions of Indoor Scenes. 14.02.2017. URL http: / / arxiv.org/ pdf/ 1702.04405v2.- [10] Lee, Bang Yeon; Kim, Yun Yong; Yi, Seong-Tae; Kim, Jin-Keun: Automated image processing technique for detecting and analysing concrete surface cracks. In: Structure and Infrastructure Engineering 9 (2013), Nr. 6, S. 567-577.- [11] Tschickardt, Thomas; Kaufmann, Fabian; Glock, Christian: Lean and BIM-based Flight planning for automated data acquisition of bridge structures with LiDAR UAV during construction phase. In: 2022 European Conference on Computing in Construction, 2022.- [12] Braun, Alexander; Tuttas, Sebastian; Borrmann, André; Stilla, Uwe: Automated progress monitoring based on photogrammetric point clouds and precedence relationship graphs, Bd. 32. In: ISARC. Proceedings of the International Symposium on Automation and Robotics in Construction, 2015, S. 1.- [13] Chen, Jingdao; Cho, Yong K.: Point-to-point comparison method for automated scan-vs-bim deviation detection. 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In: 2022 European Conference on Computing in Construction, 2022.- [25] Zhou, Qian-Yi; Park, Jaesik; Koltun, Vladlen: Open3D: A Modern Library for 3D Data Processing. In: arXiv: 1801.09847 (2018).- [26] Krijnen, Thomas: IfcOpenShell. URL http: / / ifcopenshell.org/ -- Überprüfungsdatum 24.11.2021.- Verstärkung, Ertüchtigung WestWood ® Kunststofftechnik GmbH Tel.: 0 57 02 / 83 92 -0 · www.westwood.de PMMA für Betonfahrbahntafeln - BASt-Listung bis 0 °C Untergrundtemperatur verarbeitbar überarbeitbar nach 30 Minuten WW_WW_Tagungshandbuch_5._Brueckenkolloquium_210x145.indd 1 WW_WW_Tagungshandbuch_5._Brueckenkolloquium_210x145.indd 1 26.07.22 11: 46 26.07.22 11: 46 5. Brückenkolloquium - September 2022 165 Temperaturstabilität und Dauerhaftigkeit von geklebten CFK-Lamellen im Brückenbau CFK Lamellen unter Asphalt Dipl.-Ing. (FH) Florian Eberth S&P Clever Reinforcement GmbH, Bad Nauheim, Deutschland Zusammenfassung Die Glasübergangstemperatur von Epoxidharzklebstoffen für die CFK Verstärkung liegt bei ca. 50-60 °C. Ab dieser Temperatur beginnen die Klebstoffe ihre Festigkeit zu verlieren und die CFK Verstärkung verliert ihre statische Wirkung. Diese Temperaturen werden beim Überbau mit Asphalt deutlich überschritten und auch die direkte Sonneneinstrahlung auf die Asphaltdecke kann eine erhöhte Temperatur darstellen. Forschungsvorhaben [1], [2], [3] der Eidgenössischen Materialprüfanstalt (Empa) in der Schweiz zeigen, dass der Überbau mit Asphalt, das Auf bringen einer Bitumendichtbahn, sowie die Sonneneinstrahlung bedenkenlos möglich sind. 1. Einleitung Bauen im Bestand ist ein stetig wachsender Markt. Bestehende Bauwerke werden umgenutzt oder umgeplant und Stahlbetonbauteile müssen instandgehalten werden. Häufig entsteht dabei ein Eingriff in das statische System bzw. Belastung der Bauteile. Auch Fehler bei der Bemessung oder Ausführung können zu einem Defizit der Bewehrung in einem Bauteil führen. Für die Betoninstandsetzung und zur Verstärkung von Betonbauteilen haben sich faserverstärkte Kunststoffe (FVK oder Fiber reinforced polymeres = FRP) wie z.B. Kohlefaserlamellen (CFK Lamellen) etabliert. Bauaufsichtliche Zulassungen und Richtlinien für CFK Lamellen existieren in mehreren Ländern und regeln auch in Deutschland deren Einsatz und die Bemessung. Im Brandfall bzw. bei höheren Temperaturen (direkte Sonneneinstrahlung) ist die Glasübergangstemperatur des Klebstoffes der CFK Lamellen maßgebend, welche bei ca. 50-60 °C liegt. Ab dieser Temperatur beginnt der Klebstoff seine Festigkeit zu verlieren und die CFK Lamellen fallen rechnerisch aus. Im Idealfall werden die CFK Lamellen im Brandfall aber gar nicht benötigt. Dazu wird das Bauteil für den Brandfall nachgewiesen. In ca. 85 % der Fälle ist die Tragfähigkeit im Brandfall ohne Verstärkung ausreichend und es sind keine Brandschutzmaßnahmen für die CFK Lamellen zu ergreifen. Im Brückenbau ist eine häufig angewendete Methode die oberseitige Verstärkung der Kragarme. Hier werden die CFK Lamellen i.d.R. anschließend mit Asphalt überbaut. Zu den statischen Nachweisen gesellen sich somit zwei Fragestellungen: • wie verhält sich der Verbund im Zusammenspiel von Klebestoff und dem heißen Gussasphalt • und wie verhält sich das Verbundsystem im Hinblick auf die jahreszeitlichen Temperaturschwankungen 2. Temperaturstabilität von geklebten CFK-Lamellen Um eben diese Fragen zu untersuchen und zu beantworten, wurde ein Forschungsvorhaben [1] an der Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa)/ Schweiz durchgeführt. Im Bereich der Brücke erfolgt der übliche Auf bau der Fahrbahn in drei Arbeitsschritten: • Einbau der CFK Klebelamellen mit dem Epoxitharzklebstoff direkt auf den Rohbeton oder in Schlitze verklebte CFK Lamellen • Darüber wird eine Polymerbitumen-Dichtungsbahn (PBD) verlegt • Anschließend wird der heiße Gussasphalt (ca. 220- 240°C im Fahrmischer) aufgebracht In einem ersten Teil des Forschungsprojekts wurden in Bauteilversuchen die Temperaturen in der Ebene der Klebstofffuge gemessen, beim Einbau der PBD (Abb. 1), sowie beim Einbau des Gussasphaltes (Abb. 2). Im Nachgang wurde die Haftzugfestigkeit der verklebten CFK Lamellen untersucht und mit den Referenzproben verglichen. 166 5. Brückenkolloquium - September 2022 Temperaturstabilität und Dauerhaftigkeit von geklebten CFK-Lamellen im Brückenbau Abb. 1: Auf bringen der PBD [1] Abb. 2: Einbau des Gussasphaltes [1] Aufgrund der hohen Einbautemperatur von Gussasphalt war zu erwarten, dass die Temperaturen im Bereich der CFK-Verstärkung die Glasübergangstemperatur des Klebstoffs übersteigen. Die Untersuchungen zur Temperaturentwicklung lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Die Temperaturen während des Auf bringens der PBD sind vernachlässigbar. Zwar ist die Temperatur relativ hoch jedoch ist die Einwirkungsdauer sehr kurz, so dass sich die Klebstofffuge kaum erwärmt. • Beim Auf bringen des Gussasphaltes, kann die Temperatur in der Epoxidharzschicht bis zu 80 °C betragen. Während des Asphalteinbaus können die CFK Lamellen also nicht statisch berücksichtigt werden. Die Abkühlphase bis die Temperatur wieder auf die maximal zulässige Dauerbauteiltemperatur (gemäß Zulassungen und Richtlinien) von 40-°C sinkt, beträgt ca. 3 h. Nach dieser Zeit können die CFK Lamellen wieder voll angesetzt werden. Versuche an den CFK Lamellen ergaben keine Änderung der Festigkeiten. • Die anschließend durchgeführte Prüfung der Haftzugfestigkeit zeigt nur eine minimale Beeinflussung des Verbundes. Diese Restfestigkeit ist jedoch höher, als die durch die Bemessung ansetzbare Verbundfestigkeit. Die Bemessung bzw. Bemessungsfestigkeiten müssen somit nicht angepasst werden. • Durch das beschleunigte Erhärten (i.d.R. wird ein Versuchsalter von 28 Tagen für die Glasübergangstemperatur herangezogen) steigt die Glasübergangstemperatur durch Nacherhärtungseffekte an. Eine untergeordnete Rolle spielt lediglich die Kontaktfläche zwischen CFK Lamelle und PDB. Aufgrund möglicher Diffusion von Weichmachern aus der CFK-Lamelle konnten hier teilweise kleinflächige Verbundstörungen beobachtet werden. Bei zusätzlichem Asphaltauf bau kann dies aufgrund des Eigengewichts des Asphalts jedoch vernachlässigt werden. Sofern es zu CFK Verstärkungen und anschließender PBD, ohne Auflast durch Asphalt o.ä. kommt, kann auf der sicheren Seite eine dünne Schutzbzw. Trennschicht (Bodenbeschichtung oder Epoxidharz) auf die CFK Lamellen aufgebracht werden. Versuche zeigen, dass geringfügige Blasenbildung somit verhindert werden kann. 3. Dauerhaftigkeit von geklebten CFK-Lamellen unter Temperatureinfluss In einem zweiten Teil der Studie wurden Langzeitüberwachungen an CFK Verstärkten Kragträgern durchgeführt [2], [3]. Die mit Asphalt überbauten verstärkten Platten wurden unter Gebrauchslast und jahreszeitlichen Umwelt- und Temperatureinflüssen, über vier Jahre beobachtet (Abb. 3) [2]. Um den Einfluss der Temperatur auf den Grenzzustand der Tragfähigkeit zu untersuchen wurden die Probekörper anschließend im Labor zum Versagen unter Bruchlast gebracht [3]. Abb. 3: Probekörper unter Umwelteinfluss [1] Über den gesamten Versuchszeitraum wurde der Temperaturverlauf in und auf den Probekörpern festgehalten. Die maximale Lufttemperatur betrug dabei ca. 38 °C. Aufgrund der direkten Sonneneinstrahlung auf die Probekörper wurde eine maximale gemessene Temperatur in der Klebstofffuge von 42 °C festgestellt. Die in den Bemessungsrichtlinien festgesetzte maximale Temperatur von 40 °C, wurde somit leicht überschritten. Diese ist als Dauerbauteiltemperatur definiert. Somit kann diese Grenze auch hier als intakt angesehen werden, aufgrund der nächtlichen Abkühlung. Im Laufe der Zeit, konnte bei höheren Temperaturen im Probekörper eine größere Dehnung festgestellt werden. Bei geringeren Temperaturen war die viskoelastische Verformung des Klebstoffs deutlich verringert. Der Anstieg der Dehnungen war im Vergleich zur Bemessungsdehnung jedoch moderat. Gleichzeitig war das Verhalten des Klebstoffs zu jeder Zeit stabil, ohne Anzeichen einer 5. Brückenkolloquium - September 2022 167 Temperaturstabilität und Dauerhaftigkeit von geklebten CFK-Lamellen im Brückenbau Delamination. Ein Zusammenhang von Dehnungszunahme der CFK Lamellen und Kriechen des Betons, aufgrund des viskoelastischen Klebstoffverhaltens, konnte durch eine MLR-Modellanalyse festgestellt werden. Die Reserve von ca. 10-20 °C von Glasübergangstemperatur zu der in den Richtlinien festgesetzte max. Dauerbauteiltemperatur ist somit eine sinnvolle Vorgabe. Bei den anschließenden Versuchen im Labor [3], bei welchen die Probekörper zum Bruch gebracht wurden, konnte zunächst eine etwas verringerte Biegesteifigkeit festgestellt werden (Abb. 4). Abb. 4: Bruchversuche im Labor [1] Das Versagen der Probekörper erfolgte aufgrund von Betonquetschungen, ohne sichtbares delaminieren der CFK Lamellen. Die Biegetragfähigkeit der mit Asphalt überbauten Platten übersteigt die der Referenzversuche ohne Asphalt. Dies wird auf den Betoneinschluss (Auflast) der CFK Lamellen zurückgeführt, wodurch höhere Dehnungen ermöglicht werden. Bei den Bruchversuchen konnte jedoch bereits ab Gebrauchslastniveau ein deutlicher Schlupf zwischen Asphalt und Beton beobachtet werden. Somit kann auch aufgrund der geringen Steifigkeit des Asphalts ausgeschlossen werden, dass dieser zur Biegetragfähigkeit beiträgt. Die Langzeitversuche haben entsprechend keinen Einfluss auf die Tragfähigkeit von verstärkten Bauteilen. Die Zunahme der Dehnungen in den CFK Lamellen betrifft lediglich die Gebrauchstauglichkeit. Die Auswertung der Restfestigkeit von mit Asphalt überbauten und mit CFK Lamellen verstärkten Platten zeigt, dass die gleichzeitige Beanspruchung bei höheren Temperaturen keine kritische Anwendung im Hinblick auf den Grenzzustand der Tragfähigkeit darstellt [3]. Literaturverzeichnis [1] Czaderski, C./ Gallego, J.M./ Michels, J. (2017): Temperature stability and durability of Externally Bonded CFRP strips in bridge constructio (Forschungsprojekt AGB 2012/ 001). Zürich, Schweiz. Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt [2] Breveglieri, M./ Czaderski, C. (2022): Reinforced concrete slabs strengthened with externally bonded carbon fibre-reinforced polymer strips under long-term environmental exposure and sustained loading. Part 1: Outdoor experiments. Zürich, Schweiz. Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt [3] Breveglieri, M./ Czaderski, C. (2021): RC slabs strengthened with externally bonded CFRP strips under long-term environmental exposure and sustained loading. Part 2: Laboratory experiments. Zürich, Schweiz. Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt 5. Brückenkolloquium - September 2022 169 Zur Verstärkung von Ingenieurbauwerken unter Verkehr Von der Forschung in die Praxis Prof. Dr.-Ing. Jürgen Feix Leopold-Franzens Universität Innsbruck, Innsbruck, Österreich Dr. Johannes Lechner Prof. Feix Ingenieure GmbH, München, Deutschland Dipl.-Ing. Matthias Egger Leopold-Franzens Universität Innsbruck, Innsbruck, Österreich Zusammenfassung In den letzten 10 Jahren wurde von den Autoren ein ganzer Werkzeugkasten an Methoden zur Verstärkung von Bestandsbauwerken entwickelt. Als besonders effektiv haben sich dabei zwei Verfahren herausgestellt. Zum einen der Einsatz von Verbundankerschrauben, die als nachträgliche Bewehrung in Betonquerschnitte eingebracht werden können und so vor allem fehlende Querkraft- und Durchstanzbewehrung ersetzen können. Zum anderen der Einsatz von dünnen, textilbewehrten Betonschichten, die auf Bestandstrukturen aufgebracht werden können, um die Tragfähigkeit für Biege-, Querkraft- und Torsionsbeanspruchungen zu verstärken. Die Wirksamkeit der Verstärkungsmethoden wurde in Versuchen und numerisch evaluiert und zur Zulassungsreife gebracht. Damit steht einer breiten Anwendung nichts mehr im Wege. Der Beitrag behandelt die Wirkungsweise der Verstärkungsmethoden an Hand von Forschungsergebnissen, aber vor allem an Hand von ausgeführten Pilotprojekten. 1. Einleitung Seit vielen Jahren wird an der Universität Innsbruck am Arbeitsbereich für Massivbau und Brückenbau intensiv an der nachträglichen Verstärkung von bestehenden Stahl- und Spannbetontragwerken geforscht. Durch neue und innovative Verstärkungsmethoden sollen speziell bestehende Infrastrukturbauwerke an die aktuellen Anforderungen in Hinsicht auf die steigenden Verkehrslasten und die gestiegenen normativen Anforderungen angepasst werden können. Für bestehende Tragwerke, insbesondere für Infrastrukturbauwerke braucht es Verstärkungssysteme, welche schnell und einfach und möglichst nur von einer Seite und damit unter weitestgehender Aufrechterhaltung der Nutzung des Tragwerks installiert werden können. Nur so können die Umwelteinflüsse einer Verstärkung etwa durch aufwändige Verkehrsumleitungen, Verkehrssperren o.ä. so gering wie möglich gehalten und somit ein Beitrag zur Nachhaltigkeit der vorhandenen Infrastruktur geleistet werden, wie auch in [1] beschrieben wird. 1.1 Verstärkung mit Betonschrauben Besonderes Augenmerk in der Forschung wurde unter anderem auf den Einsatz von Betonschrauben als nachträglich eingebaute Bewehrung für schubbeanspruchte Bauteile gelegt. Dabei werden aus der Verankerungstechnik bekannte und für diese Anwendung adaptierte Betonschrauben als nachträgliche Schubbewehrung in das Tragwerk eingebracht und ersetzen damit fehlende Querkraft- oder Durchstanzbewehrung. Die Anwendung von Betonschrauben als nachträgliche Querkraft- oder Durchstanzbewehrung wurde 2019 durch das Deutsche Institut für Bautechnik bauaufsichtlich als Verstärkungssystem zugelassen (vgl. [2], [3]). 170 5. Brückenkolloquium - September 2022 Zur Verstärkung von Ingenieurbauwerken unter Verkehr Abb. 1: In das Bohrloch installierte Betonschraube mit Rückverankerung an der Tragwerksaußenseite und mechanisches Tragsystem durch Hinterschnitt 1.1.1 Tragsystem der Betonschrauben Abbildung 1 zeigt eine der Schrauben, deren Anwendung durch die bauaufsichtlichen Zulassungen für die nachträgliche Verstärkung abgedeckt wird. In den Zulassungen sind zwei Schraubendurchmesser geregelt (d 0 = 22-mm und d 0 = 16 mm), die jeweils in zwei Ausführungen hinsichtlich des Anschlussgewindes eingesetzt werden können. In Abbildung 1 ist auch das Verbundgewinde am vorderen Ende der Schrauben zu erkennen, welches sich beim Eindrehen der Schrauben in das vorgebohrte Loch in die Bohrlochwandung schneidet. Damit wird ein sehr robustes Tragsystem auf Basis des Hinterschnitts erzeugt, welches unempfindlich gegenüber Ausführungsfehlern, wie etwa nicht ausreichend gereinigten Bohrlöchern ist. Zusätzlich wird in das Bohrloch vor dem Eindrehen der Schraube auch mit einem Verbundmörtel injiziert, der den Zwischenraum zwischen Bohrloch- und Schraubenoberfläche füllt, wodurch die Traglast nochmals um ein Drittel steigt, wie in [4] gezeigt wird. 1.1.2 Vorteile der Verstärkung mit Betonschrauben Der wesentliche Vorteil dieses Verstärkungssystems liegt in dem schnellen Einbau mittels konventionellem Bohrverfahren (Hammerbohren oder Kernbohren) und der sofortigen Belastbarkeit der Schrauben nach dem Einbau. Damit ist es möglich das System auch unter laufendem Verkehr auf der Brücke zu installieren bei gleichzeitig kurzen Bauzeiten. Dies ermöglicht eine minimale Störung des Tragwerks und des Verkehrsflusses auf und unter dem Brückentragwerk, da z.B. auch eine Installation von einem Brückeninspektionsgerät aus möglich ist. Durch den Einsatz des Verbundmörtels im Bohrloch wird nicht nur die Traglast durch den vergrößerten Hinterschnitt weiter erhöht, sondern auch ein dauerhafter Korrosionsschutz für die Schrauben durch Verfüllung des Ringspaltes sichergestellt. Im Zusammenwirken mit der vorhandenen Zinklamellenbeschichtung der Schrauben konnte so eine Korrosionswiderstandsklasse C5-I gemäß DIN EN ISO 12944-6 gutachterlich nachgewiesen werden. Das Verstärkungssystem ist daher auch für den Einsatz in stark korrosiven Umgebungen, wie z.B. bei Straßenbrücken mit dem Einsatz von Tausalz geeignet. 1.2 Verstärkung mit Textilbeton An der Universität Innsbruck am Arbeitsbereich für Massivbau und Brückenbau wurde erstmalig die Eignung von Textilbeton für dynamische Belastungen, wie im Brückenbau gegeben, mit experimentellen Methoden nachgewiesen [5]. Darauf auf bauend wurde ein Konzept zur Fahrbahnsanierung von Brücken, bei der eine dünne Textilbetonschicht neben einer Biegezugverstärkung die Funktionen der Abdichtung und des Fahrbahnbelags übernimmt, entwickelt. Die Methodik dieses Systems wurde an zwei Pilotprojekten in den Jahren 2013 und 2014 getestet [6], [7]. Ein zusätzlicher Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich der textilen Bewehrungsentwicklung, hierbei werden Flächenbewehrungen mittels Sticktechnologie hergestellt [8]-[10]. Unter anderem wurden diese Bewehrungen in Großbauteilversuchen zur nachträglichen Querkraft- und Torsionsverstärkung von Stahlbeton-Plattenbalkenträgern verwendet und Bemessungsansätze abgeleitet. Das getestete Verstärkungssystem wird aktuell bei der Generalsanierung der Krumbachbrücke, einem dreifeldrigen längsvorgespannten Tragwerk mit einer Länge von 120m unter Verkehr, angewendet. 1.2.1 Aufbau einer Textilbetonverstärkung Die gängigsten Fasermaterialen für Textilbewehrungen sind Carbon und AR-Glas. Diese werden zu gitterartigen Bewehrungsstrukturen verarbeitet und mithilfe von geeigneten Tränkungsmaterialien wie Epoxidharz zur Verbesserung der Material- und Verarbeitungseigenschaften versehen. In Abhängigkeit vom Herstellungsverfahren und der gewählten Materialien gibt es eine Auswahl an unterschiedlichsten Bewehrungsprodukten für ein breites Anwendungsgebiet. Textilbewehrung können als Rollenware, als Mattenware oder als Formbewehrungen in unterschiedlichen Bewehrungsstärken bezogen werden. Auf der Baustelle werden diese im Laminierverfahren in einem Feinbetonmörtel eingebracht. Dabei wird im Vorfeld der Textilbetonverstärkung der Untergrund des Altbetons mittels geeigneten Verfahren wie dem Hoch- 5. Brückenkolloquium - September 2022 171 Zur Verstärkung von Ingenieurbauwerken unter Verkehr druckwasserstrahlen vorbereitet, der Untergrund gereinigt, vorgenässt und anschließend mit dem geplanten Materialschichtauf bau begonnen. Als Feinbetonmörtel können handelsübliche Instandsetzungsmörtel verwendet werden, welche aktuell im Nassspritzverfahren oder händisch aufgebracht werden und auf die Maschenweite der Textilbewehrung sowie der Exposition des Anwendungseinsatzes abgestimmt sind. Die Lagenanzahl der Textilbewehrung erfolgt nach statischer Erfordernis. Gängige Materialschichtstärken im Verstärkungsbereich liegen schlussendlich im Bereich zwischen 1,0 cm und 3,0 cm, wie in Abbildung 2 ersichtlich. Abb. 2: Gängige Textilbetonschichten zur Verstärkung von Ingenieurbauwerken 1.2.2 Vorteile einer Textilbetonverstärkung Die verwendeten Textilbewehrungen sind im Unterschied zu Stahlbewehrungen korrosionsresistent, haben eine geringere Materialdichte und eine wesentlich höhere Zugfestigkeit im Bereich zwischen ca. 2.000 N/ mm² bis 3.600 N/ mm². Dadurch ist ein hohes Verstärkungspotential bei einem gleichzeitig geringen zusätzlichen Konstruktionseigengewicht gegeben. Zusätzlich wird die Bestandsbewehrung durch eine oberflächliche Textilbetonschicht gegen äußere Einflüsse geschützt und die Dauerhaftigkeit eines Ingenieurbauwerks erhöht. Die Tragfunktion einer Textilbewehrung ist sehr ähnlich zu der einer Stahlbewehrung. Unterschiedliche Schnittgrößen wie Biegung, Torsion oder Querkraft können aufgenommen werden. Für die Materialauslegung können bekannte Bemessungsansätze aus dem Stahlbetonbau mit Anpassungen an die Charakteristiken des Textilbetons übernommen werden. Neben einer Traglasterhöhung kann eine Textilbetonschicht auch lediglich die Funktion einer dauerhaften Schutzschicht übernehmen, wie bei einigen Sanierungsvorhaben gefordert. Hier übernimmt die Textilbewehrung die Aufgabe einer Rissverteilung und kann daher beispielsweise mit einem geringeren Bewehrungsgehalt ausgeführt werden. Aufgrund der hohen Vielfalt an Textilbewehrungskonfigurationen kann somit eine wirtschaftliche Lösung für unterschiedliche Randbedingungen erarbeitet werden. 2. Wissenschaftliche Untersuchungen Auf bauend auf den Grundideen wurden für die Entwicklung bzw. Weiterentwicklung der Verstärkungssysteme mehrere Einzel- und Bauteilversuche durchgeführt, um zuerst die generelle Eignung nachzuweisen und in nachfolgenden Schritten einzelne Parameter des Verstärkungssystems zu untersuchen. Diese Untersuchungen wurden durch numerische Simulation mit der Finiten Elemente-Methode und nicht-lineare Materialmodell begleitet, um weitere Parameter kostengünstig untersuchen zu können. 2.1 Querkraftversuche mit Verstärkung mit Betonschrauben In einem ersten Schritt wurde die generelle Eignung der Verbundankerschrauben als nachträgliches Verstärkungselement sowohl für die Querkraftverstärkung, als auch für die Durchstanzverstärkung mit mehreren Versuchen erfolgreich nachgewiesen. Auf den Erkenntnissen der ersten Versuche auf bauend, wurde ein Versuchsprogramm entwickelt, welches zur bauaufsichtlichen Zulassung des Systems geführt hat. Im Folgenden werden einige Versuchsdetails der Zulassungsversuche gezeigt. Detaillierte Informationen zu den Versuchsergebnissen sind z.B. in [11]-[14] zu finden. Abbildung 3 zeigt den Versuchsauf bau für die Versuche an Stahlbetonplattenstreifen mit Verstärkung durch nachträglich eingebaute Verbundankerschrauben. Die Querkraftversuche wurden als Dreipunktbiegeversuche durchgeführt, wobei für diese Versuchsserie an Plattenstreifen verschiedene Schraubentypen und Installationsarten untersucht wurden. So wurden etwa die Setztiefe der Schrauben und der Schraubendurchmesser variiert. Abb. 3: Versuchsauf bau für die Querkraftversuche an Plattenstreifen mit Verstärkung durch Verbundankerschrauben Alle durchgeführten Versuche wurden jeweils mit Referenzversuchen ohne Querkraftbewehrung verglichen und zeigten je nach Konfiguration erreichbare Traglaststeigerungen von bis zu 150 % gegenüber den Referenzversuchen. In Abbildung 4 sind die Traglaststeigerungen der Versuche an Plattenstreifen mit einer Höhe von 32 cm dargestellt. Hier konnte eine maximale Traglaststei- 172 5. Brückenkolloquium - September 2022 Zur Verstärkung von Ingenieurbauwerken unter Verkehr gerung gegenüber Referenzversuchen ohne Querkraftbewehrung von maximal 90% erreicht werden. Die gezeigten Kurven stellen dabei Mittelwerte von jeweils drei Einzelversuchen dar. Abb. 4: Kraft-Verformungskurven von zwei dynamischen Querkraftversuchen mit 5-Mio Lastwechseln im Vergleich zu zwei statisch belasteten Versuchen mit identischer Konfiguration Darüber hinaus wurden auch dynamische Versuche an den Stahlbetonbalken mit zyklischen Lasten (5 Mio. Lastwechsel) mit wirklichkeitsnaher Schwingbreite durchgeführt. Bei allen Versuchen konnte kein Versagen während der zyklischen Belastung festgestellt werden, wie die Traglastkurven in Abbildung 4 zeigen. Darin wird ein Vergleich mit rein statisch belasteten Versuchen zu zyklisch belasteten Versuchen dargestellt. Es zeigt sich, dass die zyklische Belastung und anschließende statische Belastung bis zum Bruch sogar etwas größere Versagenslasten ergeben. Somit lässt sich keine Beeinträchtigung der Traglast des Systems bei dynamisch belasteten Bauteilen erkennen. 2.2 Querkraft- und Torsionsverstärkung mit Textilbeton Abbildung 5 zeigt ein Verstärkungskonzept eines Stahlbeton-Plattenbalkens auf Querkraft und Torsion bei der die gesamte Stegfläche sowie die Stegunterseite mittels einer Textilbetonschicht ummantelt wird. Die Textilbewehrung besteht aus Matten- und Formbewehrungen welche mit versetzten Überlappungsstößen im Trägerquerschnitt und in Trägerlängsrichtung eingebaut werden. Die Bewehrung wird über einen Textilbetonkragen über eine Länge von ca. 60-cm auf der Unterseite der Fahrbahnplatte sowie einem zusätzlichen punktuellen Verankerungssystem im Abstand von 50-cm verankert. Letzteres besteht aus einer Ankerplatte und einer Verbundankerschraube. Als Verbundankerschraube wird das System wie in Abbildung 1 dargestellt verwendet. Je nach statischer Erfordernis wird das Torsions- oder Querkraftdefizit durch eine einlagige, bei einer Schichtstärke von 2-cm, oder eine zweilagige Textilbewehrung, bei einer Schichtstärke von 3-cm, aufgenommen. Abb. 5: Querkraft- und Torsionsverstärkungskonzept von Stahlbeton-Plattenbalken mittels Textilbeton und Verankerungssystem Im Zuge dieser Systementwicklung wurden Klein- und Bauteilversuche durchgeführt. In einer ersten Bauteilversuchsserie wurden dabei fünf Bewehrungskonzepte mit unterschiedlichen Bewehrungsparametern sowie Kombinationen mit und ohne Verankerungssystem untersucht. Die schlussendliche Konfiguration mit der höchsten Traglast wurde anschließend in einer zweiten Bauteilserie auf Querkraft in einem Drei-Punkt-Biegeversuch und auf Torsion in einem dafür entwickelten Torsionsversuchstand geprüft. Die Probekörperabmessungen sowie der Stahl- und Textilbewehrungsgehalt wurde an einem Praxisbeispiel im Maßstab 1: 3 abgeleitet. In jeder Bauteilserie wurde ein Versuchskörper ohne Textilbetonverstärkung ausgeführt um den Laststeigerungsfaktor zu ermitteln. Abbildung 6 zeigt die Ergebnisse im Vergleich zu den unverstärkten Versuchskörpern. Die Querkraftversuche werden mit Q1 bis Q6 bezeichnet und der Torsionsversuch mit T1. Bei den Varianten Q4, Q5, Q6 und T1 wurde die oben beschriebene Verankerungskonstruktion verwendet. Die positive Funktionsweise ist im Vergleich zu den Varianten Q1 bis Q3 deutlich zu erkennen. Die Varianten Q6 und T1 wurden in der zweiten Bauteilserie getestet. Im Falle einer Querkraftverstärkung wurde ein Laststeigerungsfaktor von 1,67 und bei der Torsionsverstärkung ein Faktor von 1,47 erzielt. Dabei wurden im Unterschied zu den unverstärkten Versuchskörpern die gewünschten Versagensmechanismen auf Querkraft oder Torsion in der Textilbetonschicht nicht erreicht. Beim verstärkten Querkraftversuch wurde ein lokales Lasteinleitungsversagen beobachtet und beim Torsionsversuch war das vorhandene Verformungsvermögen des Versuchstands ausgeschöpft. Das bedeutet die erzielten Laststeigerungsfaktoren können als unterer Grenzwerte angesehen werden (vgl. [9], [15]). 5. Brückenkolloquium - September 2022 173 Zur Verstärkung von Ingenieurbauwerken unter Verkehr Abb. 6: Erzielte Laststeigerungsfaktoren in Bauteilversuchsserien mit dem Verstärkungskonzept im Vergleich zu unverstärkten Stahlbeton-Plattenbalken 3. Pilotanwendungen der Verstärkungssysteme Auf Basis der Versuchsergebnisse und der Erkenntnisse aus den Versuchen konnten in den letzten Jahren einige Pilotanwendungen mit den neuen Verstärkungsverfahren umgesetzt werden, wovon nachfolgend einige ausgewählte Projekte dargestellt werden. 3.1 Querkraftverstärkung einer Plattenbrücke Es wurde eine Eisenbahnunterführung der 1980er Jahre verstärkt, welche als Plattenbrücke ausgeführt ist und an welcher bereits deutliche Schubrisse an beiden Plattenrändern zu erkennen waren, wie auch in Abbildung-7 anhand des Monitorings an den Rissen ersichtlich ist. Abb. 7: Einfeldrige Plattenbrücke einer Eisenbahnüberführung mit bestehenden Schubrissen. Auf der Brücke liegen vier Gleise und Weichen einer Hauptverkehrsstrecke weshalb Baumaßnahmen von der Oberseite nicht möglich waren. Durch den Einbau von Betonschrauben als nachträgliche Querkraftverstärkung von der Unterseite in mehreren parallelen Reihen an beiden Seiten der Platte, wie in Abbildung 8 erkennbar ist, war es möglich die Platte auf das Designniveau des Eurocodes zu verstärken. Durch den Einbau von unten von den beiden Gehwegen neben der Straße (siehe Abbildung 7 und 8) war es möglich sowohl den Verkehr auf aber auch unter dem Tragwerk während der Verstärkungsmaßnahmen ohne Einschränkungen aufrecht zu erhalten. Abb. 8: Einbau der Querkraftverstärkung mit Betonschrauben in mehreren parallelen Reihen von unten in die Platte 3.2 Durchstanzverstärkung einer Plattenbrücke Im Zuge der Nachrechnung einer stark schiefwinkligen, dreifeldrigen Plattenbrücke aus den 1950er Jahren wurde ein Tragfähigkeitsdefizit hinsichtlich der Durchstanztragfähigkeit bei den Punktauflagern der Lagerachsen im Feld festgestellt. Die Brücke ist an den Zwischenauflagern einzelnen Pendelstützen gelagert, wie in Abbildung 9 und 10 zu erkennen ist. Eine Einstufungsberechnung aus dem Jahr 2006 ergab eine Brückenklasse 16/ 16 für das vorhandene Bauwerk. Daher wurde die Überfahrt über das Tragwerk auf 16to Fahrzeuge beschränkt. Da das Tragwerk für den Ausweichverkehr im Zuge naheliegenden Streckensperrung genutzt werden sollte, musste das Tragwerk auch für langsam fahrende Einzelfahrzeuge mit größeren Lasten freigegeben werden. Das Ziellastniveau der erneuten Nachrechnung lag damit bei der Brückenklasse 30/ 0. Die Nachrechnung mit diesen Lasten ergab im Wesentlichen ein Durchstanzdefizit bei den jeweils beiden äußeren Stützen an beiden Seiten der Zwischenauflagerachsen. 174 5. Brückenkolloquium - September 2022 Zur Verstärkung von Ingenieurbauwerken unter Verkehr Abb. 9: Plattenbrücke über 3 Felder mit punktgestützten Zwischenauflagern Um dieses Lasten aufnehmen zu können, wurde daher eine Durchstanzertüchtigung mit Betonschrauben vorgesehen. Der Einbau der Verstärkung erfolgte ausschließlich von der Tragwerksunterseite von einem Brückeninspektionsgerät aus, um den Fahrbahnbelag und die Abdichtung nicht erneuern zu müssen. In einem ersten Schritt wurde die vorhandene Bewehrung an der Tragwerksunterseite mittels zerstörungsfreier Prüfverfahren detektiert und die Einbaupunkte entsprechend angezeichnet. Aufgrund der großen Menge an Bewehrung in der oberen Lage der Platte über den Zwischenauflagern, wurde die Bohrtiefe der Verstärkung so gewählt, dass die Schraubenspitzen knapp unterhalb der oberen Bewehrungslage liegen und damit eine Beschädigung der oberen Biegebewehrung vermieden werden kann, was zu einer geringfügig geringeren Traglast führt, aber deutlich einfacher auszuführen ist. Ebenfalls wird mit diesem Vorgehen die Störung des Tragwerks minimiert, da Bewehrungsschäden der oberen Biegezugbewehrung weitestgehend vermieden werden können. Aufgrund der Querneigung der Brücke weist die Platte eine variierende Dicke über die Querrichtung auf, womit die Einbautiefe für jedes Bohrloch abweichend ist. Die erforderlichen Bohrlängen wurden vorab anhand der Bestandspläne bestimmt. Die Schrauben konnten jedoch in einer einheitlichen Länge geliefert werden, da das System über das Anschlussgewinde im hinteren Bereich mit den dazugehörigen Rückverankerungsmuttern (vgl. Abbildung 1) an die jeweilige erforderliche Länge angepasst werden kann. Abb. 10: Angezeichnete Einbaupunkte der Durchstanzverstärkung um die Stützen nach vorangegangener Bewehrungsdetektion mittels zerstörungsfreier Prüfverfahren 3.3 Biege- und Querkraftverstärkung einer Eisenbahn-Spannbetonbrücke Neben Querkrafttragfähigkeitsdefiziten weisen manche Spannbetonbrücken auch ein Defizit bei der vorhandenen Biegebewehrung auf. Insbesondere betroffen sind hier Bauwerke mit spannungsrisskorrosionsgefährdeten Spannstählen. Die zweifeldrige Spannbetonbrücke der Eisenbahnüberführung ist ein davon betroffenes Bauwerk. Die Brücke wurde mittels des damals gebräuchlichen Sigma Oval Spannstahl vorgespannt. Abb. 11: Konzept der Biege- und Querkraftverstärkung durch externe Biegebewehrung in Form von Stahllaschen und Querkraftverstärkung mittels durch den Hohlkörper installierte Betonschrauben Im Zuge einer Nachrechnung konnte kein Riss-vor-Bruch Nachweis geführt werden, weshalb keine Restnutzungsdauer des Tragwerks nachweisbar war. Um für einen Ersatzneubau jedoch ausreichend Planungszeitraum zu erhalten, wurde für das bestehende Tragwerk mittels Betonschrauben und Stahllaschen die Biege- und Querkraft- 5. Brückenkolloquium - September 2022 175 Zur Verstärkung von Ingenieurbauwerken unter Verkehr tragfähigkeit soweit angehoben, dass eine Restlebensdauer des Tragwerks von 20 Jahren erzielt werden konnte. Die Verstärkung wurde dabei zum einen durch externe Bewehrung in Form von Stahllaschen an beiden Seiten des Hohlkörpers ausgeführt, wie in Abbildung 11 zu erkennen ist. Die Stahllaschen wurden in Form von einzelnen Schüssen mit Betonschrauben an den Stegen befestigt und anschließend miteinander verbunden und vorgespannt. Diese Stahllaschen wurden mit Betonschrauben mit ca. 2 m Länge in die Endquerträger der Brücke rückverankert. Zum anderen wurden etwa 1,25 m lange Betonschrauben als nachträgliche Querkraftbewehrung durch die Hohlkörper der Brücke von unten eingebaut und damit die Querkrafttragfähigkeit des Tragwerks erhöht. Abb. 12: Einbau der Verstärkung von unten mit Sperrung einzelner Fahrspuren auf der Autobahn aber ohne Einschränkung auf dem Tragwerk Der Einbau der Verstärkung konnte durch das neue Verstärkungssystem mit den Betonschrauben mit mechanischer Tragwirkung unter vollem Verkehr auf dem Tragwerk erfolgen. Durch den Einbau der Biegeverstärkung durch Laschen in einzelnen Segmenten, welche anschließend über konventionelle Schraubenverbindungen miteinander verbunden und vorgespannt werden konnten, musste auf der Autobahn unter dem Tragwerk immer nur eine Fahrspur für den Einbau gesperrt werden, wie Abbildung 12 zeigt. Anlässlich dieser Pilotanwendung wurden auch die Umweltauswirkungen im Vergleich einer Ertüchtigung, eines Neubaus mit Abbruch des bestehenden Tragwerks und der Sperre eines Tragwerks für einen bestimmten Zeitraum untersucht (vgl. [16]). Die gezeigten Auswirkungen auf den Treibhauseffekt, die Versauerung und dem nicht-erneuerbaren kumulierten Energieaufwand werden jeweils auf die zeitliche Sperre des Tragwerks bezogen. Dabei zeigt sich, dass eine Sperrung des Tragwerks und der damit verbundenen Stauwirkung bzw. dem damit verbundenen Ausweichverkehr die mit Abstand größten Umweltauswirkungen mit sich bringen, wie Abbildung 13 zeigt. So liegen eben die Umwelteinflüsse infolge des Umleitungsverkehrs von einem Tag Sperrung des Tragwerks bei etwas unter der Hälfte des gesamten Ersatzneubaus inklusive Abbruch und etwa beim doppelten Umwelteinfluss gegenüber der gesamten Verstärkungsmaßnahme. Bei einem geschätzten Zeitraum für die Herstellung des Ersatzneubaues von etwa 1,5 Jahren zeigt sich, dass der Umwelteinfluss des Neubaus im Vergleich zu den Umweltauswirkungen des Ausweichverkehrs und der Staubildung mit einem Prozentsatz von deutlich unter einem Prozent verschwindend gering wird. Abb. 13: Betrachtung der Umweltauswirkungen der Ertüchtigungsmaßnahme am Tragwerk im Vergleich mit einem Tag Sperre und 1,5 Jahren Sperre, nach [16] 176 5. Brückenkolloquium - September 2022 Zur Verstärkung von Ingenieurbauwerken unter Verkehr 3.4 Textilbetonsanierung ÖBB-Bahnunterführung Kundl Bei einer ÖBB-Bahnunterführung wurden die straßenseitig zugewandten Betonoberflächen aufgrund von umfangreichen Korrosionsschäden an der Stahlbewehrung und erheblichen Mängeln an der Betonoberfläche einer umfangreichen Betonsanierungsmaßnahme unterzogen. Neben einer klassischen Betonsanierung wurden hierbei Testflächen für ein Sanierungskonzept mittels Textilbeton zur Verfügung gestellt mit dem Ziel einer dauerhaften und wartungsfreien Konzeptlösung. Zusätzlich diente das Projekt zum Erfahrungsgewinn für eine baupraktische Anwendung von Textilbeton. Vor allem in Bereichen, die einer Exposition von Taumitteln, insbesondere Streusalz, ausgesetzt sind, kann zukünftig der Einsatz einer textilen Bewehrung in Kombination mit passenden Instandsetzungsmörteln Vorteile mit sich bringen. Die Eignung der verwendeten Systemkomponenten für dieses Praxisprojekt wurde unter anderem an Frost-Tausalz-Wechselversuchen überprüft [17]. Als Beton wurde ein handelsüblicher Instandsetzungsmörtel R4, XF4 gem. [18] verwendet. Als Bewehrung wurde eine einlagige gestickte Carbon-Textilbewehrung eingesetzt. Vor dem Materialauftrag wurde der schadhafte Bestandsbeton entfernt und die Oberflächenvorbereitung abgeschlossen. Der Instandsetzungsmörtel wurde im Nassspritzverfahren aufgetragen und die Textilbewehrung oberflächennahe einlaminiert. Die abschließende Deckschicht wurde in einer planmäßigen Materialstärke von 1,25-cm aufgetragen. Abb. 14: Textilbeton-Testflächen an der ÖBB-Bahnunterführung in Kundl Im Unterschied zur klassischen Betonsanierung konnte dieser Materialauftrag in der bestehenden Betondeckung realisiert und somit die ursprüngliche Bauwerksgeometrie beibehalten werden. Des Weiteren wurde im Unterschied zur konventionellen Betonsanierung auf ein nachträgliches Oberflächenschutzsystem verzichtet, da von einer dauerhaften Textilbetonschicht ausgegangen wird. In Abbildung 14 ist die fertiggestellte Textilbeton- Testfläche zu sehen. Die im Zuge der Arbeiten gewonnene Erfahrungen sollen in zukünftigen Projekten und Leitlinien einfließen und als Grundlage für Richtlinien und Regelwerke zur Anwendung von Textilbeton in der Betonsanierung Verwendung finden (vgl. [19]). 3.5 Textilbetonverstärkung der Krumbachbrücke Die Krumbachbrücke wurde in den Jahren 1981 bis 1983 als dreifeldrige, längsvorgespannte Spannbetonkonstruktion mit Plattenbalkenquerschnitt mit jeweils vier Hauptträgern in den Randfeldern und als Hohlkastenquerschnitt mit drei Kammern im Mittelfeld, erbaut. Im Grundriss liegt die Brücke in einem Bogen mit Radien zwischen 71,5-m bis 143,5-m. Die gesamte Brückenlänge beträgt 120-m. Aufgrund von vorhandenen Schadensbildern an den Plattenbalkenquerschnitten der Randfelder, deutliche Schrägrissbilder und horizontale Verformungen der Stege zufolge Querkraft und Torsion sind erkennbar, ist die Dauerhaftigkeit und volle Tragfähigkeit ohne Verstärkung nicht mehr gegeben. Zusätzlich zeigte eine statische Nachrechnung defizitäre Bereiche der Fahrbahnplatte und ein bereichsweises Querkraft- und Torsionslängsbewehrungsdefizit der Hohlkästen. In Teilbereichen der Fahrbahnplatte liegt die Problematik in einer zu geringen Stegeinspannbewehrung und in Plattenquerrichtung in einem Querkraftdefizit sowie einer zu geringen oberen Biegebewehrung. Für diese Defizite wurden Verstärkungskonzepte auf Basis der Textilbetontechnologie erarbeitet um eine Restlebensdauer von weiteren 50 Jahren sicherzustellen. Abb. 15: Herstellung einer Textilbeton Testflächen am Bauwerk Die Entscheidungsgrundlage für eine solche Verstärkung wurde in unterschiedlichen Planungs- und Entwicklungsphasen mit mehreren Projektpartnern erarbeitet. Die Bauausführungsarbeiten haben im Mai 2022 begonnen. Die Fertigstellung ist im Herbst 2023 geplant. Schlussendlich werden alle Plattenbalkenquerschnitte sowie Teilbereiche der Hohlkastenquerschnitte mit einer gestickten Carbon-Textilbewehrung mit dem beschriebenen Verstärkungskonzept in Punkt 2.2 ausgeführt. Die obere Biegeverstärkung der Fahrbahnplatte wird ebenso mit Textilbetontechnologie realisiert. Die notwendige Rahmeneckverstärkung sowie die Querkraftverstärkung der Fahrbahnplatte wird mit Verbundankerschrauben nach dem Konzept in Punkt 2.1 bewerkstelligt. Zur Qualitätssicherung der aktuell noch nicht genormten Textilbetonbauweise wurde im Vorfeld eine dreistufige Vorgehensweise mit Maßnahmen vor, während und nach der Bauausführung gemeinsam mit dem Planer und Auftrag- 5. Brückenkolloquium - September 2022 177 Zur Verstärkung von Ingenieurbauwerken unter Verkehr geber eingeführt. So werden beispielsweise Mindestanforderungen an Kleinversuchen im Labor überprüft. Bild 15 zeigt die Ausführung einer Testfläche am Bauwerk, deren Qualitätsprüfung an Versuchen vor Ort und im Labor vorgenommen wurde (vgl. [15]). 4. Zusammenfassung Auf Basis von wissenschaftlicher Forschung konnten an der Universität Innsbruck von der Grundidee neuer Verstärkungsmöglichkeiten, Systeme für die nachträgliche Verstärkung von Brückenbauwerken entwickelt werden. Diese Systeme zeichnen sich durch einen schnellen Einbau unter laufender Nutzung der Tragwerke zum einen, aber zum anderen auch durch ressourcenschonenden Einsatz von Materialien aus. Durch die durchgeführten Einzel- und Bauteilversuche zu den Verstärkungssystemen konnten bauaufsichtliche Zulassungen für das Verstärkungssystem der nachträglich eingebauten Bewehrung in Form von Verbundankerschrauben erreicht werden. Darüber hinaus konnten die Verstärkungssysteme hinsichtlich ihrer Verstärkungswirkung und Wirtschaftlichkeit weiter optimiert werden. Damit konnten die Einbauzeiten nochmals verringert und die Störungen am Tragwerk selbst aber auch die Verkehrsstörungen durch die Maßnahmen auf ein Minimum reduziert werden. Durch zahlreiche Pilotprojekte, welche in den letzten Jahren umgesetzt werden konnten, wurden Erfahrungen mit dem Einsatz der neuen Verstärkungssysteme gewonnen. Dies gilt auch speziell für weitere Sonderanwendungen der Systeme, oder den kombinierten Einsatz der beiden. Dabei zeigte sich, dass bestehende Brückentragwerke aus Beton durch den Einsatz der Verstärkungssysteme wieder auf den aktuellen Stand der Technik gebracht werden können und somit viele weitere Jahre im Netz erhalten werden können. Auch damit kann ein wesentlicher Beitrag zur Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit im Bauwesen beigetragen werden. Literatur [1] Feix, J., & Lechner, J. (2020). Nachträgliche Querkraftverstärkung von Brückentragwerken mit Betonschrauben. 4. Brückenkolloquium - Beurteilung, Ertüchtigung und Instandsetzung von Brücken, Esslingen, 349-357. [2] Deutsches Institut für Bautechnik, „Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung - TOGE TSM BC SB reLAST für die Durchstanzverstärkung“, Z-15.1- 340, 2019. [3] Deutsches Institut für Bautechnik, „Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung - TOGE TSM BC SB reLAST für die Querkraftverstärkung“, Z-15.1- 339, 2019. [4] J. Lechner, N. Fleischhacker, C. Waltl, und J. Feix, „Zum Verbundverhalten von Betonschraubdübeln mit großem Durchmesser“, Beton- und Stahlbetonbau, Bd. 112, Nr. 9, S. 589-600, 2017 [5] J. Feix, M. Hansl, “Zur Anwendung von Textilbeton für Verstärkungen im Brückenbau,” in Festschrift zum 60. Geburtstag von Univ.-Prof. Dr.-Ing. Manfred Keuser - Berichte aus dem Konstruktiven Ingenieurbau, pp. 289-295, 2012. [6] J. Feix, M. Hansl, “Pilotanwendungen von Textilbeton für Verstärkungen im Brückenbau,” in 25. Dresdner Brückenbau Symposium, pp. 99-110, 2015. [7] M. Egger, J. Feix, “Textilbeton im Ingenieurbau,” in Tagungsband Innsbrucker Bautage, pp. 88-107, 2017. [8] M. Egger, J. Feix, “Gestickte textile Bewehrungen für die Beton-Leichtbauweise,” in Beiträge zur 5. DAfStb- Jahrestagung mit 58. Forschungskolloquium Band 1, pp. 110-121, 2017. [9] M. Egger, “Gestickte Textilbewehrungen für Beton,” Dissertation Universität Innsbruck, 2022. [10] M. Egger, C. Waltl, J. Konzilia, T. Fröis, “Gestickte Textilbewehrungen für Beton,” in Tagungsband Innsbrucker Bautage, pp. 79-107, 2022. [11] J. Lechner and J. Feix, “First experiences with concrete screw-anchors as post-installed shear reinforcement in concrete bridges,” Civil Engineering Design, vol. 2019, no. 1, pp. 17-27, 2019, doi: 10.1002/ cend.201800004. [12] J. Feix and J. Lechner, “Development of a new shear strengthening method for existing concrete bridges,” 2014. [13] R. Walkner, M. Spiegl, and J. Feix, “Experimentelle Untersuchungen und Vorstellung eines Bemessungsansatzes zur Durchstanzverstärkung von Betonbauteilen mit Betonschrauben,” Bauingenieur, vol. 95, no. 1, pp. 26-36, 2020. [14] M. Spiegl, R. Walkner, H. Axmann, E. Pilch, A. Schön, and J. Feix, “Betonschrauben als Durchstanzertüchtigung für statisch und zyklisch belastete Platten,” Bauingenieur, vol. 93, no. 7, pp. 274-285, 2018. [15] C. Waltl, M. Egger, N. Plattner, “Krumbachbrücke - Textilbetonverstärkung,” in Tagungsband Innsbrucker Bautage, pp. 433-456, 2022. [16] F. Gschösser, R. Schneider, A. Tautschnig, and J. Feix, “Retrofitting Measure vs. Replacement - LCA Study for a Railway Bridge,” in Sustainable Built Environment (SBE) Regional Conference Zurich 2016., 2016, pp. 472-477. doi: 10.3218/ 3774-6. [17] J. Konzilia, M. Egger, J. Feix, “Experimental investigation on salt frost scaling of textile-reinforced concrete,” in Structural Concrete, pp. 1-16, 2022. [18] ÖBV-Richtlinie, “Erhaltung und Instandsetzung von Bauten aus Beton und Stahlbeton,” Österreichische Bautechnik Vereinigung, Wien, 2019. [19] J. Konzilia, M. Egger, C. Waltl, K. Kutscher, “Dauerhafte Betonsanierung mittels Textilbeton,” in Tagungsband Innsbrucker Bautage, pp. 257-271, 2022. 5. Brückenkolloquium - September 2022 179 Erhalt einer der ersten „Eisenbeton“-Brücken Deutschlands - dank Carbonbeton! Alexander Schumann CARBOCON GMBH, Dresden, Deutschland Sebastian May CARBOCON GMBH, Dresden, Deutschland Felix Kniebel Steinbacher Consult GmbH, Lützen/ Leipzig, Deutschland Jan Geißler SB Straßenbau, FB2 SG66 Tief- und Gartenbau, Stadt Naumburg, Deutschland Frank Thorwirth Karrié Bauwerkserhaltung GmbH, Erfurt, Deutschland Zusammenfassung Der Erhalt von bestehenden Bauwerken und Gebäuden trägt wesentlich zur Erreichung der gesetzten Klimaziele bei. Aus diesem Grund müssen Gebäude so lange wie möglich erhalten bleiben, insbesondere wenn es sich dabei um historische oder kulturelle Unikate handelt. In den letzten Jahren hat sich in der Bauwelt eine vielversprechende und nachhaltige Verstärkungslösung etabliert - das Verstärken von bestehenden Bauwerken mit Carbonbeton. Das Potential des innovativen Werkstoffs Carbonbeton wird anhand der Verstärkung der im Jahre 1893/ 94 errichteten Stahlbetonfußgängerbrücke über den Stadtgraben Thainburg in Naumburg/ Saale aufgezeigt. Mithilfe einer 9 - 12 mm dünnen Instandsetzungsschicht wurde die historische Brücke ertüchtigt und konnte vor dem Abriss gerettet werden. In diesem Artikel werden die Hintergrundinformationen der bestehenden Brücke sowie das Instandsetzungskonzept mit Carbonbeton vorgestellt. Zusätzlich werden Erkenntnisse aus der Bauausführung aufgezeigt. 1. Einleitung Der Klimawandel ist die Herausforderung unserer und zukünftiger Generationen - auch im Bausektor. Um die politischen Ziele zu erreichen, muss in der Baubranche schnellstmöglich ein Wandel eingeleitet werden, da der Bausektor nach aktuellen Studien direkt und indirekt für bis zu 50 % der globalen CO 2 -Emissionen verantwortlich ist [1]-[3]. Aus diesem Grund müssen im Neubaubereich vermehrt ressourceneffiziente und CO 2 -arme Materialien und Werkstoffe zum Einsatz kommen. Jedoch darf der Bereich des Bauens im Bestand nicht vernachlässigt werden, da dieser nicht minder essentiell für die Verminderung der Treibhausgasemissionen im Bausektor ist. Verschiedene Studien und Veröffentlichungen zeigen eindrucksvoll auf, dass der Erhalt unserer gebauten Umwelt im Gegensatz zum Abriss und Ersatzneubau einen wenn nicht sogar den größten Hebel zur Erreichung der Klimaziele besitzt, vgl. [4], [5]. Der Erhalt unserer Bauwerke kann in vielen Fällen, insbesondere unter Beachtung denkmalschutzrechtlicher Aspekte, nicht allein durch den Einsatz von „konventionellen“ Werkstoffen und Verfahren erreicht werden (z. B. Spritzbeton). Aus diesem Grund ist es unabdingbar, dass Neuerungen und innovative Verfahren und Werkstoffe auch im Bereich der Sanierung und Verstärkung vermehrt zum Einsatz kommen. Ein Beispiel für einen innovativen und ressourceneffizienten Werkstoff für die Sanierung und Verstärkung von bestehenden Gebäuden stellt Carbonbeton dar. Mit Carbonbeton können Bestandsstrukturen i. d. R. im Hochbau mit Schichtstärken von 10 - 15 mm und im Brückenbau von 10 - 35 mm instandgesetzt bzw. statisch verstärkt werden. Im vorliegenden Beitrag wird der Erhalt einer der ältesten Stahlbetonfußgängerbrücken Deutschlands durch den Einsatz von Carbonbeton aufgezeigt. Die hier genannte Brücke befindet sich in Naumburg in Sachsen-Anhalt und konnte im Jahr 2021 erfolgreich mit dem Werkstoff Carbonbeton instandgesetzt werden. 2. Die Geschichte und Konstruktion der Fußgängerbrücke Der Maurermeister Eduard Burckhardt errichtete circa 1893 die heute noch vorhandenen baugleichen Stadtvillen „Marienmauer 17“ und „Marienmauer 18“ in Naumburg/ Saale. In diesem Zuge bot Eduard Burckhardt der Stadt Naumburg an, die damit einhergehende und erforderliche Brücke über den Stadtgraben direkt mit zu errichten und dies sogar unentgeltlich. Im Gegensatz zu den damals üblichen Konstruktionen und Werkstoffen (u. a. Mauerwerk, Naturstein und Holz) wurde die Brücke mit dem neuen 180 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erhalt einer der ersten „Eisenbeton“-Brücken Deutschlands - dank Carbonbeton! Verbundwerkstoff Stahlbeton bzw. damals hieß es noch „Monier”-Beton bzw. „Eisenbeton“ nach einem der Pioniere des Stahlbeton - Joseph Monier errichtet. Die Fußgängerbrücke über den Stadtgraben wurde 1893/ 94 durch die Aktiengesellschaft für Monierbauten erbaut, deren Inhaber der bekannte Ingenieur Gustav Adolf Wayss war. Es handelt sich bei der genannten Brücke um eine reine Fußgängerbrücke ohne Nutzungsmöglichkeit für Fahrzeuge (auch nicht eingeschränkt). Ebenfalls befindet sich unter dem Bauwerk kein Verkehrsweg. Jedoch wird der Stadtgraben von Fußgängern genutzt, vgl. Abbildung 2. Das Bauwerk besteht aus einer Gewölbebrücke mit einer lichten Weite von 14,40 m und einem Stichmaß von 1,80 m (vgl. Abbildung 1). Die lichte Höhe im Scheitel beträgt etwa 4 m. Das Gewölbe liegt im Bereich der Marienmauer (Westseite) auf der alten Stadtmauer und im Bereich des Marienringes (Ostseite) auf einem Betonwiderlager, welches in der Böschung gegründet ist, auf. Der Stahlbetonbogen hat eine Dicke von 0,16 m im Scheitel und weitet sich im Auflagerbereich auf 0,24 cm auf. Der Auf bau auf dem Bogen besteht aus einem Magerbeton mit geringer Festigkeit. Dieser ist im Randbereich aufgekantet und bildet die Stirnwände des Bauwerks. Die Gründung besteht aus einer Flachgründung. Die Brückenbreite beträgt zwischen den Geländern 3 m und zwischen den Gesimsaußenkanten 3,4 m. Das Bauwerk steht aufgrund seiner historisch herausragenden Bedeutung für die Geschichte des Stahlbetonbaus im mitteldeutschen Raum unter Denkmalschutz. Insbesondere das ästhetische Erscheinungsbild, charakteristisch für die Konstruktion ist der sehr schlanke Bogen, ist erhaltenswert. Abbildung 1: Längsschnitt der Fußgängerbrücke, entnommen aus den Bestandsunterlagen 3. Planung der Instandsetzung Nach fast 130-Jähriger Nutzung musste die Fußgängerbrücke aufgrund verschiedener Schadensfälle instandgesetzt werden. Im Zuge der Zustandserfassung konnte festgestellt werden, dass sich das Bauwerk in einem bedenklichen Zustand befindet. Der Füll- und der konstruktive Beton waren infolge Tausalz und Nässeeinwirkung im Gefüge erheblich zerstört. Aus den Brückenflanken trat erhebliche Nässe aus, die auf eine fehlende Dichtung im Bauwerk schließen ließ. Sämtliche Oberflächen wiesen Abnutzungserscheinungen auf, die teils auf Feuchteeinwirkung und teils auf die natürliche Alterung des Bauwerks zurückzuführen waren. Zusätzlich zeigten die Bauwerksuntersuchungen und die Probenentnahmen, dass die Bestandsbewehrung im Feldbereich sehr starke Korrosionsgrade aufwies. Infolgedessen musste ein Instandsetzungskonzept gefunden werden, welches statisch die Bestandsbewehrung komplett ersetzt, an dem gekrümmten Bauwerk auch unter beengten Ausführungsverhältnissen eingesetzt werden konnte und welches die Anforderungen an den Denkmalschutz erfüllt. Hierbei war das oberste Ziel der Instandsetzungsmaßnahme der bestmögliche Erhalt der vorhandenen Bausubstanz, um den Forderungen der Denkmalbehörde gerecht zu werden. Aus diesem Grund sollten verschiedene planerische Lösungen unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes und des Erhalts des einmaligen Bauwerks erarbeitet werden. Im Zuge einer umfangreichen Variantenuntersuchung mit konventionellen Verfahren konnte aufgrund der hohen Anforderungen keine zufriedenstellende Lösung entwickelt werden. Um das Bauwerk jedoch erhalten zu können, wurden auch neuartige und innovative Verfahren mit in die Voruntersuchungen einbezogen. Hierbei fiel die Entscheidung aufgrund diverser Vorteile auf eine Instandsetzung mit Carbonbeton (an dieser Stelle wird auf den Werkstoff Carbonbeton nicht weiter eingegangen, für weiterführende Informationen siehe [6]-[11]). 5. Brückenkolloquium - September 2022 181 Erhalt einer der ersten „Eisenbeton“-Brücken Deutschlands - dank Carbonbeton! Abbildung 2: Ansicht der Fußgängerbrücke aus dem Jahre 2017 (Foto: CARBOCON) Abbildung 3: Bestandsbild aus dem Jahre 2017 (Foto: CARBOCON) Wie in den zuvor gezeigten Abbildungen zu erkennen, befindet sich auf dem Tragbogen ein Magerbeton, der aufgrund der geringen Festigkeit nicht zum Lastabtrag herangezogen werden konnte. Jedoch stellte sich im Zuge der statischen Nachweisführung heraus, dass ohne Ansetzung des Magerbetons und durch die geringe Querschnittshöhe des Bestandsbogen und der stark korrodierten Bestandsbewehrung eine sinnvolle und wirtschaftliche Verstärkung auf der Unterseite nicht möglich gewesen wäre. Aus diesem Grund wurde sich zusätzlich zu der nachfolgend beschriebenen Carbonbetoninstandsetzung dazu entschieden, den Magerbeton der Brücke abtragen zu lassen und den Bestandsbogen durch eine 20 cm dicke konventionelle Auf betonschicht zu ergänzen. Im Zuge der Planung stellte sich heraus, dass für den vollständigen Ersatz der korrodierten Bestands(stahl)bewehrung auf der Unterseite des Stahlbetonbogens im Feld eine Lage vom Carbongitter Typ I nach der Zulassung/ Bauartgenehmigung CARBOrefit® - Verstärken von Stahlbetonbauteilen mit Carbonbeton (mit der Nummer Z-31.10-182 [12]) ausreichend war. Hierbei wurde extra ein flexibles Carbongitter gewählt, um am Bauwerk eine sichere Ausführung der Bogenform gewährleisten zu können. Zusätzlich wurde eine zweite Lage des gleichen Carbongitters um 90° gedreht eingebaut (quer zur Bogenlängsrichtung) und am Bogen nach oben sowie über die Oberseite des Bogens und über die neue Auf betonschicht geführt. Zur Veranschaulichung der Instandsetzungsmaßnahme dient Abbildung 4. Abbildung 4: Planungsausschnitt (Foto: CARBOCON) Durch die in Querrichtung des Bogens angeordnete zusätzliche Bewehrungslage konnte die erforderliche Querbewehrung sichergestellt werden und die Bestandskonstruktion zusätzlich abgedichtet werden, um die Dauerhaftigkeit der Konstruktion über die zukünftige Lebensdauer sicherzustellen. Die Abdichtung erfolgte in diesem Fall alleine durch die Carbonbetonschicht, da diese aufgrund des guten Verbundverhaltens und der dünnen Schichtdicken lediglich minimalste Rissbreiten aufweist. In Summe wurde die Bogenunterseite mit 2 La- 182 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erhalt einer der ersten „Eisenbeton“-Brücken Deutschlands - dank Carbonbeton! gen an Carbongitter mit einer Gesamtinstandsetzungsdicke von 6 mm und die Oberseite mit einer Lage und einer Gesamtdicke von 9 mm ausgeführt. Das Planungskonzept sah weiterhin vor, dass die Qualität des Magerbetons im Zuge der Abbrucharbeiten geprüft werden sollte, um den Magerbeton aufgrund des historischen Wertes erhalten und statisch ansetzen zu können. Jedoch zeigte sich während der Abbrucharbeiten, dass der Magerbeton nahezu vollständig in einem desolaten und nicht mehr ausreichenden Zustand war. Darauf hin wurde der Magerbeton vollständig abgebrochen. Nur an den Widerlagerbereichen war der Beton strukturell soweit in Takt, dass er auf dem Bauwerk verbleiben konnte. Das auf dem Querschnitt E-E in blau dargestellte Carbongelege wurde direkt auf die alte Bogenoberseite aufgebracht. Wo der historische Magerbeton noch intakt war, wurde das Carbongitter über diesen geführt. Betonschadstellen auf der Bogenoberseite wurden vorab fachgerecht saniert. Auf diese Carbonbetonlage kam dann der neu Auf beton, welcher wie im Bestand unbewehrt verbaut wurde. Lediglich die in Querschnitt E-E dargestellten Stirnwände erhielten eine Verankerung durch Stabstähle (siehe nachfolgende Abbildung). In Kombination mit der Auf betonschicht und der Carbonbetoninstandsetzung konnte ein Instandsetzungskonzept gefunden und ein Erhalt der Brücke sichergestellt werden. In Abbildung 4 ist der Plan der Instandsetzungsmaßnahme gezeigt. Die bestehende Gründung blieb erhalten. Da keine Schäden aus Setzung oder Verformung der Gründungen sichtbar waren, wurde davon ausgegangen, dass die Gründung intakt ist. Die einzutragenden Lasten bleiben in etwa gleich. Es bestand daher kein Anpassungsbedarf an der Gründung. Aufgrund der langen Standzeit war davon auszugehen, dass Setzungen abgeklungen waren. Dies konnte im Zuge der Bauausführung ebenfalls bestätigt werden. 4. Zustimmung im Einzelfall / vorhabenbezogene Bauartgenehmigung In Deutschland dürfen Bauwerke seit 2014 mit einer allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung (abZ) bzw. allgemeinen Bauartgenehmigung (aBG, nachfolgend wird vereinfacht nur noch von abZ gesprochen) verstärkt werden. Seit 2021 wurde die Zulassung durch ein neues Konsortium übernommen und in CARBOrefit® umbenannt und die Zulassung maßgeblich erweitert (vgl. [12]). Zum Zeitpunkt der Instandsetzungsplanung und der Bauausführung lag das Bauprojekt mit den speziellen Anforderungen außerhalb des Verwendungsbereiches der CAR- BOrefit®-Zulassung. Im hier vorliegenden Bauvorhaben wurde vom Anwendungsbereich der abZ insbesondere im Punkt Innenbereich abgewichen, da die Fußgängerbrücke kein Innen-, sondern ein Außenbauteil mit den sich daraus ergebenden Anforderungen und Expositionen ist. Aus diesem Grund musste für das Bauvorhaben eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE) bzw. eine vorhabenbezogene Bauartgenehmigung (vBG) erlangt werden. Die Koordination der ZiE und das zur Erteilung erforderliche Gutachten wurde durch die Technische Universität Dresden, Institut für Massivbau durchgeführt. Zu erwähnen ist, dass der ZiE-Prozess ohne zusätzliche experimentelle Versuche auskam und durch die bereits vorliegenden Ergebnisse und Erkenntnisse beim Verstärken und Instandsetzen mit Carbonbeton argumentativ gelöst werden konnte. Somit konnte der zeitliche und monetäre Aufwand der ZiE auf ein Minimum reduziert werden. 5. Umsetzung der Instandsetzungsmaßnahmen Die Instandsetzungsmaßnahmen wurde von der Firma Karrié Bauwerkserhaltung GmbH umgesetzt. Die erste zu erbringende Leistung war das Stellen eines Trag- und Arbeitsgerüstes unterhalb und seitlich der Brücke. Es folgten der zerstörungsfreie Rückbau der Geländer und Abdecksteine aus Naturstein sowie der Abbruch der alten Asphaltschicht und deren Unterbau. Nachdem der Historische Brückenbogen freigelegt war, wurden mittels Hochdruckwasserstrahlen alle losen Betonteile abgetragen und Schadstellen freigelegt. Anschließend konnten die maßgeblichen Sanierungsmaßnahmen begonnen werden. Die Betonschadstellen wurden saniert und die Fläche der Brückenunterseite wurde mittels Spritzbeton egalisiert. Nun erfolgte der Auftrag der Carbonlagen. Diese wurden, wie bereits vorab beschrieben, zum Teil zweilagig aufgebracht. Dem folgte die Betonage der Stirnwände und des Auf betons. Worauf hin die Seitenwände nach historischem Vorbild verputzt und das Brückenpflaster hergestellt werden konnten. Ein besonderes Highlight stellt das Naumburger Stadtwappen dar, welches in mühevoller Kleinarbeit am Fuße der Brücke mittels Mosaikpflaster wiederhergestellt wurde. Abschließend wurde das frisch auf bereitete Geländer gesetzt und an dem ebenfalls restaurierten Natursteingesims befestigt, sodass am 17.12.2021 die Brücke mittels einer kleineren Eröffnungsfeier wieder an die Naumburger Fußgänger übergeben werden konnte. 5. Brückenkolloquium - September 2022 183 Erhalt einer der ersten „Eisenbeton“-Brücken Deutschlands - dank Carbonbeton! Abbildung 5: Instandsetzungsmaßnahmen Abbildung 6: Brücke vor der Bauausführung (Foto von Bellach; Firma Karrié) Abbildung 7: Brücke nach der Ausführung (Foto von Bellach; Firma Karrié) 6. Fazit Bestehende Bauwerke zu erhalten, stellt einen der Schlüsselfaktoren zur Erreichung der Klimaziele dar. Neben den ökologischen Aspekten können durch den Erhalt anstelle eines Ersatzneubaus wertvolle Kulturgüter der Bautechnikgeschichte bewahrt und für zukünftige Generationen erhalten bleiben. Als anschauliches Beispiel dient die Instandsetzung der Fußgängerbrücke über den Stadtgraben im Zuge der Thainburg in Naumburg. Durch den Einsatz des ressourcenschonenden und innovativen Verbundwerkstoffs Carbonbeton konnte das bestehende Bauwerk, welches eine der ersten Stahlbetonbrücken Deutschlands ist, erhalten bleiben. Denn im Zuge der Planungstätigkeiten vor der Inbetrachtziehung von Carbonbeton war der Abriss und der Ersatzneubau der einmaligen und eleganten Fußgängerbrücke fast schon genehmigt. Glücklicherweise konnte dies, u. a. durch die Anerkennung des Bauwerks als Baudenkmal und durch die Instandsetzung mit Carbonbeton verhindert werden. Für den Erhalt der Brücke und die Wiederherstellung der Tragfähigkeit reichten 9 mm an Gesamtverstärkungsdicke auf der Unterseite und 6 mm an der Oberseite der Bestandskonstruktion aus. Dadurch, dass nur wenige millimeterdünne Schichten aufgetragen wurden, konnte das elegante Erscheinungsbild der Fußgängerbrücke auch erhalten bleiben, was das Vorher-/ Nachherbild in Abbildung 6 und 7 eindrucksvoll zeigt. Im Vergleich zu einem Abriss und eines Ersatzneubaus konnte das Baudenkmal nicht nur erhalten, sondern auch wertvolle Ressourcen und CO²-eingespart werden. Anhand des vorliegenden Beitrags und des Praxisprojektes konnte das Potential des Werkstoffes Carbonbeton im Bereich des Bauens im Bestand und der Erhaltung von bestehenden Bauwerken gezeigt werden. Denn die höchste Form der Nachhaltigkeit stellt immer das Nichtbauen oder der Erhalt von bestehender Bausubstanz dar. 7. Danksagung An dieser Stelle möchten wir uns stellvertretend für das gesamte Team noch einmal bei allen am Projekt Beteiligten für die gute Zusammenarbeit bedanken. Neben den hier genannten Unternehmen und Einrichtungen möchten wir uns auch beim Büro Trabert+Partner Ingenieurbüro für Statik+Konstruktion und beim Institut für Massivbau der Technischen Universität Dresden bedanken. Literatur [1] Weidner, S.; Mrzigod, A.; Bechmann, R.; Sobek, W.: Graue Emissionen im Bauwesen - Bestandsaufnahme und Optimierungsstrategien. Beton- und Stahlbetonbau 116 (2021), Heft 12, S. 969-977, https: / / doi.org/ 10.1002/ best.202100165 [2] Schadow, T.: Ressourcenschonung im Bauwesen - Aspekte aus der Planungspraxis. Bautechnik. Heft 1, S. 50-56, https: / / doi.org/ 10.1002/ bate.2021001104 [3] Weidner, S.; Bechmann, R.; Sobek, W.: Ressourcenminimierung im urbanen Kontext. Bautechnik. Heft 1, S. 41-49, https: / / doi.org/ 10.1002/ bate.2021 00093 [4] Elbers, U.: Ressourcenschonendes Bauen. Wege und Strategien der Tragwerksplanung. Bautechnik 99 (2022), Heft 1, S. 57-64, https: / / doi.org/ 10.1002/ bate.202100114 [5] Elbers, U.: Die Ökobilanz spricht für die Sanierung. online. meistertipp.de, entnommen am 10.06.2022 [6] Schumann, A.; Schöffel, J.; May, S.; Schladitz, F.: Ressourceneinsparung mit Carbonbeton am Beispiel der Verstärkung der Hyparschale in Magdeburg In: Hauke, B. (Hrsg.): Nachhaltigkeit, Res- 184 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erhalt einer der ersten „Eisenbeton“-Brücken Deutschlands - dank Carbonbeton! sourceneffizienz und Klimaschutz. Konstruktive Lösungen für das Planen und Bauen - Aktueller Stand der Technik. Institut Bauen und Umwelt e.V. / DGNB e.V., 2021, S. 282-286 [7] Schumann, A.; May, S.; Hoinka, J.: Paradigmenwechsel im Bauwesen: gerade richtig oder schon zu spät? - Nachhaltiges Bauen im Bestand mit Carbonbeton. Nachhaltiges Bauen (2021), S. 13-15 [8] Steinbock, O.; Bösche, T.; Schumann, A.: Carbonbeton - Eine neue Verstärkungs-methode für Massivbrücken - Teil 2: Carbonbeton im Brückenbau und Informationen zur Zustimmung im Einzelfall für das Pilotprojekt Brücken über die Nidda im Zuge der BAB A 648. Beton- und Stahlbetonbau 116 (2021), Heft- 2, S.- 109-117. https: / / doi. org/ 10.1002/ best.202000106 [9] Curbach, M.; Müller, E.; Schumann, A.; May, S.; Wagner, J.; Schütze, E.: Verstärken mit Carbonbeton In: Bergmeister, K.; Fingerloss, F.; Wörner, J.- D. (Hrsg.): Beton-Kalender 2022 - Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Instandhaltung. Berlin: Ernst und Sohn, Veröffentlichung: Dezember 2021 [10] Riegelmann, P.; May, S.; Schumann, A.: Das Potential von Carbonbeton für den Brückenbestand - das ist heute schon möglich. In: Curbach, M. (Hrsg.): Tagungsband zum 30. Dresdner Brückenbausymposium am 8. und 9.3.2021 in Dresden. Institut für Massivbau der TU Dresden, 2017, S. 79-90 [11] Riegelmann, P.; Schumann, S.; May, S.; Bochmann, J.; Garibaldi, M. P.; Curbach, M.: Müthers shell structures in Germany a solution to avoid demolition. Proceedings of the Institution of Civil Engineers. Engineering History and Heritage (2020). Publ. online: 08.09.2020, S. 1-9. - DOI: 10.1680/ jenhh.20. 00012 [11] Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung/ Allgemeine Bauartgenehmigung Z-31.10-182 CARBOrefit® - Verfahren zur Verstärkung von Stahlbeton mit Carbonbeton, Stand: 27.05.2021 5. Brückenkolloquium - September 2022 185 Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung Dipl.-Ing. Michael Schrick König und Heunisch Planungsgesellschaft mbH Dortmund, Deutschland Dipl.-Ing. Janette Todt König und Heunisch Planungsgesellschaft mbH Dortmund, Deutschland Zusammenfassung Die Weserbrücke wurde 1955 als zweifeldrige gevoutete Balkenbrücke mit dreizelligem Hohlkastenquerschnitt im Stützbereich und zwei einzelligen Hohlkästen in den Feldbereichen, verbunden durch die in Querrichtung durchlaufende Fahrbahnplatte, gebaut. In Längsrichtung ist eine durchgängige Vorspannung in den Stegen vorhanden. Im Stützbereich wurde eine zusätzliche Längsvorspannung in der Fahrbahnplatte eingebaut. Im Feldbereich wurde in der Bodenplatte ebenfalls eine zusätzliche Längsvorspannung eingebaut. Diese zusätzlichen Vorspannung übergreifen sich nicht, so dass sich ein Bereich von ca. 10 m je Feld ergibt, in dem nur in den Stegen eine Längsvorspannung vorhanden ist. Hauptsächlich ergaben sich in der Nachrechnung für diesen Bereich erhebliche Defizite in Brückenlängsrichtung im Grenzzustand der Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit. Aufgrund der bereits hohen Auslastung der Betondruckspannungen sowie der freizuhaltenden Wasserschifffahrtslinie scheiden herkömmliche Verstärkungsmaßnahmen aus. Resultierend aus der Querschnittsgeometrie des bestehenden Bauwerks und der nur in sehr geringem Umfang vorhandenen Tragreserven, musste hier eine unkonventionelle und nicht alltägliche Lösung erarbeitet werden. Die Verstärkung des Überbaus erfolgt durch eine Schrägabspannung in Verbindung mit einem nachträglich hergestellten A-Pylon in der Achse der Innenstütze. Durch diese Maßnahme wird der kritische Bereich von ca. 10 m je Feld entscheidend entlastet. Die große Herausforderung bestand darin, nachträglich einen neuen Pylon zu errichten einschließlich der Auf hängung der bestehende Brücke mittels Schrägkabeln sowie die Kompensation der bestehenden Defizite. Besonders mussten die neuen Feldquerträger zur Verankerung der Seile und Weiterleitung der stützenden Seilkräfte in den Überbau auf die Gegebenheiten des Bestandsbauwerks abgestimmt werden. 1. Bestandsbauwerk 1.1 Allgemeines Bei dem Bauwerk handelt es sich um die Weserbrücke i. Z. der Landstraße L755. Die L755 verbindet die Stadt Höxter westlich der Weser und die Stadt Fürstenberg östlich der Weser, so dass die Weserbrücke eine wichtige Verbindung zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und dem Land Niedersachsen darstellt. Direkt angrenzend an das westliche Widerlager erstreckt sich eine Bahntrasse. Zusätzlich ist die Weserbrücke ein wichtiger Bestandteil für das Verkehrskonzept der Landesgartenschau 2023 in Höxter. 1.2 Bauwerksbeschreibung Die Brücke wurde im Jahr 1955 als einteiliges Bauwerk mit je einer Spur je Fahrtrichtung hergestellt. Der Überbau wurde als zweifeldrige Balkenbrücke mit Stützweiten von je 68,00-m gebaut, so dass die Brücke eine Gesamtlänge von 136,00-m aufweist. Im Stützbereich wurde die Brücke mit einem dreizelligen Hohlkastenquerschnitt hergestellt (Abb. 1). Abb. 1: Querschnitt Stützbereich Nach 18,00 m gemessen von der Stützenachse endet die Bodenplatte der mittleren Hohlkastenzelle, so dass die Feldbereiche (Abb. 2) aus zwei einzelligen Hohlkästen bestehen, die in Querrichtung durch die durchlaufende Fahrbahnplatte sowie jeweils 3 Querträgern in den Viertelspunkten der Felder verbunden sind. 186 5. Brückenkolloquium - September 2022 Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung Abb. 2: Querschnitt Feldbereich Die Konstruktionshöhe beträgt an den Widerlagern 1,32 m und erhöht sich ungefähr ab Feldmitte zum Mittelpfeiler auf maximal 5,00 m. Der Überbau wurde seinerzeit aus einem Beton der Festigkeitsklasse B 450 hergestellt. Als Betonstahl wurde glatter Rundstahl der Festigkeitsklasse BSt I sowie BSt II verwendet. Der Überbau ist monolithisch mit dem Mittelpfeiler verbunden, sodass ein semi-integrales Bauwerk entstanden ist. Die Gründung des Mittelpfeilers wurde als Tiefgründung mit Ortbetonrammpfählen ausgeführt. Die Widerlager sind flach gegründet und bestehen aus massiven Schwergewichtswiderlagern. Für die Unterbauten einschließlich der Gründung wurde ein Beton B- 300 und ebenso glatter Rundstahl der Festigkeitsklassen BSt-I sowie BSt-II verwendet. Auf den Widerlagern wurden nach einem Lagertausch im Jahr 1991 jeweils 8 Elastomerlager je Widerlager eingebaut. Auf dem Überbau wurde kein Belag aufgebracht, so dass die Fahrbahn direkt befahren wird. Die Kappen wurden monolithisch an den Überbau angeformt. Zur Sicherstellung der Dauerhaftigkeit wurde im Jahre 1999 auf der Fahrbahn sowie den Kappen eine Beschichtung aus Kratzspachtelung, Spritzfolie und PURHD-Belag mit einer Stärke von ca. 1,5 cm aufgetragen. Die Brücke wurde seinerzeit für die zivilen Verkehrslasten mit Brückenklasse 60 gemäß DIN 1072 [1] und nach STANAG für die Militärklasse MLC-R/ K-100/ 50 bemessen. 1.3 Vorspannung Bestand Der Überbau wurde in Längs- und Querrichtung vorgespannt. Dabei kam ein nicht erhöht spannungsrisskorrosionsgefährdeter Spannstahl St-140/ 160 im nachträglichen Verbund zum Einsatz. Für die Längsrichtung, die Querträger sowie für die Fahrbahnplatte wurden 40- t- Spannglieder verwendet und für die Bodenplatte überwiegend 7,5-t Spannglieder In Längsrichtung ist eine durchgängige Vorspannung in den Stegen vorhanden. Zur Sicherstellung der Tragfähigkeit sowie der Gebrauchstauglichkeit wurde im Stützbereich eine zusätzliche Längsvorspannung in der Fahrbahnplatte eingebaut, die ca. 17,00 m beidseits des Pfeilers endet. In der Bodenplatte wurde ebenfalls eine zusätzliche Längsvorspannung eingebaut, die in beiden Feldern ca. 27,00 m vor dem Pfeiler endet. Somit ist in einem Bereich von ca. 10 m je Feld nur in den Stegen eine Längsvorspannung vorhanden. 1.4 Notinstandsetzung Im Zuge der Nachrechnung wurde aufgrund der Nachrechnungsergebnisse sowie der Ergebnisse der Bauwerksprüfung und durch Erfahrungsberichte von der Bauausführung aus dem Jahre 1955 festgestellt, dass zwischen 29,80- m und 43,80- m, gemessen von Widerlagerachse A, einer minderwertigem Beton im Bereich der Fahrbahnplatte zum Einsatz kam. Der minderwertige Beton der Fahrbahnplatte wurde daher über die gesamte Fahrbahnbreite schachbrettartig abgetragen und im Zuge einer Notinstandsetzung erneuert. Für die Notinstandsetzung wurde ein Beton der Festigkeitsklasse C-35/ 45 und ein Betonstahl B 500 B gewählt. 1.5 Bauwerkszustand Bei einer Sonderprüfung nach der Notinstandsetzung gemäß DIN 1076 vom 20.12.2019 wurde das Bauwerk mit einer Zustandsnote von 2,3 bewertet. Der Überbau weist derzeit keine Anzeichen einer Schubrissbildung sowie Biege- und Ermüdungsrissbildung auf. Von einer akuten Gefährdung der Standsicherheit des Gesamtbauwerks muss derzeit nicht ausgegangen werden. 2. Nachrechnung Bestandsüberbau 2.1 Systemmodellierung und Schnittgrößenvergleiche Gemäß der vorliegenden Bestandsstatik wurde der Überbau seinerzeit für die Längsrichtung als Gesamtquerschnitt abgebildet und nachgewiesen. Abweichend von der Bestandsstatik wurde nach den derzeit anerkannten technischen Regeln für die Nachrechnung ein räumliches Tragwerk aus Stabelementen mit orthotroper Fahrbahnplatte generiert, so dass die Querverteilung der antimetrischen Lasten ausreichend berücksichtigt wird. Für die Systembildung wurden die äußeren Hohlkästen als Stab abgebildet, denen jeweils die gesamte Dehn- und Biegesteifigkeit der Hohlkastenquerschnitte in Längsrichtung zugeordnet wurde. Zur Sicherstellung der Querverteilung wurden gewichtslose orthotrope Plattenelemente verwendet. Aufgrund des Begegnungsverkehrs auf der Brücke wurde in Abstimmung mit Straßen.NRW das Lastmodell LM1 nach DIN-FB 101 [2] als Ziellastniveau festgelegt. Für symmetrische Lasten (ständige Lasten und Vorspannung) konnten sehr gute Übereinstimmungen der Schnittgrößen zwischen Bestandsstatik und Nachrechnung ermittelt werden. Als Beispiel ist der Momentenvergleich für das Eigengewicht (Abb. 3) dargestellt. Abb. 3: Momentenvergleich Eigengewicht Für Verkehrslasten konnten dagegen keine guten Übereinstimmung erzielt werden. Dies konnte nicht nur auf die gestiegenen Verkehrslasten zurückgeführt werden, 5. Brückenkolloquium - September 2022 187 Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung sondern ebenfalls auf die antimetrischen Lasten aus Verkehr. Aufgrund der Systembildung und der sich daraus ergebenden Querverteilung sowie der gestiegenen Verkehrslasten konnte eine Zunahme der Momente infolge Verkehrslasten von bis zu 80% in Feldmitte (Abb. 4) festgestellt werden. Abb. 4: Momentenvergleich BK60 / LM1 2.2 Ergebnisse Nachrechnung Die Nachrechnung wurde auf Grundlage der Nachrechnungsrichtlinie [3] sowie der 1. Ergänzung [4] durchgeführt. In Querrichtung konnte der Überbau im Grenzzustand der Tragfähigkeit sowie für die Gebrauchstauglichkeit im Wesentlichen nach Stufe-1 der Nachrechnungsrichtlinie nachgewiesen werden. In Brückenlängsrichtung ergaben sich auch unter Berücksichtigung der Nachweise nach Stufe 2 erhebliche Defizite im Grenzzustand der Tragfähigkeit (GZT) für die Biegetragfähigkeit (Druckversagen), die Schubtragfähigkeit sowie die Ermüdungsnachweise (Tab. 1). Tab.1: Defizite im GZT für LM1 Nachweise Ausnutzung Biegung h = 1,30 Querkraft und Torsion h = 4,72 Ermüdung Spannstahl h = 3,00 Darüber hinaus waren auch im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit (GZG) die Nachweise fast vollständig überschritten (Tab. 2). Lediglich die zulässigen Spannstahlspannungen konnten nachgewiesen werden. Tab.2: Defizite im GZG für LM1 Nachweise Ausnutzung Dekompression s c = 3,38 MN/ m² Rissbreite w k = 0,28 mm Betondruckspannungen h = 1,65 Betonstahlspannungen h = 1,33 Die vorhandenen Defizite sind im Wesentlichen auf den Bereich begrenzt, in dem nur die Längsvorspannung in den Stegen vorhanden ist. Beispielhaft ist hier das Defizit der Schubbewehrung für den Nachweis Querkraft und Torsion dargestellt. Abb. 5: Schubbewehrung Nachrechnung für LM1 Aufgrund der vorliegenden Ergebnisse wurde die Brücke umgehend für Verkehr über 3,5 t gesperrt. Zusätzlich wurde zur Sicherstellung der Betondruckfestigkeitsklasse auch für mögliche Verstärkungsmaßnahmen deren Überprüfung veranlasst. Hierzu wurden 12 Proben durch Kernbohrungen am Bauwerk entnommen, bei denen eine charakteristische Druckfestigkeit f ck,cal,BW = 50 N/ mm² festgestellt werden konnte. Unter Berücksichtigung der Verkehrseinschränkungen auf eine Verkehrsbelastung ≤-3,5-t sowie der festgestellten Betondruckfestigkeitsklasse konnten alle Nachweise im GZT und GZG erbracht werden. 2.3 Machbarkeitsstudie Da die Weserbrücke eine wichtige Verbindung zwischen den Ländern Nordrhein-Westfallen und Niedersachsen darstellt, wurden die Möglichkeiten eines Ersatzneubaus sowie Verstärkungsmöglichkeiten in Betracht gezogen. Ein kurzbis mittelfristiger Ersatzneubau ist aufgrund des einteiligen Überbaus, der Bedeutung der Brücke im Verkehrsnetz sowie aufgrund der angrenzenden Bahnstrecke nicht realisierbar. Somit muss die Brücke durch eine entsprechende Verstärkungsmaßnahme ertüchtigt werden, damit eine Verkehrsfreigabe für Verkehr->-3,5-t ermöglicht werden kann. Aufgrund eines möglichen Druckversagens bei der Biegetragfähigkeit im GZT sowie der bereits hohen Auslastung der Druckspannungen im GZG, der geringen lichten Höhe innerhalb der Brücke sowie der geometrischen Zwangspunkte der Querträger einschließlich deren Quervorspannung konnte eine Verstärkung der Brücke mit externer Vorspannung als nicht zielführend ausgeschlossen werden. Des Weiteren konnte durch die externe Vorspannung nur eine unwesentliche Verbesserung auf den Nachweis der Querkraftbewehrung festgestellt werden, so dass eine zusätzliche Querkraftverstärkung weiterhin erforderlich gewesen wäre. Eine Verstärkung der Querkraftbewehrung mit zusätzlichen Schubnadeln ist für die Weserbrücke nicht möglich, da die Wasserschifffahrtsrinne nicht eingeschränkt werden darf. Das Einbohren und Einkleben von zusätzlicher Querkraftbewehrung ist ebenfalls nicht möglich, da die Längsspannglieder einen zu geringen Abstand aufweisen und daher die Wahrscheinlichkeit einer Beschädigung der vorhandenen Spannglieder sehr wahrscheinlich ist. Resultierend aus den Ergebnissen der Machbarkeitsstudie wurde in Zusammenarbeit mit Straßen.NRW eine unkonventionelle und nicht alltägliche Lösung erarbeitet. Die 188 5. Brückenkolloquium - September 2022 Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung Verstärkung des Überbaus erfolgt durch eine Schrägabspannung in Verbindung mit einem nachträglich hergestellten Pylon in der Achse der Innenstütze. Durch diese Maßnahme wird der kritische Bereich von ca. 10-m je Feld entscheidend entlastet. 3. Entwurfs- und Ausführungsplanung 3.1 Allgemeines Die Entwurfsplanung des Pylonen mit den Verankerungspunkten der Seile am Pylonkopf und speziell die Verankerung am Bestandsbauwerk, war entscheidend für die Konzeption der Verstärkungsmaßnahme. Dabei musste die Verankerung auf die vorhandene Querschnittsgeometrie sowie die vorhandenen Längsspannglieder im Steg sehr genau abgestimmt werden. Darüber hinaus musste die entlastende Wirkung der Seilvorspannung an die Steifigkeit des Bestandsbauwerkes angepasst werden. Zusätzlich zu den statischen Erfordernissen mussten weitere Anforderungen bei der Verstärkungsmaßnahme berücksichtigt werden. Dabei war die ästhetische Wahrnehmung der Verstärkungsmaßnahme auf die angrenzende denkmalgeschützte historische Altstadt einschließlich der Kirche zu berücksichtigen. Als Ergebnis der Abstimmung ergab sich für die Verstärkungsmaßnahme ein A-Pylon mit möglichst geringen Abmessungen. Dadurch sollte das Erscheinungsbild der Altstadt einschließlich der Kirche möglichst wenig beeinträchtigt werden. Des Weiteren wurden die Belange der Stadt Höxter sowie der Einwohner berücksichtigt, woraus eine möglichst kurze Vollsperrung der Brücke resultierte sowie die Möglichkeit der Brückenquerung für Rettungspersonal während gesamten Bauzeit. Abb. 6: Gesamtbauwerk einschließlich A-Pylon und Seilabspannung 3.2 Seile Zur Abspannung des Überbaus werden vier Litzenbündelseile aus einem St-1570/ 1770 verwendet. Am Pylonkopf wird die Verankerung durch eine Ankerbox aus Stahl hergestellt, die im Pylonkopf einbetoniert wird. Die Verankerung am unteren Seilende wird durch zwei neue Feldquerträger (Verankerungsträger) gewährleistet, die neu hergestellt werden. Die Seillängen zwischen den Ankerpunkten betragen im Mittel ca. 32 m. Als Litzenbündelseile werden Dyna-Grip - DG-P-43 aus einem Spannstahl St-1570/ 1770 eingesetzt, die zur Behebung der Defizite mit 4200-kN vorgespannt werden. Damit die Seile eine gleichmäßige Vorspannung erhalten und das Bauwerk planmäßig entlastet wird, muss das Anspannen der Seile gleichzeitig und gleichmäßig erfolgen. Der Festanker der Seile befindet sich in der Ankerbox und der Spannanker am Verankerungsträger. Für eine gleichmäßige und gleichzeitige Anspannung wird die Vorspannkraft in 11 Vorspannabschnitten aufgebracht, so dass maximal 4 Litzen je Seil gleichzeitig vorgespannt werden. 3.3 A-Pylon einschl. Gründung Für den A-Pylon wurde als Ergebnis der Berechnungen und Abstimmungen ein Querschnitt b/ h-=-1,50/ 1,50-m mit 15-cm angefasten Ecken aus einem Beton der Festigkeitsklasse C-50/ 60 gewählt. Zur Minimierung von möglichen vertikalen Setzungen resultierend aus der Seilvorspannung wurde eine Tiefgründung mit jeweils 3 Großbohrpfählen Ø-1,50m und einem Kopf balken gewählt. Darüber hinaus wurden zur Reduzierung der horizontalen Verformungen aus der Schiefstellung der Stiele zwei zusätzliche Zugbänder angeordnet, die beide Kopf balken miteinander verbinden. Durch diese Maßnahmen wurde ein möglichst vorformungsarmer A-Pylon erstellt, so dass 5. Brückenkolloquium - September 2022 189 Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung die Reduktion der Seilkräfte durch mögliche Fußpunktverformungen im Wesentlichen ausgeschlossen werden kann. Die Herstellung des Pylons erfolgt in 13 Bauabschnitten. In den Bauabschnitten 1 bis 11 stehen die Pylonfüße eigenständig bzw. es werden zur Sicherstellung der Standsicherheit bauzeitlich 3 temporäre horizontale Zwischenabstützungen vorgesehen. Im Bauabschnitt 12 werden die Pylonfüße miteinander verbunden. Vor der Betonage des 13. Bauabschnittes wird die Ankerbox zur Aufnahme der Seile eingebaut. Abb. 7: A-Pylon einschließlich Gründung 3.4 Ankerbox zur Aufnahme der oberen Seilverankerung Zur Einleitung der Seilkräfte wird im Bauabschnitt-13 eine Ankerbox (Abb. 8) im A-Pylon eingebaut. Abb. 8: FEM-Modell Ankerbox Für die Bemessung der Ankerbox wurde ein 3D-FEM- Modell generiert. Unter Berücksichtigung der Vorspannung der Seile unter einer annähernd starren Bettung der Fußplatte wurden die entsprechenden Blechdicken bestimmt. Dabei ergaben sich Blechdicken für die Einzelbleche zwischen 30 und 80 mm. Zur Sicherstellung des Verbundes sowie der Weiterleitung von antimetrischen Lasten werden umlaufend an der Ankerbox Kopf bolzendübel Ø 22 angeordnet. Für die Einzelbleche wird ein Baustahl S 355 J2+N und für die Kopf bolzendübel ein S 235 J2+C470 verwendet. Abb. 9: 3D-Modell Pylonkopf einschließlich Ankerbox 3.5 Verankerungsträger zur Aufnahme der unteren Seilverankerung Die untere Seilverankerung am Bestandsbauwerk kann nicht direkt am Bestandsüberbau hergestellt werden, da die Kragarme des Bestandsüberbaus für die Lasteinleitung nicht ausreichend tragfähig sind. Des Weiteren würde die Verkehrsführung sowie der Fuß- und Radverkehr durch die schrägen Seile eingeschränkt. Somit muss für die unteren Seilverankerung ein zusätzlicher Verankerungsträger hergestellt werden. Dabei muss dieser für die Entlastung des Bestandsbauwerks möglichst nah an den defizitären Bereichen angeordnet werden und gleichzeitig muss der nachträgliche Einbau auf die vorhandenen Längsspannglieder abgestimmt werden. Durch eine iterative Bestimmung der erforderlichen Seilvorspannung, der Abmessungen des Verankerungsträgers sowie der geometrischen Vorgaben des Bestandsbauwerks wurde der Verankerungsträgers 22,80-m von der Stützenachse angeordnet. Die Abbildung 10 zeigt die Anordnung der Verankerungsträger für die inneren Stege der Hohlkästen unter Berücksichtigung der Spanngliedführung des Bestandes. Die Querschnittsabmessungen des Querträgers betragen im Mittel b/ h-=-2,10/ 1,00-m. 190 5. Brückenkolloquium - September 2022 Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung Abb. 10: Verankerungsträger im Bestand Damit die untere Seilverankerung keine Beeinträchtigung der Verkehrsführung zur Folge hat, kragt der neue Verankerungsträger einschließlich Seilverankerung 2,82 m über die Außenkante des Steges hinaus. Aufgrund dieser Auskragungen in Verbindung mit der Seilvorspannung muss der Verankerungsträger zur Sicherstellung der Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit vorgespannt werden. Es werden insgesamt 5 Spannglieder (Suspa-Litze DW 6-22) je Verankerungsträger vorgesehen (Abb. 11). Abb. 11: Vorspannung Querträger Abb. 12: temporäre Verstärkung - Längsschnitt 5. Brückenkolloquium - September 2022 191 Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung Abb. 13: temporäre Verstärkung - Querschnitt Für die Verankerungsträger wird ein Beton der Festigkeitsklasse C 50/ 60 gewählt. Als Bewehrung ist Betonstahl B 500 B und Spannstahl St 1570/ 1770 vorgesehen. Für die Herstellung des Verankerungsträgers müssen die vier Hohlkastenstege des Bestandsbauwerks temporär geschwächt werden. Dabei muss die vorhandene Bewehrung der Stege, speziell die Bügelbewehrung, erhalten werden, so dass die Herstellung der Öffnungen durch Höchstdruckwasserstrahlen erfolgen muss. Zur Sicherstellung der Tragfähigkeit des Gesamtbauwerks dürfen die Stege nicht gleichzeitig geschwächt werden, sondern nur Steg für Steg, so dass sich für den Verankerungsträger vier Bauabschnitte ergeben. Für den Zeitraum der Stegschwächungen wird je Steg eine temporäre Verstärkung erforderlich. Die Abbildungen 12 und 13 zeigen die temporäre Stegverstärkung im Längs- und Querschnitt. Die temporäre Verstärkung besteht dabei aus geschweißten Stahlträgern oberhalb und unterhalb der Stege sowie aus insgesamt 20 Stabspanngliedern (Dywidag 36 WS). Die Stabspannglieder werden vorgespannt, so dass über Reibung eine Verbindung mit dem Bestandsbauwerk entsteht. Die temporäre Verstärkung wurde so ausgelegt, dass die Stabspannglieder die vorhandene Querkraft über die Stegöffnung hinweg übertragen können. Des Weiteren wurde die Vorspannung der Stabspannglieder sowie die Fläche der Stahlträger zur Aufnahme der Normalkraft aus der Fläche der Stegschwächung bestimmt. Aus der bauabschnittsweisen Herstellung der Querträger ergibt sich, dass die erforderliche Bewehrung durch Muffenstöße verbunden werden muss. Zusätzlich werden für die Spannglieder Hüllrohre eingebaut, die ebenso abschnittsweise durch entsprechende Muffen gekoppelt werden. Nach der Herstellung der vier Bauabschnitte wird die Querträgervorspannung nachträglich eingezogen und vorgespannt. Im Zuge der Herstellung der äußeren Bauabschnitte müssen die Einbauteile für die unteren Seilverankerungen berücksichtigt werden. Die Abbildung 14 zeigt die Ansicht der Seilverankerung nach der Herstellung. Abb. 14: untere Seilverankerung - Ansicht 4. Nachrechnung Bestandsüberbau unter Berücksichtigung der Verstärkungsmaßnahme Für die Bemessung der Verstärkungsmaßnahme sowie des Überbaus wurde das System der Nachrechnung durch die neuen Bauteile, den Pylon einschließlich der Gründung, die neuen Verankerungsträger sowie die Seile ergänzt. Die Abbildung 15 zeigt die Systembildung einschließlich der Verstärkungsmaßnahme. 192 5. Brückenkolloquium - September 2022 Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung Abb. 15: System einschl. Verstärkungsmaßnahme Aufgrund des Begegnungsverkehrs wurde in Abstimmung mit Straßen.NRW die BKL 60/ 30 nach DIN 1072 [1] als Ziellastniveau für die Verstärkungsmaßnahme festgelegt. Die Berechnung des Bestandsüberbaus wurde auf Grundlage der Nachrechnungsrichtlinie einschließlich der 1. Ergänzung durchgeführt. Die neuen Bauteile der Verstärkungsmaßnahme wurden entsprechend der jeweils gültigen Eurocodes ausgelegt. Unter Berücksichtigung der Verstärkungsmaßnahme konnten für die Längsrichtung alle Nachweise im GZT mindestens nach Stufe 2 der Nachrechnungsrichtlinie erbracht werden. Tab.3: GZT für BKL 60/ 30 nach Verstärkung Nachweise Ausnutzung Biegung h = 1,00 Querkraft und Torsion h = 1,00 Ermüdung Spannstahl h = 0,95 Die entlastende Wirkung der Seilvorspannung wird beispielhaft anhand der Schubbewehrung für den Nachweis Querkraft und Torsion dargestellt. In den kritischen Bereichen ist die vorhandene Schubbewehrung ausreichend. Für die Bereiche an den Brückenenden ist der Nachweis unter Berücksichtigung der Regeln der 1. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie [4] im Abstand d vom Auflager sowie unter Einschneiden der Querkraftdeckungslinie ebenfalls eingehalten. Abb. 16: Schubbewehrung nach Verstärkung Die Ergebnisse im GZG weisen nach der Verstärkung ebenfalls keine Defizite mehr auf. Tab.4: GZG für BKL 60/ 30 nach Verstärkung Nachweise Ausnutzung Dekompression s c < 0 Rissbreite w k = 0,02 mm Betondruckspannungen h = 1,00 Betonstahlspannungen h = 0,16 Auf Grundlage der Ergebnisse kann das Bauwerk nach der Verstärkungsmaßnahme wieder für den Verkehr freigegeben werden. Aufgrund der Anwendung der Regeln nach Stufe 2 der Nachrechnungsrichtlinie wird das Bauwerk nach der Verstärkung in die Nachweisklasse C eingeordnet. Die vorläufig eingeschränkte Restnutzungsdauer beträgt 20-Jahre. Literatur [1] DIN 1072 Ausgabe Mai 1988 [2] DIN-FB 101 Ausgabe März 2009 [3] Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie) Ausgabe Mai 2011 [4] Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie) 1. Ergänzung Ausgabe April 2015 5. Brückenkolloquium - September 2022 193 Nachhaltige Verstärkung der 1,8 km langen Spannbetonbrücke auf der A13 bei Ferrara, Italien, durch externe Vorspannung Dipl.-Ing. Kay Löffler DYWIDAG-Systems-International GmbH, Langenfeld (Rheinland) Lifespan Management, Repair and Strengthening Ing. Marco A. Bizzozero DYWIDAG-Systems S.R.L, Cusago (MI) Senior technical manager Italy Zusammenfassung Die verkehrstechnisch hochbelastete, insgesamt 1,8 km lange Spannbetonbrücke auf der A13 nördlich von Ferrara verbindet die Stadt Bologna im Süden mit der Region Venedig. Die aus insgesamt 42 Feldern mit Spannweiten von 32-70 m bestehende Brücke mit zwei getrennten Überbauten ist im Bereich der Strombrücke als doppelstegiger Plattenbalken ausgeführt. Die Nachrechnung der Brücke hat ergeben, dass für eine nachhaltige Verstärkung die Brückenlängsträger durch Anordnung von jeweils insgesamt acht externen Spanngliedern, feldweise angeordnet in Spanngliedpaaren beidseitig der Träger und in polygoner Spanngliedführung, zu unterstützen sind. Besondere Herausforderung hierbei ist es, aufgrund der hohen Verkehrsbelastung der Brücke die Sperrzeiten auf ein Minimum zu beschränken. Vor diesem Hintergrund wurde im Rahmen der ersten Verstärkungsphase der Träger mit Spannweiten von 57-70 m vom Bauherrn erstmalig in Italien ein werksvorgefertigtes, bereits voll korrosionsgeschütztes und beliebig nachspannbares DYWIDAG-Draht EX Spannsystem gewählt, dass direkt von der Transporttrommel in die Verankerungs- und Umlenkelemente entlang der Träger eingezogen werden kann. In den insgesamt acht Feldern der ersten Verstärkungsphase wurden somit insgesamt 64 externe Draht EX-Spannglieder des Typs EX 30 (P m0 =1473 kN) bzw. EX 42 (P m0 =2062 kN) installiert. Je Feld betrug die Einbauzeit der jeweils acht Spannglieder von der Anlieferung bis zum Abschluss der Spannarbeiten weniger als fünf Tage, wobei die zeitweilige einseitige Sperrung der Autobahn auf den Einziehvorgang und die Spannarbeiten beschränkt wurden. Zusammen mit der Montage der Spannglieder wurde auch ein entsprechendes Monitoring-Konzept integriert, bei dem die Spannkraft jedes zweiten Spanngliedes sowie die Durchbiegung des Brückenträgers in Feldmitte kontinuierlich überwacht wird. Die Vorspannung von in Italien weitgehend standardisierten Brückengeometrien durch modulare, werksvorgefertigte, standardisierte DYWIDAG-Spannsysteme ermöglicht somit einen optimierten Einbaufortschritt und verbindet die Gegebenheiten der bestehenden Konstruktionsweise mit den Erfahrungen aus für die Verstärkung optimierten Spannsystemen. 1. Einleitung Die insgesamt ca. 1,8 km lange Autobahnbrücke über den Fluss Po sichert als Teil der am 6. Juni 1970 für den Verkehr freigegeben A13 die verkehrstechnische Anbindung der Region Emilia-Romana mit der Region Venezien und verbindet direkt die wirtschaftlichen Zentren Bologna im Süden mit Padua im Norden. Bild 1: Brücke über den Po (Flussfelder) Der aus zwei getrennten Überbauten bestehende Brückenzug ist als eine Reihe von insgesamt 42 vorgespannten Plattenbalken ausgebildet worden. Die Vorlandbrücken bzw. Brückenrampen (insgesamt 12 + 15 Felder) sind dabei 5-stegig, der Hauptbrückenzug ist dagegen 2-stegig. Die Spannweiten je Feld betragen zwischen 32 m und 70 m. Der Flussbereich besteht aus insgesamt sechs Feldern, wobei in diesem Bereich beide Überbauten auf gemeinsamen Flusspfeilern aufgelagert sind. Ähnlich wie in Deutschland wurden in den vergangenen Jahren auch in Italien Nachrechnungsrichtlinien entwickelt, um die Bestandsbauwerke vor dem Hintergrund einer kontinuierlich gestiegenen Verkehrsbelastung zu überprüfen. Im Rahmen der Verstärkungsmaßnahme dieser Brücke wurde vorgesehen, insbesondere die zweistegigen Plattenbalken der Flussfelder durch eine beidseitige Anordnung eines polygonförmig angeordneten, externen Spanngliedpaares in Längsrichtung zu verstärken. 194 5. Brückenkolloquium - September 2022 Nachhaltige Verstärkung der 1,8 km langen Spannbetonbrücke auf der A13 bei Ferrara, Italien, durch externe Vorspannung Bild 2: Polygonförmiger Spanngliedverlauf Daneben erfolgte eine entsprechende Betonsanierung der Träger und Flusspfeiler u.a. mit der Applikation von CFK-Lamellen. Die Verstärkungsmaßnahme erfolgte i.d.R. feldweise, wobei die Zugänglichkeit durch ein unter das entsprechende Feld abgehängtes Gerüst gegeben wurde, das über ein zwischen den Überbauten angeordnetes Zugangsgerüst jeweils erreicht werden konnte. Im Rahmen einer ersten Instandsetzungsphase wurden im Bereich des Flusses acht Felder mit insgesamt 64 Spanngliedern eingebaut und vorgespannt. 2. Auswahl des Spannverfahrens Durch die hohe Verkehrsbelastung der Brücke war eine wesentliche Maßgabe, Sperrzeiten z. B. zur Andienung von Materialien von der Autobahn zum Brückenträger so weit wie möglich zu minimieren. Relevante Arbeiten, die eine etwaige Verkehrssperrung bedurften, mussten entweder am Wochenende oder nachts durchgeführt werden. Der Verstärkungsmaßnahme lag ferner eine umfangreiche statische Nachrechnung zugrunde, die während des Einbaus und dem Vorspannen der Träger auch vermessungstechnisch begleitet wurde. So sollte das gewählte Spannverfahren die Möglichkeit bieten, die Spannkräfte, abhängig von der Brückenverformung, beliebig anzupassen, d. h. ggf. von den Vorgabewerten höhere und niedrigere Spannkräfte aufzubringen. Unter den o. g. Randbedingungen wurde durch den Bauherrn Autostrade per l’Italia das werksmäßig vorgefertigte und auf einer Transporttrommel direkt am Einbauort einziehbare DY- WIDAG-Draht EX Spannverfahren gemäß ETA-07/ 0186 [1] mit i.d.R. 42 Einzeldrähten und einer max. Vorspannkraft von P m0 =2062 kN gewählt. Bild 3: Spannankerkopf Abweichend davon kamen im Feld 27 (Nord und Süd), welches ein Übergangsfeld zu den Rampen darstellt, Spannglieder des gleichen Typs, jedoch mit 30 Drähten und einer max. Vorspannkraft von P m0 =1473 kN zum Einsatz. Durch die Werksvorfertigung der Spannglieder kann auf eine Anlieferung von Teilmaterialen und entsprechenden Maschinen zum Auf bau der Spannglieder auf dem Gerüst weitgehend verzichtet werden und die Zeit zur Andienung der Materialien minimiert werden. Ferner ist beim Draht EX-Spannsystem der Ringraum zwischen dem Zuggliedern (Drähten) und dem PE-Hüllrohr bereits im Werk mit Korrosionsschutzmasse ausinjiziert worden. Ein Injiziervorgang auf der Baustelle mit erhitzter Korrosionsschutzmasse und möglichen Leckagen kann so, insbesondere im ökologisch empfindlichen Flussbereich, vermieden werden. Da die Verankerung des Spanngliedes durch Gewindeelemente erfolgt ist eine Anpassung der aufzubringenden Vorspannkraft sowohl beim initialen Spannvorgang sowie auch zu einem späteren Zeitpunkt jederzeit möglich. Anders als bei litzenbasierten Spanngliedern, bei denen das Absetzten der Spannkraft systembedingt mit einem Keilbiss und damit einer oberflächlichen Beschädigung des Zuggliedes verbunden ist, wird bei den Draht EX-Systemen durch die Verwendung von Gewindeelementen und die Verankerung über Stauchköpfchen das Zugglied auch bei wiederholten Anpassungen der Vorspannkräfte nicht beschädigt. Dies ermöglich höchste zukunftssichere Flexibilität für den Auftraggeber. Seit über zwanzig Jahren in Deutschland, insbesondere auch bei der Brückenverstärkung, verwendet hat durch die Kombination der o. g. 5. Brückenkolloquium - September 2022 195 Nachhaltige Verstärkung der 1,8 km langen Spannbetonbrücke auf der A13 bei Ferrara, Italien, durch externe Vorspannung Systemvorteile mit den projektbezogenen Anforderungen das DYWIDAG-Draht EX-System erstmalig auch in Italien Anwendung gefunden. 3. Verankerungsbereiche und Umlenkungen Die Verankerung der beidseitig am Träger angeordneten Spanngliedpaare erfolgte insbesondere bei den Feldern mit einer Spannweite von 70 m durch Stahlkonsolen, die das Ende des Trägers -förmig umschlossen haben. Dadurch wurde u.a. auch das synchrone Vorspannen jeweils eines Spanngliedpaares erforderlich. In den Feldern 27 Nord und Süd war eine U-förmige Ankerkonsole konstruktiv aufgrund eines geschlossenen Stützquerträgers nicht möglich. Daher wurden in diesen Feldern die Stahlankerkonsolen mittels Stahlbolzen durch den Bestandsträger durchgeankert. Jeweils von den Ankern ausgehend wird das Spannglied nach ca. 9 m umgelenkt und parallel zum Untergurt des Trägers geführt. Die Umlenkung erfolgt auch hierbei durch unter den Gurt des Trägers angebrachte Stahlkonsolen. Zur höheren Flexibilität des Systems und kontrollierte Umlenkung der Spannglieder, werden in die Aussparungsrohre der Stahlkonstruktion Umlenkschalen aus Kunststoff eingelegt, die auch noch während des Spannprozesses entsprechend der individuellen Spanngliedlage ausgerichtet werden können, um eine optimale Stützung des Spanngliedes zu ermöglichen. Bild 4: U-förmige Verankerungskonsolen Bild 5: Verankerung in Feld 27 Bild 6: Umlenkkonsolen 4. Messkonzept für die spätere Spannkraftkontrolle Im Rahmen der Verstärkungsmaßnahme wurde durch den Brückenbetreiber auch ein umfangreiches Messkonzept entwickelt und umgesetzt. Jeweils vier der acht Längsspannglieder sind durch DYWIDAG mit Kraftmessdosen ausgestattet worden. Zusammen mit Dehnungsaufnehmern in Feldmitte und einer drahtlosen Datenkommunikation zu einem zentralen Server können somit etwaige Veränderungen der Konstruktion kurzfristig erkannt werden. 5. Einbau der Spannglieder Der Einbau der zusätzlichen Längsspannglieder erfolgte durch ein Team der DYWIDAG zusammen mit der örtlichen, für die Sanierungsmaßnahme durch die Autostrade per l’Italia beauftragten, Bauunternehmung. Bedingt durch die feldweise Verstärkung hat sich mit Fortgang des Projektes schnell auch ein sich wiederholender Einbauablauf eingespielt. Durch die hohe Flexibilität und enge Zusammenarbeit mit dem Team der Bauunternehmung konnte somit der Ablauf routiniert und zügig abgewickelt werden. 5.1 Anlieferung und Einziehen Die Anlieferung der Spannglieder erfolgte i.d.R direkt vor dem Einbau der Spannglieder. Erfolgte die Andienung der Spannglieder im Bereich der ersten Flussfelder noch über das Zugangsgerüst zwischen den Überbauten, so wurden die Spannglieder in Flussmitte von der Fahrbahn mittels eines Autokrans auf das Gerüstniveau herabgelassen und von dort aus direkt mittels einer Winde durch die Umlenksättel in die finale Spanngliedlage gebracht und temporär auf dem Gerüst abgelegt. Dies erfolgte in der Regel im Rahmen einer max. 6-8-stündigen Sperrung am Wochenende, wobei jeweils acht bis sechszehn Spannglieder im Rahmen einer Sperrung eingezogen werden konnten. Die Sperrung wurde u. a. auch erforderlich, damit das jeweilige Brückenfeld einer vermessungstechnischen 0-Messung unterzogen werden konnte. 196 5. Brückenkolloquium - September 2022 Nachhaltige Verstärkung der 1,8 km langen Spannbetonbrücke auf der A13 bei Ferrara, Italien, durch externe Vorspannung Bild 7: Andienung der Spannglieder Bild 8: Einziehen der Spannglieder auf Gerüstniveau Bild 9: Temporäres Ablegen des Spanngliedes 5.2 Spannen der Längsspannglieder Prinzipiell ist das Spannen von Längsspanngliedern auch unter Verkehr möglich, jedoch wurde im Rahmen dieses Projektes eine begleitende Verformungsmessung des Überbaus auf Fahrbahnniveau während der einzelnen Spannschritte durchgeführt, um die auftretende Anhebung des Trägers z. B. in Feldmitte mit den prognostizierten Werten zu vergleichen. Dadurch bedingt erfolgten die Spannarbeiten jeweils in einem Nachteinsatz (max. 6-8 Stunden) unter einer erneuten Sperrung des Brückenabschnitts. Die Auslesung der Kraftmessdosen am Festanker sowie des Hydraulikdrucks der Spannpressen am Spannanker und die Ergebnisse der festgestellten Verformungen auf der Fahrbahn führten darauf hin zu entsprechenden Anpassungen der finalen Absetzkräfte des Spannsystems. In Feld 27 kam erschwerend hinzu, dass zum Spannen der Draht EX-Spannglieder aufgrund des geschlossenen Stützquerträgers nur ein begrenzter Arbeitsraum von ca. 70 cm vorhanden war. Durch Verwendung entsprechender Sonderspannpressen konnten auch diese Felder voll vorgespannt werden. Bild 10: Spannen der Spannglieder 6. Zusammenfassung Die Verstärkung einer Bestandsbrücke mit Spanngliedern muss zügig und mit möglichst geringem Einfluss auf die Nutzung der Brücke durchgeführt werden können. Eine einfache Anpassung der Spannglieder an die jeweiligen Bedingungen und Anforderungen des Bestandbauwerkes ist Grundlage für eine erfolgreiche Abwicklung einer Verstärkungsmaßnahme. Im Rahmen der ersten Phase des Verstärkungsprojektes der Autobahnbrücke über den Po bei Ferrara konnten durch die Verwendung werksmäßig vorkonfektionierter DYWIDAG-Drahtspannglieder die für den Einbau der Spannglieder notwendigen Sperrungen zeitlich minimiert werden. Mit dem Einbau von insgesamt 64 Spanngliedern des Typs DYWIDAG-Draht EX in insgesamt acht Brückenfelder ist nun die Grundlage für eine weitere nachhaltige Nutzung der Bestandsbrücke gelegt. Durch die feldweise Sanierung und insbesondere die enge Zusammenarbeit zwischen der Autostrade per l’Italia, den beauftragten Bauunternehmen und DYWIDAG konnten die Arbeitsabläufe weiter optimiert und der Einbau der Spannglieder zügig durchgeführt werden. Der Anfang ist gemacht! Literaturnachweis [1] Europäische Technische Bewertung SUSPA-Draht EX, Externes Spannverfahren für das Vorspannen von Tragwerken mit 30 bis 84 Spannstahldrähten, DYWIDAG-Systems International GmbH 5. Brückenkolloquium - September 2022 197 Sofortmaßnahmen für 40-t-Lkws Instandsetzung des Riddes-Viadukts Stéphane Cuennet Bundesamt für Strassen, Ittigen - CH Jean-Marc Waeber Bundesamt für Strassen, Ittigen - CH Zusammenfassung Das 1,25 km lange «Viadukt von Riddes» ermöglicht es einer Kantonsstraße, nacheinander eine Eisenbahnlinie (SBB- SBB), eine Nationalstraße (N09) und einen Fluss (Die Rhône) zu überqueren. Auf der Höhe der Autobahnüberquerung befindet sich ein Anschluss, der aus vier Rampen besteht. Dieses imposante Bauwerk, das zu 65 % dem ASTRA und zu 35 % dem Kanton Wallis im Eigentum steht, wurde 1976 in Betrieb genommen. Wie jedes Inventarobjekt unseres Netzes war es Gegenstand der alle fünf Jahre stattfindenden Hauptinspektionen. Trotzdem musste kürzlich von den Bauherren eine Sofortmassnahme beträchtlichen Umfangs ausgelöst werden. Ziel dieses Artikels ist es, anhand dieses Falles die Bedeutung und die Folgen nicht umfassender Inspektionen aufzuzeigen und die Sofortmassnahmen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und zur Instandsetzung zu erläutern. Abb.1: Allgemeine Lage Abb 2: Gesamtübersicht 198 5. Brückenkolloquium - September 2022 Sofortmaßnahmen für 40-t-Lkws 1. Einleitung Anfang 2019 gab das Bundesamt für Strassen (ASTRA) eine Studie in Auftrag, um dieses Bauwerk, das in der Erdbebenzone (Z3b) mit der stärksten Erdbebengefährdung in der Schweiz liegt, zu sanieren und erdbebensicher zu machen. Trotz der schwierigen und beschwerlichen Zugänglichkeit wurden erstmals Besichtigungen im Inneren der gesamten Hohlkästen der Fahrbahndecke vorgenommen. Diese zeigten erhebliche, von außen nicht sichtbare Schäden, darunter Betonschäden aufgrund der Alkali-Aggregat-Reaktion (AAR) sowie erhebliche Querschnittsverluste durch Korrosion der passiven und aktiven Bewehrung, die durch das Eindringen von Chloriden verursacht wurde. Diese visuelle Zustandserfassung wurde im Sommer und Herbst 2019 durch eine umfangreiche Untersuchungskampagne ergänzt, um eine zuverlässige Bestandsaufnahme des gesamten Bauwerks zu erhalten. Die festgestellten schwerwiegenden Mängel erforderten als Vorsichtsmaßnahme eine sofortige Verkehrsbeschränkung, indem die Zufahrt auf das Viadukt nur noch für Fahrzeuge mit einem Maximalgewicht 3,5 t zugelassen wurde. Um eine Wiedereröffnung für den 40-t-Verkehr zu ermöglichen, und eine irreparable Verschlechterung aufgrund der Entwicklung der AAR zu vermeiden, wurden ein Massnahmenprojekt sowie Arbeiten als Sofortmaßnahme geplant. Das gewählte Konzept lenkte den gesamten Verkehrsfluss im Gegenverkehr auf das linke Viadukt und setzte das am stärksten beschädigte rechte Viadukt außer Betrieb. Der Bereich über der Nationalstraße mit den Anschlussrampen musste beibehalten werden, während beide Viadukte in Betrieb waren. Diese Änderung ermöglichte es, das Ausmaß der Eingriffe auf die für den Betrieb unbedingt notwendigen Erfordernisse zu optimieren. Die Arbeiten bestanden darin, die Brückendecke mit einer Schicht aus bewehrtem UHFB zu überziehen, um die Fahrbahnplatte und die Auflagerbereiche der Brückendecke zu verstärken. Das Auflagersystem wurde unter Berücksichtigung der seismischen Einwirkungen überarbeitet. Das defekte Entwässerungssystem wurde ausgebaut und durch ein neues ersetzt, das unter den Konsolen befestigt wurde. Im Inneren der Hohlkästen wurden lokale Reparaturen und Verstärkungen durchgeführt. 2. Geschichte des Bauwerks „Es stand von Anfang an unter keinem guten Stern! “ Nach weniger als fünfzehn Jahren in Betrieb wies das Bauwerk aufgrund von Konstruktionsfehlern bereits erhebliche Schäden auf, die seine Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit beeinträchtigten. Die Konstruktionsfehler, deren Auswirkungen bereits Ende der 80er-Jahre deutlich sichtbar waren, betrafen vor allem die Details der Abdichtung und des Belags sowie in den Verbindungen der Brückenplatte. Hier ist eine Chronologie der wichtigsten Fakten, die im Zusammenhang mit diesem Objekt erhoben wurden: 1972 Baubeginn des Viadukts 1976 Inbetriebnahme des Bauwerks 1988 Teilweise Inspektion des Inneren der Hohlkästen; Sanierung der stark gerissenen Beläge. 1990 Bericht „Dringlichkeit der auszuführenden Arbeiten“ 1992 Sanierungsprojekt 1994 Arbeiten der ersten Dringlichkeit: Auflager / Fahrbahnfugen / Anheben von Widerlagern / Verbreiterung von Pfeilerköpfen 1995-1998 Arbeiten der zweiten Dringlichkeit: Ausbesserung / vollständiger Austausch des Abdichtungssystems mit Abdichtung der Druckentlastungsöffnungen + Belag / Kanalisationen / vor Ort gegossene Brückenränder / Austausch der Rückhaltesysteme / lokale Betonreparaturen. 2012-2014 Konzept und Massnahmenprojekt basierend auf der Inspektion von 2009. Dieses Projekt umfasste lediglich einige lokale Instandsetzungsarbeiten an den Pfeilern in der Nähe der Autobahn sowie die Verbreiterung der Auflagerbänke. 2017 Erdbebensicherheitsstudie 2019 Mandatsvertrag zur Erstellung eines aktualisierten Massnahmenprojekts, das auf dem Projekt von 2014 sowie dem Konzept zur Erdbebenertüchtigung von 2017 basiert. Ende März 2019 wurde eine vollständige Inspektion des Inneren der Senkkästen durchgeführt. Die Hohlkästen waren 1988 nur teilweise inspiziert worden. 07.2019 Ein Verbot für den Verkehr > 3,5 t (Abb. 3) einschließlich einer Umleitungsstrecke für LKWs wurde eingerichtet. Initiierung einer großen Untersuchungskampagne als Sofortmaßnahme 01.2021 Grundsätzliche Bestätigung des Maßnahmenprojekts durch den Lenkungsausschuss und Bestätigung der Notwendigkeit, die Arbeiten so schnell wie möglich durchzuführen, um die Erhaltung der Bausubstanz garantieren zu können. 02.2021 Vorbereitungsarbeiten (Baustelleneinrichtung) 03.2021 Beginn der Arbeiten 12.2021 Verkehrsfreigabe auf dem Bauwerk im Frühling 2022 Ende der Bauarbeiten. 5. Brückenkolloquium - September 2022 199 Sofortmaßnahmen für 40-t-Lkws Abb 3: Ausfahrt 24 Riddes verboten für Fahrzeuge mit +3,5 t 3. Ergebnisse der Zustandserhebung und der Untersuchungen In einem ersten Schritt wurde eine kritische Analyse des Bauwerks erstellt, die die anfänglichen konzeptionellen Defizite aufzeigte. Dazu gehörten eine hohe Schlankheit des Feldes über der Autobahn, niedrige Kastenhöhen, inhomogene Spannglieder und Bewehrungsdetails im Bauwerk, relativ geringe Betondicken sowie Probleme mit den Ausrüstungen. In einem zweiten Schritt wurden visuelle Inspektionen des Inneren der Hohlkästen durchgeführt. Dabei wurden zahlreiche Schäden festgestellt, darunter: Wasserinfiltrationen, Schäden am Entwässerungssystem, Schäden an den Spannkabeln, Risse in den Hohlkästen, Betonschäden an der Fahrbahn- und der Bodenplatte. In einem dritten Schritt wurden verschiedene vertiefende Untersuchungen an Beton, Bewehrung und Vorspannung verordnet und begutachtet. Daraus ergaben sich zahlreiche kritische Punkte. • Die Vorspannkabel sind durch Korrosion angegriffen und einige sind durchtrennt und entspannt; die Hüllrohre weisen Wassereinbrüche auf und der Füllmörtel ist mit Chloriden kontaminiert. • Die Hohlkästen sind in einigen Feldern trotz vollständiger Vorspannung ungewöhnlich stark gerissen. • Lokale Bereiche der Fahrbahnplatte und der unteren Platte weisen zerbröckelnden Beton mit stark korrodierten Bewehrungen auf. • Betonabplatzungen, die korrodierte Bewehrung freilegen, sind an der Innenseite der Fahrbahnplatte, der Stege und der unteren Platte vorhanden. • Eine signifikante Entwicklung der AAR bis zum Kern der Querschnitte mit einer Beeinträchtigung der mechanischen Eigenschaften ist im gesamten Bauwerk einschließlich der Fundamente vorhanden. • Die Chloridgehalte im Beton der Fahrbahnplatte sind lokal sehr hoch. • Die Karbonatisierungsfront erreicht in weiten Bereichen das Niveau der Bewehrung. • Die Abdichtung der Fahrbahnplatte und das Entwässerungssystem sind defekt. In den letzten Inspektionsberichten aus dem Jahr 2015 wurde das Viadukt als in akzeptablem Zustand (Zustandsklasse 2) eingestuft. Angesichts der Schäden und Mängel, die bei der umfassenden Inspektion des Hohlkasteninneren aufgelistet wurden, wurde er jedoch auf einen schlechten Zustand (Zustandsklasse 4) herabgestuft. Darüber hinaus mussten drei Bereiche des Viadukts aufgrund der kumulierten Schäden und der fortgeschrittenen Degradierung in einen alarmierenden Zustand (Zustandsklasse 5) eingestuft werden. Abb 4: Schäden an der Decke der Kästen Abb 5: sehr aggressive Korrosion an Spannstahl Angesichts der aufgelisteten Mängel und des pathologischen Entwicklungszustands der AAR auf dem gesamten Viadukt war eine Wiederinbetriebnahme des Bauwerks für den schweren Strassenverkehr ohne Verstärkungsmassnahmen nicht denkbar. Es ist zu betonen, dass der von der AAR verursachte Verfallsprozess anisotrop und schwer kontrollierbar ist. Die vorrangige Methode zur Wiederherstellung eines gesunden strukturellen Zustands und zur deutlichen Verlangsamung der Schädigungsprozesse bestand darin, dass durch die Fahrbahnplatte eindringende Wasser zu beseitigen und die Fahrbahnplatte zu verstärken. Die Dringlichkeit der Erhaltungsmassnahme ergab sich aus der Tatsache, dass das Bauwerk in diesem Zustand nicht mehr für den Schwerlastverkehr genutzt werden konnte. Tatsächlich waren die beobachteten Schäden schwerwiegend und laut Experten in der Schweiz bisher nur selten gemeldet worden. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die Korrosion der Vorspannkabel und die Entwicklung der AAR zu einem erheblichen Verlust der mechanischen Eigenschaften geführt haben. Da- 200 5. Brückenkolloquium - September 2022 Sofortmaßnahmen für 40-t-Lkws rüber hinaus beschleunigen ungewöhnlich hohe Chloridwerte im Beton die Korrosionsprozesse. Abb 6: Bindemittelfüllungslücke und Risse in der Paste und den reaktiven Aggregaten Besonderheiten der Alkali-Aggregat-Reaktion (AAR) Aufgrund der Untersuchungen konnte davon ausgegangen werden, dass das gesamte Viadukt bis zum Kern signifikant von AAR betroffen ist. Selbst in visuell „gesunden“ Bereichen ist das Auftreten von AAR oft signifikant. Mikroskopische Analysen von Dünnschliffen zeigten eine systematische Ausrichtung der Risse parallel zu den Oberflächen der unteren Platten und der Deckschichten. Diese mikrostrukturelle Anisotropie induziert eine Anisotropie der mechanischen Eigenschaften, die teilweise nachgewiesen werden konnte. Dies deutet darauf hin, dass die gemessenen Verluste an mechanischen Eigenschaften derzeit wahrscheinlich unterschätzt werden. Diese Orientierung der AAR-Rissbildung in der Ebene war auch die Ursache dafür, dass es nicht möglich war, signifikante Anzeichen von AAR durch visuelle Inspektion in den Hohlkästen zu erkennen. Ohne Intervention wird sich das Schadensphänomen weiterentwickeln und beschleunigen, bis es allgemein das „pathologische“ Stadium erreicht, indem es den Verlust der mechanischen Eigenschaften des Betons vorantreibt: - durch die Entwicklung neuer Risse und die Verdichtung der Rissbildung, insbesondere jener, welche eine Blätterbildung des Betons in den Platten erzeugt, - durch die Entwicklung von Ablösungen zwischen der Zementmasse und den Aggregaten. Eine Verstärkung der Struktur war daher unerlässlich. Es ist anzumerken, dass 2012 durchgeführte Untersuchungen die AAR-Problematik erwähnten, ohne deren Entwicklung in den Betonen der Fahrbahn und der Pfeiler aufzuzeigen. Die Untersuchungen 2019-2020 zeigen nun, dass der Beton des Viadukts signifikant von AAR betroffen ist, was auf einen besonders schnellen Verfall hindeutet. 4. Tragwerksanalyse und Überprüfungen 4.1 IST-Zustand Bei der Prüfung der Struktur wurden verfeinerte Nachweise des bestehenden Bauwerks durchgeführt, die auf einer Aktualisierung der Materialwiderstände und der Einwirkungen basierten. Diese wurden unter Berücksichtigung von zwei Szenarien durchgeführt: „ohne“ und „mit“ Schäden, um eine geringere Betonqualität und Korrosion der Bewehrung bzw. der Spannglieder zu berücksichtigen. Aufgrund der vollständigen Vorspannung in Längsrichtung wies das bestehende Viadukt ein hohes Widerstandsniveau auf. Tatsächlich zeigte die Analyse der Brücke „ohne“ Schäden, dass die verschiedenen Abschnitte, einschließlich der Rampen, sowohl in Längsals auch in Querrichtung eine konforme Biege- und Querkraftfestigkeit aufwiesen. Nur ein Bereich wies eine unzureichende Querkraftfestigkeit auf. Die Analyse der Brücke „mit“ Schäden ergab hingegen mehrere Bereiche mit unzureichender Erfüllungsgraden, die verstärkt werden mussten. Die durchgeführten statischen Überprüfungen zeigten folgende kritische Punkte auf: • eine unzureichende seismische Kapazität, insbesondere in Bezug auf den Querkraftwiderstand der Pfeiler und Fundamente, • ein lokal unzureichender Schubwiderstand der Brückendecke, • in Längsrichtung: lokale Unzulänglichkeiten der Biege- und Querkraftwiderstände aufgrund des Verlusts von Vorspannkabeln durch Korrosion, • in Querrichtung: lokale Unzulänglichkeiten des Querkraftwiderstands der Fahrbahnplatte aufgrund der Entwicklung von AAR und dem Verlust von Bewehrungsquerschnitten, • unzureichender Widerstand der Pfeiler in der Nähe von Eisenbahngleisen gegenüber dem Anprall. 4.2 Verstärker Zustand 4.2.1 Statische Untersuchungen Im Rahmen des Massnahmenprojekts wurden statische Analysen durchgeführt, um die Verstärkung aus bewehrtem UHFB zu bemessen. Angesichts der Verstärkung der Fahrbahnplatte berücksichtigen die Verkehrslasten den Straßenverkehr bis 40 t, einschließlich mobiler Kräne bis zu 96 t. 4.2.2 Queranalyse Elastische Analyse: Die Kräfte in der Fahrbahnplatte wurden durch eine lineare elastische Analyse mithilfe eines Schalenmodells ermittelt. Parallel dazu wurde die Festigkeit durch Querschnittsberechnungen bewertet, die die mit der bewehrten UHFB Schicht verstärkte Fahrbahnplatte umfassten. Die Nachweise zeigten, dass die Festigkeit höher ist als die Beanspruchung, selbst unter Berücksichtigung von Betonschäden und Korrosion der Bewehrung. Darüber 5. Brückenkolloquium - September 2022 201 Sofortmaßnahmen für 40-t-Lkws hinaus verfügt die Platte über Umlagerungsfähigkeiten für Biegebeanspruchungen. Die Querkraftwiderstand der durch AAR-Effekte beschädigten Platte kann sich schnell verschlechtern und einen lokalen Sicherheitsmangel darstellen. Die bewehrte UHFB Schicht, die fest mit der Platte verbunden ist, leistet selbst bei einer geringen Dicke (50 mm) einen wichtigen Beitrag zum Querkraftwiderstand und kompensiert die Festigkeitsverluste des beschädigten Betons aus. 4.2.3 Längsanalyse Elastische Analyse: Die statischen Nachweise in Längsrichtung wurden mit Finite-Elemente-Modellen vom Typ Balken modelliert. Querschnittsänderungen und Vorspannungen wurden ebenfalls in den Modellen berücksichtigt. Kritische Querschnitte wurden unter Einbeziehung von UHFB-Verstärkungen und Schäden überprüft. Einige Querschnitte im Feld „mit“ Beschädigung erreichten keinen einheitlichen Erfüllungsgrad. Die Widerstandsreserve auf der Stütze ermöglicht es jedoch, die Fehlstellen im Feld zu decken, wenn man von mäßigen Umlagerungsfähigkeiten der Kräfte ausgeht. Analyse nach der kinematischen Methode: Statische Längsanalysen für ein laufendes Feld des Hauptviadukts und ein laufendes Feld der Zubringer wurden mit der kinematischen Methode durchgeführt, um einen Wert für die Grenzlast zu ermitteln. Für diese Felder wurde der wahrscheinlichste Versagensmechanismus (Abb. 7) durch drei plastische Gelenke definiert. Die Gleichheit der Arbeitsgleichung ergibt dann den Koeffizienten, der die externe Arbeit und damit die Lasten erhöht. Abb 7: Versagensmechanismus eines laufenden Feldes • Die Bewertung der laufenden Spannweite eines Zubringers ergibt den Koeffizienten gM = 1,59. • Die Bewertung des laufenden Felds des Hauptviadukts ergibt den Koeffizienten gM = 1,75. • Gemäß dem in der Projektbasis festgelegten Ziel sollte dieser Gesamtwiderstandskoeffizient folgende Werte erreichen gM ≥ 1.2 erreichen, um die Anforderungen an die Tragsicherheit zu erfüllen. Nichtlineare Analyse Ein laufendes Feld des Hauptviadukts sowie ein laufendes Feld der Zubringer (Abb. 8) wurden mit Hilfe von 3-D-Finite-Elemente-Modellen detailliert analysiert. Die Struktur wurde durch ein Netz diskretisiert, das aus Volumenelementen für den Beton, aus „Kabel“-Elementen für die Vorspannung und aus Membranelementen für die passive Bewehrung bestand. Abb 8: Teil des Modells der Nordostspange (ohne Fahrbahnplatte) Geometrische und materielle nichtlineare Analysen wurden durchgeführt, um die Rissbildung im Beton zu berücksichtigen und so die Umlagerungsfähigkeit der Kräfte zwischen den Bereichen im Feld und den Bereichen auf den Pfeilern auszunutzen, wo der Beitrag der bewerten UHFB-Schicht wichtig ist. Diese Analyse ermöglichte es, mit zunehmender Belastung die Entwicklung der Spannungen und die Bildung von Plastikgelenken zu verfolgen und schließlich den Einsturzmechanismus zu ermitteln. Die Analyse wurde mit den charakteristischen Werten des Materials und der Belastung durchgeführt. Die bewehrte UHFB-Schicht wurde zunächst als Last betrachtet und dann aktiviert, um einen Spannungszustand zu erhalten, der für die Belastungsgeschichte repräsentativ ist. Anschließend wurden die Verkehrslasten aufgebracht. Während der Laststeigerung wurden die Einwirkungen durch ihre jeweiligen Lastfaktoren verstärkt. Die Gesamtheit der Einwirkungen wurde dann um einen Faktor erhöht, der als Gesamtwiderstandskoeffizient für das Material interpretiert werden kann. Dieser Koeffizient musste den Mindestwert von gM ≥ 1.2 erreichen, um die Anforderung an die strukturelle Sicherheit des Bauwerks zu erfüllen. Alle untersuchten nichtlinearen Berechnungsszenarien (mit und ohne verstärkende UHFB-Schicht) führten zu einem konformen Sicherheitsfaktor. Insgesamt ermöglichte die Hinzufügung einer verstärkenden UHFB-Schicht: • die Biege- und Torsionssteifigkeit der Struktur zu erhöhen und dadurch Verschiebungen und Drehungen zu reduzieren, • die maximale Öffnung von Rissen zu verringern, • die Spannungen in den Bügeln im Auflagerbereich gleichmäßiger zu verteilen. Die fortgeschrittenen nichtlinearen Berechnungen waren sehr nützlich, da die Ergebnisse zu einem besseren Verständnis des Tragverhaltens führten, indem sie realistischere Werte für die Festigkeit und signifikante Reserven 202 5. Brückenkolloquium - September 2022 Sofortmaßnahmen für 40-t-Lkws der Tragfähigkeit der mit bewehrtem UHFB verstärkten Struktur lieferten. 5. Sichernde Sofortmassnahmen und Instandsetzung 5.1 Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr Aufgrund der verschiedenen Beobachtungen, die im Laufe der Studien gemacht wurden, mussten Sofortmaßnahmen im Bereich des Verkehrsmanagements getroffen und angeordnet werden. • Das Bauwerk wurde zunächst für Sonder- und Spezialtransporte > 44 t gesperrt, nachdem Schäden im Inneren der Hohlkästen festgestellt worden waren. • Als Sofortmaßnahme wurde eine Untersuchungskampagne eingeleitet, um den Zustand der Vorspannkabel und des Betons zu untersuchen. • Das Bauwerk wurde darauf hin für den Schwerverkehr > 3,5 t gesperrt, da ein stark korrodiertes Spannkabel entdeckt wurde (siehe Abb. 3). • Es wurde eine Sondergenehmigung für im Einsatz befindliche Rettungsfahrzeuge bis 18 t (Blaulicht eingeschaltet) erteilt. • Das Verbot für Fahrzeuge > 3,5 t wurde bis zur Durchführung der Verstärkungen aufrechterhalten, da sich die Schäden in einigen Bereichen kumuliert haben. • Für Schneeräumfahrzeuge wurde eine Sonderbewilligung mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 60 km/ h und einem Abstand von 100 m zwischen den Lastwagen erteilt. Ziel der Erhaltungsmassnahme war es, das Viadukt für den freien Straßenverkehr wieder in Betrieb zu nehmen. Der rechte Viadukt wird nicht mehr genutzt, und der linke Viadukt unterstützt den Gegenverkehr. Am Autobahnanschluss wurden der linke und der rechte Viadukt in Betrieb gehalten, um die Funktion des Anschlusses zu gewährleisten. 5.2 Typologie der Hauptmaßnahmen 5.2.1 Umfang Die Sofortmaßnahmen umfassten: • Einbringen einer Verstärkungs- und Abdichtungsschicht aus armiertem, Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) auf der gesamten Fahrbahnplatte, um das Eindringen von Wasser zu verhindern und die Platte zu verstärken, • Lokale Sanierung der unteren Platte des Hohlkastens mit einer Schicht aus armiertem UHFB sanieren, • Kompensation inaktiver Spannglieder durch zusätzliche Vorspannung im Inneren der Hohlkästen in drei Bereichen der Passage über die Nationalstraße, • Verstärkung der Festigkeit der Querschnitte der Randfelder der Rampen mit unter die Fahrbahnplatte geklebten CFRP*-Lamellen, * Pultrudierte Lamellen aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff • Änderung des Straßenentwässerungssystems, um die Sammelleitungen im Inneren der Hohlkästen zu entfernen. • Verbreiterung einiger Pfeilerköpfe und Änderung des Auflagersystems, um den Anforderungen der Erdbebensicherheit zu entsprechen. Im Folgenden werden nur die ersten drei Maßnahmen näher erläutert. 5.2.2 Fahrbahnplatte Die Fahrbahnplatte wurde mit einer bewehrten UHFB- Schicht verstärkt und geschützt. Diese Schicht erfüllte die folgenden drei Funktionen: • Verstärkung der Fahrbahnplatte gegen Biegung und Schub, • Verstärkung der Fahrbahnplatte in Längsrichtung gegen Biegung und Querkraft in den aufgestützten Bereichen, • Abdichtung der Fahrbahnplatte. Diese Schicht wurde mit einer konstanten Dicke von 50 mm versehen, außer an den Rändern der Platte, wo die Dicke 80 mm beträgt, um die mechanische Verankerung mit den vorhandenen Bewehrungen zu erreichen. Ein UHFB der Klasse UB-C120 wurde für diese Verstärkung spezifiziert. Abb. 9: Einbau von Bewehrung (links), Einbau von UHFB abgeschlossen (rechts) Nach dem Abfräsen und Mikrofräsen des Belags und der Abdichtung wurde die gesamte Oberfläche der Fahrbahnplatte 20 mm dick hydroabgetragen, um den beschädigten Beton zu entfernen und eine ausreichend raue Oberfläche für die Verbindung des UHFB zu gewährleisten. In der Nähe der Brückenränder wurden 30 cm breite und 50 mm tiefe Einschnitte vorgenommen, um die UHFB- Schicht mit der vorhandenen Bewehrung zu verankern. Die Bewehrung bestand aus Stäben mit einem Durchmesser von 12 mm in beiden Richtungen. Der UHFB wurde hauptsächlich mechanisch mittels eines schienengebundenen Fertigers eingebaut. Für jeden Hohlkasten wurden zwei Queretappen mit einer Breite von 4,50 m für das Hauptviadukt und 3,60 m für die Rampen durchgeführt. Die Arbeitsfuge wurde in der Dicke der Verstärkung stufenförmig ausgeführt. Die be- 5. Brückenkolloquium - September 2022 203 Sofortmaßnahmen für 40-t-Lkws wehrte UHFB-Schicht wurde mit einer gleichmäßigen Dicke eingebaut, die dem bestehenden Längenprofil der Betonfahrbahnplatte folgt. Die Unterseite der Fahrbahnplatte innerhalb der Hohlkästen wurde nicht instandgesetzt. Die UHFB-Verstärkung auf der Oberseite der Fahrbahnplatte ist ausreichend, um die festgestellten Schäden zu beheben. Die Entwicklung der Schäden wird jedoch weiterverfolgt. 5.2.3 Untere Platte des Hohlkastens Die stark beschädigten unteren Platten der Hohlkästen wurden mit einer Schicht aus bewehrtem UHFB mit einer konstanten Dicke von 55 mm saniert. Diese Instandsetzung war notwendig, um die Querschnitte wiederherzustellen, die für das Gleichgewicht der Biegekräfte in Längsrichtung in Verbindung mit einer Verstärkung der oberen Platte in den Auflagerbereichen erforderlich waren. Für diese Verstärkung wurde ebenfalls ein UHFB der Klasse UB-C120 spezifiziert. Die Oberseite der Platte wurde in den zu behandelnden Bereichen 30-50 mm dick hydroabgetragen, um den beschädigten Beton zu entfernen und die Bewehrung freizulegen. Die Verstärkungsbewehrung bestand ebenfalls aus Stäben mit einem Durchmesser von 12 mm in beiden Richtungen. Die Bewehrungsstäbe wurden in die Stege eingelegt, um die Verstärkung mit der Fahrbahn zu verbinden. In jedem behandelten Feld wurde vorab eine 1 x 1 m oder 1 x 2 m große Öffnung in der Fahrbahnplatte durch Kernbohrungen erstellt, um die Arbeiten durchzuführen (Abb. 10). Der UHFB wurde von Hand eingebracht und die Zwickel wurden mit der UHFB-Schicht wiederhergestellt. Diese Öffnung wurde anschließend wieder mit bewehrtem Beton geschlossen, bevor die Verstärkung der oberen Platte angebracht wurde. Abb. 10: Einbau von UHFB in die Kästen 5.2.4 Zusätzliche Vorspannung Bei den Untersuchungen der Vorspannung wurden 4 nicht injizierte und durchtrennte Spannkabel an mehreren Feldern des Viadukts im Bereich über der Nationalstraße und an einer Rampe festgestellt. Die statischen Analysen zeigten, dass trotz des Verlustes von 30 % des Querschnitts der Spannglieder die Gesamtsicherheit eines gängigen Feldes der Rampen gewährleistet ist. Folglich wurde der nachgewiesene Verlust dieses Spannkabels nicht kompensiert. Die Spannfelder der Überführung über die Nationalstraße mit nachgewiesenen Kabelverlusten sind hingegen besonders, da sie die Vorläufe der Rampen verbinden und daher überlastet sind. Für diese drei besonderen Spannfelder wurde eine zusätzliche externe Vorspannung eingesetzt, um die Verluste auszugleichen. Für jedes betroffene Feld bestand diese Vorspannung aus einem Kabel mit 7 Litzen, das im Inneren des Hohlkastens angeordnet war. Das Kabel hat einen polygonalen Verlauf und verläuft über ein bis zwei Felder. In einem Drittel des Feldes wurden Umlenkungen aus Stahlbeton errichtet. Die vorhandenen Streben ermöglichten die Umlenkung auf Abstützungen. An jedem Umlenker und an jeder Strebe wurden Stahlsättel angebracht, um das Kabel richtig auszurichten. An jedem Ende wurde hinter der aufgestützten Strebe bzw. vor der Endstrebe für Randfelder ein Verankerungsmassiv erstellt. Abb. 11: Zusätzliche Vorspannung für ein Feld des Übergangs über die N09 6. Überwachung und Ersatz des Bauwerks im Laufe der Zeit Die Verstärkung sowie die Instandsetzung und der Schutz des vorgespannten Stahlbetons mithilfe des bewehrten UHFB resultiert in einer Konstruktion, die in Bezug auf Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit verbessert wurde. So wird das verbesserte Viadukt eine Nutzungsdauer haben, die weit über die in der Nutzungsvereinbarung festgelegte Mindestanforderung von 15 Jahren hinausgeht, vorausgesetzt, dass die AAR infolge der Abdichtung der exponierten Betonoberflächen durch die UHFB-Schicht wirksam gebremst werden kann. Um die Entwicklung des Zustands des Bauwerks zu verfolgen, wird ein Überwachungskonzept für das sanierte Viadukt erarbeitet, das die Stabilisierung des Zustands bestätigen soll. Der beschädigte und ausser Betrieb genommene Teil des Bauwerks wird ebenfalls Teil des Überwachungskonzepts sein und durch die Ausarbeitung eines Rückbaukonzepts ergänzt werden. Eine Studie über den langfristigen Betrieb des Anschlusses wird durchgeführt, um den zukünftigen Rückbau dieses Bauwerks, das mit einer Gesamtfläche von 33 000 m 2 zu den grössten Bauwerken der Schweiz gehört, zu antizipieren. Die Studien werden wahrscheinlich zu einem in Bezug auf die Grösse optimierten Bauwerk führen. Es ist anzumerken, dass die aktuelle Massnahme es ermöglichen sollte, den Ersatz auf einen fernen Horizont von mindestens einem Vierteljahrhundert oder sogar darüber hinaus zu verschieben. Kennzahlen - Länge der Brücke: 3.300 m‘ - Inbetriebnahme: 1976 - Gesamtfläche: 33.000 m 2 - UHFB-Fläche: ~ 22.000 m 2 - Bauzeit: 02.2021 - Frühling 2022 - Kosten: 23,5 Mio. CHF ohne MwSt. 204 5. Brückenkolloquium - September 2022 Sofortmaßnahmen für 40-t-Lkws 7. Schlussfolgerungen Die dringende Instandsetzung und Verstärkung dieses imposanten Viadukts wurde durch eine unvollständige und nicht sorgfältige Inspektion des Bauwerks über mehrere Jahrzehnte hinweg ausgelöst. Aufgrund des schwierigen Zugangs zum Inneren der Hohlkästen war in der Vergangenheit keine vollständige und sorgfältige Inspektion derselben durchgeführt worden. Ihr Zustand wurde als gesund angenommen, da von außen keine sichtbaren Schäden zu erkennen waren. Kürzlich ergab eine umfassende Inspektion jedoch, dass die Schäden im Inneren dieser Elemente fortgeschritten waren. Darüber hinaus haben Untersuchungen ergeben, dass das gesamte Viadukt bis zum Kern signifikant von AAR betroffen ist. Selbst optisch „gesunde“ Bereiche weisen oftmals signifikante Vorkommen von AAR auf. Um diesen vielfältigen Schadensursachen entgegenzuwirken, bestand die Hauptmaßnahme in der Erneuerung der Abdichtung der Fahrbahnplatte und der dauerhaften Verstärkung der gesamten Fahrbahnplatte durch eine Schicht aus bewehrtem UHFB, die auf der Oberseite des Decks verlegt wurde. Trotz des Umfangs der Aufgabe konnten die Planung und die Ausführung des Vorhabens dank der intensiven und reaktionsschnellen Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten unter Zeitdruck erfolgreich abgeschlossen werden. „Nehmen Sie nichts als gegeben an, wenn Sie es überprüfen können.“ Rudyard Kipling (englischer Autor 1865-1936) Bauherr: - Bundesamt für Strassen ASTRA (Schweiz) + Kanton von Wallis Entwurf und Tragwerksplanung und örtliche Bauleitung: - INGPHI SA Concepteurs d’ouvrages d’art, CH-1003 Lausanne Bauherrenunterstützung und Oberbauleitung: - Emch+Berger Ag - CH-3008 Bern Experten: - AAR: Dr J.G. Hammerschlag - TFB Romandie SA CH-1070 Puidoux - Vorspannung: Hans-Rudolf Ganz - Ganz Consulting CH-3178 Bösingen - UHFB: Prof. E. Brühwiler - Professor an der Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (ETH-L) Prüfingenieur: - Prof. E. Brühwiler - Professor an der Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (ETH-L) Ausführung: - «Consortium VEMA 111» (Weibel-Walo-Dénériaz-Evéquoz) Monitoring, Bauwerksprüfung, Schadenserfassung 5. Brückenkolloquium - September 2022 207 Sicherstellung der Verfügbarkeit einer Autobahnbrücke mithilfe von Bauwerksmonitoring BAB A4, Brücke über die Fulda bei Bad Hersfeld Dr.-Ing. Matthias Bode Die Autobahn GmbH des Bundes, Niederlassung Nordwest Dipl.-Ing. Ronald Stein GMG Ingenieurgesellschaft Dresden Prof. Dr.-Ing. Karsten Geißler TU Berlin, Fachgebiet Entwerfen und Konstruieren - Stahlbau Zusammenfassung Mit der Nachrechnungsrichtlinie [1] für Straßenbrücken wurde den Straßenverwaltungen seit 2011 ein Werkzeug zur Verfügung gestellt, das den besonderen Anforderungen an die Bewertung bestehender Brückenbauwerke gerecht wird. Die Bewertung der Tragfähigkeit und der Restnutzungsdauer kommt bei älteren Brücken allerdings häufig zu Ergebnissen mit Nachweisdefiziten. Über ein Bauwerksmonitoring nach Stufe 3 der Nachrechnungsrichtlinie kann zunächst das Tragwerksmodell optimiert werden. Zweitens können durch kontinuierliche Erfassung und Klassierung der objektbezogenen Einwirkungen bzw. resultierenden Beanspruchungen wichtige Informationen in die Nachrechnung eingebunden werden. Das betrifft sowohl die im GZT relevanten Extremwerte und Lastkombinationsfragen als auch die Beanspruchungskollektive für die Ermüdungsnachweise. Wichtig ist in jedem Fall, dass die Ziele der Messung klar definiert sind - dies wird auch mit der aktuellen Überarbeitung der Nachrechnungsrichtlinie noch einmal eindeutig gefordert. Nach eventueller Entscheidung für den Ersatz eines Bauwerkes vergehen bis zur Inbetriebnahme des Neubaus mehrere Jahre, in denen mit festgestellten Nachweisdefiziten verantwortungsvoll umgegangen werden muss. In diesen Fällen kann das sogenannte „sicherheitsrelevante Bauwerksmonitoring“ ein ergänzendes Element der Bauwerksprüfung bilden. Am Beispiel der Autobahnbrücke über die Fulda im Zuge der BAB A4 bei Bad Hersfeld werden die zur An-wendung kommenden Methoden und Ergebnisse des seit über 2 Jahren laufenden Bauwerksmonitorings im Detail dargestellt. Auf Basis der gemessenen Beanspruchungen konnte bei diesem Bauwerk die rechnerische Restnutzungs-dauer für die ermüdungskritischen Details soweit erhöht werden, dass diesbezüglich die weitere Nutzung bis zum Ersatzneubau sichergestellt ist. Darüber hinaus liefert das Monitoring Erkenntnisse, die auf andere Bauwerke übertragbar sind. Die Möglichkeiten, Grenzen und die sinnvolle Anwendung von Structural-Health-Monitoring werden mit Blick auf weitere Anwendungsbeispiele aus der Perspektive der Baulastträger, der Tragwerksplanung und der messtechnischen Umsetzung diskutiert. 1. Bauwerksmessungen und Bauwerksmonitoring an Straßenbrücken Bei der Bewertung der Tragfähigkeit und Ermüdungssicherheit von Straßenbrücken im Bestand bietet sich eine Möglichkeit, die es bei der Bemessung von Neubauten naturgemäß nicht gibt der Einsatz von Messungen und Monitoring am konkreten Bauwerk zur Feststellung der tatsächlichen Einwirkungen und Beanspruchungen. Mit der Unterscheidung Bauwerksmessung (im Sinne einer Kurzzeitmessung) und Monitoring sollen dabei jeweils etwas unterschiedliche Zielstellungen und Herangehensweisen charakterisiert werden. 1.1 Bauwerksmessung (Kurzzeitmessung) Unter Kurzzeitmessungen werden Messungen verstanden, die sich über einen Zeitraum von einem oder mehreren Tagen erstrecken und meist auf eine ganz konkrete Fragestellung abzielen. Dabei kann unterschieden werden: • Belastungsversuch: Messen der Tragwerksreaktionen (Dehnungen, Verschiebungen) unter einem definierten Belastungsfahrzeug und rechnerischer Vergleich • Statische Systemidentifikation: Gewinnen von Informationen über das Tragverhalten, z. B. Lage der neutralen Faser im Querschnitt, Zusammenwirken von Fahrbahn und Hauptträger, Querverteilung, Einspanngrade von Stabanschlüssen • Dynamische Systemidentifikation: Messung der Bauwerkseigenfrequenzen als Ausdruck der Systemsteifigkeiten und Vergleich mit den berechneten Eigenfrequenzen; Dies kann selbst dann sinnvoll sein, wenn das Bauwerk oder Bauteil gar keine Schwingungsprobleme aufweist, was bei Hauptträgern von Straßenbrücken den Normalfall darstellt. Die unmittelbare Gegenüberstellung von Messergebnissen und Berechnungen führt erfahrungsgemäß zu den besten Erkenntnissen. Daher ist es wichtig, neben den ge- 208 5. Brückenkolloquium - September 2022 Sicherstellung der Verfügbarkeit einer Autobahnbrücke mithilfe von Bauwerksmonitoring messenen Tragwerksreaktionen auch die Einwirkungen (i.A. Verkehrslasten) zu kennen. Wenn es sich einrichten lässt, ist ein Belastungsversuch mit einem eingewogenen Fahrzeug, das die Brücke auf genau definierten Spuren befährt, zu bevorzugen. Der Aufwand für die Sperrung der Brücke und die Bereitstellung eines geeigneten Belastungsfahrzeuges kann jedoch insbesondere bei Autobahnbrücken sehr hoch sein. In bestimmten Fällen können bei Verzicht auf einen Belastungsversuch mit Messungen unter fließendem Verkehr gute Ergebnisse erzielt werden. Durch Messung an Bauteilen mit kurzen Einflusslängen (z. B. Längsrippen bei orthotropen Fahrbahnplatten) können die Achsen von Fahrzeugen erkannt und anhand verschiedener, in diesem Beitrag vorgestellter Kriterien, kalibriert werden. Bei Kurzzeitmessungen ist zu berücksichtigen, dass zeitlich veränderliche Einflüsse z. B. infolge Temperatur das Ergebnis beeinflussen bzw. beeinträchtigen können. Eine Kurzzeitmessung ist immer nur eine Momentaufnahme. 1.2 Bauwerksmonitoring (Langzeitmessung) Bestimmte Informationen über Beanspruchungen von Straßenbrücken lassen sich nur durch Langzeitmessungen sinnvoll erfassen. Dazu gehören z. B.: • Beanspruchungskollektive infolge Verkehrslasten als Eingangsdaten für realitätsnahe Ermüdungsnachweise • Beanspruchungen infolge atmosphärischer Einflüsse wie Wind- oder Regen-Wind induzierte Schwingungen der Hänger von Stabbogenbrücken oder der Seile von Schrägkabelbrücken • Beanspruchungen infolge Temperatur bzw. Erddruck bei integralen Brücken • Häufigkeit bestimmter Einwirkungssituationen aus Verkehr (Sondertransporte, Stau, Begegnungshäufigkeiten) • Überlagerung der Extremwerte verschiedener Einwirkungen (z. B. Verkehr + Temperatur) Ein weiterer Aspekt, warum der Einsatz eines Bauwerksmonitorings sinnvoll sein kann, ist die Möglichkeit, bestimmte Zustände zu überwachen und Schäden zu erkennen (Structural-Health-Monitoring). Mit der Entwicklung der mobilen Datenübertragung in den letzten Jahren gewinnt dieser Aspekt immer mehr an Bedeutung. Damit solche Anlagen nicht auf der einen Seite ein trügerisches Sicherheitsgefühl erzeugen oder auf der anderen Seite durch häufige Fehlalarme für Verwirrung sorgen, sind solche Systeme sorgfältig zu planen [2]. 1.3 Nutzen von Bauwerksmessung und Monitoring Die bei Bauwerksmessungen erhobenen Daten sind nicht nur für das untersuchte Bauwerk interessant, die Erkenntnisse lassen sich häufig auch auf ähnliche Bauwerke übertragen. Sie können damit Impulse für die Weiterentwicklung von Berechnungsmethoden und Normen geben oder helfen, konstruktive Lösungen zu verbessern. Treten Schäden an einem Bauwerk auf, können Bauwerksmessungen häufig der Schlüssel zur Aufklärung der Schadensursachen sein. Mit der Einführung der „Richtlinie für die Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand“ [1], die in der Nachweisstufe 3 die Einbeziehung von Bauwerksmessungen erlaubt, wurde die normative Grundlage für deren Nutzung geschaffen. Wenn in den Nachweisstufen 1 und 2 Defizite festgestellt werden, ist die Durchführung von Bauwerksmessungen eine mögliche Lösung. In vielen Fällen zeigt es sich, dass durch Bauwerksmessungen und Monitoringmaßnahmen Reserven aufgedeckt werden können. Insbesondere wenn es um Ermüdungsnachweise von Stahlbrücken geht, ist ein Bauwerksmonitoring geeignet, realitätsnahe Eingangswerte für die Nachweisführung zu ermitteln. Bezüglich der Nachweise im Grenzzustand der Tragfähigkeit ist zu beachten, dass die Messungen auf Gebrauchslastniveau erfolgen und eine Extrapolation auf den GZT nicht ohne Weiteres möglich ist. Dennoch kann eine Systemidentifikation sinnvoll und zielführend sein. Da die größten Sicherheitsreserven häufig auf der Einwirkungsseite liegen, insbesondere bei exponierten Bauwerken, kann ein auf Monitoringdaten basierendes objektspezifisches Lastmodell ein Weg sein, die erforderlichen Sicherheiten nachzuweisen [3]. Die dafür zur Anwendung kommenden Methoden sind dann eher in Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie einzuordnen. Die meisten der hier angesprochenen Methoden der Bauwerksmessung wurden beim Bauwerk Fuldabrücke im Zuge der A4 angewendet und sollen in diesem Beitrag detailliert erläutert und bewertet werden. 2. Bauwerk BAB A4, Brücke über die Fulda 2.1 Tragwerk Das Bauwerk BW 2-2 Fuldabrücke im Zuge der BAB A4 bei Bad Hersfeld ist eine schiefe, dreifeldrige Brücke mit Stützweiten von 24,3 m - 36,45 m - 24,3 m. Die Stahlkonstruktion aus Hauptträgern und Querträgern ist genietet ausgeführt. Die Fahrbahntafel besteht aus Buckelblachen mit Auf beton. Der Überbau umfasst sieben Hauptträger aus Baustahl, die Gesamtbreite der Fahrbahntafel beträgt 24,0 m zwischen den Geländern, auf der 4 Fahrspuren und der Mittelstreifen angeordnet sind. Die Lagerachsen sind in einem schiefen Winkel von 68 gon zur Brückenachse ausgerichtet. Mit den Querträgern bilden die Hauptträger einen Trägerrost, welcher die Fahrbahnplatte trägt. Die Querträger sind in einem Abstand von 4,05 m angeordnet, der Hauptträgerabstand beträgt 3,73 m. 5. Brückenkolloquium - September 2022 209 Sicherstellung der Verfügbarkeit einer Autobahnbrücke mithilfe von Bauwerksmonitoring Abb. 1: Querschnitt des Überbaues (Ausschnitt) Abb. 2: Ansicht Brücke A4 über die Fulda 2.2 Historie Das Bauwerk wurde 1938/ 39 errichtet und im Krieg teilweise zerstört. Instandsetzungen der Hauptträger erfolgten 1946/ 48 (Südseite) und 1957/ 58 (Nordseite), teilweise wurde geschweißt. 1957/ 58 wurde außerdem die Fahrbahn samt Beton auf den Buckelblechen grundhaft erneuert, wobei Bewehrung, aber keine dezidierten Verbundmittel in den Beton eingebaut wurden. Das Bauwerk befand sich bis 2020 in Baulastträgerschaft von Hessen Mobil, seit 2021 ist die Autobahn GmbH des Bundes zuständig. Das bestehende Bauwerk soll ab 2024 durch einen Neubau mit größerer Breite ersetzt werden. Die Planungen und die vorbereitenden Arbeiten sind im Gange. Während der Errichtung des Ersatzneubaus werden die beiden südlichen Hauptträger mit ihrer Fahrbahnplatte zurückgebaut, der übrige Bestand wird ohne Mittelstreifen für den bauzeitlichen Verkehr genutzt. 3. Kurzzeitmessung zur Systemidentifikation mit Belastungsversuch 3.1 Statische Nachrechnung Im Jahr 2015 wurde eine vollständige statische Nachrechnung nach der „Richtlinie für die Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand“ [1] einschließlich Ermüdungsberechnung durchgeführt. Diese Berechnung umfasste die Brücke über die Fulda sowie deren konstruktiv ähnliches Nachbarbauwerk, das die A4 über die B62 und eine DB-Strecke überführt. Im Ergebnis dieser Nachrechnungen zeigten sich bei beiden Bauwerken eine ausreichende Tragsicherheit im GZT, jedoch große Defizite im Nachweis der Ermüdung. Die Ermüdungsdefizite betrafen Nietanschlüsse und Schweißnähte in den Bereichen, die nach dem Krieg instandgesetzt wurden. Die sehr geringe Ermüdungsbeanspruchung aufgrund der Grenznähe bis 1990 wurde dabei berücksichtigt. Dennoch ergaben sich hohe Schädigungssummen aufgrund der nach 1990 stark gestiegenen Beanspruchungen. Es konnte keine ausreichende Restnutzungsdauer nachgewiesen werde. In der statischen Nachrechnung wurde richtlinienkonform kein Verbund zwischen Buckelblechen und Fahrbahn angesetzt. 3.2 Messziel und Umsetzung Mit dem Ziel der Identifikation von Systemreserven wurde Ende 2015 von der GMG Ingenieurgesellschaft mbH an den beiden Brücken im Zuge der A4 eine Kurzzeitmessungen mit Belastungsversuch durchgeführt. Systemreserven wurden vorrangig in einer Verbundwirkung zwischen Buckelblechen und Auf beton sowie in einer gegenüber der Berechnung besseren Querverteilung der Verkehrslasten auf mehrere Hauptträger vermutet. Deshalb sollten die Dehnungen an den Ober- und den Untergurten von vier benachbarten Hauptträgern jeweils in Feldmitte, an den Querträgern und an den Buckelblechen erfasst werden. Für die Messung wurden vorrangig elektrische Dehnmessstreifen (insgesamt 18 Stück) eingesetzt, die auf die geschliffene Oberfläche der Bleche und Walzprofile appliziert wurden. Ergänzt wurde die Messung durch induktive Wegaufnehmer, die auf Stativen in den Seitenfeldern die Durchbiegung der Hauptträger erfassten. Abb. 3: Anordnung der Messstellen an HT und QT 210 5. Brückenkolloquium - September 2022 Sicherstellung der Verfügbarkeit einer Autobahnbrücke mithilfe von Bauwerksmonitoring Gemessen wurde an der Fuldabrücke (BW 2-2) und an der Brücke über die B62 und die DB-Strecke (BW 1-3), wobei sich die Messung beim Bauwerk BW 1-3 aufgrund der einfachen Erreichbarkeit auf das Hauptfeld konzentrierte. Die Installation der Messanlage erfolgte Anfang Dezember 2015. Alle Messpunkte befanden sich unterhalb der Fahrbahn, so dass für die Installation keine Verkehrssperrungen erforderlich waren. Während mehrerer kurzzeitiger Sperrungen der Bundesautobahn A4 am 05.12.2015 überfuhr je Fahrtrichtung ein eingewogenes und vermessenes Belastungsfahrzeug in vorab festgelegten Fahrspuren mehrfach die Brücke. Als Belastungsfahrzeuge wurden zwei zweiachsige Fahrzeuge der Autobahnmeisterei eingesetzt (je ca. 22,5 t), um die Sperrzeiten zu reduzieren. Für den Zeitraum des Belastungsversuches wurde der Verkehr durch die Autobahnmeisterei an den benachbarten Anschlussstellen auf die inneren Spuren eingeengt und während der einzelnen Fahrten durch die Autobahnpolizei in beiden Fahrtrichtungen temporär angehalten. Insgesamt wurden acht Überfahrten durchgeführt. Abb. 4: Durchführung des Belastungsversuches Optimal für Belastungsversuche sind möglichst kompakte und schwere Fahrzeuge, die in gleichmäßiger, niedriger Geschwindigkeit auf vorgegebenen Spuren verkehren. Im Ergebnis der Auswertung solcher Fahrten ergibt sich eine Einflussfläche, die sehr gut mit der statischen Berechnung verglichen werden kann. 3.3 Auswertung Belastungsversuch Die Auswertung der Signale der Dehnmesstreifen (Abb. 5) bei Überfahrt eines Lkw zwischen Hauptträger 1 und 2 zeigt Zugdehnungen in den Messpunkten der Untergurte von Haupt- und Querträgern in der typischen Form der Einflusslinie des Mittelfeldes eines Dreifeldträgers. Die gemessenen Dehnungen sind, bezogen auf das Fahrzeuggewicht, ausgesprochen gering. Es zeigt sich eine gute Querverteilung (Hauptträger-3 erhält noch 50-%, Hauptträger 4 noch ca. 20 % der Beanspruchungen von Hauptträger 1 und 2. Abb. 5: Signale ausgewählter Aufnehmer während Überfahrt auf der äußeren Normalspur Die Dehnungen in den Hauptträgerobergurten sind kaum feststellbar. Die sehr geringe Druckdehnungen zeigen, dass die Messpunkte nur knapp oberhalb der neutralen Faser liegen. In den Signalen der DMS an der Fahrbahn zeichnen sich trotz des geringen Beanspruchungsniveaus die einzelnen Achsen ab. Nach der Überfahrt gehen die Signale auf den Nullwert zurück, es verbleiben keine Zwängungen im Tragwerk. Die Ziele der Messung, die Bestimmung der Lage der neutralen Faser und die Querverteilung konnten erreicht werden, indem die Signale aus den in den einzelnen Fahrspuren durchgeführten Überfahrten ausgewertet wurden (Abb. 6 und Abb. 7). Abb. 6: Ermittlung der Lage der neutralen Faser aus der Messung Abb. 7: Analyse der Querverteilung auf der Fuldabrücke aus den Messdaten (Dehnung und Durchbiegung) 5. Brückenkolloquium - September 2022 211 Sicherstellung der Verfügbarkeit einer Autobahnbrücke mithilfe von Bauwerksmonitoring Da die Aufzeichnung während des Belastungsversuches kontinuierlich lief, wurden auch die Beanspruchungen aus dem regulären Straßenverkehr erfasst, wenn die Strecke zum Abbau des Staus freigegeben wurde. Außerdem wurden am BW 1-3 für einen Zeitraum von ca. 27 h vor Beginn der Belastungsfahrten bereits Signale aufgezeichnet. In Abb. 8 ist gut zu erkennen, wie sich die Fahrten der Belastungsfahrzeuge in den regulären Verkehr einordnen. Die leichte Signaldrift ist temperaturbedingt. Abb. 8: Signale der DMS an den Untergurten der Hauptträger 1 und 2 unter der rechten Spur Im Vergleich zur mit langsamer Geschwindigkeit erfolgten Überfahrt der Belastungs-Lkw erzeugen die regulären Fahrzeuge deutliche Schwingungen. Das maximale Ereignis innerhalb des Messzeitraums von 27 h erreichte eine Dehnung von ca. 95 µm/ m, dies entspricht einer Spannung von ca. 20 N/ mm². Abb. 9: Signale der HT-UG 1-4 infolge Überfahrten von zwei unterschiedlich beladenen Sattelschleppern 3.4 Nachweisführung nach Stufe 3 der Nachrechnungsrichtlinie Die Ergebnisse der Auswertung des Belastungsversuches konnten rechnerisch gut nachvollzogen werden. Die sich bei Berücksichtigung der besseren Querverteilung und vor allem der Mitwirkung des Fahrbahnbetons ergebenden niedrigeren Spannungen in den nachweisrelevanten Fasern führten zu deutlich niedrigeren kumulierten Schäden, so dass eine ausreichende Restnutzungsdauer bis zum angestrebten Zeitpunkt des Neubaus nachweisbar war. 4. Bauwerksmonitoring 4.1 Anlass und Ziel Im Jahr 2019 zeichnete sich ab, dass sich der ursprünglich anvisierte Zeitpunkt für den Ersatzneubau um einige Jahre verschieben würde. Die ausgewiesene Restnutzungsdauer, insbesondere die der Brücke über die Fulda im Zuge der BAB A4, war nicht ausreichend. Die GMG Ingenieurgesellschaft mbH wurde beauftragt, an der Fuldabrücke ein dauerhaftes Bauwerksmonitoring einzurichten. Dabei verfolgte das Bauwerksmonitoring im Wesentlichen zwei Ziele: a. Permanente Überwachung des Bauwerkszustandes als Unterstützung der in engeren Intervallen durchzuführenden Bauwerksprüfung mit Generierung von Warnmeldungen bei erkannten Systemveränderungen b. Erfassung der Verkehrseinwirkungen und der Beanspruchungen an den unmittelbar als ermüdungskritisch eingestuften Bauteilen zur genaueren Prognose der Restnutzungsdauer Welches Ausmaß ein Schaden annehmen muss, um durch die Messung sicher als solcher erkannt werden zu können, hängt von vielen Faktoren ab. Relativ sicher ist, dass kleine Anrisse in den hoch ermüdungsbeanspruchten Schweißnähten vom Monitoringsystem nicht detektiert werden können. Ein Versagen der Verbundfuge in größeren Bereichen wäre dagegen mit einer Verschiebung der neutralen Faser in Haupt- und Querträgern, einer Reduzierung der Querverteilung und mit einer deutlichen Erhöhung des Beanspruchungsniveaus bei gleichbleibendem Verkehr verbunden und könnte klar erkannt werden. Dadurch liefert das Monitoring eine zuverlässige Aussage zum Zustand der Verbundfuge. Die Verbundwirkung ist Grundlage der Ermüdungsbemessung. Sollte diese nicht mehr gegeben sein, nehmen die Spannungsschwingbreiten an den ermüdungskritischen Details zu, wodurch es zu einer Vergrößerung des zukünftigen rechnerischen Ermüdungsschadens kommt. Weitere Kompensationsmaßnahmen müssten dann eingeleitet werden. Wichtig zu beachten ist, dass die Verbundwirkung bei der Nachweisführung im Grenzzustand der Tragfähigkeit nicht angesetzt wurde. Somit hätte ein Verlust der Verbundwirkung keine Auswirkungen auf die entsprechende Nachweisführung. 4.2 Einrichtung Bauwerksmonitoring Die bezüglich Ermüdung als maßgebend festgestellten Nachweisstellen liegen an den Übergängen zwischen der ursprünglichen Konstruktion und den nach dem Krieg eingebauten Trägerteilen. Diese Bereiche befinden sich im Mittelfeld über der Fulda, wodurch die Zugänglichkeit erschwert war. Für die Installation wurden ein Längssteg auf den Untergurten von zwei Hauptträgern sowie ein Quersteg in Brückenmitte errichtet. Das Bauwerksmonitoring erfolgt wie die Kurzzeitmessung DMS-basiert in der Bauwerksmitte sowie in zusätzlichen Schnitten mit hohen Auslastungen des Ermüdungsnachweises. Ein großes Augenmerk wurde auf die 212 5. Brückenkolloquium - September 2022 Sicherstellung der Verfügbarkeit einer Autobahnbrücke mithilfe von Bauwerksmonitoring Erfassung der Verkehrseinwirkungen gelegt. Zur Verifizierung besonders auffälliger Überfahrtereignisse wurde zusätzlich eine datenschutzkonforme Webcam eingerichtet. Die Messanlage ist mit 14 Sensoren sehr kompakt, der Datenstrom ist somit noch gut beherrschbar. Die Aufzeichnung erfolgt permanent mit 50 Hz bei den Sensoren an den Hauptträgern und mit 100 Hz an der Fahrbahn auf einem lokalen Datenspeicher. Die Daten werden einmal pro Stunde per Mobilfunk auf einen zentralen Server übertragen und damit gesichert. Eine Fernwartung der Messanlage ist über die Mobilfunkverbindung möglich. In den zwei Jahren seit Inbetriebnahme der Anlage gab es einige Ausfälle, nachdem die Stromzuführung durchtrennt wurde. 4.3 Warnmeldungen und regelmäßige Auswertungen Nach einer Anlaufphase wurden für die einzelnen Aufnehmer Grenzwerte definiert, bei deren Überschreiten Warnmeldungen generiert werden. In Abstimmung mit Hessen Mobil wurde in Form eines Warn- und Alarmplanes festgelegt, welche Maßnahmen zu treffen sind und welche Personen in die Analyse einzubeziehen sind. Dieser Plan wurde mit Übergang des Bauwerks zur Autobahn GmbH angepasst. Für die Fuldabrücke wurde festgelegt, dass nach Auftreten von Warnmeldungen, die nach Überschreiten definierter Grenzwerte per E-Mail an die GMG Ingenieurgesellschaft versendet werden, zunächst immer per Fernwartung eine Kontrolle der Funktion der Messanlage zu erfolgen hat. Sollten dabei Auffälligkeiten bezüglich des Tragwerks der Fuldabrücke festgestellt und elektrische Störungen als Ursache ausgeschlossen werden können, wird der Bauwerksprüfer informiert, der vor Ort eine visuelle Kontrolle vornimmt. Die Grenzwerte der Aufnehmer wurden in Höhe der nach ca. sechs Monaten maximal erreichten Amplituden eingestellt. Dies führt dazu, dass in unregelmäßigen Abständen von wenigen Wochen Warnungen eingehen, die jedoch keineswegs mit einer kritischen Situation verbunden sein müssen. Neben den regelmäßigen Funktionskontrollen der Messanlage wird so die korrekte Funktion der Meldungen geprüft. Bisher wurden bei den Kontrollen nach Eingang von Warnungen per E-Mail keine Auffälligkeiten festgestellt, eine Weiterleitung der Warnung an die Autobahn GmbH erfolgte bisher nicht. In regelmäßigen Abständen von drei Monaten bzw. einem Jahr erfolgen Auswertungen in Form von Quartals- und Jahresberichten, die an die Autobahn GmbH übermittelt werden. Dabei werden neben der direkten Auswertung der Dehnungen auch die Ergebnisse einer Frequenzanalyse dargestellt (vgl. Kap. 4.4.4). Abb. 10: Ablaufschema Warn- und Alarmplan 5. Brückenkolloquium - September 2022 213 Sicherstellung der Verfügbarkeit einer Autobahnbrücke mithilfe von Bauwerksmonitoring 4.4 Ergebnisse Bauwerksmonitoring 4.4.1 Maximalereignisse Wie sich bereits in der Kurzzeitmessung 2015 andeutete, sind das Spannungsniveau und die Spannungsschwingbreiten in den Hauptträgern gering. Einen guten Überblick über die gesamten Messdaten bieten die 1-h-Spannen der gemessenen Beanspruchungen (Differenz aus Maximal- und Minimalwert). An heißen Sommertagen sind in den 1-h-Spannen des äußeren Hauptträgers (HT 7) Anteile aus Temperaturzwang enthalten, im Wesentlichen resultieren diese Werte jedoch aus Verkehr. Abb. 11: 1-h-Spannen der Spannungen in den Hauptträger- Untergurten fünf benachbarter Hauptträger, Jahr 2021 In Abb. 11 ist gut zu erkennen, dass das Niveau der Beanspruchungen aus Verkehr im Messzeitraum relativ konstant ist, die Jahresextremwerte der Beanspruchungen Δs liegen zwischen 25 und 30 N/ mm². Die maximalen Ereignisse resultieren aus einzelnen Schwertransporten. Die Beanspruchungen bei Stauereignissen sind geringer, was bei den geringen Stützweiten des Bauwerks nicht verwundert. Bei Messungen an deutlich größeren Straßenbrücken wird jedoch ebenfalls regelmäßig festgestellt, dass einzelne Sondertransporte die Extremwerte der Beanspruchungen liefern. Höhere Beanspruchungen resultieren regelmäßig auch aus Überholvorgängen schwerer Lkw, wie in Abb. 12 dargestellt. Abb. 12: Überholvorgang mit Schwertransport auf der linken Fahrspur Bei den an den Untergurten der Querträger und an den Buckelblechen gemessenen Beanspruchungen ist deutlich ein Jahresgang zu erkennen (Abb. 13). Bei sommerlichen Temperaturen sinkt die Steifigkeit des Asphaltbelags und dessen Mittragwirkung, die Beanspruchungen steigen. Bei einer orthotropen Fahrbahnplatte wäre der Temperatureinfluss noch deutlich höher. Abb. 13: 1-h-Spannen der Spannungen in der Fahrbahn im Jahr 2021 4.4.2 Beanspruchungskollektive Die gemessenen Beanspruchungsverläufe werden mithilfe des Rainflow-Zählalgorithmus in Kollektive umgerechnet, die unmittelbar für die Schadensakkumulationsrechnungen bei der Ermüdungsbemessung genutzt werden können. Abb. 14: Gemessene Beanspruchungskollektive (Dehnungen) an den Hauptträger-Untergurten Veränderungen in den Beanspruchungskollektiven können außerdem als Indikator für Systemveränderungen genutzt werden, wenn der Verkehr als relativ konstant über der Zeit angenommen wird (Abb. 15). Abb. 15: Vergleich gemessene Beanspruchungskollektive (Spannungen) an den Hauptträger-Untergurten der Messjahre 2021 und 2020 214 5. Brückenkolloquium - September 2022 Sicherstellung der Verfügbarkeit einer Autobahnbrücke mithilfe von Bauwerksmonitoring 4.4.3 Analyse der Verkehrseinwirkungen Aus den Messdaten kann anhand der Sensoren an den Querträgern und dem Fahbahnblech eine Erfassung des einwirkenden Verkehrs erfolgen. Da bei der Fuldabrücke selbst die Elemente der Fahrbahn relativ große Einflusslinien haben, gelingt eine saubere Trennung einzelner Achsen nicht. Auch die Überfahrten von Pkw können nicht, wie bei Messungen an anderen Bauwerken mit Stahlfahrbahn, sicher erfasst werden. Dennoch liefert die Analyse der Verkehrseinwirkungen interessante Ergebnisse. Abb. 16: Stündliche Fahrzeuganzahlen Schwerverkehr in der rechten Fahrspur im Jahr 2021 Neben den Fahrzeugmassen erfolgt auch eine Erfassung der Fahrgeschwindigkeit. Dadurch ist die Häufigkeit von Stausituationen gut erkennbar. Gut erkennbar ist auch die höhere Durchschnittsgeschwindigkeit des Schwerverkehrs an den Wochenenden, an denen vorrangig kleinere Lkw unterwegs sind. Abb. 17: 1-h-Mittel der Fahrgeschwindigkeit des Schwerverkehrs im Jahr 2021 Die Kalibrierung der Fahrzeugmassen erfolgt anhand der „Peaks“ in den Kollektiven, die den typischen 40-t-Sattelschleppern zugeordnet werden können. Der Einfluss der Temperatur auf den Asphalt wird durch einen Faktor berücksichtigt. Mit diesen Informationen kann die aktuelle Zusammensetzung des Verkehrs (Häufigkeitsverteilung der Fahrzeugmassen) im Sinne der Tabellen 10.5 bis 10.7 Nachrechnungsrichtlinie [1] bestimmt werden. 4.4.4 Frequenzanalyse Straßenbrücken im Allgemeinen und auch die Fuldabrücke werden durch Verkehrslasten nur relativ schwach zu Schwingungen angeregt. Die zusätzlichen Beanspruchungen im Tragwerk durch die dynamische Überhöhung der Verkehrslasten spielen eine untergeordnete Rolle. Im Sinne einer dynamischen Systemidentifikation und im Sinne des Structural-Health-Monitorings ist die Auswertung der Bauwerksschwingungen aber interessant. Da bei der Fuldabrücke keine separaten Beschleunigungs- oder Schwinggeschwindigkeitsaufnehmer eingesetzt werden, erfolgt die Analyse aus den Dehnungsdaten (Abb. 18). Abb. 18: Frequenzspektrum und Spannen der Eigenfrequenzen Die Frequenzen sind temperaturabhängig. Im Sommer, wenn der Asphalt eine geringere Steifigkeit hat, sinken die Frequenzen, im Winter sind sie entsprechend höher. Durch vergleichende Berechnungen konnten die gemessenen Eigenfrequenzen eindeutig den entsprechenden Biege- und Torsionseigenformen zugeordnet werden (Abb. 18). Neben den Einflusslinien und anderen Informationen aus dem Belastungsversuch konnten auch die Eigenfrequenzen zur Kalibrierung des Berechnungsmodells genutzt werden. Abb. 19: Eigenformen, zugeordnet den Frequenzen 3,95 Hz (links), 4,21 Hz (mittig), 4,96 Hz (rechts) 5. Brückenkolloquium - September 2022 215 Sicherstellung der Verfügbarkeit einer Autobahnbrücke mithilfe von Bauwerksmonitoring 4.4.5 Ermüdungsnachweis Auf Basis der Daten des Bauwerksmonitorings ergeben sich mehrere Möglichkeiten zur Konkretisierung des Ermüdungsnachweises: c. bezüglich des Berechnungsmodells (Kalibrierung anhand der Messdaten) d. bezüglich der Verkehrszahlen DTV- SV (gegenüber 2015 Steigerung von ca. 1,43- ·-10 6 auf ca. 1,93- ·-10 6 (+ 35 %) e. bezüglich der messtechnisch ermittelten Verteilung der Fahrzeuggewichte f. durch direkte Auswertung der aus den gemessenen Signalen mit dem Rainflow-Algorithmus erzeugten Beanspruchungskollektive Selbstverständlich gelten die am Bauwerk erfassten Daten über die Verkehrseinwirkungen nur für den jeweiligen Messzeitraum. Für Vergangenheit und Zukunft muss auf Daten aus Verkehrszählungen und -prognosen oder sinnvolle Annahmen zurückgegriffen werden. Für das die Fuldabrücke konnte auf Basis des Monitorings nachgewiesen werden, dass gegenwärtig kein nennenswerter Schadenszuwachs erfolgt und auch der in der Vergangenheit akkumulierte Schaden wahrscheinlich deutlich unter den in den rechnerischen Nachweisen festgestellten Werten liegt. 5. Ausblick Zur Sicherstellung der Verfügbarkeit von Straßenbrücken werden in zunehmendem Maße Monitoringsysteme eingesetzt. Der Wunsch, aktuelle Informationen über den Zustand der Bauwerke ständig verfügbar zu haben, ist gewachsen und die technischen Möglichkeiten, wie die permanente, automatisierte Auswertung von Sensordaten und das Versenden von Warnmeldungen über das Mobilfunknetz sind gegeben. Der erfolgreiche und sinnvolle Einsatz von Bauwerksmessungen und Monitoringsystemen ist jedoch kein ausschließlich technisches Problem. Wenn eine Monitoringanlage betrieben werden soll, sind umfangreiche Abstimmungen zwischen dem Baulastträger und dem Betreiber der Monitoringanlage notwendig. Die Ziele, Methoden, Risiken und Schadensszenarien müssen allen Beteiligten klar sein, damit im Falle des Auftretens einer Warnmeldung besonnen gehandelt wird. Der lange Zeithorizont von mehreren Jahren für Monitoringsysteme darf sowohl in organisatorischer als auch in technischer Hinsicht nicht unterschätzt werden. Die Sicherstellung der personellen Kontinuität und des verlustfreien Übergangs der Informationen ist ein wichtiger Aspekt. Eine klar formulierte Messaufgabe und eine möglichst einfache und robuste Messanlage sind auch unter diesem Gesichtspunkt von großem Vorteil. Die vielfältigen Informationen über Einwirkungen und Beanspruchungen sowie ggf. den Schädigungszustand eines Bauwerks, die mithilfe einer Messanlage erfasst werden und ständig verfügbar sind, sollten nicht dazu führen, die regelmäßigen Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 zu vernachlässigen. Beide Methoden können sich sinnvoll ergänzen, wenn die Bauwerksprüfer und die Messingenieure eng zusammenarbeiten. Es ist sicher nicht zielführend, Bauwerksmonitoring unspezifisch und flächendeckend an allen Brückenbauwerken einzusetzen. Bei Bauwerken, bei denen sich bei einer statischen Nachrechnung Defizite oder Fragen bezüglich des Tragverhaltens ergeben haben, ist ein Einsatz im Rahmen der Stufe 3 der Nachrechnungsrichtlinie [1] jedoch in vielen Fällen sinnvoll. Auch bei der Einführung neuer Bauweisen, Konstruktionsformen oder zur Überwachung kritischer Montagezustände ist eine messtechnische Begleitung vorteilhaft. Nicht zu unterschätzen ist der Effekt, dass die Informationen, die bei Monitorings gewonnen werden, häufig auch auf andere Bauwerke ähnlicher Bauweise übertragbar sind. So kann Bauwerksmonitoring Impulse für die Weiterentwicklung von Regelwerken und konstruktiven Lösungen geben und damit letztlich einen Beitrag zum Erhalt und zum Ausbau der Infrastruktur leisten. Literatur [1] Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand, BASt, 2015 [2] DBV-Merkblatt „Brückenmonitoring“ - Planung, Ausschreibung und Umsetzung, Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V., Berlin, 2018 [3] Geißler, K., Steffens, N., Stein, R.: Grundlagen der sicherheitsäquivalenten Bewertung von Brücken mit Bauwerksmonitoring. In: Stahlbau 88, Heft 4, Seiten 338-353 5. Brückenkolloquium - September 2022 217 Von fehlenden Bestandsunterlagen zu einem belastbaren Bauwerksmodell für die handnahe und visuelle Prüfung von Infrastrukturbauwerken Dipl.-Ing. BM Stefan S. Grubinger, Dipl.- Ing. Simon Jimenez recordIT GmbH, Graz, Österreich Dr. Wolfgang Walcher, Alexander Huber, MBA Robotic eyes GmbH, Graz, Österreich Dipl.-Ing. Slaven Kalenjuk Technische Universität Graz, Institut für Ingenieurgeodäsie und Messsysteme, Graz, Österreich Dipl.-Ing. Dipl.-Ing. Dr.techn. Matthias J. Rebhan, BM Technische Universität Graz, Institut für Bodenmechanik, Grundbau und Numerische Geotechnik, Graz, Österreich Zusammenfassung Mit zunehmendem Bauwerksalter, aber auch zu Folge der Abnahme des Erhaltungszustandes der Straßen- und Schieneninfrastruktur bzw. dem vermehrten Auftreten von Schäden und Schadensbildern, rücken Tätigkeiten wie die Prüfung und Inspektion von Infrastrukturbauwerken zusehends in den Vordergrund. Der Fokus liegt darin, den aktuellen Zustand eines Objektes bzw. dessen Veränderung möglichst zutreffend zu erfassen, um daraus folgend erforderliche Maßnahmen und Tätigkeiten abzuleiten, um die Sicherheit, Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit der Infrastruktur gewährleisten zu können. Im gesamten Bauwesen ist ein Rückstand in der Digitalisierung zu erkennen, wobei Building Information Modelling diesem Umstand als maßgeblicher Einfluss in der Baubranche entgegenwirkt. Diese Methode zur Planung, Erhaltung und Bewirtschaftung bezieht sich jedoch im Regelfall auf den Bereich des Neubaus und damit stark auf den Hochbau - im Tief- und Infrastrukturbau kommt die Planung und Ausführung basierend auf BIM-Modellen und Prozessen nur eingeschränkt zum Einsatz. Im Bereich des Bauens im Bestandes, der Instandhaltung und Instandsetzung aber auch der Prüfung und Inspektion von Infrastrukturbauwerken sind digitale Lösungen meist Mangelware. Die Bandbreite des Datenbestandes zu einem Bestandsbauwerk reicht von teils digitalen Unterlagen über analoge Planungen bis zum kompletten Fehlen von Planungs- und Dokumentationsunterlagen. Bei Bauwerksprüfungen und Kontrollen aber auch bei der Erhaltung und Instandsetzung sind diese Unterlagen jedoch unerlässlich. Diese in der Praxis oftmals vorhandene Lücke gilt es zu schließen und gleichzeitig eine Grundlage für die zuvor angeführten Aufgaben zu bilden. Einen Mehrwert und Ansatz, diesen Umständen mit einer praktikablen Lösung zu begegnen, stellt die Softwarelösung inspect3d dar, welche eine Kombination der digitalen Datenerfassung und Dokumentation in Symbiose mit den Möglichkeiten von Bauwerksmodellen und innovativen Technologien wie Augmented Reality bietet. Das Ergebnis ist ein digitales Tool, welches die Einbindung unterschiedlicher Datenquellen ermöglicht. Diese Daten werden als Grundlage für die Erfassung von Schäden und Mängeln verwendet - ähnlich der analogen Erfassung in Skizzen und Plänen, jedoch mit dem Unterschied, dass zu Folge der digitalen Erfassung und dem Einfügen von Annotationen bereits vor Ort eine eindeutige Verortung, Kennzeichnung und Beschreibung der erfassten Informationen stattfindet. Im nachfolgenden Beitrag wird der hierzu anwendbare Workflow - sowie die sich daraus ergebenden Möglichkeiten anhand mehrerer Beispiele verdeutlicht. 1. Bestandsbauwerke im Infrastrukturbau Zur Sicherstellung der Zuverlässigkeit und der Verfügbarkeit von Straßen und Schienentrassen gerade in Ländern mit schwer zu erschließenden Regionen ist eine laufende Prüfung bzw. Inspektion dieser Bauwerke unerlässlich. Der Bestand an Bauwerken in Österreich (vgl. [1], [2] und [3]) zeigt, dass auf Grund der Topografie eine Vielzahl an Bauwerken vorhanden sind, welche eine Prüfung und Inspektion erfordern. Darüber hinaus kann auf Grund des steigenden Bauwerksalters eine Zunahme an Schäden und Mängeln erwartet bzw. auch bereits festgestellt werden. Neben den Einwirkungen aus steigenden Verkehrslasten und Zahlen ist hier, vor allem im Österreich, auch eine Steigerung von tausalz- und winterdienstbedingten Schäden (Korrosion, Forstabplatzungen, …) festzustellen, welche neben einer Abnahme der Dauerhaftigkeit in weiterer Folge auch eine Auswirkung auf die Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit haben. Aus diesen Gründen wird eine hochwertige Prüfung immer wichtiger, um daraus folgend reaktive Maßnahmen in Form von Instandhaltungen und Instandsetzungen ableiten zu können, um eine weitere Abnahme des Erhaltungszustandes (vgl. [4]) sowie eine damit einhergehen- 218 5. Brückenkolloquium - September 2022 Von fehlenden Bestandsunterlagen zu einem belastbaren Bauwerksmodell für die handnahe und visuelle Prüfung von Infrastrukturbauwerken de Auswirkung auf die Streckenverfügbarkeit möglichst gering zu halten. Vor allem im Bestand sind hier innovative Lösungen erforderlich, um zukünftige Prüf- und Inspektionsaufgaben wahrnehmen zu können. 2. Bauwerksprüfung und Datengrundlage Wie einleitend angeführt, stellt die wiederkehrende Bauwerksprüfung für Bauwerkserhalter und Prüfpersonal eine große Herausforderung dar. Neben den zeitlichen und technischen Herausforderungen ist ein wesentlicher Teil für die Ausführung dieser Tätigkeit die Erhebung der Bestandsunterlage um eine qualitativ hochwertige Prüfung durchführen zu können. 2.1 Bauwerksprüfung Aufgrund der geografischen Lage und Topografie Österreichs sind beispielsweise Stützbauwerke und Brücken zur Errichtung von Infrastruktureinrichtungen wie Straßen- oder Schienentrassen erforderlich. Hieraus resultiert, dass die Durchführung von laufenden Kontroll- und Prüftätigkeiten unerlässlich für die Sicherheit und Verfügbarkeit ist. Ein Hauptbestandteil dieser Tätigkeiten stellt die Erfassung des Erhaltungszustands [4] dar. Hierbei werden Veränderungen, meist in Form von Schäden am Objekt durch das Prüfpersonal (Bauwerksprüfer) erfasst. Darauf auf bauend findet anschließend eine Beurteilung statt. Schäden an Bauwerken können in unterschiedlichen Ausprägungen, Erscheinungsformen und Schweregraden vorliegen [5]. In Abhängigkeit des Bauwerkstyps, des Errichtungszeitpunkts und der vorliegenden Schäden stellt die Prüfung von bestehenden Bauwerken eine große Herausforderung sowohl für Bauwerkserhalter als auch das Prüfpersonal dar ([6]). Bei einer Bauwerksprüfung wird der Erhaltungszustand (vgl. [4]) eines Objekts erfasst, um darauf auf bauend das von diesem Objekt ausgehende Risiko zu bestimmen und erforderliche Erhaltungsmaßnahmen durch das Prüfpersonal bzw. den Bauwerkserhalter abzuleiten. Hierzu können (in Österreich) unterschiedliche Prüftätigkeiten (laufende Überwachung, Kontrolle oder Prüfung) sowie eine Vielzahl an Methoden, vgl. [4] und [5] und erforderlichenfalls auch Sonderprüfungen zur Anwendung kommen. Im Bereich der Autobahnen- und Schnellstraßen [7] sowie den Landesstraßen werden derartige Prüfungen nach dem Stand der Technik, definiert durch die Richtlinien Verkehr und Straße (RVS), durchgeführt. In Ausnahmefällen, wie beispielsweise im Bereich von Stützbauwerken (vgl. [6]), wo „der Erhaltungsverpflichtete eine Risikobewertung der nicht geankerten Stützbauwerke durchführen und basierend auf dem Ergebnis den Anwendungsbereich“ können Änderungen zulässig sein. 2.2 Datengrundlagen Als Grundlage für Bauwerksprüfungen sind Planunterlagen unweigerlich erforderlich und notwendig. Diese bilden die Grundlagen für den erforderlichen Prüfumfang und liefern die erforderlichen bau- und sicherheitstechnischen Informationen zu einem Bauwerk, welche die Aufgabenstellung für das Prüfpersonal festlegen. Weiters bieten diese Unterlagen auch die Grundlage, um Informationen zur Bauwerksprüfung im Feld zu erfassen. Beispiele hierfür sind Schadstellenbereiche, Bildnummern, Änderungen im Vergleich zur Vorprüfung oder Änderungen des Erhaltungszustandes. Derartige Unterlagen sind aktuell digital in Form von Plänen (meist *.dxf oder *.dwg Format), im PDF-Format bis hin zu Scans der Bestandsunterlagen vorhanden. Jedoch gibt es auch Situationen in dehnen keinerlei Unterlagen zu einem Bauwerk vorhanden sind, woraus folgend diese im Zuge der Prüfung und Inspektion - bzw. vorbereitend - erstellt werden müssen, um eine entsprechende Qualität der Prüfung zu gewährleisten. Neben dem Fehlen von Unterlagen muss im Zuge der Prüfung und Inspektion zudem davon ausgegangen werden, dass die vorhandenen Unterlagen aus der Planungsphase stammen und auf Grund von Änderungen nur bedingt den aktuellen Zustand darstellen. Gerade bei der Geometrie kann von nicht vollständigen und schlüssigen Unterlagen ausgegangen werden. 3. Workflow einer digitalen Bauwerksprüfung und digitale Bauwerksmodelle Um den oben angeführten Problemstellungen bei Bestandsunterlagen entgegenzuwirken bzw. um einheitliche und universal nutzbare Modelle zu einem Bestandsbauwerk zu schaffen, und mit einer digitalen Bauwerksprüfung verbundenen Vorteile nutzen zu können, gilt es einen entsprechenden Workflow einzuhalten. Dieser reicht von der vorab stattfindenden Erstellung der erforderlichen Modelle (und Planungsunterlagen), über die Implementierung in eine digitale Prüfsoftware und die Anbringung von entsprechenden Verortungs- und Vermarkungsmerkmalen im Zuge der Prüftätigkeiten. Anschließend kann bei einem digitalen Prüfprozess, identisch zur bisherigen Prüfung auch ein Prüf bericht in „analoger“ Form ausgegeben werden, um in die Dokumentation des Bauwerkserhalters aufgenommen werden zu können. 3.1 Workflow inspect3d Die Softwarelösung inspect3d ist ein Kooperationsprodukt der recordIT GmbH und der robotic eyes GmbH und hat den Ansatz einer über die Prüfzyklen durchgängigen, einfachen und nachvollziehbaren Bauwerksprüfung aufgegriffen. Im Zuge dieser Zusammenarbeit wurden die Kernkompetenzen der recordIT GmbH - die digitale Prüfung und Inspektion von Bauwerken, mit jenen der robotic eyes GmbH - der Lokalisierung und Verortung von Informationen im freien Raum, zusammengeführt. Das Ergebnis ist eine Softwarelösung, mit welcher Bauwerksprüfungen nach den technischen Vorgaben der Auftraggeber und Bauwerkserhalter (z. B. [4]) vorgenommen werden kann. Neben der räumlichen Verortung von Fotos und Informationen, vor allem im Hinblick auf die langzeitige und kumulierende Dokumentation am Bauwerk, sowie das Erstellen eines digitalen Zwillings, bietet dies eine Grundlage für weitere Arbeiten, Instandhaltungen und Planungen. Die so generierte „Single Source of Truth“ 5. Brückenkolloquium - September 2022 219 Von fehlenden Bestandsunterlagen zu einem belastbaren Bauwerksmodell für die handnahe und visuelle Prüfung von Infrastrukturbauwerken (einzige Wahrheitsquelle) bildet die Grundlage für transparentes Reporting und zeitsparende Dokumentation. Anfallende Sperrzeiten für Arbeiten und Inspektionen können somit besser geplant und bezugnehmend auf aktuelle Methoden reduziert oder sogar gänzlich vermieden werden. Fotos und Informationen, die im Zuge von Kontrollen und Prüfungen erhoben und erstellt werden, werden noch vor Ort im 3D-Modell des Bauwerkes verortet und stehen für ein erneutes Aufrufen zur Verfügung. So wird sichergestellt, dass einmalig erfasste Informationen dauerhaft am Bauwerk verankert sind. Die Verortung und das Aufrufen der Informationen erfolgt über Tags (QR-Codes), welche entlang des Bauwerkes installiert sind und durch handelsübliche Hardware lesbar sind. Die obige Beschreibung der angeführten Softwarelösung inspect3d (vgl. [10]) lässt sich in Arbeitsschritten wie folgt anführen: 1. Erstellung eines 3D Modelles des Bauwerkes (vgl. 3.2) basierend auf fotogrammmetrischen oder Laserscandaten; 2. Ableitung eines digitalen Bauwerksmodelles; 3. Implementierung des Modelles in die digitale Prüflösung; 4. Durchführung der Prüfung inkl. automatisierter Vermarkung vorgefundener Mängel und Schäden im digitalen Bauwerksmodell; 5. Export des erforderlichen Prüfberichtes und/ oder Speichern der erhobenen Informationen online. Wie aus oben angeführtem Workflow zu erkennen ist, erfordert die Durchführung einer digitalen Bauwerksprüfung mit inspect3d ein digitales Bauwerksmodell. Die Grundlagen zu derartigen Modellen werden in Kapitel 3.2 näher ausgeführt. Abb. 1 zeigt die Erstellung eines derartigen Modelles robotergestützt und direkt am Bauwerk. Abb. 1: Erstellung eines 3D-Modelles des Bauwerkes Im Anschluss wird dieses 3D-Modell dazu verwendet, um ein Bauwerksmodell zu erstellen, welches in die Softwarelösung inspect3d übernommen wird. Diese Software ermöglicht eine Erfassung von Bildern im Zuge der Prüfung. Neben Bildern können zusätzlich Informationen direkt vor Ort erfasst werden. Diese reichen von einer einheitlichen Beschlagworten von Schadensbildern (z. B. freiliegende Bewehrung, Abplatzung, Feuchtstelle, …) bis hin zu frei definierbaren Anmerkungen und Bildbeschreibungen. Zudem bietet die Softwarelösung den Vorteil, dass gemeinsam durch mehrere Benutzer*Innen eine Prüfung parallel vorgenommen werden kann. Wie in Abb. 2 zu erkennen ist, können mehrere Personen ein Bauwerk gleichzeitig - ohne Informationsverlust und ohne eine erforderliche Überarbeitung - prüfen und erfassen. Abb. 2: Durchführung einer digitalen Bauwerksprüfung am Beispiel eines Tunnels Neben der Erfassung von Bildern und Informationen ist es auf Grund der angeführten Anbringung von Tags am Bauwerk (vgl. Abb. 7) möglich, automatisiert eine Vermarkung der Schadstellen direkt am Bauwerk vorzunehmen. Ein Beispiel hierfür ist in Abb. 3 zu erkennen. Abb. 3: Vermarkung von Schadstellen im digitalen Bauwerksmodell Dieses zeigt, dass in diesem Bereich (oranger Rahmen) ein Bild aufgenommen wurde, und bildet damit den Erhaltungszustand im Zuge der Prüfung ab. Ein großer Vorteil einer derartigen Lösung ist, dass damit neben dem Bildinhalt auch die genaue Position der Aufnahme sichergestellt ist, woraus folgend eine nachvollziehbare und reproduzierbare Prüfung und Inspektion gegeben ist. 3.2 Digitale Bauwerksmodelle zur Bauwerksprüfung Die Grundlage für die digitale Bauwerksprüfung mittels inspect3d sind 3D-Bauwerksmodelle. Diese können einerseits aus vorhandenen BIM-Modellen stammen und durch Informationen zum Ist-Zustand ergänzt werden. Zur Erfassung des Bestandes können 3D-Messverfahren wie Laserscanning oder Fotogrammmetrie eingesetzt werden. Diese beiden Technologien unterscheiden sich letztendlich in der geometrischen Qualität. Beide Verfahren liefern 3D-Punktwolken, die in weiteren digitalen Verarbeitungsschritten zu wasserdichten 3D-Modellen verarbeitet werden. Sind die Fotodaten lagerichtig ver- 220 5. Brückenkolloquium - September 2022 Von fehlenden Bestandsunterlagen zu einem belastbaren Bauwerksmodell für die handnahe und visuelle Prüfung von Infrastrukturbauwerken ortet, so können die 3D Modelle fotorealistisch texturiert werden. Mobile Mapping Systeme beschreiben „Kartierungssysteme“, welche im Vorbeifahren (Auto, vgl. Abb. 4) oder im Vorbeifliegen (Drohnen) Bild- und Scandaten von der Umgebung erfassen. Diese Systeme spielen insbesondere bei langen, linienförmigen Strukturen (Tunnel, Stützbauwerken, Brücken) sowie bei stark befahrenen Verkehrsabschnitten oder unzugänglichen Orten (Brückentragwerke) ihre Stärken aus. Die Verortungsgenauigkeit liegt dabei im cm-Bereich. Im Gegensatz zu anderen Anwendungsgebieten derartiger Methoden (vgl. [11]) ist hier die Auflösung und Genauigkeit der erfassten Modelle eher zweitrangig. Vielmehr steht hier die vollflächige und effiziente Aufnahme des Bauwerkes im Vordergrund. Abb. 4: Mobile Mapping System zur Erfassung von Infrastrukturbauwerken Neben der Erfassung der Geometrie des Bauwerkes im Ist-Zustand können durch die Erweiterung der verwendeten Messplattformen auch weitere Informationsquellen genutzt werden. Beispiel hierfür sind Wärmebildkameras, um beispielsweise Feuchtstellen zu erkennen oder auch um freiliegenden Bewehrungselement zu erkennen. Die Intensität des zurückgestreuten Laserlichtes lässt zudem Schilder bzw. Bodenmarkierungen erkennen. Derartige Auswertungen können einen erheblichen Mehrwert für die Bauwerksprüfungen bringen. 4. Beispiele zur digitalen Bauwerksprüfung an Infrastrukturbauwerken Der in Kapitel 3 vorgestellte Workflow inspect3d und die dazugehörige Erstellung von digitalen Bauwerksmodellen wurden bereits an einer Vielzahl an Infrastrukturbauwerken erprobt. Nachfolgend werden einige dieser Beispiele kurz dargestellt und beschrieben, um einen Einblick in die erforderlichen Tätigkeiten und die damit verbunden Möglichkeiten zu geben. Tunnelkontrolle Feldkirchen Nach einer Erhebung der Tunnelgeometrie wurde für die Missstandsaufnahme, im Zuge einer 2-jährigen wiederkehrenden Tunnelkontrolle, die Softwarelösung inspect3d eingesetzt, um die im Tunnel festgestellten Missstände und Fotos automatisch, lagerichtig und wiederauffindbar zu verorten. Der Ablauf für die Ingenieur*Innen wurde als positiv und intuitiv im Vergleich zu den herkömmlichen Methoden empfunden. Vor allem entfällt das aufwändige Verorten von Fotos am Plan oder auf Planblättern. Abb. 5: Datenerfassung im Zuge der Prüfvorbereitung Abb. 6: Abgeleitetes Modell eines Tunnels inklusive 3D-Polylinien zur Kennzeichnung der Tunnelblöcke Abb. 7: Angebrachtes Tags zur Lokalisierung innerhalb des Tunnels Wie bereits in Kapitel 3 (vgl. Abb. 3) angeführt, wird neben der Erfassung von Bildern und Informationen auch eine Vermarkung der Aufnahme im digitalen Bauwerksmodell ermöglicht. Ein derartiges Vorgehen, wie in Abb. 8 zu erkennen, ermöglicht es, dass neben der Sammlung 5. Brückenkolloquium - September 2022 221 Von fehlenden Bestandsunterlagen zu einem belastbaren Bauwerksmodell für die handnahe und visuelle Prüfung von Infrastrukturbauwerken der Informationen die Prüfung zudem nachvollziehbar dargestellt wird. Ein direkt hieraus generierbarer Vorteil ist, dass zukünftige Prüfungen neben den Bildern (mit dem erfassten Ist-Zustand) zudem auf die Lage der Aufnahme zugreifen können und somit eine erhebliche Zeitersparnis geschaffen wird. Abb. 8: Prüfergebnis basierend auf Augmented Reality im Onlineviewer Weiters kann diese Art der Darstellung auch dazu verwendet werden, um die Prüfung im Büro nachzuvollziehen. So kann das gesamte digitale Bauwerksmodell neben der Erfassung der Informationen auch zur Auf bereitung dieser verwendet werden. Vor allem für Bauwerkserhalter kann hieraus ein erheblicher Vorteil generiert werden, welcher von der Nachvollziehbarkeit der Prüfung bis zur Nachbereitung der Ergebnisse und die Auf bereitung von Sanierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen reicht. Unterflurtrasse Weiz Neben der Anwendung für Kontrollen und Prüfungen von Bauwerken eignet sich der in diesem Beitrag vorgestellte Workflow auch dazu Bauwerke bereits ab der Übernahme das Bauwerk zu dokumentieren. Ein Beispiel hierfür ist die Unterflurtrasse Weiz, welche im Jahr 2022 durch das Land Steiermark fertiggestellt wurde. Neben einer umfassenden Dokumentation dieser Linienbaustelle im Zuge der Errichtung (vgl. [9]) wurde ebenfalls eine digitale Übernahme des Bauwerks mit inspect3d vorgenommen. Abb. 9: Ansicht der Unterflurtrasse Weiz (vgl. [9]) im Zuge der Erfassung des digitalen Bauwerksmodelles Grundlage bietet das vorab generierte 3D-Modell welches als Grundlage für die Übernahme diente. Der Bauwerkserhalter konnte somit mit einer Aufnahme einerseits eine Grundlage für die zukünftigen Prüfungen und Kontrollen schaffen und erhielt andererseits ein Bauwerksmodell des gesamten Bauwerkes. Weitere Anwendungsbereiche Neben den oben angeführten Beispielen eines Tunnels oder einer Unterflurtrasse sind vor allem im Bereich der Straße auch Stützbauwerke und Brücken einer periodischen Prüfungen und Inspektion zu unterziehen. Neben der Erfassung der Schäden und Mängel sind hier, bedingt durch die Bauwerkhöhe und die Zugänglichkeit weitere technische Ausrüstung und Equipment erforderlich. In den beiden nachfolgenden Abbildungen ist dies schematisch für diese Bauwerkstypen dargestellt. Abb. 10: Erforderlicher Aufwand bei der Prüfung von geankerten Konstruktionen im Bereich der Schiene (vgl. [8]) Abb. 11: Prüfung einer Brücke mittels Brückeninspektionsgerät (vgl. [12]) Abb. 10 zeigt die Prüfung einer geankerten Konstruktion im Streckennetz der ÖBB. Wie in diesem Bild zu erkennen ist, ist hierzu neben einer Sperre des Gleises in diesem Bereich auch ein entsprechendes Hebegerät erforderlich, um eine handnahe und visuelle Prüfung des gesamten Bauwerkes zu ermöglichen. In Abb. 11 ist ein Brückeninspektionsgerät zur Zugänglichkeit der Unterseite einer Brücke zu erkennen. Hierzu ist ebenfalls eine (Teil-)Sperre dieses Streckenbereiches erforderlich, und ggf. entsprechende Verkehrsabsicherung. 222 5. Brückenkolloquium - September 2022 Von fehlenden Bestandsunterlagen zu einem belastbaren Bauwerksmodell für die handnahe und visuelle Prüfung von Infrastrukturbauwerken Diese beiden Beispiele lassen erkennen, dass mit einer Digitalisierung des Prüf- und Inspektionsprozesses durch die Schaffung digitaler Bauwerksmodelle und die darauf auf bauende Vermarkung und Annotierung von Schäden und Mängeln eine maßgebliche Reduktion des Prüfaufwandes einhergehen kann. Neben dem vereinfachten Wiederauffinden von Schadstellen und den gegebenen Vergleichsmöglichkeiten mit der Vorperiode, kann somit die Prüfung des Weiteren auch durch wechselndes Prüfpersonal ohne Informationsverlust nachvollziehbar rekonstruiert werden. Daraus folgend lässt sich einer Zeitersparnis im Zuge der Prüfung und Inspektion von Bauwerken ableiten, ohne dass hieraus folgend Einschränkungen oder eine Abnahme der Prüfqualität und des Prüfergebnisses zu erwarten ist. 5. Zusammenfassung und aktuelle Entwicklungen Mit dem hier vorliegenden Beitrag wurde ein aktuell in Entwicklung und bereits an Bauwerken erprobter Workflow vorgestellt, welcher sich mit der Digitalisierung von Bauwerksprüfungen im Infrastrukturbereich befasst. Hierbei liegt der Fokus in der Schaffung einer einheitlichen digitalen Grundlage - um den Ist-Zustand des Bauwerkes in Bezug auf seine Geometrie und seine Ausrüstung zu erfassen, und darauf auf bauend Mängel und Schäden einpflegen zu können. Es zeigte sich, dass auf Grund von fehlenden Bestandsunterlagen bzw. unzureichender Informationsdichte dieser, eine umfassende Auf bereitung des Bestandsbauwerkes erforderlich ist, um die Vorteile und Möglichkeiten einer digitalen Erfassung der Ergebnisse einer Bauwerksprüfung zu ermöglichen. Anhand einiger Beispiele konnte aufgezeigt werden, dass diese Form der digitalen Bauwerksprüfung bei einer großen Bandbreite an Infrastrukturbauwerken anwendbar ist. Neben Tunneln und Wannen können bei entsprechender Zugänglichkeit auch Brücken und Stützbauwerke - aber auch kleinere Bauwerke wie Überkopfwegweiser oder Lärmschutzwände entsprechend in den vorgestellten Workflow implementiert werden. Dieser besteht maßgeblich aus einem, basierend auf Laserscandaten erstellen, digitalen Modell des Bauwerkes, in welches Fehlstellen, Schäden und Mängel bereits vor Ort vermarkt und annotiert werden können. Neben der effizienteren Erfassung dieser Daten und Informationen im Zuge der Prüfung kann damit auch ein erheblicher Mehrwert für Folgeprüfungen generiert werden. Dieser besteht vor allem in der einfachen Vergleichsmöglichkeit zwischen unterschiedlichen Prüfperioden und der daraus resultierenden Zeitersparnis. Zudem wird durch das digital erstellte Modell weiters eine Planungs- und Datengrundlage für erforderliche Sanierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen gegeben, welche durch den Bauwerkserhalter bzw. dessen Planer verwendet werden können. Neben der Digitalisierung des Prüfprozesses an sich konnte durch die Integration digitaler Techniken wie Augmented Reality ein interessanter Ansatz mit in die Bauwerksprüfung aufgenommen werden. Neben der Vereinfachung der Prüfung durch eine interaktive und intuitive Steuerung kann hiermit auch die Nachvollziehbarkeit der Prüfung - sowohl für das Prüfpersonal als auch Dritte - erhöht werden. Derartige Ansätze werden zukünftig zunehmen und bringen vor allem unter Beachtung steigender Kosten, einer Abnahme des Erhaltungszustandes, aber auch dem Fachkräftemangel eine zielführende Möglichkeit dar, um Bauwerksprüfungen - als Grundlage der Zuverlässigkeit von Bauwerken - gewährleisten zu können. Literaturverzeichnis [1] Rebhan, M.J.: Korrosionsschäden bei Winkelstützmauern. Dissertation TU Graz, 2019. [2] Grubinger, S. S.: Risikomanagement bei bestehenden Stützbauwerken im Streckennetz des Landes Steiermark. Masterarbeit, TU Graz. 2020. [3] Forschungsgruppe SIBS: Abschlussbericht Forschungsprojekt. SIBS - Sicherheitsbewertung bestehender Stützbauwerke. VÖBU. 2019. [4] RVS 13.03.61: Qualitätssicherung bauliche Erhaltung - Überwachung, Kontrolle und Prüfung von Kunstbauten - Nicht geankerte Stützbauwerke. Österreichische Forschungsgesellschaft Straße, Schiene, Verkehr, Wien, 2014. [5] ÖGG: Empfehlungen zur vertieften Prüfung und Beurteilung bestehender, unverankerter Stützbauwerke. Österreichische Gesellschaft für Geomechanik, Salzburg, 2019. [6] Nöhrer, F., M.J. Rebhan, B. Saurug, R. Marte, S.S. Grubinger, G. Mauerhofer, Long-term experiences for the safety Assessment of existing retaining structures in Styria, Geomechanics and Tunnelling 12 (2019), No. 5. [7] Kirchmair, M.: Ungeankerte Stützbauwerke der ASFINAG, Erfahrungen und Vorgangsweise. Fachtagung Stützmauern, Bern, 2017. [8] Forschungsgruppe NAT. Abschlussbericht Projekt NAT - Neuerungen in der Ankertechnik. Technische Universität Graz. Institut für Bodenmechanik, Grundbau und Numerische Geotechnik. Noch nicht veröffentlicht. [9] Grubinger, S.S., Rebhan, M.J., Jimenez, S., Hinrichs, R., Rappold, M.; Dokumentation einer Straßenbaustelle - es muss ja nicht immer BIM sein! , 2. Kolloquium Straßenbau in der Praxis. TAE Esslingen. 2021. [10] https: / / inspect3d.at/ [11] Kalenjuk, S., Lienhart, W., & Rebhan, M. (2021). Processing of mobile laser scanning data for largescale deformation monitoring of anchored retaining structures along highways. Computer-Aided Civil and Infrastructure Engineering , 36(6), 678-694. https: / / doi.org/ 10.1111/ mice.12656 [12] https: / / blog.asfinag.at/ hinter-den-kulissen/ brueck entragwerkskontrolle/ 5. Brückenkolloquium - September 2022 223 Multi-Sensor measurements on a large-scale bridge model Dr. Chun-Man Liao Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), Berlin, Germany Dr. Konstantin Hicke Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), Berlin, Germany Dr. Felix Bernauer Ludwig-Maximilians-University, Munich, Germany Dr. Heiner Igel Ludwig-Maximilians-University, Munich, Germany Dr. Celine Hadziioannou Institute of Geophysics, University of Hamburg, Hamburg, Germany Dr. Ernst Niederleithinger Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), Berlin, Germany Abstract This contribution introduces an investigation of a large-scale prestressed concrete bridge model (“BLEIB” structure at the BAM-TTS open air test site) by means of on-site cooperative measurements. This bridge has an external post-tensioning system and has been instrumented with the ultrasonic transducers, temperature sensors and optical fibers for Distributed Acoustic Sensing (DAS). Our experiment was designed to test the suitability of the novel 6C sensors developed within the framework of the GIOTTO project - the IMU50. The IMU50 sensor enables vibration measurements in translation along three axes and rotation around three axes. The geophone sensors were considered for complementary measurements of vertical velocity response. In the experiment, several perturbations were achieved by controlling the external influence factors such as loading and prestressing changes. The aim of the integrated measurement strategy was to fully observe the results of the condition change and to verify the effectiveness of multiple sensors for bridge monitoring. 1. Introduction Recently, the topic of bridge monitoring has become a focus in civil engineering. A proper inspection of the bridge condition benefits reliable diagnosis of the structural performance and prediction of the service time of the structure. This is a way of economic management to achieve the safety and sustainability of the civil structures during their operation. Thus, the ability of structural health monitoring (SHM) in civil engineering is important. The damage identification based upon changes in vibration characteristics can be an approach that monitor changes in the structures on a global basis [1]. With the aid of advanced technologies in sensors, real time monitoring can be conveniently carried out. In the framework of the project Giotto (abbreviated from Gebäudeschwingungen: kombinierte Zustandsanalyse mit innovativem Sensorkonzept), the multi-sensor measurements on a prestressed concrete bridge model were carried out. The goal of the Giotto project is to develop real time monitoring methods for civil structures during normal operation and to advance the current damage detection methods. In this project, an innovative 6C prototype sensor IMU50 that was produced for the navigation by 6-components (6C) was designed. To validate the application of this sensor for the purpose of real time monitoring, vibration tests were undertaken while the reference sensors, which are broadband seismometers, were applied. The tilt correction of the translation acceleration output will be compared with the direct measurement of rotation. This contribution presents an investigation of a large-scale prestressed concrete bridge model (“BLEIB” structure at the BAM-TTS open air test site). The specific feature of this bridge is its adjustable prestressing force system and the mounted instruments, including the temperature sensors, the ultrasonic transducers as well 224 5. Brückenkolloquium - September 2022 Multi-Sensor measurements on a large-scale bridge model as the distributed acoustic sensing (DAS), which can make available spatially resolved dynamic strain information from which vibrational states under operational conditions can be determined [2]. The aim of performing on-site cooperative measurements is to fully observe the integrated influence on the bridge caused by the environmental and structural condition change. At the same time, not only the effectiveness of the multiple sensors for bridge monitoring can be proved, but also the validation of the innovative 6C prototype sensor IMU50 can be achieved. In the experimental analysis, the structural condition change regarding the altered prestressing force and the various loads, was identified by the modal frequencies. The temperature effects on the long-term monitoring of the ultrasonic waves and the vibrational waves were compared by the coda wave interferometry (CWI) method. The coincidence of the translation and the rotation responses was also proved. In addition, the advantage of the DAS measurement was revealed by identifying the modal shapes. This paper shows the preliminary study of the applicability of the multi-sensors for bridge structural health monitoring (SHM). The further study of damage detection should be done by the profound analysis of the obtained measurement data. 2. Experiments 2.1 Test structure The test structure is a large-scale prestressed concrete bridge model “BLEIB” (fig. 1), at the BAM-TTS open air test site in Brandenburg. This bridge has 24-meter length and 0.9-meter width. It contains a built-in unbonded post-tensioning system. Thus, the prestressing force can be precisely adjusted. Fig. 1: Large-scale bridge model „BLEIB“ with the post-prestressing system. 2.2 Sensors 2.2.1 Compact 6C prototype sensor IMU50 is a type of 6-degree-of-freedon (6D) Fibre Optic Gyroscopes (FOGs) sensors (fig. 2). This sensor uses three perpendicular silicon based capacitive Micro-Electo Mechanical System (MEMS) accelerometers to measure translational motion, and three FOGs coiled around the translational axes to measure rotations [3]. The combination of 3D rotational and 3D translational vibration responses can provide condition information without the need for a reference frame. Fig. 2: Left: IMU50 sensor. Right: IMU50 in water protector - pot. 2.2.2 Seismic vibration sensors To validate the innovative 6C prototype sensor IMU50 for SHM, the on-site cooperative measurements provide a comparative examination. The multiple sensors which can record structural vibrations as the reference for the IMU50 measurement results, are shown in fig. 3. The broadband seismometer - Trillium Compact was used for measuring the translational motions in the direction of three-axes. The broadband rotation sensor - blueSies-3A was used for measuring the rotation motions along the three axes. The geophones were applied for measuring the vertical vibration velocity responses of the bridge. These sensors can be placed on the top of the bridge for measurements. Fig. 3: Vibration sensors (from left to right): Trillium Compact, blueSeis-3A, geophone. 5. Brückenkolloquium - September 2022 225 Multi-Sensor measurements on a large-scale bridge model 2.2.3 Embedded sensors For the non-destructive testing (NDT), the piezoelectric ultrasonic transducers (fig. 4 left) - designed for embedding into concrete have been mounted as the “BLEIB” bridge was constructed. This transducer can be applied as the active source to send the ultrasonic waves, it also can be applied as the receiver. The ultrasonic wave was generated with a central frequency of 60 kHz. The sampling rate was 2MHz. During the measurements, 10000 samples were taken. To observe the scattering of the ultrasonic waves in the area where the direct path between source and receiver, the coda wave interferometry (CWI) technique was considered to extract the wave velocity variation. In addition, the dynamic strain rate corresponding to vibrations induced by excitation of the structure was measured along the optical fibers (fig. 4 middle) embedded close to the surface of and in axial direction of the “BLEIB” bridge using a commercial distributed acoustic sensing (DAS) device. The measurement approach is based on measuring spatially resolved Rayleigh optical backscatter signals following sequential optical interrogator pulses propagating through the sensing fiber. Local dynamic strain of the fiber (exerted by the structure’s vibrations) within the gauge length defined by the interrogator pulse duration results in a linear change to the backscatter signal’s phase from which the strain (rate) and thus local vibrations can be determined [4]. The pulse propagation results in effective continuous multiplexing and thus makes spatially resolved vibration information available. This therefore enables DAS along the structure. Fig. 4 (from left to right): Acsys SO807 [5], optical fibers glued into grooves on the bridge surface, TEWA sensor [6]. For the evaluation of the influence of environmental aspects on the bridge, temperature sensors (TT0210KC3- T105-1500 from TEWA sensors as shown in fig. 4 right) were applied. The temperature sensors are calibrated for a temperature range of −10 ◦C to 35◦C and provide precise measurements in this range [6]. The temperature was taken every 30 minutes to monitor the ambient temperature and the temperature change in the concrete. 2.3 Set up 2.3.1 Vibration sensors The sensor instrumentation can reference to fig. 5. From no. 1 to no. 12 are the positions of the geophones. The sampling rate was set 500 Hz. The distance between geophones was 2 m except that the distance between no. 6 and no. 7 was 1.6 m. From no. 13 to no. 16 are the positions of the 6D stations. At each station, a broadband seismometer - Trillium Compact and a broadband rotation sensor - blueSies-3A were applied. Their sampling rates were set to 200 Hz. The four IMU50 sensors were also placed next to the geophones at the positions no. 3, no. 6, no. 9 and no. 12. This can be seen in fig. 2 right. The sampling rate was set to 100 Hz. 2.3.2 Embedded sensors In fig. 5, the cross sections A, B, C, D and E are the locations where the ultrasonic transducers are embedded. Two transducers were mounted at each cross section, one at the east side and the other at the west side (fig. 6). The wave propagation between A and B, and between D and E were considered to evaluate the structural properties at the mid-spans, where the most cracks have progressed. Fig. 5: Sensor plan. 226 5. Brückenkolloquium - September 2022 Multi-Sensor measurements on a large-scale bridge model Fig. 6: Two ultrasonic sensors at a cross-section. 2.4 Vibration tests The ambient vibration measurements were performed two times, 1 day in 2020 and 2-3 weeks in 2021. Only the environmental factors without any structural condition change interfered with the vibration responses of the bridge. Two days in Oct. 2021 were chosen for the measurements as the “BLEIB” bridge was subjected to different vertical excitations under various external conditions, which were caused by the prestressing force change and the loading cases. Thereby, the natural damage was induced by opening the already existing cracks. Reference to Tab. 1, the prestressing force was rearranged. Firstly, the prestressing force was reset to 0 kN, then raised up to level 1 (450 kN). Afterwards, the prestressing force was decreased by the amount of 50 kN for every level until level 6 (200 kN). Thereafter, the prestressing force was enhanced by the amount of 50 kN for every level until level 11 (450 kN). Between level 2 and level 5, and at level 10, the loads 300 kg. 600 kg and 900 kg were applied to the bridge (position reference to fig. 5) to obtain the different event extensions of the already existing cracks. Tab. 1: The alteration of prestressing force and loads Reset 0 kN Load case Level 1 450 kN 0 kg Level 2 400 kN 0 kg 300 kg 600 kg 900 kg Level 3 350 kN 0 kg 300 kg 600 kg 900 kg Level 4 300 kN 0 kg 300 kg 600 kg 900 kg Level 5 250 kN 0 kg 300 kg 600 kg 900 kg Level 6 200 kN 0 kg Level 7 250 kN 0 kg Level 8 300 kN 0 kg Level 9 350 kN 0 kg Level 10 400 kN 0 kg 300 kg 600 kg 900 kg Level 11 450 kN 0 kg At each changed structural condition, the 10-minute ambient vibrations and the 3-minute impulse vibrations were recorded. 3. Environmental influences During the ambient vibration monitoring, no excitation was applied and the background noise at the “BLEIB” bridge was not caused by traffic vibrations but by wind. This section introduced the environmental factor which can influence the propagation velocity of ultrasonic waves in the bridge and the velocity of vibrational waves. 3.1 uncertainty of ultrasonics Temperature is known to have an influence on the ultrasonic pulse velocity of solid concrete [7]. Since the field conditions are not as pure as in the laboratory, Niklas et al. carried out a long-term velocity monitoring experiment outside the laboratory and tried to find a correlation between changes in temperature and ultrasound [8]. In recent years, coda wave interferometry (CWI), originally developed in seismology, has been applied to ultrasonic measurements in concrete [9]. In CWI application, a reference ultrasonic signal should be chosen for comparison of changes in signals during the monitoring. The change will be reflected on the velocity variation of the waves. A stretching factor is defined as equivalent to an average wave velocity variation, in eq. [1]. [1] where α is the stretching factor, t is time, v is velocity. By stretching the compared wave, its cross-correlation with the reference wave can help us to find the velocity change. The following eq. [2] is for calculating the crosscorrelation of the stretched wave and the reference wave. [2] where u c (t + αt) and u r (t) represent the stretched signal and the reference signal, respectively. Through eq. [2], the highest CC determines the best stretching factor. Considering the linear regression, the ratios of velocity change to the temperature 1 K were obtained, as shown in fig. 7. This indicates the uncertainty of ultrasonics due to temperature alteration in different months. 5. Brückenkolloquium - September 2022 227 Multi-Sensor measurements on a large-scale bridge model Fig. 7: Linear regression of velocity to concrete temperature between position A and B (position reference to fig. 5). 3.2 uncertainty of seismic waves The natural frequency can be obtained by means of Frequency Domain Decomposition (FDD) [10] technique, which is commonly used as algorithm for the operational modal analysis (OMA) [11] of civil structures. According to the ambient vibration recordings for 17 hours at the four 6D stations, the first modal frequency was changed from 3.62 Hz to 3.7 Hz. The alteration was not obvious. However, a reference was chosen to calculate the frequency variation as shown in fig. 8. Fig. 8: Difference of first mode frequency in the 17-hour monitoring. To calculate the velocity change of the vibrational waves during the 17 hours monitoring, the vibration signals were filtered in the range of 1-4 Hz. A cross-correlation function as the seismic interferometry technique was adopted to reconstruct the virtual wave propagation between two 6D stations. Fig. 9 was obtained by applying CWI to the seismic interferometry between two 6D stations. In fig. 9, the positions of station 1, 2, 3, 4 refer to no. 13 no. 16 in fig. 5. Fig. 9: Velocity variation of the vibrational waves filtered in the frequency range 1-4 Hz. The scale of the alternation in both fig. 8 and fig. 9 infer that the velocity change has a linear relation to the natural frequency. In addition, the tendency of the velocity change and the frequency change indicated the temperature change. The higher temperature, the lower natural frequency and lower wave velocity. And vice versa. On the other hand, the accuracy of the translation measurement and that of the rotation measurement is approved by their coincident results in fig. 8 and fig. 9. 4. Vibration data and dynamic strain data The DAS measurement provides truly spatially continuous vibration information by dynamic strain data. In contrast, the 6D station combining 3-component (3C) translation seismometer and 3C rotation seismometer as well as the IMU50 sensors can measure only the point vibration responses of the structure, albeit providing higher precision and accuracy. Obtaining modal parameters from the recordings can help to describe the vibration characteristics of the “BLEIB” structure. Thus, spectral analyses of the dynamic strain data and 6D vibrations were conducted. 4.1 Spectral analysis Power spectra for each measurement position along the sensing fiber were calculated via FFT of the distributed vibration information obtained from the commercial DAS device for no load and the prestressing force 400kN shown in fig. 10. Vibrations were induced by hammer blow simulating a pulse-like (broadband) excitation of the structure. A 20 s time window after the onset of the pulse was used to calculate the spectra. The position of the hammer blow can reference to fig. 5. 228 5. Brückenkolloquium - September 2022 Multi-Sensor measurements on a large-scale bridge model Fig. 10: Spatially resolved spectra of hammer blow-induced vibrations measured by DAS, with prestress force 400kN and 0 kg load. Fig. 10 shows a distributed view of calculated spectra along one fiber run on top of the bridge (24 m). Several low-frequency vibrational modes can be seen. The spatial distribution corresponds to typical harmonic mode shapes with increasing order for a vibrating structure. Fig. 11 depicts the onset of the the structures’s vibrations in a distributed way via the measured strain rate in a waterfall plot. Fig. 11: Onset of vibrations induced by hammer blow measured by DAS along bridge length. On the other hand, the impulse vibration responses subjected to the same vertical excitation recorded at a 6D station (referring no. 14 in fig. 5) is shown in fig. 12. Fig. 12: Impulse responses at a 6D station (no.14 in Fig. 5) under prestressing force 400kN and 0 kg load. Fig. 13: Vibrations measured as strain rate using DAS at measurement position corresponding to a 6D station (no.14 in Fig. 5) under prestressing force 400kN and 0 kg load. For comparison, fig. 13 shows a time trace of the dynamic strain rate measured by the DAS device at an individual measurement position corresponding to the location of 6D station no.14. The corresponding time-dependent spectrum of the impulse response as measured at the 6D station (fig. 12) is shown in fig. 14. Analogously, the spectrogram calculated from the fiber sensors strain rate measurement at the same location (fig. 13) is depicted in fig. 15. Fig. 14: Spectrum of translation responses at a 6D station (no.14 in fig. 5) under prestressing force 400kN and 0 kg load. Fig. 15: Spectrogram calculated from DAS strain rate measurement at location no.14 in fig. 5 following a hammer blow under prestressing force 400kN and 0 kg load. Comparing fig. 14 with fig. 15, the modal frequencies observed from the DAS spectrum and from the translation vibration spectrum show a good match, though the observed temporal persistence (damping) of the various modes differ, resulting among other reasons from the different mechanical couplings of the sensors. 5. Brückenkolloquium - September 2022 229 Multi-Sensor measurements on a large-scale bridge model Further, the spectra of the translation responses under the same condition at four 6D stations were compared as shown in fig. 16. The distinct peaks indicate the first three modal frequencies 3.6 Hz, 5.8Hz and 15Hz. the positions of station 1, 2, 3, 4 refer to no. 13 no. 16 in fig. 5. Fig. 16: Spectra of translation responses at four 6D stations under prestressing force 400kN and 0 kg load. 4.2 Modal frequency change Furthermore, the modal frequencies were determined from the DAS data and from the 6D station measurements via OMA method, respectively. The comparison of the first 3 modal frequencies in fig. 17 shows a very good agreement and the same behavior under different conditions: the higher the prestressing force, the higher the mode frequencies and the heavier the loading, the lower the resulting frequencies. Fig. 17: Left: modal frequencies from DAS measurement data. Right: Modal frequencies tend obtained from translation vibration data via OMA. 5. Conclusion and outlook The IMU50 sensors, geophones and 6D broadband seismometers, as well as ultrasonics and DAS techniques were applied to fulfill the on-site cooperative measurements. The preliminary investigation was conducted by the vibration assessment and the ultrasonic analysis. From the results of the 6D vibration monitoring, the consistence of translation and rotation measurements by use of different sensors was confirmed. In the modal analysis of the 6D vibration recordings and the DAS measurements, the changes in the prestressing force and the loads were identified. Nevertheless, the deviation of the modal frequencies in DAS and in translation vibration results need to be examined. The reason has not yet discussed in this contribution. In addition, the CWI method was applied to show the influence of the temperature on the ultrasonics in the “BLEIB” bridge. The temperature effect was quantified by the linear regression of the velocity variation with respect to the concrete temperature. This can be used to dismiss the uncertainty of the temperature in the ultrasonic measurements to identify the velocity change in dependence of the prestressing force and the loads. Afterall, the assessment of the IMU50 sensors was not presented in this study. To validate the IMU50 sensors in SHM is our next work. Moreover, we tend to draw a distinction from the local/ global damage consequences of bridges and the prestress loss in the further study of this comprehensive measurements. 6. Acknowledgement This research is part of the Giotto Project financially supported by Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in the frame of “Früherkennung von Erdbeben und ihren Folgen” program (Grant No: 03G0885D). The authors thank the colleagues from BAM division 8.2 and 8.6 for their support of our experiment. Literature [1] Farrar, C. R., Doebling, S. W., & Nix, D. A.: Vibration-based structural damage identification. In: Philosophical Transactions of the Royal Society of London. Series A: Mathematical, Physical and Engineering Sciences, 359(1778)/ 2001, pp. 131-149. [2] Hicke, K., Hussels, M., Eisermann, R, Chruscicki, S. and Krebber, K.: Condition monitoring of industrial infrastructures using distributed fibre optic acoustic sensors. 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Brückenkolloquium - September 2022 231 Bedarfsorientierte Informationsanreicherung von Bestandsbrückenbauwerken im Kontext des SHM Martin Köhncke M. Sc. Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr, Hamburg, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Sascha Henke Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr, Hamburg, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. Sylvia Keßler Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr, Hamburg, Deutschland Zusammenfassung Brückenbauwerke sind ein unverzichtbarer Teil unserer Infrastruktur. Ihre uneingeschränkte Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit sicherzustellen, ist eine große Herausforderung. Die Digitalisierung ist für diese Aufgaben unter Berücksichtigung der großen Anzahl an Brückenbauwerken ein hilfreiches Tool, das bisher nur unzureichend ausgeschöpft wird, weil eine einheitliche Methode zur Digitalisierung von Brückenbauwerken bislang fehlt. Neben der geometrischen Repräsentation sind insbesondere die Erfassung und Abbildung von semantischen Informationen wichtig. Allerdings werden nicht alle Informationen, die erfassbar sind oder vorliegen, auch zwingend benötigt. Dies ist von großer Bedeutung, um die Effizienz bei der Anreicherung von Bestandsbauwerksmodellen zu gewährleisten. Die benötigten Informationen sind daher in enger Abstimmung mit den Betreibern zu identifizieren und nach Möglichkeit nur diese zu überführen (Stichwort: Level of Information Need LoIN). Das übergeordnete Ziel eines laufenden Forschungsprojekts (dtec.bw SHM) ist die Entwicklung eines praxistauglichen Vorgehens für die Anreicherung von geometrischen Bauwerksmodellen für das Unterhaltungsmanagement. Das Vorgehen für die Anreicherung wird am Beispiel von zwei Bestandsbrücken der Autobahn GmbH Nord aufgezeigt. Die teilweise lückenund/ oder fehlerhafte Datenlage bei Bestandsbauwerken soll behoben werden und durch eine zentrale Informationsbereitstellung ergänzt werden. Durch die Ergänzung und Aktualisierung der benötigten Informationen in einem Building Information Model soll das Unterhaltungsmanagement in die digitale Welt überführt werden. 1. Einleitung Eine funktionierende Infrastruktur basiert im Wesentlichen auf der Zuverlässigkeit und somit der Verfügbarkeit ihrer baulichen Anlagen. Hierbei ist die große Anzahl an Bauwerken ein nicht zu vernachlässigender Faktor; aktuell befinden sich ca. 40.000 Brücken im Netz der Bundesfernstraßen [1]. Dem Erhaltungsmanagement der Brückenbauwerke kommt damit eine besondere Bedeutung zu, für das die Digitalisierung ein essentielles Werkzeug darstellt. Die Digitalisierung kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn mit effizienten und einfach anzuwendenden Methoden die notwendigen Ergebnisse erzielt werden. 1.1 Digitalisierungsansätze Innerhalb der Digitalisierung gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen, die verfolgt werden, um die knappen Ressourcen für die Instandhaltung von Bestandsbauwerken besser zu nutzen. Zum einen ist hier das Building Information Modeling (BIM) zu nennen. Hierbei werden digitale, geometrische Modelle mit semantischen Informationen von Bauwerken angereichert und zentral für alle Projektbeteiligten verfügbar gemacht. Dadurch soll unter anderem die Transparenz der Kommunikation der Beteiligten erhöht werden, damit zum Beispiel immer mit dem aktuellen Planungsstand weitergearbeitet werden kann. BIM eignet sich für den gesamten Lebenszyklus, wird aber bisher vornehmlich in der Planung und teilweise in der Bauphase eingesetzt [8]. Weiterhin steht auch die Nutzung von Informationstechnologien bei bisher analogen Tätigkeiten, wie z. B. der Bauwerksprüfung und -dokumentation sowie Verwaltung der Brückenbauwerke im Fokus. Dieser Beitrag fokussiert auf die Informationsanreicherung von Bestandsmodellen für das Structural Health Monitoring (SHM) von Brückenbauwerken im Kontext von BIM. Dafür ist zunächst eine Definition von BIM und SHM erforderlich. 232 5. Brückenkolloquium - September 2022 Bedarfsorientierte Informationsanreicherung von Bestandsbrückenbauwerken im Kontext des SHM BIM wird als „kooperative Arbeitsmethodik, mit der auf der Grundlage digitaler Modelle eines Bauwerks die für seinen Lebenszyklus relevanten Informationen und Daten konsistent erfasst, verwaltet und in einer transparenten Kommunikation zwischen den Beteiligten ausgetauscht oder für die weitere Bearbeitung übergeben werden“ definiert [2]. Insbesondere für den Betrieb von Bestandsbauwerken ergibt sich das Problem, dass die relevanten Informationen nicht aus einem digitalen Planungs- und Bauprozess kommen, sondern oft als papiergebundene Planungsunterlagen, Bildaufnahmen oder in unterschiedlichen Dateiformaten zur Verfügung stehen. Die Informationen müssen also erst aufwendig für ein digitales Bauwerksmodell aufbereitet werden. Hierbei wird der Aufwand für die Aufbereitung durch die Anzahl der Informationen sowie deren Heterogenität, Qualität und Verfügbarkeit beeinflusst. Qualität und Verfügbarkeit hängen dabei oft auch von dem Alter der Bauwerke ab. Zusätzlich ist die Anzahl der notwendigen Informationen durch die Ziele, die damit erreicht werden sollen, bestimmt. Die Ziele können dabei von einfachen Informationsintegrationen zum Beispiel der Kosten und Termine bis hin zu komplexen Simulationen reichen. In diesem Fall werden für ein SHM-System die notwendigen Informationen und ihre möglichen Wege für die Integration in ein BIM-Modell aufgezeigt. Unter SHM wird die kontinuierliche automatische Überwachung einer Struktur durch festinstallierte Sensorsysteme verstanden. Diese sollen Schäden zuverlässig detektieren und lokalisieren [3]. Zukünftig soll die Bewertung des Bauwerkszustandes auf Basis der SHM-Messwerte möglichst automatisiert erfolgen. Die Ergebnisse sollen dann im BIM abrufbar sein. Für jedes Bauwerk sind entsprechend darauf angepasste Auswertealgorithmen zu entwickeln. Dadurch können Instandhaltungsmaßnahmen zielgerichteter durchgeführt, die Verfügbarkeit erhöht und die Kosten durch frühzeitiges Eingreifen reduziert werden. Allerdings gibt es auch Herausforderungen bei der Verwendung eines SHM. Zunächst sind hier die Kosten des Systems zu nennen, wobei die Kosten für Sensoren durch eine zunehmende Miniaturisierung und Steigerung der Leistungsfähigkeit und Robustheit in der Herstellung und Wartung in den letzten Jahren gesunken sind [4]. Allerdings sind die Kosten für das Anbringen der Sensoren an den meist komplexen und wenig zugänglichen Brückenbauwerken nicht zu vernachlässigen. Zusätzlich stellt sich die Frage nach der optimalen Positionierung der Sensoren, damit alle etwaigen, auftretenden Schäden zuverlässig detektiert werden können. Bereits vorliegende Schäden sind vorab über Inspektionen zu detektieren und sollten durch geeignete Sensorik überwacht werden, um die Entwicklung der Defektgrößen zu kontrollieren. Dafür müssen die Position und die Merkmale der Schäden bekannt sein. Damit ein SHM-System effizient genutzt werden kann, sollten alle dafür notwendigen Informationen zentral zur Verfügung stehen. Ein möglicher Ansatz ist es, die Informationen in einem BIM-Bestandsmodell zu integrieren. Im BIM werden die Detailierungsgrade von Bauwerken oft in einem sogenannten Level of Develop-ment (LOD) angegeben. Dieser wird nachfolgend zunächst vom Konzept des Level of Information Need (LoIN) abgrenzt. 1.2 LODversus LoIN-Konzept Der LOD gibt den Entwicklungsstand eines Bauwerks wieder und setzt sich dabei aus geometrischen und semantischen Informationen zusammen. Allerdings werden i. d. R. in der Planung alle Bauteile und Abschnitte betrachtet und teilweise mit allen verfügbaren Informationen verknüpft. Es hat sich diesbezüglich in der praktischen Umsetzung ein Stufenkonzept in 100er-Schritten etabliert, welches versucht, konkrete Aussagen zu den zu liefernden Informationen einer Stufe zu machen [5]. Die geometrischen und semantischen Informationen müssen dabei nicht zwangsläufig immer auf der gleichen Stufe sein. Oft ergeben sich auch für unterschiedliche Teile der Planung unterschiedliche Ausarbeitungsgrade, sodass kein Gesamt-LOD für alle Teile der Planung angegeben werden kann [10]. Die Unterteilung unterscheidet sich auch nach den beteiligten Akteuren, da diese teilweise eigene Anforderungen definieren. Die Anforderungen an die Entwicklungsgrade sind direkt zu Projektbeginn zu definieren, eine allgemeingültige Normung für das LOD existiert bisher nicht. Dem gegenüber steht das LoIN-Konzept, welches versucht, die verschiedenen LOD-Definitionen im europäischen Raum mithilfe der Norm EN 17412 zu harmonisieren. Grundsatz des LoIN ist, dass die notwendigen Informationen in Abhängigkeit konkreter Anwendungsfälle definiert werden. Eine Unterteilung des Informationsgehaltes in verschiedene Stufen entfällt [5]. So kann zum Beispiel festgelegt werden, dass für den Betrieb und die zugehörigen Anwendungsfälle die Informationen zu Kosten und Terminen in der Bauphase des Bauwerks eine deutlich geringere Bedeutung haben und somit nicht notwendigerweise abgebildet werden müssen. Allerdings ist für jeden Anwendungsfall dezidiert zu bestimmen, welche Informationen wann benötigt werden. Hinzu muss im Rahmen der Festlegungen auch definiert werden, aus welchem Dokument oder Plan die jeweiligen Informationen übernommen werden. Im weiteren Verlauf werden die Anwendungsfälle Planung, Installation und Betrieb eines SHM-Systems untersucht. Zunächst werden jedoch zwei im Rahmen des gegenständlichen Forschungsprojektes untersuchte Referenzbauwerke kurz vorgestellt. 2. Vorstellung der Referenzbauwerke Bei den beiden Referenzbauwerken handelt es sich zum einen um eine Plattenbalkenbrücke aus dem Jahr 1972. Ihre Gesamtlänge beträgt 245 m mit einer Breite von 22,7 m. Sie wurde als 2-stegige Spannbetonbrücke konstruiert. Die Brücke ist durch eine Längsfuge in die Teilbauwerke Ost und West aufgeteilt. Diese Referenzbrücke 5. Brückenkolloquium - September 2022 233 Bedarfsorientierte Informationsanreicherung von Bestandsbrückenbauwerken im Kontext des SHM wurde zudem im Jahr 2015 um eine externe Vorspannung in Längsrichtung ergänzt. Zum anderen handelt es sich um eine Brücke (Baujahr 1972) über die Autobahn A7 mit einer Spannweite von 50 m und einer Breite von 6 m. Das Bauwerk ist ein Mischsystem bestehend aus Zweigelenkrahmen und Bogensystem mit Kragarm. Der Träger ist als einzelliger Hohlkastenquerschnitt mit Verjüngung ausgeführt. Beide Brücken sind Spannbetonbauwerke und stehen somit stellvertretend für ca. 70% aller Bestandsbrücken im Bundesfernstraßennetz [6]. Aus diesem Grund eignen sie sich besonders für Untersuchungen, da die Ergebnisse auf eine breite Anzahl an weiteren Bauwerken übertragbar sind, auch wenn die einzelnen Brücken durch eine hohe Individualität gekennzeichnet sind. 3. Anwendungsfälle eines SHM-Systems Die Anwendungsfälle werden zunächst in drei Phasen unterteilt: Planung, Installation und den Betrieb. Eine Übersicht der Anwendungsfälle ist in der Tabelle 1 dargestellt. Tabelle 1: Anwendungsfälle des SHM-Systems geordnet nach den Phasen Planung, Installation und Betrieb Planung Installation Betrieb Visualisierung Bauwerk inkl. Informationen der SIB- Datenbank Modellbasierte Ausführung Visualisierung prozessierte Zeitreihen Visualisierung Schäden Dokumentation Sensorinstallation Visualisierung Key Performance Indikatoren Auswahl und Position Sensoren Dokumentation Anschlüsse und Kabelführung Datenmanagement der Messwerte 3.1 Planung Die Planung eines SHM-Systems findet aktuell zumeist im Kontext von Bestandsbrücken statt, welche durch Schäden in den regelmäßigen Bauwerksinspektionen aufgefallen sind. Erste Forschungsarbeiten zu Brücken, die direkt mit Sensoren eines Structural Health Monitorings ausgestattet sind, befinden sich in der Umsetzung. Der Bedarf an Forschungsergebnissen zu Bestandsbauwerken ist aktuell größer. Aus diesem Grund wird nachfolgend ausschließlich auf den Fall von Bestandsbrücken eingegangen. Die Dauerüberwachung zur frühzeitigen Erkennung von Schäden soll dabei Aufschluss über die weitere Entwicklung von Schäden geben und ein rechtzeitiges Eingreifen ermöglichen. Allerdings werden derartige Systeme zumeist nur bei sehr wichtigen Bauwerken eingesetzt, deren Verfügbarkeit für die Infrastruktur kritisch ist. Im Rahmen der Planung eines SHM sind zunächst die Art der Sensoren inkl. ihrer Position festzulegen. Das beispielhafte Vorgehen und die zu beantwortenden Fragen hierzu sind in der Abbildung 1 schematisch dargestellt. Abbildung 1: Schematischer Ablauf bei der Planung der Sensoren Dafür ergeben sich mehrere Hauptinformationsbedarfe: • zum einen die Bestandsbrücke, mit - der Geometrie, - den verwendeten Materialien, - aktuellen Zustandsnoten sowie - weitere Informationen zum Typ des Bauwerks - Informationen aus der SIB-Datenbank • und zum anderen die detektierten Schäden an den Bauteilen des Bauwerks, mit - ihren Geometrien, - Merkmale und auch - Entwicklungen über die letzten Bauwerksinspektionen. Daraus folgen die einzusetzenden Sensoren mit ihren Informationen und Eigenschaften. Insbesondere die Anwendungen, Messbereich, Abtastrate und Messgenauigkeiten, Robustheit gegenüber Umgebungseinflüssen, Messfehler und Rauschdichte, Anbaubarkeit sowie Ausführungsart mit/ ohne Kabel sind bei der Planung eines SHM-Systems wichtig, damit für die Brücke passende Sensorkonzepte erarbeitet werden können. Zusätzlich sind die Informationen zu den in den Sensoren verwendeten Kommunikationsprotokollen und eingebetteten Algorithmen von besonderer Bedeutung, welche auch abgebildet werden müssen, aktuell aber noch weiterer Forschung bedürfen [11]. Schließlich sind auch die Umgebungs- und Witterungsbedingungen für die Planung relevant, damit ggf. geeignete Schutzsysteme für die Sensoren berücksichtigt werden können. Schließlich werden auch Informationen benötigt zu möglichen Anschlüssen ans Internet, um die Messdaten z. B. an den Betreiber zu 234 5. Brückenkolloquium - September 2022 Bedarfsorientierte Informationsanreicherung von Bestandsbrückenbauwerken im Kontext des SHM übermitteln, sowie an die Stromversorgung zum Betrieb des SHM-Systems. Eine vereinfachte Darstellung der benötigten Informationen ist in Abbildung 2 dargestellt. Abbildung 2: Schematische Darstellung der benötigten Informationen für die Planung eines SHM-Systems 3.2 Installation Bei der Installation stehen die modellbasierte Ausführung und die Dokumentation des SHM-Systems im Vordergrund. Die modellbasierte Dokumentation unterstützt das ausführende Unternehmen dabei, die Sensoren entsprechend der Planung zu montieren. Zudem ergibt sich die Möglichkeit, sich die Position der Sensoren im BIM-Modell in Zusammenspiel mit dem Bauwerk anzusehen und Herausforderungen einfacher visuell zu identifizieren sowie hierauf aufbauend den Montageablauf ggf. zu optimieren. Weiterhin kann das BIM-Modell durch die Hinterlegung von GPS-Koordinaten der Sensorpositionen zur Kontrolle der tatsächlichen Installation genutzt werden. Die Dokumentation des SHM-Systems umfasst die genauen georeferenzierten Positionen der Sensoren, damit diese mit den Planpositionen abgeglichen werden können, da die Vor-Ort-Bedingungen manchmal eine Anpassung der Sensorposition erfordern. Genauso werden die verbauten Sensoren mit den spezifischen Informationen und einer eindeutigen Bezeichnung im Modell hinterlegt, damit die Messungen immer der jeweiligen Position zugeordnet werden können. Des Weiteren sind Bilder zur Einbausituation als Basisinformationen sinnvoll. Neben den Sensoren stellen auch die Anschlüsse an den Vor-Ort-Messrechner, die Stromquelle und das Internet wichtige Informationen des SHM-Systems dar. Die Länge der Anschlusskabel ist für die Auswertung der Messergebnisse relevant und sollte entsprechend ebenfalls im Modell dokumentiert werden. 3.3 Betrieb Die Visualisierung von Messergebnissen in prozessierten Zeitreihen sowie von Key Performance Indikatoren bedarf vorheriger Festlegungen, welche Daten visualisiert werden sollen und in welcher Frequenz die zugrunde liegenden Daten aktualisiert werden sollen. Die Form der Visualisierung mit den entsprechenden Skalen und Grenzwerten aber auch das Programm oder die Webseite, in der die Visualisierung gezeigt werden soll, sind ebenfalls relevant. Der Betrieb eines SHM-Systems ist insbesondere durch eine große Menge an Daten, die während der Messung entstehen, gekennzeichnet. Dadurch wird die effiziente Verarbeitung der Messwerte, die Übertragung der Ergebnisse und die Bereitstellung von historischen Messdaten zu einer Herausforderung. Die Verarbeitung benötigt klare Informationen zu den anfallenden Datengrößen, den Leistungsmerkmalen der Recheneinheiten und den Übertragungsraten. Zu den historischen Messwerten muss bekannt sein, in welchem Umfang und Format diese zur Verfügung stehen sollen. Eine vollständige Ablage aller Messwerte eines SHM-Systems bietet oft nur wenige Vorteile gegenüber einer selektiven Speicherung von reduzierten Messwerten, insbesondere wenn die Messung weiter zurückliegt. Hier bietet sich oft eine Speicherung der historischen Extremwerte und eines bestimmten Zeitraums nach dem Ereignis an. Es ist vom Betreiber der Bauwerke festzulegen, welcher Datenumfang direkt im BIM-Modell des SHM-Systems hinterlegt sein soll. Eine allgemeingültige Aussage ist hierzu nicht möglich. 4. Erfassung und Abbildung semantischer Informationen Nachdem die Informationskategorien identifiziert sind, stellt sich die Frage, in welcher Form die Informationen vorliegen und woher diese Informationen kommen können, um sie anschließend in einem BIM-Modell abzubilden. Hierbei wird zunächst nur zwischen digitalen und papiergebundenen Informationen unterschieden. Später wird dann auf die Besonderheiten von PDF- und JPG- Dateiformaten eingegangen. 5. Brückenkolloquium - September 2022 235 Bedarfsorientierte Informationsanreicherung von Bestandsbrückenbauwerken im Kontext des SHM Tabelle 2: Übersicht der Informationsformen und -quellen Kategorie Form Quelle Bauwerksinformationen papiergebunden z. B. Bauwerksbuch, Baupläne Sensoren digital z. B. PDF-Dateien Datenblätter, Messberichte Schäden digital z. B. JPG- Dateien, papiergebunden SIB-Bauwerkedatenbank, Inspektionsberichte, Nachrechnungen, Bilder von Schäden Umgebungsbedingungen digital, papiergebunden Wetterstation in Umgebung, Grundwasser- und Bodenkarten Anschlüsse papiergebunden, digital z. B. PDF-Dateien Versorgungspläne 4.1 Möglichkeiten der Informationsintegration Die Form und die Quellen stellen wichtige Einflussfaktoren auf die Integrationsfähigkeit in ein BIM-Modell dar. Es muss grundsätzlich unterschieden werden, ob die Informationen mit Bauteilen verlinkt sind oder tatsächliche Merkmale der Bauteile oder des Modells darstellen. Hier sei zum Beispiel die Möglichkeit genannt, das Datenblatt eines Sensors als PDF-Datei mit einer geometrischen Repräsentation zu verlinken. Dadurch wird die Information durch das BIM-Modell aufrufbar. Allerdings sind die Informationen in dem PDF nicht direkt maschineninterpretierbar und nur teilweise maschinenlesbar. Dadurch können die im Datenblatt enthaltenen Informationen oft nicht automatisiert weiterverarbeitet werden. Eine Alternative stellt die Modellierung der Informationen zum Beispiel als Merkmale des Sensors dar, wodurch diese wenigsten automatisiert ausgelesen werden können. Allerdings ist der manuelle Übertrag der Informationen in ein BIM- Modell mit einem erheblichen Aufwand verbunden, im Vergleich zum einfachen Verlinken der Informationen. Innovative Ansätze zur Interpretation von PDF-Dateien durch künstliche Intelligenz befinden sich aktuell in der Entwicklung. Dadurch könnte der Aufwand für die Anreicherung von BIM-Modellen signifikant reduziert werden. Bei der Übertragung aus bestehenden Datenbanken würde dadurch zudem die Fehleranfälligkeit reduziert werden. Aus diesem Grund muss innerhalb eines LoIN-Konzepts festgelegt werden, in welcher Form die Informationen verfügbar sein und mit welchen Schritten diese weiterverarbeitet werden sollen. Nachfolgend wird erläuternd dafür plakativ der Fall der Sensorpositionierung betrachtet. 4.2 Informationsanreicherung für Sensorpositionierung Die Sensorposition hängt vornehmlich von der Bauwerksgeometrie mit den Informationen zu den kritischen Bauteilen und den bisher detektierten Schäden ab. Diese Information vornehmlich in papiergebundener Form vor, weshalb hier aktuell noch großer manueller Aufwand für die Integration besteht. Wichtige Nebenbedingungen sind die Umgebungsbedingungen, wie Strahlungswerte, Temperaturbandbreite, Feuchte und weitere, sowie die Anschlussparameter. Insbesondere die Wetterdaten stehen heute schon digital über den Deutschen Wetterdienst zur Verfügung, hier können die Wetterdaten von 76 Wetterstationen über das Internet abgerufen werden. Es stehen auch historische Wetterdaten teilweise bis in das Jahr 1991 zur Verfügung. Die Anschlussparameter müssen dagegen meist wieder aus papiergebundenen Plänen entnommen werden. Die Verteilerkästen lassen sich aber auch bei Vor-Ort-Begehungen erfassen, allerdings fehlen dann oft weitere Informationen zum Leitungsverlauf, den bestehenden Leitungen und der Übertragungstechnik. All diese Informationen fließen aktuell in den Entscheidungsprozess eines oder mehrerer Ingenieure ein. Planungsalgorithmen für die Ermittlung der optimalen Sensorpositionen stehen noch nicht zur Verfügung, sodass bisher keine vollständige Automatisierung dieses Prozesses erfolgen kann. Dennoch entsteht durch die Zusammenführung aller relevanten Informationen in einem Modell der Vorteil, dass diese Informationen schneller auffindbar und leichter verknüpfbar sind. Abschließend lassen sich dann auch Bauteillisten für einen möglichen Beschaffungsprozess aus dem Modell ableiten. Der Informationsgehalt hängt dabei von dem Umfang der integrierten Informationen ab. Eine Besonderheit stellen bei der Informationsanreicherung von BIM-Modellen die Schäden dar, welche aktuell oft ausschließlich mit Bildern dokumentiert werden. Dadurch liegen zwar inhärente Informationen zu den Schäden, wie Größe und optischer Eindruck vor, diese können aber zumeist nur von Experten aus diesen Bildern herausgelesen und interpretiert werden. Weitere Informationen beispielsweise zu den Größen von Abplatzungen können anhand der Bilder zudem nicht ohne Weiteres erfasst werden. Weiterhin ist eine genaue Verortung der Schäden oft nur eingeschränkt möglich, da die Aufnahmen händisch in den Bauwerksplänen vermerkt werden. Diese Ungenauigkeit kann sich schließlich auf die Bewertung der Bauwerke auswirken. Aktuell werden zunehmend Versuche unternommen, durch Laserscanning in Verbindung mit Photogrammmetrie den IST-Zustand von Bauwerken zu dokumentieren. Die Vorteile einer genauen räumlichen Position und der Bestimmung der genauen Schadensgeometrie liegen dabei auf der Hand. Beispielsweise die Geometrieerfassung von Abplatzungen bietet die Möglichkeit tiefere Einblicke in das Ausmaß der Schädigung zu gewinnen, bspw. wie die verbleibende Betonüberdeckung ist. Allerdings 236 5. Brückenkolloquium - September 2022 Bedarfsorientierte Informationsanreicherung von Bestandsbrückenbauwerken im Kontext des SHM lassen sich solche feinen Geometrien aktuell nicht sehr gut in einem BIM-Modell abbilden, es sind aber erste Ansätze dokumentiert [7]. Zusätzlich bietet die Methode BIM auch die Möglichkeit das Management der großen Datenmengen aus den SHM effizient zu organisieren, sodass eine übergreifende Anwendung von BIM einen wesentlichen Vorteil gegenüber, der bisher nicht BIM-gestützten Umsetzung von SHM bietet [9]. 5. Zusammenfassung und Fazit Insgesamt lässt sich ein großer Bedarf für eine Digitalisierung von Bestandsbrücken feststellen, allerdings gibt es diesbezüglich aktuell noch keine einheitlichen Vorgehensweisen, die sich für das gesamte Fernstraßennetz eignet. Um dies zukünftig zu realisieren, sind insbesondere die Anwendungsfälle und die dafür benötigten Informationen von zentraler Bedeutung. Diese wurden am Beispiel eines SHM-Systems aufgezeigt, müssen aber noch detailliert ausgearbeitet werden. Erste Schritte in Richtung einer Digitalisierung mit BIM wurden genauso wie die Herausforderungen bei der Umsetzung diskutiert. Wesentliche Herausforderungen ergeben sich unter anderem aus der Form der Informationen (oft nicht digital bzw. i. d. R. nicht maschinenlesbar) und deren Quellen, welche eine automatisierte Integration in ein BIM-Modell erschweren. Des Weiteren gibt es Ansätze durch neue Technologien ergänzende Informationen aus den Bauwerksinspektionen für die Modellierung zu erlangen und zu nutzen. 6. Danksagung Die Autoren bedanken sich für die Förderung bei dtec. bw - Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr (https: / / dtecbw.de/ home) sowie der Autobahn GmbH Nord für ihre Unterstützung. 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Brückenkolloquium - September 2022 239 Grunewaldbrücke: Erneuerung der Fahrbahnübergänge auf der BAB A59 (DE) Dipl. Ing. (FH) Stefan Adam Geschäftsführer mageba gmbh, Im Rinschenrott 3A, 37079 Göttingen, Deutschland Zusammenfassung Die Grunewaldbrücke befindet sich auf der Autobahn A 59 zwischen Düsseldorf und Duisburg. Sie ist eine «der» Verkehrsadern in diesem dicht besiedeltem Teil im Westen Deutschlands. Aufgrund eines Spalts von ca. 15 cm in der bestehenden Übergangskonstruktion über die gesamte Fahrbahnbreite war es erforderlich, eine schnelle und nachhaltige Lösung zu finden. Nach dem Feststellen des Schadens musste dafür aus sicherheitsrelevanten Gründen die Grunewaldbrücke BAB A 59 kurzfristig in beide Richtungen voll gesperrt werden. Auf Basis umfangreicher Begutachtung der Übergangskonstruktion und sofortigen Handelns konnte eine schnelle und sichere Lösung zur baldigen Freigabe der Bundesautobahn gefunden werden. Dabei wurde sich für den Mini-Flyover entschieden, der für eine zügige Überfahrt und Überbrückung der schadhaften Stelle sorgt, während eine dauerhafte Lösung geplant und umgesetzt wird. Grunewaldbrücke 1. Einleitung Die Grunewaldbrücke ist 1.016 m lang. Das Kernstück des geschweißten Brückenzuges ist ein strählender Durchlaufträger über drei Felder mit starken Vouten an den Zwischenpfeilern. Die beiden Hauptträger sind Hohlkästen und die Fahrbahntafel ist als orthotrope Platte ausgebildet. Da bei den zwei Überbauten unterschiedliche Werkstoffe mit unterschiedlichen Ausdehnungskoeffizienten aufeinandertreffen, muss die Übergangskonstruktion am Trennpfeiler entsprechend hohe Bewegungen aufnehmen. 2. Aufgabenstellung und Besonderheiten Altersbedingt und durch allgemeinen Wartungsstau musste die eingebaute Übergangskonstruktion generalsaniert werden. Im Folgenden werden die an den Bauwerken auszuführenden Instandsetzungsmaßnahmen bzw. die für diese Aufgabenstellungen erforderlichen Anforderungen an den Nachbau der Fahrbahnübergangskonstruktionen vorgestellt. Die im Jahr 2000 eingebaute Übergangskonstruktion in Lamellenbauweise, war aufgrund der hohen Belastung, Undichtigkeiten, Verschmutzung nicht mehr vollumfänglich funktionsfähig. Mini-Flyover der mageba gmbh 240 5. Brückenkolloquium - September 2022 Grunewaldbrücke: Erneuerung der Fahrbahnübergänge auf der BAB A59 (DE) Grunewaldbrücke Mitarbeiter der Autobahnmeisterei entdeckten einen rund 15 cm breiten Spalt in der bestehenden Übergangskonstruktion über die gesamte Fahrbahnbreite. Um die Bundesautobahn baldmöglichst wieder freigeben zu können, wurde sich für den Mini-Flyover entschieden. In beiden Fahrtrichtungen auf je zwei Spuren wurden jeweils 8 Mini-Flyover installiert, welche bis zum finalen Tausch der Fahrbahnübergänge im Einsatz blieben. Mini-Flyover der mageba gmbh Der Flyover ist im Wesentlichen einen mobile, massive Stahlüberbrückung des Fahrbahnübergangs bestehend aus Anfahrtsrampe, Überbrückungsblech und Abfahrtrampe. Er kann über jede Art von Fuge installiert werden um temporär eine sichere Überfahrt zu ermöglichen. 3. Funktion und Konstruktion Abb. 1: Kasten in Kasten Fahrbahnübergang 4. Einbau des Mini-Flyover Der alte Fahrbahnübergang an einem Ende der Grunewaldbrücke auf der Autobahn A 59 zwischen Duisburg und Düsseldorf erforderte sofortige Maßnahmen. Nach dem Entfernen des Asphalts entlang der Seite der Dehnfuge werden die Stahlblöcke für den Anschluss des Flyover-Systems in Position geschweißt. 5. Brückenkolloquium - September 2022 241 Grunewaldbrücke: Erneuerung der Fahrbahnübergänge auf der BAB A59 (DE) Erste Probemontage des Flyover-Systems vor dem bohren der Gewindelöcher in den Stahlblöcken für die Verbindung der Flyover—Stahlplatten. Nach dem bohren der Gewindelöcher in die Stahlblöcke zur Befestigung der Flyover-Platten, wird der Mörtel um die Stahlblöcke gegossen. Ansicht des Fahrbahnübergangs nach Vorbereitung für die Platzierung der großen Flyover-Stahlplatten Ansicht der Fahrbahnübergangsfuge mit installiertem Flyover-System - beidseitig mit leicht abgeschrägten Platten, um die Überfahrt für die Autofahrer so angenehm wie möglich zu gestalten. Nach der Installation des Flyover-Systems kann die Fuge mit einer Geschwindigkeit von rund 40 km/ h passiert werden. 242 5. Brückenkolloquium - September 2022 Grunewaldbrücke: Erneuerung der Fahrbahnübergänge auf der BAB A59 (DE) 5. Tausch der sanierungsbedürftigen Übergangskonstruktion Als neuer Fahrbahnübergang wird eine Lamellendehnfuge des Typs LR12-LS in Kasten-in-Kasten Bauweise installiert. Dadurch kann der Fahrbahnübergang ohne einen Eingriff ins Bauwerk ausgetauscht werden. Die vorhandenen Traversenkästen weitestgehend erhalten. Lediglich zur Reduzierung der Stützweiten war es erforderlich einige neue Traversenaussparungen herzustellen. Die neue Konstruktion wird zudem mit obenliegenden Lärmschutzelementen, sogenannten Sinusleisten versehen um die Überfahrgeräusche zu minimieren. Ausbau der Bestands-ÜKO - Lamellen Ausbau der Bestands-Übergangskonstruktion - Traversen Kompletter Ausbau der Bestands-Übergangskonstruktion 5. Brückenkolloquium - September 2022 243 Grunewaldbrücke: Erneuerung der Fahrbahnübergänge auf der BAB A59 (DE) Korrosionsschutz am Bestand Einhub und Ausrichten der neuen Übergangskonstruktion Neue Übergangskonstruktion in Bestandskasten und neuem Kasten Vorbereitung Einknüpfen Dichtprofil, Polymerbeton, Sinusleisten anschrauben und Korrosionsschutz 244 5. Brückenkolloquium - September 2022 Grunewaldbrücke: Erneuerung der Fahrbahnübergänge auf der BAB A59 (DE) Fertige Übergangskonstruktion mit Polymerbetonbalken 6. Fazit Bei diesem Projekt war es notwendig eine schnelle und sichere Lösung zu finden, um die A 59 weiterhin befahrbar zu machen. Nach umfangreicher Voruntersuchungen konnte die Instandsetzung der Übergangskonstruktion erfolgen. Grund für die defekte Übergangskonstruktion waren Dreckablagerungen und zu lange Wartungsintervalle, wodurch sich letztendlich ein großer Spalt in der Konstruktion gebildet hat und zu Verkehrsbehinderungen geführt hat. Dipl. Ing. (FH) Stefan Adam Mai 2022 Literaturverzeichnis [1] mageba Group 5. Brückenkolloquium - September 2022 245 Ausbau des Radverkehrsnetzes der Stadt Freising Kappenverbreiterung von Großbrücken unter Verwendung von Leichtbeton, rostfreiem Betonstahl und Hohlbordrinnen Magdalena Dimler, M.Sc. ilp² Ingenieure GmbH & Co.KG, München Dipl.-Ing. (FH) Stefan Lankes ilp² Ingenieure GmbH & Co.KG, München Tobias Reuther, M.Sc. ilp² Ingenieure GmbH & Co.KG, München Zusammenfassung Für eine bessere und sicherere Radwegführung in der Isarstraße im Stadtgebiet Freising werden beidseitig gemeinsame Geh- und Radwege angeordnet. Um dies realisieren zu können, werden auf den beiden Großbrücken „Hochtrasse“ und „Luitpoldbrücke“ Kappenverbreiterungen nach innen und außen erforderlich. Durch die Verwendung von Leichtbeton wird vermieden, dass es zu Tragfähigkeitsüberschreitungen der Bestandsbauwerke kommt. Im Zuge der Maßnahme werden außerdem die Entwässerungseinrichtungen und Kabeltrassen erneuert. Über Hohlbordrinnen und Vorreinigungsanlagen wird das Wasser künftig in Vorfluter abgeführt. Des Weiteren finden umfangreiche Arbeiten an der Verkehrsanlage insbesondere in den anschließenden Knotenpunkten statt. Hier legt die Stadt Freising Wert auf einen barrierefreien Ausbau. 1. Verkehrsbedeutung und Zielsetzung Die Isarstraße ist eine für den lokalen und regionalen Verkehr bedeutende, innerstädtische Verkehrsader im Stadtgebiet der großen Kreisstadt Freising in Oberbayern. Sie ist gemäß RIN [1] als angebaute Hauptverkehrsstraße innerhalb eines bebauten Gebietes (HS) kategorisiert. Der Radverkehr läuft bisher auf Radspuren direkt neben dem motorisierten Verkehr. Zudem verlaufen mehrere Linien des ÖPNV entlang der Isarstraße. Innerhalb des Maßnahmenbereichs überführt die Isarstraße mit drei Brückenbauwerken mehrere innerstädtische Straßen, Gewässer I. und II. Ordnung, die Hauptstrecke 5500 München - Landshut der Deutschen Bahn, sowie untergeordnete Wegenetze und ein FFH-Gebiet. Übergeordnetes Ziel der Maßnahme ist die Verbesserung der Verkehrssicherheit mit Anpassung an die geänderten Ansprüche. So sollen sowohl von der Fahrbahn abgetrennte Geh- und Radwege, eine Anpassung der Verkehrsbeziehungen an den Kreuzungspunkten und eine Verbesserung des ÖPNV realisiert werden. Hierfür wird die Verkehrsführung auf einer Gesamtlänge von ca. 800 m optimiert. Neben den straßenbaulichen Anpassungen sind zur Zielerreichung Verbreiterungen der Brückenkappen der Ingenieurbauwerke sowohl nach innen als auch nach außen erforderlich. Die aktuell auf der Straße geführten Radfahrenden sollen in jeder Fahrtrichtung auf gemeinsamen Geh- und Radwegen auf den Brückenkappen geführt werden. Die Verkehrsbelastung liegt bei ca. 26.000 Kfz/ 24h und 1.000 SV/ 24h mit stark ausgeprägten Spitzen morgens und abends von ca. 2.500 Kfz/ h, da die Isarstraße die einzige Erschließung des gut ausgebauten P+R-Parkplatzes am Bahnhof Freising darstellt. 246 5. Brückenkolloquium - September 2022 Ausbau des Radverkehrsnetzes der Stadt Freising Abb. 1 Luftbild mit Kennzeichnung der Maßnahme 2. Beschreibung der Maßnahme Um die Zielsetzung zu erreichen, wurden mehrere Szenarien untersucht. Es hat sich sehr früh herausgestellt, dass die Errichtung von getrennten Geh- und Radwegen in jeder Fahrtrichtung auf den Brückenkappen nur mit sehr aufwändigen und umfangreichen Umbauten und Verstärkungen der Brückentragwerke umsetzbar ist. Untersucht wurden in diesem Zusammenhang die maximal mögliche Verbreiterung der Brückenkappen nach außen sowie die mindestens erforderlichen Fahrbahnbreiten der in der Regel 4 Fahrstreifen. Umgesetzt wird die Errichtung von gemeinsamen Geh- und Radwegen auf den Brückenkappen mit Verbreiterung derselben nach innen und nach außen. 2.1 Brückenbauwerke Entlang der Ausbaustrecke verläuft die Isarstraße über die zwischen den Jahren 1972 und 1974 errichteten Brückenbauwerke „Angerbadergasse“, „Hochtrasse“ und „Luitpoldbrücke“. Bei dem Brückenbauwerk Angerbadergasse handelt es sich um ein überschüttetes, schlaff bewehrtes Rahmenbauwerk mit einer Stützweite von 11,25 m. Die vorhandene Gehwegbreite beträgt 2,50 m. Abb. 3 Regelquerschnitt Angerbadergasse Bestand Die anschließende Hochtrasse weist eine Gesamtlänge von 285 m auf. Sie ist als längs- und quervorgespannter zweistegiger Plattenbalken mit auskragenden Fahrbahnplatten ausgebildet. Die vorhandenen Kappenbreiten betragen derzeit 2,50 m. Zudem sind innerhalb der Kappen Sparten verlegt. Abb. 4 Regelquerschnitt Hochtrasse Bestand Die Bauweise der 172 m langen „Luitpoldbrücke“ gleicht der der Hochtrasse, jedoch sind in den Plattenbalken zusätzlich Hohlkammern angeordnet. Abb. 2 Darstellung der Örtlichkeiten mit den Straßenabschnitten und Brückenbauwerken 5. Brückenkolloquium - September 2022 247 Ausbau des Radverkehrsnetzes der Stadt Freising Die vorhandenen Kappen weisen ebenfalls eine Breite von 2,50 m auf. Ebenso verlaufen Sparten innerhalb der Kappen. Abb. 5 Regelquerschnitt Luitpoldbrücke Bestand Die Bestandsbrückenkappen weisen erhebliche Mängel auf. Neben der nicht mehr gegebenen Dauerhaftigkeit beeinflussen die Schäden im Bereich der Gesimse bereits die Tragfähigkeit. Die Standsicherheit der Einbauteile wie Geländer und Beleuchtungsmaste sowie die gefahrlose Nutzung der unter den Brückenbauwerken befindlichen Verkehrs- und Nutzflächen ist nicht mehr gegeben. Im Bereich der Bahnstrecke beim BW Hoch-trasse befindet sich ein horizontaler Berührschutz, welcher ebenfalls erhebliche Schäden aufweist. 2.2 Verkehrsanlagen Entlang der Ausbaustrecke befinden sich die drei Knotenpunkte „Korbiniankreuzung“, Kreuzung mit der Luitpoldstraße und die Einmündung der Ismaningerstraße. In sämtlichen Kreuzungsbereichen sind bisher keine Aufstellflächen für Radfahrende vorhanden, so dass die verkehrliche Situation in vielerlei Hinsicht unübersichtlich ist. Sowohl durch das Rechtsabbiegen von Kraftfahrzeugen und dem Aufstellen von Radfahrenden im toten Winkel als auch durch das direkte Linksabbiegen von Radfahrenden und dem dadurch erforderlichen Kreuzen der geradeausfahrenden Kraftfahrzeuge entstehen für den Radfahrenden gefährliche Situationen. Darüber hinaus sind die Kreuzungsbereiche bisher nicht barrierefrei ausgebildet. 2.3 Straßen- und Brückenentwässerung Die Brückeneinläufe der Hochtrasse münden in Zuleitungen, die an Längssammelleitungen angeschlossen sind. In den Widerlagerbereichen erfolgt die Übergabe an die Streckenentwässerung. Zusätzlich sind Tropftüllen mit Freifallentwässerung vorhanden. Die Brückeneinläufe der „Luitpoldbrücke“ münden in Fallleitungen, die ohne weitere Sammelleitung direkt per Freifall entwässern. Zusätzlich sind Tropftüllen mit Freifallentwässerung vorhanden. Bei beiden Bauwerken werden die an die Brückeneinläufe anschließenden Leitungen durch die Stegquerschnitte der Überbauten geführt, wodurch bereits lokal feuchteinduzierte Schäden an den Bauwerken entstanden sind. Das im übrigen Streckenabschnitt anfallende Niederschlagswasser (inkl. der Hochtrasse) wird bisher ungereinigt verschiedenen Vorfluten zugeführt bzw. versickert. 3. Umsetzung der Maßnahme 3.1 Ingenieurbauwerke Um dem Hauptziel der Maßnahme nach einer Verbesserung der Radwegführung gerecht zu werden, müssen die Brückenkappen verbreitert werden, so dass die in der ERA [2] geforderten Mindestbreiten von 2,50 m für gemeinsame Geh- und Radwege zuzüglich einem 50 cm breiten Sicherheitsstreifen erreicht werden können. 3.1.1 Variantenuntersuchung Zur Erzielung größerer Breiten wurde in der Vorentwurfsplanung zunächst eine Verbreiterung der Überbaukappen inkl. der Überbaukragarme nach außen verfolgt. Hierdurch treten jedoch bereits bei reiner Betrachtung des Tragwerks in Querrichtung deutlich höhere Beanspruchungen an den maßgebenden Kragarmanschnitten auf. Diese resultieren zum einen aus dem höheren Konstruktionseigengewicht in Kombination mit dem durch die Verbreiterung erzeugten größeren Hebelarm, zum anderen aus den nach DIN EN 1991-2 anzusetzenden Lastannahmen, die gegenüber den ursprünglich berücksichtigten Lastansätzen nach DIN 1072 gravierend erhöht wurden. Zur Aufnahme dieser höheren Beanspruchungen wären umfangreiche Verstärkungsmaßnahmen in Form von oberseitig aufgeklebten bzw. eingeschlitzten GFK-Lamellen, nachträglich eingeklebter Betonstahlbewehrung, oder Abfangung der Auskragung über außenliegende Stahlträgerkonstruktionen erforderlich. Nicht zuletzt wegen der sehr engmaschigen Quervorspannung der Kragarme sowie der Längsvorspannung des Überbaus selbst, erschienen diese Varianten mit voranschreitendem Planungsfortschritt als nicht zielführend. 3.1.2 Vertiefte Planung und Ausführung In der weiteren Planung wurde der Fokus neben einer Verbreiterung der Kappen nach außen auch auf eine Verbreiterung nach innen gelegt. Ein Versetzen der bisherigen Fahrbahnränder um 50 cm in Richtung Fahrbahn konnte auf beiden Seiten unter Achtung des bisherigen Verkehrsraumes mit 2 Fahrstreifen je Richtung und ÖPNV-Nutzung umgesetzt werden. Der Fahrbahnquerschnitt wurde hierdurch von 14,0 m zwischen den Schrammborden auf 13,0 m reduziert. In Kombination mit der Ausführung der Kragarmverlängerung und der Überbaukappen in Leichtbeton und der damit einhergehenden Reduktion des Konstruktionseigengewichts gegenüber Normalbeton konnten in der finalen Variante Kappenbreiten von 3,40 m (Hochtrasse) bzw. 3,55 m (Luitpoldbrücke) erzielt werden. Dies entspricht einer Verbreiterung der Überbaukappen um 90 cm (Hoch-trasse) bzw. 1,05 m (Luitpoldbrücke). Hierdurch stehen künftig 2,65 m bzw. 2,80 m nutzbare Breiten für die gemeinsamen Geh- und Radwege zur Verfügung. 248 5. Brückenkolloquium - September 2022 Ausbau des Radverkehrsnetzes der Stadt Freising Durch die Verwendung von Hohlbordrinnen wird die Längsentwässerung in die Kappen integriert. Die Überbaulängen der Brückenbauwerke sind jedoch zu groß, um das anfallende Niederschlagswasser allein über den Durchflussquerschnitt der Hohlbordrinnen abführen zu können, so dass zusätzlich an den Kragarmunterseiten Sammelleitungen installiert werden müssen. Für die Entwässerungsabläufe können die bereits vorhandenen Durchdringungen der Überbaukragarme der bisherigen Brückenabläufe genutzt werden, wodurch eine Kollision mit der bestehenden Quervorspannung ausgeschlossen werden kann. Die bisher in den Stegen der Überbauten geführten gusseisernen und bereits stark korrodierten Fallleitungen werden im Zuge von Betoninstandsetzungsarbeiten dauerhaft verschlossen. Künftige Schädigungen der Überbauten durch Feuchteeintritt in den Konstruktionsbeton werden somit vermieden. Bei der Hohlbordrinne handelt es sich um ein bisher nicht bauaufsichtlich zugelassenes Bauprodukt, für das bei Verwendung eine Zustimmung im Einzelfall nach BayBO Art. 20 erforderlich ist. Diese wurde auf Basis einer Stellungnahme der BASt erteilt, in der unter Beachtung der üblichen Ausführungsregeln bei Granitborden (Rückverankerung über Gewindestangen im Kappenbeton, Abdichtung) und den bisher positiven Erfahrungen bei Vergleichsprojekten, keine Bedenken hinsichtlich des Einsatzes der Hohlbordrinnen geäußert wurden. 3.1.3 Beton-Betonverbinder in Leichtbeton Die gewählte Konstruktion weicht u.a. aufgrund der Bauweise in Leichtbeton und der Verwendung von nichtrostendem Bewehrungsstahl von herkömmlichen Überbaukappen ab, wodurch zusätzliche Betrachtungen in der Bemessung erforderlich wurden. Die Verankerung der Neubaukappen in den Überbaukragarmen erfolgt über Beton-Betonverbinder. Für deren Bemessung gelten zum derzeitigen Stand die produktspezifischen allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassungen in Verbindung mit DIN EN 1992-4 [3]. Jedoch beschränkt sich der Anwendungsbereich sämtlicher aktuell verfügbarer Betonschrauben auf die Anwendung in Normalbeton. Um die Forderungen des BayStrWG Art. 10 (1) für die Verwendung der Betonschrauben in Leichtbeton zu erfüllen, wurde für das Bauprodukt ebenfalls eine Zustimmung im Einzelfall gem. BayBO Art. 20 erwirkt. Basis für die positive Beurteilung stellt dabei eine gutachterliche Stellungnahme [4] dar. Im projektspezifischen Anwendungsfall betreffen die maßgeblichen Unterschiede in der Nachweisführung die Versagensmechanismen kegelförmiger Betonausbruch infolge Zuglast und Betonausbruch auf der lastabgewandten Seite infolge Querlast. Der Nachweis gegen kegelförmigen Betonausbruch kann durch Modifikation des Beiwertes k cr,n geführt werden, der in der bauartspezifischen abZ [5] für Normalbeton mit 8,5 angegeben ist. Die Gleichung nach [3, Gl. (7.2)] bleibt an sich unverändert. Die Modifikation des Beiwertes stützt sich dabei auf empirische Untersuchungen [6] und kann zu angenommen werden. Abb. 6 Regelquerschnitt Neubau und Umbau Luitpoldbrücke 5. Brückenkolloquium - September 2022 249 Ausbau des Radverkehrsnetzes der Stadt Freising Der Nachweis gegen Betonausbruch auf der lastabgewandten Seite kann durch Erweiterung des Terms in [3, Gl. (7.39a)] mit dem Beiwert zur Bestimmung der Zugfestigkeit von Leichtbeton η 1 [7, Gl. (11.1)] geführt werden. Die angepasste Gleichung lautet dann Die Geländerverankerung erfolgt gem. RiZ-ING Gel 14 [8] über eine Fußplatte mit nachträglich eingeklebten Verbundankern. Analog den Beton-Betonverbindern zur Kappenverankerung ist hierfür eine ZiE auf Basis einer gutachterlichen Stellungnahme erforderlich. Aufgrund der randnahen Verankerung sowie der Gruppenwirkung der Verbundanker sind hierbei weitere Versagensmechanismen zu betrachten. 3.1.4 Spartentrassen In den neuen Leichtbetonkappen sollen außer der Versorgung der stirnseitig angebrachten Beleuchtungsmaste künftig keine Sparten mehr verlegt werden. Zur Überführung der bisher in den Bestandskappen vorhandenen Leitungen sowie evtl. erforderlicher zusätzlicher Leitungen werden unterhalb der seitlichen Überbaukragarme der beiden Großbrücken abgehängte Spartentrassen mit jeweils 12 Leerrohren DN 125 je Seite angeordnet. 3.2 Verkehrliche Umgestaltung In den an die Brückenbauwerke angrenzenden Knotenpunkten werden die vergrößerten Breiten des gemeinsamen Geh- und Radweges aufgegriffen und weitergeführt. An den Querungsstellen werden die geradeausfahrenden Radfahrenden künftig über Radwegfurten auf die Fahrbahn geleitet. Für linksabbiegende Radfahrende sind indirekte Radwegführungen mit rechtsliegenden Aufstellflächen im Kreuzungsbereich vorgesehen. Zusätzlich werden zur Erhöhung der Sicherheit seh- und gehbehinderter Menschen taktile Leitsysteme in Form von Bodenindikatoren, akustischen Signalgebern und vibrierenden Anforderungstastern angeordnet. Neben den umfangreichen Straßenbau- und Markierungsarbeiten werden aufgrund der vorgenannten Maßnahmen auch Anpassungen der Lichtsignalanlagen und deren Schaltung sowie der Straßenbeleuchtung und -beschilderung erforderlich. 3.3 Straßen- und Brückenentwässerung Um eine umwelttechnische Verbesserung der bisherigen Entwässerungssituation zu erreichen, wird das im gesamten Streckenabschnitt anfallende Niederschlagswasser künftig mittels Sedimentationsanlagen vorgereinigt und anschließend wie bisher der Vorflut zugeführt bzw. versickert. Die Bemessung der Vorreinigungsanlagen erfolgt nach DWA-Merkblatt 153 [9]. In den Entwässerungsabschnitten, in denen das Niederschlagswasser an die Vorflut übergeben wird, werden Anlagen des Typs D25 mit Dauerstau und maximal 18 m³/ (m²*h) Oberflächenbeschickung bei r krit [9] verwendet. In den Bereichen mit Versickerung sind Anlagen des Typs D11 mit Retentionsbodenfilteranlagen zur weiteren Regenwasserbehandlung im Trennsystem nach Merkblatt DWA-M 178 [9] vorgesehen. 4. Bauablauf Die Umsetzung der Maßnahme erfolgt unter steter Aufrechterhaltung des öffentlichen Verkehrs, weshalb die Arbeiten nicht gleichzeitig stattfinden können und unterschiedliche Baufelder zu unterschiedlichen Zeitpunkten zur Verfügung stehen. In einer Vorabmaßnahme wurden 2021 zunächst die Vorreinigungsanlagen in lokal stark begrenzten Baubereichen eingebaut und weitestgehend an das bereits bestehende Kanalnetz angeschlossen. Hierdurch wird sichergestellt, dass nach den Umbaumaßnahmen an den Entwässerungseinrichtungen das anfallende Abwasser sofort in vorgereinigter Form den Vorfluten zugeführt bzw. versickert wird. Im Jahr 2022 erfolgt die Kappenerneuerung der Luitpoldbrücke. Dabei wird in einer bauzeitlichen Verkehrsführung mit einer Spurwegnahme zunächst die Ostseite hergestellt. Nach Fertigstellung und Freigabe für den öffentlichen Verkehr erfolgen im Anschluss die Bauarbeiten auf der Westseite in grundsätzlich gleicher Weise. Abb. 7 Einbau der Hohlbordrinne (Bridge Drainage) und Kappenanker (TOGE) 2023 werden die Brückenkappen der Hochtrasse, die angrenzenden Stützwände sowie die Überbaukappen des Brückenbauwerks Angerbadergasse angepasst. Das grundsätzliche Vorgehen gleicht dabei dem der Luitpoldbrücke. Zunächst erfolgen die Umbaumaßnahmen auf der Westseite, im Anschluss wird der Baubereich umgelegt und die Arbeiten auf der Ostseite werden ausgeführt. 250 5. Brückenkolloquium - September 2022 Ausbau des Radverkehrsnetzes der Stadt Freising Abb. 8 Neuinstallierte Spartentrasse und Längsentwässerungsleitung der Luitpoldbrücke Grundsätzlich werden in jedem Bauabschnitt zuerst die Spartentrassen unter den Kragarmen in der endgültigen Lage montiert und die Sparten verlegt. Anschließend werden die Traggerüste an den Kragarmen montiert und die Kappen erneuert. Während der Baumaßnahme werden temporäre Lichtsignalanlagen installiert, die entsprechend den jeweiligen Behelfsverkehrsführungen koordiniert werden. Die Straßenbauarbeiten in den anschließenden Kreuzungsbereichen werden sukzessive durchgeführt, in dem die Baufelder der Ingenieurbauwerke temporär in die Knotenpunkte verlängert werden. Dies hat zwar eine Vielzahl von verschiedenen bauzeitlichen Verkehrsführungen zur Folge, jedoch kann der öffentliche Verkehr zu jedem Zeitpunkt der Maßnahme vollumfänglich aufrechterhalten werden. Es werden neue Lichtsignalanlagen installiert und die Straßenbeleuchtung erneuert. Die Gesamtmaßnahme abschließend erfolgt 2023 in nächtlichen Vollsperrungen der Isarstraße im gesamten Streckenbereich eine Deckschichterneuerung. 5. Schlussbemerkung Durch die intensive Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten und die detaillierte Bauablaufplanung befindet sich die Baustelle aktuell im Zeitplan. Mit den Stornierungen und Verschiebungen der Sperrpausen der Deutschen Bahn, den Lieferengpässen und gestiegenen Baustoffkosten, den behördlichen Auflagen im Zeitraum des G7-Gipfels und dem Bau unter Aufrechterhaltung aller Verkehrsbeziehungen waren bereits einige Herausforderungen zu bewältigen. Als Ziel wird eine deutliche Verbesserung der Verkehrssicherheit erreicht. Die durchgehenden Geh- und Radwege sowie die Installation der Straßen- und Brückenentwässerung mit den Regenwasserbehandlungsanlagen entspricht den Anforderungen einer modernen Gesellschaft. Literatur [1] FGSV, Arbeitsgruppe Verkehrsplanung, Richtlinien für integrierte Netzgestaltung, 2008 [2] FGSV, Arbeitsgruppe Straßenentwurf, Empfehlungen für Radverkehrsanlagen, 2010 [3] NABau, DIN EN 1992-4: 2019-04 + NA: 2019-04, Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 4: Bemessung der Verankerung von Befestigungen im Beton, 2019 [4] Fischer, O. Gutachterliche Stellungnahme, Kappenanker in Leichtbeton, 2019 [5] DIBt, Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung Z.21.8-1880, Toge Betonschraube TSM-B, BC, BS, BSH zur Verwendung als Beton-Betonverbinder, gültig bis 01.07.2019 [6] Block, K.; Becker, R: Untersuchungsbericht Nr. 11.02.26 U zum Tragverhalten von Kopfbolzendübel in Leichtbeton, Technische Universität Dortmund, Lehrstuhl für Betonbau - Befestigungstechnik, 2016 [7] NABau, DIN EN 1992-1-1: 2011-01 + NA: 2013- 04, Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau, 2011 [8] BASt, Richtzeichnungen für Ingenieurbauwerke (RiZ-ING), 2014 [9] DWA, Merkblatt DWA-M 153 Handlungsempfehlungen zum Umgang mit Regenwasser, 2007 5. Brückenkolloquium - September 2022 251 Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten mit hochfestem Beton Iris Hindersmann Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, Germany Heinz Friedrich Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, Germany Zusammenfassung Ältere Brücken mit orthotropen Fahrbahnplatten müssen aufgrund der starken Zunahme des Verkehrs und Defiziten, wie ermüdungsanfällige Konstruktionsdetails, die aus der Planung und Ausführung stammen, verstärkt werden. An orthotropen Fahrbahnplatten wurden in den letzten 15 Jahren vermehrt Schäden entdeckt, welche u.a. den Anschluss im Deckblech betreffen. Um den Schäden zu begegnen sind häufig zusätzlich zur Instandsetzung gerissener Schweißnähte auch Verstärkungsmaßnahmen erforderlich. Eine Verstärkung kann mit hochfestem Beton erfolgen, hierbei ist das Ziel, über die Verbundwirkung zwischen Fahrbahnbelag und orthotroper Fahrbahnplatte eine bessere Lastverteilung zu erreichen und damit eine Reduktion von Spannungen in den Schweißnähten und der Durchbiegung. Der Fahrbahnbelag wird durch eine Schicht aus stahlfaserverstärktem, bewehrtem hochfestem Beton ersetzt. Der Verbund dieser Schicht und des Deckblechs wird über eine zuvor mit Epoxidharz auf der Deckblechoberfläche verklebten Splittschicht erreicht. Die in den Niederlanden entwickelte Methode wurde in Deutschland mit Zustimmung im Einzelfall an vier Brücken angewendet. 1. Einleitung Im Netz der Bundesfernstraßen befinden sich etwa 40.000 Brücken [1]. Ein bedeutender Teil dieser Brücken muss dringend instandgesetzt, ertüchtigt oder erneuert werden. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Der Verkehr auf Bundesfernstraßen ist in den letzten Jahren stark angestiegen und der Güterverkehr hat dabei überproportional an Menge und Gesamtgewicht zugelegt. Als zusätzliche Herausforderung kommt die Verschlechterung des Erhaltungszustandes der Brücken hinzu, die auf einen Rückstau der Erhaltungsmaßnahmen schließen lässt [2; 3]. Der Großteil der Brückenbauwerke in Westdeutschland wurde in den 1960er bis 1980er Jahren gebaut. Bedingt durch hohe Materialpreise und geringe Lohnkosten wurde der Materialeinsatz optimiert. Dieses gilt auch insbesondere für Stahlbrücken mit orthotropen Fahrbahnplatten, da die Kosten für Stahl im Verhältnis zu den Lohnkosten in dieser Zeit sehr hoch waren. 2. orthotrope Fahrbahnplatte Stahlbrücken mit orthotropen Fahrbahnplatten werden häufig eingesetzt, wenn große Spannweiten zu überwinden sind und dem Gewicht der Brücke eine besondere Rolle zugeschrieben wird. Orthotrop bedeutet „rechtwinklig zueinander unterschiedliche Steifigkeiten“ [4]. Abbildung 1: Aufbau einer orthotropen Fahrbahnplatte (in Anlehnung an 5) Der Aufbau der orthotropen Fahrbahnplatte ist in Abbildung 1 gezeigt. Die relevanten Bestandteile sind Deckblech, Längsteifen, Querträger und Hauptträger. Wie bereits in der Einleitung erwähnt wurde auch bei orthotropen Fahrbahnplatten insbesondere in den 1970er Jahren aufgrund der hohen Stahlpreise der Materialeinsatz optimiert, dies führt zu einer Ausführung der Brücken mit besonders geringen Blechdicken. Weiterhin hat der stark angestiegene Verkehr dafür gesorgt, dass die Brücken heute insbesondere Ermüdungsschäden aufwei- 252 5. Brückenkolloquium - September 2022 Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten mit hochfestem Beton sen [6]. Im Rahmen des Forschungsprojekts von Sedlacek et al. [7] wurde eine Analyse von ca. 40 Brücken mit orthotropen Fahrbahnplatten im Bundesfernstraßennetz durchgeführt. Dabei konnten bei älteren Brücken Schäden in 4 Hauptkategorien erkannt werden. Die Abbildung 2 gibt einen Überblick zu drei der vier Schadenskategorien. Abbildung 2: Schadenskategorien bei orthotropen Fahrbahnplatten [7] Die unterschiedlichen Schadenskategorien betreffen die folgenden Aspekte [7; 8]: • Schadenskategorie 1 - Anschlüsse im Deckblech: Schäden der Kategorie 1 betreffen das Fahrbahnblech an den Verbindungen zu den Längsrippenstegen und sind zumeist ohne einen Bezug zu bestimmten Ausführungsformen der Rippen und Querträger vorhanden (bauweisenunabhängige Schäden). • Schadenskategorie 2 - Anschlüsse im Längssystem: Die Schäden der Kategorie 2 haben in der Regel einen Bezug zu einem bestimmten Detail oder einer Bauart der orthotropen Fahrbahnplatte (bauweisenbedingte Schäden). • Schadenskategorie 3 - Anschlüsse im Quersystem: Hier ist beispielsweise ein Riss in der Verbindungsnaht zwischen Querträger und Hauptträger ein typischer Schaden. • Schadenskategorie 4 - Anschlüsse im Hauptsystem: Ein Beispiel dieser Kategorie ist ein Riss im Haupttragsystem. Die Instandsetzungs- und Verstärkungsmaßnahmen unterscheiden sich für die einzelnen Schadenskategorien, im Rahmen des Artikels wird die Schadenskategorie 1 betrachtet. Instandsetzungsmaßnahmen dienen der Wiederherstellung des planmäßigen Zustandes eines Bauwerks oder seiner Bauteile. Bei orthotropen Fahrbahnplatten sind die Reparatur von Rissen in Schweißnähten oder Blechen die relevanten Maßnahmen. Verstärkungsmaßnahmen sind bauliche Maßnahmen, die mit einer Verbesserung der Tragfähigkeit einhergehen. Bei orthotropen Fahrbahnplatten wird das Ziel verfolgt, mit der Verstärkungsmaßnahme eine Reduktion der lokalen Spannungen und Durchbiegungen über ein verstärktes Deckblech zu erreichen. Wichtig ist hierbei, dass das Eintragen von großer Wärme und damit zusätzlichen Spannungen vermieden werden soll, damit scheiden Lösungen mit umfangreichen Schweißarbeiten aus. Es kommen unterschiedliche Verstärkungsmaßnahmen in Betracht, diesen liegt aber das gleiche Prinzip zugrunde. Zunächst wird der alte Brückenbelag entfernt. Dann erfolgt die jeweilige Verstärkungsmaßnahme. Unabhängig von der Art der Verstärkungsmaßnahme gelten die gleichen Anforderungen wie für herkömmliche Brückenbeläge, diese sind: Dichtigkeit, Griffigkeit, Gradientenausgleich und Dauerhaftigkeit. [7; 9]. Unterschiedliche Verstärkungsmaßnahmen sind [7; 9]: • Hochfester Beton: Der alte Brückenbelag wird bei dieser Maßnahme durch einen stahlfaserverstärkten, bewehrten hochfesten Beton ersetzt. Der hochfeste Beton wirkt dabei im Verbund mit dem Deckblech und fördert die Lastverteilung. Diese Maßnahme wird im folgenden Kapitel näher beschrieben. • Sandwich Plate System (SPS): Bei dieser Verstärkungsmaßnahme wird ein zusätzliches Blech mit Abstandshaltern parallel zum vorhandenen Deckblech positioniert. Der damit entstehende Hohlraum wird mit flüssigem Polyurethan gefüllt und härtet anschließend aus. Mit dem Erhärten des Polyurethankerns entsteht ein Verbund zwischen den beiden Deckblechen. • Aufgeklebte Bleche: Bei dieser Maßnahme werden zusätzliche Stahlbleche zwischen dem Deckblech und dem Fahrbahnbelag angeordnet. Diese Verstärkungsbleche werden kraftschlüssig auf das Deckblech geklebt und erzielen über eine bessere Spannungs- und Kaftverteilung die Verstärkungsleistung. • Hohlraumreiches Asphalttraggerüst mit Nachträglicher Verfüllung (HANV): Bei dieser Verstärkungsmaßnahme wird ein mit Hohlräumen ausgestattetes Asphalttraggerüst, welches aus einer Gesteinskörnung mit einer Sieblinie mit Ausfallkörnung und einem zur Verklebung der Gesteine ausreichenden Bindemittelgehalt besteht, nachträglich mit Epoxidharz verfüllt. Mit dem verfüllten Asphalttraggerüst kann eine höhere Steifigkeit und Verformungsbeständigkeit bei höheren Temperaturen und eine ausreichende Elastizität bei tiefen Temperaturen erreicht werden. 5. Brückenkolloquium - September 2022 253 Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten mit hochfestem Beton 3. Hochfester Beton für die Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten bei Stahlbrücken 3.1 Zusammensetzung und Aufbau des Belagssystems mit hochfestem Beton bei den bisherigen Maßnahmen Bei den durchgeführten Maßnahmen in Deutschland wurde ein stahlfaserbewehrter Beton der Festigkeitsklasse C90/ 105, welcher eine Biegezugfestigkeit von 10 N/ mm 2 aufweist, eingesetzt. Wichtig ist, dass die Schwindeigenschaften begrenzt werden, um daraus resultierende Spannungen im Beton und im Gesamttragwerk zu reduzieren. In den bereits ausgeführten Beispielen enthielt der Beton einen Stahlfaserzuschlag von etwa 75 kg/ m³ mit einem Durchmesser von 0,4 mm zur besseren Rissverteilung. Die Dicke der Betonschicht variiert nach Anwendungsfall, ein typischer Wert ist 75 mm [10]. Der Aufbau des bei den bisherigen Maßnahmen eingesetzten Belagssystems mit hochfestem stahlfaserbewehrtem Beton erfolgt nach einem festen System (Abbildung 3): • Abgestreutes Epoxidharz • Stahlfaserbewehrter Beton • Reaktionsharzdünnbelag (RHD-Belag) Abbildung 3: Aufbau System hochfester Beton [11] Der Einbau des Belags erfolgt in definierten Schritten [6; 12]: Nach der Instandsetzung der Risse der orthotropen Fahrbahnplatte wird die Oberfläche des Deckblechs gestrahlt und gereinigt. Der nächste Schritt ist die Aufbringung einer Haftschicht aus Epoxidharz. Im flüssigen Zustand wird dann hochfester, calcinierter Bauxit-Split mit definierter Korngröße und Kornform in die Epoxidharzschicht eingestreut. Die Haftschicht dient dazu, einen Verbund zwischen dem Deckblech und dem hochfesten Beton herzustellen. Nach der Aushärtung wird in einem definierten Abstand zum Deckblech eine Bewehrung aus Betonstabstahl in Längs- und Querrichtung fixiert. Im Anschluss erfolgt die Aufbringung des faserbewehrten hochfesten Betons. Der hochfeste Beton dient der Verstärkung, der besseren Lastverteilung und dem Schutz der Fahrbahnplatte vor Feuchtigkeit und Korrosion. Zum Schluss wird auf dem Beton ein Dünnbelag aufgebracht, der ebenfalls aus Epoxidharz mit eingestreutem Splitt besteht. Dieser dient dem Schutz des hochfesten Betons, stellt eine zusätzliche Dichtungsschicht dar und verbessert die Griffigkeit der Fahrbahnoberfläche. Von Seiten der Betontechnologie gelten hohe Anforderungen hinsichtlich der Ausführungsqualität, wobei insbesondere die folgenden Aspekte zu beachten sind: • Zusammensetzung des Betons • Betonherstellung • Frischbetoneigenschaften • Betonverarbeitung • Betondruckfestigkeit und Biegezugfestigkeit • Verformungsverhalten • Dauerhaftigkeit • Qualitätssicherung Diese Aspekte werden in Grundzügen bei jedem Einsatz von hochfestem Beton verfolgt. Bei den Baumaßnahmen in Beimerstetten und Maxau wurden aufgrund des Pilotcharakters diese Aspekte besonders gründlich untersucht. Im Ergebnis hat sich gezeigt, dass insbesondere die Aspekte Betonrezeptur, Mischung des Betons, Frischbetoneigenschaften, Einbau und Verdichtung des Betons, qualitätssichernde Maßnahmen und Erfahrung, Schulung und Quantität des Personals auf der Baustelle eine bedeutende Rolle spielen. [6; 11]. 3.2 Voraussetzungen und Nutzen für den Einbau des hochfesten Betons zur Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten bei Stahlbrücken Der Einsatz von hochfestem Beton zur Verstärkung orthotroper Fahrbahnplatten ist unter den folgenden Bedingungen sinnvoll: • Die Restlebensdauer der Brücke beträgt noch mehr als 20 Jahre. • Der Zustand der Brücke zeigt Schäden der Kategorie 1, welche infolge von Materialermüdung entstanden sind. • Die Brücke hat eine hohe verkehrliche Bedeutung, sodass die Mehrkosten wirtschaftlich begründbar sind. • Eine geringfügige Gewichtserhöhung der Brücke ist nicht kritisch bzw. kann über zusätzliche Maßnahmen aufgefangen werden. Der Nutzen des hochfesten Betons ergibt sich über die Verbundwirkung zwischen Fahrbahnbelag und orthotroper Fahrbahnplatte, welche zu einer besseren Lastverteilung führen und damit eine Reduktion von Spannungen in den Schweißnähten und der Durchbiegung erzielen. Dadurch wird die Entstehung weiterer Schäden der Kategorie 1 an orthotropen Fahrbahnplatten vermieden. Die Verbundwirkung wird in deutschen Projekten rechnerisch noch nicht einbezogen, Untersuchungen hierzu laufen aber an den Projekten Maxau und Elster-Saale-Kanal. 254 5. Brückenkolloquium - September 2022 Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten mit hochfestem Beton 3.3 Ablauf beim Einsatz von hochfestem Beton zur Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten bei Stahlbrücken Die Abbildung 4 zeigt das Ablaufschema beim Einsatz von hochfestem stahlfaserbewehrtem Beton zur Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten inklusive der Zustimmung im Einzelfall. Zu Beginn des Einsatzes ist eine Bestandsaufnahme der Brücke notwendig. Eine genaue Untersuchung der Schäden und deren Ursachen, eine Nachrechnung, Dokumentation des Verkehrsaufkommens inklusive der Abschätzung der zukünftigen Entwicklung und Nutzungsdauer ist erforderlich. Die Verstärkung der orthotropen Fahrbahnplatten von Brücken mit hochfester Beton oder alternativen Varianten sollten unter Berücksichtigung der vorhandenen Schäden und der Restnutzungsdauer im nächsten Schritt überprüft werden. Als Entscheidungshilfe bezüglich des Einsatzes von hochfestem Beton dienen die in Kapitel 3.2. genannten Voraussetzungen. Der nächste Schritt ist die Beantragung der Zustimmung im Einzelfall, da es sich nicht um eine Regelbauweise handelt. Der Einsatz von hochfestem Beton ist immer mit einer Zustimmung im Einzelfall verbunden, wie auch der Einsatz von Reaktionsharzdünnbelag als zusätzliche Dichtungsschicht und zur Verbesserung der Griffigkeit der Fahrbahnoberfläche auf Stahlbrücken. Im Rahmen dieser Beantragung sind die folgenden Aspekte zu beschreiben: • Informationen zum Bauwerk inklusive Fotos und Pläne, • Schadensbilder und deren Ursachen, • Nutzen des Einsatzes von hochfestem Beton, • Vorplanung der Baudurchführung inklusive Pläne und • Überlegungen zu messtechnischen Begleitung. Im Anschluss erfolgt die Überprüfung der Zustimmung im Einzelfall und zumeist (bei Einbindung durch das BMDV) eine Beurteilung der Maßnahme durch die BASt. Nach Erteilung der Zustimmung im Einzelfall kann die Ausschreibung der Maßnahme erfolgen. Für die Ausschreibung ist es von großer Bedeutung, dass der Bauablauf so gut wie möglich vorher geplant wird. Dieses gilt insbesondere für die folgenden Aspekte: • Einhausung der Maßnahme unter Beachtung von Aspekten der Befestigung der Einhausung und einer eventuell notwendigen Klimatisierung, • Örtlichkeiten zur Lagerung von Kühlcontainer und einer Mischanlage in direkter Nähe zur Maßnahme, • Fertigung einer Probeplatte, welche unter den gleichen Bedingungen hergestellt werden soll, wie die eigentliche Maßnahme. Ziel ist Probeplatte ist die Darlegung der Qualität des Einbaus und des Materials, • Möglichkeiten der Zufuhr des hochfesten Betons während des Einbaus und • Darlegung der messtechnischen Begleitung (Zeitschiene sowie nötige Eingriffe in die Bauausführung). Diese Anforderungen, welche in die Ausschreibung aufgenommen werden sollten, ergeben sich teilweise aufgrund der Anforderungen aus der Zustimmung im Einzelfall. Vorgeschrieben sind aktuell: • Herstellung einer Probeplatte, • Zelteinhausung der Fahrbahn, • Betontechnologische Begleitung der Probeplatte und des Fahrbahneinbaus, • Enge und strenge Grenzen beim auszuschreibenden Produkt und • Führung eines Qualitätshandbuchs. Vor dem Einbau des Belagssystems mit hochfestem Beton erfolgt eine Instandsetzung der gerissenen Schweißnähte. Eine messtechnische Begleitung der Maßnahme kann sinnvoll sein, Möglichkeiten der messtechnischen Begleitung bei den bisherigen Maßnahmen und deren Ziele werden in Kapitel 5 beschrieben. Evtl. erfolgt eine fachtechnische Begleitung der Maßnahme durch die BASt. Die Maßnahme endet mit einer Schlussbetrachtung. 5. Brückenkolloquium - September 2022 255 Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten mit hochfestem Beton 4. Einsatzbeispiele 4.1 Allgemein Der Einsatz von hochfestem Beton zur Verstärkung einer Stahlbrücke erfolgte erstmalig in den Niederlanden auf einem Teil der Calandbrücke im Hafengebiet von Rotterdam im Jahr 2003. Es wurde eine 50 mm dicke Schicht aus hochfestem, bewehrtem Stahlfaserbeton anstelle einer Gussasphaltschicht eingesetzt. Mit der Maßnahme konnten die lokalen Biegespannungen im Deckblech deutlich herabgesetzt und Ermüdungsprobleme bewältigt werden [13]. Im Jahr 2014 wurde zum ersten Mal hochfester Beton zur Verstärkung einer Stahlbrücke in Deutschland eingesetzt. Im Folgenden werden die bisher durchgeführten bzw. geplanten Maßnahmen kurz beschrieben. 4.2 Beimerstetten (L1239) Die Brücke Beimerstetten wurde 1963 gebaut und überführt die L1239 über die Bahnstrecke Stuttgart-Ulm. Die Brücke wurde als Einfeldträger mit einer Spannweite von 40 m und einer Breite von 11 m ausgeführt und hat eine orthotrope Fahrbahnplatte mit einem 12 mm dicken Deckblech mit gewalzten Wulstflachstählen (Abbildung 5). Die Brücke wies zum Beginn der Maßnahme keine Ermüdungsschäden auf und dient als Pilotprojekt für den Ersteinsatz von hochfestem Beton zur Verstärkung der Rheinbrücke Maxau. Abbildung 5: Bestandsplan der Brücke Beimerstetten [6] Der Einbau des Belagssystems mit hochfestem Beton wurde nach der erfolgreichen Betonage der Probeplatte ausgeführt. Nach dem Aufbringen der Epoxidharzschicht wurde die Bewehrung eingebaut. Der Anschluss an das Schrammboard wurde über das Anschweißen der Querbewehrung an ein Kammblech erreicht (Abbildung 6). Im Anschluss erfolgte die Betonage und der Einbau des Dünnbelags. Abbildung 6: Bewehrung für den hochfesten Beton an der Brücke in Beimerstetten [6] Der hochfeste Beton konnte im Pilotprojekt Beimerstetten erfolgreich eingesetzt werden. Hierbei wurden insbesondere Erfahrungen zur Betonrezeptur, Mischung des Betons, Frischbetoneigenschaften, Einbau und Verdichtung des Betons, qualitätssichernde Maßnahmen sowie zur Schulung und Quantität des Personals auf der Baustelle gewonnen. Diese Erfahrungen stellen eine wichtige Grundlage für die weiteren Projekte dar. Die messtechnische Begleitung zur Verstärkungswirkung wird in Kapitel 5 beschrieben. 4.3 Maxau (B10) Die Rheinbrücke Maxau wurde in den Jahren 1963 bis 1966 erbaut, es handelt sich um eine Schrägseilbrücke mit orthotroper Fahrbahnplatte (Abbildung 7). Die Brücke überführt die Bundesstraße B10 über den Rhein und überspannt 2 Felder mit Stützweiten von 175 und 117 m. Die Brücke wurde mit zwei Fahrstreifen je Richtung ausgebildet und ist für die Brückenklasse 60 ausgelegt. Die Verkehrsstärke lag im Jahr 2018 bei ca. 74.000 Kfz/ d mit einem Schwerverkehrsanteil von ca. 9 % [14]. Abbildung 7: Stahlbrücke Maxau [14] Bereits in den 1990er Jahren konnten erste Ermüdungsrisse in der Brücke festgestellt werden. Deren vermehrtes Auftreten in den Folgejahren hatte sofortige Reparatur- 256 5. Brückenkolloquium - September 2022 Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten mit hochfestem Beton maßnahmen zur Folge. Weiterhin wurden in der Fahrbahn immer häufiger Spurrinnen und damit eine Verringerung der Lastverteilung durch den Fahrbahnbelag und eine stärkere lokale Belastung der Fahrbahnplatte festgestellt. Die notwendige Ertüchtigung wurde im Jahr 2011 durch eine Machbarkeitsstudie erarbeitet und der Einsatz von hochfestem stahlfaserbewehrtem Beton als beste Variante gewählt. Hiermit sollte den Anforderungen an eine verlängerte Nutzungsdauer, ein erhöhtes Verkehrsaufkommen und den Anforderungen der Nachrechnungsrichtlinie gerecht werden. Abbildung 8: Einbau des hochfesten Betons an der Rheinbrücke Maxau 13.04.2019 (BASt 2019) In 2019 konnte der Einbau des hochfesten Betons in zwei Bauabschnitten realisiert werden. Die Abbildung 8 zeigt den Einbau des hochfesten Betons auf der eingehausten Fahrbahn. Die messtechnische Begleitung der Maßnahme wird in Kapitel 5 beschrieben. 4.4 Elster-Saale-Kanal (A9) Die Brücke überführt die Bundesautobahn A 9 über den Elster-Saale-Kanal nördlich von Günthersdorf im Saalekreis. Verstärkt wurde das Teilbauwerk der Richtungsfahrbahn München. Abbildung 9: Brücke über den Elster-Saale Kanal (Autobahn GmbH 2021) Die Brücke wurde ursprünglich 1937 als Zweigelenkrahmen-Stahlkonstruktion mit Kragarmen und Betonfahrbahnplatte errichtet. Der Überbau wurde 1992 durch einen einfeldrigen Stahlüberbau als Trägerrostkonstruktion mit orthotroper Fahrbahnplatte ersetzt (Abbildung 9). Das Brückenbauwerk wurde für die Brückenklasse 60/ 30 nach DIN 1072 geplant und gebaut. Eine Nachrechnung des Tragwerkes gemäß Nachrechnungsrichtlinie erfolgte für das Ziellastniveau BK60/ 30. Als Ergebnis konnte bis auf die Ermüdungsfestigkeit der orthotropen Fahrbahnplatte eine ausreichende Tragfähigkeit nachgewiesen werden. Die Bauwerksprüfung 2017 zeigte neben den üblichen nutzungs- und altersbedingten Mängeln wiederholt Risse in der orthotropen Fahrbahnplatte. Um eine Schadensausbreitung oder Folgeschäden zu vermeiden, war eine grundhafte Instandsetzung mit Verstärkung der orthotropen Fahrbahnplatte erforderlich. Neben der Instandsetzung der gerissenen Schweißnähte stand die Verstärkung des Deckblechs, um einer wiederkehrenden Rissbildung vorzubeugen, im Vordergrund. Die Verstärkung der Brücke mit hochfestem Beton wurde als Variante ausgewählt, da so die Nutzungsdauer der Brücke um 30 Jahre verlängert und die Entstehung weiterer Risse vermieden werden kann. Der Einbau des hochfesten Betons konnte im Jahr 2021 erfolgreich durchgeführt werden (Abbildung 10). Hierbei konnte auf die Erfahrungen aus den bisherigen Maßnahmen zurückgegriffen werden. Abbildung 10: Einbau des hochfesten Betons an der Brücke über den Elster-Saale-Kanal (Autobahn GmbH 2021) 4.5 Rhein-Herne-Kanal (A43) Das westliche Bestandsbauwerk über den Rhein-Herne-Kanal soll während des Ersatzneubaus des östlichen Bestandsbauwerks für ca. 3 bis 5 Jahre für die bauzeitliche Verkehrsführung genutzt werden. Während dieser Zeit wird die Befahrung mit Fahrzeugen über 3,5 t 5. Brückenkolloquium - September 2022 257 Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten mit hochfestem Beton über eine Schrankenanlage ausgeschlossen. Die Brücke stammt aus dem Jahr 1965 und ist Teil des Emschertalzugs, der aus drei Bauwerken über den Rhein-Herne-Kanal, die Emscher und DB-Strecken besteht. Die Brücke wird täglich von ca. 100.000 Fahrzeugen genutzt und der Schwerlastanteil beträgt 11 Prozent. Es handelt sich um eine Plattenbalkenbrücke mit einer orthotropen Fahrbahnplatte. Erste Schäden konnten bereits 1986 festgestellt werden, diese hatten aber keine Einschränkung der Nutzung zur Folge. Ursache für die Schäden ist der materialsparende Einsatz von Stahl. Weiterhin hat die Brücke Tragfähigkeitsdefizite, diese konnten im Rahmen der Nachrechnung auf Grundlage eines messwertbasierten Bemessungskonzepts dargelegt werden. Die Umsetzung der Maßnahme befindet sich aktuell in der Planung. 5. Ergebnisse begleitender Forschung Die bisherigen Maßnahmen wurden messtechnisch begleitet (Tabelle 1). Tabelle 1: Übersicht zu Brücken mit hochfestem Beton in Deutschland Brücke Jahr Messtechnische Begleitung Beimerstetten 2014 messtechnische Begleitung der Verstärkungswirkung Maxau B10 2019 messtechnische Begleitung der Verstärkungswirkung und Feuchtemessungen Elster-Saale- Kanal A9 2021 messtechnische Begleitung der Verstärkungswirkung und Rissdetektion Rhein-Herne Kanal A43 Geplant 2024 Geplant sind Nachuntersuchungen des hochfester Beton nach ca. 5 Jahren, wenn die Brücke abgebrochen wird Die Ziele der begleitenden Forschung betreffen insbesondere die Quantifizierung der Verstärkungsleistung und betontechnologische Aspekte, wie die Dichtigkeit und Festigkeit des Betons. Im Rahmen dieser Ausarbeitung werden vorwiegend die Aspekte der Messung der Verstärkungsleistung dargestellt. Punktuelle Einwirkungen durch Achs- und Radlasten sind die Ursache für Ermüdungsschäden an den Schweißnähten der orthotropen Fahrbahnplatte. Durch den Einsatz des hochfesten Betons soll eine bessere Verteilung der Lasten und damit eine Verstärkungswirkung erreicht werden. Ziel der messtechnischen Begleitung ist u.a. die Erfolgskontrolle der Verstärkungsmaßnahme [6]. An der Brücke Beimerstetten und der Rheinbrücke Maxau erfolgten Belastungsfahrten vor Beginn der Bauarbeiten, auf der freien Fahrbahnplatte, kurz nach der Herstellung des hochfesten Betons und nach einer 6-monatigen Einsatzzeit des hochfesten Betons. Ziel der Belastungsfahrten war die Erfassung von statischen und dynamischen Systemantworten. Mit den erhobenen Messdaten werden numerische Modelle kalibriert, welche dann zur rechnerischen Erfolgskontrolle genutzt werden können [6; 15]. An der Brücke Beimerstetten wurden Dehnungsmessstreifen in der Feldmitte der Fahrbahn mit hohen globalen Druckbeanspruchungen und im Auflagebereich ohne nennenswerte globale Spannungen eingesetzt. Die Abbildung 11 zeigt die Messbereiche im Querschnitt der Brücke. [6]. Abbildung 11: Messbereiche der Brücke Beimerstetten [6] Im Ergebnis zeigte sich, dass der hochfeste Beton einen starren Verbund mit dem Deckblech eingeht und deutliche Steigerungen der Steifigkeit erfasst werden. Weiterhin wird die Beanspruchung der orthotropen Fahrbahnplatte in Bezug auf die Ermüdung signifikant reduziert. Eine Entlastung einzelner Bereiche mit hoher Lasteinleitung konnte durch eine bessere Querverteilung erreicht werden. Dieses führt zu geringen Spannungsschwingspiel und einer deutlichen Erhöhung der potenziellen Lebensdauer der Brücke. An der Brücke Maxau wurden zur Bemessung der Validierung des FE-Modells Dehnungsmessstreifen an verschiedenen Punkten der Brücke eingesetzt um das globale Tragverhalten zu ermitteln (Abbildung 12). Abbildung 12: messtechnische Ausstattung der Rheinbrücke Maxau mit Dehnungsmessstreifen im Bereich des Querverbands der Achse [16] Weiterhin wurde die globale Durchbiegung der Brücke über Tachymetermessungen unterhalb der Brücke ermittelt. Hierzu wurden an der Unterseite der Brücke 258 5. Brückenkolloquium - September 2022 Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten mit hochfestem Beton entsprechende Kugelprismen angebracht. Im Fall der Rheinbrücke Maxau wurde ein mobiler Kran als Belastungsfahrzeug für alle Belastungsversuche eingesetzt. Messungen wurden während der Überfahrt und zusätzlich mit festen Positionen des Krans durchgeführt. [15] Die vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass eine deutliche Reduktion der lokalen ermüdungswirksamen Beanspruchungen im Bereich der orthotropen Fahrbahnplatte erreicht wird. Dieses trifft sowohl auf die Reduktion der auftretenden Spannungen direkt unter der Radaufstandsfläche als auch die bessere Lastverteilung zu. Ursache für die Reduktion ist, dass durch die Verstärkungsmaßnahme benachbarte Steifen stärker beim Lastabtrag mitwirken. Daher kann auf Grundlage der bisherigen Erkenntnisse die beabsichtigte Wirkung der Verstärkungsmaßnahme bestätigt werden. An der Brücke über den Elster-Saale-Kanal erfolgten lokale Messungen über lokale Dehnungs- und Verformungsmessungen mit Dehnungsmesstreifen und Wegenehmern an den Unterseiten der Rippen. Auch hier wurden Belastungsversuche auf dem ursprünglichen Fahrbahnbelag, dem Deckblech und dem neuen Belag durchgeführt. Ziel dieser Messungen war das Aufzeigen der Verstärkungswirkung. Im Ergebnis konnte die Verstärkungswirkung nachgewiesen werden, da die Steifigkeit der orthotropen Fahrbahn erhöht werden konnte, was sich in verringerten Dehnung- und Verformungsmessungen nach der Verstärkung zeigt [17]. Für die orthotrope Fahrbahnplatte besteht eine Korrosionsgefahr, wenn Wasser in das Belagssystem eindringen kann. Die zulässige Rissbreite wird daher rechnerisch auf 0,1 mm begrenzt. Um die Rissbildungen in Fahrbahnplatte und der Verbundschicht zu überwachen wurden faseroptische Sensoren in der Beton- und der Verbundschicht eingebaut. Diese dienen der frühzeitigen Erkennung von Rissen, der Bestimmung von Rissweiten und Rissaktivitäten. Weiterhin soll eine etwaige Delamination von Verbundschicht und Stahlplatte überwacht werden. Dieses erfolgt durch die messtechnische Begleitung der Verbundwirkung und der Detektion von Ort und Ausmaß ggf. auftretender Verluste der Verbundwirkung. Die messtechnische Überwachung erfolgt mit faseroptische Sensoren in der Epoxidhaftschicht und im hochfesten Beton [18]. In ersten Auswertungen konnten Mikorisse in der Betonschicht in den Messungen längs zur Brücke erkannt werden. In den Messungen quer zur Brücke zeigen sich in der Mitte der Brücke erhöhte Dehnungen, welche zu den Rändern hin abnehmen. Mögliche Erklärungen sind unterschiedliche Temperaturen oder die Verkehrsbelastung. Im Rahmen von Folgemessungen sollen diese Ergebnisse verifiziert und analysiert werden [18]. 6. Fazit Die durchgeführten Maßnahmen zeigen, dass mit dem Einsatz von hochfestem, stahlfaserbewehrtem Beton die gewünschte Verstärkungswirkung orthotroper Fahrbahnplatten erzielt wird. Bislang sind Schäden der Kategorie 1 nach der Umsetzung der Verstärkungsmaßnahme nicht mehr entstanden. Um die mittragende Wirkung von hochfestem Beton auch rechnerisch ansetzen zu können, erfolgen aktuell die Auswertungen der messtechnischen Begleitung und die FE-Modellierung an den bereits durchgeführten Maßnahmen. Basierend auf den Berechnungen lässt sich ein Ingenieurmodell entwickeln, welches den rechnerischen Nachweis der Ermüdungsfestigkeit von mit hochfestem Beton ertüchtigten orthotropen Fahrbahnplatten in Zukunft ermöglichen kann. Die Messkonzepte haben das Ziel die globale Tragwirkung der Brücken zu erfassen [6; 15]. Erforderlich ist hierbei die Betrachtung der Ermüdung der Verbundfuge. Der Einsatz des hochfesten Betons ist mit einem erhöhten Arbeits- und Zeitaufwand durch die Zustimmung im Einzelfall, die Einhausung der Baustelle, das Erstellen der Probeplatte und die intensive betontechnologische Begleitung der Maßnahme verbunden. Dieser Mehraufwand wird auch in Zukunft entstehen, da eine Aufnahme des hochfesten Betons als Regelbauweise für die Verstärkung von Stahlbrücken mit orthotropen Fahrbahnplatten vorerst nicht geplant ist. Ursache ist die geringe Anzahl an Brücken mit orthotropen Fahrbahnplatten, bei denen sich eine Verstärkung mit hochfestem Beton als zielführend darstellt. Um die in Deutschland bereits gemachten Erfahrungen zusammenzustellen und den gesamten Prozess von der Planung bis zur Ausführung besser zu strukturieren ist ein Workshop in der BASt geplant. Die Ergebnisse des Workshops dienen als Grundlage für die Erstellung von Planungshilfen zur Erleichterung und Beschleunigung zukünftiger Verstärkungsmaßnahmen mit hochfestem Beton an Stahlbrücken mit orthotropen Fahrbahnplatten. Literaturverzeichnis [1] BASt (2021) Brückenstatistik 2021 [online]. https: / / www.bast.de/ BASt_2017/ DE/ Ingenieurbau/ Fachthemen/ brueckenstatistik/ bruecken_hidden_node.html; jsessionid=5B433DB2E30E52E- AC951347516663896.live21304. [2] BMVI (26.10.2015) Stand der Ertüchtigung von Straßenbrücken der Bundesfernstraßen. [3] Marzahn, G. (2016) Instandsetzungsbedarf von Infrastrukturbauten in Deutschland in: Müller, H. S.; Nolting, U.; Haist, M. [Hrsg.] 12. Symposium Baustoffe und Bauwerkserhaltung. Karlsruhe. [4] Albrecht, G. (2005) Entwicklungsgeschichte der orthotropen Fahrbahnplatte in: BASt [Hrsg.]. [5] DIN-Fachbericht 103: 2009-03 DIN Fachbericht 103: Stahlbrücken. [6] Mansperger, T. et al. (2017) Verstärkung von Stahlbrücken mit hochfestem Beton. Bremen: Fachverlag NW. 5. Brückenkolloquium - September 2022 259 Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten mit hochfestem Beton [7] Sedlacek, G.; Paschen, M.; Feldmann, M. (2011) Instandsetzung und Verstärkung von Stahlbrücken unter Berücksichtigung des Belagssystems - Bericht zum Forschungsprojekt 15.405/ 2004/ CRB. Bremerhaven: Wirtschaftsverl. NW Verl. für neue Wiss. [8] Paschen, M.; Hensen, W.; Hamme, M. (2017) Instandsetzungs- und Sicherungsmaßnahmen bei den Rheinbrücken Leverkusen und Duisburg-Neuenkamp ein Zwischenbericht (Teil 1) in: Stahlbau 86, H. 7, S. 603-618. https: / / doi.org/ 10.1002/ stab.201710513 [9] Friedrich, H. (2022) Verstärkung des Deckblechs orthotroper Fahrbahnplatten durch Aufkleben von Stahlblechen - unveröffentlicht. [10] Tuinstra, D.; Gabler, M. (2017) Verstärkung von Stahlbrücken in den Niederlanden - Einsatz von hochfestem Beton und zielgerichtete Tragwerksverstärkung in: Curbach, M. [Hrsg.] Tagungsband 27. Dresdner Brückenbausymposium: 13. und 14. März 2017. Dresden: Technische Universität Dresden Institut für Massivbau. [11] Shepherd, D. A. et al. (2021) Zur Ertüchtigung der Rheinbrücke Maxau mit hochfestem Beton in: Beton‐ und Stahlbetonbau 116, H. 10, S. 754-764. https: / / doi.org/ 10.1002/ best.202100040 [12] Haist, M.; Breiner, R. (2015) Ertüchtigung der orthotrope Fahrbahnplatte einer Brücke über die Bahn bei 89179 Beimerstetten mit einer Schicht aus hochfestem Beton - unveröffentlicht. [13] Leendertz, J.; de Jong, F. (2005) Erfahrungen aus den Niederlanden in: BASt [Hrsg.]. Expertengespräch Instandsetzung orthotroper Fahrbahnplatten. [14] Maier, D. H. et al. (2020) Ertüchtigung der Rheinbrücke Maxau - Teil 1 in: Stahlbau 89, H. 2, S. 138-147. https: / / doi.org/ 10.1002/ stab.201900107 [15] Weidner, P. et al. (2019) Messtechnische Begleitung der Ertüchtigungsmaßnahme an der Rheinbrücke Maxau in: Messtechnik im Bauwesen Spezial 2019, A61029, S. 19-27. [16] Weidner, P.; Ruff, D.; Ummenhofer, T. (2021) Instandsetzung und Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten mit hochfestem Beton. Unveröffentlicht. [17] Reuschel, E.; Herold, R.; Steinbach, P. (2021) Messtechnische Begleitung der Sanierungsmaßnahmen an BW 68. Unveröffentlicht. [18] Sensical (2022) Messbericht - Faseroptische Instrumentierung BW 68 im Zuge der BAB 9 über den Leipzig-Saale-Kanal bei Günthersdorf - Stand 29.03.2022. Unveröffentlicht. Innovative Bauweisen, Bauverfahren und Bauprodukte 263 Vorgespannte Tragwerksverstärkung mit Fe-SMA - memory-steel Dipl.-Ing. Dr. sc. ETH Zürich Bernhard Schranz re-fer GmbH, Müllheim, Deutschland re-fer Austria GmbH, Traiskirchen, Österreich Dr.-Ing. Eva-Maria Ladner Sika Deutschland GmbH, Stuttgart, Deutschland Dipl-Bauing. Dr.sc. Julien Michels, MBA re-fer AG, Seewen, Schweiz Zusammenfassung Aufgrund stetiger Alterungsprozesse, Lasterhöhungen, sowie veränderten Nutzungsanforderungen ist die Tragwerksverstärkung von Bestandsbauten zu einer Hauptaufgabe in der Bauindustrie geworden. Dies bedingt neben der Erhöhung der Traglast auch die Einhaltung von Durchbiegungen, Rissbreiten und Spannungen der internen Bewehrung, wodurch vorgespannte Systeme effektive Lösungen darstellen können. Aufgrund ihrer einzigartigen Eigenschaften ermöglichen eisenbasierte Formgedächtnislegierungen (memory-steel) neuartige strukturelle Verstärkungsanwendungen und wurden bereits bei einer Vielzahl von Bauwerksertüchtigungen eingesetzt. Besonders der Formgedächtniseffekt findet Anwendung in der Bauwerksertüchtigung, womit eine permanente Vorspannung im Bauteil erzeugt werden kann. Diese Vorspannung kann über mechanische oder zementöse Verankerungen in die Tragstruktur eingeleitet, und damit neben dem erhöhten Tragwiderstand auch den Grenzzuständen der Gebrauchstauglichkeit Rechnung getragen werden. 1. Einleitung Aufgrund steigender Verkehrslasten und erhöhter Verkehrsfrequenz, aber auch Umgebungseinflüssen nimmt die Ertüchtigung von Bestandsbauwerken eine zentrale Rolle von Tragwerksplanern ein. Neben erhöhter Traglast bestimmen regelmäßig auch die Limitation von Durchbiegungen, Rissen und Spannungen in internen Bewehrungen die erforderliche Verstärkungslösung. Es ist bekannt, dass vorgespannte Systeme im Gegensatz zu nicht vorgespannten Systemen signifikante Erhöhungen der Tragwerksperformance in diesem Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit bewirken können. Die Ertüchtigung von Bestandsbauwerken mit vorgespannten Systemen ist jedoch oft mit erheblichem Aufwand in Bezug auf Kosten, Arbeitszeit und strukturellem Eingriff in das Tragwerk verbunden. Speziell bei kleineren Bauwerken sind herkömmliche vorgespannte Ertüchtigungssysteme nicht zielführend. Innovative Verstärkungsverfahren basierend auf memory-steel, einer eisenbasierten Formgedächtnislegierung, bieten interessante Möglichkeiten zur vorgespannten Tragwerksertüchtigung. Eine spezielle Eigenschaft dieses Materials, der sogenannte Formgedächtniseffekt, bewirkt, dass sich das Material nach einer Deformation beim Erhitzen zusammenzieht. Wenn das Material jedoch durch eine Befestigung an einem strukturellen Bauteil wie einem Balken oder Platte festgehalten wird, entwickelt sich statt einer Formrückgewinnung eine mechanische Rückumwandlungsspannung. Diese Rückumwandlungsspannung bleibt nach dem Abkühlen erhalten und kann als Vorspannung in das Bauwerk eingeleitet werden. Im Vergleich zu schlaffen Verstärkungsmaßnahmen können somit bestehende Durchbiegungen, Rissbreiten und Spannungen in der Bestandsbewehrung reduziert werden. Da die Vorspannung durch den Formgedächtniseffekt hervorgerufen wird, sind keine hydraulischen Spannsysteme notwendig. Dadurch ist auch nicht mit Reibungsverlusten zu rechnen, da die Vorspannkraft in jedem infinitesimalen Querschnitt des Verstärkungsglieds aktiviert wird. Im Gegensatz zu schlaffen Bewehrungen ist dieses Material auch durch die initiale Spannung bereits aktiv und muss nicht erst durch Deformationen des Bestandsbauteils erst aktiviert werden. Die memory-steel Verstärkung wirkt dadurch auch gegen bestehende Lasten und ist nicht nur gegen Lasten aktiv, welche nach der Installation der Verstärkung aufgebracht werden. In diesem Beitrag wird der Forschungshintergrund, die Materialeigenschaften, die verschiedenen Bewehrungsprofile und mögliche Anwendungen beschrieben. 2. Forschungshintergrund 2.1 Materialeigenschaften Der Formgedächtniseffekt wird durch eine Kristallgitterumwandlung im Material hervorgerufen. Ausgehend von einer austenitischen Kristallstruktur nach der Produktion wird das Material zuerst einer Deformation bei Raumtemperatur unterzogen. Dadurch werden Teile des Kristallgitters in Martensit umgewandelt. In diesem Zustand wird das Material auf die Baustelle geliefert und am strukturellen Bauteil installiert. Anschliessend wird die Legierung durch einen Gasbrenner, durch Infrarotstrahlung, oder durch Elektrizität erhitzt, und damit der Formgedächtniseffekt aktiviert. Hierbei werden die mar- 264 Vorgespannte Tragwerksverstärkung mit Fe-SMA - memory-steel tensitischen Kristallstrukturen wieder in ein austenitisches Gitter übergeführt [1-5]. Die Verwendung dieses Formgedächtniseffektes als Vorspannung durch Festhaltungen wurde in einigen Studien untersucht, [6-7], wobei mehrere mögliche Anwendungen gefunden wurden. memory-steel ist eine Art eisenbasierte Formgedächtnislegierung (Fe-SMA), welche speziell für die Bauindustrie zur Erzielung einer hohen Rückumwandlungsspannung und Steifigkeit entwickelt wurde [8-10]. Diese Legierung wurde anschließend umfassend getestet und zu Produkten weiterentwickelt. Bei quasi-statischer Belastung zeigt der Werkstoff ein nichtlineares Spannungs-Dehnungs-Verhalten mit höheren Zugfestigkeiten und Bruchdehnungen als herkömmlicher Bewehrungsstahl. Die Zugfestigkeit liegt zwischen f u =800-- 1000- MPa und die Bruchdehnung bei ε u =20-35- %. Die Rückumwandlungsspannung bei Festhaltung hängt hauptsächlich von der anfänglichen Verformung (Vordehnung) und den Erwärmungstemperaturen ab. Die Spannungen erreichen zwischen ca. 300-500 MPa für Vordehnungen von ca. 2-4 % und Erwärmungstemperaturen zwischen ca. 160-400 °C [11-12]. Das Spannungs-Dehnungs-Verhalten während der Vordehnung, der Aktivierung und der Belastung ist anfänglich linear und dann in den verschiedenen Lastphasen nichtlinear (siehe Abbildung 1). Abbildung 1. Spannungs-Dehnungs-Diagramm von memory®-steel in verschiedenen Zuständen. Das Materialverhalten bei zyklischen und Ermüdungsbelastungen wurde in [13] untersucht und zeigt vorteilhafte Eigenschaften im Vergleich zu herkömmlichem Bewehrungsstahl. Die Korrosionsbeständigkeit wurde in [14] bewertet und zeigte ebenfalls eine höhere Beständigkeit als herkömmlicher Bewehrungsstahl. Das Spannung-Relaxations-Verhalten wurde an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) über mehrere Jahre untersucht. Die Extrapolation neuerer Daten legt nahe, dass die Spannungsrelaxation nach einer Dauer von 50 Jahren etwa 15 % beträgt. Das Material von memory®-steel zeigt weiters bei erhöhten Temperaturen ein ähnliches Verhalten wie herkömmlicher Baustahl [15]. 2.2 Verbund- und Verankerungsverhalten Die Interaktion von memory®-steel Bewehrungen mit Baumaterialien wie Beton, Stahl, Holz und Glas wurde in verschiedenen Studien untersucht. Die mechanische Befestigung von memory®-steel Lamellen („re-plate“) auf Beton wurde erstmals in [16-17] untersucht. Die Befestigung mittels Direktbefestigung (Nägel, siehe Abbildung 2) zeigte eine ausreichende Tragfähigkeit und Verformungseigenschaft [18] für die Verwendung als Verstärkungssystem auf Betonstrukturen. Abbildung 2. Versuchsstand für Verankerungsversuche von memory®-steel Lamellen (re-plate) Die Verbundeigenschaften von gerippten Stäben aus memory®-steel, vollständig einbetoniert [19] und oberflächennah mittels Sika Mörtelprodukten montiert (NSM) [20-22] wurde bereits in mehreren Studien gezeigt (siehe Abbildung 3). Auch nachträgliche Bewehrungsanschlüsse wurden experimentell untersucht und deren Tragfähigkeit nachgewiesen (Publikation eingereicht). Abbildung 3 Links: Links: Verankerungsversuche memory-steel Bewehrungsstäbe (re-bar) für NSM, Rechts: Verankerungsversuche von nachträglich angeschlossenen memory-steel Bewehrungsstäben In allen Untersuchungen wurden ausreichende Verbundeigenschaften, ähnlich zu herkömmlichem Rippenstahl, festgestellt, um die Kräfte aus der Rückumwandlungsspannung und den zusätzlichen Kräften aus äußeren Einwirkungen zu übertragen. Einige Beispiele für diese Verankerungsversuche im Beton sind in der Abbildung 2 dargestellt. 265 Vorgespannte Tragwerksverstärkung mit Fe-SMA - memory-steel 2.3 Systemverhalten Die Wirkungsweise von memory®-steel-Bewehrungen für Betonkonstruktionen wurde in mehreren großmaßstäblichen Laboruntersuchungen gezeigt. memory®steel-Lamellen/ Bänder („re-plate“) mit der genagelten Direktbefestigung und deren Verwendung als verbundloses Verstärkungsverfahren für Betonträger wurde in [23] untersucht (siehe Abbildung 4). Abbildung 4. Stahlbetonbalken verstärkt mit einer memory®-steel Lamelle, befestigt durch Direktbefestigung, im Zuge der Untersuchungen aus [23] In den Untersuchungen wurden signifikante Verbesserung in Bezug auf Risslast, Fließlast und Bruchlast (Betonstauchen in der Druckzone) festgestellt. Es wird angemerkt, dass zusätzlich zu diesen Lasterhöhungen ein duktiles Strukturverhalten beibehalten wurde (siehe Abbildung 5). Als Vergleich wurde ein Versuchsbalken mit einer nichtvorgespannten CFK-Lamelle (CFRP strip) der gleichen axialen Steifigkeit verstärkt. Wie in Abbildung 5 ersichtlich, konnte mit memory-steel deutliche Verbesserungen in Bezug auf Risslast, Fließlast und Duktilität (Stauchen der Druckzone bei re-plate und Abplatzen der CFK Lamelle bei Maximallast) erzielt werden. Andere Befestigungsarten wurden in [24] untersucht, die ebenfalls die gleichen signifikanten strukturellen Verbesserungen zeigten. Abbildung 5. Last-Durchbiegungs-Diagramm verschiedener Balkenversuche mit memory-steel und CFK-Verstärkung, aus [23] In weiteren Studien wurde die Funktion von memory®steel -Bewehrungsstäben („re-bar“) zur Verstärkung von Betonstrukturen mechanisch fixiert [25], sowie im Sika Betonersatzmörtel [26-28] (siehe Abbildung 7) und Spritzmörtel [29] untersucht, wobei ebenfalls signifikante Erhöhungen der Traglast und der Gebrauchslast festgestellt wurden. Abbildung 6. Oben: Biegeversuch einer 5m-langen Stahlbetonplatte, verstärkt durch fünf memory-steel Stäbe Ø10-mmm im flächigen Betonersatzmörtel. Unten: Biegeversuch einer 5m-langen Stahlbetonplatte, verstärkt durch fünf eingeschlitzte memory-steel Stäbe Ø10-mm 266 Vorgespannte Tragwerksverstärkung mit Fe-SMA - memory-steel Wie in Abbildung 7 ersichtlich, wurde bei beiden Varianten die Risslast, Fließlast, Bruchlast maßgeblich erhöht und die Duktilität beibehalten. Der Versagensmodus war durch Stauchen des Betons in der Druckzone gekennzeichnet. Während der gesamten experimentellen Untersuchungen wurde weder ein sprödes Versagen des Bauteils noch der Verstärkungssysteme beobachtet. Bei allen Untersuchungen wurde die erfolgreiche Übertragung der Rückumwandlungsspannung von der memory®-steel -Bewehrung in das Bauteil ohne lokale Schäden beobachtet. Abbildung 7 Links: Vergleich der Resultate von Biegeversuchen von Zweifeld-Stahlbetonplatten, verstärkt durch mit fünf memory®-steel Bewehrungsstäben, aus [27] Auch das Langzeitverhalten von mit memory®-steel -Bewehrungen verstärkten Betonkonstruktionen wurden in [30], sowie laufenden Studien untersucht, wobei unter konstanten Lasten zwischen Risslast und Fließlast kein Versagen oder auffällige Langzeitverformungen unter Umwelteinflüssen festgestellt wurde. Die Funktion von memory®-steel-Verstärkungssystemen in Kombination mit einem zementgebundenen Brandschutz-Spritzmörtel (SikaCem® Pyrocoat) im Brandfall wurde an der MFPA Leipzig unter genormten Bedingungen (ETK-Kurve) nach DIN EN 13381-3: 2015-06 und DIN EN 1363-1: 2020-05 geprüft [31]. Laut dem Prüf bericht, sowie der damit verbundenen gutachterlichen Stellungnahme [32] wurde einerseits eine signifikante Lasterhöhung im Gegensatz zum unverstärkten Bauteil festgestellt, und andererseits weder bei der Verstärkungsmaßnahme, noch bei der verstärkten Struktur Anzeichen eines Versagens festgestellt, bis der Versuch nach 120 min Beflammung unter Dauerlast abgebrochen wurde. Der Prüfkörper vor der Applikation des Brandschutzmörtels ist in Abbildung 8 dargestellt. Abbildung 9 zeigt den Versuchskörper wären der Beflammung. Abbildung 8. Versuchsplatte verstärkt durch vier memory®-steel Lamellen (re-plate), Befestigt mittlels Direktbefestigung vor der Applikation des Brandschutzmörtels Abbildung 9. Beflammung der mit memory®-steel re-plates und SikaCem® Pyrocoat verstärkten Stahlbetonplatte Vorgespannte Schubverstärkung aus mit memory®-steel Lamellen und Rippenstäben wurde in [33-34] erfolgreich demonstriert. Auch die Funktion von memory®-steel- Bewehrungen für Stahlkonstruktionen wurde in genagelter [35], geklebter [36] oder mechanisch befestigter [37] Ausführung nachgewiesen. Es wurde gezeigt, dass durch die Vorspannung das Ermüdungsrisswachstum im Stahluntergrund gestoppt werden kann. Weiters wurde die Ertüchtigung von Stahlverbindungen erstmals in [38] demonstriert. Das erste Pilotprojekt für die Verwendung von memory®-steel Lamellen als vorgespannte Tragwerksverstärkung fand im Jahr 2017 in der Schweiz statt. Bei diesem Projekt wurde angestrebt, bestehende Biegerisse und Deformationen in einer Stahlbetonplatte zu reduzieren und die Tragfähigkeit zu steigern. Bei einer weiteren Baustelle im Jahr 2017 in Frankreich wurde mittels kontinuierlicher Verschiebungsmessung eine Rissbreitenreduktion von 0.14-mm beobachtet werden. Das verstärkte Tragwerk ist in Abbildung 10 dargestellt. 267 Vorgespannte Tragwerksverstärkung mit Fe-SMA - memory-steel Abbildung 10. Pilotprojekt zur Untersuchung der Wirksamkeit von memory-steel Lamellen zur Verringerung von Rissbreiten und Durchbiegungen, zuzüglich zur Erhöhung der Traglast Die Verstärkung von alten Stahlstrukturen mittels memory®-steel-Lamellen wurde anhand eines Pilotprojekts gezeigt, wobei die Tragfähigkeit einer 113 Jahre alten Stahlbrücke erfolgreich erhöht wurde [39] (siehe Abbildung 11). Abbildung 11. In-situ Experiment, Verstärkung und Vorspannung einer 113-Jahre alten Stahlbrücke mittels memory-steel Lamellen, aus [39] 3. Aktuelle Produkte 3.1 Externe Verstärkungslamelle (re-plate) Dieses Material ist für die äußere Anwendung auf Betonkonstruktionen konzipiert. Die Endverankerung erfolgt mittels Direktbefestigung (Nägel) mit einem Durchmesser von 4 mm. Üblicherweise wird eine konstante Anzahl von 12 Nägeln verwendet, wobei 16 vorgefertigte Löcher in der Lamelle zur Verfügung stehen. Das Material wird vorgedehnt auf die Baustelle geliefert. Für die Montage wird das Material zunächst provisorisch an der gewünschten Stelle fixiert, anschließend der Beton durch die Löcher im replate vorgebohrt und die Befestigungsmittel mittels eines pulverbetriebenen Setzgerät platziert. Die Länge zwischen den mechanischen Befestigungen verbleibt ohne Verbund. Abschließend wird re-plate entweder mittels Gasflamme oder Infrarotstrahler über seine gesamte Länge auf Temperaturen zwischen 100°C und 300°C erhitzt. Der Einsatz des Infrarotstrahlers ermöglicht es, die Heiztemperatur gezielt zu reduzieren und angrenzende Bauteile zu schützen. Beim Gasbrenner wird das Material auf eine Temperatur von 300°C erhitzt, um die maximale Vorspannung von 380 MPa zu erzeugen. Eine Beschädigung des Materials durch Überhitzung ist bei Baustellentemperaturen nicht möglich. Abbildung 12. memory-steel Bänder („re-plate“) 3.2 Stabbewehrung (re-bar und re-bar R18) Bewehrungsstäbe mit genormter Rippengeometrie aus memory®-steel können entweder in vorgefertigte Nuten eingelegt oder in Betonersatzmörtel eingebettet werden. Besonders bei auskragenden Bauteilen im Bereich negativer Biegemomente, oder für nachträgliche Bewehrungsanschlüsse hat sich die Nutlösung mit Vergussmörtel (SikaGrout®) als sehr effektiv erwiesen. Die Bewehrungsvariante im flächigen Betonersatzmörtel (Sika MonoTop®) wurde häufig im positiven Biegemomentbereich im Spritzmörtel oder im negativen Biegemomentbereich im Vergussmörtel eingesetzt. Dazu wird zunächst der schadhafte Beton hydromechanisch abgetragen und die Stäbe anschließend in der gewünschten Position fixiert. Bei beiden Varianten werden in einer ersten Phase lediglich die Stabenden über eine definierte Verankerungslänge mittels Zementmörtel an der Tragkonstruktion fixiert, um nach Aushärtung den Erwärmungsprozess durch Gasflamme und damit das Einbringen der Vorspannung zu ermöglichen. Durch das Aufbringen von Verguss- oder Spritzmörtel wird danach der Verbund zwischen Stab und Bestandskonstruktion über die gesamte Länge sichergestellt - der Rippenstab wirkt somit als innenliegendes und vorgespanntes Zugelement mit nachträglichem Verbund. Auch nachträglich eingebaute Bewehrungsanschlüsse 268 Vorgespannte Tragwerksverstärkung mit Fe-SMA - memory-steel von memory®-steel Stäben in Kombination mit Ankerklebstoff (Sika Anchorfix®) wurden erfolgreich realisiert. Diese Anwendung ermöglicht auch die Verstärkung von Mauerwerkswänden und die Verankerung der vorgespannten Bewehrung in angrenzenden Betonbauteilen. Abbildung 13. memory-steel Rippenstäbe („re-bar”) Memory-steel Bewehrung verursacht aufgrund der hohen Bruchdehnung von >20 % ein duktiles Tragwerksverhalten mit ausgeprägter Versagensankündigung durch Risse und Verformungen mit anschließendem Versagen des Betons in der Druckzone. Neben der Verstärkung für Biegelasten wurden memory®-steel Stäbe auch zur vorgespannten Querkraftverstärkung in Form von Bügeln verwendet. Durch die Vorspannung konnten reduzierte Schubrissbreiten sowie eine Entlastung der inneren Schubbügel erreicht werden. Die hohe Bruchdehnung bewirkt ein duktileres Schubversagen bei großen Schubrissbreiten ohne Zugversagen der Bügel. Glatte Bewehrungsstäbe aus memory-steel (re-bar R18) werden vorwiegend zur externen Ertüchtigung ohne Verbund, zum Beispiel für Stahl- und Verbundbauwerke, eingesetzt. Die Stäbe werden mit einem Gewinde versehen und mechanisch über Anbauteile aus Baustahl am Tragwerk befestigt. Abbildung 14. Glatte memory-steel Bewehrungsstäbe (re-bar R18) 4. Bautechnische Nachweisführung Aktuelle Bemessungsrichtlinien für memory-steel-Bewehrungen basieren auf lokalen Bemessungsnormen des Stahlbetons wie EN-1992 und SIA 262. Dementsprechend unterscheiden die Richtlinien die Bemessungsfälle 1. Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit (GZG), 2. Grenzzustand der Tragfähigkeit (GZT), 3. Brandlastfall. 1. GZG: Die Auswirkung der Spannkraft auf das Bauteil kann als konstantes Biegemoment zwischen den Verankerungen (zementös oder mechanisch) berücksichtigt werden. Die entsprechenden Durchbiegungen, sowie die Auswirkungen auf Risslast, Rissbreiten und Spannungen in der internen Bewehrung können anhand von Standardgleichungen berechnet und mit Durchbiegungen aus Bemessungslasten überlagert werden. Die Vorspannung wird dabei als exzentrische Kraft, die ein Biegemoment erzeugt, sowie als zentrale Druckkraft berücksichtigt werden. Bei großen Exzentrizitäten des memory-steel®-Elements und geringer Biegesteifigkeit des verstärkten Bauteils wird eine Überprüfung der Zugspannungen in der gegenüberliegenden Betonoberfläche empfohlen, um etwaige Rissbildung des Betons beim Vorspannen zu vermeiden. Zur Bemessung ist die initiale Spannkraft um die entsprechende Relaxation gemäß Datenblatt des Herstellers zu reduzieren. Reibungsverluste wie bei konventionellen Vorspannmaßnahmen treten bei memory®-steel-Bewehrungen nicht auf. 2. GZT: Im Grenzzustand der Tragfähigkeit wird zwischen der Installation ohne und mit Verbund unterschieden. Ohne Verbund: Es können zwei Berechnungsverfahren verwendet werden. Die erste Methode stellt einen konservativen Ansatz dar, bei dem der Spannungszuwachs vom Spannkraftniveau durch äußere Belastung nicht berücksichtigt wird. Dieser Ansatz findet sich auch in Bemessungsempfehlungen und 269 Vorgespannte Tragwerksverstärkung mit Fe-SMA - memory-steel Bemessungssoftwares für externe Spannglieder ohne Verbund wieder. Für den Verankerungsnachweis wird mittels vereinfachter Formeln laut Stahlbetontheorie (erhältlich beim Hersteller) der Spannungszuwachs abgeschätzt, und die maximale erwartete Kraft der maximalen Verankerungskraft gegenübergestellt. Bei der zweiten Methode kann dieser Spannungszuwachs ebenfalls mittels vereinfachter Formeln oder genauerer Berechnung des Spannungszuwachses auch schon für den Bemessungsbiegewiderstand herangezogen werden. In EN-1992 finden sich weiters Empfehlungen, die Spannungserhöhung als 100 MPa anzunehmen, falls keine detaillierten Berechnungen durchgeführt werden. Bei memory®-steel Rippenstahlbewehrung im Vollverbund ist Stahlbetontheorie anwendbar. Die Bemessungsspannung im Rippenstab wird zu Beginn des Fließens des aktivierten Stabs definiert. Es muss angemerkt werden, dass durch die außergewöhnlich hohe Bruchdehnung des Materials (>20%) im nichtlinearen Bereich dadurch große Duktilitätsreserven und Sicherheiten entstehen. 3. Brandlastfall: Bei entsprechendem Brandschutz kann das Material im Brandlastfall für erhöhten Biegewiderstand berücksichtigt werden. Aufgrund der hohen Kritischen Temperatur des Systems wird bei einer Brandschutz-Spritzmörtelschicht von 22 mm [32] die Feuerwiderstandsklasse R90 (inkl. Sicherheitsfaktor 1,5) erreicht. Detaillierte Berechnungsrichtlinien sind beim Hersteller erhältlich. Das Engineering-Team des Herstellers unterstützt Tragwerksplaner auch in jeder Phase des jeweiligen Projekts. 5. Qualitätskontrolle Aus Gründen der Qualitätssicherung werden die thermomechanischen Eigenschaften der Produktionschargen vom Hersteller geprüft. Zusätzlich wird die Heiztemperatur auf der Baustelle gemessen. Zur Überprüfung der Spannkraft in den memory®-steel Bewehrungen nach dem Einbau werden vom Hersteller entsprechende Messgeräte bereitgestellt. 6. Abgeschlossene Projekte 6.1 Biegezugverstärkung eines Spannbetonträgers Aufgrund beschädigter interner Spannlitzen war es notwendig, deren Funktion durch nachträglich aufgebrachte Vorspannung wiederherzustellen. Aufgrund zusätzlicher Anforderungen hinsichtlich Staubentwicklung, Geruch, Einbauzeit sowie begrenztem Platz und geringer Betondeckung wurden seitlich installierte re-plate Bänder gewählt, wie in Abbildung 15 dargestellt. Aufgrund hitzeempfindlicher Installationen und der Anforderungen des Auftraggebers wurden die memory-steel Bänder mit Infrarotstrahlern beheizt. Abbildung 15. Installierte re-plate Bänder auf Spannbetonbalken 6.2 Biegezuverstärkung einer Parkgaragendecke mit re-plate inklusive Brandschutz Aufgrund einer unzureichenden Tragfähigkeit musste der Biegewiderstand einer Stahlbetondecke in einem Parkhaus erhöht werden. Aufgrund der geringen Raumhöhe sowie der Brandschutzanforderungen wurde eine Lösung mit re-plate Bändern gewählt. Die Anwendung der Brandschutzmaßnahme ist in Abbildung 16 dargestellt. Abbildung 16. Applizieren des zementösen Spritzputzes SikaCem® Pyrocoat auf die re-plate Bänder 6.3 Verstärkung einer Brückenplatte mit re-bar Im Zuge von Ertüchtigungsmaßnahmen an einer Straßenbrücke musste der Mittelträger eines Zweifeldsystems entfernt werden, wodurch eine Biegeverstärkung auf der Unterseite der Brückenplatte erforderlich wurde. Zu diesem Zweck wurde die Betonoberfläche in einem ersten Schritt hydromechanisch aufgeraut. Nach der temporären Befestigung der re-bar Stäbe wurden diese an beiden Enden auf einer Länge von ca. 0,5 m mit einer Spritzmörtelschicht an der Plattenunterseite verankert. Dieser Vorgang ist in Abbildung 17 dargestellt. Nach ausreichender Aushärtezeit gemäß Herstellerangaben wurden die Stäbe durch Wärmezufuhr mit der Gasflamme aktiviert und dadurch vorgespannt. Abschließend wurde die freie Länge zwischen den Verankerungen ebenfalls mit Spritzmörtel verfüllt, um so ein System im Verbund zu erhalten. Auch bei diesem Projekt wurde die Vorspannung in das Bau- 270 Vorgespannte Tragwerksverstärkung mit Fe-SMA - memory-steel werk eingebracht, ohne dass Ankerköpfe und hydraulische Geräte erforderlich waren. Abbildung 17. Applikation des Spritzmörtels an beiden Stabenden zur zementösen Verankerung der Vorspannkraft in der Betonplatte 6.4 Verstärkung von zwei Brückenträgern mit re-bar Eine Natursteinbogenbrücke wurde zwischen 1950 und 1970 einseitig durch eine Stahlbetonkonstruktion bestehend aus zwei Trägern und einer Brüstung verbreitert. Bei dieser Konstruktion war der oberflächennahe Beton karbonatisiert und die innere Bewehrung teilweise korrodiert. Des Weiteren wurde durch statische Überprüfungen festgestellt, dass die Konstruktion ein erhebliches Traglastdefizit aufwies. Eine Tragwerksverstärkung mit re-bar 16 Stäben als zusätzliche Biegezugbewehrung mit Vorspannung wurde als Variante gewählt. Die Stäbe wurden an die aufgeraute Betonoberfläche am unteren Flansch angebracht und über eine Länge von einem Meter zementös mit Sika MonoTop® 412 Eco verankert. Im Bereich der ein-Meter-langen Endverankerung wurden U-Bügel aus herkömmlichem Bewehrungsstahl entlang der Höhe des Steges angeordnet. Somit wurde eine robuste Verankerung der Biegeverstärkung in die Druckzone realisiert, wie in Abbildung 18 dargestellt. Nach dem Aushärten wurden die Stäbe wie in Abbildung 19 gezeigt aktiviert und abschließend die freie Länge zwischen den Verankerungen ebenfalls mit Spritzmörtel versehen. Abbildung 18. Verankerung der re-bar 16 Stäbe Abbildung 19. Aktivieren der re-bar 16 Stäbe mittels Gasbrenner 6.5 Siloverstärkung mit re-bar Infolge von diversen Bohrungen mussten bei einem Betonbehälter mit 17-m Durchmesser und einer Gesamthöhe von 24-m aus dem Jahr 1974 durchtrennte Spanndrähte (Ø5 mm, Wickelverfahren) ersetzt werden. -Hierfür wurde eine Lösung mit einem eingeschlitzten re-bar 16 Stab im Reprofiliermörtel Sika MonoTop®-412 N gewählt. Der Schlitz über eine Länge von 10.5-m wurde vorgängig gefräst und der Stab anschließend positioniert. Die beiden Enden wurden über eine Länge von ca. 50 cm zementös verankert und danach mittels Gasflamme auf >300°C aktiviert (siehe Abbildung 20). Die freie Länge zwischen den Verankerungen wurde abschließend ebenfalls zementös überdeckt. Die re-bar Verstärkung stellt eine einfache und sehr effiziente Verstärkungsmethode mit Vorspannung für Betonsilos dar. Abbildung 20. Heizen/ Aktivieren des re-bar 16 Stabes zur Vorspannung eines Betobehälters 6.6 Verstärkung einer Verbundbrücke mit re-bar R18 Aufgrund einem zu tiefen Tragwiderstand und zu starker Durchbiegung musste eine Stahl-Beton-Verbundbrücke auf Biegezug ertüchtigt werden. Für die Verbundkonstruktion wurde eine re-bar R18 Verstärkung, welche an die Unterseite der Stahlträger fixiert wurde, gewählt (siehe Abbildung 21). Die alten Stahlträger wurden zuerst sandgestrahlt und anschliessend mit einem Korrosionsschutz versehen. SikaCor ® eignet sich in einem solchen Fall als Korrosionsschutzmaßnahme für den Bestand sowie die Verstärkung. Danach wurde der Ø18 mm Rundstab re-bar R18 an den bestehenden Stahlträgern mit Verschraubung endverankert 271 Vorgespannte Tragwerksverstärkung mit Fe-SMA - memory-steel sowie mit Muffen in der freien Länge gekoppelt. Die Aktivierung/ Vorspannung von re-bar R18 erfolgte mit einem Gasbrenner. Die vorgespannten re-bar Stäbe mit einer Gesamtvorspannkraft von ca. 360 kN pro Träger wurden am Objekt parallel geführt. Durch die Vorspannung konnte die Durchbiegung in der Mitte um durchschnittlich 10 mm reduziert werden. Die Spannweite betrug etwa 15 m. Im Vorfeld dieses Projektes wurden an der Empa Dübendorf (CH) sowie an der CVUT Universität in Prag (Tschechien) Ermüdungsversuche an den Stäben sowie den Kupplungen (M19.5) durchgeführt. Hierbei konnte ein Ermüdungswiderstand bei einer Spannungsamplitude von 50 N/ mm 2 über 2 Millionen Lastzyklen nachgewiesen werden. Abbildung 21. re-bar R18 Verstärkung der Stahl-Beton- Verbundbrücke 7. Zusammenfassung Jahrelange Forschung an unabhängigen Forschungseinrichtungen haben zu einer Reihe von Neuentwicklungen im Bereich der Tragwerksverstärkung mit eisenbasierten Formgedächtnislegierungen geführt, welche seit geraumer Zeit von der Firma re-fer AG gemeinsam mit dem Partnerunternehmen Sika in die Praxis getragen werden. memory®-steel eignet sich hervorragend, um sowohl im Hochals auch im konstruktiven Ingenieurbau effiziente Tragwerksertüchtigung zu gewährleisten, dies sowohl für die Gebrauchstauglichkeit als auch im Traglastzustand. Die aktive Verstärkungsmethode mit Vorspannung erlaubt es, neben höheren Traglasten auch Durchbiegungen und Rissbreiten zu reduzieren. Eisenbasierte Formgedächtnislegierungen sind zu 100% rezyklierbar und können zukünftig wieder in den Produktionskreislauf von Edelstahl eingeführt werden. Zusammen mit zementösem Betonersatzmörtel erlauben sie es, dauerhafte Tragwerksverstärkungen effizient durchzuführen und somit den ökologischen Fußabdruck im Vergleich zu einem Neubau deutlich zu reduzieren. Während den letzten vier Jahren wurden insgesamt mehr als 100 Projekte mit memory-steel in der Schweiz, Österreich, Deutschland, Frankreich und den Niederlanden ausgeführt. Literatur [1] A. Sato, E. Chishima, K. Soma, and T. Mori, „Shape memory effect in transformation in Fe- 30Mn-1Si alloy single crystals,“ Acta Metallurgica, vol. 30, no. 6, pp. 1177-1183, 1982. [2] Kajiwara, S., Liu, D., Kikuchi, T. and Shinya, N., 2001. Remarkable improvement of shape memory effect in Fe-Mn-Si based shape memory alloys by producing NbC precipitates.- Scripta materialia,-44(12), pp.2809-2814. [3] Baruj, A., Kikuchi, T., Kajiwara, S. and Shinya, N., 2002. 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Fibre optic measurements and model uncertainty quantification for Fe-SMA strengthened concrete structures. Engineering Structures, 256, p.114005. [29] Shahverdi, M., Czaderski, C., Annen, P. and Motavalli, M., 2016. Strengthening of RC beams by iron-based shape memory alloy bars embedded in a shotcrete layer.- Engineering Structures,- 117, pp.263-273. [30] Shahverdi, M. and Czaderski, C., 2019. Long-term behavior of reinforced concrete beams strengthened by iron-based shape memory alloy strips.- SMAR 2019. [31] Prüfbericht Nr. PB 3.2/ 21-032, MFPA Leipzig, 2021 [32] Gutachterlichte Stellungnahme Nr. GS 6.1/ 21-008- 1, MFPA Leipzig, 2021 [33] Cladera, A., Montoya-Coronado, L.A., Ruiz-Pinilla, J.G. and Ribas, C., 2020. Shear strengthening of slender reinforced concrete T-shaped beams using iron-based shape memory alloy strips.-Engineering Structures,-221, p.111018. [34] Czaderski, C., Shahverdi, M. and Michels, J., 2021. Iron based shape memory alloys as shear reinforcement for bridge girders.-Construction and Building Materials,-274, p.121793. [35] E. Fritsch, M. Izadi, and E. Ghafoori, “Development of nail-anchor strengthening system with iron-based shape memory alloy (Fe-SMA) strips,” Construction and Building Materials, vol. 229, p. 117042, 2019. [36] Wang, W., Li, L., Hosseini, A. and Ghafoori, E., 2021. Novel fatigue strengthening solution for metallic structures using adhesively bonded Fe-SMA strips: A proof of concept study. International Journal of Fatigue, 148, p.106237. [37] Izadi, M., Motavalli, M. and Ghafoori, E., 2019. Iron-based shape memory alloy (Fe-SMA) for fatigue strengthening of cracked steel bridge connections.- Construction and Building Materials,- 227, p.116800. [38] Izadi, M., Motavalli, M. and Ghafoori, E., 2019. Iron-based shape memory alloy (Fe-SMA) for fatigue strengthening of cracked steel bridge connections.- Construction and Building Materials,- 227, p.116800. [39] Vůjtěch, J., Ryjáček, P., Matos, J.C. and Ghafoori, E., 2021. Iron-Based shape memory alloy for strengthening of 113-Year bridge.- Engineering Structures,-248, p.113231. 5. Brückenkolloquium - September 2022 273 UHPC-Traverse für die Querkraftverstärkung von Brückenstegen Entwicklung und Einsatz eines Bauprodukts Dr.-Ing. Dipl.-Kfm. Hermann Weiher matrics engineering GmbH, München, Deutschland Zusammenfassung Für die Herstellung eines hochbelasteten Trägers, der als Traverse oder Brücke für hohe Kräfte dienen kann, wird ultrahochfester Beton (UHFB oder UHPC) verwendet. Eine typische Anwendung für diese Traverse ist die Verankerung und Lastweiterleitung der Ankerkräfte von externen Spanngliedern bei der Querkraftverstärkung von Brückenstegen. Üblicherweise kommen hier Doppel-U Träger zum Einsatz, die für jedes Bauwerk individuell abgelängt und mit angeschweißten Steifen und Blechen versehen werden. Diese Stahlkonstruktionen sind i.d.R. sehr schwer und großer Aufwand ist für das Schweißen, das Handling und den Korrosionsschutz (i.d.R. mehrlagige Beschichtung) erforderlich. V.a. bei längeren Brücken mit massiven Querkraftdefiziten können durchaus mehrere Hundert dieser Träger zum Einsatz kommen. Für diese Anwendung wurde ein modularer Fachwerkträger aus UHPC entwickelt. Dieser hat zwei identische, geneigte Druckstreben an der Außenseite und mittig horizontale Druck- und Zugstrebe. Letztere erlauben eine flexible Geometrie, da ihre Länge für jedes Projekt individuell variiert werden kann. Der Träger hat eine ausgezeichnete Ökobilanz und ist sehr wettbewerbsfähig hinsichtlich Gewicht, Preis und Dauerhaftigkeit. Er kann für verschiedene Stabspannverfahren zum Einsatz kommen, z.B. [4] und [5]. Er wurde bemessen nach EC2, [1], zusammen mit der DAfStb-Richtlinie für ultrahochfesten Beton (Entwurf 2019, [2]) und darüber hinaus wurden Lasteinleitungsversuche nach EAD160004 (Richtlinie für die Prüfung von Spannverfahren, [3]). 1. Konzept Es wurde ein Fachwerkträger konzipiert mit Spanngliedverankerungen an der Unterseite. Die Kraft wird über Muttern (und je nach Spannsystem ggf. zusätzlich eine Ankerplatte) in den Träger eingeleitet. Der unmittelbare Lasteinleitungsbereich ist basierend auf der ‚Hybridanker- Technologie‘ sehr kompakt ausgeführt - nach ETA, z.B. [4] oder [5]. Aufgesetzte Platten sind zu verwenden, sofern ein Neigungsausgleich (oftmals sind Brückenstege etwas geneigt) erforderlich ist. Hybridankerplatten können sehr einfach geneigt hergestellt werden. Die Vorspannkraft wird vom Ankerbereich entlang der diagonalen Druckstreben zum Kontaktbereich zwischen Träger und Brückensteg geleitet. Um Abplatzungen zu vermeiden sollte ein gewisser Abstand zum Rand eingehalten werden. Die horizontale Lastkomponente der Diagonalstrebe wird an der Oberseite von einer horizontalen Druckstrebe übernommen. Auch über Reibung Beton-Mörtel-Beton an den Kontaktstellen kann ein nennenswerter Anteil übertragen werden. An der Unterseite ist eine horizontale Zugstrebe angeordnet. Darin werden hochfeste Gewindestäbe mit einer Streckgrenze von 670 N/ mm² angeordnet, die außerhalb der Spanngliedverankerungen mechanisch verankert werden. Der stahlfaserbewehrte ultrahochfeste Beton hat eine Druckfestigkeit von ca. 175 MPa und ist sehr gut geeignet für die Ausbildung der Druckstreben. Zusätzlich werden Betonstahlbügel in den Lasteinleitungsbereichen zur Aufnahme von Spaltzugkräften eingesetzt. 274 5. Brückenkolloquium - September 2022 UHPC-Traverse für die Querkraftverstärkung von Brückenstegen Abbildung 1: Einsatzbeispiel UHPC-Traverse Abbildung 2: UHPC-Traverse Abbildung 3: Einbausequenz Abbildung 4: Fachwerkmodell 2. Bemessung Die Schnittgrößen der Druck- und Zugstreben können sehr einfach ermittelt werden (siehe Abbildung 4). Die Bemessungslast der Spannstäbe im Grenzzustand der Tragfähigkeit (GZT) werden als Maximum aus 135% x F pm0 (mit F pm0 als Vorspannkraft nach Absetzen der Mutter zum Zeitpunkt 0) und Pressenspannkraft vor dem Absetzen der Mutter. Das Vorspannen der Stäbe muss simultan mit einer gleich großen Last erfolgen. Die Spannstäbe können auch geneigt sein, was zu einer höheren Zugkraft in der Druckstrebe führt. Im Folgenden werden aber nur vertikale Stäbe betrachtet. Im GZT dürfen die Spannungen in den Druckstreben den Bemessungswert der einaxialen Druckfestigkeit des Be- 5. Brückenkolloquium - September 2022 275 UHPC-Traverse für die Querkraftverstärkung von Brückenstegen tons f cd nicht überschreiten. Für die Zugstreben wirken zwei Bewehrungsstäbe (Spannung < f sd = f sy / γ s mit γ s =1,15) und die Zugfestigkeit des faserbewehrten ultrahochfesten Betons zusammen. Der Nachweis der direkten Lasteinleitungszone (Abmessungen, Spaltzugbewehrung etc.) kann entweder durch Bemessung (insbesondere wenn externe Ankerplatten eingesetzt werden) oder experimentell durch Lasteinleitungsversuche nach EAD160004, [3]. Diese Richtlinie definiert dabei eindeutig Prüflasten (mit einigen Druckschwellzyklen) und erforderliche Widerstände sowohl für die Gebrauchstauglichkeit (z.B. Rissbreite) als auch Tragfähigkeit (Mindestbruchlast für Verankerungen mit Spaltzugbewehrung: 110 % x F pk (mit F pk als Nennbruchlast des Spannstahl). Die experimentelle Prüfung ist ebenso geeignet, das einfache Fachwerkmodell zu bestätigen, insbesondere, da das Fachwerk durch die biegesteifen Knoten kein ideales Fachwerk ist. Ebenso kann die Variation der Länge der horizontalen Druck/ -Zugstreben zu leicht unterschiedlichem Verformungsverhalten führen. Die Versuche sollen innerhalb gewisser Toleranzen zeigen, dass diese Ungenauigkeiten in der Modellbildung kompensiert werden können. Als Bauprodukt liegt eine immer gleiche Geometrie mit sehr kleinen Toleranzen und durch werkseigene Produktionskontrolle überwachte, gleichförmige Materialeigenschaften vor, so dass die experimentellen Untersuchungen jederzeit auch reproduzierbar sind. Für den Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit (GZT) kann die Ankerkraft zum jeweiligen Zeitpunkt angesetzt werden 100 % x F pmt . Grundsätzlich müssen die zulässigen Spannungen in Beton (Druck) und Bewehrung (Zug) eingehalten werden. Aufgrund der geringen Gesamtabmessungen und der niedrigen Kriechbeiwerte (insbesondere bei Wärmebehandlung) für ultrahochfesten Beton kann der Einfluss von Kriechen vernachlässigt werden. Für die Dauerhaftigkeit des Bauteils sind die Rissbreiten relevant. Dabei könnte man der Richtlinie des DAfStb folgen. Dort wird für die Exposition mit Chloriden (XD) eine rechnerische Rissbreite von maximal w max = 0,05 mm gefordert (die Wirkung der Fasern darf dabei angesetzt werden) - dies erscheint angesichts des extrem dichten Gefüges des UHPC selbst bei einer Betondeckung von 25 mm sehr konservativ, ist aber ggf. mit erwarteten Lebensdauern von 100 Jahren zu erklären. Für kürzere Lebensdauern könnten etwas größere Rissbreiten toleriert werden, z.B. w max = 0,10 mm für maximal 50 Jahre oder w max = 0,15 mm für maximal 20 Jahre. Folgt man dem Prinzip der Richtlinie EAD160004 - so ist dort eine maximale Rissbreite nach 10 Zyklen bis 80% der Nennbruchlast F pk (bzw. ca. 15 % über dem Gebrauchstauglichkeitsniveau) von w max = 0,25 mm einzuhalten bei einer Betondeckung im Prüfkörper von 10 mm. Für Stahlbetonbauteile aus Normalbeton mit werksseitig vollständig geschützten Spanngliedern (z.B. PE Hüllrohr) wird im Rahmen der Bemessung eine maximale rechnerische Rissbreite von w max = 0,30 mm gefordert. Die Traverse weist eine deutlich dichtere und damit wirksamere Betondeckung auf auch wenn sie mit nominal 30 mm (für Fertigteile aufgrund eines geringeren Vorhaltemaßes auf 25 mm reduzierbar) für chloridbeanspruchte Bauteile etwas geringer ist als die Deckung von Normalbeton bei Brücken. Für die UHPC-Traverse wird im Bereich der Zugstrebe rechnerisch eine Rissbreite von w max = 0,10 mm nachgewiesen. Für den Fall extremer Exposition oder sehr hoher Lebensdauer kann örtlich (Zugstrebe) ein Oberflächenschutzsystem aufgebracht werden. Damit ist eine ausgezeichnete Dauerhaftigkeit sichergestellt. 3. Versuche Zusätzlich zur Bemessung wurden die Traversen auch experimentell untersucht. Einerseits war das Ziel, die Bemessung zu bestätigen - andererseits sollten auch lokale Effekte geprüft werden, die durch die einfache Modellierung nicht abgedeckt werden (z. B. Spaltzug bei der Lasteinleitung oder biegesteife Knoten etc.). Für die Versuche wurde der Ablauf von Lasteinleitungsversuchen nach EAD160004 gewählt, [3]. 3.1 Prüfkörper Die experimentelle Prüfung wurde mit zwei verschiedenen Größen durchgeführt - nur die Länge der horizontalen Streben wurde dabei variiert. Abbildung 5 zeigt einen Prüfkörper (kurze Länge). Für die Herstellung wurde UHPC mit einer Festigkeit von ca. 175 MPa und Fasergehalt von 2 % (gerade Kurzfasern), Betonstahl B500B und Gewindestahl B670B. Es wurden Verankerungen für Spannstahlstäbe Durchmesser 32 mm und Nennbruchspannung i.H.v. 1050 N/ mm² gewählt. Die einbetonierte Verankerung aus Gusseisen für flache Muttern stellt die ungünstigste Verankerungsart dar und wurde bei den Prüfkörpern ausgeführt. Aufgesetzte Verankerungsplatten (z. B. für Kugelbundmuttern oder bei Neigung) stellen immer einen Zustand mit geringerer Belastung dar (Pressung und Spaltzug). 276 5. Brückenkolloquium - September 2022 UHPC-Traverse für die Querkraftverstärkung von Brückenstegen Abbildung 5: Prüfkörper nach dem Ausschalen 3.2 Versuchsaufbau Für die Druckschwellprüfung wird eine Druckprüfmaschine mit Kalottenlagerung eines Querhaupts benötigt. Bei gemeinsamer Prüfung von zwei Traversen kann die Last über die kurzen Seiten eingeleitet werden. Die maximale Größe der Prüflinge ist durch die Abmessung des Querhaupts limitiert, siehe Abbildung 6. 3.3 Versuchsablauf Es wurde der Versuchsablauf nach EAD160004 befolgt, [3]. Dabei wird die Last stufenweise auf 80% der Nennbruchlast F pk gesteigert (basierend auf Nennbruchspannung f pk = 1050 MPa, so dass die Versuche für Spannstahl St835/ 1030 als auch St950/ 1050 verwendet werden können). Danach folgen mindestens 10 Zyklen zwischen 80 % und 12 % x F pk . Nach den Zyklen wird die Last bis zum Bruch gesteigert, siehe Abbildung 7. Abbildung 6: Versuchsaufbau, Druckprüfmaschine an der TU Braunschweig Abbildung 7: Prüfablauf nach EAD160004 (Auszug, [3]) 5. Brückenkolloquium - September 2022 277 UHPC-Traverse für die Querkraftverstärkung von Brückenstegen 3.4 Messungen Folgende Messungen wurden durchgeführt (siehe Tabelle 1): Tabelle 1 - Messungen Messgröße Messgerät Toleranz Kraft Messdose 1 % Verformung Wegaufnehmer 0,1 mm Rissbreite Risslupe 0,01 mm Dehnung Wegaufnehmer 0,01 mm Abbildung 8: Rissbreitenmessung mit optischer Risslupe (hier dargestellt ein Riss der Breite 0,08 mm) 3.5 Ergebnisse Nach Durchführung der Zyklen erreichten alle vier Prüfkörper eine Bruchlast von mindestens 142% F pk > 110 % F pk . Das Versagen trat in den diagonalen Druckstreben infolge einer kombinierten Druck-/ Schubbeanspruchung auf. Sobald die horizontale Zugstrebe größere Dehnungen erleidet (plastische Dehnung der Bewehrung) wird mehr und mehr Schub über die Druckstrebe übertragen bis schließlich ein Versagen eintritt. Die erreichte Bruchlast aller Prüfgrößen war annähernd gleich - auch die Rissbreiten und Dehnungsverhalten waren vergleichbar. Der sehr hohe Wirkungsgrad erlaubt eine höhere Ausnutzung im GZT - z. B. durch Neigung der Stäbe nach außen oder durch Wahl größerer Stabdurchmesser. Für den GZG sind die höheren Kräfte jedoch nachzuweisen (Spannungen/ Rissbreiten). Mithilfe der eingesetzten Kurzfasern konnte die Rissbreite bis zur letzten Oberlast unter 0,13 mm verbleiben, was deutlich von der nach EAD-160004 geforderten zulässigen Rissbreite von 0,25 mm liegt. Zudem lag eine Betondeckung von 25 statt der im Versuch nur notwendigen 10 mm vor, was zu eher größeren Rissbreiten führt. Berücksichtigt man zudem die niedrigeren Lasten im GZG im Vergleich zu 80% F pk Oberlast, so kann auch experimentell eine Rissbreite von ≤ 0,10 mm gezeigt werden. Die Rissbreiten traten nur in der horizontalen Zugstrebe auf. Abbildung 9: Rissbreite in mm während eines Druckschwellversuchs mit Kriterien nach EAD160004 Abbildung 10: Bruchbild kurze Traverse Abbildung 11: Bruchbild Detail/ Auszug lange Traverse 278 5. Brückenkolloquium - September 2022 UHPC-Traverse für die Querkraftverstärkung von Brückenstegen 4. Pilotanwendung 2021 und 2022 wurde die Isarbrücke in Bad Tölz im Zuge der B472 ertüchtigt und instandgesetzt. Das Bauwerk ist eine längs- und quer vorgespannte Betonbrücke mit Plattenbalkenquerschnitt und wurde in den 1970er Jahren gebaut. Die Nachrechnung des Bauwerks für ein höheres Lastmodell offenbarte u.a. Schubwiderstandsdefizite insbesondere für den Zustand des Lageraustausches. Für die Verstärkung wurden die Stege mit Spanngliedpaaren des Typs BBV Macalloy 32 mm vertikal vorgespannt. Für die unten liegende Verankerung und Lastweiterleitung in die Längsträger der Brücke wurden erstmals die beschriebenen UHPC Traversen eingesetzt. Der Einbau der ca. 60 kg schweren Traversen erfolgte mit 2 Arbeitern - die Standardlösung mit Stahlträgern und Ankerplatten hätte ca. 180 kg gewogen, wofür zusätzliche Hebegräte erforderlich gewesen wären. Der Kontakt zum Längsträger wurde mit Unterstopfmörtel ausgebildet. Nach dem Aushärten des Mörtels wurden die Spannglieder simultan vorgespannt und verankert. Abbildung 12: Isarbrücke, Hauptprüfung nach DIN1076 Abbildung 13: Isarbrücke, Ertüchtigung mit Stabspanngliedern Typ BBV Abbildung 14: Isarbrücke, Querkraftverstärkung Abbildung 15: Isarbrücke, Traversen Abbildung 16: obere Verankerung der Stäbe in der Brückenplatte mit Festanker Typ BBV Abbildung 17: Einbringen des Unterstopfmörtels 5. Brückenkolloquium - September 2022 279 UHPC-Traverse für die Querkraftverstärkung von Brückenstegen 5. Ökobewertung Eine vereinfachte Betrachtung der CO 2 -Bilanz kann basierend auf folgenden Äquivalenten erfolgen: - Walzprofile und Bleche, z.B. S355: 1,5 kg CO 2 -Äquivalent je kg - Beton- und Gewindestahl (Elektroschrott): 0,35 kg CO 2 -Äquivalent je kg - Hochfeste Kurzstahlfasern 2,5 kg CO 2 - Äquivalent je kg - Ultrahochfester Beton 0,25 kg CO 2 -Äquivalent je kg - Gusseisen 1,5 kg CO 2 -Äquivalent je kg - Korrosionsschutz (Feuerverzinken oder Mehrlagiges Beschichten) 0,2 kg CO 2 - Äquivalent je kg exponierter Stahl Damit kann ein Vergleich der entwickelten Lösung mit der Standardlösung aus Stahlprofilen und -ankerplatten erfolgen. Die UHPC Traverse kann nahezu 90 % Einsparung CO 2 ermöglichen (siehe Abbildung 18). Dies ist zum einen auf die optimierte Form und damit einhergehend geringen Materialbedarf zurückzuführen - aber auch die Verwendung von ultrahochfestem Beton zum Ersatz von Stahl ist sehr vorteilhaft trotz dem verwendeten „Klimakiller“ Zement. Die in der UHPC Traverse verwendeten Stahlteile sind entweder sehr gering im Gewicht oder aber im Falle von Betonstahl, der aus Schrott im Elektroofen hergestellt wird, mit relativ günstigem CO 2 -Ausstoß. Je Traverse können mit vereinfachter Berechnung über 250 kg CO 2 - Äquivalent eingespart werden. Bei einem Projekt mit 400 Traversen landet man bei einer Einsparung von 100 Tonnen. Damit kann ein Pkw mit Verbrennungsmotor (z. B. Mercedes Benz C Klasse Diesel, 150 g/ kg) über 600.000 km fahren. Alternativ sind das etwa 80 Langstreckenflüge von Stuttgart nach New York in der Economy Klasse. Abbildung 18: CO 2 -Äquivalent bei UHPC Traverse 6. Fazit Mit ultrahochfestem Beton kann man sehr widerstandsfähige und dauerhafte Bauteile nachbilden. Die UHPC Traverse ist ein einfaches Bauteil, bei dem die Materialien entsprechend ihren besonders positiven Eigenschaften und zudem in einer relativ freien Form eingesetzt werden. Durch die variable Länge der horizontalen Streben und der Verwendung einer Standardgröße für die Stabspannglieder kann eine effiziente und wirtschaftliche Herstellung auch bei geringen Stückzahlen gelingen. Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit können zwar durch Bemessung nach Eurocode und DAfStb Richtlinie für UHFB gezeigt werden aufgrund des hohen Standardisierungsgrades und der Herstellung als Fertigteil bietet sich allerdings eine versuchsgestützte Nachweisführung an. Dadurch lassen sich noch Reserven ausnutzen bzw. nachweisen. Besonders erfreulich ist auch die Ökobilanz des Bauteils insbesondere durch die stark reduzierte Nutzung von Stahl - ein reiner Vergleich der eingesetzten Materialien führt schon zu fast 90 % weniger CO 2 -Ausstoß. Beim Primärenergieverbrauch ist der Vorteil ähnlich groß. Literatur [1] EN 1992-1/ 2: Eurocode 2: Design of concrete structures, 2011 [2] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb): Richtlinie für UHFB (Entwurf), Stand 2019 [3] EOTA: EAD160004-00-0301: Post-tensioning kits for prestressing of structures, Brussels, 2016 [4] OIB: ETA-16/ 0726 matrics 1030 pt bar tendon system, nominal diameter 32 to 50 mm, 2016 [5] OIB: ETA-13/ 0463 Post-tensioning bar tendon system with hybrid anchor plate, nominal bar diameter 17.4 to 47 mm, 2013/ 2018 5. Brückenkolloquium - September 2022 281 Fahrbahnübergangskonstruktionen mittels Schleppplatten Integralisierungen von Bestandbrücken Dipl.-Ing. Dipl.-Ing. Dr. techn. Erwin Pilch ASFINAG Bau Management GmbH, Graz, Österreich Zusammenfassung Der Verzicht auf konventionelle Fahrbahnübergangskonstruktionen bei Brücken mit geringen Längenausdehnungen reduziert Instandsetzungsmaßnahmen und erzeugt weitere Vorteile. Umbauten von bestehenden Brückenobjekten in integrale Brücken bzw. semi-integrale Brücken werden im vorliegenden Beitrag vorgestellt. Dabei werden internationale Lösungsansätze miteinbezogen. Die aktuell umgesetzten Instandsetzungsmaßnahmen in Österreich, bei denen konventionellen Brücken in semi-integrale Brücken umgebaut werden mit und ohne Abbruch der kompletten Kammerwand (österr. Herdmauer bzw.Schottermauer), werden mit ihren Vor- und Nachteilen erläutert. 1. Einleitung Bei integralen bzw. monolithischen Tragwerken entstehen an den Überbauenden primär Längsverformungen in Folge der Temperatureinwirkungen auf das Brückentragwerk. Diese temperaturindizierten Verformungen sind gleich groß wie bei konventionellen Tragwerken. Bei konventionellen Tragwerken werden üblicherweise an den Überbauenden dichte Fahrbahnübergangskonstruktionen angeordnet um diese Verformungen aufnehmen zu können und gleichzeitig das Brückentragwerk und den Unterbau vor chloridhaltigen Wässern schützen zu können. Dichte Fahrbahnübergangskonstruktionen im hochrangigen Straßennetz weisen eine geringere Lebensdauer als das Brückenbauwerk auf und daraus folgenden sind mehrere Instandsetzungsmaßnahmen im Lebenszyklus der Brücke erforderlich. Statt schadhafte Fahrbahnübergangskonstruktionen bei Brücken mit geringen Längenausdehnungen instandzusetzen kann auch die Fahrbahnübergangskonstruktion bei einem Umbau in ein semi-integrales Tragwerk entfallen. Diese Maßnahme reduziert zukünftig die Wartungs- und Instandsetzungsmaßnahmen und bringen weitere Vorteile. 1.1 Aufgabenstellung Um eine durchgehende Fahrbahn im Übergangsbereich Brücke-Damm bewerkstelligen zu können müssen zwei wesentliche Teilaufgaben gelöst werden. 1.1.1 Dichte Fahrbahnübergangskonstruktion Statt einer konventionellen dichten Fahrbahnübergangskonstruktion müssen die horizontalen Verformungen an den Tragwerksenden primär zufolge der jahreszeitlichen Temperaturänderung des Überbaues (Tabelle 1) im Bereich des Übergangs Brücke-Damm und Verdrehungen zwischen dem Tragwerk und dem Widerlager primär zufolge der Tragwerksdurchbiegung schadfrei und wasserdicht aufgenommen werden [1]. Tabelle 1: Anhaltswerte für Verzerrungen von integralisierten Bestandsüberbauten bei üblichen Verhältnissen [vgl. 2] 1 2 3 4 Einwirkung Verzerrung Tragwerk konstanter Temperaturanteil Verzerrungen Bestandsbauwerksende ohne ÜKO [‰] Temperaturschwankung (Beton) ΔTN,con 0,010× ΔTN -26K -0,26 Temperaturschwankung (Beton) ΔTN,exp 0,010× ΔTN 29K 0,29 Stahlbeton Gesamtverzerrung 0,55 Bei der Dimensionierung von Fahrbahnübergangskonstruktionen bzw. Ermittlung der Längsverformungen für einen Umbau in ein integrales bzw. semiintegrales Bauwerk bei Bestandsbrücken können üblicherweise die Verformungen aus Schwinden und Kriechen vernachlässigt bzw. als abgeschlossen betrachtet werden. 282 5. Brückenkolloquium - September 2022 Fahrbahnübergangskonstruktionen mittels Schleppplatten 1.1.2 Schleppplatte Um die differentiellen Setzungen zwischen dem Tragwerk und dem Damm auszugleichen bzw. die unmittelbaren Setzungen der Widerlagerhinterfüllung zu überbrücken (Abbildung 1) ist im Übergangsbereich eine Schleppplatte anzuordnen. Abbildung 1: Setzungsdifferenz zwischen Tragwerk und Damm im Übergangsbereich [3] 2. Integralisierung Der Begriff Integralisierung ist in der österreichischen Richtlinie RVS 15.02.12 Bemessung und Ausführung von Integralen Brücken folgendermaßen definiert: „Umbau einer bestehenden konventionellen Brücke in eine semi-integrale oder integrale Brücke im Zuge einer Ertüchtigung.“ [4] Da der Begriff „semi-integrale Brücke“ unterschiedlich definiert ist, werden die beiden Definitionen vorgestellt. In Deutschland ist der Begriff folgendermaßen definiert: „Als semi-integrale Bauwerke werden Rahmentragwerke bezeichnet, die keine integralen Bauwerke sind und bei denen mindestens in zwei Achsen die Pfeiler monolithisch an den Überbau angeschlossen und an den übrigen Pfeilern sowie den Widerlagern Lager angeordnet sind.“ [2]. In Österreich ist der Begriff folgendermaßen definiert: „Brücken, die entweder Fahrbahnübergangskonstruktionen bzw. Dehnfugen oder Lager zwischen den Über- und Unterbau im Bereich der Widerlagerachsen aufweist. Bezüglich des Tragverhaltens stellt eine semi-integrale Brücke eine Mischung zwischen einer konventionellen und einer integralen Brücke dar.“ [4]. Die Definition in der Schweiz ist analog der österreichischen Begriffsbestimmung [siehe Bundesamt für Strassen ASTRA, Konstruktive Einzelheiten von Brücken, Kapitel 3 Brückenende]. Da der Begriff der Integralisierung, einen Umbau in eine semi-integrale Brücke und den Umbau in eine integrale Brücke beinhaltet, wird in Österreich häufig der Begriff der Semi-Integralisierung verwendet. Der Begriff Semi- Integralisierung stellt somit den Umbau einer konventionellen Brücke in eine semi-integrale Brücke dar. Diese Begriffsbestimmung bzw. -definition ist jedoch noch nicht in Richtlinien verankert und sollte bei der nächsten Aktualisierung der oben erwähnten Richtlinien eingearbeitet werden. Weiters ist auch die Ertüchtigung des Brückentragwerkes nicht zwingend erforderlich und eine Semi-Integralisierung kann auch bei einer Instandsetzung einer Brücke umgesetzt werden. 2.1 Semi-Integralisierungen Die Semi-Integralisierung erweist sich bei bestimmten Randbedingungen als sinnvolle Alternative zur Integralisierung und sollte daher auch als solche betrachtet werden. Der Großteil der Vorteile einer Integralen Brücke können erzielt werden wie z. B.: - Reduktion der Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten weniger Verkehrsbehinderungen - -Reduktion der Instandhaltungskosten - Reduktion der Lärmbelastung für die Umwelt - Erhöhung des Fahrkomforts zufolge einer durchgehenden Fahrbahn Abbildung 2: Semi-Integralisierung (schematisch) [4] Bei der Semi-Integralisierung ist, wie in Abbildung 4 ersichtlich, eine Baugrube erforderlich, die bis unter das Brückenlager reicht. Im Zuge von Instandsetzungsarbeiten im Bestand ist jedoch eine solche Baugrube bei gleichzeitiger Verkehrsaufrechterhaltung schwierig zu bewerkstelligen. Auch im Schweizer Regelwerk (siehe Abbildung 3) ist das semi-integrale Brückenende analog der Abbildung 2. 5. Brückenkolloquium - September 2022 283 Fahrbahnübergangskonstruktionen mittels Schleppplatten Abbildung 3: semi-integrales Brückenende [3] 2.2 „Mini-Semi-Integralisierungen“ Durch eine weitere Reduktion der Maßnahme entsteht eine neue Lösung, die hiermit als „Mini-Semi-Integralisierungen“ erwähnt sei. Die Vorteile der Semi-Integralisierung bleiben erhalten. Die Nachteile der Semi-Integralisierung werden nun folgendermaßen reduziert: - Reduktion des Abbruches der Kammerwand - Reduktion der Baugrubentiefe Reduktion der Baugrubensicherung bei erforderlichen Verkehrsaufrechterhaltungsmaßnahme Die Lösung ist einfach und kann bei einer Vielzahl von Brücken umgesetzt werden (siehe Abbildung 4). Abbildung 4: Mini-Semi-Integralisierung (schematisch) Die Nachteile des nicht optimalen dichten Anschlusses des semi-integralen Brückenendes im Bereich des Flügels bzw. im Übergangsbereich Schleppplatte-Brückenkappen sind durch diese Umbaumaßnahme weiterhin vorhanden jedoch ebenso reduziert. Da die Länge der vertikalen Fuge deutlich reduziert ist. 3. Ausführungsbeispiele 3.1 Ausführungsbeispiel Semi-Integralisierung Beispielhaft sei die Brücke G48 Unterführung Mühlgang auf der A2 (km 182,334) bei Graz erwähnt. Die Brücke wurde 1971 als einfeldriges Brückentragwerk mit einer Länge von 46,4 m und einer Breite von 19,55 m errichtet. Zufolge eines Lärmschutzdammes im Bereich der Brückenobjekte wurde das Tragwerk im Außenbereich analog dem Lärmschutzdamm hochgezogen (siehe Abbildung 5). Abbildung 5: Querschnitt Brücke G48 Unterführung Mühlgang Im Zuge der Instandsetzung im Jahre 2017 wurden die bestehenden Fahrbahnübergangskonstruktionen nicht erneuert, sondern die Brückenenden semi-integral umgebaut (siehe Abbildung 6). Abbildung 6: Brücke G48 - Umbau in eine semi-integrale Brücke Auf den nachfolgenden Fotos ist die Brücke vor (siehe Abbildung 7) und nach dem Umbau (siehe Abbildung 8) ersichtlich. 284 5. Brückenkolloquium - September 2022 Fahrbahnübergangskonstruktionen mittels Schleppplatten Abbildung 7: Brücke G48 vor dem Umbau Abbildung 8: Brücke G48 nach dem Umbau in ein semiintegrales Brückentragwerk 3.2 Ausführungsbeispiel „Mini-Semi-Integralisierung“ Die Brücken im Verkehrsknoten St. Michael in der Steiermark wurde im Zuge der Instandsetzung in integrale und semi-integrale Tragwerke umgebaut. Im hochrangigen Verkehrsknoten kreuzen sich die A9 Pyhrn Autobahn mit der S6 Semmering Schnellstraße und S36 Murtal Schnellstraße. Mit diesen Maßnahmen entfallen zukünftig Wartung und Instandsetzungen an Fahrbahnübergangskonstruktionen und damit aufwendige Verkehrsführungen. Beispielhaft sei die Brücke 215.07 (Rampe 100) auf der S6 (km 132,630) im Knoten St. Michael erwähnt. Die Brücke wurde 1988 als vierfeldriges Brückentragwerk mit einer Länge von 11,45+2*22,33+14,80 = 70,91 m und einer Breite von 13,76 m errichtet. Im Zuge der Instandsetzung im Jahre 2022 wurden die bestehenden Fahrbahnübergangskonstruktionen nicht erneuert, sondern die Brückenenden semi-integral umgebaut (siehe Abbildung 9, 10 und 11). Abbildung 9: Brücke 215.07 - Umbau in eine semi-integrale Brücke Abbildung 10: Brücke 215.07 - Umbau in eine semi-integrale Brücke - Abdichtungsdetail Abbildung 11: Brücke 215.07 - Umbau in eine semi-integrale Brücke - Bauphase (Frühjahr 2022) 5. Brückenkolloquium - September 2022 285 Fahrbahnübergangskonstruktionen mittels Schleppplatten 4. Fazit Die Integralisierung, gemäß der österreichischen Richtlinie RVS 15.02.12 Bemessung und Ausführung von Integralen Brücken, zeigt unterschiedliche Lösungen für einen Umbau einer bestehenden konventionellen Brücke in eine semi-integrale oder integrale Brücke auf. Die Optimierung des Umbaus in eine („mini“-) semi-integrale Brücke gemäß dem Beispiel Brücke 215.07 weist zusätzliche Vorzüge auf, die bei der Instandsetzung einer konventionellen Brücke bzw. einer Fahrbahnübergangskonstruktion als Alternative mitbedacht werden sollten. Literatur [1] Pilch, E.: Flexible Stahlbetonübergangskonstruktionen für Integrale Brücken, Festkolloquium zum 75. Geburtstag von Lutz Sparowitz, 2015, Verlag der Technischen Universität Graz [2] BAST, RE-ING - Teil 2 Brücken - Abschnitt 5 Integrale Bauwerke, Stand: 2019/ 12 Zugriff über https: / / www.bast.de/ DE/ Publikationen/ Regelwerke/ Ingenieurbau/ Entwurf/ RE-ING- Gesamt.pdf am 28.5.2022 [3] Bundesamt für Strassen ASTRA, Konstruktive Einzelheiten von Brücken, Kapitel 3 Brückenende, 2011, Zugriff über https: / / www.astra.admin.ch/ astra/ de/ home/ fachleute/ dokumente-nationalstrassen/ standards/ kunstbauten.html am 28.5.2022 [4] FSV, RVS 15.02.12 Bemessung und Ausführung von Integralen Brücken, 2018, Wien 5. Brückenkolloquium - September 2022 287 Schnellbausystem „Expressbrücke“ Dipl.-Ing. (TU) Theo Reddemann Bauunternehmung Gebr. Echterhoff GmbH & Co. KG, Westerkappeln Der Einsatz des Brückenschnellbausystems „Expressbrücke“ Echterhoff führt zu deutlichen Reduzierungen von Bauzeiten bei dem dringend notwendigen Ersatzneubau / Umbau unserer vorhandenen Verkehrsinfrastruktur und trägt somit zu deutlichen Reduzierungen von Verkehrsstaus sowie den daraus resultierenden Umweltbelastungen bei. In diesem Vortrag werden die grundsätzliche Bauweise als auch weitere Ausführungsbeispiele von bereits durchgeführten Baumaßnahmen, am Beispiel einer Brücke mit 20 Kalendertagen sowie dem Ersatz einer Bundesstraßenbrücke über eine ICE-Strecke mit 40 Kalendertagen und einer 51-stündigen Sperrpause für Abbruch und Brückenneubau vorgestellt. Darüber hinaus wird ein im Brückenbau völlig neuartiges Baulement, die Hybridkappe zur Einsparrung von Vollsperrungen erläutert. 1. Einleitung Der massive Anstieg des Güterverkehrs hat dazu geführt, dass die vorhandenen Brückenbauwerke sehr stark in Mitleidenschaft gezogen werden. Zur Verdeutlichung, die Belastung eines Bauwerkes durch einen LKW entspricht in etwa der Belastung durch ca. 10.000 PKWs. Allein der Güterverkehr hat in den letzten 10 Jahren um + 7,0 % zugenommen. Bis 2025 wird eine weitere Zunahme von + 10,5 % prognostiziert [1]. Brückenbauwerke, die heute bereits bis zu 100 Jahre alt sind, können diese Belastungen nur bedingt aufnehmen und müssen für eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur dringend ersetzt werden. Etwa 40.000 Brückenbauwerke befinden sich derzeit allein im Netz der Bundesfernstraßen, davon sind ein großer Teil Spannbetonbrücken mit einem Alter von 40 bis 60 Jahren. Addiert man die Anzahl der Brücken aus dem Bereich der Bundesbahn, der Landesstraßenbauverwaltungen sowie den Städten und Gemeinden hinzu, liegt der Brückenbestand deutlich im 6-stelligen Bereich. Allein im Bereich der hochbelasteten Autobahnstrecken müssen ca. 8.000 Brückenteilbauwerke bis 2030 ersetzt werden. Für den Erneuerungsbedarf der Bestandsbrücken im Bahnbereich rechnet man für die Jahre von 2021 bis 2025 mit 1.005 Brückenbauwerken. Ersatzbaumaßnahmen von Brücken aus dem Bereich der Landesstraßenbauverwaltungen sowie Städte und Gemeinden müssen „on top“ hinzugerechnet werden und lassen diese gewaltige Bauaufgabe für die kommenden Jahre nur erahnen. Die augenblickliche Situation, wie sich die Verkehrsströme nach einer Brückensperrung für den Schwerlastverkehr entwickeln, kann man anhand der Rheinquerung bei Leverkusen auf der A1 sowie der Brückenüberführung über den Rhein-Herne-Kanal auf der A43 bei Recklinghausen sehr gut beobachten. Durch diese Brückensperrungen für den Schwerlastverkehr müssen die LKW`s auf Umfahrungsstrecken ausweichen. In Konsequenz werden in diesen Strecken, die ohnehin schon stark beanspruchten Brückenbauwerke nochmals stärker beansprucht und auf Dauer geschädigt. Der Ersatz sowie die Ertüchtigung der Bestandsbrücken in unseren Verkehrsnetzen sind dringend notwendig. Die Durchführung dieser Maßnahmen gehen allerdings immer mit dem Einrichten von Baustellen, den damit erforderlichen Verkehrsumlenkungs-/ Verkehrsführungsphasen auf den Straßen einher und führen unweigerlich zu Verkehrsengpässen mit Verkehrsstaus. Es dürfte jedem klar sein, dass die Anzahl und Bauzeit der Brückenbaustellen die Verkehrsstaus und deren Dauer bestimmt. Je kürzer die Bauzeit umso geringer die Dauer der Verkehrsstaus sowie der sich daraus ergebenden volkswirtschaftlichen Schäden. Gerade durch Verkehrsstaus entstehen jährlich volkswirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe. Die Größenordnung beträgt deutlich > 10 Milliarden Euro [2]. Laut einer Analyse der Ruhr-Uni-Bochum entstehen 50 % aller Staus in NRW im Bereich von Baustellen [3]. Bereits im Jahre 2014 berichtete die WiWo, dass über 1 Milliarden Liter Treibstoff von deutschen Autofahrern jährlich in Staus verschleudert werden [4]. Dadurch belasten enorme Mengen an überflüssigem CO 2 -Ausstoß massiv die Umwelt. Auch die Ausfallskosten allein im Güterverkehr gehen jährlich in die Milliarden. Beispielhaft hierzu eine überschlägliche Berechnung. Auf einer Autobahnstrecke mit 100.000 Fahrzeugen/ 24 Stunden und 20 % Güterverkehranteil beträgt allein der Schaden durch einen Stau bei 30 Minuten Stillstand sowie einem Kostenansatz von nur 80 €/ Std. pro LKW = 800.000 €/ Tag! Um all diesen negativen Begleiterscheinungen bei der Erneuerung der Straßenverkehrsinfrastruktur entgegenzuwirken, rief die neu gegründete Autobahn GmbH mit Partnern aus dem BMVI und der Bauwirtschaft einen „Runden Tisch“ ins Leben. Ziel dieser Institution ist es neue Wege zu finden, um die Bauzeiten der Baustellen deutlich zu reduzieren. Es müssen sowohl in technischer als auch vertraglicher Hinsicht neue Wege gefunden werden, um neue Bauverfahrenstechniken zu entwickeln, die kurze Bauzeiten ermöglichen. Innovationen und Ingenieurgeist dürfen in der Umsetzung nicht am Vergaberecht scheitern und müssen wieder mehr in den Vorder- 288 5. Brückenkolloquium - September 2022 Schnellbausystem „Expressbrücke“ grund gerückt werden. Von einer Auftragsvergabe an den Mindestbietenden mit dem billigsten Angebot sollte man abkehren und eine Zuschlagserteilung auf das wirtschaftlichste Angebot unter der Berücksichtigung der Vermeidung von volkswirtschaftlichen Schäden, vornehmen. In naher Zukunft werden mit den steigenden Bauaufgaben für alle Beteiligten neue Herausforderungen zu bewältigen sein. Auftraggeberseitig in der Erstellung der entsprechenden Planungen, der Schaffung von Voraussetzungen für den Bau sowie Durchführung der Ersatzneubaumaßnahmen. In der Phase der Bauausführung sind die Auftragnehmer gefordert. Mit jeder Ersatzneubaumaßnahme erfolgt ein Eingriff in den fließenden Verkehr und dieser soll so gering wie möglich gestört werden. Ein weiteres Problem wird zukünftig im Bereich der Personalressourcen entstehen. Aufgrund der demographischen Entwicklung wird in den kommenden Jahren branchenübergreifend eine große Anzahl von Erwerbspersonen in den wohlverdienten Ruhestand gehen. Da die Bauberufe für viele Jugendliche unattraktiv sind, wird infolge des Ausscheidens der geburtenstarken Jahrgänge (Geburten von 1955 bis 1969) in den Ruhestand, eine hohe Anzahl an Fachpersonal zur Abwicklung der künftigen Bauarbeiten fehlen. Von einer natürlichen Reduktion der Fachkräfte werden Baufirmen, Ingenieurbüros und Verwaltungen gleichermaßen betroffen sein. Um die bestehenden vielfältigen Bauaufgaben unter Berücksichtigung der zukünftigen Kapazitätsengpässen bewältigen zu können, müssen in konsequenter Folge die Arbeitsprozesse neu überdacht werden. Intelligente und ressourcenschonendere Bauweisen müssen entwickelt und umgesetzt werden. 2. „Expressbrücke“ ECHTERHOFF All diese zuvor aufgeführten Herausforderungen haben uns bei ECHTERHOFF dazu veranlasst, intensiv über neue Brückenbauweisen nachzudenken. Im Vordergrund standen und stehen hierbei in erster Linie die Minimierung von Verkehrsbeeinträchtigungen, sodass bei der Herstellung der Ersatzneubauten nur geringe Eingriffe in den fließenden Verkehr vorgenommen werden müssen, um Verkehrsstaus zu vermeiden. Durch den Einsatz unseres Bausystems sind wir in der Lage, sehr kurze Bauzeiten zu realisieren. Auch wurde bei der Entwicklung unserer Stahlbetonfertigteillösungen ein hoher Maßstab an die Einhaltung von Langlebigkeit, Robustheit und Nachhaltigkeit angelegt. 2.1 Brückenkonstruktion Mit dem Brückenschnellbausystem „Expressbrücke ECHTERHOFF“ können nachfolgend aufgeführte Randbedingungen erfüllt werden: • Unterschiedliche geometrische Formen und die Ausbildung schiefwinkliger Widerlagerkonstruktionen von 50-150 gon. • Integration von Bohrpfahlals auch Flachgründungen • Einfacher Toleranzausgleich durch die Verwendung von Halbfertigteilen mit Ortbetonergänzung • Herstellung von Betonoberflächen in Sichtbetonqualität SB3 und SB4 mit hoher Betondichte • Realisierung von sehr kurzen Bauzeiten (siehe nachfolgende Beispielangaben) • Ausbildung statischer Systeme sowohl als Einfeldträger oder Rahmenbauwerke. In Kombination mit den in Stahlbetonfertigteilbauweise erstellten Unterbaukonstruktionen können die Brückenüberbaukonstruktionen sowohl in Massivbauweise, Spannbeton (bis 38 m ausgeführt, bis 45m Länge geplant), Stahl und Stahlverbundbauweise mit unterschiedlichen Stützweiten ausgeführt werden. • Keine Zulassung im Einzelfall 2.2 Hybridkappe Um die Anzahl von Vollsperrungen von unterquerenden Bahnstrecken oder Straßen zu reduzieren und Bauzeit einzusparen, erfolgte in konsequenter Weise die Entwicklung der Hybridkappe. Diese Konstruktion bildet in erster Linie die äußere Begrenzung der Stahlbetonkappe und dient zugleich im Montagezustand als Trägerelement von Geländer-, Berührschutz- oder Lärmschutzwandelementen bis zur Aushärtung des nachträglich eingebrachten Kappenbetons. Nach erfolgter Montage der Hybridkappen einschließlich Geländer, LSW oder Berührschutz in den Randbereichen der Überbauten, kann der darunter fahrende Verkehr ohne Einschränkungen wieder freigegeben werden. Fahrbahnbegrenzungen, Verkehrsleitsysteme sowie Gelbmarkierungen können zurückgebaut werden. Für den Einbau der Hybridkappe ist keine Zulassung im Einzelfall erforderlich. Ein- und Ausschalarbeiten der Kappenkonstruktionen in Ortbetonbauweise auf der Baustelle entfallen. Die Montage der Hybridkappe, einschließlich der Schutzeinrichtungen wie z. B. der Geländerkonstruktionen erfolgt bereits werkseitig im Fertigteilwerk (siehe Bild 1 + 2). Bild 1: A1, Afferder Weg, Unna; Hybridkappe 5. Brückenkolloquium - September 2022 289 Schnellbausystem „Expressbrücke“ Bild 2: B474 OU Dülmen; Auflegen der Spannbetonüberbaufertigteile mit aufgesetzter Hybridkappe sowie Geländer- und Berührschutzelementen In den vergangenen 3 Jahren wurden für verschiedene Auftraggeber bereits mehrere Brückenbauwerke mit dem Schnellbausystem „Expressbrücke ECHTERHOFF“ hergestellt. Für die Brückenbauwerke lagen jedes Mal unterschiedliche, individuelle Projektbedingungen vor. Aufgrund der Flexibilität des Systems der „Expressbrücke“ konnte für all diese Herausforderungen eine Lösung gefunden werden. 3. Ausführungsbeispiele „Expressbrücken ECHTERHOFF“ 3.1 Ersatzneubau der SÜ Schulstraße über die B68 in Georgsmarienhütte Nördlich von Georgsmarienhütte überquert die Brücke SÜ-Schulstraße die vielbefahrene B68 und erschließt das in einer Sackgasse gelegene Wohngebiet mit einem Schulzentrum sowie einer Kita und einem Sportzentrum. Die Bauarbeiten waren nur in einem kurzen Zeitfenster von 20 Kalendertagen und nur in den Sommerferien zu realisieren, da die Zugänglichkeit zu den Einrichtungsstätten während des Regelbetriebes immer gewährleistet sein musste. Der ursprüngliche Bauentwurf sah eine Stahlbetonkonstruktion in Ortbetonergänzung vor. Die Bauzeit für die Herstellung einer solchen Brücke beträgt in der Regel ca. 8 Monate. Um die weitere Anbindung der Schul- und Kindergartenzentren zu gewährleisten, hätte zunächst eine sehr aufwendige Behelfsbrücke in Nebenlage, parallel zum Bestandsbauwerk errichtet werden müssen. Die Gesamtbauzeit hätte ca. 12 Monate betragen und darüber hinaus auch für diesen Zeitraum Verkehrsbeeinträchtigungen auf der B68 sowie der Schulstraße zur Folge gehabt (siehe Bild 3). Bild 3: B68 Schulstraße, Georgsmarienhütte; Luftbild Bestandsbauwerk Nach einem Gespräch in der NLStBV im Juli 2020 unterbreitete die Bauunternehmung Gebr. Echterhoff einen Lösungsvorschlag zum Bau der Brücke Schulstraße über die B68 mit ihrer Systembrückenlösung, der „Expressbrücke“. Die Vorteile bestehen in der extrem kurzen Bauzeit von 20 Kalendertagen, vom Abriss der vorhandenen Brücke bis zur Wiederinbetriebnahme des neuen Brückenbauwerkes sowie in den geringen Baukosten gegenüber der ursprünglich geplanten Bauweise. Der Bau einer aufwendigen Behelfsbrücke konnte entfallen, da die Herstellung der „Expressbrücke“ in den Zeitraum der Sommerferien verlegt wurde. Von den Verkehrsbeeinträchtigungen waren somit nur die Anwohner für einen kurzen Zeitraum betroffen. Der neue Bauentwurf sah für die Brückenkonstruktion einen Einfeldträger mit 21,50 m Stützweite als statisch bestimmtes System vor. Der Überbau wurde vorab in Seitenlage mittels vorgefertigten T-förmigen Spannbetonbindern und Ortbetonergänzung der Überbauplatte ausgebildet. Die Herstellung der Unterbauten erfolgte durch Verwendung von Halbfertigteilen mit Ortbetonergänzung. Den Bauablauf bestimmte die Herstellung des Spannbetonüberbaus in Nebenlage - Aufbau der Stützkonstruktion - Montage der Endquerträger - Auflegen der Spannbetonfertigteilbinder - Montage der Hybridkappen - Abschalen der Endquerträger einschl. Bewehrungsverlegearbeiten - Ergänzung der Bewehrung für die Überbauplatte mit anschließender Betonage - Abdichtungsarbeiten - Herstellung der Geh- und Radwegkappen - Aufbringen der Fahrbahnbeläge Nach der Fertigstellung des Brückenüberbaus, inklusive Belag und Überbau wurde das Bestandsbauwerk in den Sommerferien in einer 2,5-tägigen Sperrpause der B68 abgebrochen. Innerhalb von 9 Kalendertagen erfolgte die Herstellung der Stahlbetonwiderlager (siehe Bild 4), sodass bereits 12 Kalendertage nach der Außerbetriebnahme der Bestandsbrücke der neue Brückenüberbau aus der 290 5. Brückenkolloquium - September 2022 Schnellbausystem „Expressbrücke“ Seitenin die Endlagerung eingefahren wurde. Der Einfahrvorgang des 425 to schweren Überbaus erfolgte in überhöhter Lage mittels Spezialfahrzeuge, SPMT`s oder “Tausendfüßler“ genannt (siehe Bild 5). Erd- und Straßenbauarbeiten liefen parallel zu den reinen Brückenbauarbeiten sowie im Nachlauf zu dem Einfahrvorgang. Am Ende konnten wir dem Auftraggeber, dem NLStBV, als auch den Anwohnern nach 20 Kalendertagen Sperrung der Straßenbrücke Schulstaße, das neue Brückenbauwerk zur uneingeschränkten Nutzung wieder übergeben. Ein toller Projekterfolg für alle Beteiligten! Bild 4: B68 Schulstraße, Georgsmarienhütte; Erstellen der Widerlager Bild 5: B68 Schulstraße, Georgsmarienhütte; Einschub fertiggestelltes Brückenbauwerk 3.2 „Expressbrücke“ B474 Ortsumgehung Dülmen über die ICE-Strecke Ruhrgebiet-Münster Die Bestandsbrücke der B474 Ortsumgehung Dülmen aus dem Jahr 1972 war den heutigen Verkehrsbelastungen nicht mehr gewachsen. Die schlechte Zustandsnote erforderte dringenden Handlungsbedarf, um die Bestandsbrücke schnellstens zu ersetzen. Zur Bewältigung dieser Bauaufgabe stand für den Abbruch und dem Ersatzneubau ein Zeitraum von 40 Kalendertagen als Vollsperrung der B474 sowie nur einer einzigen Sperrpause der ICE-Strecke von 51 Stunden zur Verfügung. Ein Spezialaufgabe, die wir mit unserem Brückenschnellbausystem der „Expressbrücke“ hervorragend termingerecht ´lösen konnten (siehe Bilder 6 + 7). Bild 6: B474 OU Dülmen; 15. Kalendertag Bild 7: B474 OU Dülmen; fertige Brücke nach 40 Kalendertagen 3.3 Ersatzneubau EÜ-Vellinghauser Straße in Dortmund-Sölde Im Stadtteil Dortmund-Sölde überquert die zweigleisige ICE-Strecke von Dortmund nach Soest die Vellinghauser Straße. Bei dem Bestandsbauwerk handelte es sich um eine 140 Jahre alte Natursteinbrücke, die zum einen wegen des zunehmenden Straßenverkehrs verbreitert sowie dem Bestandszustand ersetzt werden musste. Vorgesehen war zunächst ein Stahlüberbau als Einfeldträger auf einer Unterbaukonstruktion aus massiven Stahlbetonwiderlagern mit schräg verlaufenden Flügelwänden. Die Herstellung der Unterbauten sollte unter dem Schutz von Hilfsbrücken erfolgen. Als festgesetzte Bauzeit für den auftraggeberseitigen Entwurf waren 16 Monate mit den entsprechenden Sperrpausen sowie der Einrichtung einer „Langsamfahrstrecke“ vorgesehen. Durch einen Sondervorschlag der Fa. ECHTERHOFF konnte auch hier die Systembauweise „Expressbrücke“ Echterhoff zum Zuge kommen. Innerhalb von nur 18 Kalendertagen von Außerbetriebnahme der Strecke bis zur Wiederinbetriebnahme wurde die Bauaufgabe, Herstellung der EÜ als massives Stahlbetonrahmenbauwerk, einschließlich aller Abbruch-, Oberbau-, Gleisbaubausowie Stahlbetonbauarbeiten ausgeführt (Stützweite = 12,50 m). 5. Brückenkolloquium - September 2022 291 Schnellbausystem „Expressbrücke“ Bild 8: Vellinghauser Straße, Dortmund; alte Bestandsbrücke aus Naturstein, Baujahr 1880 Bild 9: Vellinghhauser Straße, Dortmund; 6. + 7. Tag Betonage Widerlager Bild 10: Vellinghauser Straße, Dortmund; 9. Tag Ortbetonergänzungsarbeiten Überbau Bild 11: Vellinghhauser Straße, Dortmund; 18. Tag Freigabe Bahnverkehr über das neue Brückenbauwerk Der Mittelstand glänzt durch Innovation und kurze Bauzeiten. Nur so können die anstehenden Herausforderungen im Brückenbau bewältigt werden - wir stehen bereit. Literatur [1] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI): „Verkehr in Zahlen 20/ 2021“, S. 344 ff.; „Gleitende Mittelfristprognose für den Güter- und Personenverkehr“, Winter 2020/ 2021 [2] Bundesanstalt für Straßenwesen (bAst): „Volkswirtschaftliche Kosten von Straßenverkehrsunfällen in Deutschland“, Mai 2020. [3] Prof. Dr.-Ing. J. Geistefeldt/ Dipl.-Ing. J. Lohoff, Ruhr-Universität Bochum, „Situation auf den Autobahnen in Nordrhein-Westfalen“, Mai 20211. [4] WirtschaftsWoche (WiWo): „Staukosten - Der Stillstand kostet Milliarden“, 12.02.2019 5. Brückenkolloquium - September 2022 293 Ersatz einer Brücke im Zuge der L171 über die DB In nur 6 Monaten vom Plan zur Fertigstellung Prof. Dr.-Ing. Thomas Bösche cbing Dresden/ HTW Dresden Felix Kaplan M. Sc. LS Brandenburg Dipl.-Ing. Alexander Ehrlich Hentschke Bau GmbH, Bautzen Zusammenfassung Die Fertigteilbauweise war in der ehemaligen DDR die Regelbauweise für die Errichtung von Überführungsbauwerken. Durch die typisierten Serien sollte es gelingen, die Aufwendungen für individuelle Planungen zu reduzieren und den Herstellungsprozess zu rationalisieren. Die so entstandenen Lösungen sind gerade in der jetzigen Zeit wieder interessant, da die Knappheit an Arbeitskräften, Zeit und Material vergleichbar ist. Viele der damals errichteten Bauwerke weisen jedoch konstruktive und bauliche Mängel auf, die sich nach 60 Jahren Nutzung oftmals zu ernsthaften Problemen entwickelt haben. Das hier beschriebene Beispiel soll zeigen, dass die Grundkonzeption bei einer Fortschreibung unter Beachtung aktueller Erkenntnisse und technischer Möglichkeiten eine hervorragende Lösung für Bauaufgaben mit kurzen Planungs- und Bauzeiten darstellen kann. 1. Problemstellung 1.1 1961 - Die Notwendigkeit der Brücke Bedingt durch den Bau der Berliner Mauer kam es ab August 1961 auf dem Gebiet der DDR zu massiven Beeinträchtigungen des Bahnverkehrs. Diese sollten durch den umgehenden Ausbau des Berliner Außenringes beseitigt werden. Die damit verbundene dichte Zugfolge hätte an den bestehenden niveaugleichen Bahnübergängen zu erheblichen Verkehrsstörungen geführt. Es wurde daher notwendig, in kürzester Zeit insgesamt zehn Straßenbrücken über diese Reichsbahnstrecke zu planen und zu errichten, die bereits Mitte 1962 dem Verkehr übergeben werden sollten. Der Mangel an Arbeitskräften, die kurze Gesamtbauzeit und die notwendige Bauausführung in den Wintermonaten führten zur Entscheidung, mit Fertigteillösungen zu arbeiten. Es wurde auf das damals noch in der Entwicklung befindliche Typenfertigteil BT 70 zurückgegriffen. Durch den Einsatz eines Hohlquerschnitts wurde die Wirksamkeit der Längsvorspannung erhöht und das Fertigteilgewicht reduziert. Mit nur 70 cm Konstruktionshöhe wurden Stützweiten bis 20 m realisiert. Bedingt durch die Kapazitäten der Fertigteilwerke musste die Herstellung der Längsträger in Einzelsegmenten von ca. 2 m Länge erfolgen, welche je nach Stützweite mit Spanngliedern SG-25 oder SG-50 zusammengespannt wurden (Schaschlikbauweise) [1]. Mit Respekt ist die kurze Zeitspanne vom Erkennen der Notwendigkeit der Bauwerke bis zu ihrer Fertigstellung unter den bekannten schwierigen Bedingungen in der DDR zu betrachten. Prinzipiell sind die damaligen Bedingungen aber eigentlich mit den aktuellen Problemen in der Bauwirtschaft vergleichbar - keine Zeit, kein Material, keine Leute - nur Genehmigungen brauchten früher wohl weniger Zeit. 1.2 1962 - Die Bauweise für das Bestandsbauwerk Die erste der so errichteten Brücken überspannt zwischen Bergfelde und Hohen Neuendorf die Bahnstrecken mit zwei Fern- und zwei S-Bahn-Gleisen. 294 5. Brückenkolloquium - September 2022 Ersatz einer Brücke im Zuge der L171 über die DB Abb. 1: Regelquerschnitt Bestandsbauwerk LS Brandenburg Zusammen mit den Randfeldern ergaben sich dadurch Stützweiten von ca. 4 x 14 m. Die als Hohlquerschnitte konzipierten BT-Fertigteilträger hatten wegen des reduzierten Eigengewichtes und der verringerten Betonquerschnittsfläche enorme Vorteile bezüglich des Montagegewichtes und der Wirksamkeit der eingesetzten Vorspannung. Weiterhin sind die kurzen Planungs- und Bauzeiten durch die Typisierung hervorzuheben. Nicht bewährt hat sich die Einfeldbauweise mit den anfälligen Fugen und oft haben sich in der Vergangenheit bei vergleichbaren Bauwerken Ausführungsmängel an den Verdrängungskörpern gezeigt. Die Bauweise war daher in den letzten Jahrzehnten aus dem Brückenbau in Deutschland weitestgehend verschwunden. 1.3 Lage im Verkehrsnetz und Bedeutung Die Brücke befindet sich in der Stadt Hohen Neuendorf im Landkreis Oberhavel. Bedingt durch die Lage im Berliner Umland weist die Stadt eine für Brandenburg sehr hohe Bevölkerungsdichte auf und erfährt in den letzten Jahrzehnten einen kontinuierlichen Bevölkerungszuwachs. Eine Besonderheit der Stadt Hohen Neuendorf stellen die zahlreichen durch den Ort führenden Schienenverbindungen dar. Der Knotenpunkt der Berliner Nordbahn und des Berliner Außenrings wurde im Vorfeld des Mauerbaus in den 1950ern ausgebaut und stellt bis heute eine bedeutende räumliche Trennung zwischen den einzelnen Ortsteilen der Stadt und den umliegenden Gemeinden dar. Zwischen den einzelnen Ortsteilen fließt ein reger Pendlerstrom, da zum einen die Schulstandorte, die ärztliche Versorgung und die Einkaufsmöglichkeiten schwerpunktmäßig zusammengefasst sind und zum anderen der Arbeitsplatz häufig in Berlin liegt. Abb. 2: Verkehrswege im Umfeld Bild: Straßennetzviewer Brandenburg 1.4 2021 - Bauwerkszustand Das Bauwerk stellt allein aufgrund seiner Konstruktion eine Besonderheit im Bestand des LS Brandenburg dar. Seit der Hauptprüfung 2011 wurde das Bauwerk mit der Zustandsnote 3,8 bewertet. Ursächlich für diese Bewertung waren: - Defekte FÜK über den Bestandspfeilern und infolgedessen vollflächige Durchfeuchtung der Unterbauten - Umfangreiche Querschnittsminderung der Bewehrung in Folge Korrosion an den Pfeilerschürzen und den Überbaufertigteilen Aufgrund der anstehenden Baumaßnahmen auf der B96a und der dadurch erforderlichen Umleitung des regulären Verkehrs und der Bedarfsumleitung der BAB 10 über dieses Bauwerk wurde ab 2020 eine umfangreiche Objektbezogene Schadensanalyse durchgeführt. Das Ziel dieser Untersuchung war die realitätsnahe Erfassung der Resttragfähigkeit. Im Rahmen dieser intensiven Auseinandersetzung mit dem Bestand konnte die progressive Schadenszunahme an diesem Bauwerk dokumentiert werden. Es war eine intensive Zunahme der Rissbildung im Beton sowie der Querschnittsminderung der korrodierten Bewehrung festzustellen. Insbesondere die Schadenszunahme der Risse in den Stegen der Randfertigteile war zwingend als Zeichen einer Zustandsverschlechterung zu bewerten. Aufgrund der festgestellten Schadenszunahme war im September 2021 die Begrenzung des Verkehrs auf dem Bauwerk mit der Reduzierung des zulässigen Gesamtgewichts auf 3,5 t erforderlich. Eine Aufnahme des Umleitungsverkehrs der B96a bzw. der BAB war wegen des schlechten Bauwerkszustands nicht mehr möglich. 5. Brückenkolloquium - September 2022 295 Ersatz einer Brücke im Zuge der L171 über die DB Abb. 3: Bestandsbauwerk 2021 Bild: cbing Prinzipiell sind insgesamt 60 Jahre Nutzungsdauer für ein in einem Notprogramm errichtetes Bauwerk in einer noch nicht erprobten Bauweise trotzdem ein respektables Ergebnis. 1.5 Maßnahmenplan - Planungs- und Bauaufgabe Die Planungen für den Ersatzneubau wurden bereits in den 2000er Jahren begonnen. Im Zuge dieser Planung wurde eine Optimierung der Trassierung erforderlich. Das führt dazu, dass das neue Bauwerk um ca. 50 m nach Norden verlegt werden soll. Es handelt sich hierbei um eine erhebliche Änderung am Straßenkörper und somit eine Maßnahme für die im Rahmen eines Planfeststellungsverfahren das Baurecht erwirkt werden muss. Das Planfeststellungsverfahren war zum Zeitpunkt der Schadenszunahme noch nicht begonnen. Gleichzeitig war die hohe umweltfachliche Relevanz des Bestandsbauwerks bekannt, da hier bei der Erfassung schützenswerte Arten (Schlingnattern, Zauneidechsen und Zwergfledermäuse) angetroffen wurden. Mit einer Ausführung des Ersatzneubaus wird gemäß Projektablaufplan ca. 2028 gerechnet. Damit die aus Gründen der Verkehrssicherheit zwingend erforderliche Sanierung der B96a durchgeführt werden kann, ist eine leistungsstarke Verbindung der L171 zwischen Bergfelde und Hohen Neuendorf erforderlich. Aus diesem Grund wurde die Aufgabenstellung für ein Behelfsbauwerk - das die Nutzungsdauer bis zum tatsächlichen Ersatzneubau überbrückt - wie folgt definiert: - Errichtung eines Behelfsüberbaus in den bestehenden Grenzen, d. h. keine Reduzierung der lichten Höhen und Weiten, keine Verbeiterung - Nutzung von dauerhaften Konstruktionen für einen Zeitraum von mindestens 10 Jahren - Nutzung der vorhandenen Gründungen Unter Berücksichtigung dieser Parameter erschien ein baurechtsfreies Verfahren möglich. Dadurch können Umwege im Schülerverkehr verhindert und die Umsetzung der Straßenbaumaßnahmen im Umfeld ermöglicht werden. Im Rahmen des Sonderprogramms „Spannungsrisskorrosion“ (siehe [3]) wurde durch den LS bereits der Markt für Systeme zur Erneuerung von Brücken eruiert, wodurch eine Marktübersicht vorlag. Aufgrund der Bestandsabmessungen und der Konstruktion versprach eine Realisierung mit dem geschützten System Hentschke C+ die besten Ergebnisse. 2. Planungsphase 2.1 Entwurfsidee Um die bereits genannten Vorteile der Hohlträgerbauweise zukünftig wieder nutzbar zu machen, wurde in Zusammenarbeit mit dem Bauunternehmen eine Lösung unter Einsatz von luftdicht verschweißten Verdrängungsrohren entwickelt, die regelwerkskonform den Verzicht auf die Inspizierbarkeit erlaubt. Wegen der geplanten begrenzten Nutzungsdauer wurde auf Abdichtung und Belag verzichtet sowie eine einer direkt befahrenen Fahrbahntafel hergestellt. 2.2 Technische Parameter Auf den mittleren Pfeiler musste aus technischen und bautechnologischen Gründen beim Ersatzneubau verzichtet werden. Für das Mittelfeld ergab sich damit eine Stützweite von nahezu 30 m. Unter Verwendung der Ansätze der BT-Bauweise konnten Fertigteilträger mit einer Konstruktionshöhe von 90 cm konzipiert werden, welche zusammen mit den 70 cm hohen Fertigteilen in den Randfeldern auf den bestehenden Unterbauten verlegt wurden. Bedingt durch die höheren Beanspruchungen mussten die Pfeiler in den Achsen 20 und 40 lokal verstärkt werden. Die Verbindung der Fertigteile untereinander erfolgt mit einer durchgehenden Ortbetonplatte zu einem durchgehenden Überbau. Abb. 4: Regelquerschnitt Ersatzüberbau Bild: cbing 296 5. Brückenkolloquium - September 2022 Ersatz einer Brücke im Zuge der L171 über die DB 2.3 Optimierungsansätze Durch die veränderliche Bauhöhe der Fertigteile und die Ausbildung einer Kuppe in der Gradiente der Fahrbahn konnte trotz Veränderung der Stützweiten eine statisch zweckmäßige Gestaltung der Bauhöhen erreicht werden, ohne die Bestandsgradiente an den Brückenenden zu verlassen. Die Fertigteile in den kürzeren Randfeldern wurden ohne Verdrängungsrohre ausgeführt, um die positiven Auswirkungen der durchlaufenden Konstruktion für das Mittelfeld zu unterstützen. 2.4 Innovation und Regelwerkskonformität Durch den Einsatz von Verdrängungskörpern aus luftdicht verschweißten Stahlrohren können die bekannten Vorteile von Hohlkörperfertigteilen im Brückenbau wieder nutzbar gemacht werden. Mit Verweis auf die RE- ING Teil 2 und ZTV-ING Teil 4 ist diese Vorgehensweise geregelt. Besonderes Augenmerk wurde bereits in der Planung auf die Maßnahmen zur Lagesicherung der Verdrängungsrohre beim Betonieren gelegt. Für die Verbindung der Fertigteile untereinander erfolgt die Anordnung einer durchgehenden Ortbeton-Verbundplatte mit einer Dicke >20 cm. 3. Genehmigungsverfahren Aufgrund der Einhaltung der Bestandsabmessungen, insbesondere der lichten Höhen und Weiten für die Schienenwege sowie die Breite des Überbaus, ist die Erneuerung der Brücke baurechtlich nach §10 (3) BbgStrG nicht als wesentliche Änderung zu werten. Eine gesonderte Genehmigung war deshalb nicht zwingend erforderlich. Entsprechend §10 (3) wurden jedoch die betroffenen Behörden und die Träger Öffentlicher Belange mit dem Ziel, das Einvernehmen herzustellen, beteiligt. Hierbei ist die sehr gute und konstruktive Zusammenarbeit mit allen Behörden herauszustellen. Durch die intensive Einbindung der naturschutzfachlichen Interessensverbände und Behörden sowie der Deutschen Bahn konnten sehr gute Lösungen erzielt werden. Im Vorfeld der eigentlichen Baumaßnahmen wurden unter anderem Fledermausersatzquartiere eingerichtet. Abb. 5: Fledermausersatzquartier Bild: LS Brandenburg 4. Bauausführung 4.1 Besondere Randbedingungen Beim Bauen über Gleisanlagen werden die Randbedingungen maßgeblich von den zur Verfügung stehenden Sperrpausen bestimmt. Auf Grund der sehr kurzen Vorbereitungszeit der Baumaßnahme standen keine größeren Sperrpausen für Arbeiten im Gleisbereich zur Verfügung, sodass die Leistungen Abbruch und Montage Überbau in einer Vielzahl kurzer Sperrpausen ausgeführt werden mussten. Deshalb wurde der Abbruch des Überbaus so durchgeführt, dass nach der Leichterung die Verbundplatte in den Fugen der Bestandsfertigteile aufgesägt und die Fertigteile ausgehoben wurden. Die nur eingeschränkt zur Verfügung stehenden Sperrpausen hatte auch zur Folge, dass eine anfangs angedachte Nutzung des mittleren Pfeilers zwischen den Gleisen zur Auflagerung nicht umgesetzt werden konnte. Eine Sanierung der Auflagerbank war im Rahmen der zur Verfügung stehenden Zeitfenster nicht möglich. 4.2 Ertüchtigung der Unterbauten Um die Sperrzeit des Bauwerks so klein wie möglich zu halten, wurden die bestehenden Unterbauten nicht erneuert, sondern ertüchtigt. Für die Widerlager bedeutete das die Sanierung der Auflagerbank, Abbruch und Neuherstellung der seitlichen Kammerwände und die komplette Neuherstellung von hinteren Kammerwänden, da die Änderung des Überbausystems von einer Einfeldträgerkette (4 Felder) zu einem Durchlaufträger (3 Felder) den Einsatz von Fahrbahnübergangskonstruktionen an den Überbauenden notwendig machte. Da nicht alle Pfeiler wieder genutzt werden konnten, wurden für die weiterverwendeten Pfeiler im Bereich des Pfeilerkopfes umfangreiche Arbeiten notwendig. Die obere Bewehrung wurde komplett freigelegt und verstärkt, die Kragarme wurden vergrößert. 5. Brückenkolloquium - September 2022 297 Ersatz einer Brücke im Zuge der L171 über die DB 4.3 Fertigteilherstellung und Montage Die Herstellung der Fertigteilträger fand im Fertigteilwerk der Hentschke GmbH in Bautzen statt. Durch den Einsatz bereits erprobter Herstellungslösungen im Fertigteilwerk und typisierter Querschnittslösungen konnten viele Prozesse der Planung und Bauvorbereitung effizient parallel bearbeitet werden. Besonderes Augenmerk wurde auf eine wirksame Lagesicherung der Verdrängungsrohre während der Betonage gelegt. Abb. 6: Lagesicherung der Verdrängungsrohre Bild: cbing Die Randträger-Fertigteile wurden kappenartig ausgeformt und erhielten nur einen schmalen Ortbeton-Ergänzungsstreifen im Bordbereich. Dadurch wurden im Bereich der Gleise außer der Montage der Träger und der Montage des Übergreifschutzes keine weiteren Eingriffe in den Bahnverkehr notwendig. Die Montage der Träger im Bahnbereich und in einem Randfeld erfolgte mit einem ADK mit einer Traglast von 1000 t, für das andere Randfeld kam ein ADK mit einer Traglast von 400 t zum Einsatz. Abb. 7: Fertigteilmontage Bild: LS Brandenburg Nach Montage aller Träger erfolgte die Herstellung der Verbundplatte sowie des Ergänzungsstreifens der Kappe. 5. Resümee Im Ergebnis konnte die Straßenverbindung ca. 6 Monate nach Sperrung des Bauwerks wieder in Betrieb genommen werden. Insbesondere die Verwendung von vorgespannten Fertigteilen mit Hohlkörpern und eine vorbereitete Systemplanung führten hier zu einer erheblichen Verkürzung der Zeiten für Planung, Bauvorbereitung und Bauausführung. Durch vorbereitete Typenlösungen ist es möglich parallel die Planungs- und Bauvorbereitungsprozesse durchzuführen - modulares Entwerfen [4] bietet zudem die Möglichkeit des Vorhaltens von effizienten Fertigungsanlagen im Fertigteilwerk. Abb. 8: Das fertige Bauwerk Bild: LS Brandenburg Das Potential die Dauer des Gesamtprozesses zu minimieren und gleichzeitig die Auswirkungen auf die Verkehrs- und Wirtschaftsströme zu verringern, ist bei der Errichtung der Brücke in Hohen Neuendorf besonders deutlich geworden. Literatur [1] Bernhardt, W.; Verch, W.; Heerdegen, W.: Straßenbrücken unter Verwendung zusammengespannter Fertigteile BT 70. Bauplanung-Bautechnik, 17. Jg., Heft 4, April 1963, pp. 188-191 und Heft 5, Mai 1963, pp. 244-248. [2] Langrock, J.; Schuchardt, J.; Verch, W: Betonbrückenbau. VEB Verlag für Bauwesen, Berlin 1979 [3] Degenhardt, K.: Strategisches Bauwerkserhaltungsmanagement im Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg. 5. Brückenkolloquium TAE 09/ 2022 [4] Siegel, R.: Chancen und Risiken des modularen Brückenbaus aus Sicht des AG (AdB). Baukongress - Die Zukunft des Bauens, Aachen 01.-02.06.2022 5. Brückenkolloquium - September 2022 299 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert Dr.-Ing. Jan Bielak Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, 52074 Aachen, Deutschland Raphael Walach knippershelbig GmbH, 70178 Stuttgart, Deutschland Jochen Riederer knippershelbig GmbH, 70178 Stuttgart, Deutschland Thorsten Helbig knippershelbig GmbH, 70178 Stuttgart, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, 52074 Aachen, Deutschland Zusammenfassung Mit dem Entwurf für die Fußgängerquerung der Ludwigsburger Straße in Stuttgart wird eine geometrisch und technisch anspruchsvolle gekrümmte Betonbrücke mit nichtmetallischer Faserbewehrung konzipiert. Das Tragkonzept der über zwei Felder 34-m spannenden Brücke folgt der Idee eines Kreisringträgers. Im Abstand von 2,4 m sind Versteifungsrippen angeordnet, auf die die nur 10 cm dünne Belagplatte abträgt. Zwei Fertigteile werden auf den Endwiderlagern und einer Mittelstütze aufgelegt, vorgespannt und zu einem semiintegralen Tragwerk verbunden. Der Einsatz von nichtmetallischer Bewehrung aus Faserverbundkunststoff (FVK) in Form von Carbongittern (CFK) und Glasfaserstäben (GFK) ermöglicht eine Reduktion der Bauteildicken auf ein absolutes Minimum. Der Beitrag stellt den Entwurf vor und liefert neue Erkenntnisse aus den für die Realisierung nötigen wissenschaftlichen Untersuchungen. In einem Großversuch zur Quertragwirkung wurde die Herstellbarkeit des hochkomplexen Bewehrungskorbes validiert und unter Einsatz von faseroptischer Messtechnik die Tragfähigkeit experimentell untersucht. Zentrale Fragestellung war die Machbarkeit der Rahmenecke mit öffnendem Moment unter Einsatz von geraden GFK-Stäben in drei Raumrichtungen, deren Verankerung, und die Interaktion zwischen den verschiedenen Materialtypen. 1. Einleitung Im Rahmen des Landschaftsentwicklungskonzepts Hummelgraben soll im Stuttgarter Stadtbezirk Zuffenhausen an der nördlichen Stadtgrenze eine Brücke für Fußgänger und Radfahrer als Wegeverbindung über die Ludwigsburger Straße errichtet werden. Im Sinne des Gesamtprojektes sollen neue regionale und überregionale Radwegeverbindungen geschaffen werden und bestehende Anbindungen verbessert werden. Um eine lückenlose Anbindung an die geplante Wegeführung zu gewährleisten, wurde sich in den frühen Phasen auf eine geschwungene Grundform geeinigt (Abb.-1). Durch den Einsatz von nichtmetallischer Bewehrung in Verbindung mit hochfestem Beton können die Querschnittsabmessungen des Betontragwerks, insbesondere die Ansichtskanten der Platte und der markanten Stegrippen, auf ein Minimum zu reduziert werden. Darüber hinaus kann auf zusätzliche Abdichtungs- und Schutzschichten aus Asphalt oder Kunststoffen verzichtet werden. Das Tragwerksplanungsbüro für dieses Projekt (knippershelbig GmbH) hat bereits in der Vergangenheit das Potential der Bauweise mit nichtmetallischer Gitterbewehrung, früher als Textilbeton, heute häufig als Carbonbeton bezeichnet, erkannt und in Brückenbauwerken in Zusammenarbeit mit dem IMB der RWTH erfolgreich eingesetzt [1 ε ; 2]. Da die Stadt Stuttgart und das Tiefbauamt als Baulastträger mit dem Wiederaufbau des Rosensteinstegs II [3] ebenfalls bereits Erfahrung mit der innovativen Bauweise sammeln konnte, befürworteten sie auch hier deren Einsatz, um die Grenzen des Betonbaus noch einmal neu zu definieren. Abb.-1: Rendering des Brückenentwurfes über die Ludwigsburger Straße in Stuttgart (Grafik: knippershelbig) 300 5. Brückenkolloquium - September 2022 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert 2. Bauwerksbeschreibung 2.1 Geometrie und Entwurf Das Brückentragwerk wird als zweifeldrige, im Grundriss gekrümmte schlanke Brücke mit Stützweiten von jeweils 17,0-m, einer Konstruktionsbreite von 4,40-m und einer Konstruktionshöhe von 1,90-m geplant. Es wird eine lichte Brückenbreite von 3,20- m gewählt, welche konstant über den gekrümmten Verlauf gehalten wird. Innenseitig bildet die Stegwand mit parametrisch auf den Schnittgrößenverlauf angepassten Öffnungen die räumliche Abgrenzung für die Nutzerinnen und Nutzer. An der Außenkante schließt ein nach innen geneigtes filigranes Stahlgeländer den Brückenraum ab. Die 16 radialen Rippen verleihen der Untersicht der Brücke ein regelmäßiges scharfkantiges Erscheinungsbild. Um eine lichte Höhe unter der Brücke von 4,70 m zu erreichen, steigen Erdrampen bis zum Beginn der Widerlagerkörper. Der ausgeschnittene Kreisring wird leicht räumlich geneigt, sodass das nordöstliche Widerlager tiefer liegt, was der Brücke eine fließende Dynamik verleiht. Die beiden Felder des Überbaus werden als Fertigteile und auf der Baustelle am Übergang miteinander gekoppelt. Zum Widerlager erfolgt eine Verbindung zur Widerlagerwand und zum Ortbetondeck. Der Überbau wird punktuell auf der Mittelstütze gelagert. Durch den nachträglichen Verguss an den Fugen in Feldmitte und an den Widerlagern bildet sich ein semiintegrales Tragwerk aus. 2.2 Tragkonzept Um eine außerordentlich schlanke und dauerhafte Konstruktion auszubilden, wird der Betonüberbau mit nichtmetallischer Faserverbundkunststoffstäben (FVK-Stäben) und -gittern bewehrt. Durch deren hohe Zugfestigkeit, ausgezeichnete Korrosionsbeständigkeit und je nach Stabdurchmesser geringe notwendige Betondeckung kann beispielsweise die Deckplatte der Brückenfertigteile mit zweilagiger Carbonfaserverbundkunststoff (CFK) Gitterbewehrung in der Dicke von nur 10-cm realisiert werden. Die Platte spannt lokal über die mit 2,4 m Abstand angeordneten markanten radialen Rippen der Breite 15-cm. Diese sind auf der Unterseite des Decks und der außen an der Rückwand angeordnet und steifen lokal in der Nebentragrichtung aus. Die Rippen sind mit vorgeformten CFK-Gittern bewehrt. Für die Aufnahme des öffnenden Moments in der Rahmenecke wird jede Rippe mit vertikal, horizontal und diagonal verlaufenden Glasfaserverbundkunststoff (GFK) Stäben als Hauptbewehrung versehen. Die Haupttragwirkung über die beiden Felder in Brückenlängsrichtung (Ringrichtung) wird durch einen Hauptträger bestehend aus Steg, Untergurt und Obergurt übernommen. Die am inneren Rand angeordneten Rückwand bzw. Seitenwand fungiert als Steg, die Funktion des Untergurtes übernimmt die Deckplatte, und der Obergurt wird von einer Kopfverdickung der Rückwand gebildet, die wegen der dreieckigen Querschnittsform als Hammerkopf bezeichnet wird. Um die aus der einseitigen Stützung entstehenden Torsionsmomente aufzunehmen, wird die global gekrümmte Form als Kreisringträger genutzt. Die Rippen übernehmen das Torsionsmoment als Quermoment in die gekrümmten Gurte. Der Hammerkopf bildet dabei das Zuglager für die radial nach außen wirkende Reaktionskraft, und das Deck wirkt als liegender Druckbogen als Lager zur Aufnahme der radial nach innen wirkenden unteren Reaktionskraft. Im Hammerkopf befindet sich ein internes Stahlspannglied ohne Verbund, welches nachträglich gegen die Widerlagerwände vorgespannt wird. Auf Grund der geometrischen Form entstehen im Hammerkopf beim Vorspannen radial nach innen gerichtete Umlenkungskräfte, die jenen gegen die Widerlager verkeilen und vorspannen. Somit kann der Zugbogen des Kreisringträgers überdrückt bleiben. Eine vordefinierte Errichtungssequenz soll die Stützmomente und die daraus entstehenden Zugkräfte im Hammerkopf reduzieren. Die nach innen geneigte Mittelstütze unterstützt durch die horizontale Abtriebskraft die Druckwirkung im Bogen. Die Querkrafttragwirkung des Ringträgers wird durch vorhandene Sichtöffnungen im Steg gestört. Diese rechteckig geformten Aussparungen werden daher in Anlehnung an den Querkraftverlauf hin zu den Auflagern immer kleiner. Sekundärmomente aus der entstehenden Vierendeel-Wirkung werden mit diskreten vertikalen GFK-Bewehrungsstäben aufgenommen. Die Verbindungen zwischen den beiden Fertigteilen untereinander und zu den Widerlagern werden mit zentrisch liegenden Edelstahlbewehrungsbolzen mit Schraubmuffen zur Ausbildung der semiintegralen Wirkung versehen. Die so entstehende fugenlose Konstruktion erhöht die Dauerhaftigkeit, verringert die Notwendigkeit für Wartungen und verbessert die Optik durch Vermeidung von unkontrolliert punktuell ablaufendem Regenwasser. Die vorab in Ortbeton herzustellenden Widerlagerkörper, bestehend aus Deck, Vorspann-, Widerlager und Flügelwänden, gründen auf einer Kopfplatte mit Bohrpfählen. Da diese Bauteile keiner Anforderung an die optische Schlankheit unterlagen, wurden sie konventionell in Stahlbeton geplant. Abb.-2: Untersicht des Brückenmodells mit Rippen und zentraler Stütze (Grafik: knippershelbig) 5. Brückenkolloquium - September 2022 301 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert 2.3 Materialien für den Überbau Die für den Überbau eingesetzten Bewehrungsprodukte wurden im Rahmen der Tragwerksplanung in Zusammenarbeit zwischen Planer und Gutachter festgelegt. Abb.-3 (a) zeigt das ebene CFK-Gitter, das in der Platte und in der Rückwand als flächige Bewehrung eingesetzt wird. Es weist einen Faserquerschnitt von 3,62-mm² bzw. 95-mm²/ m auf und erreicht mittlere Bruchspannungen von 3300-N/ mm² sowie E-Moduln von 230.000-N/ mm² bezogen auf diese Fläche in beide Gitterrichtungen, (0° und 90°). In den Stegen sowie als Randeinfassung sind vorgeformte CFK-Gitter aus dem gleichen Grundmaterial mit einem Standardumlenkradius von 10-mm geplant (Abb.-3 (b)). Alle Ansichtskanten sind mit übergroßen Fasen (25-mm) versehen, um eine noch schlankere Optik zu erzielen. Dies wird beim Umlenkradius der Randformprofile (35-mm) berücksichtigt. Die konzentrierte Zulagebewehrung der Stege und des Vierendeelträgers der Rückwand bilden gerade GFK-Stäbe der Nenndurchmesser 16-mm und 20-mm, Abb.-3 (c). Die Stäbe weisen eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung in Deutschland für einen begrenzten Anwendungsbereich auf, der hier allerdings überschritten wird [4]. Abb.-3: Nichtmetallische Bewehrungen für die Brücke Fotos: (a) [5]; (b), (c): IMB RWTH Der Beton für den Überbau muss gemäß Planung die Festigkeitsklasse C80/ 95 erreichen, soll möglichst selbstverdichtend sein und den Regelungen analog zum konventionellen Stahl- und Spannbetonbau genügen [6 ε ; 7]. Hiernach ist ein Größtkorn der Gesteinskörnung >-4-mm erforderlich. Zum Schutz der Bewehrung vor Korrosion liegen keine Anforderungen an den Beton vor. Für die direkt exponierten Betonflächen gilt die Expositionsklasse XF4. Aus vorangegangenen Projekten ist bekannt, dass die ausreichende Frost/ Tausalzbeständigkeit des Betons experimentell nachgewiesen werden kann (z.-B. [2]), wenn mit dem Einsatz von Luftporenbildnern zur Erreichung des Mindestluftgehaltes gemäß Anhang F in [7] keine ausreichend hohe Druckfestigkeit erreicht werden kann. Alternativ wurde z.-B. für die Brücke in [8] argumentiert, dass ein hochfester Beton durch seinen geringen w/ z-Wert Eigenschaften analog zu einem erdfeuchten Beton (gemäß [7] w/ z ≤ 0,4) aufweist und damit ausreichend Frost- Tausalzbeständig ist (vgl. auch [9]). Die hochfesten Betone, die im Rahmen des Carbon-Concrete-Composites (C³) Projektes entwickelt wurden [10], wiesen ebenfalls eine ausreichende Frost-Tausalzbeständigkeit auf, wie experimentell bestätigt wurde. Aus Sicht der Autoren wäre eine Neuregelung in dieser Sache wünschenswert, um den Aufwand für den Nachweis der ausreichenden Frost-Tausalzbeständigkeit für den Einsatz hochfester Betone als Fahrbahndecken zu minimieren. Denn dies ist bei Einsatz von nichtmetallischen Bewehrungen die Regelbauweise. Da die finale Betonrezeptur, die oben genannten Anforderungen erfüllt, erst durch die ausführende Firma festgelegt werden soll, wurde für die notwendigen experimentellen Bauteiluntersuchungen hilfsweise ein Beton mit entsprechenden Eigenschaften aus einem abgeschlossenen Forschungsvorhaben des IMB der RWTH ausgewählt (vgl. [11] und Beton „C2“ in [12]). Dieser Beton wurde bereits erfolgreich für sehr dichte Bewehrungsanordnungen aus CFK/ GFK-Gittern und Carbonspannstäben in 60-mm dicken Deckschichten eingesetzt. 3. Bauen mit nichtmetallischer Bewehrung außerhalb von Zulassungen und Normen 3.1 Rechtlicher Rahmen Die Musterbauordnung und die Landesbauordnungen, hier für das Land Baden Württemberg [13], weisen für Hochbauten Wege für das Bauen mit nicht geregelten Produkten und Bauweisen auf. Verkehrsanlagen und zugehörige Nebenbauten sind ausgenommen. Die Brücke über die Ludwigsburger Straße fällt unter die Regelungen des Straßengesetzes Baden-Württemberg [14], und der Stadt Stuttgart obliegen als Baulastträger auch alle mit dem Bau und der Unterhaltung der Straßen zusammenhängenden Aufgaben [3]. Folglich kann das Tief bauamt als Straßenbaulastträger der Stadt Stuttgart selbst eine Zustimmung im Einzelfall mit vorhabenbezogener Bauartgenehmigung erteilen. Grundlage für diese Entscheidung ist neben dem Einbezug eines Prüfstatikers in der Regel eine fachliche Stellungnahme eines geeigneten Gutachters, die falls nötig auch mit experimentellen Untersuchungen verbunden sein kann. Gesetzlich verankert ist dies im Detail allerdings nicht, sondern obliegt dem Ermessen der zustimmenden Behörde. Das Tief bauamt der Stadt Stuttgart hat zwar aus vorangegangenen Projekten Erfahrung mit Carbonbeton im Brückenbau [3], im vorliegenden Fall ist die Komplexität noch einmal deutlich größer. Letztlich haben die „Träger der Straßenbaulast dafür einzustehen, dass ihre Bauten allen Anforderungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung genügen“, vgl. §-9a in [14]. Vorliegend entschied sich das Tief bauamt daher wiederum für die Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme. Entscheidend für die Qualität des finalen Bauwerkes ist, dass klare Regelungen zur Zertifizierung, Überein- 302 5. Brückenkolloquium - September 2022 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert stimmungserklärung des Herstellers und zur Eigen- und Fremdüberwachung im ZiE/ vbG-Bescheid festgehalten werden. Diese flankieren die eigentliche gutachterliche Beurteilung und sollen gewährleisten, dass Konformität zwischen den in der statischen Berechnung und gutachterlichen Stellungnahme angenommenen Werten und Randbedingungen mit denen im final hergestellten Bauprodukt vorliegt. Dies ist angesichts der fehlenden Regelwerke zur Ausführung von nichtmetallisch bewehrten Betonbauteilen und der geringeren notwendigen Toleranzen bei Bauteilen mit stark reduzierten Abmessungen dringend geboten. Die Regelungen aus [13] können hierfür zweckmäßigerweise übertragen und ggf. ergänzt werden. 3.2 Vorgeschlagenes Untersuchungsprogramm Im vorliegenden Projekt ist die gutachterliche Beurteilung des ausreichenden Trag- und Verformungsverhaltens aus mehreren Gründen anspruchsvoll. Ein Belastungsversuch der ganzen bzw. einer Hälfte des Überbaus, wie seinerzeit bei der Carbonbetonbrücke in Albstadt- Ebingen geschehen [2], ist aus wirtschaftlichen Gründen ausgeschlossen, und wäre zudem technisch extrem herausfordernd. Das Tragwerk wird erst durch die globale Druckbogenwirkung in Verbindung mit der Vorspannung funktional, und diese im Versuch nachzustellen wäre sehr aufwendig. Da der Hauptlastabtrag des Zuggliedes aus Stahllitzen und des Betons auf Druck mit konventionellen Methoden und Modellen des Stahl- und Spannbetonbaus nachweisbar ist, war die Notwendigkeit aus Sicht der Beteiligten hierfür auch nicht gegeben. Das IMB der RWTH hat daher in Zusammenarbeit mit dem Tief bauamt und dem Planer sowie dem Prüfstatiker ein gemischtes Nachweisformat aus kleineren und mittleren experimentellen Untersuchungen (Tab. 1) und theoretischen Untersuchungen sowie die Nutzung von vorhandenen Ergebnissen aus Zulassungs- und Forschungsprojekten vorgeschlagen. Kern der Beurteilung ist die Frage, ob das vom Planer verwendete nichtlineare 3D-Finite-Elemente Berechnungsmodell sowie das vereinfachte Stabwerkmodell für die Tragrippen in der Lage sind, die Kräfteverteilung in der Bewehrung und im Beton, das gesamte Tragverhalten und das Verformungsverhalten geeignet vorherzusagen. Für den Vergleich wurde ein repräsentatives Rippensegment bestehend aus Steg, Platte, Rückwand und Hammerkopf definiert, das in einem 1: 1 Großversuch bis zum Bruch belastet werden soll. Dieses Bauteil trägt als Rahmenecke mit öffnendem Moment im Nebentragsystem des Brückenüberbaus und ist aus Sicht der Beteiligten das kritische Element der Brücke. Die als Hauptzugbewehrung eingesetzten GFK-Stäbe werden---anders als im Stahlbetonbau für Rahmenecken üblich---gerade verankert, da entsprechend vorgeformte Elemente des Herstellers zwar verfügbar sind, allerdings nicht bauaufsichtlich zugelassen und in Ihren Eigenschaften deutlich weniger umfassend charakterisiert sind. Mit der Herstellung des Rippenelementes für den Großversuch können Erkenntnisse zur Herstellbarkeit des Bewehrungskorbes und der Betonierbarkeit gewonnen werden. Klar ist aber auch, dass ein einzelner Kurzzeitversuch nicht geeignet ist, um langfristige Verformungen experimentell zu bestimmen oder um statistisch signifikante Versuchsanzahlen zur Ableitung von charakteristischen Widerständen zu ermitteln. Es geht vielmehr um eine phänomenologische Untersuchung der Versagensankündigung, der Versagensmechanismen, der Spannungsverteilung und des Rissverhaltens. Tab. 1: Übersicht Versuchsprogramm Versuchsart Untersuchungszweck Gutachten für ZiE/ vBG Bauteilversuch Rahmenecke Herstellbarkeit der Brücke, insb. Betonierbarkeit; Rissbildungsverhalten; Rissbreiten in der Rahmenecke; Verankerungsverhalten der GFK-Stäbe und CFK-Gitter; Wirksamkeit Querkraftbewehrung; Zusammenwirken Gitter- und Stabbewehrung Vorgeformte CFK-Gitter Zugversuche Zugfestigkeit und E-Modul im geraden Teil; Festigkeit in der Umlenkung Vorgeformte CFK-Gitter Biegeversuch (Übergreifung) Tragfähigkeit der Übergreifung der Querkraftbewehrung (U-Profile) im Steg (Werkseigene) Produktionskontrolle GFK-Stäbe Zugversuche Konformitätskontrolle Zugfestigkeit, E-Modul Ebene CFK-Gitter Zugversuche Konformitätskontrolle Zugfestigkeit, E-Modul Vorgeformte CFK-Gitter Zugversuche Konformitätskontrolle Festigkeit in der Umlenkung, E-Modul, Umlenkradius Für die Vorhersage des Biege- und Querkraftwiderstandes der Platte sowie für den Nachweis der Verankerung bzw. Übergreifung existieren etablierte Modelle in der Forschung, die inzwischen auch Eingang in den vom Unterausschuss Nichtmetallische Bewehrung verabschiedete Entwurf der Richtlinie „Betonbauteile mit nichtmetallischer Bewehrung“ des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton gefunden haben [15]. Grundlage hierfür sind Materialkennwerte, die durch geeignete (standardisierte) Prüfverfahren bestimmt wurden. Für die ebene Bewehrung liegen hierzu umfangreiche Ergebnisse aus vorangegangenen Projekten und Herstellerangaben vor. Für die vorgeformte Bewehrung, der im Steg der Rippe eine wesentliche Tragfunktion als Querkraft- und Spaltzugbewehrung zukommt, fehlen hingegen ausreichende Widerstandskennwerte. Die Untersuchungen in [16] zeigten, dass mit deutlichen Abminderungen der Festigkeit und des Elastizitätsmoduls gegenüber dem ebenen Bewehrungsmaterial gleichen Bewehrungsquerschnittes ge- 5. Brückenkolloquium - September 2022 303 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert rechnet werden muss. Die Gründe hierfür sind eine geringere Parallelisierung der Fasern im freien Teil durch das andere Herstellverfahren, die nicht-konstante (lineare) Spannungsverteilung über den Faserstrangquerschnitt in der Umlenkung bei Zugbeanspruchung sowie lokale Spannungskonzentrationen auf das anisotrope Material in der Umlenkung. Die für die Berechnung notwendigen Kennwerte müssen daher für die gutachterliche Stellungnahme experimentell im einaxialen Zugversuch und im Faserstrangauszugversuch am gekrümmt einbetonierten Element ermittelt werden. Eine Besonderheit der Brückengeometrie begründete zudem neue Biegeversuche zur Charakterisierung des Übergreifungsstoßes der Gitterbewehrung: Durch die Voutung der Rippe muss die Stegbewehrung aus zwei U- Steckern zusammengesetzt werden, da eine (wirtschaftliche) Herstellung von geschlossenen Körben mit Voute mit dem designierten biaxialen Gittermaterial nicht möglich ist. Auch der Bewehrungseinbau wäre durch geschlossene Bügelkörbe erheblich erschwert. Da die U-förmigen Bewehrungselemente gleichsam Bügelkörben orthogonal zum freien Rand ausgerichtet sein müssen, ergibt sich ein um 7,7° verdrehter Übergreifungsstoß, der zudem in seiner Länge durch die lieferbare Breite des Ausgangsmaterials begrenzt wird. Ob ein solcher - eigentlich zu kurzer - Stoß eine ausreichende Tragfähigkeit ohne vorzeitige Abplatzungen liefern kann, war zu klären. Schlussendlich ergibt sich die für die Querkrafttragfähigkeit ansetzbare Festigkeit des CFK-Formprofiles aus dem Minimum der Werte in der freien Länge, der Umlenkung, und des Übergreifungsstoßes. Das Untersuchungsprogramm und die darauf basierende gutachterliche Stellungnahme hat nicht zum Ziel, die Einwirkungen (insbesondere Temperatur, Auswirkung der Vorspannung, Schwinden und Kriechen) und die Schnittgrößenermittlung für das Tragwerk zu verifizieren. Diese unterliegen der regulären Bautechnischen Prüfung. Nachfolgend wird ein Teil des Untersuchungsprogrammes, der Bauteilversuch, näher beschrieben. 4. Bauteilversuch 4.1 Prüfkonzept und Messtechnik Das Rahmeneckelement wurde im Maßstab 1: 1 konzipiert, und die Geometrie gegenüber der finalen Brücke nur geringfügig vereinfacht: Beispielsweise wurde keine Randaufkantung unterhalb des Geländers vorgesehen, Schalkanten zur einfacheren Auflagerung begradigt, und die Bewehrung in der Platte orthogonal zum Steg ausgerichtet. Als Breite des Probekörpers wurde 50-cm gewählt, was dem Abstand zwischen zwei vertikalen Öffnungen in der Rückwand unmittelbar neben jeder Rippe entspricht. Hierdurch können das monolithische Tragverhalten zwischen Platte und Rückwand und die dort wirkenden Sekundärbiegemomente erfasst werden, sowie die Rissbildung bzw. der Rissverlauf in der Rahmenecke besser eingeschätzt werden. Die maßgebende Einwirkung für die Rahmenecke ist die flächige Vollbelastung der Platte aus Eigengewicht- und Verkehr, die als Linienlast auf das Rippenelement weitergegeben wird. Eine solche Belastung ist Versuchstechnisch aufwändig zu simulieren, weshalb eine äquivalente Ersatzeinzellast im lichten Abstand 1,9-m zur Rückwand aufgebracht wurde (Abb.- 4). Mit dieser Distanz ergibt sich ein ähnliches Momenten-Querkraft-Verhältnis an der mutmaßlich kritischen Stelle (Bereich Abstand d von der Ecke), und ein ausreichend großes Schubfeld, sodass keine direkte Druckstrebe entsteht und ein Biegeschubbzw. Schubzugversagen auftreten kann. Im realen Tragwerk lagern sich die Rippen unten auf den inneren, liegenden Druckbogen, während sie am Kopf durch das gekrümmte Spannglied im Hammerkopf gehalten sind. Aus diesem Kräftepaar entsteht lokal betrachtet eine Einspannung. Im Versuch wird dies durch Horizontallagerung an einer 1-m dicken vorgespannten „Reaction Wall“ mit Stahldruckstützen in der Achse der Platte bzw. Zugstangen in der Achse des Leerrohres für das Spannglied realisiert. Die vertikale Halterung erfolgt indirekt durch Auflegen der seitlich über den Steg ragenden Rückwandstummel auf Stahlrollen in ihrer Mittelachse. Diese Form der Auf hängung des Probekörpers ist von besonderer Bedeutung, um die Spannungen im Verankerungsbereich der Hauptbewehrung ähnlich denen im realen Tragwerk zu simulieren. Bei einer direkten Auflagerung an der Unterseite des Steges hätte sich eine Druckspannung und ein direkter Lastabtrag ergeben. Der Rotationspunkt des Versuchskörpers liegt damit in der Schnittachse von Platte und Rückwand. Die Belastung erfolgt mittels Hydraulikpumpe in Handsteuerung (Kraftgesteuert), als Belastungsgeschwindigkeit wurden 5 kN/ min festgelegt. Planmäßig wurde eine Entlastung nach der rechnerischen Erstrissbildung in der Rahmenecke zur Beurteilung der Rissbreiten im Gebrauchszustand mit anschließender Wiederbelastung bis zum Bruch vorgesehen. Abb.-4: Skizze des Versuchskörpers mit Auflagerung und Belastungspunkt (Grafik: knippershelbig) Ein Kernziel des Bauteilversuchs ist die Validierung der Modelle durch Vergleich von berechneten mit gemessenen Spannungen, Widerständen, und beobachte- 304 5. Brückenkolloquium - September 2022 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert ten Versagensarten. Hierzu wurde umfangreiche interne und externe Messtechnik appliziert (Abb.-5): Konventionelle Wegaufnehmer messen die Verformung unter der Last sowie in den Auflagern, um Starrkörperverschiebungen/ -rotationen aus der Auflagerdeformation bereinigen zu können. Mittels digitaler Bildkorrelation werden die Rissbildung und das Risswachstum im Stegbereich (2D) sowie in der Platte und Rückwand im Rahmeneckbereich (3D) verfolgt. Als interne Messtechnik sind auf der Hauptzugbewehrung Dehnungsmesstreifen (DMS) und Faseroptische Sensoren (FOS) appliziert, mit denen der Spannungsverlauf in den GFK-Stäben insbesondere im Verankerungsbereich detailliert erfasst werden kann. Abb.-5: Messtechnik für den Großversuch (Grafik: IMB RWTH) 4.2 Herstellung Die Herstellung des Probekörpers erfolgte in positiv-Fertigung im Gießverfahren. Diese Form der Herstellung entspricht der von den Beteiligten antizipierten Herstellung der späteren Brückenfertigteile ähnlich einer sogenannten PI-Platte im Fertigteilwerk, d.-h. mit Eintiefung der Rippen in einen Schalboden. Der Bewehrungskorb wurde schrittweise zusammengesetzt, wobei besondere Vorsicht im Bereich der Berührungspunkte der Stabbewehrung in drei Raumrichtungen mit applizierter Messtechnik geboten war (Abb.-6). Das bekannte Problem der gegenseitigen Durchdringung von gitterförmigen Bewehrungen (z.-B. [17]) wurde hier gelöst, indem alle verwendeten Gitter das gleiche Raster aufwiesen und bei dem von oben eingesteckten U-Profil als oberer Teil der Querkraftbewehrung im Steg die Längsfaserstränge im vertikalen Teil entfernt wurden. Abb.-6: Fertiger Bewehrungskorb vor Schließen der Seitenschalung (Grafik: IMB RWTH) Es wurden zwei Betonierabschnitte vorgesehen, damit die Entlüftung der Platte nicht durch einen geschlossenen Schaldeckel behindert wird und die Plattenoberseite glatt abgezogen werden konnte. Eine Aufkantung von ca. 10 cm soll der Forderung der Dichtigkeit im Eckbereich im Gebrauchszustand Rechnung tragen, d.-h. die Arbeitsfuge soll nicht genau in der Ecke zwischen Brückendeck und Rückwand liegen, die später der Entwässerung in Brückenlängsrichtung dient. Ob die reale Brücke ebenfalls mit Fuge oder monolithisch hergestellt wird, hängt von der Herstellbarkeit mit dem konkreten verwendeten Beton, sowie dem vorhandenen Schalungs- und Verdichtungssystem zusammen. Ein Herstellen in zwei Schritten ermöglicht die Schrägabstützung der Rückwand gegen die erhärtete Platte, ist aber aufwändiger und ggf. mit Nacharbeiten im Arbeitsfugenbereich verbunden. Die Herstellung und Prüfung mit Arbeitsfuge liefert mutmaßlich konservative Widerstände („auf der sicheren Seite“). Im ersten Betonierabschnitt war der Beton bei der Einbringung zu steif (Setzfließmaß t 500 = 12,9-s gemäß [18]), und das Umfließen der Bewehrung gelang nur bedingt. Nur durch händisches kleinschrittiges Verdichten und der Betonage von zwei Seiten konnte der Betonierabschnitt erfolgreich hergestellt werden. Durch Nachsteuerung der Fließmittelmenge konnte im zweiten Abschnitt die Konsistenz besser auf die vorherrschende Außentemperatur eingestellt werden (t 500 -= 5,6-s), und die Betonage gelang deutlich leichter. Der ausgeschalte Probekörper konnte in Bereichen mit mehreren überkreuzten Gitterlagen (Rahmeneckbereich des Steges) eine Unterschreitung der geplanten Betondeckung festgestellt werden. Hier ist im finalen Bauwerk mit zusätzlichen Abstandhaltern nachzusteuern. Insgesamt war die Qualität des finalen Bauteiles jedoch zufriedenstellend für die weitere experimentelle Untersuchung. Es muss aber klar festgehalten werden, dass die Grenze des noch sinnvoll herstellbaren Probekörpers mit der vorliegenden Geometrie und Bewehrungsführung erreicht wurde. In jedem Fall übertrifft die Komplexität der Bewehrungsanordnung alle bisher am IMB der RWTH Aachen im Bereich nichtmetallische Bewehrung hergestellten und geprüften Elemente. 5. Brückenkolloquium - September 2022 305 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert Abb.-7: Bauteilversuchskörper nach dem Ausschalen (Grafik: IMB RWTH) 4.3 Prüfung und Diskussion der Ergebnisse Die Vorbereitung des Großversuches stand unter dem Einfluss von vielen Unwägbarkeiten, da der finale Versagensmechanismus a priori nicht sicher vorhergesagt werden konnte. Wegen des potenziell spröden Bruchs, der sowohl bei Betonspalten, bei Betondruckstrebenversagen oder bei Bruch der nichtmetallischen Biegezug- oder Querkraftbewehrung auftritt, waren zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen für das beteiligte Personal erforderlich, z.-B. Schutzwände und Schrägabspannungen des oberen Widerlagers der Lasteinleitung (Abb.- 8). Der kritische Teil der Rahmenecke, bei dem es zum Verankerungsversagen der Stabbewehrung kommen sollte, wurde durch die Auflagerböcke des Trägers verdeckt um das Schädigungspotential von herumfliegenden Betonstücken zu minimieren (Abb.-8, gelbe Stahlböcke). Abb.-8: Probekörper im eingebauten Zustand vor der Prüfung (Foto: IMB RWTH) Insgesamt hat die Prüfung des Bauteils sehr gut funktioniert. Es kam zu keinerlei unerwartetem Verhalten, und die Messtechnik hat die Herstellung nahezu vollständig unbeschadet überstanden und war während des Versuchs funktional. Der Bruch kündigte sich durch ausgeprägte Biege- und Schubrissbildung im Steg, in der Platte und in der Rückwand an (Abb.-9). Das eigentliche Versagen war schließlich ein Verbundspalten ausgehend von den sechs horizontalen GFK-Stäben im Stegbereich, genauer im Druckbereich der Rahmenecke bei einer Prüflast von 162-kN. Bei dieser Last lag eine mittlere Dehnung von ca. 8-‰ im obersten der drei Lagen horizontale Stäbe vor, was einer Spannung von ca. 480-N/ mm² entspricht - mehr als die rechnerisch ansetzbare Bemessungszugfestigkeit dieses Materials (580/ 1,3-=446-N/ mm²). Interessanterweise kündigte sich auch dieses Versagen an: Schon vor Erreichen der Bruchlast war ein vertikaler Spaltriss an der Stirnseite des Steges in Verlängerung der sechs horizontalen GFK-Stäbe bei der Laststufe 120 kN durch Dehnungsabfall des dort außen auf dem Beton applizierten DMS erkennbar. Der Riss war makroskopisch auch vor dem Bruch sichtbar, zuletzt bei 150 kN, aber wurde zunächst durch die dort vorhandene CFK- Randeinfassung wirksam überbrückt. Erst bei weiterer Laststeigerung kam es zum Bruch der CFK-Formbewehrung in deren Umlenkung und dadurch zum Verlust der Umschnürungswirkung. Folglich konnte der Riss weiter aufgehen und den Steg vollständig spalten, was mit einem Verlust der globalen Tragfähigkeit des Bauteils einherging. Bei Verankerungsversagen durch Spalten ist der Einfluss durch Langzeiteffekte (z.-B. durch Kriechen oder Schädigung des Polymerharzes) mutmaßlich geringer als beim Verankerungsversagen durch Abscheren der Stabrippen. Letztes ist Grundlage für den Bemessungswert der ansetzbaren Verbundspannung aus [4], der an vollständig umschnürten Probekörpern im Langzeitverbundversuch ermittelt wurde. Gemäß EC2, Abschnitt 8.4.2 [19], ist für die Zugfestigkeit des Betons, die die Grundlage für die Berechnung der Verankerungslänge ist, im Kontext des Verbundes keine Dauerstandabminderung anzusetzen (ɑ ct -=-1,0). Vor diesem Hintergrund kann aus Sicht der Autoren durchaus eine Übertragung der Ergebnisse des Kurzzeitversuches in puncto Verankerung für die Bemessung der finalen Brücke vorgenommen werden, oder mindestens der Vergleich zwischen experimentell ermittelter Verbundfestigkeit (bei Spalten) zu theoretisch ansetzbarer Bemessungsverbundfestigkeit (gemäß Zulassung). In jedem Fall begründet sich aus der Auswertung die Forderung, dass die gesamte rechnerisch auftretende Spaltzugkraft aus der Verankerung der Stäbe durch Umschnürungsbewehrung abgedeckt werden muss. Andernfalls kann Verankerung der Stäbe rechnerisch nicht nachgewiesen werden. Konkret heißt das, dass zusätzlich zu den vorhandenen Randeinfassungen noch Umschnürungsprofile aus CFK um die horizontalen und vertikalen Stäbe nahe deren Ende eingebaut werden müssen. Die in [4] angegebenen Bemessungswerte der Verbundfestigkeit sind strenggenommen nur für verbügelte Querschnitte oder Platten mit Umschnürungswirkung der Stäbe ansetzbar, bei denen das globale Verbundspalten wirksam ausgeschlossen bzw. die aufgehenden Spaltrisse in ihrer Rissbreite wirksam begrenzt sind. Im Folgenden werden nur die Ergebnisse auf Bruchlastniveau diskutiert. Weder Biegenoch Querkrafttragfähigkeit waren in diesem Kurzzeitversuch am Bauteil maßgebend. Dies ersetzt allerdings keine Bemessung und keine Beurteilung auf theoretischer Basis, da die ansetzbaren Festigkeiten aus Langzeitversuchen insbesondere 306 5. Brückenkolloquium - September 2022 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert bei der GFK-Bewehrung erheblich niedriger sind als die Kurzzeitfestigkeiten und auf Basis des einen Versuches kein charakteristischer Widerstand abgeleitet werden kann. Allerdings ist ein Ergebnis dieses Großversuches, dass die Kombination aus verschiedenen Bewehrungstypen nicht zu unerwünschten Effekten (Abplatzungen, vorzeitiger Bruch von verbundsteiferer Bewehrung, etc.) geführt hat. Aus dem Rissbild lässt sich sehr gut auf den Spannungsverlauf in der Rahmenecke schließen, da die im Versuch erreichten Bewehrungsspannungen nah bei den planerisch angesetzten liegen. Es sei angemerkt, dass in der Planung ebenfalls das Verankerungsversagen der Stabbewehrung maßgebend für die Wahl des Bewehrungsquerschnitts war. Abb.-9: Rissbild nach Versuchsende und Detail der Verankerungszone mit Abplatzungen (Fotos: IMB RWTH) Das vom Planer angenommene Stabwerkmodell passt zum beobachteten Rissbild. Dies kann durch die Messergebnisse von DMS und FOS bestätigt werden. Zunächst lässt sich festhalten, dass die Messungen der verteilten Messung mit FOS sehr gut zu den punktuellen Ergebnissen der DMS passen (Abb.-10). Die Messung erfolgte auf zwei unterschiedlichen Stäben (Ho1/ Ho4) auf gleicher Höhenlage. Die Streuungen der kontinuierlichen Messung erklären sich teilweise durch die gefrästen Rippen der Stäbe, wie im Vorfeld an einaxialen Zugversuchen und einfachen 4-Punkt-Biegeversuchen erkannt wurde, teilweise sind sie dem FOS-System immanent. Da die Messung der Faser umfangsnah in einem eingefrästen Schlitz (Tiefe ca. 1-mm) erfolgt, sollten lokale Dehnungsspitzen nicht mit der mittleren Stabdehnung des ganzen Querschnittes gleichgesetzt werden. Eine Glättung (Trendlinie), wie bei der letzten Laststufe LS5 eingezeichnet, kann zur besseren Beurteilung vorgenommen werden. Von der Lasteinleitung links kommend steigt die Spannung in den Stäben in Abb.-10 zunächst nur geringfügig an und bleibt dann nahezu konstant. Dieses Plateau ist leicht mit der Voutengeometrie erklärbar und passt sehr gut zu den rechnerisch vorhergesagten Spannungen. Der steile Anstieg der Stabspannung beginnt schon deutlich vor dem Ende der Platte, da die in der ebenen CFK-Bewehrung der Platte vorhandenen Kräfte auf die Stäbe umgelagert werden müssen. Im Knoten selbst tragen dann fast ausschließlich die Stäbe, der Beitrag der monolithischen Platte-Rückwand-Verbindung ist vernachlässigbar, weil nicht der volle Bewehrungsquerschnitt (2 Lagen) biegesteif um die Ecke geführt werden kann. Von besonderem Interesse für die Beurteilung ist das Verhalten im Verankerungsbereich der Stäbe. Hier kommt es zunächst zu einem weiteren Plateau im direkten Knotenbereich, gefolgt von einem näherungsweise linearen Abfall der Stabdehnung von ca. 8-‰ auf knapp über 1,7-‰. Am Ende wird die Steigung allerdings sichtbar steiler. Durch die notwendige Terminierung der FOS endet die kontinuierliche Messung ca. 3,6-cm vor dem Stabende. Offensichtlich ist hier aber noch vergleichsweise hohe Kraft (ca. 32-kN) im Stab vorhanden. Würde man die mittlere Steigung der Dehnungskurve bis zum Stabende extrapolieren (Annahme konstante Verbundspannung über die Einbindelänge), könnte diese Kraft nicht verankert werden. Anders gesagt: Der in der Druckzone der Rahmenecke verankerte Teil des Stabes muss einen überproportionalen Anteil zur Verankerung liefern, gleichsam einem Endverankerungselement. Mit Blick auf das Rissbild in diesem Bereich und das Wissen um die schlechtere Verankerung in gerissenem Beton ist diese Beobachtung plausibel. Wenn nun am Stabende eine hohe Restkraft punktuell verankert werden muss, führt dies zu konzentriert wirkenden Spaltkräften. Diese überlagern sich mit den Querzugkräften aus der Druckbeanspruchung, die aus der Biegetragwirkung der Rahmenecke resultiert, und den inneren Umlenkkräften, die bei Umfließen der querdehnweichen Stabbewehrung entstehen. Der beobachtete Versagensmechanismus --Verbundspalten an der Stirnseite mit Bruch der Formbewehrung-- passt folglich sehr gut zu den Dehnungsmessungen am Stab. Die Formbewehrung war zunächst zur Begrenzung des Spaltrisses wirksam. Für eine effektive Kontrolle lagen aber zu wenige Faserstränge in Dickenrichtung des Steges im unmittelbaren Verankerungsbereich, und bei weiterer Laststeigerung brachen die Profile in ihrer Umlenkung. Hieraus ergeben sich zwei Forderungen: Erstens sollten die Stäbe so nah wie (aus optischen Gründen) möglich an die Stirnseite des Steges geführt werden. Zweitens sollte zusätzliche Formbewehrungen ähnlich einer Wendelbewehrung bei Spanngliedverankerung die Stäbe im 5. Brückenkolloquium - September 2022 307 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert Druckbereich der Rahmenecke umschnüren. Diese Bewehrung muss in der Lage sein, die gesamte ansetzbare Stabkraft einmal senkrecht zum Stab aufzunehmen. So bleibt die Rahmentragwirkung auch nach Spaltrissbildung intakt und der Gesamtwiderstand des Bauteils kann noch einmal gesteigert werden. Abb.-10: Auswertung der Faseroptischen und konventionellen Messtellen am Beispiel des obersten horizontalen Stabpaares (Grafik: IMB RWTH) 5. Fazit und Ausblick Im vorliegenden Projekt wurde an mehreren Stellen die Grenzen des aktuell im Bereich Betonbauteile mit nichtmetallischer Bewehrung Machbaren ein Stück weit neu definiert: Bei der Komplexität der nichtmetallischen Bewehrung als Kombination aus Stäben und Gittern, bei der Bewehrungsführung in der Rahmenecke mit öffnendem Moment, bei den geringen Querschnittsabmessungen in Verbindung mit einer anspruchsvollen Geometrie, und nicht zuletzt beim gemischten Nachweiskonzept. Dies gelang nur durch konstruktive Zusammenarbeit, Ausdauer und dem Willen von Planerinnen und Planern, Prüfenden, Bauherrin, Gutachern und der Zustimmungsbehörde etwas Außergewöhnliches zu schaffen. Das Einsparpotential an Beton und damit Eigengewicht und Reduktion des CO 2 -Fußabdrucks im Carbonbetonbau kann nur dann gehoben werden, wenn aufgelöste Geometrien in Verbindung mit Vouten und Vorspannung geplant werden. Bei minimaler Betondeckung und ausgedünnten Querschnittsabmessungen kann dann allerdings in stärkerem Maße als bei konventionellen Stahlbetontragwerken die Verankerung der Bewehrungselemente maßgebend für die globale Tragfähigkeit werden. Vom Planer dies zu verinnerlichen und kritisch zu hinterfragen, für welche Randbedingungen die vom Hersteller angegebenen Verbundkennwerten für Stäbe, Gitter und Formprofile Gültigkeit besitzen. Wirklich sinnvoll ist die Bauweise mit nichtmetallischer Bewehrung aber erst dann, wenn z.-B. in der Planung bewusst wartungsarm konstruiert wird und in Verbindung mit dem Verzicht auf Abdichtungs- und Schutzschichten ein---über den Lebenszyklus gerechnet---kosteneffizientes Tragwerk entsteht. Es soll also nicht nur Stahl substituiert werden, sondern gänzlich anders konstruiert werden. Im hier beschriebenen Brückentragwerk ergänzen sich stabförmige Bewehrungen und verteilte gitterförmige Bewehrungen und Formprofile sinnvoll. Wie bereits in [16] erkannt muss nicht starr zwischen Stab und Gitter unterschieden werden, sondern das Bauen mit nichtmetallischer Bewehrung muss vom fließenden Übergang und von der geschickten Wahl eines angepassten Bewehrungsquerschnittes geprägt sein. Das anspruchsvolle Tragwerk der Brücke über die Ludwigsburger Straße kann zum aktuellen Zeitpunkt nur durch Verbindung von verschiedenen Nachweisformen, theoretischen Betrachtungen und Nutzung von neuen Versuchsergebnissen realisiert werden: lineare und nichtlineare 3D-FE-Rechnung, Bauteilversuch, Kleinkörperversuche, und langjährige Erfahrung der Beteiligten mit den verwendeten Werkstoffen. Moderne Messtechnik wie FOS und DIC unterstützen bei der Beurteilung von Versuchsergebnissen, ersetzen aber nicht das notwendige ingenieurmäßige Denken und Konstruieren bei allen Beteiligten. Durch die geplante Richtlinie „Betonbauteile mit nichtmetallischer Bewehrung“ des DAfStb werden für die Planung und Prüfung standardisierte Regeln vorgeschlagen, die das Bauen mit Carbonbeton sicherlich deutlich erleichtern, aber kein Planungsschema für jeden Fall darstellten. Die grundlegende Wahl des richtigen Tragwerkes, passenden Materials und geeigneten Nachweiskonzepts für den jeweiligen Zweck bleibt also auch zukünftig die spannende und herausfordernde Aufgabe der planenden Ingenieurinnen und Ingenieure. 6. Danksagung Die Autoren bedanken sich bei allen Projektbeteiligten für die gute Zusammenarbeit in diesem anspruchsvollen Projekt. Der Schöck Bauteile GmbH sei für die Bereitstellung des stabförmigen GFK-Bewehrungsmateriales für die Vor- und Hauptversuche gedankt. Literatur [1] Bielak, J.; Will, N.; Hegger, J. 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(2021) Enhancing shear capacity of thin slabs with CFRP shear reinforcement: Experimental study in: Structural Concrete 22. https: / / doi.org/ 10.1002/ suco.202100325 [6] DIN EN 206: 2021-06 (Juni 2021) Beton - Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität - Deutsche Fassung EN 206: 2013+A2: 2021. Berlin: Beuth. [7] DIN 1045-2: 2008-08 (August 2008) Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton - Teil 2: Beton - Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität - Anwendungsregeln zu DIN EN 206-1. Berlin: Beuth. [8] Bielak, J. et al. (2021) Sanierung des Rheinstegs bei Albbruck mit Carbonbeton in: Beton- und Stahlbetonbau 116, H. 7, S. 488-497. https: / / doi. org/ 10.1002/ best.202100024 [9] Dehn, F.; Wiens, U. (2022) Beton in: Bergmeister, K.; Fingerloos, F.; Wörner, J.-D. [Hrsg.] Beton-Kalender 2022: Schwerpunkte: Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Instandhaltung. Berlin: Ernst & Sohn, S. 5-172. [10] Heiermann, T.; Vollpracht, A. 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Brückenkolloquium - September 2022 309 Erste Straßenbrücke aus Carbonbeton - Erfahrungen und Erkenntnisse aus Planung und Bau Sebastian May CARBOCON GMBH, Dresden, Deutschland Alexander Schumann CARBOCON GMBH, Dresden, Deutschland Enrico Lorenz Curbach Bösche Ingenieurpartner - Beratende Ingenieure PartG mbB, Dresden, Deutschland Straßenbauverwaltung des Freistaats Sachsen Zusammenfassung Am 22.12.2021 wurde bei Wurschen auf der Staatsstraße 111 über das Kuppritzer Wasser die erste Straßenbrücke in Sachsen aus Carbonbeton für den öffentlichen Verkehr freigegeben. Wegen der zu erwartenden besseren Dauerhaftigkeit und der damit verbundenen längeren Nutzungsdauer gegenüber Stahlbeton entschied sich der Bauherr (Freistaat Sachsen) beim Ersatzneubau im Rahmen eines Pilotprojektes für den Baustoff Carbonbeton. Hierbei sollen neben dem Sammeln von Erfahrungen mit dem neuen Baustoff auch Erkenntnisse gewonnen werden, ob durch die Beständigkeit der Carbonbewehrung die Lebenszyklus-/ Wartungskosten der Brücke signifikant reduziert werden können. Durch diese Vorteile könnte ein wesentlicher Teil zum Erreichen der gesetzten Klimaziele beigetragen werden. Im Rahmen des Beitrages werden neben der Planung des Brückenneubaues auch die Versuchsplanung/ -durchführung sowie der gutachterliche Genehmigungsprozess für die Zustimmung im Einzelfall (ZiE)/ vorhabenbezogene Bauartgenehmigung (vBG) gezeigt. Darüber hinaus werden Erkenntnisse aus der Bauausführung vorgestellt 1. Einleitung und Hintergrund zur Baumaßnahme Ein großer Schwachpunkt bestehender und älterer Stahlbetonbauwerke ist die Korrosionsanfälligkeit der Betonstahlbewehrung. Die Korrosionsanfälligkeit wird durch korrespondierende korrosionsfördernde Effekte wie eine verstärkte Rissbildung bzw. Durchfeuchtungen und konstruktive Schäden begleitet. Infolge den insbesondere bei Straßenbrücken einwirkenden Chloriden bzw. nach dem Erreichen der zulässigen Karbonatisierungstiefen können hierbei teilweise massive Schäden und Abrostungen am Brückenbestand entstehen. Zudem ist besonders durch den starken Anstieg des Schwerverkehrs im deutschen Straßennetz eine deutliche Erhöhung der ermüdungsrelevanten Beanspruchungen der Bestandsbrücken nachweisbar, wodurch bei einem weiteren Teil der betroffenen Bauwerke die Ermüdungsfestigkeit der Stähle erreicht wird [1]. Schädigungen der Bauwerke durch die dargestellten Einflussfaktoren erfordern daher im Zuge der Nutzungsdauer kostenintensive Instandsetzungen. Häufig ist bereits nach 40 bis 70 Jahren intensiver Nutzung die Herstellung von Ersatzneubauten erforderlich [2]. Demgegenüber besitzen Carbonbewehrungen und daraus hergestellte Carbonbetonbauteile eine nachgewiesene Korrosionsbeständigkeit sowie eine hohe Dauerhaftigkeit gegenüber im Bauwesen auftretenden Medien. Die im Vergleich zu Betonstahl deutlich gesteigerte Ermüdungsfestigkeit des Carbons ist zudem mit einer sehr hohen Zugfestigkeit gepaart. Die Carbonbetonbauweise ist somit eine wertvolle Alternative für die Herstellung zukunftsfähiger Brückenneubauten. Schäden durch Korrosion oder Ermüdungsprobleme der Bewehrungen können somit für zukünftige Carbonbetonbauwerke ausgeschlossen werden. Dies ermöglicht perspektivisch eine Minimierung des Erhaltungsaufwandes, der Wartungszyklen sowie der Lebenszykluskosten und eine Verlängerung der Standzeiten von Brücken. Aufgrund der Vorteile von Carbonbeton für die Herstellung neuer und innovativer Bauwerke entschied die sächsische Straßenbauverwaltung im Jahre 2018, als Pilotprojekt, Sachsens erste Straßenbrücke mit einem voll- 310 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erste Straßenbrücke aus Carbonbeton - Erfahrungen und Erkenntnisse aus Planung und Bau ständig aus Carbonbeton hergestellten Brückenüberbau zu bauen. Als Bauherrenvertretung fungierte federführend die LISt Gesellschaft für Verkehrswesen und ingenieurtechnische Dienstleistungen mbH. Die planerische Umsetzung des Projektes erfolgte durch das Ingenieurbüro cbing in Zusammenarbeit mit der CAR- BOCON GMBH aus Dresden, welche gemeinsam mit dem Institut für Massivbau der Technischen Universität Dresden die wissenschaftlichen und gutachterlichen Zuarbeiten im Projekt übernahmen. Als Prüfingenieur fungierte Herr Prof. Dr.-Ing. J. Hegger aus Aachen. Die Bauausführung oblag der Hentschke Bau GmbH, Bautzen. Die Umsetzung des Pilotprojektes erfolgte in Ostsachsen, ca. 80 km östlich von Dresden in der Ortslage Wurschen im Landkreis Bautzen. Im Zuge der Baumaßnahme wurde, aufgrund des mangelhaften Erhaltungszustandes, die bestehende marode Stahlbetonplattenbrücke abgerissen und durch die im Rahmen der vorliegenden Veröffentlichung dargestellte Carbonbetonbrücke ersetzt. 2. Planung des Ersatzneubaus aus Carbonbetons Die Planung des Bauwerks erfolgte unter Beachtung der spezifischen Materialeigenschaften und Konstruktionsgrundlagen von Carbonbeton. Besonders im Zuge der Bemessung und konstruktiven Durchbildung der Bauteile wurden verschiedene Bemessungsansätze und Konstruktionsdetails mit den beteiligten Partnern im Projekt entwickelt und abgestimmt. Infolge der aktuell noch fehlenden normativen Bemessungsgrundlagen für Carbonbeton waren im Vorfeld des Projektes umfassende Voruntersuchungen erforderlich. In Zusammenarbeit mit den Projektpartnern der CARBOCON GMBH sowie des Instituts für Massivbau der TU Dresden wurden umfassende Material- und Bauteiluntersuchungen durchgeführt. Die Ergebnisse der Untersuchungen werden in Abschnitt 3 beschrieben. Nach dem Vorliegen der Ergebnisse der Materialuntersuchungen erfolgte im Zuge einer Machbarkeitsstudie die Betrachtung unterschiedlicher Ausführungsvarianten. Neben der Optimierung des Brückenquerschnittes wurden sowohl eine Halbfertigteilvariante wie auch eine vorgespannte und eine schlaff carbonbewehrte Ortbetonvariante untersucht. Nach der Bewertung der Ergebnisse der Voruntersuchungen erfolgte die Entscheidung zur Umsetzung der schlaff carbonbewehrten Ortbetonvariante aus technischen und wirtschaftlichen Gründen (u. a. Randbedingungen durch Spannweite), siehe Abbildung 1. Die Stützweite des neuen Bauwerks beträgt 6,60 m. Die Bauwerksbreite liegt bei 11,60 m. Auf der Brücke wurden beidseitig Kappen inklusive Füllstabgeländer und Schutzeinrichtungen angeordnet. Während die Herstellung der Unterbauten in üblicher Stahlbetonbauweise erfolgte, wurden der Brückenüberbau sowie die Randkappen mithilfe der neu entwickelten Carbonbetonbauweise realisiert. Die Querschnittsgeometrie der linsenförmigen Plattenbrücke wurde hierbei auf die Carbonbetonbauweise angepasst. Abbildung 1: Längsansicht und Querschnitt des Brückenbauwerks (Foto: cbing) Die Bemessung des Bauwerkes erfolgte unter Beachtung des Lastmodells LM1 sowie des Ermüdungslastmodells LM3 der DIN EN 1991-2 [6]. Die Lasten entsprechen den normativen Regellasten für Straßenbrücken. Im Rahmen der Planung des Brückenüberbaus und der Randkappen wurden unterschiedliche Materialien und Materialkombinationen berücksichtigt. Als Stabbewehrungen kamen neuartige Carbonstäbe der sächsischen Firma Action Composites aus Kesselsdorf zum Einsatz. Die Carbonflächenbewehrungen vom Typ „solidian Grid Q95/ 95-CCE-38“ wurden von der solidian GmbH aus Albstadt geliefert. Für den Überbau wurde ein Beton der Festigkeitsklasse C50/ 60 nach DIN 1045-2 [4] und DIN EN 206 [5] verwendet. Die Herstellung der Kappen erfolgte mithilfe eines Luftporenbetons der Festigkeitsklasse C30/ 37. 3. Planung und Durchführung der Bauteilversuche für die ZiE/ vBG In Deutschland gelten im Brücken- und Ingenieurbau der Bundesfernstraßen die Regelwerke des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV). So sind im Bereich des Entwurfs bzw. der Planung u. a. die RE-ING (Richtlinien für den Entwurf, die konstruktive Ausbildung und Ausstattung von Ingenieurbauten) oder RAB-ING (Richtlinien für das Aufstellen von Bauwerksentwürfen für Ingenieurbauten) zu berücksichtigen. Im Bereich der Bauausführung sind u. a. die Regeln der ZTV-ING (Zusätzlich Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten) zu beachten. Auch im Bereich der Erhaltung von Brücken-/ Ingenieurbauwerken gibt es Regelwerke, eine vollständige Auflistung aller Regelwerke ist unter www.bast.de zu finden. Diese Regelwerke fassen die allgemein anerkannten der Regeln 5. Brückenkolloquium - September 2022 311 Erste Straßenbrücke aus Carbonbeton - Erfahrungen und Erkenntnisse aus Planung und Bau der Technik im Brücken-/ Ingenieurbau zusammen. Der Werkstoff Carbonbeton ist hier aktuell noch nicht berücksichtigt. Aufgrund fehlender Normungen bzw. Richtlinien zum Werkstoff Carbonbeton müssen in Deutschland im Rahmen des baurechtlichen Genehmigungsprozesses entweder allgemeine bauaufsichtliche Zulassungen (abZ)/ allgemeine Bauartengenehmigungen (aBG) vom DIBt (Deutsches Institut für Bautechnik) verwendet oder sogenannte Zustimmungen im Einzelfall (ZiE)/ vorhabenbezogene Bauartengenehmigungen (vBG) bei der obersten Bauaufsichtsbehörde des betreffenden Bundeslandes eingeholt werden. Die erteilte ZiE/ vBG ermöglicht dem Bauherrn baurechtlich abweichend von allgemein anerkannten Regeln der Technik ein konkretes Bauwerk planen und umsetzen zu können. Da sich die Brücke auf der Staatsstraße 111 befindet, war das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (SMWA) für die Erteilung der ZiE zuständig. Aufgrund langjähriger Erfahrungen im Bereich der Genehmigungen zum Carbon-/ Textilbeton in Sachsen, band das SMWA die Landesstelle für Bautechnik im gutachterlichen Bewertungsprozess mit ein. Wie bereits genannt, begann sowohl die Fach- und Objektplanung als auch die Planung der ZiE/ vBG der ersten Straßenbrücke aus Carbonbeton im Jahr 2018. Als Bauherrenvertreter für das Pilotprojekt bzw. als Antragsteller für die baurechtlichen Genehmigungen fungierte die LISt Gesellschaft für Verkehrswesen und ingenieurtechnische Dienstleistungen mbH. Als Gutachter wurde die CARBOCON GMBH sowie das Institut für Massivbau der Technischen Universität Dresden beauftragt. Nachdem zunächst die Randbedingungen und Anforderungen (u. a. Expositionsklasse, Beanspruchungen, Baumaterialien) an die erste Straßenbrücke aus Carbonbeton von den Beteiligten definiert wurde, konnte eine Vorhabenbeschreibung zur ZiE/ vBG erstellt sowie ein Versuchskonzept erarbeitet werden. Hierbei wurden von Anfang an die später notwendigen Behörden für die baurechtlichen Genehmigungen mit eingebunden, damit es zu keinen zeitlichen Verzögerungen kommt. Durch eine Literaturrecherche sowie durch die Verwendung von Ergebnissen des C³-Vorhabens „Carbon Concrete Composite“ [3] konnte das Versuchsprogramm auf ein Minimum beschränkt werden. Da die spätere Ortbeton-Ausführung mit einem konventionellen Normalbeton der Druckfestigkeitsklasse C50/ 60 nach DIN 1045-2 [4] und DIN EN 206 [5] erfolgen sollte, mussten im Rahmen der Versuche „nur“ die Kennwerte der Carbonbewehrung selber und im Verbund mit dem Beton unter Einbeziehung der äußeren Randbedingung ermittelt werden. Folgende Kleinbauteilversuche an den Materialien (Carbonstab und Carbongitter (Gitter in Kett- und Schussrichtung)) wurden durchgeführt bzw. aus dem C³ [3] verwendet: - Zugtragverhalten Carbonstab bei 20 °C/ 80 °C - Zugtragverhalten Carbongitter im Beton bei 20 °C/ 80 °C - Verbundverhalten Carbonstab im Beton bei 20 °C/ 80 °C - Verbundverhalten Carbongitter im Beton bei 20 °C/ 80 °C - Dauerstand-Zugverhalten Carbonstab im Beton - Dauerstand-Zugverhalten Carbongitter im Beton - Dauerstand-Verbundverhalten Carbonstab im Beton - Dauerstand-Verbundverhalten Carbongitter im Beton - Zyklisches Zugverhalten Carbonstab - Zyklisches Zugverhalten Carbongitter im Beton - Beständigkeit Carbonstab/ -gitter u. a. gegen Frost- Tausalz-Beanspruchung Zur Übertragbarkeit bzw. Bestätigung der Materialkennwerte auf Frostbeständigkeit wurden ausgewählte Versuche bei -18°C durchgeführt. Abbildung 2: links: Zugverhalten Carbongitter bei 80 °C; rechts: Zugverhalten Carbonstab bei 80 °C (Foto: CARBOCON GMBH) Diese Kleinbauteilversuche (siehe Abbildung 2) wurden 2018/ 2019 durchgeführt und bestätigten die ersten Annahmen (u. a. Festigkeiten, Abminderungsfaktoren) im Projekt. Aufbauend auf den Ergebnissen und Erkenntnissen der Kleinbauteilversuche, den Vorgaben der Fach-/ Objektplanung sowie den Randbedingungen des beteiligten Prüflabors (Otto-Mohr-Laboratorium der TU Dresden) wurden vier Großbauteilversuche hinsichtlich nachzuweisender Beanspruchung und Versagensart geplant, im Fertigteilwerk bei Hentschke Bau in Bautzen hergestellt und anschließend statisch und zyklisch geprüft. Hierbei mussten vorab die Laborkapazitäten hinsichtlich der Abmessungen des Prüfstandes für die Bauteile (Länge/ - Breite/ -Höhe = 7,2 m/ 1,0 m/ 0,5 m), der Hallen-/ Kranlogistik (Bauteilgewicht = 8,64 to), statische (kalkuliertes Biege-/ Querkraftversagen = 1.400 kN/ 700 kN) und zyklische Prüflastkapazität (2,0 Mio. Lastwechsel) rechtzeitig berücksichtigt und im Prozess koordiniert werden. Die in Abbildung 3 gezeigt Prüfmaschine kann bis zu 10 MN auf Druck bei maximalen Prüfkörperabmessungen bis B × L × H = 2,5 × 15,0 × 3,7 m prüfen. 312 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erste Straßenbrücke aus Carbonbeton - Erfahrungen und Erkenntnisse aus Planung und Bau Die Großbauteilversuche wurden an einem „1m-Streifen“ des Überbaus durchgeführt. Folgende Großbauteilversuche erfolgten: - Mittelträger MT1 - statisch - Mittelträger MT2 - zyklisch über 2,0 Mio. Lastwechsel - Mittelträger MT3 - zyklisch über 2,0 Mio. Lastwechsel - Randträger RT (reduzierte Querschnitt im Bereich Übergang zur Brückenkappe) - statisch Abbildung 3: statische Bauteilprüfung (Foto: CARBO- CON GMBH) Die Lasteinleitung erfolgte über zwei Querträger (1,2 m Abstand) entsprechend dem Belastungsmodell des Lastmodells LM1 [6]. Für die zyklischen Nachweise wurde das maßgebende Bemessungslastniveau des Ermüdungslastmodells 3 (LM3) [6] verwendet und an zwei Bauteilen experimentell nachgewiesen. Das nachzuweisende Lastniveau sieht eine Unterbzw. Oberlast von 75,0 kN bzw. 181,9 kN am Querschnitt vor. Auf der sicheren Seite liegend wurden dabei die Lastniveaus nochmal um den Faktor 1,3 (MT3) bzw. 1,4 (MT2) erhöht. Die Bauteile wurden über eine Lastwechselzahl von 2,0 Mio. experimentell beansprucht, anschließend wurden Resttragfestigkeiten ermittelt, siehe nachfolgendes Diagramm. Diagramm 1: Last-Verformungsdiagramm der Großbauteilversuche (Grafik: CARBOCON GMBH) Wie im Diagramm 1 zu erkennen ist, versagten alle Bauteile oberhalb der nachzuweisenden Beanspruchung bzw. Referenzlast. Der erste Träger MT1 wurde dabei bis zum Bruch (888,6 kN) belastet (siehe Abbildung 4). Wie rechnerisch vorab kalkuliert, versagte das Bauteil infolge Schub. Die anderen drei Bauteilversuche wurden mit Öffnen des Schubrisses abgebrochen, damit die bei Bauteilversagen freiwerdende Bruchlast die Labortechnik nicht beschädigt. Die statischen Versagenslasten (Lastniveau beim Abbruch) lagen für den Träger RT bei 756,9 kN, für den Träger MT2 bei 798,1 kN und für den Träger MT3 bei 782,1 kN. Abbildung 4: Schubversagen des statisch geprüften Mittelträgers (Foto: CARBOCON GMBH) Auf Grundlage des Gutachtens sowie eines weiteren Ergänzungsgutachtens konnten die Landestelle für Bautechnik sowie das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (SMWA) die ZiE/ vBG zur Umsetzung des Pilotprojektes im Herbst 2020 erteilen. 4. Ausführung der Baumaßnahme Nach dem Abschluss der Planungen erfolgte der Beginn der Baumaßnahme im Frühjahr des Jahres 2021. Im Anschluss an die Fertigstellung der Unterbauten und des Traggerüstes konnte im Oktober 2021 der Einbau der unteren Carbonbewehrungslagen erfolgen, siehe Abbildung 5. Abbildung 5: Einbau der unteren Carbonbewehrungslagen (Foto: cbing) Abbildung 6 und Abbildung 7 zeigen den nahezu vollständig hergestellten Carbon-Bewehrungskorb des Überbaus sowie die Betonage des Überbaus mit einem Transportbeton. Auch hier wurde bereits im Vorfeld der Baumaßnahme die Betoniertechnologie im Rahmen der Bauteilversuche untersucht und optimiert. 5. Brückenkolloquium - September 2022 313 Erste Straßenbrücke aus Carbonbeton - Erfahrungen und Erkenntnisse aus Planung und Bau Abbildung 6: Carbon-Bewehrungskorb des Überbaus (Foto: cbing) Abbildung 7: Betonage des Überbaus (Foto: CARBO- CON GMBH) Nach der Herstellung der Carbonbetonkappen erfolgten anschließend die erforderlichen Restarbeiten zur Abdichtung und Einschüttung des Bauwerks, dem vollständigen Einbau des Bachbetts, der Herstellung des Fahrbahnaufbaus sowie der Geländer und Schutzeinrichtungen. Abbildung 8 zeigt die Seitenansicht des fertiggestellten Bauwerks. Abbildung 8: Betonage des Überbaus (Foto: cbing) 5. Probebelastung im Rahmen der ZiE/ vBG Abschließend wurde zur Bestätigung der Ergebnisse der Statik sowie den Erkenntnissen und Vorgaben des Gutachtens eine Probebelastung mit Monitoring der fertiggestellten Brücke aus Carbonbeton durchgeführt. Diese vorzeitige Belastung (Abbildung 9) erfolgte vor Brückenfreigabe und war ebenso eine Forderung der ZiE/ vBG und diente der Kontrolle der Verformungen, Rissbreiten und Dehnungen zwischen Bemessung und realer Bauteilbeanspruchung. Aufgrund ausreichender Sicherheiten im Rahmen der Brückenbemessung und des Gutachtens zu den Materialkennwerten, wäre eine Probebelastung nicht zwingend erforderlich gewesen. Abbildung 9: Probebelastung (Foto: SENSICAL GmbH) Zur Messung der Dehnung im Stab wurden Messfasern - sogenannte „Fiber-In-Metal-Tubes“ (FIMT) - verwendet und über die komplette Länge der Carbonstäbe geklebt (siehe Abbildung 10). Mit den Fasern kann eine kontinuierliche Messung der Dehnungen entlang der Faserlänge mit einer Auflösung im Zehntel-Millimeter-Bereich erzielt und somit sowohl die Dehnung der Bewehrung im Riss als auch im ungerissenen Bereich ermittelt werden. Nach dem Einbau der Messfasern an den Carbonstäben erfolgte eine Initialmessung, um den Dehnungsnullzustand der Messfasern zu bestimmen. Zur Ermittlung der Dehnung innerhalb des Betons wurden ebenfalls FIMT- Glasfasern verwendet. Diese Fasern wurde jedoch direkt innerhalb des Brückenquerschnittes angeordnet und einbetoniert. Abbildung 10: Aufbau Messbereich in der Biegezugzone (Schwarzes Kabel: Punktuelle Temperaturmessung, rotes Kabel: Temperaturmessfaser Beton, grüne Linie: Dehnungsmessfaser Carbonstab, blaues Kabel: Dehnungsmessfaser Beton; Foto: CARBOCON GMBH) Des Weiteren wurden zum Bestimmen des Einflusses der Bauwerkstemperatur auf die Dehnungswerte der Messfasern zusätzlich Temperaturmessfasern in den Überbauquerschnitt eingebaut. Bei diesen Fasern handelt es sich 314 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erste Straßenbrücke aus Carbonbeton - Erfahrungen und Erkenntnisse aus Planung und Bau um dehnungsentkoppelte Fasern, die lediglich die aus der Temperaturveränderung auftretende Dehnung aufnehmen. Zur Messung der absoluten Temperatur wurden ebenso punktuelle Temperatursensoren in den Brückenüberbau verbaut. Die Belastungsversuche wurden durch den Tragwerksplaner vorgegeben. Vorgesehen wurden dabei sowohl statische als auch dynamische Belastungsarten. Bei einer statischen Belastung wurden die in Abbildung 9 gezeigten Belastungsfahrzeuge in Schrittgeschwindigkeit auf den Brückenüberbau entsprechend gewünschter Laststellung angeordnet und 60 Sek. in Position stehen gelassen. Bei den dynamischen Messungen fuhren die Fahrzeuge mit einer Geschwindigkeit von 20 km/ h in unterschiedlichen Beanspruchungssituationen über die Brücke. In Summe erfolgten dabei 18 Belastungsversuche (9 statische und 9 dynamisch) inklusive Monitoring. Aufgrund statischer Reserven (u. a. Einspannwirkung durch das Betongelenk) sind die gemessenen Dehnungen bzw. die sich daraus ableitenden Spannungen an der Ober- und Unterseite des Überbaus geringer ausgefallen als ursprünglich im Rahmen der Statik berechnet. Die gemessenen Betonstauchungen (-0,053 ‰) lagen dabei bei 63 % der rechnerischen Stauchungen (-0,084 ‰) an der Oberseite und die experimentell aufgenommen Dehnungen (0,12 ‰) bei 27 % im Vergleich zum Bemessungsmodell (0,444 ‰). Die Dehnungen wurden dabei in Feldmitte in Brückenlängsrichtung aufgenommen. Die an der Ober-/ Unterseite gemessenen vertikalen Verformungen (Durchbiegungen) in Feldmitte lagen bei 0,67 mm / 0,53 mm und damit bei 28 % / 27 % der numerisch berechneten Durchbiegungen mit 2,41 mm / 1,97 mm. 6. Fazit Das Pilotprojekt „Straßenbrücke aus Carbonbeton“ wurde im Sommer 2018 mit Planung und gutachterlicher Begleitung begonnen, 2020 planerisch fertiggestellt und im Jahr 2021 ausgeführt und für den öffentlichen Verkehr freigegeben. Begleitend zur Planung erfolgte die Koordinierung und Einholung einer baurechtlich notwendigen ZiE/ vBG. Trotz des Pilotprojekt-Charakters konnten alle Beteiligten im Projekt durch fachliches Mitwirken und einen interdisziplinären Austausch den vom Bauherrn vorgegeben Zeitplan einhalten und somit eine erfolgreiche Umsetzung der ersten Straßenbrücke aus Carbonbeton ermöglichen. Trotz fehlender Normung können innovative und nachhaltige Projekte im Bauwesen durch eine ZiE/ vBG unter gemeinsames Mitwirken aller erfolgreich umgesetzt werden. Abschließend möchten sich die Autoren bei allen Projektbeteiligten für die sehr gute Zusammenarbeit und den fachlichen Austausch bedanken. Besonderer Dank gilt an dieser Stelle dem Freistaat Sachsen für die Umsetzung eines solchen Pilotprojektes. Literatur [1] Naumann, J.: Brückenertüchtigung jetzt - Ein wichtiger Beitrag zur Sicherung der Mobilität auf Bundesfernstraßen. In: DBV - Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E. V. (Hrsg.), DBV-Heft 22, Berlin, 201 [2] Riegelmann, P.; May, S.; Schumann, A.: Das Potential von Carbonbeton für den Brückenbestand - das ist heute schon möglich! In: 30. Dresdner Brückenbausymposium - Ergänzungsband 2021; Planung, Bauausführung, Instandsetzung und Ertüchtigung von Brücken; 8./ 9. August 2021, Dresden. [3] Homepage des Projekts C³ - Carbon Concrete Composite: https: / / www.bauen-neu-denken.de/ . Zugriff am: 17.06.2022 [4] DIN 1045-2 (2008-08): Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton - Teil 2: Beton - Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität - Anwendungsregeln zu DIN EN 206-1. [5] DIN EN 206-1 (2001-07): Beton - Teil 1: Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität; Deutsche Fassung EN 206-1: 2000/ A1: 2004. [6] DIN EN 1991-2 (2010-12) Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke - Teil 2: Verkehrslasten auf Brücken; Deutsche Fassung EN 1991-2: 2003 + AC: 2010. Normen und Regelwerke 5. Brückenkolloquium - September 2022 317 Auswirkungen der geänderten Nachweisverfahren in prEN 1992-1-1: 2021 für die Begrenzung der Rissbreiten bei Stahlbeton-, Spannbeton- und Verbundbrücken Eva Stakalies M. Sc. TU Dortmund, Dortmund, Deutschland Univ. Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer TU Dortmund, Dortmund, Deutschland Dipl.-Ing. (FH) Fabian Kischkewitz M. Eng. Bergische Universität Wuppertal, Wuppertal, Deutschland Univ. Prof. Dr.-Ing. Bernd Naujoks Bergische Universität Wuppertal, Wuppertal, Deutschland Zusammenfassung Die Überarbeitung der 2010 für Bauwerke (bzw. 2012 für Brückenbauwerke) in Deutschland bauaufsichtlich eingeführten Regelwerke - der Eurocodes - gemäß Mandat M/ 515 der Europäischen Kommission [1] findet aktuell in den einzelnen Gremien (Working Groups) des CEN statt. Im Rahmen eines Forschungsvorhabens wurden daher die Auswirkungen der Fortschreibung des Eurocodes 2 [2] auf die Bemessung und Konstruktion von Brückenbauwerken aus Spannbeton, Stahlbeton und Stahl-Beton-Verbund untersucht und bewertet. Dabei werden die drei Schwerpunktthemen „Querkrafttragfähigkeit“, „Begrenzung der Rissbreite bei Betonbrücken“ und „Begrenzung der Rissbreite bei Verbundbrücken“ bearbeitet. Nachfolgend werden die Themen „Begrenzung der Rissbreiten bei Betonbrücken“ und „Begrenzung der Rissbreite bei Verbundbrücken“ behandelt. Hierfür wurden zunächst die theoretischen Hintergründe der aktuell gültigen Konzepte mit den fortgeschriebenen Konzepten des Eurocodes 2 verglichen und die abweichenden Grundlagen dargestellt. Darauf auf bauend wurden umfangreiche Vergleichsrechnungen zu den einzelnen konkreten Nachweisformaten durchgeführt und deren Ergebnisse ausgewertet. Abschließend wurden Handlungsempfehlungen für die aktuelle Normenarbeit in den entsprechenden Gremien erarbeitet. 1. Einleitung Ein wichtiges Kriterium zur Erfüllung der Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit einer Spannbeton-, Stahlbeton- oder Verbundkonstruktion sind die Rissbreiten im Beton. Diese gilt es auf unschädliche Grenzwerte zu begrenzen. Dabei kommt geeigneten Nachweisverfahren eine entscheidende Bedeutung zu, im Hinblick auf eine sichere und zugleich wirtschaftliche Bemessung. Der Fragestellung zur Ermittlung einer wirtschaftlichen Mindestbewehrung zur Rissbreitenbeschränkung kommt nicht zuletzt hinsichtlich des Aspekts einer ressourcenschonenden Nutzung der zur Verfügung stehenden Materialien eine hohe Bedeutung zu. Der vorliegende Bericht vergleicht die Ansätze zur Begrenzung der Rissbreite gemäß DIN EN 1992-2 [1] und DIN EN 1992-2/ NA [2] sowie DIN EN 1994-2 [3] und DIN EN 1994-2/ NA [4] mit den Ansätzen aus dem Entwurf prEN 1992-1-1: 10-2021 [5] im Hinblick auf die Auswirkungen für die erforderliche Bewehrungsmenge zur Rissbreitenbeschränkung bei typischen Querschnitten von Brückenüberbauten sowie bei Widerlagerwänden. Ziel der Vergleichsbetrachtung soll sein, eine qualitative Aussage zu den Auswirkungen der neuen Ansätze im Vergleich zu den aktuellen Ansätzen besonders auf die Menge der erforderlichen Mindestbewehrung bei Brückenüberbauten und Widerlagerwänden zu machen sowie diese zu quantifizieren. 2. Regelungen gemäß prEN 1992-1-1 [10-2021) [5] Auf eine genaue Herleitung der Formeln in Abschnitt 9.2 der Norm wird an dieser Stelle verzichtet und stattdessen auf den Abschlussbericht des Forschungsberichtes [6] verwiesen. Um einige der gezogenen Schlussfolgerungen besser nachvollziehen zu können, werden an dieser Stelle die maßgebenden Formeln aufgeführt. Die Formelnummerierung entspricht der aktuellen Fassung in [5]. Die einzelnen neuen Faktoren werden hier der Übersichthalber nicht erläutert. Siehe hierzu die Norm [5] sowie den Abschlussbericht [6]. 2.1 Mindestbewehrung zur Begrenzung der Rissbreiten Abweichend vom bisherigen Konzept wird die Mindestbewehrung nun über drei Formeln in Abhängigkeit des Beanspruchungszustandes ermittelt. 318 5. Brückenkolloquium - September 2022 Auswirkungen der geänderten Nachweisverfahren in prEN 1992-1-1: 2021 für die Begrenzung der Rissbreiten Abb. 1: Formeln aus prEN 1992-1-1 [5] 2.2 Vereinfachte Begrenzung der Rissbreiten Abweichend vom bisherigen Konzept wird die zulässige Spannung in Abhängigkeit des Stabdurchmessers bzw. des Stababstandes nicht mehr über Tabellen abgegriffen, sondern über Formeln direkt berechnet. Abb. 2: Formeln aus prEN 1992-1-1 [5] 5. Brückenkolloquium - September 2022 319 Auswirkungen der geänderten Nachweisverfahren in prEN 1992-1-1: 2021 für die Begrenzung der Rissbreiten 2.3 Direkte Berechnung der Rissbreiten Abweichend vom bisherigen Konzept wird nicht mehr eine maximale Rissbreite in Höhe der Bewehrungslage berechnet, sondern eine rechnerische Oberflächenrissbreite. Abb. 3: Formeln aus prEN 1992-1-1 [5] 3. Untersuchungen zu Betonbrücken 3.1 Berechnung der Rissbreite Die direkte Berechnung der Rissbreite basiert in allen drei Normen bzw. dem Normentwurf prEN 1992-1-1: 10-2021 auf der Multiplikation des rechnerischen Rissabstandes mit dem mittleren Dehnungsunterschied (ε sm - ε cm ) zwischen der Stahlbewehrung und dem umgebenden Beton. Die wesentlichen Unterschiede der Rissformeln sind: - Keine Unterscheidung zwischen den Zuständen der Einzelrissbildung und dem abgeschlossenem Rissbild in prEN 1992-1-1: 10-2021 - Berücksichtigung einer verbundfreien Länge in prEN 1992-1-1: 10-2021 bei der Berechnung des Rissabstandes - In bestimmten Fällen Berücksichtigung einer Schwinddehnung in prEN 1992-1-1: 10-2021 bei der Ermittlung des mittleren Dehnungsunterschieds - Unterscheidung zwischen reinem Zug und reiner Biegung sowie der Verbundbedingungen in prEN 1992-1- 1: 10-2021 bei der Ermittlung des Rissabstandes durch Einführung zusätzlicher Beiwerte (k 1/ r , k fl , k b ) Aufgrund der unterschiedlichen Rissformeln werden bei sonst gleichen Parametern nach prEN 1992-1-1: 10-2021 i.d.R. größere Rissbreiten ermittelt als gemäß DIN EN 1992-2/ NA, woraus deutlich größere Bewehrungsquerschnitte resultieren, wenn der Nachweis bei der Bemessung maßgebend wird. 3.2 Mindestbewehrung für die Begrenzung der Rissbreite Die Ansätze zur Ermittlung der Mindestbewehrung gemäß DIN EN 1992-2/ NA und prEN 1992- 1- 1: 10- 2021 unterscheiden sich von den Gleichungen her sehr deutlich. Es folgt eine stichpunktartige Auflistung der wesentlichen Unterschiede. - Es fehlt die Theorie und die Rissformel für die Einzelrissbildung - Es bestehen deutliche Unterschiede bei der Ermittlung der effektiven Betonzugfläche. A c,eff = h c,eff . b Dadurch wird die Mindestbewehrung zur Begrenzung der Rissbrieten in dicken Stahlbetonbauteilen unterschätzt. - Unmittelbare Unterteilung der Mindestbewehrungsermittlung nach Beanspruchungsart (Biegung, Normalkraft, kombinierte Beanspruchung) und Unterteilung der Bewehrung nach stärker und schwächer gezogenem Rand in prEN 1992-1-1: 10-2021 - In Abhängigkeit vom angesetzten Faktor k w signifikante Unterschiede bei der zulässigen Stahlspannung s s,lim gegenüber s s . - Für eine Kombination aus Biegung und Normalkraft deutlich voneinander abweichende Ergebnisse. Für Stege vorgespannter Brückenüberbauquerschnitte ab einer bestimmten Vorspannkraft ist gemäß prEN 1992- 1-1: 10-2021 keine bzw. lediglich eine sehr geringe Mindestbewehrung erforderlich. Für den Zuggurt wird dagegen im Vergleich zu DIN EN 1992-2/ NA, bei Annahme der gleichen zulässigen Stahlspannung, eine deutlich erhöhte Mindestbewehrung ermittelt. 3.3 Begrenzung der Rissbreite ohne direkte Berechnung Die vereinfachte Begrenzung der Rissbreite durch die Begrenzung des Stabdurchmessers oder der Stababstände unterscheidet sich für die Nachweisverfahren hinsichtlich der Vorgehensweise. Während in DIN EN 1992-2 und DIN EN 1992-2/ NA der Grenzdurchmesser der Bewehrung bzw. der maximale Stababstand aus Tabellen in Abhängigkeit der Stahlspannung und der zulässigen Rissbreite abgelesen werden kann, werden in prEN 1992-1-1: 10-2021 zwei Gleichungen zur unmittelbaren Ermittlung der jeweiligen Werte angegeben. Eine Vergleichsbetrachtung war an dieser Stelle lediglich für die Ermittlung des Grenzdurchmessers sinnvoll. Die Untersuchung hat ergeben, dass die teilweise deutlichen Abweichungen zwischen den Formaten stark vom Bewehrungsgrad abhängen. 3.4 Vergleichsrechnungen an üblichen Brückenquerschnitten und Widerlagerwänden In Längsrichtung ist bei Spannbetonbrücken i.d.R. die Mindestbewehrung auf Grundlage der Rissschnittgrößen maßgebend. In Querrichtung wurden Fahrbahnplatten ohne Vorspannung untersucht. Hier erfolgte eine Vergleichsbetrachtung der rechnerischen Rissbreite gemäß DIN EN 1992-2/ NA und prEN 1992-1-1: 10--2021 für die häufige Einwirkungskombination. In Bestätigung der vorausgegangenen Untersuchungen wurde gemäß dem Entwurf des EC2 für die betrachteten Nachweisschnitte jeweils eine um absolut ca. 0,1 mm größere Rissbreite bei einem Zielwert von 0,2 mm ermittelt. Schließlich erfolgten Vergleichsrechnungen für typische Abmessungen von Widerlagerwänden unter frühem Zwang (zentrischer Zug). Nach dem Entwurf prEN 1992- 1-1: 10-2021 ergeben sich im Vergleich zu DIN EN 1992- 2/ NA besonders bei dicken Widerlagerwänden deutlich kleinere Mindestbewehrungsmengen, was vor allem an 320 5. Brückenkolloquium - September 2022 Auswirkungen der geänderten Nachweisverfahren in prEN 1992-1-1: 2021 für die Begrenzung der Rissbreiten der neuen Definition für die effektive Betonzugfläche A c,eff liegt. 3.5 Zusammenfassende Wertung Die derzeit verwendeten Konzepte in DIN EN 1992-2/ NA zur Begrenzung der Rissbreiten und die Ermittlung der Mindestbewehrung haben sich seit den 1990er Jahren bewährt. Sie beruhen auf mechanisch anschaulichen Modellen für die Einzelrissbildung und das abgeschlossene Rissbild. Dagegen ist im Entwurf prEN 1992-1-1: 10-2021 die Einzelrissbildung nicht berücksichtigt. Neben Schwächen in den theoretischen Grundlagen [7] werden die Anforderungen an das Kriterium „ease of use“ nicht erfüllt. Die Bemessungsergebnisse sind im Vergleich zum derzeitigen Konzept in DIN EN 1992-2/ NA teilweise unwirtschaftlich und teilweise unsicher. Es wird daher keine Veranlassung gesehen, das Konzept der DIN EN 1992-2/ NA gegen das neue Konzept in prEN 1992-1-1: 10-2021 auszutauschen. Letzteres ist in der vorliegenden Form für die Anwendung bei Betonbrücken ungeeignet. Es wird empfohlen den Abschnitt 9.2 in prEN 1992-1-1: 10-2021 vollständig abzulehnen. 4. Untersuchungen zu Verbundbrücken Erste Voruntersuchungen haben gezeigt, dass die reine Adaption der in prEN 1992-1-1 (10-2021) [5] aufgeführten Gleichungen und Nachweise zu deutlich erhöhten Mengen bei der erforderlichen Bewehrung von Verbundbrücken führt. Es ist zudem zu erwähnen, dass schon heute der Bewehrungsgehalt von Fahrbahnplatten im Verbundbrückenbau oftmals zu Schwierigkeiten auf der Baustelle führt, vor allem was die Einbaubarkeit betrifft. Die erforderlichen Verbundmittel (Kopf bolzendübel) verschärfen die Thematik weiter. Schadensfälle bezüglich erhöhter Rissbildung sind jedoch nicht bekannt, vielmehr zeigt sich in jüngsten Monitoring-Untersuchungen, dass sich Verbundbrücken auch nach einiger Nutzungsdauer noch im ungerissenen Zustand I befinden können. Daher sollte eine rein rechnerisch begründete Erhöhung des Bewehrungsgehaltes unter allen Umständen vermieden werden. Die für den reinen Stahlbzw. Spannbetonbau hergeleiteten Formeln sind nicht ohne weiteres auf die im Verbundbau spezifischen Randbedingungen adaptierbar. Um ein genaues Bild über Größe und Art der Abweichungen zu bekommen, sind systematische Vergleichsrechnungen, mit einer entsprechenden Variation der maßgebenden Parameter durchgeführt worden. Es lassen sich die folgenden Schlussfolgerungen ziehen: 4.1 Ermittlung der Mindestbewehrung Die in prEN 1992-1-1 (10-2021) angegebenen Formeln zur Berechnung der erforderlichen Mindestbewehrung können nicht (ohne massive Anpassungen) auf den Verbundbau angewendet werden. Die maßgebenden Gründe hierfür sind: - Die verbundbauspezifischen Randbedingungen (Nachgiebigkeit der Verbindungsmittel, Umlagerung der Schnittgrößen auf den vorhandenen Stahlträger bei Erstrissbildung, abweichende Zugspannungsverteilung über den Betongurt aufgrund abweichender geometrischer Querschnittsgestaltung) sind in den Ansätzen nicht berücksichtigt. - Das Konzept ist deutlich abweichend vom bisherigen mechanisch recht einfachen Ansatz der DIN EN 1994- 2 [3], nachdem die Risskraft des gesamten gezogenen Betongurtes (unter Berücksichtigung der abmindernden Einflüsse) in Abhängigkeit der zulässigen Rissbreite über die Bewehrung aufgenommen wird. - Die neuen Ansätze sind komplizierter (drei Formeln statt einer) und mechanisch für den Anwender nicht mehr nachvollziehbar, was zu einer deutlich höheren Fehleranfälligkeit führt. - Die Ansätze selbst sind u. A. in folgenden Belangen noch fraglich: - enorme Abhängigkeit von N Ed , ohne Erläuterung für Schwindbehinderung - mangelnde Abhängigkeit der Formeln für kombinierte Beanspruchung von der Plattendicke h C - Höhe des Wirksamkeitsbereiches der Bewehrung h c,eff unabhängig von der Bauteildicke - unterschiedliche Sensitivität der EC 2 Formeln gegenüber der Betondeckung - mangelnde Nachvollziehbarkeit pauschaler Vorfaktoren (z. B. 0,3 vor N Ed ) bei kombinierter Beanspruchung (Moment + Normalkraft) - Inkonsistente (und daher nicht nachvollziehbare) Abhängigkeit von der Zugfestigkeit f ct,eff - alleinige Berücksichtigung der abmindernden Einflüsse auf der „rechten Seite“ bei den Grenzbedingungen. - Die Ansätze wurden für reine Stahlbetonbauteile hergeleitet. Diese Ansätze passen nicht in allen Einzelheiten zu den vorherrschenden Bedingungen im Verbundbau (z. B.: Ansatz gleicher Dehnungen der beiden Bewehrungslagen im Betongurt oder Berücksichtigung ideeller Querschnittswerte bei den Umrechnungen). - Aufgrund der Berücksichtigung des Beanspruchungszustandes bei der Ermittlung der Mindestbewehrung resultiert auch hier schon eine aufwändige iterative Berechnung. - Abkehr vom Konzept einer rechnerischen Maximalrissbreite zu einer mittleren Rissbreite. Dies wird pauschal über einen Beiwert k W (Vorschlag k W = 1,7) bei der zulässigen Stahlspannung gesteuert. Für diesen Faktor gibt es bei Verbundbrückenbauwerken keine Datenbasis. Eine pauschale Festlegung kann nicht getroffen werden. Eine blinde Adaption des für Stahlbetonbauwerke festgelegten Wertes, wäre nicht zielführend. - Die Ausarbeitung des bisherigen Dokuments ist noch verbesserungswürdig. Zum Beispiel werden für unterschiedliche Werte gleiche Bezeichnungen in einer Formel verwendet (z. B. s s,lim bei Formel zur Mindestbewehrung auf „rechter“ und „linker“ Seite). 5. Brückenkolloquium - September 2022 321 Auswirkungen der geänderten Nachweisverfahren in prEN 1992-1-1: 2021 für die Begrenzung der Rissbreiten 4.2 Vereinfachte Begrenzung der Rissbreite bei direkter Einwirkung Die in prEN 1992-1-1 (10-2021) angegebenen Formeln zur vereinfachten Begrenzung der Rissbreite können nicht (ohne massive Anpassungen) auf den Verbundbau angewendet werden. Die maßgebenden Gründe hierfür sind: - Die errechneten Werte sowohl für die Begrenzung der Stabdurchmesser als auch für die Begrenzung der Stababstände liegen so deutlich unter den bisherigen Werten, dass eine Bemessung im deutschen Brückenbau mit diesen Ansätzen baupraktisch und wirtschaftlich nicht möglich ist. - Die verbundbauspezifischen Randbedingungen (Nachgiebigkeit der Verbindungsmittel, Umlagerung der Schnittgrößen auf den vorhandenen Stahlträger bei Erstrissbildung, abweichende Zugspannungsverteilung über den Betongurt aufgrund abweichender geometrischer Querschnittsgestaltung) sind in den Ansätzen nicht berücksichtigt. - Die neuen Ansätze sind komplizierter und mechanisch (aufgrund der vielen eingeführten Beiwerte) für den Anwender nicht mehr nachvollziehbar, was zu einer deutlich höheren Fehleranfälligkeit führt. - Abkehr vom Konzept einer rechnerischen Maximalrissbreite zu einer mittleren Rissbreite. Dies wird pauschal über einen Beiwert k W (Vorschlag k W = 1,7) bei der zulässigen Stahlspannung gesteuert. Für diesen Faktor gibt es bei Verbundbrückenbauwerken keine Datenbasis. Eine pauschale Festlegung kann nicht getroffen werden. Eine blinde Adaption des für Stahlbetonbauwerke festgelegten Wertes, wäre nicht zielführend. - Der vereinfachend berücksichtigte Einfluss der Spannungsverteilung über den Querschnitt mittels k fl ist zu grob. Die Auswirkung im Grenzbereich zwischen „gerade keine Druckzone“ und „geringer Druckzone“ sind mechanisch nicht sinnvoll. 4.3 Bewertung hinsichtlich Zielsetzung Mandat M/ 515 der Europäischen Kommission ,ease-of-use‘ Die Anwenderfreundlichkeit wurde mit der Fortschreibung der Ansätze zur Begrenzung der Rissbreite in keiner Weise gesteigert. Die Formelapparate sind deutlich mehr und komplexer geworden. Der Anteil an Beiwerten zur Berücksichtigung stahlbetonspezifischer Randbedingungen hat zugenommen. Empirisch ermittelte Faktoren haben zugenommen. Für den Anwender verlieren die Ansätze dadurch an mechanischer Nachvollziehbarkeit. Zusätzlich wird durch eine undurchsichtige Nomenklatur die Fehleranfälligkeit gesteigert. Reduktion national festgelegter Parameter Grundsätzlich hat sich die Erfordernis National festzulegender Parameter alleine aufgrund der Mehrung von Beiwerten und Formeln erhöht. Auf Grundlage der vergleichenden Untersuchungen wird dieses Thema jedoch noch einmal verschärft, da eine Adaption der Formeln für die deutsche Brückenbaupraxis nur über massive Anpassungen möglich wäre. Es scheint jedoch nicht zielführend dies über Parameter zu tun, da die Ansätze so grundlegend verschieden sind. Vielmehr muss eine komplette Alternativ-Berechnung ermöglicht werden. Dies mindert neben der Anwenderfreundlichkeit auch das Vertrauen des Anwenders in die Normung. Harmonisierung der Eurocodes Dieses Ziel wurde sicherlich verfehlt. Die speziell für den Stahlbetonbau hergeleiteten Formeln eignen sich nicht zur Implementierung in der Verbundbaupraxis. Die im Verbundbau vorherrschenden Randbedingungen sind nicht ohne massive Anpassungen mit den neuen Ansätzen abbildbar. „Reine“ Verweise zwischen den Normen sind somit nicht sinnvoll möglich. 4.4 Handlungsempfehlungen zum weiteren Vorgehen Aufgrund der Herleitung für den reinen Beton- Stahlbeton- und Spannbetonbau beinhalten die Formeln zur Begrenzung und Berechnung der Rissbreiten gemäß prEN 1992-1-1 (10-2021) die speziellen im Verbundbau vorherrschenden Randbedingungen nicht. Die Abweichungen zu den mittels aktuellem Normenkonzept ermittelten Bewehrungsmengen sind, wie vorangehend gezeigt, deutlich. Einige Ergebnisse der Auswertung nach pr EN 1992-1-1 sind nicht schlüssig. Da ebenfalls einige der Ansätze in sich noch fraglich sind [7], können die Ansätze auch nicht ohne weiteres durch Anpassungen auf eine Anwendbarkeit im Verbundbau zugeschnitten werden. Für die Ausarbeitung des Nationalen Anhangs zur überarbeiteten DIN EN 1994-2 wird daher empfohlen einen Verweis auf das entsprechende Kapitel 9.2 in prEN 1992-1-1 nicht in Erwägung zu ziehen. Des Weiteren wird empfohlen auch keine weiteren Anstrengungen zu unternehmen, die neuen Ansätze auf die im Verbundbau vorherrschenden Randbedingungen anzupassen. Vielmehr sollte das Kapitel 9.2 gänzlich abgelehnt werden. Literatur [1] CEN. Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln: EN 1992-2: 2005 + AC: 2008. Berlin: Beuth; 12-2010. [2] Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter - Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln; 04-2013. [3] CEN. Eurocode 4: Bemessung und Konstruktion von Verbundtragwerken aus Stahl und Beton - Teil 2: Allgemeine Bemessungsregeln und Anwendungsregeln für Brücken: EN 1994-2: 2005 + AC: 2008. Berlin: Beuth; 12-2010. [4] Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter - Eurocode 4: Bemessung und Konstruktion von 322 5. Brückenkolloquium - September 2022 Auswirkungen der geänderten Nachweisverfahren in prEN 1992-1-1: 2021 für die Begrenzung der Rissbreiten Verbundtragwerken aus Stahl und Beton - Teil 2: Allgemeine Bemessungsregeln und Anwendungsregeln für Brücken; 12 2010. [5] CEN. Entwurf - Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken: Teil 1-1: Allgemeine Regeln - Regeln für Hochbauten, Brücken und Ingenieurbauwerke; 10-2021. [6] BMVI. Schlussbericht zu Z30/ SeV/ 288.3/ 2119/ StB24 - Weiterentwicklung des Eurocodes 2 für den Brückenbau - Auswirkungen geänderter Nachweisverfahren für Querkrafttragfähigkeit und Rissbreitenbegrenzung; - in Veröffentlichung -. [7] Tue NV, Fehling E, Schlicke D, Krenn C. Rissbreitennachweis und Mindestbewehrung nach EC 2 - aktuelles Modell versus Vorschlag für die Revision. Beton- und Stahlbetonbau 2021; 116 [https: / / doi.org/ 10.1002/ best.202100038] 5. Brückenkolloquium - September 2022 323 Weiterentwicklung des Eurocodes 2 für den Brückenbau Auswirkungen geänderter Nachweisverfahren für die Querkrafttragfähigkeit für Bauteile ohne Querkraftbewehrung Christian Dommes M. Sc. Institut für Massivbau (IMB), RWTH Aachen University Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger Institut für Massivbau (IMB), RWTH Aachen University Zusammenfassung Die Bemessung von Bauteilen ohne rechnerisch erforderliche Querkraftbewehrung erfolgt im Eurocode 2 der zweiten Generation (prEC2, Fassung vom Oktober 2021) auf Basis der Critical Shear Crack Theory unter Berücksichtigung der Schubschlankheit im Bemessungsschnitt. Zudem kann der positive Einfluss der Vorspannung mit zwei Ansätzen (Grundgleichung CSCT mit k vp und Alternative mit k 1 -·-σ cp ) berücksichtigt werden. Bei der Bemessung von Bauteilen mit rechnerisch erforderlicher Querkraftbewehrung wird weiterhin ein Fachwerkmodell mit variabler Druckstrebenneigung verwendet. Die aktuellen Ansätze der stabilen Fassung des prEC2 für Bauteile ohne Querkraftbewehrung werden durch Vergleichsberechnungen an zwei realen Brückenbeispielen ((1) Dicke vorgespannte Platte, (2) Fahrbahnplatte in Querrichtung) mit den derzeit gültigen Bemessungsregeln nach EC2-2/ NA(D) verglichen. 1. Motivation und Problemstellung Im Zuge der Fortschreibung der Eurocodes für die Bemessung und Konstruktion von Tragwerken aus Beton werden mit der stabilen Fassung des prEN 1992-1-1 (2021- 10) [1] neue bzw. veränderte Bemessungsregeln zur Sicherstellung der Querkrafttragfähigkeit im Grenzzustand der Tragfähigkeit (GZT) vorgestellt. Die neuen Nachweisformate haben einen direkten Einfluss auf die erforderlichen Bewehrungsmengen und Querschnittsabmessungen von Brückenbauwerken in Stahl- und Spannbetonbauweise. Die Konsequenzen für die Wirtschaftlichkeit der Bauweise durch die derzeit geplanten Änderungen müssen daher detailliert untersucht werden. Zur Überprüfung der rechnerischen Tragfähigkeiten und resultierenden Bewehrungsmengen werden die für die Weiterentwicklung des Eurocode 2 vorgesehenen Nachweisformate in prEN 1992-1-1 [1] mit den derzeit gültigen Nachweisformaten gemäß DIN EN 19922/ NA(D) [2; 3] verglichen. Maßgebliche Unterschiede und Gründe für Abweichungen werden herausgearbeitet. Hierzu werden Vergleichsrechnungen und Parameterstudien an zwei Brückenquerschnitten aus der Praxis durchgeführt. Ziel ist die Identifikation von Anwendungsbereichen im Brückenbau, in denen im Vergleich zur derzeitigen Regelwerkslage stark abweichende Ergebnisse zu erwarten sind. Gründe für maßgebende Abweichungen werden herausgearbeitet und bewertet. Bei der derzeitigen Querkraftbemessung von Stahl- und Spannbetonbauteilen wird zwischen drei Nachweisen unterschieden: (1) dem Nachweis für Bauteile ohne Querkraftbewehrung sowie für Bauteile mit rechnerisch erforderlicher Querkraftbewehrung (2) dem Nachweis der Querkraftbewehrung und (3) dem Nachweis der Maximalbzw. Druckstrebentragfähigkeit. Nach aktuellem Eurocode 2 erfolgt die Bemessung für Bauteile mit Querkraftbewehrung über ein Fachwerkmodell mit variabler Druckstrebenneigung. Diese Vorgehensweise wird im Entwurf für den neuen EC2 [1] beibehalten. Unter Berücksichtigung der Tragfähigkeit der Längsbewehrung darf die minimale Neigung der Druckstreben für Stahlbeton zu cotθ-≤-2,5 und für Spannbeton zu cotθ-≤-3,0 angenommen werden. Darüber hinaus ist eine Anrechenbarkeit der geneigten Spannglieder auf die Querkrafttragfähigkeit möglich. Stärkere Änderungen ergeben sich bei der Querkraftbemessung für Bauteile ohne Querkraftbewehrung, die zukünftig mit einem Bemessungsansatz der Critical Shear Crack Theory (CSCT) erfolgt [4-7]. Wesentliche Einflussgrößen wie der Maßstabseffekt, der Einfluss von Normalkräften und die Schubschlankheit werden neu formuliert. 2. Stand der Technik 2.1 Biegeschubversagen bei Bauteilen ohne Querkraftbewehrung nach EC2/ NA(D) [2; 3] Ein Querkraftversagen tritt bei Stahlbetonbauteilen ohne Querkraftbewehrung durch die Entwicklung eines maßgebenden Schubrisses ein, der sich aus einem Biegeriss bildet. Die Bemessungsgleichung des EC2 nach Gl.-(1) basiert auf einer statistischen Regressionsanalyse von Zsutty-[8]. Zsutty benannte die Betonfestigkeit, den Längsbeweh- 324 5. Brückenkolloquium - September 2022 Weiterentwicklung des Eurocodes 2 für den Brückenbau rungsgrad und die Schubschlankheit-a/ d als Haupteinflussparameter. Später wurde der Ansatz von Zsutty erweitert und in den Model-Code von 1978 und 1990 aufgenommen. Aus Gründen der einfacheren Anwendung wurde die Schubschlankheit in der darauf auf bauenden Bemessungsgleichung für den EC2 nicht berücksichtigt: (1) Der Einfluss einer Vorspannung auf die Querkrafttragfähigkeit wird über die Betonlängsspannung auf Höhe des Schwerpunktes berücksichtigt. Die Herleitung des Einflusses erfolgte auf der sicheren Seite liegend über die Anrechnung der zur Auf hebung des Dekompressionsmomentes erforderlichen Querkraft [9]. Die untere Grenze der Querkrafttragfähigkeit ist durch den Mindestwert nach Gl.-(2) festgelegt. (2) Während in Deutschland für die Beiwerte C Rd,c -=-0,15 und k 1 -=-0,12 in Gl.-(1) reduzierte Werte zu verwenden sind, dürfen entsprechend dem Grunddokument nach EC2 mit C Rd,c -=-0,18 und k 1 -=-0,15 größere Beiwerte angenommen werden. Ebenfalls wurden im NA(D) abgeminderte Werte für v min festgelegt. 2.2 Biegeschubversagen bei Bauteilen ohne Querkraftbewehrung nach prEC2 [1] Die Bemessung für Bauteile ohne rechnerisch erforderliche Querkraftbewehrung erfolgt auf Basis der Critical Shear Crack Theory (CSCT). Grundlegend basiert die CSCT auf der Annahme, dass die Querkrafttragfähigkeit von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung durch die Ausbildung eines kritischen Risses, der den Lastabtrag einer direkten Druckstrebe stört und somit ein Querkraftversagen auslöst, bestimmt wird. Nach prEC2 wird der Querkraftnachweis auf Basis von einwirkenden Schubspannungen gemäß Gl.-(3) geführt: (3) Entgegen dem aktuellen EC2/ NA(D) darf die einwirkende Bemessungsquerkraft V Ed infolge der Komponenten geneigter Druck- und Zugstreben für Querschnitte ohne Querkraftbewehrung nicht abgemindert werden. Auf einen expliziten Nachweis der Querkrafttragfähigkeit kann gemäß prEC2 verzichtet werden, sofern die einwirkende Schubspannung den Mindestwert nach Gl.-(4) nicht überschreitet. (4) mit: d dg vom Größtkorn und der Betonfestigkeit abhängiger Einflussparameter, der die Rauigkeit des Schubrisses berücksichtigt: 16+D lower - ≤- 40- mm für f ck - ≤- 60 N/ mm ² 16+D lower ·(60/ f ck ) 4- ≤-40-mm für f ck ->-60 N/ mm² (5) Gemäß [10] wird D lower - als der bei der Festlegung des Betons kleinstezulässigeWert- D dergröbstenGesteinskörnungsfraktion im Beton definiert, wobei- D die obere Siebgröße einer mit- d / D beschriebenen Gesteinskörnung ist. Sobald die einwirkende Schubspannung die Mindesttragfähigkeit übersteigt, ist ein Nachweis der Querkrafttragfähigkeit nach Gl.-(6) zu führen (Grundgleichung): (6) Im Gegensatz zum aktuellen EC2/ NA(D), bei dem der Traganteil infolge Vorspannung als additiver Term in der Bemessungsgleichung eingeht, wird der Einfluss von Kräften in Stablängsrichtung nach prEC2 durch eine effektive Schubspannweite-a cs berücksichtigt [11]. Die effektive Schubspannweite berechnet sich nach Gl.-(7). (7) In Gl. (6) darf-d durch die mechanische Schubspannweite-a v nach Gl.-(8) ersetzt werden: (8) Sofern Normalkräfte (z.-B. infolge Vorspannung) auf den Querschnitt einwirken, darf die statische Nutzhöhe-d in Gl.-(6) entweder mit dem Anpassungsbeiwert k vp nach Gl.-(9) multipliziert (Grundgleichung) oder durch die mechanische Schubspannweite-a v ersetzt (Variante B) werden. Hierbei gilt die generelle Vorzeichendefinition nach prEC2, die besagt, dass Zugkräfte ein positives Vorzeichen und Druckkräfte ein negatives Vorzeichen tragen. Die Vorspannung ist bei beiden Varianten in den Schnittgrößen M Ed , V Ed und N Ed zu berücksichtigen. (9) In [12] ist erstmals zusätzlich eine alternativer Ansatz zur Berechnung der Tragfähigkeit bei Bauteilen mit Drucknormalkräften angegeben. Diese Bemessungsgleichung basiert auf einem Ansatz aus [13], der auch die Grundlage für den additiven Term für die Vorspannung im aktuellen EC2 bildet. Der additive Term in Gl.-(10) beschreibt die Querkraft, die notwendig ist, um den Zustand der Dekompression auf Querschnittsebene zu erreichen (Alternative). (10) Im Gegensatz zum aktuellen EC2 ist der Beiwert-k 1 nicht konstant, sondern abhängig von der statischen Nutzhöhe und der Exzentrizität der einwirkenden Vorspannung. Nach [12] wird der Beiwert-k 1 gemäß Gl.-(11) ermittelt. (11) Kann der Querkraftwiderstand des Bauteils ohne Querkraftbewehrung nach Gl.-(6) nicht erbracht werden, so ist eine Querkraftbewehrung in Form von Bügeln vorzusehen. 5. Brückenkolloquium - September 2022 325 Weiterentwicklung des Eurocodes 2 für den Brückenbau 3. Fallbeispiele Für den Vergleich der Querkraftbemessung nach EC2/ NA(D) und prEN1992-1-1 werden zwei Fallbeispiele vorgestellt. Die rechnerischen Querkraftwiderstände werden nachfolgend detailliert ermittelt und verglichen. Zur Verallgemeinerung der Bemessungsergebnisse werden anschließend Parameterstudien auf Basis der einzelnen Fallbeispiele durchgeführt. Um den Vergleich mit dem zugrundeliegenden Fallbeispiel zu erleichtern, wird der jeweilige Wert des Fallbeispiels in jeder Parametervariation kenntlich gemacht. Es werden die Querkrafttragfähigkeiten ohne Querkraftbewehrung in Abhängigkeit ausgewählter Parameter in Relation zum Bemessungswert der Einwirkungen verglichen. Das erste Fallbeispiel ist eine schiefwinklige Stadtbrücke mit Vollplattenquerschnitt in Spannbeton-Bauweise ohne Bügelbewehrung. Die Konstruktionshöhe beträgt 1,00-m bei einer Überbaubreite von 12,20-m. An beiden Seiten sind Kappen mit einer Breite von je 2,10-m angeordnet, sodass sich eine Fahrbahnbreite von 8-m ergibt. Die Gesamtlänge von 68-m setzt sich aus drei Feldern mit den Stützweiten 21,50-m - 25,00-m - 21,50-m zusammen. An diesem Fallbeispiel werden die Einflüsse des Größtkorns, des Längsbewehrungsgrades, des Maßstabseffekts und einer Vorspannung auf die rechnerische Querkrafttragfähigkeit untersucht. Zusätzlich werden die Einflüsse aus Betonfestigkeit und Schubschlankheit bewertet. Zur Querkraftbemessung in Querrichtung wird als zweites Bemessungsbeispiel ein zweistegiger Plattenbalkenquerschnitt in Spannbetonbauweise gewählt. Die Konstruktionshöhe beträgt 1,75-m bei einer Überbaubreite von 14,50-m (inkl. Kappen). Die Querschnittshöhe des gevouteten Kragarms im Abstand-d zum Rand des Steges beträgt 0,4-m. Die Gesamtlänge der Brücke von 190-m setzt sich aus sechs Feldern mit den Stützweiten 24,50-m - 4- ×- 35,00- m - 24,50- m zusammen. Analog zu Fallbeispiel-1 wird die Fahrbahnplatte ebenfalls ohne Querkraftbewehrung ausgebildet. Neben den Einflussgrößen aus Fallbeispiel-1 wird zusätzlich der Traganteil geneigter Gurte untersucht. In den folgenden Abschnitten werden als Vergleichsmaßstab die berechneten Querkrafttragfähigkeiten gegenübergestellt. Da die Querkraftbemessung auf Querschnittsebene erfolgt, wird nicht vertieft auf die Lastermittlung eingegangen. Die maßgebenden Schnittgrößen wurden mit der Software InfoCAD berechnet und berücksichtigt die ständigen Einwirkungen (Eigengewicht-g, Ausbaulast-Δg, Stützensenkung-s), die veränderlichen Einwirkungen (Temperatur-ΔT, Wind-w, Verkehrslastmodell-1 mit UDL und TSLast, Horizontallasten aus Bremsen und Anfahren) sowie die Vorspannung und das zeitabhängigen Materialverhalten (Kriechen, Schwinden und Relaxation). 4. Analytische Tragfähigkeiten für Bauteile ohne Querkraftbewehrung Während die Nachweise im EC2/ NA(D) über eine Berechnung der maximalen Querkräfte erfolgt, wird in prEC2 die Tragfähigkeit über die Begrenzung der maximalen Schubspannungen nachgewiesen. Für den Vergleich werden die maßgebenden Schubspannungen nach prEC2 über den inneren Hebelarm- z und die Stegbreite-b w entsprechend Gl.-(3) in maßgebende Querkräfte umgerechnet. Der Einfluss der Vorspannung auf die Querkrafttragfähigkeit kann bei Bauteilen ohne Querkraftbewehrung nach prEC2 auf zwei Arten berücksichtigt werden (Grundgleichung nach Gl.-(6) bzw. Alternative nach Gl.- (10)). Bei Anwendung der Grundgleichung gibt es zwei Varianten: Entweder wird die statische Nutzhöhe in Gl.-(6) mit dem Faktor-k vp multipliziert (Variante A) oder die statische Nutzhöhe-d wird durch das Produkt aus mechanischer Schubspannweite-a v und dem Faktor-k vp ersetzt (Variante B). Im alternativen Ansatz nach Gl.-(10) wird der Einfluss der Vorspannung durch das Produkt aus Längsvorspannung-σ cp und dem Faktor-k 1 als additiver Term berücksichtigt. In dieser Untersuchung werden die Grundgleichung (Gl.-(6)) und die Alternative (Gl.-(10)) mit den Varianten A und B gegenübergestellt. In Tab.-1 sind die verschiedenen Ansätze und Auswahlmöglichkeiten gegenübergestellt. Tab.-1: Gleichungen zur Bemessung der Querkrafttragfähigkeit ohne Querkraftbewehrung nach prEC2 Vorspannung Variante Formel zur Bestimmung von V Rd,c Grundgleichung k vp A B Alternative (k 1 ⋅ σ cp ) A B 4.1 (1) Dicke vorgespannte Platte In Abb.-1 sind die Querkrafttragfähigkeiten nach prEC2 für das Fallbeispiel-1 entsprechend Tab.-1 dargestellt. Mit Variante A ergeben sich sowohl für die Grundgleichung als auch für die Alternative jeweils geringere Tragfähigkeiten. Mit Variante B, in der die statische Nutzhöhe-d im Nenner durch die mechanische Schubspannweite-a v ersetzt wird, werden höhere Tragfähigkeiten ermittelt. 326 5. Brückenkolloquium - September 2022 Weiterentwicklung des Eurocodes 2 für den Brückenbau Abb.-1: Bemessungsergebnisse der Querkrafttragfähigkeit-V Rd,c nach EC2/ NA(D) und prEC2 4.2 (2) Fahrbahnplatte in Querrichtung Bei der Bemessung für Querkraft von Fahrbahnplatten mit gevouteten Querschnitten nach EC2/ NA(D) werden in der Regel die Querkrafttraganteile aus den geneigten Gurten berücksichtigt werden. Während dieser Querkrafttraganteil nach dem Grunddokument EC2 nur in bügelbewehrten Querschnitten angesetzt werden darf (6.2.1(2)), erlaubt EC2/ NA(D) dies auch für Platten ohne Querkraftbewehrung (NCI zu 6.2.1 (3)). Der Entwurf von prEC2 sieht die Berücksichtigung dieses Traganteils analog zum EC2 nur für bügelbewehrte Querschnitte vor. Daher wird die Querkrafttragfähigkeit nach EC2/ NA(D) um den Traganteil der geneigten Betondruckstrebe V ccd erweitert. Die maßgebende Querkrafttragfähigkeit ergibt sich unter Berücksichtigung der Kraftkomponente des Druckgurtes rechtwinklig zur Bauteilachse: (12) Die rechnerischen Tragfähigkeiten nach EC2/ NA(D) und prEC2 für Fallbeispiel-2 sind in Abb.-2 gegenübergestellt. In den ersten beiden Säulen sind die Querkrafttragfähigkeiten nach EC2/ NA(D) dargestellt. Der Traganteil-V ccd nach EC2/ NA(D) beträgt für dieses Fallbeispiel 55-kN/ m und ist farblich hervorgehoben. In den weiteren Säulen werden die Querkrafttragfähigkeiten nach der Grundgleichung und der Alternativer nach prEC2 für die Varianten A und B wiedergegeben. Für die Berechnung mit Variante B wurde stets ein dunklerer Farbton gewählt als für Variante A. Abb.-2: Bemessungsergebnisse der Querkrafttragfähigkeit ohne Querkraftbewehrung nach EC2/ NA(D) und prEC2 Nach Abb.- 2 kann nach EC2/ NA(D) die einwirkende Querkraft durch den Mindestwert der Querkrafttragfähigkeit- V Rd,c,min,EC2/ NA(D) (Gl.- (2)) aufgenommen werden, wenn gleichzeitig der Anteil V ccd berücksichtigt wird. Der Querkraftwiderstand V Rd,c,EC2/ NA(D) (Gl.- (1)) liegt auch mit V ccd unterhalb der einwirkenden Querkraft V Ed -=-260-kN/ m. Für den Entwurf des neuen Eurocodes prEC2 erreicht die Grundgleichung in Kombination mit k vp und a v die höchste Tragfähigkeit von 230-kN/ m. Die Alternative nach Gl.-(10) mit dem additiven Term erreicht dagegen 213-kN/ m und der Mindestwert V Rd,c,min,prEC2 ergibt eine Querkrafttragfähigkeit von 218-kN/ m. Für die Variante A (Ansatz der statischen Nutzhöhe-d) ergeben sich analog zu Fallbeispiel-1 geringere Tragfähigkeiten als mit Variante B, welche die statische Nutzhöhe-d im Nenner durch die mechanische Schubspannweite-a v ersetzt. Abb.-2 zeigt, dass die Querkrafttragfähigkeit nach prEC2 für alle Varianten unter der maßgebenden Tragfähigkeit V Rd,c,min nach EC2/ NA(D) liegt. Ein wesentlicher Grund hierfür ist auch der Querkrafttraganteil des geneigten Druckgurtes-V ccd , der bei Bauteilen ohne Querkraftbewehrung nach prEC2 nicht angesetzt werden darf. Diese Regelung war bereits im aktuellen Grunddokument von EC2 enthalten, wurde jedoch im EC2/ NA(D) für Bauteile ohne Querkraftbewehrung aufgehoben. Da die Grundgleichung mit dem k vp -Faktor im Fallbeispiel-2 für den Nachweisschnitt im Abstand d vom Kragarmanschnitt eine größere Querkrafttragfähigkeit ergibt als der alternative Ansatz mit dem additiven Term-k 1 -· σ cp , wird im Folgenden eine Untersuchung der Einwirkungen und Widerstände abhängig vom Abstand zum Kragarmanschnitt durchgeführt (Abb.-3). Die einwirkende Querkraft ist als rote durchgezogene Linie dargestellt, während die Widerstände nach EC2/ NA(D) in Blau und die Werte nach prEC2 in Orange angegeben sind. Für die Ermitt- 5. Brückenkolloquium - September 2022 327 Weiterentwicklung des Eurocodes 2 für den Brückenbau lung der Widerstände nach prEC2 wurde auch die Schubschlankheit berücksichtigt (Variante B). Grundlage einer solchen Untersuchung ist die aufwändige Ermittlung der Schnittgrößen mittels FE-Analyse. Da die mitwirkende Breite zum Abtrag der Querkraftbeanspruchung mit abnehmendem Abstand zum Auflager geringer wird, ist eine Ermittlung der maßgebenden Schnittgrößen anhand eines Stabswerks nicht ausreichend. Stattdessen ist eine vertiefte Untersuchung z.-B. mit einem Schalenmodell durchzuführen, um die Aktivierung einer größeren mitwirkenden Breite mit zunehmenden Lastabstand abzubilden. In Abb.-3 sind die einwirkende Querkraft und die Querkraftwiderstände für den Bereich bis 4-·-d vom Anschnitt dargestellt. Da die Aufstandsfläche der Radlast so angeordnet wurde, dass deren Rand im Abstand von 2-·-d des Kragarmanschnitts entfernt liegt, war eine Abminderung für auflagernahe Lasten nicht erforderlich. Unabhängig vom Abstand zum Kragarmanschnitt wird nach EC2/ NA(D) im Vergleich zu prEC2 ein höherer Querkraftwiderstand ermittelt, da nach EC2/ NA(D) im Gegensatz zu prEC2 der Traganteil der geneigten Druckstrebe-V ccd berücksichtigt wird. Mit zunehmendem Abstand zum Auflager sinkt der Traganteil V ccd . Im Gegensatz zu EC2/ NA(D), bei dem der Mindestwert der Querkrafttragfähigkeit-V Rd,c,min unabhängig vom Abstand zum Auflager maßgebend ist, liegt die Querkrafttragfähigkeit nach prEC2 über dem Mindestwert. Abb.-3: Einwirkende Querkraft und Querkraftwiderstände nach EC2/ NA(D) und prEC2 für verschiedene Bemessungsschnitte 4.3 Fazit Die Berechnungen zeigen, dass die Bemessung nach prEC2 grundsätzlich als geeignet angesehen werden kann, um mit geringfügigen Anpassungen in einem Nationalen Anwendungsdokument vergleichbare Ergebnisse wie nach der aktuellen Fassung EC2/ NA(D) zu erzielen. Dazu sind weitergehende Untersuchungen mit variierenden Randbedingungen erforderlich. Nachfolgend wird daher in systematischen Parameterstudien mit einer Bandbreite von brückenbauspezifischen Randbedingungen untersucht, welche Einflussparameter dazu führen, dass prEC2 für Querschnitte ohne Querkraftbewehrung in einigen Fällen mit der Grundgleichung (Gl.- (6)) in Kombination mit dem k vp -Faktor eine höhere Querkrafttragfähigkeit erreicht und in anderen Fällen der alternative Ansatz mit dem additiven Term k 1 -·-σ cp nach Gl.-(10) die größere Querkrafttragfähigkeit ergibt. 5. Parameterstudien für Bauteile ohne Querkraftbewehrung Im Folgenden werden die Einflussfaktoren auf die rechnerischen Querkrafttragfähigkeiten nach prEC2 und EC2/ NA(D) für Bauteile ohne Querkraftbewehrung anhand von Parameterstudien an der Vollplatte (Fallbeispiel- 1) und der Fahrbahnplatte in Querrichtung (Fallbeispiel-2) untersucht. Für jeden Parameter erfolgte eine separate Auswertung, wobei die übrigen Einflussgrößen konstant gehalten wurden. Die Querkrafttragfähigkeiten nach prEC2 werden entweder mit der Grundgleichung (Gl.-(6)) in Kombination mit dem Faktor-k vp (Gl.-(9)) oder mit der Alternative nach Gl.-(10) ermittelt. In beiden Fällen wird zwischen den Varianten A und B unterschieden, die entweder die statische Nutzhöhe-d (Variante A) oder die mechanische Schubspannweite-a v (Variante B) in der Grundgleichung verwenden. Analog zu den Berechnungen der Fallbeispiele werden die maßgebenden Schubspannungen in Querkrafttragfähigkeiten-V Rd umgerechnet. Zusätzlich zu den rechnerischen Querkrafttragfähigkeiten-V Rd ist die einwirkende Querkraft-V Ed im Bemessungsschnitt-d vom Auflagerrand in Rot dargestellt. 5.1 Längsbewehrungsgrad ρ l Abb.-4: Querkrafttragfähigkeiten nach EC2/ NA(D) und prEC2 abhängig vom Längsbewehrungsgrad-ρ l In Abb.- 4 sind die Querkrafttragfähigkeiten für Fallbeispiel-1 nach EC2/ NA(D) und prEC2 in Abhängigkeit 328 5. Brückenkolloquium - September 2022 Weiterentwicklung des Eurocodes 2 für den Brückenbau des Längsbewehrungsgrades dargestellt. Nach beiden Bemessungsansätzen werden mit steigendem Längsbewehrungsgrad höhere rechnerische Querkrafttragfähigkeiten ermittelt. Bei sehr geringen Längsbewehrungsgraden-ρ l ergeben sich nach prEC2 mit der Grundgleichung nach Gl.-(6) sehr geringe Querkraftwiderstände, die dem Grenzwert Null zustreben. Für die Berechnungsansätze nach Gl.-(10) und EC2/ NA(D) mit einem additiven Term aus Vorspannung k 1 -·-σ cp verbleibt für-ρ l -=-0 der rechnerische Querkrafttraganteil der Vorspannung. Im Bemessungsfall greift für kleine Längsbewehrungsgrade die Mindestquerkrafttragfähigkeit. Nach EC2/ NA(D) und prEC2 mit Gl.-(10) (k 1 -·-σ cp ) werden bis ρ l -≤-0,02 annähernd identische Querkrafttragfähigkeiten ermittelt. Da der ansetzbare Längsbewehrungsgrad in EC2/ NA(D) auf ρ l -≤-0,02 begrenzt wird, ergibt sich keine rechnerische Traglaststeigerung nach EC2/ NA(D) für ρ l >-0,02. Aufgrund der fehlenden Begrenzung steigt die Querkrafttragfähigkeit nach prEC2 auch für ρ l ->-0,02 weiter an und übersteigt die Werte nach EC2/ NA(D). Die Berücksichtigung der Vorspannung mit-k vp ergibt im Vergleich zur Berücksichtigung mit-k 1 -·-σ cp für alle dargestellten Längsbewehrungsgrade geringere Tragfähigkeiten. Rechnerisch würden sich für sehr große Werte-ρ l höhere Tragfähigkeiten mit Berücksichtigung der Vorspannung durch den Faktor-k vp ergeben. In der Praxis sind so hohe Längsbewehrungsgrade allerdings nicht üblich. Da die Vorspannung nach EC2/ NA(D) auch in der Berechnung der Mindestquerkrafttragfähigkeit-V Rd,c,min berücksichtigt wird, ergibt sich im Vergleich zu prEC2 eine deutlich höhere Mindestquerkrafttragfähigkeit. 5.2 Vorspannung-σ cp Der positive Einfluss der Vorspannung auf die Querkrafttragfähigkeit darf nach prEC2 mit einem der folgenden Ansätze erfasst werden: Mit der Grundgleichung (Gl.-(6)) in Kombination mit dem Faktor-k vp (Gl.-(9)) oder mit der Alternative nach Gl.-(10). In beiden Fällen wurde durch Verwendung der mechanischen Schubspannweite- a v (Variante B) in der Grundgleichung eine höhere Querkrafttragfähigkeit ermittelt als mit Variante A (Verwendung der statischen Nutzhöhe-d in der Grundgleichung). Beide Ansätze (Grundgleichung und Alternative) werden in diesem und dem folgenden Kapitel vergleichend untersucht, um herauszuarbeiten, welcher Ansatz unter welchen Randbedingungen zu einer höheren rechnerischen Querkrafttragfähigkeit führt. Im Folgenden sind die rechnerischen Querkrafttragfähigkeiten nach EC2/ NA(D) und prEC2 für die Fallbeispiele-1 und 2 in Abhängigkeit der Druckspannung-σ cp im Schwerpunkt des Querschnitts dargestellt. In Abb.-5 sind die rechnerischen Querkrafttragfähigkeiten nach EC2/ NA(D) und prEC2 in Abhängigkeit der vorhandenen Normalspannung infolge Vorspannung-σ cp für Fallbeispiel-1 abgebildet. Beide Ansätze des prEC2 liefern für eine Vorspannung-σ cp -=-0 eine identische rechnerische Querkrafttragfähigkeit. Mit zunehmender Vorspannung steigen die Querkrafttragfähigkeiten nach prEC2 mit Berücksichtigung der Vorspannung über den additiven Term k 1 -·-σ cp (Gl.-(10)) und EC2/ NA(D) linear an, bis jeweils die obere Grenze von σ cp -≤-0,2-·-f cd maßgebend wird. Aufgrund des höheren Bemessungswertes der Betondruckfestigkeit f cd nach prEC2 im Vergleich zu EC2/ NA(D) greift die Begrenzung später. Die Querkrafttragfähigkeiten, die nach prEC2 mit dem k vp Faktor (Grundgleichung, Gl.-(6)) ermittelt werden, liegen deutlich unter den Ergebnissen nach der Alternative (prEC2 Gl.-(10)) und EC2/ NA(D). Für kleine Werte der Vorspannung (σ cp - ≤- 3- N/ mm²) ergibt sich nach der Grundgleichung eine sehr geringe Steigerung der rechnerischen Querkrafttragfähigkeit infolge Vorspannung, während die Querkrafttragfähigkeit für σ cp ->-3-N/ mm² schneller ansteigt. Durch die untere Grenze von k vp -≥-0,1 (Gl.-(9)) ergibt sich allerdings ab σ cp - ≥ -4,9-N/ mm² keine weitere Zunahme der Querkrafttragfähigkeit. Dadurch liefert die Alternative nach prEC2 mit dem additiven Term k 1 -·-σ cp in Fallbeispiel-1 für alle hier untersuchten Werte σ cp eine höhere Querkrafttragfähigkeit als die Grundgleichung nach prEC2 mit k vp . Abb.-5: Querkrafttragfähigkeiten nach EC2/ NA(D) und prEC2 abhängig von der Vorspannung σ cp Für geringe Vorspannungen-σ cp -≤- 0,5-N/ mm² liegt der Mindestwert der Querkrafttragfähigkeit- V Rd,c,min,prEC2 über beiden Ansätzen (Grundgleichung und Alternative) nach prEC2. Während die Mindestquerkrafttragfähigkeit V Rd,c,min nach prEC2 unabhängig von der Vorspannung ist, steigt der Mindestwert der Querkrafttragfähigkeit-V Rd,c,min nach EC2/ NA(D) mit zunehmender Vorspannung linear an. Dennoch wird der Mindestwert nach EC2/ NA(D) für Fallbeispiel-1 nicht maßgebend. Schubschlankheit-λ-=-M-/ -(V-·-d) Die günstigen Einflüsse geringer Schubschlankheiten λ-=-M-/ -(V- ·-d) dürfen nach prEC2 in der Querkraftbemessung berücksichtigt werden. Neben dem Ansatz mit 5. Brückenkolloquium - September 2022 329 Weiterentwicklung des Eurocodes 2 für den Brückenbau dem additiven Term k 1 - ·-σ cp (Alternative, Gl.-(10)) kann der günstige Einfluss der Vorspannung nach prEC2 auch über eine Modifizierung der wirksamen Schubspannweite erfasst werden (Grundgleichung , Gl.- (6)). In Abb.- 6 sind daher die rechnerischen Querkrafttragfähigkeiten für Fallbeispiel-1 in Abhängigkeit der Vorspannung für verschiedene Schubschlankheiten-λ abgebildet (Grundgleichung). Das Diagramm umfasst die Querkrafttragfähigkeiten nach den Varianten A (durchgezogene Linien) und B (gestrichelte Linien) entsprechend Tab.-1. Für die gleiche Schubschlankheit-λ werden die Tragfähigkeiten nach Variante A und B mit der gleichen Farbe dargestellt. Zudem sind die Tragfähigkeiten nach der Alternative (Gl.-(10)) mit dem additiven Term k 1 -·-σ cp abgebildet. Ein Vergleich der durchgezogenen und gestrichelten Linien einer Farbe in Abb.- 6 zeigt, dass die Berücksichtigung der effektiven Schubspannweite- a cs (Variante B) für alle Varianten und Schubschlankheiten zu einer Steigerung der rechnerischen Querkrafttragfähigkeit führt. Diese Erhöhung ist bei geringen Schubschlankheiten besonders stark ausgeprägt. Hieraus resultieren rechnerische Traglaststeigerungen von bis zu 25-% (V Rd,λ=1_ A -=-1200-kN, V Rd,λ=1_ B -=-1500-kN). Mit steigender Schubschlankheit verringert sich die Zunahme der rechnerischen Tragfähigkeit durch Berücksichtigung der effektiven Schubspannweite-a cs . Für λ-=-3 ergeben sich lediglich geringe Unterschiede in den rechnerischen Querkrafttragfähigkeiten. Abb.-6: Einfluss unterschiedlicher Schubschlankheiten auf die rechnerischen Querkrafttragfähigkeiten In Abb.-7 sind die rechnerischen Querkrafttragfähigkeiten nach EC2/ NA(D) und prEC2 sowie die einwirkende Querkraftbeanspruchung-V Ed im Bemessungsschnitt-d vom Auflagerrand in Abhängigkeit der Schubschlankheit-λ abgebildet. Die Querkrafttragfähigkeit nach EC2/ NA(D) (blaue Linie) ist konstant, da die Schubschlankheit-λ nicht in der Bemessung berücksichtigt wird. Nach der Grundgleichung des prEC2 (Gl.-(6) (orange durchgezogene Linien) ergeben sich mit zunehmender Schubschlankheit abnehmende Querkrafttragfähigkeiten. Im ersten Teil der Kurven ist die Abnahme nahezu linear, während sich die Querkrafttragfähigkeit für größere Schubschlankheiten exponentiell verringert. Dies ist zum einen auf die zunehmende wirksame Schubspannweite-a cs infolge der wachsenden Schubschlankheit zurückzuführen und zum anderen auf die untere Begrenzung von k vp -≥-0,1, die für kleine einwirkende Momente-M Ed maßgebend wird. Die Abnahme der wirksamen Schubspannweite-a cs bewirkt auch eine Abminderung der rechnerischen Querkrafttragfähigkeit nach der Alternative nach prEC2 (Gl.- (10), orange gestrichelte Linien). Der Vergleich der Ansätze (Grundgleichung und Alternative) bestätigt, dass das k vp Verfahren nur für Systeme mit geringen Schubschlankheiten ähnliche Tragfähigkeiten ermittelt wie der alternative Ansatz mit dem additiven Term k 1 -·-σ cp . Abb.-7: Einfluss variierender Schubschlankheiten auf die rechnerischen Querkrafttragfähigkeiten 5.3 Größtkornparameter-d dg Abweichend zur Bemessung nach EC2/ NA(D) wird in prEC2 die Gesteinskörnung des Betons durch den Faktor-d dg berücksichtigt (Gln. (4), (5) und (6)). Mit steigendem Korndurchmesser wird eine größere Rauigkeit in Schubrissen angenommen, wodurch eine höhere Schubspannung über den Riss übertragen werden kann. Entsprechend nimmt die rechnerische Querkrafttragfähigkeit nach prEC2 mit steigendem Größtkornparameter-d dg zu. In Abb.-8 sind die rechnerischen Querkrafttragfähigkeiten für die Vollplatte (Fallbeispiel-1) dargestellt. Während der Durchmesser der Gesteinskörnung nach EC2/ NA(D) keinen Einfluss auf die Querkraftbemessung nach EC2/ NA(D) hat, ergeben sich nach prEC2 erwartungsgemäß mit steigendem d dg größere Querkrafttragfähigkeiten. So kann die rechnerische Querkrafttragfähigkeit nach prEC2 in Fallbeispiel -1 durch die Erhöhung des Größtkorns von d dg -=-d dg,min -=-16-mm auf d dg - =- d dg,max - =- 40- mm von 1400- kN um 13- % 330 5. Brückenkolloquium - September 2022 Weiterentwicklung des Eurocodes 2 für den Brückenbau auf 1580- kN vergrößert und in Fallbieispiel- 2 von 180-kN um 39-% auf 250-kN erhöht werden. Da der Einfluss der Vorspannung bei der Alternative (Gl.- (10)) mit dem additiven Term k 1 - ·- σ cp unabhängig vom Größtkornparameter-d dg berücksichtigt wird, steigt die rechnerische Querkrafttragfähigkeit nach der Grundgleichung (Gl.-(6)) mit wachsendem d dg schneller an als nach der Alternative (Gl.-(10)), da der gesamte Term mit dem zunehmendem Größtkornparameter-d dg multipliziert wird. In Fallbeispiel- 1 ergeben sich dennoch nach der alternativen Berechnung mit k 1 - ·-σ cp für alle d dg höhere rechnerische Querkrafttragfähigkeiten als mit dem Ansatz über k vp (Grundgleichung). Ein Vergleich der Bemessungsansätze EC2/ NA(D) und prEC2 zeigt, dass für Fallbeispiel-1 ab einem Größtkornparameter-d dg -≥-29-mm mit Gl.-(10) (k 1 -·-σ cp ) nach prEC2 eine höhere rechnerische Querkrafttragfähigkeit ermittelt wird. Die Tragfähigkeiten nach prEC2 Gl.-(6) mit dem k vp -Faktor liegen unter den Tragfähigkeiten nach EC2/ NA(D). Für Fallbeispiel-2 ergibt sich für prEC2 ab d dg -=-35-mm eine höhere Tragfähigkeit-V Rd,c als nach EC2/ NA(D). Abb.-8: Querkrafttragfähigkeiten nach EC2/ NA(D) und prEC2 abhängig vom Größtkornparameter d dg 5.4 Maßstabseffekt-k und-d dg / d mit Berücksichtigung der empirischen Vorfaktoren und Teilsicherheitsbeiwerte Im Bereich der Rissspitze von Schubrissen kann eine Zugspannung im Beton übertragen werden. Dieser als Bruchprozesszone bezeichnete Bereich ist unabhängig von der Bauteilhöhe und wird lediglich durch die Materialeigenschaften des Betons bestimmt. Mit dem Maßstabseffekt wird berücksichtigt, dass der über die Bruchprozesszone abgetragene Querkraftanteil für kleine Bauteile relativ betrachtet höher ist als für größere Bauteile-[14]. Während der Maßstabseffekt in der Bemessung nach EC2/ NA(D) über den Faktor berücksichtigt wird, geht er nach prEC2 durch die dritte Wurzel des Quotienten aus Größtkornparameter-d dg zur statischen Nutzhöhe-d in die Berechnung der Querkrafttragfähigkeit ein. In Abb.-9 sind die Faktoren zur Berücksichtigung des Maßstabseffekts bei der Ermittlung der Querkrafttragfähigkeiten (durchgezogene Linien) sowie der Mindestquerkrafttragfähigkeiten (gestrichelt) in Abhängigkeit der statischen Nutzhöhe-d für variierende Größtkornparameter-d dg dargestellt. Für die Bemessung nach prEC2 sind die Quotienten für einen Größtkornparameter-d dg -=-16-mm und d dg -=-40-mm abgebildet. Zwischenwerte von-d dg liegen innerhalb der beiden dargestellten Kurven. Da neben dem Maßstabseffekt auch die empirischen Vorfaktoren- C Rd,c und Teilsicherheitsbeiwerte- γ bei der Ermittlung der Querkrafttragfähigkeit-V Rd,c und der Mindestquerkrafttragfähigkeit-V Rd,c,min geändert wurden, wird ein Vergleich einschließlich der konstanten Faktoren in den Gleichungen durchgeführt. In Abb.-9 sind die Produkte der konstanten Beiwerte zur Bestimmung von V Rd,c und V Rd,c,min dargestellt. Die restlichen Faktoren sind Tab.-2 zu entnehmen. Für statische Nutzhöhen 250-mm-<-d-<-1000-mm liegt der Faktor (blaue durchgezogene Linie) zur Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit nach EC2/ NA(D) zwischen den Werten nach prEC2 für den maximalen und minimalen Größtkorndurchmesser-d dg (braune und orangene durchgezogene Linien). Für kleine statischen Nutzhöhen d-<-250-mm ergeben sich nach prEC2 deutlich höhere rechnerische Querkrafttragfähigkeiten. Diese kleinen Querschnittsabmessungen sind in der Brückenpraxis in der Regel nicht üblich und werden daher nicht maßgebend. Während bei der Ermittlung der Mindestquerkrafttragfähigkeit nach EC2/ NA(D) nur ein sehr geringer Effekt des Maßstabseffektes zu erkennen ist, wird der Maßstabseffekt nach prEC2 deutlich stärker berücksichtigt. Abb.-9: Maßstabseffekt und Teilsicherheitsfaktoren nach EC2/ NA(D) und prEC2 mit variieren dem Größtkornparameter d dg 5. Brückenkolloquium - September 2022 331 Weiterentwicklung des Eurocodes 2 für den Brückenbau Tab.-2: Zahlenwerte der Einflussfaktoren auf den Maßstabseffekt nach EC2/ NA(D) und prEC2 v min * γc γv f yd [-] [-] [-] [N/ mm²] -=-0,0525 für -≤-600-mm; -=-0,0375 für -≥-800-mm Zwischenwerte interpoliert (Gl.-(2)) 1,5 1,4 435 5.5 Betondruckfestigkeit-f ck Die Querkrafttragfähigkeit von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung hängt neben dem Längsbewehrungsgrad, Maßstabseinfluss und Vorspanngrad auch von der Betondruckfestigkeit ab. Analog zum EC2/ NA(D) wird die charakteristische Betondruckfestigkeit nach prEC2 für die Ermittlung der Querkrafttragfähigkeit-V Rd,c mit der dritten Wurzel und zur Bestimmung der Mindestquerkrafttragfähigkeit-V Rd,c,min mit der Quadratwurzel angesetzt. In Abb.-10 sind die rechnerischen Querkraft- und Mindestquerkrafttragfähigkeiten für Fallbeispiel-1 dargestellt. Mit steigender Betondruckfestigkeit wird für alle Bemessungsansätze i.d.R. eine höhere Querkrafttragfähigkeit ermittelt. Eine Ausnahme bilden die rechnerischen Tragfähigkeiten nach prEC2 für hohe Betonfestigkeitsklassen. Für die Ermittlung der Beton- und Mindestquerkrafttragfähigkeit wird nach prEC2 (Gln.- (4) und (6)) das Produkt aus Größtkornparameter-d dg und charakteristischer Betondruckfestigkeit-f ck berücksichtigt. Für Betonfestigkeitsklassen >-C60/ 75 wird d dg in Abhängigkeit von f ck reduziert. Die Abminderung von d dg vermindert die rechnerische Querkrafttragfähigkeit in größerem Maße, als dass die höhere Betondruckfestigkeit positiv wirkt, wie die Darstellung in Tab.-3 zeigt. Abb.-10: Querkraft- und Mindestquerkrafttragfähigkeiten nach EC2/ NA(D) und prEC2 mit d dg = 32 mm Tab.-3: Vergleich des Produkts aus Größtkornparameter und Betondruckfestigkeit C70/ 85 C60/ 75 Obwohl eine höhere Betondruckfestigkeit angenommen wird, reduziert sich die rechnerische Querkrafttragfähigkeit des Betonquerschnitts. Mit zunehmendem d dg ist dieser Effekt stärker ausgeprägt. Je nach gewählten Parametern variiert die Betondruckfestigkeit, ab der sich eine rechnerische Reduzierung einstellt. In sind die Querkrafttragfähigkeiten mit identischen Randbedingungen und einem Größtkornparameter-d dg -=-40-mm in Abhängigkeit der Betonfestigkeit dargestellt. Ab einer Betondruckfestigkeit von etwa 70-N/ mm² findet die beschriebene Abminderung der Querkrafttragfähigkeit statt. Der Knick in den Verläufen der Querkrafttragfähigkeit nach EC2/ NA(D) (blaue durchgezogene Linien) in Abb.-10 bei einer Betondruckfestigkeit von ca. 35-N/ mm² wird durch die Begrenzung des positiven Einflusses der Vorspannung auf σ cp -≤-0,2- ·-f cd hervorgerufen. Für kleine Betonfestigkeitsklassen greift die obere Grenze von 0,2- ·- f cd , sodass der Querkrafttraganteil der Vorspannung linear mit der Betonfestigkeit steigt. Für hohe Betondruckfestigkeiten ist σ cp -≤-0,2-·-f cd eingehalten und der Anteil der Querkrafttragfähigkeit infolge Vorspannung bleibt konstant. Dieser Knick ist daher auch in der rechnerischen Querkrafttragfähigkeit nach prEC2 mit k 1 -·-σ cp zu sehen. Da der Bemessungswert der Betondruckfestigkeit-f cd nach prEC2 allerdings höher angenommen wird als nach EC2/ NA(D), endet die Begrenzung des positiven Effekts der Vorspannung σ cp -≤-0,2-·-f cd bereits für geringere charakteristische Betondruckfestigkeiten. Die rechnerische Mindestquerkrafttragfähigkeit V Rd,c,min,EC2/ NA(D) (gestrichelte blaue Linie) nähert sich für große Betondruckfestigkeiten an die Querkrafttragfähigkeit-V Rd,c,EC2/ NA(D) an, da die Betondruckfestigkeit zur Ermittlung von V Rd,c,min mit der Quadratwurzel berücksichtigt wird, während diese zur Ermittlung von V Rd,c mit der dritten Wurzel eingeht. Für große Betondruckfestigkeiten ergeben sich dadurch trotz Vernachlässigung des Längsbewehrungsgrades bei der Ermittlung von V Rd,c,min ähnliche Querkrafttragfähigkeiten wie mit dem Ansatz für V Rd,c . Dieser Effekt ist für die Tragfähigkeiten nach prEC2 nicht vorhanden, da der positive Einfluss der Vorspannung bei der Ermittlung der Mindestquerkrafttragfähigkeit nicht berücksichtigt wird. 5.6 Querkrafttraganteil der geneigten Betondruckstrebe V ccd Der Traganteil der geneigten Betondruckstrebe-V ccd darf nach EC2/ NA(D) auch für nicht querkraftbewehrte Bauteile angesetzt werden, obwohl das Grunddokument nach EC2 dies nicht vorsieht. Im Entwurf des neuen Eurocodes 332 5. Brückenkolloquium - September 2022 Weiterentwicklung des Eurocodes 2 für den Brückenbau prEC2 darf der Querkrafttraganteil-V ccd allein bei querkraftbewehrten Bauteilen anrechenbar angesetzt werden. In Abb.-11 sind die Tragfähigkeiten in Abhängigkeit der Neigung des Druckgurtes dargestellt. Aufgrund des geringen Längsbewehrungsgrades in Fallbeispiel-2 ist nach EC2/ NA(D) die Mindestquerkrafttragfähigkeit maßgebend. Abb.-11: Querkraft- und Mindestquerkrafttragfähigkeiten nach EC2/ NA(D) und prEC2 abhängig von der Voutengeometrie Der Vergleich der Tragfähigkeiten nach EC2/ NA(D) und prEC2 zeigt, dass durch die Berücksichtigung des Querkrafttraganteils- V ccd (hellblaue Linien) mit zunehmender Neigung der Voute eine deutlich höhere rechnerische Querkrafttragfähigkeit nach EC2/ NA(D) resultiert. Durch experimentelle Untersuchungen konnte der Querkrafttraganteil-V ccd für gevoutete, nicht querkraftbewehrte Bauteile nicht bestätigt werden-[15]. Daher werden die Tragfähigkeiten nach prEC2 mit denen nach EC2/ NA(D) ohne Berücksichtigung von-V ccd verglichen. Aufgrund der geringen Schubschlankheit ergibt die Grundgleichung in Kombination mit dem Beiwert-k vp nach prEC2 die höchsten Tragfähigkeiten, während die rechnerische Tragfähigkeit mit dem additiven Term k 1 -·-σ cp (Alternative) niedriger ist. 6. Zusammenfassung und Ausblick Die Bemessung von Bauteilen ohne rechnerisch erforderliche Querkraftbewehrung erfolgt im Eurocode 2 der zweiten Generation (prEC2) auf Basis der Critical Shear Crack Theory. Hierbei fließt die Schubschlankheit im Bemessungsschnitt in die Bemessungsgleichung ein. Wichtig ist zudem, dass aktuell zwei Ansätze (Grundgleichung CSCT mit k vp und Alternative mit k 1 -·-σ cp ) zur Berücksichtigung der Vorspannung im prEC2 angegeben sind. Bei der Bemessung von Bauteilen mit rechnerisch erforderlicher Querkraftbewehrung wird weiterhin ein Fachwerkmodell mit variabler Druckstrebenneigung verwendet. Dabei können die Druckstrebenwinkel innerhalb festgelegter Grenzen in Abhängigkeit der Normalkraft und der Bauweise (Stahlbeton oder Spannbeton) frei gewählt werden. In diesem Artikel wurden die aktuellen Ansätze der stabilen Fassung des prEC2 durch Vergleichsberechnungen mit den derzeit gültigen Bemessungsregeln nach EC2/ NA(D) verglichen. Hierbei wurden die Ansätze für Bauteile ohne Querkraftbewehrung auf zwei Beispielbrücken ((1) Dicke vorgespannte Platte, (2) Fahrbahnplatte in Querrichtung) angewandt, die stellvertretend für den Brückenbau und die dort üblichen Querschnitte ausgewählt wurden. Die rechnerischen Querkraftwiderstände wurden ermittelt und miteinander verglichen. Zur Verallgemeinerung der Aussagekraft der Bemessungsergebnisse wurden anschließend Parameterstudien auf Basis der einzelnen Fallbeispiele durchgeführt. An Fallbeispiel-(1) und (2) wurden die Einflüsse aus Längsbewehrungsgrad, Vorspannung, Schubschlankheit, Größtkorn, Maßstabseffekt, Betonfestigkeit und geneigter Gurte auf die rechnerische Querkrafttragfähigkeit untersucht. Die systematische Untersuchung der rechnerischen Querkrafttragfähigkeiten von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung zeigt, dass eine Berücksichtigung der effektiven Schubspannweite-a cs nach den Gln. 8.18 und 8.19 in prEC2 (Gln.-(7) bis (9)) die rechnerische Querkrafttragfähigkeit sowohl für die Grundgleichung als auch für die Alternative mit k 1 - ·- σ cp zur Berücksichtigung der Vorspannung erhöht. Für Nachweise von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung liefert die alternative Berücksichtigung der Vorspannung mit k 1 -·-σ cp in Bauteillängsrichtung mit großen Stützweiten höhere Tragfähigkeiten. Aufgrund der geringeren vorhandenen Schubschlankheiten kann die Grundgleichung nach prEC2 für Nachweise in Bauteilquerrichtung teilweise höhere Querkrafttragfähigkeiten erreichen. Zudem wurde gezeigt, dass die Mindestquerkrafttragfähigkeit nach EC2/ NA(D) aufgrund der Berücksichtigung der Vorspannung für die meisten Anwendungen über der nach prEC2 liegt. Nachfolgend werden auf Basis der zuvor erarbeiteten Erkenntnisse aus den Fallbeisp