Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
0925
2024
61
Die alle zwei Jahre stattfindende, zweitägige Fachtagung mit begleitender Ausstellung dient dem interdisziplinären Erfahrungs- und Wissensaustausch von Forschern, Planern, Ausführenden, Eigentümern, Betreibern und der Bauwirtschaft zu neuen und innovativen Methoden, Verfahren und Technologien im Brückenbau. Im Vordergrund stehen innovative Vorgehensweisen, Methoden, Verfahren und Baustoffe sowohl für Neu- und Ersatzbau im bestehenden Verkehrsnetz als auch für Instandsetzung und Ertüchtigung des Bestands. Der Inhalt Plattform für intensiven Wissensaustausch Für das 6. Brückenkolloquium sind etwa 70 Plenar- und Fachvorträge von anerkannten Experten in parallelen Sitzungen zu folgenden Themenschwerpunkten geplant: Beurteilung und Bewertung des Zustands BIM und Digitalisierung FEM-Anwendungen Innovative Bauweisen, Bauverfahren und Bauprodukte Innovative Technologien Instandsetzung, Ertüchtigung, Ersatz- und Rückbau Messwertgestützte Tragsicherheitsbewertung Querkraft- und Torsionstragfähigkeit Schnelles Bauen Tragfähigkeit, Zuverlässigkeit, Nachhaltigkeit und Resilienz Das vorliegende Tagungshandbuch enthält die vorab eingereichten Beiträge zu den Vorträgen und gibt einen Überblick über neue und innovative Methoden, Verfahren und Technologien zur Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken. Weitere Informationen unter: www.tae.de/ 50035 Die Zielgruppe Architekten Ingenieure in Entwurfs- und Planungsbüros, Bauunternehmen, Bauverwaltungen, Behörden, Forschungseinrichtungen und Institutionen Bauleiter Bausachverständige Fach- und Führungskräfte im Baugewerbe und in der Bauindustrie Bauwerkseigentümer und -betreiber Baustoffhersteller Anbieter von Verfahren zum Lebenszyklusmanagement, zur Bauwerksdiagnose, der Bauwerksüberwachung, von Instandsetzungs- und Ertüchtigungsverfahren Softwareanbieter www.tae.de ISBN 978-3-381-13111-2 Herausgegeben von Matthias Müller 6. Brückenkolloquium Fachtagung über Beurteilung, Instandsetzung, Ertüchtigung und Ersatz von Brücken Tagungshandbuch 2024 6. Brückenkolloquium Tagungshandbuch 2024 6. Brückenkolloquium 1. + 2. Oktober 2024 Technische Akademie Esslingen Herausgegeben von Dr.-Ing. Matthias Müller 6. Brückenkolloquium Fachtagung über Beurteilung, Instandsetzung, Ertüchtigung und Ersatz von Brücken Tagungshandbuch 2024 in Zusammenarbeit mit Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das vorliegende Werk wurde mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autoren oder Herausgeber übernehmen deshalb eine Haftung für die Fehlerfreiheit, Aktualität und Vollständigkeit des Werkes und seiner elektronischen Bestandteile. © 2024. Alle Rechte vorbehalten. expert verlag Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen E-Mail: info@verlag.expert Internet: www.expertverlag.de Printed in Germany ISBN 978-3-381-13111-2 (Print) eISBN 978-3-381-13112-9 (ePDF) Technische Akademie Esslingen e. V. An der Akademie 5 · D-73760 Ostfildern E-Mail: bauwesen@tae.de Internet: www.tae.de 5 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 5 Vorwort Die alternde Verkehrsinfrastruktur in Deutschland und dabei besonders die Brücken stehen derzeit besonders im öffentlichen Fokus. Dabei geht es vorrangig um das Thema Verfügbarkeit, aber auch Nachhaltigkeitsaspekte werden immer bedeutsamer und entsprechend mehr nachgefragt. Eine große Herausforderung ist dabei der Abbau des über Jahrzehnte aufgebauten Erhaltungsstaus von Ingenieur- und besonders Brückenbauwerken. Der Großteil der Brücken im Bundesfernstraßennetz wurde zwischen 1950 und 1980 geplant und gebaut. Die Verkehrslasten haben seither in einem seinerzeit nicht vorhersehbaren Maß zugenommen. Dennoch haben die Bauwerke einen Großteil ihrer geplanten Nutzungsdauer erreicht. Dies zeigt trotz vorhandener Defizite auch die beachtliche Leistungsfähigkeit der seinerzeit geplanten Bauwerke. Die alle zwei Jahre stattfindende, zweitägige Fachtagung mit begleitender Ausstellung dient dem interdisziplinären Erfahrungs- und Wissensaustausch von Forschern, Planern, Ausführenden, Eigentümern, Betreibern und der Bauwirtschaft zu neuen und innovativen Methoden, Verfahren und Technologien im Brückenbau. Im Vordergrund stehen innovative Vorgehensweisen, Methoden, Verfahren und Baustoffe sowohl für Neu- und Ersatzbau im bestehenden Verkehrsnetz als auch für Instandsetzung und Ertüchtigung des Bestands. Zielgruppen der Fachtagung sind Architekten, Ingenieure in Entwurfs- und Planungsbüros, Bauunternehmen, Bauverwaltungen, Behörden, Forschungseinrichtungen und Institutionen, Bauleiter, Bausachverständige, Fach- und Führungskräfte im Baugewerbe und in der Bauindustrie, Bauwerkseigentümer und -betreiber, Baustoffhersteller, Anbieter von Verfahren zum Lebenszyklusmanagement, zur Bauwerksdiagnose, der Bauwerksüberwachung, von Instandsetzungs- und Ertüchtigungsverfahren sowie Softwareanbieter. Plattform für intensiven Wissensaustausch Für das 6. Brückenkolloquium sind etwa 70 Plenar- und Fachvorträge von anerkannten Experten in parallelen Sitzungen zu folgenden Themenschwerpunkten geplant: • Beurteilung und Bewertung des Zustands • BIM und Digitalisierung • FEM-Anwendungen • Innovative Bauweisen, Bauverfahren und Bauprodukte • Innovative Technologien • Instandsetzung, Ertüchtigung, Ersatz- und Rückbau • Messwertgestützte Tragsicherheitsbewertung • Querkraft- und Torsionstragfähigkeit • Schnelles Bauen • Tragfähigkeit, Zuverlässigkeit, Nachhaltigkeit und Resilienz Das vorliegende Tagungshandbuch enthält die vorab eingereichten Beiträge zu den Vorträgen und gibt einen Überblick über neue und innovative Methoden, Verfahren und Technologien zur Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken. Weitere Informationen unter: www.tae.de/ 50035 7 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 7 Inhaltsverzeichnis 0.0 Plenar 0.1 Digitale Erhaltung am Beispiel der Nibelungenbrücke bei Worms - ein Beitrag zur Nachhaltigkeit im Verkehrswegebau 15 Prof. Dr.-Ing. Gero Marzahn, Dipl.-Ing. Andreas Jackmuth, Prof. Dr.-Ing. Steffen Marx 0.2 Gänstorbrücke - Ersatzbauwerk für einen Meilenstein 27 Dr.-Ing. Thomas Klähne, Bastian Sweers, Timo Roth, Prof. Henry Ripke 0.3 Restnutzungsdauerverlängerung von Brücken 37 Matthias Müller, Dieter von Weschpfennig, Iris Hindersmann, Lydia Puttkamer, Heinz Friedrich, Carl Richter 0.4 Aktuelle und zukünftige Potenziale in Stufe-2 und 4 der Nachrechnungsrichtlinie 47 Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E. h. Josef Hegger 0.5 Kombinierte Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion - Erkenntnisse aus zwei BASt-Forschungsvorhaben 59 Univ.-Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer, Dipl.-Ing. Vladimir Lavrentyev, Eva Stakalies, M. Sc. 1.0 BIM und Digitalisierung 1.1 BIM-basierte Tragwerksplanung mit komplexen Randbedingungen und Bauphasen am Beispiel einer Eisenbahnbrücke im Hauptbahnhof Hannover 73 Gustavo Cosenza, M. Sc., Prof. Dr.-Ing. Christian Koch, Dr.-Ing. Marcus Achenbach, Dr.-Ing. Waldemar Krakowski, Bartek Jaroszewski, M. Sc. 1.2 Moderne Stahlbauplanung als Beitrag für ein digitales Erhaltungsmanagement am Beispiel von Brücken 83 Dr.- Ing. Nico Steffens, Dipl.-Ing. Marian Kempkes 1.3 Der BIM-Anwendungsfall „digitale Bauwerksdiagnostik“ 91 Kristin Kottmeier, M. Sc., Tina Hackel, Chris Voigt, M. Eng. 1.4 Mönchengladbachs erste BIM-Brücke 101 Dipl.-Ing. Christian Lambracht, Dipl.-Ing. Andreas Malcher, Dr.-Ing. Christoph von der Haar 1.5 Digitale Modellierung von Bestandsbrücken im Kontext des SHM 107 Martin Köhncke, M. Sc., Dr.-Ing. Al-Hakam Hamdan, Jens Bartnitzek, Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Sascha Henke, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Sylvia Keßler 1.6 Lebensdauerbewertung für Stahlbetonbrücken auf der Grundlage von XAI 113 Dr.-Ing. Francesca Marsili, Dr. Filippo Landi, Prof. Dr. Rade Hajdin, Prof. Dr.-Ing. Sylvia Keßler 2.0 Beurteilung und Bewertung des Zustands 2.1 Brückenerhaltung in Baden-Württemberg - Zustandsentwicklung, Strategien und Innovationen 123 Dipl.-Ing. Gundula Peringer, Dr.-Ing. Tim Weirich 2.2 Zentrale Datenplattform für Brücken-Monitoringsysteme 129 Prof. Dr.-Ing. Max Gündel, Dipl.-Phys. Wolfgang Ries 2.3 Innovatives Betonmonitoring im Praxiseinsatz 133 Christian Steffes, M. Sc. 88 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 2.4 Korrosionsmonitoring - Frühzeitige Erkennung von Korrosionsrisiken in Stahlbetonbauwerken zur Optimierung des Infrastrukturmanagements 141 Dr. Yurena Seguí Femenias, Dr. Fabrizio Moro, Dr. Dimitra Ioannidou 2.5 Automatisierte plan-, modell- und bauteilbasierte Fehlstellenverortung in 2D und 3D bei Brückenbauwerken 149 Dipl.-Ing. Stefan S. Grubinger, B. Sc., Dipl.-Ing. Sandra Hoffmann, Dipl.-Dipl.-Ing. Dr. techn. Matthias J. Rebhan, B. Sc. 2.6 Datenbasierte Zustandsprognose von Brückenobjekten als Grundlage für die Lebenszyklusbewertung im strategischen Erhaltungsmanagement 159 Dipl.-Ing. Dr. techn. Alfred Weninger-Vycudil, FH-Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Markus Vill, Dipl.-Ing. Dr. techn. Thomas Sommerauer, Jakob Quirgst, B. Sc. 2.7 Anwendung der quasi-kontinuierlichen faseroptischen Dehnungsmessung an bestehenden Spannbetonbrücken 169 Harald Burger, M. Sc, Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Oliver Fischer 2.8 Neue Technologien für die Inspektion von Betonbauwerken - Ein Blick in die Zukunft 177 Dr. Dominik Merkle, Valentin Vierhub-Lorenz, Jannis Gangelhoff, Jan Jung, Alen Nasic, Prof. Dr. Alexander Reiterer 2.9 Untersuchung des Verpresszustands von Spannbetonbauten mit non- und minimal-invasiven Methoden 183 Dr.-Ing. Sebastian Schulze 2.10 Automatisierte Zustandserfassung mittels multivariater Inspektionssysteme und Drohnen - Stand der Entwicklung 191 Dipl.-Ing. Dirk Münzner, Dominik Thomas, M. Sc. 2.11 Berührungsloses Profilscanning (PLS) für den Einsatz bei Belastungsversuchen 197 Prof. Dr.-Ing. Florian Schill, Dr.-Ing. Gregor Schacht, Dipl.-Ing. Torsten Harke 3.0 Tragfähigkeit, Zuverlässigkeit, Nachhaltigkeit und Resilienz 3.1 Erkenntnisse aus neueren Untersuchungen zu Zugstößen durch Übergreifung bei mehrlagiger Bewehrung und alternierenden Stababständen 207 Dr.-Ing. Matthias Bettin, Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer 3.2 System zur Verwendung von Mobilkranen für Belastungsversuche an Brückenbauwerken kleinerer Stützweite 219 Maximilian Schnieders, Prof. Dr.-Ing. Marc Gutermann 3.3 Seilkraftbestimmung über Eigenfrequenzmessungen am Beispiel der Hänger der Rheinbrücke Emmerich 227 Dr.-Ing. Axel Greim 3.4 Spannungsrisskorrosion in konzentrierten Spanngliedern - Erfahrungen aus einem gesamtheitlichen Bewertungsansatz für zwei Bauwerke in Döbeln (Sachsen) 233 Dr.-Ing. Steffen Müller, Dipl.-Ing. Max Käding, Dr.-Ing. Gregor Schacht, Dipl.-Ing. Andreas Gruner, Dipl.-Ing. Ralf Seifert 3.5 Ein neuer Algorithmus zur Erstellung realistischer Verkehrslastmodelle für Straßenbrücken 245 DI Dr. Alois Vorwagner, DI Marian Ralbovsky, PhD, Prof. Dr.-Ing. Ursula Freundt, Dipl.-Math. Rolf Kaschner, Omar Bisia Castillo Chang, M. Sc., Prof. DI Dr. Andreas Taras, Stefan Martinolli, M. Sc., Prof. Dr. Alain Nussbaumer, FH-Prof. DI Dr. Markus Vill 9 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 9 3.6 Rezyklierte Gesteinskörnungen im Anwendungsbereich der ZTV-ING 253 Wolfgang Breit, Robert Adams, Syamak Tavasoli, Maria Teresa Alonso Junghanns, Matthias Müller 3.7 Handlungsanleitung: Umgang mit asbesthaltigen Hilfsbauteilen in Brücken aus Stahlbeton 263 Dr. Martin Hönig, Hans-Dieter Bossemeyer, Dr.-Ing. David Sanio, Dr. rer. nat. Volker Thome 3.8 Von der Zustandsnote 3 zur erfolgreichen Instandsetzung des Bauwerkes 271 Dipl.-Ing. Helena Eisenkrein-Kreksch, Dipl.-Ing. Christian Kotz-Pollkläsener 3.9 Schiffsanprall auf Brücken - für Planung, Bauzeit und Bestand 279 Dipl.-Ing. Claus Kunz 3.10 Hochwasserschäden an Brücken- und Ingenieurbauwerken 287 Dr.-Ing. Karin Reißen, Dipl.-Ing. Hans-Peter Doser, Dr.-Ing. Joerg Gallwoszus, Dipl.-Ing. Ralph Holst 3.11 Modellbasierte Bauwerksprüfung nach DIN 1076 zur Sicherstellung der Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit 297 Dipl.-Ing. (FH) Birga Ziegler, M. Sc., Dipl.-Ing. Sabine Reim 4.0 Instandsetzung, Ertüchtigung, Ersatz- und Rückbau 4.1 Verstärkung des Deckblechs orthotroper Fahrbahnplatten durch Aufkleben von Stahlblechen 305 Dr.-Ing. Heinz Friedrich 4.2 Statisch-konstruktive Fragestellungen bei der Bewertung und dem Rückbau von Bestandsbrücken aus Spannbeton 311 Dr.-Ing. Jan Lingemann, Dipl.-Ing. Stephan Sonnabend 4.3 Verstärkung der Innbrücke Obernberg-Egglfing 319 Florian Keil, M. Eng., Dr. Katrin Runtemund 4.4 Verstärkung der Stahl-/ Spannbetonbrücke „Kleine Schönbuschallee“ in Aschaffenburg mit Carbonbeton 325 Dr.-Ing. Juliane Wagner, Prof. Dr.-Ing. Alexander Schumann, Dr.-Ing. Sebastian May, Ralph-Peter Rellig, B. Sc. 4.5 Partielle Verstärkung der Ulmer Wallstraßenbrücke - Rissöffnungen in Koppelfuge vor und nach dem Einbau von externen Längsspanngliedern 331 Dr.-Ing. Andreas Müller 5.0 FEM-Anwendungen 5.1 Systemidentifikation zur realitätsnahen Abbildung von Bestandsbrücken 341 Dr.-Ing. Wassim Abu Abed, Dipl.-Ing. Olaf Jüntgen 6.0 Schnelles Bauen/ Monitoring 6.1 Bauwerksmonitoring im Zuge des Ersatzneubaus einer Straßenbrücke in Brandenburg an der Havel 351 Dipl.-Ing. Ronald Stein, Felix Kaplan, Till Brauer 6.2 Brückensysteme mit geringer Verkehrsbeeinträchtigung 363 Dipl.-Ing. Hans-Peter Doser 10 10 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 6.3 Typisierung von Brückenentwürfen 371 Dipl.-Ing. Peter Sprinke 6.4 Innovative und nachhaltige Bauweise mit Widerlagern aus kunststoffbewehrter Erde (KBE) - ein prämiertes Schnellbausystem für Brücken 379 Dipl.-Ing. Thorsten Balder 7.0 Messwertgestützte Tragsicherheitsbewertung 7.1 Monitoring während der Bauphase einer Spannbetonbrücke: Änderung der modalen Bauwerksparameter und Optimierung der Referenzphase 387 Jan-Hauke Bartels, M.-Sc., Dipl.-Ing. Arne Klimt, Prof. Dr.-Ing. Steffen Marx 7.2 ANYTWIN - Identifikation wesentlicher Einflussparameter für - auf Grundlage von Auswertungen des Nachrechnungsbestandes - ausgewählte Versagensmechanismen 399 Marco Maibaum, M.-Sc., Dr.-Ing. Zheng Li, Lydia Puttkamer, M.-Sc. 7.3 ANYTWIN - Charakterisierung Digitaler Brückenzwillinge zur Integration messwertgestützter Tragsicherheitsnachweise 409 Pauline Esser, M. Sc., Dipl.-Ing. Maria Walker, Alex Lazoglu, M. Sc., Lisa Ulbrich, M. Sc., Prof. Dr.-Ing. Steffen Marx 8.0 Schnelles Bauen 8.1 Planungshilfe zur Umsetzung modularer Brückenbausysteme in Deutschland 419 Christian Dommes, M. Sc., Benjamin Camps, M. Sc., Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E. h. Josef Hegger 8.2 Schnellbausysteme als Beitrag zum nachhaltigen Brückenbau - Nutzung von weitgespannten Fertigteilen aus C80/ 95 427 Dipl.-Ing. Theo Reddemann, Dipl.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Till Schnetgöke, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer, Dr.-Ing. Jens Heinrich 8.3 Schnelle Errichtung von Autobahnbrücken mit dem LT-Brückenbauverfahren 433 Prof. Dr.-Ing. Johann Kollegger, Dipl.-Ing. Franz Untermarzoner, Prof. Dr.-techn. Patrick Huber 9.0 Innovative Bauweisen, Bauverfahren und Bauprodukte 9.1 Fuß- und Radwegbrücke über den Seeblickweg in Stuttgart 441 Julian Frede, M. Eng., Dipl.-Ing. Timo Krämer, Prof. Dr.-Ing. Sergej Rempel 9.2 Ersatz der Überführung von Mely VD durch eine UHFB-Rahmenbrücke über die Nationalstraße A1 Lausanne Genf 447 Jean-Marc Waeber, Stéphane Cuennet 9.3 Neubau und Instandsetzung von Brücken mit CPC-Betonelementen 455 Dipl.-Ing. Simon Liebl, Andreas Borgstädt 9.4 Beheizbare Brückenbeläge in Anlehnung an ZTV-ING 6-5 461 Mario Wettengel, Dipl.-Ing. Chemie Joachim Pflugfelder 9.5 Spezialpolyurethanharz für die Abdichtung unter Asphaltbelägen 467 Dr. rer. nat. Jonas Tendyck 9.6 Innovatives Brückenharz mit verbesserter Performance und reduziertem CO 2 -Fußabdruck 471 Cenk Uslu, M. Sc. 11 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 11 10.0 Querkraft- und Torsionstragfähigkeit 10.1 Erkenntnisse zur Torsionstragfähigkeit bei kombinierter Beanspruchung (M+V+T) aus Versuchen an Durchlaufträgern 477 Eva Stakalies, M. Sc., Dipl.-Ing. Vladimir Lavrentyev, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer 10.2 Abschließende Forschungsergebnisse zu den experimentellen und theoretischen Untersuchungen unter der kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion 487 Dipl.-Ing Vladimir Lavrentyev, Eva Stakalies, M. Sc., Univ.-Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer 10.3 Ermittlung von Traglastreserven in 16,5-m Spannbetonträgern unter Querkraftbeanspruchung 497 Christian Dommes, M. Sc., Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E. h. Josef Hegger 10.4 Der Einfluss unterschiedlicher Vorspannung auf die Querkrafttragfähigkeit von großformatigen Spannbetonträgern 509 Sebastian Lamatsch, M. Sc., Prof. Dr.-Ing. Oliver Fischer 11.0 Innovative Technologien 11.1 Intelligente Sensorik in Spanngliedern mit nachträglichem Verbund für die ortsauflösende Spannkraftermittlung und Zustandsbewertung von Bauwerken 519 Dipl.-Ing. Kay Löffler, Dr.-Ing. Christian Gläser 11.2 Datenbasierte Vorfertigung von parametrisierten Sonderschalungselementen mit Holz-Holz-Verbindungen 523 Dipl.-Ing. Marc-Patrick Pfleger, Univ.-Prof. Dr. techn. Patrick Huber 11.3 Bauzeitenverkürzung durch maschinengestützte Materialvorlage bei der Versiegelung unter der Schweißbahn 531 Arnd Laber 12.0 Anhang 12.1 Programmausschuss 537 12.2 Autorenverzeichnis 539 Plenar 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 15 Digitale Erhaltung am Beispiel der Nibelungenbrücke bei Worms - ein Beitrag zur Nachhaltigkeit im Verkehrswegebau Prof. Dr.-Ing. Gero Marzahn Bundesministerium für Digitales und Verkehr, Bonn Dipl.-Ing. Andreas Jackmuth Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz, Koblenz Prof. Dr.-Ing. Steffen Marx Technische Universität Dresden Zusammenfassung Brücken verbinden und überwinden Hindernisse - oft unscheinbar, manchmal spektakulär. Die Nibelungenbrücke gehört zweifellos zu jenen Bauwerken, die prägen und Maßstäbe setzen. Sie gilt als Ikone des deutschen Brückenbaus. Wie alle Brücken unterliegt auch die Nibelungenbrücke der Alterung und dem Verschleiß und muss neben anderen Einwirkungen ebenfalls permanenten statischen und dynamischen Beanspruchungen aus Verkehr standhalten. Regelmäßige Bauwerksprüfungen tragen dazu bei, Schäden frühzeitig zu erkennen, zu beheben und so nicht nur zum Substanzerhalt beizutragen, sondern auch die Verkehrssicherheit jederzeit sicherzustellen. Die Brücke wurde den Anforderungen ihrer Entstehungszeit Anfang der 1950er Jahre gemäß geplant und gebaut. Den heutigen Anforderungen wird sie damit, zumindest rechnerisch, nicht in allen Aspekten gerecht. Es verbleiben statische Defizite, die sich nur aufwendig beheben lassen. Dennoch zeigt sie keinerlei Anzeichen von Schäden, die auf eine Überbeanspruchung hindeuten würden. Grund genug, sich mit der Brücke intensiver zu befassen und anstelle eines Ersatzneubaus andere, neue Wege zu beschreiten, Defizite im Trag- und Gebrauchsverhalten geeignet zu kompensieren und somit die Brücke in ihrer alten Form weiterhin sicher nutzen zu können. Durch neue, innovative Verfahren, die auf digitalen Datenmodellen gefüttert mit spezifischen Messwerten des Bauwerks in Echtzeit auf bauen, wird für die Nibelungenbrücke ein digitaler Zwilling geschaffen, der das reale Bauwerk virtuell dynamisch repräsentiert, seine Wirkzusammenhänge auf unterschiedlichen Ebenen darstellt und so trotz rechnerischer statischer Defizite einen weiteren Betrieb ohne Verkehrseinschränkungen ermöglichen wird. Ein digitaler Zwilling bietet die Chance, den Informationsgehalt zum Bauwerkszustand über das rein visuell Erfassbare zu steigern und in kürzeren Zeitabständen bis hin zur Echtzeitablesung Zustandsinformationen abzufragen und auszuwerten. Damit können statische Defizite kompensiert und die Grundlagen sowohl für eine bedarfsgerechte und prädiktive Instandhaltung als auch für eine kontrollierte längere Nutzung des Bauwerks über die ursprünglich geplante Nutzungsdauer hinaus gelegt werden. Dieses Ziel stärkt unmittelbar die Nachhaltigkeit von Verkehrsinfrastruktur. Damit ist der digitale Zwilling nicht nur eine digitale Technologie, sondern Wegbereiter für ein modernes, digitales Erhaltungsmanagement. Die Nibelungenbrücke dient hierfür als Validierungsobjekt und setzt wieder einmal Maßstäbe. 1. Einleitung Die alte Nibelungenbrücke Worms ist zweifellos ein Bauwerk von besonderer ingenieurtechnischer Bedeutung. Die im Freivorbau mit zuvor noch nie erreichten Vorbaulängen von 114 m errichtete Spannbetonkonstruktion stellt eine großartige Pionierleistung des konstruktiven Ingenieurbaus dar [1]. Sie ist damit die erste Großbrücke aus vorgespanntem Ortbeton im Freivorbau und zugleich die erste Rheinquerung in Spannbetonbauweise (Abb. 1). Nur dank hervorragender Ingenieure, wie Ulrich Finsterwalder, die mit viel Innovationskraft, Kreativität und Mut die damals noch junge Spannbetonbauweise zur Standardbauweise entwickelten, war der rasche Wiederauf bau der im Krieg weitgehend zerstörten Straßeninfrastruktur sowie deren umfassender Ausbau in den 1950er bis 1980er Jahren möglich. Abb. 1: Seitenansicht der alten Nibelungenbrücke Worms (Quelle: Marx Krontal Partner (MKP) GmbH, Weimar) Das Bauwerk ist sowohl nach dem hessischen als auch nach dem rheinland-pfälzischen Denkmalrecht als Kul- 16 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Digitale Erhaltung am Beispiel der Nibelungenbrücke bei Worms - ein Beitrag zur Nachhaltigkeit im Verkehrswegebau turdenkmal erfasst. Die Würdigung mit dem Titel „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ durch die Bundesingenieurkammer [2, 3] beweist damit einmal mehr seine ingenieurhistorische Bedeutung. Die baugeschichtliche Besonderheit der alten Nibelungenbrücke als Prototyp einer in ihrer Entstehungszeit revolutionären Bauweise stellt in technischer Hinsicht die größte Herausforderung für den Erhalt des Bauwerks dar. Aus heutiger Perspektive besitzt die alte Nibelungenbrücke - als Zeitzeugnis der frühen Spannbetonbauweise-- typische bauzeitbedingte Defizite. Daher ist bei allen Schritten der Bauwerkserhaltung, insbesondere wenn bauliche Maßnahmen damit verbunden sind, die besondere Bedeutung der alten Nibelungenbrücke zu würdigen. 2. Grundsätze der Erhaltung Brücken unterliegen einer stetigen Alterung, Verschleiß und Degradation. Damit die Bauwerke dennoch ihrer bestimmungsgemäßen Nutzung über die geplante Nutzungsdauer gerecht werden können, müssen regelmäßig Erhaltungsmaßnahmen durchgeführt werden. Die Verantwortung hierfür ist gesetzlich klar geregelt. Die Straßenbauverwaltungen in Deutschland haben als Träger der Straßenbaulast dafür einzustehen, dass öffentliche Straßen, also Straßen, Wege und Plätze, die dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind, allen Anforderungen der Sicherheit und Ordnung genügen. Insbesondere haben sie dafür zu sorgen, dass Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit von Ingenieurbauwerken gewährleistet sind, wozu bekanntermaßen Brücken zählen. Von diesen Bauwerken darf keine Gefahr ausgehen und sie müssen im Sinne ihrer Bestimmung sicher von jedermann nutzbar sein. Im Rahmen der Auftragsverwaltung übernimmt der Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz (LBM) für die Nibelungenbrücke diese verantwortungsvolle Aufgabe. 3. Die Nibelungenbrücke 3.1 Beschreibung des Bauwerks Die B-47 quert bei Worms auf zwei separaten Brückenbauwerken mit jeweils zwei Fahrspuren den Rhein und verbindet die Bundesländer Hessen und Rheinland-Pfalz (Abb. 2). Die Rheinquerung wird täglich von rd. 23.000 Fahrzeugen mit einem Schwerverkehrsanteil von 7-% genutzt. In Fahrrichtung Hessen (HE) wird der Verkehr über die 2008 fertiggestellte neue Rheinquerung (ASB 6316 919) und in Fahrtrichtung Rheinland-Pfalz (RP) über die historische Strombrücke (ASB 6316 873) geführt. Letztere - auch als „Alte Nibelungenbrücke“ bezeichnet - ist Gegenstand dieses Beitrags. Bei der älteren Nibelungenbrücke handelt es sich um eine Spannbetonbrücke, die zwischen den Jahren 1951 und 1953 von beidseits der Ufergewässer angeordneten Strompfeilern aus im freien Vorbau hergestellt wurde [2]. Sie gründet auf den Fundamenten des im zweiten Weltkrieg zerstörten Vorgängerbauwerks „Ernst-Ludwig-Brücke“. Beide von den Nachbarpfeilern aufwachsenden Kraghälften eines Brückenfeldes wurden in Feldmitte über vorgespannte Momentengelenke verbunden, die Kraghälften selbst sind biegesteif in die Pfeiler eingespannt. Während am linksrheinischen Bauwerksende ein kleines Endfeld als Gegengewicht für den Überbau in der ersten Flussöffnung dient, wird der Überbau am rechtsrheinischen Bauwerksende mangels Ballastierungsmöglichkeiten durch Zugglieder und Zugpfähle in der Lage gesichert (Abb. 3). Abb. 3: Auf bau der alten Nibelungenbrücke Worms, Quelle: Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz (LBM), Koblenz Die drei Felder des Überbaus spannen über 101,6- m, 114,2- m und 104,2- m. Die Konstruktionshöhe beträgt über den Pfeilern 6,50 m und verjüngt sich in Feldmitte auf 2,50-m. Der Überbau besteht aus zwei Hohlkästen, die über die Fahrbahnplatte und Pfeilerquerträger miteinander verbunden sind. Die Vorspannung erfolgt in Längs- und Querrichtung mit Stabspanngliedern mit nachträglichem Verbund, zudem sind die Stege in Vertikalrichtung mit Stabspanngliedern (vorgespannte Schubnadeln) vorgespannt. Die Stabspannglieder entsprechen der Stahlgüte St-60/ 90 und wurden für eine beschränkte Vorspan- Abb. 2: Seitenansicht der alten Nibelungenbrücke Worms, Zeichnung: [2] Mittelöffnung Rechtsrheinische Öffnung Linke Seitenöffnung Scheitelgelenk I Scheitelgelenk II Scheitelgelenk III 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 17 Digitale Erhaltung am Beispiel der Nibelungenbrücke bei Worms - ein Beitrag zur Nachhaltigkeit im Verkehrswegebau nung ausgelegt [3]. Der Querschnitt voutet sich zu den Pfeilern hin an. Die Zunahme an Konstruktionshöhe ist dabei so gesteuert, dass das Verhältnis zwischen Querkraft und innerem Hebelarm nahezu konstant ist. Der Überbau besteht aus Beton der Betongüte B-450, die Unterbauten wurden in B- 300 ausgeführt. Die Betonstahlgüte der Querschnittsbewehrung variiert zwischen BSt- I, II, III und IVM. Aus heutiger Sicht recht ungewöhnlich ist der Konstruktionsbeton mit Kühlleitungen durchzogen, um beim Aushärten des zum Teil massigen Betons auftretende Eigenspannungen infolge abfließender Hydratationswärme zu minimieren und in gewisser Weise auch zu kontrollieren. 3.2 Baukulturelle Bedeutung Die Alte Nibelungenbrücke Worms ist baukulturell von herausragender Bedeutung, da sie gleichzeitig als erste Großbrücke aus vorgespanntem Ortbeton im Freivorbau und als erste Rheinquerung in Spannbetonbauweise gilt. Das von Ulrich Finsterwalder (1897-1988) als Antwort auf die Stahlknappheit nach dem zweiten Weltkrieg entwickelte Bauverfahren wurde zuvor in Abstimmung mit einer innovationsfreudigen Straßenbauverwaltung an einem kleineren Testbauwerk „K-25 - Lahnbrücke Balduinstein“ im kleineren Maßstab erprobt [4]. Für die Planung zum Projektstart 1951 wurde die bis dahin siebte veröffentlichte Entwurfsfassung („Gelbdruck“) der DIN-4227 „Spannbeton; Richtlinien für die Bemessung und Ausführung“ angewandt, die erst im Oktober 1953 als „Weißdruck“ letztlich verbindlich eingeführt wurde. Nachdem die von der zeitgenössischen Fachöffentlichkeit mit großem Interesse wahrgenommene bautechnische Innovation ihre Praxistauglichkeit in Worms auch in großem Maßstab unter Beweis gestellt hatte, fand der freie Vorbau von Spannbetonbrücken weltweite Verbreitung. Die Alte Nibelungenbrücke Worms ist sowohl nach dem hessischen als auch nach dem rheinland-pfälzischen Denkmalrecht als Kulturdenkmal erfasst. Darüber hinaus wurde die Brücke am 1. September 2022 von der Bundesingenieurkammer mit dem Titel „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ ausgezeichnet [2, 3]. 3.3 Bauzeitbedingte Defizite Das Bauwerk ist in einer guten baulichen Verfassung. Der Beton weist eine gute Qualität auf, ist nicht porös und zeigt keine Lunker, die Betondeckung entspricht dem damaligen Normenwerk. Der Brückenquerschnitt überzeugt durch eine gute Gestaltungsqualität. Bis zur ersten umfassenden Instandsetzung im Jahre 1974 besaß die alte Nibelungenbrücke keine wirksame Abdichtung, sondern lediglich einen Belag aus Hartgussasphalt, so dass über viele Jahre Chloride aus dem Einsatz von Tausalz in den Konstruktionsbeton eindringen konnten. Eingedrungene Chloride sind in der Lage, die im hochalkalischen Milieu des Betons vorhandene und den Bewehrungsstahl schützende Passivierungsschicht lokal zu zerstören und Korrosion zu initiieren. Dabei werden die Chloridionen nicht verbraucht, bilden auch keine Chloridfront aus, sondern verteilen sich mit der im Beton vorhandenen Feuchtigkeit und können an anderer Stelle erneut angreifen. Der gefürchtete Lochfraß ist dann oftmals die Folge. Diese abdichtungsfreie Konstruktionsart ist u. a. dem seinerzeitigen Glauben an die allseits vorhandene Wirkung einer Vorspannung bei Beton geschuldet, die jegliche Rissbildung oder jegliches Eindringen von Schadstoffen verhindern sollte. Daher wurde auch kaum schlaffe Bewehrung eingebaut. Heute wissen wir, dass dieses Bild Lücken hat, weshalb aktuell - auch normativ gefordert - bedeutend mehr schlaffe Bewehrung in Form konstruktiver Zulagen eingelegt wird, um nicht erfasste Einflüsse ausreichend sicher abzudecken. Der Verpresszustand der Stabspannglieder beim damaligen Spannverfahren DYWIDAG Ø26-St-60/ 90 ist bekanntermaßen im Vergleich zu heutigen Verpressungen ungenügend. Das Hüllrohr ist vergleichsweise eng, der lichte Spalt zwischen Spannstab und Hüllrohr ist erfahrungsgemäß zu gering, um eine zuverlässige, vollständige Verfüllung mit den damals verfügbaren und nicht ausreichend viskosen Verpressmörteln sicherzustellen. Eine vollständige Verpressung ist nicht nur eine Voraussetzung für einen wirksamen Korrosionsschutz der Stabspannglieder, sondern ist auch die Grundlage für einen wirksamen Verbund mit dem Konstruktionsbeton zur Sicherstellung der Bruchsicherheit. Stichprobenartige Kontrollbohrungen im Vorfeld der Instandsetzungsmaßnahme von 2010 ergaben für die Längsspannglieder der alten Nibelungenbrücke einen durchschnittlichen Verpressfehler von rund 20-%. Bei den Querspanngliedern lag der Verpressfehler unter 10-%. Als deutlich zu hoch wurde der Verpressfehler mit über 40-% bei den Zuggliedern zur Rückhängung des Überbaus auf der rechten Rheinseite eingeschätzt. In den Spannglieduntersuchungen zeigte sich darüber hinaus, dass bauartbedingt der Korrosionsschutz der Stabspannglieder im Bereich von Spanngliedkopplungen als defizitär einzuschätzen sei. Die verbauten Übergangsstücke aus Holz, die einen gleichmäßigen Abstand der Stahleinlagen zur Hüllrohrwandung sicherstellen sollten, führten insbesondere bei Wasserzutritt und einsetzender Korrosion zu bedingten Querschnittsverlusten am Spannstahl (Abb. 4). 18 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Digitale Erhaltung am Beispiel der Nibelungenbrücke bei Worms - ein Beitrag zur Nachhaltigkeit im Verkehrswegebau Abb. 4: Historisches Spannverfahren DYWIDAG Ø26 St 60/ 90 (Quelle: Hessen mobil, Wiesbaden) Lokale Korrosionsprobleme wurden darüber hinaus auch an den Kreuzungspunkten der Stabspannglieder mit den bauzeitlich genutzten Kühlleitungen in den Überbaustegen festgestellt. Gegenüber Spannungsriss-korrosion gilt der eingebaute Spannstahl jedoch als unauffällig. Der bauliche Bauwerkszustand wird aktuell mit der Note-2,0 bewertet. 3.4 Tragfähigkeit Die originäre Bemessung des Spannbetonüberbaus erfolgte mit der Entwurfsfassung von DIN-4227: 1951 [5] (später als DIN 4227-1: 1953-10 erschienen [6]) für ein Lastbild der Brückenklasse 60 nach DIN-1072: 1952-06 [7]. Im Jahr 2005 wurde zur Vorbereitung der Erhaltungsmaßnahme von 2010 ff. eine Nachrechnung des Brückentragwerks auf Grundlage der jeweils letzten Fassungen der Normen DIN-1072: 1985-12 [8], DIN-1045: 1988-07 [9] und DIN-4227-1: 1988-07 [10] durchgeführt. Der Nachrechnung wurde entsprechend dem örtlich vorhandenen Verkehrsaufkommen für das Ziellastniveau die Brückenklasse 60/ 30 zugrunde gelegt, d. h. unter zusätzlicher Berücksichtigung einer zweiten Schwerlastspur verglichen mit der Ursprungstatik mit der Brückenklasse 60. Diese Festlegung erfolgte, um das vorhandene Verkehrsaufkommen sicher abzuwickeln und zugleich Art und Umfang vorhandener statischer Defizite festzustellen. Im Ergebnis wurden Defizite in Bezug auf die Biegetragfähigkeit, vor allem aber in Bezug auf die Querkrafttragfähigkeit festgestellt [11, 12]. Die mangelnde Querkrafttragfähigkeit bei der Nachrechnung älterer Spannbetonbrücken ist zu wesentlichen Teilen der Umstellung der normativen Nachweiskonzepte über die verschiedenen Normengenerationen geschuldet (Abb. 5) und nicht selten ein rein rechnerisches Problem. Zur Zeit der Planung des Bauwerks wurde dem Beton eine Mitwirkung beim Querkraftabtrag zugewiesen, indem in engen Grenzen von der Zugfestigkeit des Betons Gebrauch gemacht wurde. Begrenzendes Kriterium war die Einhaltung der zulässigen Hauptzugspannungen bis zu der keine Schubbewehrung erforderlich war. Entsprechend stark wurde die Längsvorspannung gewählt, um dieses Kriterium möglichst einzuhalten. Heute übliche Mindestschubbewehrungsgrade waren seinerzeit in den Normen nicht geregelt. Mit dem heute angewandten Fachwerkmodell unter Vernachlässigung der Tragwirkung des Betons auf Zug lassen sich die Querkraftnachweise folglich kaum erbringen. Hohe Überschreitungen im Vergleich von erforderlicher zur vorhandener Querkraftbewehrung sind meist Folge einer aus heutiger Sicht vielfach zu spärlich eingebauten Querkraftbewehrung. Jedoch zeigt die Brücke keinerlei Risse oder sonstige Schäden, die auf Schwächen im Querkrafttragverhalten hinweisen. Der Querschnitt der Brücke lebt also von seiner Betonzugfestigkeit, ein Sachverhalt, der noch von Bedeutung sein wird. Abb. 5: Schubtragfähigkeit: historischer und neuer Normungsstand (Quelle: Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz (LBM), Koblenz) Zur Minimierung der Gefahr, dass die streuende Betonzugfestigkeit durch eine zu hohe Beanspruchung über- 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 19 Digitale Erhaltung am Beispiel der Nibelungenbrücke bei Worms - ein Beitrag zur Nachhaltigkeit im Verkehrswegebau schritten wird, wurden vorsorglich verkehrliche Entlastungsmaßnahmen ergriffen, indem bis auf Weiteres genehmigungspflichtiger Schwerverkehr von der Brücke genommen und darüber hinaus regelmäßige Sonderprüfungen zur Rissdetektion angeordnet wurden. Hilfreich erwies sich die Nachricht, dass der Anteil an vorhandener Querkraftbewehrung mindestens so groß sei, dass ein evtl. Schubbruch duktil abläuft und sich rechtzeitig durch breite Risse ankündigt, ohne dass ein schlagartiges Versagen zu erwarten sei. Bislang konnten keine signifikanten Rissbilder festgestellt werden. Mit der Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie Ausgabe-04/ 2015 [14] wurde das Hauptzugspannungskriterium für die Nachrechnung wieder aufgegriffen, aber auch mit diesem Zugeständnis an rissschadensfreie Bestandsbauwerke gelang der Schubnachweis auf Bemessungslastniveau nicht [11]. Zusätzlich wurde das Ankündigungsverhalten anhand eines modifizierten Ingenieurmodells bei einem postulierten Schubbruch untersucht. Ein schlagartiges Bauwerksversagen konnte damit ausgeschlossen werden [12]. Unter Berücksichtigung der einschränkenden Nutzungsauflagen sowie weiterer Randbedingungen ergibt sich aktuell aus dem Vergleich zwischen Soll- und Ist-Tragfähigkeit ein relativ schlechter Traglastindex von IV, der zum Handeln aufforderte. 3.5 Bauliche Erhaltungsmaßnahmen Aufgrund ihrer fortgeschrittenen Nutzungsdauer hat die alte Nibelungenbrücke schon mehrere Erhaltungsmaßnahmen erfahren, so wurde im Rahmen der ersten grundhaften Instandsetzung im Jahre 1974 erstmals eine wirksame Abdichtung aufgebracht. Anfang der 1980er Jahre wurden weitere Nachbesserungen am Bauwerk durchgeführt. Im Jahr 2010 ff. erfolgte eine weitere grundhafte Instandsetzung inkl. einer Verstärkung der Biegetragfähigkeit durch Einbau zusätzlicher externer Spannglieder (Abb.-6). Darüber hinaus wurden die vertikalen Spannstäbe in den Querkraftgelenken und die Spannstähle in den verdeckten und nicht einsehbaren Zuggliedern am linksrheinischen Überbauende ersetzt. Detektierte Verpressfehler wurden beseitigt und der mit Chloriden kontaminierte Konstruktionsbeton in Teilen der Fahrbahnplatte ersetzt. Durch eine neu aufgebrachte Abdichtung wurde zudem ein weiterer Wasserzutritt in die Konstruktion wirksam verhindert, wodurch weniger stark ausgeprägte Korrosionsherde an der Fahrbahnplatte durch Feuchtigkeitsentzug zum Stillstand gebracht werden konnten. Abb. 6: Verstärkung der Biegetragfähigkeit mit je zwei externen Spanngliedern, hier als rote Punkte eingetragen (Quelle: Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz (LBM), Koblenz) Nachdem die alte Abdichtung aus dem Jahre 1974 ausgebaut worden war, wurde bei den weiteren Instandsetzungsarbeiten beobachtet, dass mit einer gewissen Verzögerung nach Regenereignissen ein nicht unerheblicher Wassereintritt in den Hohlkästen zu verzeichnen war. Als Ursache hierfür stellte sich schließlich heraus, dass Oberflächenwasser über die vorhandenen Kühlleitungen eindringen und sich im Konstruktionsbeton verteilen konnte. Aber auch hier bot die neue Abdichtung entsprechende Abhilfe. 3.6 Umstellung der Erhaltungsstrategie Nach dem aktuellen Stand der Technik wird die Erhaltungsstrategie von Brückenbauwerken im Wesentlichen von drei messbaren Zielkriterien bestimmt: Der Zustandsnote, dem Traglastindex und der Wirtschaftlichkeit. Die Zustandsnote wird im Rahmen von äußeren, meist visuellen Bauwerksprüfungen ermittelt. Dazu bewertet der Bauwerksprüfer jeden festgestellten Einzelschaden im Hinblick auf dessen Bedeutung für die Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit. In der Überlagerung wird aus den Einzelschadensbewertungen schließlich eine Zustandsnote für das Gesamtbauwerk ermittelt. Der Traglastindex ist ein relatives Maß für die Leistungsfähigkeit einer Brücke. Er wird im Wesentlichen aus der Differenz zwischen der erforderlichen Tragfähigkeit (= Ziellastniveau) zur vorhandenen Tragfähigkeit, unter Berücksichtigung bauzeitbedingter Defizite, ermittelt. Die vorhandene Tragfähigkeit wird auf Grundlage einer Nachrechnung gemäß Nachrechnungsrichtlinie [13, 14] bestimmt oder --sofern diese noch nicht vorliegt-- nach Erfahrungswerten gemäß der „Grundkonzeption Traglastindex“ [15] abgeschätzt. Die wirtschaftliche Beurteilung der objektbezogenen Erhaltungsstrategie erfolgt regelmäßig nach der „Richtlinie 20 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Digitale Erhaltung am Beispiel der Nibelungenbrücke bei Worms - ein Beitrag zur Nachhaltigkeit im Verkehrswegebau zur Durchführung von Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen im Rahmen von Instandsetzungs-/ Erneuerungsmaßnahmen bei Straßenbrücken (RI-WI-BRÜ)“ [16]. Dazu werden im Sinne einer Lebenszykluskostenberechnung die innerhalb eines Bewertungszeitraums anfallenden Kosten auf das Bezugsjahr diskontiert und so die günstigste Variante identifiziert. Innerhalb des gesetzten Rahmens wurden alle technischen Möglichkeiten zur Abhilfe der vorgefundenen statischen Defizite erörtert. Obwohl das übergeordnete Erhaltungsziel bei der Modernisierung des Bauwerksbestandes meist darin besteht, Bauwerke möglichst zu verstärken, so dass diese den heutigen und vor allem den prognostizierten zukünftigen Verkehr ausreichend zuverlässig abtragen können, sind im vorliegenden Fall die Grenzen für das Querkrafttragverhalten eng gesetzt. Technisch machbare und zudem wirtschaftliche Verstärkungsverfahren für den Querkraftabtrag stehen kaum oder nicht zur Verfügung. Das mögliche Einführen zusätzlicher äußerer vertikaler Stabspannglieder als Schubverstärkung hätte bei umfänglicher Umsetzung eine Durchlöcherung der Fahrbahnplatte und eine Gefahr der Beschädigung der Längsspannglieder in der Fahrbahnplatte bedeutet (Abb. 7), weshalb man sich dagegen entschied. Abb. 7: Verstärkung der Querkrafttragfähigkeit mit vertikalen Stegspanngliedern (Quelle: Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz (LBM), Koblenz) Mit der Nichtverstärkbarkeit des Querkrafttragverhaltens wurde die alte Nibelungenbrücke in einer ersten Einschätzung 2019 vom Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz (LBM) in technisch-wirtschaftlicher Hinsicht als nicht mehr erhaltungswürdig [17] eingestuft. Das Bauwerk sollte bis zu einem Ersatzneubau kontrolliert altern. Der verfügbare Zeitraum bis zum Ersatzneubau wurde mit dem notwendigen Planungsvorlauf für den Neubau einerseits und der Gefahr einer drohenden Vollsperrung des Bestandsbauwerks andererseits, sobald die Einwirkungen die Betonzugfestigkeit überschreiten und sich Schubrisse einstellen sollten, eng eingefasst. Unter Würdigung aller Aspekte wurde die sicherzustellende Restnutzungsdauer auf 15 bis 20 Jahre beziffert und letztlich ein Ersatzneubau für das Jahr 2028 avisiert. Der noch zu leistende Erhaltungsaufwand für das Bestandsbauwerk hielte sich in Grenzen, sei aber durch verkehrliche Kompensationen und Einschränkungen geprägt. Im Rahmen einer kontrollierten Alterung werden auftretende Schäden am Bauwerk zur Minimierung der Eingriffe möglichst kumuliert, solange noch keine Gefahr von Folgeschäden besteht (Maßnahmenbündelung). Die Schadensbeseitigung erfolgt schließlich im Rahmen größerer Instandsetzungsbzw. Modernisierungsmaßnahmen. Der öffentliche Aufschrei ließ nicht lange auf sich warten. Nicht nur der Denkmalschutzstatus der Brücke, sondern auch der ideelle Wert der Brücke als Ikone des deutschen Brückenbaus und historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland führten zu der Erkenntnis, sich mit dem Bauwerk noch intensiver zu beschäftigen und die erforderliche Zuverlässigkeit ggf. auch auf unkonventionellen Wegen zu erkunden und damit ausgetretene Pfade bewusst zu verlassen. 4. Pilotprojekt „Verlängerung der Nutzungsdauer durch intelligente Digitalisierung“ 4.1 Initiierung eines Pilotprojekts Mit der Entwicklung und sich allmählich etablierender fortschrittlicher digitaler Techniken wurde die bisherige Erhaltungsstrategie zum Bauwerk im Jahr 2022 einer Revision unterzogen, neue Möglichkeiten im Umgang mit diesem Bauwerk schälten sich heraus. Nicht der aktuelle Stand der Technik sollte alleiniger Beurtei- 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 21 Digitale Erhaltung am Beispiel der Nibelungenbrücke bei Worms - ein Beitrag zur Nachhaltigkeit im Verkehrswegebau lungsmaßstab für den Erhalt der Alten Nibelungenbrücke Worms sein, sondern auch der aktuelle Stand der Wissenschaft. Auf Basis neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse, auch wenn diese noch nicht im Regelwerk verankert sind, sollte die Restnutzungsdauer neu bewertet werden. Die damit verbundene Zielstellung ist eine signifikante Verlängerung der Nutzungsdauer ohne maßgebliche Leistungseinschränkungen, wenn möglich für mehrere Jahrzehnte. Hilfreich erwies sich in dieser Situation, dass für das DFG- Schwerpunktprogramm SPP 2388 „Hundert plus - Verlängerung der Lebensdauer komplexer Baustrukturen durch intelligente Digitalisierung“ (SPP 100+), welches sich genau mit diesen Fragen von Lebensdauerverlängerung beschäftigt, ein Demonstrations- und Validierungsobjekt gesucht wurde [18, 19]. Die alte Nibelungenbrücke eignet sich insbesondere als Prüfobjekt für das Forschungsvorhaben, da dieses Pionierbauwerk der Spannbetonbauweise sowohl eine herausragende baukulturelle Bedeutung besitzt als auch typische bauzeitbedingte Defizite, mit denen weiter umzugehen ist, auf sich vereint. Im SPP 100+ werden Methoden der Erfassung, Verknüpfung und Bewertung bauwerksbezogener Daten als Grundlage für eine vorausschauende (prädiktive) Bauwerkserhaltung erforscht. Im Zentrum steht hierbei das Konzept des digitalen Zwillings, in dem Daten eines BIM-Modells (3D-Objektmodell, BIM-Fachmodell „Schäden“ etc.), des statischen Modells (am Objekt kalibrierte, nichtlineare FE-Berechnung) sowie des Bauwerkmonitorings (mit dem Schwerpunkt auf Überwachung von Querkraft- und Korrosionsmessgrößen) zusammengeführt werden, um so zukünftige Bauwerkszustände mit Hilfe eines Prognosemodells zuverlässig vorhersagen zu können. Konkret sollen aussagekräftige Zustandsindikatoren abgeleitet werden, die für einen sicheren Betrieb von Bestandsbrücken trotz baulicher Defizite verwendet werden können. Der Weg führt über eine digitale 3D- Darstellung der Brücke, welche kontinuierlich mit Echtzeitdaten aktualisiert wird. Dadurch wird der digitale Zwilling zu einer lebendigen, interaktiven digitalen Brücke und die Nibelungenbrücke hat somit beste Chancen, ein zweites Mal zu einem Pionierbauwerk zu werden. Ziel ist es, den Zustand ausgewählter Bauwerksteile in Echtzeit einzusehen und damit die Möglichkeiten digitaler Technologien für die prädiktive Erhaltung von Brückenbauwerken zu erforschen [20]. Die positiven Aussichten führten zu einer Revision der Erhaltungsstrategie zur Nibelungenbrücke. Von einem zeitnahen Ersatzneubau wurde abgerückt. Mehr als 19 deutsche Universitäten und Forschungseinrichtungen erforschen an der Nibelungenbrücke unterschiedlichste Techniken zur Schadensdetektion, Schadensverortung, deren Visualisierung, Auswertung und Weiterverarbeitung. Sie sollen zeigen, dass eine interaktive Modellierung das Trag- und Verformungsverhaltens historischer Bausubstanz realitätsnah abgebildet und analysiert, potenzielle Tragreserven dadurch gehoben und insgesamt ein gesicherter weiterer Betrieb der Brücke garantiert werden kann. Zur Erreichung dieses Ziels wurde parallel zum SPP 100+ gemeinsam mit dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr und dem Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz ein Projekt zur Nutzungsdauerverlängerung durch intelligente Digitalisierung initiiert. Im Kern beruht dieses Projekt auf folgenden Schwerpunkten: • Detaillierte Erkundung der Konstruktion, der Materialien und des Zustandes, • Nachrechnung nach Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie (Ansatz wissenschaftlicher Methoden), unter Nutzung der Erkundungsergebnisse, • Kalibrierung des Rechenmodells anhand messtechnisch erfasster Kenngrößen, • Beurteilung der Dauerhaftigkeit der Spannbetonkonstruktion unter Nutzung der Erkundungsergebnisse, • Zusammenführung und Verknüpfung aller wesentlichen Informationen des Bauwerks in einem Digitalen Zwilling, • Dauerhafte messwertgestützte Beurteilung des Tragverhaltens und der Dauerhaftigkeit zur prädiktiven Instandhaltung und vorausschauenden Entscheidungsfindung. 4.2 Bestands- und Zustandserkundung Die Bestands- und Zustandserkundung der Alten Nibelungenbrücke Worms bildet eine wesentliche Grundlage des Pilotprojekts zur digitalen Instandhaltung. Ziel ist es, ein präzises und umfassendes Bild des aktuellen Zustands des Bauwerks, der gebauten Konstruktion und der tatsächlichen Materialeigenschaften zu gewinnen, um die Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit der Konstruktion möglichst realitätsnah einzuschätzen. Zu Beginn der Erkundung wurden bereits alle relevanten Bestandsunterlagen gesichtet und digitalisiert. Hierzu zählen historische Baupläne, frühere Instandsetzungsberichte und Dokumentationen der Bauwerksprüfungen. Diese Informationen fließen in ein BIM-Modell (Building Information Modeling) ein, das als digitales Abbild der Brücke dient und alle gesammelten Daten integriert. Die Zustandserfassung selbst erfolgt mithilfe modernster Technologien und Methoden der Geodäsie, der Bauwerksdiagnostik und des Bauwerksmonitorings. Es werden sowohl zerstörungsfreie als auch zerstörungsarme bauwerksdiagnostische Untersuchungen durchgeführt. Um die Substanz des Bauwerks möglichst wenig zu beeinträchtigen, werden flankierende Untersuchungen an der Lahnbrücke Balduinstein durchgeführt, welche aufgrund eigener Defizite zeitnah zurückgebaut wird. Der Rückbau ermöglicht es, bauwerksdiagnostische Untersuchungen umfangreich durchzuführen und die Ergebnisse aufgrund der starken Ähnlichkeit der Bauwerke auf die Nibelungenbrücke zu übertragen. Weiterhin gehören zur Zustandserfassung die geodätische Vermessung des gesamten Bauwerks, definierte Belastungsfahrten zur Messung der Bauwerksreaktionen unter zuvor festgelegten Verkehrslaststellungen sowie der Einsatz von faseroptischen Sensoren (DFOS) zur kontinuierlichen Überwachung von Dehnungen und Rissen. Diese Sensoren ermöglichen eine Echtzeitüberwachung und liefern 22 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Digitale Erhaltung am Beispiel der Nibelungenbrücke bei Worms - ein Beitrag zur Nachhaltigkeit im Verkehrswegebau wertvolle Daten zur strukturellen Integrität der Brücke. Neben den kurzzeitigen Messungen für die Belastungsfahrten werden dauerhafte Messungen für ein Structural-Health-Monitoring (SHM) etabliert. Auf Grundlage der Vermessung wird ein BIM-Modell „as-maintained“ erstellt, aus dem auch Rückschlüsse auf das tatsächliche Eigengewicht gezogen werden können. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Untersuchung des Zustandes der historischen Spannbetonbauteile und der für die Querkrafttragfähigkeit unmittelbar maßgebenden Betonzugfestigkeit ausgedrückt über eine Korrelation zur Betondruckfestigkeit des Überbaus. Durch gezielte Kontrollanbohrungen und die Analyse von Verpressfehlern wird der Zustand der Spannstähle und deren Korrosionszustand nochmals überprüft. Zudem werden lokale Korrosionsprobleme an den Kreuzungspunkten der Spannbetonglieder mit den Kühlleitungen genau dokumentiert, so dass Schwachstellen der Dauerhaftigkeit auch im Rechenmodell der Nachrechnung nach Stufe 4 berücksichtigt werden können. 4.3 Finite-Elemente-Berechnung einschließlich Modellupdate Nach der umfassenden Bestands- und Zustandserkundung folgt die Nachrechnung der Alten Nibelungenbrücke nach Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie [13, 14], um die Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit des Bauwerks präzise zu bewerten. Ein bereits existierendes, sehr genaues Finite-Elemente-Modell (Abb.-8) bildet die Grundlage dieser Nachrechnung. Dieses Modell, das auf den Bestandsdaten basiert, berücksichtigt jedes einzelne Stabspannglied sowie sämtliche Bauzustände, die während der Errichtung der Brücke und mit dem Einbau der externen Vorspannung auftraten. Dadurch werden auch zurückliegende Kriech- und Schwindvorgänge erfasst. Abb. 8: Spannungsverteilung in einem Bauzustand (Quelle: Hegger + Partner, Aachen) Die Bauwerksdiagnostik liefert detaillierte Informationen über den aktuellen Zustand der Spannglieder und die Betondruckfestigkeit. Über Belastungsfahrten zur Messung der Bauwerksreaktionen unter definierten Verkehrsbelastungen wird das Bauwerksverhalten charakterisiert. Diese Daten werden verwendet, um das bestehende FE- Modell zu kalibrieren und zu validieren, wodurch eine realitätsnahe Simulation des Bauwerksverhaltens unter verschiedenen Lastbedingungen ermöglicht wird. Das aktualisierte FE-Modell beinhaltet eine räumliche Modellierung mit Volumenelementen, die die Spannbetonbauteile und deren Vorspannung sowie alle relevanten Bewehrungsdetails präzise abbildet. Diese detaillierte Modellierung erlaubt es, die Tragreserven der Brücke zu identifizieren und Schwachstellen, insbesondere im Hinblick auf Querkraft- und Biegetragfähigkeitsdefizite, zu lokalisieren. Die nichtlineare Analyse liefert wichtige Erkenntnisse über das Ankündigungsverhalten von Rissen und Verformungen, wodurch potenzielle Gefahrenpunkte frühzeitig erkannt und im Monitoringsystem adressiert werden können. Diese Ergebnisse sind entscheidend für die Entwicklung prädiktiver Instandhaltungsstrategien, die darauf abzielen, die Nutzungsdauer der Brücke erheblich zu verlängern und die Sicherheit zu gewährleisten. Durch die Integration der Ergebnisse aus Bauwerksdiagnostik und Belastungsfahrten in die Nachrechnung wird ein hochgenaues digitales Abbild der Nibelungenbrücke geschaffen. Dieses digitale Modell dient als Grundlage für zukünftige Überwachungs- und Instandhaltungsmaßnahmen und ermöglicht eine vorausschauende Planung, um die langfristige Funktionalität und Sicherheit der Brücke zu gewährleisten. 4.4 Digitaler Zwilling als zentrale Datenquelle Der Digitale Zwilling der Alten Nibelungenbrücke fungiert als zentrale Datenquelle für alle Aspekte der Bauwerksüberwachung und -instandhaltung. Dieses digitale und dreidimensionale Abbild der Brücke integriert und verknüpft sämtliche Daten, die im Rahmen der Bestands- und Zustandserkundung, der Bauwerksdiagnostik, der Belastungsfahrten sowie der Nachrechnung nach Stufe 4 gewonnen wurden. Dazu wird die BIM- Methodik (Building Information Modeling) aufgegriffen, so dass der Digitale Zwilling auf Grundlage von BIM-Fachmodellen erstellt wird. Diese Modelle enthalten detaillierte Informationen zu verschiedenen Aspekten des Bauwerks, wie Geometrie, Materialeigenschaften und historische sowie aktuelle Zustandsdaten aus der Bestandserfassung. Durch die Nutzung von BIM- Anwendungsfällen für den Betrieb von Ingenieurbauwerken können spezifische Anforderungen und Prozesse effizient abgebildet werden. In den Digitalen Zwilling fließen statische und dynamische Informationen zusammen (Abb. 9), was ihn von klassischen BIM-Modellen unterscheidet. Historische Daten, wie ursprüngliche Baupläne und frühere Instandsetzungsberichte, sind ebenso enthalten wie aktuelle Messdaten aus dem Structural Health Monitoring (SHM) und den durchgeführten Belastungsfahrten. Diese umfassende Datensammlung erlaubt es, den Zustand und das Verhalten der Brücke realitätsnah und in Echtzeit zu überwachen und zu analysieren. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 23 Digitale Erhaltung am Beispiel der Nibelungenbrücke bei Worms - ein Beitrag zur Nachhaltigkeit im Verkehrswegebau Abb. 9: Statische Bauwerksinformationen in der Digitalen-Zwilling-Plattform (Quelle: Marx Krontal Partner (MKP) GmbH, Weimar) Durch die Integration modernster Sensortechnologien können Veränderungen im Bauwerkszustand frühzeitig erkannt und dokumentiert werden. Faseroptische Sensoren (DFOS) liefern dabei hochgenaue und detaillierte Informationen über Dehnungen und Rissbildungen. Ein wesentlicher Vorteil besteht darin, dass die Messungen nicht an örtlich begrenzten und einzelnen Stellen durchgeführt werden, sondern über die gesamte Länge der Faser erfolgen. Diese Echtzeitdaten fließen direkt in den Digitalen Zwilling ein und ermöglichen eine prädiktive Instandhaltung, bei der potenzielle Probleme bereits vor ihrem Eintreten identifiziert und behoben werden können. Der Digitale Zwilling dient zudem als Plattform für die Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure. Ingenieure, Planer und Bauwerksverwalter können auf eine zentrale, stets aktuelle Datenquelle zugreifen, was die Koordination und Entscheidungsfindung erheblich erleichtert. Durch diese integrative und transparente Datenverwaltung trägt der Digitale Zwilling maßgeblich dazu bei, die Instandhaltungsstrategien zu optimieren und die Lebensdauer der Alten Nibelungenbrücke nachhaltig zu verlängern 4.5 Messwertbasierte Bauwerksbewertung Die messwertebasierte Bauwerksbewertung ist ein zentraler Bestandteil der digitalen Instandhaltung der Alten Nibelungenbrücke. Durch die kontinuierliche Erfassung und Analyse von Messdaten können präzise Aussagen über den aktuellen Zustand des Bauwerks getroffen werden. Dieser Ansatz ermöglicht es, potenzielle Schäden frühzeitig zu erkennen und gezielt Maßnahmen zur Instandhaltung und Sicherung des Bauwerks zu ergreifen. Ein wesentlicher Aspekt dieser Bewertung sind Zustandsindikatoren (Condition Indicators, CI), die auf ingenieurwissenschaftlichen Algorithmen basieren und kontinuierlich den Zustand des Bauwerks überwachen. Diese Indikatoren nutzen Daten aus verschiedenen Quellen, wie z. B. Sensormessungen und bauwerksdiagnostischen Untersuchungen, um spezifische Probleme zu identifizieren und zu bewerten. Nachfolgend sollen zwei beispielhafte Zustandsindikatoren für die Alte Nibelungenbrücke genannt werden. 4.6 Zustandsindikator zum Gleitverhalten der Fahrbahnplatte Auf den Gewölben der Vorlandbrücken wurden im Rahmen der Instandsetzung 2010 ff. neue Fahrbahnplatten auf den vorhandenen Spandrillwänden der Gewölbe errichtet. Die Platten sind gleitend gelagert. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gleitfähigkeit des verbauten Materials in der Verbundebene nachlässt, so dass Zwangbeanspruchungen in der Konstruktion entstehen können. Mit einem Zustandsindikator (CI), der das Gleitverhalten der Fahrbahnplatte auf den Gewölbebogenbrücken beurteilt, soll dieser Fragestellung begegnet werden. Der CI nutzt Daten aus Sensoren, die das Bewegungsverhalten der Platten erfassen. Diese werden an maßgebenden Punkten der Fahrbahnplatte in Verbindung mit Temperatursensoren installiert. Die Sensoren erfassen klimatisch bedingte Bewegungen und Verschiebungen der Platte relativ zum Unterbau. Mit Hilfe ingenieurwissenschaftlicher Algorithmen werden diese Daten analysiert und in Bezug zu den erfassten Bauwerks- und Bauteiltemperaturen bewertet. Im Rahmen einer „Anlernphase“ werden die erfassten Daten mit den erwarteten Bewegungen der Fahrbahnplatte abgeglichen. Der Zustandsindikator liefert danach klare Hinweise auf mögliche Abweichungen vom erwarteten und zurückliegend erfassten Verhalten und ermöglicht eine Reaktion auf eine sich voraussichtlich langsam einstellenden Zustandsveränderung. 24 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Digitale Erhaltung am Beispiel der Nibelungenbrücke bei Worms - ein Beitrag zur Nachhaltigkeit im Verkehrswegebau 4.7 Zustandsindikator zur Tauwasserbildung Die messwertbasierte Bewertung eignet sich ebenfalls für Fragestellungen der Dauerhaftigkeit. Ein Beispiel für einen solchen Zustandsindikator ist der CI zur Tauwasserbildung. Im Rahmen der bereits zuvor genannten Instandsetzung wurde die Fahrbahnplatte der Strombrücke neu abgedichtet und die Außenseiten der Hohlkästen mit einem Oberflächenschutzsystem versehen, um einen Feuchtigkeitszutritt von außen zu unterbinden. Im Inneren der Hohlkästen kann die Bildung von Tauwasser an den Betonoberflächen jedoch als maßgebende Feuchtigkeitsquelle betrachtet werden, welche ggf. relevant für ein Fortschreiten von Korrosionsprozessen sein kann. Der CI zur Tauwasserbildung nutzt Sensordaten, die die Temperatur und Luftfeuchtigkeit im Inneren der Brücke überwachen, so dass der sonst „unsichtbare“ Prozess der Tauwasserbildung sichtbar gemacht wird. Mit Hilfe von ingenieurwissenschaftlichen Algorithmen wird die Wahrscheinlichkeit der Tauwasserbildung berechnet. Dieser Indikator berücksichtigt dabei sowohl die aktuellen Umweltbedingungen als auch die Materialeigenschaften der Brücke. Die kontinuierliche Berechnung des Zustandsindikators ermöglicht es, potenzielle Problembereiche zu identifizieren und den tatsächlichen Feuchteeintrag in die Konstruktion zu erfassen (Abb. 10). Der Bauherr erhält so stets aktuelle Informationen über den Zustand der Brücke und kann präventive Maßnahmen ergreifen, falls die Tauwasserbildung als maßgebend für den Ablauf von Korrosionsprozessen eingeschätzt wird. Abb. 10: Zustandsindikator Tauwasserbildung im Digitalen Zwilling eines Teilbereiches der Strombrücke (Quelle: Marx Krontal Partner (MKP) GmbH, Weimar) 4.8 Integration und Nutzen Die Zustandsindikatoren (CI) sind integraler Bestandteil des Digitalen Zwillings der Nibelungenbrücke. Durch die kontinuierliche Analyse und Aktualisierung der Indikatoren stehen dem Bauherrn jederzeit aktuelle Informationen über den Zustand des Bauwerks zur Verfügung. Eine Aggregation dieser messwertgestützten Indikatoren in Verbindung mit den Bewertungen aus der Bauwerksprüfung hin zu einer umfassenden Zustandsnote des Bauwerks ist vorstellbar. Bei wesentlichen Zustandsveränderungen wird der Bauherr automatisch vom System des Digitalen Zwilling informiert oder alarmiert, beispielsweise per E-Mail oder SMS. In dringenden Fällen können sofortige Alarme ausgelöst werden, um eine schnelle Reaktion zu gewährleisten. In einem zuvor festgelegten Alarmplan sind dann die zu leistenden Schritte und Verantwortlichkeiten benannt. Der Digitale Zwilling gibt Handlungsempfehlungen für erwartbare und eingetretene Zustandsveränderungen, die mit Hilfe der Zustandsindikatoren bewertet werden. Diese Empfehlungen unterstützen die rechtzeitige und prädiktive Instandhaltung, indem sie konkrete Maßnahmen vorschlagen, um potenzielle Schäden zu verhindern und die Lebensdauer der Brücke zu verlängern. Die Verantwortung liegt aber nach wie vor beim verantwortlichen Personal. Insgesamt ermöglicht die messwertebasierte Bauwerksbewertung eine präzise und zuverlässige Überwachung der Nibelungenbrücke. Durch den Einsatz modernster Sensortechnologien und ingenieurwissenschaftlicher Algorithmen können potenzielle Probleme frühzeitig erkannt und gezielt adressiert werden, was die Sicherheit und Langlebigkeit des Bauwerks nachhaltig erhöht. Mit dem digitalen Zwilling Nibelungenbrücke als virtuelle dynamische Repräsentation des realen Systems wird die historische Nibelungenbrücke ein Reallabor, 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 25 Digitale Erhaltung am Beispiel der Nibelungenbrücke bei Worms - ein Beitrag zur Nachhaltigkeit im Verkehrswegebau dass neben der Erarbeitung und des Ausprobierens neuer Technik außerdem für eine nachhaltige Lebensdauerverlängerung steht. Literatur [1] Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland- Pfalz, Direktion Landesdenkmalpflege, Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz (Hrsg.): Die Nibelungenbrücke in Worms - Zur Zukunft eines bedeutenden Ingenieurbauwerks. Schriftenreihe Denkmalpflege in Rheinland-Pfalz: Aus Forschung und Praxis, Band 6, Petersberg: Michael Imhof Verlag, 2023. [2] Decleli, C.: Die Nibelungenbrücke Worms. In: Bundesingenieurkammer (Hrsg.): Historische Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland. Band 27, 2020. [3] Homepage: https: / / wahrzeichen.ingenieurbaukunst .de [geprüft am 19.01.2024]. [4] Pelke, E.; Zichner, T.: Ertüchtigung der Nibelungenbrücke Worms. Beton- und Stahlbetonbau 110 (2015), Heft 2, S. 113-130. [5] E DIN 4227: 1951: Spannbeton - Richtlinien für Bemessung und Ausführung. [6] DIN 4227-1: 1953-10: Spannbeton - Richtlinien für Bemessung und Ausführung. [7] DIN 1072: 1952-06: Straßen- und Wegbrücken- - Lastennahmen. [8] DIN 1072: 1985-12: Straßen- und Wegbrücken; Lastannahmen. [9] DIN 1045: 1988-07: Beton und Stahlbeton- - Bemessung und Ausführung. [10] DIN 4227: 1988-07: Spannbeton-- Bauteile aus Normalbeton mit beschränkter oder voller Vorspannung. [11] König, Heunisch und Partner, Nibelungenbrücke im Zuge der B 47 über den Rhein bei Worms, ASB 6316873 B, Nachrechnung der Strombrücke gem. DIN 1072, 1045, 4227, 26.11.2005. [12] König und Heunisch Planungsgesellschaft: Fachtechnische Stellungnahme: Beurteilung des Ankündigungsverhaltens bei Schubbruch. 13.04.2017. [13] Nachrechnungsrichtlinie, Ausgabe 05-2011, Bundesministerium für Digitales und Verkehr, Bonn/ Berlin. [14] Nachrechnungsrichtlinie, 1. Ergänzung, Ausgabe 04-2015, Bundesministerium für Digitales und Verkehr, Bonn/ Berlin. [15] Grundkonzeption Traglastindex, Ausgabe 04-2020, Bundesministerium für Digitales und Verkehr, Bonn/ Berlin. [16] Richtlinie zur Durchführung von Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen im Rahmen von Instandsetzungs-/ Erneuerungsmaßnahmen bei Straßenbrücken (RI-WI-BRÜ), Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Ausgabe 12-2017. [17] Richtlinien für die strategische Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Ingenieurbauwerken (RPE- ING), Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Ausgabe 12-2020. [18] Kang, Ch. et al.: Die Nibelungenbrücke als Pilotprojekt der digital unterstützen Bauwerkserhaltung. Bautechnik 101 (2024) 11, S. 1-11 - https: / / doi. org/ 10.1002/ bate.202300089 [19] Homepage des SPP 2388: http: / / spp100plus.de [geprüft am 19.01.2024]. [20] MKP GmbH, H+P Ingenieure GmbH, TU Dresden: Konzeption der digitalen Instandhaltung: Pilotvorhaben Nibelungenbrücke Worms. 28.06.2023. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 27 Gänstorbrücke - Ersatzbauwerk für einen Meilenstein Dr.-Ing. Thomas Klähne KLÄHNE BUNG Beratende Ingenieure im Bauwesen GmbH, Berlin Bastian Sweers KLÄHNE BUNG Beratende Ingenieure im Bauwesen GmbH, Berlin Timo Roth Stadt Ulm, Hauptabteilung Verkehrsplanung und Straßenbau, Grünflächen, Vermessung; Sachgebiet Ingenieurbauwerke, Ulm Prof. Henry Ripke KRP Architektur Berlin GmbH, Berlin Zusammenfassung Die neue Gänstorbrücke ist ein einfeldriges integrales Verbundrahmenbauwerk über die Donau, das die alte, von Ulrich Finsterwalder geplante Brücke ersetzen wird. Mit einer lichten Weite von 86,50 m ist sie eines der längsten Rahmenbauwerke in Deutschland. Sie verbindet die Städte Ulm und Neu-Ulm und wird neben dem Auto-, Rad- und Fußgängerverkehr auch Lasten einer möglichen Straßenbahntrasse aufnehmen können. Der Entwurf geht aus einem 2019/ 2020 ausgeschriebenen Realisierungswettbewerb hervor. In Anlehnung an die alte, als herausragendes Beispiel für die Ingenieurbaukunst aus den frühen 50er Jahren geltende Spannbetonbrücke besticht der Entwurf durch sein schlankes Erscheinungsbild. Sowohl Rückbau des vorhandenen als auch Herstellung des neuen Bauwerks sind wegen der innerstädtischen und umwelttechnischen Randbedingungen sehr anspruchsvoll. Im Sinne der Nachhaltigkeit werden für den Abbruch des Bestandsbauwerks und die Montage des neuen Überbaus die noch vorhandenen Pfeilerfundamente eines Vorgängerbaus aus dem Jahr 1912 verwendet. 1. Einleitung Die Gänstorbrücke überspannt die Donau und verbindet damit nicht nur die Städte Ulm und Neu-Ulm, sondern damit auch die Länder Baden-Württemberg und Bayern (Abb. 1). Sie wurde 1950 als eine der ersten Spannbetonbrücken in Deutschland errichtet - der Bauwerksentwurf stammt von keinem Geringeren als Ulrich Finsterwalder [1]. Abb. 1: Lage der Gänstorbrücke, Quelle: google maps Die Brücke erlitt in der Vergangenheit eine Reihe von Spannstahlbrüchen und es erfolgte ein umfangreiches Monitoring, um die Verkehrssicherheit bis zur Herstellung eines Ersatzneubaus sicherzustellen [2], [3]. Für die Erneuerung der Gänstorbrücke wurde durch die Städte Ulm und Neu-Ulm 2019 ein Realisierungswettbewerb nach RPW 2013 ausgelobt, dem 2020 ein Planerauswahlverfahren nach VgV folgte [4]. Von den zehn eingeladenen Ingenieurbüros bzw. Bietergemeinschaften setzte sich ein Entwurf im Wettbewerb und im nachfolgenden Auswahlverfahren durch, der in seiner Gestaltung sehr an die „Finsterwalderbrücke“ erinnert [5]. Das neue Bauwerk wurde ebenfalls als eingespanntes Rahmenbauwerk konstruiert, wobei zur Erlangung einer möglichst geringen Bauhöhe hinsichtlich Material, Konstruktion und Herstellungsreihenfolge die Grenzen des technisch Machbaren bei Beibehaltung des Regelwerkes ausgelotet wurden. Die Planung des Ersatzneubaus und des Rückbaus der vorhandenen Brücke erfolgte in den Jahren 2020-2023, wobei in dieser Zeit die Leistungsphasen 1-7 der HOAI vollständig bearbeitet wurden. Die Ausschreibung der Bauleistung beinhaltete damit bereits sämtliche Ausführungsunterlagen für den Abbruch und den Ersatzneubau. Im Mai 2024 wurde der Bauauftrag vergeben. Es ist vorgesehen, dass die gemäß vorgezogener Ausführungsplanung geplanten Bauabläufe des Rückbaus und des Ersatzneubaus umgesetzt werden. 2. Die Bestandsbrücke von Finsterwalder Die Vorgängerbrücke der heutigen Brücke - eine dreifeldrige Steinbogenbrücke (1912) wurde am Ende des 2.- Weltkrieges 1945 zerstört. Um einen technisch und wirtschaftlich optimalen Entwurf zu erhalten, wurde 1949 ein Wettbewerb ausgeschrieben. Von den insgesamt 38 Entwürfen wurde der Entwurf von Ulrich Finsterwalder - eine Rahmenbrücke in Bogenform - zur Ausführung ausgewählt (Abb. 2). 28 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Gänstorbrücke - Ersatzbauwerk für einen Meilenstein Abb. 2: Brücke von Finsterwalder, Quelle: Autor Das Bauwerk war zu dieser Zeit das schlankeste seiner Art, was durch verschiedene konstruktive Maßnahmen erreicht werden konnte: Zum einen wurde erstmalig ein gelenkloser Rahmen konstruiert. Dabei wurde der Scheitel sehr schlank gemacht, um die Biegemomente zu reduzieren; zum anderen wurden die Kämpfer als schlankes Stabsystem aufgelöst, womit die Stützkraft auch bei Temperaturbeanspruchungen im Kern der Fundamentsohle verbleiben konnte und damit in der Fundamentsohle nahezu gelenkig ausgebildet wurde. Insgesamt besteht das Bauwerk aus zwei Teilbauwerken. Der Querschnitt ist je Teilbauwerk ein zweistegiger Plattenbalken mit obenliegender Fahrbahnplatte. Bei einer Spannweite von 82,40-m und einer Fahrbahnbreite von 2 × 9,00 m-= 18,00 m betrug die Bauhöhe 1,20 m im Brückenscheitel und 4,28 m am Kämpfer. Wesentlich für die mögliche Schlankheit in der Brückenmitte war die Vorspannung und die damit einhergehende (nach Normenentwurf DIN 4227 von 1950 mögliche) Erhöhung der zulässigen Druckspannungen, die die enorme Schlankheit von l/ f = 81,3 m/ 3,67 m = 22,1 zuließ. Die beiden Plattenbalken wurden in Längsrichtung, die Fahrbahnplatte in Querrichtung mit Spanngliedern aus St 60/ 90 d = 26 mm (Zugfestigkeit 90 kg/ mm 2 ; Streckgrenze 60 kg/ mm 2 ) vorgespannt. Die Spannglieder wurden über die Breite relativ gleichmäßig verteilt; dies entsprach einer „beschränkten Vorspannung mit nachträglichem Verbund“ [1]. Merkmal dieser Vorspannung ist, dass Zugspannungen im Beton bis zur Rissgrenzspannung zugelassen werden. Schlaffe Bewehrung ist sowohl in Längsals auch in Querrichtung quasi gar nicht - lediglich zur Sicherung der Tragfähigkeit im noch ungespannten Zustand und zur Sicherung der Geometrie für die Hüllrohre - zum Einsatz gekommen (Abb. 3). Wie aus Vorgenanntem deutlich wird, hatte Finsterwalder großes Vertrauen in die neue Bauweise - sowohl die später auftretenden Verkehrslasten als auch Ermüdungsprobleme der Spannbewehrung oder Unsicherheiten in der Verpressung der Hüllrohre waren nicht bekannt. Allerdings sind genau diese Themen Gründe für die spätere deutliche Verschlechterung des Zustandes der Brücke. Zu Beginn der 1980er Jahre wurden Risse festgestellt und eine Sanierung erforderlich. Im Rahmen der Sanierung des Bauwerks wurden 1983 Daueranker parallel zu den Zugstreben des Widerlagers eingebaut. Dadurch wurden die Zugstreben noch einmal extern vorgespannt. Zusätzlich wurden die Abdecksteine der Längsfuge durch eine einzellige Fugenkonstruktion ausgetauscht. Ende der 1980er Jahre wurden in der Brückenmitte aufgetretene Risse mit einer 25 mm Spritzbetonschichtung behandelt. Im Laufe der weiteren Jahre wurden weiterhin Schäden am Bauwerk festgestellt. In [2] wird dementsprechend auch von den Schäden berichtet, die im Zuge vertiefter Untersuchungen im Vorfeld einer Nachrechnung im Jahre 2018 festgestellt wurden. Es handelt sich im Wesentlichen um Verpressfehler bei Längs- und Quervorspannung und den Zuggliedern des Stabsystems hinter den Kämpfern, um Korrosionsschäden bei Spannstabkopplungen und Spannköpfen, aber auch der Spannbewehrung auf freier Strecke. Da die Schäden nicht mehr instandsetzbar und eine dauerhafte Verstärkung nicht möglich war, wurde die Entscheidung für einen Ersatzneubau getroffen. Neben einer deutlichen Verkehrsreduzierung durch Sperrung einer Fahrspur je Plattenbalken wurde ein Monitoring implementiert, um für die Übergangszeit einen sicheren Verkehr zu gewährleisten [3]. Das Monitoring zeigte nach Aussage des Betreibers der Anlage in der Zwischenzeit mehrere detektierte Spanngliedbrüche. Abb. 3: Spanngliedführung, Quelle: Der Bauingenieur, 26. Jahrgang, 1951, S. 291 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 29 Gänstorbrücke - Ersatzbauwerk für einen Meilenstein 3. Der Wettbewerbsentwurf Von der Ausloberin wurde ein Entwurf erwartet, der - aus der Historie und der Lage im Stadtgebiet heraus - dem „besonderen Anspruch an Gestaltung und Einbindung in die Umgebung“ [4] gerecht wird, die Nutzungsansprüche erfüllt und wirtschaftlich und nachhaltig ist. Dabei sollten alle Verkehrsbeziehungen (Straße, Straßenbahn, Fuß- und Radverkehr auf und unter der Brücke, Schiffsverkehr) optimal berücksichtigt werden. Im Rahmen des Wettbewerbs wurden 10 Entwürfe eingereicht, davon vier mit oben liegendem Tragwerk in Form von Bogentragwerken, drei mit unten liegendem Tragwerk als aufgeständerter Bogen oder Sprengwerk und drei Rahmenbrücken [5]. Abb. 4: Siegerentwurf der Gänstorbrücke, Quelle: KRP Der Siegerentwurf war eine Rahmenbrücke, die in Zusammenarbeit zwischen Architekt und Ingenieur entstand. Diese Zusammenarbeit geschah auf Augenhöhe, wobei zunächst die maßgeblichen Überlegungen hinsichtlich Geschichte, Ort und städtebaulichem Kontext vom Architekten kamen. Das Leitbild des Siegerentwurfes bestand im Fortschreiben der Geschichte, also um die Aufnahme der Gedanken von Finsterwalder hinsichtlich des Konstruktionsprinzips, der Übernahme der Silhouette und auch der Weiterverwendung baulicher Relikte. Selbstverständlich fand dann - vornehmlich nun durch den Ingenieur - eine Übersetzung dieser Gedanken mit der Verwendung neuerer Konstruktions- und Herstellungsprinzipien, moderner Materialien und leistungsfähiger rechnerischer Methoden statt (Abb. 4). Im Erläuterungsbericht zum Siegerentwurf wird das Bauwerk wie folgt beschrieben [6], siehe auch Abb. 5: „Das Tragwerk der neuen Gänstorbrücke lehnt sich ganz an die alte Finsterwalderbrücke an. Es besteht aus einem eingespannten Rahmen, dessen Rahmenriegel als Stahlverbundquerschnitt ausgebildet wird. Durch die verbesserte Wegeführung der beiden zu überbrückenden, die Donau begleitenden Geh- und Radwege erhöht sich die Spannweite des Rahmens auf 86,45 m. Wegen der erhöhten Verkehrslastanforderungen gegenüber der Entstehungszeit der Finsterwalderbrücke und der größeren Spannweite sowie dem Wunsch einer geringeren Bauhöhe an den Einspannpunkten des Rahmenriegels sind moderne konstruktive und statische Antworten erforderlich. Diese sind in der Materialwahl, der Querschnittsgestaltung und der Herstellungstechnologie zu finden. Zunächst wird der Konstruktionsstahl S 460 NL für das Stahlteil des Rahmenriegels gewählt, um höhere Festigkeiten und damit größere Schlankheiten erzielen zu können. Im Weiteren wird ein torsionssteifer Verbundquerschnitt gewählt, der mehrere Ziele verfolgt: Durch die Anordnung einer 25 cm dicken Stahlverbundplatte mit Beton C40/ 45 wird eine Steifigkeit des Gesamtquerschnitts erzielt, die ausreichend ist, um auch bei voller Verkehrsbelastung nur maximale Verformungen von ca. l/ 650 in der Mitte der Brücke zu erreichen und damit auch die Schwingungsanfälligkeit ausreichend zu dämpfen. Durch einen geschlossenen 5-zelligen Kastenquerschnitt und die Anordnung von Schotten im Abstand von ca. 4 m wird eine hervorragende Querverteilung der Lasten erzielt, so dass auch bei einseitiger Verkehrsbelastung der gesamte Querschnitt mitträgt. Zum Dritten hat der geschlossene Kasten eine ausreichende Torsionssteifigkeit und einen ausreichenden Wölbwiderstand, um auch bei einseitiger Verkehrsbelastung nur eine geringe Verwindung und in der Folge eine maximale vertikale Verformung am Querschnittsrand in Brückenmitte von ca. 6 cm zuzulassen. Die Herstellungsreihenfolge durch Herstellung der beiden Rahmenecken am Anfang führt dazu, dass das Feldmoment reduziert wird und damit in der Mitte der Brücke die Bauhöhe mit 1,75 m sehr schlank gehalten werden kann. Die genannten drei Maßnahmen führen in der Folge zu einem sehr schlanken Querschnitt mit Bauhöhen von 3,00 m an der Einspannstelle und 1,75 m in Feldmitte. Das entscheidende konstruktive Detail der Brücke stellt die Rahmenecke mit Übergabe der negativen Biegemomente und der Querkräfte dar. Sowohl ausführungstechnisch als auch statisch ist dieses Detail gelöst: Das Biegemoment wird aufgelöst in ein Kräftepaar; die im Obergurt zu übertragenden Zugkräfte werden einerseits durch die Biegebewehrung der Platte direkt in die Widerlagerwand geleitet und andererseits durch an den Stahlobergurt angeschlossene GEWI- Stäbe zurückgehangen und durch die Gestaltung der Widerlagerkonstruktion über Zug- und Druckstreben in die Pfahlgründung geleitet. Die Rahmenstiele werden durch die 2,0 m dicken Widerlagerwände in Beton C50/ 60 gebildet. Zur Ableitung der hohen Anschlussschnittkräfte reichen diese nicht aus und werden durch eine in die Straßenbereiche fortgeführte verdickte Fahrbahnplatte sowie drei orthogonale Wände ähnlich Flügelwänden von Kastenwiderlagern verstärkt. Sowohl die Rahmenstiele als auch die Querwände sind biegesteif mit der 2,0 m dicken Pfahlkopfplatte und den darunter angeordneten Pfählen verbunden. Die Konstruktion ist dabei so austariert, dass keine Zugpfähle entstehen.“ 30 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Gänstorbrücke - Ersatzbauwerk für einen Meilenstein Abb. 5: Längsschnitt, Querschnitt (Brückenmitte) des Siegerentwurfs Die Hauptbauphasen wurden im Entwurf bereits ausgearbeitet und im weiteren Planungsprozess auch nicht mehr geändert. Nach Herstellung der Hilfspfeiler auf den bestehenden Bogenfundamenten der Brücke von 1912 erfolgt zunächst der Rückbau des westlichen Brückenbauwerks und Herstellung des westlichen Ersatzneubaus sowie nachfolgend Rückbau und Neubau auf östlicher Seite. Der Verkehr wird auf dem jeweils vorhandenen Überbau geführt, also nicht unterbrochen. Die Hauptbauphasen gliedern sich demnach wie folgt: - Phase 1.1: Abbruch Bestand Überbau West, Verkehrsführung über Bestand Überbau Ost - Phase 1.2: Neubau Überbau West, Verkehrsführung über Bestand Überbau Ost - Phase 2.1: Abbruch Bestand Überbau Ost, Verkehrsführung auf Neubau Überbau West - Phase 2.2: Neubau Überbau Ost, Verkehrsführung auf Neubau Überbau West 4. Ausführungsplanung des Ersatzneubaus 4.1 Tragverhalten Das Tragverhalten von Rahmenbrücken ist hinreichend bekannt. Die als integrale Brücken bezeichneten Rahmenbauwerke zeichnen sich durch die gelenklose Rahmenbauweise aus, bei der die gesamte Tragwerksstruktur eine monolithische Einheit bildet [9]. Neben einer Reihe von zu klärenden Aufgabenstellungen stellen sich bei diesem Brückentypus immer wieder die Aufgaben der Berücksichtigung der Interaktion zwischen Tragwerk und Baugrund sowie die Beherrschung der Rahmenecke in statisch-konstruktiver Hinsicht. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 31 Gänstorbrücke - Ersatzbauwerk für einen Meilenstein Abb. 6: Längsschnitt und Draufsicht 4.2 Beschreibung des Ersatzneubaus Der Ersatzneubau besteht aus zwei Teilbauwerken, die durchgehend durch eine Bauwerksfuge getrennt sind. Es handelt sich um ein Rahmenbauwerk mit einer Gesamtlänge von 120,50 m zwischen den beiden Widerlagerhinterkanten und einer lichten Weite von 86,50 m sowie einer Gesamtbreite zwischen den Bauwerksaußenkanten von 27,64 m in Brückenmitte und 25,42 m am Widerlager. Der Überbau wird als Stahlverbundüberbau ausgeführt, der je Teilbauwerk aus einem 5-zelligen stählernen torsionssteifen Querschnitt mit einer 25 cm dicken Ortbetonplatte besteht. Der Querschnitt ist sowohl in seiner Höhe von 1,85 m in Brückenmitte und 2,94 m am Widerlageranschnitt als auch in seiner Breite mit 13,77-m in Brückenmitte und 12,66 m am Widerlageranschnitt variabel. Der Überbau ist in die Widerlager eingespannt, welche mit Pfählen d = 1,50 m und Pfahllängen von 23-m beim Widerlager Ulm und 18-m beim Widerlager Neu-Ulm tief gegründet sind. Die Widerlager selbst sind je Teilbauwerk als Kastenwiderlager ausgebildet, wobei im Gegensatz zu klassischen Kastenwiderlagern zwischen den beiden Flügelwänden eine weitere mittlere Wand ausgebildet wird und die im Endbereich des Überbaus aufgedickte Platte von 50 cm über die gesamte Widerlagerlänge durchgezogen wird. Das Bauwerk ist in Abb. 6 und Abb. 7 dargestellt. Das Bauwerk wird mit seiner lichten Weite nach Kenntnis der Verfasser das Rahmenbauwerk mit der längsten Spannweite in Verbundbauweise in Deutschland sein; in [10] wird von der bisher längsten Verbundbrücke bei Merseburg mit einer Länge von 55,40 m berichtet; inzwischen wurde eine weitere Verbundbrücke mit einer lichten Weite von 69,44 m als Wirtschaftswegbrücke über die A6 errichtet. 4.3 Modellbildung für die Standsicherheitsnachweise Die Grundlage der Standsicherheitsnachweise bildete das mit dem Programmsystem SOFISTIK erstellte Gesamtmodell. Mit diesem Modell wurden sowohl alle Schnittkräfte und Verformungen im Endzustand als auch im Bauzustand ermittelt. Zur Verifizierung des im Standsicherheitsnachweis verwendeten Modells wurden Voruntersuchungen an einem 32 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Gänstorbrücke - Ersatzbauwerk für einen Meilenstein Einstabmodell und einem FEM-Flächenmodell durchgeführt. Es war klar, dass die Verwendung eines Flächenmodells für die Gesamtberechnung und Auswertung aller Lastzustände und -kombinationen und insbesondere aller Montagezustände hinsichtlich Datenmenge und Rechenzeiten zu aufwändig werden würde. Der Vergleich beider Modelle für ausgewählte Lastfälle zeigte aber, dass das Einstabmodell ausreichend leistungsfähig und zielgenau war, womit es für die Globalberechnung verwendet werden konnte (Abb. 8). Abb. 7: Querschnitt Widerlager Brückenmitte Der Überbau und die Pfähle wurden dabei durch Stabelemente, die Widerlager mit Flächenelementen abgebildet. Bei der Kopplung des Überbaus und der Pfähle an die Widerlager, aber auch für die Kopplung der einzelnen Widerlagerelemente, wurden die entsprechenden Querschnitte berücksichtigt. Der für die Spannungsverteilungen wichtige Bauablauf wurde über einen Construction- Stage-Manager (CSM) berücksichtigt. Abb. 8: Verwendetes Modell für globale Berechnung Wesentlich für die Berechnung von integralen Brücken ist die Boden-Bauwerks-Interaktion. Hierzu sind Grenzwerte für die Bettungen sowie für die anzusetzenden Erddrücke in Sommer- und Winterstellung zu berücksichtigen. Es handelt sich hierbei also nicht nur um variable Lagerungseigenschaften, sondern auch um variable Einwirkungen. Die entsprechenden Ansätze wurden auf Grundlage der RE-ING und in Abstimmung mit dem Baugrundgutachter und geotechnischen Prüfsachverständigen getroffen. Die Schnittgrößen im Überbau und in der Rahmenecke wichen für eine weiche und eine steife Bettung nur sehr gering voneinander ab. Der Vollständigkeit halber wurden dennoch beide Systeme überprüft. Für die Bohrpfähle der Tiefgründung ergaben sich jedoch große Unterschiede. So ergaben sich bei der weichen Bettung z. B. deutlich größere Auflagerkräfte. Im Bereich der Rahmenecke war durch die unterschiedliche Steifigkeitsverteilung des Überbaus infolge variabler Bauhöhe über die Breite und des Widerlagers infolge der drei an die Widerlagerwand anschließenden Flügelwände nicht sofort ersichtlich, ob sich das Rahmeneckmoment gleichmäßig über die Widerlagerbreite verteilt. Aus diesem Grund wurde für diesen Sachverhalt ein lokales Modell erstellt, welches aus Flächenelementen bestand, siehe Abb. 9. Abb. 9: Modell Rahmenecke Die Ergebnisse zeigten, dass sich die Spannungen aus den Beanspruchungen gleichmäßig über den Querschnitt verteilten. Eine Durchlaufwirkung ergab sich nicht. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 33 Gänstorbrücke - Ersatzbauwerk für einen Meilenstein 4.4 Konstruktion des Stahlverbundüberbaus Der Stahlverbundüberbau wird durch den 5-zelligen Kastenquerschnitt und die schubfest angeschlossene Fahrbahnplatte gebildet. In Querrichtung werden zusätzlich im Abstand von 4 m Querschotte vorgesehen. Die Aufgabe, einen möglichst schlanken Überbau - in Analogie zur Vorgängerbrücke von Finsterwalder - herzustellen, führte zur Überlegung, ihn auch statisch in voller Breite mitwirken zu lassen, wodurch mehrere Längsträger mit ihren mitwirkenden Breiten entstehen. Abb. 10: Draufsicht auf den westlichen Überbau mit offenen (grau) und luftdicht verschweißten Zellen Gleichzeitig musste der Querschnitt in Querrichtung ausreichend torsionssteif sein, um Querverdrehung infolge einseitigen Verkehrs zu verhindern - woraus die Hohlkastenlösung folgte. Um aber auch die Durchbiegungen ausreichend zu begrenzen, musste Steifigkeit geschaffen werden, woraus die Verbundlösung entstand. Da auch Leitungen zu überführen sind und auch die Entwässerungseinläufe einsehbar sein müssen, muss die Begehbarkeit gewährleistet sein, womit eine Mindesthöhe in Brückenmitte erforderlich ist. Die Lösung hierfür bestand darin, die mittlere Zelle durchgängig und die mit den Entwässerungsöffnungen versehenen Zellen begehbar zu gestalten und ansonsten alle weiteren Zellen luftdicht zu verschweißen. In Abb. 10 ist dargestellt, welche Zellen somit begehbar und welche luftdicht verschweißt werden. Der Stahlbau wird in je 5 Segmenten je Teilbauwerk montiert. Die Segmente 1 und 5 sind 13 m lang, die Segmente 2 und 4 sind 17 m lang und Segment 3 in Brückenmitte ist 26,50-m lang. Der Obergurt muss zur Sicherung der Geometrie beim Betonieren mit Flachsteifen versehen werden. Aus optischen Gründen wird bei der Fertigung im Werk darauf zu achten sein, dass die Herstellung der Segmente in Positivlage erfolgt, indem zunächst der Untergurt ausgelegt wird, die Stege und Querschotte aufgesetzt und verschweißt werden und dann der mit den Steifen verschweißte Obergurt in Teilstücken und mit Fenstern aufgesetzt wird, damit sowohl Stege und Schotte vollständig (und ggf. einseitig) angeschlossen werden können. Die Konstruktion besteht in weiten Teilen aus S355 J2. Aufgrund der großen Schlankheit und der großen Beanspruchungen in der Rahmenecke werden die direkt an die Widerlager anschließenden Segmente 1 und 5, also je ca. 13 m, aus S460N hergestellt. Die Fahrbahnplatte über den Widerlagern bis 12 m über die Widerlagervorderkante hinaus - also über den Segmenten aus S460N - wird in C50/ 60 ausgeführt. In Brückenmitte wird ein Beton C40/ 50 ausgeführt. Die Betonplatte wird vollflächig über Kopf bolzen angeschlossen. Das Raster über Segment 3 in Brückenmitte beträgt dabei 400 × 250 mm. Direkt am Widerlager beträgt das Raster über Segment 1 und 5 für 7,25 m 125 × 250 mm, im weiteren Verlauf der Segmente dann 180 × 250mm. Über den Segmenten 2 und 4 beträgt das Raster über 9 m zunächst wieder 180 × 250mm, im weiteren Verlauf zur Brückenmitte dann 250 × 125 mm. Der Abstand von 250 mm in Brückenquerrichtung bleibt über die Länge der Brücke hin konstant. An den Enden des Überbaus werden die Dübelreihen über ca. 3,5 m lange Dübelleisten in das Widerlager fortgeführt. 4.5 Nachweisführung der Rahmenecke Die Rahmenecke bildet das Herzstück einer jeden Rahmenbrücke, ihre konstruktive Ausbildung verlangt besondere Aufmerksamkeit. Wegen der hohen Rahmeneckmomente wäre es gegebenenfalls sinnvoll gewesen, die Zugkräfte über hochfeste Spannbewehrung - ggf. sogar mit Vorspannung - aufzunehmen, wie dies z. B. bei der Rahmenbrücke Blossin erfolgte [10]. Verschiedene Gründe wie Begehbarkeit, Wartungsmöglichkeiten, statische Wirksamkeit infolge der Geometrie sprachen dagegen, sodass hierzu eine Lösung gefunden werden musste, die dauerhaft und ohne die Notwendigkeit von Inspektionen auskam. Die konstruktive Lösung der Rahmenecke ist in Abb. 11 dargestellt. Das Rahmeneckmoment wird wie üblich in ein Kräftepaar aufgeteilt. Die Druckkräfte werden über ein 150 mm dickes Druckblech in die 2,5 m dicke Widerlagerwand eingeleitet. In der Widerlagerwand selbst wird zusätzlich eine vertikale und horizontale Spaltzugbewehrung eingebaut. 34 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Gänstorbrücke - Ersatzbauwerk für einen Meilenstein Abb. 11: Rahmenecke Um die Zugkräfte aufzunehmen, musste von den Festlegungen der RE-ING [11] hinsichtlich der Beschränkung auf drei Bewehrungslagen abgewichen werden. Dies ist konstruktiv auch möglich, da zunächst die Betonfahrbahnplattendicke auf 50 cm erhöht wurde und damit wesentlich dicker ist als normale Fahrbahnplatten im Verbundbau. Ein Teil der Zugkraft wird noch im Bereich der Brücke in die Fahrbahnplattenbewehrung ausgeleitet, ein Teil der Zugkraft verbleibt im Obergurt des Überbaus und wird über Zahnbleche mit aufgesetzten Kopfbolzendübeln in das Widerlager geleitet und von dort über schlaffe Bewehrung aufgenommen. Die gesamte Zugkraft wird anschließend entsprechend den Steifigkeiten der Widerlagerwand und den Flügelwänden teilweise direkt in die Widerlagerwand und teilweise in die über das Widerlager hinaus fortgeführte Fahrbahnplatte geleitet, von der sie über die Flügelwände in die Pfahlkopfplatte geleitet wird. Wesentlich für die Bemessung der Rahmenecke war der Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit, nachdem die Rissbreite auf 0,2 mm zu begrenzen ist. Gegenüber dem GZT wurde die Bewehrung zur Abdeckung der Zugkraft auf um mehr als 40 % erhöht und lag bei 147,7 cm²/ m (Auslastung im GZT 70 % und im GZG 100 %). Aus Sicht der Verfasser wäre zu überlegen, ob nicht die Kombination einer erhöhten Betonüberdeckung und einer qualitativ hochwertigen langlebigen Abdichtung zu einer Abminderung der Forderung im GZG führen könnte. Das Ergebnis der nunmehr erforderlichen Bewehrung ist schematisch in Abb. 12 dargestellt. Bei der Ausführung sind daher hohe Ansprüche an die Qualität sowie an die Betontechnologie zu stellen. Die Abbildung ist dem aufgestellten 3D-Modell entnommen. In diesem Modell werden sowohl der Stahlbau als auch der Massivbau inklusive Bewehrung dargestellt. Abb. 12: Bewehrungsführung in der Rahmenecke 5. Zusammenfassung und Ausblick Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass Wettbewerbe insgesamt gute Ergebnisse im Hinblick auf Gestaltung und Stadtbild liefern. Auch technisch werden anspruchsvolle Bauwerke entwickelt. Der Anspruch an die Planenden besteht daher nicht allein in die Erfüllung des Alltagsgeschäfts, sondern auch in der Anwendung kreativer und innovativer Lösungsansätze. So wurde im vorliegenden Fall durch die Wettbewerbsjury eine außergewöhnliche Rahmenbrücke gewählt, die sich in ihrer Gestaltung hervorragend in das Städtebild eingliedert, als auch konstruktiv die Grenzen des Machbaren testet. Die Gänstorbrücke hält sich in Ihrer Gestaltung deutlich zurück und besticht durch eine schlichte Form. Dennoch liefern gerade die vielen kleinen Details wie das geneigte Geländer, die Auftaktmaste oder auch die Gestaltung der Beleuchtung ein unverkennbares Bauwerk. Für die Städte Ulm und Neu-Ulm wird daher neben einer Verkehrsverbindung auch ein neuer Aufenthaltsraum mit Blick auf die Donau und die Stadtsilhouette geschaffen. Der feierliche Baubeginn der Gänstorbrücke erfolgte am 26.07.2024 um 13: 30 Uhr (Abb. 13). Mit der Fertigstellung des ersten Teilbauwerkes wird bis Anfang 2026 gerechnet. Die Fertigstellung des Gesamtbauwerkes ist für Herbst 2027 vorgesehen. Wir wünschen der Baufirma und allen Beteiligten für das Bauvorhaben viel Erfolg. Abb. 13: Einladungskarte zur Eröffnung, Quelle: Städte Ulm/ Neu-Ulm 6. Beteiligte Bauherr: Stadt Ulm/ Stadt Neu-Ulm Planer Entwurfs- und Ausführungsplanung: KRP Architektur GmbH/ KLÄHNE BUNG Beratende Ingenieure im Bauwesen GmbH 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 35 Gänstorbrücke - Ersatzbauwerk für einen Meilenstein Prüfingenieure: Prof. Dr.-Ing. M. Mensinger/ Dr.-Ing. A. Jähring Baufirma: Wolff & Müller Holding GmbH & Co. KG Bauüberwachung und Bauoberleitung: BUNG Baumanagement GmbH Quellen [1] Finsterwalder, U.: Die Donaubrücke beim Gänstor in Ulm. In: Der Bauingenieur 26 (1951) Heft 10. [2] Müller, A.; Sodeikat, C.; Schänzlin, J.; Knab, F.; Albrecht, L.; Groschup, R.; Obermeier, P: Die Gänstorbrücke in Ulm - Untersuchung, Probebelastung und Brückenmonitoring. In: Beton- und Stahlbetonbau 115 (2020), Heft 3, Ernst Sohn Verlag, Berlin 2020. [3] Knab, F.; Groschup, R.: Monitoring von Brücken - Hintergründe, technische Möglichkeiten und Umsetzung am Beispiel der Ulmer Gänstorbrücke, In: Tagungsband 4. Brückenkolloquium 8. und 9. September 2020, Technische Akademie Esslingen. [4] Neu-Ulm; Ulm: Auslobung, Ersatzneubau Gänstorbrücke Ulm/ Neu-Ulm: Planerauswahlverfahren nach VgV mit Realisierungswettbewerb nach RPW 2013; 26.09.2019. [5] Stadt Ulm: Neubau Gänstorbrücke Ulm/ Neu-Ulm, Planerauswahlverfahren nach VgV mit Realisierungswettbewerb nach RPW 2013. [6] Bietergemeinschaft KLÄHNE BUNG/ BUNG/ Kolb Ripke Architekten: Wettbewerbsunterlagen zum Realisierungswettbewerb Gänstorbrücke, Erläuterungsbericht, 2019, unveröffentlicht. [7] Klähne, T.; Owusu-Yeboah, M.; Weißbach, M.: Planung und Ausführung der neuen Extradosed-Brücke in Nürnberg. In: Bauingenieur 99 (2024). [8] Krill, A.; Lingemann, J.; Schacht, G.: Regelungsbedarf und Ansätze einer Rückbaurichtlinie für Brückenbauwerke. In: Beton- und Stahlbetonbau 118 (2023), Sonderheft Rückbau von Betonbrücken. [9] Geier, R.; Angelmaier, V.; Graubner, C., Kohoutek, J.: Integrale Brücken,Verlag Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin, 2017. [10] Pak, D.; Seidl, G.: Eine kurze Geschichte der Rahmenbücken in Deutschland. In: Stahlbau 89 (2020) . [11] Bundesministerium für Digitales und Verkehr: RE- ING, Teil 2 Brücken, Abschnitt 5 Integrale Bauwerke, Stand 2022. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 37 Restnutzungsdauerverlängerung von Brücken Matthias Müller, Dieter von Weschpfennig, Iris Hindersmann, Lydia Puttkamer, Heinz Friedrich, Carl Richter Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach Zusammenfassung Die alternde Verkehrsinfrastruktur in Deutschland und dabei besonders die Brücken stehen derzeit im öffentlichen Fokus. Dabei geht es vorrangig um das Thema Verfügbarkeit, aber auch Nachhaltigkeitsaspekte werden immer bedeutsamer und entsprechend mehr nachgefragt. Eine große Herausforderung ist dabei der Abbau des über Jahrzehnte durch andere Priorisierung aufgebauten Erhaltungsstaus von Ingenieur- und besonders Brückenbauwerken. Die Verlängerung der Restnutzungsdauer bestehender Bauwerke trägt dazu bei, Planungszeiträume zu vergrößern, die Verfügbarkeit der Infrastruktur sicherzustellen und gleichzeitig die Nachhaltigkeit zu optimieren. In diesem Beitrag werden unterschiedliche Maßnahmen beschrieben, um die Restnutzungsdauer der bestehenden älteren Bauwerke zu erhöhen. Sie reichen von der Entwicklung von Möglichkeiten für eine wirklichkeitsnähere Nachrechnung der Bauwerke, über innovative Verstärkungsverfahren bis hin zu den Potenzialen digitaler Hilfsmittel bei der Zustandserfassung und -bewertung. 1. Einführung Im März 2022 erfolgte die Veröffentlichung „Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick“ durch das Bundesministerium Digitales und Verkehr (BMDV) [1]. Die darin aufgeführten Zahlen geben einen Überblick über die unter dem Begriff Modernisierung zusammengefassten erforderlichen Maßnahmen, damit die gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur in Deutschland auch zukünftig den Anforderungen aus der stetig steigenden Verkehrsleistung dauerhaft gerecht wird. Hinsichtlich der Modernisierung müssen ca. 8000 Teilbauwerke im Zuge der Autobahnen und ca. 3000 Teilbauwerke im Zuge der Bundesstraßen besonders priorisiert angegangen werden. Unter Modernisierung werden alle erforderlichen Maßnahmen zur Ertüchtigung und ggf. Erneuerung des Bestandes verstanden, vgl. Abb. 1. Abb. 1: Übersicht der Begriffssystematik der Bauwerkserhaltung (aus RPE-ING) Aufgrund anders priorisierter Investitionen in der Vergangenheit liegt derzeit ein sehr hoher Erhaltungsstau bei den Brückenbauwerken vor. Aus diesem Grund gibt es eine breit angesetzte Erhaltungsstrategie des Bundes. Die Restnutzungsdauerverlängerung ist dabei ein wesentlicher Bestandteil dieser Erhaltungsstrategie und trägt zum Erhalt der Leistungsfähigkeit, zur Verfügbarkeit des Straßennetzes und zur Steigerung der Nachhaltigkeit bei. Gemäß der Richtlinie für die Erhaltung von Ingenieurbauwerken (Ri-ERH-ING) wird die Restnutzungsdauer definiert: “Als Restnutzungsdauer ist die Anzahl der Jahre bis zur voraussichtlich nächsten Erneuerung des Bauwerks oder Bauwerksteils anzusetzen. Die Restnutzungsdauer kann auf der Grundlage einer Bauwerksprüfung festgestellt werden. Bei der Ermittlung der Restnutzungsdauer der Varianten am Ende des Bewertungszeitraums ist die theoretische Nutzungsdauer […] um die Nutzungsdauer des Bauwerks oder Bauwerksteils am Ende des Bewertungszeitraums zu vermindern.“ Die Restnutzungsdauerverlängerung kann durch verschiedene Methoden und Verfahren, die eine wirklichkeitsnähere Beurteilung der Bauwerksbeanspruchung, also der Einwirkungsseite, sowie der Bauwerksreaktionen, also der Widerstandsseite, ermöglichen, unterstützt werden. Darüber hinaus können auch bauliche Maßnahmen zu einer Erhöhung der Restnutzungsdauer beitragen. Nachfolgend werden wesentliche Aspekte zur Restnutzungsdauerverlängerung von Brücken betrachtet. 2. Nachrechnung 2.1 Allgemeines Ein wichtiges Werkzeug für die Restnutzungsdauerverlängerung ist die Nachrechnungsrichtlinie, die eine möglichst wirklichkeitsnahe Bewertung vorhandener rechnerischer Defizite ermöglicht. Sie umfasst alle wesentlichen Bauweisen des Brückenbaus und ermöglicht eine möglichst wirklichkeitsnahe Bewertung der bestehenden Bauwerke durch eine stufenweise Verfeinerung der Nachweiskonzepte, ohne das geforderte Zuverlässigkeitsniveau einzuschränken. Gleichzeitig steigt der Durchführungsbzw. Rechenaufwand erheblich mit der Genauigkeit der einzelnen Stufen, insbesondere in den höheren Nachrechnungsstufen 3 und 4. Somit ist die Nachrechnungsrichtlinie ein hilfreiches Instrument, um zu modernisierende Brücken genauer zu betrachten und 38 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Restnutzungsdauerverlängerung von Brücken so die Restnutzungsdauer bei gleichbleibendem Sicherheitsniveau zu verlängern. 2.2 Weiterentwicklung der Nachrechnungsrichtlinie Seit der Bekanntgabe der ersten Ausgabe der Nachrechnungsrichtlinie im Jahr 2011 wurden umfangreiche Forschungsprojekte zur Weiterentwicklung der Nachweismöglichkeiten sowohl für die Regelanwendung der Richtlinie als auch mit Blick auf die Anwendung genauerer wissenschaftlicher Nachweiskonzepte durchgeführt. Tabelle 1 enthält hierzu einen Überblick über ausgewählte Forschungsthemen oder Forschungscluster der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt). Tab. 1: Forschungsthemen zur Nachrechnung von Brücken und wesentliche Ergebnisse Forschungsthemen Wesentliche Ergebnisse Literatur Weiterentwicklung von Verfahren zur rechnerischen Ermittlung der Schubtragfähigkeit von Betonbrücken (Querkraft, Torsion, Gurtanschluss) - Querkrafttragfähigkeit unter Berücksichtigung eines additiven Betontraganteils für Spannbetonbauteile mit geringer Querkraftbewehrung - Nachweisverfahren für Druckgurtanschlüsse von Hohlkastenbrücken - Nachweisverfahren für Fahrbahnplatten unter konzentrierten Einzellasten - Anrechenbarkeit der Längsspannglieder auf die Torsionslängsbewehrung - Anrechenbarkeit nicht regelwerkskonformer Schubbewehrung - Handlungsempfehlungen für die Anwendung von Nachweisverfahren der Stufe 4 [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11] Weiterentwicklung der Lastmodelle für die Nachrechnung von Bestandsbrücken Lastmodelle für die Nachrechnung bestehender Bauwerke Faktorisierte Lastmodelle (f*LM1) in Abhängigkeit von Verkehrsart und Verkehrsstärke [2] [11] [12] [34] Mauerwerksbrücken Regeln zum Nachweis bestehender Mauerwerksbrücken in den Grenzzuständen der Trag- und Gebrauchsfähigkeit [2] [13] [14] Ermüdung Koppelfugen Vorschlag für eine genauere Berücksichtigung des Einflusses der Temperatur beim Nachweis mit dem Ermüdungslastmodell 3 (ELM 3)- [15] Spannungsrisskorrosion Vorschlag zur Optimierung der bestehenden Nachweisformate durch den Ansatz eines Mindestspannstahlquerschnitts in Abhängigkeit konstruktiver Randbedingungen [15] Stahl- und Verbundbrücken Systematische Datenauswertung nachgerechneter Bauwerke [16] Betonbrücken Systematische Datenauswertung nachgerechneter Bauwerke [17] Im Rahmen der Fortschreibung der Richtlinie ([18]; [19]; [2]) werden die auf die Randbedingungen und Konstruktionsprinzipien der bestehenden Brückenbauwerke optimierten Nachweisformate nach und nach für die praktische Anwendung verfügbar gemacht. Derzeit befindet sich der Entwurf der 2. Auflage der Nachrechnungsrichtlinie [2], die grundlegenden Optimierungen beim Schubnachweis von Spannbetonbrücken sowie ein ganz neues Kapitel für Mauerwerksbrücken beinhaltet, in der Länderabfrage und soll nach Berücksichtigung der Anmerkungen der Infrastrukturbetreiber bekanntgegeben werden. 3. Bauliche Maßnahmen - Verstärkung 3.1 Allgemeines Der Festlegung baulicher Maßnahmen geht grundsätzlich eine Nachrechnung gemäß Nachrechnungsrichtlinie des Bundes voraus, um den genauen erforderlichen Umfang objektspezifisch ermitteln zu können. Möglichkeiten zur Beseitigung der Defizite sind die Instandsetzung oder die Verstärkung. Sind diese Maßnahmen zielführend und wirtschaftlich, kann somit eine Verlängerung der Restnutzungsdauer erreicht werden. Andernfalls ist ein Ersatzneubau vorzusehen. Die grundsätzliche Vorgehensweise bei der Modernisierung von Brücken ist in Abb. 2 dargestellt. Die Verstärkung von Brücken ist eine bauliche Maßnahme, mit der sich im Zuge einer Nachrechnung aufgezeigte rechnerische Defizite minimieren lassen und somit die Nutzung des Bauwerks verlängert wird. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 39 Restnutzungsdauerverlängerung von Brücken Abb. 2: Ablauf der Brückenmodernisierung 3.2 Gängige Verstärkungstechniken Einen Überblick über die zum Verstärken von Betonbrücken geeigneten Verstärkungstechniken ist durch “Verstärkung älterer Beton- und Spannbetonbrücken, Erfahrungssammlung Dokumentation 2016“ [20] gegeben. Die in der Erfahrungssammlung vorgestellten Beispiele der einzelnen Verstärkungstechniken wurden folgendermaßen gruppiert: 1. Zusätzliche Vorspannung, 2. Querkraftverstärkung mit Stabspanngliedern oder Schublaschen aus Stahl, 3. Aufbeton mit Verdübelung, 4. Zusatzbewehrung in Nuten, 5. Aufgeklebte CFK-Lamellen, 6. In Schlitze eingeklebte CFK-Lamellen, 7. Sonderlösungen (vorgespannte CFK-Lamellen, aufgeklebte Stahllaschen, Querschnittsergänzungen mit Spritzbeton bzw. Beton und zusätzlicher Betonstahlbewehrung, Stahlkonstruktionen). Die Erfahrungssammlung steht auf der Homepage der BASt zum kostenlosen Download zur Verfügung. Wichtig für die Ausführung der Verstärkungstechniken sind die Verwendbarkeitsnachweise für die Bauprodukte und Bauarten, die über eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (abZ) bzw. eine allgemeine Bauartgenehmigung (aBg) erfolgen. In einer abZ werden die bauaufsichtlich relevanten Eigenschaften der Bauprodukte, der Verwendungsbereich sowie Herstellung, Verarbeitung, Transport, Lagerung, Kennzeichnung und Übereinstimmungsbestätigung national geregelt. In einer aBg werden die Aspekte der Planung, Bemessung und Ausführung für die Bauart berücksichtigt. Dabei können diese Genehmigungen als Einzelbescheide oder auch als Kombibescheid vorliegen. Regelungen zum Verstärken von Betonbrücken sind in den Richtlinien für den Entwurf, die konstruktive Ausbildung und Ausstattung von Ingenieurbauwerken (RE-ING), Teil 2 Brücken, Abschnitt 2, Nr. 3 Verstärkungs- und Instandsetzungsmaßnahmen von Betonbauteilen und in den Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauwerke (ZTV-ING), Teil-3 Massivbau, Abschnitt 6 Verstärken von Betonbauteilen enthalten. Für die Verstärkung von Stahlbrücken sind die folgenden Berichte zu nennen: 1. Instandsetzung und Verstärkung von Stahlbrücken unter Berücksichtigung des Belagssystems [21]: Der Bericht liefert einen Überblick über die Gefährdung von stählernen Fahrbahnplatten hinsichtlich Ermüdungsschäden, ordnet diese Gefährdungen in Gefährdungskategorien ein und gibt Strategien und Verfahren zu einer nachhaltigen Instandsetzung vor allem von Deckblechschäden und Schäden an der Verbindung zwischen Längsrippe und Deckblech an. 2. Verstärkung von Stahlbrücken mit Kategorie-2-Schäden [22]: Dieses Projekt behandelt die Instandsetzung und Verstärkung von Stahlbrücken mit Schäden im Bereich von Anschlüssen im Längssystem orthotroper Stahlbrücken, im Speziellen bei Längssteifen aus Y-Profilen. Basierend auf Literatur und Recherche, unter anderem in Unterlagen über vorhandene Schäden an orthotropen Stahlfahrbahnen, wurden im Projekt Ermüdungsrisse, die an existierenden Stahlbrücken mit Y-Profilen beobachtet wurden, zusammengestellt und kategorisiert. Anhand von 20 Ermüdungsversuchen an Bauteilen wurden verschiedene Maßnahmen mit mechanischen Verbindungsmitteln erprobt. 3. Verstärkung von Stahlbrücken mit Kategorie-3-Schäden [23]: Dieses Projekt behandelt die Instandsetzung und Verstärkung von Stahlbrücken mit Schäden im Bereich von Anschlüssen im Quersystem orthotroper Stahlbrücken, Ausgewählte Maßnahmen an Brücken mit Hohlkasten- und offenem Querschnitt wurden in allgemeiner Form mit numerischen FE-Berechnungen untersucht, um Vor- und Nachteile herauszustellen. Es zeigt sich, dass eine möglichst gleichmäßige Steifigkeitsverteilung im Aussteifungssystem anzustreben ist. Aber auch mit verkehrsleitenden Maßnahmen wie eine Verlegung der Fahrstreifen ohne Eingriff in das Tragwerk lassen sich die kritischen Beanspruchungen u.U. deutlich reduzieren. 4. HANV als Verstärkung von Stahlbrücken mit Kategorie-1-Schäden [24]: Im Rahmen dieses Projekts wurde untersucht, ob sich durch die Verwendung eines modifizierten Asphaltbelags in Form eines hohlraumreichen Asphaltgerüst mit nachträglicher Verfüllung (HANV) die mittragende Wirkung des Fahrbahnbelags erhöhen und sich die lokalen Beanspruchungen im Deckblech dadurch reduzieren lassen. Hierfür wurden sowohl statische als auch dynamische 5-Punkt-Biegeversuche bei unterschiedlichen Temperaturen durchgeführt. Aufgrund großer Streuungen konnte keine abschließende Bewertung vorgenommen werden. Eine Tendenz, dass ein verfüllter offenporiger Asphaltbelag eine erhöhte mittragende Wirkung gegenüber herkömmlichem Gussasphalt aufweist, ist jedoch erkennbar. 3.3 Innovative Verstärkungstechniken Für die Verstärkung von Betonbrücken sind Innovative Verstärkungstechniken entwickelt worden. Dazu zählen die Verbundankerschrauben, die für die Querkraft- und 40 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Restnutzungsdauerverlängerung von Brücken Durchstanzverstärkung von Platten und ggf. Plattenbalkenbrücken eingesetzt werden können. Die Bemessung erfolgt nach den abZ/ aBg Z-15.1-344 für die Querkraftverstärkung bzw. Z-15.1-345 für die Durchstanzverstärkung. Vorteil dieser Verstärkungstechnik ist, dass diese bei laufendem Verkehr durchgeführt werden kann. Nachteil ist, dass die Bemessung der Verstärkung aktuell für die vollen Einwirkungen erfolgen muss, da das Zusammenwirken von Verstärkung mit vorhandener Tragstruktur nicht abschließend geklärt ist. Die Aufnahme von ergänzenden Regelungen in ZTV-ING, Teil 3, Abschnitt 6 zur Anwendung dieser Technologie bei bestehenden Betonbrücken ist in Vorbereitung. Abb. 3: Querkraftverstärkung mit Verbundankerschrauben (Auszug aus abZ/ aBg Z-15.1-344) Eine weitere innovative Verstärkungstechnik ist der Carbonbeton. Carbonbeton zur Verstärkung von Betonbauteilen besteht aus wenigen Zentimeter dicken Feinmörtelschichten, in die mehrere Lagen textiles Gelege aus Carbonbeton eingebaut werden (Abb. 4). Die Schichten können aufgesprüht oder im Handlaminierverfahren aufgebracht werden. Abb. 4: Auf bau Carbonbeton Für die Verstärkung von Betonbauteilen gibt es die abZ/ aBg Z-31.10-182 „CARBOrefit® - Verfahren zur Verstärkung von Stahlbeton mit Carbonbeton“. Die Festlegungen im Verwendungsbzw. Anwendungsbereich der abZ/ aBg beinhalten aktuell nicht die Anforderungen aus dem Brückenbau wie bspw. vorwiegend nicht ruhende Belastung, Verstärkung auch an Außenbauteilen. Im Rahmen der Zustimmung im Einzelfall (ZiE) bzw. einer vorhabenbezogenen Bauartgenehmigung sind wenige Verstärkungen im Brückenbau erfolgt. Der DAfStb erarbeitet die Richtlinie „Verstärken von Betonbauteilen“, die den Carbonbeton thematisiert. Die Richtlinie enthält Grundregeln für den Entwurf, die Berechnung und die Bemessung von Verstärkungsmaßnahmen mit Carbonbeton für Tragwerke aus Beton und Stahlbeton. Das Potential der Verstärkungstechnik Carbonbeton soll im Rahmen des Forschungsprojektes mit dem Titel „Sachstandsbericht Verstärken von Betonbrücken mit Carbonbeton“ aufgezeigt werden. Darüber hinaus gibt es weitere Forschungsaktivitäten in diesem Bereich. Ziel ist es, die Verstärkung mit Carbonbeton als Regelverstärkung im Betonbrückenbau zu etablieren. Hierzu sind Kenntnisse zum aktuellen Stand der Erfüllung der bauaufsichtlichen Anforderungen erforderlich. Weiterhin sind fundierte Kenntnisse über mögliche Wege zur Schließung ggf. vorhandener Lücken in den Regelwerken notwendig. Die Entwicklung von Betonen mit höherer Leistungsfähigkeit schreitet voran. Dazu gehört auch der innovative Baustoff Ultrahochfester Beton (UHPC) mit den Festigkeitsklassen >- C130. Gerade bei kleineren Brücken kann die Technologie „Verstärkung mit Auf beton“ Statisch/ Konstruktive Defizite des Brückenüberbaus so weit reduzieren, dass eine Verlängerung der Nutzungsdauer möglich ist. Nicht geregelt ist die Auf betonverstärkung mit dem innovativen Baustoff Ultrahochfester Beton (UHPC), bei der auf den Einbau von Abdichtung und Belag auf der Verstärkungsschicht verzichtet werden kann und die Gradiente beibehalten werden kann. Ebenheit und Textur der direkt befahrenen Betonoberfläche werden durch Grinding hergestellt. Ziel des Forschungsprojektes „Innovationen im Betonbrückenbau - Anforderungen an die Regelungen der ZTV- ING“ ist es, die Aufbetonverstärkung mit UHPC von defizitären Brücken mit kleinen Längen zu untersuchen. Dazu ist zunächst die Verbundtragfähigkeit - insbesondere unter Ermüdungsbeanspruchung - theoretisch und experimentell unter Einhaltung des deutschen Sicherheitsniveaus zu klären. Es soll darüber hinaus die Verstärkungswirkung bei typischen Querschnitten (Platte, Plattenbalken) hinsichtlich Biegung und Querkraft aufgezeigt werden. Die relevanten konstruktiven Details sind zu erarbeiten. Weiterhin ist die Ausführung solcher Baumaßnahmen zu untersuchen. Die Ergebnisse sind in einer Planungshilfe zur „Auf betonverstärkung von Betonbrücken mit direkt befahrener UHPC - Schicht“ zusammen zu fassen. Hochfester Beton mit Stahlfasern wird auch zur Verstärkung von orthotropen Stahlbrücken seit vielen Jahren erfolgreich, unter anderem in den Niederlanden, angewendet. In Deutschland erfolgte die Erprobung im Pilotprojekt Beimerstetten [25]. Anschließend wurde hochfester Beton mit Stahlfasern zur Verstärkung der Rheinbrücke Maxau bei Karlsruhe (B10), der Brücke über den Elster-Saale Kanal (A9) bei Günthersdorf und der Brücke über den Rhein-Herne-Kanal (A43) verwendet. Für die Verwendung von hochfestem Beton ab der Festigkeitsklasse C55/ 67 im Brückenbau wird nach ZTV-ING 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 41 Restnutzungsdauerverlängerung von Brücken Teil 3 Abschnitt 1 „Beton“ über die Anforderungen der Norm (zusammengestellt in DIN-Fachbericht- 100 „Beton“) hinaus eine Zustimmung des Auftraggebers gefordert. Für die Verwendung von Beton der Festigkeitsklassen C90/ 105 und C100/ 115 wird auch nach DIN-Fachbericht 100 „Beton“ eine abZ oder eine ZiE erforderlich. Bisher wurde für die Verstärkung von orthotropen Stahlbücken in Deutschland ein hochfester Beton mit Stahlfaserzusatz verwendet, der über eine abZ als Dichtschicht für den Umgang mit wassergefährdenden Stoffen verfügt. Für den hier beschriebenen Anwendungsbereich als Betonfahrbahn auf einer Stahlbrücke ist jedoch unabhängig von der Betonfestigkeitsklasse eine ZiE notwendig. Die verstärkende Wirkung wird im Wesentlichen durch die Erhöhung der Steifigkeit der Stahlplatte erzielt, also Festigkeit, E-Modul, Stahlfasergehalt, Ermüdungsverhalten und die Höhe des hochfesten Betons sowie den kraftschlüssigen Verbund des Betons mit der Stahlplatte der Brücke. Der dauerhafte Korrosionsschutz der Stahlplatte erfolgt ebenfalls durch den Beton, also durch die Dichtheit gegenüber tausalzhaltigem Oberflächenwasser der Fahrbahn. Folglich ist der Einsatz von hochfestem Beton mit Stahlfasern als Verstärkungsmaßnahme von Stahlbrücken in Deutschland mit einer ZiE verbunden. Die Planung und Ausführung von Verstärkungsmaßnahmen von Stahlbrücken mit hochfestem Beton mit Stahlfasern sind mit einer Vielzahl von Vorgaben und Herausforderungen verbunden. Im September 2022 wurde daher ein Workshop in der BASt mit dem Ziel durchgeführt, die Erfahrungen, welche bereits mit dem Einsatz von hochfestem Beton als Verstärkungsmaßnahme gemacht wurden, zusammenzutragen und für die Planung und Ausführung zukünftiger Projekte verfügbar zu machen. Hierzu wurden die an den bisherig ausgeführten Instandsetzungsmaßnahmen beteiligten Personen aus Verwaltung, Universitäten und Ingenieurbüros eingeladen. Abb. 5: Prinzip der Verstärkung von Stahlbrücken mit hochfestem Beton: (1) 12 mm Stahldeckblech (2) mit Bauxit abgestreutes Epoxidharz (3) 60 mm hochfester Beton (4) Reaktionsharzgebundener Dünnbelag Die Herausforderungen und die bisher angedachten Lösungsmöglichkeiten wurden in Planungshilfen [26] zusammengetragen und dienen als Unterstützung für die Planung des Einsatzes von hochfestem Beton als Verstärkungsmaßnahme von Stahlbrücken sowie der Beantragung der ZiE. Eine weitere Möglichkeit die Nutzungsdauer ermüdungsgefährdeter orthotrope Fahrbahnplatten zu erhöhen, ohne weitere Schädigungen in die bestehende Substanz mit dem Verstärkungsverfahren einzutragen, stellt das Kleben von Blechen dar. Hierbei besteht eine Möglichkeit darin, Stahlbleche auf das vorhandene Deckblech zu kleben und somit die Spannungen in den Schweißnähten zu reduzieren. Die Grundlagen hierfür wurden in [27] erforscht. Eine pilothafte Erstanwendung ist in Planung. Eine andere Möglichkeit besteht darin, mit geklebten Stahlblechen Längssteifen, Quer- und Hauptträger zu verstärken. Die Grundlagen hierfür wurden und werden im Rahmen der FOSTA Forschungsprojekte „Stress Patches“ [28] und „Patch 2 Go“ (FOSTA P1622: Praxisübertrag der klebtechnischen Ertüchtigung von Kerbfällen im Stahlbau; Projektende voraussichtlich 2025) untersucht. Im Rahmen eines DASt-Forschungsprojekts wird eine Verstärkungsmethode untersucht, bei der die Montage der Bleche mittels Injektionsschrauben erfolgt (AiF Nr.: 21369 Anwendung von Injektionsschrauben bei der Instandsetzung von dynamisch beanspruchten Stahlkonstruktionen). 4. Möglichkeiten der Digitalisierung 4.1 Allgemeines Das Erhaltungsmanagement von Brücken- und Ingenieurbauwerken erfolgt derzeit bis auf wenige Ausnahmen ausschließlich reaktiv. Maßnahmen werden also erst dann ergriffen, wenn Schäden im Rahmen der Bauwerksprüfung erkennbar werden. Die Entwicklung und Einführung eines prädiktiven Lebenszyklusmanagements können zukünftig zur Erreichung einer zuverlässigen und verfügbaren Infrastruktur einen bedeutenden Beitrag leisten und sind deswegen jetzt auch schon ein Bestandteil der Forschung. Die Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung, wie die Planung mit Building Information Modeling (BIM), Datenauswertung mit Verfahren der Künstlichen Intelligenz sowie der Einsatz von Monitoring und Digitaler Zwillinge oder der Einsatz von Augmented and Virtual Reality (VR/ AR) für die periodische Zustandserfassung im Rahmen der Bauwerksprüfung können zur Unterstützung der Erhaltungsziele beitragen. Der Einsatz unterschiedlicher Verfahren ermöglicht über die Zusammenführung eine ganzheitliche Bewertung digital vorliegender Informationen. 4.2 Monitoring Monitoring beschreibt den Gesamtprozess zur Erfassung, Analyse sowie Bewertung von Bauwerksreaktionen und/ oder der einwirkenden Größen mittels eines Messsystems über einen repräsentativen Zeitraum. Eine Umfrage des BMDVs bei den Straßenbauverwaltungen der Länder und der Autobahn des Bundes 2020 hat gezeigt, dass der Ein- 42 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Restnutzungsdauerverlängerung von Brücken satz von Monitoring auf vorhandene Schäden und Defizite beschränkt ist. Im Rahmen der Abfrage konnten 100 Monitoringmaßnahmen identifiziert werden. Der Hauptteil der Brücken mit einer durchgeführten oder laufenden Monitoringmaßnahme wurde in den 1960er bis 1980er Jahren gebaut. Der Hauptgrund für den Monitoringeinsatz ist die Erfassung der Bauwerksreaktion. Für den bislang relativ wenig verbreiteten Einsatz von Monitoring an Brücken der Bundesfernstraßen gibt es verschiedene Ursachen. Folgende Aspekte sind von Bedeutung: • fehlende Fachkenntnisse in Bezug auf den Einsatz von Monitoring, • nicht bekannter Nutzen von Monitoring, • hohe Komplexität bei der Erstellung eines objektbezogenen Monitoringkonzepts. Abhilfe können Regelwerke und Standardisierung wie das DBV-Merkblatt „Monitoring: Planung, Vergabe und Betrieb“ [29], das DGZf P-Merkblatt B 09 „Dauerüberwachung von Bauwerken“ [30] und die Erfahrungssammlung „Monitoring bei Bestandsbrücken“ [31] schaffen. Weiterbildungen, Einbeziehung von Ingenieurbüros und Fachplanern sowie die Darlegung der Wirtschaftlichkeit und des Nutzens von Monitoringmaßnahmen können zum vermehrten Einsatz beitragen [32]. Durch die Implementierung von Anwendungsfällen können die Grundlagen für eine vermehrte Anwendung von Monitoring in der Praxis geschaffen werden. Anwendungsfälle ermöglichen den Einsatz neuer Technologien in definierten und klar abgegrenzten Bereichen. So können Erfahrungen gesammelt und Hemmnisse abgebaut werden. Die im Bundesfernstraßenbereich vorhandenen Anwendungsfälle zeigt Abb. 6. Abb. 6: Anwendungsfälle von Monitoring im Bereich der Bundesfernstraßen Neben bereits häufig vorkommenden Anwendungsfällen sind in Abb. 6 auch Anwendungsfälle mit ersten Einsatzbeispielen und mögliche zukünftige Anwendungsfälle dargestellt. Hiermit wird das Potenzial für weitere Einsatzgebiete aufgezeigt. Der Anwendungsfall „Monitoring im prädiktiven Lebenszyklusmanagement“ wird im Rahmen der Umsetzung digitaler Zwillinge, welche im BIM-Masterplan angekündigt werden, eine große Bedeutung bekommen. Erste Schritte und Ideen zur Umsetzung dieses Anwendungsfalls wurden in [33] skizziert. Das Potential von Monitoring ergibt sich aus der Möglichkeit, Bauwerke über lange Zeiträume zu überwachen und Veränderungen zu erkennen.Das Anwendungsbeispiel „Geburtszertifikat“ hat das Ziel, einen Referenzzustand des Bauwerks vor der Verkehrsfreigabe zu ermitteln. Damit wird eine Grundlage für die Interpretation der Auswirkungen von späteren Veränderungen geschaffen und es ist möglich, Aussagen über das zu erwartende Verhalten der Tragwerks- und Ausstattungskomponenten zu treffen. Dieser Referenzzustand kann mit Folgemessungen abgeglichen werden und somit eine Entscheidungsgrundlage für den Einsatzzeitpunkt erforderlicher Maßnahmen, wie beispielsweise ein dauerhaftes Monitoring, darstellen. Die Durchführung einer Nullmessung inkl. einer Belastungsprobe ist in der Schweiz, Italien und Frankreich vorgeschrieben. In Deutschland existiert keine Vorschrift für die Durchführung einer Nullmessung und die Erstellung eines Geburtszertifikats einer Brücke. 4.3 Digitaler Zwilling Über die Implementierung in digitalen Zwillingen kann das Zusammenwirken unterschiedlicher Komponenten berücksichtigt werden. Ein digitaler Zwilling kann als digitales Abbild der realen Straßeninfrastruktur 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 43 Restnutzungsdauerverlängerung von Brücken verstanden werden, das in Wechselwirkung mit der realen Struktur steht, sämtliche Eigenschaften über den gesamten Lebenszyklus hinweg erfasst und aus den Daten Informationen zur Entscheidungsunterstützung erzeugt. Abb. 7 zeigt konzeptionell den Auf bau und die Möglichkeiten eines digitalen Zwillings einer Brücke. Abb. 7: Komponenten des Digitalen Zwillings Das Monitoring und die daraus gewonnenen Informationen und Erkenntnisse sind wichtige Grundlagen für die Entwicklung und Nutzung von digitalen Zwillingen. Die Monitoringdaten geben Aufschluss zum aktuellen Zustand des Bauwerks und dienen als Eingangsdaten für die Ermittlung des zukünftigen Verhaltens. Damit ist der Monitoringeinsatz grundlegend für die im digitalen Zwilling ablaufenden Prozesse Überwachung, Analyse, Vorhersage und Steuerung. Für die Implementation digitaler Zwillinge im Bundesfernstraßennetz kann eine Strategie zur schrittweisen Einführung sinnvoll sein. Erste Schritte können die Erstellung von dreidimensionalen Betriebsmodellen, Geburtszertifikaten, digitalisierten Bauwerksprüfungen und die Zusammenführung und Bewertung von Daten beispielsweise aus Monitoringanwendungen sein. Im Rahmen der Forschung werden o.g. Aspekte bereits eingehend untersucht und zum Teil pilothaft umgesetzt (z. B. [35]). Eine Möglichkeit zur Nutzung digitaler Tools im Rahmen der Bauwerksprüfung ist exemplarisch in Abb. 8 dargestellt. Abb. 8: Praxistest eines Demonstrators zur Unterstützung der Bauwerksprüfung. Für die Verortung von Informationen aus unterschiedlichen Quellen (z. B. Monitoring, Bauwerksprüfung) sind dreidimensionale Bauwerksmodelle erforderlich, die mit semantischen Informationen angereichert werden können. Solche Modelle liegen für bestehende ältere Bauwerke jedoch in der Regel nicht vor. Eine Möglichkeit zur Generierung entsprechender Modelle stellt die (teil-) automatisierte Generierung von BIM-Modellen aus Punktwolken, die mittels 3D-Vermessungstechnologien erzeugt wurden, dar. In einem Forschungsprojekt im Auftrag der BASt [36] wurde ein neuartiger, modularer Ansatz für die teil-automatisierte Umwandlung von Punktwolken in Ist-BIM- Modelle erarbeitet. Der Ansatz basiert auf einer Kombination von Anwendungen Künstlicher Intelligenz und heuristischen Algorithmen. Neuronale Netze wurden mit synthetischen sowie realen Datensätzen typischer Brückenelemente trainiert und an Punktwolken tatsächlicher Bauwerke getestet. Die erkannten Brückenelemente werden dabei in ein trianguliertes Oberflächennetz umgewandelt. Anschließend können Volumenelemente mittlerer geometrischer Komplexität generiert werden. Das Endergebnis ist ein Ist-BIM-Modell einer Brücke und ihrer Elemente, angereichert mit semantischen Informationen aus der Bauwerksdatenbank SIB-Bauwerke (z. B. Typ, Eigenschaft, Beziehung, Material) und BISStra, im standardisierten und offenen IFC-Format (Industry Foundation Classes) für den Austausch von Bestandsmodellen. Abb. 9 stellt den modularen Ansatz für die (teil-)automatisierte Umwandlung von Punktwolken in Ist-BIM Modelle dar. 44 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Restnutzungsdauerverlängerung von Brücken Abb. 9: Modularer Ansatz für die (teil-)automatisierte Umwandlung von Punktwolken in Ist-BIM-Modelle nach [36] Die Zusammenführung verschiedener Module des digitalen Zwillings ermöglicht eine frühzeitige Informationsbereitstellung in einer standardisierten, objektivierten und ortsreferenzierten Form. Hierdurch können Entwicklungen, die zu einer Einschränkung des Restnutzungsdauer führen können, frühzeitig erkannt und Gegenmaßnahmen geplant werden. In diesem Zusammenhang ist die Entwicklung und Implementierung von Möglichkeiten für Entwicklungsprognosen von großer Bedeutung. Hierbei können neben analytischen oder datengetriebenen Prognosemodellen, die nicht unmittelbar zur Verfügung stehen, szenarienbasierte Untersuchungen und damit verbundene Risikobewertungen sowie Maßnahmenempfehlungen ein erster Schritt sein, um die Eintretenswahrscheinlichkeit und die Folgen etwaiger Zustandsentwicklungen zu berücksichtigen und den Infrastrukturbetreibern auf diese Weise Handlungsmöglichkeiten zu einem frühen Zeitpunkt aufzeigen. 5. Fazit Durch die Verlängerung der Restnutzungsdauer von Brückenbauwerken wird die Nachhaltigkeit und Verfügbarkeit der Infrastruktur verbessert. In diesem Beitrag wurden verschiedene Maßnahmen zur Verlängerung der Nutzungsdauer erörtert - von der klassischen Nachrechnung der Brücken über bauliche Maßnahmen bis hin zu digitalen Möglichkeiten. In den Forschungsaktivitäten der BASt werden all diese Aspekte vorangetrieben. Literatur [1] Bundesministerium für Digitales und Verkehr: Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick. Bonn, 03/ 2022. [2] BEM-ING Teil 2 Entwurf, 2024: Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand. [3] Hegger, Josef; Herbrand, Martin; Adam, Viviane; Mauermann, Reinhard; Gleich, Philipp; Stuppak, Eva et al. (Hg.): Beurteilung der Querkraft- und Torsionstragfähigkeit von Brücken im Bestand - erweiterte Bemessungsansätze, BASt Heft B 150, Bergisch Gladbach, 2020. [4] Hegger, Josef; Mark, Peter (Hg.) (2021): Stahlbetonbau-Fokus: Brückenbau. Beispiele zu Entwurf, Bemessung und Konstruktion. Beuth Verlag GmbH (Bauwerk). Online verfügbar unter http: / / search. ebscohost.com/ login.aspx? direct=true&scope=site&db=nlebk&db=nlabk&AN=2910545 [5] Fischer, Oliver; Thoma, Sebastian; Hegger, Josef; Schmidt, Maximilian (Hg.) (2023): Weiterentwicklung der Nachrechnungsrichtlinie. Validierung erweiterter Nachweisformate zur Ermittlung der Schubtragfähigkeit bestehender Spannbetonbrücken, BASt Heft B 189, Bergisch Gladbach, 2023. [6] Maurer, Reinhard; Wentzek, Linda; Hegger, Josef; Adam, Viviane; Rombach, Günter Axel; Harter, Maike et al. (Hg.): Querkraftbemessung von Brückenfahrbahnplatten. Erarbeitung einer einheitlichen Vorgehensweise zur Ermittlung der erforderlichen Querschnittsabmessungen von Fahrbahnplatten ohne Querkraftbewehrung, BASt Heft 181, Bergisch Gladbach, 2022, online verfügbar unter https: / / edocs.tib.eu/ files/ e01fn22/ 1818819449.pdf [7] Müller, Matthias; Maurer, Reinhard (2020): Nachweis des Druckgurtanschlusses bei der Nachrechnung von Betonbrücken, In: Bauingenieur 95 (11), S. 446-454. DOI: 10.37544/ 0005-6650-2020-11- 104. [8] Müller, Matthias (Hg.): Druckgurtanschluss in Hohlkastenbrücken. Ingenieurmodelle zur wirklichkeitsnahen Ermittlung der Tragfähigkeit, BASt Heft B 162, Bergisch Gladbach, 2021. [9] Hegger, Josef; Fischer, Oliver; Maurer, Reinhard; Dommes, Christian; Adam, Viviane; Lamatsch, Sebastian et al. (2024a): Querkraft und Torsion 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 45 Restnutzungsdauerverlängerung von Brücken - zukünftige Ansätze und Potenziale in Stufe 2 der Nachrechnungsrichtlinie, in: Bauingenieur 99- (01-02), S.- 1-11. DOI: 10.37544/ 0005-6650- 2024-01-02-23. [10] Hegger, Josef; Fischer, Oliver; Maurer, Reinhard; Zilch, Konrad; Dommes, Christian; Adam, Viviane et al. (2024b): Nachrechnungen von Spannbetonbrücken mit Verfahren der Nachrechnungsstufe, In: Bauingenieur 99 (01-02), S. 12-21. DOI: 10.37544/ 0005-6650-2024-01-02-34. [11] Bundesanstalt für Straßenwesen (Hg.) (2021): Nachrechnung bestehender Brücken - Tagungsband 2021. Unter Mitarbeit von Matthias Müller. Online verfügbar unter https: / / bast.opus.hbz-nrw. de/ frontdoor/ index/ index/ docId/ 2550, zuletzt geprüft am 01.08.2024. [12] Freundt, Ursula; Böning, Sebastian: Priorisierung und Nachrechnung von Brücken im Bereich der Bundesfernstraßen. Einfluss der Einwirkungen aus Verkehr unter besonderer Berücksichtigung von Restnutzungsdauer und Verkehrsentwicklung; BASt Heft B 91, Bergisch Gladbach, 2013. [13] Purtak, Frank; Möbius, Florian (Hg.): Statische Vergleichsberechnung von gemauerten Gewölbebrücken zur Validierung des Entwurfs der neuen Nachrechnungsrichtlinie (Mauerwerk), BASt Heft B 175, Bergisch Gladbach, 2022. [14] Purtak, Frank; Marzahn, Gero; Müller, Matthias (2022): Berechnung und Bemessung bestehender Gewölbebrücken mit der Nachrechnungsrichtlinie für Straßenbrücken. In: Detleff Clemens Schermer und Eric Brehm (Hg.): Fassadengestaltung, Bauphysik, Innovationen. Berlin: Wilhelm Ernst & Sohn (Mauerwerk-Kalender, 47. Jahrgang (2022)), S. 397-442. [15] Zilch, Konrad; Kriechbaum, Matthias; Maurer, Reinhard; Heinrich, Jens; Weiher, Hermann; Runtemund, Katrin (Hg.): Integration der Handlungsanweisungen Spannungsrisskorrosion und Koppelfugen in die Nachrechnungsrichtlinie, BASt Heft B 186, Bergisch Gladbach, 2023, online verfügbar unter https: / / edocs.tib.eu/ files/ e01fn23/ 1839623071.pdf [16] Winfried Neumann, Armin Brauer: Nachrechnung von Stahl- und Verbundbrücken - Systematische Datenauswertung nachgerechneter Bauwerke, BASt Heft B 144, Bergisch Gladbach, 2018. [17] Fischer, o., et al.: Nachrechnung von Betonbrücken - Systematische Datenauswertung nachgerechneter Bauwerke, BASt Heft B 124, Bergisch Gladbach, 2016. [18] Nachrechnungsrichtlinie, 05/ 2011: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie). [19] Nachrechnungsrichtlinie 1. Ergänzung, 04/ 2015: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie). [20] Schnellenbach-Held, M., Hegger, J., et al.: Verstärkung älterer Beton- und Spannbetonbrücken - Erfahrungssammlung Dokumentation 2016, BASt, Bergisch Gladbach, 2016. [21] Gerhard Sedlacek, Michael Paschen, Markus Feldmann, Achim Geßler, Sebastian Möller, Bernd Steinauer, Karen Scharnigg: Instandsetzung und Verstärkung von Stahlbrücken unter Berücksichtigung des Belagssystems, BASt Heft B 176, Bergisch Gladbach, 2011. [22] Ulrike Kuhlmann, Michael Hubmann: Verstärkung von Stahlbrücken mit Kategorie-2-Schäden, BASt Heft B 127, Bergisch Gladbach, 2016. [23] Dieter Ungermann, Bettina Brune, Pascal Giese: Verstärkung von Stahlbrücken mit Kategorie-3-Schäden, BASt Heft B 128, Bergisch Gladbach, 2016. [24] Natalie Stranghöner, Christoph Lorenz, Vanessa Raake, Edeltraud Straube†, Marcel Knauff: HANV als Verstärkung von Stahlbrücken mit Kategorie- 1-Schäden, BASt Heft B 136, Bergisch Gladbach, 2017. [25] Mansperger T., et al.: Verstärkung von Stahlbrücken mit hochfestem Beton, BASt Heft B 137, Bergisch Gladbach, 2017. [26] Bundesanstalt für Straßenwesen: Planungshilfen für die Verstärkung von Stahlbrücken mit hochfestem Beton, BASt (online verfügbar), (https: / / www. bast.de/ DE/ Ingenieurbau/ Fachthemen/ b2-planunghfb/ b2-hfb.html? nn=1816396). [27] Friedrich, H.: Verstärkung des Deckblechs orthotroper Fahrbahnplatten durch Aufkleben von Stahlblechen, BASt Heft B 187, Bergisch Gladbach, 2023. [28] Schuler, Ch., et al.: P 1296 Klebtechnische Ertüchtigung von Ermüdungsschäden für Konstruktionen des Stahlbaus, Forschungsvereinigung Stahlanwendungen e.V., FOSTA, 2022. [29] DBV, 2018: Merkblatt: Monitoring: Planung, Vergabe und Betrieb. [30] DGZfP, 2022: Merkblatt: B 09 - Dauerüberwachung von Ingenieurbauwerken. [31] Novák, Balthasar; Stein, Franziska; Farouk, Abdelrahman; Thomas, Leonard; Reinhard, Jochen; Zeller, Tanja; Koster, Gerhard (2024): Erfahrungssammlung Monitoring für Brückenbauwerke - Dokumentation 2021. Unter Mitarbeit von Iris Hindersmann. [32] Schubert, Matthias; Faber, Michael Havbro; Betz, Wolfgang; Niemeier, Eileen; Ziegler, Daniel; Walther, Christoph; Majka, Michal (Hg.): Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen von Monitoringmaßnahmen. Entwicklung eines Konzepts für die Analyse von Nutzen und Kosten, BASt Heft B 156, Bergisch Gladbach, 2020. [33] Morgenthal, Guido; Rau, Sebastian; Hallermann, Norman; Schellenberg, Kristian; Martín-Sanz, Henar; Schubert, Matthias; Kübler, Oliver (Hg.): Potenziale von Monitoringdaten in einem Lebenszyklusmanagement für Brücken. BASt Heft B 190, Bergisch Gladbach, 2023. 46 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Restnutzungsdauerverlängerung von Brücken [34] Freundt, Ursula; Böning, Sebastian: Verkehrslastmodelle für die Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand, BASt Heft B 82, Bergisch Gladbach, 2011. [35] König, M. K.; Ceik, F.; Embers, S.; Faltin, B.; Herbers, P.; Zentgraf, S.; Braun, J.-D.; Schammler, D.; Steinjan, J. Kombination von Augmented/ Mixed- Reality-Systemen mit weiteren digitalen Technologien - unveröffentlichter Bericht zu 69.0008, 2024. [36] Hajdin, Rade; Rakić, Lazar; Diederich, Holger; Tanasić, Nikola; Richter, Rico; Hildebrand, Justus; Schulz, Sebastian: Entwicklung von Verfahren zur (teil-)automatisierten Erstellung von BIM-Modellen für Straßenbrücken im Bestand, 2024. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 47 Aktuelle und zukünftige Potenziale in Stufe-2 und 4 der Nachrechnungsrichtlinie Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E. h. Josef Hegger H+P Ingenieure GmbH Aachen; ehemals Institut für Massivbau (IMB) der RWTH Aachen University Zusammenfassung Der Vortrag stellt die Nachweisverfahren in den Stufen 2 und 4 zur Nachrechnung von Bestandsbrücken nach aktueller BEMING Teil-2 und deren Weiterentwicklung vor. Auf bauend auf den Bemessungsmodellen der BEMING Teil-2 für Querkraft und Torsion werden weiterführende experimentelle Untersuchungen der drei Forschungseinrichtungen RWTH Aachen, TU München und TU Dortmund an großformatigen Spannbetonträgern vorgestellt, um daraus Vorschläge für erweiterte Nachweise abzuleiten, die das Tragverhalten von Spannbetonträgern noch zutreffender abbilden. Nach einem Vergleich der verfeinerten Bemessungsansätze mit neuen Versuchsergebnissen zur Querkrafttragfähigkeit wird ein reales Brückenbeispiel nachgerechnet und vorhandene Querkraftreserven identifiziert. Da einige Bestandsbauwerke trotz entscheidender Weiterentwicklungen der Nachweisformate in Stufe-2 aufgrund höherer Verkehrsbelastungen und geänderter Bemessungsgrundsätze weiterhin nur mit wissenschaftlichen Verfahren in Stufe-4 nachgewiesen werden können, wird abschließend eine FENachrechnung vorgestellt. 1. Einführung Erhöhte Anforderungen an bestehende Brückenbauwerke, höhere Verkehrslasten und gestiegene Verkehrslastzahlen erfordern eine Bewertung der Tragfähigkeit der Brücken im Bestand. Dabei führt insbesondere der Nachweis eines ausreichenden Querkraft- und Torsionswiderstands bei älteren Spannbetonbrücken in der Praxis häufig zu hohen rechnerischen Tragfähigkeitsdefiziten, die auch auf die Änderungen der Bemessungsnormen zurückzuführen sind. Die Herausforderung einer wirklichkeitsnahen Beurteilung des Querkraft- und Torsionswiderstandes liegt daher in der zutreffenden Erfassung der Interaktion der verschiedenen Tragmechanismen. Die Fachwerktragwirkung bildet die Grundlage für die aktuellen Bemessungs- und Konstruktionsregeln für den Neubau, während in älteren Normen die Tragwirkung des ungerissenen Querschnitts der hochvorgespannten Brücken stärker berücksichtigt wurde. Bei der Übertragung der aktuellen Bemessungsansätze auf ältere Spannbetonbrückenbauwerke, die nicht nach den heutigen Regeln bemessen und konstruiert wurden, werden wesentliche Traganteile vernachlässigt. In den letzten Jahren wurde bereits eine Reihe von großmaßstäblichen Bauteilversuchen zur Quantifizierung der Querkrafttragfähigkeit bestehender Spannbetonbrücken durchgeführt [1-3]. Die Versuche wurden hinsichtlich Vorspannung, Querkraftbewehrungsgrad, Querschnittsform und zum Teil mit der konstruktiven Durchbildung der Querkraftbewehrung entsprechend den damals üblichen Regelungen ausgeführt. Die Bemessungsansätze für die Nachrechnung von Spannbetonbrücken im Bestand konnten auf Grundlage dieser Versuche und ergänzender numerischer Untersuchungen deutlich weiterentwickelt und teilweise bereits in Stufe-2 der Nachrechnungsrichtlinie aufgenommen werden. Mit der geplanten 2.-Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie (BEMING Teil- 2) lassen sich insbesondere durch die Kombination eines additiven Betontraganteils mit dem Fachwerktraganteil rechnerisch bislang ungenutzte Reserven auf der Widerstandseite aktivieren. Dennoch besitzen Spannbetonbrücken im Bestand tatsächlich zum Teil noch höhere Tragfähigkeiten unter Querkraft- und Torsionsbeanspruchung, wie Stufe- 4 Nachrechnungen belegen [4]. Die Quantifizierung der Tragreserven für die Stufe-2 war auf Grundlage der bislang durchgeführten experimentellen Untersuchungen noch nicht in vollem Umfang möglich [1; 5]. Die vorhandenen Tragreserven umfassen vor allem die günstigen Einflüsse aus dem statischen System des Durchlaufträgers, der Querschnittsform, dem Spannungszuwachs der Vorspannung bei Rissbildung und der für Brückenbauwerke maßgebenden gleichförmigen Belastung. Die bisherigen Versuchsergebnisse zeigen, dass die Querkrafttragfähigkeit bei Bauteilen mit geringen Querkraftbewehrungsgraden, die der 0,5 bis 1,5-fachen Mindestquerkraftbewehrung entsprechen, maßgeblich durch den Traganteil des Betons gesteuert wird. Den Einflüssen aus Querschnittsform und Lastart auf den Betontraganteil werden auch bei den erweiterten Ansätzen zur Berücksichtigung von Beton- und Fachwerktraganteil noch nicht in ausreichendem Maß Rechnung getragen. Darüber hinaus ist neben dem Einfluss der Interaktion von Biegemoment und Querkraft auch die Tragwirkung unter gleichzeitiger Beanspruchung durch Querkraft, Biegung und Torsion bei Spannbetonträgern nicht abschließend geklärt [1; 5]. In diesem Beitrag werden die Ergebnisse neuer Untersuchungen an Spannbetonträgern, die im Auftrag der BASt an der RWTH Aachen, der TU München und der TU Dortmund durchgeführt wurden, vorgestellt [6]. 48 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Aktuelle und zukünftige Potenziale in Stufen-2 und 4 der Nachrechnungsrichtlinie 2. Stand der Forschung: Nachrechnung mit BE- MING Teil-2 Stufe-2 Grundlage für die 2.- Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie (BEMING Teil-2) [7] bilden experimentelle und theoretische Untersuchungen zum Querkrafttragverhalten von Spannbetonträgern mit geringen Querkraftbewehrungsgraden [1; 8; 9]. Es wurden unter anderem Versuche an großformatigen Spannbetondurchlaufträgern [10-12] und kurzen Spannbetonträgerausschnitten (Substrukturversuche, [13]) durchgeführt, um das Tragverhalten von Durchlaufsystemen unter Querkraftbeanspruchung und teilweise zusätzlicher Torsion zu untersuchen. Weiterführende Informationen und Randbedingungen der experimentellen Untersuchgen können u.-a. [1] entnommen werden. Dabei konnte u.a. festgestellt werden, dass sich bereits bei kleinen Querkraftbewehrungsgraden (r w,vorh -<-r w,min ) deutlich höhere Querkrafttragfähigkeiten ergeben als rechnerisch über das Fachwerkmodell ermittelt werden. Dies konnte auch durch die Ergebnisse anderer Untersuchungen bestätigt werden [14-16]. Daher wurde ein erweitertes Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil hergeleitet, das die Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonträgern mit geringem Bügelbewehrungsgrad wirtschaftlicher abbilden kann als aktuelle Ansätze mit einem Fachwerkmodell [17]. Weiterhin wurden ein Ansatz zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung formuliert [1] und die Anwendbarkeit von heute nicht mehr zulässigen Bügelformen in Bestandsbrücken erlaubt [13]. 2.1 Querkraftnachweis: Erweitertes Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil Bereits bei den ersten Überlegungen zu Querkraftmodellen wurde davon ausgegangen, dass die einwirkende Querkraft nicht allein von einer Querkraftbewehrung aufgenommen wird, sondern auch ein zusätzlicher Betontraganteil existiert [18]. Beobachtungen aus experimentellen Untersuchungen [19-22] belegen einen kontinuierlichen Übergang des Tragverhaltens von Trägern ohne Querkraftbewehrung zu Trägern mit geringer Querkraftbewehrung. In Anlehnung an die Regelungen in DINFB-102 [23] wurde daher für BEMING Teil-2 ein empirisches Modell für den additiven Betontraganteil vorgeschlagen [1]. Der Berechnungsablauf für Bauteile mit geringen Querkraftbewehrungsgraden entsprechend den Gln.-(1) bis (5) ermöglicht einen kontinuierlichen Übergang von Bauteilen ohne zu Bauteilen mit Querkraftbewehrung. Details zu den Hintergründen und den zugrundeliegenden experimentellen Untersuchungen können [1; 10; 12] oder [24] entnommen werden. Die Gesamtquerkrafttragfähigkeit des Querschnittes ergibt sich als Summe des Betontraganteils und des Bügeltraganteils: (1) Der Bemessungswert der Querkrafttragfähigkeit- V Rd,ct biegebewehrter Bauteile ohne Querkraftbewehrung ist wie folgt zu ermitteln: (2) Dabei ist k ct ein Duktilitätskoeffizient, r w,vorh der vorhandene Querkraftbewehrungsgrad und r w,min der Mindestwert für den Querkraftbewehrungsgrad nach DINFB-102. Durch den Faktor-k ct werden das duktilere Verhalten von Bauteilen mit Querkraftbewehrung berücksichtigt und die unterschiedlichen Teilsicherheitsbeiwerte für sprödes und duktiles Versagen ausgeglichen. Für ein sprödes Versagen bei einem Biegeschubbruch gilt-g c -=-1,50. Bei Bauteilen mit Querkraftbewehrung wird ein duktiles Versagen erwartet und der Teilsicherheitsbeiwert beträgt-g s -=-1,15. Der Betontraganteil-V Rd,ct kann somit bei vorhandener Mindestquerkraftbewehrung mit einem Faktor von g c -/ -g S -=-1,5-/ -1,15-=-1,3 multipliziert werden. Der resultierende Querkraftwiderstand- V Rd ist in Abb.- 1 in Abhängigkeit des Querkraftbewehrungsgrades-r w,vorh -/ -r w,min dargestellt. Durch die Anpassung des Teilsicherheitsbeiwerts im Bereich r w,vorh -/ -r w,min -≤-1 steigt der Betontraganteil in diesem Bereich linear an, anschließend nimmt er für höhere Bewehrungsgrade einen konstanten Wert an. Während der Zuwachs des Fachwerktraganteils für geringe Querkraftbewehrungsgrade annähernd konstant ist, steigt die Querkrafttragfähigkeit aufgrund steilerer Schubrisswinkel-βr für höhere Querkraftbewehrungsgrade langsamer. Ab einer kritischen Bügelbewehrungsmenge wird die Druckstrebentragfähigkeit-V Rd.max maßgebend. Abb. 1: Querkraftwiderstand infolge des Fachwerktraganteils mit additivem Betontraganteil Der rechnerische Schubrisswinkel-β r darf für die Berechnung innerhalb festgelegter Grenzen nach Gleichung (3) frei gewählt werden. Somit ergibt sich für die Bemessung eine Steuerungsmöglichkeit im Falle einer unzureichenden Längsbewehrung. (3) 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 49 Aktuelle und zukünftige Potenziale in Stufen-2 und 4 der Nachrechnungsrichtlinie Die Begrenzung von Gl.-(3) auf 3---10-·-V Rd,ct -/ -(b w -·z-·-v-·-f cd ) ist darin begründet, dass der rechnerische Druckstrebenwinkel-cot-θ beim Übergang vom Fachwerkmodell mit Betontraganteil zum Plastizitätskreis einen zu definierenden Maximalwert nicht überschreiten sollte. Der Druckstrebenwinkel cot-θ zur Bestimmung der Zusatzkraft in der Längsbewehrung und der maximalen Druckstrebentragfähigkeit wird nach Gl.-(4) berechnet. (4) Der mechanische Querkraftbewehrungsgrad errechnet sich zu: (5) Die Druckstrebentragfähigkeit-V Rd,max wird nach Gl.-(6) bestimmt. (6) Weitergehende Informationen können [1; 17] entnommen werden. 2.2 Nachweis der Torsionslängsbewehrung Abweichend von der Bemessung bei reiner Torsion nach DIN-EN-19922 [25] besteht bei kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion die Möglichkeit, die erforderliche Torsionslängsbewehrung in den Druckgurten entsprechend den vorhandenen Druckkräften abzumindern [26]. Bei entsprechend großen Biegemomenten bleibt die Druckzone ungerissen. Überwiegt das Biegemoment, stellen sich zunächst Biegerisse ein und die geneigten Torsionsrisse bilden sich erst unter einer höheren Laststufe. Dementsprechend darf die Querschnittsfläche der Spannglieder bei überwiegender Beanspruchung durch Biegung auf die Torsionslängsbewehrung angerechnet werden. Der Nachweis darf durch Berücksichtigung der infolge Torsion entstehenden Längszugkraft N Ed,T beim Nachweis der Biegetragfähigkeit geführt werden, wobei die Längszugkraft N Ed,T im Schwerpunkt des Querschnitts angreift und der Druckstrebenwinkel cot-θ wie bei der Ermittlung der Torsionsbügel anzusetzen ist. Durch Umstellung der Gleichung für die Torsionslängsbewehrung nach DIN-EN-19922 ergibt sich eine äquivalente resultierende Torsionslängszugkraft-N Ed,T . (9) Bei dieser Vorgehensweise werden der positive Effekt aus der überdrückten Biegedruckzone und die Tragwirkung der Spannglieder unter Berücksichtigung ihrer Lage im Querschnitt bei der Bemessung berücksichtigt und die rechnerisch erforderliche Längsbewehrung gegenüber einer Bemessung bei reiner Torsion reduziert. 3. Neue Untersuchungen an Spannbetonträgern 3.1 Querkraftversuche an vorgespannten Durchlaufträgern an der RWTH Mit den am IMB durchgeführten Versuchen wurde das Querkrafttragverhalten von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Querkraftbewehrungsgraden vertiefter betrachtet. Insgesamt wurden 16 Teilversuche an acht nachträglich vorgespannten Trägern durchgeführt. Als maßgebende Parameter wurden die Querschnittsform, die Belastungsart und die Vorspannung variiert. Zusätzlich wurde in Teilversuch- ① der Einfluss des Einspanngrades untersucht. Dazu wurden Einfeldträger mit Kragarm ausgebildet und durch eine separate Einzellast auf den Kragarm das Momenten-QuerkraftVerhältnis wie in einem Durchlaufträger gesteuert. Während die Lasten im Feld und am Kragarm unter Einhaltung eines konstanten Kräfteverhältnisses während eines Versuchs jeweils simultan gesteigert wurden, konnten verschiedene Einspanngrade durch eine gezielte Variation dieses Kräfteverhältnisses in den Versuchen untersucht werden. Durch diese Versuchsanordnung konnte die Spannweite des Feldes auf 13-m vergrößert werden, um im Versuch an die Praxis angelehnte Biegeschlankheiten zu realisieren. Anschließend wurde der geschädigte Teil des Trägers abgetrennt, sodass in Teilversuch- ② zur Untersuchungen verschiedener Querkraftbewehrungsgrade Einfeldträger von 8-m Länge zur Verfügung standen. In Tab. 1 findet sich eine Übersicht der Teilversuche und Untersuchungsparameter. Im Mittelpunkt der Untersuchungen standen die Fragen, wie groß die günstigen Einflüsse von gegliederten Querschnitten (T und IQuerschnitte) und von auflagernahen Streckenlasten auf die Querkrafttragfähigkeit sind und wie diese für ein Nachweisverfahren in Stufe-2 quantifiziert werden können. Weitergehende Informationen zu den Versuchen können [27] und [6; 28] entnommen werden. 3.2 Querkraftversuche an Ausschnitten von vorgespannten Balkenelementen an der TUM In München wurden in einem neuartigen Versuchsstand (siehe Tab. 1) unter Applikation der an einem Durchlaufträger vorherrschenden Schnittgrößen zwölf Querkraftversuche an Balkenelementen durchgeführt. Die jeweils sechs Rechteck- und T-Träger weisen eine Höhe von 1,2 - m und einen geringen Querkraftbewehrungsgrad auf. Da insbesondere der Einfluss der Vorspannung im Mittelpunkt der Untersuchungen stand, wurde einerseits der Längsbewehrungsgrad so gering gewählt, dass gerade noch ein Querkraftversagen stattfindet und andererseits große Längsverzerrungen eine maximale Aktivierung des Spannglieds hervorrufen. Durch Variation der Litzenanzahl im Spannglied wurde die nach dem Vorspannen noch mobilisierbare zusätzliche Kraft im Spannglied überprüft. Zusätzliche Tastversuche mit glatter Längsbewehrung mit Endhaken sollten das Tragverhalten alter Spannbetonbrücken mit dieser Art der konstruktiven Durchbildung untersuchen. Weitergehende Informationen zu dem Versuchsprogramm und den Erkenntnissen der experimentellen Untersuchungen können [29] und [6] entnommen werden. 50 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Aktuelle und zukünftige Potenziale in Stufen-2 und 4 der Nachrechnungsrichtlinie 3.3 Versuche mit kombinierter Torsion und Querkraft an vorgespannten Durchlaufträgern an der TU Dortmund Das Versuchsprogramm der TU Dortmund bestand aus insgesamt sieben vorgespannten Versuchsträgern (vgl. Tab. 1). Zwei Versuche wurden in Anlehnung an die Versuchsträger des bereits abgeschlossenen Forschungsvorhabens FE15.0591 [1] als Durchlaufträger (DLT) ausgeführt. Mit diesen Versuchen sollte zum einen die Versuchsdatenbank für das vorgestellte Bemessungskonzept für eine kombinierte Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion erweitert werden. Zum anderen war es Ziel, durch Variation der Torsionsbeanspruchung über eine Vergrößerung der Exzentrizität, durch Variation der Belastungsart und durch feldweise Variation der Druckstrebenneigung Anwendungsgrenzen des Bemessungsmodells abzusichern. Darüber hinaus wurde an einem der beiden Zweifeldträger der Einfluss einer von den Regelungen in DIN-EN- 19922/ NA [30] für Torsionsbügel abweichenden Form zum Schließen der Bügel untersucht. Bei den fünf Einfeldträgern mit Kragarm (ETK) handelt es sich um einen Referenzversuch unter reiner Querkraft- und Biegebeanspruchung sowie um vier Versuchsträger mit zusätzlicher Torsion. Jeder Versuchsträger wurde dabei jeweils in zwei Teilversuchen bis zum Versagen belastet. Im Feldbereich wurden die Einflüsse aus der Schubschlankheit, des M/ T-Verhältnisses, der Variation der Druckstrebenneigung zur Ermittlung der Torsionslängs- und Bügelbewehrung sowie der Querschnittsform untersucht, während der Kragarm für eine Untersuchung der kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion im Hinblick auf ein Betonversagen in der Druckzone genutzt wurde. Detailliertere Informationen zu den Versuchsprogrammen und den Erkenntnissen der experimentellen Untersuchungen können [31] und [6] entnommen werden. 4. Neue Ansätze für eine verfeinerte Nachrechnung mit BEMING Teil-2 Die Untersuchungen in Aachen [27] und München [29] belegen eindrucksvoll, dass insbesondere bei gegliederten Trägern mit Druckgurt und bei mehrheitlich durch Streckenlasten beanspruchten Bauteilen mit direkt ins Lager geleiteten Lastkomponenten ein Verbesserungspotential im Nachweiskonzept besteht. Einflüsse aus Vorspannung, Skalierung der Bauteilhöhe, wie auch realistische Längsverzerrungen werden durch den aktuellen Entwurf der BEMING Teil-2 bereits ausreichend gut abgedeckt. Die Untersuchungen in Dortmund [31] bestätigen größtenteils die bereits in dem aktuellen Entwurf der BEMING Teil-2 enthaltenen Regelungen. Davon abweichend zeigte sich, dass die bestehende quadratische Interaktionsbedingung für Rechteckquerschnitte in DIN-EN-19922/ NA bei flachen Druckstrebenwinkeln zu unsicheren Ergebnissen führt und für cot-θ->-1,75 Anpassungen bei der wirksamen Betondruckfestigkeit im Druckstrebennachweis erforderlich sind. Im Folgenden wird auf die vorgeschlagenen Anpassungen eingegangen und das Vorgehen bei der Nachweisführung vorgestellt. Tab. 1: Übersicht der experimentellen Untersuchungen Experimentelle Untersuchung Versuche Untersuchungsparameter RWTH Aachen Bauteilversuche (L ges -=-16,5-m) 8 Träger mit je 2-Teilversuchen: Teilversuch- ① am Innenauflager des 13-m Einfeldträgers mit Kragarm; Teilversuch- ② am Randauflager des 8-m Einfeldträgers Beanspruchung: M-+-V - Querschnittsform - Querkraftbewehrungsgrad - Vorspanngrad - Einspanngrad - Belastungsart TU München Substrukturversuche (L ges -=-4,5-m) 12 Träger (je 1 TV) Beanspruchung: M-+-V - Querschnittsform - Querkraftbewehrungsgrad - Vorspannung - Verbundbedingung der Längsbewehrung TU Dortmund Bauteilversuche 5 Einfeldträger mit Kragarm ETK (L ges -=-11-m), 2 Durchlaufträger DLT (L ges -=-12-m) 5 ETK (je 2-TV): TV- ① im Feld; TV- ② am Kragarm 2 DLT (je 2-TV) TV- ① und ② am Innenauflager in beiden Feldern Beanspruchung: M-+-V-+-T - Querschnittsform - M/ T - Verhältnis - M/ T/ V - Verhältnis für Druckzone - Druckstrebenneigung - Konstruktion der Bügel 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 51 Aktuelle und zukünftige Potenziale in Stufen-2 und 4 der Nachrechnungsrichtlinie 4.1 Berücksichtigung der am Querkraftabtrag beteiligten Druckgurtfläche über b V,eff Der positive Einfluss eines Druckgurtes auf die Querkrafttragfähigkeit wurde in der Literatur bereits mehrfach untersucht und fand in verschiedenen Modellen zum Querkraftabtrag Berücksichtigung [32]. Dabei hat die Druckgurthöhe neben der Druckgurtbreite einen maßgebenden Einfluss auf die Querkrafttragfähigkeit [33]. Um den abnehmenden Einfluss des Druckgurtes auf die Querkrafttragfähigkeit mit steigender Querschnittshöhe zu erfassen, wurde ein Ansatz verwendet, der die Flächenverhältnisse von Steg und Druckflansch berücksichtigt (Gln.-(10) bis (12)). In Gl.-(10) wurde dann die Stegbreite-b w entsprechend der Bemessung nach BEMING Teil-2 durch b V,eff ersetzt. (10) mit: (11) (12) Die am Querkraftabtrag beteiligte Druckgurtbreite- b f,i wird durch Gl.-(12) begrenzt, sodass die Breite der zusätzlichen Druckgurtfläche-A G,eff bei der Querkraftbemessung höchstens die doppelte Stegbreite beträgt. In Abb.-2 sind die effektiven Schubflächen für ein positiv (links) und negativ (rechts) einwirkendes Biegemoment dargestellt. Abb. 2: Ansetzbare Druckgurtflächen-A G,eff für den verfeinerten Querkraftnachweis nach BEMING Teil-2 Entsprechend Gl.- (11) wird die zusätzlich ansetzbare Druckgurtfläche- A G,eff mit dem Faktor- 0,5 abgemindert. Die Abminderung wurde empirisch anhand von vier Datensätzen aus den DAfStb Datenbanken [34] validiert und ist in [6] dargestellt. 4.2 Reduktion der Einwirkungen infolge Streckenlasten Ein weiterer günstiger Einfluss für die Querkrafttragfähigkeit ist die Belastung durch Streckenlasten, deren auflagernahe Anteile direkt ins Auflager geleitet werden. Daher wird eine Abminderung-ΔV Ed der einwirkenden Querkraft im Bemessungsschnitt vorgeschlagen. Hintergrund der Abminderung für auflagernahe Lasten ist, dass im Auflagerbereich ein Diskontinuitätsbereich (D-Bereich) vorliegt und nur ein Teil der auflagernahen Lasten eine Querkraftbewehrung benötigt, während der restliche Anteil direkt über geneigte Druckstreben in das Lager abgetragen wird [35]. Daher ist in [23] bereits eine Abminderung auflagernaher Einzellasten mit β-Faktoren erlaubt. Zur Herleitung der Abminderung für auflagernahe Streckenlasten wurde auf Basis der experimentellen Untersuchungen und analog zum Flexural Shear Crack Model [36] ein maßgebender Schubriss mit β r -=-26,5° angenommen, der auf den Auflagerrand zielt (Abb. 3). Die Querkraftbeanspruchung-V Ed kann um alle Einwirkungen reduziert werden, die nicht über das Fachwerk abgetragen werden müssen. Dies entspricht allen Streckenlasten, die oberhalb des Schubrisses im Abstand ≤-2d vom Auflagerrand wirken. Die maximale Abminderung der Querkraftbeanspruchung infolge auflagernaher Streckenlasten wird in Anlehnung an prEN-199211: 2023 auf 12,5 % des Ursprungswertes begrenzt. ΔV Ed(q) -=-q-·-d-≤-V Ed(q) -/ -8 (13) Abb. 3: Abminderung der einwirkenden Querkraftbeanspruchung-V Ed im Bemessungsschnitt infolge veränderlichen Streckenlasten-q um ΔV Ed(q) Da in realen Brückenbauwerken ein Großteil der Querkraftbeanspruchung aus dem Eigengewicht-g und der Ausbaulast-Δg resultiert, wurde neben der Abminderung der äußeren Lasten-ΔV Ed(q) auch eine Abminderung infolge g-+-Δg formuliert. Dazu wurde entsprechend [35] untersucht, welcher Anteil der Beanspruchung nicht über das Fachwerk abgetragen wird, sondern über eine direkte Druckstrebe ins Auflager geleitet werden kann. Entsprechend dem idealisierten Schubriss mit β r -=-26,5° wird ΔV Ed(g+Δg) definiert. In Abb. 4 sind die Anteile des Eigengewichts ΔV Ed(g,Obergurt) und ΔV Ed(g,Steg) , um die der Bemessungswert V Ed reduziert werden darf, in Grau gekennzeichnet. Abb. 4: Abminderung der einwirkenden Querkraftbeanspruchung-V Ed im Bemessungsschnitt infolge Eigengewicht-g und Ausbaulast-Δg um ΔV Ed(g+Δg) 52 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Aktuelle und zukünftige Potenziale in Stufen-2 und 4 der Nachrechnungsrichtlinie Um die Verteilung des Eigengewichts über die Querschnittshöhe zu berücksichtigen, wird der Querschnitt in Obergurt und Steg unterteilt. Somit ergibt sich für die Reduktion der Beanspruchung aus Eigengewicht und Ausbaulast Gl.-(14): ΔV Ed(g+Δg) -=- (14) ΔV Ed(g,Obergurt) -+-ΔV Ed(g,Steg) -+-ΔV Ed(Δg) mit: ΔV Ed(g,Obergurt) -+-ΔV Ed(g,Steg) ≤-(V Ed(g,Obergurt) -+-V Ed(g,Steg) )-/ -8 (15) ΔV Ed(Δg) ≤-V Ed(Δg) -/ -8 (16) Damit ergibt sich die gesamte Abminderung- ΔV Ed der Bemessungsquerkraft infolge Eigengewicht-g, Ausbaulast-Δg und an der Oberseite des Querschnitts einwirkenden veränderlichen Lasten-q im Bemessungsschnitt-d entsprechend Gl.-(17) zu: ΔV Ed(g+Δg,q) -=-ΔV Ed(g+Δg) -+-ΔV Ed(q) (17) Der Verbesserungsvorschlag für die rechnerische Querkrafttragfähigkeit nach BEMING Teil-2 umfasst drei Anteile: Mit b V,eff anstelle von b w wird der positive Einfluss eines Druckgurtes bei gegliederten Querschnitten berücksichtigt und mit ΔV Ed die Abnahme der maßgebenden Querkraft bei einer Belastung durch Streckenlasten. Als drittes darf der Spannungszuwachs des geneigten Spanngliedes in Ansatz gebracht werden [6]. Der erweiterte Bemessungsansatz wurde anhand der Versuche aus dem Forschungsvorhaben FE-15.0664, dem Vorgängerprojekt FE-15.0591 [1] und der Versuche an Spannbetonträgern aus Wien [14; 16] validiert. 4.3 Erweiterte Ansätze bei Querkraft mit zusätzlicher Torsion Die nachfolgenden Empfehlungen für die Bemessung bei einer kombinierten Beanspruchung infolge Biegung, Querkraft und Torsion (M-+-V-+-T), die im Gegensatz zu den Erkenntnissen in den Kapiteln-4.1 und 4.2 noch in den aktuellen Entwurf der BEMING Teil-2 einfließen sollen, wurden aus den theoretischen und experimentellen Untersuchungen in [6] abgeleitet. Winkel der Druckstrebe Anhand der durchgeführten Versuche in [6] konnte gezeigt werden, dass bei einer zusätzlichen Torsionsbeanspruchung (M-+-V-+- T) eine Umlagerung der inneren Kräfte durch Rotation der Druckstrebe im getesteten Umfang von cot-θ-=-2,5 bis cot-θ-=-1,75 möglich ist. Bei der Nachrechnung bestehender Betonbrücken ermöglicht die frei wählbare Druckstrebenneigung cot-θ eine Umlagerungsmöglichkeit zwischen Torsionsbügel- und Torsionslängsbewehrung und soll daher weiterhin variabel bleiben. Unabhängig davon darf der Druckstrebenwinkel wie bei der Querkraftbemessung mit dem erweiterten Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil gewählt werden. Grundsätzlich dürfen für die Nachweise bei Querkraft und Torsion auch unterschiedliche Druckstrebenwinkel-θ angesetzt werden. Empfehlungen für den Ansatz der wirksamen Betondruckfestigkeit Der Bemessungswert für das Torsionsmoment-T Rd,max , der durch die Festigkeit der Betondruckstrebe begrenzt ist, ergibt sich wie folgt: T Rd,max = 2-∙-v-∙-f cd -∙-A k -∙-t eff -∙-sinθ-∙-cosθ (18) Er ist abhängig von der wirksamen Betondruckfestigkeit v-∙-f cd . Bei Druckstrebenwinkeln entsprechend cot-θ->-1,75 bis cot-θ-=-2,5 wird der Ansatz der wirksamen Betondruckfestigkeit v-∙-f cd auf Grundlage der durchgeführten Versuche entsprechend Tab. 2 empfohlen: Tab. 2: Wirksame Betondruckfestigkeiten Plattenbalkenbrücken Hohlkastenbrücken Querkraft: ν = 0,6 ν = 0,6 Torsion: ν = 0,525 ν = 0,6 Ansatz der effektiven Wanddicke Der kleinste Wert für T Rd,max resultiert aus dem konservativen Ansatz für die Stege von Plattenbalkenbrücken. Der Ansatz wurde aufgrund des beobachteten sekundären Betonversagens bei einigen Versuchen durch Abplatzen der Betondeckung nach Fließen der Bügel entsprechend [30] NCI zu Absatz 6.3.2-(1) vorgeschlagen. Interaktionsbedingung für Betonversagen auf Druck bei kombinierter Beanspruchung Bei kombinierter Beanspruchung ist die Interaktion für Querkraft und Torsion (V-+-T ) nach der linearen Interaktionsbedingung nachzuweisen (Gl. 19). Die quadratische Interaktionsbedingung (Gl. 20) hat sich bei den Versuchen für Winkel cot-θ->-1,75 als unsicher erwiesen. V Ed / V Rd,max + T Ed / T Rd,max ≤ 1 (19) (V Ed / V Rd,max ) 2 + (T Ed / T Rd,max ) 2 ≤ 1 (20) Eine Interaktion für Biegung, Querkraft und Torsion (M-+-V-+-T) ist nach Auswertung der Versuche als zu konservativ einzuordnen und ist damit nicht geeignet. Die Kombination aus Biegung und Torsion (M-+-T) führte bei den Versuchen erst bei sehr hohen Torsionsbeanspruchungen T Ed -/ -T Rd,max- >-0,7 zu einem Abfall der Biegetragfähigkeit um bis zu 10-% bei T Ed -≈ T Rd,max . Detaillierte Auswertungen und Erläuterungen zu den einzelnen Interaktionsbedingungen anhand der durchgeführten Versuche in [6] sind in [31] zu finden. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 53 Aktuelle und zukünftige Potenziale in Stufen-2 und 4 der Nachrechnungsrichtlinie 5. Querkraftbemessung nach NRR-2015, BEMING Teil-2 und den vorgeschlagenen Verfeinerungen In Abb. 5 werden die experimentellen Querkrafttragfähigkeiten der in Aachen und München untersuchten Spannbetonträger mit Ansätzen nach NRR- 2015, BE- MING Teil- 2 und dem erweiterten Vorschlag aus Abschnitt-4 verglichen. Dazu sind die experimentellen Querkräfte- V test,d im Abstand- d vom Auflagerrand auf der Ordinate und die rechnerischen Tragfähigkeiten- V calc,d auf der Abszisse dargestellt. Während Punkte oberhalb der Winkelhalbierenden auf einen konservativen Berechnungsansatz hindeuten, werden für Punkte unterhalb der Winkelhalbierenden zu hohe Tragfähigkeiten berechnet. Die NRR-2015 liefert besonders konservative Ergebnisse, die für die mit sehr geringen Querkraftbewehrungsgraden durchgeführten Versuche auf die fehlende Berücksichtigung eines additiven Betontraganteils neben der Fachwerktragwirkung zurückzuführen sind. Für einzelne höher querkraftbewehrte Versuche liefert die NRR-2015 zutreffendere Tragfähigkeiten, die von dem ansonsten sehr begrenzten Streuband in Richtung der Winkelhalbierenden abweichen. Sowohl die statistische Auswertung der einzelnen Versuchsserien aus Aachen und München als auch eine kombinierte Auswertung belegen dies durch den sehr hohen Mittelwert- µ der Modellsicherheit von 2,07 (siehe Tab. 3). Der Variationskoeffizient-CoV von 13 - % stellt für die Untersuchungen zweier Forschungsinstitute mit unterschiedlichen Untersuchungsparametern einen guten Wert dar. Die Berücksichtigung eines additiven Betontraganteils nach der BEMING Teil- 2 liefert eine wesentliche Verbesserung der Übereinstimmung von rechnerischen und experimentellen Querkrafttragfähigkeiten. Die Modellsicherheit aller dargestellten Versuche sinkt auf 1,32, während sich der Variationskoeffizient- CoV nur geringfügig auf 12 - % verringert. Die Auswertung des neuen Ansatzes BEMING- Teil- 2* zeigt vor allem für geringere Tragfähigkeiten eine bessere Annäherung an die Winkelhalbierende. Insgesamt ergibt sich ein Mittelwert von µ-=- 1,19 bei gleichbleibendem Variationskoeffizient. Besonders im Hinblick auf die Variation der Vorspannung ergibt sich für die Versuche in München nach BEMING/ T2* ein sehr geringer Variationskoeffizient von 5 - % (vgl. Tab. 3). Die Tragfähigkeiten heben sich dabei aufgrund des fehlenden expliziten Druckgurts und der Belastung durch eine Einzellast kaum von denen nach BEMING/ T2 ab. Eine deutliche Verbesserung ist vor allem bei der Nachrechnung Aachener Versuche zu erkennen. Hier konnte der Mittelwert- µ bei gleichzeitig erheblich verringerter Streuung-CoV von 1,30 auf 1,09 reduziert werden. Die über alle Versuche zutreffenderen Prognosen der Querkrafttragfähigkeiten von BEMING/ T2* im Vergleich zu BEMING/ T2 und NRR- 2015 werden durch die linearen Regressionsgeraden (gestrichelte Linien in Abb.-5) verdeutlicht. Einzelne geringfügig unsichere Ergebnisse ergeben sich sowohl nach BEMING/ T2 als auch nach BEMING/ T2* für die Spannbetonträger mit Rechteckquerschnitt und Belastung durch Einzellasten. Tab. 3: Statistische Auswertung aktueller und zukünftiger analytischen Verfahren der Nachrechnungsrichtlinie für die durchgeführten Versuche RWTH TUM Σ n-=-16 n-=-12 n-=-28 NRR-2015 µ 2,07 2,06 2,07 BEMING/ T2 1,30 1,34 1,32 BEMING/ T2* 1,09 1,33 1,19 NRR-2015 CoV 0,14 0,11 0,13 BEMING/ T2 0,15 0,05 0,12 BEMING/ T2* 0,09 0,05 0,12 Abb. 5: Vergleich der experimentellen mit den analytischen Querkrafttragfähigkeiten verschiedener Modelle zur Nachrechnung von Spannbetonbrücken 6. Brückennachrechnungen in Stufen-2 und-4 der (verfeinerten) BEMING Teil-2 6.1 Anwendung der (verfeinerten) Stufe-2 Nachfolgend wird die Anwendung des erweiterten Bemessungsansatz BEMING/ T2* bei einer Spannbetonbrücken vorgestellt. Durch den Vergleich mit der Nachrechnung nach der in Vorbereitung befindlichen BEMING/ T2 sind die positiven Auswirkungen der Erweiterung leicht erkennbar. Das im Jahr 1959 errichtete Bauwerk dient der Überführung der Bundesautobahn (BAB) über eine Eisenbahntrasse und wurde für die Brückenklasse- 60 bemessen. Der schiefwinklige Ortbetonüberbau wurde als längs vorgespannter Einfeldträger mit einer Stützweite von 30,1-m ausgebildet (Abb. 6). Die Konstruktionshöhe des 13,35-m breiten sechsstegigen Plattenbalkenquerschnitts beträgt im Regelbereich 1,44-m. Der Überbau wurde in Beton B450 ausgeführt, der gemäß Nachrechnungsrichtlinie in die Festigkeitsklasse C30/ 37 eingestuft werden kann. 54 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Aktuelle und zukünftige Potenziale in Stufen-2 und 4 der Nachrechnungsrichtlinie Für die Längsvorspannung wurde das Spannverfahren Holzmann SH-113/ 32 verwendet. Die Betonstahlbewehrung der Festigkeitsklasse St-I weist eine charakteristische Streckgrenze von f yk -=-220-N/ mm² auf. Eine vorhergehende Nachrechnung des Bauwerks gemäß Nachrechnungsrichtlinie (NRR) in den Stufen-1 und 2 für das Ziellastniveau BK-45 mit Fahrbahneinengung ergab deutliche rechnerische Defizite der Querkraft- und Torsionstragfähigkeit der Längsträger. In Tab.-4 sind die Querkraftnachweise für den sechsten Plattenbalkenquerschnitt im Abstand 1,0-·-d nach BEMING Teil-2 ohne (links) und mit Berücksichtigung von b V,eff und ΔV Ed (rechts) tabellarisch dargestellt. Durch den geringen Längsbewehrungsgrad wird der Mindestwert des Betontraganteils-V Rd,ct,min maßgebend. Dadurch wird der Schubrisswinkel β r nach beiden Ansätzen zu 34° ermittelt. Nach BEMING Teil-2 ergibt sich damit für den Nachweis der Zugstrebe eine Ausnutzung von 59-% und für die Druckstrebe von 28-%. Das Bauwerk ist somit im Abstand 1,0-·-d nach BEMING Teil-2 für Querkraft nachgewiesen. Abb. 6: Draufsicht des Überbaus mit Darstellung der Stege, Querträger und Lager (oben) und Querschnitt (unten) Durch die Abminderung der einwirkenden Querkraft um ΔV Ed - =- 64- kN (ΣΔV Ed,i ) wird die Bemessungsquerkraft V Ed um 8,5-% reduziert. Zusätzlich erhöht sich der Betontraganteil V Rd,ct durch die Berücksichtigung der Druckgurtfläche um 18,0- % und der Querkraftwiderstand V Rd,sy aus Beton- und additivem Fachwerktraganteil um 14,8-%. Insgesamt weist der Nachweis der Zugstrebe-V Rd,sy jetzt nur noch eine Ausnutzung von η-=-47-% auf. Der Nachweis der Druckstrebe bleibt unverändert, da der Druckstrebenwinkel-θ maßgeblich vom mechanischen Querkraftbewehrungsgrad abhängig ist. 6.2 Anwendung der Stufe 4 Im Rahmen der Nachrechnung von Bestandsbrücken in Stufe-2 der Nachrechnungsrichtlinie lässt sich trotz der verfeinerten Berechnungsansätze nicht immer eine ausreichende rechnerische Querkraft- und Torsionstragfähigkeit nachweisen. Zur Sicherstellung der Tragfähigkeit des Bauwerks kann eine genauere rechnerische Untersuchung der Brücke in Stufe-4 der Nachrechnungsrichtlinie erfolgen. Eine Anwendung wissenschaftlicher Verfahren in Stufe-4 erfordert die Abstimmung mit der zuständigen obersten Baubehörde. Hierzu sind entsprechende Erfahrungen des Anwenders erforderlich. Weiterhin ist sicherzustellen, dass die verfahrensspezifischen Anwendungsgrenzen eingehalten werden können und das erreichbare Sicherheitsniveau sinnvoll ermittelt werden kann. Die Nachrechnung in Stufe-4 ist insbesondere dann sinnvoll, wenn aufgrund der verkehrlichen Bedeutung des Bauwerks im Straßennetz kompensatorische Einschränkungen bis zur Fertigstellung der Verstärkungsmaßnahme (z. B. Spursperrung, Gewichtsbeschränkung, Sperrung für Schwertransporte) nicht vertretbar sind. Darüber hinaus kann eine solche Berechnung zielführend sein, wenn eine bauliche Verstärkung bzw. ein Ersatzneubau aufgrund der örtlichen Randbedingungen (z.-B. Lichtraumprofile) oder der Kombination vorhandener rechnerischer Defizite nicht ohne weiteres möglich ist. Die Berechnung in Stufe-4 der Nachrechnungsrichtlinie umfasst die Nachweisführung unter Anwendung wissenschaftlicher Methoden. Hierzu gehören neben verfeinerten analytischen Ansätzen [37; 38] unter anderem räumliche nichtlineare Finite Elemente-Berechnungen. Da in der Regel eine Überprüfung bzw. Validierung einer Berechnung in Stufe-4 nur durch andere wissenschaftliche Methoden möglich ist, ist eine Kombination der verschiedenen Berechnungsansätze zielführend. Tab. 4: Querkraftnachweise für den sechsten Plattenbalkenquerschnitt im Abstand 1,0-·-d nach BEMING/ T2 und der verfeinerten BEMING/ T2* Abstand 1,0-·-d BEMING Teil-2 BEMING Teil-2 mit b V,eff & ΔV Ed V Ed [kN] 756 692 --8,5-% ΔV Ed,g -+-ΔV Ed,Δg -+-ΔV Ed,q [kN] - 32-+-22-+-10- ≙ -50-%-+-35-%-+-15-% V Rd,ct [kN] 1050 1239 +-18,0-% b w -bzw.-b V,eff [m] 0,55 0,65 cot-β r [-] 1,50 β r -=-33,6° 1,50 β r -=-33,6° cot-θ [-] 1,91 θ-=-27,6° 1,91 θ-=-27,6° 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 55 Aktuelle und zukünftige Potenziale in Stufen-2 und 4 der Nachrechnungsrichtlinie V Rd,sy [kN] 1277 1466 +-14,8-% V Rd,max [kN] 2673 2673 ±-0-% η-=-(V Ed ---ΔV Ed )-/ -V Rd,Sy [-] 0,59 0,47 --20,2-% η-=-V Ed -/ -V Rd,max [-] 0,28 0,28 ±-0-% Nichtlineare Finite Elemente-Berechnungen ermöglichen eine Untersuchung des Bauteiltragverhaltens nach Schubrissbildung unter Berücksichtigung möglicher Umlagerungsreserven im Zustand-II. Darüber hinaus können basierend auf der Ermittlung des rechnerischen Ankündigungsverhaltens bis zum Versagen (z. B. Rissentwicklung) gezielte Maßnahmen zur Überprüfung des Bauwerks festgelegt werden. Im Folgenden wird die Anwendung anhand eines Bauwerks mit rechnerischen Tragfähigkeitsdefiziten aufgezeigt, zu dem im Rahmen von gutachterlichen Stellungnahmen und der statischen Prüfung Brückennachrechnungen durchgeführt wurden. 6.3 Berechnung eines Plattenbalkenquerschnitts 6.3.1 Bauwerksmodellierung Die statische Berechnung und Nachweisführung nach Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie erfolgte mit Hilfe der nichtlinearen FEM-Software Limfes [39]. Dazu wurde der Überbau unter Berücksichtigung aller Voutungen und Querschnittsänderungen als räumliches Volumenmodell abgebildet. Abb. 7 zeigt einen Ausschnitt des dreidimensionalen Volumenmodells. Abb. 7: Bauwerksabbildung im FE-System Limfes Grafik: H+P Ingenieure Die vorhandene Betonstahl- und Spannstahlbewehrung wurde gemäß den Bestandsplänen diskret eingegeben (Abb. 8). Hierbei wurde neben der Längs- und der Querbewehrung der Fahrbahnplatte sowie der vorhandenen Bügelbewehrung in den Stegen auch die Spaltzugbewehrung der Spannglieder implementiert. Abb. 8: Betonstahlbewehrung der gesamten Brücke (oben) und parabelförmige Spannglieder in Feldmitte (unten), Grafik: H+P Ingenieure Das nichtlineare Werkstoffverhalten des Betons wurde unter Berücksichtigung der Betonzugfestigkeit durch das Microplane-Modell [40] beschrieben. Zur Abbildung der Bewehrungs- und Spannstahlelemente wurden elastischplastische Materialmodelle verwendet. 6.3.2 Berechnungsablauf Ziel der Untersuchung ist es, die rechnerische Tragfähigkeit des Brückenüberbaus unter der maximalen Beanspruchung (Querkraft und Torsion mit zugehöriger Biegung) für die maßgebende Stelle nachzuweisen. Dieser Nachweis ist erbracht, wenn sich bei der Berechnung unter der maßgebenden Bemessungskombination im Grenzzustand der Tragfähigkeit (1) ein stabiles Gleichgewicht einstellt und (2) die Grenzdehnungen (Beton, Beton- und Spannstahl) eingehalten sind. Dann kann gemäß DIN- Fachbericht-102 [23] davon ausgegangen werden, dass der Widerstand des Tragwerks gegen Versagen mit ausreichender Sicherheit gegeben ist. Gemäß DINFB-102 ist für die Einwirkungen die ständige und vorübergehende Bemessungssituation in Kombination mit einem einheitlichen Teilsicherheitsbeiwert von g R -=-1,3 für die Baustoffkennwerte zu betrachten (vgl. DINFB-102, Kap.-A.2.1). Zur Nachweisführung in Stufe- 4 werden vorab die relevanten Laststellungen auf Basis der Ergebnisse aus Stufe- 2 identifiziert. Bei der nichtlinearen Systemana- 56 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Aktuelle und zukünftige Potenziale in Stufen-2 und 4 der Nachrechnungsrichtlinie lyse werden alle Lasten unter Berücksichtigung der Teilsicherheitsbeiwerte in einem Lastfall betrachtet, da das Superpositionsprinzip nicht gültig ist. Die Lastauf bringung in einer nichtlinearen FE-Berechnung erfolgt hierbei schrittweise. Zunächst werden alle ständigen Lasten und die Vorspannung aufgebracht. Danach erfolgt analog zu den ständigen Lasten schrittweise die Auf bringung der Verkehrslast, sodass das Gebrauchstauglichkeitsniveau erreicht wird. In den anschließenden Lastschritten werden die ständigen Lasten und die Verkehrslast um die zugehörigen Teilsicherheitsbeiwerte von 1,35 bzw. 1,5 gesteigert. Zur Sicherstellung des nach DINFB-102 geforderten Sicherheitsniveaus muss diese Laststufe in Verbindung mit dem einheitlichen Teilsicherheitsbeiwert der Baustoffkennwerte von 1,3 erreicht werden. Diese Laststufe bildet dann das geforderte Tragfähigkeitsniveau nach DINFB [23; 41] ab. Alle weiteren Laststufen darüber hinaus dienen der Untersuchung eventueller Tragfähigkeitsreserven. 6.3.3 Ergebnisse Im vorliegenden Beispiel wird das angestrebte Sicherheitsniveau unter Berücksichtigung des globalen Teilsicherheitsbeiwerts von g R -=-1,3 erreicht. Die anschließende Steigerung der Verkehrslast bis zum Versagenszustand führte zu deutlichen Verformungen und Rissen. In Abb.-9 sind die Hauptdehnungen-ε 1 in Hauptzugspannungsrichtung des Bauwerks im rechnerischen Grenzzustand der Tragfähigkeit und im Bruchzustand dargestellt. Der Hauptdehnungsverlauf kann hierbei dem Rissbild gleichgesetzt werden. Unter den im GZT nach DINFB anzusetzenden g-fachen Lasten stellt sich eine Biegerissbildung im Feldbereich in den Stegen ein. Hierbei weist der Randsteg die größten Hauptzugdehnungen auf. Eine beginnende diagonale Schubrissbildung im Randsteg ist im Bereich des letzten Feldquerträgers festzustellen. Die Erhöhung der Verkehrslast führt bis zum Versagen sowohl zu einem deutlichen Wachstum dieses Schubrisses als auch zur Bildung zusätzlicher Schubrisse im Randsteg und den benachbarten Innenstegen. Die zweischnittige Bügelbewehrung (f yk -=-240-N/ mm²) des Randsteges erreicht im Bereich der kreuzenden Schubrisse die Streckgrenze. Die große Laststeigerung zwischen rechnerischem GZT und Versagenszustand zeigt hierbei die Umlagerungsmöglichkeiten der Einwirkungen trotz des Fließens der Bügelbewehrung. Die damit verbundenen großen Verformungen des Überbaus resultieren in hohen Betonstauchungen. Die lokale Überschreitung der zulässigen Betondruckstauchungen (ε c ->3,5-‰) führt letztendlich zu einem Systemversagen, wobei vorher eine ausgeprägte Versagensankündigung oberhalb des nach DINFB-102 geforderten Sicherheitsniveaus vorliegt. Abb. 9: Hauptdehnung-ε 1 im GZT und im Versagenszustand (oben, unten rechts) und Bügelspannungen im Versagenszustand (unten links), Grafik: H+P Ingenieure Neben dem rechnerischen Nachweis der Tragfähigkeit unter kombinierter Querkraft-, Torsions- und Biegebeanspruchung kann durch die Ermittlung des Ankündigungsverhaltens die für Brückenprüfungen relevanten Trägerbereiche mit zugehörigen, kritischen Rissbildern identifiziert werden. 6.4 Vergleich mit Nachrechnungsbeispiel Die Ausnutzungsgrade der Nachrechnungen in den Nachweisstufen-2 und 4 für den 6.-Plattenbalkenquerschnitt im Abstand 1,0- ·- d sind in Tab. 5 gegenübergestellt. In der FEM Untersuchung können die Lasten im g R Verfahren auf g R,Gk -=-1,3-⊕-g R,Qk -=-2,7 erhöht und somit die Tragfähigkeit mit ausreichend Reserven nachgewiesen werden. Auch die analytischen Modelle nach der BEMING Teil-2 und der Verfeinerung mit b V,eff & ΔV Ed liefern im Bemessungsschnitt eine ausreichende Querkrafttragfähigkeit. Für den Querkraftnachweis im Randträger können sowohl die verbreiterte Druckzone des Plattenbalkens mit b V,eff als auch die abgeminderte Belastung infolge verteilten Lasten ΔV Ed im verfeinerten Ansatz in Ansatz gebracht werden. Dadurch resultierenden höhere Tragfähigkeiten als nach der aktuellen BEMING Teil-2. Insgesamt kann das Bauwerk somit neben dem Nachweis auf Stufe-4 bereits mit geringerem Aufwand auf Stufe-2 der BEMING Teil-2 nachgewiesen werden. Tab. 5: Ausnutzungsgrade in den Stufen-2 und 4 Nachweis Verfahren Lastmodell Nachweis 6.-Plattenbalkenquerschnitt Stufe 2 BEMING Teil-2 LM-1 V Ed -/ -V Rd 0,59 BEMING Teil-2 mit b V,eff & ΔV Ed (V Ed ---ΔV Ed )-/ -V Rd 0,47 Stufe 4 LIMFES g R,Gk -∙-1,35-∙-G k -+ 1,0-∙-0,85-∙-P k -+ g R,Qk -∙-Q k g R,Gk -= 1,3-⊕-g R,Qk -=-2,7 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 57 Aktuelle und zukünftige Potenziale in Stufen-2 und 4 der Nachrechnungsrichtlinie 7. Zusammenfassung und Ausblick Auf Basis der im Auftrag der BASt durchgeführten Untersuchungen [1] darf zukünftig in der BEMING Teil- 2 neben dem klassischen Fachwerkmodell für die Querkrafttragfähigkeit aus der Nachrechnungsrichtlinie (NRR-2015) auch ein Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil in Stufe-2 angewendet werden (BEMING Teil-2). Die aktuellen Untersuchungen in [6] bestätigen das Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil und bilden die Grundlage für eine Weiterentwicklung des Modellansatzes, der in der nächsten Auflage der BE- MING Teil-2* berücksichtigt werden soll. Die hier vorgeschlagene Modellerweiterung zur Querkrafttragfähigkeit umfasst die folgenden drei Aspekte: • Der größere Betontraganteil von gegliederten Querschnitten (T oder IQuerschnitte), deren Gurt in der Druckzone liegt, wird durch die Einführung einer effektiven Stegbreite-b V,eff berücksichtigt. • Da die auflagernahen Anteile von Streckenlasten direkt in das Auflager abgeleitet werden, darf die einwirkende Querkraft um Anteile-ΔV Ed aus äußerer Last, Ausbaulast und Eigengewicht abgemindert werden. • Aufgrund der Untersuchungen in [29] darf der Spannungszuwachs des geneigten Spannglieds im Bemessungsschnitt in Ansatz gebracht werden. Der Spannungszuwachs ergibt sich aus einer Querschnittsanalyse im Bemessungsschnitt für die zugehörige Lastfallkombination. Der erweiterte Modellansatz wurde durch Vergleiche mit experimentellen Untersuchungen an großformatigen Spannbetonträgern aus der Literatur bestätigt. Für eine kombinierte Beanspruchung aus Querkraft und Torsion sind folgende Erweiterungen für den aktuellen Entwurf der BEMING Teil-2 vorgesehen: • Bei kombinierter Beanspruchung dürfen in den Modellen für Torsion und Querkraft unterschiedliche Druckstrebenwinkel angenommen werden. • Für flache Druckstrebenwinkel cot-θ->-1,75 ist der Abminderungsbeiwert für die Druckfestigkeit von gerissenem Beton auf ν-=-0,6 für Querkraft zu reduzieren. Anschließend wurden die erweiterten Bemessungsansätze an einem Brücken im Bestand mit Plattenbalkenquerschnitt exemplarisch angewendet. Abschließend wurden die Ergebnisse in der (verfeinerten) Stufe 2 mit einer nichtlinearen FEM Untersuchungen verglichen. Der Brückenquerschnitt kann mit allen Verfahren für Querkraft nachgewiesen werden. Die hier vorgestellten Verfeinerungen führen zur Aktivierung weiterer Traganteile, die bislang nur in Stufe-4 berücksichtigt wurden. Zudem zeigt der Vergleich, dass mit erhöhtem Aufwand in Stufe- 4 die höchsten Traglasten ermittelt werden können. Neben dem rechnerischen Nachweis der Tragfähigkeit lassen sich zusätzlich die für Brückenprüfungen relevanten Trägerbereiche mit zugehörigen, kritischen Rissbildern identifizieren. Literatur [1] Hegger, J. et al. (2020) Beurteilung der Querkraft- und Torsionstragfähigkeit von-Brücken im Bestand - erweiterte- Bemessungsansätze - Fördernummer FE 15.0591/ 2012/ FRB. Brücken- und Ingenieurbau Heft B 150. [2] Maurer, R. et al. (10.2015) Untersuchungen zur Querkrafttragfähigkeit an einem vorgespannten Zweifeldträger. [3] Fischer, O. et al. (2023) Weiterentwicklung der Nachrechnungsrichtlinie - Validierung erweiterter Nachweisformate zur Ermittlung der Schubtragfähigkeit bestehender Spannbetonbrücken - Forschungsprojekt BASt FE 15.0661/ 2018/ FRB. [4] Kolodziejczyk, A.; Maurer, R. (2020) Erweitertes Druckbogenmodell: Anwendungsbeispiel in: Bauingenieur 95, H. 11, S. 440-445. https: / / doi. org/ 10.37544/ 0005-6650-2020-11-98 [5] Hegger, J. et al. (2014) Beurteilung der Querkraft- und Torsionstragfähigkeit von Brücken im-Bestand - Kurzfristige Lösungsansätze. Institutsbericht 326/ 2013. [6] Hegger, J. et al. (August 2023) Experimentelle und theoretische Untersuchungen zur Querkraft- und Torsionstragfähigkeit von Betonbrücken im Bestand - Fördernummer FE 15.0664/ 2019/ DRB. Abschlussbericht 492/ 2023. [7] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2024) Teil 2 - Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand - (in Vorbereitung) in: Regelungen und Richtlinien für die Berechnung und Bemessung von Ingenieurbauten (BEM-ING) Entwurf. Bonn. [8] Adam, V.; Herbrand, M.; Hegger, J. (2020) Querkrafttragfähigkeit von Brückenträgern aus Spannbeton mit geringen Querkraftbewehrungsgraden in: Bauingenieur 95, H. 11, S. 397-407. https: / / doi. org/ 10.37544/ 0005-6650-2020-11-55 [9] Schramm, N.; Fischer, O. (2020) Zur Anrechenbarkeit von nicht normgemäßen Bügelformen auf die Querkrafttragfähigkeit von Bestandsbrücken in: Bauingenieur 95, H. 11, S. 408-418. https: / / doi. org/ 10.37544/ 0005-6650-2020-11-66 [10] Herbrand, M.; Classen, M.; Adam, V. (2017) Querkraftversuche an Spannbetondurchlaufträgern mit Rechteck- und I-Querschnitt in: Bauingenieur 92, H. 11, S. 465-473. https: / / doi.org/ 10.37544/ 0005- 6650-2017-11-51 [11] Gleich, P.; Maurer, R. (2018) Querkraftversuche an Spannbetondurchlaufträgern mit Plattenbalkenquerschnitt in: Bauingenieur 93, H. 2, S. 51-61. https: / / doi.org/ 10.37544/ 0005-6650-2018-02-31 [12] Herbrand, M.; Adam, V.; Hegger, J. (2018) Shear Tests on Prestressed Concrete Continuous Beams in: Kim, Y. J.; Myers, J. J.; Nanni, A. [Eds.] The Concrete Convention and Exposition. Salt Lake City, UT, USA, pp. 119-134. [13] Schramm, N.; Fischer, O.; Scheufler, W. (2019) Experimentelle Untersuchungen an vorgespannten Durchlaufträger-Teilsystemen zum Einfluss nicht 58 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Aktuelle und zukünftige Potenziale in Stufen-2 und 4 der Nachrechnungsrichtlinie mehr zugelassener Bügelformen auf die Querkrafttragfähigkeit in: Bauingenieur 94, H. 1, S. 9-20. https: / / doi.org/ 10.37544/ 0005-6650-2019-01-55 [14] Huber, P.; Huber, T.; Kollegger, J. (2019) Experimental and theoretical study on the shear behavior of singleand multi-span Tand I-shaped posttensioned beams in: Structural Concrete 25, H. 3, S.-266. https: / / doi.org/ 10.1002/ suco.201900085 [15] Huber, P. et al. (2016) Rechnerische Beurteilung der Schubtragfähigkeit einer Spannbetonbrücke mit geringem Querkraft bewehrungsgrad in: Beton- und Stahlbetonbau 111, H. 11, S. 706-715. https: / / doi.org/ 10.1002/ best.201600050 [16] Huber, P. et al. (2016) Experimentelle Untersuchung zum Querkrafttragverhalten von Spannbetonträgern mit geringer Schubbewehrung in: Bauingenieur 91, H. 6, S. 238-247. https: / / doi. org/ 10.37544/ 0005-6650-2016-06-56 [17] Herbrand, M. (2017) Shear Strength Models for Reinforced and Prestressed Concrete Members [Dissertation]. RWTH Aachen University. [18] Talbot, A. N. (1909) Tests of reinforced concrete beams: resistance to web stresses - Series of 1907 and 1908. [19] Herbrand, M.; Hegger, J. (2013) Experimentelle Untersuchungen zum Einfluss einer externen Vorspannung auf die Querkrafttragfähigkeit vorgespannter Durchlaufträger in: Bauingenieur 88, H.-12, S. 428-437. [20] Maurer, R.; Kiziltan, H. (2013) Zum Einfluss des Druckbogens auf den Querkraftwiderstand von Spannbetonbalken in: Bauingenieur 88, H. 4, S.-165-176. [21] Maurer, R. et al. (2014) Querkraftversuch an einem Durchlaufträger aus Spannbeton in: Beton- und Stahlbetonbau 109, H. 10, S. 654-665. https: / / doi. org/ 10.1002/ best.201400054 [22] Hegger, J.; Sherif, A.; Görtz, S. (2004) Investigation of Preand Postcracking Shear Behavior of Prestressed Concrete Beams Using Innovative Measuring Techniques in: ACI Structural Journal 101, Nr. 2, pp. 183-192. [23] DIN-Fachbericht 102: 2009-03 (März 2009) DIN- Fachbericht 102 - Betonbrücken. Berlin: Beuth. [24] Herbrand, M.; Adam, V.; Hegger, J. (2020) Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden in: Krieger, J.; Isecke, B. [Hrsg.]. Ostfildern: Technische Akademie Esslingen, 157-170. [25] DIN EN 1992-2: 2010-12 (Dezember 2010) Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln - Deutsche Fassung EN 1992-2: 2005 + AC: 2008. Berlin: Beuth. [26] Maurer, R.; Stakalies, E. (2020) Versuche und Bemessungsvorschlag zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung in: Bauingenieur 95, H. 1, S. 1-11. https: / / doi. org/ 10.37544/ 0005-6650-2020-01-25 [27] Dommes, C.; Hegger, J. (2024) Ermittlung von Traglastreserven in 16,5- m Spannbetonträgern unter Querkraftbeanspruchung in: Bauingenieur-99, 1/ 2, S. 22-34. https: / / doi.org/ 10.37544/ 0005-6650-2024- 01-02-44 [28] Dommes, C.; Hegger, J. (2023) Experimental and analytical investigations on the shear capacity of prestressed concrete bridges in: IABSE [Ed.] IAB- SE Symposium. New Delhi, India. [29] Lamatsch, S.; Fischer, O. (2024) Querkraftversuche an unterschiedlich vorgespannten Balkenelementen mit baupraktischen Bauteilabmessungen in: Bauingenieur 99, 1/ 2. [30] DIN EN 1992-2/ NA: 2013-04 (April 2013) Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter- - Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln. Berlin: Beuth. [31] Maurer, R.; Stakalies, E.; Lavrentyey, V. (2024) Zum Nachweis bei einer kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) in: Bauingenieur 99, 1/ 2. [32] Ribas González, C. R.; Fernández Ruiz, M. (2017) Influence of flanges on the shear-carrying capacity of reinforced concrete beams without web reinforcement in: Structural Concrete 18, H. 5, S. 720- 732. https: / / doi.org/ 10.1002/ suco.201600172 [33] Görtz, S. (2004) Zum Schubrissverhalten von Stahlbeton- und Spannbetonbalken aus Normal- und Hochleistungsbeton [Dissertation]. RWTH Aachen. [34] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (2012) DAfStb- Heft 597: Erweiterte Datenbanken zur Überprüfung der Querkraftbemessung für Konstruktionsbauteile mit und ohne Buegel. Ernst & Sohn. [35] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (2012) Erläuterungen zu DIN EN 1992-1-1 und DIN EN 1992- 1-1/ NA (Eurocode 2) - DAfStb-Heft 600. Berlin: Beuth. [36] Huber, P. (2016) Beurteilung der Querkrafttragfähigkeit bestehender Stahlbeton- und Spannbetonbrücken [Dissertation]. Technische Universität Wien. [37] Vecchio, F. J.; Collins, M. P. (1986) The Modified Compression-Field Theory for Reinforced Concrete Elements Subjected to Shear in: ACI Structural Journal 83, Nr. 2, pp. 219-231. https: / / doi. org/ 10.14359/ 10416 [38] Kiziltan, H. (2012) Zum Einfluss des Druckbogens auf den Schubwiderstand von Spannbetonbalken [Dissertation]. Technische Universität Dortmund. [39] Kerkeni, N. (2009) Programmbeschreibung LIM- FES. [40] Bažant, Z. P. et al. (2000) Microplane Model M4 for Concrete - Part I: -Formulation with Work-Conjugate Deviatoric Stress in: Journal of Engineering Mechanics 126, Nr. 9, pp. 944-953. [41] DIN-Fachbericht 101: 2009-03 (März 2009) DIN- Fachbericht 101 - Einwirkungen auf Brücken. Berlin: Beuth. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 59 Kombinierte Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion - Erkenntnisse aus zwei BASt-Forschungsvorhaben Univ.-Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer Technische Universität Dortmund Dipl.-Ing. Vladimir Lavrentyev Technische Universität Dortmund Eva Stakalies, M. Sc. Technische Universität Dortmund Zusammenfassung Bei einer Beurteilung der Tragsicherheit bestehender älterer Spannbetonbrücken durch eine Nachrechnung auf Grundlage aktueller Normen für Neubauten, ergeben sich häufig, besonders bei der Schubtragfähigkeit infolge Querkraft und Torsion, deutliche Defizite. Da die Nachweisformate für Neubauten im Sinne einer einfachen Anwendbarkeit Vereinfachungen enthalten, beispielsweise durch vernachlässigte Traganteile, und daher häufig konservativ sind, besteht die Aufgabe genauere Nachweisformate für die Nachrechnung bestehender Bauwerke zu entwickeln, um vorhandene Tragreserven nutzen zu können. Im Rahmen der BASt-Forschungsvorhaben wurde der Frage nachgegangen, ob durch eine genauere Nachweisführung unter Berücksichtigung der Interaktion der Schnittgrößen infolge einer kombinierten Beanspruchung mit Torsion Tragfähigkeitsreserven aktiviert werden können. Hierfür wurde ein entsprechendes Bemessungsmodell mittels der durchgeführten Großversuche verifiziert. Untersucht wurden dabei gleichzeitig eine vom aktuell gültigen NA abweichende konstruktive Ausbildung bei der Torsionsbügelbewehrung. Bei den Großversuchen wurden Tragverhalten, maximale Tragfähigkeit (begrenzt sowohl durch die Bewehrung als auch den Beton), Anrechenbarkeit der Spannglieder auf die Torsionslängsbewehrung, Rissbildung und damit einhergehender Abfall der Torsionssteifigkeit sowie ein etwaiger Einfluss aus der konstruktiven Ausbildung der Torsionsbügel gezielt untersucht. Die gewonnenen Erkenntnisse haben ihren Niederschlag in der 2. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie gefunden, die als BEM-ING Teil 2 bauaufsichtlich eingeführt werden soll. 1. Einleitung Eine intakte, funktionierende Verkehrsinfrastruktur ist eine notwendige Voraussetzung, nicht nur für das Zusammenleben in unserer arbeitsteiligen Gesellschaft, sondern auch zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Wirtschafts- und Industriestandorts Deutschland. Neuralgische Punkte der Verkehrsinfrastruktur sind die Brücken. Kritisch sind besonders die bestehenden älteren Bauwerke aus den 50er, 60er und 70er Jahren, insbesondere die Großbrücken. Dies gilt für alle Bauweisen gleichermaßen, ob Stahl-, Verbund- oder Betonbrücken. Die Ursachen für den heutigen Zustand unseres Brückenbestands, besonders im Hinblick auf die älteren Bauwerke mit Defiziten der Tragfähigkeit, sind sowohl der Belastungsals auch der Widerstandsseite zuzuordnen: Die heutigen Belastungen aus Verkehr sind wesentlich höher als damals angesetzt, sowohl was die Fahrzeuggesamtgewichte als auch deren Häufigkeit betrifft. Bei unseren Brücken wirkt sich dies sowohl auf die statische Tragfähigkeit als auch auf die Materialermüdung aus. Die zeitlichen Entwicklungen auf der Widerstandsseite, sind vor dem historischen Hintergrund zu sehen. In der Wiederauf bauphase nach dem zweiten Weltkrieg ab etwa 1950 bestand in Deutschland ein sehr großer Bedarf an Brückenneubauten. Damals hat sich die noch junge Spannbetonbauweise - für die noch vergleichsweise wenige Erfahrungen vorlagen - aufgrund ihrer wirtschaftlichen Vorteile gegenüber der Stahlbauweise rasch durchgesetzt. Die aus dem damaligen Erkenntnisstand resultierenden technischen Unzulänglichkeiten bei der Bemessung und konstruktiven Durchbildung wurden an den Bauwerken, beispielsweise in Form von Dauerhaftigkeitsschäden, oft erst nach vielen Jahren sichtbar und erkannt. Dadurch wurden über einen längeren Zeitraum Brücken gebaut, die alle die gleichen konzeptionellen Schwächen aufwiesen. Dies gilt für alle Bauweisen gleichermaßen. Die Normen, als maßgebende Grundlage für Bemessung und Konstruktion der Brücken, werden naturgemäß nur in größeren zeitlichen Abständen auf der Grundlage neuer Erkenntnisse aus Wissenschaft und Erfahrungen in der Praxis fortgeschrieben, um Schwachstellen zu beseitigen und die Grundsätze für Bemessung und Konstruktion an neue Erkenntnisse anzupassen. Daher weisen die bestehenden Bauwerke in Abhängigkeit von ihrem Baujahr gegenüber bestimmten Beanspruchungen de facto nicht das gleiche Sicherheitsniveau auf. 60 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Kombinierte Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion - Erkenntnisse aus zwei BASt-Forschungsvorhaben So enthalten beispielsweise die heutigen Spannbetonbrücken gegenüber den älteren deutlich mehr Bewehrung und Vorspannung. Ein wesentliches Sicherheitselement beim Bauwerksbestand ist die periodische Brückenprüfung. Lange Zeit wurde der dabei erfasste bauliche Zustand als maßgebliches Kriterium für die Bewertung der Bauwerke angesehen. Bei gutem baulichen Zustand ging man davon aus, dass Funktionsfähigkeit und ausreichende Sicherheit einer Brücke gegeben ist. Erst ab etwa 2005 wurden bei den älteren Bestandsbauwerken der alten Bundesländer durch erste Nachrechnungen auch Defizite bei der Tragfähigkeit nach aktuellem Stand der Wissenschaft und Technik festgestellt. Die Nachrechnungen erfolgten für die Brücken der A45 auf der hessischen Seite, damals allerdings noch mit den DIN-Fachberichten, also den Normen für Neubauten. Die Nachrechnungsrichtlinie gab es seinerzeit noch nicht. Diese Nachrechnungen auf Grundlage der DIN Fachberichte für Neubauten ergaben für diese Brücken durchweg keine ausreichenden Tragsicherheiten. Bei den Spannbetonbrücken waren besonders die Schubtragfähigkeiten bei Querkraft und Torsion betroffen. An dieser Stelle wurden Methoden und Verfahren der Sicherheits- und Zuverlässigkeitstheorie für die Beurteilung der Tragsicherheit herangezogen. Daraus folgte, dass Normen für Neubauten für Aussagen über bestehende Brücken nicht geeignet sind. Insofern waren die Ergebnisse, basierend auf den DIN-Fachberichten, nur bedingt aussagekräftig. So wurde in der Folge die Nachrechnungsrichtlinie erarbeitet, die an die Besonderheiten der Bestandsbauwerke angepasst war. Damit war es möglich, durch ein an bestehende Bauwerke angepasstes Sicherheitskonzept und im Rahmen mehrerer FE-Projekte entwickelter genauerer Nachweisverfahren, bis dahin ungenutzte Tragreserven zu aktivieren. Einen Schwerpunkt bildeten dabei die Nachweisverfahren bei Querkraft sowie der kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion. Die genaueren Nachweisverfahren für diese Schubprobleme wurden im Rahmen mehrerer Forschungsvorhaben im Auftrag der BASt erarbeitet. Dabei ging es nicht nur um Bemessungsverfahren, sondern z.B. auch darum, wie man mit seinerzeit angewendeten Konstruktionsregeln, die nicht dem heutigen Stand der Wissenschaft und Technik entsprechen, umgeht. In welchem Umfang eine derartige Bewehrung für die Tragfähigkeit angesetzt werden kann. Nachfolgend werden zu diesen Problemen Erkenntnisse vor allem aus zwei im Auftrag der BASt durchgeführten Forschungsvorhaben mit Großversuchen an Spannbetonträgern (FE-15.0591/ 2012/ FRB; FE 15.0664/ 2019/ DRB), die an der RWTH Aachen, der TU Dortmund sowie der TU München durchgeführt wurden, vorgestellt. Für weitere Details siehe auch [1], [2], [3]. 2. Genauere Nachweisverfahren bei Querkraft Im Bild 1 ist beispielhaft für einen zweifeldrigen Versuchsträger die rechnerische Querkrafttragfähigkeit entsprechend dem idealisierten Fachwerkmodell mit Rissreibung nach DIN EN 1992-2/ NA: 2013 der experimentell ermittelten Querkrafttragfähigkeit gegenübergestellt. Die rechnerische Tragfähigkeit wurde dabei unter Ansatz der Mittelwerte der am Versuchsträger bestimmten Materialeigenschaften berechnet. Es ist deutlich zu erkennen, dass in diesem konkreten Fall die Querkrafttragfähigkeit des Versuchsträgers auf Basis des nationalen Anhangs etwa um den Faktor 2 deutlich unterschätzt wird, da das Bemessungsmodell nicht alle maßgebenden Tragmechanismen zutreffend berücksichtigt. Die Differenz kann als nicht berücksichtigter zusätzlicher Betontraganteil interpretiert werden. Bild 1: Querkraftbeanspruchung vs. Querkrafttragfähigkeit nach DIN EN 1992-2/ NA Über die verschiedenen Querkrafttraganteile besteht in der Fachwelt grundsätzlich Einigkeit: - Querkraftbewehrung V R,sy - Betondruckzone V cc - Vorspannwirkung V p - Rissverzahnung V cr - Bruchprozesszone V BPZ - Dübelwirkung der Bewehrung V d Gegenstand kontroverser Diskussionen ist bis heute die quantitative Bewertung und das Zusammenwirken der einzelnen Anteile bei der resultierenden Querkrafttragfähigkeit. Erschwert wird die zutreffende Abbildung der komplexen Zusammenhänge in einem mechanischen Modell durch weitere Einflüsse wie z.B. der baulichen Aus- 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 61 Kombinierte Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion - Erkenntnisse aus zwei BASt-Forschungsvorhaben bildung des Bauteils, der Art der Belastung, der Schubschlankheit sowie dem Beanspruchungsniveau. Daher gibt es bis heute kein allgemein anerkanntes Bemessungsmodell, das eine zuverlässige Vorhersage der Querkrafttragfähigkeit in allen Fällen ermöglicht. 2.1 Erweitertes Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil (NRR: Stufe 2) Für die Bewertung der Querkrafttragfähigkeit bestehender Spannbetonbrücken im Rahmen der Stufe 2 der 2. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie (NRR) wurde an der RWTH Aachen das erweiterte Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil entwickelt. Dabei wird die Querkraftbeanspruchung nicht allein von der Querkraftbewehrung aufgenommen, sondern auch von einem zusätzlichen Betontraganteil. (1) mit βr: Schubrisswinkel Dabei entspricht V Rd,ct der Querkrafttragfähigkeit eines Bauteils ohne Querkraftbewehrung, also einem Mindestwert der Querkrafttragfähigkeit, wenn keine Querkraftbewehrung vorhanden wäre. Mit diesem Modell lassen sich für ältere bestehende Spannbetonbrücken in vielen Fällen ausreichende Tragfähigkeiten nachweisen, wie bisherige Anwendungen gezeigt haben. 2.2 Druckbogenmodell (NRR: Stufe 4) Das Druckbogenmodell bzw. das erweiterte Druckbogenmodell gehört zu den Verfahren, die im Rahmen der Stufe 4 der NRR angewendet werden dürfen. Das Druckbogenmodell ist anwendbar in Bereichen im Zustand I und Zustand II mit Biegerissen, ohne ausgeprägte Schubrissbildung. Es geht vom Ebenbleiben der Querschnitte aus. Bei ausgeprägter Schubrissbildung, wenn das Ebenbleiben der Querschnitte nicht mehr gilt, kommt das erweiterte Druckbogenmodell zur Anwendung. Das Modell wurde an der TU Dortmund entwickelt. Mit diesem anschaulichen Modell, kann der Betontraganteil für Spannbetonbalken auf Bauteilebene ermittelt werden. Nachfolgend wird die Vorgehensweise am Druckbogenmodell für den Fall ohne ausgeprägte Schubrissbildung gezeigt (Bild 2). Bild 2: Bestimmung des Druckbogenverlaufs Für die Ermittlung des Druckbogenverlaufs längs des dargestellten Balkens (Bild 2) werden in diskreten Schnitten senkrecht zur horizontalen Stabachse die Dehnungsebenen aus den zugehörigen Biegemomenten und der Vorspannwirkung bestimmt. Auf Grundlage der Dehnungsebenen werden die Druckzonenhöhe x und der Abstand der horizontalen Biegedruckkraft F c zum Querschnittsrand berechnet. Infolge der veränderlichen Höhenlage der Spannglieder und des veränderlichen Biegemoments variiert die Lage der horizontalen Biegedruckkraft. Aus der Verbindung der Druckzonenhöhen ergibt sich der überdrückte Bereich, aus der Verbindungslinie der horizontalen Biegedruckkräfte folgt der Druckbogenverlauf. Aus der vertikalen Komponente der geneigten Kraft im Druckbogen resultiert der zusätzliche Querkrafttraganteil V cc des Betons. Dieser Betontraganteil wird beim Fachwerkmodell mit Rissreibung nicht explizit in Ansatz gebracht. Der zusätzliche Betontraganteil V cc braucht nicht kleiner angesetzt zu werden als der Mindestwert V Rd,ct gemäß dem erweiterten Fachwerkmodell mit Betontraganteil (NRR: Stufe 2). Damit gilt: V cc ≥ V Rd,ct (2) Der Mindestwert kommt in den Bereichen zum Tragen, in denen der Druckbogen mit nur sehr flacher Neigung verläuft (Bild 3). Bild 3: Zusätzlicher Betontraganteil (V cc ≥ V Rd,ct ) beim Druckbogenmodell (Stufe 4) 3. Nachweisverfahren bei zusätzlicher Torsion 3.1 Grundlagen In den Stegen von Plattenbalkenbrücken tritt in den Stegen der Hauptträger im Allgemeinen zusätzlich zur Biegung mit Querkraft eine Torsionsbeanspruchung auf. Die Bemessungsformeln in EC2 bzw. DIN Fachbericht 102 gelten für eine reine Torsionsbeanspruchung. Beim Hauptträger einer Plattenbalkenbrücke wird ausschließlich der Steg für das volle Torsionsmoment bemessen. Die Nachweise im Zustand II werden dabei für einen fiktiven Ersatzhohlkasten geführt. Tatsächlich werden Anteile des Torsionsmoments auch durch die ungerissene Betondruckzone sowie die Flansche aufgenommen, Bild 4. 62 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Kombinierte Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion - Erkenntnisse aus zwei BASt-Forschungsvorhaben Bild 4: Aufnahme einer Torsionsbeanspruchung nachüblichem vereinfachten Ansatz (links) und genauerer Betrachtung bei kombinierter Beanspruchung (rechts) Das Tragverhalten bei reiner Torsion im Zustand II ist dadurch charakterisiert, dass die vertikalen Komponenten der unter dem Winkel θ geneigten Druckstrebenkräfte im Beton durch die Torsionsbügel aufgenommen werden. Die horizontalen Komponenten werden durch die Torsionslängsbewehrung ins Gleichgewicht gesetzt (Bild 5a). Im Fall einer zusätzlichen Vorspannkraft wird die erforderliche Querschnittsfläche der Torsionslängsbewehrung kleiner, bei entsprechend großer Vorspannkraft werden die Längszugkräfte vollständig überdrückt, so dass rechnerisch keine Längsbewehrung mehr erforderlich ist (Bild 5b). Bei einem Spannbetonbalken sind vergleichbare Verhältnisse gegeben, was zu einer Reduzierung der erforderlichen Torsionslängsbewehrung nach EC2 führt (Bild 5c). Auf dieser Modellvorstellung basiert das nachfolgend beschriebene Nachweisverfahren bei einer zusätzlichen Torsionsbeanspruchung. Bild 5: Beanspruchung durch reine Torsion und kombinierte Beanspruchung M + V + T Ermittlung der Bügelbewehrung infolge zusätzlicher Torsion (M + V + T) Die gesamte erforderliche Bügelbewehrung ist die Summe aus Querkraftbewehrung z.B. gemäß Fachwerkmodell mit Betontraganteil oder Druckbogenmodell, plus zusätzlichem Anteil der Torsionsbügelbewehrung nach EC2 bzw. DIN Fachbericht 102: (3) mit: cot θ = 2,5 (aus Referenzversuchen) T u = V u ⋅e e: Exzentrizität der Lasten Während bei der Querkraftbewehrung eine deutliche Reduzierung durch den zusätzlichen Betontraganteil erfolgt, ist dies bei der Torsionsbügelbewehrung nicht der Fall. Daher wird die normgemäße Torsionsbügelbewehrung bei den Nachweisen üblicherweise ohne Abminderung berücksichtigt. Ermittlung der zusätzlichen Längsbewehrung infolge Torsion (M + V + T) Bei der Ermittlung der zusätzlichen Längsbewehrung infolge Torsion wird zunächst von dem durch diese Bewehrung aufnehmbaren Torsionsmoment T Rd,sl ausgegangen. (4) Daraus folgt durch Umstellung de zugehörige Längskraft aus Torsion N Td , die im Schwerpunkt des Querschnitts bei der Biegebemessung mit angesetzt wird (Bild 6). a) c) b) 3.2 Bemessungsmodell bei zusätzlicher Torsion Nachfolgend wird das Bemessungsmodell anhand der Bemessung der Versuchsträger mit Mittelwerten der Baustoffeigenschaften (f ym ) für die Schnittgrößen M u , V u und T u unter der Versuchstraglast des jeweiligen Referenzträgers ohne zus. Torsion gezeigt. Bei einer Nachrechnung realer Bauwerke sind die entsprechenden Bemessungswerte (f yd , M Ed , V Ed , T Ed ) anzusetzen. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 63 Kombinierte Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion - Erkenntnisse aus zwei BASt-Forschungsvorhaben (5) mit: cot θ = 2,5 (aus Referenzversuchen M + V) ⇒ Längsbewehrung A s(M, T) infolge M + T Bild 6: Erforderliche Längsbewehrung ermittelt für M u + N Tu Bei dieser Vorgehensweise und überwiegender Biegebeanspruchung wird der positive Effekt aus der Überdrückung der Torsionslängszugkräfte in der Biegedruckzone infolge Biegung sowie der Tragwirkung der Spannglieder entsprechend ihrer Lage im Querschnitt bei der Bemessung automatisch mitberücksichtigt. Auf diese Weise kann die erforderliche Querschnittsfläche der Längsbewehrung optimal quantifiziert werden. 3.3 Konstruktive Durchbildung der Bügel Die konstruktive Ausbildung von Torsionsbügeln wird in DIN EN 1992-2, 9.2.3 (1) geregelt (Bild 7). Bild 7: Beispiele zur Ausbildung von Torsionsbügeln nach DIN EN 1992-2, Bild 9.6 und zugehöriges NCI im NA Der zugehörige deutsche NA fordert bei einer Torsionsbeanspruchung geschlossene Bügel zu verwenden. Zur Erleichterung des Einbaus der Längsbewehrung und der Spannglieder sowie zur Vereinfachung der Bewehrung und Vermeidung lokal hoher Bewehrungsgrade sind bei Plattenbalkenbrücken oben offene Bügel, die durch die Querbewehrung der Fahrbahnplatte geschlossen werden, vorteilhaft. Da bei Plattenbalkenbrücken eine kombinierte Beanspruchung durch überwiegende Querkraftbiegung mit zusätzlicher Torsionsbeanspruchung auftritt und sich in der Fahrbahnplatte eine starke obere Querbewehrung befindet, wird ein Ausbrechen der oberen Ecken infolge der Umlenkung der Betondruckstreben durch die Bügelhaken und die Querbewehrung der Fahrbahnplatte verhindert (Bild 8). Daher wurde bei den Dortmunder Versuchen auch der Frage nachgegangen, inwieweit die Querschnitte mit geschlossenen Bügeln eine größere Tragfähigkeit gegenüber den offenen durch Querbewehrung geschlossenen Bügeln aufweisen. Bild 8: Konstruktive Ausbildung der Bügel bei Querkraft und Torsion bei Plattenbalkenbrücken nach DIN EN 1992-2 abweichend zum NA Die Wirksamkeit der Verankerungselemente für die Bügel in Form von Haken und Winkelhaken wurde experimentell untersucht und nachgewiesen [4]. Die Fließkraft konnte in allen Fällen verankert werden. 4. Verifikation durch 2 Versuchsreihen mit kombinierter Beanspruchung 4.1 Versuchsreihe DLT mit zusätzlicher Torsion (M + V + T) Der Versuchsauf bau der Versuchsreihe DLT (Durchlaufträger) mit Belastung ist Bild 9 dargestellt. Dazu standen Referenzversuche (DLT 2.1 bis DLT 2.4) mit reiner Querkraftbiegung, d.h. Exzentrizität e = 0 und Beanspruchung M-+-V, T-=-0, zur Verfügung. Die Versuchsträger DLT-2.5 bis DLT 2.8 mit zusätzlicher Torsion wurden mit dem in Abschn. 3.2 beschriebenen mechanischen Modell bemessen und ausgelegt. An jedem der 4 Versuchsträger (DLT5 bis DLT8) wurde je Feld ein Teilversuch durchgeführt, d.h. insgesamt waren es 8 Teilversuche. Unmittelbar vor dem Versagen, zu erkennen an den Indikatoren Rissbildung und in Echtzeit gemessenen Dehnungen, wurde das schwächer bewehrte Feld verstärkt, so dass die Belastung im stärker bewehrten Feld weiter gesteigert werden konnte, bis dort der Bruchzustand erreicht wurde. Ein wesentliches Ziel der Versuche bestand darin, das in Abschn. 3.2 beschriebene mechanische Modell zu verifizieren. 64 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Kombinierte Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion - Erkenntnisse aus zwei BASt-Forschungsvorhaben Bild 9: Versuchsauf bau mit Belastung der Versuchsreihe DLT Versuchstraglasten Die erzielten Versuchstraglasten sind in Tab. 1 zusammengefasst Tab. 1 Experimentell ermittelte Versuchstraglasten DLT 2.5 bis DLT 2.8 Bei den experimentellen Untersuchungen wurden auch einige Sensitivitätsbetrachtungen durchgeführt. DLT 2.5: Die zusätzliche Torsionsbügel- und Torsionslängsbewehrung wurde gemäß dem Bemessungsmodell in Abschn.-3.2 vollständig eingebaut, die Versuchstraglasten aus den Referenzversuchen wurden nahezu erreicht. Das Bemessungsmodell wurde damit bestätigt. DLT 2.6: Es wurde keine zusätzliche Torsionslängsbewehrung gemäß dem Bemessungsmodell eingebaut, lediglich die zusätzliche Torsionsbügelbewehrung. Auswirkung: Abfall der Versuchstraglast gegenüber den Referenzversuchen um 9.2 % in Feld 1 und 6.1 % in Feld 2. DLT 2.7: Teilversuch in Feld 1: Bestätigung des Bemessungsmodells Teilversuch in Feld 2: Auslegung für e = 15 cm, im Versuch realisiert e = 20 cm. Abfall der Versuchstraglast um 14-%, d.h. keine ausreichenden Tragreserven zur Kompensation der Überschreitung der Exzentrizität um 1/ 3 im Versuch. DLT 2.8: Variiert wurde die konstruktive Ausbildung der Bügel. Feld 1: mit Steckbügeln geschlossene Bügel Feld 2: oben offene Bügel mit Winkelhaken nach außen, geschlossen durch obere Querbewehrung in der Platte. Beide Felder zeigen gleiches Trag- und Rissverhalten, erreichen die gleiche Versuchstraglast. Der Referenzträger weist eine kleinere Versuchstraglast auf infolge Versagens der Betondruckzone an der Innenstütze als Folge der deutlich kleineren Betondruckfestigkeit (26,7 vs. 48,9 MN/ m²) Rissbildung In Bild 10 ist die Rissbildung für DLT 2.8 im Bruchzustand zu sehen. In der Draufsicht sind in der Gurtplatte infolge Torsion schräg zur Balkenlängsachse verlaufende Risse zu erkennen. Ein Beleg dafür, dass das Torsionsmoment teilweise auch von der oberen Gurtplatte aufgenommen wird und nicht vollständig vom Steg! Dies führt zur Entlastung und Reduzierung der erforderlichen Torsionsbügel im Steg [5]. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 65 Kombinierte Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion - Erkenntnisse aus zwei BASt-Forschungsvorhaben Bild 10: Rissbildung im DLT 2.8 im Bruchzustand Bild 11: Auswertung der Risskinematik mittels Photogrammmetrie Eine Auswertung der Schubspannungen und Normalspannungen im Riss infolge Rissverzahnung auf Grundlage der Risskinematik (Rissöffnung w, Rissgleitung v) ergab im Bruchzustand keine Rissverzahnungskräfte (N cr , V cr ) in einer für die Querkrafttragfähigkeit bedeutenden Größe, Bild 11. Mit der Rissbildung geht ein Abfall der Torsionssteifigkeit einher (Bild 12). Dabei ist zwischen der Sekanten und Tangentensteifigkeit zu unterscheiden. In beiden Fällen fällt die Torsionssteifigkeit bei den Spannbeton Versuchsträgern unter 40 % des elastischen Wertes nach Zustand I ab. Dies bestätigt die Vorgabe in der NRR. Für weitere Details siehe [6]. 66 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Kombinierte Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion - Erkenntnisse aus zwei BASt-Forschungsvorhaben Bild 12: Torsionssteifigkeit in Abhängigkeit vom Beanspruchungsniveau (DLT 2.8) 4.2 Versuchsreihe ETK mit zusätzlicher Torsion (M + V + T) Der Versuchsaufbau mit Belastung der Versuchsreihe ETK (Einfeldträger mit Kragarm) ist in Bild 13 dargestellt. Der Teilversuch 1 im Feldbereich diente der Verifikation des Bemessungsmodells bei zusätzlicher Torsion. Hierbei ging es um die auseichende Tragfähigkeit der Bewehrung. Der Teilversuch 2 am stark bewehrten Kragarm diente der Untersuchung der Interaktionsbedingung für eine kombinierte Beanspruchung (M + V + T) beim Versagen des Betons auf Druck. Ein Versagen der Bewehrung durch Fließen mit großen plastischen Dehnungen wurde hier durch einen entsprechend hohen Bewehrungsgrad ausgeschlossen. Versuchsauf bau: Einfeldträger mit Kragarm - größere Schlankheiten - größere Spannweiten - Streckenlast im Feld, Einzellast am Kragarm Bild 13: Versuchsaufbau mit Belastung der Versuchsreihe ETK Referenzversuch ETK1 ohne zusätzliche Torsion (e = 0) Teilversuch 1: Das Versagen erfolgte im Feld durch Fließen der Bügel im Bereich vor dem Innenauflager. Infolge großer plastischer Dehnungen und starker Rissbildungen kam es dort gleichzeitig zu einer deutlichen Abminderung der wirksamen Betondruckfestigkeit ѵ ∙-f cd in den flach geneigten Druckstreben. Dadurch kam es zu einem sekundären Versagen durch Ablösen der Betondeckung über den Bügeln und schließlich einem Betonausbruch in der Biegedruckzone am Auflager. Bei den relativ kleinen Querschnittsabmessungen eines Versuchsträgers ist das gleichbedeutend mit dem Erreichen des Versagenszustands. In der Folge war keine weitere Laststeigerung mehr möglich. Allerdings wäre im Feld auch ohne dieses sekundäre Betonversagen keine deutliche Laststeigerung mehr möglich gewesen, da die Tragfähigkeit der Bewehrung bereits hoch ausgenutzt war. Teilversuch 2: Der Teilversuch 2 am Kragarm konnte aufgrund der Betonabplatzungen nicht mehr ausgeführt werden, weil dadurch keine Laststeigerung mehr möglich war. Versuche ETK2 bis ETK5 Das Ziel der Teilversuche 1 bestand darin, die durch die Bewehrung begrenzte Tragfähigkeit zu ermitteln. Als Maßnahme zur Verhinderung eines sekundären Betondruckversagens bei jetzt zusätzlicher Torsionsbeanspruchung wurde daher bei diesen Versuchen im kritischen Bereich eine stählerne Konstruktion zur Umschnürung der Biegedruckzone angeordnet (Bild 14). Diese ist für die Querkrafttragfähigkeit nicht wirksam, da die dargestellten Zugstangen im Teilversuch 1 oben nicht verankert waren. Die Verankerung erfolgt erst im anschließenden Teilversuch 2, der am Kragarm durchgeführt wird. Für die Teilversuche 2 enthalten die Kragarme eine ausreichend stark bemessene Bügelbewehrung zur Vermeidung eines sekundären Druckversagens durch Fließen der Bügel mit großen plastischen Dehnungen. Bild 14: Konstruktion zur Umschnürung der Betondruckzone Versuchstraglasten Die Versuchstraglasten für ETK1 bis ETK5 sind in Tabelle 2 getrennt nach Teilversuch1 und Teilversuch 2 zusammengefasst. Daraus geht hervor, dass bei allen Teilversuchen 1 (ETK2 bis ETK5) zur Verifizierung des Bemessungsmodells in Abschn. 3.2 die Versuchstraglast des Referenzversuchs ETK1 erreicht wurde. Dadurch wurde das Bemessungsmodell bestätigt. Als Bügelbewehrung wurden ausnahmslos oben offene Bügel mit nach außen gebogenen Winkelhaken verwendet, die entgegen dem NA lediglich durch die Querbewehrung in der Gurtplatte geschlossen wurden. In Verbindung mit den gewählten Druckstrebenwinkeln θ für die Bemessung bei ETK3 mit cot θ = 2,5 und bei ETK4 mit cot θ = 2,0 unter sonst gleichen Randbedingungen konnte mit diesen beiden Versuchen eine entsprechende Umlagerungsfähigkeit der inneren Kräfte nachgewiesen werden. Einen Sonderfall stellte ETK5 aufgrund seines Rechteckquerschnitts dar. Er erreichte die gleiche Versuchstraglast wie der zugehörige Referenzträger ETK2 mit e-= 7,5 cm. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 67 Kombinierte Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion - Erkenntnisse aus zwei BASt-Forschungsvorhaben Tab. 2: Experimentell ermittelte Versuchstraglasten ETK1 bis ETK5 Mit den Teilversuchen 2, jeweils am stark bewehrten Kragarm, wurde die Interaktion unter einer kombinierten Beanspruchung (M + V + T) im Hinblick auf das Versagen des Betons infolge der resultierenden Hauptdruckspannungen untersucht. Die normativen Regelungen hierzu lauten: DIN EN1992-1-1: 2011-01, 6.3.2 (4) Die maximale Tragfähigkeit eines auf Torsion und Querkraft beanspruchten Bauteils wird durch die Druckstrebentragfähigkeit begrenzt. Um diese nicht zu überschreiten, sind in der Regel folgende Bedingung zu erfüllen: (6.29) DIN EN 1992-1-1/ NA: 2013-04 NCI zu 6.3.2(4) Für Kompaktquerschnitte darf die günstige Wirkung des Kernquerschnitts in der Interaktionsgleichung berücksichtigt werden: (NA. 6.29.1) Lediglich im deutschen NA ist vorgesehen, dass bei Kompaktquerschnitten eine quadratische Interaktionsbedingung angewendet werden darf. Der original Eurocode-2 sieht sowohl für kompakte als auch für Kastenquerschnitte lediglich eine lineare Interaktionsbedingung vor. Eine wesentliche Erkenntnis aus der Versuchsreihe ETK war, dass die quadratische Interaktionsbedingung gemäß dem NCI in DIN EN 1992-2/ NA durch die Versuche nicht bestätigt werden kann (Bild 15). Darüber hinaus ist bei Anwendung der linearen Interaktionsbedingung, die wirksame Betondruckfestigkeit ѵ ∙-f cd bei freier Wahl des Druckstrebenwinkels θ mit cot θ > 1,75, d.h. im Fall von sehr flachen Neigungen, wie folgt anzusetzen: - bei Querkraft: ѵ = 0,6 - bei Torsion: ѵ = 0,525 Die zusätzliche Berücksichtigung des Biegemoments M in der Interaktionsbedingung hat sich bei den Versuchen als nicht zielführend herausgestellt. Für weitere Details wird auf [4] verwiesen. Bild 15: Interaktionsbedingung bei kombinierter Beanspruchung V+T 68 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Kombinierte Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion - Erkenntnisse aus zwei BASt-Forschungsvorhaben 5. Nachrechnungsrichtlinie (2. Ergänzung) Die neuen Erkenntnisse aus den beiden Versuchsreihen haben ihren Niederschlag in der 2. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie (NRR) gefunden, die künftig als BEM-ING Teil2 bauaufsichtlich eingeführt werden soll (Bild 16). Bild 16: Zweite Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie in BEM-ING, Teil 2 12.4.3.5 (1) Die Bemessung im Grenzzustand der Tragfähigkeit für Torsion ist auf Grundlage des DIN---Fachberichts-102, II-4.3.3 durchzuführen. 12.4.3.5 (2) Bei der Nachrechnung bestehender Betonbrücken darf für die Bemessung bei Torsion der Druckstrebenwinkel θ in den Grenzen entsprechend 1,0 ≤ cot θ ≤ 2,5 frei gewählt werden. Grundsätzlich dürfen für die Nachweise bei Querkraft und Torsion als kombinierte Beanspruchung unterschiedliche Druckstrebenwinkel θ angesetzt werden. 12.4.3.5 (3) Bei Druckstrebenwinkeln 1,75-≤-cot θ-≤-2,5 wird der Ansatz der wirksamen Betondruckfestigkeit ν ⋅ fcd wie folgt empfohlen: Plattenbalkenbrücken Hohlkastenbrücken - Querkraft: ѵ = 0,6 - Torsion: ѵ = 0,525 ѵ = 0,6 ѵ = 0,6 12.4.3.5 (4) Es wird empfohlen, die effektive Wanddicke bei Platenbalkenbrücken nicht größer anzusetzen als t eff = 2 ∙ d 1 . Für Hohlkastenbrücken gelten für t eff die üblichen Regelungen wie für Neubauten gem. DIN EN 1992-1-1 Kap.6.3.2. 12.4.3.5 (5) Die Torsionsbügelbewehrung wird ohne Abminderung nach DINFachbericht 102 ermittelt und ist zusätzlich zur Bügelbewehrung aus Querkraft vorzusehen. 12.4.3.5 (6) Bei überwiegender Biegebeanspruchung darf der Spannstahl auf die Torsionslängsbewehrung angerechnet werden. Dabei wird die infolge Torsion entstehende Längszugkraft N Ed,T nach Gleichung (12.47), die im Schwerpunkt des Querschnitts wirkt, bei der Biegebemessung zusätzlich berücksichtigt. Der Druckstrebenwinkel entspricht dem bei der Ermittlung der Torsionsbügelbewehrung angesetzten Wert. 12.4.3.5 (7) Der Nachweis der Tragfähigkeit der Betondruckstreben bei reiner Torsion ist nach Gl. (12.48) zu führen. 12.4.3.5 (8) Bei einer kombinierten Beanspruchung aus Querkraft und Torsion ist für die maximale Tragfähigkeit, die durch die Druckstrebentragfähigkeit begrenzt wird, die folgende Interaktionsbedingung zu erfüllen: Es wird empfohlen bei cot θ > 1,75, die Bedingung auch bei Plattenbalkenbrücken anzuwenden. Ansonsten gilt DIN Fachbericht 102. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 69 Kombinierte Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion - Erkenntnisse aus zwei BASt-Forschungsvorhaben Literatur [1] Hegger, J.; Fischer, O.; Maurer, R. et al.: Querkraft und Torsion - zukünftige Ansätze und Potenziale in Stufe 2 der Nachrechnungsrichtlinie/ Shear and torsion - future approaches and potentials in stage 2 of the recalculation guideline. In: Bauingenieur 99 (2024), 01-02, S. 1-11. https: / / doi. org/ 10.37544/ 0005-6650-2024-01-02-23 [2] Hegger, J.; Fischer, O.; Maurer, R. et al.: Nachrechnungen von Spannbetonbrücken mit Verfahren der Nachrechnungsstufe 4/ Recalculations of prestressed concrete bridges with procedures of recalculation stage 4. In: Bauingenieur 99 (2024), 01-02, S. 12-21. https: / / doi.org/ 10.37544/ 0005-6650-2024- 01-02-34 [3] Stakalies, E.; Lavrentyev, V.; Maurer, R.: Zum Nachweis bei einer kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M + V + T)/ Verification of a combined load consisting of bending, shear force and torsion (M + V + T). In: Bauingenieur 99 (2024), 01-02, S. 46-59. https: / / doi. org/ 10.37544/ 0005-6650-2024-01-02-68 [4] J. Hegger, O. Fischer, R. Maurer, N. Kerkeni, C.- Stettner, K. Zilch, C. Dommes, V. Adam, S.- Lamatsch, S. Thoma, V. Lavrentyev, E. Stakalies, F.-Teworte, E. Sharei, R. Tecusan: Experimentelle und theoretische Untersuchungen zur Querkraft- und Torsionstragfähigkeit von Brücken im Bestand - FE 15.0664.2019.DRB - Schlussbericht. Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, 2023. [5] Lavrentyev, V.; Stakalies, E.; Maurer, R.: Abschließende Forschungsergebnisse zu den experimentellen und theoretischen Untersuchungen unter der kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion. In: Tagungsband TAE (2024). [6] Stakalies, E.; Lavrentyev, V.; Maurer, R.: Erkenntnisse zur Torsionstragfähigkeit bei kombinierter Beanspruchung (M + V + T) aus Versuchen an Durchlaufträgern. In: Tagungsband TAE (2024). BIM und Digitalisierung 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 73 BIM-basierte Tragwerksplanung mit komplexen Randbedingungen und Bauphasen am Beispiel einer Eisenbahnbrücke im Hauptbahnhof Hannover Gustavo Cosenza, M. Sc. Emch+Berger GmbH Ingenieure und Planer Weimar/ Bauhaus-Universität Weimar Prof. Dr.-Ing. Christian Koch Bauhaus-Universität Weimar Professur Intelligentes Technisches Design Dr.-Ing. Marcus Achenbach LGA Landesgewerbeanstalt Bayern Prüfamt für Standsicherheit Hof Dr.-Ing. Waldemar Krakowski Emch+Berger Projekt GmbH Bartek Jaroszewski, M. Sc. Emch+Berger Projekt GmbH Digitalisierung und Nachhaltigkeit Abstract Ein aktuelles Großprojekt für die BIM-Anwendung im Eisenbahnsektor ist die Erneuerung eines der ältesten und wichtigsten Verkehrsknotenpunkte Norddeutschlands, des Hauptbahnhofs Hannover. Die Erneuerung betrifft alle bestehenden Anlagen im Bahnsteig- und Gleisbereich, u. a. viele historische, noch in Betrieb befindliche Bauwerke. Eines davon ist eine 110 Jahre alte Brücke oberhalb eines Gepäckcenters. Für den Ersatzneubau dieses Bauwerks wurde die BIM-Methodik konsequent von der Vorplanung bis zur Ausführung angewandt. Obwohl aktuell weder anerkannte Regeln der Technik noch einheitliche Prozesse für die Erstellung von Tragwerksplanungen nach der BIM-Methodik existieren, konnte eine maßgebende Planungsoptimierung unter den komplexen Randbedingungen im Hauptbahnhof erzielt werden. Es wurde ein projektspezifischer Workflow für den Datenaustausch, die Berechnung (inkl. Bauphasen), die Nachweisführung und die Integration der Ergebnisse in das Fachmodell entwickelt. Das Fachmodell enthielt präzise, spezifische und ausführungsreife semantische und geometrische Informationen, einschließlich der gesamten 3D-Bewehrungsführung und den Stahlbauanschlüssen. In diesem Beitrag wird über die Erfahrungen einer BIM-basierten Tragwerksplanung mit komplexen Randbedingungen und Bauphasen (Eingriff in den Bestand, Gleissperrungen, Montage des Überbaus) berichtet. Abschließend werden Chancen und Risiken, Vor- und Nachteile, Voraussetzungen sowie Einschränkungen für die künftige Umsetzung dieser BIM-Anwendung diskutiert. 1. Einführung Im Jahr 1914 wurden drei identische Stahlbrücken zur Überführung des Eisenbahnbetriebs über einen unterirdischen Raum im Hauptbahnhof (Hbf.) Hannover gebaut. Dieser Raum diente fast 100 Jahre als Gepäckcenter unterhalb von Bahnsteig A. Abb. 1: Hbf. Hannover, Bahnsteige A, B, C und D Im Rahmen der Erneuerung des Hbf. Hannover war der Ersatzneubau der drei alten Brücken vorgesehen. Die ersten zwei Brücken (Bauwerke 27 und 29, siehe Abb. 2) wurden bereits gebaut. Die Bauausführung der dritten Eisenbahnbrücke (Bauwerk 30 bzw. BW30) fand im Jahr 2024 auf Grundlage einer BIM-Planung statt. Abb. 2: Übersicht Bauwerke [1] 74 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 BIM-basierte Tragwerksplanung mit komplexen Randbedingungen und Bauphasen am Beispiel einer Eisenbahnbrücke im Hauptbahnhof Hannover Die Randbedingungen für den Ersatzneubau im Hbf. Hannover sind komplex. Im Bauwerksbereich befinden sich mehrere Anlagen in Betrieb: Zwei Bahnsteige mit Dächern, drei unterirdische Personentunnel, zwei weitere Eisenbahnbrücken, Oberleitungsanlagen und weitere eisenbahnspezifische Anlagen (z. B. Leit- und Sicherungstechnik). Direkt auf dem Überbau vom BW30 stützen sich auf einer Seite der Bahnsteig im Bauwerksbereich und auf der anderen Seite ein Oberleitungsmast und eine Brückenabdeckung (siehe Abb. 3) ab. Die Abdeckung ist eine Stahlkonstruktion zwischen beiden Bauwerken (BW30 und BW29), die zugleich als Dach für das Gepäckcenter dient. Abb. 3: Bahnsteig (links), Oberleitungsmast und Brückenabdeckung (Mitte) auf BW30 Die Vermeidung bzw. die Reduzierung des Eingriffes in den laufenden Eisenbahnbetrieb während der Bauausführung war eine grundsätzliche Voraussetzung für den Ersatzneubau von BW30. Die Unterbrechung des Eisenbahnbetriebes musste aufgrund der Bedeutung dieses Verkehrsknotenpunktes auf das absolute Minimum beschränkt werden. Im Bestand verteilte sich die Belastung aus dem Überbau auf zwei Widerlagerwände und vier Pendelstützen. Die Unterbauten wiesen eine Flachgründung auf, deren Sohle bis ca. 2,3 m unterhalb der OK-Bodenplatte des Gepäckcenters lag. Anhand des Baugrundgutachtens wurde bestätigt, dass die ersten Baugrundschichten unterhalb des Gepäckcenters für eine Flachgründung ungeeignet sind. Die Herstellung der neuen Gründung im engen Raum des Gepäckcenters stellte eine weitere Randbedingung für das Bauvorhaben dar. Der vorliegende Beitrag ist in sechs Abschnitte gegliedert. In den Abschnitten 2 und 3 werden der aktuelle Stand der Forschung bzgl. der BIM-basierten Tragwerksplanung und die angewandte BIM-Methodik beschrieben. Im vierten Abschnitt werden die BIM-Anwendungsfälle erläutert, die maßgebend für die Planungsoptimierung von BW30 waren. Im fünften Abschnitt werden die aktuellen Voraussetzungen, Einschränkungen, Chancen und Risiken einer BIM-basierten Tragwerksplanung für öffentliche Infrastrukturprojekte diskutiert. Im letzten Abschnitt werden die wichtigsten Aspekte der BIM-Planung von BW30 zusammengefasst. 2. Aktueller Stand der Forschung zur BIM-basierten Tragwerksplanung Die ersten Anwendungen für die Tragwerksplanung nach der BIM-Methodik fokussierten sich auf die Interoperabilität, die Kollaboration, die Automatisierung, die Datenanalyse und die Entwicklung von Verwaltungssystemen [2]. In den letzten Jahren wurden weitere BIM-Anwendungen für die statische Berechnung, die Planableitung, die Bemessungsoptimierung, das Erdbeben-Risikomanagement, die Modellierung von Randbedingungen, die Instandsetzung und das Bauwerksmonitoring aus wissenschaftlicher Sicht untersucht [3]. Die aktuellen Forschungsschwerpunkte sind Nachhaltigkeit, Lebenszyklus und Bestandsmodellierung von Denkmalen (auf Englisch Heritage-BIM, HBIM) [4]. In Deutschland liegt der Fokus aktuell auf der modellbasierten Baugenehmigung von Gebäuden [5], [6]. In Bezug auf die Realisierung von öffentlichen Infrastrukturprojekten wurden spezifische Anwendungsfälle zur Einführung der BIM-Methodik als Regelprozess gemäß dem Stufenplan Digitales Planen und Bauen [7] definiert. Die maßgebenden Anwendungsfälle für die Erstellung von statischen Berechnungen nach der BIM-Methodik sind die modellbasierte Nachweisführung und Bemessung von Bauwerken [8, 9]. Darüber hinaus sollen künftig die BIM-basierten Genehmigungs- und Freigabeprozesse von externen Behörden (z. B. Eisenbahn-Bundesamt, EBA) spezifiziert werden. Weitere spezifische Anwendungsfälle für Straßenbrücken sind die Bauwerksprüfung, die Nachrechnung von bestehenden Bauwerken, die Berechnung von Schwertransporten (inkl. Berechnungsstufen und Lastbildern), die Instandsetzung und die Erneuerung von Bauwerken [10]. 3. Methodik: Building Information Modeling Seit der Einführung des Stufenplan Digitales Planen und Bauen [7] im Jahr 2015 gelten die Eisenbahninfrastrukturunternehmen der Deutschen Bahn AG (DB InfraGO AG) als Vorreiter der BIM-Implementierung im Infrastruktursektor. Im selben Jahr begann die Pilotierung von BIM-Anwendungen bei Großprojekten der DB InfraGO AG Personenbahnhöfe (damals DB Station&Service AG). Eins davon war die Erneuerung des Hauptbahnhof Hannover [11]. Building Information Modeling (BIM) ist eine kooperative Arbeitsmethode auf der Basis digitaler Fachmodelle zur Umsetzung spezifischer Anwendungen während des gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks [7, 12]. Die Fach- 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 75 BIM-basierte Tragwerksplanung mit komplexen Randbedingungen und Bauphasen am Beispiel einer Eisenbahnbrücke im Hauptbahnhof Hannover modelle können sowohl räumliche, zeitliche und kostenaufwändige Dimensionen als auch uneingeschränkten semantischen Informationen aufweisen [12, 13]. Durch die Umsetzung der BIM-Methodik in der Planung am Hbf. Hannover sollten die Baukosten, die Bauzeiten und die Baurisiken des Projektes reduziert werden [14]. Im Fall von BW30 wurde die gesamte Planung von der Leistungsphase 2 bis zur Leistungsphase 6 gemäß HOAI nahtlos nach der BIM-Methodik erstellt. Bei jeder neuen Leistungsphase wurden sowohl der Detaillierungsgrad der Modellierung (auf Englisch Level of Geometry, LoG) als auch die semantische Beschreibung des Fachmodells (auf Englisch Level of Information, LoI) entsprechend des projektspezifischen BIM-Abwicklungsplans (BAP) erhöht. Der Ausarbeitungsgrad des Fachmodells (auf Englisch Level of Development, LoD) wird als Kombination der geometrischen und semantischen Detaillierungsgrade (LoG und LoI) beschrieben [15]. In der Ausführungsplanung wies das Fachmodell von BW30 ein LoD 400 auf. Das entspricht der Modellierung von Stahlbauanschlüssen (Stahlbleche und Schrauben), nachträglichen Befestigungen (Stabspanngliedern inkl. Anker) und dreidimensionaler Bewehrungsführung. Dieser Ausarbeitungsgrad lag der Ausschreibung der Leistungen für die Bauausführung zugrunde. 4. Umsetzung 4.1 Bestandsmodellierung Aufgrund der räumlichen Einschränkungen im Bauwerksbereich war die Genauigkeit der Bestandsmodellierung für den Entwurf maßgebend. Die Grundlagen für die Bestandsmodellierung waren alten und historischen Bestandspläne, konventionelle Vermessungen, Laserscanning (Punktwolken), Baustoffuntersuchungen (Kernbohrungen), Bilder und Ortsbesichtigungen. Abb. 4: Fachmodell Bestand BW30 [16] Die räumlichen Schnittstellen zu den umgebenden Bauwerken, der innere Auf bau der Wände, die Tiefe der Gründungssohle und die Festigkeit spezifischer Bauteile wurden anhand von Baustoffuntersuchungen ermittelt. In Abb. 5 ist die Planableitung der Schnittstelle zu einem benachbarten Bauwerk exemplarisch als Ergebnis der Bestandsmodellierung dargestellt. Abb. 5: Räumliche Begrenzung BW30 und BW34 [16] 4.2 Entwurf Für die Erneuerung des Hbf. Hannover gab es bereits Studien, die als Grundlage für die BIM-Planung gelten sollten. In diesen Studien wurden zahlreiche Varianten für den Ersatzneubau der drei identischen Stahlbrücken untersucht. Für die drei Bauwerke wurde stets dieselbe Vorzugsvariante empfohlen. Die bestehenden dreifeldrigen genieteten Stahlträgerrostbrücken sollten jeweils durch zwei einfeldrige Stahltröge mit orthotropen Platten ersetzt werden. Im Bauzustand war eine Kette von drei Hilfsbrücken pro Gleis geplant, die durch Pfähle und Spundbohlen im Gleisbereich tiefgegründet werden sollten. Diese spezifische Ausführung hätte eine Zustimmung im Einzelfall erfordert. Darüber hinaus waren Maßnahmen zur Unterfangung des benachbarten Bestandes vorgesehen. Im Rahmen der BIM-basierten Vorplanung wurde eine weitere Variante für den Ersatzneubau von BW30 identifiziert, die von der ursprünglichen Vorzugsvariante grundsätzlich abwich. Unter den spezifischen Randbedingungen von BW30 erwies sich ein einfeldriger Stahltrog mit dickem Blech gemäß Ril 804.9010, Abs. 5.4 als die optimale Lösungsvariante für den Ersatzneubau (siehe Abb. 6). Mit der Optimierung der Stützweite des neuen statischen Systems konnte sowohl auf die vom Regelwerk abweichende Hilfsbrückenkette als auch auf die Tiefgründung im Gleisbereich verzichtet werden. Die neuen Unterbauten wurden unterhalb des in Betrieb befindlichen Überbaus hergestellt. 76 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 BIM-basierte Tragwerksplanung mit komplexen Randbedingungen und Bauphasen am Beispiel einer Eisenbahnbrücke im Hauptbahnhof Hannover Abb. 6: Fachmodell Objektplanung BW30 (Mikropfähle halbtransparent dargestellt) [16] Um den Eingriff auf die benachbarten Bauwerke zu vermeiden bzw. zu minimieren, wurde ein Gründungssystem mit Mikropfählen entworfen. Mit einer nicht tief liegenden Baugrubensohle für die neuen Gründungsplatten und -balken waren aufwändige Unterfangungsmaßnahmen während der Bauausführung nicht mehr erforderlich. Darüber hinaus wurden der Bahnsteig im Bauwerksbereich, der Oberleitungsmast und die Brückenabdeckung von dem neuen Überbau entkoppelt, indem diese (außer dem Oberleitungsmast) in eine neue Stahlkonstruktion unterhalb des Überbaus integriert werden. Der Oberleitungsmast liegt im Endzustand auf dem benachbarten Bauwerk (BW29). Aus Sicht der Objektplanung waren der modellbasierte Bauablauf und die Bausimulationen für die Realisierbarkeitsprüfung des Entwurfes maßgebend. Anhand von diesen zwei spezifischen BIM-Anwendungsfällen konnten die räumliche und die zeitliche Durchführung der Baumaßnahme innerhalb der angemeldeten Gleissperrungen mit der geplanten Bautechnologie vierdimensional dargestellt werden. Der Freigabeprozess der alternativen Variante durch die Auftraggeberin wurde beschleunigt, indem die Nachvollziehbarkeit der Planung durch die Visualisierungen erleichtert wurde. Darüber hinaus wurden spezifische Themen in virtuellen Planungsgesprächen (auf Englisch Virtual Design Reviews, VDR) direkt am Modell mit den Projektbeteiligten diskutiert. Abb. 7: Bausimulation für die Montage des Überbaus (Umgebung nicht dargestellt) [16] Abb. 8: Montage des 80-Tonnen schweren Überbaus mittels zwei Eisenbahnkranen 4.3 Tragwerk und Bauzustände Das neue Gründungssystem von BW30 besteht aus Mikropfählen, Gründungsplatten und -balken, die für die Kraft- und Momentübertragung miteinander verbunden sind. Die Unterbauten der Brücke bestehen aus massiven Widerlagerwänden, die vor Ort hergestellt wurden, und aus Fertigteilen für die Kammerwände, die aus räumlichen Gründen erst nach dem Rückbau des bestehenden Bauwerks montiert und an die Widerlagerwände nachträglich befestigt wurden. Die Stahlkonstruktion im Gepäckcenter (unter und neben dem Überbau) erfüllt aus statischer Sicht drei Aufgaben. Sie dient als Kragarm für die Bahnsteigdecke im Bauwerksbereich, als Unterkonstruktion für die Anlagen im Gepäckcenter (z. B. Beleuchtung, Kabel, etc.) und als Brückenabdeckung zwischen den BW30 und BW29. Zwischen der Stahlkonstruktion und dem Überbau gibt es keine konstruktive Verbindung. Der Überbau ist ein gelenkiger Einfeldträger, der schwimmend gelagert ist. Das bedeutet, dass die Elastomerlager keine Festhaltung in Längsrichtung aufweisen. Nur ein Anteil der horizontalen Kräfte aus dem Eisenbahnverkehr wird durch die Elastomerlager in die Unterbauten übertragen. Der restliche Anteil wird durch das Gleis aufgenommen. Die Bahnsteigdecke wurde in Verbundbauweise hergestellt. Auf die Kragarme der Stahlkonstruktion wurden Fertigteile montiert. Anschließend wurde eine neue Ebene für die Bahnsteigdecke durch Beton vor Ort hergestellt. Der Verbund zwischen den Fertigteilen und der Ortbetonergänzung wurde nach der Erhärtung des Betons durch Schubbewehrung in Form von Bügeln sichergestellt. 4.4 Datenaustausch Aktuell liegen die technischen Voraussetzungen für die Interoperabilität zwischen BIM- und FE-Softwaren nicht ausreichend vor. Die Komplexität und Art des Tragwerks ist für die Übermittlung von statischen Informationen aus dem Fachmodell in die FE-Software maßgebend. In der Regel ist die automatische Übernahme von statischen Informationen ohne die nachträgliche Anpassung oder Ergänzung in der FE-Software nicht möglich. Darüber hinaus bietet aktuell keine Software funktionale und uneingeschränkte Round-Trip-Workflows an. Die Änderungen, die erst nach der Übermittlung in die FE-Software vorgenommen werden, gehen im Regelfall verloren [13]. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 77 BIM-basierte Tragwerksplanung mit komplexen Randbedingungen und Bauphasen am Beispiel einer Eisenbahnbrücke im Hauptbahnhof Hannover Abb. 9: Gegenüberstellung Fachmodell TWP und FEM [16] Aufgrund der Komplexität vom BW30, der zu berücksichtigenden Bauzustände und der vorliegenden technischen Einschränkungen konnten lediglich die physikalischen Eigenschaften der tragenden Bauteile des Fachmodells (Geometrie, Materialien) übertragen werden. Die restlichen relevanten Informationen für die statische Berechnung mussten direkt in der FE-Software definiert werden. In [13] schlagen Cosenza, Koch und Achenbach drei Kategorien für die Informationen vor, die aufgrund der aktuellen technischen Einschränkungen erst nach der Übertragung in die FE-Software definiert werden können: (1) spezifische Bauprodukte, Bauarten und Bauverfahren, (2) Einwirkungen und Lastgruppen für den Brückenbau und (3) rechnerische Bauzustände. Im Fall vom BW30 sind die Lager (Randbedingungen, Feder) und die Schubkraftübertragung für den Verbundbau (kinematische Kopplungen) einige Beispiele für die erste Kategorie. Die letzte Kategorie berücksichtigt die Bauzustände, in denen sich das statische System oder die Querschnitte der Tragglieder während der Bauausführung ändern. Die Dimensionalität der einzelnen Bauteile (1D/ 2D) wurde aus der BIM-Umgebung konsequent in die FE-Software übertragen. Mit Berücksichtigung der Bauphasen war ein vierdimensionales FE-Modell bestehend aus Flächen-, Stabelementen, kinematischen Kopplungen und Federn (siehe Tab. 1) die Grundlage für die numerische Simulation des Tragwerks. Tab. 1: Modellierung der Bauteile Element Bauteile Flächen Stahlbleche des Stahlrogs und Stahlbetonbauteile Stäbe Mikropfähle und Stahlkonstruktion kinematische Koppelungen Schweißnähte des Stahlrogs und Schubbewehrunge zw. Fertigteilen und Ortbetonergänzung der Bahnsteigdecke Feder Lager und SPitzenwiderstand der Mikropfähle Darüber hinaus wurden die statischen Informationen aus dem erstellten FE-Modell in eine weitere FE-Software als SAF (auf Englisch Structural Analysis Format) für die gesonderte Berechnung von lokalen Teilsystemen des Tragwerks (z. B. Knoten der Stahlkonstruktion) übermittelt. SAF ist ein Excel-basiertes Format für den spezifischen Austausch von relevanten Informationen für die Tragwerksplanung [17]. In der aktuellen Version können die Eigenschaften von Stab- und Flächenelementen, Auflagerbedingungen, Gelenken, Lasten, Lastgruppen, Lastfällen, Lastkombinationen und Schnittgrößen gespeichert werden [13]. 4.5 Berechnung und Bemessung Die Bautechnologie für den Ersatzneubau vom BW30 wurde maßgebend durch die vorliegenden räumlichen, zeitlichen und betrieblichen Randbedingungen im Hbf. Hannover bedingt. Zur Minimierung des Eingriffes in den Eisenbahnbetrieb wurde nach dem aktuellen Entwurf ein Teil des neuen Bauwerks unter dem in Betrieb befindlichen Überbau hergestellt. Anschließend wurden innerhalb einer Gleissperrung von wenigen Tagen das bestehende Bauwerk zurückgebaut und der Ersatzneubau fertiggestellt. Um diesen Zweck zu erfüllen, kamen in der Bauausführung Fertigteile zum Einsatz, deren Tragwirkung unmittelbar nach der Montage zur Aufnahme bauzeitlichen Einwirkungen aktiviert wurde. Im Endzustand werden diese Fertigteile unter anderen Randbedingungen (z. B. Verbundbau) weiter belastet. Somit ergeben sich Bauzustände, die eine maßgebende Änderung im System darstellen. Ihr Einfluss auf die Bemessung wurde durch die Definition von Bauphasen (siehe Tab. 2) in der Berechnung berücksichtigt. Tab. 2: Bauphasen (BP) für die Berechnung BP-Nr. Änderung im System 10 Herstellung des Grünungssystems und der Widerlagerwände 11..13 Kriechen und Schwinden (28 Tage) 20 Montage der FT für die Kammerwände, der Stahlkonstruktion, des Überbaus und der FT für die Bahnsteigdecke 21..23 Kriechen und Schwinden (28 Tage) 30 Ansatz des Erddruckes auf die Unterbauten 40 Ansatz des Eigengewichts der Ortbetonergänzung 41 Aktivierung der Steifigkeit der Ortbetonergänzung 42..44 Kriechen und Schwinden (28 Taege) 50 Ansatz der ständigen Einwirkungen 51..53 Kriechen und Schwinden (100 Jahre) 78 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 BIM-basierte Tragwerksplanung mit komplexen Randbedingungen und Bauphasen am Beispiel einer Eisenbahnbrücke im Hauptbahnhof Hannover Der ausgewählte Ansatz für die numerische Simulation verfolgte in erster Linie die Optimierung des Tragwerks aus statischer und konstruktiver Sicht. Diesbezüglich gab es kritische Punkte, die im Rahmen der bautechnischen Prüfung gesondert nachgewiesen werden mussten. Der geplante Überbau weist eine außergewöhnliche Schlankheit von 1: 20 (0,8/ 16,0) für einen Stahltrog mit dickem Blech gemäß Ril 804.9010, Abs. 5.4 auf. Die Berechnung und die Nachweisführung erfolgten auf Grundlage des erstellten FE-Teilmodells aus Flächenelementen (Stahlblechen), kinematischen Kopplungen (Schweißnähten) und Federn (Lagern). Abb. 10: FE-Teilmodell des Überbaus [16] Darüber hinaus gab es Bedenken aus Sicht des Prüfsachverständigen, dass die punktuelle Belastung der Mikropfähle in die 80 cm dicken Gründungsplatten in Bezug auf das auftretenden Durchstanzen nicht aufgenommen werden könnte. Für den Durchstanznachweis im Pfahlkopf bereich wurde ein lokales Stabwerkmodell bestehend aus Druck- und Zugstreben gemäß DIN EN 1992, Abs. 6.5 und [18] aufgestellt (siehe Abb. 11). Die auftretende Zugkraft in den Zugstreben wird durch die entsprechende Bewehrungsführung in diesen Bereichen aufgenommen. Abb. 11: Stabwerkmodell im Bereich des Pfahlkopfes [16] Analog dazu wurden weitere Bereiche des Bauwerks nachgewiesen, in denen eine statische Diskontinuität in Form punktueller Belastung auftritt. Das ist der Fall im Bereich der nachträglichen Befestigung zwischen den Widerlagerwänden und den Fertigteilen für die Kammerwände (siehe Abb. 12). Als nachträgliche Befestigung sind 13 Stabspannglieder je Wand vorgesehen, die nach der Montage der Fertigteile im hinteren Bereich beider Bauteile eingebaut und vorgespannt werden. Abb. 12: FE-Teilmodell der Unterbauten inkl. FT [16] Im globalen FE-Modell wird diese Verbindung anhand von kinematischen Kopplungen simuliert. Die Modellierung der betroffenen Diskontinuitätsbereiche im FE- Modell („Fuß“ der Fertigteile und „Konsole“ der Widerlagerwände) dienen lediglich dazu, die auftretenden Kräfte in den Stabspanngliedern zu ermittelt. Die Nachweisführung dieser Bereiche erfolgt getrennt in lokalen Stabwerkmodellen. Darüber hinaus wurden weitere Knoten am Modell wie die Verbindungen der Stahlkonstruktion ebenfalls als Teilmodelle gesondert bemessen (siehe Abb. 13). Abb. 13: Vergleichsspannung am Trägerstoß [16] 4.6 Integration der Ergebnisse in das Fachmodell Sowohl die Berechnung der auftretenden Schnittgrößen, Spannungen und Verformungen am Tragwerk als auch die Nachweisführung in den Grenzzuständen der Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit wurden modellbasiert durchgeführt. Die Bemessungsergebnisse für die Bautei- 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 79 BIM-basierte Tragwerksplanung mit komplexen Randbedingungen und Bauphasen am Beispiel einer Eisenbahnbrücke im Hauptbahnhof Hannover le aus Baustahl sind die maximalen Ausnutzungsgrade. Für die Bauteile aus Stahlbeton wird die rechnerische erforderliche Bewehrung für die Flächenelemente in Form von Höhenlinien dargestellt. Das entspricht nicht der finalen Bewehrungsanordnung in den Bauteilen. Die weiteren Nachweise zur Einhaltung der Bewehrungs- und Konstruktionsregeln gemäß DIN EN 1992-2, Abs. 8 und 9 wurden außerhalb des FE-Modells geführt. Beispielsweise wurden die konstruktive Mindestbewehrung, die Zugkraftdeckung, die mind. Verankerungs- und Übergreifungslängen händisch bzw. tabellarisch nachgewiesen. Eine automatische Übernahme von Bemessungsergebnissen für den Stahlbeton aus der FE-Software in die BIM- Umgebung ist für Ingenieurbauwerke nach dem aktuellen Stand der Technik nicht möglich. Die dreidimensionale Bewehrungsführung für BW30 wurde auf Grundlage der Ergebnisse aus der FE-Software mit Berücksichtigung der händischen bzw. tabellarischen durchgeführten Nachweisen direkt in der BIM-Software erstellt (siehe Abb. 14). Abb. 14: Auszug aus der 3D-Bewehrungsführung der Gründungsplatte und -balken (Pfahlköpfe in Grau innerhalb des Bewehrungskörpers dargestellt) [16] Darüber hinaus wurden die Bemessungslasten der Mikropfähle (Normalkräfte) als semantische Eigenschaften in das Fachmodell integriert (siehe Abb. 15). Auf dieser Grundlage wurde die statische Probebelastung zur Bestätigung des angenommenen Pfahlwiderstandes auf der Baustelle durchgeführt. In Bezug auf den offenen und herstellerneutralen Datenaustausch sieht das IFC-Schema eine spezifische Domäne für die Tragwerksplanung vor [13]. Mit der Entität IfcStructuralReaction können statische Informationen wie Schnittgrößen und Verformungen beschrieben werden [19]. Abb. 15: Bemessungslasten eines Mikropfahles (exemplarisch dargestellt) [16] 4.7 Weitere Anwendungsfälle Im Rahmen der bautechnischen Prüfung wurde zusätzliche Bewehrung im Bereich der Pfahlköpfe zur Verstärkung der Gründungsplatten angeordnet. Die Realisierbarkeit der komplexen Bewehrungsführung in den 80 cm dicken Gründungsplatten wurde direkt im Fachmodell geprüft. Das stellte eine Abweichung von der konventionellen Kollisionsprüfung dar, in der die räumliche Freiheit zwischen den Bauteilen im Fachmodell regelbasiert geprüft wird. In dem spezifischen Anwendungsfall für die Tragwerksplanung wurde die räumliche Freiheit zwischen den Bewehrungsstäben und den Pfahlköpfen innerhalb der Bauteile modellbasiert geprüft. Abb. 16: Kollisionsprüfung zwischen den Bewehrungsstäben und den Pfahlköpfen (nur ein Segment der Gründungsplatte dargestellt) [16] Dies erwies sich auf der Baustelle als effektive Vorbeugungsmaßnahme zur Vermeidung von räumlichen Konflikten mit der Bewehrungsführung an den kritischen Stellen des Bauwerks (siehe Abb. 17). 80 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 BIM-basierte Tragwerksplanung mit komplexen Randbedingungen und Bauphasen am Beispiel einer Eisenbahnbrücke im Hauptbahnhof Hannover Abb. 17: Verlegung der Bewehrung im Bereich der Pfahlköpfe (laufender Prozess) [20] Weitere relevante Anwendungsfälle für die BIM-basierte Tragwerksplanung von BW30 waren die Planableitung (siehe Abb. 18) und die modellbasierten Qualitätsprüfungs-, Koordinations- und Abstimmungsprozesse mit den internen und externen Projektbeteiligten. Die bautechnische Prüfung fand auf Grundlage von digitalen Planunterlagen in Form von pdf-Dateien statt. Für das Prüfverfahren wurden insgesamt 79 Pläne aus dem Fachmodell abgeleitet. Abb. 18: Planableitung der Bewehrungsführung im Bereich der Gründungsplatten [16] 5. Diskussion Ab dem Jahr 2025 soll die BIM-Methodik bei der Realisierung öffentlicher Infrastrukturprojekte standardmäßig angewandt werden. Dennoch ist von der Erstellung bzw. Ableitung von Planunterlagen nicht abzusehen, solange die Anwendung von Fachmodellen im Rahmen der Bauaufsicht nicht geregelt ist. Das sollte künftig im Regelwerk explizit zugelassen sein. Die Voraussetzung dafür ist die Spezifizierung der Anforderungen, der Randbedingungen, der Einschränkungen und der Prozesse für die Anwendung von Fachmodellen im Prüfverfahren [13]. Aktuell sind zweidimensionale Darstellungen des Tragwerks die Grundlagen für die bautechnische Prüfung, die Freigabe zur Bauausführung und die Übereinstimmungskontrolle vor Ort durch die Bauüberwachung. In einem BIM-basierten bauaufsichtlichen Prüfverfahren wird das Bauwerk nicht auf zwei Dimensionen reduziert. Die Freigabe und die Übereinstimmungskontrolle auf der Baustelle soll auf Grundlage von mehrdimensionalen (>2D) Fachmodellen erfolgen. Zu diesem Zweck schlagen Cosenza, Koch und Achenbach in [13] eine bauteilbezogene Freigabe im Fachmodell vor. In Bezug auf die Integration von statischen Informationen in das Fachmodell wurden im Fall vom BW30 lediglich die Bemessungslasten der Mikropfähle als Normalkräfte in das IFC-Format gespeichert. Obwohl das IFC-Schema eine spezifische Domäne für die Tragwerksplanung anbietet, wird diese Austauschmöglichkeit wegen der aktuellen technischen Einschränkungen zwischen den BIM- und FE-Software für Ingenieurbauwerke kaum genutzt. Eine Alternative dazu ist die Anwendung des SAF (auf Englisch Structural Analysis Format) für den spezifischen Austausch von statischen Informationen. Aktuell gewinnt SAF bei den Tragwerksplanern wegen seines objektorientierten Auf baus in Excel an Bedeutung, da dies die Nachvollziehbarkeit der Austauschdaten für die Anwender erleichtert. Dennoch erfüllt dieses Format aktuell nicht alle Voraussetzungen für den neutralen Datenaustausch nach dem OpenBIM-Ansatz [13]. 6. Zusammenfassung und Ausblick Für den Ersatzneubau von BW30 war die konsequente Anwendung der BIM-Methodik von der Vorplanung bis zur Ausführung für die Planungsoptimierung maßgebend. Anhand von spezifischen Anwendungsfällen konnten die Realisierbarkeit und die Standsicherheit des optimierten Entwurfs nachgewiesen werden. Aktuell liegen die technischen Voraussetzungen für den reibungslosen Datenaustausch zwischen BIM- und FE- Softwaren für Ingenieurbauwerke nicht ausreichend vor. Aus dem Fachmodell vom BW30 konnten lediglich die physikalischen Eigenschaften der tragenden Bauteile (Geometrie, Materialien) übertragen werden. Die restlichen relevanten Informationen für die statische Berechnung wurden direkt in der FE-Software definiert. Die Bauzustände, die eine maßgebende Änderung im System darstellten, wurden in der FE-Software durch numerische Bauphasen simuliert. Darüber hinaus wurden Stabwerkmodelle bestehend aus Druck- und Zugstreben gemäß DIN EN 1992, Abs. 6.5 für die Bemessung der Diskontinuitätsbereiche im System erstellt. Diese stellten Teilmodelle dar, die das globale Fachmodell mit spezifischen Informationen für die Tragwerksplanung ergänzten. In Bezug auf die Bemessung von Bauteilen aus Stahlbeton können aktuell nicht alle Nachweise zur Ermittlung der Bewehrungsanordnung modellbasiert durchgeführt werden. Die Nachweise zur Einhaltung der Bewehrungs- und Konstruktionsregeln gemäß DIN EN 1992-2, Abs. 8 und 9 werden in der Regel händisch bzw. tabellarisch geführt. Auf Grundlage der maßgebenden Bemessungsergebnisse aus der FE-Software und den weiteren Nachweisen wurde 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 81 BIM-basierte Tragwerksplanung mit komplexen Randbedingungen und Bauphasen am Beispiel einer Eisenbahnbrücke im Hauptbahnhof Hannover die Bewehrungsführung für BW30 direkt in die BIM-Umgebung definiert. Zur Realisierbarkeitsprüfung der Bewehrungsführung an kritischen Stellen des Bauwerks wurde die räumliche Freiheit zwischen den Bewehrungsstäben und den Pfahlköpfen modellbasiert geprüft. Das stellte einen abweichenden Anwendungsfall der konventionellen Kollisionsprüfung zwischen Bauteilen im Fachmodell dar. Hinsichtlich der Bauaufsicht von Ingenieurbauwerken ist die BIM-Anwendung in Deutschland nicht geregelt. Solange die Voraussetzungen für ein BIM-basiertes bauaufsichtliches Prüfverfahren nicht abschließend geklärt sind, besteht nach wie vor die Notwendigkeit von zweidimensionalen Planunterlagen als Grundlage für die Realisierung von öffentlichen Infrastrukturprojekten. Literaturangaben [1] DB InfraGO AG: Übersicht Bauwerke Hbf. Hannover, 2016 [2] Vilutiene, T., Kalibatiene, D., Hosseini, M. R., Pellicer, E. u. Zavadskas, E. K.: Building Information Modeling (BIM) for Structural Engineering: A Bibliometric Analysis of the Literature. Advances in Civil Engineering (2019) [3] Ciotta, V., Asprone, D., Manfredi, G. u. Cosenza, E.: Building Information Modelling in Structural Engineering: A Qualitative Literature Review. CivilEng (2021) [4] Fernández-Mora, V., Navarro, I. J. u. Yepes, V.: Integration of the structural project into the BIM paradigm: A literature review. Journal of Building Engineering 53 (2022), S.-104318 [5] Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung: Konzept für die nahtlose Integration von Building Information Modeling (BIM) in das behördliche Bauantragsverfahren. BIM-basierter Bauantrag. Abschlussbericht, 2020. https: / / www.bimdeutschland. de/ service/ downloads, abgerufen am: 28.03.2024 [6] König, M., Stepien, M., Aziz, A., Vonthron, A., Schulz-Witte, N., Walter, T., Kohlhaas, A. u. Polay, S.: Forschungsprojekt zur Digitalisierung der Musterbauordnung (MBO). Aufbereitung der MBO für BIM-basierte Prüfwerkzeuge. Abschlussbericht, 2023 [7] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Stufenplan Digitales Planen und Bauen, Berlin 2015. https: / / www.bundesregierung. de/ breg-de/ service/ publikationen/ stufenplan-digitales-planen-und-bauen-730980, abgerufen am: 28.03.2024 [8] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: BIM4INFRA2020 Teil 6. Steckbriefe der wichtigsten BIM-Anwendungsfälle, 2019. https: / / www.bimdeutschland.de/ fileadmin/ media/ Downloads/ Download-Liste/ BIM4INFRA/ 3_6_BIM4IN- FRA2020_AP4_Teil6.pdf, abgerufen am: 28.03.2024 [9] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Masterplan BIM Bundesfernstraßen. Rahmendokument: Steckbriefe der Anwendungsfälle - V 1.0, 2021. https: / / www.bmdv.bund.de/ SharedDocs/ DE/ Anlage/ StB/ bim-rd-anwendungsfaelle.pdf? __blob=publicationFile, abgerufen am: 28.03.2024 [10] Seitner, M., Probst, R., Borrmann, A. u. Vilgertshofer, S.: Building Information Modeling (BIM) im Brückenbau. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen. Brücken- und Ingenieurbau Heft B 182, Bremen 2022 [11] DB Engineering & Consulting GmbH u. ZPP Ingenieure AG: BIM - Building Information Modeling. Hannover Hauptbahnhof: Bauen im Bestand digitales Bestandserfassung, -koordination und -kontrolle, 2017 [12] Borrmann, A., König, M., Koch, C. u. Beetz, J.: Die BIM-Methode im Überblick. In: Borrmann, A., König, M., Koch, C. u. Beetz, J. (Hrsg.): Building information modeling. Technologische Grundlagen und industrielle Praxis. VDI-Buch. Wiesbaden, Heidelberg: Springer Vieweg 2021, S.-1-31 [13] Cosenza, G., Koch, C. u. Achenbach, M.: Aktueller Stand der bautechnischen Prüfung von Ingenieurbauwerken nach der BIM-Methodik. In: Lochner- Aldinger, I. u. V, Technische Akademie Esslingen e. (Hrsg.): 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau. 2024 [14] DB Station&Service AG u. Emch+Berger GmbH: BIM-Projektabwicklungsplan. Hannover Hbf, Erneuerung Bahnsteig B, 2021 [15] Abualdenien, J., Borrmann, A. u. König, M.: Ausarbeitungsgrade von BIM-Modellen. In: Borrmann, A., König, M., Koch, C. u. Beetz, J. (Hrsg.): Building information modeling. Technologische Grundlagen und industrielle Praxis. VDI-Buch. Wiesbaden, Heidelberg: Springer Vieweg 2021, S.-165-191 [16] Emch+Berger GmbH: BIM-Planung Ersatzneubau BW30. Hbf. Hannover, Bstg. B, 2024 [17] Dlubal, D.: BIM-relevante Schnittstellen in der Tragwerksplanung. In: Lochner-Aldinger, I. u. V, Technische Akademie Esslingen e. (Hrsg.): 1. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau. Kompetenz- Plattform für die bautechnische Gesamtplanung. Tübingen: expert verlag 2022, S.-157-162 [18] Schlaich, J. u. Schäfer, K.: Konstruieren im Stahlbetonbau. In: Beton-Kalender 87. Berlin: Ernst & Sohn 1998, S.-721-891 [19] buildingSMART: IFC Specifications Database, 2024. https: / / standards.buildingsmart.org/ IFC/ RELEASE/ IFC4/ FINAL/ HTML/ , abgerufen am: 30.06.2024 [20] DB Engineering & Consulting GmbH: Bauüberwachungsaufnahmen der laufenden Bewehrungsverlegung für die Gründung von BW30. Baustelle: Hbf. Hannover, Bstg. B, Gepäckcenter, 2024 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 83 Moderne Stahlbauplanung als Beitrag für ein digitales Erhaltungsmanagement am Beispiel von Brücken Ein Beitrag aus Sicht der Werkstattplanung im Stahlbau Dr.-Ing. Nico Steffens Gregull + Spang Ingenieurgesellschaft für Stahlbau mbH, Stahnsdorf Dipl.-Ing. Marian Kempkes Gregull + Spang Ingenieurgesellschaft für Stahlbau mbH, Stahnsdorf Zusammenfassung Im Stahlbau schließt an die Ausführungsplanung üblicherweise die Werkstattplanung an. In dieser Planungsphase erfolgt die vollständige und detaillierte Konstruktion des Tragwerks und die Erstellung der Werkstattpläne zur Herstellung aller Einzelteile im Stahlbauunternehmen. Die Werkstattplanung kann heutzutage vollständig am 3D-Modell erfolgen. Dies betrifft sowohl den Neubau wie auch die Planung im Bestand im Falle von Ertüchtigungsmaßnahmen. Nach Abschluss der Werkstattplanung liegt ein detailreiches 3D-Modell (BIM-Fachmodell) der Brücke im Maßstab 1: 1 (mm-genau) vor. Im Rahmen der Bauwerkserhaltung wird im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung angestrebt, das gesamte Dokumentenmanagement inklusive aller zur Verfügung stehenden Informationen an einem digitalen Zwilling zu gestalten. In diesem Beitrag wird gezeigt, wie durch die Fortschreibung des aus der Werkstattplanung ohnehin vorhandenen 3D-Modells ein Mehrwert für das weitere Lebenszyklusmanagements im Zuge der Bauwerkserhaltung generiert werden kann. 1. Einführung Für die Formgebung und die Querschnittsgestaltung müssen im Stahlbau, speziell im Brückenbau, im Zuge der Fertigung zunächst Blechtafeln zugeschnitten und zusammengeführt werden. Hierfür reicht die Detailtiefe nach Abschluss der Ausführungsplanung i.-d.-R. nicht aus. Aussparungen, Anschlussdetails, lokale Blechverstärkungen u. ä. sind im Zuge der Ausführungsplanung noch nicht ausreichend detailliert. Im Stahlbau schließt daher an die Ausführungsplanung üblicherweise die Werkstattplanung (kurz: Werkplanung) als besondere Leistung nach HOAI an. Im Zuge der Werkstattplanung erfolgt eine detaillierte CAD-Konstruktion aller herzustellenden Bau- und Einzelteile. 2. Moderne Stahlbauplanung 2.1 Digitalisierung des Konstruktions- und Fertigungsprozesses Vom Stahlbauunternehmen müssen große Blechtafeln geschnitten, gebohrt, gebrannt oder gestanzt werden. Die Verarbeitung erfolgt durch numerisch gesteuerte Maschinen (numerical control: NC). Diese werden mit den erforderlichen Geometriedaten gespeist. Bis Anfang der 1990er Jahre erfolgte diese Dateneingabe noch manuell auf Grundlage der in Papierform vorliegenden Werkpläne. In dieser Zeit wurden bereits erste digitale Konstruktionszeichnungen mittels CAD in 2D erstellt. Da Konstruktionszeichnungen nunmehr erstmals digital vorlagen, konnten auch die Geometriedaten direkt aus den CAD- Zeichnungen abgeleitet werden. Es entwickelte sich ein Standard-Dateiformat (NC-Daten) [1] als Schnittstelle zwischen der CAD-Konstruktion und der NC-Steuerung der Maschine. Bestandteil der Werkplanung im Stahlbau ist neben der Erstellung der Werkpläne i.-d.-R. auch die Übergabe der NC-Daten. Das NC-Datenformat enthält alle Informationen, die für die Verarbeitung mittels NC-gesteuerter Maschinen erforderlich sind und hat sich weltweit als Standard-Schnittstelle zwischen der CAD- Konstruktion und NC-gesteuerten Maschinen etabliert, siehe auch [2]. Anfang der 2000er Jahre wurden erste Konstruktionszeichnungen am 3D-Modell erstellt. Die Vorteile lagen u.-a. in der noch besseren Kontrolle von Passgenauigkeiten, Kollisionen und Massenermittlungen. Erst seit wenigen Jahren wird quasi standardmäßig eine Detailtiefe bis hin zur Darstellung der Schweißnähte und Schraubengarnituren im 3D-Modell umgesetzt. Hierdurch können bereits im Zuge der Werkplanung auch Kollisionen zum Beispiel zwischen Schweißnähten und Schrauben(köpfen) erkannt werden. Eine grobe Einordnung der zeitlichen Entwicklung der CAD-Konstruktion und damit der Digitalisierung des Konstruktions- und Fertigungsprozesses im Stahlbau in den letzten 30 Jahren ist in Abb.-1 gegeben. Vielfach wird im Stahlbau schon seit ca. 20 Jahren standardmäßig am 3D-Modell konstruiert. In gleicher Weise, wie sich die CAD-Konstruktion entwickelt und entwickelt hat, steigern sich auch die Möglichkeiten in der Fertigung mittels NC-gesteuerter Maschinen. 84 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Moderne Stahlbauplanung als Beitrag für ein digitales Erhaltungsmanagement am Beispiel von Brücken Abb. 1: Digitalisierung des Konstruktionsprozesses Der Stahlbau ist wegen seinem hohen Vorfertigungsgrad seit jeher dadurch geprägt, Kollisionen frühzeitig zu erkennen und entsprechend die Planung mit maximalem Detailierungsgrad vorzunehmen. Aufgrund der umfangreichen Informationen des 3D-Modells findet heute vielfach die komplette Ablaufsteuerung anhand des 3D-Modells statt. dies kann den Einkauf, die Beschichtung bis hin zum Transport (Bauteillängen, exakte Gewichte etc.) betreffen. 2.2 Konstruktion am 3D-Modell Im Falle des Neubaus liegt üblicherweise zunächst das Berechnungsmodell aus der Tragwerksplanung vor. Die gängigen Softwareprogramme bieten Schnittstellen an, um das statische Berechnungsmodell in eine Konstruktions-Software (CAD) zu übertragen. Im Falle eines Bestandsbauwerks liegt ggf. ein Berechnungsmodell z. B. aus einer Nachrechnung vor, das exportiert werden kann. Alternativ können beispielsweise mittels 3D-Laserscan die Geometriedaten als Punktwolke generiert werden [3]. Im CAD-Programm wird die Konstruktion weiter detailliert. Dies können (über das statische Berechnungsmodell hinausgehende) Detailpunkte der Tragwerksplanung oder Elemente der Objektplanung sein. Die erreichbare Detailtiefe am Ende der Werkplanung ist exemplarisch in Abb.- 2 dargestellt. Eine exemplarische Zusammenstellung des Informationsgehaltes enthält Tab. 1. Plotbare 2D-Pläne werden aus diesem 3D-Modell abgeleitet. Abb. 2: Bsp. Detailierungsgrad des Konstruktionsmodells im Zuge der Werkplanung einer Fußgängerbrücke Tab. 1: Exemplarischer Informationsgehalt des 3D-Modells am Ende der Werkplanung (Auszug) Tragwerksplanung - Anschlussdetails inkl. Schrauben + Schweißnaht - Rippen, z. B. Lasteinleitung, Lager etc. - Saumbleche - Querschotte Objektplanung - Schifffahrtszeichen inkl. Unterkonstruktion - Schwingungstilger inkl. Unterkonstruktion - Fahrbahnübergangskonstruktion inkl. Abdeckblech - Entwässerungsleitung mit genauer Bezeichnung der Einzelteile - Geländer inkl. Füllstäbe mit Zinkentlüftung - Messbolzen - Beleuchtung und Kabelführung Montageplanung - exakte Lage aller Längs- und Quernähte sowie aller Blechstöße - Montagestöße 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 85 Moderne Stahlbauplanung als Beitrag für ein digitales Erhaltungsmanagement am Beispiel von Brücken Die Detailtiefe des Modells kann je nach Erfordernis variieren. Ein wesentlicher Vorteil der Modellierung in 3D aus Sicht der Werkplanung liegt im frühzeitigen Erkennen von Kollisionen. Dies spielt ganz besonders im Industriebzw. Kraftwerksbau eine große Rolle, wo ggf. eine Vielzahl Maschinen, Leitungen oder Arbeitsbereiche berücksichtigt werden müssen, siehe Abb. 3. Abb. 3: Bsp. Kollisionskontrolle am Konstruktionsmodell im Zuge der Werkplanung einer Rohrbrücke Die im Stahlbau üblichen detailreichen 3D-Modelle im Zuge der Werkplanung haben sich vor allem aus den Anforderungen hinsichtlich der Fertigung und Ausführung entwickelt. Die wesentlichen Vorteile aus Sicht der Werkplanung bzw. der Fertigung sind: • Ableiten der NC-Daten und 2D-Pläne • Massenermittlung, Bestellung der Blechtafeln • exakte Schwerpunktlage des fertigen Bauwerks sowie einzelner Schüsse für die Montage, Abb. 4 • Pass- und Kollisionskontrolle von Bauteilen • Zugänglichkeiten z. B. im Zuge der Montage, Schweißbarkeit etc., bspw. Abb. 5 • Bauteilzusammenhänge erkennen (z.-B. Montagereihenfolge, Vollständigkeit der Konstruktion etc.) • Bauteileigenschaften definieren, ändern, sortieren • Bauabläufe steuern Abb. 4: Bauteilgewichte und erforderliche Seillängen einzelner Baugruppen im Zuge der Montage Abb. 5: Passung und Zugänglichkeit von Gerüsttürmen zur Montage 2.3 Informationstiefe und Einordnung im BIM- Prozess Die Informationstiefe eines Modells kann gemäß dem Masterplan BIM vom BMVI [4] anhand des LOIN (engl.: Level of information need) festgelegt werden. In der Handreichung BIM des BMVI [5] wird hierfür der Ausarbeitungsgrad (oder auch Fertigstellungsgrad) LOD (engl.: Level of Development) verwendet, siehe Abb. 6. Abb. 6: Informationstiefe und Ausarbeitungsgrad Die Informations(bedarfs)tiefe setzt sich gemäß DIN EN 17412 [6] aus dem geometrischen Detailierungsgrad (LOG, engl.: Level of Geometry) und dem alphanumerischen Detailierungsgrad (LOI, engl.: Level of Information) zusammen. Die geometrische Detailierung entspricht grundsätzlich der zunehmenden Maßstabsgenauigkeit. Die alphanumerische Detailierung beschreibt die hinterlegten Informationen zur eindeutigen Identifikation der Modellelemente. Abb. 7: Zusammensetzung des LOIN gemäß DIN-EN-17412 86 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Moderne Stahlbauplanung als Beitrag für ein digitales Erhaltungsmanagement am Beispiel von Brücken Die Informationstiefe am Ende der Werkplanung entspricht einem LOIN 400 („as-planned“), siehe bspw. Abb.- 8. Danach gibt es nur noch eine höhere Stufe LOIN-500. Hiermit wird die Dokumentation der ausgeführten Bauteile gemeint („as-built“). Am Ende der Werkplanung liegt ein 3D-Modell der Brücke (digitaler Zwilling) vor, in dem praktisch alle Bauteile mit zugehörigen Informationen vorhanden sind. Die weitere Nutzung dieses 3D-Modells im Rahmen einer digitalen Bauwerksverwaltung ist naheliegend. Das im Zuge der Werkplanung erstellte 3D-Modell stellt das Brückentragwerk oberhalb der Lager detailliert dar. Im Sinne der BIM-Definition wird dieses als BIM-Fachmodell (Brückenmodell) bezeichnet. Innerhalb eines gesamten BIM- Managements bzw. einer digitalen Bauwerksverwaltung (Abs. 3.2) stellt dieses Fachmodell nur einen Teil dar und muss durch weitere Fachmodelle (Unterbauten, Straßenbau, Umgebung etc.) z. B. ebenfalls in Form von IFC-Dateien ergänzt werden. Abb. 8: oben: Auszug aus Einzelteilzeichnung, unten: Einzelteil im 3D-Modell mit Eigenschaften (Auszug) 3. Erhaltungsmanagement von Brücken 3.1 Allgemein Das Erhaltungsmanagement von Brücken setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen. Folgende wesentlichen Handlungsfelder sind Teil des Erhaltungsmanagements von Brücken. • Bauwerksprüfung im Zuge von Straßen und Wegen nach DIN 1076 [7] • Nachrechnungen von Straßenbrücken nach Nachrechnungsrichtlinie aus dem Jahr 2011 [8] (eine Überarbeitung mit erweiterten Ansätzen z.-B. zu den Lastmodellen für den Bestand als Teil 2 der BEM-ING ist in Vorbereitung) und von Eisenbahnbrücken nach Richtlinie 805 aus dem Jahr 2024 [9] • Bauwerksmessungen liefern ergänzende Informationen für die Bewertung von Bauwerken. Messtechnische Bauwerksuntersuchungen bzw. darauf aufbauende messwertgestützte Bauwerksbeurteilungen ermöglichen i.-d.-R. eine realitätsnähere Bewertung bestehender Tragwerke als eine rein rechnerische Analyse, siehe z. B. [10]. • SIB-Bauwerke stellt das Software-Paket dar, in dem im Sinne einer digitalen Datenbank, alle Informationen zum Tragwerk abgelegt werden. Ziel des Erhaltungsmanagements ist es, die vorhandenen Informationen der Bestandsbauwerke zunächst zu bündeln. Aus den vorliegenden Informationen eines konkreten Bauwerks müssen Entscheidungen getroffen werden können, ob ein Tragwerk noch in ausreichend gutem Zustand ist und für eine ausreichende Nutzungszeit als sicher eingestuft werden kann, oder ob - und wenn ja: wann - ggf. Handlungsbedarf besteht. Bauwerksübergreifend müssen die Bauwerksdaten in der Form vorliegen, dass verallgemeinerungsfähige Aussagen zum Beispiel zum erwartenden Mittelbedarf in den kommenden Jahren möglich werden. 3.2 Cloud-basiertes Erhaltungsmanagement Aus dem Konstruktionsmodell (Datenformat je nach gewählter CAD-Software) kann eine IFC-Datei erstellt werden. Durch das IFC-Dateiformat als offener BIM- Standard ist eine Überführung bzw. Integration des 3D- Modells in übergeordnete Modelle bzw. Umgebungen jederzeit unkompliziert möglich. IFC-Dateien lassen sich durch verschiedene Viewer öffnen. Die IFC-Datei selbst ist nur noch bedingt veränderbar und stellt einen gewissen Schreibschutz dar. Der Informationsgehalt ist weiterhin vorhanden, siehe Abb. 9. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 87 Moderne Stahlbauplanung als Beitrag für ein digitales Erhaltungsmanagement am Beispiel von Brücken Abb. 9: Zugriff auf das IFC-Modell von der BIM-Plattform aus Die Verwaltung verschiedener 3D-Modelle in Form von IFC-Dateien, weitere Bauwerksdokumente, wie Pläne, Bauwerksbuch etc. z.-B. im PDF-Format erfolgt idealerweise in einer cloudbasierten BIM-Plattform, einer sogenannten CDE (engl.: common data environment), siehe Abb. 10. Die Bestandsdaten aus den verschiedensten Quellen können im 3D-Modell verknüpft werden. In diesem digitalen Zwilling werden alle Informationen gebündelt, übersichtlich vereint sowie die Ableitung weiterer Maßnahmen ermöglicht. In [11] ist ein Überblick über die Verknüpfung der verschiedenen Fachdisziplinen gegeben. Alle auf der BIM-Plattform (CDE) abgelegten Dokumente können angesehen, heruntergeladen und bearbeitet oder auch mit Objekten des 3D-Models verknüpft werden. Hierdurch haben alle Beteiligten zum richtigen Zeitpunkt den erforderlichen Zugriff auf benötigte Daten. Abb. 10: Weiternutzung des BIM-Fachmodells im Lebenszyklusmanagement 4. Ausblick - Fortschreibung des BIM-Modells im Lebenszyklus Es muss zunächst das Planungsmodell („as-planned“) in ein Bestandsmodell („as-built“) überführt werden. Dies entspricht der üblichen Überführung der Ausführungsunterlagen in die Bestandsunterlagen (Gleichstellung). Der Informationsgehalt wird von LOIN 400 auf LOIN-500 erweitert, siehe Abs. 2.3. Bei Stahltragwerken ist die wesentliche Struktur i.-d.-R. unverändert gegenüber der Werkplanung. Es liegen keine bzw. geringere Unsicherheiten z.-B. bzgl. Geometrie vor, was an dem hohen Vorfertigungsgrad liegt. Die Überführung des asplannedzum as-built-Modell ist daher bei Stahlbrücken etwas klarer. Dennoch sind auch bei Stahlbrücken für diese Überführung das Vorgehen und geeignete Kriterien zu definieren. Wesentliche Merkmale hierbei sind: • Detailtiefe des Planungsmodells (Baugruppen, Bauteile, Bleche, Schweißnähte etc.) • Umfang des Planungsmodells (Überbau, Widerlager, Gründung etc.) • Feststellung, Relevanz und ggf. Integration von Änderungen im Zuge der Bauausführung 4.1 Dokumentenablage und Verknüpfungen mit dem 3D-Modell In einer cloud-basierten BIM-Plattform (CDE) können alle vorhandenen IFC-Modelle sowie weitere Datenformate abgelegt werden. Dateien können mit Bauteilen in den IFC- Modellen verknüpft werden. Im Explorer der CDE können alle abgelegten Dateiformate eingesehen werden. Bei Bedarf können Unterordner und zuordbare Kennungen ergänzt sowie separate Freigaben für andere Nutzer erstellt werden. Innerhalb eines geöffneten IFC-Modells werden durch Auswählen eines Bauteils alle zugeordneten Bauteileigenschaften sowie die vorhandenen Verknüpfungen, zum Beispiel zu zugehörigen Plänen im PDF- oder Fotos im JPEG-Format, angezeigt, siehe Abb.-11. Durch weiteres Auswählen einer Datei wird diese geöffnet oder kann heruntergeladen werden. Alternativ können alle Dateien direkt aus dem Explorer der CDE (auch ordnerweise) eingesehen und heruntergeladen werden. Abb. 11: Ausgewähltes Bauteil (Kastenuntergurt) mit Informationen und vorhandenen Verknüpfungen 88 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Moderne Stahlbauplanung als Beitrag für ein digitales Erhaltungsmanagement am Beispiel von Brücken Für Baugruppen oder Bauteile können Schäden, Messdaten, bauteilbezogene Sicherheitselemente usw. abgelegt werden. Hinterlegte Werte können im Excel-Format exportiert und importiert werden, so dass ein Informationsaustausch bzw. eine Aktualisierung der Informationen von außen möglich ist. Dies kann z.-B. bei einer Schadensfortschreitung oder einem geänderten Status (Zuverlässigkeitsindex) sinnvoll sein. Sobald eingetragene Werte geändert oder neu erstellt werden, erfolgt eine Benachrichtigung per Mail an ausgewählte Nutzer. 4.2 Schadensdokumentation Schäden können am Bauwerk dokumentiert und mit Fotos verknüpft werden. Beispielhaft ist dieses in Abb.-12 dargestellt. Abb. 12: Im Zuge einer Bauwerksprüfung dokumentierter Schaden (beispielhaft) 4.3 Statusinformationen Im Zuge eines Bauwerksmonitorings können bauteil- oder bauwerksbezogene Kennwerte bzgl. des Zustandes ermittelt werden. Dies können erforderliche Sicherheitselemente, anzusetzende Verkehrslasten zur Erreichung eines ausreichenden Sicherheitsniveaus oder der Zuverlässigkeitsindex sein, siehe z. B. [10], [12]. Sofern die Messanlage dauerhaft in Betrieb ist, können diese Kennwerte über die Import-/ Exportfunktion der CDE automatisch aktualisiert werden. Abb. 13: Im Zuge eines Bauwerksmonitorings ermittelte Kennwerte für den Kastenuntergurt (beispielhaft) 5. Fazit Im Zuge der Werkplanung als letzte Stufe der Stahlbauplanung wird bereits in vielen Fällen ein detailliertes 3D-Modell (BIM-Fachmodell) erstellt. Im Rahmen der Bauwerkserhaltung wird im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung angestrebt, das gesamte Dokumentenmanagement inklusive aller zur Verfügung stehenden Informationen an einem digitalen Zwilling zu gestalten. Hierfür sind cloudbasierte BIM-Plattformen (CDE) geeignet, in die die jeweiligen BIM-Fachmodelle integriert werden können. Die moderne Stahlbauplanung kann für diesen Prozess einen sinnvollen Beitrag leisten. Das im Zuge der Werkplanung ohnehin erstellte BIM-Fachmodell kann im Zuge des weiteren Lebenszyklusmanagements genutzt und fortgeführt werden. Beim Neubau kann durch die Fortschreibung dieses Modells aus der Werkplanung im weiteren Lebenszyklus der digitale Zwilling von Beginn an konsequent umgesetzt werden. Für Bestandsbauwerke kann immer dann, wenn im Zuge von Nachrechnungen ohnehin ein Berechnungsmodell erstellt wird, dieses in ein Konstruktionsmodell (BIM-Fachmodell) überführt werden, wobei an dieser Stelle der Informationsgehalt je nach Erfordernis ggf. geringer ist. Wenn Verstärkungsmaßnahmen erforderlich sind, ist ein Übertrag in ein Konstruktionsmodell je nach Umfang der Maßnahme ohnehin sinnvoll, um die gleichen Vorteile (Passgenauigkeit, Fertigung, Kollisionen etc.) wie beim Neubau zu ermöglichen. Auf Grundlage der „Richtlinie für die Überwachung der Verkehrssicherheit von baulichen Anlagen des Bundes (RÜV)“ [13] finden auch im Hochbau i.-d.-R. jährliche Begehungen baulicher Anlagen statt, um notwendige Instandhaltungsmaßnahmen rechtzeitig festzustellen. Da die Stahlbauplanung auch für Hochbauten i.-d.-R. detailreiche 3D-Modelle als Vorarbeit für die Stahlbaufertigung liefert, lässt sich das vorgestellte Konzept auf den allgemeinen Hochbau gleichermaßen übertragen. Literatur [1] BFS-RL 03-105: Standartbeschreibung von Stahlbauteilen für die NC-Steuerung (XNC) - Empfehlungen des Arbeitsausschusses Informationstechnologie. Deutscher Stahlbau-Verband DSTV. 9. Auflage. November 2006. [2] Haller, H.-W.; Thiele, K.; Batzke, H.-U.; Asam, A.: CAD im Stahlbau - Bestandsaufnahme und Ausblick. In: Stahlbau-Kalender 2007. Hg.: Kuhlmann, U. Ernst & Sohn Verlag. 2007. [3] Mischo, H.; Seifried, J.; Thiele, K.; Schanzenbach, S.; Grassl, M.: Vom 3-D-Laserscan zum BIM-Modell. Bautechnik 96, Heft 7. Ernst & Sohn Verlag. 2019. [4] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI): Masterplan BIM Bundes-fernstraßen - Rahmendokument: Definition der Fachmodelle - Version 1.0. Oktober 2021. [5] Borrmann, A.; Elixmann, R.; Eschenbruch, K. et al: Handreichung BIM-Fachmodelle und Ausarbeitungsgrad. Hg.: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. April 2019. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 89 Moderne Stahlbauplanung als Beitrag für ein digitales Erhaltungsmanagement am Beispiel von Brücken [6] DIN EN 17412-1: 2021-06: Bauwerksinformationsmodellierung - Informationsbedarfstiefe - Teil 1: Konzepte und Grundsätze. [7] DIN 1076: 1999: Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen. Überwachung und Prüfung. November 1999. [8] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS): Richtlinie zur Nach-rechnung von Straßenbrücken im Bestand. Ausgabe 05/ 2011. [9] Deutsche Bahn AG Geschäftsbereich Netz (DB Netz AG): Richtlinie 805 - Tragsicherheit bestehender Eisenbahnbrücken. Ausgabe 2024. [10] Steffens, N.: Sicherheitsäquivalente Bewertung von Brücken durch Bauwerksmonitoring. Dissertation. Shaker Verlag. 2019. [11] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV): Digitaler Zwilling von Brücken - Beitrag zum Masterplan Digitaler Zwilling Bundesfernstraßen. Oktober 2023. [12] Degenhardt, K.; Steffens, N.; Kraus, J.; Geißler, K.: Mehrstufiges Verfahren zur Festlegung des erforderlichen Ziellastniveaus für die Nachrechnung von Straßenbrücken. 4. Brückenbaukolloquium. Ostfildern 2020. [13] Richtlinie für die Überwachung der Verkehrssicherheit von baulichen Anlagen des Bundes (RÜV). Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Juli 2008. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 91 Der BIM-Anwendungsfall „digitale Bauwerksdiagnostik“ Mehrwert der BIM-Methodik bei der Nachrechnung von Ingenieurbauwerken Kristin Kottmeier, M. Sc. Marx Krontal Partner, Hannover Tina Hackel Hamburg Port Authority AöR, Hamburg Chris Voigt, M. Eng. Marx Krontal Partner, Weimar Zusammenfassung Marx Krontal Partner als Ingenieurbüro und die Hamburg Port Authority als Auftraggeber befassen sich im Forschungsprojekt openSIM gemeinsam mit anderen Partnern mit der Digitalisierung der Prozesse von bauwerksdiagnostischen Untersuchungen mit dem Ziel der Bewertung bestehender Bauwerke mithilfe der BIM-Methodik. Neben der Erfassung der Geometrie sollen zusätzlich Informationen aus dem Inneren der Konstruktion (Structural Information) berücksichtigt werden. Im Beitrag werden die wesentlichen Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt vorgestellt und die Chancen der konsequenten Digitalisierung im Lebenszyklus von Ingenieurbauwerken mit Schwerpunkt auf den Anwendungsfall (AwF) der digitalen Bauwerksdiagnostik (BWD) und dem Mehrwert für den Bestandserhalt aufgezeigt. 1. Einführung Der Erhalt unserer Infrastruktur stellt eine wesentliche Aufgabe und Herausforderung unserer Zeit dar. Bei der rechnerischen Beurteilung von bestehenden Ingenieurbauwerken unterstützen uns bauwerksdiagnostische Untersuchungen dabei, realitätsnahe Aussagen zu vorhandener Konstruktion, Schäden und tatsächlichen Materialeigenschaften zu gewinnen. Die Digitalisierung der Planung, Durchführung, Auswertung und Bewertung diagnostischer Untersuchungen im Kontext der Building-Information-Modeling-Methode (BIM-Methode) bewirkt, dass Schnittstellen zwischen Bauherrn, Tragwerksplanern und Diagnostikern optimiert werden, indem eine übersichtlichere Ergebnisbereitstellung, vereinfachte Weiterverarbeitung und nachhaltigere Datenhaltung ermöglicht werden. 2. Bauwerksdiagnostik als Grundlage für die rechnerische Bewertung von Ingenieurbauwerken Bauwerksdiagnostik ist ein essenzielles Werkzeug im Bauwesen, das dazu dient, den Zustand von Bauwerken systematisch zu erfassen, zu analysieren und zu bewerten. Diese Disziplin umfasst verschiedene Techniken und Methoden, wie visuelle Inspektionen, zerstörungsfreie Prüfverfahren (Zf P) (z. B. Ultraschall, Magnetresonanz, Thermografie), zerstörungsarme Prüfverfahren (ZaP) (Sondierungen, Probenentnahmen), Materialproben und -analysen. Ziel der Bauwerksdiagnostik ist es, den aktuellen IST-Zustand des Bauwerkes genau zu beschreiben, um eine Grundlage für das Planen im Bestand zu schaffen. Ingenieurbauwerke, wie Brücken, Tunnel und beispielsweise Staudämme, sind komplexe Strukturen, deren sichere und effiziente Nutzung von einer regelmäßigen und genauen Bewertung abhängt. Durch die Bauwerksdiagnostik können Ingenieure detaillierte Informationen über den aktuellen Zustand eines Bauwerks gewinnen. Diese Daten sind unerlässlich, um fundierte Entscheidungen bezüglich notwendiger Instandhaltungsmaßnahmen, Reparaturen oder sogar des Abrisses und Neubaus zu treffen. Die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Bauwerksdiagnostik tragen somit entscheidend dazu bei, die Sicherheit und Wirtschaftlichkeit von Bauwerken zu optimieren. [Abb. 1] Abb. 1: Endoskopische Befahrung eines Bohrkanals im Natursteinmauerwerk zur Beurteilung des Gefüges (© Marx Krontal Partner) 92 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Der BIM-Anwendungsfall „digitale Bauwerksdiagnostik“ Ein weiterer wesentlicher Aspekt der Bauwerksdiagnostik ist die Ermittlung der tatsächlichen Materialeigenschaften eines Bauwerks. Dies umfasst die Bestimmung von Druckfestigkeiten, Zugfestigkeiten, Elastizitätsmodulen und anderen materialtechnischen Parametern. Diese Eigenschaften sind entscheidend, um die Tragfähigkeit eines Bauwerks zu beurteilen. Durch gezielte Materialproben und -analysen können Ingenieure präzise Daten über die verwendeten Baustoffe gewinnen und diese mit den ursprünglichen Planungs- und Ausführungsdaten vergleichen. Abweichungen von den erwarteten Materialeigenschaften können so frühzeitig erkannt und die sich ggf. ergebenden Reserven in die Nachrechnungen einbezogen werden. Insgesamt leistet die Bauwerksdiagnostik einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Sicherheit, Lebensdauer und wirtschaftlichen Erhaltung von Ingenieurbauwerken. Sie ermöglicht es, den aktuellen Zustand und die tatsächlichen Materialeigenschaften von Bauwerken detailliert zu erfassen und fundierte Entscheidungen für deren Instandhaltung und Nutzung zu treffen. 3. Mehrwert der BIM-Methodik bei Planungsprozessen im Bestand 3.1 Was ist die BIM-Methodik? Grundlage für eine erfolgreiche Zusammenarbeit und die Zielerreichung im Forschungsprojekt openSIM mittels der BIM-Methodik ist ein einheitliches Verständnis darüber, was unter BIM zu verstehen ist. Im Stufenplan Digitales Planen und Bauen wird BIM mit folgenden Worten beschrieben: „Building Information Modeling bezeichnet eine kooperative Arbeitsmethodik, mit der auf der Grundlage digitaler Modelle eines Bauwerks die für seinen Lebenszyklus relevanten Informationen und Daten konsistent erfasst, verwaltet und in einer transparenten Kommunikation zwischen den Beteiligten ausgetauscht oder für die weitere Bearbeitung übergeben werden.“, [1]. Um innerhalb des Forschungsprojektes ein gleichartiges Grundverständnis bei allen Projektbeteiligten sicherzustellen, war es zunächst notwendig, die generelle Arbeitsweise mit der BIM-Methode zu erfassen. Anhand von aktuellen Projektbeispielen wurde die Methodik unter folgenden Gesichtspunkten betrachtet: - Mögliche Anwendungsfälle in der Betriebsphase, - vorhandene Anwendungsfälle, - Prozessdefinitionen, - Modellaufbau und Datenstruktur, - standardisierte Datenformate, - Rollendefinitionen und Workflows, - Prüfregeln und -software, - kollaboratives Arbeiten in der CDE, - Issue-Management. Nachdem der Status Quo aus der Bearbeitung von Neubauprojekten ermittelt werden konnte, wurden die BIM- Prozesse konzeptionell auf die Betriebsphase und die sich aus der Bauwerksdiagnostik ergebenden Fragestellungen bei der Bestandsbewertung übertragen. Weiterhin wurden dabei die Rahmendokumente Auftraggeber-Informations-Anforderungen und BIM-Abwicklungs-Plan (AIA, BAP) thematisiert, in denen die projektbezogenen BIM- Anforderungen als Teil des Vertragswerks zwischen Bauherrn und Bauwerksdiagnostiker definiert werden. In der darauffolgenden Erprobungsphase wurde an ersten Demonstratoren getestet, wie die Methodik in der BWD innerhalb der Bewertung von bestehenden Ingenieurbauwerken anzuwenden ist, welche Herausforderungen aktuell noch bestehen und welche Standards für die erfolgreiche Implementierung geschaffen werden müssen. Die hier erwähnten BIM-Begriffe werden innerhalb der folgenden Kapitel erläutert. 3.2 Zentrale digitale Datenhaltung Um den Mehrwert der BIM-Methodik bei Planungsprozessen im Bestand nutzbar machen zu können, ist die Bereitstellung von bauwerksdiagnostischen Daten und Bestandsinformationen durch deren Digitalisierung, Strukturierung und Zentralisierung erforderlich. Aktuell liegen den Auftraggebern bzw. Anlagenverantwortlichen die Ergebnisse einer Bauwerksdiagnostik zumeist in Form von Gutachten in Berichtsform, im PDF-Format oder papiergebunden, vor. Aufgrund der Heterogenität der Diagnostikdaten sind umfangreiche Anlagen innerhalb der Berichte üblich. Liegen für ein Bestandsbauwerk Gutachten mehrerer Messkampagnen vor, stehen die einzelnen Dokumente inhaltlich häufig nicht zueinander in Bezug. Aufgrund der fehlenden inhaltlichen Verknüpfung kann auch schwerer nachvollzogen werden, welche Informationen aus der Vergangenheit bereits vorliegen. Dies steigert zudem den Aufwand herauszuarbeiten, welche weiteren Untersuchungen im Zuge einer Instandsetzungsmaßnahme erforderlich sind, oder ob die vorliegenden Gutachten den Informationsbedarf bereits abdecken. Werden die Diagnostikdaten aller Messkampagnen an einem Ingenieurbauwerk konsequent in eine digitale, maschinenlesbare und gleichzeitig strukturierte Form überführt, erleichtert dies den Prozess der Bestandsaufnahme für alle Projektbeteiligten. Mehrwerte bieten sich den Auftraggebern und Anlagenverantwortlichen, da sie die Ergebnisse in einer übersichtlicheren, zentralisierten Form bereitgestellt bekommen, Messkampagnen leichter miteinander abgleichen und diese sogar in Bezug zu anderen Fachplanungen stellen können. Auch auf der Seite der Auftragnehmer wird der Prozess der Bestandsaufnahme innerhalb der Grundlagenermittlung erleichtert und fortschrittlicher gestaltet. Dies fördert eine kollaborative Zusammenarbeit zwischen Auftraggebern, den einzelnen Fachplanern und weiteren am Projekt Beteiligten. [2] Darüber hinaus bietet sich die Möglichkeit, zu einem frühen Zeitpunkt (bspw. vor Ausführung der bauwerksdiagnostischen Untersuchungen) in den modellbasierten Austausch zu treten. Hierdurch kann bspw. der Tragwerksplaner, der mit der Nachrechnung eines bestehenden Ingenieurbauwerks beauftragt wurde, geplante Untersuchungen einsehen und ein Feedback zu der Vollständigkeit und Verortung der Untersuchungsstellen 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 93 Der BIM-Anwendungsfall „digitale Bauwerksdiagnostik“ anhand der für ihn relevanten Erkundungsbereiche geben. Grundlage dafür ist ein zentraler, projektübergreifender Speicherort für die anfallenden Daten innerhalb des gesamten Prozesses der Bestandsbewertung (single source of truth) in Form einer Common Data Environment (CDE) und dessen vertragliche Vereinbarung. Innerhalb der BIM-Methodik erfolgt dies in den BIM-Vertragsdokumenten AIA und BAP. 4. BIM-Rahmendokumente Die bisher entwickelten Standards der BIM-Planung sollen auf die Anforderungen, welche sich in der Bauwerksdiagnostik ergeben, angepasst und weiterentwickelt werden. Der Einsatz der BIM-Methode bietet das Potenzial, die Bewertung bestehender Bauwerke durch Digitalisierung zu vereinfachen. BIM ermöglicht u. a. eine effektive, kooperative Zusammenarbeit der Beteiligten mithilfe von Modellen wie z. B. die datengestützte Auf bereitung von Problembeschreibungen und -kommunikationen, um gemeinsam an Lösungen zu arbeiten und diese verständlich zu vermitteln. Die direkt mit dem Bauteil verknüpften Informationen und Dokumente erleichtern das Erkennen von Zusammenhängen. Dadurch wird es gerade für projektfremde Personen erheblich einfacher, schnell in die Thematik einzusteigen. Vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) werden Standards bereitgestellt, um die BIM- Methode beim Bau von Bundesfernstraßen zu etablieren. Diese Rahmendokumente fassen die Rahmenbedingungen, welche bei der Arbeit mit der BIM-Methode notwendig sind, zusammen und legen Mindestanforderungen fest. Zu den Rahmendokumenten gehören u. a.: - die Erläuterung zu den Rahmendokumenten [3], - die Definition der Fachmodelle [4], - die Anwendungsfälle [5], - der Objektkatalog [6], [7], [8]. Um die Vorteile aus der BIM-Methodik nutzen zu können, werden auch die vertraglichen Grundlagen, welche die Anforderungen an die Modelle und die Zusammenarbeit beschreiben, in der Auftraggeber-Informations- Anforderung (AIA) sowie dem BIM-Abwicklungsplan (BAP) zusammengestellt. Für beide Dokumente gibt es ebenfalls Muster-Rahmendokumente. 4.1 Auftraggeber-Informations-Anforderungen (AIA) Als Teil der Vertragsunterlagen beschreibt die Auftraggeber-Informations-Anforderung (AIA) die Vorgaben des Auftraggebers an die Informationslieferung. Im Dokument sind die Erwartungen an die Projektumsetzung mithilfe der BIM-Methode festgelegt. Dazu gehören z.-B. Angaben darüber, welche Informationen in welchem Umfang, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Qualität benötigt werden und welche Bestandsdaten bereits zur Verfügung stehen. Weitere Inhalte sind u. a. Rollenbeschreibungen, Modellierungsvorgaben und Angaben zum erforderlichen Informationsbedarf (LoI, Objektkatalog) [9]. Die AIA beschreibt die Anforderungen des Auftraggebers hinsichtlich des modellbasierten Bedarfs - innerhalb des Forschungsprojektes in Bezug auf die Modellierung von bauwerksdiagnostischen Untersuchungen. Dafür werden Empfehlungen für die Modellierung und die Zusammenarbeit entwickelt, welche die Umsetzung eines BIM-Anwendungsfalls im Projektgeschehen unterstützen und erleichtern sollen. Innerhalb der AIA wird zudem eine Testphase vorgesehen, welche die Durchführung der BIM-basierten Bauwerksdiagnostik für den Auftragnehmer vereinfachen soll, da ein einheitliches Verständnis an die Anforderungen des Auftraggebers sicherstellt wird. Durch die Umsetzung des Testbeispiels zum Projektstart können Auftraggeber- und Auftragnehmer-Sicht abgeglichen und kalibriert werden. Ein Testlauf könnte beispielsweise die Modellierung eines Bohrkernobjektes entsprechend des geforderten Untersuchungsverfahrens Kernbohrung sein, welches mit einer semantischen Information zu versehen ist, [2], [10], [11], [12]. 4.2 BIM-Abwicklungs-Plan (BAP) Abb. 2: Beispielhafte Organigramm-Vorlage (© BIM.Hamburg, 2023), [12] Auf Basis der AIA wird der BAP vom Auftragnehmer erstellt. In diesem Dokument wird die BIM-Umsetzung konkret für das Vorhaben beschreiben. Dabei werden die Anforderungen des Auftraggebers berücksichtigt. Der Auftragnehmer beschreibt, wie die Umsetzung der Ziele mittels der BIM-Methode von ihm erreicht werden. Dabei liegt der Fokus auf der digitalen Umsetzung der Aufgabenstellung. Dafür werden u. a. die eingesetzten Softwarelösungen aufgeführt und der beabsichtigte Ablauf je Anwendungsfall erklärt. Die Kapitel der AIA werden aufgegriffen und mit Details versehen. Dazu gehören neben der Modellaufteilung auch die Darstellung der Verantwortlichkeiten im BIM-Prozess, [Abb. 2]. [2], [13] Da konkrete Zielbeschreibungen bereits vor dem Projektstart sinnvoll sind, sollen die Vertragsunterlagen ebenfalls auf die spezifischen Anforderungen der BWD angepasst sein. Es werden die Informationsanforderungen und Modellierungsempfehlungen, die für die Umsetzung mittels BIM relevant sind, zusammengetragen. Die Lieferanforderungen an die Daten sollen in den Vertragsdokumenten möglichst konkret festgelegt werden. Hierbei 94 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Der BIM-Anwendungsfall „digitale Bauwerksdiagnostik“ wird auf die unterschiedlichen Anforderungen der Prozessbeteiligten Rücksicht genommen. Durch möglichst präzise Vorgaben soll es später allen Prozessbeteiligten erleichtert werden, ihren Aufgabenteil zielgerichtet zu erfüllen und Missverständnisse zu vermeiden. Die Zusammenstellung der Erfahrungen erfolgt anhand von Musterdokumenten, welche als Arbeitshilfen am Ende der Projektlaufzeit des Forschungsprojektes bereitgestellt werden. Diese erprobten Textbausteine und Arbeitshilfen sollen unerfahrenen Auftragnehmern im Umgang mit der BIM-Methode den Einstieg in die digitale Planung erleichtern. Die im ersten Schritt entwickelten AIA-Textbausteine enthalten eine Umsetzungsempfehlung für die modellbasierte Durchführung der bauwerksdiagnostischen Untersuchungsverfahren. Diese werden im zweiten Schritt im BAP konkretisiert. Hier wird eine Umsetzung, wie sie auf Auftragnehmer-Seite aussehen könnte, durchgespielt. Modellbeispiele werden erarbeitet und mögliche Umsetzungsschritte zum Erreichen der Ziele aufgeführt [2]. 5. Anwendungsfälle (AwF) Zu den BIM-Rahmendokumenten zählen ebenso die Dokumente „Ergänzung zu den Rahmendokumenten: Liste der standardisierten Anwendungsfallbezeichnungen“ und „Anwendungsfälle - Phase II“, [14], [5]. Beide Dokumente sollen für ein bundesweit einheitliches BIM-Verständnis sorgen und bei der Implementierung von BIM unterstützen. „Ein Anwendungsfall beschreibt die zu erbringende Leistung und die Prozesse und Anforderungen, die in der Projektbearbeitung mit der BIM-Methodik zur Erreichung der Ziele zu berücksichtigen sind.“, [5]. Um die Projektdurchführung mittels der BIM-Methode voranzubringen und ein einheitliches Verständnis zu schaffen, wurden übergeordnete Anwendungsfallbezeichnungen zusammengetragen. Für jeden Anwendungsfall wird eine einheitliche Beschreibung in Form von Steckbriefen (inklusive Definition, Umsetzungsempfehlung, Prozessdiagramm und Lessons Learned) veröffentlicht. Aktuell sind im Dokument „Anwendungsfälle - Phase II“ folgende Anwendungsfälle erschienen [14], [5]: AwF 010 - Bestandserfassung und -modellierung, AwF 030 - Planungsvarianten bzw. Erstellung haushaltsbegründender Unterlagen, AwF 040 - Visualisierung, AwF 050 - Koordination der Fachgewerke, AwF 060 - Planungsfortschrittskontrolle und Qualitätsprüfung, AwF 070 - Bemessung und Nachweisführung, AwF 080 - Ableitung von Planunterlagen, AwF 100 - Mengen- und Kostenermittlung, AwF 110 - Leistungsverzeichnis, Ausschreibung, Vergabe, AwF 120 - Terminplanung der Ausführung, AwF 130 - Logistikplanung, AwF 140 - Baufortschrittskontrolle, AwF 170 - Abnahme- und Mängelmanagement, AwF 190 - Projekt- und Bauwerksdokumentation. Weitere AwF für die Betriebsphase befinden sich in Vorbereitung. Auf Basis des noch nicht veröffentlichten Anwendungsfalls „AwF 220 - Zustandserfassung, Prüfung und Inspektion“ wird im Forschungsprojekt openSIM der Unteranwendungsfall „UAwF 221 - digitale Bauwerksdiagnostik“ bearbeitet und in den Musterdokumenten (s.-Kap. 4.1 und 4.2) beschrieben. 5.1 Umsetzung der BIM-Methodik innerhalb des Anwendungsfalls „Digitale Bauwerksdiagnostik“ Abb. 3: Schematischer Ablauf der Prozesskette, die innerhalb des Projekts betrachtet wird (© openSIM, 2023) Initial wurde das klassische Vorgehen der Bauwerksdiagnostik anhand von beispielhaften Projekten des Ingenieurbaus analysiert. Dabei wurden als wesentliche Prozessschritte die Aufgabenstellung und Vergabe der bauwerksdiagnostischen Leistungen, die Planung und Durchführung der bauwerksdiagnostischen Untersuchungen sowie die Aus- und Bewertung für übergeordnete Untersuchungsziele mit nachfolgender Ergebnisbereitstellung identifiziert [Abb. 3]. Diese Prozessschritte wurden anschließend in die Vorgehensweise der BIM-Methodik überführt und eine darauf auf bauende Datenstruktur als Grundlage zur Entwicklung eines BIM-fähigen Datenmodells erarbeitet: das Fachmodell Bauwerksdiagnostik (FM BWD). Die Erstellung dieses Fachmodells wird durch den UAwF 221 beschrieben und umgesetzt. Die Datenstruktur beinhaltet die Definition von Bezeichnungen, Eigenschaften (innerhalb der BIM-Methodik Merkmal oder in der Informatik auch Attribut genannt), Datentypen und Hierarchien für 25 ausgewählte bauwerksdiagnostische Untersuchungen an Ingenieurbauwerken aus Stahl-, Stahlbeton und Spannbeton. Das Datenmodell bildet sowohl geplante bauwerksdiagnostische Untersuchungen, deren Einzelergebnisse nach Durchführung der Bauwerksdiagnostik (Messdaten sowie deren beschreibende Metadaten) als auch bewertete Daten (Messdaten nach Datenkonvertierung und -auf bereitung) ab. Die modellierten Objekte innerhalb des Fachmodells Diagnostik entsprechen (teils fiktiven) Untersuchungsstellen oder Untersuchungsbereichen, wobei zu jedem Untersuchungsbereich-Objekt mindestens ein Untersuchungsstellen-Objekt zugehörig ist. Eine tabellarische Auflistung der möglichen Objekte ist in der Objektübersicht Bauwerksdiagnostik enthalten. Die Anforderungen an die semantische Informationstiefe enthält der Objektkatalog Bauwerksdiagnostik in Form des Level of Information (LoI), Erläuterung siehe Kapitel 6.4. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 95 Der BIM-Anwendungsfall „digitale Bauwerksdiagnostik“ 6. Datenstruktur des Fachmodells Bauwerksdiagnostik Zur Umsetzung des UAwF 221 werden die Anforderungen an die Modellierung und die semantische Informationstiefe der enthaltenen Objekte für das FM BWD [Abb.-4] in drei Teilmodellen (TM), dem Teilmodell Untersuchungsplanung (entspricht UAwF 221.01), dem Teilmodell Einzelergebnisse (entspricht UAwF 221.02) und dem Teilmodell Untersuchungsergebnisse (entspricht UAwF 221.03) definiert. Für die Umsetzung innerhalb des BIM-Prozesses ist es erforderlich, eine konsistente Datenstruktur in den einzelnen Teilmodellen vorzugeben, damit die modellierten Objekte in logischem Bezug zueinanderstehen. Abb. 4: Fachmodell Bauwerksdiagnostik, bestehend aus Untersuchungsstellen und -bereichen und eingeblendetes Bestandsmodell im Hintergrund (© BIM.Hamburg, 2023, © Marx Krontal Partner, 2024) 6.1 Modellbasierte Untersuchungsplanung Innerhalb der Bauwerksdiagnostik wird, nachdem die Problembzw. Aufgabenstellung abgestimmt wurde und eine Beauftragung erfolgt ist, mit der Planung der durchzuführenden Untersuchungen begonnen. Die Grundlage hierfür bildet die Leistungsbeschreibung mit definierten Untersuchungszielen, die vom Auftraggeber übergeben und durch den Bauwerksdiagnostiker spezifiziert, bzw. fachlich unterlegt wird. Die Planung der Untersuchungsverfahren, mit denen die Untersuchungsziele aus der Aufgabenstellung erreicht werden können, die anschließende Verortung der Untersuchungsstellen sowie deren Eingliederung in übergeordnete Untersuchungsbereiche werden im UAwF 221.01 innerhalb des FM BWD abgebildet. Der UAwF 221.01 definiert demnach die modellbasierte Darstellung der Untersuchungsplanung, primär in Form von verorteten Untersuchungsstellen. Die semantische Informationstiefe ist im Wesentlichen auf Angaben zum Untersuchungsverfahren, Nennung weiterführender Baustoffuntersuchungen von zu entnehmenden Proben und Anweisungen zur Durchführung beschränkt. Eine oder mehrere Untersuchungsstellen („Y“) werden durch ihre Bezeichnung „US_ X_Y“ einem Untersuchungsbereich („X“) zugeordnet, für den entsprechend der Leistungsbeschreibung spezifische Untersuchungsziele vorliegen. 6.2 Implementierung von Einzelergebnissen Der UAwF 221.02 befasst sich mit der modellbasierten Darstellung der Untersuchungsstellen nach Durchführung der Bauwerksdiagnostik. Die einzelnen Objekte werden in diesem Leistungsschritt mit Einzelergebnissen und den zugrundeliegenden Rohdaten der jeweiligen Untersuchungsverfahren inhaltlich befüllt. Beispielsweise können in diesem Leistungsschritt Beprobungsergebnisse von durchgeführten Laboruntersuchungen entnommener Proben im Modell hinterlegt werden. Die an den Objekten im Modell hinterlegten Daten ersetzen die üblicherweise im PDF-Bericht vorhandenen Anlagen mit Einzelergebnissen. Ein Bericht, der die Aufgabenstellung, die Durchführung der Untersuchungen und die vorgenommenen Bewertungen beschreibt, wird dem Auftraggeber weiterhin übergeben. 6.3 Bereitstellung von Untersuchungsergebnissen Im letzten Schritt erfolgt die ingenieurtechnische Aus- und Bewertung der durchgeführten Untersuchungen im UAwF 221.03. Aus den Einzelergebnissen der Untersuchungsstellen werden Ergebnisse für übergeordnete Bereiche abgeleitet. Die Modellierungsvorgaben der Objekte werden hierbei nur in Bezug auf den semantischen Informationsgehalt definiert, die Ergebnisdarstellung des Aus- und Bewertungsprozesses soll dem Fachplaner der BWD offengehalten werden. Dies befähigt den Bauwerksdiagnostiker dazu, selbstständig eine dem Untersuchungsziel entsprechende Ergebnisdarstellung abzubilden. Beispielsweise kann in dem Teilmodell Untersuchungsergebnisse das Geometrieobjekt eines Bauteilbereiches aus dem vorliegenden Bestandsmodell übernommen werden, für das eine bewertete bauwerksdiagnostische Erkenntnis vorliegt. Durch eine entsprechende Einfärbung ist es so zum Beispiel möglich, einen Stahlbetonpfeiler in farblichen Abstufungen hervorzuheben, um unterschiedlich hohe Korrosionswahrscheinlichkeiten der erkundeten Bewehrung aufgrund zu geringer Betondeckung unter den vorliegenden Expositionsbeanspruchungen darzustellen. Dieses Modell unterstützt somit das Verständnis der im Bericht beschriebenen Bewertungen, die aus den Untersuchungen abgeleitet werden. 6.4 Objektkatalog „Objektkataloge enthalten projektunabhängige Vorgaben für die Erstellung von Fachmodellen in BIM-Projekten und sind von allen Projektbeteiligten anzuwenden. Sie dienen der semantischen Detaillierung (Level of Information, LoI) der Fachmodelle und sorgen für eine einheitliche Modellstruktur, die für die Koordinierung mit anderen Fachmodellen erforderlich ist.“, [6] Übertragen auf die Bauwerksdiagnostikobjekte innerhalb der Teilmodelle wurde die semantische Informationstiefe über den LoI im Objektkatalog Bauwerksdiagnostik definiert (noch nicht veröffentlicht, Ausarbeitungsgegenstand des Forschungsprojektes openSIM). Die Definition des LoI wurde für den Objektkatalog der Bauwerksdiagnostik wie im Folgenden beschrieben, umgesetzt. 96 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Der BIM-Anwendungsfall „digitale Bauwerksdiagnostik“ Abb. 5: Auszug aus dem Objektkatalog Bauwerksdiagnostik (© openSIM, 2024) Für die stufenweise Implementierung der 25 Untersuchungsverfahren werden unabhängig von der Definition des LoI erforderliche und optionale Merkmale definiert, aus denen eine projektspezifische Auswahl erfolgen kann. Die Merkmale sind verfahrens-, objekt- oder Messkampagnen-spezifisch in Eigenschaftensets (Propertysets, Psets) gruppiert. Beispielsweise sind hier die Psets Pset_DiagnostikProjekt, Pset_Untersuchungsstelle [Abb.-5] oder Pset_ Kernbohrung zu nennen. Das Attribuieren der Objekte mit den erforderlichen Merkmalen sichert den Bauherren dahingehend ab, dass eine ausreichende fachliche Informationstiefe in den jeweiligen Teilmodellen entsprechend der LoI-Vorgabe übergeben wird. Die Relevanz optionaler Merkmale obliegt dem Fachplaner Bauwerksdiagnostik. Diese Merkmale bieten Optionen für das Anhängen zusätzlicher Bemerkungen, ergänzender Fotos, Videos oder Skizzen. Die erforderlichen Merkmale der einzelnen BWD-Objekte stellen hierbei einen ausreichenden Informationsgehalt sicher. Eine höhere semantische Detaillierung der Teilmodelle - durch das Ergänzen von optionalen Merkmalen - kann für den Auftraggeber einen Mehrwert bieten, ist jedoch projektspezifisch mit fachlicher Expertise zu beurteilen und daher aus Sicht der AutorInnen nicht durch die Angabe eines höheren LoI in den BIM-Vertragsdokumenten abbildbar. Die Attribuierung mit ergänzenden Merkmalen kann dennoch vertragssicher durch Fortschreibung des BAP festgelegt werden. Im herkömmlichen Planungsprozess nimmt der LoI fortlaufend zu. In der Bauwerksdiagnostik wird dementsprechend dem ersten Teilmodell Untersuchungsplanung der LoI 100 zugewiesen, da innerhalb dieses Modells der Informationsumfang auf für die Kalkulation und Durchführung der BWD relevante Angaben beschränkt ist. Für jede geplante vor-Ort-Untersuchung (bspw. Kernbohrung, Ultraschallmessung, Georadar) wird ein eigenständiges Untersuchungsstellen-Objekt mit eindeutiger Bezeichnung „US_ X_Y“ modelliert. In Bezug auf weiterführende Laboruntersuchungen entnommener Proben („Z“), bspw. an einem Bohrkern, besteht das Erfordernis, dass voneinander getrennte Objekte „Bohrkern“ und „Probe“ modelliert werden. Die Zugehörigkeit der Probe-Objekte zu der Untersuchungsstelle („Y“) bzw. dem übergeordneten Untersuchungsbereich („X“), wird wiederum durch die Bezeichnungskonvention „PB_ X_Y_ Z“ am Probe-Objekt vorgenommen. Wird bspw. von einem entnommenen Bohrkern an zwei Proben die Druckfestigkeit ermittelt, ohne dass zugehörige Probe-Objekte modelliert werden, müsste das Pset_Druckfestigkeitspruefung mit den zugehörigen Merkmalen doppelt an das Bohrkernobjekt angehangen werden. Die doppelte Merkmalsvergabe ist in der IFC-Datenstruktur (offener Standard zur Beschreibung von BIM-Modellen „Industry Foundation Classes“ [15]) jedoch nicht möglich. Aus diesem Grund wird dem Untersuchungsstellen-Objekt im „Ausgangs-“ Pset_Untersuchungsstelle bereits in Form der erforderlichen Merkmale _ AnzahlProben_US und _BaustoffuntersuchungProbe_US mitgegeben, wie viele Proben zu welchem Zweck entnommen werden sollen. Diese Merkmale lösen innerhalb des Objektkataloges neu zu modellierende Objekte mit weiteren Eigenschaftensets aus: Pset_Probe und Pset_ Druckfestigkeitspruefung. An dieser Stelle stellt die doppelte Vergabe wiederum kein Problem dar, da es sich um getrennt modellierte Objekte handelt. Auf bauend auf das TM Untersuchungsplanung erfolgt die Erweiterung hin zu dem TM Einzelergebnisse. Liegen Abweichungen zur Planung vor, werden die modellierten Objekte der einzelnen Untersuchungsstellen an die tatsächlich ausgeführte Lage verschoben. Die Verortung erfolgt bei der Modellerstellung georeferenziert und/ oder im Lagebezug auf eineindeutige Bauwerksteile anhand des im Hintergrund eingeblendeten Bestandsmodells. Anschließend werden die Objekte entsprechend der im Objektkatalog vorhandenen Eigenschaftensets verfahrensspezifisch mit Informationen befüllt. Die semantische Informationstiefe wird hier mit dem höchsten LoI, dem LoI 500 vorgegeben, da dieses Teilmodell die größte Datenmenge und Informationstiefe innerhalb des FM BWD enthält [16]. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 97 Der BIM-Anwendungsfall „digitale Bauwerksdiagnostik“ Abb. 6: Semantische Informationen eines Bewertungsergebnisses innerhalb des Teilmodells Untersuchungsergebnisse (© BIM.Hamburg, © Marx Krontal Partner, 2024) Das Teilmodell Untersuchungsergebnisse beinhaltet wiederum die ingenieurtechnische Auswertung und Bewertung der einzelnen Untersuchungsstellen. Als Ergebnis dieses Prozesses werden Untersuchungsergebnisse für übergeordnete Untersuchungsbereiche abgeleitet. In diesem dritten Teil des Fachmodells Bauwerksdiagnostik werden anstelle der bisherigen Untersuchungsstellen die Bauteile oder Bauteilbereiche modelliert und attribuiert, denen eine Bewertung basierend auf ggf. mehreren einzelnen Untersuchungen zugewiesen wird. In dem TM Untersuchungsergebnisse werden die Objekte im LoI 300 attribuiert. Am Beispiel der Druckfestigkeitsermittlung enthält der modellierte Untersuchungsbereich (bspw. ein oder mehrere Brückenpfeiler) nicht mehr die charakteristischen Einzelwerte der Druckfestigkeit aller Kernbohrungen, die an diesem Pfeiler beprobt wurden, sondern die abgeleitete statistisch ausgewertete Festigkeitsklasse [Abb. 6]. Es handelt sich demnach um einen rückwirkenden Detaillierungsgrad, der sich in der Angabe des LoI 300 für das TM Untersuchungsergebnisse (abgeleitetes und bewertetes Ergebnis des übergeordneten Untersuchungsbereiches) gegenüber dem LoI 500 im TM Einzelergebnisse (Einzelergebnisse der Untersuchungsstellen) widerspiegelt. 6.5 Objektübersicht Für einen einheitlichen Modellauf bau ist ein einheitliches Klassifikationssystem der Modellobjekte wichtig. Die Objektübersicht gibt eine hierarchische Struktur vor, welche jedes Objekt für die 25 betrachteten Untersuchungsverfahren in sogenannte ID-Ebenen eingliedert. Dadurch können Objekte z. B. entsprechend der Inhalte gefiltert oder sortiert werden. Die Objektübersicht ist Teil des Objektkatalogs (s. Kap. 6.4), [16], [12], [6], [8]. Für die diagnostischen Untersuchungsmethoden bedeutet das z. B., dass Objekte entsprechend ihrer Untersuchungsmethode oder ihrer Zugehörigkeit zu einer Untersuchungsstelle oder einem -bereich gefiltert, gesammelt ausgewählt und visuell hervorgehoben werden können [Abb. 7]. Abb. 7: Untersuchungsstelle einer zerstörungsfreien Prüfung (© BIM.Hamburg, © openSIM, 2024) Eine besondere Herausforderung im Fachmodell Bauwerksdiagnostik besteht darin, dass nur ein Teil der diagnostischen Untersuchungen durch modellierte Objekte abbildbar ist, die auch in der Realität vorhanden sind - bspw. der Bohrkern einer zerstörungsarmen Prüfung. Andere zerstörungsfreie Prüfungen (wie bspw. Radarmessungen) können in BIM-Modellen nur in Form von fiktiven Objekten abgebildet und attribuiert werden. Der Umgang damit erfolgt, indem das FM BWD als eigenständige IFC-Datei vorliegt und nicht dauerhaft mit dem Bestandsmodell vereint werden kann. Alle im FM BWD enthaltenden Objekte (für Zf P und ZaP) stellen fiktive Untersuchungsstellen und -bereiche dar. Eine zeitlich begrenzte Überlagerung beider Modelle in einem Koordinationsmodell führt unter Umständen dazu, dass Bauteile derselben Geometrie doppelt vorhanden sind. Dies ist dann der Fall, wenn ein Bewertungsergebnis auf ein gesamtes Bauteil übertragen werden kann und aus der Auswertung der durchgeführten Untersuchungen keine abweichende Bauteilgeometrie ermittelt wurde. Anhand der Datenstruktur und den semantischen Informationen ist das Untersuchungsbereich-Objekt jedoch eindeutig von dem modellierten Bauteil zu unterscheiden. 7. Etablieren eines Workflows zur digitalisierten Ergebnisbereitstellung Der UAwF 221 endet mit der Bereitstellung und Freigabe der Untersuchungsergebnisse innerhalb der CDE (Erläuterung in Kap. 7.1), auf die alle Projektbeteiligten zugreifen können. Der Bauwerksdiagnostiker ist dabei für die durch ihn produzierten Daten verantwortlich und alleinig dazu befähigt, die Inhalte zu ändern bzw. zu aktualisieren. Um eine kollaborative Zusammenarbeit zu ermöglichen, sind eindeutige Strukturen und Prozesse, bspw. durch die Dateinamenskonvention und Versionierung aller importierten Daten, einzuhalten [17]. Innerhalb der Erprobungsphase des Forschungsprojektes wurden mögliche Prozessschritte mit den beteilig- 98 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Der BIM-Anwendungsfall „digitale Bauwerksdiagnostik“ ten Akteuren Bauherr, Bauwerksdiagnostiker und Tragwerksplaner sowie deren Informationsbedarf beispielhaft bearbeitet. Dabei wurden BIM-Rollen definiert und die bereits eingeführten AwF 050 (Koordination der Fachgewerke) sowie AwF 060 (Planungsfortschrittskontrolle und Qualitätsprüfung) in Bezug auf das Fachmodell Bauwerksdiagnostik betrachtet. Anschließend wurde daraus ein Workflow abgeleitet. Eine Definition der benannten BIM-Rollen kann dem BIM-Leitfaden für die FHH [12] entnommen werden. Der AwF 060 beinhaltet die Eigenkontrolle durch den BIM-Koordinator des Fachplaners BWD sowie die Fremdkontrolle durch den übergeordneten BIM-Gesamtkoordinator und den auftraggeberseitigen BIM-Manager-[5]. Innerhalb des AwF 060 wird dafür in Ergänzung zu der Qualitätssicherung gemäß dem BIM-Leitfaden für die FHH [12] eine Checkliste bereitgestellt, die fachspezifische Methoden der Modellüberprüfung beinhaltet, bspw. in Bezug auf zugelassene und nicht zugelassene Kollisionen von BWD-Objekten. Außerdem werden Prüfregeln zur Vollständigkeit der semantischen Informationen und der Einhaltung vorgegebener Austauschformate berücksichtigt. Der AwF 050 ist durch die Rolle des BIM-Gesamtkoordinators zu erbringen. In dem durchlaufenen Beispielprozess wurde die Annahme getroffen, dass der Fachplaner BWD gleichzeitig die Rolle der BIM-Gesamtkoordination innehält. Innerhalb des AwF wird die Einhaltung der definierten Abläufe zur Informationsbereitstellung unter den vorgegebenen Lieferzeitpunkten aller Fachplaner kontrolliert und gesteuert, dass ein konsistenter Informationsaustausch unter den vorgeschrieben Austauschregeln stattfindet [5]. Außerdem erfolgt in AwF 050 das regelmäßige Zusammenführen der Fachmodelle zu Koordinationsmodellen [Abb. 8] mit anschließender Qualitätsprüfung und systematischer Konfliktbehebung. Dafür finden in regelmäßigen Abständen modellgestützte Planungsbesprechungen zwischen den Projektbeteiligten statt, die durch den BIM-Gesamtkoordinator geleitet werden. Abb. 8: Modellkonzept zur schrittweisen Erzeugung des Fachmodells Bauwerksdiagnostik und Überlagerung mit dem Bestandsmodell innerhalb eines Koordinationsmodells (© openSIM, 2024) Die Prozessschritte zur Umsetzung der AwF 050, 060 und 221 werden im BAP beschrieben. 7.1 Kollaboratives Arbeiten bei der Bestandsbewertung unter Nutzung einer CDE Eine CDE (Common Data Environment) kann als gemeinsame Datenumgebung, bzw. virtueller Projektraum verstanden werden, in dem alle Projektinformationen (Modelle, Pläne, weitere Dokumente) innerhalb des Projektteams geteilt, ausgetauscht und zentral verwaltet werden. [18] Innerhalb der CDE werden Issues als zentral verwaltetes Kommunikationstool genutzt. Diese ermöglichen, festgelegte Ansichten der 3D-Modellumgebung mit optionaler Auswahl eines bestimmten Objektes zu generieren und diesen eine Aufgabe mit Priorität, Verantwortlichkeit, Ablaufdatum und Status hinzuzufügen. Ergänzend können Dokumente oder spezifische Objektmerkmale mit dem Issue verknüpft werden. Beispielsweise kann sich der Bauwerksdiagnostiker so die geplante Lage einer zerstörungsarmen Untersuchung, mit der potenziell in das Tragwerk eingegriffen wird, durch den Tragwerksplaner bestätigen lassen [Abb. 9]. Durch den Ex- und Import des Issues in einem standardisierten Dateiformat, den BIM Collaboration Format (BCF), kann der Tragwerksplaner die modellunabhängige Ansicht auch in seine eigene BIM-fähige Software überführen und damit zum Beispiel die Lage der Untersuchungsstelle auf die Überschneidung mit vorhandenen Spanngliedern überprüfen. Dies reduziert Übertragungsfehler und das Risiko, dass Abstimmungen nicht auf Grundlage von aktuellen Planungsständen stattfinden. Abb. 9: Issue zur Abstimmung der geplanten Lage einer Untersuchungsstelle (© Marx Krontal Partner, 2024) Mehrwerte bieten sich dem Tragwerksplaner für die Nachrechnung aber auch durch die übersichtlichere Bereitstellung der Ergebnisse aus der Bauwerksdiagnostik und daraus, dass alle vorhandenen Informationen über das Bestandsbauwerk in geprüfter Form zentralisiert und digitalisiert verwaltet sind. Durch die modellbasierte Darstellung entstehen weniger Medienbrüche zwischen und innerhalb der einzelnen Fachplanungen. In dem Fall, dass die relevanten Grundlagendokumente für die rechnerische Bewertung eines Bestandstragwerkes auch in Form von Modellen in der CDE vorliegen, können diese 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 99 Der BIM-Anwendungsfall „digitale Bauwerksdiagnostik“ überlagert in einem Koordinationsmodell dargestellt und weiterverwendet werden, bspw.: - das aus einer Bauwerksvermessung und vorhandenen Bestandsplänen/ -unterlagen entwickelte Bestandsmodell mit dem Fokus auf die reale äußere Bauteilkubatur und bestandsdatenbasierte Materialangaben (AwF 010), - das Fachmodell Baugrund mit geometrischer Abbildung der Baugrundschichten und Informationen aus dem Geotechnischen Bericht (AwF 010) [19], - das aktuelle Fachmodell Bauwerksdiagnostik mit Informationen zum Inneren der Konstruktion (Structural Information), tatsächlich beprobten Materialeigenschaften und Aussagen zum Zustand von Bauteilen (UAwF 221 in Entwicklung), - weitere Fachmodelle Bauwerksdiagnostik aus zurückliegenden Messkampagnen. Die Filterfunktion innerhalb der CDE ermöglicht, dass der Tragwerksplaner gezielt nach für ihn relevanten semantischen Bauteilinformationen innerhalb der Modelle suchen kann. Dadurch reduziert sich der Aufwand bei dem Zusammenstellen der Grundlagen für die eigene Modellierung. Die nötigen Prozessschritte, um das tatsächliche Tragwerksverhalten realitätsnah abzubilden und dadurch mögliche Tragreserven unter Aufrechterhaltung des Sicherheitsniveaus zu identifizieren, werden an dieser Stelle durch die Digitalisierung der Bauwerksdiagnostik entscheidend optimiert. Nicht zu vernachlässigen ist dafür jedoch, dass die Qualität des erzeugten Fachmodells Bauwerksdiagnostik innerhalb des Anwendungsfalls sichergestellt werden muss. Dies kann nur durch vertraglich vorgegebene Modellierungsstandards und klar definierte Prüfprozesse mit zugewiesenen Rollenverantwortlichkeiten erfolgen. 8. Ausblick und Projektziele openSIM Das Forschungsprojekt openSIM „Integration und Bereitstellung von Structural-Information-Daten zur Bestandsbewertung von Infrastrukturbauwerken im BIM-Prozess“ hat zum Ziel, Standards zu entwickeln, welche die Nutzung und Weiterverarbeitung von Bestands- und Zustandsdaten innerhalb der BIM-Planung beschreiben. So können die bauwerksdiagnostischen Ergebnisse direkt in die BIM-Planung einfließen und gewerkeübergreifende Abstimmungen am Koordinationsmodell erfolgen. Das Bauvorhaben wird so im Gesamtkontext dargestellt und Schwierigkeiten, welche sich in Zusammenhang mit anderen Gewerken ergeben, können frühzeitig identifiziert werden. Untersuchungsergebnisse und Auswertungen können nicht nur betrachtet, sondern auch zusammenhängend untersucht, im Kontext analysiert und ausgewertet werden. Die Praxiserfahrungen und das Expertenwissen der Projektpartner fließen in die Standards ein, sodass am Ende der Projektlaufzeit im Oktober 2025 ein anwendbarer Workflow für den UAwF 221 bereitsteht, indem die Anforderungen der Prozessbeteiligten z. B. Auftraggeber, Tragwerksplaner und Bauwerksdiagnostiker berücksichtigt wurden. Ziel ist es, vor allem die Belange der Fachplaner zu berücksichtigen und für alle Projektbeteiligten einen nutzbaren, digitalisierten, praxisbezogenen Prozess bereitzustellen, der die Zusammenarbeit fördert, strukturierte Ergebnisse in übersichtlicher Darstellungsform liefert und Schnittstellenverluste zu vermeiden. Um das Ziel zu erreichen wird der Ablauf an realen Bauwerken durchgeführt (also frühzeitig der Praxisbezug hergestellt). Parallel dazu findet fortlaufend eine Prozessoptimierung statt. So werden die Visualisierungs- und Bereitstellungsmöglichkeiten geprüft und eine digitalisierte, strukturierte und zentralisierte Arbeitsweise entwickelt. Die AutorInnen danken Bau-Consult Hermsdorf, der MFPA Weimar, der Bauhaus-Universität Weimar und customQuake für die Zusammenarbeit sowie dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr für die Förderung im Rahmen der Förderinitiative mFUND in dem vorgenannten Projekt. Literatur [1] Stufenplan Digitales Planen und Bauen: Einführung moderner, IT-gestützter Prozesse und Technologien bei Planung, Bau und Betrieb von Bauwerken, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 12/ 2015. [2] Voigt, C.; Fritsch, C.; Hackel, T.: Digitalisierung der Bauwerksdiagnostik zur realitätsnahen Bewertung von Ingenieurbauwerken. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur, 2023. [3] Masterplan BIM Bundesfernstraßen: Erläuterung zu den Rahmendokumenten - Version 1.0, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 10/ 2021, Link: stufenplan-digitales-bauen.pdf (bund.de) [4] Masterplan BIM Bundesfernstraßen, Rahmendokument: Definition der Fachmodelle - Version 1.0, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 10/ 2021. [5] Anwendungsfälle - Phase II, Rahmendokument Version 2.0, BIM Bundesfernstraßen, Bundesministerium für Digitales und Verkehr, 10/ 2021, Link: Masterplan BIM Bundesfernstraßen - Rahmendokument Steckbriefe der Anwendungsfälle V-1.0 (bim-bundesfernstrassen.de) [6] Objektkatalog Allgemein, Version V004, BIM. Hamburg, 2023, Link: d-06-allgemein-v004-data.pdf (hamburg.de) [7] Rahmendokumente des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr, Link: https: / / www.bim-bundesfernstrassen.de/ publikationen/ [8] Objektkatalog, Rahmendokument Version 1.0, BIM Bundesfernstraßen, Bundesministerium für Digitales und Verkehr, 01/ 2024, Link: Masterplan BIM Bundesfernstraßen V 1.0 (bim-bundesfernstrassen.de) 100 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Der BIM-Anwendungsfall „digitale Bauwerksdiagnostik“ [9] Masterplan BIM Bundesfernstraßen, Bundesministerium für Digitales und Verkehr, 09/ 2021, Link: Masterplan BIM Bundesfernstraßen V 1.0 (bim-bundesfernstrassen.de). [10] Masterplan BIM Bundesfernstraßen Rahmendokument: Auftraggeber-Informationsanforderungen (AIA) - Version 1.0, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 10/ 2021. [11] Auftraggeber-Informations-Anforderungen (AIA), Mustervorlage Version 1, BIM.Hamburg, 2021, Link: AIA-Mustervorlage (hamburg.de). [12] BIM-Leitfaden für die FHH, Version 4, BIM. Hamburg, 2023. [13] Masterplan BIM Bundesfernstraßen, Rahmendokument: BIM-Abwicklungsplan (BAP) - Version 1.0, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 10/ 2021. Link: Masterplan BIM Bundesfernstraßen - Rahmendokument BIM-Abwicklungsplan (BAP) V 1.0 (bim-bundesfernstrassen.de). [14] Masterplan BIM Bundesfernstraßen, Ergänzung zu den Rahmendokumenten: Liste der standardisierten Anwendungsfallbezeichnungen, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 10/ 2021. Link: Masterplan BIM Bundesfernstraßen - Ergänzung zu den Rahmendokumenten: Liste der standardisierten Anwendungsfallbezeichnungen (bimbundesfernstrassen.de). [15] DIN EN ISO 16739-1: 2021-11, Industry Foundation Classes (IFC) für den Datenaustausch in der Bauwirtschaft und im Anlagenmanagement - Teil-1: Datenschema. [16] Schickert, M.; Khairtdinov, M.; Kottmeier, K.; Hackel, T.; Voigt, C.; Stark, Y.: Strukturierter Prozess zur langfristigen Speicherung von Ultraschall-Inspektionsergebnissen in digitalen Bauwerksmodellen. Zerstörungsfreie Materialprüfung. DGZfP-Jahrestagung 2024: 06.-08. Mai 2024 in Osnabrück, Link: https: / / doi.org/ 10.58286/ 29561 [17] DIN EN ISO 19650-1: 2019-08, Organisation und Digitalisierung von Informationen zu Bauwerken und Ingenieurleistungen, einschließlich Bauwerksinformationsmodellierung (BIM) - Informationsmanagement mit BIM - Teil 1: Begriffe und Grundsätze. [18] Rahmendokument: Datenmanagement - Version-1.0, BIM Bundesfernstraßen, Bundesministerium für Digitales und Verkehr, 10/ 2021, Link: Masterplan BIM Bundesfernstraßen - Rahmendokument: Datenmanagement - Version 1.0 (bim-bundesfernstrassen.de). [19] Bauer, J., Beck, J., Clostermann, D., Henke, S., Schwabe, K. und Tilger, K. (2023), Vergleichende Untersuchung von Software zur Erstellung des Fachmodells Baugrund. Bautechnik 100, H. 9, S.-552-564. Link: https: / / doi.org/ 10.1002/ bate.202300076 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 101 Mönchengladbachs erste BIM-Brücke Erwartungen und Hoffnungen eines Eigentümers Dipl.-Ing. Christian Lambracht Stadt Mönchengladbach Dipl.-Ing. Andreas Malcher Werner Sobek AG, Berlin Dr.-Ing. Christoph von der Haar GRBV Ingenieure im Bauwesen GmbH & Co. KG, Münster Zusammenfassung Planungsprozesse optimieren, ein realitätsgetreues Abbild des Bauwerks erhalten und in der Bauunterhaltung langfristig von den Daten profitieren. Die Vorteile, die der pilothafte Einsatz von Building Information Modelling (BIM) bei einem Brückenneubau verspricht, sind zahlreich. Doch auch die Herausforderungen des damit verbundenen Change-Prozesses zeigen sich am besten in der praktischen Anwendung. Um sich mit diesen Fragen eingehender zu beschäftigen und einen ersten praktischen Schritt zu wagen, hat die Stadt Mönchengladbach zusammen mit ihren Planungspartnern entschieden, ein Infrastruktur-Pilotprojekt mit BIM zu starten. Die BIM-Methode wurde von der Leistungsphase 2 bis zum bevorstehenden Abschluss der Leistungsphase 6 nach HOAI eingesetzt. Darüber hinaus ist geplant, die BIM-Methodik auch in der Bauausführung weiterzuführen und an deren Abschluss ein As-built-Modell, also ein digitales Abbild des tatsächlich ausgeführten Bauwerks, zu erhalten, welches für die zukünftige Bauwerksunterhaltung und -instandhaltung, verwendet werden soll - also für ein datenbasiertes Erhaltungsmanagement. 1. Einführung „Echte“ Digitalisierungsprozesse begnügen sich nicht damit, Planunterlagen einzuscannen und PDF-Dateien zu erzeugen. Sie gehen darüber hinaus, transformieren Arbeitsprozesse und verändern die Formen der Zusammenarbeit. So verhält es sich auch im Bauwesen. Zur Digitalisierung von Planungs- und Arbeitsprozessen im Baubereich gehört es, sich Gedanken zu machen, welche Ziele angestrebt werden, und ob und wie diese Ziele mit welchen Digitalisierungsschritten wirtschaftlich sinnvoll erreicht werden können. Wo können Aufwände reduziert und Arbeitsschritte beschleunigt werden? Wie kann die Digitalisierung dazu beitragen, dem spürbaren Fachkräftemangel etwas entgegenzusetzen? Wie können sich digitalisierte Daten langfristig positiv auswirken - etwa, wenn Informationen und Modelle im Lebenszyklus eines Bauwerks weiterverwendet werden können? Um sich mit all diesen Fragen eingehender zu beschäftigen und einen ersten praktischen Schritt zu wagen, hat die Stadt Mönchengladbach entschieden, ein Infrastruktur-Pilotprojekt mit BIM zu starten. Den ausgelobten Planungswettbewerb für den Neubau der Rad- und Fußwegebrücke Bettrather Straße hat die Arbeitsgemeinschaft aus der Werner Sobek AG und den GRBV Ingenieuren im Bauwesen gewonnen (Abbildung 1). Abb. 1: Visualisierung des Siegerentwurfs des Planungswettbewerbs von Werner Sobek und GRBV 2. Von der Idee zur BIM-Planung In einem der ersten Anlaufgespräche wurde schnell klar, dass Auftraggeber und Auftragnehmer gleichermaßen daran interessiert waren, zusammen zu lernen und die Planungsmethode BIM einzusetzen. Auch der Fördergeber, das Bundesamt für Logistik und Mobilität, unterstützte das innovative Vorgehen. Die mit der neuen Planungsmethode einhergehenden Bedenken und Fragen: Wo liegen die Vorteile? Welche Kosten entstehen? Welche neuen Aufgaben ergeben sich? Wie fängt man an? Was benötigt man, um mit dieser Planungsmethode zu arbeiten? ließen viele Beteiligte zunächst zweifeln. Aber der Wunsch sich zu verbessern, die Neugier und nicht zuletzt der Entdeckergeist bei technischen Neuerungen, veranlassten dann doch alle Beteiligten, sich mit vollem Einsatz dieses neuen Themas anzunehmen. 102 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Mönchengladbachs erste BIM-Brücke 3. Brückenbauwerk und Randbedingungen Der Ersatzneubau der Brücke Bettrather Straße verbindet künftig die Innenstadt und den Hauptbahnhof mit den nördlich gelegenen Stadtteilen und dem Bunten Garten von Mönchengladbach. Die neue Brücke führt zwei Spuren für Fußgängerinnen und Fußgänger und ein separates Verkehrsband für Radfahrende über die Hermann-Piecq-Anlage. Sie ersetzt die bestehende, dreifeldrige Bogenkonstruktion aus Ziegelmauerwerk, welche mit fast 130 Jahren zu den ältesten Brücken Mönchengladbachs zählt. Aufgrund des schlechten baulichen Zustandes und der fortschreitenden Schädigungen wird das Ersatzbauwerk erforderlich. Der neue Brückenüberbau wird in Stahlbauweise als einfeldriger, luftdicht verschweißter Trogquerschnitt ausgeführt. Die Stützweite beträgt 51,05-m, die Gesamtbreite des Überbaus misst 12,1-m. Zwischen den Hauptträgern ist der Radweg mit einer Breite von 4,0-m angeordnet, auf den Außenseiten der Hauptträger kragen jeweils die Gehwege mit einer Breite von 3,0-m aus. Die Hauptträger fungieren damit als bauliche Trennung zwischen den Gehwegen und dem Radweg. Die Höhe der Hauptträger variiert von 1,3-m in den Auflagerbereichen bis zu 2,2-m im mittleren Drittel der Stützweite. Die Formgebung der Hauptträger spiegelt damit den Kräfteverlauf wider. Die Hauptträger sind durch Querträger im Abstand von 2,5-m bis 3,35-m miteinander verbunden. Die Fahrbahnplatte bildet dabei den Obergurt, das unterste Deckblech des Überbaus den Untergurt der Querträger. Die Querträgerhöhe variiert von 0,9-m (Bauwerksanfang/ -ende) bis 1,4-m (Drittelspunkte). Zwischen den Drittelspunkten ist die Bauhöhe der Querträger analog zu den Hauptträgern konstant. Die Bauhöhe der beidseitigen Kragarme ist über die Bauwerkslänge nicht veränderlich. Diese beträgt am Kragarmende 0,25-m und am Anschnitt zu den Hauptträgern 0,9-m. Der Überbau wird zwängungsfrei auf je zwei Elastomerlagern je Lagerachse gelagert. In der Achse 20 befindet sich ein allseits festes Lager und in der Achse 10 ein querfestes Lager. Die anderen beiden Lager werden als allseits bewegliche Elastomerlager ausgeführt. Als Übergangkonstruktionen werden an beiden Bauwerksenden elastische Mattenübergänge vorgesehen. Die Widerlager werden in Ortbetonbauweise hergestellt und jeweils mit 24 Mikropfählen tiefgegründet. Die Mikropfähle werden mit einer Neigung von 6: 1 und einer Länge von ca. 12-m ausgeführt. Für die Herstellung der Widerlager und der Mikropfähle werden rückverankerte Bohlträgerverbauten in den Böschungen der Hermann- Piecq-Anlage vorgesehen. Das Brückenbauwerk wurde für Verkehrslasten nach DIN EN 1991-2 Kapitel 5 in Verbindung mit dem ARS 22/ 2012 bemessen. Die Fußgängerlasten wurden dabei in Abhängigkeit von der Stützweite abgemindert. Als Dienstfahrzeug wird das Fahrzeug nach DIN EN 1991-2, 5.6.3 mit einer 40-kN und einer 80-kN Achse berücksichtigt. Während des Planungsprozesses wurde ein besonderes Augenmerk auf die Ausstattungsdetails der Brücke gelegt. So zeigte die statische Berechnung des Überbaus, dass die 1. Biegeeigenfrequenz nahe am kritischen Frequenzbereich für Gehwegbrücken liegen wird. Um den Resonanzfall der fertig gestellten Brücke ausschließen zu können, wurden im Überbau Aussparungen für Schwingungstilger vorgesehen. Diese wurden so angeordnet, dass sie für Wartungszwecke zugänglich, aber von außen nicht sichtbar sind. Nach der Herstellung des Überbaus werden Schwingungsmessung durchgeführt. Im Bedarfsfall können die Schwingungstilger dann in die dafür vorgesehenen Aussparrungen eingebaut werden. Abb. 2: Geländer und Bänke auf der Brücke Die Geländer erhalten einen oberen Abschluss aus Holz und einen Handlauf aus Edelstahl. Die Füllung des Geländers besteht aus einem Edelstahlnetz in einem Edelstahlrahmen. In den hölzernen Handläufen sind LED-Lichtbänder zur Beleuchtung der Gehwege integriert. Lichtbänder sind ebenfalls in die Seitenflächen der beiden Hauptträgern eingelassen, um auch den Radweg ausreichend auszuleuchten. Dabei wurde zwischen den Beteiligten intensiv um eine wartungsfreundliche, Vandalismus sichere und ästhetisch ansprechende Lösung gerungen, die zugleich statischen und montagetechnischen Anforderungen genügt. Im mittleren Drittel des Brückenbauwerks, in dem die Hauptträger eine konstante Bauhöhe aufweisen, werden diese so ausgeformt, dass dort großzügige Sitzmöglichkeiten für die Nutzer der Gehwege entstehen. Diese werden mit bequemen Holzflächen versehen und laden hierdurch zum Verweilen ein. Die Böschungsbereiche, die unterhalb der Brücke liegen und durch den Brückenkörper vom Niederschlag abgeschirmt werden, werden bewässert, um eine durchgehende Begrünung der straßenbegleitenden Böschungen an der Hermann-Piecq-Anlage sicherzustellen. Das Niederschlagswasser der Bettrather Straße wird gesammelt, unter der Brücke zwischengespeichert und in den Böschungen versickert. So können große Pflasterflächen eingespart und das anfallende Niederschlagswasser direkt an Ort und Stelle dem Grundwasserhaushalt zugeführt werden. Eine Lösung ganz im Sinne der Idee einer „Schwammstadt“. Einen visuellen Überblick über den Ersatzneubau und den Bestand bietet das unter dem folgenden Link oder dem nebenstehenden QR-Code abruf bare Video: https: / / link.grbv.de/ bettrather 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 103 Mönchengladbachs erste BIM-Brücke 4. Von der optimierten Planung bis zum AsbuiltModell Mit dem Einsatz der BIM-Methodik verbanden die Beteiligten folgende Erwartungen und Hoffnungen: 1. Optimierung der Planung 2. Förderungen der Transparenz im Projekt 3. Erhöhte Kostensicherheit 4. Digitale Dokumentation 5. Übergeordnete Qualitätssicherung Abb. 3: BIM-Modell Neubau Am Anfang steht immer ein guter Plan. Beim Thema BIM braucht es dementsprechend einen BIM-Abwicklungsplan (BAP). In diesem werden die projektspezifischen Anforderungen und Anwendungsfälle festgelegt. Anwendungsfälle bezeichnen dabei den jeweiligen Zweck, für den Daten und Informationen in einem Modell erstellt und verwendet werden. Im BAP für den Brückenneubau wurden 10 Anwendungsfälle definiert. Diese Anwendungsfälle sind unter anderem die Bestandserfassung, die modellbasierte Planerstellung, die modellbasierte Mengen- und Kostenermittlung, die Koordination der Fachgewerke und die digitale Prüfung und Freigabe der Planung durch den Auftraggeber. Abb. 4: Lebenszyklus des BAP Kernstück der interdisziplinären und teamübergreifenden Zusammenarbeit ist die gemeinsame Datenbeziehungsweise Softwareumgebung. Diese im BIM-Vokabular als CDE (common data environment) bezeichnete digitale Plattform dient der gemeinsamen Datenablage, dem Datenaustausch und der Archivierung. Jeder der Projektbeteiligten hat einen Zugang zur hier verwendeten webbasierten Autodesk Construction Cloud (ACC). Hier liegen alle Protokolle, Grundlagen, Planungsergebnisse und die aktuellen 3D-Modelle für alle jederzeit und immer greif bar. Dateien werden nicht mehr als E-Mail-Anhänge versandt; stattdessen werden direkt aus der Anwendung heraus Download-Links erzeugt. Abb. 5: Autodesk Construction Cloud Die Planunterlagen der Ingenieurgemeinschaft werden vom Auftraggeber direkt in der CDE geprüft, mit Anmerkungen versehen und im digitalen Freigabeprozess an den Planer zurückgesendet. Nach der Überarbeitung stellen die Planer die angepasste Version der Planung erneut in die CDE ein und starten den nächsten Freigabeprozess. Über die automatische Versionierung der Dateien sind auch im Nachhinein alle einzelnen Prüf-, Bearbeitungs- und Abstimmungsprozesse nachvollziehbar und werden dauerhaft gespeichert. Somit gibt es für alle Beteiligten jeweils einen aktuellen Planstand; „alte“ Versionen werden automatisch archiviert. Die einzelnen Teil-Modelle wurden disziplinen- und anwendungsspezifisch strukturiert um zum Beispiel Bestand und Neubau klar zu trennen. Die Bestandsunterlagen aus der Vermessungstechnik wurden in die native Revit-Umgebung importiert und durch Informationen aus den Bestandsunterlagen und den umfangreichen Bestandserkundungen ergänzt. Baugrundaufschlüsse wurden gemäß ihrer Verortung eingefügt, und alle Neubaudaten wurden direkt in spezifischen Revit- und Tekla-Modellen erzeugt. Im Gesamtkoordinationsmodell flossen anschließend alle geometrischen und alphanumerischen Informationen zusammen. Der Großteil der projektrelevanten Bauteile wurde mit der Modellierungssoftware Revit modelliert. Für den Stahlüberbau wurde die auf den Stahlbau spezialisierte Software Tekla verwendet. Die Vorteile der jeweiligen Anwendung konnten so in einem Projekt vereint werden. Im BAP wurden detaillierte Qualitätssicherungsmaßnahmen definiert. Diese Qualitätssicherungsmaßnahmen waren Grundlage für alle Koordinationsprozesse im BIM- Projekt. Die für das Projekt festgelegten Quality Gates definieren Verantwortlichkeiten und Inhalte der Qualitäts- 104 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Mönchengladbachs erste BIM-Brücke prüfung und stehen in direktem zeitlichen Zusammenhang mit dem BIM-Projektmeilensteinplan und dem Datenlieferungsplan. Hier werden Prüfkriterien wie Kollisions-, Freiraum- und Attributprüfung festgelegt und zugeordnet; gleichzeitig wird definiert, in welchem Rahmen und in welcher Tiefe (disziplinübergreifend, stichprobenartig etc.) die Prüfung durch welche Instanzen erfolgen soll. Den festgelegten „Quality Gates“ wurden Projektverantwortliche für die Qualitätssicherung zugeteilt, die bei jedem Datenzyklus verschiedene Prüfkriterien erfüllen mussten. Der Prozess steht dabei in zeitlichem Kontext zum Datenlieferungsplan. Die BIM-Methode wurde von der Leistungsphase 2 bis zum bevorstehenden Abschluss der Leistungsphase 6 nach HOAI, also der Erstellung der Ausschreibungsunterlagen eingesetzt. Es ist geplant, die BIM-Methodik auch in der Bauausführung weiterzuführen und an deren Abschluss ein As-built-Modell, also ein digitales Abbild des tatsächlich ausgeführten Bauwerks, zu erhalten, welches für die zukünftige Bauwerksunterhaltung und -instandhaltung, verwendet werden soll - also für ein datenbasiertes Erhaltungsmanagement. Ein Zwischenstand der Planung wurde bereits an das Team „Digitaler Zwilling“ der Stadt Mönchengladbach übergeben, um auch hier zu testen, inwiefern Schnittstellen oder Datenverlust künftig eine Rolle spielen. Der erste Test verlief problemlos, und das Modell konnte bereits in ersten Ausschusssitzungen vorgeführt werden und damit der Planstand gut veranschaulicht werden. 5. BIM baut Brücken - auch zwischen den Prozessbeteiligten Wie alle Lernprozesse benötigt auch der für viele Beteiligte neue Umgang mit der BIM Methodik einen hohen Aufwand an Motivation, Kommunikation und Verständnis. Es ist nicht immer leicht, beim Einrichten und dem ersten Durchführen eines neuen Prozesses einen höheren Aufwand zu betreiben, „nur“ weil man damit beim zweiten Mal Aufwand oder Zeit spart oder an Qualität gewinnt. Je länger die Zusammenarbeit im BIM-Projekt andauerte, desto mehr haben aber ausnahmslos alle Beteiligten den Mehrwert erkannt und schätzen gelernt. Abb. 6: Ortsbegehung des Projektteams Die Vorteile der BIM-Arbeitsweise lagen in unterschiedlichen Gebieten. Der Auftraggeber schätzte besonders die geordnete zentrale Datenablage und die automatisierten Prüfabläufe, welche die Zusammenarbeit und die Abstimmungen mit den Planern ebenso wie im eigenen Haus, erheblich vereinfachten. Die Barriere zwischen dem Auftraggeber und den einzelnen Arbeitsschritten des Planers wurde durchlässiger. Durch die regelmäßige Ablage der Modelle in der CDE, welche der Bauherr über einen integrierten Viewer jederzeit anschauen konnte, wurde er intensiver in den Planungsverlauf einbezogen und konnte bestimmte Problemstellung schneller und besser nachvollziehen. Für den Planer bestanden die größten Vorteile in der hohen Qualität der erzeugten Planung und in der transparenten und damit einfachen Erklärbarkeit dieser Planung gegenüber dem Auftraggeber. Durch die dreidimensionale Modellierung des geometrisch anspruchsvollen Bauwerks konnten viele Details schnell, aber eben auch stimmig entwickelt und dargestellt werden. Kollisionen innerhalb der Planung und mit der an sie angrenzenden Bebauung wurden schneller erkannt und konnten frühzeitig behoben werden. Der Abbruch des Bestands konnte mit Hilfe des Bestandsmodells genau geplant werden und die für die Kostenermittlung und Ausschreibung wichtigen Mengen wurden getrennt nach Baustoffen aus diesem exportiert. Planende und Bauherr arbeiteten direkt im Modell zusammen und fanden die beste Lösung für alle Beteiligten. Auch gegenüber dem Fördergeber konnten im Rahmen einer ersten Vorstellung sowie zur Abstimmung des Projektverlaufs in Präsentationen alle wichtigen Plandetails transparenter vermittelt werden. Abb. 7: Visualisierung Bestandsmodell der „alten“ Brücke Eine Einführung der BIM-Methode erfordert nicht nur die Bereitschaft aller Beteiligten, sich auf diesen neuen Prozess einzulassen; sie führt auch zu höheren finanziellen Aufwänden, besonders in den ersten Leistungsphasen. Dabei liegen die Mehraufwendungen gar nicht so sehr in der reinen dreidimensionalen Modellierung, sondern eher in dem „Drumherum“. Die Einrichtung, Miete und Pflege der CDE über die gesamte Projektzeit hat daran einen erheblichen Anteil. Zudem benötigt die Weiterbildung der noch nicht geübten Mitarbeiter und die Abstimmung ganz einfacher Prozesse oft viele Arbeitsstunden, weil Vorlagen und Vorgaben noch fehlen. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 105 Mönchengladbachs erste BIM-Brücke Abb. 8: Kollisionsprüfung mit dem Programm Navisworks Dem gegenüber stehen Einsparungen, weil Planungsfehler, Nachträge in der Bauphase und Baumängel vermieden werden. Gleichzeitig wird eine hochwertige Datengrundlage für den späteren Betrieb geschaffen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es bereits viel gute Ansätze zum Beispiel zur Digitalisierung in der Bauwerksprüfung bestehen, bei der die geschaffenen Datengrundlagen eingesetzt werden können. Die Entwicklung einer „echten“ Digitalisierungskette, die von Anbeginn einer ersten Idee über die Planung, den Bau sowie die Unterhaltung eines Bauwerks (Bauwerks-/ Verkehrsmanagement) bis hin zum Abriss den gesamten Lebenszyklus abbildet, bedarf jedoch noch einiger Entwicklungsarbeit. Hier müssen verschiedenste digitale Module geschaffen werden, die wie Zahnräder ineinandergreifen. Abb. 9: Modellbasierte Erstellung des Leistungsverzeichnisses 6. Eine der spannendsten und intensivsten Aufgaben der nächsten Jahre Für die Stadt Mönchengladbach gilt es jetzt, an die gewonnenen Erfahrungen anzuknüpfen und zu prüfen, wie diese Planungsmethode auch fachbereichsübergreifend eingesetzt werden kann. Es müssen Geoinformatiker, Planer und Ausführende zusammengebracht und unterschiedlichste Gewerke wie Hochbau, Straßenbau und Brückenbau in einem System verortet werden. Aber auch weitere Fragen gilt es, nach und nach zu klären und umzusetzen: Wie geht man mit Bestandbauwerken um? Wie kommen diese kostengünstig in ein BIM-Modell? Wie können zum Beispiel Bauwerksprüfungen oder Straßenkontrollen in BIM abgebildet werden? Und auch die Frage, inwieweit die dreidimensionalen Planungs- und Gebäudedaten in den bereits im Auf bau befindlichen Digitalen Zwilling der Stadt Mönchengladbach einfließen können, sollen und dürfen, muss beantwortet werden. In der Planung konnte das dreidimensionale Modell zur Klärung der Herstellungsmöglichkeiten (Mehrfachverwundene Träger, die Aufstellmöglichkeiten von Schwerlastkränen), aber auch zur besseren Darstellung einzelner Schritte des Bauablaufs in politischen Gremien verwendet werden. Die folgenden Abbildungen zeigen Ausschnitte des digitalen Zwillings der Stadt Mönchengladbach, in den das Brückenmodell eingebunden wurde. Abb. 10: Digitaler Zwilling der Stadt Mönchengladbach- Ansicht der Brücke von Osten Abb. 11: Digitaler Zwilling der Stadt Mönchengladbach- Ansicht der Brücke von Norden Nach dem Abschluss dieses Pilotprojektes ist eine kritische Diskussion des Planungs- und Bauprozesses geplant. Im Ergebnis dieser Diskussion steht im Idealfall ein validierter BIM-Prozess, mit dem die Stadt Mönchengladbach die nächsten BIM-Planungen starten kann. Als erstes Fazit lässt sich sagen, dass die digitale Transformation ein Zug ist, der nicht nur Fahrt aufgenommen hat, sondern der ständig beschleunigt. Hier müssen alle Beteiligten mitgenommen werden. Und daraus entwickelt sich der Wunsch an die großen Bauherren wie Deutsche Bahn und Autobahn GmbH, die Normengeber und die BIM-Kompetenznetzwerke (z.B. buildingSMART) die kleineren Beteiligten im kommunalen Bereich im Blick zu behalten und nicht abzuhängen. Bitte schaffen Sie Dokumente, Vorlagen und Handlungsanweisungen die frei zugänglich, leicht verständlich und gut umsetzbar sind! 106 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Mönchengladbachs erste BIM-Brücke Gerade in den Städten und Gemeinde gibt es einen großen Bedarf an integrierten BIM-Planungen. Nirgendwo sonst treffen so viele verschiedene Fachrichtungen des Bauens, wie Hochbau, Tief bau, Technische Ausrüstung, Ingenieurbau, Verkehrswegebau auf so engem Raum direkt aufeinander. BIM zählt für uns zu einer der spannendsten und intensivsten Aufgaben, die auf die Planer und Manager von Bauwerken in der kommunalen Familie der Stadt Mönchengladbach in den nächsten Jahren zukommt. Es besteht noch eine Menge Entwicklungsbedarf, um viele dieser Fragen zu beantworten und die gefundenen Antworten letztendlich mit Hilfe von marktreifen Produkten zur Anwendung zu bringen. Literatur [1] Lambracht, C.; Malcher, A.; von der Haar, C.: BIM baut Brücke(n). In: Kommune21 06/ 2024, S. 42- 43. [2] Malcher, A.; Saliba, A; Wolgast, E.: Herausforderungen und Perspektiven bei der BIM-Planung von Brücken - das Beispiel der Geh- und Radwegüberführung Riederwald. In: Bautechnik 100 (2023) Heft 7, S. 396-405. [3] von der Haar, C.; Gudat, A.; Thiele, D.; Göhlmann,- J.: BIM-Pilotprojekte Huntebrücke und Grawiedebrücke - Erfahrungen mit dem Werkzeug BIM in der Entwurfsplanung. In: Bautechnik 99 (2022) Heft 8, S. 630-638. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 107 Digitale Modellierung von Bestandsbrücken im Kontext des SHM Erste Schritte zur Ontologie Martin Köhncke, M. Sc. Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr Hamburg Dr.-Ing. Al-Hakam Hamdan A+S Consult GmbH, Dresden Jens Bartnitzek A+S Consult GmbH, Dresden Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Sascha Henke Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr Hamburg Univ.-Prof. Dr.-Ing. Sylvia Keßler Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr Hamburg Zusammenfassung Brückenbauwerke sind ein unverzichtbarer Teil unserer Infrastruktur. Die Sicherstellung ihrer uneingeschränkten Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit ist eine große Herausforderung. Die Digitalisierung ist für diese Aufgabe unter Berücksichtigung der großen Anzahl an Brückenbauwerken ein hilfreiches Tool, dessen Potenzial bisher nur unzureichend ausgeschöpft worden ist, weil eine einheitliche Methode zur Digitalisierung von Brückenbauwerken fehlt. Die Digitalisierung von Bestandsbrücken mit der Methode BIM benötigt schnelle und einfache Vorgehensweisen für die Erstellung von BIM Modellen, um die große Anzahl an Brücken schnell und effektiv abzubilden. Dazu sind die Objekte und ihre Relationen in maschinen-interpretierbaren Formen zu strukturieren. Ein Ansatz dafür ist die Entwicklung von Ontologien. Für Bestandsbrückenbauwerke ergibt sich die Besonderheit, dass diese über die Zeit Zustandsveränderungen sowie bauliche Veränderungen durch Instandsetzungsmaßnahmen erfahren. Ebenso ist es möglich, Sensoren für die Bauwerkszustandsüberwachung zu integrieren. Aufgrund der langen Nutzungsdauern von Brücken ist ein umfassendes Informationsmanagement über den Lebenszyklus unumgänglich. Die Nutzung des angesammelten Wissens eines Bauwerkes über Softwaregrenzen hinaus stellt aktuell eine große Herausforderung dar. Im Gegensatz zu einer Taxonomie, die lediglich eine Hierarchie zwischen den Objekten aufzeigt, bietet eine Ontologie den Vorteil logischer Verknüpfungen zwischen den Objekten, was wiederum Schlussfolgerungen ermöglicht. Auf einer solchen Ontologie können innovative Anwendungen auf bauen, um den Menschen bei Entscheidungsprozessen zu unterstützen. Dieser Beitrag gibt Einblick in die Entwicklung und beispielhafte Anwendung einer entsprechenden Ontologie und diskutiert deren Chancen und Herausforderungen in der Nutzung. 1. Einführung Brückenbauwerke stellen einen integralen Bestandteil der Verkehrsinfrastruktur dar. Sie überwinden dabei geografische Hindernisse wie Flüsse, Täler oder andere Verkehrswege. Dadurch stellen diese Bauwerke auch immer einen Engpass im Netzwerk der Verkehrswege dar [1]. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist der Betrieb und Unterhaltung der Brückenbauwerke mit immer weniger Personal durchzuführen. Ein wichtiger Schritt dieser Herausforderung zu begegnen, stellt die Digitalisierung dar, deren Potenzial bisher noch nicht vollständig ausgeschöpft wird. Ein wichtiger Punkt der Digitalisierung ist die Datenhaltung und Datenstrukturierung. Im Bauwesen wird hierzu die Methode des Building Information Modelling (BIM) genutzt. Diese bietet mit dem offenen Dateiformat Industry Foundation Classes (IFC) eine Möglichkeit, bauwerksspezifische Daten über Softwaregrenzen hinaus auszutauschen. Dabei steht inzwischen auch die Maschineninterpretierbarkeit bei der Datenhaltung im Fokus, um die Informationen der Brückenbauwerke für automatisierte Ansätze nutzbar zu machen. Der Ansatz der Ontologie ist dabei von zentraler Bedeutung. Dieser Ansatz stellt ein System von Informationen und deren Beziehungen untereinander zur Verfügung. Zunächst wird aber der aktuelle Stand der Digitalisierung von Brückenbauwerken dargestellt. 2. Aktuelle Situation Im Bauwesen werden aktuell viele unterschiedliche Schritte in Richtung der Digitalisierung unternommen. Neben der Digitalisierung von Verwaltungsabläufen und Planungsprozessen werden zunehmend auch Bau- 108 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Digitale Modellierung von Bestandsbrücken im Kontext des SHM verfahren betrachtet. Eine der einflussreichsten Digitalisierungsschritte stellt wohl die Nutzung von BIM dar, da diese Methode mit der Einführung des BIM Masterplans Bundesfernstraßen im September 2021 eine klare Vorgabe für die Nutzung von BIM in Projekten des Bundesfernstraßennetzes gemacht hat [2]. Dennoch befindet sich die Digitalisierung erst am Anfang sowohl bezogen auf die Lebenszyklusphasen der Bauwerke als auch bei der Einführung und Nutzung in Bauprojekten [3]. In der Planungs- und Bauphase befinden sich bereits ein paar Brückenbauprojekte der Infrastrukturbetreiber wie der Deutschen Bahn, der Autobahn GmbH und den Wasser- und Schifffahrtsverwaltungen, in denen die Methode BIM genutzt wird. Allerdings konnten bisher nur wenige Brückenbauprojekte abgeschlossen werden, sodass die Nutzung von BIM in der Betriebsphase aktuell noch wenig erfolgt. Eine Voraussetzung dafür stellen sogenannte As-Built-Modelle dar, welche den Zustand erfassen, wie tatsächlich gebaut wurde, also inklusive von Vor-Ort-Anpassungen, Mängeln und deren Behebung. Die Erzeugung von As-Built-Modellen als Grundlage für die Betriebsphase hat bereits eine gewisse Aufmerksamkeit erfahren [4]. Dennoch stehen nur begrenzt As-Built- Modelle für Brückenbauwerke zur Verfügung. Weiterhin besteht an dieser Stelle noch Forschungsbedarf, um die genauen Forderungen der Betriebsphase zu strukturieren und zu erfassen. Die Informationen eines As-Built-Modells müssen nicht zwangsläufig den benötigten Informationen der Betriebsphase entsprechen. Zum Beispiel können Informationen des Terminplans für die Bauphase wichtig sein, während für den Betrieb nur noch das Datum der Abnahme für die Bestimmung der Gewährleistungsdauer relevant ist. Diese Aspekte hängen auch stark von den jeweiligen Infrastrukturbetreibern ab, weshalb diesbezüglich ein strukturiertes, aber auch flexibles Vorgehen sinnvoll ist. Die Nutzung von Künstlicher Intelligenz und Digitalen Zwillingen sind weitere Möglichkeiten der Digitalisierung, die über das Potential der Methode BIM hinausgehen. Digitale Zwillinge werden teilweise mit 3D-Modellen gleichgesetzt, weshalb an dieser Stelle darauf hingewiesen wird, dass in diesem Beitrag ein Digitaler Zwilling typsicherweise drei Aspekte aufweist, von denen ein 3D-Modell nur zwei erfüllt. Neben dem physischen Objekt und seinem digitalen Abbild ist auch eine bidirektionale Verbindung zwischen den beiden Objekten notwendig [5]. Durch diese bidirektionale Verbindung können sich die beiden Objekte jeweils an den aktuellen Zustand anpassen. 3. Ziele der Digitalisierung Die Effekte des demografischen Wandels wie die geringere Verfügbarkeit von Fachkräften stellt eine große Herausforderung für die Infrastrukturbetreiber dar. Wenn der Bedarf an Fachkräften nicht mehr gedeckt werden kann, muss den vorhandenen Fachkräften durch geeignete Maßnahmen wie Automatisierung von Routineaufgaben mehr Zeit für wichtigere Aufgaben gegeben werden. Die Digitalisierung kann durch eine Vereinfachung und Teil-Automatisierung der Verwaltung von Brückenbauwerken den allgemeinen Aufwand bei den Infrastrukturbetreibern reduzieren. Dafür sind entsprechende Strukturen in den Abläufen aber auch in der Datenhaltung notwendig, die die Digitalisierung nicht nur ermöglichen, sondern auch fördern. Der Betriebsphase als längster Phase des Lebenszyklus kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. 4. Methodik Die genaue Art und Menge an Informationen, die in der Betriebsphase erfasst und verarbeitet werden, sind nicht bzw. nur schwer vorhersehbar. Aus diesem Grund ist es schwierig, die betrieblichen Informationen in einer relationalen Datenbank, wie z.-B. PostgreSQL zu speichern, da dessen tabellenartige Struktur starr ist und auf Veränderungen oder unstrukturierte Aufnahme von Informationen nicht flexibel reagieren kann. Wird die Nutzung einer relationalen Datenbank zur Speicherung und Verarbeitung von Informationen in der Betriebsphase angestrebt, so ist dies dementsprechend mit einem hohen administrativen Aufwand verbunden, da das übergeordnete Datenbankschema auf die unstrukturierte Eingabe von Informationen angepasst werden muss. Ansonsten würden Informationen falsch oder uneindeutig hinterlegt werden. Eine Alternative zu relationalen Datenbanken bieten sogenannte Graphdatenbanken, die sämtliche Informationen und über-geordnete Schemata in einem flexibel erweiterbaren Graphen speichern. Dabei werden Informationen in sogenannten „Knoten“ gespeichert, die miteinander in Relation über „Kanten“ gesetzt bzw. verknüpft werden. Es ist nicht nur möglich, Informationen in diesen Graphdatenbanken zu speichern, sondern auch zugrunde liegende Logik bzw. Wissen, wie diese Informationen semantisch zu verarbeiten sind. Wird ein Graph mit Wissen angereichert, so spricht man von einem Wissensgraphen, der auch als Ontologie [6] zu klassifizieren ist. Ontologien sind Teil der Wissensrepräsentation und somit ein Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz. Sie ermöglichen die automatisierte Schließung von Informationslücken und Schlussfolgerung neuer implizierter Informationen anhand von vordefinierten Inferenzregeln und verhindern die Eingabe widersprüchlicher bzw. unplausibler Informationen mittels Integritätsregeln. Zur Erstellung von Ontologien als Wissensgraphen existieren W3C-Standards, wie das Resource Description Framework (RDF) und hierauf auf bauende Erweiterungen, wie das RDF-Schema (RDFS) und die Web Ontology Language (OWL). Zur Entwicklung einer datentechnischen Lösung, die ein flexibles Verwalten von Informationen in der Betriebsphase ermöglicht, wird eine Ontologie in OWL konzipiert, die an bestehendes Fachwissen zu Schäden, Brückenbauwerken, verbauter Sensorik, Geodaten und ASB-ING anknüpft. Hierfür wird die Ontologie mit folgenden fachspezifischen OWL-basierten Ontologien gemäß anerkannter Linked Data Prinzipien verlinkt (siehe auch Abbildung 1): 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 109 Digitale Modellierung von Bestandsbrücken im Kontext des SHM • Die Bridge Topology Ontology (BROT) [7] zur Beschreibung der topologischen Beziehungen von Brückenbauteilen untereinander. • Den BROT-Erweiterungen Bridge Information und Bridge Components zur Beschreibung konkreter Bauwerks- und Bauteilinformationen der Brücke. • Der Digital Construction Building Materials (DICBM) Ontologie [8] zur semantischen Beschreibung von Baustoffen. • Die ASB-ING Ontologie [9] zur verlustfreien Wiedergabe von Fachinformationen gemäß des ASB-ING Standards. • Die Damage Topology Ontology (DOT) [10], sowie dazugehörige Erweiterungen zur semantischen Beschreibung von Bauwerksschäden. • Die Semantic Sensor Network Ontology (SSN) [11] sowie die Erweiterung Sensor, Observation, Sample & Actuator (SOSA) [12] zur semantischen Beschreibung von Sensorik, die in der Betriebsphase von Brücken verbaut werden kann. • GeoSPARQL und die Open Street Map Ontologie OS- Monto [13] zur Beschreibung von Geodaten. Abbildung 1 - Ontologie-Ökosystem zur Wissensrepräsentation von Brücken in der Betriebsphase Unter Anbindung der genannten Ontologien wird ein Wissensraum aufgestellt, der zur Verarbeitung aller Informationen in der Betriebsphase genutzt werden kann. Treten in der Betriebsphase Informationen auf, die nicht von den angebundenen Ontologien unterstützt werden, so können diese Informationen zunächst ohne Wissensbezug gespeichert werden. Zu einem späteren Zeitpunkt kann dann eine unterstützende Ontologie nachträglich hinzugefügt werden, sodass die Wissensrepräsentation flexibel erweiterbar bleibt. Die Ontologie enthält keine detaillierten geometrischen Daten zu Bauwerk, Schäden oder Umgebung. Sie ist ausschließlich auf die Verarbeitung von Semantik ausgerichtet. Die Geometrie wird in eigenen Modellen wie z.-B. IFC beschrieben, deren Formate für eine Beschreibung der Geometrie optimiert sind. Über einen Information Container for linked Document Delivery (ICDD) gemäß ISO 21597 oder Verlinkungen innerhalb einer Datenbank können Ontologie-Komponenten mit entsprechenden Geometrien verknüpft werden. Dies ermöglicht eine effiziente Verarbeitung geometrischer Daten bei einer gleichzeitigen Anbindung konsistenter semantischer Daten. 5. Anwendungsbeispiel Als Proof of Concept wurden zwei Modelle der Brücken „Stader Straße“ (siehe Abbildung 2) und „Vahrendorfer Stadtweg“ (siehe Abbildung 3) in der BIM-Software Kor- Fin® erstellt. Beide Brücken sind Spannbetonbrücken, die sich an der A7 in Hamburg befinden. Die gesamte Geometrie der Brücken sowie der bebauten Umgebung wird innerhalb von KorFin prozessiert (siehe Abbildung 4). Hierbei werden IFC-Daten, aber auch weitere Modelle, wie das Digitale Geländemodell sowie Stadtmodell (in CityGML) geometrisch verarbeitet und in einer 3D-Planungsumgebung dargestellt. Abbildung 2 - BIM-Modell der Stader Straße (dargestellt in KorFin®) Abbildung 3 - BIM-Modell Vahrendorfer Stadtweg (dargestellt in KorFin®) Üblicherweise werden in KorFin neben geometrischen auch semantische Daten in Fachobjekten zusammengefasst und verwaltet. Im Zuge des Anwendungsbeispiels ist es jedoch möglich, die Geometrie mit dem Ontologie- Framework aus Kapitel 4 zu verknüpfen, sodass die Fachinformationen dynamisch modifizierbar sind. 110 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Digitale Modellierung von Bestandsbrücken im Kontext des SHM Abbildung 4 - Planung der Stader Straße in KorFin® Unter Verwendung von Ontologien lassen sich z.-B. implizite Informationen aus der Anbindung bestehenden Fachwissens ableiten. Hierzu ist ein veranschaulichendes Beispiel in Abbildung 5 dargestellt. Ein Fachobjekt wird hierbei als Pfeiler klassifiziert (engl. Pier) und hat einen zugewiesenen Schaden, der als Abplatzung mit freiliegender Bewehrung klassifiziert ist (engl. Spalling with Exposed Reinforcement). Abbildung 5 - Pfeiler und dazugehöriger Schaden als Graph Über Verlinkungen lässt sich das Wissen über Schäden und Bauteile mit dem Normungswissen der ASB-ING Ontologie verknüpfen (siehe Abbildung 6). Abbildung 6 - Verknüpfung von Wissen zu Bauteilen und Schäden mit ASB-ING Ontologie Das verknüpfte Wissen aus der ASB-ING Ontologie kann dann genutzt werden, um neue implizite Informationen über Bauteile und Schäden zu schlussfolgern. In diesem Fall würden z.-B. die Schlüsselnummern nach ASB-ING automatisch dem Pfeiler und Schaden zugewiesen werden (siehe Abbildung 7). Die Schlussfolgerung impliziter Informationen innerhalb der Ontologie erfolgt mittels einer entsprechenden Reasoning-Engine, die Axiome in OWL auf Basis von Beschreibungslogik interpretiert. Hierdurch wird gewährleistet, dass die Ontologie entscheidbar bleibt und gleichzeitig Widersprüche automatisiert aufgedeckt werden. Letzteres kann über entsprechende Fehlermeldungen und -abhandlungen im zugrundeliegenden Software-System verwaltet werden. Abbildung 7 - Folgerung impliziter Informationen in Ontologie 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 111 Digitale Modellierung von Bestandsbrücken im Kontext des SHM 6. Ausblick Die Digitalisierung des Bauwesens insbesondere der Brückenbauwerke entwickelt sich aktuell schnell weiter und eröffnet viele Möglichkeiten. Allerdings fordert die schnelle Entwicklung von den Beteiligten auch eine ebenso schnelle Anpassung und Implementierung in den bestehenden Abläufen. Dieser Aufwand ist immer in Relation zu dem entstehenden Nutzen zu setzen. Dabei darf nicht vernachlässigt werden, dass diese Investitionen in neue Methoden auch die Grundlage für weitere Digitalisierungen und Effizienzsteigerungen sind. Insbesondere die Methode BIM ist eine Voraussetzung für die zukünftige Bewerbung um öffentliche Aufträge. Die Nutzung von Ontologien stellt dabei auch eine gute Ausgangsbasis für weitere Entwicklungen und engere Verknüpfung der Softwarelandschaft dar, wodurch zukünftig weitere Routinetätigkeiten automatisiert werden können. Insbesondere die Offenheit für Erweiterungen und Ergänzungen um weitere Ontologien eröffnen die notwendige Flexibilität für die Weiterentwicklung und Aufnahme von aktuell unstrukturiertem Wissen, ohne eine Erhöhung des Verwaltungsaufwands nach sich zu ziehen. Literatur [1] Marx, Steffen (2022): Ingenieurbau im Bestand. In: Beiträge zum 61. Forschungskolloquium mit 9. Jahrestagung des DAfStb. 61. Forschungskolloquium mit 9. Jahrestagung des DAfStb, 26./ 27.09.2022: TU Dresden, S. 37-38. [2] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hg.) (2021): Masterplan BIM Bundesfernstraßen. Digitalisierung des Planens, Bauens, Erhaltens und Betreibens im Bundesfernstraßenbau mit der Methode Building Information Modeling (BIM). Online verfügbar unter https: / / bmdv.bund. de/ SharedDocs/ DE/ Anlage/ StB/ bim-rd-masterplan-bundesfernstrassen.pdf? __blob=publication- File, zuletzt geprüft am 22.07.2024. [3] Hindersmann, Iris; Haferkamp, David; Probst, Rebecca; Krenz, Lisa-Marie; Nieborowski, Sonja; Bednorz, Jennifer (2024): Modellbasierte Entwicklung und Umsetzung der digitalen Bauwerksakte. In: Bautechnik 101 (3), S. 206-214. DOI: 10.1002/ bate.202400011. [4] Bednorz, Jennifer; Hindersmann, Iris; Jaeger, Klaus; Marszalik, Monika (2020): Methoden zur Generierung von As-Built-Modellen für Bestandsbrücken. In: Bautechnik 97 (4), S. 286-294. DOI: 10.1002/ bate.202000011. [5] Schimanski, Christoph Paul; Sandau, Martina; Zinke, Tim; Schumann, René (2024): Digitale Zwillinge und Datenvernetzung als Grundlage für KI-Anwendungen im Bauwesen. In: Shervin Haghsheno, Gerhard Satzger, Svenja Lauble und Michael Vössing (Hg.): Künstliche Intelligenz im Bauwesen. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 41-61. [6] T. Gruber, „Ontology“, Encyclopedia of Database Systems, S. 2009, 2009. [7] A.-H. Hamdan und R. J. Scherer, „Integration of BIM-related bridge information in an ontological knowledgebase“, Linked Data in Architecture and Construction Workshop, 2020. [8] P. Valluru, J. Karlapudi, K. Menzel, T. Mätäsniemi, und J. Shemeika, „A Semantic Data Model to Represent Building Material Data in AEC Collaborative Workflows“, IFIP Advances in Information and Communication Technology, Bd. 598, S. 133-142, 2020, doi: 10.1007/ 978-3-030-62412-5_11. [9] A. Göbels und J. Beetz, „Conversion of legacy domain models into ontologies for infrastructure maintenance“, in Linked Data in Architecture and Construction Workshop 2021, 2021. [10] A.-H. Hamdan, M. Bonduel, und R. J. Scherer, „An ontological model for the representation of damage to constructions“, in 7th Linked Data in Architecture and Construction Workshop, 2019. [11] A. Haller u. a., „The Modular SSN Ontology: A Joint W3C and OGC Standard Specifying the Semantics of Sensors, Observations, Sampling, and Actuation“, Semantic Web - Interoperability, Usability, Applicability, 2018, Zugegriffen: 26. Juli 2024. [Online]. Verfügbar unter: https: / / hal.science/ hal-01885335 [12] K. Janowicz, A. Haller, S. J. D. Cox, D. L. Phuoc, und M. Lefrancois, „SOSA: A Lightweight Ontology for Sensors, Observations, Samples, and Actuators“, Journal of Web Semantics, Bd. 56, S. 1-10, Mai 2019, doi: 10.1016/ j.websem.2018.06.003. [13] M. Codescu, G. Horsinka, O. Kutz, T. Mossakowski, und R. Rau, „OSMonto - An Ontology of OpenStreetMap Tags“, 2011. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 113 Lebensdauerbewertung für Stahlbetonbrücken auf der Grundlage von XAI Dr.-Ing. Francesca Marsili Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr Hamburg, Professur für Konstruktionswerkstoffe und Bauwerkserhaltung, Hamburg Dr. Filippo Landi University of Pisa, Department of Civil and Industrial Engineering, Pisa, Italien Prof. Dr. Rade Hajdin Infrastructure Management Consultants GmbH, Zürich, Schweiz Prof. Dr.-Ing. Sylvia Keßler Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr Hamburg, Professur für Konstruktionswerkstoffe und Bauwerkserhaltung, Hamburg Zusammenfassung Dieser Artikel beschreibt ein hybrides System zur Analyse von Zustands- und Bestandsdaten, die in Brückenmanagementsystemen enthalten sind, um die Nutzungsdauer von Stahlbetonbrücken zu ermitteln. Das System integriert vier unterschiedliche Analyseansätze, die auf überwachten und unüberwachten Lerntechniken, erklärbaren Methoden der künstlichen Intelligenz und stochastischen Prozessen basieren. Dieser innovative Ansatz unterstützt die Entwicklung und kritische Bewertung von Verfallsmodellen für typische Schäden an Stahlbetonbrücken. Zur Demonstration des Ansatzes wird eine Anwendung auf die Analyse von Schrägrissen in Brückenüberbauten vorgestellt. Die Methodik ist adaptierbar und kann zur Analyse verschiedener Arten von Schäden und Infrastrukturen angewendet werden. 1. Einführung Ein Brückenmanagementsystem (BMS) ist ein digitales Werkzeug, das die Verwaltung des Brückeninventars, einschließlich der Instandhaltungsplanung, unterstützt [1]. Ein BMS umfasst eine Datenbank und Software zur Erfassung, Speicherung und Analyse von Bestands-, Zustands- und Instandhaltungsdaten über Brücken. Viele Länder, darunter Deutschland und die Schweiz, haben vor 30 bis 40 Jahren BMS-Systeme entwickelt. Bis heute enthalten BMS die Ergebnisse von in regelmäßigen Abständen durchgeführten i. d. R. visuellen Prüfungen von Brücken. Diese Daten unterstützen die Instandhaltungsplanung und die Entwicklung von Verfallsmodellen, mit denen die Restnutzungsdauer von Brücken oder Bauteilen vorhergesagt werden kann. Die Dauerhaftigkeit von Stahlbetonbrücken wird von vielen Faktoren beeinflusst, die die Verfallsprozesse beschleunigen oder verlangsamen können. Einige Beispiele sind Materialqualität, Einwirkungen aus der Nutzung, Herstellungsverfahren, Umweltbedingungen und Klimaveränderungen, Instandhaltungshistorie, sowie externe Faktoren wie aussergewöhnliche Ereignisse. Um die Ressourcen für die Instandhaltung optimal zu nutzen und die Lebensdauer von Brücken möglichst zu verlängern, wären Ad-hoc- Verfallsmodelle und eine individuelle Instandhaltungsplanung erforderlich. Dieser Ansatz ist jedoch in der Planungs- und Umsetzungsphase zeitintensiv. Für die Infrastrukturbetreiber ist es viel praktikabler, ein Instandhaltungsmanagement zu wählen, das auf festen Intervallen basiert, die vom Alter der Brücke oder deren Bauteile abhängen. Zwischen einem individuellen Ansatz für die Instandhaltungsplanung, der auf den unterschiedlichen Verfallsverhalten der einzelnen Brücken basiert, und einem verallgemeinerten Ansatz, der auf vordefinierten Intervallen für die Instandhaltung beruht, können einige Zwischenstrategien entwickelt werden, die darauf abzielen, die Vorteile dieser beiden Ansätze zu kombinieren und ihre Nachteile zu begrenzen. Eine mögliche Strategie besteht darin, Objekte, die eine ähnliche Degradationstendenz aufweisen, in Gruppen zusammenzufassen, die Restnutzungsdauer und den Lebenszyklus für jede Gruppe zu bestimmen. Dabei werden die Gruppen so gewonnen in dem die Streuung innerhalb der Gruppe minimiert wird. Dies erlaubt ähnliche Instandhaltungsprogramme für die Objekte der jeweiligen Gruppe zu entwickeln. Je nachdem, wie viele Gruppen ermittelt werden können, kann diese Strategie einen Kompromiss zwischen individueller und allgemeiner Instandhaltung darstellen und die Grundlage für ein effizienteres Infrastrukturmanagement bilden. In den letzten Jahrzehnten hat die Anwendung von unüberwachten und überwachten Lernverfahren im Bereich des Bauwesens zugenommen. Überwachte Techniken, wie z.-B. Clustering-Algorithmen, können zur Erkennung von Mustern in Datensätzen verwendet werden und dienen verschiedenen Zwecken, die für die betrachtete Dis- 114 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Lebensdauerbewertung für Stahlbetonbrücken auf der Grundlage von XAI ziplin relevant sind. In [2] wird beispielsweise der Expectation-Maximization-Algorithmus auf die Ergebnisse von Materialabnahmeprüfungen angewandt, die in den letzten Jahrzehnten durchgeführt wurden, um Betonklassen aus den 1960er Jahren zu identifizieren. Diese Techniken können auch auf die Entwicklungszeiten von Schäden oder Zuständen angewandt werden, um Gruppen von Schäden oder Bauteilen zu identifizieren, die dem ähnlichen Verhalten unterliegen, um Verfallsmodelle auf der Grundlage der gruppierten Daten zu entwickeln. Die Anpassung des Modells an die gruppierten Daten gewährleistet eine Vorhersage der Lebensdauer, die sich durch begrenzte Unsicherheiten auszeichnet. Die Bestimmung von Clustern in den Daten kann für Infrastrukturbetreiber entscheidend sein. Von besonderer Bedeutung ist die Fähigkeit, Cluster auf der Grundlage von Brückenbestandsdaten, Brückenmerkmalen und Umweltbedingungen vorherzusagen. Dies würde es Infrastrukturbetreibern ermöglichen, die Lebensdauer eines Bauwerks vorherzusagen, bevor ein Verfallsprozess eingesetzt hat. Zu diesem Zweck können Techniken des überwachten Lernens zur Klassifizierung von Clustern auf der Grundlage verfügbarer Brückenmerkmale eingesetzt werden. Bei diesen Techniken handelt es sich jedoch häufig um Black-Box-Modelle, so dass ihre Ergebnisse für Infrastrukturbetreiber schwer zu nachvollziehen und zu interpretieren sind. Obwohl es möglich ist, diese Techniken auf Daten anzuwenden, die in BMS gehalten werden, wären die daraus resultierenden Managementpraktiken nicht transparent. Das Problem, datenbasierte KI-Techniken nachvollziehen zu können bzw. zu interpretieren, ist bei all ihren Anwendungen allgegenwärtig. Um hier Abhilfe zu schaffen, wurden in den letzten Jahren erklärbare KI-Techniken (explanaibale AI, XAI) entwickelt [3]. Durch die Kopplung solcher Techniken mit KI-Anwendungen erhält man einen Einblick in die Vorhersage des KI-Modells, aus dem man eine Erklärung herbeiführen kann. Es gibt verschiedene XAI-Techniken, die in Klassen eingeteilt werden können. Eine davon ist die Post-hoc-Erklärbarkeit, zu der spieltheoretische Techniken wie die SHAP- Analyse gehören [4]. Um die Lebensdauer bzw. die Restnutzungsdauer zu ermitteln, sollte ein Modell die verfügbaren Zustandsdaten integrieren. In der Literatur finden sich verschiedene Modelle, die auf unterschiedlichen Herangehensweisen beruhen. Ein Ansatz besteht darin, die physikalischen, chemischen und mechanischen Prozesse zu berücksichtigen, die der Schadensentwicklung zugrunde liegen, und diese mit den verfügbaren Daten zu kombinieren [5]. Dieser Ansatz ist jedoch nur praktikabel, wenn die Faktoren, die den Prozess beeinflussen, eindeutig identifiziert werden können, was nicht immer der Fall ist. Ein anderer Ansatz ist die Anpassung eines stochastischen Prozesses an die Daten. Ein bekannter Prozess ist die Markov-Kette, die sich für diskrete Zustandsklasse eignet, wie sie Schäden und Brückenzuständen bei visuellen Inspektionen zugewiesen werden [6]. Die Entwicklung von Schäden oder Zuständen kann jedoch oft genauer durch einen physikalischen, kontinuierlichen Parameter beschrieben werden. Aus diesem Grund können andere stochastische Prozesse, die zeitlich und räumlich kontinuierlich sind, wie der Gamma-Prozess, in Betracht gezogen werden [7]. Dieses Verfahren wird bereits zur Modellierung von typischen Prozessen bei Stahlbetonbrücken, wie Korrosion und Ermüdung, eingesetzt. In diesem Beitrag wird ein Ansatz zur Entwicklung von Verfallsmodellen für Stahlbetonbrücken und zur Bewertung ihrer Lebensdauer vorgestellt. Der Ansatz integriert verschiedene überwachte und nicht überwachte Lerntechniken und wendet stochastische Prozesse an. Im Einzelnen werden die folgenden Methoden eingesetzt: 1) Clustering von Zustandsdaten (Schadensübergangszeiten) mit dem k-means-Algorithmus, um Cluster von Schäden zu identifizieren, die sich mit ähnlichen Geschwindigkeiten entwickeln; 2) Anwendung des Random-Forest-Modells zur Vorhersage von Clustern auf der Grundlage von Brückenbestandsdaten; 3) Erklärung von Cluster-Vorhersagen mit Hilfe der SHAP-Analyse; 4) Entwicklung eines Verfallsmodells auf der Grundlage geclusterter Daten unter Verwendung des Gamma-Prozesses. Dieser Ansatz ist in drei Punkten innovativ: 1) Identifizierung von Schadensgruppen und zugehörigen Bauteilen durch direkte Clusterung der Zustandsübergangszeiten; 2) Bewertung der Lebensdauer mit begrenzter Unsicherheit durch Anpassung eines Gamma-Prozesses an die Cluster-Übergangszeiten; 3) Bereitstellung eines Rahmens, der die kritische Bewertung von Verfallsmodellen im Infrastrukturmanagement ermöglicht. Kapitel 2 gibt einen Überblick über die Bestands- und Zustandsdaten von Brücken, die in den untersuchten BMS gesammelt werden. In Kapitel 3 werden die Methoden in qualitativer Hinsicht eingeführt. In Kapitel 4 werden die Ergebnisse vorgestellt, die in Kapitel 5 diskutiert werden. 2. Methode 2.1 k-means-Algorithmus Der k-means-Algorithmus ist eine unüberwachte Lernmethode, die zur Identifizierung ähnlicher Datenelemente in einem Datensatz verwendet wird [8]. Er ist auf numerische Daten anwendbar und beruht auf der Berechnung des euklidischen Abstands zwischen Datenpunkten innerhalb von Clustern und ihren Mittelpunkten. Der Algorithmus besteht aus den folgenden Hauptschritten: 1) Zufällige Auswahl von Clusterschwerpunkten; 2) Berechnung des euklidischen Abstands zwischen Datenpunkten und Clusterschwerpunkten; 3) Zuordnung jedes Datenpunkts zu dem Cluster mit dem nächstgelegenen Schwerpunkt; 4) Berechnung des Mittelwerts des Clusters, der zum neuen Clusterschwerpunkt wird. Diese Schritte werden so lange wiederholt, bis der Algorithmus konvergiert (d.-h. sich die Clusterschwerpunkte nicht mehr ändern). Der Algorithmus hat zwei Nachteile: 1) Eine falsche Wahl der anfänglichen Schwerpunkte kann zu suboptimalen Ergebnissen führen. Dieses Problem wird durch die Verwendung des k-means++ Algorithmus entschärft. 2) Die optimale Anzahl von Clustern im Datensatz ist 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 115 Lebensdauerbewertung für Stahlbetonbrücken auf der Grundlage von XAI unbekannt. Dieses Problem wird durch die Berechnung eines Leistungsmaßes namens Silhouette-Width (SW) für jedes Clustermodell angegangen. Der SW-Wert reicht von -1 bis 1, wobei der höchste SW-Wert das beste Clustermodell angibt [9]. 2.2 Random-Forest-Algorithmus Der Random-Forest-Algorithmus ist eine überwachte Lerntechnik, die für Klassifizierungsaufgaben (Vorhersage von kategorialen Variablen) verwendet wird [10]. Er besteht aus einem Ensemble von Entscheidungsbäumen. Ein Entscheidungsbaum strukturiert einen Datensatz hierarchisch auf der Grundlage der Werte der Merkmale des Datensatzes, ähnlich wie ein Baum mit Knoten und Blättern. Diese Struktur lässt sich leicht visualisieren und macht den Entscheidungsbaum zu einem leicht zu interpretierenden White-Box-Modell. Entscheidungsbäume sind jedoch anfällig für Overfitting. Random Forest, ein Ensemble von Entscheidungsbäumen, liefert robustere Ergebnisse, die jedoch schwieriger zu erklären und zu interpretieren sind. 2.3 SHAP-Analyse SHapley Additive exPlanations (SHAP) ist ein Ansatz zur Erklärung und Interpretation der Vorhersagen von Modellen des maschinellen Lernens [4]. Die SHAP-Analyse beruht auf den Shapley-Werten, einem Konzept aus der Spieltheorie, das die Zuweisung von Auszahlungen an die Spieler in einem kooperativen Spiel beschreibt. Beim maschinellen Lernen sind die „Spieler“ die Merkmale, und die „Auszahlung“ ist die Vorhersage des Modells für einen bestimmten Fall. Die SHAP-Analyse hilft dabei, den Beitrag jedes Merkmals bei der Vorhersage einzelner Instanzen zu verstehen und die Bedeutung jedes Merkmals für die Gesamtvorhersage zu bewerten. Jede Instanz hat so viele SHAP-Werte, wie es Merkmale gibt. Ein positiver SHAP-Wert zeigt an, dass der Wert des Merkmals für diese spezifische Instanz positiv zur Vorhersage der Klasse beiträgt. Durch Aggregation der SHAP-Werte für einzelne Instanzen kann man den mittleren SHAP-Wert für jedes Merkmal berechnen. Ein höherer durchschnittlicher SHAP-Wert bedeutet eine größere Bedeutung des Merkmals für die Vorhersage. 2.4 Gamma-Prozess Der Gamma-Prozess ist ein stochastisches Modell zur Darstellung der zeitlichen Entwicklung typischer Schäden an Bauwerken, wie Korrosion, Ermüdung und Abnutzung. Er eignet sich besonders für die Modellierung von nicht fallenden Verfallsprozesse, die durch einen kontinuierlichen Parameter, wie Korrosionstiefe oder Rissbreite, gekennzeichnet sind [7]. Es werden Daten über die Entwicklung dieses Parameters im Laufe der Zeit gesammelt, und durch Anpassung eines Gamma-Prozesses an die Daten wird die Unsicherheit in der Entwicklung des Parameters modelliert. Die Entwicklung des Parameters kann linear oder nichtlinear sein, wobei beide Varianten durch den Gamma-Prozess erfasst werden. In einigen Fällen werden die Daten über den Verfallsprozess in umgekehrter Weise erhoben: Die Schadensniveau sind fest, während der Zeitpunkt, zu dem diese Stufen erreicht werden, zufällig ist. In diesem Szenario kann das Gamma-Prozess immer noch angewendet werden, indem die Zeit als Zufallsvariable (abhängiger Parameter) und das Schadensniveau als unabhängiger Parameter behandelt wird. 2.5 Integrierter Rahmen für die Analyse Die vier Methoden werden in einen einheitlichen Rahmen integriert, der es Infrastrukturbetreibern ermöglicht, Degradationsmodelle kritisch zu bewerten. Im Mittelpunkt dieses Rahmens steht die Identifizierung von Clustern auf der Grundlage ähnlicher Schadens- oder Zustandsentwicklungsraten. Die Cluster werden zunächst durch Anwendung des k-means-Algorithmus auf die Übergangszeiten von Schäden oder Zuständen ermittelt. Diese Cluster werden dann mit Hilfe des Random- Forest-Algorithmus auf der Grundlage von Brückenbestandsdaten vorhergesagt. Die Vorhersagen werden durch die SHAP-Analyse erläutert, die auch die Zusammensetzung der einzelnen Cluster verdeutlicht. Schließlich wird das Gamma- Prozess an die Daten innerhalb jedes Clusters angepasst, wobei die Schadens- oder Zustandsübergangszeit als abhängiger Parameter (die Zufallsvariable) betrachtet wird. 3. Daten SIB-Bauwerke ist im Wesentlichen eine Inventar- und Zustandsdatenbank, in der die Zustandsdaten für Stahlbetonbrücken gespeichert werden. Umfassende Prüfungen finden alle sechs Jahre statt, mit Überwachungen alle drei Jahre. Die hierarchische Datenbankstruktur umfasst drei Ebenen: die Brücke, die Bauteile der Brücke und die Schäden, die an diesen Bauteilen festgestellt wurden. Beispiele für Brückenbauteile sind der Überbau und der Unterbau. Jedem Schaden wird eine Schadensklasse in Bezug auf Dauerhaftigkeit, Tragfähigkeit und Verkehrssicherheit zugeordnet. Ein Algorithmus aggregiert die Zustandsdaten von der Schadensebene auf die Bauteilebene und dann auf die Brückenebene. Diese Forschung konzentriert sich auf Schadensklassen, die mit der Dauerhaftigkeit zusammenhängen. Dabei wird davon ausgegangen, dass die schlechteste Schadensklasse den Gesamtzustand des Bauteils bestimmt, obwohl auch andere Faktoren wie das Ausmaß der Schäden berücksichtigt werden. In dieser Studie wird die Lebensdauer einer Brücke definiert als die Zeit bis zum Erreichen der Schadensklasse 4 unter Berücksichtigung der geplanten Instandhaltung, aber ohne größere Instandsetzungen. Besondere Aufmerksamkeit wird den Zustandsdaten im Zusammenhang mit Rissen gewidmet. Es werden nur Schäden berücksichtigt, die von den Schadensklassen 0 auf 1 und von 1 auf 2 übergegangen sind. Dies bedeutet, dass Schäden vernachlässigt werden, die bisher keinen oder nur einen Übergang gezeigt haben. Manchmal wurde ein Schaden behoben, d. h. er weist 116 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Lebensdauerbewertung für Stahlbetonbrücken auf der Grundlage von XAI eine abnehmende Schadensklasse auf. In diesem Fall werden die Zustandsdaten bis zur Durchführung der Maßnahme berücksichtigt. Da die verfügbaren Zustandsdaten sehr umfangreich sind, lassen sich Schadensfamilien anhand ihrer Entwicklungsgeschwindigkeit identifizieren. Anschließend wird der Random-Forest-Algorithmus zur Vorhersage von Clustern auf der Grundlage von Brückenmerkmalen, insbesondere Bestandsdaten, eingesetzt. Die berücksichtigten Bestandsmerkmale sind: Baujahr, Bauart, Bautyp, Statisches System, Ziellastniveau, Traglastindex, Fläche(qm). In dieser Analyse dienen die Bestandsmerkmale als unabhängige Variablen, während das Cluster als abhängige oder Zielvariable fungiert. Da viele unabhängige Variablen kategorisch sind, werden sie mit Hilfe des One-Hot-Codierungsansatzes in numerische Arrays umgewandelt. 4. Ergebnisse Das beschriebene Verfahren wurde auf Zustandsdaten angewandt, die sich auf viele im SIB-Bauwerke dokumentierte Schaden beziehen, darunter Netzrisse, Querrisse, Schrägrisse, Längsrisse und Abplatzungen. Schäden am Brückenüberbau wurden getrennt von denen am Brückenunterbau analysiert. In dieser Arbeit werden nur die Ergebnisse der Analyse von Schrägrissen im Überbau wiedergegeben. Die Ergebnisse zu den anderen Schadensprozessen werden am Ende dieses Abschnitts zusammengefasst. Alle Analysen wurden in Python mit den Paketen Scikit-Learn [11] und SciPy durchgeführt [12]. Zunächst wird eine Clusteranalyse auf der Grundlage des k-means-Algorithmus durchgeführt, bei der ähnliche Sequenzen von Schadensübergangszeiten ermittelt wurden. Diese Analyse wurde für insgesamt 226 Datenpunkte durchgeführt. Jeder Datenpunkt ist ein Vektor, der aus zwei Elementen besteht (Verbleibzeit in Schadensklasse 1 und in Schadensklasse 2). Die Berechnung der SW zeigt, dass die besten Clustermodelle diejenigen sind, die durch 2 und 3 Cluster gekennzeichnet sind. Da die beiden Modelle fast gleich gut sind (SW von ca. 0,62), wurde das Modell mit 3 Clustern gewählt. Dieses Modell identifiziert drei Gruppen von Schäden, die durch schnelle, normale und langsame Entwicklungsraten gekennzeichnet sind. Die in den einzelnen Clustern gesammelten Datenpunkte sind jeweils 120, 84, 22 (Abb. 1). In Anbetracht der Tatsache, dass der Zustand des Bauteils durch die schlechteste Schadensklasse bestimmt wird, identifiziert die Clusteranalyse ebenfalls drei Gruppen von Bauteilen: anfällig, normal und robust. Eine visuelle Analyse der Clusterbildung zeigt, dass die Verbleibzeit in der Schadensklasse 1 hauptsächlich die Clusterdefinition beeinflusst und die Phase der Rissöffnung darstellt. In einem zweiten Schritt wurde die Vorhersage des Clusters auf der Grundlage der Daten des Brückenbestands durch Anwendung des Random-Forest-Algorithmus durchgeführt. Während der Trainingsphase wurden die Hyperparameter des Algorithmus abgestimmt und optimiert. Der Algorithmus erreichte eine Genauigkeit von 0,92 für die korrekte Vorhersage der Cluster. Dieses Ergebnis spiegelt sich in der Konfusionsmatrix wider (Abb.-2). Der Algorithmus klassifiziert jedoch nicht korrekt den Cluster „robust“. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Cluster lediglich eine geringe Anzahl von Datenpunkten enthält. Abb. 1: Clusteranalyse auf der Grundlage des k-means- Algorithmus. Abb. 2: Konfusionsmatrix aus dem Random Forest- Algorithmus. Anschließend wurde eine SHAP-Analyse durchgeführt deren Ergebnisse mithilfe des Wichtigkeitsdiagramms und des Abhängigkeitsdiagramms visualisiert werden. Das Wichtigkeitsdiagramms ordnet die Merkmale nach ihren durchschnittlichen SHAP-Werten ein, was die Wichtigkeit der Merkmale widerspiegelt. Das Abhängigkeitsdiagramm gibt an, welche Werte der Merkmale zur Vorhersage welcher Cluster beitragen. Zudem zeigt es die Wechselwirkungen mit anderen Merkmalen auf. Das Wichtigkeitsdiagramms verdeutlicht die wichtigsten Merkmale: „Baujahr“, gefolgt von „Ziellastniveau“ und „Traglastindex“ (Abb.-3). Das Abhängigkeitsdiagramm liefert zusätzliche Informationen und zeigt, dass (Abb. 4, Abb. 5, Abb. 6): 1) Schäden an kürzlich gebauten Brücken (von 1990 bis 2010) sind mit dem Cluster „fragile“ assoziiert; 2) Schäden an alten Brücken (von 1940 bis 1965) sind mit dem Cluster „robust“ assoziiert; 3) Schäden an Brücken, die zwischen 1965 und 1990 gebaut wurden, sind mit dem Cluster „normal“ assoziiert. Das Merkmal „Baujahr“ zeigt auch starke Wechselwirkungen mit den Merkmalen „Traglastindex“ und „Ziellastniveau“, da bei- 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 117 Lebensdauerbewertung für Stahlbetonbrücken auf der Grundlage von XAI de Merkmale von den im Laufe der Zeit entwickelten und veränderten Vorschriften und Normen abhängen. Abb. 3: SHAP-Wichtigkeitsdiagramm. Abb. 4: SHAP-Abhängigkeitsdiagramm (Cluster „robust“). Abb. 5: SHAP-Abhängigkeitsdiagramm (Cluster „normal“). Abb. 6: SHAP-Abhängigkeitsdiagramm (Cluster „anfällig“). Abb. 7: Simulation der Schadensentwicklung auf der Grundlage des Gamma-Prozesses. Abb. 8: Kumulative Lebenszeitverteilungsfunktion, die sich aus der Simulation des Gamma-Prozesses ergibt. Schließlich wird die Analyse auf der Grundlage des Gamma-Prozesses durchgeführt. Dieser Schritt ermöglicht die Entwicklung von Verfallsmodellen auf der Grundlage der in den einzelnen Clustern gruppierten Zustandsdaten (Abb. 7, Abb. 8). Die Abfolge der Übergangszeiten in Schadensklasse 1 und 2 wird durch eine Stichprobe aus der Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion der Übergangszeiten in Schadensklasse 3 ergänzt. Obwohl diese Daten für die Einbeziehung in die Clusteranalyse nicht ausreichen, können sie in diesem Stadium berücksichtigt werden, um die Robustheit des entwickelten Degradationsmodells zu erhöhen. Durch die Durchführung einer Monte-Carlo-Simulation mit dem abgeleiteten Degradationsmodell kann das Alter, in dem die Brückenschäden in die Schadensklasse 4 übergehen, abgeschätzt werden: Dies entspricht 24.0 Jahren für anfällige Bauteile, 47.9 Jahren für normale Bauteile und 67.0 Jahren für robuste Bauteile (Tabelle 1). Tabelle 1. Durchschnittliche Verbleibzeit en (Jahre) in jeder Schadensklasse (Schäden: Schrägrisse). 1 2 3 4 Anfällig 7,0 12,4 17,9 24,0 Normal 31,6 38,8 43,8 47,9 Robust 51,7 58,9 63,5 67,0 118 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Lebensdauerbewertung für Stahlbetonbrücken auf der Grundlage von XAI 5. Interpretation der Ergebnisse Die Analyse der Zustandsdaten in Bezug auf andere Arten von Rissen und Abplatzungen liefert ähnliche Ergebnisse. In einigen Fällen ist die Anzahl der Datenpunkte jedoch geringer, so dass die Ergebnisse weniger zuverlässig sind. Das Merkmal „Baujahr“ erweist sich durchweg als der wichtigste Faktor bei der Vorhersage des Clusters. Ähnliche Bereiche von Merkmalswerten werden mit den Clustern „fragil“, „normal“ und „robust“ assoziiert. Allerdings haben die Merkmale „Ziellastniveau“ und „Traglastindex“ eine geringere Bedeutung, was zu einer größeren Ungenauigkeit bei der Vorhersage von Clustern auf der Grundlage der ausgewählten Merkmale führt. Das entwickelte hybride KI-System, das sich aus vier verschiedenen Analysen zusammensetzt, zeigt Beziehungen zwischen Brückenalter und Schadensclustern auf: 1) Schäden, die sich schnell entwickeln, werden mit kürzlich gebauten Brücken in Verbindung gebracht; 2) Schäden, die sich langsam entwickeln, sind mit älteren Brücken verbunden; 3) Schäden, die sich mit mittlerer Geschwindigkeit entwickeln, entsprechen Brücken, die in den 1970er und 1980er Jahren gebaut wurden. Diese Ergebnisse sind kontraintuitiv, denn angesichts des Fortschritts bei Bautechniken, Vorschriften und Materialien würde man erwarten, dass ältere Brücken schneller Risse entwickeln, während neuere Brücken diese langsamer entwickeln. Die Datenbank, die erst vor 30-40 Jahren erstellt wurde, dokumentiert jedoch keine sich schnell entwickelnden Schäden an älteren Brücken. Einige dieser Schäden wurden bereits behoben, und in einigen Fällen wurden anfällige Brücken und Bauteile vor der Entwicklung der Datenbank ersetzt. Folglich deuten die Analysen, insbesondere die SHAP-Analyse, darauf hin, dass die Daten von einer Überlebensverzerrung betroffen sind. Die Analysen zeigen auch, dass eine Vorhersage von Schadensgruppen auf der Grundlage der im BMS gespeicherten Brückenbestandsdaten derzeit nicht möglich ist. Ein weiteres wertvolles Forschungsthema ist die Untersuchung von Faktoren, die den Zeitpunkt der Schadensentstehung und -entwicklung beeinflussen und somit das Schadenscluster bestimmen. Wenn Daten über diese Faktoren gesammelt werden können, würde dies die Vorhersage der Lebensdauer von Bauteilen und die Bewertung der Schadensentwicklung erheblich verbessern. 6. Fazit In diesem Artikel wird ein Verfahren zur Entwicklung von Degradationsmodellen für Stahlbetonbrücken vorgeschlagen. Das Verfahren basiert auf Zustands- und Bestandsdaten aus Brückenmanagementsystemen. Die Daten von SIB-Bauwerken, wurden mit dem vorgeschlagenen Ansatz analysiert. Der Ansatz besteht aus vier verschiedenen Analysen, die überwachte und unüberwachte Lerntechniken, erklärbare Methoden der künstlichen Intelligenz und stochastische Prozesse beinhalten. Die Integration dieser vier Analysen ermöglicht die Entwicklung von Verfallsmodellen mit begrenzen Unsicherheiten. Darüber hinaus verdeutlicht der Rahmen die Merkmale der Daten, aus denen die Degradationsmodelle entwickelt werden, insbesondere die Population der Schäden und Bauteile der Brücke. Dieses Ergebnis zeigt, dass die Zustandsdaten durch eine Überlebenden-Verzerrung beeinflusst werden. Die Auswirkungen dieses Umstandes werden in zukünftigen Forschungsstudien untersucht werden. Danksagungen Diese Arbeit wurde im Rahmen des DACH-Projekts „ENDURE - Entwicklung und Erprobung hybrider Modelle zur Abschätzung der Restnutzungsdauer von Brücken“ durchgeführt. Dieser Artikel stellt einen Teil der Projektergebnisse vor. Ausführliche Details finden sich im Abschlussbericht (https: / / projekte.ffg.at/ projekt/ 4213294). Literatur [1] S. W. Hudson, R. F. Carmichael III, L. O. Moser, W.-R. Hudson, and W. J. Wilkes, “Bridge management systems,” 1987. [2] P. Croce, F. Marsili, F. Klawonn, P. Formichi, F.- Landi, “Evaluation of statistical parameters of concrete strength from secondary experimental test data,” Construction and Building Materials. 2018; 163: 343-359. [3] S. Ali, T. Abuhmed, S. El-Sappagh, K. Muhammad, J. M. Alonso-Moral, R. Confalonieri, R. Guidotti, J.-Del Ser, N. Diaz-Rodriguez, F. Herrera, “Explainable artificial intelligence (xai): What we know and what is left to attain trustworthy artificial intelligence,” Information Fusion, vol. 99, p.- 101805, 2023. [4] S. M. Lundberg and S.-I. Lee, “A unified approach to interpreting model predictions,” in Advances in Neural Information Processing Systems, I. Guyon, U. V. Luxburg, S. Bengio, H. Wallach, R. Fergus, S. Vishwanathan, and R. Garnett, Eds., vol. 30. Curran Associates, Inc., 2017. [5] N. Lethanh, J. Hackl, B.T. Adey, “Determination of Markov Transition Probabilities to be Used in Bridge Management from Mechanistic-Empirical Models,” J. Bridge Eng. 2017; 22(10): 04017063. [6] G. Morcous, “Performance prediction of bridge deck systems using markov chains,” Journal of Performance of Constructed Facilities, 20(2) 146-155, 2006. [7] J. van Noortwijk, “A survey of the application of gamma processes in maintenance,” Reliability Engineering System Safety, 94(1) 2-21, 2009. [8] C. C. Aggarwal and C. K. Reddy, Data Clustering, Algorithms and Applications. Taylor Francis Group, 2014. [9] P. J. Rousseeuw, “Silhouettes: A graphical aid to the interpretation and validation of cluster analysis,” Journal of Computational and Applied Mathematics, 20, 53-65, 1987. [10] L. Breiman, “Random forests,” Machine Learning, 45, 5-32, 2001. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 119 Lebensdauerbewertung für Stahlbetonbrücken auf der Grundlage von XAI [11] F. Pedregosa, G. Varoquaux, A. Gramfort, V. Michel, B. Thirion, O. Grisel, M. Blondel, P. Prettenhofer, R. Weiss, V. Dubourg et al., “Scikit-learn: Machine learning in python,” Journal of machine learning research, vol. 12, no. Oct, pp. 2825-2830, 2011. [12] P. Virtanen, R. Gommers, T. E. Oliphant, M. Haberland, T. Reddy, D. Cournapeau, E. Burovski, P. Peterson, W. Weckesser, J. Bright, S. J. van der Walt, M. Brett, J. Wilson, K. J. Millman, N. Mayorov, A. R. J. Nelson, E. Jones, R. Kern, E. Larson, C. J. Carey, ̇ I. Polat, Y. Feng, E. W. Moore, J. VanderPlas, D. Laxalde, J. Perktold, R. Cimrman, I. Henriksen, E. A. Quintero, C. R. Harris, A. M. Archibald, A. H. Ribeiro, F. Pedregosa, P. van Mulbregt, and SciPy 1.0 Contributors, “SciPy 1.0: Fundamental Algorithms for Scientific Computing in Python,” Nature Methods, vol. 17, pp. 261-272, 2020. Beurteilung und Bewertung des Zustands 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 123 Brückenerhaltung in Baden-Württemberg - Zustandsentwicklung, Strategien und Innovationen Dipl.-Ing. Gundula Peringer Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, Leiterin Referat 24 Erhaltungsmanagement und Ingenieurbau Dr.-Ing. Tim Weirich Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, Brückenreferent im Referat 24 Zusammenfassung Trotz des im Jahr 2011 In Baden-Württemberg vollzogenen Paradigmenwechsels („Erhaltung vor Um-, Aus- und Neubau“) und der damit verbundenen Fokussierung auf Erhaltungsmaßnahmen befindet sich der Brückenbestand mit Blick auf die Substanz und die Tragfähigkeit in erheblichem Umfang in einem instandsetzungsbzw. ertüchtigungswürdigen Zustand. In der Summe ist derzeit für rund jede zehnte Brücke in Baden-Württemberg eine Erhaltungsmaßnahme einzuleiten. Um der fortschreitenden Verschlechterung der Brückensubstanz effektiv entgegenzuwirken, müssen mittelfristig pro Jahr landesweit bis zu 100 Brücken im Bundes- und Landesstraßennetz grundhaft instandgesetzt, ertüchtigt bzw. neugebaut werden. Allerdings reichen die aktuell zur Verfügung stehenden Investitionsmittel, v. a. im Landeshaushalt, sowie personellen Ressourcen nicht aus, um die Anzahl an Erhaltungsmaßnahmen im erforderlichen Umfang zu erhöhen. Daher hat die Straßenbauverwaltung des Landes bereits verschiedene Maßnahmen angeschoben, um die Auswirkungen aus den fehlenden Ressourcen abzumindern. Ziel der Maßnahmen ist insbesondere die Planungs- und Bauzeit zu reduzieren und so die Zahl an Erhaltungsmaßnahmen insgesamt zu steigern. Der vorliegende Artikel gibt einen Überblick über den aktuellen Brückenzustand in Baden- Württemberg, sowie über die Strategien und Innovationen im Rahmen des Brückenerhaltungsmanagements. 1. Einführung Aufgrund der topographischen Randbedingungen befinden sich in Baden-Württemberg rd. 4.000 Brücken im Zuge von Bundes- und rd. 3.300 Brücken im Zuge von Landesstraßen. Die Brücken stellen die Achillesferse der Straßeninfrastruktur dar und bekommen die in den letzten Jahrzehnten gestiegenen Verkehrslasten in besonderem Maße zu spüren. Der Brückenbestand befindet sich mit Blick auf die Substanz und die Tragfähigkeit in erheblichem Umfang in einem instandsetzungsbzw. ertüchtigungswürdigen Zustand. Die Grundlage für die Bewertung des Brückenbestandes bilden dabei sowohl die Zustandsnote, die den baulichen Zustand der Brücke widerspiegelt, als auch der Traglastindex, durch den die Tragfähigkeitseigenschaften bewertet werden. Für die Berechnung der Zustandsnote werden im Zuge der alle drei Jahre durchgeführten Bauwerksprüfung die Schäden und Mängel aufgenommen und der Zustand unter Berücksichtigung der Standsicherheit, Verkehrssicherheit sowie Dauerhaftigkeit beurteilt. Die Ergebnisse werden zu einer Zustandsnote zwischen 1,0 (sehr gut) und 4,0 (ungenügend) zusammengefasst. Abb. 1: Schäden an der L 277 Donaubrücke Tuttlingen (Quelle: Regierungspräsidium Freiburg) Der Traglastindex stellt hingegen die Diskrepanz zwischen erforderlicher Brückentragfähigkeit (Ziellastniveau) und vorhandener Tragfähigkeit dar. Die Klassifizierung der Bauwerke erfolgt in fünf Bewertungsstufen von I bis V, wobei Stufe I jene Bauwerke kennzeichnet, welche die geforderten statischen und konstruktiven Anforderungen erfüllen. In der Stufe V sind die Brücken vertreten, die mit einem Alter von 50 Jahren und mehr den Zenit ihrer geplanten Nutzungszeit überschritten haben, nicht nach aktuellem Regelwerk geplant sowie gebaut wurden und bei denen aufgrund des seinerzeitigen Stands der Technik im Vergleich zu den heutigen Anforderungen die meisten statisch-konstruktiven Defizite auftreten. 124 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Brückenerhaltung in Baden-Württemberg - Zustandsentwicklung, Strategien und Innovationen Während die Zustandsnote insbesondere ein Instrument für die kurzfristige Priorisierung von Erhaltungsmaßnahmen darstellt, weist der Traglastindex auf die Dringlichkeit einer Erhaltungsmaßnahme hin und stellt somit ein Instrument für eine mittelfristige Prognose dar. 2. Zustand der Brücken 2.1 Zielvorgaben Grundsätzlich ist ein Brückenzustand sicherzustellen, der die gestellten Anforderungen an die Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit mit ausreichender Zuverlässigkeit erfüllt. Hierzu sind die folgenden Zielvorgaben aus der „Richtlinien für die strategische Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Ingenieurbauwerken (RPE-ING)“ und der „Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für Funktionsbauverträge von Ingenieurbauten (ZTV-Funktion-ING)“ einzuhalten. Die RPE-ING gibt vor, dass - bezogen auf die Brückenfläche, • die mittlere Zustandsnote im Bereich von 2,0-2,4, • der Zustandsnotenbereich „3,0 bis 4,0“ unter 10 % des Gesamtbrückenbestandes, • der Zustandsnotenbereich „3,5 bis 4,0“ unter 1,0 % des Gesamtbrückenbestandes liegen soll. Die ZTV-Funktion-ING setzt als Randbedingung, dass • die Zustandsnote (ZN) grundsätzlich nie schlechter als 2,9 sein darf, • den Zustand verbessernde Maßnahmen zu planen und so rechtzeitig durchzuführen sind, dass die ZN < 2,9 jederzeit eingehalten werden kann. Um die Forderungen an die Brückentragfähigkeit einzuhalten, steht zudem der Traglastindex als weiteres Bewertungsinstrument zur Verfügung. Ziel der Erhaltungsplanung ist ein möglichst kleiner Traglastindex. Brücken mit einem hohen Traglastindex sollten somit bevorzugt in der Erhaltungsplanung berücksichtigt werden. Bei Brückenbauwerken, die mit einem Traglastindex von IV oder V belegt sind, ist davon auszugehen, dass eine Instandsetzung kombiniert mit einer Ertüchtigung entweder technisch nicht möglich und/ oder nicht wirtschaftlich ist, d. h. es ist in der Regel ein Ersatzneubau erforderlich. 2.2 IST-Zustand Landesweit werden die Vorgaben der RPE-ING für den Zustandsnotenbereich „3,0 bis 4,0“ mit einem Wert von 10,81 % im Zuge von Bundesstraßen etwas überschritten und 9,64 % im Zuge von Landesstraßen knapp eingehalten. Auch für den Zustandsnotenbereich „3,5 bis 4,0“ wird die Vorgabe der RPE-ING für den Bereich der Bundesstraßen mit 0,69 % knapp eingehalten und im Zuge von Landesstraßen mit einem Wert von 1,34 % leicht verfehlt (siehe Abb. 2). Allerdings weisen 396 Brücken (Bund: 200 Brücken, Land: 196 Brücken) eine Zustandsnote schlechter als 3,0 auf, d. h. für diese Brücken sind Erhaltungsmaßnahmen einzuleiten. Darüber hinaus weisen im Bundes- und Landesstraßennetz rund 330 Brücken (Bund: 183 Brücken, Land: 144 Brücken) den schlechtesten Traglastindex von V auf (siehe Abb. 3). Diese Brücken sind durch die Straßenbauverwaltung genauer zu untersuchen. Für die Mehrheit dieser Brücken wird jedoch ein Ersatzneubau erforderlich sein. Abb. 2: IST-Zustand Zustandsnote (bezogen auf die Brückenfläche) 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 125 Brückenerhaltung in Baden-Württemberg - Zustandsentwicklung, Strategien und Innovationen Abb. 3: IST-Zustand Traglastindex 2.3 Aktuelle Zustandsentwicklung Trotz des im Jahr 2011 vollzogenen Paradigmenwechsels des Landes („Erhaltung vor Um-, Aus- und Neubau“) und der damit verbundenen Fokussierung auf Erhaltungsmaßnahmen hat sich der Zustand der Bundes- und Landesstraßenbrücken aufgrund der vorhandenen Altersstruktur sowie der gestiegenen Anforderungen an deren Tragfähigkeit im Laufe der letzten Jahre kontinuierlich verschlechtert (siehe Abb. 4 und Abb. 5). Abb. 4: Zustandsentwicklung Bundesstraßenbrücken 126 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Brückenerhaltung in Baden-Württemberg - Zustandsentwicklung, Strategien und Innovationen Abb. 5: Zustandsentwicklung Landesstraßenbrücken Ein Großteil der vorhandenen Bundes- und Landesstraßenbrücken weist ein durchschnittliches Bauwerksalter von rund 50 Jahren auf. Landesweit sind rund 653 Brücken im Bundes- und Landesstraßennetz durch einen Neubau zu ersetzen oder instandsetzungs-/ ertüchtigungsbedürftig. Somit ist derzeit etwa für jede zehnte Brücke in Baden-Württemberg eine Erhaltungsmaßnahme einzuleiten. Allein 70 Brücken davon weisen sogar den schlechtesten Traglastindex von V und gleichzeitig einen „kritischen Bauwerkszustand“ (Zustandsnote von 3,0 oder schlechter) auf, so dass hier ein dringender Handlungsbedarf vorliegt. 3. Strategien und Innovationen im Brückenerhaltungsmanagement 3.1 Ausgangslage Eine nachhaltige Strategie zur Brückenerhaltung erfordert sowohl die Berücksichtigung des Brückenzustandes als auch etwaiger Tragfähigkeitsdefizite. So ist bei Brücken in einem „kritischen Bau-werkszustand“ oder schlechter (d. h. ab Note 3,0 gem. DIN 1076) eine Erhaltungsmaßnahme einzuleiten. Tragfähigkeitsdefizite liegen insbesondere bei Brücken mit dem schlechtesten Traglastindex V vor. Diese Bauwerke sind somit prioritär zu behandeln. Zudem sind Brücken mit bauart- und materialbedingten Defiziten, wie Brücken mit spannungsrisskorrosionsgefährdetem Spannstahl, Brücken mit Verdrängungskörpern (Hohlkörperplatten), Brücken mit sprödbruchgefährdeten Edelstahl-rollenlagern, Brücken mit Koppelfugen usw. ebenfalls kurzfristig durch einen Neubau zu ersetzen. Um der fortschreitenden Verschlechterung der Brückensubstanz entgegenzuwirken, müssen mittelfristig pro Jahr landesweit bis zu 100 Brücken im Bundes- und Landesstraßennetz grundhaft instandgesetzt, ertüchtigt bzw. neugebaut werden. Die aktuell zur Verfügung stehenden Investitionsmittel sowie personellen Ressourcen reichen hierfür allerdings nicht aus. Neben einer Erhöhung der Investitionsmittel ist für ein zukunftsfähiges Straßennetz insbesondere ein Personalaufwuchs in den kommenden Jahren erforderlich um das aktuelle Erhaltungsdefizit in Höhe von rund 1,5 Mrd. Euro für die Brücken in Baden-Württemberg (Bund: 1,020 Mrd. Euro; Land: 0,480 Mrd. Euro) wirtschaftlich und nachhaltig zu bewältigen. 3.2 Maßnahmen Aufgrund der aktuellen Lage am Arbeitsmarkt ist ein kurzfristiger Personalaufwuchs nicht realistisch. Daher hat das Verkehrsministerium bereits verschiedene Maßnahmen angeschoben, um die Auswirkungen aus den fehlenden Personalressourcen abzumindern. Ziel der Maßnahmen ist insbesondere die Planungs- und Bauzeit zu reduzieren und so die Zahl der notwendigen Brückenersatzneubauten spürbar zu steigern. Vor diesem Hintergrund hat das Ministerium für Verkehr bereits am 14.12.2022 ein Schreiben veröffentlicht, wonach „Ersatzneubauten im Regelfall an Ort und Stelle unter Vollsperrung herzustellen“ sind. Durch entsprechende gesetzliche Regelungen, die zum 01.01.2021 in Kraft traten, sind für die Umsetzung derartiger Ersatzneubauten die baurechtlichen Voraussetzungen grundsätzlich gegeben, so 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 127 Brückenerhaltung in Baden-Württemberg - Zustandsentwicklung, Strategien und Innovationen dass ein sehr zeitaufwendiges formelles Verfahren zur Erlangung des Baurechts (bspw. Planfeststellungs-, Plangenehmigungs- oder Bebauungsplanverfahren) oder die Feststellung der unwesentlichen Bedeutung i. d. R. entfallen und somit beschleunigt mit dem Bau begonnen werden kann. Sofern auf ein Genehmigungsverfahren nicht verzichtet werden kann, sollen klar vorgegebene Strukturen bei der Beteiligung bzw. Abstimmung mit Dritten den Planungsprozess straffen. In diesem Zusammenhang werden aktuell die „Ergänzenden Arbeitshinweise für die Planung von Brückenersatzneubauten in der Straßenbauverwaltung“ erstellt und in Abstimmung mit dem Ministerium für Umwelt eine Arbeitshilfe „Gewässerkreuzende Verkehrsanlagen“ erarbeitet. Eine weitere Effizienzsteigerung erhofft sich die Straßenbauverwaltung durch die Verkürzung bzw. Bündelung von Vergabeverfahren z. B., indem Bauleistungen funktional ausgeschrieben oder mehrere Brückenerhaltungsprojekte in einer Sammelausschreibung gebündelt werden. Zudem soll geprüft werden, ob künftig verschiedene Ingenieurleistungen in einem Open-House-Verfahren, wie sie bei der Autobahn des Bundes bereits zum Einsatz kommen, vergeben werden können. Der gezielte Einsatz von innovativen Bauweisen, wie z.- B. der modularen Bauweise oder der „Expressbauweise“, soll zu einer wesentlichen Reduzierung der Bauzeit beitragen. Hierbei kann durch einen hohen Vorfertigungsgrad eine Minimierung sowohl der Bauzeit als auch der verkehrlichen Einschränkungen erzielt werden. 3.3 Ausblick Eine gute Planung ist die wichtigste Voraussetzung dafür, dass ein Brückenersatzneubau rasch umsetzbar ist und im Ergebnis gut gelingt. Dazu gehört auch, dass die Maßnahme im Umfeld breite Akzeptanz erfährt, indem trotz den mit einer Baumaßnahme einhergehenden negativen Begleiterscheinungen, wie z. B. Verkehrseinschränkungen, Baulärm, sonstige Umweltauswirkungen etc., die Notwendigkeit anerkannt wird und auf diese Weise Konfliktpotential reduziert werden kann. Ein politisches Bekenntnis für die Brückenerhaltung im Allgemeinen genügt an dieser Stelle nicht. Vielmehr bedarf es ein klares Votum für jedes einzelne notwendige Brückenbauprojekt. Vor diesem Hintergrund wird aktuell eine Projektliste erstellt, die sämtliche anhand fachlicher Kriterien ausgewählte prioritären Brückenerhaltungsmaßnahmen in Baden-Württemberg enthält. Derzeit ist davon auszugehen, dass - unter Berücksichtigung eines politischen Abstimmungsprozesses - die Liste voraussichtlich bis Jahresende veröffentlicht werden kann. Sie ist regelmäßig gemäß der aktuellen Zustandsentwicklung zu überprüfen und ggf. anzupassen. Im Ergebnis soll die Anzahl von Brückenerhaltungsmaßnahmen, welche grundhafte Instandsetzungen, Ertüchtigungen und Ersatzneubauten umfassen, schrittweise auf rund 100 Projekte im Jahr erhöht werden. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 129 Zentrale Datenplattform für Brücken-Monitoringsysteme Prof. Dr.-Ing. Max Gündel Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr Hamburg Dipl.-Phys. Wolfgang Ries LykosTec GmbH, Alzenau Zusammenfassung Im dtec.bw-Projekt „Digitalisierung von Infrastrukturbauwerken zur Bauwerksüberwachung: Structural Health Monitoring“ (SHM) wird die zuverlässigkeitsbasierte Zustandsbewertung von bestehenden Infrastrukturbauwerken mittels unterschiedlicher Monitoringsysteme erforscht. Die im Rahmen des Projektes installierten umfangreichen Messsysteme erzeugen sehr große Datenmengen, die erfasst, gespeichert und ausgewertet werden müssen. Hierfür wurde eine zentrale Datenplattform entwickelt und erprobt, die in diesem Beitrag vorgestellt wird. 1. Einführung Bauwerks-Monitoringsysteme, mit denen kontinuierlich Messdaten mittels Sensoren erhoben werden, sind ein probates Mittel, um in Echtzeit Informationen über Infrastrukturbauwerke zu erhalten. Diese können genutzt werden, um das Erhaltungsmanagement des Bauwerks zu optimieren und Maßnahmen zur Verlängerung der Restlebensdauer umzusetzen. Monitoringsysteme umfassen in der Regel verschiedenartige Sensortypen, die insbesondere bei großer Sensoranzahl und hoher Abtastrate zu großen Datenmengen führen. Die Erfassung, Speicherung, Verarbeitung und Integration dieser Daten in Echtzeit ist daher eine große Herausforderung. Bisher sind zur Datenverarbeitung bei Bauwerks-Monitoringsystemen in Deutschland sowohl in der Forschung als auch in der Praxis meist individuelle Lösung für einzelne Projekt entwickelt worden. Im Rahmen des von der EU geförderten dtec.bw-Projektes „Digitalisierung von Infrastrukturbauwerken zur Bauwerksüberwachung: Structural Health Monitoring“ (SHM) wurde eine zentrale Datenplattform für Monitoringsysteme von Verkehrsinfrastrukturbauwerken geschaffen. Ziel war, eine skalierbare Datenplattform zu entwickeln und zu erproben, in die Bauwerks-Monitoringsysteme verschiedener Anbieter projektübergreifend integriert werden können und die Daten unterschiedlichen Nutzern zur Verfügung gestellt werden können. Die Datenplattform ist in erster Linie eine Forschungsplattform, die sowohl Forschungspartnern innerhalb des Projektes als auch externen Forschungsgruppen zentral einen einfachen Zugriff auf qualitätsgesicherten Mess- und Metadaten aus einer Vielzahl laufender und abgeschlossener Monitoringprojekte ermöglicht. Darüber hinaus wird die Skalierbarkeit der Datenplattform innerhalb eines Projektes (d. h. Sensoranzahl und Abtastrate) und projektübergreifend (d. h. Anzahl der Projekte) erprobt, und zwar bezüglich der Integration von Monitoringsystemen verschiedener Anbieter, der Verarbeitung großer Datenmengen unterschiedlicher Datentypen in Echtzeit und der autonomen Datenanalyse auf der Plattform mittels eigener Funktionen. Dies dient auch dazu, Erfahrungen zur Definition von Anforderungen an eine kommerzielle, zentrale Datenplattform für Infrastrukturbauwerks-Monitoringsysteme in Deutschland zu sammeln. 2. Struktur der Datenplattform Die Architektur der Datenplattform folgt funktional und technisch einem Schichtenmodell und ist modular aufgebaut, sodass Module ergänzt, ausgetauscht oder entfernt werden können. 2.1 Datenverarbeitung und Datenintegration Die untere Schicht umfasst die Dateneingangsverarbeitung und Datenintegration. Die Datenerfassung erfolgt durch einer „Edge-Komponente“, an welche das spezifische Monitoringsystem des jeweiligen Anbieters angeschlossen wird. Auf dieser Komponente werden die firmenspezifischen Messdaten der verschiedenen Monitoringsystem-Anbieter in ein nicht-proprietäres Dateiformat transformiert (vereinheitlicht) und als Rohdaten an den zentralen Datenspeicher gesendet. Bei geringer Bandbreite ist eine Aggregierung der Rohdaten vor dem Versand möglich. Zudem ist das Aufspielen weiterer Datenanalyse-Algorithmen auf die Edge-Komponente zentral von der Datenplattform aus möglich (z. B. zur Analyse der Datenqualität). Die Datenspeicherung erfolgt zum einen in einem skalierbaren IoT-Datenspeicher und zum anderen in einer hoch performante, multimodale und für analytische Anwendungen optimierten Datenbank. Im IoT-Datenspeicher werden Zeitreihendaten, wie Sensorrohdaten, zeitlich aggregierte Sensordaten, berechnete KPIs und Prognosedaten, gespeichert. Die Analytics Datenbank hält alle Datenobjekte, die für eine integrierte Analyse z. B. unter Verwendung von Bauwerksmodellen, Last- und Klimadaten etc. erforderlich sind, vor und speichert die Ergebnisse aus Berechnungen und modellbasierten Prognosen oder Ereignisse aus dem Monitoring. 130 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Zentrale Datenplattform für Brücken-Monitoringsysteme Für verknüpfte Analysen können Daten aus dem IoT- Speicher in die Analytics Datenbank eingelesen und dort verarbeitet werden. Die Datenplattform enthält zudem Schnittstellen zu FE-Modellen und einer BIM-Umgebung. Die Integration und Darstellung der Messdaten in einer BIM-Umgebung ist Ziel eines weiteren Teilprojektes innerhalb des Gesamtprojektes. Die Nutzung eigener, erprobter Funktionen zur autonomen Datenverarbeitung und -analyse direkt auf der Datenplattform ist durch Container-Lösungen möglich. Beispielhaft ist dies für die Ermittlung der Bauwerks- Eigenfrequenzen auf Basis von Beschleunigungsdaten mittels einer operational modal analysis (OMA) bereits implementiert und die Ergebnisse als ausgewertete Daten auf der Datenplattform verfügbar, siehe Abb. 1. Abb. 1: Beispielhafte Darstellung der kontinuierlich mittels operational modal analysis (OMA) ermittelten Eigenfrequenzen der Autobahnbrücke Stader Straße Relevante Ereignisse am Bauwerk, wie Baumaßnahmen oder Verkehrsumlegungen, werden in einem digitalen Bautagebuch auf der Datenplattform nachgehalten und können zu den Zeitreihen eingeblendet werden. In Abb. 2 sind beispielhaft Kalibrierfahrten zur Inbetriebnahme des Bridge-Weigh-in-Motion (B-WIM) Systems der Autobahnbrücke Stader Straße dargestellt. Abb. 2: Beispielhafte Darstellung von Dehnungs-Zeitverläufen und Event-Informationen (rot) bei Kalibrierfahrten des B-WIM-Systems 2.2 Datenzugriff In der Abstraktionsschicht wird den Nutzern der Datenzugriff und die Übergabe an darüberliegenden Anwendungen durch APIs ermöglicht. Die Anwendungen (Visualisierungs-, Analyse-, Modellierungs-Werkzeuge etc.) können über Aufrufparameter die angeforderten Daten anhand von ingenieurtechnisch relevanten Attributen einschränken (z. B. Bauwerk, Teilbauwerk, Baugruppen, Sensoren, Zeiträume etc.) und erhalten die Ergebnisse in Form strukturierter Tabellen zurück. Die Visualisierung und visuelle Analyse von Zeitreihen unterstützten dabei die Auswahl von Daten für die darüberliegenden Anwendungen. Dies ist für mehrere Sensoren in hoher zeitlicher Auflösung und in (Nahe-) Echtzeit durch das Open Source Werkzeug Grafana möglich, siehe Abb 2. Zudem steht die SAP Analytics Cloud mit sehr mächtigen grafischen Analysefunktion zur Verfügung. Verschiedene parallele Grafiken können miteinander verbunden werden und durch Auswahl einzelner Datenpunkte oder Bereiche die zugehörigen Daten in anderen Visualisierungen angezeigt werden. Das Nutzermanagement der Datenplattform ermöglicht einen sicheren Datenzugriff auch für externe Nutzer, wobei die Freigabe der Daten auf bestimmte Bauwerke, Sensoren und Zeiträume begrenzt werden kann. 3. Verfügbare Monitoringdaten auf der Datenplattform Bisher sind Monitoringsysteme von fünf Bauwerken (z.T. aufgeteilt in mehrere Teilbauwerke) mit insgesamt 998 Kanäle in die Datenplattform integriert (Stand 31.07.2024), siehe Abb.3. Von den Monitoring-Projekte sind drei abgeschlossen und zwei aktuell in Betrieb. Gespräche zur Integration weiterer Monitoringsysteme aus anderen Forschungsprojekten (z. B. mfund-Projekt BrAssMan) werden aktuell geführt. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 131 Zentrale Datenplattform für Brücken-Monitoringsysteme Abb. 3: Übersicht über Monitoringsysteme und Datentypen auf der Datenplattform 3.1 Autobahnbrücke Stader Straße Die Autobahnbrücke Stader Straße im Verlauf der A7 ist eine 7-feldrige Spannbetonbrücke bei Hamburg, die zwischen 1971 und 1975 errichtet wurde. Die Überbauten bestehen aus doppelstegigen Plattenbalken und sind durch eine Längsfuge in die Teilbauwerke Ost und West getrennt. Im Rahmen des dtec.bw-Projektes SHM wurde die Brücke mit 281 Sensoren ausgestattet, die Informationen über den Zustand der Brücke liefern sollen, siehe Tabelle 1 [3]. Zudem sind Sensoren als Teil eines Bridge- Weigh-in-Motion Systems zur Ermittlung von Achslasten installiert. Ferner sind 196 Sensoren zur Überwachung der Bewehrungskorrosion installiert, deren Integration in die Datenplattform zeitnah erfolgt. Das Monitoringsystem liefert seit April 2023 Daten und wird bis mindestens Ende 2026 betrieben. Tab. 1: Sensoren des Monitoringsystems Stader Straße (Daten seit 20.04.2023, laufend) Sensortyp Anzahl Kanäle Dehnung 26 Verschiebung 36 Neigung 48 Beschleunigung 81 Bauteiltemperatur 85 Wetterstation 5 Summe 281 3.2 Autobahnüberführung Vahrendorfer Stadtweg Die Brücke Vahrendorfer Stadtweg ist ein Überführungsbauwerk über die Autobahn A7 in Hamburg. Das statische System ist eine Kombination aus Zweigelenkrahmen und Bogensystem mit Kragarm, wobei der Überbau als einzelliger Hohlkasten ausgeführt ist. Die Brücke wurde 1972 erbaut. Im Rahmen des dtec.bw-Projektes SHM wurde die Brücke mit 131 Sensoren zur Zustandsüberwachung ausgestattet, siehe Tabelle 2 [4]. Das Monitoringsystem wird seit Mai 2023 bis mindestens Ende 2026 betrieben. Tab. 2: Sensoren des Monitoringsystems Vahrendorfer Stadtweg (Daten seit 17.05.2023, laufend) Sensortyp Anzahl Kanäle Dehnung 56 Verschiebung 4 Neigung 8 Beschleunigung 36 Bauteiltemperatur 20 Wetterstation 7 Summe 131 3.3 Talbrücke Eisern In einer gemeinsamen Messkampagne des dtec.bw-Projektes SHM und des Forschungsprojektes ROBUST wurde die Zustandsveränderungen der Talbrücke Eisern vor und während der Rückbauarbeiten erfasst [5]. Hierbei handelt es sich um eine 7-feldrige Spannbetonbrücke im Verlauf der Autobahn A45, die 1967 errichtet und 2023 sprechtechnisch abgebrochen wurde. Im Rahmen des Sprengabbruchs wurden definierte Vorschwächungen vorgenommen, die in den Messdaten erfasst sind. Das Monitoringsystem umfasste 18 Sensoren am Überbau und 26 Sensoren an den Pfeilern, siehe Tabelle 3. Insgesamt wurden von 08.02.2023 bis 20.03.2023 Daten erhoben. Tab. 3: Sensoren des Monitoringsystems Talbrücke Eisern (Daten von 08.02.2023 bis 20.03.2023) Sensortyp Anzahl Kanäle Neigung 6 Beschleunigung 31 Wetterstation 7 Summe 44 3.4 Versuchsbrücke UniBw München Zu Beginn der dtec.bw-Projekte SHM und RISK- TWIN wurde eine gemeinsame Messkampagne an der Versuchsbrücke der UniBw München durchgeführt [2]. Hierbei handelt es sich um eine zweifeldrige Verbundbrücke, bei der vordefinierte Zustandsänderungen und Schadensszenarien vorgenommen werden können. Die Messkampagne wurde mit 56 Sensoren durchgeführt und dauerte 6 Wochen. Sie umfasste verschiedene Schadensszenarien sowie eine Dauermessung über 4 Wochen zur Erfassung von Umwelteinflüssen. 132 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Zentrale Datenplattform für Brücken-Monitoringsysteme Tab. 4: Sensoren des Monitoringsystems Versuchsbrücke UniBw München (Daten von 04.03.2022 bis 11.04.2022) Sensortyp Anzahl Kanäle Dehnung 6 Neigung 10 Beschleunigung 32 Wetterstation 5 Kraft 2 Kamera 1 Summe 56 3.5 Talbrücke Sachsengraben Im mfund-Forschungsprojekt OSIMAB (Online Sicherheits-Managementsystem für Brücken) wurde die Talbrücke Sachsengraben der A45 umfangreich mit Sensorik ausgestattet, siehe Tabelle 5 [1]; von Anfang 2020 bis Juli 2021 wurden Messdaten aufgenommen. Das Bauwerk hat drei Felder mit Spannweiten zwischen 30 bis 38 m und wurde 1971 erbaut. Tab. 5: Sensoren des Monitoringsystems Talbrücke Sachsengraben (Daten seit 01.01.2020 bis 31.07.2021) Sensortyp Anzahl Kanäle Dehnung 34 Verschiebung 16 Neigung 20 Beschleunigung 30 Bauteiltemperatur 16 sonstige 65 Summe 181 Literatur [1] Bundesanstalt für Straßenwesen et al (2021): Verbundprojekt OSIMAB (Online Sicherheits- Managementssystem für Brücken): Gesamtabschlussbericht. Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Abteilung Brücken- und Ingenieurbau, Bergisch Gladbach, 2021. https: / / doi.org/ 10.2314/ KXP: 1787930734 [2] Jaelani et al (2023): Developing a benchmark study for bridge monitoring. Steel Construction, Volume 16, Issue 4, S.215-225. https: / / doi.org/ 10.1002/ stco.202200037 [3] Keßler et al (2024): A highway bridge - A database for digital methods. Structural Concrete, Early View. https: / / doi.org/ 10.1002/ suco.202400119 [4] Jaelani et al (geplant 2024): Bridge Load Testing Vahrendorfer Stadtweg. [5] Wittenberg et al (geplant 2024): Bridging the Gap: A dataset for the Eisern Viaduct before and during Deconstruction. Anfrage Messdaten Auf Anfrage wird externen Forschungsgruppen der Zugang zu den Messdaten auf der Datenplattform in Übereinstimmung mit den Freigabebedingungen der Infrastrukturbetreiber eingerichtet. Danksagung Die Autoren bedanken sich für die Förderung bei dtec. bw - Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr. dtec.bw wird von der Europäischen Union - NextGenerationEU finanziert. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 133 Innovatives Betonmonitoring im Praxiseinsatz Einblicke in die Nutzung kabelloser und batterieloser Korrosions- und Feuchtesensoren zur Überwachung von Betonbauwerken Christian Steffes, M. Sc. Infrasolute GmbH, Boppard Zusammenfassung Passive Sensortechnologien stellen eine Lösung zur Überwachung von Betonbauwerken dar. Die Technologie nutzt fortschrittliche Methoden, um kritische Parameter wie Feuchtigkeit, Korrosion und Temperatur im Beton zu messen. Durch den Einsatz von RFID-Technologie arbeiten die Sensoren kabellos und wartungsfrei. Mit einer Lebensdauer von über 80 Jahren ermöglichen passive Sensoren eine umfassende und effiziente Bauwerksüberwachung. Erfahren Sie mehr über die Einbauverfahren, die Vorteile der cloudbasierten Datenplattform und wie diese Technologie zur Sicherheit, Langlebigkeit und dem Erhalt der Infrastruktur beiträgt. Abb. 1: Hochstraße Oberwerth, B327, in Koblenz 1. Einführung 1.1 Die Bedeutung präventiver Überwachung von Betonbauwerken In der modernen Bauwerksüberwachung spielt die Früherkennung von Schäden eine zentrale Rolle. Betonbauwerke wie Brücken sind täglich extremen Belastungen und Umwelteinflüssen ausgesetzt. Eine präventive Überwachung hilft, potenzielle Schäden frühzeitig zu identifizieren und entsprechende Maßnahmen einzuleiten, bevor es zu kostenintensiven Reparaturen kommt. In diesem Kontext bietet die passive Sensortechnologie CorroDec2G von Infrasolute innovative Lösungen. Seit 2018 werden diese Sensoren in verschiedenen Stahlbetonbauwerken eingesetzt und haben sich als zuverlässiges Frühwarnsystem für Feuchtigkeit, Korrosions- und Temperaturüberwachung im Beton etabliert. In dem vorliegenden Artikel soll anhand von zwei Praxisbeispielen erläutert werden, wie die Sensortechnologie von Infrasolute funktioniert, wie der Einbau abläuft und welche Daten erfasst werden. 134 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Innovatives Betonmonitoring im Praxiseinsatz 1.2 Ursachen für Brückenschäden und Bedeutung der Feuchtigkeitsüberwachung Unter den Ursachen der dauerhaftigkeitsrelevanten Brückenschäden stellt die Durchfeuchtung die häufigste Ursache dar, die bei älteren Brücken zu korrosionsbedingten Schäden an Spannstählen führt (ZILCH and WEIHER, 2007). Daher sind sowohl die Bestimmung der Feuchtigkeitsmenge als auch des Feuchtigkeitszustands von großer Bedeutung, um einerseits die langfristige Funktionsfähigkeit von Bauwerken zu kontrollieren und andererseits die Richtung des Feuchtigkeitsflusses zu quantifizieren. Dies ermöglicht, rechtzeitige und wirksame Entscheidungen über erforderliche Instandhaltungsmaßnahmen zu treffen. Die Feuchtigkeit kann direkt oder indirekt gemessen werden. Direkte Feuchtemessverfahren beruhen meist auf der Abtrennung der Wassermenge aus dem Material und deren direkter Ermittlung (Mouhasseb, 2007). Dieses Konzept ermöglicht eine sehr genaue Bestimmung, allerdings handelt es sich dabei um zerstörende Methoden, weswegen sie bei Brücken nur begrenzt einsetzbar sind (Hindersmann, 2021). Andererseits kann der Feuchtigkeitsgehalt durch Messung einiger Stoffeigenschaften des Wassers, die in einem entsprechenden funktionsbezogenen Zusammenhang stehen, indirekt ermittelt werden. Durch die Messung der Leitfähigkeit des Wassers kann beispielsweise anhand bestimmter Kalibrierkurven auf den tatsächlichen Feuchtigkeitsgehalt geschlossen werden (Hindersmann, 2021). Die indirekten Methoden sind für kontinuierliche Messungen geeignet, allerdings können die Messungen durch verschiedene Parameter wie z. B. Temperatur, Dichte, Zusammensetzung des Materials und Leitfähigkeit beeinflusst werden (Mouhasseb, 2007). 2. Funktionsweise und Messprinzip 2.1 Passiver Sensorbetrieb Die Sensoren von Infrasolute (CorroDec2G) basieren auf der indirekten Messmethode. Die CorroDec2G-Sensoren zeichnen sich durch ihre passive Betriebsweise aus. Im Gegensatz zu aktiven Sensoren benötigen sie keine Kabel oder Batterien, um Messwerte zu erfassen. Die notwendige Energie wird von außen mittels RFID-Technologie (Radio-Frequency Identification) induziert. RFID ist eine Technologie, die auch beim kontaktlosen Bezahlen mit Kreditkarten im Alltag zum Einsatz kommt. Diese Methode ermöglicht eine wartungsfreie Lebensdauer der Sensoren von mehr als 80 Jahren. Entwickelt in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut, sind die Sensoren so konzipiert, dass sie über die gesamte Lebensdauer (80+ Jahre) eines Bauwerks hinweg vollständig im Beton eingeschlossen bleiben und Daten (Feuchtigkeit, Temperatur, Korrosion) aus dem Inneren des Bauwerks übertragen können. 2.2 RFID-Technologie RFID ermöglicht eine kontaktlose und kabellose Datenübertragung. Bei einer Reichweite von bis zu 30 cm im Beton können die Sensoren zuverlässig ausgelesen werden. Durch eine spezielle Antennenkonstruktion lässt sich die Reichweite auf bis zu 100 m erweitern. Hierbei wird die Messeinheit im Beton installiert, bspw. in der Mitte der Fahrbahn, während die Ausleseeinheit an einer strategisch günstigen Stelle außerhalb des Verkehrsflusses platziert wird, um die Daten abzurufen, ohne den Verkehr zu beeinträchtigen. Auch bei dieser Variante verlässt keine Systemkomponente das Medium Beton, was ansonsten eine potentielle Schwachstelle für das Bauwerk darstellen könnte. 3. Einbaumethoden 3.1 Neubau und Instandsetzung Der Einbau der Sensoren kann sowohl im Neubau als auch bei der Instandsetzung erfolgen. Im Neubau werden die Sensoren direkt mittels Rödeldrähten an der Bewehrung befestigt. Bei der Instandsetzung, wenn beispielsweise ein HDW-Abtrag (Hochdruckwasser) erfolgt ist, können die Sensoren ebenfalls an der freigelegten Bewehrung angebracht werden. So wird sichergestellt, dass die Sensoren während des Betonierprozesses nicht aufschwimmen oder ihre Position verändern. Abb. 2: Feuchtesensor beim Einbau mittels Rödeldraht direkt an der Bewehrung 3.2 Nachträglicher Einbau Nachträglich ist der Einbau per Kernlochbohrung möglich. Mit einem Kernlochdurchmesser von 100 mm können die Sensoren in den Beton eingefügt werden. Ein spezieller, mineralisch und offenporiger Ankoppelmörtel umgibt den Sensor mit einer dünnen Schicht, sodass nach Erreichen der Ausgleichsfeuchte der Ankoppelprozess an den Altbeton beginnen kann. Dieses Verfahren hat sich in der Praxis bewährt und ermöglicht präzise Aussagen über das umgebende Milieu, ohne das bestehende Bauwerk zu schwächen. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 135 Innovatives Betonmonitoring im Praxiseinsatz Abb. 3: Kernlochbohrung mit einem Durchmesser von 100 mm und Einbau des Sensors mittels Ankoppelmörtel 4. Sensoren und Datenübertragung im Detail 4.1 Korrosionssensor Der Korrosionssensor ist an seinem roten Gehäuse und den umlaufenden vier Drahtebenen zu erkennen. Die Messmethodik basiert auf dem Prinzip der Stellvertreterkorrosion. Die um den Sensor laufenden Drahtebenen wurden so gewählt, dass sie den Eigenschaften des Betonstahls entsprechen. Bei Korrosion der Drähte erhält man Informationen über das Vorhandensein und den Fortschritt der Korrosion. Über die Tiefenstaffelung der Drähte wird ermittelt, auf welcher Höhe die Passivierungsfront verläuft und wie schnell sie in Richtung der Bewehrung voranschreitet. Dabei handelt es sich um ein redundantes System, bei dem zwei umlaufende Drähte eine Messebene bilden. Zudem misst der Korrosionssensor die Temperatur im Beton. Abb. 4: Korrosionssensor 4.2 Feuchtesensor Der Feuchtesensor misst die Feuchtigkeit und die Temperatur im Beton. Diese Messwerte werden in der Cloud- Plattform von Infrasolute auf bereitet und referenziert. Der Feuchtigkeitszustand im Beton ist ein entscheidender Parameter für die Korrosionsbildung. Durch die Kombination der Feuchtigkeits- und Temperaturdaten können detaillierte Aussagen über die Feuchteentwicklung im Beton getroffen werden. Eine frühzeitige Erkennung von Feuchtigkeitsschwankungen ermöglicht es, Schäden zu minimieren und die Lebensdauer der Bauwerke zu verlängern. Nach der Übertragung der Daten an die Datenplattform von Infrasolute werden die Messwerte referenziert. Abb. 5: Feuchtesensor Durch den Einsatz eines Korrosionssensors und eines Feuchtesensors, die in einem Abstand von ca. 15 cm zueinander platziert werden, können frühzeitig Informationen zu korrosiven Prozessen und Anomalien bereitgestellt werden. Zudem ermöglicht die Überwachung verschiedener Parameter eine genaue Beobachtung des Korrosionsprozesses im Beton. 4.3 Datenerfassung und -übertragung Es gibt zwei Methoden, die Daten der Sensoren aus dem Beton zu ermitteln. Einerseits besteht die Möglichkeit, die Daten dauerhaft zu übertragen, sodass diese jederzeit remote abruf bar sind. Hierfür wird ein Gateway in der Nähe des Sensors installiert, das einerseits die Funktion hat, den Sensor mit Energie zu versorgen und andererseits die Daten direkt an die Cloud von Infrasolute via NB-IoT (Narrowband Internet of Things) überträgt. Das Gateway wird je nach Gegebenheit mit Feststrom, einer Langzeitbatterie oder per Solar mit Strom versorgt. Abb. 6: Solarbetriebenes NB-IoT Gateway Alternativ besteht die Möglichkeit mit einem Handlesegerät manuell die Auslesung vor Ort am Bauwerk durchzuführen. Der Vorgang, den Messwert eines Sensors zu erfassen, dauert wenige Sekunden und wird oftmals im Rahmen der Brückenprüfung durchgeführt. Die vom Handlesegerät erfassten Daten werden ebenfalls direkt per NB-IoT an die cloudbasierte Datenplattform übertragen. Damit sind eine Überprüfung und Visualisierung noch vor Ort am Bauwerk möglich. 136 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Innovatives Betonmonitoring im Praxiseinsatz Abb. 7: IoT-Handlesegerät zur manuellen Auslesung von Sensoren Das Gateway sowie das Handlesegerät übertragen ihre Daten nach der Sensorauslesung kabellos mittels NB-IoT an die Cloud-Plattform von Infrasolute. Diese Technologie ist für niedrige Datenübertragungsraten, geringen Stromverbrauch und hohe Gebäudedurchdringung optimiert. Die Sensordaten werden in der Cloud gespeichert, visualisiert und analysiert. Grenzwerte können definiert werden, bei deren Überschreitung automatische Alarmierungen ausgelöst werden. Die Daten können in bestehende Systeme integriert und Berichte proaktiv per E-Mail an Projektbeteiligte gesendet werden. Die auf der Plattform generierten Daten sind benutzerfreundlich auf bereitet, sodass sie leicht verständlich sind. Diese Klarheit ermöglicht es allen Beteiligten, unabhängig von ihrem technischen Hintergrund, die Daten zu interpretieren. 5. Praxisbeispiele 5.1 Südbrücke in Koblenz Die Südbrücke in Koblenz, erbaut zwischen 1972 und 1975, dient als wichtige Verkehrsverbindung über den Rhein und entlastet den Stadtverkehr. Mit einer täglichen Verkehrslast von etwa 45.500 Fahrzeugen, davon 3- % Schwerverkehr, ist sie Teil der kritischen Infrastruktur. Abb. 8: Südbrücke in Koblenz 5.1.1 Sanierung und Sensoreinsatz Seit dem Jahr 2020 wird die Südbrücke umfassend saniert. Im Rahmen dieser Maßnahmen wurden der Fahrbahnbelag, die Bauwerksabdichtung, die Schutzplanken, die Bauwerkskappen und die Entwässerungseinrichtungen erneuert. Zudem wurden alle Betonflächen instandgesetzt. Durch eine Potentialfeldmessung wurden Schadstellen lokalisiert, die als Basis für die Positionierung der Sensoren dienten. 5.1.2 Sensorinstallation In den ersten beiden Bauabschnitten der Instandsetzung wurden insgesamt 84 Sensoren (22 Korrosions- und 62 Feuchtesensoren) installiert. Die Sensoren wurden an kritischen und repräsentativen Stellen platziert, darunter Tiefpunkte, Fahrbahnübergänge, Abdichtungen, statisch kritische Punkte, Referenzbereiche und an Korrosionshotspots, die mittels Potentialfeldmessung festgestellt und gemeinsam mit dem Planer definiert wurden. Die Sensoren wurden per Kernlochbohrungen in den Altbeton eingesetzt und die Sensoren mit einer abgesetzten Antenne ausgeführt, sodass die Ausleseeinheit im Bereich des Brückenholkastens installiert wurde. Die Datenübertragung erfolgt mittels Gateways. Die Gateways sind an die im Brückenhohlkasten existierende Stromversorgung angeschlossen und die abgesetzten Antennen von je 4 Sensoren werden von einem Gateway erfasst, das anschließend die Messwerte per NB- IoT überträgt. Diese strategische Platzierung ermöglicht eine präzise Überwachung der Sanierungsmaßnahmen und der langfristigen Zustandsentwicklung der Brücke. Abb. 9: Potentialfeldmessung und Positionierung der Sensoren 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 137 Innovatives Betonmonitoring im Praxiseinsatz Abb. 10: Einbau der Sensoren mit einer abgesetzten Antenne 5.1.3 Messwerte und Analysen Die kontinuierliche Überwachung der Brücke, seit Ende 2020, als die ersten Sensoren im ersten Bauabschnitt eingesetzt wurden, hat bisher keine korrosiven Ereignisse gezeigt. Einzige Ausnahme stellte ein Messpunkt dar, welcher drei Monate nach Einbau Korrosion an der ersten Drahtebene aufgrund einer bauablauf bedingten Schwachstelle in der Abdichtung meldete. Nach einer Nachbearbeitung der Abdichtung wurde kein weiterer Korrosionsfortschritt festgestellt. Die im betreffenden Segment eingesetzten Feuchtesensoren zeigten, dass sich die Feuchtigkeitswerte nach der Nachbearbeitung ebenfalls normalisiert haben. Die Feuchtewerte an allen anderen Sensoren haben im Verlauf der ersten 6 Monate die Ausgleichsfeuchte erreicht und im weiteren Verlauf keine Auffälligkeiten aufgezeigt. Abb. 11: Auswertung Messergebnisse Korrosionssensor Bei Korrosion an der ersten Ebene wird K1 nicht mehr im grünen Kreis mit einer 0, sondern im roten Kreis mit einer 1, wie in vorstehender Grafik abgebildet, dargestellt. Dies liefert die eindeutige Information, dass Korrosion an der ersten Drahtebene vorliegt. K2 zeigt den Messwert der darunterliegenden Drahtebene an. Die Werte S1 und S2 dienen der internen Systemselbstreferenzierung und gewährleisten die Korrektheit des Messergebnisses. Die Temperatur am Sensor im Beton wird unter „Temp. Sensor“ angezeigt, während die Temperatur des Gateways, das sich an der Außenseite des Betons im Brückenhohlkasten befindet, als „Temp. Gateway“ dargestellt wird. 5.1.4 Nutzen und Vorteile Der Betreiber der Südbrücke hat durch den Einsatz der Sensortechnologie die Möglichkeit, den Erfolg der Instandsetzungsmaßnahme (kurzfristig) zu überwachen und auf langfristige Sicht Schädigungen im Inneren des Bauwerks mittels 24/ 7-Onlineüberwachung frühzeitig zu erkennen und proaktiv zu handeln. Die Daten sind jederzeit von überall abruf bar und ermöglichen eine effiziente Überwachung mehrerer Bauwerke gleichzeitig. Dies trägt zur Verlängerung der Nutzungsdauer, niedrigeren Instandsetzungsintervallen und langfristigen Kostenreduzierung bei. 5.2 Messkonzept Brücke in Dieblich Die Brücke der B411 bei Dieblich dient als Autobahnzubringer und ist im Vergleich zur stark frequentierten Südbrücke weniger stark befahren. Das zweispurige Brückenbauwerk erstreckt sich über eine Länge von 92 Metern. Aufgrund erhöhter Chloridwerte im Beton wurde im Jahr 2023 eine Betoninstandsetzung mit teilweiser Erneuerung der Bewehrung durchgeführt. Dieses Projekt veranschaulicht, wie eine effiziente Feuchteüberwachung mit einem sehr geringen Budget (unter 10.000 €) implementiert werden kann. 5.2.1 Sensorposition und -installation Im ersten Schritt wurden die kritischsten Stellen definiert. Hierbei wurde einerseits auf die im Vorfeld angefertigte Potentialfeldmessung zurückgegriffen und andererseits auf die Topologie des Bauwerks. Gemeinsam wurde die Entscheidung getroffen, dass die Feuchtesensoren im Bereich der Tiefpunkte, direkt an der Entwässerung gelegen, eingesetzt werden. Die Feuchtesensoren wurden als abgesetzte Antennen ausgeführt, sodass der Messpunkt im Bereich der Entwässerung liegt und die Ausleseeinheit an einer zentralen, verkehrsunabhängigen Position, hinter dem Schrammbord, im Bereich des Fahrbahnübergangs installiert werden konnte. Die Sensoren wurden direkt an der freigelegten Bewehrung befestigt. Abb. 12: Installation des Feuchtesensors an der Bewehrung 138 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Innovatives Betonmonitoring im Praxiseinsatz Abb. 13: Potentialfeldmessung und Positionierung der Sensoren/ Auslesepunkt Abb. 14: Installierter Sensor mit abgesetzter Antenne 5.2.2 Datenerfassung und -übertragung Die Datenerfassung erfolgt mittels Handlesegerät. Die Auslesung dauert weniger als fünf Sekunden und kann jederzeit vor Ort an einer zentralen Position durchgeführt werden. In diesem Projekt wurde die Position am Brückenanfang hinter dem Schrammbord auf der Höhe der Brückenkappe gewählt. Über eine Einmessung und Dokumentation der Einbaupositionen auf dem Plan sowie der Vor-Ort-Markierung mittels Markierungsmarken, können die Sensoren bzw. die Auslesepunkte sehr leicht wiedergefunden werden. Die Möglichkeit, ein Gateway für eine automatische und remote Datenauslesung an dieser Position nachzurüsten, besteht ebenfalls. Abb. 15: Markierung der Sensoreinbaupositionen hinter dem Schrammboard 5.2.3 Messwerte und Analysen Seit der Installation zeigen die Feuchtesensoren einen kontinuierlichen Austrocknungsverlauf ohne Auffälligkeiten. Die Feuchtigkeitswerte werden in der Datenplattform visualisiert und können mit den Niederschlagsdaten der nächstgelegenen Wetterstation korreliert werden. Diese Analyse ermöglicht es, Feuchteveränderungen im Bauwerk besser zu verstehen und zu beurteilen, ob sie auf Temperaturunterschiede oder externe Faktoren wie Starkregenereignisse zurückzuführen sind. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 139 Innovatives Betonmonitoring im Praxiseinsatz 6. Ausblick Das Betonmonitoring mit den CorroDec2G-Sensoren von Infrasolute bietet eine zukunftsweisende Lösung für die Überwachung von Betonbauwerken. Die kabellose und batterielose Technologie, basierend auf RFID, ermöglicht eine langfristige und wartungsfreie Überwachung der Bauwerke. Die einfache Handhabung der Datenauslesung und Interpretation, die in wenigen Sekunden ohne spezielles Fachwissen durchgeführt werden kann, macht dieses System besonders benutzerfreundlich. Die klar und verständlich auf bereiteten Daten ermöglichen es, fundierte Entscheidungen zu treffen, die zur Verlängerung der Lebensdauer der Bauwerke und zur Kosteneffizienz beitragen. Insgesamt stellt das CorroDec2G-System eine kosteneffiziente und effektive Lösung dar, um die Sicherheit, die Langlebigkeit und den Erhalt von Betonbauwerken zu fördern. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 141 Korrosionsmonitoring - Frühzeitige Erkennung von Korrosionsrisiken in Stahlbetonbauwerken zur Optimierung des Infrastrukturmanagements Dr. Yurena Seguí Femenias DuraMon AG, Zürich, Schweiz Dr. Fabrizio Moro DuraMon AG, Zürich, Schweiz Dr. Dimitra Ioannidou Sika Technology AG, Schweiz Zusammenfassung Die Aufrechterhaltung der Funktionalität und Sicherheit alternder Betoninfrastruktur stellt eine große Herausforderung dar, insbesondere in Regionen, die mit der Herausforderung alternder Betoninfrastruktur konfrontiert sind. Da finanzielle Ressourcen und Fachkräfte beschränkt verfügbar sind, gilt es, Prioritäten bei der Instandhaltung zu setzen und Instandsetzungsstrategien zu optimieren. In diesem Beitrag wird das Potenzial minimalinvasiver Instandsetzungsansätze, wie z. B. Oberflächenbehandlungen, untersucht, die erhebliche Vorteile in Bezug auf Kosten und Ressourceneffizienz bieten und gleichzeitig die Umweltbelastung verringern können . Verschiedene Instandsetzungsszenarien werden analysiert, von minimalinvasiven bis hin zu umfangreichen Ansätzen wie dem traditionellen Betonersatz, und beleuchten ihre wirtschaftlichen und ökologischen Folgen. Der Vergleich unterstreicht die Bedeutung der Einbeziehung von Monitoringlösungen zur Optimierung von Zeitpunkt und Art der Instandsetzungen. Dieser Ansatz erhöht nicht nur die Langlebigkeit des Bauwerks, sondern ermöglicht auch eine bessere Entscheidungsfindung bei der Instandhaltung der Betoninfrastruktur. 1. Die Herausforderung alternder Betoninfrastrukturen Die Vernachlässigung der Instandhaltung der Infrastruktur wird als einer der Hauptgründe für die Einschränkung des Wirtschaftswachstums und der globalen Wettbewerbsfähigkeit genannt [1]. Industrieländer, die mit einer alternden Infrastruktur konfrontiert sind, geben bis zu 50- % ihres Infrastrukturbudgets für Instandhaltungs- und Instandsetzungsmassnahmen aus [2], Tendenz steigend. Aufgrund begrenzter Budgets, insbesondere der öffentlichen Hand, und begrenzt verfügbarer Kapazitäten (qualifizierte Arbeitskräfte) ist es im Allgemeinen nicht möglich, die Instandsetzungsrate verschlechternder Bauwerke auf das erforderliche Niveau zu beschleunigen. Daher wird die Aufrechterhaltung des Betriebs und der Sicherheit von Betoninfrastrukturen zu einer Herausforderung, die die Sicherheit weltweit zunehmend gefährdet. Der Einsturz der Morandi-Brücke (Italien, 2018) ist eine tragische Erinnerung an die Folgen vernachlässigter Instandhaltung. Politiker weltweit haben diese große gesellschaftliche Herausforderung erkannt: Beispiele, die in den Medien oft zitiert werden, zeigen, dass aktuell erhebliche Investitionen in die Erneuerung der Infrastruktur getätigt werden, um die gesellschaftlichen Auswirkungen der alternden Infrastruktur abzumildern. US-Administration Biden hat ein umfassendes Infrastrukturprogramm zur Modernisierung der amerikanischen Infrastruktur aufgelegt. Der deutsche Verkehrsminister sagte (2022): „Bis 2030 müssen 4.000 Brücken repariert oder neu gebaut werden … Wir müssen Prioritäten setzen, denn es gibt einfach nicht die Kapazität, alle Brücken gleichzeitig zu sanieren“ [3]. In der Schweiz werden sich die Instandhaltungskosten in den nächsten 30 Jahren schätzungsweise mindestens verdoppeln [4]. Auch wenn man mit mehr finanziellen Ressourcen der Alterung der Infrastruktur begegnen und mit Priorisierung der Instandhaltung dem Engpass der Kapazitäten am Markt (z. B. Fachkräfte) entgegenwirken kann, sind wir der Meinung, dass zusätzliches Potenzial darin liegt, effizienter instand zu setzen. 2. Einsatz einer Monitoring-Lösung zur Ermöglichung prädiktiver Instandhaltung Im Zusammenhang mit der Alterung von Betoninfrastrukturen ist die Korrosion von Bewehrungsstahl bei weitem der häufigste Schädigungsprozess, der für mehr als 70 % der langfristigen Verschlechterung von Betonbauwerken verantwortlich ist [5]. Die derzeitigen Inspektionsmethoden zur Feststellung von Korrosion sind jedoch mit großen Unsicherheiten behaftet. Der heutige Standard zur Bestimmung des Zustands von Betonbauwerken ist in erster Linie die Sichtprüfung. Werden Anzeichen von Schäden festgestellt, folgen sowohl zerstörende als auch zerstörungsfreie Prüfungen. Bei der Sichtprüfung werden jedoch häufig Schäden übersehen, insbesondere in frühen Stadien. So macht sich die Initiierung der Korrosion im Betoninnern anfänglich nicht vi- 142 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Korrosionsmonitoring - Frühzeitige Erkennung von Korrosionsrisiken in Stahlbetonbauwerken zur Optimierung des Infrastrukturmanagements suell bemerkbar, sondern erst Jahre bis Jahrzehnte später, wenn an der Betonoberfläche Risse und Rostspuren sichtbar werden. Zerstörende und zerstörungsfreie Prüfungen sind zeit- und kostenaufwändig und liefern meist „Momentaufnahmen“ des Bauwerkszustands zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort, so dass Schäden nicht vorher erkannt werden können. Daher wird die Entstehung von Schäden oft „übersehen“, und in vielen Fällen werden Schäden erst entdeckt, wenn sie bereits fortgeschritten sind, was zu hohen Kosten führt, d. h. größere Instandsetzungen, welche rund das Fünffache dessen kosten, was eine frühzeitige Instandhaltung gekostet hätte (Abbildung 1) [6]. Ein neuer Ansatz kann dieser Problematik entgegenwirken: die prädiktive Instandhaltung. Dieser Ansatz basiert auf der Vorhersage von Schäden, so dass die richtige Instandhaltungsstrategie im Voraus festgelegt werden kann. Idealerweise erlaubt dies, Instandhaltungsmassnahmen in einem frühen Stadium des Schadensverlaufs einzusetzen. Die prädiktive Instandhaltung erfordert zuverlässige und kontinuierliche Informationen über den Zustand des Bauwerks im Laufe der Zeit. Diese kontinuierlichen Informationen ermöglichen eine rechtzeitige Bestimmung des Schadenseintritts. Sensoren und die Überwachung des Bauwerkszustands gelten als Schlüssel zur Erlangung dieser wichtigen Informationen. Abb. 1: Herkömmliche Inspektionsmethoden sind oft mit Unsicherheiten über den Korrosionszustand der Struktur verbunden, während kontinuierliches Monitoring eine genauere Zustandsbewertung ermöglicht. DuraMon ist ein Schweizer Start-up, das innovative Lösungen für die Überwachung von Stahlbetonkorrosion anbietet und dabei drahtlose Sensoren und wissenschaftlich fundierte Dienste zur Datenanalyse und -interpretation kombiniert. Die Lösung von DuraMon ermöglicht die sensortechnische Überwachung aller relevanten Parameter im Zusammenhang mit Korrosion in unterschiedlichen Tiefen (z. B. von 10 bis 60 mm Tiefe): pH-Wert des Betons, Konzentration freier Chloride, elektrisches Stahlpotenzial, elektrische Impedanz des Betons, Korrosionsstrom und Temperatur. Die Messung dieser Parameter von geringen Tiefen bis zur Bewehrungstiefe ermöglicht die Überwachung des Eindringens der korrosionsauslösenden Bedingungen in den Beton und die Prognose, wann die Korrosion in der Bewehrungstiefe beginnen wird. Ausserdem gibt die umfassende Überwachung Einblick in die Ursache der Korrosionsproblematik (Chloride, Karbonatisierung, Auslaugen, tiefe Konvektionszone, Feuchteeintrag, «time of wetness» am Stahl, etc.). Diese Frühwarnung einerseits, und der vertiefte Einblick in die Ursache des Schädigungsmechanismus andererseits, ermöglicht in Kombination die Anwendung proaktiver, sowie minimalinvasiver Instandsetzungsansätze. Solche minimalinvasiven Ansätze unterscheiden sich von der traditionellen Betoninstandsetzung, namentlich dem Entfernen und Ersetzen von beispielsweise chlorid-kontaminiertem Beton, und sind normkonform. Die Norm EN 1504-9 definiert alternative Konzepte, wie der Korrosion Einhalt geboten werden kann, beispielsweise durch eine Erhöhung des elektrischen Widerstands des Betons oder durch die Absenkung der Betonfeuchte, was in manchen Fällen mit einer Oberflächenbehandlung erreicht werden kann. Letzteres führt nicht nur zu Kosteneinsparungen, sondern hat auch Vorteile in Bezug auf die Verfügbarkeit der Infrastruktur (kürzere Sperrzeiten), Lärmimmissionen (Betonabtrag ist oft sehr lärmintensiv), und Umweltbelastung (Betonersatz und -erneuerung ist mit hohen CO 2 -Emissionen verbunden). Solche innovativen, minimalinvasiven Konzepte sind im Weiteren in der «Technischen Regel - Instandhaltung von Betonbauwerken» des Deutschen Instituts für Bautechnik [7] präzisiert. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, Monitoringsysteme zu verwenden, um den Zeitpunkt des Korrosionsbeginns vorhersagen zu können, damit solche alternativen Instandsetzungen vermehrt eingesetzt werden können. Darüber hinaus hängt die Effizienz dieser alternativen minimalen Instandsetzungen stark von der Qualität ihrer Anwendung und ihrer Dauerhaftigkeit je nach Bauwerkstyp und Expositionsbedingungen im Laufe der Zeit ab. Die Ausführungsqualität und die Effizienz können mithilfe eines geeigneten Überwachungssystems ermittelt werden, sodass alle leistungsbezogenen Parameter (z. B. Eindringen von Chlorid und Feuchtigkeit, wie lange der Korrosionsstrom auf unerheblichem Niveau gehalten wird) überwacht werden. In der Schweiz gibt es bereits mehrere Initiativen, die mit diesem Ansatz arbeiten: mehrere Parkhäuser im Alpenraum sind mit DuraMon- Sensoren ausgestattet und wurden mittels Oberflächenbeschichtungen anstelle von großflächigem Betonersatz instandgesetzt. Darüber hinaus bauen die ETH Zürich und Sika derzeit Demonstratoren auf, um nachzuweisen, dass solche Instandhaltungsansätze sehr effizient dabei helfen können, das Korrosionsniveau niedrig zu halten. Des Weiteren bieten Sensoren nicht nur Möglichkeiten zur frühzeitigen Schadenserkennung und Anwendung minimaler Instandsetzungsansätze, sondern auch zur Bestimmung, unter welchen Bedingungen tatsächlich Korrosion auftritt. Es ist bekannt, dass karbonatisierter Beton oder das Vorhandensein von Chloriden zu Korrosion führen kann. Es gibt hierfür jedoch keine absoluten Grenzwerte, da dies von einer Reihe von Faktoren abhängt (z. B. Expositionsbedingungen, Betonart, Wechselwirkung zwischen pH-Wert und Chlorid, Schwankungen der Betonfeuchte, usw.). Es ist zu beachten, dass, nur weil die Karbonatisierung den Stahl erreicht hat oder Chloride vorhanden sind, dies nicht bedeutet, dass Korrosion zwingend auftritt und das Bauwerk instandgesetzt werden muss. In diesem Zusammenhang können Sensoren, die den pH-Wert und die Chloridbedingungen messen, zusammen mit anderen Indikatoren 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 143 Korrosionsmonitoring - Frühzeitige Erkennung von Korrosionsrisiken in Stahlbetonbauwerken zur Optimierung des Infrastrukturmanagements für Korrosionsaktivität (z. B. Stahlpotenzial, spezifischer Widerstand oder Korrosionsstrom) Informationen zur Identifizierung kritischer Korrosionsbedingungen liefern. Dies ermöglicht gezieltere und möglicherweise kostengünstigere Reparaturlösungen, sodass der richtige Wartungsansatz zum richtigen Zeitpunkt angewendet werden kann. Abb. 2: Das kontinuierliche Überwachen aller korrosionsrelevanten Parameter durch die Monitoring-Lösung von DuraMon ermöglicht die Vorhersage der Korrosionsinitiierung, die Anwendung minimalinvasiver Instandsetzungsmethoden und die Beantwortung relevanter Fragen zu den Korrosionsprozessen im Bauwerk, um die geeignetsten Instandhaltungsmassnahmen zu bestimmen. 3. Diskussion der verschiedenen Instandsetzungsansätze In diesem Artikel werden sowohl die wirtschaftlichen als auch die ökologischen Auswirkungen verschiedener Instandsetzungsansätze untersucht, von minimalinvasiven Instandsetzungen, die ausschliesslich auf dem Auftragen von Oberflächenbehandlungen basieren, bis hin zu umfangreichen Instandsetzungen, bei denen große Mengen Beton entfernt und aufgetragen werden. In den folgenden Abschnitten werden die verschiedenen betrachteten Fallbeispiele und die jeweils getroffenen Annahmen zusammengefasst. Für jeden Fall werden die Berechnung der Instandsetzungskosten und die Reduzierung der CO 2 -Emissionen dargestellt. 3.1 Definition von Instandsetzungsvarianten Die in diesem Artikel vorgestellten Berechnungen werden für vier verschiedene Instandsetzungsvarianten durchgeführt: Variante 1 basiert auf dem Auf bringen einer Oberflächenschutzsystem, die nur dann erfolgen kann, wenn sich die Korrosion noch nicht ausgebreitet hat (Norm EN 1504-9), während die Varianten 2-4 auf dem Entfernen von Beton bis zu einer bestimmten Tiefe und dem Auf bringen von neuem Frischbeton, gefolgt von der Anwendung eines Oberflächenschutzsystems, basieren. Abbildung 3 zeigt die typischen Zeitpunkte des Korrosionsprozesses, zu denen solche Instandsetzungsmassnahmen durchgeführt werden können. Abb. 3: Darstellung der typischen Anwendungszeit der in diesem Artikel behandelten Instandsetzungsansätze Die verschiedenen Instandsetzungsansätze sind in Tabelle 1 zusammengefasst, zusammen mit der vom Hersteller für jedes Instandsetzungssystem garantierten Lebensdauer. Die für jede Instandsetzungsvariante berücksichtigten Produkte basieren auf kommerziellen Produkten. Bei den für Variante 4 verwendeten Produkten handelt es sich um Produkte, die auch bei herkömmlichen Instandsetzungen zum Einsatz kommen, während es sich bei den für die Varianten 1-3 verwendeten Produkten um neue und nachhaltigere Produkte (geringerer CO 2 -Fußabdruck bei der Herstellung) handelt. Tab. 1: Instandsetzungsverfahren für die Berechnung der Instandsetzungskosten und der CO 2 Emissionen, die in dieser Studie behandelt werden. Var. Instandsetzungsansatz 1 1. Betonuntergrund vorbereiten, Reinigung und Entfernung von maximal 1 mm Beton. 2. Grundierung 1: einkomponentiger, wasserdispergierter Haftvermittler. Verbrauch in 1-Schicht von 0,15 kg/ m 2 . 3. Oberflächenschutzsystem 1 («Antikarbonisierungsbeschichtung»): einkomponentige, elastische, rissüberbrückende, wasserdispergierte Acrylemulsionsbeschichtung. Auftragen von 2-Schichten, 0,6 kg/ m 2 pro Schicht. Lebensdauer: 20 Jahre 2 1. Betonuntergrund vorbereiten, Reinigung und Entfernung von 40 mm Beton. 2. Reprofilierung 40 mm mit Betonreparaturmörtel 1. Verbrauch 1,9 kg/ m 2 / mm 3. Grundierung 1: einkomponentiger, wasserdispergierter Haftvermittler. Verbrauch in 1-Schicht von 0,15 kg/ m 2 . 4. Oberflächenschutzsystem 1 («Antikarbonisierungsbeschichtung»): einkomponentige, elastische, rissüberbrückende, wasserdispergierte Acrylemulsionsbeschichtung. Auftragen von 2-Schichten, 0,6 kg/ m 2 pro Schicht. Lebensdauer: 20 Jahre 144 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Korrosionsmonitoring - Frühzeitige Erkennung von Korrosionsrisiken in Stahlbetonbauwerken zur Optimierung des Infrastrukturmanagements 3 1. Betonuntergrund vorbereiten, Reinigung und Entfernung von 60 mm Beton. 2. Reprofilierung 60 mm mit Betonreparaturmörtel 1. Verbrauch 1,9 kg/ m 2 / mm 3. Grundierung 1: einkomponentiger, wasserdispergierter Haftvermittler. Verbrauch in 1-Schicht von 0,15 kg/ m 2 . 4. Oberflächenschutzsystem 1 («Antikarbonisierungsbeschichtung»): einkomponentige, elastische, rissüberbrückende, wasserdispergierte Acrylemulsionsbeschichtung. Auftragen von 2-Schichten, 0,6 kg/ m 2 pro Schicht. Lebensdauer: 20 Jahre 4 1. Betonuntergrund vorbereiten, Reinigung und Entfernung von 60 mm Beton. 2. Reprofilierung 60 mm mit einem herkömmlichen Betonreparaturmörtel 2. Verbrauch 1,9-kg/ m 2 / mm 3. Grundierung 2: Elastocolor verdünnt mit 15-% Wasser, Verbrauch 0,2 kg/ m 2 4. Oberflächenschutzsystem 2 («Antikarbonisierungsbeschichtung»): wasserbasierte Schutzbeschichtung. Auftragen von 2 Schichten im Airless-Spritzverfahren mit einem Verbrauch von 0,2-kg/ m 2 pro Schicht. Lebensdauer: 15 Jahre Für die Kostenberechnung und die Reduzierung der CO 2 - Emissionen betrachten wir zwei Fälle (A und B). In allen Fällen gehen wir davon aus, dass zum Zeitpunkt 0 eine vollständige Instandsetzung (Tabelle 1) durchgeführt wird. Dies ist gerechtfertigt, weil wir die Auswirkungen aufeinanderfolgender Instandsetzungen über mehrere Jahre (in diesem Artikel 50 Jahre) aufzeigen wollen, wenn minimale Instandhaltungsmassnahmen wie Oberflächenschutzsysteme rechtzeitig durchgeführt werden (dank des Einsatzes von Monitoringsystemen), und das mit der Anwendung größerer Instandhaltungsmassnahmen vergleichen. Anschliessend gehen wir davon aus, dass nach Erreichen der Lebensdauer der Instandsetzung (Tabelle 1) zwei Fälle vorliegen: - Fall A: Eine vollständige Instandsetzung wird alle 20 Jahre (Varianten 1-3) und alle 15 Jahre (Variante 4) durchgeführt; dies ist beispielsweise erforderlich, wenn die Betoninstandsetzung delaminiert. Das Monitoring ist in Instandsetzungsvariante 1 (Tabelle 1) enthalten. - Fall B: Nur das entsprechende Oberflächschutzsystem wird alle 20 Jahre (Varianten 1-3) und alle 15 Jahre (Variante 4) ersetzt. Das Monitoring ist in allen Instandsetzungsvarianten (Tabelle 1) enthalten. Die Verwendung von Monitoring in diesem Fall ist durch die erheblichen Vorteile gerechtfertigt, die sich aus der Vermeidung zusätzlicher größerer Instandsetzungen ergeben. Monitoringlösungen können dabei helfen, den optimalen Zeitpunkt für das Erneuern des Oberflächenschutzsystems zu bestimmen, um ein Fortschreiten der Korrosion zu verhindern, das andernfalls eine Betonentfernung erforderlich machen würde. Die oben beschriebene Situation ist in Abbildung 4 dargestellt. Abb. 4: Darstellung der Instandsetzungsfälle, die für die Kostenberechnung und die Berechnung der CO 2 - Reduktion berücksichtigt werden. Es wird davon ausgegangen, dass die Instandsetzungen an einer zugänglichen Brücke (Schweiz) durchgeführt werden. Die Kostenberechnungen werden für 2 verschiedene Brückengrößen durchgeführt, und die Anzahl der Sensorsysteme (und die entsprechenden Kosten für die Implementierung und dem Betrieb eines solchen Monitoringsystems) werden aus DuraMons eigener Erfahrung für eine bestimmte Brückengröße übernommen. Die wichtigsten Annahmen in dieser Hinsicht sind in Tabelle 2 dargestellt. Es ist zu beachten, dass sich der Umfang der Instandsetzung sowie die Größe und Kosten der Monitoringsysteme in der Realität ändern werden, da dies an das jeweilige Projekt angepasst werden muss (Ausmass des Schadens, Zugänglichkeit des Bauwerks, Expositionsbedingungen usw.). Die wichtigsten Schlussfolgerungen dieses Artikels sollten jedoch bestehen bleiben. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 145 Korrosionsmonitoring - Frühzeitige Erkennung von Korrosionsrisiken in Stahlbetonbauwerken zur Optimierung des Infrastrukturmanagements Tab. 2 Annahmen für die Berechnung der Instandsetzungskosten unter Berücksichtigung einer Kombination aus Monitoring (System der Firma DuraMon) und den in Tabelle 1 gezeigten Instandsetzungsverfahren. Parameter Wert Kleine Brücke: Brückenlänge (m) 50 Kleine Brücke: Brückenbreite (m) 15 Kleine Brücke: Anzahl der DuraMon- Sensorsysteme für das Monitoring 8 Große Brücke: Brückenlänge (m) 200 Große Brücke: Brückenbreite (m) 30 Große Brücke: Anzahl der DuraMon- Sensorsysteme für das Monitoring 20 Zeitraum (Jahre) 50 3.2 Kosten für verschiedene Instandsetzungsvarianten Die Kostenberechnungen werden für 50 Jahre durchgeführt. Die Annahmen sind: - Das Monitoring umfasst für die entsprechende Anzahl von Sensorsystemen (Tabelle 2) die Installationskosten (Jahr 0), gefolgt von einem Jahresabonnement (von Jahr 1 bis Jahr 50) für Analyse- und Interpretationsdienste der gesammelten Sensordaten. - Die Instandsetzungskosten für Varianten 1-4 beinhalten die Kosten für die Reparaturprodukte (Lieferung von Mörtel, Oberflächenschutzsystem) sowie die mit deren Anwendung am Objekt verbundenen Kosten, einschliesslich der erforderlichen Ausrüstung. - Die Kostenberechnung basiert auf den Einheitspreisen einer Schweizer Bauunternehmung, die Erfahrungen mit der Instandsetzung von Brücken ähnlicher Größe hat, wie die in diesem Artikel beschriebenen. Diese Kosten werden für eine kleine Brücke und für eine große Brücke (Tabelle 2) in Abbildung 5 bzw. Abbildung 6 dargestellt. Die Kosten für den gesamten Zeitraum (50-Jahre) sind in Tabelle 3 angegeben. Die Verwendung des Monitorings in Szenario 1 (Instandsetzungen = Oberflächenschutzsystem) gegenüber der Szenarien 3-4, Fall A (mehrere größere Instandsetzungen) zeigt Kosteneinsparungen von mehr als 50-% (Tabelle 3) Es könnte notwendig sein, ein Oberflächenschutzsystem etwas früher als die vom Lieferanten angegebene Lebensdauer anzuwenden (die in der Regel die Kombination aus neuem Beton und Oberflächenschutzsystem abdeckt). Das Monitoring ermöglicht es, den genauen Zeitpunkt für den Austausch des Oberflächenschutzsystems zu bestimmen und so zu vermeiden, dass der darunter liegende Beton ebenfalls weiter kontaminiert wird. In einigen Fällen kann das Oberflächenschutzsystem sogar zu einem späteren Zeitpunkt nach Ablauf der vom Lieferanten angegebenen Lebensdauer, aufgebracht werden, wenn das Monitoring zeigt, dass es immer noch wirksam ist, um das Korrosionsrisiko gering zu halten. Dieses Mass an Präzision bei den Instandsetzungsstrategien kann nur durch ein Monitoring in-situ erreicht werden, da dies in hohem Masse von der Qualität der Ausführung beim Applizieren des Oberflächenschutzsystems und von den Expositionsbedingungen (Witterungsverhältnisse, bauliche Nutzung) im Laufe der Zeit abhängt, was die entscheidende Bedeutung der Überwachung weiter unterstreicht. Das Monitoring erleichtert die Reduzierung großer Instandsetzungsinvestitionen zu einem bestimmten Zeitpunkt und ermöglicht es den Eigentümern, die Instandsetzungskosten über einen längeren Zeitraum zu verteilen und zu optimieren. So können beispielsweise Oberflächenschutzsysteme früher oder später als ursprünglich geplant aufgebracht werden, erfordern aber deutlich geringere Investitionen. Durch diese Flexibilität wird Liquidität für andere dringende Bedürfnisse freigesetzt. In diesem Artikel werden zwar die Vorteile von Oberflächenschutzsystemen als minimalinvasive Instandsetzungsmethode im Vergleich zu großflächigen Instandsetzungen hervorgehoben, aber das Monitoring kann auch die Notwendigkeit umfangreicher Instandsetzungen beurteilen. Wenn beispielsweise nicht genügend kontaminierter Beton entfernt wird, können aggressive Stoffe wie Chloride von der Rückseite (wo sich der alte kontaminierte Beton befindet) in den neu reparierten Mörtel eindringen, was zu weiteren unnötigen Instandsetzungen führt, weil keine genauen Daten über den Zustand des Bauwerks vorliegen. Wird jedoch unnötigerweise zu viel Beton entfernt, führt dies ebenfalls zu unnötigen Instandsetzungskosten. Das Monitoring schliesst diese Lücke, indem sie wichtige Daten über den Zustand des Bauwerks liefert, so dass der Umfang der Instandsetzung richtig bestimmt werden kann. Dies ist von entscheidender Bedeutung, da, wie in diesem Artikel gezeigt wird, größere Instandsetzungen, einschliesslich des Ausbaus und des Aufbringens von neuem Beton, erhebliche Kosten verursachen. Bei Produkten des Szenarios 4 kommen herkömmliche Instandsetzungen zum Einsatz (Abschnitt 3.1). Diese Produkte sind im Vergleich zu Szenarien 1-3 jedoch nicht nur weniger nachhaltig (Abschnitt 3.3), sondern auch teurer und erfordern möglicherweise häufigere Instandsetzungen. Der Einsatz von Monitoringlösungen bietet große Chancen, das Vertrauen in diese neuen Materialien zu stärken, da ihre Korrosionsbeständigkeit jederzeit gemessen werden und etwaige Materialfehler frühzeitig erkannt werden. Dies wird die Einführung dieser neuen Produkte in die Praxis beschleunigen und einen sicheren Weg in Richtung einer nachhaltigen Instandhaltung einschlagen. Schliesslich werden in diesem Artikel Extremfälle vorgestellt: Instandsetzungen, die nur auf Oberflächenschutzsystemen beruhen, und vollständige Instandsetzungen (Entfernen von Beton, Auftragen von neuem Beton und Oberflächenschutzsystem). In der Praxis sind Zwischensituationen wahrscheinlich, je nach dem Ausgangszustand des Bauwerks. Dennoch bleiben die hier gezogenen Schlussfolgerungen gültig und zeigen, dass ein Betonausbau nicht immer notwendig ist. Wenn der Beton verunreinigt ist (z. B. durch Chloride oder Karbonatisierung), aber noch gute mechanische Eigenschaften aufweist, wäre eine Entfernung ineffizient. Durch das Auf bringen eines 146 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Korrosionsmonitoring - Frühzeitige Erkennung von Korrosionsrisiken in Stahlbetonbauwerken zur Optimierung des Infrastrukturmanagements Oberflächenschutzsystems kann die Korrosion verhindert werden, während die guten mechanischen Eigenschaften des vorhandenen Betons beibehalten werden können. Abb. 5: Instandsetzungskosten für alle Fälle (Abschnitt-2, Abbildung 4) über 50 Jahre Zeitraum, basierend auf den in Tabelle 1 dargestellten Instandsetzungsverfahren für eine kleine Brücke, zusammen mit dem Monitoringsystem (siehe Annahmen in Tabelle 2). Abb. 6: Instandsetzungskosten für alle Fälle (Abschnitt 2, Abbildung 4) über 50 Jahre Zeitraum, basierend auf den in Tabelle 1 dargestellten Instandsetzungsverfahren für eine große Brücke, zusammen mit dem Monitoringsystem (siehe Annahmen in Tabelle 2). 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 147 Korrosionsmonitoring - Frühzeitige Erkennung von Korrosionsrisiken in Stahlbetonbauwerken zur Optimierung des Infrastrukturmanagements Tab. 3: Gesamtinstandsetzungskosten nach 50 Jahren, basierend auf den in Tabelle 1 dargestellten Instandsetzungsverfahren. Vergleich Tabelle 2 für Annahmen und Abbildung 4 für die verschiedenen Fälle. Variante Total Kosten (k CHF) Kleine Brücke (Variante 1) ≈ 610 Fall A, kleine Brücke: (Variante 2) ≈ 960 Fall B, kleine Brücke: (Variante 2) ≈ 870 Fall A, kleine Brücke: (Variante 3) ≈ 1’660 Fall B, kleine Brücke: (Variante 3) ≈ 1’110 Fall A, kleine Brücke: (Variante 4) ≈ 2’440 Fall B, kleine Brücke: (Variante 4) ≈ 1’220 Große Brücke (Variante 1) ≈ 2’410 Fall A, große Brücke: (Variante 2) ≈ 7’280 Fall B, große Brücke: (Variante 2) ≈ 4’390 Fall A, große Brücke: (Variante 3) ≈ 12’730 Fall B, große Brücke: (Variante 3) ≈ 6’210 Fall A, große Brücke: (Variante 4) ≈ 18’830 Fall B, große Brücke: (Variante 4) ≈ 7’130 3.3 CO 2 -Emissionen für verschiedene Instandsetzungsvarianten Die Berechnungen der CO 2 -Emissionen werden für einen Zeitraum von 50 Jahren durchgeführt. Die Annahmen sind: - Die Berechnungen berücksichtigen sowohl die verwendeten Produkte als auch die Reinigung oder Hydrodemolierung des Betons, je nach Szenario. Der Bau der Brücke ist nicht im Umfang der Studie enthalten. - Die Ökobilanzdaten der Produkte beziehen sich nur auf die Rezeptur und schliessen Stromverbrauch und Transport aus. - Die Grundierung ist in den ersten 3 Szenarien nicht in der Ökobilanz enthalten. Im 4. Szenario beträgt die Auswirkung der Grundierung < 0,4 % der Gesamtauswirkungen der Reparatur, daher würde die Einbeziehung der Grundierung in die ersten 3 Szenarien die Schlussfolgerungen dieser Studie nicht ändern. - Für die Massnahmen im Zusammenhang mit dem Betonabtrag werden Hintergrunddaten aus ecoinvent v3.10, Allocation, cut-off by classification system model verwendet (Varianten 1-4 Tabelle 1). Die Daten zur Ökobilanz der in den Varianten 1-4 verwendeten Produkte (Tabelle 1) wurden von den Produktlieferanten auf der Grundlage der Methodik Sika Sustainable Portfolio Management bereitgestellt [8]. Wie in Abschnitt 3.1 erläutert, weist die in Szenario 4 betrachtete Instandsetzungsmassnahme einen größeren CO 2 -Fußabdruck auf als die Instandsetzungsmassnahmen in den Szenarien 1-3 (Oberflächenschutzsystem, Mörtel). Für die in diesem Abschnitt präsentierten Ergebnisse nehmen wir Szenario 4 als Referenz und berechnen die Reduzierung der CO 2 -Emissionen, die bei Anwendung der anderen Szenarien erzielt werden kann. Abbildungen 7 und 8 zeigen die Reduzierung der CO 2 - Emissionen für Fall A bzw. Fall B (Abbildung 4). Abbildung 9 fasst die Reduzierung der CO 2 -Emissionen bei der Umstellung von Fall A auf Fall B (Abbildung 4) zusammen. Abb. 7: Reduzierung der CO 2 -Emissionen für Fall A (Abbildung 4). Referenzszenario = 4A (Tabelle 1). Abb. 8: Reduzierung der CO 2 -Emissionen für Fall B (Abbildung 4). Referenzszenario = 4B (Tabelle 1). Abb. 9: Reduzierung der CO 2 -Emissionen bei der Umstellung von Fall A auf Fall B (Abbildung 4). Zusätzlich zu den in Abschnitt 3.2 aufgezeigten Kosteneinsparungen bietet die Verwendung von minimalinvasiven Instandsetzungen wie Oberflächenschutzsysteme erhebliche Möglichkeiten, die CO 2 -Emissionen zu reduzieren und sich in Richtung Kohlenstoffneutralität zu bewegen. Die Abbildungen 7 und 8 zeigen, dass der Ersatz umfangreicher Instandsetzungen durch minimalinvasive 148 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Korrosionsmonitoring - Frühzeitige Erkennung von Korrosionsrisiken in Stahlbetonbauwerken zur Optimierung des Infrastrukturmanagements Instandsetzungen (Szenario 1, Oberflächenschutzsystem) zu einer Reduzierung der CO 2 -Emissionen von bis > 90-% führt. Unter Berücksichtigung der Kosten- und Umweltaspekte ist der Einsatz von Monitoringlösungen daher von entscheidender Bedeutung. Die frühzeitige Bestimmung des Zeitpunkts des Korrosionsbeginns und das Eingreifen vor dem Fortschreiten der Korrosion sind entscheidend, damit Szenario 1 angewendet werden kann (Norm EN 1504-9). Dies kann erreicht werden, wenn der Einsatz von Monitoringsystemen bereits in der Bauphase vorgesehen wird. Werden die Monitoringsysteme jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt eingesetzt, wenn das Bauwerk bereits ein gewisses Mass an Schäden aufweist und das Auf bringen von Oberflächenschutzsystemen nicht mehr möglich ist und umfangreichere Instandsetzungen erforderlich sind (Varianten 2-4, Tabelle 1), zeigt sich, dass bei Einsatz des Monitorings und anschliessenden Instandsetzungen nach der Anwendung von Oberflächenschutzsystemen (Fall B gegenüber Fall A, Abbildung 9) die CO 2 -Emissionen um etwa 60 % verringert werden können. 3.4 Andere zu berücksichtigende Aspekte Die in diesem Artikel dargestellten CO 2 -Emissionen ergeben sich aus der Herstellung und der Anwendung von Materialien für die Sanierung des Bauwerks. Ein weiterer wichtiger Aspekt, der oft übersehen wird und in diesen Berechnungen nicht enthalten ist, sind die Auswirkungen der durch die Instandsetzungsarbeiten verursachten Verkehrsumleitungen. Diese Umleitungen können dazu führen, dass Autos, Busse oder Lastwagen mehrere zusätzliche Kilometer zurücklegen müssen, was zu einem erhöhten Kraftstoffverbrauch und CO 2 -Ausstoss führt. Größere Instandsetzungsarbeiten ziehen längere Instandsetzungszeiten nach sich, wodurch sich die Verkehrsumleitungen weiter verlängern. Die dadurch verursachten CO 2 -Emissionen sind nicht zu vernachlässigen und können beträchtliche Ausmasse annehmen [9]. Daher kann der Einsatz kosteneffizienter und nachhaltigerer Instandsetzungskonzepte, wie z. B. Oberflächenschutzsysteme, die CO 2 -Emissionen erheblich reduzieren, was den neuen Netto-Null-Vereinbarungen entspricht und die ökologische Nachhaltigkeit fördert. Ebenso wichtig ist, dass Verkehrsbehinderungen erhebliche Auswirkungen auf die Produktivität haben: längere Verkehrsunterbrechungen können zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten aufgrund verspäteter Waren und Dienstleistungen führen. Größere Einsparungen, nicht nur durch geringere Instandsetzungskosten, sondern auch durch die Minimierung von Produktivitätsverlusten, können daher durch minimalinvasive Instandsetzungsmassnahmen, wie z. B. Oberflächenbehandlungen, erzielt werden. Diese Massnahmen sind nur mit geeigneten Monitoringsystemen durchführbar, die eine frühzeitige Erkennung und ein schnelles Eingreifen ermöglichen und so den Bedarf an umfangreichen Instandsetzungen verringern. 4. Schlussfolgerungen und Ausblick Dieser Artikel zeigt die Vorteile minimalinvasiver Instandsetzungsansätze, wie z. B. Oberflächenbehandlungen auf, die mit geeigneten Monitoringlösungen wirksam eingesetzt werden können. Diese Instandsetzungsansätze können nur angewandt werden, wenn die Korrosion noch nicht fortgeschritten ist. Daher ist ein Monitoringsystem, das eine frühzeitige Erkennung von Schäden ermöglicht, von entscheidender Bedeutung, sowohl für eine ordnungsgemässe Anwendung als auch für die rechtzeitige Erneuerung einer solchen Behandlung, ohne dass zusätzliche größere Instandsetzungen erforderlich sind, die eine Betonherstellung erfordern. In dem Artikel werden sowohl die wirtschaftlichen als auch die ökologischen Vorteile verschiedener Instandsetzungsansätze vorgestellt, darunter der Einsatz von Oberflächenbehandlungen, aber auch herkömmliche Instandsetzungsmethoden, bei denen der kontaminierte Beton entfernt und neuer Beton aufgetragen wird. Insbesondere die Verwendung von Oberflächenbehandlungen in Verbindung mit Überwachungslösungen kann in den hier betrachtenden Fallbeispielen zu Kosteneinsparungen von mindestens 50 % im Vergleich zu herkömmlichen Methoden führen. Diese Zahl berücksichtigt noch nicht die indirekten Kosten, die durch Verkehrsunterbrechungen entstehen. Darüber hinaus haben diese alternativen Instandsetzungsstrategien erhebliche positive Auswirkungen auf die Umwelt, da sie zur Kohlenstoffneutralität beitragen und die Instandsetzungskosten senken. 5. Anmerkennungen Die Autoren danken Laura López (Sika Services AG) und Timoteo Saracchi (Sika Technology AG) für die Bereitstellung der Daten, die für die Berechnung der Instandsetzungskosten relevant sind, und für die Berechnung der CO 2 -Emissionen, die in diesem Artikel berichtet sind. Literatur [1] K. Schwab (2016), “The Global Competitiveness Report 2016-2017”, World Economic Forum. [2] Performance in service and current practice by G- P - Tilly and J Jacobs - Belgian Building Research Institute, 2007. [3] V. Wissing (2022): www.welt.de/ wirtschaft/ article 237452833/ Wissing-steckt-weitere-Milliarde-inmarode-Bruecken.html [4] Swissinfo (2018): www.swissinfo.ch/ eng/ society/ genoa-bridge-collapse_1--of-swiss-bridges-in-critical-condition/ 44335866 [5] Research Report Project 38/ 13/ 21 (cc 1031), British Cement Association, UK, 1997. [6] W.R. de Sitter (1984), CEB-RILEM Workshop on Durability of Concrete Structures, Denmark. [7] «Technischen Regel - Instandhaltung von Betonbauwerken» (2020), Deutsches Institut für Bautechnik. [8] Sika Sustainability Portfolio Management (SPM) Methodology: https: / / www.sika.com/ dam/ dms/ corporate/ media/ glo-ar-2023-spm-methodology.pdf [9] G. Habert et al. (2013), Cement & Concrete Composites 38, 1-11. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 149 Automatisierte plan-, modell- und bauteilbasierte Fehlstellenverortung in 2D und 3D bei Brückenbauwerken Dipl.-Ing. Stefan S. Grubinger, B. Sc., Baumeister recordIT GmbH, Graz, Österreich Dipl.-Ing. Sandra Hoffmann recordIT GmbH, Graz, Österreich Dipl.-Dipl.-Ing. Dr. techn. Matthias J. Rebhan, B. Sc., Baumeister Technische Universität Graz, Institut für Bodenmechanik, Grundbau und Numerische Geotechnik, Graz, Österreich Zusammenfassung Verkehrsinfrastruktur - und hier vor allem Brücken im hochrangigen Straßen- und Schienennetz - stellt einen wesentlichen Bestandteil des öffentlichen und täglichen Lebens dar. Neben der Bedeutung für Wirtschaft und Wohlstand kommt dieser, ein erhebliches Augenmerk bezugnehmend auf die Verfügbarkeit und Sicherheit zu. Aus diesen Gründen ist ein fach- und sachgerechter sowie nachhaltig und kostenoptimierter Betrieb der Infrastruktur unerlässlich. Zufolge des Anstieges des Verkehrsaufkommens, des zunehmenden Bauwerksalters und auch durch die bereits spürbaren Auswirkungen des Klimawandels kommt es zu einer rapideren Abnahme des Erhaltungszustandes der Konstruktionen und einer Abnahme der Sicherheit und Zuverlässigkeit. Die hieraus entstehende Situation macht es unerlässlich, eine qualitativ hochwertige Inspektionsstruktur vorzuhalten, um diesen Prozessen bei vorhandenen Infrastrukturbauwerken entgegenzuwirken. Um dies zu schaffen, bedarf es oftmals einer interdisziplinaren Betrachtung der Fragestellungen in Bezug auf die erforderlichen Fach- und Sachkenntnisse. Mit dem vorliegenden Beitrag soll gezeigt werden, welche aktuellen Entwicklungen bei der digitalen Prüfung und Inspektion von Brückenbauwerken - und auch anderen Ingenieurbauwerken - zum Einsatz kommen können. Ziel hierbei ist es, durch digitale Lösungen neben einer zeitlichen und finanziellen Reduktion der Aufwände für eine Inspektionstätigkeit auch zu einem Wissenstransfer zwischen prüfenden Personen und der Einbindung neuer Technologien aufgezeigt werden. 1. Inspektion und Bauwerksprüfung Um die Sicherheit und Zuverlässigkeit von Konstruktionen sicherzustellen, ist über die geplante Nutzungsdauer bzw. die Lebensdauer eine entsprechende Inspektion erforderlich. Prüfungen, Kontrollen und Inspektionen sind dabei ein unerlässlicher Bestandteil des Betriebes, wodurch diesen Ingenieurleistungen entsprechende Aufmerksamkeit zukommt, um die Verfügbarkeit der Konstruktionen und daraus folgend die Sicherheit für die Verkehrsteilnehmer*innen zu gewährleisten. Daraus ableitbar handelt es sich um eine herausfordernde, anspruchsvolle und mit viel Verantwortung verbundene Aufgabe. Bauwerke der Straßen- und Schienen-infrastruktur sind dabei in Österreich in den Richtlinien der Reihe RVS 13.03.xx - Überwachung, Kontrolle und Prüfung von Kunstbauten der Forschungsgesellschaft Straße - Schiene - Verkehr geregelt, wobei für Brücken im Speziellen die RVS 13.03.11 [1] anzuwenden ist. Diese stellen das österreichische Pendant zur in Deutschland geltenden Vorgaben der DIN 1076 [2] sowie die RI-EBW-PRÜF [3] dar. Die laufende Durchführung dieser Tätigkeiten ist unerlässlich, um der Verschlechterung des Bauwerkszustandes entgegenzuwirken. Diese müssen dabei unter Anbetracht der Zunahme des Verkehrs, der Erreichung eines kritischen Bauwerksalters in Bezug auf die Erhaltung und den zunehmend stärker werdenden Auswirkungen des Klimawandels vorgenommen werden. Abb. 1: Durchführung einer Brückenprüfung Wie Abb. 1 erkennen lässt, sind im Zuge einer Prüftätigkeit - vor allem bei Brückenbauwerken - eine Vielzahl unterschiedlicher Randbedingungen zu beachten. Diese reichen von organisatorischen Punkten wie Straßen- oder Spursperrungen über technische Inhalte (z. B. Sonderprüfmethoden, Nutzung technischer Hilfsmittel) bis hin zu wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Daraus folgend ist eine umfassende Planung dieser Tätigkeiten notwendig, um die Aufgabenstellung entsprechend umsetzen zu können. Zudem ist vor allem eine effiziente und straffe Umsetzung der Tätigkeiten vor Ort erforderlich, um eine Verkehrsbeeinflussung möglichst gering zu halten. Aktuell zeigt sich, dass hier der mögliche Digitalisierungsgrad von derartigen Tätigkeiten - im Vergleich zu 150 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Automatisierte plan-, modell- und bauteilbasierte Fehlstellen-verortung in 2D und 3D bei Brückenbauwerken anderen Bereichen des Ingenieurwesens - relativ gering ist. Vor allem bei der Erfassung, Dokumentation von Schadensbildern und Berichtgenerierung - als Grundlage einer zutreffenden Beurteilung - ist hier erhebliche Potential vorhanden. 2. Aktuelle Methoden der Bauwerksprüfung Aktuell stellt sich die Bauwerksprüfung noch sehr stark manuell und durch “Papier und Bleistift” getrieben dar. Grund hierfür sind oftmals fehlende oder nur bedingt praktikable Tools und Softwarelösungen, welche eine rasche und nachvollziehbare Erfassung von Sachverhalten im Feld ausreichend sinnvoll unterstützen und weiterführend eine Grundlage für die erforderliche Berichtslegung und die Weitergabe von Informationen bieten. Im Regelfall wird im Zuge einer Inspektion auf die „analogen“ Plandaten aus vorangegangenen Prüfungen zurückgegriffen, welche durch bildliche und textliche Informationen im Zuge der Prüfung vor Ort ergänzt werden. Damit werden Schäden und Mängel erfasst, verortet und dokumentiert. Vor allem Letzteres passiert im Regelfall getrennt vom Rest- es werden Fotos und Bilder mit Kameras aufgenommen und anschließend werden Bildnummer auf Plänen, Skizzen oder Notizblöcken notiert, um eine (meist im Büro stattfindende) nachträgliche Verortung zu durchzuführen. Zudem werden wichtige Informationen wie beispielsweise die Rissbreite, die Abmessungen einer Abplatzung oder eine detaillierte Beschreibung des Schadensbildes gemeinsam mit der Bildnummer notiert, ohne diese oftmals im Feld geometrisch und objektbezogen zuzuordnen. Abb.2: Bilder Prüftätigkeit im Feld mit Verortung auf den Plangrundlagen und Schadstellendefinition Nach diesem Daten- und Informationsbefassungs-prozesses findet eine Zusammenstellung der erhobenen Daten statt, was im Regelfall in Form eines Berichtes umgesetzt wird. Dieser soll eine umfassende Dokumentation des Erhaltungszustandes darstellen, um darauf auf bauend eine Beurteilung des Objektes vorzunehmen und in weiterer Folge erforderliche Maßnahmen abzuleiten. Nachfolgend - je nach Bauwerkserhalter und definierten Prozess - wird eine Einarbeitung dieser Informationen in Datenbanken und die Unterlagensammlung zum jeweiligen Bauwerk vorgenommen. Dort geführte Informationen werden auch zu einem gewissen Teil weiterverarbeitet, um beispielsweise den Erhaltungsbedarf aber auch mögliche Entwicklungen bei Streckenabschnitten bzw. einzelnen Bauwerkstypen abzuleiten und diese als Grundlage für Entscheidungen heranziehen zu können. Der gesamte Prozess findet dabei im Regelfall in einer „semi-digitalen“ Umgebung mit Medienbrüchen statt. Zwar werden Fotos mittlerweile digital aufgenommen und auch die Ablage dieser und die Weiterverarbeitung in Form eines Berichtes findet digital statt, ein durchgehender Prozess ist dies meist jedoch nicht. Vor allem, wenn Prüf- und Inspektionstätigkeiten durch externe Ingenieurbüros durchgeführt werden, kommen nur bedingt digitale und durchgängige Tools zum Einsatz, welche beispielsweise durch den Auftraggeber (Bauwerkserhalter) bereitgestellt werden müssten. Ohne derartige Grundlagen ist eine digitale Umsetzung der Bauwerksprüfung bzw. generell einer Inspektionstätigkeit nur bedingt möglich. Vor allem, durch die einheitliche Verarbeitung der Daten, aber auch durch die Einbindung früherer Inspektionstätigkeiten könnte hier ein erhebliches Einsparungspotential ermöglicht werden. Diese wäre vor allem in Bezug auf die Prüfdauer durch die Reduktion wiederkehrender Tätigkeiten möglich und könnte zusätzlich durch eine entsprechende Weitergabe der Daten und Informationen erheblich sein. Ein hierzu denkbarer, bzw. bereits umgesetzter Workflow wird in Kapitel 3 dieses Beitrages näher beschrieben. 3. Digitale Bauwerksprüfung In Kapitel 2 wurde versucht, den aktuellen Stand bei Bauwerksprüfung aufzuzeigen. Nachfolgend soll dieser entsprechend ergänzt werden, um eine sinnvolle Digitalisierung dieses Prozesses aufzuzeigen, und damit eine Anwendertauglichkeit und Praktikabilität sicherzustellen. Ziel ist es, bereits bestehende, analoge bzw. „semi-digitale“ Prozess zeiteffizient und digital umzusetzen. Damit soll durch die Verwendung bekannter Methoden und Vorgehensweisen, welche auf jahrlanger Erfahrung und Entwicklung des Inspektionspersonals beruhen, ein funktionierender und anerkannter Prozess lediglich, um den Bereich der Digitalisierung erweitert werden. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 151 Automatisierte plan-, modell- und bauteilbasierte Fehlstellen-verortung in 2D und 3D bei Brückenbauwerken Abb. 3: Schematische Darstellung des Workflows bei einer digitalen Bauwerksprüfung [4] Die möglichen „Bestandteile“ eines derartigen Workflows sind in Abb. 3 dargestellt. Diese spannen sich um das zentrale Element einer Bauwerksdaten auf. Parallel hierzu ist ersichtlich, dass durch digitale Lösungen ein kumulierendes Generieren von Bauwerksdaten, welche als Grundlage für die Betrachtung des Lifecycles und Predictive Maintenance erforderlich sind, sichergestellt werden kann. 3.1 Vorbereitungsphase Ident zur analogen Prüfung ist vorab eine Auf bereitung und Zusammenstellung der Unterlagen zum Prüfobjekt erforderlich. Diese Dokumente umfassen im Regelfall: - Das Stammdatenblatt mit allen wichtigen Informationen und Kennzahlen eines Bauwerkes; - Generelle Lagedarstellung und Position des Bauwerkes in Bezug auf die Verkehrstrasse; - Planunterlagen und Dokumente; - Weitere Informationen zum Bauwerk, betreffend der Zugänglichkeit und Informationen zu Messeinrichtungen - Ergebnisse vorangegangener Inspektionstätigkeiten am Bauwerk. Einer der größten Vorteile der Digitalisierung des Prozesses ist jedoch, dass der Vorbereitungsprozess, sofern keine Anpassungen und Änderungen am Bauwerk stattfanden, vollumfänglich lediglich einmal durchzuführen ist. Hierbei können sowohl Pläne laufend weiterverwendet werden als auch Informationen und Stammdaten auf Grund ihrer Ablage in der Bauwerksdatenbank bei periodisch wiederkehrenden Prüfungen weitergenutzt werden. 3.2 Bauwerksdatenbank Wie bereits angeführt stellt eine Bauwerksdatenbank ein zentrales Element dar, um eine digitale Prozessabbildung bei der Bauwerksprüfung zu ermöglichen. Diese Datenbanken müssen so ausgebildet sein, dass kumulierend Daten, Informationen und Unterlagen zu Bauwerken erhoben und verarbeitet werden können. Ebenso zeigt sich, dass diese Datenbanken ohne gesonderte Schnittstellen / nur sehr gut abgestimmten Schnittstellen die zur Prüfung vor Ort, die Erstellung von Berichten und Dokumenten und auch der Ableitung von Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen unterstützen müssen, um eine hohe Qualität und Praktikabilität sicherzustellen. Durch die Verwendung von Datenbanken wird der Standardisierungsgrad von Informationen automatisch gehoben, woraus eine Reduktion der Fehleranfälligkeit resultiert. Weiter kann hierbei auch eine Optimierung des Prozesses durch Vereinheitlichungen der Datengrundlagen ermöglicht werden. Neben diesem “Datensarg”, welcher durch eine Bauwerksdatenbank realisiert wird, kann vor allem in Bezug auf die Digitalisierung von Prozessen und die Nutzung und Ableitung von Informationen ein sehr dynamisches und mächtiges Tool geschaffen werden. Hierbei können sowohl das Prüfpersonal als auch der Bauwerkserhalter und dessen Experten profitieren. Jedoch muss klar sein, dass eine lückenlose Befüllung und Weitergabe der Informationen als oberstes Ziel gelten muss. In Abb. 3 wird diese aufgrund der zentralen Positionierung und Interaktion mit der Aufnahme im Feld zur Datenbank dargestellt. 152 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Automatisierte plan-, modell- und bauteilbasierte Fehlstellen-verortung in 2D und 3D bei Brückenbauwerken 3.3 Inspektionstätigkeiten Der Kernprozess - sowohl bei der analogen als auch bei der digitalen Durchführung einer Bauwerksprüfung ist die Inspektionstätigkeit vor Ort. Hier werden die vorhandenen Bauwerksdaten durch die Informationen, die Mängel und Schäden sowie die Änderung an bereits bekannten Schadensbildern erweitert um dies als Grundlage für die Beurteilung des Bauwerkes verwenden zu können. Wie in Abb. 4 dargestellt, kann identisch zur Erfassung der Informationen auch ein geeignetes digitales Endgerät verwendet werden. Abb. 4: Digitaler Erfassungsprozess vor Ort Hierbei sollte ein mehrstufiges Verfahren unterstützt werden, welches die Aufnahme von Übersichtsbildern - sowohl zum Bauwerk als auch zu Schäden und Mängeln- ermöglicht, als auch eine detaillierte Aufnahme von Einzelbereichen und schadhaften Regionen. Diese schaffen eine umfassende Datengrundlage und eine genaue Dokumentation des Erhaltungszustandes des Bauwerkes. Zudem muss im Feld bereits die Möglichkeit gegeben werden, um Informationen zu den Schäden und Mängeln aber auch zum Bauwerk generell sehr einfach, schnell und intuitiv erfassen und abzulegen zu können. Im einfachsten Fall handelts es sich hier um eine entsprechende Annotierung der Bildinhalte, um diese entsprechend den technischen und normativen Vorgaben bezeichnen, ablegen und nachvollziehbar darstellen zu können. Zum anderen sind dies jedoch auch textliche Informationen, welche sowohl standardisiert als auch frei wählbar sein müssen, um die erforderliche Flexibilität zu ermöglichen. Abb. 5: Verortung und Vermarkung von Informationen und Bildern auf Planunterlagen 3.4 Datenbestand aus der Inspektionstätigkeit Neben den angeführten Stammdaten kann auch der Datenbestand vorangegangener Inspektionstätigkeiten jederzeit abgerufen und für eine Auswertungszwecke verglichen werden. Neben der Verwendung dieser Informationen in der Auswertung und Interpretation der Entwicklung des Erhaltungszustandes von Bauwerken kann hier vor allem für das Prüfpersonal ein erheblicher Mehrwert generiert werden. So müssen bereits erfasst Schäden und Mängel in einer Folgeprüfung lediglich auf ihr Veränderung hin untersucht werden, da eine „Erstaufnahme“ inklusive der Verortung am Bauwerk und der Beschreibung bereits durchgeführt wurde. Das Hauptaugenmerk kann hier durch das Prüfpersonal auf die Entwicklung eines Schadens und die Entstehung neuer Schadensbilder und Mechanismen gelegt werden. Darüber hinaus bietet eine derartige Vorgehensweise den Vorteil und Mehrwert eine Nutzung der Prüfergebnisse funktionsweise zu ermöglichen. Neben der Schaffung eines Datenpools - beispielsweise als Grundlage für die automatisierte Erkennung von Schadensbildern - kann auch eine Schadensentwicklung mit Bezug auf die Abnahme des Erhaltungszustandes abgeleitet werden. Vor allem im Hinblick auf das Erfordernis von Instandhaltungen und Instandsetzungen und die Ableitung der Restnutzungsdauer kann hieraus ein bisher nur schwierig und aufwendig umsetzbarer Prozessschritt etabliert werden, welche mit Zunahme des Bauwerksalters und Abnahme des Erhaltungszustandes sicherlich vermehrt an Interesse gewinnen wird. 3.5 Reporting & Maßnahmenableitung Ein Herzstück - sowohl der analogen als auch der digitalen Abwicklung einer Inspektion und Bauwerksprüfung stellt das Reporting dar. In diesem werden generell die erfassten Daten und Informationen entsprechend auf bereitet, um diese dem Auftraggeber als Grundlage für darauf auf bauende Tätigkeiten (Bauwerkserhalter) zur Verfügung zu stellen zu können. Neben einer klassischen Berichterstellung - im Regelfall basierend auf Vorgaben des Bauwerkserhalters und den technischen Regelwerken kommen hier vermehrt auch weitere technische Möglichkeiten zum Einsatz. So kann beispielsweise auch eine Datenübergabe in unterschiedlichsten Formaten und Strukturen stattfinden, um daraus folgend eine einfachere Weiterverwendung der Daten 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 153 Automatisierte plan-, modell- und bauteilbasierte Fehlstellen-verortung in 2D und 3D bei Brückenbauwerken und das Importieren in Datenbanken und andere Strukturen zu ermöglichen. Weiters können auch entsprechende Schnittstellen adressiert werden, um beispielsweise Building Information Modelling Modelle mit BCF-/ IFC-Standards (vgl. [5] oder IFC 4.2) zu befüllen und damit eine digitale Weiternutzung der Prüfergebnisse auch in Bauwerksmodellen zu ermöglichen. Als abschließender Prozess und Ergebnis ist im Regelfall eine Ableitung von Maßnahmen vorzunehmen, sofern diese, basierend auf den Kontroll- und Prüfergebnissen, erforderlich sind. Hier definiert die RVS als Minimum die Festlegung des nächsten Kontrollbzw. Prüfintervalls, generell kann diese jedoch auch Sofortmaßnahmen und kurzbzw. mittel- und langfristig anzusetzende Maßnahmen umfassen. Diese zielen zum einen darauf ab, den aktuellen Erhaltungszustand möglichst zu konservieren und eine Abnahme zu verhindern, können jedoch auch erforderlich sein, um die Zuverlässigkeit und Verkehrstauglichkeit des Bauwerkes zu gewährleisten. Der Workflow für die digitale Bauwerksprüfung, wie hier beschrieben und dargestellt, ist sicherlich nicht so flexibel wie jener bei einer Kontrolle und Prüfung, wie dieser aktuell zumeist noch zum Einsatz kommt. Hieraus kann jedoch generell ein großer Vorteil generiert werden. So ist eine Standardisierung, welche es vorab durch geschultes und erfahrenes Personal zu definieren gilt, eine Möglichkeit, um die Qualität dieser Tätigkeit zu erhöhen, den zeitlichen Aufwand zu reduzieren und vor allem um die Weiterverwendung/ -verarbeitung der generierten Informationen zu ermöglichen. Die Vollständigkeit der Prüfung sowie der durchgehende Datenfluss sind nur zwei Bestandteil welche die Qualität der Prüfung und die Aussagekraft heben können. 3.6 Vorteile für den Bauwerkserhalter Die vorangegangenen Ausführungen zeigen Randbedingungen auf, welche bei einem digitalen Workflow für die Prüfung und Inspektion von Infrastrukturbauwerke vorliegen. Dort wurde bereits angeführt, dass aus einem derartigen Prozess maßgebende Vorteile und Mehrwerte aus Sicht des Bauwerkserhalters abgeleitet werden können. Diese müssen jedoch auch mit einer Reihe von Anforderungen einhergehen, um tatsächlichen einen Mehrwert ableiten zu können: - Einheitlicher und nachvollziehbarer Prüfprozess für alle Asset-Klassen; - Einbindung in Bauwerksdatenbanken; - Auswertbare und vergleichbare Kontroll- und Prüfergebnisse; - Einfache Einbindung von Kenntnissen sowie Mängeln und Schäden aus vorherigen Inspektionstätigkeiten; - Datensammlung und automatisierte Aufbereitung von Unterlangen für zukünftig Anwendungsfälle; - Ableitung von Maßnahmen und Empfehlungen direkt aus dem Prüfprozess; - Einbindung interner und externer Anwender*innen der digitalen Prüflösungen. Mit der Umsetzung der oben angeführten Anforderungen kann sichergestellt werden, dass aus Sicht des Bauwerkserhalters ein größtmöglicher Mehrwert generiert wird. Diese lassen sich wie folgt zusammenfassen: - Vereinheitlichung des Prüfprozesses; - Generierung eines umfassenden Datenpools und Datenbestandes zu den Bauwerken; - Generalisierung des Datenbestandes zu Bauwerken; - Grundlagen für ein standardisiertes Weiterverarbeiten der Informationen; - Erhöhung des Wissensstandes über Bauwerke; - Ableitung der Entwicklungsprozesse bei Schäden und Mängeln; - Ableitung zutreffenderer Maßnahmen und Instandhaltungstätigkeiten bei Bauwerken. - Kostenreduktion und Zeitreduktion durch automatisierte und standardisierte Prozesse Neben den oben angeführten Mehrwerten kann - und muss - bei der Umsetzung eines Digitalisierungsprozesses auch von einer Optimierung ausgegangen werden. Bei einem digitalen Prüfprozess kann vor allem von einer Reduktion der Prüfzeit und Dauer ausgegangen werden, was sich direkt in Streckensperren und somit auch in den Kosten für Inspektions- und Prüftätigkeiten widerspiegelt. 3.7 Vorteile für das Prüfpersonal Der Hauptfokus der Inspektionstätigkeit des Prüfpersonals liegt auf der umfassenden Erfassung des Erhaltungszustandes des Bauwerkes. Generell werden handnahe und visuelle Methoden eingesetzt, obwohl vermehrt alternative Methoden zum Einsatz kommen. Hierzu muss jedoch das Prüfpersonal Informationen dort zur Verfügung haben, wo diese zu diesem Zeitpunkt benötigt werden. Mit diesem Bedarf, der bei jeder Inspektionstätigkeit zu bedienen ist, und welcher als ein wesentlicher Faktor für das Gelingen einer optimierten und qualitativ hochwertigen Prüfung gilt, ergibt sich eine Grundanforderung, die durch digitale Prüflösungen auch abgedeckt werden muss. In Kombination mit einer raschen Aufnahme und Erfassung sowie der Zuordnung von Informationen, Fotos und Sachverhalten bietet die Digitalisierung hier große Vorteile, welche zu einer deutlichen Entlastung des Prüfpersonales führt. Durch den Entfall von bisher manuell durchgeführten Prozessen wie dem nachträglichen Zuordnen von Bildern zu Fehlstellen kann der Fokus somit auf die eigentliche Prüftätigkeit gelegt werden. Zudem ist im Regelfall mit derartigen digitalen Prozessen eine Reduktion bzw. ein Wegfall möglicher Nachbearbeitungsaufgaben zu erwarten. Gemeinsam mit den angeführten Vorbereitungsarbeiten, welche in der Bauwerksdatenbank hinterlegt sind, kann hier ein enormes Zeiteinsparungspotential generiert werden. Die im Anschluss an die Erfassung und Informationsvergabe folgenden Interpretation - in diesem Fall, die Ableitung des Erhaltungszustandes - kann zufolge der oben angeführten Vorteile ebenfalls umfassender vorgenommen werden. 154 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Automatisierte plan-, modell- und bauteilbasierte Fehlstellen-verortung in 2D und 3D bei Brückenbauwerken So können nachträglich Sachverhalte detaillierter aufgezeigt und ausgearbeitet werden - basierend auf der Tatsache, dass die Grundlagen hierfür bereits bei der Erfassung vor Ort gelegt wurden. Ein weiterer maßgebender Vorteil der Digitalisierung ist sicherlich die Tatsache, dass eine erhöhte Anzahl an Bildern aufgenommen werden und diese mit Information versehen sind, welche umfangreichere Interpretation zulassen. Vor allem bei Bauwerken, welche schwierige Lastabtragungs-verhältnisse aufweisen, können zusätzliche Skizzen, Informationen und Bilder Rückschlüsse auf die tatsächlichen Lastableitungsmechanismen geben. Nichtsdestotrotz muss der Erfassung vor Ort bei der Umsetzung einer digitalen Lösung zur Bauwerksprüfung das Hauptaugenmerk zukommen. Sämtliche Vorteile und Mehrwerte für die Bauwerkserhalter gehen verloren, wenn die Erfassung der Daten und Informationen nicht zielgerichtet, einfach und nachvollziehbar möglich ist. Dies kann nur durch die Akzeptanz der Softwarelösung durch das Prüfpersonal ermöglicht werden. Sind Lösungen zu komplex, erfordern diese unhandliches und nicht im Feld einsetzbares Equipment oder berücksichtigen diese nicht die Handhabbarkeit im Feld sind Softwarelösungen zum Scheitern verurteilt - und daraus folgend die nachfolgenden Prozesse. 4. Aktuelle Entwicklungen bei der Brückenprüfung Mit den vorherigen Kapiteln wurde versucht, aufzuzeigen, wie eine Digitalisierung der Bauwerksprüfung vonstattengehen kann. Neben der reinen Nutzung von digitalen Tools zur Erfassung und Prüfung von Bauwerken können jedoch auch andere Instrumente genutzt werden, um einen Beitrag zur Digitalisierung, der Bauwerkserhaltung und Instandsetzung zu leisten. Neben der Verwendung von 3D-Modellen und BIM bei Bestandsbauten ist hier vor allem eine nachvollziehbare sowie intuitive Datenablage erforderlich. Dies lässt sich beispielsweise durch die Anbringung von Verortungstafeln (QR-Codes) oder die Verwendung von NFC-Chips [14] als Lokalisierungs- und Verortungs-punkten ermöglichen. Erste Projekte hierzu werden bereits umgesetzt und haben gezeigt, dass damit zum einen die Ablage durch automatisierte Verortung und Speicherung von Daten direkt vor Ort einen großen Mehrwert und Zeiteffizienz aufzeigen. Wichtig hierbei ist jedoch, dass bereits in der Installationsbzw. Planungsphase die dauerhafte Nutzung derartiger Lösungen betrachtet und geplant wird. Da Ingenieurbauwerke und Kunstbauten eine geplante Nutzungsdauer von mehr als 80 Jahren aufweisen, kommt diesem Aspekt sicherlich große Beachtung zu - um die angeführten Problemstellungen zu fehlenden oder lückenhaften Bestandsunterlagen zukünftig zu unterbinden. Darüber hinaus werden Fehlerquellen, welche beispielsweise, durch Verwechslungen von Bilddokumentationen oder nicht aufgezeichneter Informationen ausgeschaltet und die Qualität kann maßgeblich gehoben werden. Der hier beschriebene Workflow zu einer digitalen Bauwerksprüfung basiert auf dem aktuellen Stand der Technik, welcher von einer analogen Umsetzung ausgeht, und hat diesen lediglich durch den Einsatz digitaler Tools und Lösungen ergänzt und unterstützt werden. Generell wird ein zweidimensionales Problem in Form von Plänen und Bildern betrachtet, welches jedoch durch die Erweiterung um eine zusätzliche Dimension erheblich einfacher, nachvollziehbarer wird. Damit kann neben der Schaffung eines digitalen Zwillings vor allem die Unwegbarkeit bereinigt werden, dass Plandaten nicht immer dem errichteten Ist-Zustand umfassen. Zusätzlich wird ebenso eine Grundlage für bauliche Maßnahmen, wie Sanierungen, Instand-setzungen und eventuelle Bauwerksveränderungen im Zuge der Bauwerksprüfung erstellt und kann hierfür als Datenbestand eingebunden werden - Nutzung von digitalen Zwillingen über die gesamte Lebensdauer und für alle am Bauwerk erforderlichen Maßnahmen. Der Vorteil von derartigen dreidimensionalen Modellen ist, dass diese im Regelfall den Ist-Zustand/ as-build Modell, bezugnehmend auf die augenscheinlich ersichtlichen Überprüfungsbereiche darstellen. Zudem können hier auch einheitliche Verortungen von Schadensbildern und Mängeln vorgenommen werden, was zu einer durchgehenden Datenbasis unabhängig des Prüfpersonals führt und in weiterer Folge auch die Schadensentwicklung auswertbar machen kann. Hierzu empfiehlt sich es sich jedoch oftmals die Modelle, entsprechend dem Verwendungszweck, zu vereinfachen, um diese auch flüssig und elegant im Zuge der vor Ort Arbeit nutzen zu können. Ein Beispiel hierzu ist in nachfolgender Abb. 6 dargestellt. Das obere Modell stellt eine mit BIM geplante neu zu errichtende Ankerwand dar. Dieses Modell beinhaltet neben den Bauteilen auch das Gelände sowie beispielsweise auch die im Zuge einer Prüfung und Inspektion nicht einsehbaren Bereiche von Ankersystemen. Daraus folgend ist dieses Modell entsprechend groß und kann nur bedingt in online-viewern und digitalen Endgeräten, wie Handy und Tablet, verwendet werden. Abb. 6: 3D Modelle eines Bauwerkes, oben: Umfassendes BIM-Modell mit Gelände, unten, reduziertes 3D Modell zur Bauwerksprüfung [6] 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 155 Automatisierte plan-, modell- und bauteilbasierte Fehlstellen-verortung in 2D und 3D bei Brückenbauwerken Wird dieses Modell jedoch, wie in Abb. 6 dargestellt, auf das Wesentlich reduziert, so verringert sich die Größe auf einige MB - was die Nutzung und Anwendung auf allen Endgeräten ermöglicht. Aktuell Entwicklungen in diesem Bereich ermöglichen es zudem, eine einfachere Verortung von Schadensbildern und Schadstellen zu Folge der Nutzung eines dreidimensionalen Modelles vorzunehmen. Neben der Nutzung von Künstlicher Intelligenz zur Schadstellenerkennung kann auch die Verortung des Endgerätes im Raum und die daraus folgende Verortung des Bildes am Objekt genutzt werden um Fotos nicht mehr manuell auf Plänen verorten zu müssen. Ansätze hierzu zeigen, dass damit in der Nachvollziehbarkeit ein erheblicher Vorteil gegeben ist. Weiters kann auch eine Detaillierung des dreidimensionalen Modells - in Bezug auf die Inspektionstätigkeit - als Mehrwert gesehen werden. Das Beispiel in Abb. 7 oben zeigt eine reale Brücke, welche modelliert wurde. Bei der Modellierung, wie in Abb. 7 unten dargestellt, wurde dabei auf die unterschiedlichen Bauteile der Brücke geachtet. So wurden Bauteile identifiziert und getrennt dargestellt. So kann beispielsweise auf signifikante Schadensbilder und deren Entwicklung bei den jeweiligen Bauteilen über unterschiedliche Bauwerke hinweg standardisiert und auswertbar ein Rückschluss gezogen werden. Abb. 7: Digitale Modellnutzung, oben: reales Brückentragwerk; unten: Modell geclustert nach Bauteilen Abb. 8: Digitale Modellnutzung, Ansicht bei der vor Ort Anwendung zur Prüfung einer Brücke Hierbei können Überlagerungen von Bauwerk im Hintergrund mit dem 3D Modell, welches eine Auswahl einzelner standardisiert definierter Bauteile ermöglicht um diese um Informationen und Bilder zu ergänzen, einen erheblichen Vorteil. Erfasste Fehlstellen und Informationen werden automatisiert am Bildschirm dargestellt werden. Derartige Modelle, wie in Abb. 8 dargestellt, ermöglichen es, Bilder bzw. erfasste Informationen direkt den jeweiligen Bauteilen zuzuordnen. Dies kann einerseits durch die Einbindung von Augmented Reality vorgenommen werden, oder auch durch simple Auswahl der jeweiligen Bauteile im Zuge der Prüfung. Abb. 9: Überlagerung von Realität und Modell im Zuge der Bauwerksprüfung für eine bessere Verortung von Informationen Neben einer einfacheren Verortung von Schadstellen, wie in Abb. 9 schematisch an der Entwässerung einer Brücke gezeigt, kann hieraus folgend auch eine Clusterung der Schäden - auf Bauteilebene - vorgenommen werden. In Hinblick auf mögliche Schadensentwicklungen (z. B. Rissentwicklung Tragplatte, Tausalzeinwirkung Widerlager, …) kann dies von erheblichem Mehrwert sein. 156 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Automatisierte plan-, modell- und bauteilbasierte Fehlstellen-verortung in 2D und 3D bei Brückenbauwerken Bei den oben dargestellten Ansätzen zur Nutzung von 3D Modellen zur Bauwerksprüfung wurde immer von neu errichteten Bauwerken ausgegangen bzw. von Bauwerken, welche in einem umfassenden dreidimensionalen Datenbestand vorliegen. Auf Grund des Alters der Infrastruktur ist jedoch bei Brücken und auch anderen Ingenieurbauwerken davon auszugehen, dass eine derartig umfassende Datenlage nur bedingt vorhanden ist. Um dem zu begegnen können auch nachträglich erfasst Modell in Form von Scandaten und Punktwolken dazu verwendet werden, um 3D-Modelle zur Inspektion und Prüfung zu generieren. Derartige Modelle können zum einen mit, wie in Abb. 10 dargestellten Mobile Mapping Systemen erfasst werden, können jedoch auch mittels Drohnen oder Mobilen Endgerät erstellt werden, um beispielsweise Bereich mit schwierigerer Zugänglichkeit zu erfassen. Betrachtet man darüber hinaus die technische Entwicklung der letzten Jahre und aktuell bereits vorhandenen Möglichkeiten zur Bauwerkserfassung und anschließenden Modellgenerierung, so ist unschwer zu erkennen, dass zukünftig, auch aufgrund sinkender Kosten und Rechenleistung von mobilen Endgeräten die Nutzung von 3D Modellen für Bauwerksprüfungen Standard werden wird. Abb. 10: Nutzung von 3D Modellen zur Bauwerksprüfung, Erfassung mit kleinen Mobile Mapping Einheiten (oben), Generiertes Modelle von Tunnel und Brücke (unten) Ein derartiger Ansatz biete die Möglichkeit, dass neben einer umfassenden Darstellung des Bauwerkes im Zuge der Prüfung ein digitaler Zwilling generiert wird. Ebenso wird die Grundlage für eine Remote-Prüfung des Bauwerkes generiert. So kann sich beispielsweise der Bauwerkserhalter im Zuge einer Endbesprechung mit dem Prüfpersonal durch das 3D-Modell mit den darauf lagerichtig platzierten Bildern selbst ein sehr gutes Bild zum Bauwerk machen. Zum anderen kann das Prüfpersonal während der Berichterstellung diese Komponente nutzen, um eine klarere Darstellung von Schäden und Mängeln vorzunehmen. Weiter stellt die Nutzung von Virtueller und Augmented Reality einen unumgänglichen und sinnvollen nächsten Schritt in der digitalen Bauwerksprüfung dar. Wie in Abb. 11 dargestellt können so Prüfergebnisse aus Vorprüfungen mit in die Prüfung eingebunden werden, um so neben dem Aufzeigen der bereits erfassten und dokumentierten Schäden und Mängel mit aktuellen vergleichen zu können. Vor allem beim Wissenstransfer zwischen wechselndem Prüfpersonal kann so eine laufende Informationsweitergabe sichergestellt werden. Zudem eignen sich derartige Ansätze auch, um beispielsweise eine nachträgliche Führung durch das Bauwerk und die Prüfung (vom Büro aus) zu ermöglichen und damit genauer auf einzelne Prüf bereiche und Problemstellungen einzugeben. Abb. 11: Einbindung der VR (Virtuellen Realität), um vorhandene Prüfergebnisse darzustellen Die obige kurze Darstellung der aktuellen Schritte und Methoden in der digitalen Bauwerksprüfung zeigt, dass hier erhebliches Potential vorhanden ist, um den Digitalisierungsgrad dieser Tätigkeit sinnstiftend zu steigern. Neben den direkten Auswirkungen in den Prüf- und Sperrzeiten kann damit aber vor allem eine nachhaltige und nachvollziehbare Dokumentation der Infrastruktur sichergestellt werden. 5. Zusammenfassung und Ausblick Aktuell kann in Zentraleuropa beobachtet werden, dass Bauwerke aus den Zeiträumen der 1960er bis 1980er Jahre und der dort verhältnismäßig überdurchschnittlichen Bautätigkeit an die Grenzen ihrer Lebensdauer kommen. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 157 Automatisierte plan-, modell- und bauteilbasierte Fehlstellen-verortung in 2D und 3D bei Brückenbauwerken Dies wird zudem durch ein stark gestiegenes Verkehrsaufkommen und klimawandelbedingte Einflüsse verstärkt. Daraus folgend wird neben einem entsprechenden Investitionsbedarf in der Instandhaltung und der Sanierung auch ein Mehr an Inspektionen und Prüfungen erforderlich werden, um die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Infrastrukturbauwerke im gewohnten Ausmaß zu gewährleisten. Um die hierfür erforderlichen Ressourcen, unabhängig ob Zeit, Verfügbarkeit oder Finanzen in ausreichendem Ausmaß und zu gegebener Zeit zur Verfügung zu stellen, bedarf es einer entsprechenden Verwaltung und Organisation sowie sicherlich neuen Strukturen. Genau hier kann Digitalisierung, wenn diese sinnvoll und unter zutun aller Beteiligten umgesetzt wird, neue Maßstäbe in Bezug auf Effizienz und Nachhaltigkeit setzen. So wird es möglich, Fehlerquellen durch strategisch sinnvolle Entscheidungen vorab auszuschließen, und dabei den Zeitbedarf für die Inspektion und eine damit einhergehende Kostenersparnis zu ermöglichen. Neben den quantitativen Vorteilen kann zudem eine qualitative Steigerung der Prüfergebnisse durch Schematisierung und Standardisierung erzielt werden. Hieraus können Daten und Kennwerte für Langzeitbetrachtungen von Bauwerkstypen geschaffen werden und Erfahrungen weiterführend als Entscheidungsgrundlagen für geplante Sanierungen, Instandsetzungen oder auch Ersatzneubauten verwendet werden. Bei aktuellen Einsätzen an Bauwerken hat sich gezeigt, dass Berichte, Dokumentationen und Statistiken ohne eine entsprechende Datengrundlage nur bedingt sinnvoll sind. Aus diesem Grund kommt der Aufnahme von Sachverhalten und Informationen im Feld - also im Zuge der Inspektion und Prüfung vor Ort größte Aufmerksamkeit zu. Diese sehr komplexe Aufgabe stellt Ingenieur*innen und Bauwerksprüfer*innen vor große Herausforderung, da vor allem komplexe Bauwerke mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen wie Geologie, Tragsystem und Entwässerung sowie die Einwirkungen und Effekte auf das Bauwerk in sehr kurzer Zeit eingeschätzt und bewertet werden müssen. Weiters gilt es am Bauwerk vorhandene Schadensbilder in Hinblick auf Konsequenzen hinsichtlich der Standsicherheit, Verkehrstauglichkeit sowie Dauerhaftigkeit zu bestimmen. Hier kann, bei richtiger Umsetzung, eine Unterstützung des Prüfpersonals durch digitale Lösungen große Mehrwerte erzielen. Im vorliegenden Beitrag wurden die oben angeführten Themenstellungen ausgeführt und betrachtet. Damit soll die gesamte Bandbreite der digitalen Bauwerksprüfung aufgezeigt werden um vorliegende Problemstellungen und Schwierigkeiten zu identifizieren. Vor allem der weite Bogen zwischen einer einfachen, raschen und intuitiven Handhabung einer Softwarelösung zur Bauwerksprüfung unter Baustellenbedingungen sowie der Nutzung dieser Daten im Büro stellt hier einen zentralen Punkt dar. Ohne Berücksichtigung derartiger Anforderungen und Einbindung des Prüfpersonals und Bauwerkserhalter wird es nur bedingt gelingen, einen nachhaltigen und kosteneffizienten Beitrag zu Bauwerksprüfung, der Sicherheit und Zuverlässigkeit der Infrastruktur und in weiterer Folge auch dem Erhaltungsaufwand erbringen zu können. Literatur [1] RVS 13.03.11, 2021. Überwachung, Kontrolle und Prüfung von Kunstbauten - Straßenbrücken. Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen. Österreichische Forschungsgesellschaft Straße - Schiene - Verkehr (FSV). Wien. [2] DIN 1076, 1999. Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung, Deutsches Institut für Normung (DIN), Berlin. [3] RI-EBW-PRÜF, 2017. Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. [4] Grubinger, S, Rebhan, M, Kalenjuk, S, Gruber, L, Kogelnig, A & Walcher, W 2023, Digitalisierungspotential der Prüfung geotechnischer Bauwerke mittels digitaler Zwillinge, standardisierten Prüfvorschriften und on-site-Erfassungslösungen. in R Marte & F Tschuchnigg (Hrsg.), Beiträge zum 37. Christian Veder Kolloquium: Zustandserhebung, Bewertung und Sanierung von gealterten bzw. schadhaften geotechnischen Konstruktionen. Bd. 16, 12, Technische Universität Graz, S. 179 - 198, 37. Christian Veder Kolloquium, Graz, Österreich, 13/ 04/ 23. [5] Tanaka, Fumiki u. a. (2018). „Bridge Information Modeling based on IFC for supporting maintenance management of existing bridges.“ In: 17th International Conference on Computing in Civil and Building Engineering. [6] Lackner ZT GmbH 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 159 Datenbasierte Zustandsprognose von Brückenobjekten als Grundlage für die Lebenszyklusbewertung im strategischen Erhaltungsmanagement Dipl.-Ing. Dr. techn. Alfred Weninger-Vycudil FH Campus Wien, Department Bauen und Gestalten, Wien, Österreich FH-Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Markus Vill FH Campus Wien, Department Bauen und Gestalten, Wien, Österreich Dipl.-Ing. Dr. techn. Thomas Sommerauer FH Campus Wien, Department Bauen und Gestalten, Wien, Österreich Jakob Quirgst, B. Sc. FH Campus Wien, Department Bauen und Gestalten, Wien, Österreich Zusammenfassung Die Prognose des Objektbzw. Bauwerkzustands ist eine wesentliche Grundlage für eine effiziente und nachvollziehbare Lebenszyklusbewertung von Brücken im Bundes- und Landesstraßennetz in Österreich. Diese liefert die notwendigen Ergebnisse für die Festlegung von strategischen Erhaltungszielen auf Netzebene und somit die Basis für technische und budgetäre Entscheidungen. Der Beitrag gibt einen Überblick über die Möglichkeiten des Einsatzes von datenbasierten Zustandsprognosemodellen auf unterschiedlichen Bewertungs- und Entscheidungsebenen sowie deren Einsatz bei den verschiedenen Verfahren der Lebenszyklusbewertung. 1. Einleitung 1.1 Entwicklung und Zielsetzung In Österreich wurde vor ca. 20 Jahren begonnen, die Erhaltungsmanagementsysteme der Länder um die Lebenszyklusbewertungen der Ingenieurbauwerke zu erweitern. Ein Kernelement dieser Bewertungen stellen die Zustandsbewertung und die Zustandsprognose der Brücken dar. Dabei spielen die aus den Bauwerksinspektionen gewonnen Daten, einerseits bei der Entwicklung dieser Modelle, andererseits bei der praktischen Anwendung bzw. objektbezogenen Kalibrierung eine wesentliche Rolle. Das primäre Ziel der Zustandsprognose im Rahmen einer Lebenszyklusbewertung besteht in der Abschätzung des (optimalen) Zeitpunkts von zukünftigen Erhaltungsmaßnahmen und den damit verbundenen technischen, monetären sowie umweltrelevanten Auswirkungen. Die Art der Prognose hängt dabei einerseits von der Verfügbarkeit und der Granularität der Brückendaten ab, andererseits aber auch wesentlich von der jeweiligen Bewertungsbzw. Entscheidungsebene (strategische Netzebene, Objektebene, Bauteilebene). 1.2 Strategisches Erhaltungsmanagement Nachvollziehbare und objektive Ergebnisse von Lebenszyklusbewertungen sind eine wesentliche Voraussetzung für ein zukunftsorientiertes strategisches Erhaltungsmanagement. Die zumeist knapp bemessenen Erhaltungsbudgets erfordern eine genaue und vorausschauende Planung und liefern die Grundlagen für die Prioritätenreihungen in den Bauprogrammen. Je genauer, zielgerichteter und je besser die Einwirkungen auf die Bauwerke und deren Zustand prognostiziert werden können, desto effizienter können die Finanzmittel für die Erhaltung eingesetzt werden. Durch den Einsatz von Zustandsprognosemodellen ist es aber auch möglich, die Notwendigkeit von zukünftigen Budgetmitteln, die Konsequenzen einer permanenten Unterdotierung und die Auswirkungen von neuen und innovativen Technologien darzustellen. Aber auch die zunehmenden Forderungen von Kontrollbehörden zur Festlegung von strategischen Erhaltungszielen für Ingenieurbauwerke unterstreichen die Notwendigkeit für die Entwicklung von Prognoseverfahren und deren praktische Implementierung in Asset Management Systemen. 2. Möglichkeiten der Zustandsprognose 2.1 Allgemeines Ist der Zustand einer Brücke zu einem bestimmten Zeitpunkt bekannt und ist darüber hinaus eine Abschätzung der zukünftigen Einwirkungen (z. B. aus Verkehrslast) möglich, kann bereits eine vereinfachte Prognose des Zustands oder zumindest möglicher Zeitpunkte für Erhaltungsmaßnahmen abgeschätzt werden. Die Modelle sollten zumindest in der Lage sein, die Art der Ver- 160 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Datenbasierte Zustandsprognose von Brückenobjekten als Grundlage für die Lebenszyklusbewertung im strategischen Erhaltungsmanagement Abb. 1: Beispiel Standardlebenszyklen Brücken nach TAniA (2021) [1] schlechterung und/ oder des Versagens vorherzusagen sowie den Zeitpunkt des nächsten (wahrscheinlichsten) Eingriffs im Rahmen einer Instandhaltungsmaßnahme abzuleiten. Der Modellansatz kann komplex oder einfach sein, abhängig von der notwendigen Aussagegenauigkeit, den Zielsetzungen und den zur Verfügung stehenden Daten. Zwei grundsätzliche Ansätze zur Zustandsprognose können dabei in Betracht gezogen werden: • Technische Nutzungsdauer: Beschreibt die Lebenserwartung vom Bau bis zum nächsten baulichen Erneuerungseingriff basierend auf bewährten Branchenpraktiken und lokalen Kenntnissen. Dies kann je nach Belastungs-, Verkehrs- oder Umgebungsbedingungen variieren. In diesem Zusammenhang wird auch häufig von Standardlebenszyklen gesprochen. • Zustandsprognosemodelle: Verhaltensfunktionen eines Objekts oder einer Anlage können aus einer Vielzahl von Quellen bestimmt werden, einschließlich historischer Daten, lokaler Kenntnisse und/ oder durch Anwendung bekannter Modelle, die für das jeweilige Objekt bzw. die Anlage geeignet sind. Sie erfordern in der Regel eine umfangreiche Datenmenge und eine potenzielle Kalibrierung, was eine komplexe und zeitaufwändige Tätigkeit sein kann. Verhaltensfunktionen werden in der Regel über statistische Verfahren ermittelt und können sich sowohl auf technische Kenngrößen als auch auf Indizes (Noten) beziehen. Abb. 2: Beispiel Zustandsprognosemodel Bauteil Randbalken (Kappe) nach Weninger-Vycudil (2018) [2] 2.2 Arten von Zustandsprognosemodellen Die zeitliche Änderung des Zustands eines Brückenobjekts, eines Brückenbauteils oder eines Brückenunterbauteils (gem. Definition RVS 13.04.11 [3]) kann als physikalisches Phänomen interpretiert werden, wobei auch chemische und thermische Einflüsse vorhanden sind und daher die Entwicklung beeinflussen. Zustandsprognosemodelle können in Abhängigkeit von den verwendeten Modellgrundlagen in zwei unterschiedliche Kategorien gruppiert werden (Weninger-Vycudil et al., 2009 [2]): • Mechanistische (analytische) Modelle basieren auf der theoretischen Ermittlung der Primärwirkungen unter äußeren Einwirkungen (Lasten, Temperatur, Karbonatisierung, etc.) und deren Anwendung auf Verhaltensbzw. Stoffgesetze. • Empirische Modelle hingegen basieren auf der Beobachtung des tatsächlichen Verhaltens des Brückenobjekts oder eines Bauteils und versuchen einen 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 161 Datenbasierte Zustandsprognose von Brückenobjekten als Grundlage für die Lebenszyklusbewertung im strategischen Erhaltungsmanagement kausalen Zusammenhang zwischen verschiedenen Einflussgrößen und der zeitlichen Veränderung des Zustands zu finden. Aufgrund der Komplexität und der Vielzahl von notwendigen Eingangsgrößen erfolgt die direkte Anwendung von mechanistischen/ analytischen Zustandsprognosemodelle in der Regel bei der Analyse spezieller Eigenschaften (z. B. Karbonatisierung) einzelner Bauteile oder Unterbauteile und bleibt somit auf Einzelbauwerke beschränkt. Dies bedeutet, dass für die Anwendung im strategischen Erhaltungsmanagement in erster Linie empirische Modelle in Frage kommen. Empirische Modelle benötigen einerseits für die Modellentwicklung und andererseits für die objektbezogene Kalibrierung Daten aus umfangreichen Zustandserfassungen oder aus Beobachtungen im Labor. Aufgrund der Tatsache, dass seit mehreren Jahrzehnten diese Daten systematisch im Rahmen von wiederkehrenden Kontrollen und Inspektionen erhoben werden (siehe hierzu RVS 13.03.11 [4]) und für die meisten Brücken auch entsprechende Zeitreihen zur Verfügung stehen, sind empirische Modelle für den Einsatz im strategischen Erhaltungsmanagement besonders geeignet. 2.3 Anwendungsebenen Nicht jede Art der Zustandsprognose kann auf jeder Entscheidungsebene angewendet werden, wobei auch die notwendige Aussagegenauigkeit eine wesentliche Rolle spielt. Bei einer generellen Betrachtung auf Netzebene (z. B. als Grundlage für die Ableitung von strategischen Erhaltungszielen) sind die Verteilungen der Zustände oder sogar der aus einer technischen Nutzungsdauer der Brücken abgeleitete Erhaltungsbedarf ausreichend. Ist hingegen eine Objektgenauigkeit eine wesentliche Randbedingung für die Festlegung von strategischen Erhaltungszielen, die dann ebenfalls die Grundlage für die Erstellung einer Prioritätenreihung sowie eines Bauprogramms liefert, muss die Zustandsprognose für jedes im Netz vorhandene Objekt individuell durchgeführt werden. Ob für das jeweilige Objekt eine „generelle“ Verhaltensfunktion zur Anwendung gelangt, oder eine Prognose auf Bauteilebene technisch erforderlich ist, hängt einerseits von der Verfügbarkeit der Daten, andererseits von den Anforderungen an die Aussagegenauigkeit, ab. Bei einer bauteilbezogenen Prognose sind bereits die Abhängigkeiten der einzelnen Bauteile untereinander speziell bei der Maßnahmenplanung zu berücksichtigen (z. B. Randbalken mit Abdichtung, Ausrüstung und Belag). Die nachfolgende Tabelle 1 gibt einen Überblick über die verschiedenen Anwendungsebenen und die Art der Modellierung wie sie heute am häufigsten zur Anwendung gelangt. Vor allem für das strategische Erhaltungsmanagement sind die ersten drei Ebenen von Relevanz. Tab. 1: Anwendungsebenen und Art der Modellierung Anwendungsebene Art der Modellierung Technische Nutzungsdauer (Standardlebenszyklen) Empirische Zustandsprognose Analytische Zustandsprognose Netzebene ohne Objektgenauigkeit X Netzebene mit Objektgenauigkeit X X Objektebene mit Bauteilgenauigkeit X X Objektebene mit Unterbauteilgenauigkeit X Ob Zustandsprognosen an einem Einzelobjekt oder an einem Brückencluster (= Population von Brücken, die von der Bauweise sehr ähnlich sind und ein annährend identisches Verhalten aufweisen) vorgenommen werden können, hängt häufig von der Verfügbarkeit der Daten aber auch von der strategischen Fragestellung ab. Grundsätzlich können Modelle, die eigentlich für die Objektgenauigkeit geeignet sind auch auf Cluster angewendet werden, wenn die hierfür notwendigen repräsentativen Werte (z. B. Mittelwert, oder Verteilung bei probabilistischen Modellen) als Eingangsgrößen für den jeweiligen Cluster herangezogen werden. 3. Mathematische Modellierung 3.1 Grundlagen der Modellierung Aufgrund der zuvor beschriebenen physikalischen Natur einer Zustandsveränderung ist es möglich, mittels funktionaler Zusammenhänge diese Änderung des Zustands auch mathematisch zu modellieren und diese Prozesse mit repräsentativen Kennwerten (z. B. Zustandswerte) zu beschreiben. Die maßgebende Voraussetzung für eine mathematische Modellierung von Zustandsprognosemodellen ist das Vorhandensein von Daten, die entweder direkt durch Beobachtungen vor Ort oder durch Beobachtungen unter Laborbedingungen erhoben werden. Die so empirisch erhobenen Daten können entweder direkt für die Entwicklung des Modells herangezogen werden oder dienen zur Kalibrierung bzw. Erweiterung vorhandener physikalischer Zusammenhänge (z. B. auch im Rahmen einer analytischen Modellierung). In Abhängigkeit von der mathematischen Formulierung bzw. von der Art der Prognosefunktion können Zustandsprognosemodelle wie folgt unterschieden werden (Weninger-Vycudil et al., 2009 [5]): • Deterministische Modelle: Diese versuchen die exakte Zustandsgröße bzw. den exakten Zustandswert (abhängige Variable) in Abhängigkeit von gewissen Ein- 162 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Datenbasierte Zustandsprognose von Brückenobjekten als Grundlage für die Lebenszyklusbewertung im strategischen Erhaltungsmanagement flussgrößen (unabhängige bzw. erklärende Variablen) zu jedem zukünftigen Zeitpunkt vorauszusagen. Der funktionelle Zusammenhang zwischen den abhängigen und unabhängigen Variablen wird dabei als „Verhaltensfunktion“ bezeichnet. • Probabilistische Modelle: Diese sagen die Wahrscheinlichkeitsverteilung des zukünftigen Zustands voraus und nehmen somit auf Unsicherheiten und die Unschärfe von Daten Rücksicht. Das Ergebnis ist die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Zustands zu jedem zukünftigen Prognosezeitpunkt. 3.2 Deterministische Verhaltensfunktion Die mathematische Formulierung von deterministischen Zustandsprognosemodellen erfolgt, wie bereits erwähnt, über einen funktionalen Zusammenhang zwischen einer oder mehreren zeitabhängigen erklärenden (unabhängigen) Variablen (Einflussparameter), evtl. zeitunabhängigen (konstanten) unabhängigen Variablen (Einflussparametern) und der abhängigen Variablen in Form eines Technischen Zustandsparameters (Zustandsgröße) oder eines normierten (dimensionslosen) Zustandsindizes (Zustandswert). In den meisten Fällen werden statistische Verfahren für die Modellentwicklung herangezogen, die entweder direkt aus den zur Verfügung stehenden Daten ein Modell ableiten (z. B. Regressionsanalysen) oder mit den Daten ein bestehendes (z. B. analytisches) Modell erweitern und verbessern. Das Ergebnis ist in beiden Fällen eine Verhaltensfunktion, die wiederum in unterschiedlichen mathematischen Darstellungen zur Verfügung stehen. Die nachfolgende mathematische Darstellung definiert die grundlegende Definition einer Verhaltensfunktion für ein Zustandsmerkmal Z i zum Zeitpunkt t: In bestimmten Fällen wird auch der Zustand des Zustandsmerkmals Z i zum Zeitpunkt t über eine inkrementelle (z.-B. jährliche) Veränderung der Eigenschaft Z i definiert, sodass folgende mathematische Formulierung gewählt werden kann: Verschiedene zeit- und zeitunabhängige Einflussparameter beschreiben über eine mathematische Funktion den Zustand zu jedem beliebigen Zeitpunkt t. Vor allem Verkehrsbelastungen sind dabei die maßgebenden zeitabhängigen Größen, aber auch das Alter des Bauwerks oder einzelner Bauteile. Das nachfolgende Beispiel zeigt eine solche inkrementelle lineare deterministische Funktion für die Modellierung des Zustands für den Überbau von Brücken auf bestimmten Landesstraßen in Österreich nach Weninger-Vycudil (2018) [2]: Ein wesentlicher Nachteil dieser Art der mathematischen Modellierung liegt in einer eingeschränkten Aussage über die Eintrittswahrscheinlichkeit und die damit verbundene Streuung, sodass zur Beantwortung dieser Fragestellungen auf probabilistische Modelle zurückgegriffen werden muss. 3.3 Probabilistische Zustandsprognose Probabilistische Modelle sind zielführender, wenn es darum geht auch die Unsicherheiten und Streuung der Eingangsparameter aber auch der Modelle selbst darzustellen. Sie ermöglichen eine differenziertere Betrachtung von Zustandsentwicklungen und erlauben auch die Entscheidungen mit Wahrscheinlichkeiten zu verknüpfen, was vor allem bei risikobasierten Betrachtungen von Vorteil ist. Das Ziel dieser Methoden ist ebenfalls die Beschreibung des Zustandsverhaltens von Objekten in Abhängigkeit von Einflussfaktoren, jedoch mit Hilfe der Probabilistik. Bei den probabilistischen Modellen ist, neben vereinzelten Anwendungen der Survival-Analyse und dem Bayes’schen Theorem, die Anwendung von Markov-Ketten ein häufig verwendeter Ansatz. Dabei ist die über einen n-dimensionalen Vektor definierte Verteilung des Ausgangszustands die maßgebende Eingangsgröße, die über die Zeit verändert bzw. modelliert werden muss. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 163 Datenbasierte Zustandsprognose von Brückenobjekten als Grundlage für die Lebenszyklusbewertung im strategischen Erhaltungsmanagement Der Eingangsvektor X i,t=0 für die Zustandsprognose des Objekts i (Bauteils i) wird dabei über die Anteile x in den Zustandsnoten (diskrete Verteilung für das Objekt oder Bauteil i am Objekt) wie folgt definiert: Durch Multiplikation der Übergangsmatrix PM i des Objekts i (Bauteils i) mit dem Eingangsvektor ergibt sich für ein 1. Zeitintervall (z. B. 1 Jahr) eine Änderung der diskreten Verteilung, die wiederum durch einen Vektor X i,t+1 beschrieben wird. Für das 2. Zeitintervall kann nun dieser neue Vektor als Eingangsvektor verwendet werden, sodass sich für das nächste Intervall wiederum ein neuer Eingangsvektor errechnen lässt. Für den Zeitpunkt n kann die Übergangsmatrix PM mit n potenziert werden, sodass sich die Verteilung des Zustands des Objekts i (Bauteils i) zum Zeitpunkt n wie folgt ergibt: Die für die Analyse verwendeten Übergangswahrscheinlichkeiten werden dabei durch die nachfolgend dargestellten Matrizen ausgedrückt, welche auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden Daten entwickelt werden können. Die grundlegende mathematische Formulierung schließt eine Verbesserung ohne die Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen aus, sodass folgende generelle Matrix bei 5 Zustandsnoten zur Anwendung gelangt: Aus den Anteilen der Vektorterme x i der Verteilung des Bauteilzustands kann als repräsentative Größe z. B. der Mittelwert errechnet bzw. in eine entsprechende Note umgewandelt werden. Es können aber auch andere statistische Kennzahlen dieser Verteilung für den weiterführenden Prozess Berücksichtigung finden (Perzentilen, Mittelwert plus Standardabweichung etc.). Abbildung 3 zeigt ein Beispiel einer homogenen Markov- Kette für die Modellierung der Zustandsentwicklung für das Bauteil „Überbau“ unter Heranziehung einer Notenverteilung in 5 Kategorien bzw. Klassen. Abb. 3: Beispiel Übergangswahrscheinlichkeiten Bauteil Überbau nach TAniA (2021) [1] bzw. Weninger-Vycudil, et al. (2019) [6] 3.4 KI-Einsatz bei der Modellentwicklung Die Modellentwicklung für die Zustandsprognose von Brückenobjekten bringt mehrere Herausforderungen mit sich, die sich aus der Komplexität der Modelle und dem großen Umfang der vorhandenen Daten, die im Zustandsprognosemodell eingebettet werden sollen, ergeben. Zum einen liegt eine große Menge an Daten wegen der großen Anzahl an verschiedenen Brücken vor. Zum anderen sind für jede Brücke wiederum eine große Anzahl an Brückenprüf berichten und weiteren für die Modellerstellung relevanten Informationen (durchgeführte Maßnahmen, Instandhaltungsintervalle und deren Auswirkungen auf die Lebensdauer) vorhanden. Diese Daten liegen oft nur unstrukturiert, verstreut und nicht digitalisiert vor. Darüber hinaus sind die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Einflussfaktoren wie Verkehrsbelastung, Witterungseinflüsse und Konstruktionsmethoden äußerst komplex und oft nur schwer erkennbar. Zur Lösung der oben genannten Probleme bietet sich bei der Erstellung von datenbasierten Zustandsprognosemodellen der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) an. Dabei wird die KI einerseits bei der Gewinnung, Aufbereitung und Strukturierung von Daten eingesetzt, andererseits auch bei der Erstellung des Zustandsprognosemodells selbst. Methoden wie Text/ Data-Mining ermöglichen es, aus den vorhandenen oft noch händisch verfassten - Brückenprüf berichten Daten zu gewinnen. Somit kann die Fragmentierung und Inhomogenität der Daten beseitigt werden. In einem weiteren Schritt wird durch Machine Learning eine KI trainiert, die historische Instandhaltungsstrategien und deren Auswirkungen analysiert. Die KI identifiziert im Zusammenhang mit der Instandhaltung versteckte Muster, die von menschlichen Analysten nicht entdecken werden und somit in der Modellbildung unberücksichtigt bleiben. Durch die Integration umfangreicher Datenmengen kann man genauere Abschätzungen treffen, die Zuverlässigkeit erhöhen und nachhaltigere Instandhaltungsstrategien entwickeln. Dies trägt nicht nur zur Verlängerung der Lebensdauer der Brücken bei, sondern unterstützt auch ein nachhaltiges Management der verfügbaren ökonomischen, ökologischen und sozialen Ressourcen. 164 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Datenbasierte Zustandsprognose von Brückenobjekten als Grundlage für die Lebenszyklusbewertung im strategischen Erhaltungsmanagement 4. Anwendungsfall Lebenszyklusbewertungen 4.1 Allgemeines Zustandsprognosemodelle sind ein Kernbaustein von Lebenszyklusbewertungen, welche zur Beurteilung und Bewertung der technischen Nutzungsdauern von Ingenieurbauwerken herangezogen werden. Dazu werden sämtliche Aktivitäten (vom Neubau bis zum Abbruch bzw. der Außerdienststellung) abgebildet und über entsprechende Indikatoren bewertet. Vor allem die Ermittlung des zukünftigen Erhaltungsbedarfs unter bestimmten strategischen Randbedingungen (z. B. Erhaltungsbudget) steht dabei im Vordergrund. Für das strategische Erhaltungsmanagement kommen unter dem Begriff „Nachhaltigkeitsanalysen“ folgende Analysen zur Anwendung: • Lebenszykluskostenanalysen zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit • Öko-Bilanzierung zur Beurteilung der Auswirkungen auf Klimakenngrößen (z. B. Global Warming Potential GWP) • Risikobewertungen und Lebenszyklusrisikoanalysen zur qualitativen oder monetären Abschätzung des Erhaltungsrisikos während des gesamten Lebenszyklus sowie Resilienzanalysen als Bewertung der baulichen Eigenschaften von Verkehrsinfrastrukturanlagen bei unterschiedlichen Gefahren 4.2 Wirtschaftlichkeitsuntersuchung (Lebenszykluskostenanalyse) Die Lebenszykluskostenanalyse hat sich im Bauwesen als anerkannte Methode in der Wirtschaftlichkeits- und Investitionsrechnung etabliert. So ist dieses dynamische Berechnungsverfahren auch Grundlage der RVS 13.05.11 „Lebenszykluskostenermittlung für Brücken“ [7]. Das Verfahren setzt voraus, dass die Zeitpunkte für Instandhaltungsmaßnahmen innerhalb des zu betrachteten Lebenszyklus über entsprechende Zustandsprognosen geschätzt bzw. definiert werden. Diese Zeitpunkte bestimmen maßgebend den Wert der maßgebenden Wirtschaftlichkeitsindikatoren • Barwert der gesamten Lebenszykluskosten (= Kapitalwert) und • Annuität. Im Gegensatz zu statischen Verfahren berücksichtigt die Kapitalwertmethode, die der Lebenszykluskostenanalyse zugrunde liegt, den Anfall-Zeitpunkt von Aufwänden respektive Erträgen in der Zukunft. Damit wird im Sinne der Kostenwahrheit der tagesaktuelle Wert künftiger Mittelflüsse zu einem beliebig gewählten Betrachtungszeitpunkt t 0 errechnet. Dieser Barwert (auch Anfangswert) künftiger Zahlungsströme wird durch „Abzinsung“ mit dem Diskontierungszinssatz z D ermittelt. Der Zinssatz setzt sich aus einem risikoarmen Basiszinssatz (beispielsweise jenem der EZB) und branchenspezifischen Risikokomponenten zusammen. Die RVS empfiehlt hier mit Bezug auf den § 1000 ABGB (Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch in Österreich) einen Wert von 4 % und wird als jährliche Konstante angesetzt. Konkret gibt die RVS 13.05.11 [7] folgenden Algorithmus zur Berechnung des Barwerts vor: Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Lebenszykluskostenanalyse ein geeignetes Werkzeug nicht nur zur Bestimmung von Lebenszykluskosten, sondern auch zu deren Optimierung darstellt. So kann in enger Abstimmung mit der Einschätzung der technischen Parameter der wirtschaftlich und technische optimale Investitionszeitpunkt für Interventionen an Bauwerken ermittelt und festgelegt werden, eine wesentliche Grundlage für das strategische Erhaltungsmanagement. 4.3 ÖKO-Bilanzierung Eine Umwelt- oder Ökobilanz ist eine systematische Lebenszyklusanalyse der Umweltwirkungen und der Energiebilanz von Produkten während des gesamten Lebensweges. Zur Öko- oder Umweltbilanz gehören sämtliche Umweltwirkungen während der Durchführung des Baus bzw. der Errichtung, der Instandhaltung (Erhaltungsmaßnahmen), der Nutzungsphase und am Ende der technischen Nutzungsdauer (Recycling, Entsorgung bzw. Abbruch) sowie die damit verbundenen vor- und nachgeschalteten Prozesse (z. B. Herstellung der Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe). Zu den Umweltwirkungen werden sämtliche umweltrelevanten Entnahmen aus der Umwelt sowie die Emissionen in die gezählt. Die Grundlagen für die Erstellung einer Umwelt- oder Ökobilanz sind in der ISO-Richtline ÖNORM EN ISO 14044 [8] verankert. Diese internationale Norm legt Anforderungen an eine Öko-Bilanz fest und liefert Anleitungen für deren Erstellung. Die Ergebnisse der Bilanz sind gemäß diesen Vorgaben messbar über das Treib-hauspotential (GWP) und Energieverbrauch (KEA). Der einzelnen Phasen oder Module für die Bewertung von Ingenieurbauwerken können der ÖNORM EN 15643- 5: 2021 entnommen werden und definieren die heutigen Systemgrenzen einer Umwelt- und Öko-Bilanz. Für die Festlegungen der Maßnahmen innerhalb der „Nutzungsphase“ (Phase B) werden wiederum Prognosemodelle benötigt, die den Maßnahmenzeitpunkt definieren und die 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 165 Datenbasierte Zustandsprognose von Brückenobjekten als Grundlage für die Lebenszyklusbewertung im strategischen Erhaltungsmanagement mit jenen einer Wirtschaftlichkeitsuntersuchung korrespondieren. Im Vergleich zur monetären Bewertung der Lebenszykluskostenanalyse ergeben sich die Werte für das Treibauspotential und den Energieverbrauch. Die Summe aller Werte über die technische Nutzungsdauer und auf diese bezogen liefert die ÖKO-Annuität, die als maßgebender Vergleichswert und als strategisches Erhaltungsziel definiert werden kann. 4.4 Risikoanalysen und Bewertung der Resilienz Eine deutliche Erweiterung der Zielsetzungen im Rahmen der Umweltbewertung kann durch eine risikobasierte Beurteilung der Resilienz von Ingenieurbauwerken vorgenommen werden. Dabei geht es vor allem um die Bewertung der Widerstandsfähigkeit der Bauwerke oder einzelner Bauteile vor dem Hintergrund von Natur- und Umweltgefahren. Die Resilienz von Bauwerken basiert auf folgenden zu bewertenden Eigenschaften bzw. Kernelementen der baulichen Widerstandsfähigkeit, die eine wesentliche Zustands- und Belastungsabhängigkeit aufweisen: • Robustheit • Redundanz • Wiederherstellungsfähigkeit Für die Berechnungen und Bewertungen sind dabei die Wahrscheinlichkeiten des Eintretens von bestimmten Natur- und Umweltgefahren mit der baulichen Widerstandsfähigkeit und somit dem sich veränderten Zustand der Brücken gegenüberzustellen. Aufgrund der Tatsache, dass in Österreich die Anzahl von Naturkatastrophen (ausgelöst durch klimatische Veränderungen) deutlich zugenommen hat und auch in Zukunft zunehmen wird, kommt dieser zusätzlichen Bewertung eine hohe Bedeutung zu. Bestimmte Infrastrukturbetreiber versuchen bereits die Prioritäten der Erhaltungsmaßnahmen mit der Resilienz zu verknüpfen, sodass vor allem die Verfügbarkeit der Infrastruktur im Katastrophenfall deutlich verbessert wird. Auch die Aufnahme des Erhaltungsrisikos mit der Resilienz als weitere Dimension der Nachhaltigkeit in die strategischen Erhaltungsziele wird daher bereits diskutiert. 4.5 Ergebnisse von Lebenszyklusbewertungen Die unterschiedlichen Anwendungsbereiche von Zustandsprognosemodellen liefern für die zuvor beschriebenen Fragestellung auch unterschiedliche Ergebnisse. Als Grundlage für die Erstellung von Bauprogrammen und Prioritätenreihungen stehen bei einer objektbezogenen Anwendung der Verfahren zum Beispiel folgende Ergebnisse zur Verfügung: • Erhaltungsmaßnahmenstrategien (= Abfolge von Einzelmaßnahmen innerhalb des Lebenszyklus bzw. der technischen Nutzungsdauer) am Objekt in Abhängigkeit von budgetären und/ oder technischen Randbedingungen mit Kosteninformationen • Entwicklung des Objektzustandes (Gesamtobjekt und/ oder Bauteil in Abhängigkeit von der gewählten Erhaltungsmaßnahmenstrategie • Entwicklung des Treibhauspotentials (GWP) und Energieverbrauch (KEA) in Abhängigkeit von der gewählten Erhaltungsmaßnahmenstrategie • Entwicklung des Erhaltungsrisikos und der Resilienz am Objekt in Abhängigkeit von der gewählten Erhaltungsmaßnahmenstrategie Speziell für das strategische Erhaltungsmanagement sind die Ergebnisse auf Netzebene von wesentlicher Bedeutung. Durch den „Blick in die Zukunft“ als Ergebnis der Anwendung von Prognosemodellen lassen sich folgende Ergebnisse für unterschiedliche Szenarien und Strategien über die gewählten Betrachtungsbzw. Analyseperioden ableiten: • Zustandsverteilungen entweder von Gesamtzuständen oder Bauteilzuständen (Beispiel siehe Abb. 4) Abb. 4: Beispiel Zustandsverteilung und -entwicklung Bauteil Randbalken (Kappe) für eine gesamte Brückenpopulation und ein anonymisiertes Szenario nach Weninger-Vycudil (2018) [2] • Kostenverteilungen als Grundlage für die Abschätzung des Erhaltungsbedarfs • Umfang und Intensität der Instandhaltungsmaßnahmen sowie damit verbundene ökologische Wirkungen von Bauprogrammen und Prioritätenreihungen (ausgedrückt über das Treibhauspotentials (GWP) und Energieverbrauch (KEA)) • Entwicklung Erhaltungsrückstand in Abhängigkeit von der Brückenfläche • Entwicklung des Anlagevermögens • Entwicklung der Verteilung des Erhaltungsrisikos und der Resilienz im Netz in Abhängigkeit von unterschiedlichen Gefahren 166 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Datenbasierte Zustandsprognose von Brückenobjekten als Grundlage für die Lebenszyklusbewertung im strategischen Erhaltungsmanagement Abb. 5: Beispiel Resilienzentwicklung eines Bauprogramms auf unterschiedliche Gefahren auf einem anonymisierten Teilnetz (Eichinger-Vill E.M., et al (2022) [10]) 5. Schlussfolgerung Die datenbasierte Zustandsprognose von Brückenobjekten liefert eine wesentliche Grundlage für die Lebenszyklusbewertung im strategischen Erhaltungsmanagement. Gerade die Abschätzung des (optimalen) Zeitpunkts von zukünftigen Erhaltungsmaßnahmen und den damit verbundenen technischen, monetären sowie umweltrelevanten Auswirkungen steht dabei im Vordergrund. Zustandsprognosemodelle für Brücken sind keine neue Entwicklung und auch die Mathematik für deren Entwicklung bzw. Verbesserung steht zur Verfügung. Auf welchen Entscheidungsebenen und in welcher Form solche Modelle angewendet werden können, ist umfassend untersucht und neben der aktuellen Literatur liefern auch die Experten auf diesem Gebiet entsprechende Empfehlungen. Die praktische Anwendung bzw. Implementierung der Modelle ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Neue Anwendungsbereiche wie z. B. die Umwelt- und Öko-Bilanzierung sowie Abschätzung der Auswirkungen des Klimawandels - Stichwort Resilienz - erfordern die umfassende Verwendung von Zustandsprognosemodellen für Brücken. Diese Bereiche erfordern eine zunehmende Aufmerksamkeit im strategischen Erhaltungsmanagement, da sie neben den wirtschaftlichen Aspekten die weiteren Dimensionen der Nachhaltigkeit darstellen. Speziell die Forderungen der österr. Landesrechnungshöfe zur Festlegung von strategischen Erhaltungszielen für Ingenieurbauwerke sind wesentliche Anforderungen für die umfassende Implementierung von Zustandsprognosemodelle in neue und bestehende Erhaltungsmanagementsysteme (Asset Management Systeme). Nur durch die genaue Abschätzung der Wirkungen von Bau- und Erhaltungsprogrammen im Bereich Ökonomie, Ökologie, Risiko, Resilienz und erweiterter sozio-ökonomischer Aspekte können realistische strategische Erhaltungsziele präzisiert und folglich auch umgesetzt werden. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 167 Datenbasierte Zustandsprognose von Brückenobjekten als Grundlage für die Lebenszyklusbewertung im strategischen Erhaltungsmanagement Literatur [1] TAniA (2021): Weninger-Vycudil A., Brozek B., Kessel T., Pasderski J., Sietas J., Chylik B., Schranz C., Prammer D., Vorwagner A., Curchellas P., and Bühlmann R.. TAniA - Technische Anlagenbewertung im Asset-Management, D-A-CH Verkehrsinfrastrukturforschung 2018, Endbericht, Wien, FFG. [2] Weninger-Vycudil A. (2018). Lebenszyklusanalyse Brücken. PMS-Consult GmbH, Bericht zum Pilotprojekt im Auftrag des Amtes der Tiroler Landesregierung (unveröffentlicht), Wien. [3] RVS 13.04.11: Bauwerksdatenbank - Brückenbauwerke. Österreichische Forschungsgesellschaft Straße - Schiene - Verkehr, Wien, 2016 [4] RVS 13.03.11: Straßenbrücken - Überwachung, Kontrolle und Prüfung von Kunstbauten. Österreichische Forschungsgesellschaft Straße - Schiene - Verkehr, Wien, 2021 [5] Weninger-Vycudil, A., Brozek, B., Simanek, P., Rohringer, T. u. Haberl, J. (2009) Handbuch Pavement Management in Österreich 2009. Straßenfor schung, Heft 499, Wien [6] Weninger-Vycudil A., Leszczynska A. und Moser T. (2019). Lebenszyklusanalyse Brücken 2019, Konfigurationsdokument Aktualisierung Lebenszyklusanalyse IMT Brücken, Wien, 2020 (unveröffentlicht) [7] RVS 13.05.11: Lebenszykluskostenermittlung für Brücken. Österreichische Forschungsgesellschaft Straße - Schiene - Verkehr, Wien, 2016 [8] ÖNORM EN ISO 14044: Umweltmanagement - Ökobilanz - Anforderungen und Anleitungen. Austrian Standards, Wien, 2021. [9] ÖNORM EN 15643-5: 2021: Nachhaltigkeit von Bauwerken - Bewertung der Nachhaltigkeit von Gebäuden und Ingenieurbauwerken - Teil 5 Leitfaden zu den Grundsätzen und den Anforderungen an Ingenieurbauwerke. Austrian Standards, Wien, 2021. [10] Eichinger-Vill E.M., Veit-Egerer R., Vorwagener A., Weninger-Vycudil A., Litzka J., Reimoser T. und Gasser C. (2022). REMAIN - Resilient Motorway Infrastructure, Verkehrsinfrastrukturforschung 2020, Endbericht, Wien: FFG. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 169 Anwendung der quasi-kontinuierlichen faseroptischen Dehnungsmessung an bestehenden Spannbetonbrücken Harald Burger, M. Sc. Technische Universität München Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing. Oliver Fischer Technische Universität München Zusammenfassung Die quasi-kontinuierliche faseroptische Dehnungsmessung hat sich in den vergangenen Jahren zunehmend als Messverfahren an massiven Bauteilen etabliert. In der Forschung wird sie bereits standardmäßig in Laborversuchen eingesetzt und auch an Bauwerken gibt es mehrere Anwendungsfälle. Insbesondere bei Spannbetonbrücken ermöglicht dieses Messverfahren eine Beurteilung des Bauwerkszustandes auf Grundlage von Dehnungsänderungen, da durch den Nachweis der Dekompression Risse selten visuell sichtbar sind. Hinsichtlich der Anwendung kann dabei zwischen Kurzzeitmessungen zur Beurteilung der Bauwerksreaktion auf kurzzeitig geplante Einwirkungen und Langzeitmessungen zur Zustandsüberwachung unterschieden werden. Dieser Beitrag gibt einen Einblick in die Funktionsweise sowie den Anwendungsgrenzen der quasi-kontinuierlichen faseroptischen Dehnungsmessung. Darüber hinaus werden Ergebnisse aus zwei Praxisbeispielen vorgestellt, die demonstrieren, dass aussagekräftige Messdaten zur Beurteilung und Überwachung des Zustandes bestehender Spannbetonbrücken erfasst werden können. 1. Einleitung Die messtechnische Beurteilung bzw. Überwachung des Zustandes bestehender Brücken wird in den letzten Jahren zunehmend als Ergänzung zur konventionellen handnahen Prüfung, wie sie in der der DIN 1076 [1] gefordert ist, eingesetzt. Dies kann anhand neu entwickelter Merkblätter und umfangreicher Erfahrungssammlungen beobachtet werden. So hat beispielsweise der Deutsche Beton- und Bautechnik-Verein (DBV) im Jahr 2018 ein Merkblatt zur Planung, Ausschreibung und Umsetzung von Brückenmonitoring herausgegeben [2]. Die Deutsche Gesellschaft für zerstörungsfreie Prüfung (DGZf P) veröffentlichte 2022 das Merkblatt B09 zur Dauerüberwachung von Ingenieurbauwerken [3] mit Praxisbeispielen. 2024 wurde von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) eine Erfahrungssammlung Monitoring für Brückenbauwerke im Heft B197 herausgegeben [4]. In [3] und [4] werden auch Informationen und einzelne Praxisanwendungen von verteilten faseroptischen Sensoren (engl.: distributed fiber optical sensors, kurz: DFOS) an Brücken beschrieben. Sofern die Messungen mit einem Messsystem auf Basis der Rayleigh Rückstreuung durchgeführt werden, ist es dabei möglich, quasi-kontinuierlich Dehnungen entlang eines DFOS in einem räumlichen Abstand im Millimeterbereich zu erfassen. Die Sensorlänge kann dabei bis zu 100-m betragen, wobei die Applikation in Schleifen unter Berücksichtigung von zulässiger Biegeradien die messtechnische Erfassung großer Bereiche ermöglicht. Lokale Diskontinuitäten (z. B. einsetzende Rissbildung, Mikrorisse bis hin zu ausgeprägten Rissen, lokale Steifigkeitsunterschiede) entlang eines Sensors können im Messsignal als Abweichung von einem stetigen Dehnungsverlaufs erkannt werden. Da bei bestehenden Spannbetonbrücken in der Regel im Querschnitt keine bzw. nur geringe Zugspannungen auftreten, ist seltener mit ausgeprägter Rissbildung zu rechnen. Dennoch ist es möglich, die Spannungsverläufe auch bei temporärer Belastung nachzuvollziehen und somit eventuell durch die Vorspannung überdrückte Risse zu detektieren. Die Messtechnik kann daher an bestehenden Spannbetonbrücken als Instrument zur Optimierung einer Nachrechnung in Stufe 3 bzw. Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie (NaRil) [5], zur Bewertung des Bestands für Verstärkungsmaßnahmen [6], der Überwachung während des Rückbaus oder auch zur Dauerüberwachung von Schädigungsmechanismen [7] eingesetzt werden. Die zuverlässige Anwendung dieser Technologie erfordert eine genaue Bestimmung ihrer Anwendungsgrenzen. Um die Einflussfaktoren auf die Messergebnisse zu identifizieren und zu bewerten, wurden am Lehrstuhl für Massivbau der Technischen Universität München (TUM) Untersuchungen durchgeführt. Sowohl Laborversuche als auch praxisnahe Anwendungen an bestehenden Spannbetonbrücken bilden den Schwerpunkt dieser Studien. Erste Ergebnisse dieser Forschungsarbeiten werden im Folgenden vorgestellt. 2. Quasi-kontinuierliche faseroptische Dehnungsmessung Bei der faseroptischen Dehnungsmessung dient eine Glasfaser als Sensor. Zur Erfassung von Dehnungen kann die Glasfaser als Punktsensor (z. B. Fabry-Perot, SOFO), quasi-verteilte Sensor (Fibre Bragg Gratings, kurz FBG) oder quas kontinuierlich verteilter Sensor (DFOS) verwendet werden [8]. Abb. 1 zeigt eine Übersicht von faseroptischen Sensoren. 170 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Anwendung der quasi-kontinuierlichen faseroptischen Dehnungsmessung an bestehenden Spannbetonbrücken Abb. 1: Übersicht zu faseroptischen Sensoren, in Anlehnung an [9] DFOS nutzen das vom Sensormaterial zurückgestreute Licht zur Erfassung von Dehnungsänderungen [10]. Es gibt zwei gängige Verfahren: Die Nutzung des Brillouin- Anteils und die Nutzung des Rayleigh-Anteils. Brillouin-basierte Messsysteme sind ideal für Überwachungen über große Entfernungen, da Sensoren mit Längen von bis zu 80 km eingesetzt werden können. Diese Reichweite geht jedoch auf Kosten der räumlichen Auflösung, die bei solchen Längen im Meterbereich liegt. Für kürzere Sensoren unter 2 km kann eine räumliche Auflösung von bis zu 20 cm erreicht werden [11]. Brillouin-Messungen sind jedoch auf statische Belastungen beschränkt, da jede Datenerfassung mehrere Sekunden dauert. Messverfahren auf Basis der Rayleigh-Rückstreuung werden vorwiegend für Sensoren bis zu maximal 100 Meter eingesetzt. Dieses Messverfahren kann bei kurzen Sensoren kleiner als 2.5 - m mit einer Messrate von bis zu 250 - Hz Dehnungsänderungen aufzeichnen [12]. Dadurch eignet sich das System auch bei der Überwachung von Schadensmechanismen. Je nach Sensorlänge sind bei gewählter räumlicher Auflösung unterschiedliche Messraten möglich. In Deutschland stehen derzeit zwei Messsysteme zur Verfügung [13]. Das OBR von Luna Innovations Incorporate wurde ursprünglich zur Fehlersuche und -analyse an Glasfasernetzwerken konzipiert und erfordert auch entsprechende Expertise im Einsatz der Dehnungsmessung. Dieses Messgerät erlaubt Messungen bis zu einer räumlichen Auflösung von 20 - µm bei unterschiedlichen Sensorlängen bis zu 70 - m. Allerdings beansprucht die Datenerfassung mit dem OBR mehrere Sekunden, wodurch dann aber eine geringe Messunsicherheit von bis zu ±1.0 - µm/ m erzielt wird [14]. Im Gegensatz dazu dient die ODiSI Serie vom selben Hersteller rein zur Dehnungs- und Temperaturmessung. Für die Dehnungsmessung sind räumliche Auflösungen von 0.65 - mm bis 5.2 - mm möglich. Die Messunsicherheit ist bei großer räumlicher Auflösung minimal mit ±2.0 - µm/ m und beträgt bei kleinster Auflösung ±5.0 - µm/ m [12]. Beide Messsysteme verfügen über einen durchstimmbaren Laser (engl. tunable laser), der die Wellenlänge variieren kann, und einen kohärenten Frequenzbereichsreflektometer (engl. Coherent Optical Frequency Domain Reflectometer). Der emittierte Lichtstrahl wird mit Hilfe eines Mach-Zehnder-Interferometers in einen Referenzarm mit fester Weglänge und in den Sensor eingekoppelt. Rückgestreutes Licht aus dem Sensor wird mit der Lichtkomponente aus dem Referenzarm überlagert. Aus der Interferenz zwischen Referenz- und Messsignal lässt sich eine lokale Frequenzverschiebung ableiten. Diese Frequenzverschiebung ist proportional zur Dehnungs- oder Temperaturänderung, gemäß nachfolgender Formel (1): (1) mit: [-] Dehnungsänderung [°C] Temperaturänderung [nm] mittlere Wellenlänge des optischen Signals [m/ s] Lichtgeschwindigkeit im Vakuum [-] Dehnungskoeffizient [1/ °C] Temperaturkoeffizient [GHz] Frequenzverschiebung der Rayleigh- Rückstreuung Um Dehnungsänderungen zu ermitteln, wird Formel (1) nach umgestellt. Dies zeigt, dass Temperaturänderungen entlang eines Sensors auch direkt in die gemessenen Dehnungen mit eingehen. Somit ist die Erfassung der Dehnungsänderung aus einer mechanischen Belastung nur bei konstanter Temperatur gegeben. 2.1 Verwendung von DFOS im Stahlbetonbzw. Spannbetonbau Für DFOS gibt es verschiedene Einsatzmöglichkeiten im Stahlbzw. Spannbetonbau. Die Sensoren können bei Neubauten während der Betonage im Querschnitt positioniert und einbetoniert werden. Bei Bauteilen mit Vorspannung im nachträglichen Verbund können Sensoren im Hüllrohr oder an der Spannlitze vor dem Verpressen eingelegt werden [15], [16]. Ebenso ist es möglich DFOS direkt auf Bewehrungsstäbe zu kleben, um die Stahldehnungen zu messen [17]. An bestehenden Bauwerken ist vorwiegend eine oberflächige Applikation sinnvoll. Es gilt aber zu beachten, dass eventuell eine Vorbehandlung der Oberfläche mit einer Spachtelung oder mittels Schleifen notwendig ist, um eine ebene Klebefläche zu erhalten. Auch das Fräsen einer Nut gewährleistet eine ebene Klebeflächen, bietet zusätzlichen Schutz vor Umwelteinwirkungen und garantiert durch eine dreiseitige Klebefläche eine bessere Dehnungsübertragung vom Betonbauteil auf den Sensor. Je nach Applikationsart und Zweck der Messung (Einsatzdauer, erwartbare Dehnungen, etc.) sollte die Sensorwahl getroffen werden. Der Sensor besteht immer aus einem Glasfaserkern und unterschiedlichen Ummantelungen. Somit werden Dehnungen vom Bauteil über eine Klebeschicht auf einen Außenmantel des Sensors über- 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 171 Anwendung der quasi-kontinuierlichen faseroptischen Dehnungsmessung an bestehenden Spannbetonbrücken tragen. Je nach Sensorauf bau erfolgt die weitere Dehnungsübertragung direkt auf den Glasfaserkern oder auf weitere Mantelschichten bis zum Kern selbst. Grundsätzlich kann zwischen geschichteten DFOS und monolithischen DFOS unterschieden werden. Abb. 2 zeigt jeweils zwei Beispiele. Bei geschichteten DFOS sind einzelne Layer in gewisser Weise zueinander verschieblich. Lokale Dehnungsspitzen, beispielsweise aus einem Riss, verursachen bei geschichteten DFOS einen Schlupf. Dadurch ist ein Riss noch sichtbar, auch wenn sich dieser wieder schließt. Diese Eigenschaft führt aber auch zu einer Verzerrung des Messsignals, wodurch z. B. eine genaue Rissbreitenbestimmung nach mehrmaliger Rissbreitenänderung nicht mehr möglich ist. Dagegen sind mit Verbund-DFOS wieder verschlossene Risse nicht detektierbar, aber lokale Ereignisse unter Belastung werden besser aufgelöst und Rissbreiten sicherer bestimmt. Breite Risse führen allerdings aufgrund hoher Dehnungswerte zu Ausfällen im Messsignal. SMF-28 ~Ø0,9 mm BRUSens V9 ~Ø3,2mm Polyimid ~Ø0,15 mm Nerve Epsilon ~Ø3,0mm Geschichtet Monolithisch Abb. 2: Typische faseroptische Sensoren mit Angabe der Bezeichnung und des Außendurchmessers. Links: geschichtete DFOS, rechts: monolithische DFOS 2.2 Messsignal an der Bauteiloberfläche von bestehenden Spannbetonbauteilen Bevor DFOS für eine bestimmte Anwendung eingesetzt werden, ist eine Abschätzung der zu erwartenden Dehnungen erforderlich. Dafür können näherungsweise Grenzwerte für Stauchungen und Zugdehnungen an bestehenden Spannbetonbrücken auf Grundlage normativer Regelungen für Lasten und Normalbetone bis C50/ 60 abgeschätzt werden. 2.2.1 Messsignal bei mechanischer Belastung Dehnungsänderungen aus Eigengewicht, Ausbaulasten bzw. einer Vorspannung sind an bestehenden Bauwerken nicht mehr zu erwarten. Bei Spannbetonbrücken ist der Eigengewichtsanteil in der Regel hoch, wodurch in etwa bereits 40- bis- 60- % der Belastung vorhanden sind. Unter Berücksichtigung der Teilsicherheitsbeiwerte nach DIN- EN- 1990 können rechnerisch bei reiner Biegung maximale Stauchungen in einer Höhe von 1160 - µm/ m- (1,16 - ‰) auftreten. Aus reiner Verkehrsbelastung kann demnach mit Stauchungen bis maximal 660 - µm/ m-(0,66 - ‰) gerechnet werden, wobei es in dieser Größenordnung bereits zur Mikrorissbildung kommen kann. Die Zugdehnung ist dagegen durch die Zugfestigkeit begrenzt. Bei Überschreitung kommt es zur Rissbildung. Zusätzlich ist der Vorspannzustand zu berücksichtigen. Dieser ist bei Neubauten durch die Spannungsbegrenzung aus nichtlinearem Kriechen mit einer maximale Druckspannung von begrenzt. Vor diesem Hintergrund und unter der Annahme eines linear elastischen Materialverhaltens sind Zugdehnungen bis zu 365 - µm/ m-(0,365 - ‰) erwartbar. Bei Rissbildung ist die maximal messbare Dehnung abhängig vom DFOS und dem Messsystem selbst. Dies führt zu einer Dehnungsspitze im Messsignal. Die Rissbreite kann aus dem Integral der Dehnung über die Einflusslänge bestimmt werden. Je nach Steifigkeit der Sensorschichten ändert sich die Einflusslänge der Dehnungsspitze. Abb. 3 zeigt Dehnungen vor, während und nach Erstrissbildung gemessen mit dem Sensor BRUSens-V9 an der Unterseite einer vorgespannten Hohldielenplatte im 4-Punkt-Biegeversuch. Abb. 3: Dehnungen bei Erstrissbildung an einer vorgespannten Hohldielenplatte im 4-Punkt-Biegeversuch 2.2.2 Messsignal bei thermischer Belastung Spannbetonbrücken sind nach DIN-EN-19911 für Temperaturen von 24°-C bis 37°-C zu bemessen. Diese Grenzwerte sind eventuell auch an Bauwerken bei Langzeitmessungen erwartbar. Neben dem Sensor muss auch der verwendete Klebstoff diese Anforderung erfüllen und einen thermischen und hygrischen Temperaturausdehnungskoeffizienten für den gesamten Temperaturbereich aufweisen. [18]. Nur bei Kenntnis des Temperaturverhaltens und der effektiven Temperaturen während der Messungen, kann eine Temperaturkompensation bei der Dateninterpretation stattfinden. Versuche an der TUM mit dem geschichteten DFOS BRUSens-V9 zeigen, dass bei einer über den Querschnitt konstanten thermischenr Belastung eines Stahlbetonbalkens die Temperaturdehnungen der inneren Mantelschicht aus Edelstahl aufgezeichnet werden. Darüber hinaus streut das Dehnungsprofil über die Sensorlänge mit zunehmender Temperaturdifferenz. In den Versuchen wurde ein Wert zwischen 15-und-19-×-10 6 / K für den thermischen Ausdehnungskoeffizienten des Sensors ermittelt, wobei nach Angaben des Herstellers Solifos-AG der Durchschnittswert bei 16-×-10 6 / K liegt. In Abb. 4 werden Dehnungsmessungen an einem Versuchskörper mit einem Trennriss dargestellt. Bei unterschiedlichen Temperaturen ändert sich das Dehnungssignal entlang des verklebten Sensors (grauer Bereich in Abb. 4) im Mittel gemäß den angegebenen Ausdehnungskoeffizienten Das Signal im Riss reduziert sich auf 172 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Anwendung der quasi-kontinuierlichen faseroptischen Dehnungsmessung an bestehenden Spannbetonbrücken ein kritisches Maß bei der Abnahme der Temperatur um ca.-12-°C und äußert sich bei weiterer Temperaturabnahme als negative Dehnungsspitze. Ein solches Messsignal deutet meist auf das Schließen eines bereits vorhandenen Risses hin. Parallele visuelle Messergebnisse zeigen bei diesem Versuch unter Temperaturabnahme von ca.-50-°C nur eine sehr geringe Rissbreitenreduzierung und kein vollständiges Verschließen des Trennrisses. Abb. 4: Dehnungen am zentrisch bewehrten Stahlbalken mit Trennriss unter reiner Temperaturbelastung. Graue Schraffur: verklebter Bereich des DFOS in Längsrichtung 3. Zustandsbeurteilung von bestehenden Spannbetonbrücken mit DFOS Nachfolgend wird beim Einsatz der quasikontinuierlichen Dehnungsmessung zur Zustandsbeurteilung zwischen Kurzzeit- und Langzeitmessungen unterschieden. Diese Unterscheidung erfolgt analog zu der Einteilung nach [2] und [4] in Kurzzeit- und Langzeitmonitoring, wobei Langzeitmessungen hier auch die Definition Dauermonitoring nach [2] und [4] beinhalten sollen. Je nach Messzeitraum ändern sich die Anforderungen an die Dauerhaftigkeit der Applikations- und der Messtechnik selbst. Für Kurzzeitmessungen eignen sich deshalb auch preisgünstigere Applikationstechniken und Sensorik, wie beispielsweise Kleben ohne Nut, Verwendung des Sensors SMF-28 oder Polyimid aus Abb. 2. 3.1 Kurzzeitmessungen Kurzzeitmessungen umfassen Datenerfassungszeiträume von wenigen Minuten bis zu einigen Tagen. In diesen kurzen Zeiträumen sind die Schwankungen der Umwelteinflüsse (z. B. Temperatur, Tausalz, UV-Belastung etc.) nahezu konstant bis gering. Kurzzeitmessungen mit DFOS sind nur dann sinnvoll, wenn eine Dehnungsänderung erwartet wird oder Tätigkeiten durchgeführt werden, bei denen die Dehnungsänderung überwacht werden muss. Durch eine gezielte Probebelastung können auch solche Änderungen initiiert werden. Dabei kann das Ziel sein, die Dekompressionsbedingungen auf Querschnittebene zu überschreiten (ohne die Zugfestigkeit zu erreichen). Auf diese Weise können bereits vorhandene und überdrücke Risse erkannt werden. Darüber hinaus können Messungen im Zuge von Instandsetzungs- oder Verstärkungsmaßnahmen dazu beitragen, die in den Nachrechnungen getroffenen Annahmen zu überprüfen und zu verifizieren. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig und hängen von den jeweiligen Randbedingungen ab. Nachfolgend sind einige Beispiele aufgeführt: - Bestimmen von Lasten bei Belag-, Kappenerneuerung oder Verstärkung durch Aufbeton - Beurteilung der Auswirkungen eines Lagerwechsels - Beurteilung des Vorspanngrades beim Austausch von verbundlosen Spanngliedern - Beurteilung der Spannungsverteilung im Verankerungsbereich - Beurteilung der Spanngliedverankerungen während des planmäßigen Durchtrennens beim Rückbau 3.1.1 Beispielanwendung Verbundverankerung beim Rückbau Beim Rückbau der Talbrücke in Unterrieden wurde aus baupraktischen Gründen der Überbau in Herstellrichtung abgebrochen. Abb. 5 zeigt einen Teil des Längsschnitts und den Querschnitt dieser Brücke. Bei diesem Abbruchvorgang liegen die Trennfugen der Abbruchtakte nicht an den bestehenden Koppelfugen und die Spannglieder müssen sich nach dem Durchtrennen über Verbund verankern. Die Bemessung der Rückbauzustände setzt eine konkrete Annahme zur Verankerungslänge voraus. Darüber hinaus ist eine Validierung der auftretenden Spaltzugkräfte im Verbundbereich von Interesse. Vorhandene Bemessungsansätze sind experimentell noch unzureichend untersucht. Aus diesem Grunde wurden an der Talbrücke in drei Abbruchtakten Messungen mit faseroptischen Sensoren durchgeführt, um die Dehnungsverläufe beim Durchtrennen der Spannglieder zu erfassen. Ziel ist die Ableitung von Aussagen zur effektiven Verbundlänge und den Spannungsverteilungen im Diskontinuitätsbereich. Abb. 5: Längsschnitt und Querschnitt der Talbrücke Unterrieden, entnommen aus [19] Die Messungen und Auswertung der Messergebnisse wurden im Feld 12, Feld 13 und Feld 15 (siehe Abb. 5) in Kooperation mit der Technischen Universität Dresden, 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 173 Anwendung der quasi-kontinuierlichen faseroptischen Dehnungsmessung an bestehenden Spannbetonbrücken dem Ingenieurbüro MKP-GmbH und dem Ingenieurbüro Büchting-+-Streit-AG durchgeführt [19]. In den einzelnen Feldern wurden verschiedene Messlayouts mit unterschiedlichen Klebstoff- und Sensorkombinationen eingesetzt und anschließend die Ergebnisse gegenübergestellt. Die Anordnung der Sensoren kann übergreifend bei allen Messungen in eine Anordnung in Längs- und in Querrichtung unterschieden werden. Abb. 6 zeigt beispielhaft das Messlayout im Feld 13. Abb. 6: Messlayout am Mittelsteg in Feld 13 zur Erfassung der Dehnungsänderung während des Durchbohrens der Spannglieder. Rot: DFOS in Längsrichtung, Blau: DFOS in Querrichtung, Grün: Lage der Kernbohrungen In allen drei Feldern konnten vielversprechende Messergebnisse erzielt werden. Bei der Installation und der Auswertung zeigte sich jedoch, dass ein möglichst robustes Sensorsystem in Hinblick auf die verwendete Klebstoff- und Sensorkombination verwendet werden sollte. Dadurch kann auch ein Sensorbruch infolge Rissbildung vermieden werden, sofern die Dehnungsübertragung der Betonoberfläche und der optischen Faser nicht zu steif ausgebildet ist. Die durchgeführten Messungen zeigen signifikante Stauchungen entlang der durchbohrten Spannglieder über eine Länge von ca. 1,0- m bis 2,0- m, sofern der umgebende Beton ungerissen ist. Kreuzen Risse die zu verankernden Spannglieder, zeigen die Ergebnisse Stauchungen über eine etwa ein Drittel längere Strecke. Aufgrund der geringen Betondeckung der Spannglieder kann die Verankerungslänge über die gemessenen Stauchungen abgeschätzt und den Längen mit Stauchungen gleichgesetzt werden. In Abb. 7 sind die Stauchungen in Zugdehnungen entlang der Sensoren in Feld-13 in Längsrichtung qualitativ dargestellt. Abb. 7 zeigt in Querrichtung Mikrorisse infolge Spaltzug in der Nähe der Bohrung. Diese Spaltzugrisse werden auch bei den anderen Messungen festgestellt und obwohl keine explizite Spaltzugbewehrung vorhanden war, blieben diese Risse sehr klein. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die vorhandene Bügelbewehrung und die monolithische Bauweise der Stege mit Fahrbahn- und Bodenplatte den auftretenden Spaltzugkräften entgegenwirkten. Darüber hinaus trug der Beton in den ungerissenen Bereichen zur Lastabtragung bei. Abb. 7: Qualitative Darstellung von Stauchungen und Zugdehnungen in Feld 13 beim Durchtrennen der Spannglieder in der untersten Spanngliedachse Durch den Einsatz von faseroptischen Messungen gemäß der hier vorgestellten Konzeption können die während des Rückbaus getroffenen Annahmen verifiziert werden. Insbesondere bei einer Nichtübereinstimmung der nachträglichen Verankerung mit den berechneten Schlupfkriterien bieten DFOS-Messungen eine detaillierte Grundlage für die Beurteilung des Rückbaufortschritts in Echtzeit und es können entsprechend geplante Maßnahmen eingeleitet werden. 3.2 Langzeitmessungen Langzeitmessungen umfassen Datenerfassungszeiträume von mehreren Monaten bis zu mehreren Jahren, wobei das Ende der Messung nicht im Vorfeld definiert ist. Im Laufe eines Jahres treten je nach Jahreszeit unterschiedliche Umwelteinflüsse auf, die bei der Planung des Messkonzeptes im Vorfeld möglichst umfassend prognostiziert werden müssen. Allerdings können sich zu Beginn des Projekts unvorhergesehene Schwierigkeiten ergeben, die einen erhöhten Aufwand bei der Kalibrierung der Sensorik erfordern. Eine Möglichkeit der Kalibrierung besteht in der Durchführung von Probebelastungen mit bekannten Fahrzeuglasten und dem gleichzeitigen temporären Einsatz von sekundärer Messtechnik (z. B. Dehnungsmessstreifen oder Wegaufnehmer) zum Abgleich der Ergebnisse. Dabei ist es empfehlenswert, diese Probebelastungen zu verschiedenen Jahreszeiten und Umgebungsbedingungen zu wiederholen. In Bezug auf die Erfassung der Messdaten bestehen grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Das Messsystem kann entweder kontinuierlich betrieben werden, oder es können Intervallmessungen durchgeführt werden. Die kontinuierliche Überwachung ist mit einem relativ hohen Aufwand sowie einem erhöhten Geräteverschleiß verbunden. Ein Vorteil dieser Methode ist, dass alle auftretenden Dehnungsänderungen, auch die durch Umwelteinflüsse, kontinuierlich erfasst werden können. Jede Messung kann je nach Messrate auf eine einige Sekunden zurückliegende Messung referenziert werden. Demgegenüber sind Intervallmessungen weniger aufwendig, allerdings 174 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Anwendung der quasi-kontinuierlichen faseroptischen Dehnungsmessung an bestehenden Spannbetonbrücken ist bei der Auswertung der Messdaten eine größere Unsicherheit zu berücksichtigen. Es ist zu beachten, dass beispielsweise beim Einsatz des BRUSens V9-Sensors zu Beginn mehrere Referenzmessungen bei unterschiedlichen Temperaturen erforderlich sind, um der erhöhten Streuung des Messsignals bei abweichenden Temperaturen entgegenzuwirken (vgl. Kap. 2.2.2). Darüber hinaus ist die Installation zusätzlicher Überwachungssysteme zu empfehlen. Als weitere Überwachungssysteme können beispielsweise Webcams zur Videoaufzeichnung eingesetzt werden, um etwaige Störereignisse durch Verkehr, Wetter oder ähnliches zu dokumentieren, sowie Temperatursensoren, um eine verlässliche Temperaturkompensation für die Auswertung zu gewährleisten. Von essenzieller Bedeutung ist zudem der Schutz der Messtechnik vor Diebstahl und Vandalismus, soweit dies möglich ist. Langzeitmessungen ermöglichen die Überwachung von bereits initiierten und potenziellen Schädigungsmechanismen. Letztere betreffen insbesondere Spannbetonbrücken, die trotz rechnerischer Defizite ein gutes Erscheinungsbild aufweisen. Ferner können Langzeitmessungen im Rahmen einer Brückenprüfung zum Einsatz kommen, um schwer zugängliche Bereiche ohne handnahe Sichtprüfung auf Schädigungen zu untersuchen. Im Folgenden werden einige Beispiele für den Einsatz bei bekannten Problemen aufgeführt: - Überwachung von Rissbreiten [20] - Überwachung von Koppelfugen mit möglichen Ermüdungsbruch [18] - Detektion einer Erstrissbildung aus Spannstahlbrüchen - Detektion einer Dehnungsänderung aus Spannstahlbrüchen bei fehlenden Versagensvorankündigung - Detektion von Rissen zur Versagensvorankündigung bei Querkraftdefiziten ([15] zeigt die Tauglichkeit unter Laborbedingungen) 3.2.1 Beispielanwendung Detektion von Dehnungsänderungen und Erstrissbildung aufgrund von Spannstahlbrüchen An den zwei Plattenbrücken „Kreuzhof“ mit spannungsrisskorrosionsgefährdeten Spannstahl im Münchner Süden ist zum sicheren Fortbetrieb ein Monitoringsystem im Einsatz [21]. Für beide Bauwerke konnte das erforderliche RissvorBruch Kriterium nach Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion nicht in jedem Querschnitt nachgewiesen werden [7]. Aber auch in Bereichen mit ausreichendem Ankündigungsverhalten, ist eine objektbezogene Prüfanweisung nach dieser Handlungsanweisung zu definieren. Neben einer 1,5jährigen Datenerfassung mit unterschiedlicher Sensorik zur objektspezifischen Verkehrslastermittlung (B-WIM System) und dem fortlaufenden Dauerbetrieb von akustischen Sensoren zur direkten Detektion von Spanngliedbrüchen, werden vier Mal jährlich Dehnungen entlang der Brückenlängsrichtung mit den DFOS BRUSens-V9 gemessen. Ziel der DFOS ist die Detektion von Dehnungsänderungen und Rissen in Folge von Spanndrahtbrüchen. Abb. 8 zeigt den Längsschnitt und den Querschnitt eines der beiden Bauwerke. Die Platte wurde mit zylindrischen Hohlkörpern ausgeführt. In den Stegen zwischen diesen Hohlkörpern befinden sich mindestens zwei bis maximal sechs Spannglieder des Typs Sigma Oval im nachträglichen Verbund. Die DFOS sind in jedem zweiten Steg an der Unterseite des Überbaus positioniert. Abb. 8: Längsschnitt und Querschnitt der Brücke „Kreuzhof“ BW40/ 45 Nach der Inbetriebnahme des Monitoringsystems wurden Probebelastungen durchgeführt, die nach sechs Monaten wiederholt wurden. Diese Maßnahme diente der Identifikation von Umwelteinflüssen bei bekannter Belastung auf die Sensorik. Die Messergebnisse zeigen, dass bei einer Belastung mit zwei LKWs mit maximalem Fahrzeuggewicht von 42 - to nur sehr geringe Dehnungsänderungen von kleiner 30 - µm/ m-(0,03 - ‰) auftreten. Dies führt dazu, dass das Messignal aus leichten Fahrzeugen vom Messrauschen der DFOS überdeckt wird. Demgegenüber manifestieren sich Dehnungsänderungen, die auf Temperaturschwankungen zurückzuführen sind, in besonders ausgeprägter Form. In Abb. 9 sind beispielhaft Messergebnisse bei Temperaturänderungen in blau dargestellt. Bei der Gegenüberstellung der Rohdaten mit berechneten Dehnungen am Stabwerk zeigt sich ein konstanter Versatz der Dehnungen, während der lineare Trend ähnliche Tendenzen aufweist. Durch die Bereinigung der Rohdaten mittels der Differenz der Ausdehnungskoeffizienten des Betons und Sensors, nähern sich die Daten den berechneten Werten an. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 175 Anwendung der quasi-kontinuierlichen faseroptischen Dehnungsmessung an bestehenden Spannbetonbrücken Abb. 9: Messergebnisse am BW40/ 45 bei geänderter Oberflächentermperatur: konstanter Anteil ΔT N = ~7.7 K, linear veränderlicher Anteil ΔT M = ~5.0 K (oben wärmer als unten) Die in Abb. 9 dargestellten Dehnungsspitzen weisen eine Dominanz von ca.-200 - µm/ m-(0,20 - ‰). Im Rahmen von Laboruntersuchungen werden derartige Dehnungsspitzen üblicherweise als Indiz für das Vorliegen eines Risses gewertet. Eine visuelle Inspektion der Brücke ergab, dass der betreffende Bereich einen Versatz in der Betonoberfläche aufweist. Dies resultiert in einem Versprung des Sensors in Längsrichtung, wodurch eine lineare Dehnungsübertragung zwischen Beton und Glasfaserkern nicht möglich ist. Bei einer Betrachtung aller Messungen über mehrere Jahre hinweg, manifestieren sich die Dehnungsspitzen bei gleicher Temperatur stets an derselben Stelle. Unter der Voraussetzung, dass das Messsignal auf eine Messung bei ähnlicher Temperatur referenziert wird, sind keine Dehnungsspitzen mehr erkennbar. Dies lässt den Schluss zu, dass es sich nicht um eine neu entstandene Dehnungsänderung handelt. 4. Fazit Dieser Beitrag zeigt anhand von Praxisbeispielen und Laboruntersuchungen, dass die quasi-kontinuierliche faseroptische Dehnungsmessung auf Basis der Rayleigh- Rückstreuung vielversprechende Ergebnisse für die Zustandsbewertung und Überwachung von bestehenden Spannbetonbrücken liefert. Der Einsatz von DFOS muss für jedes Bauwerk und jede Fragestellung individuell unter Berücksichtigung der Vor- und Nachteile der Technologie bewertet und geplant werden. Der größte Vorteil dieser Messtechnik liegt in der Erfassung von Dehnungsänderungen, die mit dem bloßen Auge nicht erkennbar sind. Somit stellt sie eine präzise Methode zur Überwachung von Bauwerkszuständen dar. In den letzten Jahren wurde die Messtechnik zur quasikontinuierlichen faseroptischen Dehnungsmessung weiterentwickelt, was sich in einer erhöhten Zuverlässigkeit bei der Datenerfassung, einer immer einfacheren Handhabung und einer robusten Funktion in unterschiedlichsten Umgebungen widerspiegelt. Gleichzeitig wurden von verschiedenen Herstellern neue faseroptische Sensoren entwickelt. Damit besteht die Möglichkeit, unterschiedliche Sensoren einzusetzen und verschiedenste Anwendungen zu realisieren. Neben den gezeigten Beispielen existieren in der Literatur weitere zahlreiche Beispiele aus Labor- und Felduntersuchungen, die eine zuverlässige Funktionsweise von DFOS verifizieren und die Vor- und Nachteile verschiedener Sensoren und Grenzen in der Anwendung aufzeigen (z. B. [22][23][24]). Die zukünftige Herausforderung in der Anwendung bei bestehenden Spannbetonbrücken besteht in der Entwicklung von Standardlösungen für bestimmte Problemstellungen, die eine Lebensdauerverlängerung der Bauwerke ermöglichen. Literatur [1] DIN Deutsches Institut für Normung e.V. DIN 1076: Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen. Berlin: Beuth Verlag GmbH, 1999. [2] Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V.: Brückenmonitoring: Planung, Ausschreibung und Umsetzung. Berlin: Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V, 2018. [3] Deutsche Gesellschaft für zerstörungsfreie Prüfung- -- Fachausschuss für Zerstörungsfreie Prüfung im Bauwesen- -- Unterausschuss Dauerüberwachung von Bauwerken: Merkblatt B 09: Dauerüberwachung von Ingenieurbauwerken. Berlin: DGZfP, 2022. [4] Novák, B.; Stein, F.; Farouk, A.; Thomas, L.; Reinhard, J.; Zeller, T.; Koster, G.: Erfahrungssammlung Monitoring für Brückenbauwerke - Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Brücken- und Ingenieurbau Heft B 197. Bergisch Gladbach: Fachverlag NW in der Carl Ed. Schünemann KG, 2024. [5] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Regelungen und Richtlinien für die Berechnung und Bemessung von Ingenieurbauwerken (BEM- ING)- -- Teil 2 Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie). Bonn, 2011 [6] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton: DAfStb- Richtlinie Verstärken von Betonbauteilen mit geklebter Bewehrung. Berlin: DAfStb, 2020. [7] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Regelungen und Richtlinien für die Berechnung und Bemessung von Ingenieurbauwerken (BEM-ING) -Handlungsanweisung Span- 176 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Anwendung der quasi-kontinuierlichen faseroptischen Dehnungsmessung an bestehenden Spannbetonbrücken nungsrisskorrosion - Handlungsanweisung zur Überprüfung und Beurteilung von älteren Brückenbauwerken, die mit vergütetem, spannungsrisskorrosionsgefährdetem Spannstahl erstellt wurden. Bonn, 2011. [8] Monsberger, C.M.; Lienhart, W.: Distributed Fiber Optic Shape Sensing of Concrete Structures. In: Sensors (2021), 21, 6098. https: / / doi.org/ 10.3390/ s21186098 [9] Lienhart, W.; Strasser, L.; Dumitru, V.: Distributed Vibration Monitoring of Bridges with Fiber Optic Sensing Systems. In: Proceedings of Experimental Vibration Analysis for Civil Engineering Structures; EVACES 2023. Lecture Notes (2023). Herausgeber: Limongelli, M. P.; Giordano, P. F.; ·Quqa, S.; Gentile, C.; Cigada, A. [10] Samiec, D.: Verteilte faseroptische Temperatur- und Dehnungsmessung mit sehr hoher Ortsauflösung. In: Photonic (2011). [11] fibrisTerre Systems GmbH: fTB 5020 Fiber-optic sensing system for distributed strain and temperature monitoring [online] https: / / www.fibristerre.de/ products/ [abgerufen am 11.08.2024]. [12] LUNA Innovations: ODiSI 6000 Series [online] https: / / lunainc.com/ sites/ default/ files/ assets/ files/ datasheet/ Luna%20ODiSI%206000%20Data%20 Sheet.pdf [abgerufen am 11.08.2024]. [13] Polytec GmbH: Systeme mit kontinuierlicher Messpunktfolge [online] https: / / www.polytec.com/ de/ optischesysteme/ produkte/ faseroptischemesstechnik/ faseroptischedehnungsmesssysteme/ systememitkontinuierlicher-messpunktfolge [abgerufen am 11.08.2024]. [14] LUNA Innovations: ODiSI 6000 Series [online] https: / / lunainc.com/ sites/ default/ files/ assets/ files/ datasheets/ OBR4600_DS_REV6_111623.pdf [abgerufen am 11.08.2024]. [15] Lamatsch, S.; Fischer, O.: Querkraftversuche an unterschiedlich hoch vorgespannten Balkenelementen mit baupraktischen Bauteilabmessungen. In: Bauingenieur 99 (2024), Heft 1/ 2, S. 35-45. [16] Gläser, C.: Zustandsbewertung von Spannbetonbauwerken anhand von in Spannglieder integrierten ortsauflösenden Sensoren (smart tendons). In: Tagungsband 27. Münchener Massivbau Seminar (2023). Herausgeber: Förderverein Massivbau der TU München e.V. [17] Fröse, J.; Fischer, O.: Investigations on the bond behavior of ribbed reinforcing bars with the use of fiber-optic strain measurement. In: Proceedings of the 5th International Conference Bond in Concrete, Stuttgart, Germany, 25-27 (2022) pp. 50-61. Herausgeber: Hofmann, J.; Plizzari, G. [18] Novák, B.; Stein, F.; Reinhard, J.; Dudonu, A.: Einsatz kontinuierlicher faseroptischer Sensoren zum Monitoring von Bestandsbrücken. In: Beton- und Stahlbetonbau Volume 116 (2021), Issue 10, S.s 718-726. https: / / doi.org/ 10.1002/ best.202100070 [19] Burger, H.; Betz, B.; Richter, B.; Herbers, M.; Schramm, N.; Diers, J; Schacht, G.; Lingemann, J.; Marx, S; Fischer, O.: Untersuchungen zur Verbundverankerung von durchtrennten Spanngliedern beim Brückenrückbau. Zur Veröffentlichung in: Beton und Stahlbetonbau (2024). In Vorbereitung. [20] Herbers, M.; Richter, B.; Gebauer, D.; Classen, M.; Marx, S.: Crack monitoring on concrete structures: Comparison of various distributed fiber optic sensors with digital image correlation method. In: Structural Concrete (2023), Volume 24, Issue 5. https: / / doi.org/ 10.1002/ suco.202300062 [21] Fischer, O.; Schramm, N.; Burger, H.; Tepho, T.: Wirklichkeitsnahe Beurteilung des Brückenbestands mit innovativer Sensorik - SpRK-Monitoring der Kreuzhofbrücken München. In: Innsbrucker Bautage 2022 - Festschrift zum 60. Geburtstag von Univ.-Prof. Dr.-Ing. Jürgen Feix (2022). Herausgeber: Berger, J. [22] Bado, M.F.; Casas, J.R.: A Review of Recent Distributed Optical Fiber Sensors Applications for Civil Engineering Structural Health Monitoring. In Sensors (2021), 21, 1818. Basel, Switzerland.https: / / doi.org/ 10.3390/ s21051818 [23] Bednarski L.; Sienko R.; Howiacki T.; Zuziak K.; The Smart Nervous System for Cracked Concrete Structures: Theory, Design, Research, and Field Proof of Monolithic DFOS-Based Sensors. Sensors (2022), 22, 8713. https: / / doi.org/ 10.3390/ s22228713 [24] Berrocal C.; Fernandez I; Bado, M.; Casas J.; Rempling R. (2021) Assessment and visualization of performance indicators of reinforced concrete beams by distributed optical fibre sensing. Structural Health Monitoring Volume 20, Issue 6. https: / / doi. org/ 10.1177/ 1475921720984431 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 177 Neue Technologien für die Inspektion von Betonbauwerken - Ein Blick in die Zukunft Dr. Dominik Merkle Fraunhofer-Institut für Physikalische Messtechnik IPM, Freiburg im Breisgau Valentin Vierhub-Lorenz Fraunhofer-Institut für Physikalische Messtechnik IPM, Freiburg im Breisgau Jannis Gangelhoff Fraunhofer-Institut für Physikalische Messtechnik IPM, Freiburg im Breisgau Jan Jung Universität Freiburg, Institut für Nachhaltige Technische Systeme - INATECH, Professur für Monitoring von Großstrukturen Alen Nasic Fraunhofer-Institut für Physikalische Messtechnik IPM, Freiburg im Breisgau Prof. Dr. Alexander Reiterer Fraunhofer-Institut für Physikalische Messtechnik IPM, Freiburg im Breisgau; Universität Freiburg, Institut für Nachhaltige Technische Systeme - INATECH, Professur für Monitoring von Großstrukturen Zusammenfassung Die präzise automatisierte Detektion und Vermessung von z.-B. Rissen und Hohlstellen an Betonbauwerken bleibt aufgrund der Diversität von Schadensbildern, Oberflächenarten und Anforderungen an die Messgenauigkeit nach wie vor eine anspruchsvolle Aufgabe, die noch nicht vollständig gelöst ist. Dieser Beitrag bietet einen Überblick über neue Technologien im Bereich Sensorik und Autonomie, die für die automatisierte Inspektion von Betonbauwerken eingesetzt werden können. Im Rahmen des Vortrags werden aktuelle Forschungsarbeiten und Ergebnisse des Fraunhofer-Instituts für Physikalische Messtechnik IPM für die Inspektion von Betonbauwerken vorgestellt. Dies umfasst die automatisierte Detektion von oberflächigen Schäden wie z. B. Risse per Unmanned Aerial System (AUS). Hierbei wird ein Ausblick auf autonome mobile robotische Lösungen zur hochgenauen Vermessung von Rissbreiten gegeben. Zusätzlich werden aktuelle Light Detection and Ranging (LiDAR) Entwicklungen präsentiert, die durch die Verwendung von unterschiedlichen Wellenlängen die Detektion des Feuchtegehalts an Betonoberflächen ermöglichen. Darüber hinaus werden aktuelle Arbeiten zur laserbasierten Hohlstellendetektion präsentiert und gezeigt, wie ein entwickeltes Unterwasser-LiDAR System z. B. für Unterwasser-Betonstrukturen eingesetzt werden kann. Abschließend gibt der Beitrag einen Ausblick auf zukünftige Entwicklungen und Trends im Bereich Sensorik und Autonomie und Möglichkeiten für deren Integration in bestehende Inspektionsabläufe. 1. Einführung Die Inspektion von Brückenbauwerken nach Norm DIN 1076 stellt nach wie vor eine herausfordernde Aufgabe für die große Anzahl an Betonbauwerken dar. Große zum Teil nur mit Hilfsplattformen erreichbare Flächen und zugleich feine Schadensstrukturen wie Risse oder Hohlstellen, die bisher mit dem Hammerschlag detektiert werden, erschweren automatisierte Ansätze. Hinzu kommt die Diversität der Bauwerke, Oberflächen, Schäden und Umgebungen. Kombiniert mit Verschmutzung, Vegetation, Graffiti und weiteren Artefakten ist die menschliche Expertise und Erfahrung von großer Bedeutung. Trotz der Herausforderungen, werden immer mehr Methoden für die automatisierte Detektion und Interpretation von Schäden entwickelt. Die meisten Verfahren basieren auf optischen Verfahren. Vorwiegend werden mittels semantischer Segmentierung basierend auf Deep-Learning pixelbasiert (mehrere) oberflächige Schadensklassen wie z.-B. Risse oder Abplatzungen in RGB-Kamera-Daten, erkannt. Der Fokus liegt in den meisten Fällen auf der Detektion und nicht der genauen Vermessung der Abmaße. Während bei großflächigen Schäden wie Abplatzungen die Auflösung der Bilddaten gering sein kann und die Genauigkeit im Randbereich nicht essenziell ist, ist es im Falle von Rissen umgekehrt. Hier sind eine sehr hohe Auflösung und Genauigkeit erforderlich, um die sehr feinen Strukturen sicher erkennen zu können und die breiteste Stelle des Risses zu messen. 178 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Neue Technologien für die Inspektion von Betonbauwerken - Ein Blick in die Zukunft Allein die Erkennung von oberflächigen Schäden reicht jedoch nicht aus, um die vollständige Inspektion nach Norm abzudecken bzw. zu unterstützen. Für die Verkehrssicherheit sind besonders Hohlstellen und Ablösungen kritisch. Teile, die drohen abzuplatzen, werden direkt weggeschlagen. Perspektivisch ist es jedoch hilfreich im Vorfeld besonders betroffene Bereiche zu erkennen und im Nachgang nur eine Auswahl von Stellen manuell zu untersuchen. Hierfür gibt es mehrere Methoden. Passive Thermografie nutzt den Temperaturgradient der Umgebungstemperatur. Dadurch kann z.-B. vormittags der warme abgelöste Bereich von der umgebenden kalten Brückenstruktur unterschieden werden. Hierbei ist das Zeitfenster jedoch limitiert und die Erkennung stark abhängig von der relativen Messgenauigkeit des Sensors. Im Gegensatz dazu, erfordert die aktive Thermografie eine ausreichende und homogene Erwärmung der Oberfläche, was schwer realisierbar ist. Zusätzlich ist die Feuchtemessung von Betonbauwerken während dem Bau und dem Bestand relevant. Diese Information kann in RGB-Bildern oder klassischen Laserscan-Daten nicht erkannt werden. Eine Option ist die Erkennung bzw. die Messung von Feuchte indirekt über den Temperaturunterschied, Anomalien oder Verdunstungseffekte. Zusätzlich kann eine Multi- oder Hyperspektral- Kamera genutzt werden. Doch auch hier ist die Methode abhängig vom Umgebungslicht. Für die oben beschriebenen Problemfelder - genaue Rissbreitenmessung, Hohlstellendetektion und Feuchtedetektion - soll dieser Artikel unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten aus der aktuellen Forschung am Fraunhofer IPM präsentieren. Die Lösungen umfassen die automatisierte Detektion von z.-B. Rissen per UAV. Besonderes Augenmerk wird auf die autonome mobile robotische Lösung zur hochgenauen Vermessung der Rissbreite gelegt. Darüber hinaus werden aktuelle Arbeiten zur laserbasierten Hohlstellendetektion präsentiert und gezeigt, wie ein entwickeltes System z.-B. für Tunnel- oder Brückenbauwerke eingesetzt werden kann. Zur Detektion von Feuchte an Betonoberflächen wird zudem ein multispektraler Laserscanner vorgestellt, der mit zwei unterschiedlichen Wellenlängen, am gleichen Punkt im Raum die Distanz und Intensität des rückgestreuten Lichts misst und damit die Bestimmung des Feuchtegehalts erlaubt. Die Eignung eines entwickelten Unterwasser-LiDAR Systems wird zudem auf Eignung zur Detektion von Schäden untersucht. Abschließend werden zukünftige Entwicklungen und Trends im Bereich Sensorik und Autonomie und Möglichkeiten für deren Integration in bestehende Inspektionsabläufe diskutiert. 2. Methoden zur Inspektion von Betonbauwerken 2.1 Automatisierte UAS-Pfadplanung Für die Datenerfassung bieten sich für Brückenbauwerke handgehaltene, fliegende und fahrende Sensorsysteme an. Fahrende Plattformen, wie zum Beispiel Unmanned Ground Vehicles (UGV) haben den Vorteil, dass sie beim Einsatz in abgesperrten Bereichen, zum Beispiel durch eine Teilsperrung der Straße, ein geringes Risko darstellen. Für Unmanned Aircraft Systems (UAS) gelten hingegen besonders für Brücken an Bundesfernstraßen oder Bahnanlagen gewisse rechtliche Mindestabstände. Aktuell darf ein UAS in der Kategorie A2 nach der 1: 1 Regel (Flughöhe kleiner als der Abstand) bis zu 10-m nah fliegen. Andere Möglichkeiten bietet der Betrieb in der speziellen Kategorie oder wenn eine ausdrückliche Zustimmung der zuständigen Stelle oder des Betreibers vorliegt. In Zukunft könnte jedoch aufgrund zusätzlicher Sicherheitssysteme und Betriebsgenehmigungen, eine automatisierte Befliegung bei eingeschränktem Betrieb wie z.-B. nachts oder mit einer Teilsperrung möglich sein. Dies hängt auch stark von der Brückengröße und der Infrastruktur ab, die die Brücke überspannt. Aufgrund diverser Geometrien und sich verdeckenden 3D-Strukturen ist die optimierte Flugplanung essenziell zur vollständigen Erfassung mit der erforderlichen Qualität. Hierfür wurde ein Algorithmus entwickelt, um für ein UAS mit definiertem Kamerasystem, der maximal zulässigen Pixelgröße am Objekt (Ground Sampling Distance (GSD)) sowie Überlappungs- und Winkelanforderungen iterativ die optimierten Kamerapositionen zu berechnen, die eine vollständige photogrammetrische 3D-Rekonstruktion sowie eine Detektion von z.-B. Sub-Millimeter- Rissen ermöglicht [1]. Als Grundlage wird ein As-Built- Modell bzw. das umhüllende 3D-Mesh mit wählbarem Detailgrad und optional eine Punktwolke der Umgebung benutzt wie in Abb. 1 dargestellt. Das 3D-Mesh dient dabei als Grundlage für die Flugplanung und die Punktwolke hilft hauptsächlich zur Verschneidung zur Identifikation von inspizierbaren Flächen. Flächen die unterirdisch liegen oder aufgrund des Bauwerks bzw. des UAS-Designs (Größe, Mindest-Sicherheitsabstand, Freiheitsgrad des Kamera-Gimbals, etc.) nicht die minimale Datenqualität erfassen können, werden automatisiert identifiziert. Als Schlussfolgerung können diese Bereiche entweder durch ein anderes UAS oder durch einen Menschen inspiziert werden. Zusätzlich kann das Tool genutzt werden, um die Eignung eines UAS für ein spezielles Bauwerk zu prüfen. Zusätzlich können Hindernisse wie z.-B. Vegetation schon bei der globalen Vorplanung berücksichtigt werden. Bei dynamischen Umgebungen und einer Änderung zur 3D-Punktwolke ist eventuell eine lokale Pfadplanung in Echtzeit notwendig. Ein zusätzliches Käfig- Design kann zudem helfen, so nah wie möglich and die Oberfläche und auch in verwinkelten engen Bereichen zu fliegen. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 179 Neue Technologien für die Inspektion von Betonbauwerken - Ein Blick in die Zukunft Abb. 1: Schrägansicht (oben) und Seitenansicht (unten) der automatisierten Flugplanung mit optimierten Kameraposen zur vollständigen und hochaufgelösten Erfassung von Bauwerken am Beispiel einer Brücke in Freiburg. 3D-Mesh und 3D-Punktwolke der Umgebung fließen in die Berechnung mit ein. Bisher sind 3D-Modelle bzw. selbst ein 3D-Mesh nur selten für ein Bestandsbauwerk vorhanden. Bei neuen Bauwerken ist das selten ein Problem. Doch auch bei Bestandsbauwerken, muss dieser Aufwand nur einmal betrieben werden, da größere bauliche Änderungen selten vorkommen und diese Änderungen auch mit vergleichsweise niedrigem Aufwand angepasst werden können. Zudem gibt es viele Bemühungen der automatisierten Ableitung von 3D Modellen aus photogrammetrischen oder Laserscanning Punktwolken [2], [3]. Zusätzlich wurden bereits Methoden untersucht und entwickelt, um aus 2D- Bestandsplänen 3D Modelle zu erzeugen [4]. 2.2 Rissbreitenmessung Die Messung der Breite von Sub-Millimeter-Rissen erfordert eine ausreichend niedrige GSD. Zur Messung der Breite eines 0,2-mm Risses ist für einen Faktor 10 eine GSD von kleiner als 0,02 mm optimal. Jedoch ist oft die Unterscheidung in 0,05-mm Schritten üblich. Daher kann bereits eine GSD von ca. 0.05-mm ausreichend sein. Da jedoch erst der Riss erkannt werden muss, bevor die Breite bestimmt werden kann und die Sensorauflösung begrenzt ist, gibt es einen Konflikt zwischen notwendigem Kontext durch ein ausreichendes Sichtfeld und ausreichend niedriger GSD. Die Lösung ist entweder ein System aus zwei Kameras mit unterschiedlichen Objektiven und Brennweiten, eine optische Pan Tilt Zoom Einheit oder eine Echtzeit-Navigation, die es erlaubt, aus der Distanz einen Riss zu erkennen und aus der Nähe zu vermessen. Aktuelle Untersuchungen mit Hilfe einer kleinen, kompakten DJI Tello Drohne zeigen erste vielversprechende Ergebnisse. Durch ihre geringe Größe und ihr geringes Gewicht von ca. 80g, hat die Drohne den Vorteil, dass sie in engen und schwer erreichbaren Bereichen fliegen kann. Zudem kann die Drohne mit Python programmiert werden, insbesondere mit der Bibliothek djitellopy [5], die es einfach macht, einen autonomen Flug zu implementieren. Mit 82,6° Field of View (FoV) und einer Auflösung von 2592 × 1936 Pixel ermöglicht eine GSD von 0,07 mm/ Pixel bei einem Arbeitsabstand von 10 cm. Hiermit konnten schon erste Ergebnisse erzielt werden. Im ersten Schritt wird wie in Abb. 2 gezeigt, der Riss aus der Distanz mit Hilfe des YOLOv8-Modells [6], erkannt. Im zweiten Schritt wird der Riss gemessen, falls der Riss vollständig im FoV zu sehen ist. Andernfalls wird der Anfang des Risses autonom gesucht und bis zum Ende geflogen. Dabei werden kontinuierlich Screenshots gemacht, sobald eine Überlappung von ca. 70 % zwischen den Screenshots erreicht ist. Anschließend, werden diese Screenshots mittels Image Stitching zu einem Gesamtbild zusammengefügt. Im letzten Schritt kommt die Analyse des Rissbildes, bei der die Länge und Breite präzise berechnet wird. Abb. 2: Links: DJI Tello Drohne im Flug über dem Bodem in Richtung des Rissbildes. Rechts: Risserkennung mittels YOLOv8-Modells aus größerer Distanz. Abb. 3: Rissmessung nach der Erkennung, wenn der Riss vollständig aus der Nähe aufgenommen wurde, mittels Image Stitching. Der Riss wird zusätzlich mit YOLOv8 segmentiert. 2.3 Laser-basierte Hohlstellendetektion Am Fraunhofer IPM wurde ein System zur Laser-basierten Hohlstellendetektion entwickelt. Hieber wird auf der Betonoberfläche durch einen starken Laserpuls ein Plasmablitz erzeugt. Die resultierende Schockwelle bringt den lokalen Bereich zum Schwingen und ersetzt somit den klassischen Schlag mit dem Hammer. Ein zweiter Laser misst per Laser-Doppler-Vibrometrie die angeregten Schwingungen mit hoher Präzision. Durch eine Abrasterung mit definierter Gitterauflösung können damit großflächig z.-B. Tunnel aber perspektivisch auch Brückenbauwerke inspiziert werden. In Zukunft soll zusätz- 180 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Neue Technologien für die Inspektion von Betonbauwerken - Ein Blick in die Zukunft lich die räumliche Auflösung während der Messung angepasst werden, um direkt auf Anomalien zu reagieren und deren Umrisse genauer zu erfassen. Die Kombination mit Punktwolken, photogrammetrischen Modellen als auch Methoden des maschinellen Lernens für RGB- Bildinformationen kann zusätzlich die Plausibilitätsanalyse unterstützen bzw. dafür sorgen, dass die Messungen nur an geeigneten Stellen stattfinden und nicht z.-B. an sonstiger Infrastruktur wie Lüftungen, Schilder, Metallstrukturen, oder auf Vegetation. Abb. 4 zeigt das System bei der Vermessung eines Probekörpers mit künstlicher Fehlstelle im Labor. Abb. 4: Oben: System basierend auf Pulslaser und Laser-Doppler-Vibrometrie für den optischen Hammerschlag bei der Vermessung eines Betonprobekörpers mit künstlicher Hohlstelle. Unten: Farblich dargestellte gemessene Vibrationsstärke bei 1500-Hz Schwingungsfrequenz (dunkel - geringe Schwingung, hell - starke Schwingung), jeder Punkt repräsentiert einen Messpunkt auf der Oberfläche. 2.4 Multispektraler Laserscanner zur hochaufgelösten 3D-Feuchtedetektion Ein multispektraler Laserscanner entwickelt am Fraunhofer IPM ermöglicht die simultane Erfassung der 3D- Information eines Messpunkts sowie die rückgestreute Intensität bei zwei verschiedenen Laserwellenlängen (1320-nm und 1450-nm). Durch das Wissen über das Absorptionsspektrum von Wasser kann über den Vergleich der Intensitäten des rückgestreuten Lichts für die beiden unterschiedlichen Wellenlängen die Information über den Wassergehalt der Oberfläche gewonnen werden. In Kombination mit einer mobilen Trägerplattform und einer Verortung ist das Ergebnis eine hochaufgelöste 3D-Punktwolke mit den jeweiligen Intensitätsinformationen und der Information über den Feuchtegehalt. Damit lässt sich beispielsweise wie in Abb. 5 dargestellt eintretendes Wasser in Tunneln automatisiert detektieren. Wie in Abb. 6 zu erkennen ist, lässt sich über den Wassergehalt auch Vegetation sehr einfach von der Umgebung unterscheiden. Abb. 5: Ausschnitt einer Punktwolke eines Tunnelscans. Obere 3D-Punktwolke mit Intensität des rückgestreuten Lichts als Grauwert und untere Punktwolke mit Feuchtewert von niedrig in Blau über weiß bis hoch in Rot. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 181 Neue Technologien für die Inspektion von Betonbauwerken - Ein Blick in die Zukunft Abb. 6: Ausschnitt einer Punktwolke eines Wohngebietes. Obere 3D-Punktwolke mit Intensität des rückgestreuten Lichts als Grauwert und untere Punktwolke mit Feuchtewert von niedrig in Blau über weiß bis hoch in Rot. 2.5 Unterwasser-Laserscanning zur Inspektion von Unterwasserbetonstrukturen Zur Inspektion von Unterwasserstrukturen wurde ein Unterwasser LiDAR System (ULi) entwickelt [7]. Mit einer Wellenlänge von 532-nm und einer Pulswiederholrate von 100 kHz ist über eine rotierende Doppel-Keilprisma Optik [8] eine hochaufgelöste flächige Erfassung möglich. Unterschiedliche Scanmuster ermöglichen eine linien- und kreisförmige Erfassung aus der Bewegung oder durch die 2D-Strahlablenkung eine vollflächige Erfassung einer Szene ohne notwendige Bewegung des Messsystems. Für Testkampagnen und zur Evaluierung der Messgenauigkeit und maximalen Messdistanz bei unterschiedlichen Wasserbedingungen wurde hierfür eine 40-m lange Unterwassermessstrecke gebaut, in der die Trübung variiert werden kann. Hier können unterschiedliche Strukturen platziert werden, die für die Unterwasserinspektion von z.-B. Betonstrukturen relevant sind. Abb. 7 zeigt einen Auf bau mit Steinen, einem Rohr, einem Fass aus Kunststoff und den umliegenden Betonwänden. Die Trübung im Wasser erschwert hierbei die Sicht der Kamera. Abb. 7: Aufnahme in der Unterwassermessstrecke am Fraunhofer IPM mit einer Kamera in Kombination mit einer in 40 cm seitlichem Abstand angebrachten Taucherlampe. Die Objekte sind aufgrund der Trübheit nur noch schwer zu erkennen. Gut zu erkennen ist die Streuung des Lichtkegels und der damit einhergehenden Blendung der Kamera, welche den Kontrast im Bild weiter reduziert. Zum Größenvergleich: der Regenrohrdurchmesser beträgt ca. 10 cm. Wie in Abb. 8 dargestellt, wurde die Szene aus Abb. 7 zeitgleich zur Kameraaufnahme mit dem Unterwasser- LiDAR System erfasst. Das System misst gleichzeitig die Intensität des rückgestreuten Lichts und die hochaufgelöste und genaue 3D-Information von Strukturen unter Wasser. Damit können z.-B. Artefakte wie Fugen, Auswölbungen, Abplatzungen oder größere Risse detektiert werden. Aktuell werden Methoden des maschinellen Lernens zur automatisierten Schadens- und Objektdetektion entwickelt. Diese Information kann in Zukunft für die automatisierte Pfadplanung genutzt werden, um eine vollständige und hochaufgelöste Erfassung selbst in trübem Wasser zu ermöglichen. Abb. 8: Unterwasser-Punkwolke von der Unterwassermessstrecke am Fraunhofer IPM aufgenommen mit dem Unterwasser LiDAR System (ULi). Intensität des rückgestreuten Lichts in Graustufen und Unebenheiten (Abstand der Punkte zur gemittelten Ebene) an der Wand links und dem Fassboden in Viridis Farbskala- Darstellung. 182 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Neue Technologien für die Inspektion von Betonbauwerken - Ein Blick in die Zukunft 3. Ausblick auf die robotische Messtechnik In Zukunft werden die in Abschnitt 2. vorgestellten Sensorsysteme auf mobilen robotischen Plattformen integriert. Das Ziel ist es dadurch, eine vollständige und qualitäts-optimierte Erfassung zu ermöglichen. Zudem soll damit eine hohe Auflösung nur in relevanten Bereichen erreicht, Fehlmessungen z.-B. in trübem Wasser erkannt und durch Optimierung der Scan-Einheit oder der angepassten Distanz zum Zielobjekt korrigiert und eine Echtzeit-Schadensinterpretation zur Submillimeter-Vermessung realisiert werden. Hierfür spielt Echtzeit-KI eine entscheidende Rolle, um z.-B. die großen Datenmengen während der Operation filtern und visualisieren zu können. Letzteres ist von hoher Bedeutung, um in Zukunft Menschen in die Messabläufe stärker einzubinden. Ein großes Potenzial bieten zudem kooperative Systeme wie Schwarmsysteme aus mehreren gleichen Systemen zur Effizienzsteigerung oder die Zusammenarbeit unterschiedlicher Plattformen zur Aufgabenteilung. Besonders für Brückenbauwerke bietet sich eine Kombination von fahrenden und fliegenden Plattformen ab. Die mobilen Plattformen umfassen z.-B. robotische Hunde, Unterwasser-Rover, fahrende Rover sowie autonome UAS oder USVs. Besonders UAS werden in Zukunft durch Systeme zur Risikominderung wie Fallschirmsysteme deutlich sicherer. Hiermit ist der Betrieb in Zukunft eventuell auch trotz Unbeteiligten in anliegender Infrastruktur von Betonbauwerken möglich. Neben der Auflösung und Genauigkeit der Sensorsysteme ist die Miniaturisierung essenziel, um kostengünstige autonome Lösungen durch den Einsatz von kompakten Plattformen bereitzustellen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird in Zukunft die handnahe Prüfung weiterhin notwendig sein jedoch ergänzt und unterstützt durch automatisierte Methoden. Auch handgetragene Systeme oder sogenannte Helm-Scanning Systeme sind möglich für eine effektive Mensch-Maschine Interaktion und die Erfassung während der Ausübung anderer Aufgaben. Eine vollautomatisierte Inspektion kann zusätzlich durch eine Multi-Sensordatenfusion robuster werden. Hierbei kann z.-B. die Kombination der Interpretation von RGB- Bildinformationen und z.- B. der laserbasierten Hohlstellendetektion oder Feuchtemessung ein vollständiges Verständnis ermöglichen. Zusätzlich wird dadurch die digitale Inspektion zur stichprobeartigen Überprüfung der automatisierten Ergebnisse ermöglicht, da eine realitätsnahe Darstellung zur Inspektion hilfreich ist. 4. Zusammenfassung In dieser Arbeit wurde ein Überblick über neue Technologien im Bereich Sensorik und Autonomie für die automatisierte Inspektion von Betonbauwerken präsentiert. Lösungen für die automatisierte Detektion von oberflächigen Schäden wie z.-B. Risse per UAS im autonomen Betrieb bieten hier den Vorteil, einen kostengünstigen Kompromiss zwischen Kontext und ausreichender GSD zu ermöglichen. Hierfür wurden aktuelle Untersuchungen präsentiert. Zusätzlich wurden Möglichkeiten zur Verwendung von unterschiedlichen Wellenlängen für die Detektion des Feuchtegehalts an Betonoberflächen aufgezeigt. Abgesehen von der oberflächigen Untersuchung von Betonbauwerken, wurde aufgezeigt, wie mittels Laser-Doppler-Vibrometrie Hohlstellen automatisiert detektiert werden können. Zielobjekte sind Tunnel aber perspektivisch z.-B. auch Brückenbauwerke. Die Intensitäts- und 3D-Information von einem Unterwasser-Li- DAR System zeigt zudem die mögliche Detektion von Unterwasserdefekten. Abschließend wurde ein Ausblick auf robotische Messtechnik zur Automatisierung von Inspektionsaufgaben diskutiert. Neben der Verwendung von Echtzeit-KI wurde herausgestrichen, dass besonders die Miniaturisierung, die erweiterten Messparameter, die Messgenauigkeit und die Integration in robuste autonome Gesamtsysteme eine entscheidende Rolle spielen. Danksagung Diese Arbeit ist finanziert durch das Fraunhofer-Leitprojekt „Ganzheitliches Verfahren für eine nachhaltige, modulare und zirkuläre Gebäudesanierung - BAU-DNS“. Literaturverzeichnis [1] J. Jung, D. Merkle und A. Reiterer, „Automated Camera Pose Generation for High-Resolution 3D Reconstruction of Bridges by Unmanned Aerial Vehicles,“ Remote Sensing, Bd. 16, Nr. 8, p. 1393, 2024. https: / / doi.org/ 10.3390/ rs16081393 [2] J. J. Lin, A. Ibrahim, S. Sarwade und M. Golparvar- Fard, „Bridge Inspection with Aerial Robots: Automating the Entire Pipeline of Visual Data Capture, 3D Mapping, Defect Detection, Analysis, and Reporting,“ Journal of Computing in Civil Engineering, Bd. 35, Nr. 2, 2021. https: / / doi.org/ 10.1061/ (ASCE)CP.1943-5487.0000954 [3] Z. Shang und Z. Shen, „Flight Planning for Survey-Grade 3D Reconstruction of Truss Bridges,“ Remote Sensing, Bd. 14, Nr. 13, p. 3200, 2022. https: / / doi.org/ 10.3390/ rs14133200 [4] K. N. Poku-Agyemang und A. Reiterer, „3D Reconstruction from 2D Plans Exemplified by Bridge Structures,“ Remote Sensing, Bd. 15, p. 677, 2023. https: / / doi.org/ 10.3390/ rs15030677 [5] D. F. Escoté, J. Löw und weitere, „DJITelloPy,“ 9. Juni 2023. [Online]. Available: https: / / github.com/ damiafuentes/ DJITelloPy [6] University, „crack Dataset. OpenSource Dataset,“ Roboflow Universe, 2022. [Online]. Available: https: / / universe.roboflow.com/ university-bswxt/ crack-bphdr [Aufruf am 31. Juli 2024]. [7] C. S. G. Werner, J., S. Frey, D. Steiger und A. Reiterer, „Development of a compact pulsed time-offlight LiDAR platform for underwater measurements,“ The International Hydrographic Review, Bd. 29, Nr. 2, pp. 200-207, 2023. https: / / doi. org/ 10.58440/ ihr-29-2-n09 [8] „Compact, large aperture 2D deflection optic for Li- DAR underwater applications,“ Proceedings Volume Remote Sensing of the Ocean, Sea Ice, Coastal Waters, and Large Water Regions 2022, p. 1226306, 2022. https: / / doi.org/ 10.1117/ 12.2634709 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 183 Untersuchung des Verpresszustands von Spannbetonbauten mit non- und minimal-invasiven Methoden Einsatz von Ultraschall, Röntgen und Endoskopie Dr.-Ing. Sebastian Schulze bauray GmbH, Hamburg Zusammenfassung Für Dauerhaftigkeit und Tragfähigkeit von Spannbetonbauteilen im nachträglichen Verbund sind vollständig verpresste Hüllrohre essenziell. Ohne ausreichende Verpressung ist ein langfristiger Korrosionsschutz der Litzen nicht sichergestellt, die Lebensdauer einer Brücke durch den „Geburtsfehler“ Verpressmangel ggf. deutlich reduziert. Erkannt werden derartige Mängel üblicherweise erst Jahre oder Jahrzehnte nach der Fertigstellung einer Brücke, da leere Hüllrohre und daraus folgende Schäden wie Korrosion und Litzenbrüche im Rahmen der Bauwerksuntersuchungen häufig nicht (oder zu spät) erkannt werden. Der Beitrag zeigt anhand aktueller Praxisbeispiele Einsatzmöglichkeiten zur schadfreien Untersuchung des Verpresszustands bestehender Brückenbauwerke. Insbesondere die Radiographie (Röntgen) hat dabei ihre Praxisrelevanz als direkt bildgebende, millimetergenaue Vermessung ermöglichende zerstörungsfreie Untersuchungsmethode erwiesen. Auch Ultraschall lässt sich in vielen Fällen zielführend zur Abschätzung des Verpresszustands einsetzen. In Kombination mit minimal-invasiven endoskopischen Eingriffen kann der Verpresszustand in der Regel gut bewertet werden. Das Potential der Methoden wird an Bauwerken aus ganz Deutschland mit unterschiedlichen Aufgabenstellungen erläutert. 1. Einführung Etwa zwei Drittel der großen Fernstraßenbrücken Deutschlands sind in Spannbetonbauweise mit nachträglichem Verbund errichtet. Der Großteil dieser Brücken wiederum wurde in der Hochzeit des Spannbetonbaus in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts erbaut [1], und erfährt Jahrzehnt für Jahrzehnt zunehmende Belastung durch Verkehr. Umso erstaunlicher ist es, dass die Qualität der Verpressung der Hüllrohre der allermeisten Brücken nie systematisch überprüft wurde, weder während der Herstellung noch im Zuge der Abnahme oder späterer Hauptprüfungen. Stets wurde eine - sehr einfache - Qualitätssicherung beim Einpressvorgang selbst als hinreichend für den Nachweis des Verpresserfolgs angesehen. Dabei können die Beprobung des Verpressmörtels, der gleichmäßige Austritt von Verpressmörtel an den Entlüftungsröhrchen sowie das Anlegen von Verpressprotokollen kaum als hinreichend betrachtet werden, um die „Black Box“ des Hüllrohrinnern ohne Weiteres als „vollständig verpresst“ zu bewerten. In der Praxis hatte (und hat immer noch? ) eine Vielzahl möglicher Faktoren einen Einfluss auf den tatsächlichen Verpresserfolg - Mörtelrezeptur, Geschwindigkeit des Einpressvorgangs, Beton-, Mörtel- und Lufttemperatur während der Verpressung, tatsächliche Lage von Einpress- und Entlüftungsöffnungen, tatsächliche Neigungen und Krümmungen im Spanngliedverlauf, Querschnitt des verwendeten Hüllrohrs, tatsächliche Lage der Litzen im Hüllrohr, usw. Eine systematische Nachprüfung der Verpressung von Spanngliedern erfolgt unserer Erfahrung nach grundsätzlich nur in drei Fällen: 1. Bei Auftreten von Schäden, deren Ursache in Verpressmängeln vermutet wird 2. Im Zuge von Rückbaumaßnahmen mit zeitlich begrenzten, besonderen Lastzuständen (z. B. freigeschnittene Kragarme) 3. Bei Umbau/ Nachrechnung/ Umnutzung Die Ambivalenz im Umgang mit Spannbeton (und mit Bauwerken im Allgemeinen) wird hier sehr deutlich: Einerseits wird, solange keine Schäden erkennbar sind, stets fehlerfreie Herstellung angenommen, andererseits wird man bei den Punkten 2 und 3 dann doch nervös und traut dem Bauwerk versteckte Mängel zu, die es zu überprüfen gilt. In den folgenden Praxisbeispielen werden Ansätze zur zerstörungsfreien bis -armen Bewertung des Verpresszustands von Spanngliedern an Bestandsbrücken vorgestellt. 2. Bildgebende Bauwerksdiagnostik per Radiographie und Ultraschall Radiographie bzw. Röntgen, Ultraschall und auch Endoskopie sind dem Laien als diagnostische Methoden aus der Medizin bekannt. Das Prinzip der Radiographie ist einfach und ähnelt sehr dem der klassischen Schwarz-Weiß-Fotografie, bei der ein Film belichtet wird und über Belichtungs-, d. h. Helligkeitsunterschiede ein für das menschliche Auge interpretierbares Kontrastbild entsteht. Beim medizinischen Röntgen entsteht dieser Helligkeitsunterschied durch die unterschiedliche Absorption der auf den Körper einfal- 184 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Untersuchung des Verpresszustands von Spannbetonbauten mit non- und minimal-invasiven Methoden lenden Strahlung, die insbesondere von der Dichte der „Einbauteile“ des menschlichen Körpers abhängt. So absorbieren z. B. Knochen mehr Strahlung als das umliegende Gewebe geringerer Dichte und es entsteht auf der Fotoplatte, dem Röntgenfilm bzw. dem digitalen Detektor ein Kontrastbild mit stärker und schwächer belichteten Bereichen, auf denen die Bestandteile des durchleuchteten Körperteils sichtbar werden. Das Prinzip ist dasselbe wie bei der Lichtbildfotografie, lediglich die genutzte Energie ist beim Röntgen deutlich höher, die Strahlung „härter“. Bei beiden Anwendungen werden elektromagnetische Wellen genutzt - aus dem Spektrum des sichtbaren Lichts bzw. aus dem mehrere Größenordnungen höhenergetischen Spektrum der Röntgenstrahlung. Abb. 1 zeigt ein einfaches Beispiel für den Einsatz von Röntgen bei der Untersuchung von Bauteilen. Aus dem Röntgenbild lassen sich alle Abmessungen, insbesondere die Durchmesser der eingebauten Bewehrung, ablesen. Abb. 1: Visualisierung der Bewehrung einer Rundstütze per Radiographie (Röntgen). Rechts das Bild mit der Röntgenröhre (orange) rechts von der Stütze und dem Detektor direkt links der Stütze; links das Röntgenbild des Stützenfußes mit sechs Vertikaleisen sowie der Wendelbewehrung Beim Ultraschallechoverfahren im Bauwesen werden an der Betonoberfläche elastische Wellenimpulse durch hochfrequentes Schwingen von Erregerprüfköpfen erzeugt. Diese Signale breiten sich im Beton gemäß physikalischen Gesetzen aus, werden an Grenzflächen zu Stoffen anderer akustischer Eigenschaften reflektiert und an Empfängerprüfköpfen aufgezeichnet (Impuls-Echo-Prinzip). An Grenzschichten zu Luft erfolgt dabei stets eine Totalreflexion, zu darunterliegenden Bauteilen/ Schichten kann keine Aussage getroffen werden. Über die Laufzeit des Signals kann bei bekannter Schallgeschwindigkeit die Entfernung zum Prüfkopf bestimmt werden. In Abhängigkeit des Zustandes von Oberfläche und Betonstruktur können Bauteile bis in Tiefen von ca. 100 - 150 cm untersucht werden. Bewehrung kann bei guten Randbedingungen bis in Tiefen von ca. 80 cm detektiert werden (ohne den Durchmesser feststellen zu können). Rückwände massiver Bauteile sind mit manuell einsetzbaren Messgeräten in Tiefen von bis zu ca. 250 cm detektierbar. Werden entlang einer Linie oder Fläche mehrere Signale erzeugt und empfangen, so kann mittels geeigneter Rekonstruktionsalgorithmen eine bildgebende Darstellung des Bauteilinnern erzeugt werden (vgl. Abb.-2). Abb. 2: Rekonstruktion eines horizontalen Wandquerschnitts per Ultraschall (exemplarische Abbildungen). Oben Ultraschallechomessung an Wandoberfläche, unten Ultraschallbild als rekonstruierter horizontaler Wandquerschnitt auf Planausschnitt. Der wesentliche Vorteil bei Einsatz der Röntgentechnik im Bauwesen: Die direkte Bildgebung ermöglicht dem fachkundigen Baubeteiligten einen direkten, ohne Auslegungsschwierigkeiten interpretierbaren Blick ins Bauwerksinnere. Wo bei Ultraschall- oder anderen Verfahren (z. B. Radar) der Auftraggeber auf die Interpretation durch den erfahrenen Bauwerksprüfer angewiesen ist, ist dies im Falle von Spanngliedern oder schlaffer Bewehrung an Bauwerken nicht erforderlich. Die Bilder sprechen für sich, ähnlich z. B. wie beim Menschen, bei dem auch der Patient selbst den Knochen(-bruch) auf dem Röntgenbild zu erkennen vermag. Der Nachteil der Röntgentechnik im Vergleich mit anderen Untersuchungsmethoden liegt in dem Erfordernis der beidseitigen Zugänglichkeit, handelt es sich doch um eine Durchstrahlungs- und keine Echoprüfung. 2.1 Bewertung des Verpresszustands an einer Brücke mit schadhaften Spanngliedern Während Ausbesserungsarbeiten an Längsträgern der Hochstraße Elbmarsch im Zuge der A7 in Hamburg wurden 2022 bauseits unverpresste Spannglieder mit Litzenbrüchen vorgefunden (Abb. 1). Die Brücke wurde Anfang der 1970er erbaut, die betroffenen Hüllrohre waren demnach seit 50 Jahren völlig unverfüllt. Infolge der Verpressmängel sind irgendwann in diesem Zeitraum dann auch die festgestellten Litzenbrüche entstanden. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 185 Untersuchung des Verpresszustands von Spannbetonbauten mit non- und minimal-invasiven Methoden Abb. 3: Bauzeitlich unverfülltes Spannglied mit weitgehend abgerostetem Hüllrohr und korrosiven, teils gebrochenen Spannlitzen, festgestellt im Zuge von Betonausbesserungsarbeiten 50 Jahre nach Bau der Brücke. Um den gesamten Schadensumfang zu erfassen und die nachträgliche Verpressung der Hüllrohre zu ermöglichen, war der Verpresszustand der Spannglieder zerstörungsfrei und minimal-invasiv zu erkunden. Zum Einsatz kamen die Methoden Ultraschall und Radiographie (Röntgen). Ergänzend wurden minimal-invasive endoskopische Untersuchungen durchgeführt. Abb. 4: Ultraschall- (links) und Röntgenuntersuchung (rechts; oben Detektorseite, unten Strahlerseite) am Brückenlängsträger Die Ultraschallbilder wurden hinsichtlich der Hüllrohrrückseite bewertet, die nur dann im Ultraschallbild sichtbar sein kann, wenn das Hüllrohr mörtelverfüllt ist (Abb.- 5). Anderenfalls würde das Signal von der Vorderseite des leeren Hüllrohr vollständig reflektiert werden. Dieser Ansatz funktioniert für relativ oberflächennah liegende Hüllrohre in erster Spanngliedlage, bei wenig Störanzeigen z. B. aufgrund von Betonbewehrung, und auch nur dann, wenn keine Ablösungen zwischen Verpressmörtel und Hüllrohr vorliegen. Abb. 5: Ausgewertetes Ultraschallbild der Messung aus Abb.-4 (senkrechte Messung an Steg hier horizontal dargestellt). Grün: Hüllrohrvorderseite; blau: Hüllrohrrückseite; rot: Bauteilrückseite, gelb gestrichelt: hintere/ zweite Spanngliedlage (nicht bewertbar). Abb.-5 zeigt ein Röntgenbild aus einem Bereich, in dem der Steg ca. 35 cm stark ist. Die eingesetzte Technik kommt hier an die Grenzen des technisch Möglichen, für die Durchstrahlung größerer Bauteilabmessungen wäre eine Röntgenröhre bzw. ein Beschleuniger mit höherer Energie erforderlich. Die Grauwerte des Bildes, d. h. die Belichtungsstärke außerhalb und (abseits der Litzen) innerhalb des Hüllrohrs sind ähnlich, was hier als Nachweis des verpressten Hüllrohrs ausreicht, da Mörtel und umliegender Beton in etwa dieselbe Schwächung der Strahlung bewirken. Ein unverpresstes Hüllrohr würde eine deutlich stärkere Belichtung, d. h. ein helleres Bild, aus dem Hüllrohrinnern zeichnen, da in diesem Falle keine Schwächung der Strahlung durch den Verpressmörtel auftreten würde. 186 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Untersuchung des Verpresszustands von Spannbetonbauten mit non- und minimal-invasiven Methoden Abb. 6: Exemplarisches Röntgenbild eines Spanngliedes aus dem Trägersteg mit ca. 35 cm durchstrahlter Bauteilstärke. Sichtbar ist das Hüllwellrohr mit tangential durchstrahlter Hüllrohrwandung sowie das Litzenbündel (einzelne Litzen nicht unterscheidbar) und die außerhalb des Hüllrohrs befindliche Betonstabbewehrung. Soweit möglich, wurde Ultraschall und Röntgen eingesetzt, um den Verpresszustand der Hüllrohre zerstörungsfrei zu untersuchen. War Röntgen nicht möglich und das Ultraschallbild nicht eindeutig, wurden ergänzend Endoskopien durchgeführt. Dafür wurde die Lage der Spannglieder per Ultraschall und Radar möglichst genau geortet und die Hüllrohre dann vorsichtig oberseitig angebohrt, um den Verpresszustand visuell zu überprüfen (Abb.-7). Abb. 7: Typische Ergebnisse der endoskopischen Untersuchung - links oberseitig angeschnittenes, vollverpresstes Hüllohr (Blick frontal in den Bohrkanal), rechts leeres Hüllrohr (Blick seitlich in das Hüllrohr nach Auf bohren des Hüllrohrs wie Abb.7 links). Insgesamt wurden an diesem Bauwerk ca. 300 Spannglieder untersucht. Festgestellt wurden zwei leere Spannglieder und vereinzelte nicht voll verpresste Spannglieder, das Gros der Hüllrohre wies jedoch keine Auffälligkeiten auf, so dass der Instandsetzungsaufwand in engen Grenzen gehalten werden konnte. 2.2 Zustandsuntersuchung als Vorbereitung der Planung von Verstärkungsmaßnahmen An einer dreifeldrigen Hohlkastenbrücke über die Agger in NRW sind Verstärkungsmaßnahmen vorgesehen. Dazu war neben der Überprüfung der Betonqualität (Druckfestigkeit) und des Planabgleichs der Lage der Quer- und Längsspannglieder auch die stichprobenartige Untersuchung des Verpresszustands der Hüllrohre von Interesse. Die Lageortung erfolgte auch hier mit Ultraschall, die zerstörungsfreie Einschätzung des Verpresszustands war aufgrund massiver Bauteilabmessungen (ungünstig für Röntgen) sowie Beton mit hohem Luftporenanteil und teilweise stark verwitterter Oberfläche (ungünstig für Ultraschall) schwierig, daher wurde vielerorts ausschließlich endoskopisch untersucht. Abb. 8: Brücke über die Agger Abb.-9 zeigt exemplarisch einige Ergebnisse der Sondierungen. Festgestellt wurden an etwa 20 % aller Untersuchungsstellen Verpressfehler unterschiedlichen Ausmaßes; vereinzelt waren Hüllrohre - zumindest im jeweils endoskopierten Bereich nahe der Hochpunkte des Spanngliedverlaufs - vollständig unverpresst und teilweise korrosiv (Abb.9 oben). An vielen Stellen entsprachen die Befunde Abb.-9 unten mit teilverfüllten Hüllrohren, bei denen davon auszugehen ist, dass die Hüllrohre weiter oben Richtung Hochlage noch geringer verfüllt oder unverfüllt vorliegen. Aufgrund der festgestellten Befunde wird das Untersuchungsprogramm zum Zeitpunkt der Abgabe dieses Manuskripts noch ausgeweitet. Vorgesehen sind weitere Öffnungen insbesondere der von den Seiten aus nicht zugänglichen Hüllrohre des Spanngliedpakets an den Hochpunkten der Spanngliedverläufe von der Straßenoberseite aus. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 187 Untersuchung des Verpresszustands von Spannbetonbauten mit non- und minimal-invasiven Methoden Abb. 9: stichprobenartig endoskopierte Hüllrohre (in seitlich zugänglichen Bereichen unterhalb des hier abgebildeten Schnitts der Hochlage) mit Ampelbewertung des Verpresszustands; exemplarische Endoskopien aus dem Hüllrohrinnern. 2.3 Hochauflösende Untersuchung des Verpresszustands An einer einfeldrigen Brücke mit schlanken Fertigteilträgern konnte die Radiographie eingesetzt werden (Abb.-10 und 11), es waren keine Eingriffe in die Brückensubstanz zur Bewertung des Verpresszustands erforderlich. Abb. 10: Brücke über den Illerkanal; Längsschnitt mit Lage der unten abgebildeten Röntgenbilder Abb. 11: oben mobile Röntgenkontrollstation; unten Anordnung Röntgenröhre (hinten) und Detektor (vorne, zwischen Rohrleitungen und Steg) Der Steg weist eine Stärke von lediglich 14 cm auf, wodurch eine extrem hochauflösende Röntgenaufnahme des Bauteilinnern möglich wird, vgl. folgende Abbildungen. Sichtbar sind die Hüllrohrwindungen nicht nur im tangentialen Anschnitt, sondern umlaufend, außerdem sind die Litzen teilweise unterscheidbar, und selbst der Befestigungsdraht des Bewehrungskorbes (unter- 2 mm Durchmesser) und die Rippung des bauzeitlichen Tor- Rippenstahls sind deutlich erkennbar. Die vollständige Verfüllung der Hüllrohre ist eindeutig feststellbar, selbst eine augenscheinliche Kaltfuge oder Versackung im Verpressmörtel (welche mutmaßlich keinen Einfluss auf Dauerhaftigkeit und Kraftschlüssigkeit hat) ist sichtbar. 188 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Untersuchung des Verpresszustands von Spannbetonbauten mit non- und minimal-invasiven Methoden In den Röntgenbildern ist außerdem deutlich die Kornstruktur des Betons erkennbar. Abb. 12: Röntgenbilder der Spannglieder (vgl. Lage in Abb.-10). Abb. 13: Vergrößerte Details aus Abb.-12: Hüllrohr und Befestigungsbügel; Kaltfuge/ Versackung im Verpressmörtel unterhalb des Litzenbündels 3. Fazit und Ausblick Insbesondere die Radiographie zeigt anhand der hier vorgestellten Praxisbeispiele eindrucksvoll ihr Potential für die Bauwerksuntersuchung, speziell für den Blick ins Innere von Spanngliedern, der ansonsten mit so hoher Aussagefähigkeit zerstörungsfrei nicht möglich ist. Zwar kann das Ultraschallverfahren in einigen Fällen bei der Bewertung des Verpresszustands helfen, aber nur per endoskopischer Sichtprüfung ist ansonsten eine gesicherte Aussage möglich - wobei auch dies stets nur für den einen Öffnungspunkt gilt, an anderen Stellen des Spanngliedverlaufs, besonders in den teils schwer zugänglichen Hochlagen oder im Bereich von Verankerungen, kann ein anderer Verpresszustand vorliegen. Um künftig auch massivere Bauteile als die bisher möglichen ca. 35 cm bildgebend durchstrahlen zu können, laufen aktuell Machbarkeitsstudien zum Einsatz von 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 189 Untersuchung des Verpresszustands von Spannbetonbauten mit non- und minimal-invasiven Methoden Elektronenbeschleunigern mit hohen Beschleunigungsenergien. Erste Ergebnisse bei der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) in Berlin deuten auf einen Einsatzbereich von bis zu etwa 80 cm Bauteilstärke hin (Abb.-14). Damit wären dann auch massivere Konstruktionen (breite Hohlkastenstege, dünne bis mittlere Plattenbalken) untersuchbar, insbesondere auch in ggf. relevanten Verankerungsbereichen. Abb. 14: Röntgenbild der Verankerung eines Spannankers mit Gesamtbauteilstärke von 77 cm (zusammengesetzte Laborprobekörper) Literatur [1] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS): Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie), Mai 2011 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 191 Automatisierte Zustandserfassung mittels multivariater Inspektionssysteme und Drohnen - Stand der Entwicklung Dipl.-Ing. Dirk Münzner BuP. Boll Beraten und Planen Ingenieurgesellschaft mbH & Co. KG, Stuttgart Dominik Thomas, M. Sc. Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg Zusammenfassung Die Herausforderungen beim Erhalt bestehender Infrastrukturbauwerke steigen enorm. Das MISDRO-Projekt hat sich daher zur Aufgabe genommen, die Ingenieure bei Erfassung und Bewertung entscheidend zu entlasten sowie gleichzeitig die Möglichkeiten der Bewertung zu erhöhen. Dadurch wird dem Ingenieur die Möglichkeit gegeben, die Bewertung schneller und fundierter durchzuführen und zu dokumentieren. 1. Motivation und Team 1.1 Motivation Bei der vorhandenen Verkehrsinfrastruktur und hier insbesondere bei Ingenieurbauwerken wie Brücken ergibt sich eine immer größer werdende Lücke zwischen den personell, monetär und technisch möglichen Rahmen und den dringend notwendigen Maßnahmen zur Erhaltung. Die gesetzlich vorgegebene Überprüfung des Ist-Zustandes des Brückenbauwerks hinsichtlich Standsicherheit und verkehrssicherer Nutzung orientiert sich methodisch noch an den bewährten technischen Möglichkeiten des vergangenen Jahrhunderts, auch wenn der Vorentwurf der neuen DIN 1076 mittlerweile vorliegt. Geschultes Personal und Experten untersuchen das Bauwerk, dokumentieren Schäden, erstellen Berichte und werten diese aus - ein Prozedere, das sich bisher an Bauwerken mit wenig Schäden und einem gutem oder befriedigenden Gesamtzustand orientieren konnte. Mit der gleichzeitigen Annäherung vieler tausender Brückenbauwerke, die zwischen 1950 und 1980 erbaut wurden, an den Mindestsollzustand und dem damit verbundenen massiven Anstieg von zu dokumentierenden Schäden und Bewertungskriterien, stößt die bisherige Methodik an ihre Grenzen. Gleichzeitig nimmt die Personaldecke der erforderlichen Experten, wie in vielen anderen Fachbereichen, ebenfalls ab. Das Projekt „MISDRO“ verfolgt das Ziel, die Prozesse der Zustandserfassung auf Basis der neuen technischen Möglichkeiten durch Drohnen, Sensorik, Digitalisierung und KI neu zu denken und die Zustandserfassung nicht nur zu beschleunigen, sondern auch inhaltlich wesentlich zu verbessern. Der Einsatz innovativer Technik, um bequemer zu besseren Ergebnissen zu kommen, soll auch einen Motivationsschub auslösen, um junge Ingenieure als Nachwuchs für die Sicherstellung des Betriebs alternder Brücken zu gewinnen. 1.2 Team Das MISDRO- Konsortium wird von Prof.- Dr. Gündel vom der Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg, Lehrstuhl für Stahlbau und Stahlwasserbau und seinen Mitarbeitern geleitet. Die Professur für Regelungstechnik der Helmut-Schmidt-Universität, BuP. Boll Beraten und Planen, Emqopter, Synergeticon und Wölfel Engineering sind als Konsortialpartner beteiligt. Den Mitgliedern des Konsortiums sind verschiedene Arbeitspakete zugeteilt, welche im Wesentlichen den folgenden Umfang beinhalten: Das Arbeitspaket (AP) 1 beinhaltet die Analyse und Definition der Anforderungen an ein Inspektionssystem, die sich aus den Inspektionsrichtlinien der Infrastrukturbetreiber von Wasserbauten, Straßen- und Eisenbahnbrücken ergeben. Die ermittelten Anforderungen fließen ein in das AP 2, in dem ein eigenes Drohnensystem speziell für die Bauwerksprüfung entwickelt wird. Parallel dazu behandelt das AP 3 die Zustandsanalyse mittels kontaktloser, zerstörungsfreier Prüfverfahren und Entwicklung von KI-basierten Algorithmen für eine automatische, objektive Bewertung der Bauwerksdefekte. Schlussendlich geschieht die Gesamtintegration in das AP 4, in dem das System in der Praxis erprobt wird. Der Konsortialpartner BuP. Boll Beraten und Planen verfügt über eine langjährige Erfahrung im Bereich Bauwerksprüfung, Drohnenbefliegung und BIM und konnte diese Expertise in das MISDRO Projekt einbringen. Daher werden vornehmlich die Themenbereiche, wie vorgezogene Testbefliegung, BIM und Auswertung, nachfolgend schwerpunktmäßig erläutert. 2. Konzept „MISDRO“ 2.1 Ziele Wie bereits im Abschnitt „Motivation“ beschrieben, soll sich der Ingenieur zukünftig stärker auf die Bewertung eines Bauwerkes fokussieren können und von bisher er- 192 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Automatisierte Zustandserfassung mittels multivariater Inspektionssysteme und Drohnen - Stand der Entwicklung forderlichen Tätigkeiten, wie Organisation und Betrieb von Höhenzugangsgeräten, Aufnahme und spätere Verortung von Fotos, Schreiben von Berichten und Bewertungen, entlastet werden. 2.2 Darstellung bisheriger Methoden Bisherige Inspektionsansätze gehen von dem Erfordernis einer „handnahen Prüfung“ aus. Dies ist technisch richtig und bewährt, denn nur so kann das mögliche Spektrum an Schäden geprüft und erkannt werden. Gleichzeitig ist die Methode, einen Menschen an alle möglichen Schadstellen eines Bauwerks zu befördern und ihm dort eine Prüfung sowie Dokumentation mittels Fotos und Klemmbrett zu ermöglichen, sehr aufwändig - und somit ineffizient. In diesem hohen Aufwand und der heterogenen, subjektiven Dokumentations- und Bewertungsstrategie liegt die Problematik begründet, nur geringe Intervalle der Prüfung fahren zu können und somit die Verschlechterung des Zustandes bei Annäherung an den Mindestsollzustand nur schwer abschätzen zu können. 2.3 Neue Methodologie Das MISDRO- Projekt möchte nicht die bestehenden Ansätze durch neue Technik graduell verbessern, sondern den gesamten Inspektionsprozess disruptiv neu entwickeln. Hierfür werden die folgenden innovativen und technischen Ansätze verfolgt: - Datenerfassung mittels automatisiert agierender Flugsysteme (UAS) • Flugwegplanung zur Erfassung relevanter Bereiche • Kollisionserkennung • Verortung - Sensorik • Hochauflösende RGB- Kameras • Hyperspektralkameras • Wärmebildkameras • LIDAR - Auswertung • Erkennung von Schäden mit Künstlicher Intelligenz • Bewertung und Verortung der Schäden an einem Digitalen Zwilling - Kombination mit anderen Erfassungssystemen • Integration bisheriger Daten, z. B. aus SIB- Bauwerken • Synthese mit Daten aus SHM- Systemen (Structural- Health- Management, z. B. über Variation von Bauwerksschwingungen) 3. Stand der Umsetzung 3.1 Durchführung von Testbefliegungen Zur Schaffung von Grundlagen für die automatisierte Flugwegplanung und Auslegung des Trägersystems und die Auswertung wurden zunächst manuell geplante Befliegungen mit kommerziellen Systemen durchgeführt. Abb. 1: Befliegung einer Eisenbahnbrücke Diese „Testbefliegungen“ haben dem Team frühzeitig einen hohen Erkenntnisgewinn für die späteren Entwicklungen ermöglicht und die teilweisen Lücken zwischen Konzept und Realität aufgezeigt: - Regularien / Luftraumbeschränkung - Durch bestehende Beschränkungen ist der Betrieb von UAS in der Nähe von Infrastrukturbauwerken richtigerweise eingeschränkt. Einem engagierten Projektteam gelang es vielfach trotz hohem Vorlauf ebenfalls nicht, entsprechende zusätzliche Genehmigungen zu erlangen. Abb. 2: Einschränkung Genehmigungsverfahren - Erfassbare Bereiche Die Kombination aus Mindestabstand/ UAS- Abmessungen und der vielfach sehr komplexen Oberfläche von Fachwerkbrücken, ergeben starke Einschränkungen an erfassbaren Bereichen. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 193 Automatisierte Zustandserfassung mittels multivariater Inspektionssysteme und Drohnen - Stand der Entwicklung Abb. 3: Einschränkung bei der Erfassung mittels Kamera- Sensorik - Verortung Die erforderliche Genauigkeit der Verortung eines Schadens ist über die Verortung der Drohne selbst über RTK nicht realisierbar - hinzu kommen vielfach Verschattungseffekte, z. B. unter dem Bauwerk. - Sensorik Die Möglichkeit, Schäden zu detektieren, korreliert in hohem Maße mit der Qualität der von der Drohne aufgenommenen Fotos. Diese sind in Bezug auf Belichtung/ Verschattung, Gegenlicht ebenfalls höchst anspruchsvoll und nicht mit den Anforderungen z. B. an normale Geländeerfassungen zu vergleichen. Die eingesetzten Hyperspektralsysteme müssen regelmäßig auf die veränderten Belichtungssituationen neu kalibriert werden. Abb. 4: Problematik RGB- Sensorik 3.2 Auswertungsmethodik Für die Auswertung wurde ein mehrstufiges Verfahren entwickelt. Ziele dieses Verfahrens sind: 1. Serienaufnahme 2. Schaden auf Bild erkennen und markieren (Segmentation) 3. Transfer des Schadens als 2D- Bildinformation in ein 3D- Objekt mittels Photogrammmetrie 4. Darstellung am Digitalen Zwilling Abb. 5: Auswertungsmethodik mittels Photogrammmetrie 3.3 Digitaler Zwilling Für die Befliegungsplanung sowie Analyse und Darstellung der Bauwerksprüfung wird auf die Modellierung durch digitale Zwillinge zurückgegriffen. Für das Building Information Modeling (BIM) von Inspektionen und deren Darstellungen existieren bisher keine standardisierten Richtlinien, weshalb eine eigene interne Richtlinie eingeführt wurde. Als Grundlage wurde als Level of Information 200 ausgewählt, wobei jedoch Verbindungsmittel wie Schrauben, Nieten, Schweißnähte und Seile für die Inspektion von besonderem Interesse sind und daher ebenfalls modelliert wurden. Zusätzlich sind die BIM-Modelle georeferenziert. Durch die aktuell bekannte Position und Orientierung der Sensorik ist es möglich, Bildpixel einen Punkt im BIM-Modell zuzuordnen und darüber weitere Bauwerksinformationen zu laden. Zudem ermöglicht es, die Lidar-Punktwolke des Drohnensystems mit dem BIM-Modell zu überlagern und as-planned und as-built-Zustände zu vergleichen. Zusätzlich wird die 3D-Geometrie für die automatische Befliegungsplanung und im Anschluss für die Analyse und Darstellung der Inspektionsergebnisse genutzt. Für die Modellierung wurde von BuP. Boll Beraten und Planen auf historische Bauwerkspläne und Photogrammetrische Aufnahmen aus eigenen Drohnenbefliegungen zurückgegriffen. 3.4 Trägersystem Als Trägersystem wurde von der Firma Emqopter GmbH eine Inspektionsdrohne entwickelt, die in komplexen Umgebungen in Stahl-Fachwerken eingesetzt werden kann und Aufnahmen ober- und unterhalb von Trägern vornehmen kann. Hierzu wurde ein Fokus auf möglichst geringe Abmessungen der Drohne und ein C-Bügel entwickelt, der auf einer Seite ein Lidar für die Positionsbestimmung benutzt, während auf der anderen Seite je nach aktueller Inspektionsaufgabe die notwendige Sensorik installiert ist. Das System ist Plug&Play-basiert, sodass bei einer Befliegungsunterbrechung die Sensorik und die Speichermedien schnell gewechselt werden kann. Eine Live- Übertragung der Sensorik findet, aufgrund der entstehenden Datenmenge, nur bedingt statt. Durch die zentrale Positionierung der Sensorik bleibt der Schwerpunkt in der Mitte der Drohne erhalten und unterstützt einen stabilen Flug. Das System wiegt mit 10 Ah-Akkupack und Sensorik ca. 12,5 kg. Im Regelfall ist die Drohne während der Inspektion in einem größeren Abstand zum Bauwerk 194 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Automatisierte Zustandserfassung mittels multivariater Inspektionssysteme und Drohnen - Stand der Entwicklung (~10 m) unterwegs. Lediglich auffällige oder sonst nicht erreichbare Bereiche werden aus der Nähe aufgenommen. Der Flugpfad wird automatisch mit einem Algorithmus der Professur für Regelungstechnik der Helmut-Schmidt- Universität Hamburg aus aufgenommenen Lidardaten berechnet. Hierbei fließen die Flächenorientierungen, bereits bekannte Bauwerksschäden und aktuelle Verdachtsfälle in die Flugplanung ein. Die Drohne fliegt teilautonom, sodass ein Pilot lediglich in Gefahrensituationen intervenieren muss. Der Pilot selbst muss kein Bauwerksprüfer sein. Die aufgenommenen Daten werden vor Ort voranalysiert und auffällige Bereiche werden markiert, und mit zusätzlicher Sensorik genauer inspiziert. Abb. 3: Berechneter Flugpfad aus Lidardaten eines Fachwerkträgers Die Befliegungen finden je nach Bauwerk an stark frequentierten Verkehrsachsen und in Naturschutz gebieten statt. Die Piloten sind besitzen deshalb einen EU-Fernpiloten-Zeugnis A2 und müssen ihre Befähigung durch regelmäßige Befliegungen nachweisen. Abb. 6: Misdro-Drohne mit C-Bügel und Sensorik in Top-Konfiguration für die Inspektion von Fahrbahnunterseiten. 3.5 Sensorik Die eingesetzte Sensorik sollte für den Drohneneinsatz ein möglichst geringes Gewicht, geringe Abmessungen, niedrige Energieaufnahme und scharfe Aufnahmen, trotz Vibrationen des Trägersystems, liefern. Aufgrund der Distanz zum Bauwerk sind viele der standardmäßig eingesetzten zerstörungsfreien Prüfverfahren der Bauwerksprüfung nicht anwendbar. Nach einer umfassenden Marktrecherche wurden klassische (RGB-)-Kameras, Wärmebildkameras, Lidar und Hyperspektralkameras als geeignete Verfahren ausgewählt. Hauptanwendungsgebiet des Lidar ist die Detektion von Geometrieveränderungen, während die Wärmebildkamera für die Detektion loser Verbindungen eingesetzt wird, und die Hyperspektralkamera Vegetation, Feuchtigkeit und Korrosion erkennt. Beschichtungsschäden, Ermüdungsrisse und weitere Veränderungen werden per RGB- Kamera aufgenommen. Hyperspektralkameras nehmen anstatt der Farbkanäle Rot, Grün, Blau standardmäßig eingesetzter RGB-Kameras, eine Vielzahl weiterer Wellenlängenbereiche auf, wodurch das materialabhängige Reflexionsspektrum einer Oberfläche analysiert und Veränderungen verfolgt werden können [1]. Für die Reflexionsmessung ist eine vorherige Kalibrierung mit einem Weißlichtreferenztarget notwendig, um die Belichtungssituation am Bauwerk aufzunehmen. Im MISDRO-Projekt wird eine Ultris X20 Plus-Hyperspektralkamera eingesetzt, die im Bereich von 350 bis 1000 nm unterteilt in 164 Wellenlängenbereichen aufnimmt. Eine Aufnahme hat dabei 640x640 räumliche Pixel. Zusätzlich wird ein hochaufgelöstes 1886x1886-Graustufenbild aufgenommen, mit dem die niedriger aufgelöste Hyperspektralaufnahme via “Pansharpening” hochskaliert wird. Die Größe einer Hyperspektralaufnahme beträgt 21 MB. Der Großteil der Befliegungen findet mit hochaufgelösten Vollformatkameras und einem Objektiv mit 50 mm Festbrennweite statt. Die aufgenommenen Bilder ähneln somit am meisten dem, was das menschliche Auge sieht, und künstliche Bildverzerrungen sind auf ein Minimum reduziert. Abb. 7: Hyperspektralaufnahme korrodierter Flächen an einer Brücke. Links: Falschfarbenaufnahme der Hyperspektralkamera Rechts: Per Algorithmus segmentierte Pixel die mit dem Reflexionsspektrum von Eisenkorrosion korrelieren. Die Aufnahmen werden mit KI-basierten Algorithmen segmentiert, wobei für jede Schadensart Feuchtigkeit, Biota, Beschichtungsschaden, Korrosion, Ermüdungsriss und Verformung eigene Detektionsalgorithmen eingesetzt werden. Für das Training der Algorithmen wird ein Datensatz gesammelt und manuell annotiert. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 195 Automatisierte Zustandserfassung mittels multivariater Inspektionssysteme und Drohnen - Stand der Entwicklung 3.6 Dokumentationssystem Für das Dokumentationssystem wurde der Fokus auf eine aktuelle BIM-basierte Dokumentation gerichtet, die eine genaue Schadensverortung auf dem Bauwerk erlaubt und von der Firma Synergeticon GmbH umgesetzt wird. Hierdurch können gleichzeitig die Informationen aus dem Digitalen Zwilling, wie Geometrien, Materialien, verwendeter Korrosionsschutz, genutzt werden. Die Inspektionen werden analog wie bisher als entsprechende Besichtigung, Einfachprüfung, Hauptprüfung, Objektspezifische Schadensanalyse abgelegt und jeder Defekt beinhaltet eine Zuordnung zu den Schadensbeispielen nach RI-EBW-PRÜF und eine entsprechende automatische Bewertung. Die Zustandsnote kann bei Bedarf vom Bauwerksprüfer angepasst werden. Zusätzlich ist jeder Schaden am Bauwerk verortet und es können Aufnahmen aus unterschiedlichem Blickwinkel angesehen, sowie Veränderungen über mehrere Inspektionen hinweg verfolgt werden. Ist eine Inspektion abgeschlossen, kann diese nicht mehr verändert werden. Abb. 8: Übersicht Dokumentationssystem Abb. 9: Auswertung Dokumentationssystem Zusätzliche Schnittstellen erlauben den Datenimport und -export, sodass historische Bauwerksdaten und -prüfungen aus SIB-Bauwerke geladen und verglichen, sowie die Daten abgeschlossener Inspektionen wieder abgelegt werden können. Auch die Verknüpfung der Daten mit Monitoring-Systemen wird hierdurch ermäßigt. Abb. 10: Dokumentationssystem mit BIM-Modell und georeferenzierten Schäden. 3.7 Zwischenfazit Aktuell ist das entwickelte System in Arbeitspaket 4, der Gesamtintegration aller entwickelten Untersysteme. Historische Bauwerksprüfungen sind im Dokumentationssystem mit BIM-Modell integriert und werden für die Flugpfadplanung genutzt. Da für das entwickelte Trägersystem noch keine Fluggenehmigung vorliegt, werden Befliegungen mit einer Sondergenehmigung mit einem handelsüblichen Trägersystem durchgeführt. Die ausgewählte Sensorik wurde dafür teilweise auf dem anderen Trägersystem montiert und an realen Bauwerken getestet. Mit den aufgenommenen Daten wurde ein Trainingsdatensatz zum Anlernen von KI-Segmentierungsalgorithmen entwickelt. Für eine genaue Evaluation des Systems werden aktuell mehrere Versuchsreihen durchgeführt und zusätzlich die Systeme im Fluglabor der Professur für Regelungstechnik der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg getestet. 4. Ausblick 4.1 Umfangreiche Datenerhebung - „Lernen“ Schwerpunkt der anstehenden Phasen ist die umfangreiche Erhebung von Daten. In allen Bereichen des Processings, von der Bild Sensorik bis hin zur Segmentierung von Bildern, ist eine möglichst umfangreiche Datengrundlage erforderlich: - Sensorik: Welches Setup an Kamera, Bildfiltern, Belichtungs-Verhältnissen und Aufnahmewinkeln ermöglicht optimale Bildaufnahmen, das sowohl für die Photogrammetrische wie auch die Segmentierung bzgl. Schäden geeignet sind. - Auswertung: Kategorisierung von Bildmaterial, Segmentierung, Beispielaufnahme Segmentierung/ Klassifizierung/ Training mit Roboflow 196 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Automatisierte Zustandserfassung mittels multivariater Inspektionssysteme und Drohnen - Stand der Entwicklung Abb. 11: Training auf Basis von gelabelten Daten - Optimierung der Flugpfadberechnung: Maximierung des Flächendurchsatz für die Sensorik durch Minimierung des Energieverbrauchs pro Flug 5. „Ingenieurmäßiges Denken“ implementieren Technisch erscheint es möglich, über entsprechende Erfassungssysteme die Oberfläche eines Brückenbauwerks zu 100 % mit der erforderlichen Auflösung von ca. 0,1 mm abzubilden. Der hierfür erforderliche Aufwand ist aber zunächst ähnlich oder höher als bei der handnahen Prüfung - welche eigentlich ersetzt werden sollte. Es scheint also geboten, dem System mehr „ingenieurmäßiges Denken“ beizubringen, dies kann bereits in der Erfassung durch eine mehrstufige Granularität erreicht werden, d. h. > untersuche vor allem Bereiche: - in denen bei ähnlichen Konstruktionen häufig Schäden auftreten - in denen durch Verfärbungen, Spektralsignaturen, weitere Indikatoren Verdachtsmomente vorliegen - in welchen Vorschäden am digitalen Zwilling bekannt sind Um dieses „Verständnis“ auf bauen zu können, muss das System über eine Ontologie ein Bauwerk verstehen können und per KI die richtigen Entscheidungen treffen. - Fachwerkträger, Feldbereich: • Vorwiegend auf zug-druck beanspruchtes Bauteil • durch Ausführungsart wenig anfällig für Korrosion durch Feuchtigkeit • keine Auffälligkeiten durch Rostfahnen oder Abplatzungen • >> Granularität 1 ausreichend - Genieteter Fachwerkknoten • Durch Exzentrizitäten außerplanmäßige Momente möglich • Fachwerkknoten in Auflagernähe, hohe Auslastung zu vermuten • Bauartbedingte Staunässe möglich • Verfärbungen und Abplatzungen erkennbar • >> Granularität erhöhen, Verlust an Materialstärke oder Risse erkennbar? >> Im einsehbaren Bereich Abplatzungen, Bereich für handnahe Prüfung vorsehen. Abb. 12: Unterstützung bei der Brückenprüfung mittels ChatBot unter Einbeziehung ergänzender Datenquellen (RAG) Literatur [1] Thomas, D. und Gündel, M. (2023), Hyperspectral imaging systems for corrosion detection from remotely operated vehicles. ce/ papers, 6: 934-938. https: / / doi.org/ 10.1002/ cepa.2132 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 197 Berührungsloses Profilscanning (PLS) für den Einsatz bei Belastungsversuchen Prof. Dr.-Ing. Florian Schill Hochschule Mainz, i3mainz, Institut für Raumbezogene Informations- und Messtechnik Dr.-Ing. Gregor Schacht Marx Krontal Partner GmbH, Dresden Dipl.-Ing. Torsten Harke Marx Krontal Partner GmbH, Weimar Zusammenfassung Die Verkehrsinfrastruktur ist in die Jahre gekommen. Der heutige Zustand ist auf eine Kombination aus Alterung und damit einhergehender fortschreitender Schädigung bei weiter steigendem Verkehrsaufkommen zurückzuführen. Aber auch neuere Brücken können bereits erhebliche fertigungsbedingte Schäden aufweisen. Das Erhaltungsmanagement des Brückenbestandes gewinnt daher zunehmend an Bedeutung. Häufig fehlen jedoch aktuelle Informationen über den tatsächlichen Zustand der Bauwerke. Dies liegt daran, dass der Einsatz konventioneller taktiler Sensoren sehr zeit- und personalintensiv ist. Zudem können aufgrund der Messprinzipien nur an wenigen ausgewählten Stellen Messungen durchgeführt werden. In der Kombination dieser Probleme liegt das große Potenzial für den Einsatz des berührungslosen Profilscannings (PLS) an Brückenbauwerken. Dabei wird das Tragwerk mit einem Laserstrahl hochfrequent abgetastet, ohne dass es betreten werden muss. Durch die so sehr effizient gewonnenen räumlich verteilten Verschiebungsmessungen kann eine deutlich höhere räumliche Informationsdichte am Bauwerk erreicht werden, als dies bisher möglich war. 1. Einführung Vor dem Hintergrund einer alternden Infrastruktur und dem deutlichen Trend zu schnelleren Zügen, höheren Streckenauslastungen und zunehmendem Güterverkehr auf der Straße wird immer häufiger über den schlechten Zustand der Verkehrsinfrastruktur, über marode Brücken und die Probleme von Stahl- oder Spannbetonbrücken aus den 1960er und 1970er Jahren berichtet. Eher selten wird über Schäden an neueren Brückenbauwerken berichtet [1], da die Planungs- und Ausführungsqualität sowie die Prüfung und Überwachung i. A. eine entsprechende Qualität sicherstellen sollten. Um das gesamte Spektrum abzudecken, werden im Folgenden zwei völlig unterschiedliche Bauwerke betrachtet: Eine Autobahnbrücke aus den 60er Jahren, die durch den enormen Güterverkehr auf der Brennerautobahn und den Ausbau auf 3 Fahrspuren pro Richtung im Prinzip ihr Lebensende erreicht hat. Und eine wenige Jahre alte Eisenbahnbrücke, die aufgrund von Herstellungsfehlern bereits massive Schäden aufweist. Beiden Bauwerken ist gemeinsam, dass die Zustandsbeurteilung bestehender Brücken zunehmend zu einer Herausforderung wird, wenn wichtige Entscheidungen über kostenintensive Ersatz- oder Sanierungsmaßnahmen getroffen werden müssen, insbesondere wenn diese bereits nach wenigen Jahren erforderlich werden. In diesem Zusammenhang ist die genaue Kenntnis des tatsächlichen Tragverhaltens ein wertvolles Instrument zur Zustandsbewertung, das in vielen Fällen zu einer Verlängerung der Restlebensdauer und damit zu erheblichen Vorteilen für die Brückeneigentümer und die Gesellschaft führen kann. Das tatsächliche Tragverhalten wird in der Regel durch experimentelle Untersuchungen ermittelt, die Messungen von Beschleunigungen, Geschwindigkeiten, Dehnungen, Neigungen oder Temperaturen umfassen können [2-4]. Darüber hinaus werden Wegmessungen auf der Basis linearer Wegaufnehmer (LVDT) eingesetzt, um relative Verschiebungen an Auflagern [2], zwischen benachbarten Überbauten derselben Brücke [5] oder die Breite vorhandener Risse zu ermitteln. Diese Art der Verschiebungsmessung ist prinzipiell möglich, da ein fester Referenzpunkt für die Installation des Sensors verwendet werden kann. Ein weiterer wichtiger Parameter des Tragverhaltens wäre die absolute vertikale Verschiebung der Brücke. Diese kann direkte Informationen über die tatsächliche Steifigkeit des Tragwerks liefern, die wiederum in den Aktualisierungsprozess des Tragwerksmodells einfließen können [6, 7]. Die direkte Messung absoluter Verschiebungen mit klassischen LVDTs ist jedoch in der Regel zumindest sehr aufwendig, wenn nicht sogar unmöglich, da feste Referenzpunkte fehlen [4] bzw. die Brücke einfach zu hoch ist. Um diese Lücke zu schließen, wurden in den letzten Jahren bemerkenswerte Fortschritte auf dem Gebiet der berührungslosen Verschiebungsmessung erzielt. Entsprechende Sensoren ermöglichen die Messung von Bauwerksverschiebungen, ohne dass Sensoren am Bauwerk angebracht werden müssen. 198 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Berührungsloses Profilscanning (PLS) für den Einsatz bei Belastungsversuchen Geeignete Technologien für berührungslose Verschiebungsmessungen sind z. B. das terrestrische Laserscanning (TLS) [8, 9, 10, 11, 12], die Laservibrometrie [13, 14], bildgestützte Totalstationen [15], und die Mikrowelleninterferometrie [10, 16, 17, 18]. Im Vergleich zu anderen berührungslosen Messtechniken, die nur Messungen an einem Punkt erlauben, können mit TLS oder Profillaserscannern (PLS) zusätzlich räumlich verteilte Messungen durchgeführt werden. Die räumliche Auflösung bietet den großen Vorteil, dass größere Bereiche der Struktur mit nur einem Sensor überwacht werden können, was ein tieferes Verständnis der Strukturantwort auf effiziente Weise ermöglicht. Bevor in Abschnitt 3 näher auf das terrestrische Laserscanning (TLS) und insbesondere auf dessen Einsatz als PLS für dynamische bzw. statische Belastungstests eingegangen wird, werden in Abschnitt-2 die beiden untersuchten Brücken vorgestellt. 2. Brücken und Belastungstests Wie in Abschnitt 1 erwähnt, werden im Folgenden Belastungsversuche an zwei recht unterschiedlichen Brücken vorgestellt, die in diesem Abschnitt zunächst näher betrachtet werden sollen. 2.1 Autobahnbrücke Die österreichische Brennerautobahn ist Teil der Europastraße E45, die Europa in Nord-Süd-Richtung von Nordfinnland bis Süditalien durchquert. Die Alpenüberquerung in Österreich ist ein wichtiger Teil der Strecke und auch für den grenzüberschreitenden Güterverkehr in Europa von entscheidender Bedeutung. Die Autobahnstrecke über die Alpen wurde hauptsächlich in den 1960er Jahren gebaut, und in dieser Zeit wurde auch die untersuchte Brücke errichtet. Abb. 1: Ansicht der Autobahnbrücke: Feld 7 Ursprünglich war die Brücke für zwei Fahrspuren je Fahrtrichtung ausgelegt, aufgrund des zunehmenden Verkehrsaufkommens wurde in den 1980er Jahren eine dritte Fahrspur eingerichtet. Die grundlegende Tragstruktur der Brücke blieb im Laufe der Jahre im Wesentlichen unverändert. Als wichtiger Bestandteil einer europäischen Transitroute muss das Bauwerk daher sorgfältig überwacht werden. Das Bauwerk selbst besteht aus einer Stahl-Beton-Verbundkonstruktion und ist als 7-feldiger Durchlaufträger ausgebildet, wobei die äußeren Felder eine Länge von 70-m und alle anderen Felder eine Länge von 84 m aufweisen. Die Gesamtlänge beträgt somit 560-m. Teil dieser Überwachungsstrategie war ein Belastungstest, der im Mai 2023 durchgeführt wurde. Dabei wurde eine Fahrtrichtung der Autobahnbrücke temporär gesperrt, um zwei Lkw mit einem Gewicht von jeweils 50-Tonnen auf der Brücke zu platzieren und so verschiedene Belastungsszenarien zu erzeugen. Zusätzlich wurden auch noch vier quasi-statische Versuche durchgeführt, Die Profilscannermessungen konzentrierten sich auf das Äußerste Feld (Feld 7) neben dem südlichen Brückenlager, wie in Abbildung 1 dargestellt. Neben dem Profilscanner kamen 3D-TLS [19, 20, 21], faseroptische Sensoren [19, 21, 22], dynamisch und statisch messende Totalstationen [19, 20, 23], ein terrestrisches Mikrowelleninterferometer, modulare Digitalkamera-Tachymeter [24], GNSS [21] und Beschleunigungssensoren [21] zum Einsatz. 2.2 Eisenbahnbrücke Bei der Eisenbahnbrücke handelt es sich um eine 370-m lange zweigleisige Eisenbahnüberführung, die als Bogenbrücke ausgeführt wurde. Die längste Spannweite beträgt 165-m. Das Gleis liegt bis zu 71 m über der Talsohle und ist im Bauwerksbereich bei einer Entwurfsgeschwindigkeit von 300-km/ h gerade, siehe Abbildung-2. Abb. 2: Ansicht der Eisenbahnbrücke Das Brückenbauwerk steht erst seit wenigen Jahren unter Verkehr und weist bereits erhebliche, herstellungsbedingte Schäden auf. Im Zuge der Bauwerksprüfung wurden zunächst Gefügestörungen und Betonabplatzungen erkannt und entsprechende Instandsetzungsmaßnahmen geplant. Bei der Instandsetzung stellte sich heraus, dass die Kiesnester und die starke Entmischung des Gefüges nicht nur lokal begrenzt waren, sondern großflächige Bereiche von mehreren Quadratmetern betroffen sind, siehe Abbildung 3. Die Schäden sind auf Entmischungs- und Auswaschungsvorgänge während der Betonage zurück- 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 199 Berührungsloses Profilscanning (PLS) für den Einsatz bei Belastungsversuchen zuführen. Um das gesamte Ausmaß zu erfassen, wurden bauwerksdiagnostische Untersuchungen an der gesamten Bogenbrücke durchgeführt. Die Untersuchungen bestätigten die Vermutungen hinsichtlich der schlechten Betonqualität des Bogenbetons. Aufgrund der Ergebnisse stellten sich Fragen zur Gebrauchstauglichkeit und Standsicherheit des Bauwerks unter Verkehr. Da eine rechnerische Bewertung der Schäden allein nicht aussagekräftig war, entschied sich der Bauherr für die Durchführung eines Belastungsversuches. Der statische Belastungsversuch wurde mit fünf Lokomotiven mit einem Gesamtgewicht von 550 Tonnen in verschiedenen Laststellungen durchgeführt. Um die Verformungen unter der aufgebrachten Last möglichst einfach und zuverlässig ermitteln zu können, wurde ein berührungslos messender Profilscanner (PLS) eingesetzt. Abb. 3: Schadstelle mit stark entmischtem Betongefüge 3. Terrestrisches Laserscanning (TLS) Terrestrische Laserscanner (TLS) wie der Z+F IMA- GER 5016 ermöglichen die Digitalisierung der gesamten Umgebung in einem 360°-Panorama in Form einer 3D- Punktwolke. Während des Scanvorgangs lenkt ein hochfrequent rotierender Spiegel den Laserstrahl ab und der TLS rotiert zusätzlich um seine vertikale Achse. Durch dieses sequenzielle Aufnahmeverfahren entsteht eine hochaufgelöste Punktwolke der sichtbaren Umgebung, siehe Abbildung 4. Die berührungslose Distanzmessung des Z+F IMAGER 5016 arbeitet nach dem AMCW-Verfahren (Amplitude Modulated Continuous Wave). Um den absoluten Distanzwert zu erhalten, wird die Phasenverschiebung zwischen reflektiertem und ausgesendetem Signal genutzt, die durch den Lichtweg in dem intensitätsmodulierten periodischen Signal induziert wird. Zur Auflösung der Phasenmehrdeutigkeiten und damit zur Bestimmung der absoluten Entfernung werden der Trägerwelle mehrere Wellenlängen aufmoduliert. Zusätzlich wird dem Nutzer die Amplitude (Intensität) bereitgestellt, die das Verhältnis von ausgesendeter zu empfangener Energie darstellt, siehe Graustufen in Abbildung 4. Abb. 4: Auszug aus der 3D-Punktwolke von Feld 7 der Autobahnbrücke. Intensitätswerte sind als Graustufen dargestellt. Das Messverfahren zeichnet sich prinzipiell durch eine sehr hohe räumliche Auflösung aus, erlaubt aber wiederum nur eine geringe zeitliche Auflösung. Zudem liegt die Einzelpunktgenauigkeit im Millimeterbereich und ist damit für die meisten Monitoringanwendungen nicht ausreichend genau. 3.1 Profilscanner (PLS) dynamisch Ein Profilscanner (TLS im Profilmodus, 2D) [8, 10, 25, 26] verwendet dagegen nur den hochfrequent rotierenden Ablenkspiegel, es findet jedoch keine Rotation um die Stehachse statt, siehe Schema in Abbildung 5 und Ausschnitt eines Profils in Abbildung 6. Die räumliche Auflösung innerhalb des Profils („Winkelinkrement“) hängt von der Kombination der Rotationsgeschwindigkeit des Ablenkspiegels mit der gewählten Lasermessrate ab. Durch die Reduzierung der räumlichen Auflösung auf ein einzelnes Profil ist eine deutlich höhere zeitliche Auflösung möglich. Bei dem hier vorgestellten TLS liegt die wählbare Wiederholrate zwischen 14 und 55 Hz. Ein weiterer Aspekt bei der Betrachtung der tatsächlich verfügbaren räumlichen Auflösung in praktischen Anwendungen ist, dass die Einzelpunktgenauigkeit eines Profilscanners ähnlich wie beim 3D-TLS für die Anforderungen im Monitoringbereich in der Regel nicht ausreichend ist. Um die geforderte Genauigkeit zu erreichen, wird daher eine Mittelung über benachbarte Messpunkte durchgeführt, siehe Abbildung 6, was jedoch die räumliche Auflösung des Profilscannings zugunsten einer qualitativ besseren Ableitung der Verschiebungen weiter reduziert. 200 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Berührungsloses Profilscanning (PLS) für den Einsatz bei Belastungsversuchen Abb. 5: Schematisierte Darstellung des Profilscanning Um eine Vorstellung von der erreichbaren räumlichen Auflösung zu bekommen, sind im Folgenden zwei Beispiele aufgeführt: 1. Bei einer Messfrequenz von 55 Hz werden pro Profil 20.000 Punkte gemessen, was einem theoretischen Winkelinkrement von 0,018° entspricht. Werden 75 benachbarte Messpunkte zusammengefasst (Klassenbildung, siehe Farbcodierung in Abbildung 6), so reduziert sich das tatsächlich verfügbare Winkelinkrement auf 1,35°, was einer räumlichen Auflösung von 0,24 m in 10 m Entfernung entspricht. 2. Wird die Messfrequenz auf 14 Hz reduziert, werden 80.000 Punkte pro Profil gemessen und eine räumliche Auflösung von 0,06-m in 10-m Entfernung erreicht. Abb. 6: Auszug aus Profilmessung, mit farblicher Darstellung der Klassenbildung. Aus den so erzeugten räumlich verteilten Zeitreihen können je nach Messgeometrie Verformungszeitreihen mit einer Genauigkeit im Submillimeterbereich abgeleitet werden. Im Vergleich zu anderen Messtechniken für Monitoringanwendungen, die nur Messungen an einem einzigen Punkt ermöglichen, erlauben PLS somit zusätzlich eine räumlich verteilte Erfassung der Strukturantwort. Die räumliche Auflösung bietet den Vorteil, dass größere Bereiche der Struktur mit einem einzigen Sensor überwacht und verifiziert werden können, was letztlich ein tieferes Verständnis der Strukturantwort auf sehr effiziente Weise ermöglicht. 3.2 Profilscanner (PLS) statisch Für den Einsatz bei statischen Belastungsversuchen spielt die Zeitkomponente eine untergeordnete Rolle, jedoch kann bei statischen Profil-Laserscans durch zusätzliche zeitliche Mittelung während der Lasthaltephasen die Genauigkeit und räumliche Auflösung weiter erhöht werden. Bei einer Lasthaltephase von 5 Minuten werden mindestens 4200 Profile gemessen. D. h. im oben definierten Beispiel mit 75 Punkten pro Klasse und Profil können 315.000 Einzelmessungen für die weitere Ableitung der Messwerte verwendet werden, was eine deutliche Genauigkeitssteigerung ermöglicht. Die größere Herausforderung bei statischen Belastungsversuchen mit Profilscannern besteht darin, die äußeren Rahmenbedingungen konstant zu halten, so dass z. B. keine Stativkippungen z. B. durch Sonneneinstrahlung oder instabilen Untergrund auftreten. Terrestrische Laserscanner sind, wie fast alle berührungslos messenden Sensoren, empfindlich gegenüber atmosphärischen Bedingungen, die im Extremfall, z. B. durch Regen oder Nebel, die Messung gänzlich verhindern können. 4. Quasi-statischer Belastungsversuch Bei quasi-statischen Belastungsversuchen wird die Geschwindigkeit, mit der die Belastung (LKW oder Lokomotive) das Messobjekt (Brücke) überfährt, in der Regel gering gehalten, um dynamische Effekte, die das Ergebnis verfälschen könnten, zu minimieren. Dies kommt dem Einsatz von Profilscannern entgegen, da die Messrate insgesamt nicht mit konventionellen Sensoren vergleichbar ist und zudem die räumliche Auflösung bei höheren Wiederholraten reduziert wird. Dementsprechend ist es in diesen Fällen sinnvoll, die niedrigste Wiederholrate von 14 Hz zu verwenden, da damit bis zu 80.000 Punkte pro Profil gemessen werden können und die räumliche Auflösung maximiert wird. Für die beiden Beispielbrücken wurde ein quasi-statisches Belastungsszenario nur für die Autobahnbrücke durchgeführt, daher konzentriert sich dieser Abschnitt auf diese Messungen. Der quasi-statische Belastungsversuch wurde mit zwei LKWs von je 50-t durchgeführt, die direkt hintereinander die gesamte Brücke mit einer Geschwindigkeit von 5 bzw. 30 km/ h überquerten. Die Position und Geschwindigkeit der beiden LKWs wurde mittels GPS überwacht, so dass die auftretenden Verformungen mit der Position der LKWs synchronisiert werden konnten. Die Messungen mit dem Profilscanner fanden in Feld 7 statt, der Scanner befand sich ca. 13 m unterhalb der Brü- 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 201 Berührungsloses Profilscanning (PLS) für den Einsatz bei Belastungsversuchen cke, gemessen wurde ein Hauptträger. Da sich die Brücke in einer Kurve befindet, war der horizontale Messbereich am Hauptträger durch die Krümmung der Brücke auf ca. 50 m der gesamten Feldlänge von 70 m begrenzt. Pro Klasse werden in diesem Fall ca. 75 Messpunkte gemittelt, so dass letztlich 117 Klassen, d. h. 117 räumlich verteilte Verformungszeitreihen abgeleitet werden können, deren Standardabweichungen in einem Bereich um 0,1 mm liegen. Dabei nimmt die Standardabweichung aufgrund der sich verschlechternden Geometrie zum Rand hin tendenziell zu. Abbildung 7 zeigt einen Ausschnitt der Messergebnisse für eine Überfahrt mit 5 km/ h. Im oberen Diagramm ist eine Zeitreihe etwa in der Mitte des Feldes in schwarz dargestellt. Zusätzlich zeigen drei farbige Markierungen die Zeitpunkte, zu denen sich die beiden Lkw in der Mitte des Feldes 5 (blau), in der Mitte des Feldes 6 (rot) und in der Mitte des Feldes 7 (gelb) befinden. Hier zeigt sich die Konstruktion der Brücke als Durchlaufträger, da das gemessene Feld (Feld 7) bereits auf die Belastungen in den anderen Feldern reagiert und sich entsprechend hebt bzw. senkt. Diese Darstellung als Zeitreihe auf Basis einer ausgewerteten Klasse entspricht dem Ergebnis, das ein LVDT liefern würde. Im unteren Diagramm in Abbildung 7 sind die farbig markierten Zeitpunkte (LKW auf Feld 5, Feld 6, Feld 7) in voller räumlicher Auflösung mit 117 Klassen in der entsprechenden Farbe dargestellt. Der PLS ermöglicht somit zu jedem Zeitpunkt die Auswertung der Biegelinie für den gesamten gescannten Feldausschnitt. Die Begrenzung auf 50 m des 70 m-Feldes ergibt sich in diesem Fall nur durch den Krümmungsradius der Brücke. Die Datenlücke in der Mitte der Darstellung entsteht durch eine Kombination aus eingebauter Sensorik (Verkabelung) und einem verstärkten, stark genieteten Bereich (siehe Abbildung 4 in der Mitte des Hauptträgers). Abb. 7: Beispielhafte Ergebnisse der Auswertung eines quasi-statischen Belastungsversuches: Im oberen Diagramm ist eine reine punktuelle Zeit Verschiebungsdarstellung zu sehen, während das untere Diagramm das Potenzial des Profilscannings aufzeigt, da zu jedem Zeitpunkt eine Biegelinie über den gesamten sichtbaren Bereich ausgewertet werden kann. 5. Statische Belastungsversuche An beiden Bauwerken wurde ein statischer Belastungsversuch durchgeführt Dabei wurden an der Autobahnbrücke 2 LKW (insgesamt ca. 100 t) und an der Bogenbrücke 5 Lokomotiven (insgesamt ca. 550 t) in jeweils unterschiedlichen Laststellungen positioniert und die Bauwerksreaktion erfasst. Durch das in Abschnitt 3.2 beschriebene Potenzial zur Steigerung der räumlichen Auflösung beim statischen Profilscanning konnte jeweils ein Messpunktabstand von 10 cm über den gesamten Messbereich gewählt werden, dementsprechend stehen bei der Autobahnbrücke über 400 und bei der Eisenbahnbrücke nahezu 1000 räumlich verteilte Verschiebungs-messungen zur Verfügung, siehe Abbildung 8 bzw. Abbildung 9 jeweils im oberen Diagramm. Darin sind jeweils die Verschiebungen für die einzelnen Laststellungen in unterschiedlichen Farben dargestellt. Es zeigen sich die gleichen Datenlücken durch Sensorik bzw. genietete Bereiche wie bereits in Abbildung 7. Um das Genauigkeitspotenzial des Profilscannings für statische Belastungsversuche zu verdeutlichen, werden an den beiden Brücken zwei unterschiedliche Ansätze vorgestellt. Bei der Autobahnbrücke (Abbildung 8) wird der Vergleich von unabhängigen Realisierungen der einzelnen Laststellungen verglichen, siehe unteres Diagramm. Bei der Eisenbahnbrücke wird dagegen der Vergleich von zwei unabhängigen Nullmessungen verwendet, siehe Abbildung 9 im unteren Diagramm. Beide Genauigkeitsmaße stellen eine Art „worst case“ Abschätzung der Genauigkeit dar, da z.-B eine geringfügig andere Positionierung der LKWs beim Vergleich in Abbildung 8 oder verbleibende Restverformungen beim Vergleich in Abbildung 9 sowie weitere systematische Effekte die Genauigkeitsabschätzung verzerren können. 202 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Berührungsloses Profilscanning (PLS) für den Einsatz bei Belastungsversuchen Dennoch liegen die Abweichungen zwischen den Versuchen an der Brennerautobahn überwiegend unter 0,25 mm, wobei entsprechend den obigen Ausführungen ein Offset von 0,1 mm bzw. 0,05 mm vorliegt. Bei den Messungen an der Eisenbahnbrücke war eine Genauigkeit von 0,5-mm im Bereich der Pfeiler (-60-m bis 60-m), die die Fahrbahn auf dem Bogen tragen, vorgegeben. Wie das untere Diagramm in Abbildung 9 zeigt, konnte diese Größenordnung eingehalten werden. Zum Rand hin nehmen die Abweichungen etwas größere Werte an, was einerseits durch die großen Abmessungen des Bauwerks und andererseits durch die sich zum Rand hin verschlechternde Messgeometrie zu erklären ist. Darüber hinaus ist in den Differenzen noch eine deutliche Restsystematik zu erkennen, die z.- B. aus einer Restverformung des Brückenbogens resultieren kann. Unabhängig von der tatsächlichen Ursache verfälscht dies die Genauigkeitsabschätzung zusätzlich, so dass eigentlich noch bessere Ergebnisse zu erwarten wären. Abb. 8: Ergebnisse der Auswertung von vier statischen Belastungsversuchen: Im oberen Diagramm sind die Biegelinien der beiden Laststellungen jeweils doppelt dargestellt. Das untere Diagramm zeigt die Differenzen zw. den jeweiligen Versuchen und gibt eine Abschätzung über die erreichbare Genauigkeit der Messungen mittels Profilscanning. Abb. 9: Ergebnisse der Auswertung von drei statischen Laststellungen: Im oberen Diagramm sind die durch die Laststellungen induzierten Biegelinien dargestellt. Das untere Diagramm zeigt die Differenzen zw. zwei unabhängigen Nullmessungen (Brücke ohne Last) vor bzw. nach den eigentlichen Messungen. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 203 Berührungsloses Profilscanning (PLS) für den Einsatz bei Belastungsversuchen Für das Profilscanning wurden für beide Brücken Lasthaltephasen von 5 Minuten als ausreichend erachtet, so dass ein Versuch mit 3 Lasthaltephasen und doppelter Nullmessung unter idealen Bedingungen in ca. 30-Minuten durchgeführt werden könnte. Bei den beiden statischen Belastungsversuchen musste jedoch von diesem idealen Ablauf abgewichen werden: Auf der Brennerautobahn waren aufgrund der umfangreichen eingesetzten Sensorik (siehe Abschnitt 2.1) Lasthaltephasen von 10- Minuten vorgesehen, die aufgrund von Problemen noch verlängert werden mussten. Dies führte auch dazu, dass ein Versuch wegen eines Rückstaus auf der Autobahn abgebrochen und wiederholt werden musste. Bei der Bogenbrücke wurde nur Profilscanning eingesetzt und eine Belastungszeit von 5 Minuten geplant, die jedoch aufgrund von durchziehendem Nebel teilweise auch verlängert werden, musste. 6. Fazit Im Vergleich zu konventionellen Sensoren kann mittels Profilscanning eine Vielzahl von räumlich verteilten Messungen mit nur einem Sensor durchgeführt werden, was eine äußerst effiziente Erfassung und darüber hinaus ein bisher ungeahntes Verständnis der Bauwerksreaktion ermöglicht. Bereits für den quasi-statischen Belastungsversuch konnten dabei über 100 räumlich verteilte Verformungszeitreihen über einen Bereich von knapp 50-m abgeleitet werden. Dabei wurde der auswertbare Bereich der Feldlänge nicht durch den Sensor, sondern durch den Krümmungsradius der Brücke begrenzt. Beim Übergang zu den statischen Belastungsversuchen kann die räumliche Auflösung weiter erhöht werden, da zusätzlich Messwerte über die Zeit gemittelt werden können. Dies zeigt sich eindrucksvoll an der Eisenbahnbrücke, bei der die Verformung des gesamten 160- m langen Bogens mit fast 1000 Messwerten dargestellt werden kann. Dabei konnten trotz teilweise widriger Bedingungen Genauigkeiten im unteren Submillimeterbereich erreicht werden. Zusammenfassend betrachtet konnte das Potenzial des berührungslosen Profilscannings (PLS) für den Einsatz bei Belastungsversuchen aufgezeigt werden. Durch die Möglichkeit, eine Vielzahl absoluter vertikaler Verschiebungsmessungen zu erfassen, können direkt Informationen über die tatsächliche Steifigkeit des Tragwerks generiert werden, die bei der Aktualisierung von Tragwerksmodellen einen entscheidenden Mehrwert bieten können. Literatur [1] Schacht, G.; Hampel, T.; Curbach, M.: Temporärer Korrosionsschutz von Spanngliedern - Stand des Wissens und Erfahrungsbericht. Beton- und Stahlbetonbau, 109, 2014, 8, S. 524-533. [2] Ding, Y.L.; Wang, G.X.; Sun, P.; Wu, L.Y.; Yue, Q.: Long-Term Structural Health Monitoring System for a High-Speed Railway Bridge Structure. The Scientific World Journal, 2015. [3] Reiterer, M.; Firus, A. Dynamische Analyse der Zugüberfahrt bei Eisenbahnbrücken unter Berücksichtigung von nichtlinearen Effekten. Beton- und Stahlbetonbau, 2022, 117, S. 90-98. [4] Ko, J.M.; Ni, Y.Q. Technology developments in structural health monitoring of large-scale bridges. Engineering Structures, 2005, 2, S. 1715-1725. [5] Bigelow, H.; Pak, D.; Herrmann, R.; Schneider, S.; Marx, S.; Petraschek, T.; Feldmann, M.; Hoffmeister, B.: Dynamische Messungen an einer Eisenbahnbrücke als Stahlbetonverbundrahmen: Untersuchung der Eisenbahnüberführung über die Salzach bei Schwarzach/ St. Veit. Stahlbau, 2017, 86, S. 778-788. [6] Firus, A.: A Contribution to Moving Force Identification in Bridge Dynamics. Ph.D. Thesis, Technische Universität Darmstadt, Darmstadt, Deutschland, 2021. [7] Firus, A.; Schneider, J.; Berthold, H.: Experimental validation of a moving force identification method for applications in railway bridge dynamics. In: Bridge Safety,Maintenance,Management, Life-Cycle, Resilience and Sustainability; CRC, USA, 2022. [8] Schill, F.: Überwachung von Tragwerken mit Profilscannern. Ph.D. Thesis, Technische Universität Darmstadt, Darmstadt, Deutschland, 2018. [9] Schill, F.; Schacht, G.: Berührungslose Überwachung von Brücken mit großer Stützweite. 11. Symposium Experimentelle Untersuchungen von Baukonstruktionen (SEUB), 2021. [10] Schill, F.; Michel, C.; Firus, A.: Contactless Deformation Monitoring of Bridges with Spatio-Temporal Resolution: Profile Scanning and Microwave Interferometry. Sensors, 2022. [11] Medic, T.; Ruttner, P.; Holst, C.; Wieser, A.: Keypoint-based deformation monitoring using a terrestrial laser scanner from a single station: Case study of a bridge pier. In: Proceedings of the 5th Joint International Symposium on Deformation Monitoring, JISDM2022, 2022, S. 167-175. [12] Rashidi, M.; Mohammadi, M.; Sadeghlou Kivi, S.; Abdolvand, M. M.; Truong-Hong, L.; Samali, B.: A decade of modern bridge monitoring using terrestrial laser scanning: Review and future directions. Remote Sensing, 12(22), 2020. [13] Firus, A.; Schneider, J.; Becker, M.; Pullamthara, J.J.: Microwave Interferometry Measurements for Railway-Specific Applications. In: Proceedings of the COMPDYN 2017, 6th ECCOMAS Thematic Conference on Computational Methods in Structural Dynamics and Earthquake Engineering, Griechenland, 2017. [14] Nassif, H.H.; Gindy, M.; Davis, J.: Comparison of laser Doppler vibrometer with contact sensors for monitoring bridge deflection and vibration. NDT International, 2005, S. 213-218. [15] Malekjafarian, A.; Martinez, D.; Obrien, E.J.: The Feasibility of Using Laser Doppler Vibrometer Measurements from a Passing Vehicle for Bridge Damage Detection. Shock and Vibration, 2018. 204 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Berührungsloses Profilscanning (PLS) für den Einsatz bei Belastungsversuchen [16] Zschiesche, K.; Fitzke, M.; Schlüter, M.: Self-Calibration and Crosshair Tracking with Modular Digital Imaging Total Station. PFG - Journal of Photogrammetry, Remote Sensing and Geoinformation Science, 2022, S. 543-557. [17] Gentile, C.; Bernardini, G.: An interferometric radar for non-contact measurement of deflections on civil engineering structures: Laboratory and fullscale tests. Structure and Infrastructure Engineering, 2009, S. 521-534. [18] Bernardini, G.; De-Pasquale, G.; Bicci, A.; Mara, A.; Coppi, F.; Ricci, P.; Pieraccini, M.: Microwave interferometer for ambient vibration measurement on civil engineering structures: 1. Principles of the radar technique and laboratory tests. In: Proceedings of the EVACES ’07 - Experimental Vibration Analysis for Civil Engineering Structures, Portugal, 2007. [19] Lienhart, W.; Moser, T. & Strasser, L.: Large scale monitoring of a highway bridge with remote sensing and distributed fiber optic techniques during load tests. e-Journal of Nondestructive Testing, 2024. [20] Moser, T.; Lienhart, W.; Schill, F.: Static and dynamic monitoring of bridges with contactless techniques. In: Proeedings of the 12th International Conference on Bridge Maintenance, Safety and Management (IABMAS2024), Bridge Maintenance, Safety, Management, Digitalization and Sustainability, 2024, S. 332-340. [21] Schönberger, C.; Lienhart, W.: Drive-by Structural Monitoring using GNSS measurements at alpine bridges. e-Journal of Nondestructive Testing, 2024. [22] Strasser, L.; Lienhart, W.; Winkler, M: Static and dynamic bridge monitoring with distributed fiber optic sensing. In Proceedings of Structural Health Monitoring 2023: Designing SHM for Sustainability, Maintainability and Reliability, 2023, S. 1745-1752. [23] Lienhart, W.; Schill, F.; Moser, T.: Dynamic bridge monitoring with remote sensing techniques. In Proceedings of Structural Health Monitoring 2023: Designing SHM for Sustainability, Maintainability and Reliability, 2023, S.184-191. [24] Schlüter, M.; Zschiesche, K.: Bewegungsmuster von Brückenbauwerken bei laufendem Verkehr messen und auswerten. Allgemeine Vermessungs- Nachrichten (avn), 2024, S. 9-16. [25] Schill, F.; Sviridova, A.; Eichhorn, A: Deformation monitoring of noise barriers with profile laser scanning. In: Proceedings of the 4th Joint International Symposium on Deformation Monitoring (JISDM) Griechenland, 2019. [26] Schill, F.; Eichhorn, A.: Deformation Monitoring of Railway Bridges with a Profile Laser Scanner. ZFV - Zeitschrift für Geodäsie, Geoinformation und Landmanagement., 2019, S. 109-118. Tragfähigkeit, Zuverlässigkeit, Nachhaltigkeit und Resilienz 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 207 Erkenntnisse aus neueren Untersuchungen zu Zugstößen durch Übergreifung bei mehrlagiger Bewehrung und alternierenden Stababständen Dr.-Ing. Matthias Bettin Technische Universität Dortmund Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer ehemals Technische Universität Dortmund Zusammenfassung Im Rahmen eines grenzüberschreitenden internationalen Projektes - dem 18 km langen Unterwassertunnel in der Ostsee zur Verbindung der dänischen Insel Lolland mit der deutschen Insel Fehmarn - wurde deutlich, dass im internationalen Vergleich die Übergreifungslängen von Betonstahlbewehrung nach deutschem nationalen Anhang DIN EN 1992-2/ NA mit Abstand am größten sind. Da der Tunnel auch auf deutschem Staatsgebiet nach dänischem technischen Regelwerk gebaut wird, kam dem Thema unter Sicherheitsaspekten sowie in wirtschaftlicher und ausführungstechnischer Hinsicht eine große Bedeutung zu. In diesem Zusammenhang wurden daher, auch aus übergeordnetem deutschen Interesse im Hinblick auf künftige Regelwerke für Bauwerke der Verkehrsinfrastruktur, sowohl im Auftrag der BASt als auch von Femern, an der TU Dortmund, sowie dem am Danish Technological Institute (DTI) in Kopenhagen, in einer Kooperation projektspezifische Versuchsreihen durchgeführt. Nachfolgend wird lediglich auf zwei spezielle Aspekte eingegangen: - Das Stoßen bei mehrlagiger Bewehrung von bis zu 100 % der Bewehrung in einer Lage ist nach EC2 i. A. nicht zulässig, es sei denn, dass nach deutschem NA in jeder entsprechenden Bewehrungslage die Übergreifungsstöße durch Bügel, die für die Kraft aller gestoßenen Stäbe zu bemessen sind, umschlossen werden. - Führen bei gleichem Bewehrungsgrad alternierende größerer und kleinere lichte Stababstände zur Verbesserung der Betonierbarkeit auf die gleiche Tragfähigkeit eines Übergreifungsstoßes, wie konstante gemittelte lichte Stababstände. Hintergrund ist das spröde Materialverhalten im Hinblick auf die Zugringe im Beton. Müssen dadurch bei den alternierenden Abständen die kleineren lichten Abstände der Bemessung zugrunde gelegt werden? Vorbemerkungen Derzeit sind für Ingenieurbauwerke der Verkehrsinfrastruktur in Betonbauweise in Deutschland die Regelwerke DIN EN 1992-2 und DIN EN 1992-2/ NA maßgebend. Die im deutschen NA gegenüber DIN EN 1992-2 enthaltenen Zuschärfungen in Form von NCIs führen teilweise dazu, dass die danach bemessenen Übergreifungslängen für die Bewehrung im internationalen Vergleich mit Abstand am größten sind. Dies gilt vor allem bei kleinen lichten Abständen zwischen den gestoßenen Stäben und großen Stabdurchmessern (Ø ≥ 16 mm). In den benachbarten europäischen Ländern, in denen die Übergreifungslängen nach dem original Eurocode 2 (EN 1992-2) bemessen werden, sind keine Schäden bekannt, die auf die teilweise deutlich geringeren Übergreifungslängen zurückzuführen sind. Die verschärfenden deutschen Regelungen in DIN EN 1992-2/ NA sollen nicht nur die Tragfähigkeit, sondern auch das Rissverhalten unter einer Dauerbelastung, besonders an den Stoßenden, in zulässigen Grenzen abdecken. Dabei gehen die Festlegungen historisch bedingt bezüglich der Betondeckung konservativ von c-=-1,0-Ø aus. Der günstige Einfluss einer größeren Betondeckung darf nach DIN EN 1992-2 mit dem Faktor α 2 berücksichtigt werden, der Werte bis 0,7 annehmen kann. Dieser Faktor ist nach DIN EN 1992-2/ NA generell vereinfachend in Anlehnung an DIN EN 1992-1-1/ NA mit 1,0-anzusetzen. Ein weiterer wesentlicher Unterschied ergibt sich in Abhängigkeit von Stoßanteil und Stabdurchmesser aus dem Stoßfaktor α 6 bei kleinen lichten Abständen (a < 8 Ø) zwischen den gestoßenen Stäben. Daher stellte sich die Frage nach einer Überprüfung der im internationalen Vergleich sehr konservativen Regelungen im deutschen NA. Da Ingenieurbauwerke i. A. deutlich größere Betondeckungen als c = 1,0 Ø aufweisen, können sich allein bei Anwendung des Faktors α 2 um bis zu 30-% kürzere Übergreifungslängen ergeben. Daraus resultieren konstruktiv und ausführungstechnisch günstigere Bewehrungen und Reduzierungen der Materialkosten. Nicht zuletzt wirkt sich das auch hinsichtlich der Nachhaltigkeitskriterien vorteilhaft aus. Vor diesem Hintergrund wurde an der TU Dortmund im Auftrag der BASt ein Forschungsprojekt [1] durchgeführt, welches auch die Basis einer Dissertation [2] bildetet, um 208 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Erkenntnisse aus neueren Untersuchungen zu Zugstößen durch Übergreifung bei mehrlagiger Bewehrung und alternierenden Stababständen die Regelungen im original Eurocode 2 (DIN EN 1992-2) experimentell zu überprüfen. Im Ergebnis konnte in allen Versuchen mit Bemessung der Stoßausbildung nach DIN EN 1992-2, mit im Vergleich zum deutschen NA kürzeren Übergreifungslängen, eine ausreichende Tragfähigkeit und ein Rissverhalten mit Rissbreiten an den Stoßenden innerhalb der zulässigen Grenzen nachgewiesen werden. Bei den nachfolgend vorgestellten Untersuchungen wurden die Zugstöße durch Übergreifung bei allen Versuchsbauteilen basierend auf dem original EC2 bemessen. Untersuchungen zu Zugstößen durch Übergreifung bei mehrlagiger Bewehrung 1. Problemstellung In Ländern, wie beispielsweise Dänemark und den Niederlanden, ist bei Anordnung einer 2-lagigen Bewehrung die Ausbildung eines 100 %-Stoßes in einer Lage eine bei Tunnelbauwerken im Bereich von Arbeitsfugen praktizierte Konstruktionsweise. In Abbildung 1 sind Möglichkeiten für die Anordnung von Übergreifungsstößen bei 2-lagiger Bewehrungsführung abgebildet. Bei allen dargestellten Stößen handelt es sich jeweils um einen 50 %-Stoß der Gesamtbewehrung in einem Querschnitt. Im Tunnelbau werden in den genannten Ländern in der Praxis bei Anwendung des original Eurocode 2 (EN 1992-2) üblicherweise diese Übergreifungsstöße entsprechend Abbildung 1 (b) und (c) ausgeführt. Dabei wird die Bewehrung in einer Lage zu 100 % gestoßen, während sie in der zweiten Lage durchläuft. Nach deutschem Regelwerk DIN EN 1992-2/ NA ist eine solche Ausführung nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Allerdings kommt diese aufgrund zusätzlicher hoher Anforderungen an die Ausbildung der Querbewehrung in Form von Bügeln im Übergreifungsbereich i. d. R. nicht zum Einsatz. In Deutschland werden die Übergreifungsstöße bei 2-lagiger Bewehrung i. d. R. entsprechend der Anordnung in Abbildung 1 (d) ausgeführt. In einer Lage werden dabei maximal 50 % der Bewehrung gestoßen. Abbildung 1: Möglichkeiten für die Anordnung von Übergreifungsstößen bei 2-lagiger Bewehrungsanordnung Bei Ausführung nach EN 1992-2 ist die Abbildung 1 (b) dargestellte Anordnung der Übergreifungsstöße günstig für den Tunnelbau, insbesondere wenn der Tunnel in Ortbetonbauweise mit Arbeitsfugen hergestellt wird. Ein Beispiel für eine Stoßausbildung in Anlehnung an die Konfiguration (b) ist in Abbildung 2 dargestellt. An Stellen mit hoher Momentenbeanspruchung, an denen die Grundbewehrung nicht ausreicht, wird eine zusätzliche zweite Bewehrungslage (evtl. sogar eine dritte Lage) angeordnet. Die Länge, über die diese zusätzlichen Bewehrungsstäbe benötigt werden, ist normalerweise so kurz, dass in der zweiten Lage keine Stöße erforderlich sind. In den Arbeitsfugen werden alle Stäbe in der ersten, durchlaufenden Lage gestoßen. Die Stäbe in der zweiten Lage sind außerhalb dieses Stoßbereichs verankert. Unter der Annahme, dass der Durchmesser der gestoßenen Stäbe ≥ 20-mm ist und nicht mehr als 50 % im Querschnitt gestoßen werden, darf nach EN 1992-2 i.- d.-R. bei der Ausbildung der Querbewehrung die Gesamtquerschnittsfläche ΣA st (Summe aller Schenkel die parallel zur Lage der gestoßenen Bewehrung verlaufen) nicht kleiner sein als die Querschnittsfläche A s eines gestoßenen Stabes (ΣA st ≥ A s ). Die Querbewehrung sollte an der Außenseite orthogonal zur Richtung der gestoßenen Bewehrung gemäß EN 1992-2, Bild 8.9 angeordnet werden. Abbildung 2: Typische Stoßausbildung bei mehrlagiger Bewehrung im Bereich der Bodenplatte und der Außenwand am Beispiel des Tunnels im Zuge der North-South Metro Linie in Amsterdam 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 209 Erkenntnisse aus neueren Untersuchungen zu Zugstößen durch Übergreifung bei mehrlagiger Bewehrung und alternierenden Stababständen 2. Unterschiede zwischen den Regelungen der EN-1992-2 und DIN EN 1992-2/ NA für die Ausbildung von Übergreifungsstößen bei mehrlagiger Bewehrung In Abschnitt 8.7.2 in DIN EN 1992-2 sind die Grundlagen für die konstruktive Ausbildung von Übergreifungsstößen festgelegt. Danach ist nach Abschnitt 8.7.2 (4) i. d. R. für Stäbe in mehreren Lagen der Anteil der in einer Lage gestoßenen Zugstäbe auf 50 % zu reduzieren. Ein 100 % Stoß in einer Lage bei mehrlagiger Bewehrung wird zwar nicht grundsätzlich gänzlich ausgeschlossen. Allerdings enthält der deutsche Nationale Anhang zur DIN EN 1992-2 im Abschnitt 8.7.4.1 (3) ein NCI: Werden bei mehrlagiger Bewehrung mehr als 50 % des Querschnitts der einzelnen Lagen in einem Schnitt gestoßen, sind die Übergreifungsstöße durch Bügel zu umschließen, die für die Kraft aller gestoßenen Stäbe zu bemessen sind. Diese Forderung nach Verbügelung ist in der Ausführung sehr aufwändig. In flächigen Bauteilen darf die Querbewehrung nach diesem NCI auch gerade sein, wenn die Übergreifungslänge um 30 % erhöht wird oder der Abstand der Stoßmitten benachbarter Stöße in Längsrichtung etwa 0.5 l 0 beträgt. Dann ist kein bügelartiges Umfassen der Längsbewehrung erforderlich. 2.1 Stand des Wissens bei Stößen in mehrlagiger Bewehrung In der Literatur konnten Hintergründe zu den Regelungen der DIN EN 1992-2/ NA und der EN 1992-2 im Hinblick auf die Ausbildung eines 100 %-Stoßes in einer Lage bei 2-lagiger Bewehrungsanordnung (entspricht einem 50-% Stoß der Gesamtbewehrung in einem Querschnitt bei 2-lagiger Bewehrung) nicht recherchiert werden. In DIN EN 1991-1-1/ NA wird dazu auf DAfStb Heft 300-verwiesen. Hiernach fehlen für Stöße mehrlagiger Bewehrungen ausreichende Versuchserfahrungen, um weitergehende Regeln einzuführen. Daher wurden an der TU Dortmund Versuche zu Übergreifungsstößen bei 2-lagiger Bewehrung durchgeführt [1], [3] auch aufgrund der positiven Erfahrungen in Dänemark und den Niederlanden. Die Ergebnisse dieser Versuche werden im Folgenden vorgestellt. Die Ergebnisse zeigen eine klare Tendenz für die Einordnung und Bewertung derartiger Stöße hinsichtlich Tragfähigkeit im GZT und Einhaltung der Kriterien im GZG auf. 2.2 Entwicklung der systematischen Versuchsreihen Definition der Randbedingungen Für das Versuchsprogramm waren 3 Varianten für die zu stoßende Bewehrung vorgesehen. Um die zu erwartenden Streuungen ebenfalls zu erfassen wurde jede Bewehrungskonfiguration jeweils 3-mal getestet. Dementsprechend ergaben sich insgesamt neun 4-Punkt- Biegeversuche. Die Übergreifungsstöße waren dabei im Bereich der konstanten Momentenbeanspruchung angeordnet. Im Fokus der experimentellen Untersuchungen stand neben der Bestimmung der Tragfähigkeit das Rissverhalten. Zusätzlich wurden die Verformung und der Stahlspannungsverlauf im Stoßbereich messtechnisch erfasst. Das vollständige Versuchsprogramm ist in Tabelle 1 dargestellt. Wahl der Prüfkörperabmessungen Alle Versuchsträger B11, B12 und B13 wurden im Feld und somit im Übergreifungsbereich mit den Querschnittsabmessungen von b/ h- =- 64/ 60- cm, hergestellt. Zur Gewichtsreduktion wurden die 1,70 m langen Kragarme über eine Länge von 135-cm als T-Querschnitt mit den Abmessungen von b/ b Steg / h Platte von 64/ 30/ 25-cm ausgebildet. Der Querschnitt war so dimensioniert, dass die vorab experimentell an Proben bestimmte Streckgrenze der Biegebewehrung erreicht werden konnte, ohne dass ein Versagen der Betondruckzone zu erwarten war. Eine Verbügelung im Stoßbereich war nicht vorgesehen, da die Versuchskörper den Ausschnitt eines flächigen plattenartigen Bauteils repräsentieren sollten. Eine Übersicht der geometrischen Parameter der einzelnen Versuchskörper ist der Tabelle 2 zu entnehmen. Die Herstellung erfolgte so, dass durch Umdrehen der Versuchsbauteile gute Verbundbedingungen (η 1- =-1,0) maßgebend waren. Die Übergreifungsstöße waren nicht gemäß DIN EN 1992-2/ NA, NCI zu 8.7.4.1 (3) durch Bügel umschlossen. Tabelle 1: Versuchsprogramm 4-Punkt-Biegeversuche (Übergreifungslänge l 0 auf Grundlage des Mittelwerts der Verbundfestigkeit f bm ) Versuch Ø s [mm] c l [mm] α 2 α 6 l 0 [cm] Stoßanteil lichter Stababstand Betonfestigkeit Verbundbedingungen B11 32 92 0,798 1,4 53,9 50 % a = 15,0 cm < 8Ø C 35/ 45 gut B12 32 92 1,0 1,4 67,6 a = 6,5 cm < 8Ø B13 28 67 0,871 1,4 51,5 a = 10,4 cm < 8Ø 210 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Erkenntnisse aus neueren Untersuchungen zu Zugstößen durch Übergreifung bei mehrlagiger Bewehrung und alternierenden Stababständen Tabelle 2: Geometrische Parameter der Versuchsträger Versuch Querschnitt Parameter B11 C35/ 45 B500 Ausführung l 0 : l 0 = l 0,EC2 Stoßanteil 50 % Bewehrungsdurchmesser: Ø s,l = 32 mm Ø s,q = 12 mm Betondeckung: c l = 9,2 cm c q = 8,0 cm lichter Stababstand: a = 15,0 cm < 8Øs B12 C35/ 45 B500 Ausführung l 0 : l 0 = l 0,EC2 Stoßanteil 50 % Bewehrungsdurchmesser: Ø s,l = 32 mm Ø s,q = 12 mm Betondeckung: c l = 9,2 cm c q = 8,0 cm lichter Stababstand: a = 6,5 cm < 8Øs B13 C35/ 45 B500 Ausführung l 0 : l 0 = l 0,EC2 Stoßanteil 50 % Bewehrungsdurchmesser: Ø s,l = 28 mm Ø s,q = 12 mm Betondeckung: c l = 6,7 cm c q = 5,5 cm lichter Stababstand: a = 10,4 cm < 8Øs Die Bemessung der Übergreifungslängen erfolgt nach DIN EN 1992-2, um zu überprüfen, ob die gegenüber DIN EN 1992-2/ NA kleineren Übergreifungslängen ausreichend für ein einwandfreies Bauteilverhalten unter Gebrauchslasten sind und ausreichend tragfähig sind. 3. Versuchsergebnisse Tragverhalten In allen Versuchen trat ein sprödes Stoßversagens auf. Dabei entstanden vor dem Versagen zuerst die typischen breiten , senkrecht zur Balkenachse verlaufenden , Risse an den Stoßenden. Das Versagen wurde durch die Bildung von Längsrissen über den Stoßmitten parallel zur Stoßachse und der anschließenden Bildung des horizontalen Bruchrisses, an der Balkenseitenfläche in Achse der Längsbewehrung, infolge der Ringzugspannungen mit Überschreiten der Betonzugfestigkeit eingeleitet. Infolgedessen löste sich im Stoßbereich der Beton oberhalb der Bewehrung (Betondeckung) bei Erreichen der Traglast des Stoßes schlagartig und schollenartig ab (vgl. Abbildung-3). 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 211 Erkenntnisse aus neueren Untersuchungen zu Zugstößen durch Übergreifung bei mehrlagiger Bewehrung und alternierenden Stababständen Abbildung 3: Rissbild unmittelbar beim Stoßversagen Traglasten im Grenzzustand der Tragfähigkeit (GZT) In Tabelle 3 sind die Versuchstraglasten F u in Form der daraus berechneten maximalen Momentenbeanspruchung (M u = F u × 1,55 m) dargestellt. Auf Grundlage der für die Versuchsbalken ermittelten tatsächlichen Betondruckfestigkeiten und des zur Bruchlast zugehörigen Biegemomentes können die zugehörigen Stahlspannungen im Zustand II unter der Bruchlast mit einem Querschnittsprogramm berechnet werden (s su,test ) . Die so rechnerisch bestimmten durch den Stoß übertragenen maximalen Stahlspannungen lagen mit Werten zwischen 262-349 MN/ m² ausnahmslos unter dem Wert aus der Vorbemessung basierend auf dem Mittelwert der Verbundfestigkeit f bm für den angestrebten C35/ 45. So war bei der Vorbemessung zunächst von einer zu übertragenden Stahlspannung s su,cal = 435 N/ mm² und einem Beton der Festigkeitsklasse C35/ 45 (f bm = 7,2 N/ mm²) ausgegangen worden. Für die Überprüfung der Tragfähigkeit der Stöße ist die an die tatsächlich erreichte Betonfestigkeit angepasste übertragbare Stahlspannung s su,cal für das l 0 im Versuchsträger in Abhängigkeit von der tatsächlich vorhandenen Verbundfestigkeit f bm zu ermitteln. Die Verifizierung des Bemessungsmodells erfolgt mittels der übertragenen maximalen Stahlspannung s su,test in der Bewehrung unter der Versuchstraglast Fu unmittelbar bevor der Verbund versagt im Vergleich zu s su,cal . s su,cal ∙ A s = Ø ∙ π ∙ l 0 ∙ τ bm Die so ermittelten Werte für g mod = s su,test / s su,cal sollten um den Wert 1,0 streuen. Dabei sollte die untere Grenze basierend auf dem 5-%-Quantilwert der charakteristischen Zugfestigkeit bzw. Verbundfestigkeit bei 0,7 bezogen auf den Mittelwert liegen. Aufgrund der Bemessung der Stöße auf dem Niveau der mittleren Verbundfestigkeit f bm sollte der Modellsicherheitsbeiwert g mod = s su,test / s su,cal um 1,0 streuen und den Werte 0,7 nicht unterschreiten. Dies trifft hier für alle Einzelversuche zu (vgl. Abbildung 4). Damit wurde mit den Versuchen eine ausreichende Tragfähigkeit der unverbügelten Stöße nachgewiesen. Abbildung 4: Modellsicherheitsfaktor auf Mittelwertniveau g mod = s su,test / s su,cal Tabelle 3: Zusammenfassung der Tragfähigkeiten auf Mittelwertniveau Versuchsträger B11C1 B11C2 B11C3 B12C1 B12C2 B12C3 B13C1 B13C2 B13C3 f cm ,cube [N/ mm²] 25,85 39,16 40,05 25,32 39,05 39,00 29,36 39,16 40,05 f cm,cyl = 0,82 f cm,cube [N/ mm²] 21,20 32,11 32,84 20,76 32,02 31,98 24,08 32,11 32,84 f ck = f cm,cyl -4 [N/ mm²] 17,20 28,11 28,84 16,76 28,02 27,98 20,08 28,11 28,84 f ctm = 0,30 f ck 2/ 3 [N/ mm²] 1,99 2,77 2,82 1,96 2,77 2,76 2,22 2,77 2,82 f bm = 2,25 f ctm [N/ mm²] 4,50 6,24 6,35 4,42 6,23 6,22 4,99 6,24 6,35 s su,cal [N/ mm²] für l 0 mit f bm 272 377 384 267 376 376 301 377 384 M u im Versuch [kNm] 580,2 642,7 587,1 829,5 814,9 868,4 603,0 649,6 729,5 zugh s su,test [N/ mm²] 313 337 307 275 263 281 293 311 349 γ mod = s su,test / s su,cal für l 0 mit f bm 1,16 0,89 0,80 1,03 0,70 0,75 0,97 0,82 0,91 212 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Erkenntnisse aus neueren Untersuchungen zu Zugstößen durch Übergreifung bei mehrlagiger Bewehrung und alternierenden Stababständen Rissbreiten im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit (GZG) Im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit liegen die Stahlspannungen etwa zwischen 150 bis 300 N/ mm². Die Messung und Bewertung der Rissbreiten erfolgte unter Gebrauchslastniveau. Durch das Eigengewicht und die aufgebrachte Prüfzylinderkraft entstanden zunächst Biegerisse über den Auflagern. Bei weiterer Laststeigerung entstanden weitere Biegerisse im Bereich des konstanten Momentes zwischen den Auflagern. Im unmittelbaren Bereich des Übergreifungsstoßes waren die Rissbreiten aufgrund des doppelt so großen Bewehrungsgrades sichtbar kleiner. Mit Hilfe der Setzdehnungsmessung konnte die Rissverteilung und die Rissbreitenentwicklung im Bereich des konstanten Momentes sehr akkurat erfasst und dokumentiert werden. Abbildung 5 zeigt beispielhaft die Auswertung der Rissbreitenverteilung des Trägers B13C1. In der Abbildung steht jede Farbe für einen Riss und dessen Breitenentwicklung. Die Risse, die sich an den Stoßenden einstellten sind als schwarzes Dreieck dargestellt sowie durch die gestrichelten Linien verbunden. In allen Versuchen konnte ein großer Streubereich der gemessenen Rissbreiten festgestellt werden. Die Rissbreiten unmittelbar am Ende des Übergreifungsbereichs befanden sich tendenziell stets im oberen Streubereich. Vergleichbare Rissbreiten traten allerdings auch außerhalb des Stoßbereiches auf. Die maximalen Rissbreiten an den Stoßenden und außerhalb des Stoßes sind in der Abbildung 5 und der Tabelle 4 zusammengefasst. Auf Grundlage der Ergebnisse unter Gebrauchslastniveau konnte bei den durchgeführten Versuchen kein Einfluss der Übergreifungslänge hinsichtlich einer übermäßigen Rissbreitenzunahme an den Stoßenden gegenüber den Bereichen außerhalb des Stoßes beobachtet werden. Abbildung 5: Beispielhafte Rissbreitenverteilung des Versuchsträger B13C1 Tabelle 4: Zusammenstellung der maximal gemessenen Rissbreiten auf der Balkenoberseite Versuchsträger s s = 150 [N/ mm²] s s = 175 [N/ mm²] s s = 200 [N/ mm²] s s = 250 [N/ mm²] w max Stoßenden [mm] w max außerhalb Stoßbereich [mm] w max Stoßenden [mm] w max außerhalb Stoßbereich [mm] w max Stoßenden [mm] w max außerhalb Stoßbereich [mm] w max Stoßenden [mm] w max außerhalb Stoßbereich [mm] B11C1 0,201 0,262 0,273 0,31 0,341 0,368 - - B11C2 0,250 0,306 0,328 0,357 0,406 0,445 0,581 0,605 B11C3 0,146 0,273 0,214 0,341 0,329 0,348 0,443 0,458 B12C1 0,398 0,348 0,482 0,428 0,565 0,467 0,843 0,568 B12C2 0,220 0,224 0,389 0,374 0,342 0,306 0,504 0,521 B12C3 0,225 0,224 0,319 0,325 0,398 0,413 0,454 0,480 B13C1 0,241 0,308 0,301 0,318 0,359 0,379 0,491 0,512 B13C2 0,243 0,227 0,373 0,382 0,317 0,323 0,462 0,482 B13C3 0,189 0,207 0,257 0,283 0,302 0,351 0,444 0,452 rot = w max, Stoßende > w max außerhalb Stoß 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 213 Erkenntnisse aus neueren Untersuchungen zu Zugstößen durch Übergreifung bei mehrlagiger Bewehrung und alternierenden Stababständen Bewertung der Ergebnisse Die entscheidende streuende Materialkenngröße ist die Verbundfestigkeit. Sie kann auf Mittelwertniveau oder auf charakteristischem Niveau angegeben werden: f bm = 2,25 ∙ f ctm f bk = 2,25 ∙ f ctk = 2,25 ∙ (0,7 ∙ f ctm ) mit η 1 = η 2 = 1,0 Bei allen Versuchen erfolgte die Bemessung der Stöße auf dem Niveau der mittleren Verbundfestigkeit f bm . Der Modellsicherheitsbeiwert g mod.Mittelwert = s su,test / s su,cal sollte daher den Werte 0,7 nicht unterschreiten. Entsprechend kann auf charakteristischem Niveau für die Stöße eine ausreichende Tragfähigkeit nachgewiesen werden, solange kein Versuchswert g mod bei Bezug auf die charakteristische Verbundfestigkeit f bk unter 1,0 liegt. Beide Kriterien treffen für alle Versuche zu (vgl. Abbildung 4). Es ist jedoch zu erkennen, dass insbesondere die Ergebnisse für die Versuchsträger der Reihe B2 (Bewehrungsstöße mit Ø s -32-mm mit minimalen Mindestabstand 2d zwischen den Stößen) jeweils am unteren Rand des zulässigen Bereichs liegen. Die Ursache lässt sich durch die sehr engen tatsächlichen lichten Abstände zwischen den Bewehrungsstäben erklären, da sich keine so großen Zugringstärken bilden konnten wie bei den anderen Versuchen. Der nominell planmäßige lichte Abstand ist mit 2d zwar normgerecht, beträgt aber bei der praktischen Ausführung mit Ø s = 32 mm, wenn die Rippen des Stabstahls nicht berücksichtigt werden, praktisch nur rund 50 mm statt theoretisch 64 mm (vgl. Abbildung-6; ohne Rippen: Ø s = 32 mm, mit Rippen: Ø A =-1,15 · 32 = 37 mm). Zudem befinden sich die Rissbreiten unmittelbar am Ende des Übergreifungsbereichs stets am oberen Rand des Streubereichs. Es muss allerdings angemerkt werden, dass sich bei den durchgeführten Versuchen, der Stahlspannungsbereich für den Gebrauchszustand deutlich nach unten verschiebt und die gewählten Laststufen den üblichen Grenzzustand nicht repräsentieren. Die errechneten Stahlspannungen im Bruchzustand lagen bei den Versuchen in einem Intervall von 275-N/ mm² und 349 N/ mm². Unter normalen Bedingungen, wenn die Tragfähigkeit auf der Streckgrenze der Bewehrung basiert, beträgt die Beanspruchung im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit nur etwa 30-60 % der Beanspruchung im Grenzzustand der Tragfähigkeit. Bei einer Stahlspannung von 150 N/ mm² konnten stets Risse außerhalb des Stoßbereichs gemessen werden, die maßgebend waren. Abbildung 6: Überprüfung der tatsächlichen Stababstände unter Einfluss der Rippen (Versuchsträger B12C1) Bei den Versuchen auf Mittelwertniveau sollten die Modellsicherheitsfaktoren g mod.Mittelwert im Sinne der statistisch begründeten Sicherheitstheorie entsprechend der Streuung der Betonzugfestigkeit zwischen oberem und unterem Quantilwert in etwa zufällig um dem Mittelwert streuen. Dass alle Werte am unteren Rand des zulässigen Streubereichs liegen, deutet auf einen ungünstig wirksamen systematischen Einfluss hin, der plausibel mit dem zu geringen lichten Stababstand erklärt werden kann. Daher sollte bei der Ausführung eines 100 %-Stoßes der zweiten Lage aufgrund des Rissverhaltens der reale Außendurchmesser berücksichtigt werden. Der reale Außendurchmesser Ø A beträgt in der Regel: Ø A -≈-1,15- Ø Nenn . Alternativ können die Stoßenden gemäß EN 1992-1-1 um 0,5 · l 0 längs versetzt angeordnet werden oder die Übergreifungslänge l 0 um 30 % vergrößert werden. 214 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Erkenntnisse aus neueren Untersuchungen zu Zugstößen durch Übergreifung bei mehrlagiger Bewehrung und alternierenden Stababständen Untersuchungen zu Zugstößen durch Übergreifung bei alternierenden Stababständen 1. Problemstellung Die Fehmarnbelt-Querung soll Lolland (Dänemark) mit der Insel Fehmarn (Deutschland) verbinden. Der Tunnel verbindet zwei Länder, die unterschiedliche nationale Anhänge zum Eurocode 2 verwenden. Es wurde vereinbart, dass das Tunnelbauwerk nach dänischem Regelwerk gebaut wird, der auf dem dänischen Anhang zu Eurocode-2 mit spezifischen Anpassungen basiert. Die „Design Basis“ wurde eigens für dieses Projekt erstellt, geprüft, genehmigt und einige projektspezifische Genehmigungen wurden in Form von ZiEs von den deutschen Behörden erteilt. Derzeit liegen Bewehrungskonzepte für eine Stoßausbildung vom Auftragnehmer vor, die zur Verbesserung der Betonierbarkeit, statt konstanter Stababstände alternierend größere und kleinere Stabstände aufweisen (vgl. Abbildung 7). Dabei stellt sich die Frage, ob die Übergreifungslängen für die gemittelten konstanten Stababstände bemessen werden können, ohne dass daraus ein Verlust der Tragfähigkeit resultiert. Abbildung 7: Bewehrungsprinzip außerhalb des Stoßbereiches; links regelmäßige Abstände; rechts Konstruktion des Auftragnehmers aus [3] Ausgehend von einem regelmäßigen Raster mit konstanten Stababständen von 150-mm wurden diese zur besseren Betonierbarkeit modifiziert: 150 - 43 = 107-mm 150 + 43 = 193-mm Diese Variation hat Auswirkungen auf die Stärke der Zugringe, welche die Verbundfestigkeit beeinflussen. Es stellt sich die Frage, ob die erforderlichen Übergreifungslängen für den mittleren Stababstand von 150-mm bemessen werden dürfen oder ob sie für den kleinsten Stababstand von 107-mm bemessen werden müssen. Kann die kleinere Zugringstärke beim minimalen Stababstand von 107-mm durch die gleichzeitig größere Zugringstärke bei 193 mm Stababstand kompensiert werden, da es sich bei Beton um ein relativ sprödes Material handelt. Das gilt besonders für die Zugfestigkeit, die mit den üblichen Betondeckungen mit Sprengrissversagen für die Verbundfestigkeit maßgebend ist. 2. Entwicklung der systematischen Versuchsreihen Im Auftrag von Femern A/ S wurden am Danish Technological Institute (DTI) in Kopenhagen sechs Großversuche durchgeführt um den Einfluss von alternierende Stababständen bei gestoßenen Stäben, die für konstante Stababstände bemessen wurden, systematisch zu überprüfen. Das Tragverhalten von Übergreifungsstößen kann anhand von 4-Punkt- Biegeversuchen oder mithilfe von zentrischen Zugversuchen analysiert werden. Um den Effekt des Aufklappens der Biegebewehrung infolge der abgesprengten Betondeckung während des Spaltversagens zu erzeugen, wurden die Untersuchungen an 4-Punkt- Biegeversuchen durchgeführt. Das Versuchsprogramm umfasste zwei verschiedene Bewehrungsanordnungen, die aus statistischen Gründen jeweils anhand von drei 4-Punkt-Biegeversuche getestet wurden. Die Übergreifungsstöße waren im Bereich der konstanten Momentenbeanspruchung angeordnet. Bei den drei Versuchsträgern der Versuchsreihe „Config. R“ (R1-R3) betrug der Stabstand der gestoßenen Stäbe konstant 150 mm, wohingegen die drei Versuchsträger der Versuchsreihe „Config. A“ (A1-A3) alternierende Stababstände von 107-mm und 193-mm aufwiesen (vgl. Abbildung 8). Der Bewehrungsgrad war bei beiden Konfigurationen identisch. Im Vordergrund stand neben der Tragfähigkeit die Dokumentation der Rissbreitenentwicklung. Zusätzlich wurden das Verformungsverhalten, der Stahlspannungsverlaufe im Stoßbereich messtechnisch erfasst. Im Folgenden werden die Ergebnisse der Versuche vergleichend gegenübergestellt. Die Versuchsträger hatten eine Gesamtlänge von 5,00-m. Die Spannweite zwischen den Auflagern betrug 1,50-m (vgl. Abbildung 8), sodass der Abstand der Auflager zum Übergreifungsstoß mindestens dem zweifachen der Nutzhöhe d entsprach. Um ein Querkraftversagen auszuschließen, wurde in den Kragarmbereichen aller Träger eine Bügelbewehrung Ø16/ 15-cm angeordnet (vgl. Abbildung 8). 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 215 Erkenntnisse aus neueren Untersuchungen zu Zugstößen durch Übergreifung bei mehrlagiger Bewehrung und alternierenden Stababständen Abbildung 8: Bewehrungsanordnung der Konfigurationen Config. R (gleichmäßige Stababstände) und Config.-A (alternierende Stababstände) [3] Ein weitere Versuchsträger wurde mit Ø25 im Abstand 150-mm bewehrt, ohne Stoßausbildung (Bez. Dummy). Er diente dem Vergleich der Tragfähigkeit. Die Bemessung von Versuchsbauteilen erfolgt grundsätzlich mit den Mittelwerten der Baustofffestigkeiten. Die hier untersuchten Bauteile wurden alle für den konstanten Stababstand von 150 mm bemessen. So wurden die Übergreifungslängen anhand der mittleren Verbundfestigkeit f bm nach DIN EN 1992-2 bestimmt. Die Faktoren α 2 (Betondeckung) und α 6 (Stoßanteil, haben sich als maßgeblich für die erforderliche Übergreifungslänge erwiesen. Bei geraden Stabenden gilt α 1 -=-1,0 und bei fehlender Querpressung oder Querzug wird α 5 ebenfalls zu 1,0 gesetzt. Der Faktor für die Querbewehrung sollte hier aufgrund des geringen Einflusses nicht weiter untersucht werden ( α 3 = 1,0). Die Ermittlung der Übergreifungslänge für die Versuchsbauteile ist der Tabelle 5 zu entnehmen. 216 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Erkenntnisse aus neueren Untersuchungen zu Zugstößen durch Übergreifung bei mehrlagiger Bewehrung und alternierenden Stababständen Tabelle 5: Ermittlung der Übergreifungslänge der Versuchsträger [2] 3. Versuchsergebnisse Tragfähigkeit der Stöße in den Versuchen Die Auslegung der Übergreifungslängen erfolgte unter Ansatz des Mittelwertes der Verbundfestigkeit f bm . Um bei den Versuchen ein Verbundversagen sicherzustellen und ein vorzeitiges Versagen durch Fließen der Bewehrung zu vermeiden, wurde bei der Ermittlung der Übergreifungslängen der Bemessungswert der Streckgrenze des Betonstahls zugrunde gelegt. In Tabelle 6 sind die in den Versuchen erreichten Versagenslasten und die jeweils zugehörige maximale Momentenbeanspruchung (zugh. M Bruch = F Bruch × 1,50 m) dargestellt. Auf Grundlage der für die Versuchsbalken ermittelten tatsächlichen Betondruckfestigkeiten und des zur Bruchlast zugehörigen Biegemomentes kann auf die zugehörigen Stahlspannungen im Zustand II unter der Bruchlast geschlossen werden. Diese wurden im Rahmen des Gutachtens (zugh s s,Bruch,cal ) durch Nachrechnung mit einem Querschnittsprogramm bestimmt. Die rechnerisch maximal durch den Stoß übertragbaren Stahlspannungen liegen bei den Versuchen mit Werten zwischen 500,1-518,1- MN/ m² 14 % bis 19 % über dem Bemessungswert der für die Ermittlung der Übergreifungslängen zugrunde gelegten Steckgrenze des Betonstahls. Bei der Bemessung der Versuchsbauteile wurde von einer zu übertragenden Stahlspannung von f yd- =- 435- N/ mm² und einem Beton der Festigkeitsklasse C40/ 50 ausgegangen. Für die Überprüfung der ausreichenden Tragfähigkeit und einen Vergleich zwischen der Config. A und R muss die durch den Verbund begrenzte Kraft im Stoßbereich mit der zug. Stahlspannung (min.-s sd ) noch an die tatsächliche am Versuchsbauteil festgestellte Betonfestigkeit angepasst werden, da diese die Verbundfestigkeit beeinflusst. Der Modellsicherheitsbeiwert g mod = zugh. s s,Bruch,cal / min.- s sd liegt bei den durchgeführten Versuchen zwischen 1,01 und 1,07 und ist für beide Versuchsreihen „Config. R“ und „Config. A“ etwa gleich groß. Eine negative Auswirkung aus der Bemessung der Stöße mit alternierenden Stababständen näherungsweise wie für Stöße mit mittleren konstanten Stababständen (150-mm) auf die Tragfähigkeit der Stöße ist hier nicht zu erkennen. Weiterhin muss bei einer Bemessung der Stöße auf dem Niveau der mittleren Verbundfestigkeit f bm der Modellsicherheitsbeiwert g mod = zugh. s su,Bruch,cal / min. s sd im Mittel um dem Wert 1,0 liegen und darf den Wert 0,7 nicht unterschreiten. Dies trifft hier bereits für alle Einzelversuche zu. D. h. mit den durchgeführten Versuchen konnte für die nach DIN EN 1992-2 und auf Mittelwertniveau ausgelegten Stöße eine ausreichende Tragfähigkeit nachgewiesen werden. Auswertung der Rissbreiten Im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit liegen die Stahlspannungen etwa zwischen 150 bis 250-N/ mm². Die Messung und Bewertung der Rissbreiten im Stoßbereich erfolgte daher unter Gebrauchslastniveau. Für die Versuchsreihen Config. R und Config. A ergaben sich bei einer Versuchslast von 137,7- kN (zugh. M- =- 182,6- kNm) rechnerisch Stahlspannungen von 250-N/ mm². Für dieses Lastniveau wurden die Rissbreiten mittels optischer Messung ausgewertet und mit einer Setzdehnungsmessung überprüft. Im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit hatten bei den Versuchen die alternierenden Stababstände keinen negativen Einfluss auf die Rissverteilung und die Rissbreiten. Die Ergebnisse der Messungen für das Gebrauchslastniveau im Hinblick auf die maximalen Rissbreiten sind in Tabelle 7 zusammengefasst. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 217 Erkenntnisse aus neueren Untersuchungen zu Zugstößen durch Übergreifung bei mehrlagiger Bewehrung und alternierenden Stababständen Tabelle 6: Zusammenfassung der Ergebnisse zur Tragfähigkeit Versuchsbalken R1 R2 R3 A1 A2 A3 f cm ,cyl,Test [MN/ m²] 63,0 62,7 61,2 63,1 62,3 64,30 f ctm = 0,30 f ck 2/ 3 [MN/ m²] 4,55 4,53 4,45 4,55 4,51 4,61 f bm [MN/ m²] 10,23 10,20 10,02 10,25 10,15 10,38 min. s sd [MN/ m²] für l 0 mit f bk 510,6 509,0 500,1 511,5 506,5 518,1 F Bruch im Versuch [kN] 353,5 361,6 350,5 363,3 363,4 384,4 M Bruch im Versuch [kNm] 506,2 518,4 501,7 521,1 521,1 552,6 zugh. s s,Bruch,cal [MN/ m²] 517,8 530,8 513,5 532,8 533,4 552,9 g mod = zugh s s,Bruch,cal / min s sd für l 0 mit f bk 1,01 1,04 1,02 1,04 1,05 1,07 Tabelle 7: Maximale Rissbreite [mm], gemessen an der Oberseite und an der Stirnseite der Balken (Die Stahlspannung wird als das 0,2-, 0,3-, 0,4-, 0,5- und 0,6-fache der Streckgrenze der Bewehrung bestimmt) [3] Beam surface Reinforcement stress [MPa] Beam ID R1 R2 R3 A1 A2 A3 Top of beam 100 0,010 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 150 0,019 0,000 0,010 0,000 0,011 0,000 200 0,101 0,065 0,051 0,039 0,024 0,031 250 0,236 0,218 0,196 0,215 0,210 0,212 300 0,336 0,316 0,316 0,312 0,299 0,324 Face of beam 100 0,010 0,000 0,000 0,000 0,000 0,000 150 0,022 0,016 0,012 0,012 0,000 0,013 200 0,087 0,063 0,051 0,026 0,013 0,020 250 0,218 0,185 0,173 0,196 0,182 0,186 300 0,294 0,281 0,276 0,282 0,265 0,292 4. Zusammenfassung Bei der Fehmarnbelt-Querung ist für die Bewehrung ein mittleres Stabraster von 150mm vorgesehen. Aus ausführungstechnischen Gründen soll das Stabraster hinsichtlich einer besseren Betonierbarkeit mit alternierend größeren und kleineren Stababständen modifiziert ausgeführt werden: 150 - 43 = 107-mm 150 + 43 = 193-mm Daraus folgte vor dem Hintergrund des spröden Materialverhaltens von Beton die Frage, ob die Übergreifungsstöße bei strenger Auslegung des Eurocode 2 für den kleineren Stababstand bemessen werden müssen, aufgrund der damit einhergehenden kleineren Stärke der Zugringe (bei kleinerem c d größerer α 2 -Wert und damit größere erforderliche Übergreifungslänge). Die Tragfähigkeit der Zugringe sind für die Verbundfestigkeit maßgebend. Oder reicht eine Bemessung der Zugstöße näherungsweise für den konstanten gemittelten Achsabstand 150-mm aus, um die gleiche Tragfähigkeit zu erzielen? Da diese Frage auf theoretischem Weg nicht mit ausreichender Zuverlässigkeit beantwortet werden konnte, wurden gezielte Versuche durchgeführt. Dabei wurden drei Versuchsbauteile mit Zugstößen und konstantem Achsabstand der Stäbe von 150-mm, und drei auf gleiche Weise für einen mittleren Stababstand von 150 mm bemessenen Versuchsbauteile mit Zugstößen und alternierenden Achsabständen der Stäbe von 107 und 193-mm getestet. Die Übergreifungslängen waren bei allen sechs Versuchsbauteilen gleich groß. Das Ziel bestand darin festzustellen, ob die Versuchsbauteile mit alternierenden Achsabständen (Konfiguration A) im Stoßbereich systematisch kleinere Tragfähigkeiten aufweisen als die Versuchsbauteile mit konstanten Achsabständen (Konfiguration R) der Bewehrung. 218 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Erkenntnisse aus neueren Untersuchungen zu Zugstößen durch Übergreifung bei mehrlagiger Bewehrung und alternierenden Stababständen Im Ergebnis lieferten die Versuche für beide Konfigurationen A und R etwa die gleichen Tragfähigkeiten für die Zugstöße. Auch im Hinblick auf die Gebrauchstauglichkeit (Rissverhalten) erwiesen sich beide Bewehrungs- Konfigurationen als gleichwertig. Unter der Voraussetzung eines vollkommen spröden Zugtragverhaltens des Betons wäre dieses Ergebnis nicht zu erwarten gewesen. Allerdings verfügt der Beton beim Zugversagen durch den abfallenden Ast in der Spannungs-Verformungs-Beziehung (vgl. Abbildung 9) über eine gewisse Duktilität, die offensichtlich ausreicht, um die geringere Tragfähigkeit der Zugringe bei den kleinen Stababständen durch die größere Tragfähigkeit der Zugringe bei den größeren Abständen durch innere Spannungsumlagerungen zu kompensieren. Abbildung 9: Beton unter Zugbeanspruchung - Lokalisierung der Rissbildung [4] Literaturverzeichnis [1] Maurer, R; Bettin, M.: Übergreifungslängen von Betonstahlbewehrung BASt-Bericht B 148, Technische Universität Dortmund, Fakultät Architektur und Bauingenieurwesen, Lehrstuhl Betonbau, 2020. [2] M. Bettin: Zum Zugstoß der Bewehrung bei Bauwerken der Verkehrsinfrastruktur mit großer Betondeckung, Dissertation, Universitätsbibliothek Dortmund, Dortmund, 2023. doi: 10.17877/ de290r-24053. [3] DTI76-UJO-051-ATR 51 Testing of reinforcement lapping in beams cast by FLC. Final Report, Femern A/ S. Danish Technological Institute 09.02.2024 (nicht veröffentlicht). [4] Zilch, K.; Zehtemaier, G.: Bemessung im konstruktiven Betonbau, 2., neu bearbeitete Auflage, Springerverlag, 2017. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 219 System zur Verwendung von Mobilkranen für Belastungsversuche an Brückenbauwerken kleinerer Stützweite Maximilian Schnieders Ingenieurgesellschaft Experimentelle Statik mbH, Bremen Prof. Dr.-Ing. Marc Gutermann Institut für Experimentelle Statik, Hochschule Bremen Zusammenfassung Die Brückenbauwerke in der Verantwortung des Bundes weisen bekanntermaßen einen schlechten Erhaltungszustand auf. Gleichzeitig verzeichnet auch die kommunale Infrastruktur erhebliche Mängel. Neben den üblichen Herausforderungen im Erhaltungsbereich treten hier oft weitere Schwierigkeiten auf, da Bestandsunterlagen erfahrungsgemäß häufig nicht vollständig sind. Diese Lücken können eine präzise Bewertung der Tragsicherheit zusätzlich erschweren und dazu führen, dass rechnerische Untersuchungen der Tragsicherheit zu schlechten Ergebnissen führen. Alternativ kann der Nachweis einer ausreichenden Tragsicherheit durch Belastungsversuche erfolgen. Zur wirtschaftlichen Umsetzung solcher Versuche an Brücken mit geringerer Stützweite wurde ein neues Belastungssystem entwickelt und in einem Forschungsprojekt eingehend untersucht. Erste Ergebnisse dieser Erprobung wurden bereits 2018 in der Bautechnik [1] veröffentlicht. Nach mehreren Jahren praktischer Anwendung und verschiedenen Einsätzen des Belastungssystems „SyMoB“ wird in diesem Bericht das Verfahren anhand ausgewählter Beispiele erläutert. Es wird aufgezeigt, wie die Restnutzungsdauer kleinerer Straßenbrücken auch mit Erhöhung der Verkehrslasten verlängert. 1. Einführung Das Straßennetz hat für Deutschland einen hohen Stellenwert. Für eine intakte Verkehrsinfrastruktur sind Brückenbauwerke ebenso wichtig wie die Straße an sich. Der eher schlechte Erhaltungszustand der Straßenbrücken in der Baulast des Bundes ist hinlänglich bekannt. Der Zustand der Straßenbrücken in kommunaler Baulast steht jedoch eher im Hintergrund, obgleich dieser für die jeweiligen Regionen ebenfalls einen hohen Stellenwert bezüglich der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung hat [2]. Aus einer Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik aus dem Jahr 2013 geht hervor, dass etwa die Hälfte der Brücken in kommunaler Baulast einen schlechten Zustand aufweisen, etwa 15 % der kommunalen Straßenbrücken weisen sogar einen Ersatzneubaubedarf auf. Bezogen auf die Brückenfläche machen kleinere Brücken dabei den größten Anteil aus [2]. Treten bezüglich der Tragsicherheit bestehender Brücken Fragen auf, oder ist eine Nutzlasterhöhung erforderlich, kann der Nachweis oft rechnerisch nicht erbracht werden. Dann besteht die Möglichkeit, einen Tragsicherheitsnachweis experimentell zu führen. In der Vergangenheit wurden bereits zahlreiche Brücken auf diese Weise nachgewiesen. Besonders kleinere Brücken haben ein hohes Potential für Nutzlasterhöhungen wie eine Auswertung von durchgeführten Belastungsversuchen an Brückenbauwerken mit dem Belastungssystem BELFA zeigt (Abb.-1). Abb. 1: Statistische Auswertung der erreichten mittleren Nutzlasterhöhungen [3] (100 % = rechnerische Prognose) Die verschiedenen Möglichkeiten zur Erzeugung der Versuchslasten für Belastungsversuche an Brückenbauwerken sind in [4] ausführlich beschrieben. Der zeitliche und wirtschaftliche Aufwand für eine solche Untersuchung ist aufgrund der Komplexität der Lasterzeugung meist hoch, was zur Folge hat, dass kleinere Kommunen, deren Haushalt verhältnismäßig gering ist, diese Möglichkeit nicht wahrnehmen können oder wollen. Motoviert durch eine Anfrage zu Belastungsversuchen an einer Reihe von Brücken kleinerer Stützweite wurde am Institut für Experimentelle Statik der Hochschule Bremen ein Verfahren entwickelt, um den Aufwand für die Lasterzeugung und somit die Kosten für einen Belastungsversuch stark zu reduzieren. Unter der Num- 220 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 System zur Verwendung von Mobilkranen für Belastungsversuche an Brückenbauwerken kleinerer Stützweite mer 10 2017 118 041.9 wurde das „System zur Verwendung von Mobilkranen für die Durchführung von Belastungsversuchen an Straßenbrücken kleinerer Stützweite“ (SyMoB) patentiert. Über die ersten Erfahrungen mit dem neuen Prototyp wurde bereits in [1] berichtet. Zwischen Februar 2020 und August 2021 wurde das neue Verfahren in einem WIPANO-Forschungsprojekt (Wissenstransfer durch Patente und Normen), gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, bearbeitet [5]. Anhand einer Defizitanalyse der bereits durchgeführten Belastungsversuche wurde ein Pflichtenheft für die Entwicklung einer neuen Konstruktion erarbeitet. Durch verschiedene Erprobungen konnten Möglichkeiten und Grenzen sowie Eigenschaften des neuen Prototyps untersucht werden. In diesem Artikel wird über die wesentlichen Ergebnisse des Forschungsprojektes berichtet. Im Anschluss werden System und Verfahren anhand von Beispielen aufgezeigt. 2. Verfahren des Belastungsversuchs Mit dem Belastungssystem SyMoB können Versuchslasten durch die entwickelte Prüfvorrichtung mit integrierter Prüf hydraulik fein regelbar gegen die Masse eines Mobilkrans in das zu untersuchende Bauwerk eingeleitet werden. Durch zwei integrierte Kraftmessdosen oberhalb der Hydraulikzylinder ist die Versuchslast jederzeit bekannt. Die Einleitung der Versuchslasten in das zu untersuchende Bauteil erfolgt unterhalb der Lasttraverse über definierte Platten. Dies ermöglicht neben der Erzeugung der Normlastbilder der DIN 1072 auch eine individuelle Wahl der Lastbilder. Der Auf bau der Belastungstraverse mit den integrierten Bestandteilen ist in Abb. 2 dargestellt. Abb. 2: Auf bau und Bestandteile der im Forschungsprojekt überarbeiteten Konstruktion Der erforderliche Mobilkran kann in der Nähe des Einsatzortes für die Dauer der Untersuchung angemietet werden. Die Prüfvorrichtung wird vor Ort zusammen- und angebaut und kann über eine flexible Anschlussfunktion an diverse gängige Mobilkrantypen angeschlossen werden. In Abb. 3 ist der Anschluss an einen Mobilkran Liebherr LTM 1070-4.2 dargestellt. Abb. 3: Links: neuer Prototyp im Einsatz mit ausgefahrener Prüf hydraulik; rechts: Detail Anschluss an Mobilkran Aufgrund des hohen Eigengewichts des Mobilkrans ist ein direktes Befahren der zu untersuchenden Brücke nicht möglich. Ein schrittweises Verfahren dient dazu, die Tragfähigkeit des Bauwerks für das Vorrücken des Mobilkrans auf das Bauwerk sicherzustellen, bis die Zielposition für den Belastungsversuch erreicht ist. Hierbei befindet sich der Mobilkran zum Start der Messung außerhalb des Einflussbereichs der Brücke und fährt in Zwischenschritten von etwa ~50 cm rückwärts auf die Brücke auf. In jedem Zwischenschritt wird durch eine messtechnisch überwachte Probebelastung die Tragfähigkeit der Brücke für den nächsten Schritt sichergestellt. Zu berücksichtigende Laststellungen sind vor dem Widerlager, auf dem Auflager, im Viertelspunkt und in Feldmitte (Abb. 4). Das Bauwerk wurde vorher mit Messtechnik ausgestattet. Das Messkonzept wird jeweils individuell an die Problemstellung angepasst, damit eine Zustandsänderung rechtzeitig erkannt und die Last reduziert werden kann. Abb. 4: Schrittweises Vorgehen - minimale Anzahl der Laststellungen 3. Anwendungsbeispiele 3.1 Wegebrücke über ein Sielbauwerk Das zu untersuchende Sielbauwerk aus Stahlbeton regelt den Wasserstand zwischen Hinterland und Ostsee, wo- 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 221 System zur Verwendung von Mobilkranen für Belastungsversuche an Brückenbauwerken kleinerer Stützweite bei das landseitige Ende von einer zweispurigen Straße überquert wird, die für den Lieferverkehr (BK 30/ 30) und Militärtransporte (MLC 100) nachgewiesen werden sollte. In Abb. 5 ist der Längsschnitt des Sielbauwerks dargestellt. Abb. 5: Längsschnitt des Sielbauwerks Der Querschnitt des landseitigen Sielbauwerks stellt somit den Längsschnitt der Brücke dar, siehe Abb. 6. Abb. 6: Querschnitt des Sielbauwerks = Längsschnitt der Stahlbetonbrücke Abb. 7: Lasteinleitung Nachweis Stützmoment (rot: Lasteinleitungsflächen) Da keine statischen Unterlagen vorhanden waren, wurde vorgeschlagen, die Tragsicherheit durch Belastungsversuche nachzuweisen. Aufgrund der Fahrbahnbreite von 6,0- m musste für die Brückenklasse 30/ 30 die Haupt- und Nebenspur mit dem Lastbild SLW30 berücksichtigt werden. Eine FE-Vergleichsrechnung zur Versuchslastermittlung ergab für den Nachweis der Brücke Versuchslasten in Summe von F Ziel = 970 kN. Zur Erzeugung dieser Versuchslasten wurden zwei Mobilkrane mit der Belastungskonstruktion SyMoB ausgestattet und 40t zusätzlicher Ballast eingesetzt. Exemplarisch ist der Lasteinleitungsplan zur Erzeugung des minimalen Stützmoments in Abb. 7 dargestellt. Um die Tragfähigkeit der Brücke für das Auffahren der Mobilkrane und die Ablage des Ballasts nachzuweisen, gliederte sich der Versuchsablauf in die folgenden 5 Schritte: 1. Auffahrt Mobilkran 1 und Belastungsversuch für den Nachweis ‚20t Ballast‘ auf Feld 1 und 2 2. Abfahren des Krans und Ablage von je 20t Ballast auf Feld 1 und 2 3. Schrittweise Auffahrt Mobilkran 1 und 2 und Belastungsversuch für den Nachweis des Stützmomentes-M Stütz 4. Abfahren der Krane und Umlegen des Ballast von Feld 1 auf Feld 2 (40t Ballast auf Feld 2) 5. Abfahren Mobilkran 1 und Belastungsversuch für Nachweis max. M Feld in Feld 2 Durch das schrittweise Vorgehen bei der Lastauf bringung konnten die Versuchslasten aus den Mobilkranen sowie aus dem zusätzlichen Ballast abgesichert auf der Brücke eingeleitet werden. Abb. 8: Lagerung der Messbasis (1), Durchbiegungsmessung (2), integrale Dehnungsmessung (3) und Neigungsmessung (4) Vor den Versuchen wurde das Bauwerk mit Messtechnik ausgestattet um die notwendigen Informationen zur Zustandsbewertung während des Versuches beobachten zu können. Aufgenommen wurden neben den eingeleiteten Kräften aus den Mobilkranen auch die Durchbiegung des Überbaus relativ zu den Wänden und Betondehnungen an der Brückenunterseite. Neigungssensoren überwachten Verdrehungen an den Außenwänden (Quer zur Fahrbahn) und der Mittelwand. Zur Ermittlung einer möglichen Durchlaufwirkung wurden während der Belastungen zwei Neigungssensoren jeweils ca. 50 cm vom Mittelauflager eingesetzt. Während der Versuche konnten die Bauteilreaktionen in Abhängigkeit der aufgebrachten Versuchslasten beobachtet und analysiert werden. Insgesamt wurden nur sehr geringe Bauteilreaktionen gemessen, welche vorwiegend im linear-elastischen Bereich blieben und nur geringe bleibende Verformungen hervorgerufen haben. Eine Einstufung in die Brückenklasse 30/ 30 und in die militärische Lastklasse MLC 100 konnte durch die Belastungsversuche nachgewiesen werden. In Abb. 9 sind die aufgenommenen Vertikalverschiebungen in Feldmitte (Feld 2) in Abhängigkeit des erzeugten Feldmoments dargestellt. 222 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 System zur Verwendung von Mobilkranen für Belastungsversuche an Brückenbauwerken kleinerer Stützweite Abb. 9: Vertikalverschiebung in Feldmitte in Abhängigkeit des erzeugten Feldmoments (Nachweis max. Feldmoment in Feld 2) Abb. 10: Mobilkrane und Ballast zum Nachweis des Stützmoments 3.2 WIB-Brücken in Apelern In der Gemeinde Apelern lagen für zwei Wegebrücken keine aussagekräftigen Bestandsunterlagen vor. Gutachterliche Stellungnahmen bezüglich der Tragfähigkeit der Brücke reduzierte die zulässigen Nutzlasten aufgrund von Korrosionsschäden an den Stahlträger in die Brückenklassen BK12 und BK9. Durch experimentelle Tragsicherheitsbewertungen an Überbau und Gründung sollte für beide Brücken überprüft werden, ob eine Einstufung in die Brückenklasse BK30 möglich ist. Bei den Brücken handelt es sich um WIB-Brücken (Walzträger in Beton). Die kleinere der beiden Brücken ist besonders schiefwinklig (~41 gon), siehe Abb. 11. Die lichte Weite zwischen den Auflagern beträgt 3,42-m. Die Gesamtbreite der Brücke beträgt etwa 5,37-m mit einer Fahrbahnbreite von 4,5-m. Bei der Besichtigung der Brücke war ein eher schlechter Erhaltungszustand sowie augenscheinlich starke Korrosion ersichtlich (Abb. 12, links). Auffällig war zudem, dass einer der Stahlträger „liegend“ eingebaut worden ist (Abb. 12, rechts). Abb. 11: Draufsicht der WIB-Brücke mit eingezeichneten Stahlträgern Abb. 12: Links: Brückenuntersicht mit augenscheinlich starker Korrosion; rechts: Detail des „liegend“ eingebauten Stahlträgers Aufgrund der Fahrbahnbreite von 4,5 m musste für die Berechnung der maßgebenden Schnittgrößen nur eine Fahrspur mit den Lastbildern des SLW30 bzw. der schweren Einzelachse der BK30 berücksichtigt werden. In einer FE-Vergleichsrechnungen wurden die extremen Schnittgrößen und Lagerkräfte unter den Lastbildern der Brückenklasse BK30 nach DIN 1072 ermittelt und die Versuchslasten so bestimmt, dass die maximalen Schnittgrößen an sämtlichen Trägern und Plattenbereichen erzeugt werden. Dadurch konnte auf einen Übertragungsbeiwert auf nicht getestete Bereiche verzichtet werden und die erforderlichen Versuchslasten von F ext ≤ 300 kN alleine durch einen Mobilkran erzeugt werden. Dieser tastete sich, begonnen mit Laststellung 1, schrittweise über die Brücke. Die acht verschiedenen Laststellungen sind in Abb. 13 dargestellt. In den Laststellungen 1 und 5 wurden die Brückenwiderlager untersucht. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 223 System zur Verwendung von Mobilkranen für Belastungsversuche an Brückenbauwerken kleinerer Stützweite Abb. 13: Versuchslaststellungen im Belastungsversuch Abb. 14: Messstellenplan Zur Zustandsbewertung während des Versuchs wurden wesentliche Bauteilreaktionen wie die Durchbiegung der Stahlträger, Dehnungen an den Feldbereichen, die Setzungen der Widerlager und die erzeugte Kraft aufgenommen und konnten zur zeitgleichen Zustandsbewertung am Bildschirm analysiert werden. Zur messtechnischen Ausstattung siehe Abb. 14. Abb. 15: Links: Durchbiegungsmessung der Stahlträger und integrale Dehnungsmessung an den Feldern zwischen den Trägern; rechts: Detail Durchbiegungs- und Dehnungsmessung Die Versuchslasten konnten kontrolliert bis zum Erreichen der Versuchsziellast gesteigert werden, womit die Brücke erfolgreich in die Brückenklasse BK30 eigestuft werden konnte. Bis zum Gebrauchslastniveau zeigten alle gemessenen Bauteilreaktionen ein linear-elastisches Verhalten auf. Oberhalb dieser Last zeigte sich in den Randträgern ein nichtlineares Tragverhalten (Abb. 16). Abb. 16: Belastung vs. Vertikalverschiebung in Laststellung 4 Bei der zweiten untersuchten Brücke in der Gemeinde Apelern handelte es sich ebenfalls um eine WIB-Brücke. Die lichte Weite der Brücke beträgt ~7,0-m bei einer Fahrbahnbreite von ~5,5-m. In Abb. 17 sind Querschnitt und Grundriss der Brücke dargestellt. 224 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 System zur Verwendung von Mobilkranen für Belastungsversuche an Brückenbauwerken kleinerer Stützweite Abb. 17: Querschnitt und Grundriss der WIB-Brücke Bei einem Ortstermin wurde auch hier Korrosion an den Stahlträgern festgestellt, der Gesamteindruck war jedoch besser als bei der vorherigen Brücke. Eine Ansicht der Brücke von unten ist in Abb. 18 dargestellt. Abb. 18: Brückenuntersicht Die erforderlichen Versuchslasten wurden ebenfalls durch einen Schnittgrößenvergleich mithilfe einer FE- Berechnung ermittelt. Bei einer Fahrbahnbreite von 5,50-m musste nur eine Spur mit einem SLW30 berücksichtigt werden. Aufgrund der Spannweite der Brücke reichten die Versuchslasten allein aus der Belastungsvorrichtung jedoch nicht aus, weshalb neben der regelbaren Versuchslasteinleitung zusätzlicher Ballast auf der Brücke abgestellt wurde. Die Tragfähigkeit der Brücke wurde für das Abstellen des Ballasts vorher durch regelbare Belastungen mit der Belastungsvorrichtung erprobt. Insgesamt ergaben sich 4 Laststellungen, siehe Abb. 19. Abb. 19: Versuchslaststellungen; links: Nachweis max M y des Randträgers; mitte: Nachweis max m y des Plattenbereichs zwischen den Trägern; rechts: Nachweis der max. Auflagerkräfte Die am Bauwerk installierte Messtechnik ist in Abb. 20 dargestellt. Aufgenommen wurden: • Vertikalverschiebungen der Stahlträger (13-17, 23-26) • Betondehnungen an der Unterseite (18, 27) • Dehnungen am Stahlträger (101) • Verdrehungen am Auflager (33-36) • Setzungen (11, 12, 21, 22) • Kraftmessung (31, 32) Abb. 20: Messstellenplan Die Bauwerksreaktionen waren bis zur Versuchsziellast in einen vorwiegend linear-elastischen Bereich. In Abb. 21 sind die Vertikalverschiebungen der Stahlträger in Feldmitte dargestellt, hier ist auch eine geringe bleibende Verformung zu erkennen, welche im Wesentlichen auf die Lagersetzungen zurückzuführen ist. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 225 System zur Verwendung von Mobilkranen für Belastungsversuche an Brückenbauwerken kleinerer Stützweite Abb. 21: Belastung vs. Vertikalverschiebung an den Stahlträgern 4. Zusammenfassung Die Brückenbauwerke des Bundes sowie der kommunalen Infrastruktur zeigen einen schlechten Erhaltungszustand und weisen teils erhebliche Mängel auf. Um dieser Problematik zu entgegnen, wurde ein neues Belastungssystem namens „SyMoB“ entwickelt, das Belastungsversuche an Brücken mit geringerer Stützweite wirtschaftlich ermöglicht. Das System wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts entwickelt und erprobt. Es ermöglicht die Feinregelung und zuverlässige Bestimmung aufgebrachter Lasten sowie die Anpassung an verschiedene Mobilkrane. Die Belastungsversuche erfolgen schrittweise, um die Tragfähigkeit des Bauwerks sicherzustellen. Anhand ausgewählter Beispiele, wie einer Wegebrücke über ein Sielbauwerk und WIB-Brücken in Apelern, wurde die Anwendung des Verfahrens demonstriert. Die Versuche zeigten, dass das Belastungssystem erfolgreich eingesetzt werden kann, um die Tragsicherheit von Brücken zu prüfen und die zulässigen Nutzlasten gegebenenfalls zu erhöhen. Die ermittelten Bauteilreaktionen blieben überwiegend im linear-elastischen Bereich, was auf eine gute Tragfähigkeit der untersuchten Brücken hinweist. Das SyMoB-System bietet somit eine effektive Möglichkeit, Tragreserven zu erschließen und so die Restnutzungsdauer kleinerer Straßenbrücken zu verlängern sowie die zulässige Nutzlast zu erhöhen. Literatur [1] Gutermann, M., Schröder, C., Böhme, C., 2018: Nachweis von Straßenbrücken kleiner Stützweite am Beispiel von Wegebrücken in der Eilenriede, Hannover in: Bautechnik 95, H. 7, S. 477-484. [2] Deutsches Institut für Urbanistik gGmbH (DIfU) [Hrsg.], 2013: Ersatzneubau Kommunale Straßenbrücken. Verfügbar unter: https: / / www.bauindustrie.de/ fileadmin/ bauindustrie.de/ Themen/ Verkehr_ Infrastruktur/ Studie_Ersatzneubau-Bruecken.pdf [3] Gutermann, M.; Schröder, C. 2011: 10 Jahre Belastungsfahrzeug BELFA in: Bautechnik 88, H. 3, S. 199-204. [4] Bretschneider, N.; Fiedler, L.; Kapphahn, G.; Slowik, V.,2012: Technische Möglichkeiten der Probebelastung von Massivbrücken in: Bautechnik 89, H. 2, S. 102-110. [5] WIPANO-Forschungsprojekt 03THW04K04, 2020: 1. Zwischenbericht SyMoB. Hochschule Bremen, unveröffentlicht. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 227 Seilkraftbestimmung über Eigenfrequenzmessungen am Beispiel der Hänger der Rheinbrücke Emmerich Sicherstellung der korrekten Spannkraft beim Tausch aller Hänger Dr.-Ing. Axel Greim Dr. Schütz Ingenieure PartG mbB, Kempten Zusammenfassung Beim Tausch der Hängerseile der Rheinbrücke Emmerich wurden zur Planung der neu einzuspannenden Kräfte, aber auch zur Zwischen- und Endkontrolle die Hängernormalkräfte mit Hilfe von Eigenfrequenzmessungen bestimmt. Dazu wurde ein parametrisches, rechnerisches Stabmodell für die Hänger aufgebaut, an welchem die Normalkraft so iteriert wurde, dass die rechnerischen und gemessenen Eigenfrequenzen übereinstimmen. Im Falle von kurzen Seilen haben dabei die schwer zu bestimmenden Parameter Biegesteifigkeit des Seils und die Einspannsteifigkeiten einen großen Einfluss auf die Genauigkeit der Normalkraftermittlung. Auf Basis der Hängerkraftverteilung im Bestand werden für den Tausch einzuspannende Differenzvorspannkräfte berechnet. Der Projekterfolg wird durch einen Vergleich der Hängerkraftverteilung vor und nach dem Tausch der Hängerseile bewiesen. 1. Projektbeschreibung Mit einer Hauptspannweite von 500 m stellt die Rheinbrücke Emmerich (Abb. 1) Deutschlands größte Hängebrücke dar. Sie wurde dem Verkehr im Jahr 1965 übergeben und steht seit 2002 unter Denkmalschutz. In den Jahren 2019 bis 2023 wurden am Bauwerk Instandsetzungsarbeiten durchgeführt, die unter anderem den Austausch aller Seilhängerstränge beinhalteten (insgesamt 400 Stück). Abb. 1: Die Rheinbrücke Emmerich mit der Einrüstung zur Sanierung der oberstromseitigen Tragseilebene (2020) Da die Bestandshänger aus dem ursprünglichen Bauablauf und teilweisen korrosionsbedingten Querschnittsschwächungen starke Normalkraftumlagerungen erfahren hatten, war die exakte Vorgabe der neu einzuspannenden Kräfte beim Hängertausch unter Berücksichtigung des Bauablaufs erforderlich. Dazu mussten die Hängerkräfte im Bestand möglichst exakt ermittelt werden. Auch zur Kontrolle der Hängerkräfte im Endzustand war ein effizientes Verfahren erforderlich. Die Brücke hat insgesamt 50 Hängerachsen. Je Achse und Brückenseite verbinden vier nahezu parallele Seilstränge das Haupttragkabel mit den Längsträgern. Jeweils zwei dieser Seilstränge sind aus einem Seil gefertigt, welches über das Haupttragkabel geschlagen wurde (Abb.2). Die Verankerung der beiden Seilenden erfolgt jeweils auf der Unterseite des Obergurts der Fachwerk-Hauptträger mit vergossenen Seilköpfen mit Außengewinde und einer sphärischen Mutter. Zur Durchführung der Seile durch den Hohlkasten des Obergurts werden in diesen Rohre eingeschweißt (Abb. 3). 228 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Seilkraftbestimmung über Eigenfrequenzmessungen am Beispiel der Hänger der Rheinbrücke Emmerich Abb. 2: Hängeranschluss an das Haupttragkabel, Ausschnitt aus [1] Die Ausbildung der neuen Hänger erfolgte aufgrund des Denkmalschutzes stark in Anlehnung an den Bestand. Abb. 3: Hängeranschluss an den Obergurt des Versteifungsträgers, Ausschnitt aus [1] 2. Dynamische Grundlagen Der Zusammenhang zwischen Normalkraft und .-Eigenfrequenz eines biegeschlaffen Seils mit gelenkiger Auflagerung wird mit der sog. Saitenformel beschrieben [2]: (Gl. 1) Wobei die Massebelegung (Gewicht/ Länge) und die Länge des Seils ist. Das bedeutet, dass ein linearer Zusammenhang zwischen den Ordnungen der Eigenfrequenzen besteht. Reale Brückenseile haben allerdings eine Biegesteifigkeit, was die Anwendbarkeit der Saitenformel insbesondere für kurze Seile einschränkt. Die Seilbiegesteifigkeit setzt sich aus den Biegesteifigkeiten der Einzeldrähte, der (Haft-)Reibung zwischen den Einzeldrähten (und damit verbundenen Steineranteilen der Einzeldrähte) und aus Einspanneffekten durch den Verguss in den Seilköpfen zusammen. Aus eigenen Erfahrungen wirken auch Gabelseilköpfe erst bei relativ großen Auslenkungen (nach Überwindung der Haftreibung am Bolzen) als Gelenk. Ist das Seil ausreichend lang, kann die Biegesteifigkeit in den Seilen in guter Näherung vernachlässigt werden. Erfahrungen an der Rheinbrücke Emmerich ergaben beispielweise für ein Verhältnis von Seillänge zu Seildurchmesser von l/ D = 725 keinen messbaren Einfluss der Biegesteifigkeit auf die ersten drei Eigenfrequenzen von vollverschlossenen Seilen mit Ø 39,6 mm mehr. In [3] wird folgende Näherungslösung für die Eigenfrequenzen eines Seils mit Biegesteifigkeit , präsentiert: (Gl.2) Es besteht damit kein linearer Zusammenhang mehr zwischen den Ordnungen der Eigenfrequenzen. Da die Biegesteifigkeit eines eingebauten Bestandsseils nur schwer exakt zu bestimmen ist, wird in [3] versucht, diese durch Vergleich von der 1. bis 10. berechneten und gemessenen Eigenfrequenz zu bestimmen. Es wird sozusagen die gemessene Frequenzgangkurve mit der berechneten Frequenzgangkurve verglichen. Dieses Verfahren berücksichtigt allerdings keine Steifigkeiten an der Einspannstelle (welche besonders bei kurzen Seilen dominieren können) und gerät an die Grenzen, wenn die Biegesteifigkeit selbst von der Ordnung der Eigenfrequenz oder der Amplitude der Anregung abhängt. So kann ein Seil z. B. durch Überwindung der Haftreibung zwischen den Drähten bei größeren Amplituden oder höheren Eigenformen „weicher“ werden. Um Anschlusssteifigkeiten von Zuggliedern bei der Kraftermittlung aus gemessenen Eigenfrequenzen zu berücksichtigen, eignen sich prinzipiell Stabwerksmodelle der Zugglieder mit Drehfedern an den Auflagern. Die Eigenfrequenzberechnung erfolgt an diesen nach Th. II. Ordnung. Programmtechnisch geschieht dies z. B. im Softwarepaket Sofistik durch Berücksichtigung eines sog. Primärlastfalls (zur Erzeugung der Normalkraft) im Eigenwertsolver. Die Normalkraft kann dann so lange iteriert werden, bis gemessene und berechnete Eigenfrequenz übereinstimmen. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 229 Seilkraftbestimmung über Eigenfrequenzmessungen am Beispiel der Hänger der Rheinbrücke Emmerich Die Genauigkeit dieser Methode hängt wiederum davon ab, wie exakt die Seilsteifigkeit und die Einspannsteifigkeiten bekannt sind. Um die Drehfedersteifigkeit der Auflagerpunkte nicht abschätzen zu müssen, können prinzipiell die gesamten Verankerungskonstruktionen inkl. der anschließenden Brückenbauteile mit Finiten Elementen modelliert werden. Ein solches Vorgehen eignet sich besonders im Falle von Stabbogenbrücken mit Flachstahlhängern, wie sie im Eisenbahnbrückenbau eingesetzt werden, da dann auch die Hänger selbst gut mit Finiten Schalenelementen abgebildet werden können. Dieses Verfahren wurde zum Beispiel an der EÜ ü. d. B428 in Bad Kreuznach in [4] erfolgreich angewendet. 3. Normalkraftbestimmung an den Hängern der Rheinbrücke Emmerich Da an der Rheinbrücke Emmerich Seilhänger verbaut sind, genügt das genaue Modellieren der Hängeranschlussbereiche der Brücke nicht, um alle Biegeeffekte korrekt abzubilden. Das Seil selbst müsste (zumindest im Anschlussbereich mit seinen Einzeldrähten und der Vergussmasse) mit modelliert werden. Da aber die Normalkraft an der großen Anzahl von Hängern während des Projekts (Hängertausch) mehrmals iteriert werden musste war zudem der numerische Aufwand zu begrenzen. Daher wurden in diesem Projekt die Hänger mittels Stabelementen mit Drehfedern in den Anschlusspunkten modelliert. Folgende Parameter mussten daher möglichst exakt bestimmt werden, um eine zuverlässige Normalkraftbestimmung aus gemessenen Eigenfrequenzen zu ermöglichen: • Massebelegung • Seilbiegesteifigkeit • Obere und untere Drehfederkonstanten und • Seillänge In den folgenden Unterkapiteln wird auf die Bestimmung dieser Parameter eingegangen. Die 400 Hängerseilstränge der Rheinbrücke Emmerich haben eine Länge von 7,1-m bis 57,8-m. Die Durchmesser der VVS betrugen im Bestand 37,0-mm bzw. 42,0 mm und nach dem Tausch 39,6-mm bzw. 42,0-mm. 3.1 Bestimmung der Massebelegung Abb. 4: Exakt 1,00-m lange Probestücke zum Wiegen. Links: Bestandshänger, rechts neuer Hänger Die Massebelegung (in kg/ m) muss neben dem reinen metallischen Querschnitt auch die Seilfüllung und den Korrosionsschutz berücksichtigen. Am einfachsten wird diese durch Wiegen von exakt abgelängten Probestücken bestimmt (Abb. 4). 3.2 Bestimmung der Seillänge Die Bestandspläne sind wenig hilfreich zur Bestimmung der exakten Seillänge, da in der Bauausführung von diesen wohl teilweise abgewichen wurde. Das Nachmessen von Hand ist unersetzbar. Im Falle der Rheinbrücke Emmerich wurde dies durch einen 3D Laserscan der Brücke unterstützt. Die neuen Seile wurden exakt nach Plan gefertigt. Der Längenausgleich von Montagetoleranzen erfolgte durch Unterlegen von Futterblechen unter die vergossenen Seilköpfe. Dadurch ist die freie Schwinglänge des Seils unabhängig von der tatsächlichen Einbaulänge. 3.3 Bestimmung der Biegesteifigkeit der Seile Die vollverschlossenen Spiralseile wurden an einem exemplarischen Hänger mittels des parametrischen Seilmodells aus [5] modelliert (Abb. 5). In diesem Modell sind die einzelnen Drähte des Seils mit Stabelementen, welche an den Berührpunkten der Drahtlagen mit nichtlinearen Federelementen verbunden sind, abgebildet. Abb. 5: Seilmodell mit Abbildung der Einzeldrähte 230 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Seilkraftbestimmung über Eigenfrequenzmessungen am Beispiel der Hänger der Rheinbrücke Emmerich Der gleiche Hänger wurde auch mittels Stabelementen mit einem Ersatzquerschnitt modelliert. Die Biegesteifigkeit dieser Stabelemente wurde dann so angepasst, dass die Biegelinien in den ersten drei Eigenformen der Hänger bei einer bestimmten Normalkraft übereinstimmen (Abb. 6) Abb. 6: Exemplarischer Vergleich der Biegelinien des Detail-Seilmodells (blau) mit einem angepasstem Stabmodell (orange). Die Einspannung des Seils in die Vergussmasse ist oben in der Grafik. 3.4 Bestimmung der Federsteifigkeit der Anschlusspunkte Insbesondere die Anschlusssteifigkeit an das Haupttragkabel ist schwierig zu berechnen, da dort die Seile über eine Nut in einer großen Seilschelle geschlagen sind. Die Seile sind in diesem Bereich mit einem Aluminiumblechstreifen umwickelt (Abb. 2 und Abb. 7). Abb. 7: Verbindungsschelle von Hängern und Haupttragkabel Da dies der letzte unbekannte Parameter des Modells war, konnte er gut durch einen Versuch bestimmt werden. Die Seilkräfte eines Hängerbündels (bestehend aus vier Seilsträngen) wurden mittels Hydraulikpressen bestimmt (Abb. 8). Unmittelbar vor dem Anspannen der Hydraulikpressen wurden auch die Eigenfrequenzen der vier Seilstränge gemessen. In dem Stabmodell des Hängers wurde die Steifigkeit der oberen Drehfeder dann so iteriert, dass bei der vorgegebenen Normalkraft die gemessenen und berechneten Eigenfrequenzen übereinstimmten. Abb. 8: Pressenstuhl mit Hydraulikpressen eingeschraubt in die Seilköpfe am Obergurt des Versteifungsträgers 3.5 Messung der Eigenfrequenzen der Hängerseile An die Hänger wurde der Reihe nach jeweils ein Beschleunigungsaufnehmer geklemmt und das Seil in Schwingung versetzt. Dies gelingt bei kurzen Seilen gut mit einem gedämpften Hammerschlag. Bei langen Seilen eignet sich das Aufschaukeln von Hand besser zur Anregung der ersten Eigenfrequenzen. Es wurden jeweils die ersten drei Eigenfrequenzen durch Peak-Picking in der Fouriertransformation des Ausschwingvorgangs bestimmt. Die Messungen erfolgten unter Verkehr. Es wurde allerdings drauf geachtet, dass sich kein LKW auf der Brücke während einer Messung befand. Durch Ampeln an beiden Enden der Brücke und die generell eher geringe Schwerverkehrsdichte war das gut möglich. Durch den gleichzeitigen Einsatz von zwei Beschleunigungsaufnehmern und die Verwendung einer akkubetriebenen Messanlage konnten die 200 Hängerseile einer Brückenseile in ca. 12 Arbeitsstunden gemessen werden. Der Bauablauf des Hängertauschs war dadurch nicht beeinträchtigt. Es wurden Messungen im Bestand vor Beginn der Arbeiten, während eines Zwischenstandes und nach dem Tausch aller Hänger durchgeführt. 3.6 Iteration der Normalkraft für alle Hängerseile Um die Iteration der Normalkraft im Rechenmodell weitestgehend zu automatisieren, wurde das Stabmodell der Hänger parametrisiert. Die Übergabe der Parameter (Länge und Seilart Bestand/ neu) erfolgte direkt aus dem Messprotokollen mit Hilfe von Excelmakros. Die Iteration im Softwarepaket Sofistik wurde ebenfalls durch eine Excel Makro gestar- 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 231 Seilkraftbestimmung über Eigenfrequenzmessungen am Beispiel der Hänger der Rheinbrücke Emmerich tet. Sie erfolgte mit Hilfe eines Optimierungsalgorithmus der als Optimierungsziel die Minimierung der prozentualen Abweichungen zwischen Messung und Berechnung der ersten drei Eigenfrequenzen hat. Die Rückgabe der iterierten Normalkraft in die Messprotokolle erfolgte ebenfalls automatisiert. Durch die Berücksichtigung von drei Eigenfrequenzen werden kleine Messungenauigkeiten (z. B. Aufgrund einer begrenzten Messzeit) herausgemittelt. Ferner fallen Zahlendreher beim Übertragen von Messwerten sofort auf. 3.7 Verfikation des Verfahrens Die Verifikation erfolgte durch den Vergleich der Summe der Hängerkräfte einer Seilebene. Da sich das Eigengewicht der Brücke nicht ändert, muss diese immer gleich sein. Zudem wurde das Eigengewicht des Überbaus aus dem Materialverteilungsplänen möglichst exakt ermittelt. 4. Vorgabe von neu einzuspannenden Kräften beim Hängertausch. Sinn der Normalkraftmessungen der Hängerseile war, nach dem Tausch der Hänger in diesen eine Kraftverteilung entsprechend der statischen Berechnung zu erhalten. Da die Hängerkräfte während des Tauschs durch unbekannte Baustellen- und Gerüstlasten größer als während der Urmessung im Bestand sind, ist das Vorschreiben von absolut einzuspannenden Kräften nicht zielführend. Allerdings ist die Hängerkraft zum Zeitpunkt des Tauschs sehr gut mit der Hydraulik zur Entlastung der Hänger bestimmbar. Grundgedanke ist also, dass beim Ausbau eines Hängers die Kraft wieder eingespannt wird, die beim Ausbau gemessen wurde. Abweichungen von den Sollkräften im Bestand werden durch das Vorschreiben von Differenzvorspannkräften ausgeglichen. Diese Differenzkräfte werden an einem Gesamtmodell der Brücke berechnet, um die Auswirkungen auf die Nachbarhänger beurteilen zu können. Das Ergebnis des Projekts ist in Abb. 9 für die Unterstromseite zusammengefasst. In orange sind die Kräfte in einer Hängerachse, wie sie sich aus einer Nachrechnung ergeben, dargestellt. Im Bestand (violett) gibt es v.a. in Brückenmitte deutliche Abweichungen. Nach dem Tausch sind die Kräfte deutlich vergleichmäßigt. Die maximale Überschreitung einer Hängerkraft (laut Nachrechnung) beträgt 10,6 %. Diese Überschreitung ist durch eine Reduktion des lastseitigen Teilsicherheitsbeiwerts für die ständigen Lasten nachweisbar. Die Reduktion wird dadurch begründet, dass das Gewicht der Brücke nun gemessen ist und daher diesbezüglich keine Unsicherheiten mehr bestehen. Dank An der Bearbeitung des Projekts haben im Wesentlichem Maße mitgewirkt: Prof. Dr.-Ing. habil. Karl G. Schütz, Dr.-Ing. Michael Schmidmeier, M. Sc. Andreas Riedl. Literatur [1] Leonhardt, Andrä und Partner AG: Ausschreibungsplan Nr. S-06: Rheinbrücke Emmerich - Instandsetzung, Strombrücke Austausch Hängerseile, Schnitte Details Bestand und Neubau, 13.06.2017 (unveröffentlicht) [2] Christian Petersen: Dynamik der Baukonstruktionen, Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH Braunschweig/ Wiesbaden 1996 [3] Schimetta Consult Ziviltechniker Ges.m.b.H: Elbauenbrücke Schönebeck, Abschlussbericht Kabelkraftbestimmungnen 2013 & 2017, 31.01.2018 (unveröffentlicht) [4] Dr. Schütz Ingenieure PartG mbB: Gutachten über die Schwingungsmessungen an den Hängern der Stabbogenbrücke EÜ ü. d. B428 in Bad Kreuznach, 22.12.2022 (unveröffentlicht) [5] Michael Schmidmeier: Zur Ermüdungssicherheit vollverschlossener Seile unter Biegung, BAW Mitteilungen Nr. 102, Karlsruhe 2016 Abb. 9: Vergleich der Hängerkräfte je Achse (= jeweils Summe aus 4 Seilsträngen) in der unterstromseitigen Tragseilebene. Orange: Sollkräfte laut Statik; Violett: Kräfte im Bestand; Grün: Abschlussmessung. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 233 Spannungsrisskorrosion in konzentrierten Spanngliedern - Erfahrungen aus einem gesamtheitlichen Bewertungsansatz für zwei Bauwerke in Döbeln (Sachsen) Dr.-Ing. Steffen Müller Landesamt für Straßenbau und Verkehr, Dresden Dipl.-Ing. Max Käding MKP GmbH - Marx Krontal Partner, Dresden Dr.-Ing. Gregor Schacht MKP GmbH - Marx Krontal Partner, Dresden Dipl.-Ing. Andreas Gruner Landesamt für Straßenbau und Verkehr, Dresden Dipl.-Ing. Ralf Seifert Landesamt für Straßenbau und Verkehr, Dresden Zusammenfassung Spannungsrisskorrosion stellt eine signifikante Bedrohung für die Standsicherheit älterer Spannbetonbrücken dar. Besonders gefährdet sind Bauweisen mit konzentrierten Spanngliedern, bei denen i. d. R. eine hohe Anzahl von Spanndrähte stegweise in nur einem Spanngliedkasten geführt werden. Diese konstruktive Besonderheit, verringert die Redundanz und erhöht die Anfälligkeit für tragsicherheitsrelevante Schäden bspw. im Fall unzureichender Verpressung oder bei elektrolytischem Angriff. Ein markantes Beispiel für die gravierenden Auswirkungen dieser Besonderheit bot die Brücke über den Altstädter Bahnhof in Brandenburg a. - d. Havel, dessen dramatische Zustandsverschlechterung zu einer unmittelbaren Sperrung und schlussendlich einem Abbruch des Bauwerks durch Sprengung führte. Als Reaktion darauf forderte das Bundesministerium (BMVI) durch ein Obmannschreiben die Straßenbauverwaltungen auf, betroffene Bauwerke unverzüglich genaueren Untersuchungen zu unterziehen. Im Zuge dieser Entwicklungen hat das sächsische Landesamt für Straßenbau und Verkehr (LASuV) als Baulastträger mit seinem Partner, dem Ingenieurbüro Marx Krontal Partner (MKP GmbH), einen ganzheitlichen Bewertungsansatz für zwei besonders betroffene Bauwerke im Stadtgebiet Döbeln implementiert. Die betreffenden Bauwerke überführen einerseits die Anlagen der DB AG mit einer Schrägstielrahmenbrücke und den Fluss Freiberger Mulde mit einer 3-feldrigen Durchlaufträgerkonstruktion. Beide Bauwerke sind mit dem gefährdet eingestuften Hennigsdorfer Spannstahl im Spannblockverfahren hergestellt und die Baudokumentation ist nur noch lückenhaft vorhanden. Der Informationsmangel über den konstruktiven Zustand und den Zustand der Spannglieder führt bei einer ersten statischen Überprüfung dazu, dass zahlreiche Bauwerksabschnitte eine unzureichende Vorankündigung eines möglichen Versagens aufweisen. Um einen Ersatzneubau vor Ende der geplanten Nutzungsdauer zu vermeiden, bzw. hinreichende Planungszeit zu erhalten, wurden gezielte bauwerksdiagnostische Untersuchungen, statische Nachrechnungen und ein messtechnisches Monitoring implementiert. Die Ergebnisse dieses Vorgehens werden vorgestellt und die strategischen Schlussfolgerungen diskutiert, die aus den umfassenden Bewertungsmaßnahmen gezogen wurden. Diese Erkenntnisse leisten einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung der beiden untersuchten Brücken und bieten zusätzlich wertvolle Einsichten für das Risikomanagement ähnlicher Bauwerke unter der Bedrohung durch Spannungsrisskorrosion und möglicher Instandhaltungspotentiale. 1. Einleitung und Problemstellung Die sich seit den 50er Jahren schnell entwickelnde Spannbetontechnologie ermöglichte Brückenbauwerke bis dahin unbekannter Schlankheit, was eine völlig neue Formensprache ermöglichte. Gleichzeitig wurde ein deutlicher Anstieg des Individual- und Güterverkehrs beobachtet und weitere Steigerungen prognostiziert. Auf Basis dieser Entwicklungen entstanden die ersten Ortsumgehungen im Gebiet der damaligen DDR. Eine dieser Verbindungen ist die heutige B169 im Bereich der sächsischen Stadt Döbeln. Verkehrstechnisch stellt die B169 zudem ein Überlandverbindung der A4 (Chemnitz - Dresden) zur A14 (Leipzig - Dresden) dar und wird mit einem täglichen Verkehrsaufkommen von ca. 11.500 Fahrzeugen bei 14-% Schwerlastverkehr genutzt. Der Bereich der Ortsumgehung Döbeln ist planfrei ausgelegt, was mit der räumlichen Nähe zum Stadtrand und unten liegenden baulichen Anlagen die Errichtung der 234 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Spannungsrisskorrosion in konzentrierten Spanngliedern - Erfahrungen aus einem gesamtheitl. Bewertungsansatz für zwei Bauwerke in Döbeln (Sachsen) Bauwerke 55a bis 55f erforderlich machte. Dabei bilden die Bauwerke 55b und 55e jeweils eine Besonderheit, da sie mit größeren Spannweiten und somit im Spannbetonverfahren erstellt wurden. Beide Bauwerke sind mit dem gefährdet eingestuften Hennigsdorfer Spannstahl im Spannblockverfahren hergestellt und die Baudokumentation ist nur noch lückenhaft vorhanden. Der Mangel an Informationen zum konstruktiven Zustand, sowie zum Zustand der Spannglieder sorgt in einer ersten statischen Überprüfung für eine Vielzahl an Bauwerksabschnitten, welche über eine nicht hinreichende Versagensvorankündigung verfügen. Die restlichen Bauwerkszustände sind dem Alter entsprechend gut, weshalb ein Ersatz der Bauwerke keine wirtschaftliche und ressourceneffiziente Option darzustellen scheint. Zur Wiederherstellung des gewünschten Sicherheitsniveaus bei gleichzeitigem Erhalt der Bauwerksstruktur wurde ein umfassendes Untersuchungs- und Monitoringprogramm ausgeführt. Der Fokus dieser deutlich über die normale Bauwerksprüfung hinausgehenden Untersuchungen lag auf der Ortung und Bestimmung der Lage und Zustände der schlaffen Bewehrung. Weiterhin wurden die Spannstahlkästen geöffnet und Materialzustände visuell als auch mechanisch (Rückdehnungsmessung, direkter Zugversuch einzelner Spannglieder etc.) geprüft. Zur Gewinnung ergänzender Informationen wurde ein Schallemissionsmonitoringsystem installiert, was Zustandsänderungen seit dem Installationsbeginn detektiert und zielorientierte Erhaltungsplanung und Meldeketten ermöglicht. Im Bereich der Bahnbrücke wurden ergänzend durchgehende faseroptische Dehnungssensoren angebracht um zusätzliche Information im möglichen Schadensfall auch ohne neu Bahnsperrpause erhalten zu können. Zum Zeitpunkt der Tagung wird das Monitoringsystem des Bauwerks 55e fast ein vollständiges Betriebsjahr durchlaufen haben und vorgestellt werden, wobei die aktuell vorliegenden Ergebnisse eine langjährige Weiternutzung der Bauwerke bei vollumfänglichen Sicherheiten möglich erscheinen lassen. Abb. 1: Lage der Bauwerke im entlang der B169 im Stadtgebiet von Döbeln (Sachsen). 2. Bauwerke 2.1 Hennigsdorfer Spannstahl und Spannblockverfahren Zum Zeitpunkt der Errichtung der Bauwerke waren im Staatsgebiet der DDR nur drei Spannbetonverfahren zulässig und durch die TGL 0-4227 [1] geregelt. Dies wären Einstab-, Spannblock- und Bündelspanngliedverfahren. Aufgrund wirtschaftlicher Einschränkungen wurden fast alle Spannstähle, die in der DDR zum Einsatz kamen, im brandenburgischen Stahlwerk Hennigsdorf hergestellt. Sie haben eine ovale Grundform und sind gerippt ausgeführt. An den betrachteten Bauwerken wurden jeweils SSG-800 Spannglieder analog TGL 173-33 [2] mit 224 Einzellitzen à 40mm 2 Querschnitt in 16 Ebenen ausgeführt. Das Spannblockverfahren ähnelt anderen Verfahren mit konzentriertem Spannstahlverlauf, etwa dem BaurLeonhardt-Verfahren [3]. Grundlegend wird in der Schalung ein metallischer Spannkasten eingelegt und dieser lagenweise mit Einzellitzen gefüllt. Die Positionstreue innerhalb des Kastens wird über Abstandshalterbleche sichergestellt. Nach der Betonage wird der Kasten mit Mörtel verpresst und nach dessen Aushärtung mit hydraulischen Pressen gegen den Spannblock vorgespannt. Die Vorteile des Spannblockverfahrens gegenüber anderen Methoden wurden nach [4] folgendermaßen gewertet: • Relativ geringer Aufwand für die Einleitung der großen Vorspannkräfte • Geringer Platzbedarf des Spannglieds im Querschnitt, hierdurch Material- (Beton) und Gewichtseinsparung • Vereinfachung der Bautechnologie für Vorspannen und Auspressen und dadurch geringerer Aufwand für die Überwachung dieser relevanten Arbeitsschritte • Ökonomische Vorteile durch geringeren Spannstahlbedarf Abb. 2: Darstellung des Kastenspanngliedes [2]. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 235 Spannungsrisskorrosion in konzentrierten Spanngliedern - Erfahrungen aus einem gesamtheitl. Bewertungsansatz für zwei Bauwerke in Döbeln (Sachsen) Hennigsdorfer Spannstahl gilt gegenüber der Spannungsrisskorrosion als besonders anfällig. Spannungsrisskorrosion ist eine lokal auftretende Korrosion am Spannstahl, welche durch einen plötzlichen und spröden Bruch gekennzeichnet ist [5]. Wesentliche Voraussetzungen für die Spannungsrisskorrosion sind die folgenden [6]: • Dauerhafte Zugspannung im Material, ist für Spannstähle immer erfüllt • Anfälligkeit des Spannstahles, hierzu zählen Kristallgefüge, Materialzusammensetzung etc. • Angebot an verfügbarem Wasserstoff Neben der Materialzusammensetzung und der Vergütungsart, wobei vergütete Stähle aufgrund ihrer anderen Kristallstruktur als anfälliger im Vergleich zu kaltgezogenen Stählen gelten, ergeben sich verschärfende Effekte zur Auslösung dieser für Spannbetonbauwerke schwer direkt nachzuweisenden Korrosionsart [7] häufig auch aus den Baustellenbedingungen, die vielfach nicht mehr nachvollziehbar sind. So spielen zum Beispiel Witterung und freie Bewitterungszeiten, Transportrollendurchmesser und Verlegegüte eine entscheidende Rolle für die Anzahl und Größe oberflächiger Vorschädigungen. Bauwerke mit konzentrierten Spanngliedern sind für diese bauzeitbedingten Einflussfaktoren wegen der speziellen Bauweise besonders anfällig. Aufgrund der oben skizzierten prinzipiellen Anfälligkeit des Spannbetonbauwerks und häufig fehlendem Versagensankündigungsverhaltens sind alle Bauwerke dieser Zeit und Fertigungsmethode als gefährdet eingestuft und die Betreiber der Bauwerke durch ein Obmannschreiben des BMVI [8] und dem Verweis auf die entsprechende Handlungsanweisung [9] dazu aufgefordert die Bauwerke detaillierter zu untersuchen und das Gefahrenpotential durch geeignete Maßnahmen zu senken. 2.2 BW 55b - Brücke über Anlagen der Bahn Die Straßenbrücke 55b führt die B169 über die Anlagen der Deutschen Bahn AG bei Döbeln und wurde 1966 auf einem Traggerüst hergestellt. Bei dem Bauwerk handelt es sich um einen geradlinigen, gevouteten 3-feldrigen-Schrägstielrahmen mit einer Gesamtlänge von ca. 67,0 m (siehe Abb.-3). Die Stützweiten betragen 17,50 m-37,40 m-11,92 m. Der Überbau besteht aus einem nicht begehbaren zweizelligen Hohlkasten. Er weist eine Breite von ca. 14,55 m und ein konstantes Quergefälle von 2 % sowie ein konstantes Längsgefälle von 6 % auf. Im Spannbetonüberbau liegt eine exzentrische, interne Längsvorspannung als Kastenspannglied in den Stegen der Hohlkästen vor. Das Bauwerk ist in die Brückenklasse BK 60/ 30 eingestuft.- 2.3 BW 55e - Brücke über die Freiberger Mulde Die Straßenbrücke 55e führt über den Fluss Freiberger Mulde bei Döbeln und wurde 1966 als gevouteter 3feldriger-DLT auf einem Traggerüst mit einer Gesamtlänge von 84,60 m hergestellt (siehe Abb. 4). Abb. 3: Bauwerksansicht und -untersicht der Straßenüberführung über die Anlagen der DB AG. Abb. 4: Bauwerksansicht der Straßenüberführung über die Freiberger Mulde. Die Stützweiten des dreizelligen nicht begehbaren Hohlkastens, betragen 25,52 m-33,57 m-25,52 m. Der Überbau weist eine Breite von 11,50 m und eine konstantes Quergefälle von 4 % auf wobei der Grundriss unter einem Bauwerkswinkel von 56 gon gekrümmt ist. Die Vorspannung des Überbaus ist ebenfalls als exzentrische, interne Längsvorspannung als Kastenspannglied in den Stegen der Hohlkästen ausgeführt. 236 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Spannungsrisskorrosion in konzentrierten Spanngliedern - Erfahrungen aus einem gesamtheitl. Bewertungsansatz für zwei Bauwerke in Döbeln (Sachsen) 3. Untersuchungs- und Bewertungskonzept Die Bewertung spannungsrisskorrosionsgefährdeter Bauwerke ist prinzipiell in der Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion geregelt [9]. Diese bildete die Grundlage für das an den Brücken in Döbeln angewandte Untersuchungs- und Bewertungskonzept. Es kamen darüberhinausgehend jedoch innovative Methoden zur zerstörungsfreien Bestandserfassung und messtechnischen Dauerüberwachung zum Einsatz. Dies war erforderlich, da einerseits der aktuelle Stand der technischen Möglichkeiten zur Bewertung gefährdeter Bauwerke in der Handlungsanweisung nicht umfassend repräsentiert wird [10], und andererseits zum Bauwerk kaum Bestandsunterlagen vorlagen. Die schlussendlich angewandte Vorgehensweise untergliederte sich in folgende Arbeitspakete: 1. Bauwerksdiagnostische Untersuchungen: (a) Flächige zerstörungsfreie Radar-Untersuchungen zur Aufnahme der Bewehrungsmengen und -verteilungen, sowie der tatsächlichen Lage der Spannkästen in mehreren Messflächen an den Stegseitenflächen und der Überbauunterseite; (b) Erfassung des Zustands des Kastenspanngliedes, Spannstahls und Einpressmörtels durch Probenentnahme am Bauwerk mit vorgelagerte Erfassung des Verpresszustands mittels Ultraschallmessung zur Identifikation risikobehafteter Bereiche, chemische und metallografische Untersuchungen im Labor, Ermittlung des mechanischen Verhaltens des Spannstahls in Zugversuchen 2. Statische Betrachtung: Erstellung eines numerischen Modells des Bauwerks und Beurteilung des Tragwerks hinsichtlich seines Vorankündigungsverhaltens, Ermittlung von Tragfähigkeitsreserven zur Definition eines Grenzwerts einer zulässigen Drahtbruchanzahl bei konzentrierter Ereignishäufung für die messtechnische Dauerüberwachung (Schallemissionsmonitoring) 3. Messtechnisches Monitoring: (a) Installation und Betrieb eines Schallemissionsmonitorings zur Detektion und Lokalisierung von Spanndrahtbrüchen; (b) Installation von faseroptischer Sensorik (DFOS - distributed fiberoptical sensor) zur Rissdetektion und -beobachtung, Anwendung nur am BW 55b im schwer zugänglichen Bereich über den Hauptgleisen der Bahnanlagen. Das methodische Vorgehen wurde bei beiden Bauwerken - mit Ausnahme der Installation faseroptischer Sensorik - einheitlich angewendet. Aufgrund der baulichen Ähnlichkeit der Bauwerke waren die Anordnung und Anzahl der Messflächen und Untersuchungsbereiche für die bauwerksdiagnostischen Untersuchungen, sowie die Randbedingungen für die Umsetzung des Schallemissionsmonitorings, beispielsweise in Hinblick auf die Sensorverteilung, weitgehend identisch. Da der Zustand und die Ergebnisse des Bauwerks 55e über die Freiberger Mulde insgesamt einen besseren Eindruck vermittelten, wird in den folgenden Abschnitten detailliert auf die Umsetzung und Ergebnisse des Bauwerks 55b über die Anlagen der DB AG eingegangen. Auf die Ergebnisse des Bauwerks 55e wird nur dann kurz Bezug genommen, wenn relevante Abweichungen vorliegen. In Abb. 5 ist eine Übersicht über das Bauwerk 55b gegeben. Hierin sind die Messfelder und Untersuchungsbereiche für die bauwerksdiagnostischen Untersuchungen sowie die Lage der Sensorik dargestellt und bezeichnet Abb. 5: Bauwerk 55b in Längsschnitt und Grundriss mit Übersicht der Messfelder und Untersuchungsbereiche für die bauwerksdiagnostischen Untersuchungen und der Messstellen für das messtechnische Monitoring 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 237 Spannungsrisskorrosion in konzentrierten Spanngliedern - Erfahrungen aus einem gesamtheitl. Bewertungsansatz für zwei Bauwerke in Döbeln (Sachsen) 4. Untersuchungsergebnisse 4.1 Zerstörungsfreie Prüfung Mit Hilfe zerstörungsfreier Prüfung wurden die Bewehrungsmenge und -verteilung in ausgewählten Messflächen aufgenommen. Die Messflächen hatten jeweils eine Länge von ca. 3 m und wurden in einem Messraster von 10×10 cm mit einer Radarsonde abgefahren (siehe Abb. 6). Die bildgebenden Ergebnisse der Radaruntersuchungen sind auszugsweise in Abb. 7 dargestellt. Das Messfeld DB1-F2 zeigt die Aufnahmen der Bodenplatte in zwei Tiefen von 5,0 cm und 14,0 cm. Hier ist die konstruktive Bewehrung im Raster von 15 × 20 cm bis 15 × 30 cm ungleichmäßig verlegt. Es sind teilweise Fehlstellen in der Bewehrung der Bodenplatte festzustellen. Mit diesen Aufnahmen wurde die Längsbewehrung in der Bodenplatte für die Nachrechnung abgeschätzt. Abb. 6: Messflächen für die zerstörungsfreie Prüfung mit Georadar und Ultraschall. Abb. 7: Untersuchungsergebnis Georadar an der Unterseite Feld DB1-F2 in den Tiefen 5,0 cm und 14,0 cm. Die Betondeckung wurde sowohl am Steg als auch an der Bodenplatte unregelmäßig vorgefunden und schwankte zwischen min. 11 mm bis 63 mm (Mittel 38 mm). Die Betondeckung der Kastenspannglieder betrug 91-98 mm. Die Lage des Kastenspanngliedes konnte durch die Radaruntersuchungen deutlich identifiziert werden. Beispielhaft ist diese in Abb.-8 als Projektion der Messflächen in ein 3D-Visualisierung des Bestands aus einem Laserscan dargestellt. Die vorgefundene Höhenlage des Kastenspanngliedes entspricht den Angaben im Bestandsplan. Die Ultraschallmessungen wurde herangezogen, um u. a. Hohllagen zu ermitteln. Am Bauwerk 55b konnte kein nennenswertes Verdachtsmoment im Bereich der Öffnungsstellen gefunden werden. Am Bauwerk 55e wurden hingegen vermutliche Hohllagen identifiziert, die auf konstruktionsbedingte Spannkastenstöße zurückgeführt werden. Am Bauwerk 55e wurde eine gleichmäßig verlegte Bewehrung vorgefunden. Das Raster betrug hier im Regelfall 20 × 20 cm. Die Bewehrung der Bodenplatte war durchgängig über die gesamte Breite verlegt, wobei an den Stegen drei zusätzliche Stäbe mit 15 cm Abstand angeordnet waren. Die Höhenlage des Kastenspanngliedes entsprach auch hier dem Bestandsplan.- Abb. 8: Ergebnisse der Untersuchungen mit Georadar projiziert in die 3D-Visualisierung eines Laserscans; Bewehrungsverteilung und Lage des Kastenspanngliedes sind deutlich erkennbar. 4.2 Spannstahlentnahme Im Ergebnis der zerstörungsfreien Untersuchungen wurden die Kastenspannglieder geortet und markiert. Anschließend wurden sie über eine Länge von ca. 60 cm freigelegt. Beim Öffnen des Kastenspanngliedes wurden die Innenfläche des Kastens und der Einpressmörtel begutachtet. Es wurden nur vereinzelte Rostflecken und eine vollvolumige Verpressung vorgefunden. Das visuelle Erscheinungsbild des Einpressmörtels nach Öffnung des Kastenspanngliedes zeigte einen guten Zustand. Auffällig war eine intensive Schwarzfärbung des Einpressmörtels (siehe Abb. 9), die wahrscheinlich auf einen hohen Anteil an Hochofenschlacke zurückzuführen ist. Die Alkalität des Mörtels wurde an frischen Bruchflächen mit Phenolphthalein getestet und nachgewiesen (siehe Abb. 10). Für die Spanndrahtentnahme und Rückdehnungs-messung wurden die unteren Spanndrahtlagen ausgewählt. Die Rückdehnungsmessung erfolgte mittels Dehnungs- 238 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Spannungsrisskorrosion in konzentrierten Spanngliedern - Erfahrungen aus einem gesamtheitl. Bewertungsansatz für zwei Bauwerke in Döbeln (Sachsen) messtreifen (DMS). Für die Messungen wurde ein DMS auf die vorbereitete Oberfläche des Spanndrahts aufgeklebt und dieser anschließend durchtrennt. Während des Trennschnittes wurde die Dehnung des DMS mit einer hohen Abtastrate aufgezeichnet. Der Messdatenverlauf zum Zeitpunkt des Bruchs ist in Abb.-11 dargestellt. Die Restvorspannung ergibt sich an der Öffnung DB3-F1 im Mittel zu 801 N/ mm 2 und für DB2-F4 zu 889 N/ mm 2 . Die gemessene Vorspannung überschreitet damit die in der TGL 173-33 [2] angegebene zulässige Nennvorspannung von 800 N/ mm 2 für das SSG 800 und die zulässige Vorspannung für den Spannstahl mit 40 mm² von 788 N/ mm². Die Einzelwerte zeigen jedoch auch eine signifikante Streuung im Bereich von 717-967 N/ mm 2 . Es wird daher vermutet, dass ungleichmäßiges Verlegen der einzelnen Drähte zu den Spannungsunterschieden beim Anspannen führten und nicht die Spannkraft für den gesamten Block grundsätzlich überschritten wurde. Abb. 9: Bauteilöffnung (DB3-F1), Einpressmörtel mit intensiver Schwarzfärbung und dritte Spannstahlprobe mit vorappliziertem DMS vor dem Trennschnitt. Abb. 10: Reaktionsergebnis des Phenolphtalein-Test im Bereich der Schnittenden der entnommenen Spannstahlproben. Abb. 11: Ermittlung der Restvorspannung durch Rückdehnungsmessung mittels DMS. Die heterogene Vorspannungsverteilung zwischen einzelnen Drähten führt wiederum zu einer individuell erhöhten Gefährdung einzelner Drähte gegenüber dem Spannungsrisskorrosionsprozess.- Am Bauwerk 55e wurde ein ähnlicher Zustand des Kastenspanngliedes angetroffen. Die Verpressung war auch hier vollvolumig und die Färbung des Mörtels auffällig. In diesem Fall wurden zwei Schichten festgestellt, die untersten 2-3 cm des Einpressmörtels wiesen eine intensive Schwarzfärbung mit weißen Schichtgrenzenlinien auf und der darüberliegende Einpressmörtel zeigte eine klassische Graufärbung. Die gemessene Restvorspannung betrug im Mittel an den Öffnungen 750 N/ mm 2 und 768 N/ mm 2 . Die Ergebnisse waren einheitlicher und lagen innerhalb der zulässigen Werte [2]. 4.3 Materialbeprobung Die entnommenen Proben des Spannstahls und Einpressmörtels wurden im Labor weiteren Untersuchungen unterzogen. Die Oberfläche des Spannstahls wurde makroskopisch untersucht. Die Proben wiesen vereinzelte Korrosionsprodukte und Grübchen auf. Die Oberfläche war durch Verquetschungen der Rippung bzw. an den Kanten teilweise mechanisch beschädigt. Alle sechs Proben zeigten eine einheitliche Oberflächenstruktur. Bei keinem der Prüfstücke konnten visuell Risse festgestellt werden. Die Oberflächenzustandsnote wurde mit 1,5 bis 2,5 bewertet; die schlechteste Probe mit 3,0. Der visuelle Zustand war demnach unauffällig (siehe Abb. 12). Die Beschaffenheit des Stahls wurde weiterhin durch Mikroschliffuntersuchungen analysiert (siehe Abb. 13). Hierbei konnten Oberflächenrisse und Grübchen mit bis zu 95 µm bzw. 138 µm Tiefe an der schlechtesten Probe ermittelt werden. Bei den anderen Proben waren derartige Schädigungen kleiner. Im Feinschliff wurde ein feinnadeliges Vergütungsgefüge mit einer Vielzahl nichtmetallischer Einschlüsse aus Silizium und Sauerstoff beobachtet. Die Einschlüsse sind nahezu homogen über Längs- und Querschliff verteilt und ergaben keinen relevanten Einfluss auf die mechanischen Eigenschaften. Die Zugversuche zeigten deutliche Einschnürungsbereiche, Bruchdehnungen von durchschnittlich 5,5 % und unauffällige Bruchbilder. Abb. 12: Charakteristische Oberflächenbeschaffenheit der Spannstahlproben, ersten Probe aus Öffnung DB2F4 mit visuell schlechtestem Zustand. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 239 Spannungsrisskorrosion in konzentrierten Spanngliedern - Erfahrungen aus einem gesamtheitl. Bewertungsansatz für zwei Bauwerke in Döbeln (Sachsen) Abb. 13: Mikroschliffuntersuchung des Gefüges der ersten Spannstahlprobe aus der Öffnung DB2-F4 (schlechtester visueller Zustand). Der Spannstahl und der Verpressmörtel wurden auf die jeweilige chemische Zusammensetzung untersucht. Die Ergebnisse der Funkenemissionsspektroskopie sind in Tab. 1 aufgeführt. Zwischen den Proben waren keine nennenswerten Unterschiede festzustellen. Die Werte der Spannstahlproben liegen innerhalb der damals zulässigen Grenzen [11]. Der Anteil an Silizium ist im Vergleich zu heutigen Standards deutlich erhöht. Die Anteile weiterer unbeabsichtigter Beimengungen (P, S, Cr, Cu, Ni) liegen deutlich unter den jeweiligen Grenzwerten. Eine weiterführende Diskussion des Einflusses der chemischen Zusammensetzung des Stahls ist auch in [7] zu finden. Tab. 1: Chemische Zusammensetzung des Spannstahls: Vergleich der zulässigen Massenprozentanteile gemäß TGL 101-036 und den entnommenen Stahlproben. Chemisches Element in [M.-%] C Si Mn TGL 101-036 [11] 0,58-0,67 0,90-1,20 1,00-1,20 Spannstahl BW 55b 0,54-0,59 0,96-1,01 1,03-1,11 Abb. 14: Materialprobe des Schichtsystems. Die chemische Zusammensetzung des Einpressmörtels, sowie die Feuchtigkeit, der pH-Wert und die Anteile wichtiger Anionen wurden bestimmt. Die Werte sind für beide Bauteilöffnungen unkritisch. Bei der Herstellung der Bauteilöffnung wurden Bruchproben der Bauwerksoberfläche mit Beschichtungssystem entnommen und im Labor genauer analysiert (siehe Abb.-14). Die Beschichtung ist dreilagig aufgebaut. Direkt auf der Betonoberfläche ist ein 12-mm dicker Feinmörtel/ Feinspachtel aufgetragen; darauf befindet sich eine etwa 2-3 mm dicke, sehr flexible Beschichtung, möglicherweise eine mineralische Dichtungsschlämme ohne Fasern; und darüber eine flexible graue Beschichtung von etwa 0,10,2 mm Dicke. Die visuelle Detektion von Rissen ist durch diesen Auf bau stark eingeschränkt bzw. unmöglich, wodurch Bauwerksreaktionen auf Spanndrahtbrüche nicht im Rahmen von optischen Beobachtungen/ Bauwerksprüfungen erkannt werden können. Aus diesem Grund wurde eine messtechnische Überwachung mit Schallemissionssensoren und faseroptischen Sensoren erforderlich und letztlich implementiert. Die Laborergebnisse zum Spannstahl und Verpressmörtel spiegeln einen unbedenklichen und unauffälligen Zustand wider. Es sind keine Hinweise auf eine vorhandene oder voranschreitende Spannungsrisskorrosion und Versprödung vorzufinden. Die Untersuchungen der Proben des Bauwerks 55e ergaben ähnliche Ergebnisse. Auch hier wurden keine signifikanten Anrisse, Versprödung oder bedenkliche chemische Zusammensetzung festgestellt. 4.4 Statische Betrachtung der Ergebnisse Zur statischen Beurteilung wurde ein numerisches Modell gebildet. Dieses wurde als Trägerrostmodell erstellt (siehe Abb. 15). Jeder Hohlkasten wurde in zwei einzelne Längsträger mit zugehöriger mitwirkender Plattenbreite zerlegt und an den Querträgern miteinander verbunden. Die Schrägstile sind monolithisch mit dem Überbau verbunden und gelenkig im Baugrund verankert. Am WL Döbeln ist der Endquerträger auf Rollen gelagert. Am WL Riesa sind keine beweglichen Lager vorhanden. Durch die Schrägstile in der Böschung des Widerlagers entsteht eine Rahmenecke. Abb. 15: Statisches Modell der Brücke über die Anlagen der DB AG. Es wurde ein Beton der Festigkeitsklasse B450 verbaut und angesetzt. Auf Grundlage der bauwerksdiagnostischen Untersuchungen wurden die Mengen für die Betonstahlbewehrung am unteren und oberen Querschnittsrand für den Feld- und Stützbereich abgeschätzt. Die Lage des Spanngliedes wurde für das Modell abgeschätzt, konnte jedoch durch die Erkenntnisse aus den Untersuchungen vor Ort verifiziert werden. Für die Berechnung wurden 240 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Spannungsrisskorrosion in konzentrierten Spanngliedern - Erfahrungen aus einem gesamtheitl. Bewertungsansatz für zwei Bauwerke in Döbeln (Sachsen) die Lasten entsprechend der Handlungsanweisung [9] angesetzt. Die Verkehrseinwirkungen wurde für die Brückenklasse 60/ 30 gewählt. Im ersten Schritt wurde der Nachweis auf Querschnittsebene für jeden Hauptträger geführt. Die Felder wurden in den Zehntelspunkten unterteilt. Das Ergebnis der querschnittsweisen Restsicherheit ist in Abb. 16 dargestellt. Deutliche Defizite sind in den Randfeldern zu erkennen. Diese sind aufgrund der Rahmenbauweise im Vergleich zum Hauptfeld verhältnismäßig kurz, wodurch die Vorspannung zentrisch wirkt. Dies führt zu einer ungünstigen Ausgangssituation für den Nachweis (Biegenachweis). So haben am Steg 1 nur 12 von 31 Querschnitten eine Restsicherheit größer 1,1. Am Steg 2 sind es hingegen 18 Querschnitte, die den Nachweis erfüllen.- Die Anwendungsgrenzen des stochastischen Nachweises sind nicht erfüllt, da jeder Hauptträger nur ein Kastenspannglied enthält. Somit kann kein Ankündigungsverhalten nachgewiesen werden. Dieses Ergebnis wurde bereits so erwartet. Jedoch bieten das statische Modell und die erstellten Berechnungen die Möglichkeit, die Reserve am Bauwerk zu quantifizieren und eine Grundlage für die Definition eines Grenzwertes zulässiger Drahtbrüche für das messtechnische Monitoring zu ermitteln. Hierzu wird ein Vorgehen verwendet, welches bereits in [12] beschrieben wurde. Im Gegensatz zur Sichtprüfung, für die ein äußerlich erkennbarer Riss vorausgesetzt werden muss, wird beim Schallemissionsmonitoring der Spanndrahtbruch direkt detektiert. Für diese Überwachungsmethode ist die verbleibende Drahtanzahl bei Rissbildung n cr,i und damit verbundene visuelle Feststellbarkeit der inneren Schädigung nicht relevant. Entscheidend ist, dass an keiner Stelle die erforderliche Drahtanzahl n br,i zur Gewährleistung einer ausreichenden Restsicherheit von g p = 1,1 unterschritten wird. Der stochastische Nachweis wurde daher mit veränderten Eingangsparameter geführt und jeder Spanndraht individuell angesetzt. Das Ergebnis ist in Abb. 17 dargestellt. In den Randbereichen ist zu erkennen, dass die erforderliche Drahtanzahl nbr,i die bei Rissbildung verbleibende Drahtanzahl n cr,i überschreitet. In diesen Bereichen liegt kein Ankündigungsverhalten vor. Die maßgebende Stelle liegt jedoch im Bereich der Zwischenstützung am Schrägstil. Hier beträgt n br,max = 150 Spanndrähte. Gegenüber den vorhandenen 224 Spanndrähten können demnach an der ungünstigsten Stelle n DB,max = 75 Spanndrähte ausfallen, ohne dass die geforderte Restsicherheit von g p = 1,1 unterschritten wird. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Bauwerksdiagnostik ist diese Anzahl hinreichend groß, um den zulässigen Grenzwert für örtlich korrelierte Drahtbruchereignisse mit n DB = 3 für die Überwachung zu definieren. Das vorgestellte Vorgehen der rechnerischen Bewertung sollte möglichst immer im Zusammenhang mit einer Bauwerksuntersuchung erfolgen. Es ist zu berücksichtigen, dass der Zustand im Inneren der Spannglieder nur stichprobenartig überprüft werden kann. Wie auch in diesem Anwendungsfall liegen die Eindrücke zum Zustand des Spannstahls und Einpressmörtel von nur zwei Bauteilöffnungen vor. Die Ergebnisse wiesen jedoch keine besonderen Auffälligkeiten auf, so dass grundlegend davon ausgegangen wird, dass dieser Zustand in vergleichbarer Weise auch in den übrigen Bereichen vorliegt. Mit einem Grenzwert von n DB = 3 wird, in Anbetracht der Ergebnisse, kein unangemessenes Risiko eingegangen. Am Bauwerk 55e wurde die erforderliche Drahtanzahl zu n br,i = 120 berechnet. Die theoretisch mögliche Anzahl an Bruchereignissen ist für diese Bauwerk demnach größer und liegt bei n DB,max = 124 Spanndrahtbrüchen. Der Grenzwert ist bei diesem Bauwerk in gleicher Weise gültig. Abb. 16: Restsicherheit über die Bauwerkslänge im Ergebnis des Nachweises auf Querschnittsebene für die am Außensteg (Steg 1) maßgebende Laststellung. Abb. 17: Ergebnis der statischen Berechnung nach [9] für den maßgebenden Hauptträger; vorhandene Drahtanzahl n, verbleibende Drahtanzahl bei Rissbildung n cr,i und der erforderlichen Drahtanzahl zur Gewährleistung einer ausreichenden Restsicherheit von g p = 1,1 n br,i . 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 241 Spannungsrisskorrosion in konzentrierten Spanngliedern - Erfahrungen aus einem gesamtheitl. Bewertungsansatz für zwei Bauwerke in Döbeln (Sachsen) 4.5 Monitoring Zur Kompensation des fehlenden Ankündigungsverhaltens wurde ein umfassendes Monitoringkonzept für das Bauwerk 55b entwickelt. Dieses beinhaltet 36 Schallemissionssensoren, einen Lufttemperatursensor, zwei Bauwerkstemperatursensoren und vier faseroptische Sensoren mit jeweils einer Länge von 13,3 m. Die Anwendung der Schallemissionsanalyse zur Detektion von Spanndrahtbrüche wurde erst kürzlich in der Richtlinie SE05 der DGZfP geregelt [13]. Die Schallemissionssensoren wurden parallel zur Längsrichtung in neun Messquerschnitten seitlich an den Stegflanken der Hauptträger appliziert. Die Sensoren wurden nach einer Oberflächenvorbereitung durch Schleifen an die Betonoberfläche mit Heißkleber akustisch gekoppelt und mittels einer Magnethalterung an einer im Beton verschraubten Metalplatte fixiert (siehe Abb. 18, oben). Durch die Sensorhalterung ist eine dauerhafte Befestigung und eine konstante Anpresskraft zwischen Sensor und Bauteil zur zuverlässigen Signalübertragung gewährleistet. Jeder Sensor und seine Halterung ist zusätzlich mit einer Schutzabdeckung aus Blech eingehaust (siehe Abb. 18, unten). Der Sensorabstand wurde äquidistant mit 8 m gewählt. Die Luft- und Bauwerkstemperaturen sind im Bereich des Endquerträgers des Widerlagers Riesa appliziert (siehe Abb. 18, unten). Abb. 18: Messstelle eines Schallemissionssensor ohne (oben) und mit Abdeckung (unten). Temperatursensoren zur Erfassung der Luft- und Bauwerkstemperatur (unten). Die Inbetriebnahme der Schallemissionssensorik umfasst mehrere Schritte, in denen die Gleichwertigkeit der Ankopplung und die Funktionsfähigkeit des Sensornetzwerks nachgewiesen werden [13]. Hierzu werden beispielsweise Bleistiftminenbrüche in unmittelbarer Sensornähe erzeugt, oder Signale mit dem Rückprallhammer als Referenzquelle für einen Drahtbruch in die Struktur eingeleitet. Im vorliegenden Fall konnten zusätzlich die akustischen Emissionen der Drahtbrüche mit der abschließend installierten Schallemissionsanlage mitgemessen werden. Die Drahtbrüche wurden an den Bauteilöffnungen erzeugt, während die Anlage in der Regelbetriebskonfiguration lief. Die Bauteilöffnung DB3-F1 befand sich in der Nähe des Sensors 13 (siehe Abb. 19). Der Anstand zwischen der Bruchstelle und Sensor betrug ca. 1,7 m. Dieser Sensor wurde durch das Drahtbruchereignis zuerst getroffen und zeigte ein deutlich übersteuertes Signal. Darüber hinaus wurden bei jedem Drahtbruch jeweils noch sechs weitere Sensoren getroffen und erfassten ein signifikantes Signal mit einer PeakAmplitude von bis zu 120 dB. Die Bauteilöffnung DB2-F4 lag zentraler zwischen den benachbarten Sensoren mit einem Abstand von ca. 3,25 m zum Sensor 20. Die Intensität dieses zuerst getroffenen Sensors war erwartungsgemäß geringer, jedoch immer noch sehr hoch. Auch in diesem Fall wurden vier bis sechs weitere Sensoren mit einer Peak-Amplitude von bis zu 124 dB getroffen. Das Sensornetzwerk ist somit hinreichend redundant aufgestellt und die Vielzahl an Detektionen können zur Plausibilisierung potenzieller Ereignisse herangezogen werden. Es ist eine hohe Detektionswahrscheinlichkeit gegeben [14]. Die Ergebnisse der Lokalisierung dieser Drahtbrüche und die Genauigkeit ihrer Lokalisierung ist in Tab. 3 zusammengefasst. Zur Vereinheitlichung wurden jeweils nur vier der getroffenen Sensoren für die Berechnung des Quellortes herangezogen. Es sind die Soll- und IstKoordinaten gegenübergestellt und die jeweiligen Fehler berechnet. Unter Berücksichtigung aller Ereignisse wurde zusätzlich die Wurzel des mittleren quadratischen Fehlers (RMSE) angegeben. Insbesondere entlang der x-Koordinate ist die Genauigkeit der Lokalisierung mit einem RMSE von 44 cm für die baupraktische Anwendung sehr hoch einzuschätzen. Bezogen auf den Sensorabstand von 8 m beträgt die Abweichung 5,5 %. In Querrichtung liegen größere Abweichungen vor. Dies ist darauf zurückzuführen, dass keine anisotrope Ausbreitungsgeschwindigkeit hinterlegt wurde. Abb. 19: Lage der Bauteilöffnung DB3-F1 und des Trennschnitts in Bezug auf den SE-Sensor. 242 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Spannungsrisskorrosion in konzentrierten Spanngliedern - Erfahrungen aus einem gesamtheitl. Bewertungsansatz für zwei Bauwerke in Döbeln (Sachsen) Tab. 3: Lokalisierungsergebnisse der Drahtbrüche; Soll- und Ist-Koordinaten, berechnete Fehler und Wurzel des mittleren quadratischen Fehlers (RMSE). Drahtbruch Soll [cm] Ist [cm] Fehler [cm] x y x y x y Dist. DB3- F1 2570 365 2477 310 93 55 108 2570 365 2579 296 -9 69 70 2570 365 2574 253 -4 112 112 DB2- F4 535 760 567 837 -32 -77 83 535 760 569 857 -34 -97 103 535 760 560 832 -25 -72 76 RMSE 44 83 93 Das Schallemissionsmesssystem des Bauwerks 55b wurde im April 2024 in Betrieb genommen. Seither erfolgt eine kontinuierliche und automatisierte Datenauswertung. Bisher wurden keine auffälligen Ereignisse detektiert. Am Bauwerks 55e wurde das Messsystem bereits im September 2023 installiert und in Betrieb genommen. Bei diesem Bauwerk wurden 44 Schallemissionssensoren verbaut. Auch bei dieser Überwachung wurden bisher keine auffälligen Ereignisse detektiert. Die verteilte faseroptische Sensorik (DFOS) wurde nur am Bauwerks 55b installiert, um Rissbreitenänderungen oder die Neubildung von Rissen zu detektieren. Die unterführten Bahnanlagen erschweren außerdem die Zugänglichkeit im Fall einer erforderlichen Sonderprüfung und das elastische Beschichtungssystem machen eine Rissdetektion nahezu unmöglich. Zum Einbau der faseroptischen Sensoren wurden in den Beton ca. 5-mm tiefe Nuten gefräst (siehe Abb. 20). Die Nuten wurden gründlich gereinigt, anschließend die Sensoren eingelegt und dann mit einem Injektionsmörtel festgeklebt. Die Enden der Fasern (sog. „Pigtail“) wurden in Leerrohren zu einem Messschrank geführt, wo sie für Messeinsätze an den Interrogator angeschlossen werden können. Nach der Installation wurde die Nullmessung durchgeführt. Eine erste Folgemessung wurde bisher noch nicht vorgenommen. Abb. 20: Verteilte faseroptische Sensorik (DFOS); Herstellung der Längsschlitze an der Überbauunterseite. Zusammenfassung und Fazit Spannungsrisskorrosion stellt eine signifikante Bedrohung für die Standsicherheit älterer Spannbetonbrücken dar. In Reaktion auf das Obmannschreiben zur Spannungsrisskorrosion und die bekanntgewordenen Problemlagen mit Hennigsdorfer Spannstahl in Kastenspanngliedern wurde für zwei Bauwerke im Zuge der B169 in der Ortsumfahrung Döbeln (Sachsen) ein umfassender Bewertungsansatz implementiert, der bauwerksdiagnostische Untersuchungen, statische Nachrechnungen und ein messtechnisches Monitoring umfasste. Die Ergebnisse zeigten, dass trotz anfänglicher Bedenken keine aktive Spannungsrisskorrosion nachgewiesen werden konnte. Die intensive Bewertung und der Einsatz innovativer Methoden haben sich gelohnt und zu einer präzisen Einschätzung des tatsächlichen Zustands geführt. Die vorgestellten Beispiele zeigen, dass nicht alle Bauwerke mit Kastenspanngliedern gravierende Probleme aufweisen und ein Weiterbetrieb bei vollumfänglicher Sicherheit möglich ist. Im ersten Schritt ergeben sich dadurch deutlich umsetzungsfreundlichere Zeithorizonte für die Planung und Vorbereitung eines entsprechenden Ersatzneubaus. Jedoch erscheint auch der Verbleib der Bauwerke im Netz bis zum planmäßigen Lebensende möglich. Das vorgestellte Vorgehen bietet somit die Chance nicht nur Kosten, sondern auch Ressourcen zu sparen. Literatur [1] TGL 0-4227, Spannbeton - Berechnung und Ausführung, Mai 1963. [2] TGL 173-33: Spannblockverfahren, Spannglieder mit Nennspannkraft 600 bis 1600 Mp. 1967. [3] Leonhardt, F.: Vorspannung mit konzentrierten Spanngliedern: Verfahren Baur-Leonhardt. Richtlinien für Entwurf und Bauausführung. Berlin: W.-Ernst, 1956. [4] Lippold, P.: Konzentrierte Spannglieder im Straßenbrückenbau. Bauplanung - Bautechnik, Heft 4/ 1969, S. 172. [5] Nürnberger, U.: Korrosion und Korrosionsschutz im Bauwesen. Wiesbaden und Berlin: Bauverlag, 1995. ISBN: 37625319 [6] Hickling, J.: Dehnungsinduzierte Rißkorrosion: Spannungsrißkorrosion oder Schwingungsrißkorrosion. In: Der Maschinenschaden 55 (1982) Nr. 2, S. 95-105 [7] Wilhelm, T.: Wasserstoffinduzierte Spannungsrisskorrosion, Dissertation, TU Dresden, 2014. [8] Obmannschreiben 2021-13, Gero Marzahn, Bundeministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 2021. [9] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Handlungsanweisung zur Überprüfung und Beurteilung von älteren Brückenbauwerken, die mit vergütetem, spannungsrisskorrosionsgefährdetem Spannstahl erstellt wurden (Handlungsanweisung Spannungsriss-korrosion), Ausgabe 06/ 2011. [10] Schacht, G., Käding, M., Bolle, G. and Marx, S.: Konzepte für die Bewertung von Brücken mit Span- 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 243 Spannungsrisskorrosion in konzentrierten Spanngliedern - Erfahrungen aus einem gesamtheitl. Bewertungsansatz für zwei Bauwerke in Döbeln (Sachsen) nungsrisskorrosionsgefahr. Beton- und Stahlbetonbau, 114: 85-94, 2019. https: / / doi.org/ 10.1002/ best.201800087 [11] TGL 101-036 Blatt 1: Spannstahl St 140/ 160, ölschlussvergütet, oval gerippt. 1962. [12] Käding, M.; Schacht, G.; Marx, S.: Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten. In: Isecke,- B.; Krieger, J. (Hrsg.): 4. Brückenkolloquium, 8./ 9.09.2020 in Esslingen, S. 549-560. [13] Deutsche Gesellschaft für zerstörungsfreie Prüfung: Richtlinie SE05 - Detektion von Spanndrahtbrüchen mit Schallemissionsanalyse, Berlin, 2024. [14] Käding, M., Marx, S. and Schacht, G. (2022). Schallemissionsmonitoring zur Spanndrahtbruchdetektion. In 2023 BetonKalender (eds K. Bergmeister, F. Fingerloos and J.-D. Wörner). https: / / doi. org/ 10.1002/ 9783433611180.ch15 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 245 Ein neuer Algorithmus zur Erstellung realistischer Verkehrslastmodelle für Straßenbrücken Ergebnisse des FFG-VIF DACH Projekts REALLAST DI Dr. Alois Vorwagner AIT Austrian Institute of Technology, Wien, Österreich DI Marian Ralbovsky, PhD AIT Austrian Institute of Technology, Wien, Österreich Prof. Dr.-Ing. Ursula Freundt Ingenieurbüro Prof. Dr. U. Freundt, Weimar Dipl.-Math. Rolf Kaschner Ingenieurbüro Prof. Dr. U. Freundt, Weimar Omar Bisia Castillo Chang, M. Sc. Ingenieurbüro Prof. Dr. U. Freundt, Weimar Prof. DI Dr. Andreas Taras Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Institut für Baustatik und Konstruktion, Zürich, Schweiz Stefan Martinolli, M. Sc. Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Institut für Baustatik und Konstruktion, Zürich, Schweiz Prof. Dr. Alain Nussbaumer École Polytechnique Fédérale de Lausanne, Lausanne, Schweiz FH-Prof. DI Dr. Markus Vill VILL ZT-GmbH, Wien, Österreich Zusammenfassung In den vergangenen Jahrzehnten ist ein signifikanter Anstieg des Schwerverkehrsaufkommens auf den Straßen Europas zu verzeichnen. Gleichzeitig wurden zahlreiche Ingenieurbauwerke errichtet, die bereits über 40 Jahre alt sind. Ihre Konzeption erfolgte unter Berücksichtigung der damaligen Normen, Verkehrszahlen sowie Lasten. Eine wesentliche Herausforderung bei der Nachrechnung von Bestandsbrücken besteht darin, dass aktuelle Lastmodelle für den Brückenneubau und künftige Lasten konzipiert wurden und können daher nicht unmittelbar für die Nachrechnung von Bestandsbrücken bei geringerer Restnutzungsdauer herangezogen werden. Zwar bieten aktuelle Regelwerke die Möglichkeit konservative Pauschalfaktoren oder Verkehrsmessdaten in einem stufenweisen Konzept zu verwenden, aber gerade diese Vorgehensweise findet in der Praxis kaum Anwendung. Messdaten gestützte Verfahren werden als zu komplex erachtet, wobei aber die Weigh-In-Motion (WIM)-Technologie ein großes Potenzial für eine spezifische Bewertung unter Berücksichtigung der realen Achslastverteilung bietet. Aus diesem Grund wurde im Rahmen des FFG-VIF DACH-Projekts REAL- LAST ein Algorithmus zur Kalibrierung von Lastmodellen für streckenspezifische Autobahnabschnitte vom Konsortium, bestehend aus der ETH Zürich, der EPFL Lausanne, dem Ingenieurbüro Freundt, der VILL-ZT GmbH sowie dem AIT Austrian Institute of Technology GmbH, entwickelt. Die Analyse von Verkehrsdaten im D-A-CH raum zeigt, dass es streckenweise zu starken Schwankungen der Belastungen kommt. Die streckenspezifische Kalibrierung von Anpassungsfaktoren des LM1 nach EN1991-2 erlaubt eine orts- und verkehrsspezifische Optimierung der Lasten für bestehende Brücken auf bis zu 30 km langen Strecken. Während bei geringen Brückenspannweiten der Fließverkehr dominiert, ist bei Spannweiten von über 30 Metern der Stau maßgeblich. Es wurde ein Potenzial für eine Reduzierung der Lastansätze um 20 bis 50 % im Vergleich zu den in der EN 1991- 2 definierten Lastmodellen identifiziert. Die Methodik leistet damit einen direkten Beitrag zur Verlängerung der Restnutzungsdauer von Bestandsbrücken und damit zur Verbesserung der Nachhaltigkeit. 246 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Ein neuer Algorithmus zur Erstellung realistische Verkehrslastmodelle für Straßenbrücken 1. Einführung Die EU-weite Einführung des Lastmodells nach EN 1991- 2 [1] (LMx) wurden auf Basis von Daten hoch belasteter Abschnitte entwickelt, das charakteristische Niveau entspricht einer Wiederkehrperiode von 1.000 Jahren. Damit sollen künftige Anforderungen für neu zu errichtende Brücken enthalten sein. Folglich ergeben sich Herausforderungen bei der Anwendung für Nachrechnung auf bereits nach den alten Normen errichteten Brücken. Die drei D-A-CH-Länder haben auf diese Problematik reagiert und entsprechende Nachrechnungsnormen für Bestandsbrücken entwickelt. Diese enthalten abgestufte Nachweiskonzepte, welche auch moderne Nachweismethoden wie probabilistische Untersuchungen und die Einbeziehung von Messdaten erlauben. Diese finden jedoch nur selten Anwendung, deshalb werden meist konservative pauschal angesetzte Faktoren verwendet. Als Gründe hierfür werden die Komplexität der Aufgabenstellung sowie der erforderliche hohe Spezialisierungsgrad vermutet. Zudem sind in der dazu benötigten EN 1990 (noch) nicht alle Details vollständig geregelt, sodass Expertenannahmen getroffen werden müssen. Bei der Verwendung realer Messdaten ist die prognostizierte Zunahme des Verkehrsaufkommens zu berücksichtigen. Des Weiteren sind Entwicklungen in der Fahrzeugtechnik zu bedenken. Als Beispiele für mögliche Veränderungen der Lastprofile sind neue LKW-Verbände wie Truck-Platooning, Lang-LKWs oder mit einer Batterie zusätzlich beladene E-LKWs zu nennen. Die Diskussion wird zudem durch die EU-weiten Überlegungen zum „Green Freight Traffic“ intensiviert. So wird seitens der Europäischen Kommission die Möglichkeit einer Erhöhung des zulässigen Gesamtgewichts für E-LKWs in Betracht gezogen (vgl. hierzu auch [2]). Aus diesem Grund wurde im Rahmen des FFG-VIF DACH-Projekts REALLAST ein Algorithmus zur streckenspezifischen Kalibrierung von Lastmodellen für Autobahnabschnitte, vom Konsortium bestehend aus der ETH Zürich, der EPFL Lausanne, dem Ingenieurbüro Freundt, der VILL-ZT GmbH sowie dem AIT Austrian Institute of Technology GmbH, entwickelt [3]. Die Grundzüge der Methodik, die Integration von Verkehrsdaten und Messungen in die Lastermittlung für bestehende Brücken sowie die Anwendung werden in diesem Beitrag vorgestellt. 2. Hintergründe zu Lastmodellen Die Bemessung von neuen Straßenbrücken erfolgt gemäß dem in der Norm EN 1991-2 [1] definierten Modell. Die Ableitung dieses Verkehrslastmodells erfolgte auf der Grundlage von Achslastmessungen, welche unter anderem ab dem Jahr 1986 insbesondere in der Nähe der französischen Stadt Auxerre durchgeführt wurden [4]. Als Grundlage dienten Strecken mit einer sehr hohen LKW- Belastung, welche durch zusätzliche Annahmen über das zukünftige Verkehrsaufkommen ergänzt wurden. Das in den Eurocodes etablierte Sicherheitskonzept unter Betrachtung von Grenzzuständen war Gegenstand folgender wissenschaftlicher Untersuchungen, welche 1994 mit der Dissertation von Merzenich [5] eine europäische Normbasis erreichten. Die Forschungsarbeiten fokussierten sich auf den Entwurf neuer Brücken und umfassten sowohl die bis dato vorliegenden deutschen und europäischen Verkehrsdaten aus Messungen als auch die EDVgestützte Verarbeitung. Sie entsprechen dem Stand der 1990er-Jahre und führten zu weiterführenden Arbeiten, beispielsweise von Böning [6] und Kraus [7]. Alle genannten Ansätze basieren auf gemessenen oder abgeleiteten Verkehrsdaten. Diese verwenden als Alternative für die Brückennachrechnung die ortsspezifischen Beanspruchungen aus dem Straßenverkehr über Bauwerksmessdaten. Allen Ansätzen ist eine Datengrundlage gemein, die eine Extrapolation für lange Betrachtungszeiträume (100-1000 Jahre) erlaubt und ein Optimierungspotenzial für den Grenzzustand der Traglast aufzeigen. Die aktuell in Europa implementierten Ermüdungslastmodelle basieren ebenfalls auf Messungen aus dem Jahr 1986 [4]. Die Eignung dieser Modelle für den gegenwärtigen Verkehr auf Bestandsbrücken wurde in mehreren Studien evaluiert und mit WIM-Datenbanken verglichen. Auch hier besteht weiterhin signifikantes Verbesserungspotenzial (siehe Croce [8], Maljaars [9], oder Nussbaumer et al. [10]). Die Schaffung eines EU-weit hohen Belastungsniveaus ist eine zielführende und nachhaltige Strategie für den Neubau von Straßenbrücken. Vor allem unter dem Standpunkt, dass Brücken für eine lange Lebensdauer ausgelegt sind. Dies steht jedoch im Widerspruch zum vorhandenen Brückenbestand sowie deren möglichen Verlängerung der Restnutzungsdauer. Aufgrund der Tatsache, dass die tatsächlichen Verkehrslasten sowohl in örtlicher als auch in zeitlicher Hinsicht Schwankungen unterliegen, besteht bei der Nachrechnung älterer Bestandsbrücken die Möglichkeit, diese Abweichungen von den aktuell geltenden Normen zu berücksichtigen, und damit länger zu Nutzen ohne das Sicherheitsniveau zu verletzten. Des Weiteren ist bekannt, dass die Verkehrsbelastung maßgebliche Faktoren in der Alterung der Straßeninfrastruktur darstellen. Von entscheidender Bedeutung ist der Einfluss der Achslast auf die Materialermüdung, insbesondere von Beton, Stahl und Asphalt, welcher mitunter mit der vierten Potenz einhergeht. Eine orts- und objektbezogene Erfassung stellt einen wesentlichen Aspekt dar, um eine verlängerte Restnutzungsdauer von Bestandsbrücken zu ermöglichen. Die in den Nachrechnungsrichtlinien aufgeführten Verfahren der messwertgestützten Bemessung der höheren Stufen finden in der praktischen Anwendung noch zu wenig Berücksichtigung. Ein Grund hierfür ist, dass die Verfahren als sehr komplex wahrgenommen werden und deshalb derzeit meist nur im ingenieurwissenschaftlichen Umfeld Anwendung finden. Eine wesentliche Verbesserung könnte erzielt werden, wenn bekannte Lastmodelle wie das LM1 mit dem Anpassungsfaktor α auf tatsächlich gefahrene Lasten, Achsabstände, Fahrzeugabstände etc. sowie auch mögliche Verkehrsszenarien kalibriert würden (siehe Schema in Abb. 1). 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 247 Ein neuer Algorithmus zur Erstellung realistische Verkehrslastmodelle für Straßenbrücken Abb. 1: Schematische Tandem Achsen des LM1 nach EN 1991-2 [1]. 3. Reallast Algorithmus Der Reallastalgorithmus ermöglicht die Nutzung von Verkehrsmessdaten für die Nachrechnung von Brücken. Er basiert auf der Verwendung von streckenspezifischen Daten unterschiedlicher Quellen, anhand derer Lastmodelle in der Grundform gemäß dem Eurocode Modell kalibriert werden. Damit sollen spezifische Nachrechnungen von Brücken ohne wissenschaftliche Methoden oder probabilistische Berechnungen einfacher möglich werden. Der Algorithmus ist unterteilt in vier Module. Verkehrs- und Brückendaten werden zunächst getrennt auf bereitet und verarbeitet (Module 1-3), bevor sie zum Schluss wieder miteinander kombiniert werden (Modul 4). Der Reallast Algorithmus besteht aus: • Modul 1 Verkehrsdatenfusion • Modul 2 Verkehrssimulation • Modul 3 Brückenanalyse • Modul 4 Lastmodell Kalibrierung Die Auf bereitung maßgeblicher Verkehrskenngrößen erfolgt im Modul 1 auf Basis von Daten aus unterschiedlichen Quellen und mit verschiedenen Verfügbarkeiten von Verkehrsdatensätzen. Dazu zählen beispielsweise Zähl- und WIMsowie Videodaten. In die Betrachtung einbezogen werden unterschiedliche Stauhäufigkeiten (von 1-9- %), Szenarien für einen Verkehrszahlenzuwachs, eine Erhöhung der Achslasten für E-LKW sowie Verkehr mit und ohne dauergenehmigten Schwerverkehr (mGSV, oGSV). Eine Übersicht der angenommenen Parameter ist in Abb. 2 bzw. in der Tab. 1 enthalten. Vorhandene ortspezifische verfügbare Verkehrsdaten (Zähldaten, WIM-Daten, Videodaten etc.) werden im Modul 1 entsprechend auf bereitet. Zu diesem Zweck wurden entsprechende Filteralgorithmen entwickelt. Ein erster Schwerpunkt war die Datenfusion, vor allem wie im Falle einer unzureichenden Datenverfügbarkeit zu verfahren sei. Insbesondere bei Nichtvorliegen von Achslastmessungen müssen die Lasten hinreichend genau angenommen werden. In diesem Zusammenhang wurden in umfassender statistischer Auf bereitung [3] Vorschläge für die Komplementierung von Verkehrsdaten ausgearbeitet sowie ein Algorithmus zur Datenfusion aus unterschiedlichen Mess- und Aufzeichnungsstellen entwickelt. Auf diese Weise liegen länderspezifische Verkehrsdaten vor, die um ortsspezifische Besonderheiten und Prognoseszenarien (Tab.1) für eine Restnutzungsdauer erweitert werden. Die fusionierten Daten sind nach Merkmalen in Abb. 2 - Ergebnisbeschrieben und dienen als Basis für die darauffolgende Verkehrssimulation. Abb. 2: Modul 1- Datenfusion & streckenspezifische Verkehrseigenschaften. Eingangsgrößen im Modul 2 sind Verteilungsfunktionen welche anhand der Messdaten entsprechend angepasst wurden. Dabei wurden die Parameter auf fünf als maßgebende identifizierte LKW-Typen reduziert (vgl. Abb. 3) auf denen das gesamte Verkehrsaufkommen entsprechend aufgeteilt wurde. Der Verkehr in den erstellten Verkehrsszenarien wurde getrennt für Fließ- und Stauverkehr über mehrere Jahre simuliert (Abb. 3). Für Verkehrssituationen und Szenarien, die sich nicht mit hinreichender Sicherheit aus verfügbaren Verkehrsdaten ableiten lassen, beispielsweise Daten des dauergenehmigten Schwerverkehrs, Verkehrsentwicklung in den nächsten 25 Jahre, Achslaständerungen aufgrund von E-Lkw oder Abstände des Schwerverkehrs im Stau, wurden zusätzliche Untersuchungen durchgeführt und begründete Annahmen nach Tab. 1 getroffen. Alle nicht dauergenehmigten Sondertransporte werden stets gesondert untersucht und werden im Reallast Al- 248 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Ein neuer Algorithmus zur Erstellung realistische Verkehrslastmodelle für Straßenbrücken gorithmus nicht weiter betrachtet. Das Ergebnis sind auf Messdaten basierende errechnete Achslastfolgen (Verkehrsbänder). Die Verkehrsbänder werden dann zur Ermittlung von Schnittgrößen verschiedener Brückensysteme in der Brückenanalyse (Modul 3 und 4) genutzt. Es entstehen somit Verkehrsschnittgrößen - Zeitfolgen für ausgewählte Brücken der Streckenabschnitte. Tab. 1: Eingangsdaten für künftige Verkehrsereignisse in Modul 1 und Modul 2. Zeithorizont der Betrachtung 25 Jahre Jährlicher Zuwachs der LKW- Anzahl + 1,25 % Kumulierter Zuwachs der LKW- Anzahl + 36,42 % Jährlicher Zuwachs der PKW- Anzahl + 0,5 % Kumulierter Zuwachs der PKW- Anzahl + 13,28 % Erhöhung vom LKW-Gesamtgewicht, LKW bis zu 5 Achsen + 1 t Erhöhung vom LKW-Gesamtgewicht, LKW mit mehr als 5 Achsen + 2 t Dauergenehmigter Schwerverkehr GSV länderweise (max, min Werte) AT: 60 t Mobilkran 3 FZ / Tag CH: 60 t Mobilkran 1,6‰ u. 0,3‰ vom DTV SV *) CH: 72 t Mobilkran 0,8‰ u. 0,1‰ vom DTV SV *) DE: 60 t Mobilkran 3‰ u. 1,5‰ vom DTV SV *) *) Die maximale und minimale Annahmen stehen für verschiedene Verkehrsfälle Im Rahmen der durchgeführten Untersuchung wurden Einflusslinien und Einflussflächen für verschiedene Brücken in mehreren 30-km-Autobahnabschnitten ermittelt (Modul 3), wobei die realen Brücken den zu untersuchenden Gegenstand bildeten. Neben dem System und der Geometrie spielten auch Randbedingungen wie dynamische Lasterhöhung oder probabilistische Einflüsse wie das Verhältnis von Eigengewicht im Vergleich zur Nutzlast eine wesentliche Rolle. Das Ziel der ermittelten, nachweisrelevanten Verkehrsschnittgrößen im Modul 4 besteht in einem Vergleich mit den normativen Verkehrsschnittgrößen, worauf hin eine Anpassung des LM 1 aus EN 1991-2 erfolgen kann. Die Anpassung des LM 1 wird durch eine geeignete Kalibration der -Werte vorgenommen (siehe Abb. 4). Damit können die Anpassungsfaktoren (α-Faktoren) für Moment und Querkraft für die Traglast LM1 und Ermüdung ELM (l-Faktoren) für ortsspezifischen Verkehr und Brücken gefunden werden (Abb. 4). Diese Anpassungsfaktoren können für den ULS Semi- oder Vollprobabilistisch ermittelt werden, für Ermüdung wurde eine Kalibrierung über die Schädigung gewählt. Abb. 3: Modul 2- Verkehrssimulation. In Übereinstimmung mit den Empfehlungen und Festlegungen der Europäischen Normen (EN 1990 und EN 1991-2) für Nachweise der Standsicherheit und der Gebrauchstauglichkeit werden auf zwei Wegen die nachweisrelevanten Werte definierter Kenngrößen aus Verkehr (Biegemomente, Querkräfte, Auflagerkräfte usw.) unter Beibehaltung des definierten Sicherheitsniveaus im Modul 4 bestimmt. Der eine Weg folgt der statistischen Auswertung von Verkehrsschnittgrößen-Zeitfolgen gemäß der Definition der charakteristischen Werte nach EN 1991-2 im Abschnitt 2.2 [1] mit der Festlegung einer Wiederkehrperiode von 1/ 1000-mal in einem Jahr. Der zweite Ansatz basiert auf zuverlässigkeitstheoretischen Untersuchungen, wobei zunächst die Versagenswahrscheinlichkeiten sowie die Bemessungswerte und Wichtungsfaktoren für streuende Basisvariablen, im vorliegenden Fall die Kennwerte des Verkehrs, ermittelt werden. Auch hier bildet die Verkehrsschnittgrößen-Zeitfolge die Grundlage. Für die Versagenswahrscheinlichkeit sind in der EN 1990 (im Anhang C) Zielwerte definiert, wobei bei diesen Vorgaben ein minimaler Sicherheitsindex angegeben wird. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 249 Ein neuer Algorithmus zur Erstellung realistische Verkehrslastmodelle für Straßenbrücken Abb. 4: Modul 3 Brückenanalyse und Modul 4 Lastmodellkalibrierung. 4. Anwendung des Reallast Algorithmus Im Rahmen der Untersuchung wurden drei Anwendungsfälle in den jeweiligen D-A-CH Länder betrachtet. Einer davon befindet sich in Österreich an einer 30 km Strecke an der A2 Südautobahn (von Wien nach Graz) in der Nähe von Gleisdorf (vgl. Abb. 5). Dieser Streckenabschnitt wird hier näher präsentiert. Er verfügt über zwei Fahrstreifen mit einer WIM-Anlage im rechten Fahrstreifen bei Ilz sowie drei Zählstellen mit den Nummern 354, 361 und 373. Die Daten zu Verkehr und Brücken wurden auf Basis übermittelter Betreiberdaten auf bereitet und der Reallast-Algorithmus mit allen vier Modulen angewandt. Abb. 5: Übersicht Use Case Österreich. Das Modul 1- Sensorfusion wurde für vier unterschiedliche Fälle der Datenverfügbarkeit getestet, welche wie folgt definiert sind: • Fall 1- Keine Daten: In diesem Fall wird die User-Vorgabe der Verkehrsaufkommensstufe (gering, mittel, stark) verwendet. Alle weiteren notwendigen Verkehrsparameter (Spurverteilung und Zusammensetzung, periodische Änderung, Gewichtsverteilungen, Abstände und Staumodelle) werden aus der statistischen Auf bereitung aller verfügbaren Zähldaten abgeleitet. Die Gewichtsverteilung (leicht, mittel, schwer) wird aus den länderspezifischen WIM- Daten in diesem Fall AT verwendet, wobei per Vorgabe konservativ die schwerste Ländergewichtsverteilung gewählt wird. • Fall 2: Bekanntes Verkehrsaufkommen - Anzahl der LKWs und PKWs: Es folgt die Sensorfusion für das bekannte Verkehrsaufkommen kombiniert mit der Annahme des Gesamtgewichts (leicht, mittel, schwer). Dieses wird wieder wie im Fall 1 konservativ mit der Stufe schwer des jeweiligen Landes vorgeben. • Fall 3 Bekannte lokale Zähldaten: Die Sensorfusion der Verkehrsparameter erfolgt aus den vorliegenden lokalen Zähldaten. Die Annahme des Gesamtgewichts (leicht, mittel, schwer) erfolgt wieder länderspezifisch mit der Stufe schwer, abgeleitet aus den WIM-Daten. • Fall4 Bekannt lokale WIM+Zähldaten: Im Rahmen von Fall 4 werden zusätzlich zu den Zählauch die lokalen WIM-Daten einbezogen. Dieser Fall stellt den besten Stand der Datenverfügbarkeit dar. Für die Sensorfusion wurden alle 4 unterschiedliche Fälle der Datenverfügbarkeit auf bereitet, in der weiteren Betrachtung der Verkehrssimulation (siehe [11]) und Lastmodellkalibrierung jedoch nur mehr die Fälle 2 und 4 miteinander verglichen. Die Ergebnisse der Anpassungsfaktoren für das LM1 sind für den Use-Case Österreich in Abb. 6 und Abb. 7 übersichtlich dargestellt. Dabei wurden die -Werte für den Fall 2 (bekannt nur das Verkehrsaufkommen) und Fall 4 (bekannte Zähl+WIM Daten) als semiprobabilistische Modellkalibrierung ausgewertet. Zur besseren Übersicht wurden die Einwirkungsgrößen Biegung und Querkraft getrennt voneinander abgebildet. Unterschieden wurde außerdem, ob der genehmigungspflichtige Schwerverkehr (mGSV-Abb. 6) oder nicht (oGSV-Abb. 7) nach Tab. 1 einbezogen worden ist. Es ist klar erkennbar, wenn im Fall 4 mehr und genauere Verkehrsdaten vorliegen, sich die - Faktoren von auf reduzieren. Auch der Einfluss des dauergenehmigten Schwerverkehr (mGSV), ist trotz der geringen prozentuellen Anteile aufgrund der Extremwertableitungen maßgebend. Ohne dauergenehmigte Schwerfahrzeuge betragen die Werte bzw. , und sind nochmals nahezu 20 % geringer. Auffallend ist, dass kurze Stützweiten tendenziell höhere a-Faktoren aufweisen, was zum einen auf die höheren dynamischen Effekte zurückzuführen ist. Zum anderen sind in diesem betrachteten Streckenabschnitt Durchlaufträger (DLT) mit kurzen Stützweiten vorhanden. Hier bildet das Lastmodell mit der Grundform der Tandemachse mit Gleichlastdie 250 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Ein neuer Algorithmus zur Erstellung realistische Verkehrslastmodelle für Straßenbrücken unter realen Verkehrssituationen auftretenden Stützmomente weniger konservativ ab als es im Falle des Feldmomentes. Während bei kleinen Brückenspannweiten der Einfluss des Fließverkehrs überwiegt, ist bei Spannweiten ab ca. 30 m der Einfluss von Staus maßgeblich. Abb. 6: Ergebnisse der semiprobabilistischen Lastmodell-Kalibrierung: Use Case Österreich mit Berücksichtigung des dauergenehmigten Schwerverkehrs für Biegemomente (links) und Querkräfte (rechts). Im Fall 2 ist nur das Verkehrsaufkommen und im Fall 4 sind WIM und Zähldaten bekannt. Abb. 7: Ergebnisse der semiprobabilistischen Lastmodell-Kalibrierung: Use Case Österreich ohne Berücksichtigung des dauergenehmigten Schwerverkehrs. Im Fall 2 ist nur das Verkehrsaufkommen und im Fall 4 sind WIM und Zähldaten bekannt. 5. Zusammenfassung & Schlussfolgerungen Im Rahmen des VIF-DACH-Forschungsprojekts REAL- LAST wurde ein Algorithmus entwickelt, der eine Anpassung der Verkehrsbelastungsmodelle der Autobahnen an das real gemessene Verkehrsaufkommen sowie gemessene Achslasten ermöglicht. Wesentliche Merkmale der entwickelten Methodik, das Grundschema zur Einbindung von gemessenen Verkehrsdaten in die Belastungsanalyse bestehender Brücken sowie ein Anwendungsbeispiel in Österreich wurden vorgestellt. Bei der Entwicklung des Algorithmus wurden zudem die Auswirkungen des zukünftigen Verkehrsaufkommens sowie mögliche leichte Erhöhung der Achslasten in Bezug auf batteriebetriebenen E-LKWs berücksichtigt. Die Ermittlung charakteristischer Verkehrslasten kann sowohl streckenspezifisch als auch brückenspezifisch erfolgen, sofern die entsprechenden Verkehrs- und Brückendaten verfügbar sind. Im Rahmen des Projekts wurde ein Sensorfusion-Ansatz entwickelt, der die Verkehrsdaten im Falle ihrer Nichtverfügbarkeit durch statistische Grundannahmen länderweise „schätzen“ kann. Mit einer Zunahme des Kenntnisstandes und der Datenverfügbarkeit ist eine tendenzielle Verbesserung der Kalibration zu erwarten. Der Einfluss des genehmigungspflichtigen Schwerverkehrs und schwerer Sattelschlepper war insbesondere bei Brücken mit kurzen Spannweiten signifikant. Eine Überladung ist die Ursache für große Belastungen, daher müssen Gewichtskontrollen bzw. Überwachungsmöglichkeiten für Lkw durchgesetzt werden. Während bei kleinen Brückenspannweiten der Einfluss des Fließverkehrs überwiegt, ist bei Spannweiten ab ca. 30 m der Einfluss von Staus maßgeblich. Die grundlegende Regelung des voll-probabilistischen Nachweises findet sich in der EN 1990, allerdings fehlen darin spezifische Informationen und Faktoren für Brückenlasten auf Basis von WIM-Daten. Empfehlungen zur Lastseite sind im REAL-LAST-Bericht [3] enthalten. Die Methodik ist ebenfalls für eine semiprobabilistische Kalibrierung anwendbar, wobei eine Nachrechnung gemäß diverser Nachrechnungsrichtlinien, insbesondere im Sinne der Stufe 3, möglich wäre. Eine mögliche Integration umfasst die Verwendung charakteristischer Verkehrslasten aus ortsspezifischen Untersuchungen, während alle anderen Faktoren mit Teilsicherheitsbeiwerten gemäß der geltenden Norm behandelt werden könnten, und somit auch für die Praxis leicht anwendbar sind. Danksagung Die vorliegenden Arbeiten wurden im Rahmen des FFG- VIF-Dach-Projekts „Reallast“ zur Förderung von Realen Verkehrslastmodellen von Brückenbauwerken im Rahmen der D-A-CH-Kooperation Verkehrsinfrastrukturforschung DACH 2021 unterstützt. Die Autoren möchten sich bei den Auftraggebern (BMVD, BMK, Bundesamt für Straßen ASTRA) sowie auf Betreiberseite ASFiNAG, BASt und ASTRA der drei D-A-CH Länder sowie der FFG für die exzellente Zusammenarbeit, ergebnisorientierte Diskussionen und Unterstützung und Förderung des Projekts bedanken. Literatur [1] DIN EN 1991-2/ NA: 2012-08, Nationaler Anhang_- National festgelegte Parameter_- Eurocode_1: Einwirkungen auf Tragwerke_- Teil_2: Verkehrslasten auf Brücken“. Beuth Verlag GmbH. doi: 10.31030/ 1884309. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 251 Ein neuer Algorithmus zur Erstellung realistische Verkehrslastmodelle für Straßenbrücken [2] DIRECTIVE OF THE EUROPEAN PARLIA- MENT AND OF THE COUNCIL amending Council Directive 96/ 53/ EC. 2023. [3] A. Vorwagner et. al, Reale Verkehrslastmodelle von Brückenbauwerken, Ergebnisbericht Projekt REAL-LAST, DACH Kooperation 2021 Verkehrsinfrastrukturforschung, 2024. https: / / projekte.ffg. at/ projekt/ 4213287 [4] G. Sedlacek u. a., Background document to EN 1991- Part 2 - Traffic loads for road bridges and consequences for the design. 2008. [Online]. Verfügbar unter: https: / / scribd.com/ document/ 253441678/ 06- Ma n u s - S e dl a c e k- 1 -B a c k g r o u n d -Do c u m e n tto-en-1991-Part-2-Traffic-Loads-for-Road-Bridges [5] G. Merzenich, „Entwicklung eines europäischen Verkehrslastmodells für die Bemessung von Straßenbrücken“, RWTH Aachen, 1994. [Online]. Verfügbar unter: https: / / publications.rwth-aachen.de/ record/ 78308 [6] S. Böning, Entwicklung einer geschlossenen Vorgehensweise zur Ermittlung von Beanspruchungen von Brückenbauwerken infolge Straßenverkehr. In Berichte aus dem Bauwesen. Aachen: Shaker, 2013. [7] J. K. Kraus, Zur analytischen Herleitung von Verkehrslastmodellen für die Tragfähigkeit und Ermüdung von Straßenbrücken. in Heftreihe des Instituts für Bauingenieurwesen, no. 30. Düren: Shaker, 2021. [8] P. Croce, „Impact of Road Traffic Tendency in Europe on Fatigue Assessment of Bridges“, Applied Sciences, Bd. 10, Nr. 4, S. 1389, Feb. 2020, doi: 10.3390/ app10041389. [9] J. Maljaars, „Evaluation of traffic load models for fatigue verification of European road bridges“, Engineering Structures, Bd. 225, S. 111326, Dez. 2020, doi: 10.1016/ j.engstruct.2020.111326. [10] Nussbaumer, A., Oliveira Pedro, J., Pereira Baptista, C.A., Duval, M. (2019). Fatigue Damage Factor Calibration for Long-Span Cable-Stayed Bridge Decks. In: Correia, J., De Jesus, A., Fernandes, A., Calçada, R. (eds) Mechanical Fatigue of Metals. Structural Integrity, vol 7. Springer, Cham. https: / / doi.org/ 10.1007/ 978-3-030-13980-3_47 [11] U. Freundt u.- a., „REAL-LAST: generierte Daten zur Verkehrsbelastung von Brückenbauwerken“. 30. April 2024. doi: 10.5281/ zenodo.11072646. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 253 Rezyklierte Gesteinskörnungen im Anwendungsbereich der ZTV-ING Wolfgang Breit, Robert Adams, Syamak Tavasoli Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU), Kaiserslautern Maria Teresa Alonso Junghanns, Matthias Müller Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach Zusammenfassung Die Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten (ZTV-ING) gelten für den Bau und die Erhaltung von Ingenieurbauwerken nach DIN 1076. Während die Verwendung von rezyklierter Gesteinskörnung mit Einführung der ZTV-ING: 2023-12 untersagt wird, enthielten die vorherigen Ausgaben der ZTV-ING (zuletzt 2022- 10) kein explizit formuliertes Anwendungsverbot. Hier wurde festgelegt, dass alle Bauwerke im Bereich der Bundesfernstraßen der Feuchtigkeitsklasse WA nach DAfStb-Alkali-Richtlinie zuzuordnen sind. Mit dieser Regelung wurde die Verwendung von rezyklierter Gesteinskörnung zwar nicht verboten, die Einstufung in die Feuchtigkeitsklasse WA kam aber unter Berücksichtigung der notwendigen Nachweise einem praktischen Anwendungsverbot gleich. Vor dem Hintergrund der Veröffentlichung und zu erwartenden Einführung von DIN 1045: 2023-08, die im Teil 2 umfangreiche Änderungen bezüglich der Verwendung von rezyklierter Gesteinskörnung aufweist, sollte das Fachgebiet Werkstoffe im Bauwesen der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) die Frage der Anwendbarkeit von rezyklierter Gesteinskörnung im Anwendungsbereich der ZTV-ING neu bewerten. Die Analyse bezieht sich auf das Ausgabedatum der ZTV-ING von Oktober 2022. Auf Basis der im laufenden Projekt vorgelegten Ergebnisse, hat sich der zuständige Arbeitskreis des Koordinierungsausschusses Bau (KOA Bau) des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) noch vor Abschluss des Vorhabens für ein Anwendungsverbot in der aktuellen Fassung der ZTV-ING: 2023-12 ausgesprochen. 1. Ausgangssituation Mineralische Bauabfälle sind der mengenmäßig bedeutendste Stoffstrom der Abfallwirtschaft in Deutschland, wie auch in den Nachbarstaaten [1]. In einigen Ländern werden mineralische Bauabfälle auch in der täglichen Praxis für die Betonherstellung verwendet, wohingegen der Werkstoff „Beton mit rezyklierter Gesteinskörnung“, kurz auch R-Beton genannt, in Deutschland bislang nur in wenigen Transportbetonwerken zum Standardlieferprogramm zählt. Die statistisch erfasste Menge mineralischer Bauabfälle im Jahr 2020 (Anfall insgesamt 220,6 Mio. t) geht aus Abb. 1 hervor. Nach [1] betrug der Anfall mineralischer Abfälle der Fraktionen Bauschutt und Straßenauf bruch im Jahr 2020 insgesamt 76,9 Mio. t, aus denen 63,0 Mio. t Recycling-Baustoffe hergestellt wurden. Rechnet man den Anteil der rezyklierten Gesteinskörnungen aus der Auf bereitung der Fraktion Boden und Steine sowie der Fraktion Baustellenabfälle mit hinzu, so wurden im Jahr 2020 insgesamt 76,9 Mio. t Recycling-Baustoffe hergestellt. Das entspricht einem Anteil von 13,2 % des Bedarfs an Gesteinskörnungen (Gesamtbedarf in 2020: 584,6 Mio. t). Die Verwertungsquote liegt damit in 2020 bei 89,5 %. Die durchschnittliche Verwertungsquote über den Zeitraum von 25 Jahren bezogen auf den Anfall der ungefährlichen mineralischen Bauabfälle einschließlich der Fraktion Boden und Steine beträgt 88,7 Prozent. Abb. 1: Statistische erfasste Menge mineralischer Bauabfälle 2020 (in Mio. t) [1] Abb. 2 zeigt die Gesteinskörnungsproduktion in Europa im Jahr 2022 [2]. Dabei nimmt Deutschland den ersten Rang hinsichtlich der Gesamtgesteinskörnungsproduktion ein. Obwohl die Anteile an rezyklierter Gesteinskörnung absolut gesehen in Deutschland am höchsten liegen, liegt Deutschland im Verhältnis zur Gesamtmenge der produzierten Gesteinskörnung nur auf dem fünften Platz, hinter Belgien, Niederlande, Großbritannien und Frankreich. 254 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Rezyklierte Gesteinskörnungen im Anwendungsbereich der ZTV-ING Abb. 2: Gesteinskörnungsproduktion 2022 in Europa (in Mio. t); zusammengestellt aus [2] Die Verwendung von rezyklierter Gesteinskörnung erfordert aufgrund der von natürlichen Gesteinskörnungen abweichenden Eigenschaften und deren Einfluss auf die damit hergestellten Betone besondere Regelungen. Hierbei zu nennen sind im Vergleich zur natürlichen Gesteinskörnung, die für rezyklierte Gesteinskörnung charakteristische inhomogenere stoffliche Zusammensetzung, ein erhöhtes Wasseraufnahmevermögen aufgrund höherer Porosität, eine verringerte Rohdichte sowie nach dem Auf bereitungsprozess verbleibende Zementanhaftungen, die ursächlich für die beiden vorgenannten Parameter sind. Daraus können sich z. T. veränderte Frisch- und Festbetoneigenschaften ergeben, welche bei der Herstellung und Bemessung von Bauteilen aus Beton mit rezyklierter Gesteinskörnung Berücksichtigung finden müssen [3], [4]. In allen Ländern Europas existieren Vorgaben, die ein Recycling mineralischer Bauabfälle regeln. Trotz der Einführung europäischer Normen sind jedoch zum Teil deutliche Unterschiede in der Handhabung rezyklierter Gesteinskörnung zwischen den einzelnen Ländern festzustellen. Welche Rolle Beton mit rezyklierter Gesteinskörnung in der Praxis eines einzelnen Landes spielt, hängt dabei sowohl von der jeweiligen Gesetzgebung und Regelwerksituation als auch von den geologischen und geografischen Randbedingungen ab. In Deutschland ist die Verwendung rezyklierter Gesteinskörnungen zurzeit noch über eine Richtlinie des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton (DAfStb) [5] geregelt. Die neu veröffentlichte DIN 1045: 2023 [6]-[10] wird die Anwendungsmöglichkeiten demgegenüber erweitern. Dies war Anlass, die Frage der Anwendbarkeit rezyklierter Gesteinskörnungen im Regelungsbereich der ZTV- ING [11] im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) zu untersuchen und zu bewerten. 2. Regelwerke 2.1 DAfStb-Richtlinie In Deutschland ist zurzeit die Verwendung von Beton mit rezyklierter Gesteinskörnung über die Richtlinie des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton (DAfStb) „Beton nach DIN EN 206-1 und DIN 1045-2 mit rezyklierten Gesteinskörnungen nach DIN EN 12620“ mit Ausgabedatum September 2010 geregelt [5]. Diese deckt den Festigkeitsbereich bis Betondruckfestigkeitsklasse C30/ 37, unter Einschränkung der möglichen Expositionsklassen und der höchstzulässigen Anteile der rezyklierten Gesteinskörnung > 2 mm, bezogen auf das gesamte Volumen der Gesteinskörnung, ab. Die DAfStb-Richtlinie lässt neben der Verwendung von Betonsplitt (Typ 1) auch die Verwendung von Bauwerksplitt (Typ 2) zu. Darüber hinaus sind bei der Verwendung rezyklierter Gesteinskörnungen die Richtlinie „Vorbeugende Maßnahmen gegen schädigende Alkalireaktion im Beton (Alkali-Richtlinie)“, Ausgabe Oktober 2013 [12] und DIN 4226-101 „Rezyklierte Gesteinskörnungen für Beton nach DIN EN 12620 - Teil 101: Typen und geregelte gefährliche Substanzen“ Ausgabe 2017-08 [13] zu beachten. 2.2 DIN 1045: 2023-08 2.2.1 Zuordnung von Beton mit rezyklierter Gesteinskörnung in Betonklassen Im Zuge der Novellierung der DIN 1045 [6]-[10], die mit Datum August 2023 veröffentlicht ist, wurde die Richtlinie des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton (DAfStb) „Beton nach DIN EN 206-1 und DIN 1045-2 mit rezyklierten Gesteinskörnungen nach DIN EN 12620“ [5] in DIN 1045-2: 2023-08 [8] integriert. Die Regelungen zu Anforderungen an die stoffliche Zusammensetzung, die Verwendung und Prüfung rezyklierter Gesteinskörnungen wurden dabei dem Stand von Wissenschaft und Technik angepasst. Mit der novellierten Fassung der DIN 1045 wird durch die Einführung von Betonbauqualitätsklassen (BBQ-Klassen) ein neues Konzept im Hinblick auf umfassende und konsistente Festlegungen von bauteilspezifischen Anforderungen an Planung, Baustoffe, Ausführung und Qualitätssicherung (BBQ-Konzept) umgesetzt. Dabei werden mit Hilfe definierter BBQ-Klassen zum einen technische Anforderungsniveaus definiert und zum anderen wird der erforderliche Abstimmungsbedarf zwischen den Bereichen Planung, Beton (Herstellung) und Bauausführung festgelegt, indem in Abhängigkeit von der Komplexität einer Bauaufgabe Betonfachgespräche und ein Betonbaukonzept in der Planungs- und Ausführungsphase gefordert werden [14]. Mit der zukünftigen DIN 1045-2: 2023-08 werden insbesondere auch umfangreiche Änderungen für die Verwendung rezyklierter Gesteinskörnungen etabliert und das Anwendungsspektrum erweitert. Betone mit rezyklierten 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 255 Rezyklierte Gesteinskörnungen im Anwendungsbereich der ZTV-ING Gesteinskörnungen ≤ 25 % Volumenanteil Austausch der groben Gesteinskörnung (bezogen auf die gesamte Gesteinskörnung) und Einhaltung der allgemeinen Anforderungen an rezyklierte Gesteinskörnungen nach DIN 1045-2: 2023-08, Anhang E.3.1 werden in die Betonklasse BK-N (normale Anforderungen) eingestuft. Für diese Betone gelten die Regelungen nach Tab. 1. Betone mit rezyklierten Gesteinskörnungen > 25 % Volumenanteil Austausch der groben Gesteinskörnung (bezogen auf die gesamte Gesteinskörnung) oder Feuchtigkeitsklasse WA und Einhaltung der allgemeinen Anforderungen an rezyklierte Gesteinskörnungen nach DIN 1045-2: 2023-08, Anhang E.3.1 und der besonderen Anforderungen nach DIN 1045-2: 2023-08, Anhang E.3.2 werden in die Betonklasse BK-E (erhöhte Anforderungen) eingestuft. Betone mit rezyklierten Gesteinskörnungen abweichend von BK-N und BK-E werden der Betonklasse BK-S (Betone mit speziell festzulegenden Anforderungen) zugeordnet. Für diese Betone ist ein Verwendbarkeitsnachweis erforderlich. Tab. 1: Regelungen für Betone der Betonklasse BK-N mit rezyklierter Gesteinskörnung nach DIN 1045- 2: 2023-08, Abschnitt 5.2.3.4 bei sortenreiner Verwendung (Typ 1 und Typ 2) Verwendung für die Druckfestigkeitsklassen bis einschließlich C50/ 60 zulässig Verwendung für die Feuchtigkeitsklassen WO und WF zulässig Anwendung des Prinzips der Betonfamilien zulässig Verwendung feiner rezyklierter Gesteinskörnungen des Typs 1 zulässig, wenn - Herkunft aus einer Produktion von grober rezyklierter Gesteinskörnung Typ 1, mit Nachweis der Anforderungen an die stoffliche Zusammensetzung nach DIN EN 933-11 - Gesamtvolumen rezyklierter Gesteinskörnung darf 25 % Volumenanteil nicht übersteigen - Anteil der feinen rezyklierten Gesteinskörnung bezogen auf den Anteil der groben rezyklierten Gesteinskörnung darf nicht größer sein, als der Anteil der gesamten feinen Gesteinskörnung bezogen auf den Anteil der gesamten groben Gesteinskörnung Verwendung feiner rezyklierter Gesteinskörnung des Typs 2 unzulässig Eine Deklarationspflicht der rezyklierten Gesteinskörnung bis 25 % Volumenanteil in der Betonklasse BK-N besteht nicht. Bei der Ersatzmenge über 25 % Volumenanteil ist die Verwendung von rezyklierter Gesteinskörnung zu deklarieren. Bei Beachtung der Anforderungen für die stoffliche Zusammensetzung und die Verwendung nach DIN 1045- 2: 2023-08 können die Bemessungsansätze nach DIN EN 1992-1-1 (EC2) [16], [17] uneingeschränkt verwendet werden. Die Verwendung rezyklierter Gesteinskörnungen für Spannbeton, Leichtbeton und in den Expositionsklassen XM, XA2, XA3 und XD3 ist generell nicht zulässig. Diese Verwendungsausschlüsse finden sich nicht in der aktuellen Ausgabe von DIN 1045-2: 2023-08, diese werden aber Bestandteil der kommenden MVV TB sein. 2.2.2 Allgemeine Anforderungen an rezyklierte Gesteinskörnung und deren Verwendung Für rezyklierte Gesteinskörnungen gelten die allgemeinen Anforderungen nach DIN 1045-2: 2023-08, Anhang E.3.1 im Hinblick auf die stoffliche Zusammensetzung, die Verwendung, die Prüfung der Wasseraufnahme, den Widerstand gegen Alkali-Kieselsäure-Reaktion (AKR) und die Auswirkungen auf Boden und Grundwasser (s. Tab. 2). Tab. 2: Allgemeine Anforderungen nach DIN 1045- 2: 2023-08, Anhang E.3.1 Stoffliche Zusammensetzung für die Kategorien Typ 1 und Typ 2 nach DIN 1045-2: 2023-08, Tabelle E.2 a) Begrenzung der Wasseraufnahme nach 10 min, bestimmt nach E.3.3.2, für grobe rezyklierte Gesteinskörnungen nach DIN 1045-2: 2023-08, Tabelle E.4 Verwendbarkeitsnachweis im Hinblick auf mögliche Auswirkungen auf Boden und Grundwasser erforderlich durch - Nachweis zum Gehalt und zur Freisetzung von gefährlichen Stoffen gemäß Anhang 10 (ABuG) der Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB), - Leistungserklärung auf der Grundlage einer Europäischen Technischen Bewertung (ETA) oder - Bewertung der Leistung auf Grundlage von DIN 4226-101 unter Beachtung von DIN 4226-102 in einer technischen Dokumentation unter Einschaltung einer entsprechend Art. 43 BauPVO qualifizierten Stelle. Nachweis der Alkaliempfindlichkeitsklasse E I-S nach DAfStb-Richtlinie „Vorbeugende Maßnahmen gegen schädigende Alkalireaktion im Beton (Alkali- Richtlinie)“ erforderlich oder Einstufung in E III-O, E III-OF oder E III-S a) Für bestimmte Expositionsklassen oder Arten der Verwendung können andere Anforderungen maßgebend sein. Rezyklierte Gesteinskörnungen, die aus Beton von Bauwerken aus dem in der DAfStb-Alkali-Richtlinie festgelegten eiszeitlichen Ablagerungsgebiet in Norddeutschland hergestellt werden, sind in die Alkaliempfindlichkeitsklasse E III-O bzw. E III-OF, rezyklierte Gesteinskörnungen, die aus Beton von Bauwerken außerhalb des in der Alkali-Richtlinie festgelegten eiszeitlichen Ablagerungsgebiets in Norddeutschland hergestellt werden, in die Alkaliempfindlichkeitsklasse E III-S einzustufen. Vorbeugende Maßnahmen gegen eine schädigende AKR im Beton sind in Abhängigkeit von der Alkaliempfind- 256 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Rezyklierte Gesteinskörnungen im Anwendungsbereich der ZTV-ING lichkeitsklasse der rezyklierten Gesteinskörnung und der Feuchtigkeitsklasse nach DAfStb-Richtlinie „Vorbeugende Maßnahmen gegen schädigende Alkalireaktion im Beton (Alkali-Richtlinie)“ [12] anzuwenden. 2.2.3 Besondere Anforderungen an Beton mit rezyklierten Gesteinskörnungen > 25 % Volumenanteil oder Feuchtigkeitsklasse WA Für Betone der Betonklasse BK-E mit rezyklierten Gesteinskörnungen > 25 % Volumenanteil oder Feuchtigkeitsklasse WA werden besondere Anforderungen gestellt (s. Tab. 3). Bei diesen Betonen wird der zulässige Anteil grober rezyklierter Gesteinskörnungen, bezogen auf die ge-samte Gesteinskörnung (% Volumenanteil), nach DIN 1045- 2: 2023-08, Tabelle E.5 begrenzt. Die Feuchtigkeitsklasse WA darf nur für rezyklierte Gesteinskörnung mit nachgewiesener Alkaliempfindlichkeitsklasse E I-S nach DAfStb-Alkali-Richtlinie verwendet werden. Tab. 3: Besondere Anforderungen nach DIN 1045- 2: 2023-08, Anhang E.3.2 Verwendung sortenreiner grober rezyklierter Gesteinskörnungen des Typs 1 und des Typs 2 zur Herstellung und Verarbeitung von Beton bis zu einer Druckfestigkeitsklasse C30/ 37 zulässig Begrenzung der Anteile in Abhängigkeit von der Feuchtigkeitsklasse und der Expositionsklasse nach DIN 1045-2: 2023-08, Tabelle E.5 a) Bauteile aus Beton unter den vorgenannten Voraussetzungen dürfen nach DIN EN 1992-1-1 bemessen werden. Verwendung von rezyklierten Gesteinskörnungen für Spannbeton und Leichtbeton unzulässig Anwendung des Prinzips der Betonfamilien jeweils für die Typen 1 und 2 getrennt zulässig Erweiterte Erstprüfung nach DIN 1045-2: 2023-08, E.3.2.3 erforderlich Zusätzliche Prüfungen im Rahmen der Produktionskontrolle nach DIN 1045-2: 2023-08, E.3.2.4 erforderlich a) Die Feuchtigkeitsklasse WA darf nur für rezyklierte Gesteinskörnung mit nachgewiesener Alkaliempfindlichkeitsklasse E I-S nach DAfStb-Alkali-Richtlinie verwendet werden Ergänzend zu den allgemeinen Anforderungen an rezyklierte Gesteinskörnung und deren Verwendung geltend ergänzend besondere Anforderungen im Hinblick auf die Herstellung des Betons, die zulässigen Anteile grober rezyklierter Gesteinskörnungen, die Durchführung einer erweiterten Erstprüfung sowie die Produktionskontrolle. 3. Rezyklierte Gesteinskörnung im Anwendungsbereich der ZTV-ING 3.1 Allgemeines Das Regelwerk für den Brücken- und Ingenieurbau im Bereich der Bundesfernstraßen umfasst eine Vielzahl einzelner Regelwerke in den Sachgebieten Entwurf, Bauausführung und Erhaltung. Zentrale Bedeutung im Bereich der Bauausführung kommt den Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten (ZTV-ING) zu. Diese nehmen das bauaufsichtlich eingeführte Regelwerk für die Betonherstellung (DIN EN 206-1: 2001-07 [18] in Verbindung mit DIN 1045-2: 2008-08 [19], zusammengefasst in DIN-Fachbericht 100: 2010-03 [20]) und die Bauausführung (DIN EN 13670: 2011-03 [21] in Verbindung mit DIN 1045-3: 2012- 03 [22]) an verschiedenen Stellen in Bezug. Für Ingenieurbauwerke nach DIN 1076: 1999-11 [23] im Bereich des Fernstraßennetzes enthält ZTV-ING über das Regelwerk hinausgehende ergänzende Regelungen. Die Anwendung rezyklierter Gesteinskörnungen ist in ZTV-ING: 2022-10 [11] nicht explizit geregelt, so dass für diesen Fall die Vorgaben des aktuellen Regelwerks gelten. Konsequenzen für eine mögliche Verwendung rezyklierter Gesteinskörnungen im Anwendungsbereich der ZTV-ING ergeben sich insbesondere daraus, dass ZTV- ING die Zuordnung von Bauteilen zu den Expositionsklassen abweichend von DIN-Fachbericht 100 regelt (s. Tab. 4). Bauteile im Sprühnebelbereich sind im Sinne der ZTV-ING als tausalzbeansprucht anzusehen. Aus diesem Grund sind alle Bauwerke im Bereich der Bundesfernstraßen der Feuchtigkeitsklasse WA zuzuordnen. 3.2 Anforderungen an Gesteinskörnungen in ZTV-ING Die ZTV-ING [11] stellt ergänzend zu DIN-Fachbericht100 [20] zusätzliche Anforderungen an Gesteinskörnung und deren Verwendung (s. Tab. 5). Hinsichtlich einer möglichen AKR gelten nach ZTV- ING die Regelungen des DIN-Fachberichts 100 sowie der DAfStb-Richtlinie „Vorbeugende Maßnahmen gegen schädigende Alkalireaktion im Beton (Alkali-Richtlinie)“. Tab. 4: Zuordnung von Bauteilen zur Expositionsklasse XF und XD nach ZTV-ING [11] Bauwerk Bauteil Expositionsklasse Brücke vorwiegend horizontale und direkt mit tausalzhaltigem Wasser oder Schnee beaufschlagte Betonflächen a) XF4 XD3 nicht vorwiegend horizontale Betonflächen im Spritzwasserbereich a) XF2 XD2 Betonflächen ausschließlich im Sprühnebelbereich a) z. B. Überbauten oder Pfeiler und Widerlager unterhalb von hohen Talbrücken XF2 XD1 Betonschutzwände a) XF4 XD3 Gründungen a) XD2 partiell freiliegende Gründungsbauteile b) XF2 XD2 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 257 Rezyklierte Gesteinskörnungen im Anwendungsbereich der ZTV-ING Trogbauwerke Trogsohlen mit Fahrbahn auf einem Aufbau nach der Richtlinie für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen (RStO) als Weiße Wanne a) XD2 Trogsohlen mit Fahrbahn auf einem Auf bau nach der Richtlinie für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen (RStO) mit außenliegender Folienabdichtung a) XD1 Tunnel Einfahrtbereiche von Tunneln in geschlossener Bauweise und in offener Bauweise a) XF2 XD2 Tunnelinnenschalen von zweischalig ausgeführten Tunneln in geschlossener Bauweise a) XF2 XD1 Tunnelwände und -decken in offener Bauweise ohne Wasserdruck mit außenliegender Folie a) XF2 XD1 Tunnelwände in offener Bauweise als WU-Konstruktion a) XF2 XD2 Bereich zwischen Einfahrtsbereichen von Tunneln XF2 (XF1e)) XD1 Tunnelsohlen als Weiße Wanne a) XD2 Tunnelsohlen mit außenliegender Folienabdichtung a) XD1 Becken alle Bauteile (ggf. höhere Einstufung) c) XF4 (XF3f)) XD2 Sonstige Schlitzrinnen d) XF4 XD2 a) Teil 3, Abschn. 1, 4 (13) b) Teil 3, Abschnitt 1, Anmerkung 4 (15) c) Teil 3, Abschnitt 8, 3 (2) d) Teil 3, Abschnitt 7, 5.2.5 (7) e) [24] f) Zu einer möglichen Einstufung in XF3 vgl. [25] 4. Anwendungsmöglichkeiten von rezyklierten Gesteinskörnungen im Bereich der ZTV-ING 4.1 Allgemeine Anforderungen an rezyklierte Gesteinskörnungen Die Anforderungen an rezyklierte Gesteinskörnungen sind in DIN 1045-2: 2023-08, Anhang E beschrieben (vgl. Tab. 2 und Tab. 3). Diese unterscheiden sich teilweise von den bisherigen Anforderungen der DAfStb-Richtlinie „Beton nach DIN EN 206-1 und DIN 1045-2 mit rezyklierten Gesteinskörnungen nach DIN EN 12620“ [5]. Tab. 5: Anforderungen an Gesteinskörnungen und deren Verwendung nach ZTV-ING ]11] nach DIN EN 12620 oder DIN EN 13055-1 für grobe Gesteinskörnungen zusätzlich zu den Anforderungen nach DIN EN 206-1/ DIN 1045-2: - Anteil leichtgewichtiger organischer Verunreinigungen ≤ 0,05 M.-% - bei gebrochenem Korn mindestens SI 20 - enggestufte Kornzusammensetzung - Korngemische und natürlich zusammengesetzte Gesteinskörnungen 0/ 8 dürfen nicht verwendet werden für feine Gesteinskörnungen zusätzlich zu den Anforderungen nach DIN EN 206-1/ DIN 1045-2: - Anteil leichtgewichtiger organischer Verunreinigungen ≤ 0,25 M.-% Größtkorn ≤ 8 mm: mindestens 2 Korngruppen verwenden Größtkorn > 8 mm: mindestens 3 Korngruppen verwenden Auswahl Größtkorn der Gesteinskörnung unter Berücksichtigung der Betondeckung, der kleinsten Querschnittsabmessung und des kleinsten Abstandes der Bewehrungsstäbe auswählen Ergänzend zur Alkali-Richtlinie „Vorbeugende Maßnahmen gegen schädigende Alkalireaktion im Beton (Alkali-Richtlinie)“ des DAfStb sind alle Bauwerke im Bereich von Bundesfernstraßen der Feuchtigkeitsklasse WA zuzuordnen Frost-Tau-Widerstand der Gesteinskörnung mindestens Kategorie F 2 Nachweis des Frost-Tausalz-Widerstandes bei XF2 und XF4: Masseverlust ≤ 8 M.-% nach DIN EN 1367- 6 (NaCl-Verfahren) Bei grober Gesteinskörnung und Masseverlust > 8 M.-%: Betonprüfung nach DIN V 18004 (Platten- oder CDF- Verfahren), wobei - Abwitterungen ≤ 500 g/ m² - keine Hinweise auf Verwitterung bei visueller Prüfung erkennbar Höhere Abwitterungen als 500 g/ m² können im Einzelfall dann vereinbart werden, wenn ein ausreichender Frost-Tausalz-Widerstand in Expositionsklasse XF4 durch ergänzende Untersuchungen bestätigt wird. Die in ZTV-ING zusätzlich gestellten Anforderungen an Gesteinskörnungen (s. Tab. 5) stellen für eine Verwendung im Regelungsbereich der ZTV-ING kein Hindernis dar. Die Einschränkung auf ausschließlich eng gestufte grobe Gesteinskörnung stellt kein technisches Hindernis für rezyklierte Gesteinskörnungen dar. Diese entspricht den bisherigen Regelungen der DAfStb-Richtlinie „Be- 258 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Rezyklierte Gesteinskörnungen im Anwendungsbereich der ZTV-ING ton nach DIN EN 206-1 und DIN 1045-2 mit rezyklierten Gesteinskörnungen nach DIN EN 12620“. Die höheren Anforderungen an die Kornform von groben Gesteinskörnungen können grundsätzlich auch von rezyklierten Gesteinskörnungen erfüllt werden, stellen aber produktionstechnisch und wirtschaftlich einen höheren Aufwand dar. Die geforderten geringeren Grenzwerte bezüglich der Anteile an die leichtgewichtigen organischen Verunreinigungen sowohl bei den groben als auch den feinen Gesteinskörnungen können auch von rezyklierten Gesteinskörnungen eingehalten werden. Aus dem Verzicht auf weitgestufte grobe Gesteinskörnung, natürlich zusammengesetzte Gesteinskörnung 0/ 8 und Korngemische ergeben sich keine anwendungsspezifischen Probleme. 4.2 Anforderungen bei Verwendung im Beton 4.2.1 Allgemeines Mit DIN 1045-2: 2023-08 wird auch eine Vielzahl weiterer Neuerungen in Bezug auf Betonausgangsstoffe, Betonzusammensetzung, Betonherstellung und Verarbeitung eingeführt, die auch für Betone mit rezyklierten Gesteinskörnungen von Bedeutung sein können. Diese sind nicht Gegenstand der vorliegenden Veröffentlichung (weitere Ausführungen hierzu siehe [31]). Aus den Regelungen der ZTV-ING [11] bezüglich der Betonausgangsstoffe Zement, Zugabewasser, Zusatzstoff, Zusatzmittel ergeben sich keine Anwendungsbeschränkungen im Hinblick auf die Anwendung von Beton mit rezyklierter Gesteinskörnung. Bezüglich der Kontrollen im Rahmen der Ausführung von Beton ergeben sich ebenfalls keine Anwendungsbeschränkungen im Hinblick auf die Anwendung von Beton mit rezyklierter Gesteinskörnung. Die in ZTV-ING, Teil 3, Abschnitt 5 (1) vorgegebene Ermittlung des Wassergehalts durch Darren ist bei Beton mit rezyklierter Gesteinskörnung nicht zielführend, wenn mit diesem Verfahren eine Kontrolle des Wassergehaltes bzw. des Wasserzementwertes erfolgen soll. Bei der Prüfung des Wassergehalts beim Darren des Betons bei Verwendung von saugenden Gesteinskörnungen, wie leichte oder rezyklierte Gesteinskörnung, werden auch Anteile des Saugwassers abgedampft und somit der Wert des Wassergehalts unkontrolliert verändert. Diese Prüfverfahren liefern lediglich Informationen zum Gesamtwassergehalt als Summe aus wirksamem Wasser und Kernfeuchte. Nur bei nicht saugender Gesteinskörnung entspricht das Ergebnis der Prüfung durch Darren hinreichend genau dem Wassergehalt im Zementleim. Möglichkeiten zur Berücksichtigung dieser Zusammenhänge in der Praxis sind aus [4] zu entnehmen. 4.2.2 Anforderungen im Zusammenhang mit Expositions- und Feuchtigkeitsklassen Unter Beachtung der in der aktuell (noch) gültigen DAfStb-Richtlinie „Beton nach DIN EN 206-1 und DIN 1045-2 mit rezyklierter Gesteinskörnung nach DIN EN 12620“ [5] festgelegten Anforderungen, dürfen rezyklierte Gesteinskörnungen in den Feuchtigkeitsklassen WO, WF und WA entsprechend der DAfStb-Alkali-Richtlinie verwendet werden. Die Verwendung einer rezyklierten Gesteinskörnung für Beton in feuchter Umgebung mit Alkalizufuhr von außen, entsprechend der Klasse WA der Alkalirichtlinie, ist jedoch nur dann erlaubt, wenn vorbeugende Maßnahmen gegen AKR ergriffen werden und zusätzlich ein Gutachten durch eine besonders fachkundige Person einen ausreichenden Widerstand des Betons gegen eine schädigende AKR bestätigt. Nach DIN 1045-2: 2023-08 müssen rezyklierte Gesteinskörnungen in eine Alkaliempfindlichkeitsklasse nach DAfStb-Richtlinie „Vorbeugende Maßnahmen gegen schädigende Alkalireaktion im Beton (Alkali-Richtlinie)“ eingestuft werden. Wenn ein Nachweis der Alkaliempfindlichkeitsklasse E I-S nicht möglich ist oder nicht durchgeführt wird, sind sie in Abhängigkeit von ihrem Gewinnungsort (Lage des Bauwerks, aus dem die rezyklierte Gesteinskörnung gewonnen wird) in die Alkaliempfindlichkeitsklasse E III-O, E III-OF bzw. E III-S einzustufen. Die vorbeugenden Maßnahmen gegen eine schädigende Alkalireaktion im Beton sind nach DAfStb- Alkali-Richtlinie jeweils in Abhängigkeit von der Alkaliempfindlichkeitsklasse der rezyklierten Gesteinskörnung zu treffen. Rezyklierte Gesteinskörnungen Typ 1 und Typ 2 dürfen für Beton der Betonklasse BK-N bei Einhaltung der allgemeinen Anforderungen mit ≤ 25 % Volumenanteil Austausch der groben Gesteinskörnung (bezogen auf die gesamte Gesteinskörnung) in den Feuchtigkeitsklassen WO und WF verwendet werden. Für Betone der Betonklasse BK-E mit rezyklierten Gesteinskörnungen > 25 % Volumenanteil Austausch der groben Gesteinskörnung (bezogen auf die gesamte Gesteinskörnung) oder Feuchtigkeitsklasse WA und Einhaltung der allgemeinen Anforderungen an rezyklierte Gesteinskörnung nach DIN 1045-2: 2023-08, Anhang E.3.1 und der besonderen Anforderungen nach DIN 1045- 2: 2023-08, Anhang E.3.2 ist zukünftig auch die Verwendung rezyklierter Gesteinskörnungen in der Feuchtigkeitsklasse WA (Expositionsklassen XD1, XD2, XS1, XS2, XF2 und XF4) möglich, unter der Vor-aussetzung, dass für die rezyklierte Gesteinskörnung die Alkaliempfindlichkeitsklasse E I-S nachgewiesen ist (s. Abb. 3). 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 259 Rezyklierte Gesteinskörnungen im Anwendungsbereich der ZTV-ING Abb. 3: Verwendung von rezyklierter Gesteinskörnung in der Betonklasse BK-E oder Feuchtigkeitsklasse WA, nach DIN 1045-2: 2023-08 und DAfStb-Alkali-Richtlinie Auf Basis der Festlegung der Feuchtigkeitsklasse WA für alle Bauteile nach ZTV-ING: 2022-10 [11] ergibt sich in Kombination mit der Festlegung der Alkaliempfindlichkeitsklasse der rezyklierten Gesteinskörnung im Regelungsbereich der ZTV-ING damit nur eine Anwendungsoption für die Verwendung von Beton mit rezyklierter Gesteinskörnung, nämlich dann, wenn die Alkaliempfindlichkeitsklasse E I-S nachgewiesen wird. 4.3 Offene Fragestellungen und Forschungsbedarf Während auf Grundlage von DIN 1045: 2023-08 die Verwendung rezyklierter Gesteinskörnungen für Betone in den Expositionsklassen XC0, XC1 bis XC4, XF1, XF3 und XA1, sowie bei Nachweis der Alkaliempfindlichkeitsklasse E I-S in XD1, XD2, XS1, XS2, XF2 und XF4 grundsätzlich möglich ist, liegen für die Verwendung von rezyklierten Gesteinskörnungen in den Expositionsklassen XM, XA2, XA3, XD3 und XS3 bisher keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und somit auch keine Regelungen vor. Die Verwendung von rezyklierten Gesteinskörnungen in diesen Expositionsklassen ist damit nicht möglich. Gleiches gilt für Leichtbeton und Spannbeton. Für derartige Anwendungsbereiche liegen ebenfalls keine ausreichend gesicherten Kenntnisse vor. Untersuchungen von Beton mit rezyklierter Gesteinskörnung zu dynamischen Belastungen bzw. zum Ermüdungsverhalten sind aus der Literatur nicht bekannt und sind daher von der Anwendung auszuschließen. Gleiches gilt z. B. auch für weit gespannte Bauteile mit hoher Biegebeanspruchung, verformungsempfindliche Bauteile oder wenn das Kriechverhalten nicht vernachlässigt werden darf. Fragen zu Dauerhaftigkeitsbetrachtungen größer 50 Jahre wurden bislang ebenfalls nicht untersucht. Für eine Anpassung der Regelungen der DIN 1045- 2: 2023-08 an die Belange der ZTV-ING, z. B. durch Begrenzung der Mengen auf x % Volumenanteil sowie die Vorgabe ergänzender qualitätssichernder Maßnahmen liegen derzeit keine wissenschaftlichen Untersuchungen bzw. Nachweise vor. Über die genannten technischen Fragestellungen hinaus ist zudem im Hinblick auf die Verwendung in Ingenieurbauwerken bzw. Bauwerken der Infrastruktur auch die Frage nach der Verfügbarkeit von rezyklierter Gesteinskörnung zu stellen. Nach aktuellen Schätzungen kann davon ausgegangen werden, dass derzeit ca. 10 %, zukünftig ggf. bis zu 30 % der natürlichen Gesteinskörnung im Betonbau durch rezyklierte Gesteinskörnung ersetzt werden kann. 4.4 Zusammenfassende Bewertung Die in ZTV-ING: 2022-10 zusätzlich zu DIN 1045: 2023- 08 gestellten Anforderungen an Gesteinskörnungen (s. Tab. 5) stellen für eine Verwendung im Regelungsbereich der ZTV-ING kein Hindernis dar. Für die Anwendung im Beton stellen die Anforderungen im Hinblick auf die Vermeidung einer schädigenden AKR die größte Herausforderung dar, da für die Verwendung in der Feuchtigkeitsklasse WA die Alkaliempfindlichkeitsklasse E I-S nachgewiesen sein muss. Für den erforderlichen Nachweis stehen zwar ausreichend anerkannte Prüfinstitute zur Verfügung, die Dauer der unterschiedlichen Prüfverfahren für den Nachweis nach DAfStb-Alkali-Richtlinie betragen jedoch zwischen 15 Tagen und neun Monaten und sind damit zum einen zeitintensiv und zum anderen auch kostspielig. Für die Anwendung rezyklierter Gesteinskörnung im Regelungsbereich der ZTV-ING ist die Erstellung eines Gutachtens für den Nachweis der Alkaliempfindlichkeitsklasse E I-S zwar grundsätzlich möglich und könnte im Fall einer größeren Abbruchmaßnahme sinnvoll sein. In der üblichen Praxis ist aber davon auszugehen, dass die Herkunft der rezyklierten Gesteinskörnung nicht bekannt ist und somit in die Alkaliempfindlichkeitsklassen E III- S oder E III-O bzw. E III-OF einzustufen ist. Die in Abschnitt 4.3 thematisierten offenen technischen Fragestellungen, insbesondere auch die Fragen nach der Qualitätssicherung sowie einer ausreichenden Verfügbarkeit stellen weitere Herausforderungen für eine Anwendung im Regelungsbereich der ZTV-ING dar. Da zu diesen Fragen keine wissenschaftlichen Untersuchungen bzw. Nachweise vorliegen, können diese nur im Rahmen weiterer Forschung bzw. bei der Durchführung von Pilotprojekten geklärt werden. Die pilothafte Anwendung im Regelungsbereich der ZTV-ING erfordert eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE). Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Verwendung von rezyklierter Gesteinskörnung im Anwendungsbereich der ZTV-ING im Regelfall nicht zielführend ist. 5. ZTV-ING: 2023-12 Die letzte und damit aktuelle Fassung der ZTV-ING wurde im Dezember 2023 veröffentlicht. Mit Einführung von ZTV-ING: 2023-12 [32] wird die Verwendung von rezyklierten Gesteinskörnungen vor dem Hintergrund der 260 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Rezyklierte Gesteinskörnungen im Anwendungsbereich der ZTV-ING durchgeführten Analyse und erläuterten Sachverhalte untersagt (ZTV-ING: 2023-12, Teil 3, Abschnitt 1-3.1 (8)). 6. Zusammenfassung In Deutschland ist die Verwendung rezyklierter Gesteinskörnungen zurzeit noch über eine Richtlinie des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton [5] geregelt. Mit der zukünftigen DIN 1045: 2023-08 werden umfangreiche Änderungen für die Verwendung rezyklierter Gesteinskörnungen etabliert und das Anwendungsspektrum erweitert. Dies war Anlass, die Frage der Anwendbarkeit rezyklierter Gesteinskörnungen im Regelungsbereich der ZTV-ING: 2022-10 [11] im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) zu untersuchen und zu bewerten. Aus den Regelungen bezüglich der Betonausgangsstoffe Zement, Zugabewasser, Zusatzstoff, Zusatzmittel ergeben sich keine Anwendungsbeschränkungen im Hinblick auf die Anwendung von Beton mit rezyklierter Gesteinskörnung. Bezüglich der Kontrollen im Rahmen der Ausführung von Beton ergeben sich ebenfalls keine Anwendungsbeschränkungen im Hinblick auf die Anwendung von Beton mit rezyklierter Gesteinskörnung. Rezyklierte Gesteinskörnungen müssen im Hinblick auf mögliche AKR in eine Alkaliempfindlichkeitsklasse nach DAfStb-Alkali-Richtlinie eingestuft werden. In der üblichen Praxis ist davon auszugehen, dass die Herkunft der rezyklierten Gesteinskörnung nicht bekannt ist und diese somit in die Alkaliempfindlichkeitsklassen E III-S oder E III-O bzw. E III-OF einzustufen ist. In diesen Fällen ist die Verwendung rezyklierter Gesteinskörnungen in der Feuchtigkeitsklasse WA nach DIN 1045-2: 2023- 08 unzulässig. Auf Basis der Festlegung der Feuchtigkeitsklasse WA für alle Bauteile nach ZTV-ING: 2022-10 ergibt sich in Kombination mit der Festlegung der Alkaliempfindlichkeitsklasse der rezyklierten Gesteinskörnung im Regelungsbereich der ZTV-ING: 2022-10 nur eine Anwendungsoption für die Verwendung von Beton mit rezyklierter Gesteinskörnung, wenn die Alkaliempfindlichkeitsklasse E I-S nachgewiesen wird. Für die Verwendung von rezyklierten Gesteinskörnungen in den Expositionsklassen XM, XA2, XA3, XD3 und XS3, sowie für Leicht- und Spannbeton liegen keine gesicherten Erkenntnisse und damit auch keine Regelungen vor. Der Einsatz von rezyklierter Gesteinskörnung in diesen Fällen ist demnach nur im Rahmen einer Zustimmung im Einzelfall möglich. Über die Regelungen von DIN 1045-2023-08 hinaus, bestehen im Hinblick auf die Verwendung rezyklierter Gesteinskörnungen offene Fragestellungen im Hinblick auf dynamische Belastungen bzw. zum Ermüdungsverhalten, auf weit gespannte Bauteile mit hoher Biegebeanspruchung, verformungsempfindliche Bauteile oder wenn das Kriechverhalten nicht vernachlässigt werden darf, Dauerhaftigkeitsanforderungen größer 50 Jahre und die Verfügbarkeit. Diese können nur im Rahmen weiterer Forschung bzw. bei der Durchführung von Pilotprojekten geklärt werden können. Die pilothafte Anwendung im Regelungsbereich der ZTV-ING erfordert eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE). Vor diesem Hintergrund wird mit Einführung von ZTV- ING: 2023-12 die Verwendung von rezyklierten Gesteinskörnungen für die Anwendung im Regelfall untersagt. 7. Förderung Die Analyse zur Bewertung der Anwendung von rezyklierter Gesteinskörnung im Regelungsbereich der ZTV- ING wurde von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) beauftragt (FE 15.0696/ 2021/ DRB). Literatur [1] Bundesverband Baustoffe - Steine und Erden e.V.: Mineralische Bauabfälle Monitoring 2020- Bericht zum Aufkommen und zum Verbleib von mineralischen Bauabfällen, https: / / kreislaufwirtschaft-bau. de/ Download/ Bericht-13.pdf (Zugriff 2024-01-10) [2] https: / / www.aggregates-europe.eu/ facts-figures/ figures/ Zugriff 01.06.2024 [3] Etxeberria, M.; Vazquez, E.; Mari, A.; Barra, M.: Influence of amount of recycled coarse aggregates and production process on properties of recycled aggregate concrete, Cement and Concrete Research 37 (2007), S. 735-742 [4] Scheidt, J.: Ermittlung des erforderlichen Gesamtwassers zur Herstellung von R-Beton mit definiertem Wasserzementwert, Dissertation, Technische Universität Kaiserslautern, 2020 [5] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton: DAfStb- Richtlinie „Beton nach DIN EN 206-1 und DIN 1045-2 mit rezyklierter Gesteinskörnung nach DIN EN 12620“, 2010-09 und Berichtigung B1, 2019- 09, Beuth, Berlin [6] DIN 1045-1000: 2023-08 Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton - Teil 1000: Grundlagen und Betonqualitätsklassen (BBQ) [7] DIN 1045-1: 2023-08 Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton - Teil 1: Planung, Bemessung und Konstruktion [8] DIN 1045-2: 2023-08 Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton - Teil 2: Beton [9] DIN 1045-3: 2023-08 Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton - Teil 3: Bauausführung [10] DIN 1045-4: 2023-08 Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton - Teil 4: Betonfertigteile - Allgemeine Regeln [11] Bundesministerium für Digitales und Verkehr: Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten (ZTV-ING), 2022- 10 [12] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton: DAfStb- Richtlinie „Vorbeugende Maßnahmen gegen schädigende Alkalireaktion im Beton (Alkali-Richtlinie)“, 2013-10, Beuth, Berlin [13] DIN 4226-101: 2017-08 Rezyklierte Gesteinskörnungen für Beton nach DIN EN 12620 - Teil 101: Typen und geregelte gefährliche Substanzen 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 261 Rezyklierte Gesteinskörnungen im Anwendungsbereich der ZTV-ING [14] Breit, W.; Adams, R.: Auswirkungen der Anforderungen des BBQ-Konzeptes (Beton Bau Qualitätsklassen) für Ingenieurbauwerke nach ZTV- ING, Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), FE 15.0690/ 2021/ DRB, 2024 [15] DIN EN 933-11 Prüfverfahren für geometrische Eigenschaften von Gesteinskörnungen - Teil 11: Einteilung der Bestandteile in grober rezyklierter Gesteinskörnung [16] DIN EN 1992-1-1: 2011-01, Änderung A1: 2015- 03 Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau [17] DIN EN 1992-1-1/ NA: 2013-04, Änderung NA/ A1: 2015-12 Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter - Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau [18] DIN EN 206-1: 2001-07 Beton - Teil 1: Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität [19] DIN 1045-2: 2008-08 Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton - Teil 2: Beton - Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität - Anwendungsregeln zu DIN EN 206-1 [20] DIN-Fachbericht 100: 2010-03 Beton - Zusammenstellung von DIN EN 206-1 Beton - Teil 1: Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität und DIN 1045-2 Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton - Teil 2: Beton; Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität [21] DIN EN 13670: 2011-03 Ausführung von Tragwerken aus Beton [22] DIN 1045-3: 2012-03, Berichtigung B1: 2013-07 Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton - Teil 3: Bauausführung - Anwendungsregeln zu DIN EN 13670 [23] DIN 1076: 1999-11 Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung [24] Großmann, F.: Das “neue“ Regelwerk für den Ingenieurbau und die Regelungen für Beton, beton (2004), Heft 5, S. 234-239 [25] Alonso Junghanns, M.T.; Breitenbücher, R.; Günther, M.; Haist, M.; Haus J.: Becken aus Beton in Entwässerungsanlagen nach ZTV-ING, Beton- und Stahlbetonbau 118 (2023), Heft 3, S. 192-200 [26] DIN EN 12620: 2008-07 Gesteinskörnungen für Beton [27] DIN EN 13055-1: 2002-08 Leichte Gesteinskörnungen - Teil 1: Leichte Gesteinskörnungen für Beton, Mörtel und Einpressmörtel [28] DIN EN 1367-6: 2008-12 Prüfverfahren für thermische Eigenschaften und Verwitterungsbeständigkeit von Gesteinskörnungen - Teil 6: Beständigkeit gegen Frost-Tau-Wechsel in der Gegenwart von Salz (NaCl) [29] DIN V 18004: 2004-04 Anwendungen von Bauprodukten in Bauwerken - Prüfverfahren für Gesteinskörnungen nach DIN V 20000-103 und DIN V 20000-104 (zurückgezogen, ersetzt durch [30] [30] DIN/ TS 18004: 2022-10 Anwendungen von Bauprodukten in Bauwerken - Prüfverfahren für Gesteinskörnungen für Beton nach DIN 1045-2 [31] Breit, W.; Adams, R.; Tavasoli, S.: Ressourcenschonender Beton (R-Beton) in Brückenbauwerken: Machbarkeitsstudie und notwendige Verfahren zur Sicherstellung der Betonqualität, Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), FE 15.0696/ 2021/ DRB, 2024 [32] Bundesministerium für Digitales und Verkehr: Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten (ZTV-ING), 2023- 12 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 263 Abb. 1: Vorschlag eines Bearbeitungsablaufes bei Abstandhaltern im Stahlbeton. Abfallschlüssel gem. Abfallverzeichnis-Verordnung AVV (17 01 01 „geringfügig asbesthaltig“: Beton mit asbesthaltigen Abstandhaltern; 17 06 05*: asbesthaltige Baustoffe; 17 01 01: Beton). 1. Einführung Der Baustoff Asbest wurde bis zu seinem Verbot 1993 in Deutschland sehr häufig eingesetzt und ist daher in nahezu jedem Gebäude aus der Zeit zwischen 1950 und 1993 vorhanden. In Stahlbetonbauwerken kommen besondere Einbauteile in Form von Abstandhaltern oder Wandstärken („Spannhülsen“) vor, welcher Asbest enthalten können. Die Lokalisierung, Beprobung und (bei nachgewiesener Asbestbelastung) der sichere Ausbau dieser Bauteile in Stahlbeton stellen eine große Herausforderung dar. Bisher fehlen Normen oder Handlungsanweisungen für die Erkundung im Bestand, die es dem Sachverständigen/ Gutachter/ Planer ermöglichen, mit ausreichender Sicherheit eine diesbezügliche Asbestfreiheit im Stahlbeton zu attestieren. Abbruchmaterial aus Beton ist eine wichtige Ressource im Bausektor. Jährlich fallen in Deutschland ca. 20 Mio. Tonnen dieses Materials an, aufgrund von Sa- Handlungsanleitung: Umgang mit asbesthaltigen Hilfsbauteilen in Brücken aus Stahlbeton Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt „Konzeption zur Bestimmung von Lage und Anzahl asbesthaltiger Abstandhalter in Betonbrücken und Trennung vom Konstruktionsbeton“ Dr. Martin Hönig Wessling Consulting & Engineering GmbH & Co. KG Hans-Dieter Bossemeyer Wessling Consulting & Engineering GmbH & Co. KG Dr.-Ing. David Sanio Ruhr-Universität Bochum, Lehrstuhl für Massivbau Dr. rer. nat. Volker Thome Fraunhofer Institut für Bauphysik Zusammenfassung Bei Abbrucharbeiten von Infrastrukturbauwerken aus Stahlbeton besteht die Notwendigkeit, die oft verdeckten Abstandhalter, die in den Jahren zwischen 1960 und 1993 verbaut wurden, zu erkennen und sicher auszubauen. So kann der Stoffstrom des mineralischen Bauschutts vor Asbest abgesichert werden, um ein Recycling zu ermöglichen. Abstandhalter kommen in verschiedenen Materialien (z. B. Beton, Kunststoff, Asbestzement) und Formen vor. Sie wurden in Brücken mit einer Dichte von ca. 4 Stk. / m², in einem Abstand von ca. 50-100 cm zueinander verbaut. Das Vorgehen bei der Erkundung erfolgt in drei Schritten: historische Recherche, Vorprüfung und Vollprüfung. Bei der Vorprüfung wird die Brücke visuell nach Abstandhaltern abgesucht und es werden ggf. erste Materialproben zur Analyse im Labor entnommen. Bei der Vollprüfung kommen zur Sichtbarmachung der Abstandhalter Maschinen zum Abtrag der Oberfläche zum Einsatz. Die Ausschleusung asbesthaltiger Abstandhalter erfolgt idealerweise entweder durch Abtrennung vorab des Rückbaus oder durch Abtrennung aus dem Bauschutt nach dem Abbruch. 264 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Handlungsanleitung: Umgang mit asbesthaltigen Hilfsbauteilen in Brücken aus Stahlbeton nierungsdringlichkeit großer Infrastrukturbauwerke mit steigender Tendenz. Um die Verwertbarkeit dieses Stoffs im Sinne der Kreislaufwirtschaft abzusichern, bedarf es der Identifizierung und insbesondere der Ausschleusung von asbesthaltigen Abstandhaltern im Brückenbestand. Im Rahmen eines im Auftrag des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr, vertreten durch die Bundesanstalt für Straßenwesen, durchgeführten Forschungsvorhabens [1] wurde eine Handlungsanleitung für den Umgang mit asbesthaltigen Hilfsbauteilen, insbesondere Abstandhalter, in und an Brückenbauwerken aus Beton entworfen. Diese umfasst die folgenden Stufen der Planung und Durchführung einer Sanierung oder eines Rückbaus: a) die historische Recherche (Sichtung Bestandsunterlagen, etc.); b) die Erkundung des Bauwerkes vor Ort; c) die Begleitung der Sanierung/ des Rückbaus sowie d) den Umgang mit den anfallenden Baurestmassen. 2. Erkundung Erste Hinweise auf konkrete Produkte für Abstandhalter aus Asbestzement finden sich in Form von Patentanmeldungen ab 1966. Diese legen eine Verwendung schon einige Zeit vorher nahe, da Patente oftmals einen bereits bestehenden Sachverhalt abbilden. In den 1970er Jahren herrschte in der Baubranche Konsens über die hervorragenden Eigenschaften von Abstandhaltern aus Asbestzement. Es ist von einer breiten Verwendung auszugehen. Die Wahrscheinlichkeit für die Verwendung asbesthaltiger Abstandhalter ist im Zeitraum zwischen ca. 1965 und 1991 hoch, zwischen 1970 und 1985 (DDR bis ca. 1989) besonders hoch. Eine Verwendung davor und danach kann jedoch nicht ausgeschlossen werden. Ab Oktober 1993 waren Herstellung und Verwendung gem. der Gefahrstoffverordnung [2] verboten. Das Vorhandensein von Asbest im Bauwerk hat großen Einfluss auf den Ablauf einer Rückbaumaßnahme. Es empfiehlt sich daher, die Erkundung nach Asbest und anderen Schadstoffen so früh wie möglich im Planungsprozess durchzuführen. Vorab eines Eingriffs in die Bausubstanz (Rückbau, Teilrückbau, Teilerneuerung, etc.) ist das Vorhandensein von Asbest zu prüfen. Die Erkundung sollte grundsätzlich in drei Stufen erfolgen. Wenn in einer Stufe ein eindeutiger Befund (Abstandhalter mit Asbest ja/ nein) erreicht wird, können die nachfolgenden Stufen entfallen. Im ersten Schritt erfolgt die historische Recherche, dann die Vorprüfung (nicht invasiv, evtl. mit Probenahme) und als dritte Stufe die invasive Vollprüfung des Bauwerks. 2.1 Historische Recherche Das wichtigste Kriterium bildet die Ermittlung der Bauzeit. Die Datierung der Baupläne liefert hier meist das erste entscheidende Kriterium. Die Haupteinsatzzeit für asbesthaltige Abstandhalter in Deutschland liegt zwischen 1963 und 1983. Nach heutigen Erkenntnissen wurden asbesthaltige Abstandhalter von 1960 bis 1993 eingesetzt. Für Bauwerke mit Bauzeit außerhalb dieses Zeitraums ist die Verwendung nicht gänzlich auszuschließen, ist jedoch als unwahrscheinlich anzusehen. Bei Bauwerken von vor 1960 gilt es zu ermitteln, ob in der Zeit möglicher Verwendung asbesthaltiger Abstandhalter (1960 bis 1993) größere Um- oder Anbaumaßnahmen stattgefunden haben, bei denen möglicherweise Betonbauteile mit asbesthaltigen Abstandhaltern nachträglich eingebracht wurden. Die Planunterlagen liefern darüber hinaus weitere nützliche Informationen, wenn die Betonüberdeckung angegeben ist. Daraus ergibt sich beispielsweise, dass Abstandhalter in geeigneter Größe eingesetzt worden sein müssten. Ab 1980 sind Hinweise zum Verlegeraster und geeigneten Typen in den Bewehrungsplänen wahrscheinlicher. Die tatsächliche Ausführung (Material, Form, Anordnung, Anzahl oder Verlegemuster) der Abstandhalter wird in aller Regel auch in Bewehrungsplänen nicht zuverlässig beschrieben. 2.2 Vorprüfung Bei der Vorprüfung handelt es sich um die visuelle Prüfung auf Abstandhalter und eine visuelle Bestandsaufnahme des gesamten Bauwerks. Dabei werden alle Bauwerksteile der Brücke, ggf. an auszuwählenden, durch die Erreichbarkeit vorgegebenen, aber dennoch repräsentativen Teilflächen durch eine handnahe Sichtprüfung untersucht. Insbesondere bei größeren Brücken gilt zu beachten, dass sie u. U. in mehreren Betonierabschnitten, über mehrere Wochen oder Monate hinweg, evtl. mit veränderten Materialien oder sogar wechselnden Auftragnehmern, errichtet wurden. Diese Betonierabschnitte sind dann separat zu betrachten. Soweit die Abstandhalter den Kontakt zur Schalung nicht beim Betongießen und -verdichten verloren haben, können an offenen Sichtseiten des Betonbauwerkes bestimmte Muster erkannt werden. Die Asbestzement-Abstandhalterfabrikate zeigen charakteristische Kontaktmuster an den Untersichten oder Seitensichten (Schlangen oder Stangen mit dreieckigem Querschnitt, stumpfe Pyramiden, Knochen). Bei visuell erkennbaren (bei genauer Betrachtung; mit einem Arbeitsabstand von ca. 70 cm) asbestverdächtigen Materialien (Verdachtsmaterialien) können ggf. Materialproben entnommen werden. Bei guter Erreichbarkeit und Erkennbarkeit von Abstandhaltern kann hiernach ggf. die Untersuchung der Brücke abgeschlossen werden. Wenn Abstandhalter an allen relevanten Flächen in plausiblen Abständen und Arten in statistisch ausreichender Anzahl gefunden wurden, können diese möglicherweise im Zuge der Sichtprüfung in Abhängigkeit des verwendeten Materials als eindeutig asbestfrei eingestuft werden (z. B. Kunststoff oder Metall). Bei bestehendem Asbestverdacht des vorgefundenen Materials (Asbestzement) sind Materialproben zur Analyse an ein geeignetes Labor zu geben. Sind die Analysebefunde eindeutig (in allen Proben kein Asbest nachgewiesen oder in allen bzw. einer Mehrzahl der Proben Asbest nachgewiesen), so kann die Untersuchung der Brücke mit eindeutigem Befund abgeschlossen werden. Zur Attestierung der Asbestfreiheit der Baurestmassen ist dann eine Begleitung des konventionellen Rückbaus durch den Sachverständigen für Asbest durchzuführen, unter Umständen mit analytischer Überprüfung nach VDI 3876 [3]. Ergibt die Laboranalyse ein diffuses Bild (einige Proben Asbest nachgewiesen, einige 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 265 Handlungsanleitung: Umgang mit asbesthaltigen Hilfsbauteilen in Brücken aus Stahlbeton Proben kein Asbest nachgewiesen), so ist im Einzelfall zu entscheiden, ob eine erneute Prüfung der Brücke mit Probenahme durchgeführt wird, oder die Abstandhalter insgesamt gemäß VDI 6202-3 [4] als asbesthaltig eingestuft werden. Können in der nicht-invasiven Vorprüfung keine Abstandhalter in ausreichendem Maße gemäß VDI 6202-3 erkundet werden, ist für die weitere Erkundung eine invasive Vollprüfung notwendig. Alternativ kann für das weitere Vorgehen (z. B. der Rückbau der Brücke) auch generalisiert von asbesthaltigen Abstandhaltern ausgegangen werden. 2.3 Vollprüfung Beschichtungen, wie z. B. Sanierputze, Anstriche, Graffiti, Algenbewuchs, Zementleim und Zement-ausblühungen sowie Schalungsmuster mit Nägeln, Hammerschlägen, Fugen, Holzmaserungen und Astlöcher, verhindern oder behindern die Erkennung soweit, dass zur Erfassung aller verwendeten Arten von Abstandhaltern eine Freilegung notwendig wird. Die Freilegung einer Prüffläche kann überwiegend erfolgreich durch Abfräsen der ersten 1-3 mm der Oberflächen mit einem geeigneten Verfahren mittels handgeführter Fräse mit direkter Absaugung erfolgen. Die freigelegten bzw. bereits leicht angefrästen Abstandhalter fallen danach durch ihre regelmäßigen, charakteristischen Formen, im Gegensatz zu den natürlichen Betonzuschlägen, auf. Durch Benässen der gefrästen Fläche kann die Erkennbarkeit weiter verbessert werden. Da im Zuge des Erkundungsprozesses von asbesthaltigen Abstandhaltern auszugehen ist, sind nur solche Verfahren einzusetzen, die für die Bearbeitung asbesthaltiger Materialien geeignet sind (z. B. emissionsarme Verfahren). Verschiedentlich liegen Verkleidungen mit Steinen, Klinkern und Fliesen vor. Diese Verkleidungen müssen vorab der Entschichtung entfernt werden (hier sind ggf. Schadstoffe zu beachten). Es muss im Einzelfall entschieden werden, welches Verfahren zur Sichtbarmachung eingesetzt werden kann. Dies hängt zum Beispiel von den projektspezifischen Parametern, wie der Zugänglichkeit, der Verkehrssituation und -sicherung, der freizulegenden Fläche, etc. ab. Bei hoher Abtragstärke bis zur Bewehrung muss ggf. mit einem Stemmverfahren gearbeitet werden. Die technischen Lösungen in diesem Bereich entwickeln sich zurzeit rasant. So kann beispielsweise bei größeren Flächen ein fahrbarer Roboter mit Schienensystem und Frästechnik sinnvoll sein. Zerstörungsfreie Prüfverfahren, wie Röntgentechnik, Radar oder Thermografie, ermöglichen nach heutigem Stand nicht das Erkennen von überdeckten Abstandhaltern. Durch Röntgen können unter Umständen die Bindedrähte zur Fixierung der Abstandhalter als sehr dünne Linien sichtbar gemacht werden, welche wiederum einen Hinweis auf die Position der Abstandhalter geben können. Sie sind jedoch von den Bindedrähten der Bewehrung kaum unterscheidbar. Um die Art der Abstandhalter zu erkennen und eine Beprobung zu ermöglichen, ist ein Freilegen notwendig. Bei Spannhülsen ist auf dem Röntgenbild der Hohlraum im Inneren der Hülsen deutlich als heller Fleck erkennbar. Abb. 2: Visuell erkennbare Abstandhalter. A: Beschichteter Unterzug. Abstandhalter durch zwei parallele, dünne Striche erkennbar. Material ohne Weiteres nicht zu erkennen. B: Untersicht mit regelmäßigem Verlegemuster. Abstandhalter durch zwei parallele, dicke Striche erkennbar. Material ohne Weiteres nicht zu erkennen. C: Abstandhalter in Knochenform sichtbar. Material augenscheinlich Faserzement. 2.4 Beprobung Vor Ort kann dazu eine erste visuelle Bestimmung durchgeführt werden. Es müssen nur zementäre, potentiell asbesthaltige Abstandhalter beprobt werden. Oftmals lässt eine genaue visuelle Inaugen-scheinnahme eine Vorbestimmung zu. Kunststofffasern und -schnüre können allerdings auch in einer Mischung mit Asbestfasern vorhanden sein. Die asbesthaltigen Abstandhalter zeichnen sich im Quer-schnitt durch eine etwas dunklere Matrix und eine feine Körnung, im Gegensatz zu asbestfreien Be-tonabstandhaltern, aus. Sie enthalten zumeist keinen groben Sand. An den Bruchflächen sind zum Teil sehr feine Asbestbündel zu erkennen, die an Rasierpinsel erinnern (wenn vorwiegend die Asbestart Anthophyllit enthalten ist). Liegt hingegen die Asbestart Chrysotil vor, fallen die Bündel eher länger und gewundener aus. Abstandhalter aus Bruchstücken von Steinen, Holz, Kunststoff oder Metall gelten als asbestfrei und müssen nicht beprobt bzw. analysiert werden. 266 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Handlungsanleitung: Umgang mit asbesthaltigen Hilfsbauteilen in Brücken aus Stahlbeton Abb. 3: Gebrochener Abstandhalter (länglich) mit sichtbaren Asbestfaserbüscheln (Chrysotil) und langen Kunststofffäden Jeder vorgefundene Typ asbestverdächtiger Abstandhalter je Tragelement ist als ein Verdachtsmoment im Sinne der VDI 6202-3 anzusehen. In dieser VDI-Richtlinie wird die Anzahl der zu entnehmenden Proben asbestverdächtiger Materialien geregelt. Ein Verdachtsmoment ist hier ein „möglicherweise schadstoffhaltiges Material oder Produkt, das an einem oder mehreren Bauteilen gleichartig lokalisiert wird“. Werden also in einem Tragelement der Brücke augenscheinlich gleichartige Abstandhalter in plausiblen Abständen und Arten festgestellt, können sie zu einem Verdachtsmoment zusammengefasst werden. Entsprechend wird die Anzahl der zu entnehmenden Proben ermittelt. Diese wird wiederum beeinflusst von der sogenannten angenommenen Trefferwahrscheinlichkeit (ein Richtwert für die Wahrscheinlichkeit, dass bei der Untersuchung eines Verdachtsmoments ein einheitlicher Analysenbefund zu beobachten ist, also ein Indikator für die angenommene Homogenität innerhalb eines Verdachtsmoments). Die VDI 6202-3 gibt in ihrem Standartuntersuchungsumfang für Abstandhalter eine sehr hohe angenommene Trefferwahrscheinlichkeit von 98 % an (vermutlich, da sie zu einer Zeit mit relativ wenigen Erfahrungen zu diesem Thema entstand). Die VDI 6202- 3 sieht allerdings auch vor, angenommene Trefferwahrscheinlichkeiten in begründeten Fällen anzupassen und entsprechend die Anzahl der zu entnehmenden Proben zu erhöhen oder zu verringern. Aufgrund von Erfahrungswerten empfiehlt sich zurzeit eine angenommene Trefferwahrscheinlichkeit für Abstandhalter von maximal 80 % (analog zu Faserzement in der VDI 6202-3), insbesondere auch, um das Risiko eines falsch-negativen Befundes (Asbest nicht nachgewiesen, obwohl Asbest vorhanden ist) aufgrund einer zu geringen Probenanzahl zu minimieren. Da nicht nur das Äußere der Abstandhalter, sondern auch ein abweichender Asbestbefund ein Unterscheidungsmerkmal der Varietäten sein kann, kann sich die notwendige Anzahl zu untersuchende Proben auch im Nachgang zu einer Erstbeprobung erhöhen. Bei der Ermittlung der Anzahl der zu entnehmenden Proben ist das Berechnungstool der VDI 6202-3 einzusetzen. Bei einer angenommenen, niedrig angesetzten, Verlegedichte von zwei Abstandhaltern pro m² ist in einem Tragelement mit 100 m² Sichtfläche von 200 Abstandhaltern auszugehen. Geht man davon aus, dass diese alle typengleich sind, so müssen vier Proben zur Laboruntersuchung entnommen werden (Standarduntersuchungsumfang VDI 6202-3 für punktuelle Anwendungen, angenommene Trefferwahrscheinlichkeit 80 %, Aussagesicherheit des Befundes „kein Asbest nachgewiesen“ > 99 %). Bei der Untersuchung der Abstandhalter von Brücken ist eine Aussagesicherheit von mindestens 95 % für den Befund „Asbest nicht nachgewiesen“ anzustreben. Bei größeren Bauwerken verändert sich die Anzahl der zu entnehmenden Proben statistisch bedingt nicht. Werden beispielsweise bei 1.000 m² Sichtfläche 10 m², verteilt auf fünf Einzelflächen von je 2 m², freigelegt und ein regelmäßiges Verlegemuster von typengleichen Abstandhaltern aus Faserzement wird festgestellt, so genügt es ebenfalls, vier einzelne Abstandhalter zur Analyse zu beproben. Die Proben werden gem. VDI 6202-3 nicht an einer Stelle, sondern möglichst verteilt entnommen. Es genügt also z. B. nicht, auf einem Quadratmeter erkennbare vier Abstandhalter zu beproben, sondern es kann an dieser Stelle nur eine Probe entnommen werden und die übrigen drei Proben jeweils in anderen Teilbereichen. Entsprechend viele Flächen sind freizulegen. Voraussetzung ist die getrennte Betrachtung je vorgefundenem Tragelement und je vorgefundenem Abstandhaltertyp. Die Abstandhalter werden gem. VDI 3866-1 [5] sicher beprobt. Größere Proben können gewonnen werden, wenn im nebenliegenden Beton ein Schnitt mit einem Trennschleifer angesetzt wird oder eine Kernbohrung entnommen wird, ohne dabei den Abstandhalter zu zerstören. Die Proben des asbestverdächtigen Materials werden dann analog zum emissionsarmen BT-32-Verfahren („Stemmverfahren“, DGUV-Information 201-012) mittels Beutel als Schleuse gewonnen. Die Probe ist so zu entnehmen, dass sie die Zusammensetzung des Materials gemäß VDI 3866-1 ausreichend repräsentiert. 2.5 Analytik Die Proben der Abstandhalter sind an ein akkreditiertes Prüflabor zu übergeben. Die Analyse erfolgt nach den Vorgaben der VDI 3866-5 [6] mittels Raster-elektronenmikroskop (REM) und energiedispersiver Röntgenspektroskopie Analyse (EDXA). Der Negativbefund (kein Asbest nachgewiesen) ist ausschließlich mit diesem Verfahren möglich. Eine erste Abschätzung vor Ort und insbesondere einen Positivbefund (Asbest nachgewiesen) können Handgeräte, beispielsweise mittels Röntgen-fluoreszenzsanalyse (pXRF) oder Infrarotspektroskopie (IR) liefern. 3. erfahren zur Ausschleusung und Behandlung Ziel der Ausschleusung von Asbest aus dem Stoffkreislauf ist die Absicherung von Recyclingmaterial. Beim Abbruch von Stahlbeton-brücken ist im Vorfeld eines Rückbaus eine Abwägung über vorherige oder nachheri- 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 267 Handlungsanleitung: Umgang mit asbesthaltigen Hilfsbauteilen in Brücken aus Stahlbeton ge Trennung notwendig. Hier spielen viele Faktoren eine Rolle und Entscheidungen sind für jeden Einzelfall neu zu treffen. Im Zuge der Planung des Rückbaus ist ein Sanierungs- und Entfrachtungskonzept zu erstellen, dass die Asbestbelastungen beschreibt und die Möglichkeiten der Entfrachtung darlegt. Grundsätzlich sollte das Entfernen von asbesthaltigen Abstandhaltern aus einem Brückenbauwerk, wenn möglich, einem Rückbau mit Asbest vorgezogen werden. Für das Entfernen asbesthaltiger Abstandhalter und Rohrhülsen vorab des Rückbaus sind erprobte und noch in der Erprobung befindliche Verfahren verfügbar. Auch nach dem Abbruch können die asbesthaltigen Abstandhalter aus Beton-Bauschutt abgetrennt werden, was ebenfalls einen technisch asbestfreien Bauschutt mit Eignung zum Recycling gemäß LAGA-M 23 [6] liefert. Alternativ besteht bei einem Asbestbefund die Möglichkeit, den gesamten anfallenden Bauschutt als asbesthaltig zu entsorgen. Dies gilt es im Sinne der Abfallhierarchie des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG), der Ressourcenschonung und aufgrund begrenzter Deponiekapazitäten zu vermeiden. 3.1 Sanierung und Entfrachtung Bei jedem Brückenrückbau mit Asbest ist durch einen sachverständigen Planer ein Konzept aufzustellen, in welchem alle Maßnahmen beschrieben werden, mit denen das Entfernen von Asbest durchgeführt werden kann. Folgende Themen sollten als Mindestumfang enthalten sein: Ergebnisse der Erkundung der asbesthaltigen Abstandhalter, Beschreibung und Dokumentation der Sichtbarkeit an der Oberfläche, Dokumentation der Verortung der Abstandhalter, eingesetzte Methoden zur Sichtbarmachung, Beschreibung möglicher Abtrennungsverfahren, Auswahl eines empfohlenen Abtrennungsverfahrens anhand der Randbedingungen des Projektes, Konzept zur gutachterlichen Überwachung der Entfrachtung und des Bauschutts, Anforderung an den Arbeitsschutz, Beschreibung der Entsorgungswege. 3.2 Abtrennung vorab Rückbau Die Trennung der Asbestbauteile kann vorab des Abbruches erfolgen. Dabei kann weitgehend ohne Freisetzung von Asbestfasern gearbeitet werden. Für die Separierung vorab ist die Lage aller Abstandhalter, ggf. durch Sichtbarmachung mittels Abfräsens, zu ermitteln. Anschließend können die Abstandhalter per „Überbohren“, „Ausstrahlen“ oder „Ausschlitzen“ beseitigt werden. Vorab des großflächigen Eingriffs in das Bauwerk ist ein Statiker zu konsultieren, unter anderem deshalb, da es zu Beschädigungen an der Bewehrung kommen kann. Beim Überbohren wird eine nasse Kernbohrung angesetzt. Der Durchmesser des Bohrkerns ist so groß anzusetzen, dass der Abstandhalter selbst nicht berührt wird. Es wird nur die Betonüberdeckung durchbohrt, die Bewehrung bleibt erhalten. Die Kernbohrung findet also nicht in oder durch asbesthaltiges Material statt. Der Kern mit dem Abstandhalter kann sodann in eine angesetzte Beutelschleuse, analog zum emissionsarmen Verfahren BT 32, oder unter direkter Absaugung ausgestemmt werden. Das Verfahren kann auch für Rohrhülsen angewendet werden, wobei die Ausrichtung von Rohrhülse und Bohrung sehr genau beachtet werden muss. Dabei werden allerdings die Bewehrungsstähle regelmäßig mit durchtrennt. Beim Ausstrahlen wird eine Wasserhochdruck-Strahllanze in einer abgesaugten Glocke eingesetzt. Der entstehende Asbest- und Betonschlamm wird abgefiltert. Das Verfahren schont die Bewehrung. Es ist insbesondere für Rohrhülsen beim Bauwerkserhalt geeignet. Erste Erprobungen wurden durchgeführt, breitere praktische Erfahrungen stehen jedoch noch aus. Beim Ausschlitzen werden zuerst zwei parallele Schlitze auf zwei Seiten des Abstandhalters mittels eines Trennschleifers gesetzt. Die Schlitze werden durch einen Höhenbegrenzer ca. 5 mm vor den Stahleinlagen gestoppt. Danach kann, wie beim Überbohren der Abstandhalter, in einer Beutelschleuse ausgestemmt werden. Das Verfahren eignet sich auch für lineare Abstandhalter, jedoch nicht für Rohrhülsen. Beim direkten Ausstemmen von Abstandhaltern werden diese in der Regel zu stark zerstört. Erste Arbeitsplatzmessungen in einem geschlossenen Bereich zeigten hier Faserbelastungen deutlich über der Toleranzkonzentration von 100.000 Fasern/ m³. Aufgrund dieser Hinweise ist das bereits an Be-tonwänden im Hochbau erprobte Abschälverfahren der gesamten Betonüberdeckungsschicht kritisch zu betrachten, auch wenn mit Wasser gearbeitet wird. Mit dem Abschälen der Betonüberdeckung kann, im Gegensatz zur Deponierung des gesamten Bauschutts, auch die Menge an zu entsorgendem asbesthaltigem Abfall reduziert werden, es entstehen aber weiterhin erhebliche Mengen an zu deponierendem Bauschutt. Die ausgebauten Abstandhalter werden der Entsorgung (als asbesthaltiger Abfall) zugeführt und das entfrachtete Bauwerk kann maschinell zurückgebaut werden. Nach Entfernung der Abstandhalter mit Asbest vorab des Rückbaus mit gutachterlicher Abnahme ist anschließend von technisch asbestfreiem Bauschutt auszugehen, der auch einer nachgeschalteten Überprüfung nach VDI 3876 standhalten sollte. 3.3 Abtrennung aus Bauschutt Der Abbruch ist gemäß LAGA-M 23 auch mit den asbesthaltigen Abstandhaltern möglich. Die nach-folgende Trennung muss als Sanierung konzipiert und angemeldet werden, da aktuell Abfallbehand-lungsverfahren für Asbest nicht zugelassen sind. Entsprechend sollte die Faserfreisetzung in die Um-gebungsluft und in das Abbruchmaterial anhand von Prüfungen aus vergleichbaren Projekten oder von vorhergehenden Probesanierungen bekannt sein und bewertet werden. Dabei ist die Betrachtung der mechanischen Abbruchverfahren mitentscheidend und es ist stets von einer Faserfreisetzung in das Abbruchgut und die Umgebungsluft, wenn auch in geringerem Maße, auszugehen. Erste Studien in diesem Bereich zeigen, dass Abbruchmaterial mit asbesthaltigen Abstandhaltern in den Feinfraktionen Asbest ent- 268 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Handlungsanleitung: Umgang mit asbesthaltigen Hilfsbauteilen in Brücken aus Stahlbeton hält, wenn auch zumeist unter 0,005 % (Nachweisgrenze des Analyseverfahrens VDI 3876). Erfahrungen haben außerdem gezeigt, dass Abstandhalter oftmals an Phasengrenzen zum Beton brechen und charakteristische Formen und Bruchstücke entstehen, welche wiederum relativ gut zu erkennen sind. Bei ähnlichen Vermischungen von Schutt und asbesthaltigen Bauteilen wurden händische Sortierverfahren erfolgreich eingesetzt, sodass bei genügender Umsicht auch hier die Trennung erprobt werden sollte. Für die Abtrennung wird das Abbruchmaterial mit geringer Beladungsdichte (ohne Überlagerungen, z. B. einige Stücke pro m²) auf ein ausreichend langsam laufendes Förderband gegeben und Abstandhalter oder deren Bruchstücke werden händisch durch unterwiesene Personen aussortiert. Das Aussortieren sollte gutachterlich begleitet werden. Die aussortierten Abstandhalter werden entsorgt und das entfrachtete Abbruchmaterial kann dem Recycling zugeführt werden. Bei vollständiger Entfernung aller Abstandhalter mit Asbest ist dann von technisch asbestfreiem Bauschutt auszugehen. Dies ist durch analytische Kontrollen des auf bereiteten Bauschutts gem. VDI 3876 nachzuweisen. Perspektivisch erscheint eine Abfallbehandlung von Abbruchmassen aus Beton und asbesthaltigen Abstandhaltern in speziell hierfür konzipierten und zugelassenen Anlagen möglich, vergleichbar beispielsweise mit der Sanierung von Nachtspeicherheizungen mit Asbest. Zurzeit arbeiten verschiedene Institutionen an der Entwicklung von Auf bereitungstechnik für Abbruchmaterial aus Beton und asbesthaltigen Abstandhaltern. Geplant ist es, verschiedene Erkennungsmethoden mit Auf bereitungs- und Sortiertechnik zu kombinieren, um die asbesthaltigen Abstandhalter bzw. deren Bruchstücke automatisiert auszusortieren. 3.4 Untersuchung von Bauschutt Wenn Bauschutt unbekannter Zusammensetzung oder Herkunft bzw. generell mit möglichen Asbest-kontaminationen vorliegt, ist eine Untersuchung des Materials und eine Einstufung des Abfalls ent-sprechend den Vorgaben der LAGA-M 23 mittels VDI 3876 durchzuführen. Das gesamte Haufwerk wird zunächst durch eine qualifizierte Person einer Sichtprüfung unterzogen. Sichtbare asbestverdächtige Bestandteile werden als Hot-spots beprobt und im Labor nach VDI 3866-5 auf Asbest untersucht. Die Anzahl der zu entnehmenden Einzelproben je Verdachtsmoment obliegt dem qualifizierten Probenehmer. Es empfiehlt sich zurzeit die Orientierung an den Vorgaben der VDI 6202-3. Voraussichtlich wird das Vorgehen bei der Hot-spot-Beprobung asbestverdächtiger Haufwerke in naher Zukunft normativ geregelt werden. Wenn Asbest nachgewiesen wird, ist das gesamte Haufwerk als asbesthaltig einzustufen. Wird bei der Hot-spot- Untersuchung kein Asbest ermittelt, so ist das gesamte Haufwerk nach den Vorgaben der LAGA PN 98 [7] zu beproben. Diese regelt die Menge und die Anzahl der zu entnehmenden Proben, die anschließend einer Analyse nach VDI 3876 zuzuführen sind. Wird dabei in allen Laborproben kein Asbest nachgewiesen bzw. liegt das Untersuchungsergebnis unter dem durch die LAGA-M 23 festgelegten Beurteilungswert von 0,010 Masse-%, so gilt das Haufwerk als technisch asbestfrei und kann dem Recycling zugeführt werden. 3.5 Rückbau Beim Rückbau von Brücken werden verschiedene Verfahren, oft in Kombination, eingesetzt. Diese lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen. Zum einen werden vorbereitende Rückbaumethoden angewendet, bei denen es zu einem Ausbau ganzer Brückenelemente oder einzelner Felder kommt (z. B. Ausschwimmen, Absenken mit Litzen). Hier ist ein besonderes Augenmerk auf die dafür notwendigen Trennverfahren (Sägeschnitte, o. Ä.) zu legen. Durch ihre Anordnung in asbestfreien Bereichen und durch nasse Verfahren mit Absaugung kann hier die Faserfreisetzung weitgehend vermieden oder zumindest reduziert werden. Zum anderen werden Maßnahmen eingesetzt, bei denen es zur kompletten Zerkleinerung des Stahl-betons kommt (z. B. Sprengen, konventioneller Rückbau mittels Abbruchzange). Auch hier kann durch gezielte Maßnahmen die Faserfreisetzung zumindest reduziert, aber nicht gänzlich vermieden werden. Das Rückbauverfahren ist so zu wählen, dass Asbestfaserfreisetzung vermieden wird. Gemäß LAGA M-23 sollte aus abfallwirtschaftlicher Sicht auf einen Sprengabbruch verzichtet werden. Der selektive Rückbau ist zu bevorzugen und sollte nach Teilbauwerken untergliedert erfolgen. Bei der Planung des Rückbaus mit asbesthaltigen Abstandhaltern ist die Abstimmung aller Schritte im Rückbauprozess entscheidend. Ist ein Ausbau der Abstandhalter vorab des Rückbaus möglich, kann anschließend ein konventioneller Rückbau erfolgen und die anfallenden Baurestmassen können dem Recycling zugeführt werden. Bei einem Ausschwimmen einzelner Tragelemente der Brücke kann die Separierung der Abstandhalter in geordneter Form an einem dafür geeigneten Ort stattfinden. All dies sollte in enger Abstimmung mit allen Beteiligten beim Planungsprozess erfolgen. Grundsätzlich ist kein Verfahren gänzlich ungeeignet, da jeder Vor- und Nachteil in Bezug auf das Vorkommen asbesthaltiger Abstandhalter hat. 3.6 Hochleistungsimpulsverfahren zur Fragmentierung Allein mithilfe von mechanischen Auf bereitungsmethoden, welche Verbundwerkstoffe lediglich zerkleinern aber nicht selektiv trennen können, lässt sich üblicherweise keine selektive Auftrennung in die Einzelkomponenten und damit auch kein hochwertiges Recycling erzielen. Es werden daher neue Trennverfahren gesucht, um Verbundwerkstoffe, wie z. B. asbesthaltige Betone, in die Bestandteile Gesteinskörnung, Zementstein und Asbest(fasern) aufzutrennen. Eine potentielle innovative Trenn-Technologie ist die sog. elektrodynamische Fragmentierung (EDF). Dabei werden durch einen Hochleistungsimpulsgenerator elektrische Unterwasser-Entladungen erzeugt, welche bevorzugt durch einen Festkörper hindurch entlang von Korngrenzen verlaufen. Kommt es 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 269 Handlungsanleitung: Umgang mit asbesthaltigen Hilfsbauteilen in Brücken aus Stahlbeton zu einem elektrischen Durchschlag zwischen den beiden Elektroden, wird ein Plasmakanal erzeugt, welcher den Verbundwerkstoff durch eine Elektroexplosion schließlich auseinandersprengt. Diese Methode fand für Altbeton bislang keine großtechnische Anwendung, da trotz effektiver Auftrennung die Durchsatzraten von 1 t/ h zu gering und die Energiekosten zu hoch waren. In diesem Projekt wurde nun erstmalig untersucht, ob sich mittels der EDF-Technologie Abstandhalter aus Beton selektiv freilegen lassen. Es konnte gezeigt werden, dass bei geeigneten Generatorenparametern und Elektrodenkonfigurationen eine selektive Freilegung von Abstandhaltern aus einer Betonmatrix möglich ist. In nachfolgenden Projekten sollte die EDF-Anlage speziell für die Auf bereitung von asbesthaltigen Betonteilen angepasst werden. 3.7 Umwandlung/ Behandlung Die Deponierung von asbesthaltigen Abfällen ist die weit verbreitetste Methode zur Entsorgung as-besthaltiger Abfälle. Es handelt sich hier nicht um eine Behandlungsmethode, sondern um eine Entledigung und Verwahrung der Altlast Asbest. Es werden aber gemäß TRGS 519 [8] und LAGA-M 23 bei Bedarf Verfahren zur Sicherung, Bindung oder Verfestigung der asbesthaltigen Abfälle angewendet, um das Freisetzen von Fasern zu verhindern. Darüber hinaus sind zurzeit vier Verfahrenstypen zur Umwandlung bzw. Behandlung von asbesthaltigen Materialien bekannt. a) Thermische Behandlung: Die Methode ist technisch ausgereift und wird für Metalle mit Asbestanhaftungen eingesetzt. Bei hohen Temperaturen zersetzen sich die Asbestfasern und verschiedene Prozesse wie Dehydrierung und Verglasung setzen ein. Die Mineralien werden umgewandelt und verlieren ihre gefährliche Faserstruktur. Der Energiebedarf ist jedoch hoch, sodass die Methode aktuell aus wirtschaftlichen Gründen und aufgrund hoher CO 2 -Emissionen nicht für andere asbesthaltige Abfälle eingesetzt wird. b) Biologische Behandlung: Bestimmte Bakterien und Pilze bestimmter Böden produzieren Chemikalien oder beinhalten Chemikalien, welche den asbesthaltigen Materialien bestimmte Elemente entziehen. Somit wird Asbest durch die Produktion und Reaktion mit diesen Chemikalien umgewandelt und unschädlich gemacht. Der Energieverbrauch sowie der CO 2 -Fußabdruck dieser Methoden sind minimal. Die Techniken befinden sich allerdings noch in der Entwicklungs- und Erprobungsphase und sind somit von der Marktreife weit entfernt. c) Chemische Behandlung: Es finden bei der chemischen Behandlung Umwandlungsprozesse statt. Säuren oder Basen zerstören die kristalline Faserstruktur. Dies wird im vorgroßtechnischen Maßstab bereits für Asbestzement angewendet. Zur Anwendung kommen Säuren, bei denen es sich ebenfalls um Abfälle handelt. Aktuell fehlt es unter anderem an ankerkannten Nachweisen für die sichere Zerstörung der Asbestfasern. Außerdem sind Vorgehensweisen zur sicheren Handhabung der asbesthaltigen Abfälle vorab der eigentlichen Behandlung nicht abschließend geregelt. d) Mechanische Behandlung: Mittels Hochleistungsmühlen wird Asbest zermahlen. Hier entstehen hohe Energien, sodass die Asbestfasern zerfallen bzw. umgewandelt werden. Diese Methode wird daher auch als mechanisch-physikalisch-chemische Behandlung kategorisiert, wobei aber keine Chemikalien oder andere Zusätze verwendet werden. Die Technik ist relativ weit fortgeschritten und benötigt verhältnismäßig wenig Energie. Die Marktreife ist aufgrund fehlender großtechnischer Erprobung und noch ungeklärter Prozesse bei der Handhabung der asbesthaltigen Abfälle noch nicht erreicht. Es ist aktuell kein Verfahren etabliert, das unter Einbeziehung aller technischen und ökonomischen Kriterien sowie in Bezug auf Energieverbrauch und CO 2 -Emissionen bzw. Klimaneutralität universell zur Behandlung asbesthaltiger Abfälle im großtechnischen oder industriellen Maßstab einsetzbar ist. 4. Entsorgung Der Umgang mit asbesthaltigen Abfällen wird in der LA- GA-M 23 geregelt. Generell gilt, dass asbesthaltige Abfälle der Entsorgung zuzuführen sind und nicht im Stoffkreislauf verbleiben dürfen. Sie sind so zu lagern und zu handhaben, dass keine Asbestfasern freigesetzt werden und somit keine Gefahr von ihnen ausgeht. Betonabbruchabfälle, welche asbesthaltige Abstandhalter enthalten, müssen nicht zwingend staubdicht verpackt werden. Durch Befeuchten, Abdecken oder Ähnliches ist das Freisetzen von Asbestfasern zu verhindern. Das Zerkleinern asbesthaltiger Abfälle ist nicht zulässig, das geordnete Zerlegen ist jedoch gestattet. Dies ist mit der zuständigen Aufsichtsbehörde abzustimmen. Des Weiteren ist der Umgang mit asbesthaltigen Abfällen streng reglementiert. Es gelten besondere Vorschriften für die Handhabung und die Verpackung der Abfälle. Es empfiehlt sich generell, im Zuge der Entfrachtungs- und Rückbauplanung eine detaillierte Planung der Entsorgungswege und eine Abstimmung mit dem zuständigen Entsorger. In vielen Regionen sind Entsorgung und Deponierung asbesthaltiger Abfälle durch Andienungspflichten geregelt. Für die gefährlichen Abfälle besteht gemäß Nachweisverordnung eine Nachweispflicht mittels elektronischem Abfallnachweisverfahren (eANV). Für die nicht gefährlichen Abfälle (hier Abfallschlüssel AVV 17 01 01 - geringfügig asbesthaltig) wird die Durchführung des eANV empfohlen. Gemäß LAGA-M 23 sind die wichtigsten Abfallschlüssel für den Rückbau von Stahlbetonbauwerken zur Deponierung die 17 01 01 - geringfügig asbesthaltig für asbesthaltigen Betonbruch und die 17 06 05* für asbesthaltige Baustoffe sowie zur möglichen Weiterverwertung die 17 01 01. 5. Arbeitssicherheit Der Umgang mit Asbest ist verboten, mit Ausnahmen in Form bestimmter Tätigkeiten, die in der TRGS 519 geregelt sind. Für den Schutz Dritter gilt ein Grenzwert von 1.000 Fasern/ m³. Für Beschäftigte, welche mit Asbest 270 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Handlungsanleitung: Umgang mit asbesthaltigen Hilfsbauteilen in Brücken aus Stahlbeton arbeiten, gilt zurzeit in Deutschland eine Akzeptanzkonzentration von 10.000 Fasern/ m³. Wird dieser Wert nicht sicher eingehalten, sind geeignete Maßnahmen zu treffen. Für den Umgang mit schwach gebundenem Asbest sind ausschließlich zugelassene Fachunternehmen zu beauftragen. Tätigkeiten, die den Umgang mit Asbest betreffen, sind in der Gefahrstoffverordnung geregelt. In der TRGS 519 werden die Regelungen der GefStoffV zum Thema Asbest konkretisiert. Generell sind zugelassene emissionsarmes Verfahren zu bevorzugen und es empfiehlt sich, Verfahren mit staubmindernden Maßnahmen, wie direkter Absaugung und Bewässerung, zur Staubbindung einzusetzen. Beim händischen Separieren ist geeignete PSA zu tragen. Das Abbruchmaterial ist feucht zu halten, um das Freisetzen von Fasern zu verhindern. Gemischter Bauschutt aus Beton und asbesthaltigen Abstandhaltern sind bis zum Abtransport feucht zu halten oder abzudecken. Für den Abbruch von Bauwerken ist ein Abbruch- und Entsorgungskonzept notwendig, das bei der Anlieferung des Bauschuttes an den Abfallannahmestellen als Zertifikat für ein asbestfreies Material akzeptiert wird. Generell ist davon auszugehen, dass bei einer nicht-invasiven Prüfung (kein Eingriff in ein potentiell asbesthaltiges Produkt) keine Asbestfasern freigesetzt werden. Sobald eine invasive Erkundung mittels Abtrags der Oberflächen und potentiellen Eingriff in asbesthaltige Materialien erfolgt, ist das Faserfreisetzungspotential vorab zu prüfen und geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Wird eine Brücke mit enthaltenden asbesthaltigen Abstandhaltern zurückgebaut, ist für die geplanten Arbeitsschritte (Zerlegen, Trennschnitte, etc.) die jeweilige Asbestfaserexposition individuell vorab abzuschätzen und bei der Ausführung zu ermitteln. 6. Handlungsanleitung Für die Handhabung bei der Umsetzung der Vorgaben dieses Forschungsprojekts wurde eine Handlungs-anleitung erstellt. Es werden Randparamater abgefragt und für jeden Schritt im Projektablauf Aufgaben definiert und erläutert. Zunächst gilt es, im Rahmen der Vorbereitung zu prüfen, ob das zu bearbeitendes Bauwerk in einem relevanten Baujahr errichtet wurde, bzw. Bauteile, mit deren Errichtung zwischen 1960 und 10/ 1993 begonnen wurde, enthält, in denen Asbest zum Einsatz gekommen sein könnte. Wenn dies nicht der Fall ist, kann die Maßnahme ohne die Berücksichtigung von Asbest fortgeführt werden. Wird im Rahmen der Vorbereitung der Asbestverdacht erhärtet (relevantes Baujahr), so ist zunächst das Vorhandensein von Asbest als wahrscheinlich anzunehmen. Diese Annahme besteht solange, bis nach Abschluss einer Erkundung (bestehend aus Vor- und Haupterkundung), belastbar und durch einen Sachverständigen, die Asbestfreiheit attestiert wird. Wird im Zuge der Erkundung Asbest festgestellt, so empfiehlt es sich, diesen vorab des eigentlichen Rückbaus des kompletten Bauwerks auszubauen. Nachdem die asbesthaltigen Komponenten entsorgt wurden, kann das entfrachtete Bauwerk konventionell, asbestfrei, abgebrochen werden. Die dabei entstehenden Abbruchmaterialien können dem Recycling zugeführt werden. Alternativ kann das Bauwerk mit Asbest zurückgebaut werden. Es können dann im Rahmen einer Sanierung die Ab-bruchmaterialien von Asbest befreit werden, um den Großteil des Abbruchmaterials anschließend dem Recycling zuzuführen. Wird Asbest weder vor noch nach dem Abbruch entfernt, so ist der gesamte anfallende Bauschutt als asbesthaltig zu entsorgen. Anmerkung Diesem Bericht liegen Teile des im Auftrag des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr, vertreten durch die Bundesanstalt für Straßenwesen, unter 15.0717/ 2023/ DRB laufenden Forschungs-vorhabens zugrunde. Die Verantwortung für den Inhalt liegt allein bei den Autoren. Literatur [1] Konzeption zur Bestimmung von Lage und Anzahl asbesthaltiger Abstandhalter in Betonbrücken. Handlungsanweisung für den Umgang mit asbesthaltigen Hilfsbauteilen in Brückenbauwerken aus Stahlbeton. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Heft B 200, Bergisch Gladbach 2024 [2] Verordnung zum Schutz vor Gefahrstoffen (Gefahr stoffverordnung - GefStoffV), 11/ 2010 [3] VDI 3876: Messen von Asbest in Bau- und Abbruchabfällen sowie aus daraus gewonnenen Recyclingmaterialien - Probenaufbereitung und Analyse, 11/ 2018 [4] VDI 6202-3: Schadstoffbelastete bauliche und technische Anlagen - Asbest - Erkundung und Bewertung, 09/ 2021 [5] VDI 3866-1,-5: Bestimmung von Asbest in technischen Produkten - Entnahme und Aufbereitung der Proben, 12/ 2021; - Rasterelektronenmikroskopisches Verfahren, 06/ 2017 [6] LAGA M-23: Bund/ Länder-Arbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA): Mitteilung 23: Vollzugshilfe zur Entsorgung asbesthaltiger Abfälle, 11/ 2022 [7] LAGA PN 98: Bund/ Länder-Arbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA): Richtlinie für das Vorgehen bei physikalischen, chemischen und biologischen Untersuchungen im Zusammenhang mit der Verwertung/ Beseitigung von Abfällen, 12/ 2001 [8] TRGS 519: Technische Regel für Gefahrstoffe - Asbest - Abbruch-, Sanierungs- oder Instandhaltungsarbeiten, 01/ 2014 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 271 Von der Zustandsnote 3 zur erfolgreichen Instandsetzung des Bauwerkes Von Bauwerksuntersuchung, Instandsetzungsplanung bis zur Instandsetzungsmaßnahme Dipl.-Ing. Helena Eisenkrein-Kreksch Kiwa GmbH, Mülheim a.d.R. Dipl.-Ing. Christian Kotz-Pollkläsener dcon GmbH, Dortmund Zusammenfassung In Deutschland werden zurzeit viele Brückenbauwerke, ob in kommunalem Bereich oder Bundesstraßen und Autobahnen einer Instandsetzung oder Ertüchtigung unterzogen. Eine sorgfältige Untersuchung der Schäden sowie ein bauwerksbezogenes Instandsetzungskonzept sorgen für die wirtschaftliche und dauerhafte Ausführung der Instandsetzungsmaßnahmen. Die vorangestellte ausführliche Bauwerksuntersuchung muss als Grundlage für eine qualifizierte Planung der Maßnahme zugrunde gelegt werden. In diesem Aufsatz werden anhand von einigen Bespielen die Untersuchungsmethoden für die Bestimmung des Bauwerkszustandes sowie der Weg zur erfolgreichen Instandsetzung der Brücken, sowohl im Spannbetonals auch in Stahlbetonbauweise, aufgezeigt. 1. Einführung Für eine wirtschaftliche, schnelle und qualitative Instandsetzung der Brückenbauwerke, sei es als Präventivmaßnahme oder auch zur Schadensbehebung und Wiederherstellung der Dauerhaftigkeit müssen viele einzelne Schritte zusammengefügt werden. Im Folgenden werden diese einzelnen Schritte auf dem Weg zu einem standsicheren, dauerhaften und verkehrssicheren Bauwerk anhand einiger Beispiele aufgezeigt. Zu den einzelnen Schritten gehören neben den verpflichtenden Begehungen nach DIN 1076 [1] die • Auswertung der Ergebnisse des Prüf berichtes [1] • Vorabbegehung des Bauwerkes vor der Erstellung eines Untersuchungskonzeptes • Erstellung eines Untersuchungskonzeptes • Untersuchung des Bauwerkes und Feststellung des Bauwerkszustandes • Erstellung eines Instandsetzungskonzeptes auf der Grundlage des Prüf berichtes und der Untersuchungsergebnisse • Erstellung von Ausschreibungsunterlagen und Vergabe • Instandsetzungsmaßnahme mit qualitätssichernder Überwachung der einzelnen Schritte Diese einzelnen Schritte ergeben eine Gesamtmaßnahme, führen zu erfolgreicherer Instandsetzung des Bauwerks und werden im Folgenden einzeln beschrieben. Es werden anhand von einer Spannbeton- und einer Stahlbetonbrücke die Vorgehensweise exemplarisch aufgezeichnet. 2. Vorgehen bei Untersuchung und Instandsetzungsplanung 2.1 Vorabbegehung Es hat sich bewährt, vor der Vorabbegehung das Bauwerk bei Google Maps [2] anzuschauen. Mittlerweile kann durch die Begehung in einem Kartenprogramm eine recht gute Vorstellung von der Örtlichkeit im Vorfeld gewonnen werden. Es empfiehlt sich trotzdem im Vorfeld der Bauwerksuntersuchung eine erste Ortsbegehung durchzuführen, um • die Begebenheiten vor Ort, wie die Zugänglichkeit der Brücke, • Einwirkungen aus der Umgebung und daraus resultierende Beanspruchungen und Belastungen • eingetretene Veränderungen zu der letzten Bauwerksbegehung (Prüf bericht nach DIN 1076) festzustellen und zu bewerten. Dabei können hilfreiche Fotografien erstellt werden, die eine Verortung der Untersuchungsstellen erleichtern. Bei der Erstbegehung können auch bereits Befunde zu möglichen schadstoffhaltigen Elementen, notwendigen Untersuchungsstellen und benötigten Untersuchungsmethoden pro Bauwerk digital (mit z. B. PlanRadar [3], Fieldwire [4], M2Ing. [5] etc.) oder analog eingetragen werden. In den Prüf berichten der Brücke stehen die Bewertungen der einzelnen Befunde. Jedoch wird die Untersuchung überwiegend auf visueller Basis erstellt und beinhaltet keine Bewertung der Kontamination des Betons 272 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Von der Zustandsnote 3 zur erfolgreichen Instandsetzung des Bauwerkes mit Chloriden oder daraus resultierende Bewehrungskorrosion. Ferner können im Prüf bericht z. B. nur Risse und nicht deren Ursache bewertet werden. Aus diesem Grund muss bei der Planung der Untersuchung auch die Ursache einiger Schäden sowie der zu erwartender Schadensbildung betrachtet werden. 2.2 Konzept der Bauwerksuntersuchung 2.2.1 Allgemeines zum Beprobungskonzept Anhand der Vorabbegehung kann ein Beprobungskonzept erstellt werden. Dieser muss die notwendigen Untersuchungen und deren Verortung am Bauwerk in Bildern oder Zeichnungen beinhalten. Für die Ermittlung des Istzustandes von Verkehrsbauwerken liegend zwingend erforderliche sowie notwendige Prüfungen und welche, die bei Bedarf angewendet werden sollen, vor. Im Folgenden werden diese Bauwerksuntersuchungen in Kürze beschrieben. 2.2.2 zwingend erforderliche Untersuchungen Dabei handelt es sich um Untersuchungen, welche bei Betonbauwerken standardmäßig abgefragt werden müssen, um die Substands und den Zustand des Betons zu ermitteln. Dabei handelt es sich um die Erstidentifikation mittels zerstörungsfreier oder minimalinvasiver Prüfungen: • Bestimmung der Betondeckung nach Merkblatt B2 [6] • Bestimmung der Carbonatisierungstiefe nach DIN EN 14630: 2007-01 [7] • Entnahme des Bohrmehls zur Bestimmung der Chloridkontamination gemäß [8] 2.2.3 notwendige Untersuchungen Bei der Ermittlung des Istzustandes wird es häufig erforderlich, die einzelnen Bereiche des Betons oder der Bewehrung näher zu untersuchen. Das Ergebnis unterstütz die Erkenntnis zur tatsächlichen Schädigung des Bauwerks bei nicht sichtbaren Schäden, wie chloridinduzierte Bewehrungskorrosion und deren Wahrscheinlichkeit, etc. • Anlegen von Sondierungsöffnungen gemäß Merkblatt SIA 2006-02 [9] • Entnahme von Bohrkernen zur Bestimmung der Betondruckfestigkeit gemäß DIN EN 12504-1 [10] • Bestimmung der Abreißfestigkeit nach DIN EN 1542 [11] • Bestimmung der Potentialfeldmessung in chloridkontaminierten Bereichen nach Merkblatt 03 [12] • Bestimmung des Gitterschnittes an vorhandener Beschichtung nach DIN EN ISO 2409 [13] 2.2.4 bei Bedarf anzuwendenden Bauwerksuntersuchungen (Sonderuntersuchungen) Diese Untersuchungen sind sehr speziell und können nur von wenigen Experten durchgeführt werden. An jeder Brücke sollte im Vorfeld überlegt werden, ob solche Untersuchungen zur Ermittlung des Zustandes zielführend sind. Es handelt sich dabei meist um Untersuchungen, welche zerstörungsfrei den Zustand des Spannstahls ermitteln, da die Spannstähle im besten Fall nicht freigelegt werden sollen. Ferner sollen, je nach Alter des Bauwerks, schadstoffkontaminierte Bauteile, wie beispielsweise Fugen oder alte, schadhafte Instandsetzungsstellen auf Schadstoffgehalt untersucht werden. • Ermittlung der Bewehrungsverläufe mittels Radar [14] • Feststellung der Spanngliedschädigung mittels Röntgen [15] und [16] • Untersuchung der Bewehrung mittels Spanngliedbruchortung [17] • Ermittlung von Schadsoffen an vermeintlich kontaminierten Bauteilen 2.3 Durchführung der Untersuchungen Es ist zu beachten, dass die meisten Untersuchungen während des Brückenbetriebes, also während der Befahrung ober- und unterhalb der Brücke stattfinden. Somit gehört eine Verkehrssicherung und Wahl des Untersuchungszeitpunktes als ein entscheidendes Kriterium zu der Planung und Durchführung der Bauwerksuntersuchung dazu. Die Untersuchungen sind durch fachkundiges Personal und die Laborprüfungen in zertifizierten und akkreditierten Labors durchzuführen, um die Fehlerquote zu minimieren und die Qualität der Aussagen zu sichern. 2.4 Instandsetzungsplanung Zur Planung der Instandsetzungsmaßnahme muss der Prüf bericht der Brücke mit entsprechender Bewertung als erster Anhaltpunkt hinzugezogen werden. Daraus wird ersichtlich, welche Bereiche der Brücke eine schlechte Bewertung bekommen haben und somit einer Instandsetzung unterzogen werden müssen. Im Zusammenhang mit der ermittelten Schadensursache, kann der Zustand der Brücke verbessert werden. Zu Inhalten eines Instandsetzungskonzeptes stehen zahlreiche Literaturstellen zur Verfügung sowie das WTA Merkblatt [18]. Auf die Konzeption wird nicht näher eingegangen. 2.5 Ausschreibung und Vergabe Die Ausschreibung und Vergabe muss unteranderem nach ZTV ING [19] und gemäß den Bestimmungen der RI-ERH-ING [20] der BAST erfolgen. Hier wird dieser Vorgang nicht näher beschrieben. 2.6 Ausführung Für die qualitative Ausführung von Betoninstandsetzungsarbeiten muss das Unternehmen teilweise speziellen Kenntnisse wie SIVV-Schein, Nachweis über die Kenntnisse in Betonverstärkung oder Düsenführerschein etc. nachweisen. Diese Kenntnisse werden bei der ausführenden Firma vorausgesetzt, sowie die Einhaltung der Vorgaben der Instandsetzungsrichtlinie des DAfStb [21] in Verbindung mit der TR-Instandhaltung [22] in Bezug auf die Anforderungen an die qualifizierte Führungskraft, den Bauleiter und das Baustellenfachpersonal. Eine weitere Grundvoraussetzung ist die fortlaufende Weiterbildung der qualifizierten Führungskraft, des Bauleiters sowie des Baustellenfachpersonals. Eine qualitätssichernde Überwachung der Maßnahme ist obligatorisch. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 273 Von der Zustandsnote 3 zur erfolgreichen Instandsetzung des Bauwerkes 3. Vorgehensweise der Zustandserhebung anhand von Beispielen 3.1 Allgemeines In den Prüf berichten der unten exemplarisch beschriebenen Brücken wurden einige Schadstellen diagnostiziert, die eine schlechte Zustandsnote bescheinigten. In diesem Zusammenhang sollten Bauwerksuntersuchungen und Instandsetzungsplanung durchgeführt werden, welche die Zustandsnote anheben und das Bauwerk dauerhaft und verkehrssicher ausstatten. Zur Orientierung in den Angaben der Untersuchungsstellen und Untersuchungsart wurden Kürzel vereinbart und festgehalten. Diese sind in der Tabelle 1 und 2 zu finden. Tab. 1: Kürzel der einzelnen Bauteile Tab. 2: Abkürzungen zu Untersuchungsbeschriftung 3.2 Beispiel Stahlbetonbrücke 3.2.1 Konzeption der Untersuchung Bei der Begehung einer Stahlbetonbrücke, die im Abb. 1 exemplarisch dargestellt ist, wurden Betonabplatzungen, alte und defekte Instandsetzungsstellen und Verschleiß des Asphaltes vorgefunden. Ferner traten an einigen Stellen Risse auf, die näher zu untersuchen waren. Abb. 1: Beispiel einer Stahlbetonbrücke Somit mussten die zwingend erforderlichen und die notwendigen, jedoch keine Sonderuntersuchungen (siehe Kapitel 2.2.1-2.2.3) geplant und an die Erstbefunde angepasst und berücksichtigt werden. Die Messungen der Betondeckung und der Carbonatisierungstiefe sollten zeigen, wie weit die Bewehrung noch im alkalischen Bereich liegt und vor Korrosion geschützt ist. Die Bestimmung der Chloridkontamination und die Potentialfeldmessung, vor allem an dem Mittelpfeiler, zeigte die Wahrscheinlichkeit der Bewehrungskorrosion und in diesem Zusammenhang auch ein späteres Auftreten eines Standsicherheitsproblems. Bei den bereits instandgesetzten Stellen (Abb. 2), die aus den 80-er Jahren entstanden, musste der Mörtel auf Schadstoffe wie z. B. Asbest untersucht werden, da die Baumaterialien aus den Jahrzehnten häufig Schadstoffe enthalten. Ähnlich verhält es sich bei Fugen oder Asphalt. Hier ist abhängig vom Einbaujahr mit Schadstoff zu rechnen. Abb. 2: in früheren Jahren instandgesetzte Bereiche Durch die bereits vorhandene Betonabplatzungen und freiliegende Bewehrung, muss der Beton instandgesetzt werden. Für die Planung dieser Maßnahme müssen die Kennwerte des Betons für die Einstufung des vorhandenen Betons in die Altbetonklasse ermittelt werden. Dazu gehört die Bestimmung der Druck- und der Abreißfestigkeit, die an den betroffenen Bauteilen zu ermitteln sind. Alle Überlegungen zu den Untersuchungsstellen werden in den Plänen oder/ und Zeichnungen (Abb. 3 und-4) aufgenommen und nummeriert. Alle Untersuchungen können in einer Entnahmecheckliste (Tab 3) zusammengestellt werden. 274 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Von der Zustandsnote 3 zur erfolgreichen Instandsetzung des Bauwerkes Abb. 3: Fuge defekt Diese Dokumente werden dann dem Untersuchungsteam ausgehändigt, damit alle Prüfungen durchgeführt werden können und die Auswertung zur Ermittlung des gesamten Ist-zustandes des Bauwerks führt. Abb. 4: Pfeiler unbeschichtet, Chlorideintrag möglich Tab. 3: Entnahmecheckliste 3.2.2 Durchführung der Untersuchung Die Untersuchung durch ein renommiertes Unternehmen läuft anhand den vom Planer vorgegebenen Stellen und mithilfe der Checkliste ab. Zusätzlich kann und soll der Planer bei unvorhergesehenen Befunden in die Untersuchung eingreifen und den Untersuchungsumfang verändern und ergänzen können. Somit muss der Planer bei der Bauwerksuntersuchung hinzugezogen werden. Die Untersuchungsergebnisse aus dem Bauwerk und die Prüfungsergebnisse der Laboruntersuchungen werden in einem detaillierten Bericht zusammengestellt und dem Planer anschließend übergeben. In der folgenden Abbildung ist eine Sondierungsöffnung mit Beschreibung des Ergebnisses dargestellt. Abb. 5: Sondierungsöffnung zum Zustand der Bewehrung, leichte chloridinduzierte Korrosion an Stellen mit hohen Chloridwerten 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 275 Von der Zustandsnote 3 zur erfolgreichen Instandsetzung des Bauwerkes 3.2.3 Instandsetzungsplanung Mit den Ergebnissen der Untersuchung und den Erkenntnissen aus dem Prüf bericht kann dann ein Instandsetzungskonzept und Ausschreibungsunterlagen erstellt werden. In diesem Fall lag keine Kontamination mit Schadstoffen vor, so dass die schadhaften Stellen und die Betonausbrüche standardmäßig reprofiliert werden konnten. Der stark carbonatisierte Beton konnte durch die Applikation eines Oberflächenschutzsystems geschützt werden. Der chloridkontaminierte Mittelpfeiler konnte, aufgrund hoher Chloridwerte jedoch geringer Korrosion und Korrosionswahrscheinlichkeit der Bewehrung mittels Prinzip 2 der TR Instandhaltung [22] und zusätzlichem Einsatz eines kathodischen galvanischen Systems geschützt werden. 3.3 Beispiel Spannbetonbrücke 3.3.1 Konzeption der Untersuchung Die Spannbetonbrücke, wie die Abb. 6 zeigt, wies sehr ähnliche Schädigungen, wie im zuvor genannten Beispiel, auf. Somit wird hier auf die Beschreibung der zwingend erforderlichen und notwendigen Untersuchungen verzichtet und auf das vorherige Beispiel verwiesen. An dieser Brücke traten zusätzlich im Bereich der Spannglieder Risse auf, welche senkrecht durch die Spannglieder verliefen. Somit musste eine Untersuchung des Zustandes der Spannbewehrung durchgeführt werden. Ferner lagen bereits einige Spanngliedhüllrohre (Abb. 7) frei. Es wurden also zusätzlich zu standardisierten Untersuchungen gemäß Kapitel 2.2.1 und 2.2.2 auch zerstörungsfreie Sonderuntersuchungen veranlasst. Abb. 6: Beispiel einer Spannbetonbrücke Abb. 7: Spannglieder teilweise bereits freiliegend Auf der Grundlage der Auswertung des Prüf berichtes (DIN 1076 [1]) und der Erstbegehung konnte ein Untersuchungsplan erstellt werden. In mehreren Zeichnungen (exemplarisch in der Abb. 8) wurden die Untersuchungsstellen markiert und in einer Entnahmecheckliste (Tab.-4) zusammengefasst. Abb. 8: exemplarische Zusammenstellung der Untersuchungen 276 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Von der Zustandsnote 3 zur erfolgreichen Instandsetzung des Bauwerkes Tab. 4: Auszug einer Entnahmecheckliste 3.3.2 Durchführung der Untersuchung Die Untersuchung der Spannglieder erfolgte mittels magnetischer Streufeldmessung [22] an Rissen im Beton, welche die Spannglieder kreuzten. Abb. 9 zeigt den Messvorgang, welcher durch Radarmessung zur Ermittlung der Bewehrungsverläufe unterstützt wird. Abb. 9: Spanngliedbruchortung am Riss, unten Darstellung des Gerätes 3.3.3 Instandsetzungsplanung Die Untersuchungsergebnisse ergaben ein zu erwartendes Schädigungs- und Kontaminationszustand der Brücke. Ein Bruch oder Schädigung der Spannglieder wurde nicht diagnostiziert. Somit musste eine Instandsetzung an dem Beton um die Spannglieder herum zwar berücksichtigt, jedoch keine Ertüchtigung der Spannglieder vorgenommen werden. 4. Fazit Durch die detaillierte und vor allem objektbezogene Planung sowohl der Untersuchung als auch der Instandsetzung, konnte mit geringem Umfang und Kosten eine gezielte Instandsetzung der Bauteile der Brücke durchgeführt werden, um die Schäden zu beseitigen und somit die Zustandsnote des Bauwerks dauerhaft zu heben. Sowohl die Dauerhaftigkeit als auch die Verkehrssicherheit und nicht zuletzt die Standsicherheit der Brücke konnten größtenteils wiederhergestellt werden und sogar die Bauteile präventiv geschützt werden. Eine gut vorbereitete Konzeption der Ausführung sorgt für eine schnelle, erfolgreiche und wirtschaftliche Instandsetzung nicht nur von Brückensondern auch anderen Bauwerken. Literatur [1] DIN 1076: 1999-11, DIN1076EErlÄndErl HE 2011: 2011-10-18: Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung, Berlin: Beuth Verlag, 18.10.2011. [2] https: / / www.google.de/ maps oder ähnliche kartendarstellende Webseiten. [3] https: / / www.planradar.com/ de/ ; Dienstleistungen in der automatischen Datenverarbeitung und Informationstechnik; 1010 Wien. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 277 Von der Zustandsnote 3 zur erfolgreichen Instandsetzung des Bauwerkes [4] https: / / www.fieldwire.com/ de/ ; Fieldwire by Hilti, Das All-in-one Tool für die Baustelle, San Francisco, CA 94105. [5] https: / / m2ing.com; Herstellung und Vertrieb von Anwendersoftware für den B2B und B2G Bereich; 81379 München. [6] Deutsche Gesellschaft für Zerstörungsfreie Prüfung e.V. (DGZfP), „Merkblatt B2 für Bewehrungsnachweis und Überdeckungsmessung bei Stahl- und Spannbeton,“ Berlin, 1990. [7] DIN EN 14630: 2007-01 „Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Prüfverfahren - Bestimmung der Karbonatisierungstiefe im Festbeton mit der Phenolphthalein-Prüfung; Deutsche Fassung EN 14630: 2006. [8] DIN EN 14629: 2007-06 „Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Prüfverfahren - Bestimmung des Chloridgehaltes in Festbeton; Deutsche Fassung EN 14629: 2007“. [9] SIA-Merkblatt, „Planung, Durchführung und Interpretation der Potenzialmessung an Stahlbetonbauten - Anhang VIII: Korrosionsgrad der Bewehrung“,“ Fassung 2006. [10] DIN EN 12504-1: 2019-09 „Prüfung von Beton in Bauwerken - Teil 1: Bohrkernproben - Herstellung, Untersuchung und Prüfung der Druckfestigkeit; Deutsche Fassung EN 12504-1: 2019“. [11] DIN EN 1542: 1999-07 „Prüfverfahren - Messung der Haftfestigkeit im Abreißversuch“ Deutsche Fassung EN 1542: 1999. [12] DGZfP Merkblatt B 03, „Elektrochemische Potentialmessung zur Detektion von Bewehrungskorrosion“. Veröffentlicht vom DGZfP-Fachausschuss für Zerstörungsfreie Prüfung im Bauwesen - Unterausschuss Korrosionsnachweis für Stahlbeton, Berlin: DGZfP, April 2021. [13] DIN EN ISO 2409: 2020-12, Beschichtungsstoffe-- Gitterschnittprüfung (ISO 2409: 2020), Berlin: Beuth, 2020-12. [14] ETSI EN 302 066-1 V1.2.1 (2008-02) Electromagnetic compatibility and Radio spectrum Matters (ERM); Groundand Wall- Probing Radar applications (GPR/ WPR) imaging systems; Part 1: Technical characteristics and test methods. [15] DIN EN ISO 9712: 2022-09, „Zerstörungsfreie Prüfung - Qualifizierung und Zertifizierung von Personal der zerstörungsfreien Prüfung,“ Beuth Verlag, Berlin, Deutsche Fassung EN ISO 9712: 2022. [16] Redmer, B.; Likhatchev, A.; Weise, F.; Ewert, U. , „ Location of Reinforcement in Structures by Different Methods of Gamma-Radiography.,“ International Symposium Non-Destructive Testing in Civil Engineering (NDT-CE) 2003, Deutsche Gesellschaft für Zerstörungsfreie Prüfung e. V. (DGZfP) [Hrsg.], Berlin 2003. [17] Deutsche Gesellschaft für zerstörungsfreie Prüfung e. V., Fachausschuss ZfP im Bauwesen: UA Magnetische Verfahren zur Spannstahlbruchortung: Positionspapier - Magnetische Verfahren zur Spannstahlbruchortung, 2017. [18] WTA Merkblatt 5-17-21/ D: Schutz und Instandsetzung von Beton: Instandsetzungskonzepte; Deutsche Fassung. Stand April 2021, Fraunhofer IRB Verlag, ISBN 9783738806465. [19] Bundesministerium für Digitales und Verkehr; Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten [ZTV-ING], Dezember 2023. [20] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Richtlinien für die Erhaltung von Ingenieurbauten [RI-ERH-ING]. [21] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton im DIN e.V. (Hrsg): DAfStb-Richtlinie Schutz- und Instandsetzung von Betonbauteilen (Instandsetzungsrichtlinie), Teil 3: Ausführung. Berlin: Oktober 2001. [22] DEUTSCHES INSTITUT FÜR BAUTECHNIK, „Technische Regel - Instandhaltung von Betonbauwerken (TR Instandhaltung): Teil 1 - Anwendungsbereich und Planung der Instandhaltung“, und Teil- 2: “ Merkmale von Produkten oder Systemen für die Instandsetzung und Regelungen für deren Verwendung“ Berlin, 05.2020. [23] Andrei Walther et all; Der Bausachverständige; Zerstörungsfreies Untersuchen von Spannbetonbauteilen; Fraunhofer IRB Verlag, 6/ 2017. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 279 Schiffsanprall auf Brücken - für Planung, Bauzeit und Bestand Dipl.-Ing. Claus Kunz Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe Zusammenfassung Schiffsstoßkräfte auf Brücken über Wasserstraßen basieren seit langem auf stochastischen Grundlagen und Überlegungen, womit nach aktuellem Zuverlässigkeitskonzept sichere und wirtschaftliche Bemessungen bei der Planung neuer Brückenbauwerke ermöglicht wird. Einige Hintergründe für die aktuellen Regelungen im Eurocode und dem zugehörigen Nationalen Anhang werden dargestellt. Neben der Planung neuer Brücken mussten in der Vergangenheit auch bestehende Brücken hinsichtlich Schiffsanprall bewertet werden. Hierfür wurde durch die Bundesanstalt für Wasserbau ein Konzept der Restnutzungsdauer etabliert, das unter Zuverlässigkeitsbetrachtungen für die Gesamt-Nutzungsdauer einer Brücke eine Reduzierung der Stoßlasten in Abhängigkeit der Restnutzungsdauer zulässt, sofern die Brücke hinsichtlich Schiffsanprall unauffällige ist. Die Methodik wird erläutert. Zwischen Planung (Neubau) und Bestand (Betrieb) einer Brücke liegt der Bau einer Brücke mit Baugruben und Baubehelfen (Hilfsstützen), die im Fahrwasser einer Wasserstraße angeordnet sind. Hierfür wird im Sinne temporärer Bauwerke auf der Methodik der Restnutzungsdauer aufgebaut und eine für eine spätere Normung beabsichtigte Vorgehensweise vorgestellt. 1. Einführung Schiff-Brückenkollisionen mit festen Brücken sind im deutschen Wasserstraßensystem sehr seltene Ereignisse und die Folgen für die getroffenen Brücken beschränken sich bisher auf kleinere Schäden, wie z. B. lokale Schäden an Brückenpfeilern oder Überbauten. Dennoch können Kollisionen von Schiffen mit Brücken über Wasserstraßen die Tragfähigkeit von Brücken verletzen und zu einer Bedrohung für die Brückennutzer werden. Für neue Brücken sind in den Regelwerken, z. B. [1], Anprallkräfte als dynamische Bemessungslasten angegeben. Diese Schiffstoßlasten genügen in der Regel der mit den Eurocodes eingeführten (semi-)probabilistischen Vorgehensweise, die eine sichere und wirtschaftliche Bemessung ermöglichen. Für bestehende Brücken über Wasserstraßen, die mit Unterbauten in der Fahrrinne theoretisch schiffsstoßgefährdet sind, in Deutschland gibt es etwa 750 an der Zahl, existiert ebenfalls ein Merkblatt [2]. Ältere Brücken sind häufig nicht auf Schiffsanprall nachgewiesen.. Eine Instandsetzung wäre zudem teuer und angesichts der Seltenheit des Anprallereignisses möglicherweise ineffizient, weshalb in [2] Zuverlässigkeitsaspekte für eine ebenfalls sichere und wirtschaftliche Bewertung bestehender Brücken hinsichtlich Schiffsanprall verankert wurden. Für Baugruben oder Baubehelfe im Zusammenhang mit dem Bau neuer Brücken, häufig auch über externe Sicherungskonstruktionen bewerkstelligt, gibt es derzeit keine Regelungen. Vielmehr liegen gutachtliche Untersuchungen vor, die mit dem Ziel einer normativen Regelung künftig verallgemeinert werden sollen. Der Beitrag zeigt für Binnenwasserstraßen die mechanischen und probabilistischen Hintergründe und Regelungen für Schiffsanpralllasten für die Planung von neuen Brücken sowie davon abgeleitete Hintergründe und Regelungen für Schiffsanpralllasten für Unterbauten bestehender Brücken, die auf dem Konzept der Restnutzungsdauer basieren, auf. Folgerichtig werden auch Regelungen für Bauzustände über die Zuverlässigkeit entwickelt, so dass der Schiffsanprall für Planung, Bauzeit und im Bestand auf einer konsistenten zuverlässigkeits-theoretischen Grundlage beruhen wird. Sinngemäß können auch Seeschifffahrtsstraßen behandelt werden. Anprall auf Überbauten wird nachfolgend nicht behandelt, ist aber in [1] und [2] behandelt. 2. Schiffsanprall als außergewöhnliche Einwirkung 2.1 Theoretischer Hintergrund des Schiffsanpralls Die Modellierung von außergewöhnlichen Einwirkungen durch ungünstige deterministische Werte wurde kaum genutzt, da bei der Größe der Kräfte immer auch Aspekte des Risikos und der Wirtschaftlichkeit berücksichtigt werden sollten [3]. Später wurden stochastische Methoden für die Behandlung von Schiffskollisionen auf deutschen Binnenwasserstraßen entwickelt [4], [5]. Die Anprallbelastung bzw. Anprallenergie unterliegt streuenden natürlichen und verkehrsbedingten Einflüssen, weshalb die Auswirkungen durch Verteilungen beschrieben werden. Für die Behandlung des Schiffsanpralls wurde ein probabilistisches Belastungsmodell mit einem probabilistischen Kollisionsmodell verknüpft, um eine Verteilung der wahrscheinlichen Anpralllasten zu erhalten, mit der der Bemessungswert unter Verwendung von genormten oder akzeptablen Risikokriterien bestimmt wird. 2.1.1 Lastmodell Umfassende Studien zur Last-Verformung für Binnenschiffe wurden durch physikalische, analytische und numerische Untersuchungen durchgeführt [6], [7]. Der Unterbau einer Brücke, d. h. die Brückenpfeiler, können durch einen Frontalstoß „FF“, meist parallel zur Pfeilerlängsachse und parallel zur Fahrtrichtung der Schiffe, und durch einen Flanken Stoß „FL“, meist senkrecht 280 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Schiffsanprall auf Brücken - für Planung, Bauzeit und Bestand zur Pfeilerlängsachse und senkrecht zur Fahrtrichtung der Schiffe, getroffen werden. Für beide Aufprallszenarien wurde eine bi-lineare elastisch-plastische Last-Verformungs-Funktion ermittelt, die die Verformung des Schiffes beim Aufprall auf eine starre Struktur beschreibt (harter Stoß). Die Lastgrößen beruhen im Allgemeinen auf einer Deformationsenergie E def . Zur Ermittlung der dynamischen Lasten für Frontal- und Flankenstoß sowie des Last-Zeit- Verlaufs wird die Impulsgleichung verwendet, wobei kinetische Energie, Reibungsenergie und Verformungsenergie getrennt behandelt werden. Die dynamische Stoßbelastung F dyn in MN kann für ein E def ≤ 0,21 MNm (elastischer Stoß) durch: [1] und für E def > 0,21 MNm (plastischer Stoß) durch: [2] bestimmt werden. E def ist dabei die entsprechende Verformungsenergie für Frontalund/ oder Flankenstoß in MNm. Für die Verwendung in dynamischen Berechnungen wurden charakteristische Last-Zeit-Verlaufsfunktionen des kollidierenden Schiffes entwickelt. Die durch die BAW entwickelte Vorgehensweise war europäisch in [1] übernommen worden. 2.1.2 Kollisionsmodell Die Wahrscheinlichkeit einer Kollision auf Brückenpfeiler wird durch ein Kollisionsmodell bestimmt, das die Geometrie der Wasserstraße und der getroffenen Struktur, die Fahrrinne sowie das Unfallverhalten und das Bremsvermögen der Schiffe berücksichtigt. Ein spezifisches Kollisionsmodell für Wasserstraßen ist in Abbildung-1 dargestellt und wird mathematisch beschrieben durch: l = ΣN i * ò (dlx/ ds) * W 1 (s) * W 2 (s) ds [3] mit: l die Kollisionsrate pro Jahr ΣN i die jährliche Anzahl der passierenden Schiffe, ggf. nach Klassen unterteilt (dlx/ ds) die streckenbezogene Unfallrate W 1 (s) = F φ ( φ 1 ) - F φ ( φ 2 ), die bedingte Wahrscheinlichkeit eines Kollisionswegs, W 2 (s) = 1 - F x (s), die bedingte Wahrscheinlichkeit, dass die Kollision nicht vermieden werden kann. Die streckenbezogene Unfallrate wird aus Aufzeichnungen statistisch ausgewertet, wobei z. B. nur Kollisionen, die für Brückenunfälle relevant sind, berücksichtigt werden. Die Vermeidung einer Kollision hängt wesentlich vom Stoppverhalten der Schiffe ab, das aufgrund von Zulassungstests in Abhängigkeit von der Antriebsleistung und der technischen Ausrüstung ermittelt werden kann. Abb 1: Kollisionsmodell für Wasserstraßen 2.1.3 Verknüpfung von Last- und Kollisionsmodell Da Unfälle generell einer POISSON-Verteilung unterliegen, die auch als zutreffend für Schiffsunfälle nachgewiesen wurde [8], und die Zeitintervalle zwischen Unfällen negativ - exponentiell - verteilt sind, gilt [4] [5] Die Wahrscheinlichkeit der Stoßbelastung während eines Zeitintervalls wird durch die Verteilungsfunktion der Zeitintervalle zwischen den Ereignissen beschrieben. Mit F P (F) als der Verteilungsfunktion der Anprallbelastung ergibt sich [6] [7] wobei [8] die Wiederkehrperiode einer speziellen Stoßbelastung ist, [11]. Die Umformung in eine dimensionslose Form liefert [9] und ermöglicht eine einseitige dimensionslose Funktion, Abbildung 2. Abbildung 2 zeigt beispielhaft die Funktion für den Frontalstoß für ein untersuchtes Bauwerk in einer Wasserstraße der Klasse Vb, wie z. B in Main oder Mosel. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 281 Schiffsanprall auf Brücken - für Planung, Bauzeit und Bestand Abb. 2: Stoßlastverteilungsfunktionen für den Frontalstoß „FF dyn “ in [MN] in Abhängigkeit von l* t R Nach der Bestimmung der objektspezifischen Kollisionsrate l und der Festlegung der Wiederkehrperiode zwischen den unerwünschten Versagensereignissen t R wird die dynamische Anprallbelastung über l* t R für die Bemessung oder Bewertung ermittelt. 2.1.4 Normative Regelung für die Planung Eine Vielzahl von untersuchten Brücken an deutschen Binnenwasserstraßen, für die von der Bundesanstalt für Wasserbau probabilistische Anpralllasten ermittelt wurden, führte zur generalisierten Analyse der daraus resultierenden Daten. Die europäische Klassifizierung der Binnenwasserstraßen nach CEMT-Klassen bot eine pragmatische Möglichkeit, typische Anpralllasten aus verschiedenen Untersuchungen an Wasserstraßen zusammenzufassen. Für jede relevante Wasserstraßenklasse wurden Stoßlasten ermittelt, Tabelle 1. Hierbei wurde auf eine für außergewöhnliche Einwirkungen einschlägig etablierte mittlere Wiederkehrperiode zwischen den unerwünschten Ereignissen t R = 10.000 Jahren zurückgegriffen, die einer Überschreitungs-Wahrscheinlichkeit p ü -=-10 -4 pro Jahr entspricht und im Nationalen Anhang zu DIN EN 1991-1-7 als Bestimmungs-Wahrscheinlichkeit angegeben ist [1]. Dieser Überschreitungs-Wert lässt sich im Übrigen auch mittels „Direct Value Method“ aus dem Sicherheitskonzept für CC-2-Bauwerke nach [9] ermitteln. Die Überschreitungs-Wahrscheinlichkeit der Stoß-Einwirkung als außergewöhnliche Einwirkung liegt näherungsweise in der Größenordnung der Versagens- Wahrscheinlichkeit des gestoßenen Bauwerks. Durch Sicherheiten auf der Widerstandsseite ist das Bauwerk jedoch sicherer, als hat eine Versagens-Wahrscheinlichkeit p f -<-10 -4 / a. Tab. 1: Entwicklung von dynamischen Stoßkräften, hier Frontalstoß, für typische Verhältnisse in Binnenwasser-straßen Mit ingenieurmäßigen Ergänzungen für die unteren Wasserstraßenklassen wurden die in Tabelle 1 dargestellten Untersuchungen und Werte europäisch in [1] übernommen, dort Tabelle C.3, Tabelle 2. Die normativen Kraftgrößen wurden dabei in der Regel auf der sicheren Seite gegenüber Tabelle 1 aufgerundet. Tab. 2: Schiffstoßkräfte für Binnenschiffsverkehr, gemäß [1] Die ermittelten Stoßkräfte wurden seinerzeit mit zum Teil auch lokal geltenden Regelungen in europäischen Nachbarländern mit Binnenschifffahrt plausibilisiert. 3. Schiffsstoß für bestehende Brücken 3.1 Sicherheitskonzept der Eurocodes Grundlage der Eurocodes für die Bemessung von Bauwerken und Bauteilen ist ein bauart-übergreifendes Sicherheitskonzept nach [9]. Hintergrund des Sicherheitskonzeptes ist ein lebensdauerorientiertes Sicherheitskonzept, bei dem die Sicherheit von Bauwerken oder Bauteilen durch eine angestrebte Zuverlässigkeit β über die Bemessungslebensdauer T N gewährleistet werden muss, [10] und Abbildung 3. Die Sicherheit wird durch die Unsicherheiten der verwendeten Modelle (d. h. Modell für die Einwirkungsermittlung, für das statische System, für den Widerstand) und der streuenden Basisgrößen für Einwirkungen und Widerstände als zeitinvariante Einflüsse beschrieben, Abbildung 3. 282 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Schiffsanprall auf Brücken - für Planung, Bauzeit und Bestand Abb. 3: Lebensdauerorientierte Zuverlässigkeit, aus [10] [9] gibt Empfehlungen für die übliche Zielzuverlässigkeit β und die geplante Nutzungsdauer T N von Infrastrukturbauwerken, wie Brücken, an. Die geplante Nutzungsdauer für brücken liegt bei T N = 100 Jahren, Wird die Überschreitungs-Wahrscheinlichkeit für die Stoß-Einwirkung in den spezifischen Regelwerken [1] mit p ü = 10 -4 pro Jahr als angenäherte Versagens-Wahrscheinlichkeit interpretiert und mit der geplanten Nutzungsdauer T N = 100 Jahre zuverlässigkeits-theoretisch kombiniert, so ergibt sich nach [11] für Brücken die Gesamt-Versagenswahrscheinlichkeit P f = 0,01 während der geplanten Nutzungsdauer. 3.2 Restnutzungsdauerkonzept Unter Berücksichtigung des Zuverlässigkeitskonzeptes von [9] und [10] kann gefolgert werden, dass für die Bewertung eines bestehenden Bauwerks die verbleibende Zeit vom Bewertungszeitpunkt bis zum Ende der Nutzungsdauer betrachtet werden muss. Sofern zum Bewertungszeitpunkt in der vergangenen Betriebsdauer kein Versagen aufgetreten ist, die Brücke hinsichtlich Schiffsanprall unauffällig war, kann die geforderte Zuverlässigkeit für die verbleibende Nutzungsdauer unter Berücksichtigung der Streuungen der relevanten Einwirkungen angesetzt werden. Diese Zuverlässigkeit entspricht in etwa der für ein neues Bauwerk für die geplante Nutzungsdauer T N = 100 Jahre, die jetzt für weniger Jahre angesetzt wird. Die Methode entspricht dem Instandhaltungskonzept, dass Bauwerke innerhalb der Nutzungsdauer bis zum Zustand einer Grenz- oder kritischen Zuverlässigkeit (Ende der Nutzungsdauer) altern dürfen, ohne dass sie wesentlich instandgesetzt werden müssen. In Konsequenz des Zuverlässigkeitskonzeptes nach [9] und [10] muss dies zu niedrigeren charakteristischen Werten für zeitinvariante Einwirkungen, d. h. veränderliche und außergewöhnliche Einwirkungen führen. Im Falle eines Versagens in der verbleibenden Nutzungsdauer würde die ursprünglich angestrebte Zuverlässigkeit nicht verletzt werden. Das Ergebnis wäre auch im Falle eines Versagens sozial angemessen. 3.3 Schiffseinwirkung bei bestehenden Brücken während ihrer Restnutzungsdauer Einschlägige Regelwerke zur Berücksichtigung von Schiffsstößen als außergewöhnliche Einwirkungen für Neubauten und grundlegenden Instandsetzungen sind [1] und sein Nationaler Anhang. Im Nationalen Anhang werden ergänzende Betrachtungen für bestehende Bauwerke empfohlen, wenn die grundlegenden Methoden und Ziele der Grund-Norm erfüllt sind. Daher hat die Bundesanstalt für Wasserbau ein hierzu konsistentes Verfahren für Schiffsanprall auf bestehende Brücken entwickelt, das als Merkblatt [2] 2013 herausgegeben wurde und vom seinerzeitigen Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Abteilung Wasserstraßen und Schifffahrt, als technische Regel für die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) eingeführt wurde, [11]. Soweit bekannt, orientieren sich auch die Fach-Öffentlichkeit außerhalb der WSV an [2]. Bei der Übertragung der Zuverlässigkeit für Schiffsanprall vom Planungsstatus in den Bewertungsstatus wird der mathematische Zusammenhang für begrenzte oder außergewöhnliche Ereignisse verwendet, für die typische POISSONund/ oder BINOMIAL-Verteilungen bekannt und erprobt sind. Die Gesamt-Versagenswahrscheinlichkeit P f aus dem stochastischen Risiko führt zu [10] mit T NR als Restnutzungsdauer und t R als Wiederkehrperiode zwischen den (unerwünschten) Ereignissen, die reziprok zur Überschreitungswahrscheinlichkeit p ü ist, [4]. Die Umrechnung ergibt [11] und ermöglicht die Bestimmung von Wiederkehrperioden (reziprok zu Überschreitungswahrscheinlichkeiten) entsprechend einer bestimmten Restnutzungsdauer. Im Weiteren wurden die Schiffsstoßkräfte herangezogen, die bereits für die Kalibrierung der dynamischen Anpralllasten für [1] ermittelt worden waren, vgl. Tabelle 1. Abbildung 4 zeigt die typische Schiffsstoßkraftverteilung für die deutsche Wasserstraßenklasse Vb, die etwa 70 % aller deutschen Wasserstraßen abdeckt. Für diese typische Bedingung wurden von der Bundesanstalt für Wasserbau repräsentative Kollisionsraten aus verschiedenen Gutachten analysiert. Ein exponierter Brückenpfeiler für eine typische Brücke wurde mit einer mittleren numerischen Kollisionsrate l von l FF = 0,0115 [1/ a] für den Frontalstoß und l Fl = 0,00276 [1/ a] für den Flankenstoß analysiert. Mit der oben erwähnten Gesamt-Versagenswahrscheinlichkeit über die Nutzungsdauer von P f = 0,01 als stochastischem Risiko, für die zuvor Anprallkräfte für geplante Bauwerke während der geplanten Nutzungsdauer bestimmt wurden, wurden dann mit Hilfe von Gleichung [11] Anprallkräfte für bestehende Bauwerke und ihre Restnutzungsdauer ermittelt. Für verschiedene Restnutzungsdauern T RN < 100 Jahre ergeben sich angepasste, reduzierte Anprallkräfte, die in Tabelle 3 für Frontal- und Flankenstoß dargestellt sind. Die Verringerung der Wiederkehrperiode in Abhängigkeit von der verbleibenden Restnutzungsdauer führt zu 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 283 Schiffsanprall auf Brücken - für Planung, Bauzeit und Bestand einer reduzierten Anprallkraft F = f(T NR ) bei gleicher Kollisionsrate l, Abbildung 5. Abb. 4: Wahrscheinlichkeitsverteilungen für Schiffsstoßkräfte für die Wasserstraßenklasse Vb, Frontalstoß (WFF) und Flankenstoß (WFL) Tab. 3: Dynamische Frontal- und Flankenstoßlasten in Abhängigkeit von der Restnutzungsdauer, [2] und [11] T NR [a] t R [a] l FF * t R [-] FF dyn [MN] [%] l FL * t R [-] FL dyn [MN] [%] 100 10.000 115 6,3 100 27,6 3,3 100 75 7.500 86 6,0 95 20,6 2,9 88 50 5.000 58 5,75 91 13,9 2,3 70 25 2.500 29 5,3 84 7,0 1,2 36 10 1.000 12 4,4 70 2,9 0,63 19 1 100 1,2 0,5 8 0,3 0,17 5 Diese Schiffsstoß-Verteilungsfunktionen verhalten sich für die verschiedenen Wasserstraßenklassen ähnlich, so dass sich auch die verbleibende Restnutzungsdauerabhängige Reduzierung der Anprallkräfte ähnlich verhält. Zur Verallgemeinerung wurden die Kräfte mit Prozentsätzen dargestellt. Aus Sicherheitsgründen wurde als untere Grenze ein Verhältnis von 40 % festgelegt, das für den Frontalstoß den Stoßkräften für eine Restnutzung von ca. 3 Jahren und für den Flankenstoß den Stoßkräften für eine Restnutzung von ca. 25 Jahre entspricht, Abbildung 5. Abb. 5: Anpassung der Schiffsstoßlasten F = f (T NR ), [2] Für die praktische Anwendung im Rahmen einer Bewertung einer bestehenden Brücke hinsichtlich des Schiffsanpralls wird die wasserstraßenklassenbezogene dynamische Stoßkraft aus [1], Tabelle 2, entnommen und mit dem verbleibenden Restnutzungsdauer-bezogenen prozentualen Anteil nach [2], hier auch Abbildung 5, verrechnet. Das Ergebnis wurde damit für die Anwendung mit tabellierten Stoßkraft-Größen verallgemeinert. Das Ergebnis sind an die Restnutzungsdauer angepasste dynamische Anprallkräfte. Für alte Brücken, bei denen die geplante Nutzungsdauer in früheren Regelwerken nicht definiert war, wird nachträglich eine ursprüngliche Nutzungsdauer von T N = 100 Jahren angenommen. Neben den an die Nutzungsdauer angepassten dynamischen Anprallkräften gibt [2] für bestehende Brücken zusätzlich Empfehlungen für den Tragfähigkeitsnachweis, für Teilsicherheitsbeiwerte, für die Ermittlung von Kennwerten für ältere Materialien und für eine Risikobewertung, z. B. über Nutzen-Kosten-Analysen, die in Abhängigkeit von einem Erfüllungsgrad durchgeführt werden kann. Hierbei lehnt sich [2] an [12] an, die hinsichtlich Straßenfahrzeug-Anprall eine plausible Methodik für die letztendliche Bewertung von Verstärkungsmaßnahmen an anprallgefährdeten Bauwerken in Abhängigkeit eines Erfüllungsfaktors enthält. Dadurch könnten einige oft teure und ineffiziente Instandsetzungen, die durch Schiffsanprallbewertungen induziert würden, zurückgestellt werden, während Sicherheitsdefizite priorisiert werden. 4. Schiffsstoß auf Baugruben oder deren Sicherung 4.1 Problemstellung Für den Bau einer neuen Brücke sind Baugruben für Brückenpfeiler oder auch Hilfsstützen erforderlich, die als Behelfskonstruktionen mitunter eine deutlich kürzere Nutzungsdauer haben als das eigentliche Brückenbauwerk. Eine Bemessung dieser Baubehelfe für eine Anpralllast wie bei einer Brücke mit langer Nutzungsdauer wäre unwirtschaftlich und in manchen Fällen auch nicht durchführbar, [13]. Die Sicherung von Baugruben oder Hilfskonstruktionen kann durchaus 5 % der Baukosten der geplanten neuen Brücke kosten. Daher ist eine entsprechende Aufmerksamkeit angeraten. Hierzu wird ein Konzept zur Bemessung von Baugruben und auch Schutzkonstruktionen gegen Schiffsanprall benötigt. Oftmals ist es nicht möglich, die eigentliche Baugrube gegen Schiffsanprall auszulegen, sondern ein vorgelagertes Schutzbauwerk muss diese Funktion übernehmen, das der gleichen Problematik unterworfen ist. Abbildung 6 zeigt ein Beispiel für eine solche Baugrube und deren Sicherung. Gezeigt wird als Beispiel eine Draufsicht mit einer gepunkteten Baugrube für einen neuen Brückenpfeiler und einer umgebenden polygonalen Schutzstruktur auf der rechten Seite. Der bestehende Brückenpfeiler der alten Brücke befindet sich auf der linken Seite. Die Baugrube befindet sich in der Fahrrinne. 284 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Schiffsanprall auf Brücken - für Planung, Bauzeit und Bestand Abb. 6: Beispiel einer Baugrube für einen Brückenpfeiler in der Fahrrinne, [13] 4.2 Konzept Schiffsstoß für Baugruben Dem Konzept für bestehende Brücken folgend kann für die kürzeren Standzeiten von Baugruben die Wiederkehrperiode standortspezifisch angepasst werden. Die Anwendung von Gl. [11] ermöglicht die Bestimmung von Wiederkehrperioden (reziprok zu jährlichen Überschreitungswahrscheinlichkeiten), die einer bestimmten bauzeiten-abhängigen Nutzungsdauer TN spec entsprechen. Aus Projekt-Erfahrung der Vergangenheit mit dem Neubau von Brücken über deutsche Wasserstraßen haben Baugruben für Brückenpfeiler oder für temporäre Hilfspfeiler oft eine Nutzungsdauer von bis zu 5 Jahren, was für eine probabilistische Behandlung sehr kurz ist. Aus Sicherheitsgründen wurde daher in den Gutachten der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) ein Erweiterungsfaktor von „4“ als Multiplikationsfaktor auf die vorgegebene temporäre Bauzeit TN temp verwendet. Dadurch wird mit Blick auf Gl. [11] TN spec = (4 * TN temp ). 4.3 Schutzvorrichtung für den Rückbau eines Pfeilers der ehemaligen Rheinbrücke Wesel Im Jahr 2016 wurde ein alter Brückenpfeiler der ehemaligen Straßenbrücke über den Rhein in Wesel bei Rheinkilometer 814 zurückgebaut, nachdem 2009 eine neue, parallel dazu verlaufende Brücke in der Wasserstraße errichtet worden war. Für den Rückbau des alten Pfeilers wurde eine temporäre Spundwandbaugrube mit L-x-B-=-47 × 21 m oberstrom vor Kopf des Pfeilers im Wasser errichtet, die durch ein Bauwerk geschützt werden musste, Abbildung 7, [14]. Der abzubrechende Brückenpfeiler grenzt an die Fahrrinne und wäre im Falle eines Schiffsunfalls direkt anprallgefährdet. Die Spundwandbaugrube reichte bis in eine Tiefe von 4,5 m unter das Rheinbett. Die Menschen, die in der späteren trockenen Baugrube arbeiten sollten, mussten vor einer Schiffskatastrophe mit unkontrollierbaren Wassereinbrüchen ohne Vorwarnung geschützt werden. Abb. 7: Baugrube für den Rückbau des alten Pfeilers der Rheinbrücke Wesel und Sicherungsbauwerke, eines vor Kopf und eines seitlich, [14] Das Sicherungsbauwerk vor Kopf wurde als Pfahl-Riegel-Konstruktion konzipiert, während das seitliche Sicherungsbauwerk mit Einzelpfählen errichtet wurde. Die dynamische Anpralllast von Schiffen für den Frontalaufprall wurde durch die BAW mit FF dyn = 6 MN bestimmt, was einer Aufprallenergie von E def = 3,4 MNm entspricht. Für den Flankenstoß wurden nur FL dyn =- 0,5-MN ermittelt, was einer Anprallenergie von E def = 0,02-MNm entspricht. Grundlage waren die Daten von etwa 1.000-vorbeifahrenden Schiffen pro Tag, eine Unfallrate von 1-* -0 -5 [Unfälle/ (km*Schiff)], Massen der Schiffe bis zu 15.000-Tonnen und eine mittlere Geschwindigkeit von 20-km/ h bei stromabwärts gerichteter Fahrt mit einer Standardabweichung von 2 km/ h. Die Fahrrinne hat eine Breite von etwa 150-m und die Baugrube befindet sich direkt neben der Fahrrinne. Es wurde ein TN spec mit 10 Jahren angenommen und die Wiederkehrperiode t R wurde zu t R = 1.000-Jahre bestimmt, Gleichung [11]. Der Rhein ist in diesem Abschnitt der Wasserstraßenklasse VII zugeordnet. Das Sicherungsbauwerk vor Kopf wurde mit 12 Stahlrohren mit einem Durchmesser von 1220 mm und einer Wandstärke von 36 mm realisiert [14], Abbildung- 8. Die Rohre sind jeweils 28 m lang und haben ein Einzelgewicht von 29 t. Die Riegelkonstruktion besteht aus 5 horizontalen Kastenprofilen 750 × 690 mm mit einer Wandstärke von 25 mm, Abbildung 8. Das seitliche Sicherungsbauwerk besteht aus 22 Stahlrohren mit einer Wandstärke von 12,5 mm. Sie sind 22 m lang und haben ein Einzelgewicht von 22 Tonnen. Bei der Planung und Konstruktion musste der hydrologisch stark schwankende Wasserstand des Rheins von etwa 11 Metern berücksichtigt werden. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 285 Schiffsanprall auf Brücken - für Planung, Bauzeit und Bestand Abb. 8: Einbau der unteren Riegelschicht für die Vor- Kopf-Sicherungskonstruktion; [14] 5. Schlussfolgerung Der Schiffsstoß ist nicht nur für den Entwurf neuer Brücken oder die Nachrechnung bestehender Brücken von Bedeutung, sondern auch für die temporäre Bemessung von Brückenpfeiler-Baugruben oder Hilfsstützen in Wasserstraßen. Die probabilistisch basierte Methodik zur Ermittlung von Einwirkungen für die Planung neuer Bauwerke nach [1] und dessen Zuverlässigkeitskonzept wurde auch auf die Nachrechnung bestehender Brücken, [2], [8], dort für Restnutzungsdauern, und auch für weit kürzere bauzeit-bedingte Nutzungsdauern, wie sie für Baugruben gegeben sind, angepasst, [14]. Neben der probabi-listischen Behandlung schiffseinwirkungsrelevanter Daten, wie Schiffsmassen, Schiffsgeschwindigkeiten, Strömungsgeschwindigkeiten, Anprallwinkel, Kolli-sionsraten usw. ist die akzeptable Risikogrenze von großer Bedeutung. Die Risikogrenze in Form einer zulässigen Gesamt-Versagenswahrscheinlichkeit beim Schiffsanprall für den Entwurf neuer Brücken, die sich zu P f -=-0,01 für die geplante Nutzungsdauer errechnet, wurde auf das Problem der kürzeren (Rest-)Nutzungsdauern übertragen. Eine normative Regelung für die Bestimmung von Schiffsstoßkräften auf Baugruben bzw. deren Sicherungen ist in Arbeit. Eine Priorisierung von sicherheitsgefährdeten Tragwerken an sich, auch mit weitergehenden risikoanalytischen Methoden, ist seit langem fester Bestandteil der modernen Sicherheitsphilosophie. In einem Gesamtsystem „Bauwerksbestand“ oder auch „temporäre Bauwerke“ lässt sich so bei begrenzten Ressourcen eine optimale Entscheidung treffen und damit insgesamt zu einem Mehr an Gesamt-Sicherheit verhelfen, vgl. auch [15]. Literatur [1] DIN EN 1991-1-7 (2010): Einwirkungen auf Tragwerke - Teil 1-7: Allgemeine Einwirkungen - Außergewöhnliche Einwirkungen, einschließlich Nationalem Anhang (2019). Beuth-Verlag, Berlin. [2] Bundesanstalt für Wasserbau (2013): Merkblatt: Nachweis bestehender Brücken auf Schiffsanprall (MNaBS), Karlsruhe, 2013. [3] Krappinger, O.; Sharma, S.D. (1974): Sicherheit in der Schiffstechnik. In: Jahrbuch der Schiffbau-technischen Gesellschaft 68, 1974, p. 329-355. [4] Kunz, C. (1990): Risikoorientierte Last-Konzeption für Schiffsstoß auf Bauwerke. In: Mitteilungsblatt der Bundesanstalt für Wasserbau Nr. 67, 1990, Karlsruhe. [5] Kunz, C. (1998): Ship bridge collision in river traffic, analysis and design practice. In: Proceedings of the International Symposium on Advances in Ship Collision, Copenhagen/ Denmark, 10-13 May 1998, Balkema, Rotterdam, 1998. [6] Meier-Dörnberg K.-H. (1983): Schiffskolli-sionen, Sicherheitszonen und Lastannahmen für Bauwerke der Binnenwasserstraßen. In: VDI-Berichte Nr.-496, 1983, p. 1-9. [7] Biehl F., Kunz C., Lehmann E. (2007): Collision of Inland Waterway Vessels with Fixed Structures: Load-Deformation Relations and Full Scale Simulations. In: 4 th International Conference on Collision and Groundings of Ships. Hamburg, 2007. [8] Kunz C. (1994): Beurteilung der Sicherheit von Brücken hinsichtlich Schiffsstoß. In: Zeitschrift für Binnenschiffahrt und Wasserstraßen Nr. 6, 1994, Verlag Hansa, Hamburg. [9] DIN EN 1990 (2010): Eurocode - Grundlagen der Tragwerksplanung. Beuth-Verlag, 2010. [10] JCSS (2001): Probabilistic Model Code, Part 1 - Basis of Design. Joint Committee on Structural Safety. [11] Kunz, C. (2013): Bewertung von bestehenden Brücken hinsichtlich Schiffsanprall. In: Bautechnik 90 (2013), Heft 5, S. 280-285. [12] Bundesamt für Strassen (2005): Richtlinie „Anprall von Strassenfahrzeugen auf Bauwerksteile von Kunstbauten“, Ergänzung zur Norm SIA 261, Einwirkung auf Tragwerke, ASTRA (Schweiz), 2005. [13] Kunz, C. (2024): Ship impact loads on construction pits of bridges. In: IABSE Symposium Manchester 2024: Construction’s Role for a World in Emergency. Manchester, April 10-12, 2024. [14] Groß T., Neuhaus H. (2016): Abbruch des rechtsrheinischen Pfeilers der Rheinbrücke Wesel. In: Schifffahrt und Technik, 5/ 2016. [15] Schneider, J. (2000): „Are we, structural engineers, in effect killing people? “ In: Festschrift zum 60. Geburtstag von Prof. Dr. Lutz Sparowitz, Institut für Betonbau, Graz; 2000. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 287 Hochwasserschäden an Brücken- und Ingenieurbauwerken Lehren eines Katastrophenmonats in 2021 Dr.-Ing. Karin Reißen, Dipl.-Ing. Hans-Peter Doser Doser Kempen Krause Ingenieure GmbH, Aachen Dr.-Ing. Joerg Gallwoszus Doser Kempen Krause Ingenieure GmbH, Brühl Dipl.-Ing. Ralph Holst Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch-Gladbach Zusammenfassung Im Rahmen eines Forschungsprojektes im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen wurden die im Zuge des Hochwasserereignisses 2021 eingetretenen Schäden an Brücken, Stützbauwerken und Tunneln gesammelt und ausgewertet. Durch die Kategorisierung der erfassten Schäden in Verbindung mit den bauwerksspezifischen Konstruktionsdetails konnten konstruktive oder materialtechnische Schwachstellen erkannt und Ursachen und Wirkmechanismen herausgearbeitet werden. Zudem wurde eine umfassende Literaturrecherche zu bestehenden Richtlinien und Regelungen zu hochwasserangepassten Gestaltungsgrundsätzen und zusätzlichen baulichen Maßnahmen durchgeführt. Die Ergebnisse des Forschungsvorhabens bilden die Grundlage für die Entwicklung neuer Planungshilfen für eine hochwasserangepasste Konstruktion und Bemessung neuer Bauwerke sowie für die Planung von Schutzmaßnahmen zur Ertüchtigung bestehender Bauwerke. Hierdurch können negative Auswirkungen zukünftiger Hochwasserereignisse auf die Funktions- und Leistungsfähigkeit der Bauwerke deutlich reduziert oder vermieden werden, sodass insgesamt die Funktionsfähigkeit des Straßennetzes auch im Falle von extremen Hochwasserereignissen erhalten bleibt oder schnell wieder hergestellt werden kann. 1. Veranlassung und Zielsetzung Seit einigen Jahrzehnten nehmen Naturkatastrophen wie Starkregenereignisse und daraus folgende Flusshochwasser zu. Das Hochwasserereignis im Juli 2021 mit seinen teils verheerenden Folgen bekräftigt die Notwendigkeit eines umfassenden Katastrophenmanagements und einer Hochwasservorsorge [4]. Teil des Hochwasserrisikomanagements ist die hochwasserangepasste Planung und Instandsetzung bzw. Verstärkung von Brücken- und Ingenieurbauwerken in überschwemmungsgefährdeten Gebieten. Hierdurch können negative Auswirkungen zukünftiger Hochwasserereignisse auf die Funktions- und Leistungsfähigkeit der Bauwerke deutlich reduziert oder vermieden werden, sodass damit insgesamt die Funktionsfähigkeit des Straßennetzes auch im Falle von extremen Hochwasserereignissen erhalten bleibt oder kurzfristig wieder auf ein Mindestmaß hergestellt werden kann. 2. Hochwasser und deren Vermeidung 2.1 Übersicht Ursache für die Schäden an Brücken- und Ingenieurbauwerken im Zuge des Hochwasserereignisses im Juli 2021 waren Hochwasser an Flüssen und Bächen. Abb. 1 gibt eine Übersicht über den Ablauf eines Flusshochwassers und die grundlegenden Zusammenhänge. Durch den erhöhten Abfluss im Zuge eines Starkregenereignisses kommt es zu höheren Fließgeschwindigkeiten, vermehrtem Treibguteintrag und hohen Pegelständen. Übergeordnete Maßnahmen zur Verringerung des Hochwasserrisikos ist die Rückhaltung von Hochwasserabflüssen durch die Schaffung von Retentionsräumen, eine geringere Versiegelung von Flächen, Erhaltung der Speicherfähigkeit von Böden und die Verringerung des Treibguteintrags durch eine entsprechende Gewässerunterhaltung und Forstwirtschaft in angrenzenden Gebieten. An den Ingenieurbauwerken kommt es bei einem Flusshochwasser infolge des erhöhten Abflusses zu verschiedenen sogenannten lokalen Phänomenen, wie Auskolkungen und Längserosion, Anprall und Verklausung sowie Überströmung bzw. Überschwemmung (Abb. 1). Nachfolgend werden jeweils die Abläufe und Hintergründe der lokalen Phänomene kurz erläutert, die wesentlichen entstandenen Schäden an Brücken- und Ingenieurbauwerken infolge des Hochwasserereignisses 2021 vorgestellt und mögliche Maßnahmen zur Vermeidung der Phänomene und deren Folgeschäden aufgezeigt. Es wurden insgesamt 153 Bauwerke, davon 113 Brücken, 26 Stützbauwerke und 14 Tunnel/ Trogbauwerke für die Aufnahme und Auswertung in der Datenbank ausgewählt. Hierbei wurde auf eine breite Streuung bezüglich der Lage, dem Bauwerkstyp, der Materialität und der betroffenen Bauteile geachtet. Bei der Datenbankauswertung werden die im Rahmen der Literaturrecherche gewonnenen Erkenntnisse zu Gestaltungsgrundsätzen (hauptsächlich aus den erst kürzlich aktualisierten Regelwerken DIN 19661 (Entwurf 2022) [2] und RE-ING (2022/ 2023) [8]) und zusätzlichen baulichen Maßnahmen auf ihre Umsetzung und Wirkung geprüft, sowie Zusammenhänge, Wirkungsketten und Schadensauswirkungen auf die Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit herausgearbeitet. 288 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Hochwasserschäden an Brücken- und Ingenieurbauwerken Abb. 1: Ablaufschema für ein Flusshochwasser und Auswirkungen auf Ingenieurbauwerke (eigene Darstellung, nach [5]) 2.2 Auskolkung/ Längserosion Infolge des erhöhten Abflusses kommt es zu höheren Fließgeschwindigkeiten. Diese haben zur Folge, dass Sedimente und das Gelände an den Fundamenten von Pfeilern und Widerlagern ausgespült werden können [3] (Abb.-2). Durch den Bodenabtrag entlang des Flussufers entstehen Längserosionen z. B. an Dämmen und den Fundamenten von Längsbauwerken wie Stützmauern. Die oft schwerwiegenden Folgeschäden reichen vom Kippen oder Absacken eines Bauteils bis zum Verlust der Lagesicherheit (z. B. von Flusspfeilern) und dadurch zum Verlust der Gesamttragfähigkeit des Bauwerks, wie beispielsweise bei der in Abb. 3 dargestellten ursprünglich dreifeldrigen Brücke über die Erft (Friedrichstraße) nach Versagen der flach gegründeten Flusspfeiler. Abb. 2: Übersicht möglicher Kolkarten an einer Brücke (nach [3]) Abb. 3: Zerstörte Brücke über die Erft (Friedrichstraße) Die meisten Tunnelbauwerke haben das Hochwasser ohne nennenswerte Schäden an der Tragstruktur überstanden. Während des Hochwasserereignisses wurden die Tunnel geflutet, sodass sie nicht mehr befahren werden konnten. Die resultierenden Schäden betreffen im Wesentlichen die Tunnelausstattung und Betriebstechnik. Zudem traten relevante Schäden hinter dem Tunnelbauwerk in Altenahr durch die Auskolkung des anschließenden Geländes auf. In Abb. 4 wird die enorme zerstörerische Wirkung des fließenden Wassers durch die Verwirbelungen im Bereich hinter dem Tunnel sichtbar. Durch die ausgeprägte Kolkbildung wurden die Straße samt anschließender Stützwand und die angrenzenden Gebäude unterspült. Abb. 4: Auskolkungsschaden hinter dem Tunnel Altenahr Als wichtigster Grundsatz zur Sicherstellung der Tragfähigkeit ist die Gründung stets ausreichend tief unter der maximalen Kolktiefe für das Bemessungshochwasser zu bemessen. Die maximale Kolktiefe tritt voraussichtlich nach einem extremen Niederschlagsereignis auf, da hier die größten Fließgeschwindigkeiten entstehen. Deshalb wird für die Kolkbemessung im Regelfall ein HQ 100 (Bemessungshochwasser) angesetzt. Zusätzlich kann die Kolktiefe infolge von Verengungen des Durchflussquerschnittes (wie Verklausungen, siehe Abschnitt 2.4) begünstigt werden, da diese zu einer weiteren Erhöhung der Strömungsgeschwindigkeit führen [3]. Voraussetzung für die Entstehung eines Kolks ist die Überschreitung der kritischen Fließgeschwindigkeit, ab der ein Sedimenttransport im Gewässer stattfindet. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 289 Hochwasserschäden an Brücken- und Ingenieurbauwerken Anhand der in Abb. 5 dargestellten Strömungsprozesse an einem Flusspfeiler kann verdeutlicht werden, welche Parameter Einfluss auf die Entstehung eines Pfeilerkolks haben und wie sich die Form des Kolks ergibt. Bei Anströmung eines Flusspfeilers wird Wasser, das frontal auf den Pfeiler trifft, vertikal nach unten oder seitlich abgelenkt und beschleunigt. Am Fußpunkt des Pfeilers entstehen hufeisenförmige Verwirbelungen, die sich von der angeströmten Pfeilerseite aus auch seitlich am Pfeiler entlangziehen. Dadurch werden Sedimente aufgewirbelt und weggeschwemmt; es bildet sich ein Kolk. Unterstromseitig entstehen zudem Nachlaufwirbel. Abb. 5: Strömungen an einem Flusspfeiler, die zur Kolkbildung führen (eigene Abbildung, vgl. [3]) Die maximale Kolktiefe an einem pfahlartigen Bauteil, gemeint sind damit in der Regel Brückenpfeiler (keine Gründungsbauteile), kann nach DWA-M 529 [3] unter Berücksichtigung der verschiedenen Einflussfaktoren berechnet werden: z max = D · k Fo · k G · k V · k A · k Fl · k W · k U (1) mit: z max maximale Kolktiefe am Pfeiler D Pfeilerdurchmesser k Fo Einflussfaktor Pfeilerform k G Einflussfaktor Pfeilergruppe k V Einflussfaktor Vertikale Geometrie k A Einflussfaktor Winkel der Anströmung k Fl Einflussfaktor Fließgeschwindigkeit k W Einflussfaktor Wassertiefe k U Einflussfaktor Ungleichförmigkeit Sohlmaterial Mit zunehmendem Pfeilerdurchmesser (D) nimmt unter gleichbleibenden Randbedingungen die Kolktiefe zu. Für Pfeiler, die keinen runden Querschnitt haben, wird die Pfeilerbreite quer zur Strömung angesetzt. Sind die Erosionen so weit fortgeschritten, dass das Fundament freiliegt und angeströmt wird, sollten statt der Pfeilerabmessungen die Fundamentabmessungen angesetzt werden. Verklausungen können über den Ansatz eines Ersatzdurchmessers (D E > D) berücksichtigt werden. Der Einflussfaktor für die Pfeilerform (k Fo , Abb. 6) berücksichtigt Randbedingungen für Pfeiler, die keinen runden Querschnitt haben. Abgerundete Formen verursachen weniger Strömungsablösungen und führen damit zu einer geringeren Kolktiefe. Elliptische Pfeiler in Strömungsrichtung weisen aufgrund ihrer allmählichen Querschnittsaufweitung den günstigsten Formfaktor auf. Allerdings ist bei länglichen Pfeilern die Anströmrichtung (Faktor k A ) besonders zu beachten. Verändert sich die Anströmrichtung, ist die projizierte Fläche quer zur Strömung deutlich größer, was zu einem größeren Kolk führt. Ideal bei wechselnder Strömungsrichtung sind kreisrunde Querschnitte (k A = 1), da sie in alle Richtungen die gleiche projizierte Fläche aufweisen ([1], [8]). Abb. 6: Pfeilerformen (Grundriss) und zugehörige Beiwerte für die Kolkberechnung (nach [3]) Die vertikale Geometrie eines Pfeilers (Einflussfaktor k V ) bestimmt, in welchem Winkel anströmendes Wasser nach unten abgelenkt wird. Weitet sich der Pfeiler pyramidenförmig nach unten auf, wird die Ablenkung in Richtung Sohle gehemmt. Bei einer umgekehrten Pyramide wird Wasser in Richtung des Fundamentes und um einen spitzeren Winkel abgelenkt, was die Kolkbildung begünstigt. Die gegenseitige Beeinflussung von Pfeilern in Gruppen (Einflussfaktor k G ) bei einem Abstand von weniger als 8-×-D in Fließrichtung führt zu größeren Kolktiefen als bei Einzelpfeilern [3]. Weitere Einflussfaktoren auf die Kolktiefe sind die Fließgeschwindigkeit des Gewässers (ermittelt aus hydraulischen Berechnungen), die Wassertiefe (Einfluss bis ca. h/ D = 2,7) und die Sedimenteigenschaften des Flussbetts (Ungleichförmigkeit des Sohlematerials) [3]. Zur Verringerung der Kolkgefahr können schon bei der Lage und Ausrichtung des Bauwerks und dem Bauwerksentwurf folgende Grundsätze einbezogen werden [1]-[3], [8]: • Möglichst Lage in geraden Flussabschnitten (sonst erhöhte Kolkgefahr am Prallhang) und möglichst nicht an Engstellen (höhere Fließgeschwindigkeit) • Ausbildung von (mind. 5-m breiten) Gewässerrandstreifen (zurückgesetzte Widerlager) • Widerlagerwand senkrecht oder Neigung an Böschung angepasst (strömungsgünstig) • Kanten der Widerlager abrunden oder umgelegte (und entsprechend anschließender Böschung geneigte) Flügelwände am Übergang zur Böschung (strömungsgünstig) • Durchflussquerschnitt freihalten, möglichst auf Pfeiler verzichten • Falls Pfeiler notwendig werden: • Anordnung möglichst außerhalb des Flussbereiches (Mittelwasserstand); bei erforderlicher Anordnung im Gewässer: nicht im Stromstrich (maximale Fließgeschwindigkeit) 290 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Hochwasserschäden an Brücken- und Ingenieurbauwerken • strömungsgünstiger Grundriss (z. B. rund/ ellipsenförmig/ sechseckig) und Ausrichtung in Strömungsrichtung • vertikal gerade oder mit leichter Aufweitung zum Fußpunkt hin (günstiger Einfluss auf die Kolktiefe) Zudem sollten zur Erhöhung der Dauerhaftigkeit und zur Verhinderung oder Verminderung von Auskolkungen zusätzliche Kolkschutzmaßnahmen an kolkgefährdeten Bauwerken vorgesehen werden [2], [3]. Gebundener Kolkschutz blieb nach dem Hochwasser oft (schollenweise) erhalten, wurde jedoch teils großflächig unterspült (Abb.-7). Daher sollte zukünftig ungebundener Kolkschutz (z. B. aus möglichst großen Wasserbausteinen) bevorzugt werden. Aus der Auswertung einzelner Beispiele können als weitere wirksame Kolkschutzmaßnahmen Wasserbausteine in Drahtgitterkörben oder die Sicherung der Gründung durch einen Spundwandkasten empfohlen werden. Abb. 7: Unterspülung gebundener Kolkschutz 2.3 Anprall Durch den hohen Wasserstand und die hohe Fließgeschwindigkeit in extremen Hochwasserereignissen wird viel loses Material, wie z. B. Holz oder Geröll mitgerissen. An Brückenbauwerken oder Stützbauwerken ist je nach Pegelstand der Zusammenstoß dieses Materials mit den Brückenpfeilern, Überbauten oder anderen Bauwerksteilen möglich. Dieser Anprall führt neben (kleineren) direkten Schäden am Bauwerk (z. B. Betonabplatzungen) insbesondere bei leichten Fuß- und Radwegbrücken im schlimmsten Fall zum Lageverlust oder Versagen des Bauwerks, wie das Beispiel einer leichten Schrägseilbrücke in Abb. 8 zeigt. Zu den übergeordneten Entwurfsgrundsätzen zur Verringerung der Gefahr des Treibgutanpralls, der Verklausung und der Überströmung gehört die Schaffung eines möglichst großen Durchflussquerschnittes durch Maximierung des Freibords (i. d. R. Mindestfreibord 0,5-m, ggfs. Festlegung eines erhöhten Freibords von ≥-1-m) und der Ausbildung von Gewässerrandstreifen. Bei der Bemessung des Bauwerks und der Lager sollte zukünftig auch bei nicht schiffbaren Gewässern ein Anprall als außergewöhnlicher Lastfall berücksichtigt werden. Abb. 8: Zerstörter Überbau der Geh- und Radwegbrücke zwischen Reimerzhoven und Laach: Schrägseilbrücke aus Stahl aus dem Jahr 2015 [6] 2.4 Verklausung Treibgut kann sich (z. B. nach einem Anprall) am oder unter dem Bauwerk ansammeln und so den Gewässerquerschnitt teilweise oder vollständig verschließen. Als Folge kommt es infolge des Aufstauens des Wassers zu einem erhöhten Staudruck am Bauwerk oder dem betroffenen Bauteil, der zukünftig in der Bemessung des Bauwerks und der Lagerung als außergewöhnlicher Lastfall berücksichtigt werden sollte. Neben den häufig aufgetretenen direkten Schäden an Ausbauten wie Leitungen, Geländern und Brüstungsmauern wird durch eine Verklausung die Überströmung des Bauwerks begünstigt. Vor allem bei leichten Überbauten hat dies in einzelnen Fällen zum Lageverlust des Bauwerks geführt bzw. dazu beigetragen. Zudem wird durch die Verringerung des Durchflussquerschnitts die Fließgeschwindigkeit erhöht, wodurch wiederum die Kolkgefahr vergrößert wird. Die Verklausungsgefahr kann durch übergeordnete technische Maßnahmen zur schadlosen Weiterleitung (Gleichrichter, Verschalungen, Druckbrücken) und/ oder zum Rückhalt (V-Rechen, Schwemmholznetze) von Treibgut verringert werden (ausführliche Beschreibung siehe [9]). Während sich Maßnahmen der schadlosen Weiterleitung an oder in unmittelbarer Nähe zum Bauwerk befinden, können Maßnahmen zum Treibgutrückhalt für Gewässerabschnitte angewendet werden und müssen sich nicht in direkter Nähe zum Bauwerk befinden. Außerdem kann durch eine Gewässerunterhaltung mit regelmäßigem Rückschnitt von Pflanzen in Ufernähe der Treibguteintrag gemindert werden. Zur Verhinderung oder Verminderung von Verklausungen kann zudem neben der Berücksichtigung der zuvor beschriebenen allgemeinen Gestaltungsgrundsätze auf eine möglichst (über-)strömungs-günstige und verklausungsunempfindliche Ausbildung des Bauwerks geachtet werden. Günstig sind hierbei schlanke, geschlossene Querschnitte möglichst mit abgerundeter oder gevouteter Überbauunterkante (z. B. Spannbetonplatten). Gegebenenfalls kann zudem durch eine angepasste Geländer- und Kappengeometrie die Verklausungsgefahr reduziert werden. Ungünstig hingegen sind offene Querschnitte (z.-B. Verbundbrücken mit offenen Trägern, siehe Abb.-9), Fachwerkbrücken oder Bogen- oder Schrägseilbrücken 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 291 Hochwasserschäden an Brücken- und Ingenieurbauwerken mit abgehängter Fahrbahn, da sich hier potenziell vermehrt Treibgut verfangen kann (siehe Abb. 10). Abb. 9: Verklausung der offenen Querschnitte einer Verbundbrücke zur Unterführung der Olef Abb. 10: Verklausung an der Landgrafenbrücke: Bogenbrücke mit angehängter Fahrbahn 2.5 Überströmung/ Überschwemmung Durch den erhöhten Abfluss hervorgerufene extreme Pegelstände können (oft zusätzlich begünstigt durch eine Verklausung) zu einer An- oder Überströmung des Bauwerks oder des umliegenden Geländes führen. Steigt der Pegel bei einer Überströmung über die Bauwerksoberkante, führt dies unter Anderem zu einer temporären Nutzungseinschränkung von Straßen und Brücken und den bereits genannten Folgeschäden im Zusammenhang mit Anprall und Verklausung. Wenn sich eine Verklausung löst bzw. das Bauwerk oder Teile des Bauwerks versagen, kann zudem eine Schwallwirkung entstehen, bei der die aufgestauten Wassermassen mit höherer Energie in den nachfolgenden Flussabschnitt gelangen und dort noch größere Schäden verursachen. Becken-, Trog- und Tunnelbauwerke, deren Abflusssystem überlastet ist, werden überschwemmt, was auch bei diesen Bauwerken vorübergehend zur eingeschränkten Verkehrssicherheit, sowie selten zu weiteren Folgeschäden am Bauwerk, jedoch häufig zu Schäden an der Betriebstechnik geführt hat. Neben der Berücksichtigung eines Lastansatzes für eine Anbzw. Überströmung sollte bei überströmungsgefährdeten Bauwerken auf eine hochwasserresiliente, robuste Bauweise geachtet werden. Während Steinbogen- und Gewölbebrücken tendenziell durch größere Bauteilflächen mehr Angriffsfläche für An- oder Überströmungen aufweisen, weisen Rahmenbrücken oder semi-integrale Bauweisen durch die monolithische Verbindung von Über- und Unterbau keine Lager als Schwachstelle oder begünstigenden Faktor für Treibgutablagerungen auf. Vorgespannte Plattenbrücken ermöglichen durch ihre geringe Überbauhöhe größere Freiborde und bieten eine kleinere Angriffsfläche bei einer Anströmung als z. B. Plattenbalken oder Verbundbauwerke. Sollten bei überschwemmungsgefährdeten Bestandsbauwerken Kappen (nach alter Bauart) lediglich über eine Schubaufkantung in ihrer Lage gesichert sein, sollte eine Kappenverankerung nach aktueller Richtzeichnung oder eine nachträgliche Kappenverankerung ergänzt werden. Hierdurch kann ein Lageverlust der Kappe bei Überströmung, wie er in Einzelfällen auftrat, verhindert werden. Ein entscheidendes Problem bei der Hochwasserkatastrophe im Jahr 2021 bestand darin, dass insbesondere an Flussquerungen die Telekommunikation sowie die Strom- und Wärmeversorgung häufig auf einzelne Versorgungsleitungen angewiesen war. Beim Versagen der Brückenbauwerke fielen auch die entlang der Brücken verlegten Versorgungsleitungen aus, was zu schwerwiegenden Kaskadeneffekten auch für die umliegenden Bereiche führte. Daher sollte in hochwassergefährdeten Gebieten nach Möglichkeit auf eine Montage von Versorgungsleitungen an Brückenbauwerken verzichtet und die Ausführung von gedükerten Leitungen bevorzugt werden. 3. Vorschläge zur hochwasserangepassten Planung von Ingenieurbauwerken Bei der Auswertung der Schadensbeispiele wurde deutlich, dass viele Bauwerke nicht ausreichend für den Hochwasserabfluss 2021 und voraussichtlich auch nicht für kommende Hochwasserabflüsse konstruiert, bemessen und dimensioniert sind. Um bestehende Bauwerke für den Hochwasserfall zu verstärken, Neubauten hochwasserangepasst zu planen und gleichzeitig Kosten und Verkehrsbehinderungen zu minimieren, sollte ein Leitwerk mit umfassenden Empfehlungen für hochwasserresiliente Bauweisen von Ingenieurbauwerken und gezielten Maßnahmenempfehlungen erarbeitet werden. Die Ergebnisse des Forschungsvorhabens liefern einen wichtigen Beitrag hierzu. Auf bauend auf den Erkenntnissen aus dem Stand der Wissenschaft und Technik und der Datenbankauswertung wird ein Vorschlag für ein Ablaufschema zur hochwasserangepassten Planung und Bemessung von Ingenieurbauwerken in Abb. 13 vorgestellt. Hierbei werden Vorschläge für die folgenden einzelnen Planungsschritte sowie offene Punkte aufgezeigt: • Über eine grundsätzliche Einstufung des Hochwasserrisikos über Hochwassergefahrenkarten wird zunächst festgelegt, ob für das betrachtete Bauwerk eine hochwasserangepasste Planung verfolgt werden muss. • Die Risikobewertung mittels der hierfür entwickelten RAINEX-Methode („Risk-based Approach for the Pro- 292 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Hochwasserschäden an Brücken- und Ingenieurbauwerken tection of Land Transport Infrastructure against Extreme Rainfall“ [5]) ermöglicht die Bewertung der Exposition (Einwirkung) und Vulnerabilität (Verwundbarkeit) für die einzelnen möglicherweise auftretenden lokalen Phänomene. Im Langtext des Schlussberichts [9] wird das Vorgehen exemplarisch anhand der durch das Hochwasser 2021 zerstörten Ahrtorbrücke vorgestellt. • Die Risikobewertung der lokalen Phänomene ist abhängig von den Planungsrandbedingungen wie den Eigenschaften des anstehenden Bodens (Kolkgefahr), der Trassenführung (Lage am Flusslauf) und der im Zuge des Entwurfs zu definierenden bauwerksspezifischen Merkmale der Pfeileranordnung und der verwendeten Baustoffe sowie von hydraulischen Parametern wie Hochwasserabfluss, Wasserstand/ Freibordhöhe und Fließgeschwindigkeit sowie nach Möglichkeit der voraussichtliche Treibgutanfall. • Einfluss auf die hydraulischen Berechnungen haben gegebenenfalls vorhandene zusätzliche Maßnahmen, wie Hochwasserschutzanlagen oder Retentionsräume, Maßnahmen zum Treibgutrückhalt (V-Rechen) oder sonstige Maßnahmen der Gewässerunterhaltung. • Entsprechend der Risikobewertung für verschiedene lokale Phänomene können angepasste Entwurfsgrundsätze zur Verhinderung oder Verminderung der Auswirkung der lokalen Phänomene ausgewählt werden. • Bei der Bemessung (und Nachrechnung) von hochwassergefährdeten Bauwerken sollten für den Hochwasserfall in der außergewöhnlichen Bemessungssituation je nach Randbedingungen und Risiko für die lokalen Phänomene Lastfälle für Treibgutanprall, An- und Überströmung sowie Staudruck infolge Verklausung berücksichtigt werden. Zudem sollte bei kolkgefährdeten Bauwerken die Gründung unterhalb der maximalen Kolktiefe erfolgen und durch einen Kolkschutz geschützt werden. Für eine hochwasserresiliente Ausbildung betroffener Bauteile sollten Ausbildungsdetails in den Richtzeichnungen für Ingenieurbauwerke bzw. Beispiele für hochwasserangepasste Entwürfe in der RAB-ING [7] ergänzt werden. In Abb. 13 bis Abb. 14 sind entsprechende Grundsätze und zusätzliche bauliche Maßnahmen skizzenhaft dargestellt. Abb. 11 zeigt ein Beispiel für eine hochwasserresiliente Gestaltung von Brücken in der Draufsicht. In Folgende Aspekte sollten beachtet werden: • Anordnung Brückenbauwerk nach Möglichkeit in Bereich mit geradem Flussabschnitt, Ausrichtung der Fundamente und Unterbauten möglichst parallel zur Strömung (Kreuzungswinkel mögl. 100-gon, damit gleichzeitig keine Schiefwinkligkeit entsteht) • Anordnung zurückgesetzter Widerlager, falls möglich Ausbildung beidseitiger Gewässerrandstreifen (großer Durchflussquerschnitt) • Kanten der Widerlager abrunden oder umgelegte (und entsprechend anschließender Böschung geneigte) Flügelwände an Übergang zu Böschung (strömungsgünstig) • Durchflussquerschnitt freihalten, möglichst auf Pfeiler verzichten • Falls Pfeiler notwendig werden: • Anordnung möglichst außerhalb des Mittelwasserstandes; bei erforderlicher Anordnung im Gewässer: nicht im Stromstrich (maximale Fließgeschwindigkeit) • strömungsgünstiger Grundriss (z. B. rund/ ellipsenförmig/ sechseckig, abgerundete Kanten) und Ausrichtung • vertikal gerade oder mit leichter Aufweitung zum Fußpunkt hin (günstiger Einfluss auf die Kolktiefe) • Pfeiler im Abflussquerschnitt des Bemessungshochwassers sollten unterhalb der maximalen Kolktiefe gegründet und zusätzlich durch einen Kolkschutz gesichert werden In Abb. 12 sind zwei Varianten der Gestaltung von Widerlagerwand, Überbau und Gründung für eine einfeldrige hochwasserresiliente Brücke in der Ansicht zu sehen. Es sollte auf folgende Merkmale geachtet werden: • zurückgesetzte Widerlager mit senkrechter Widerlagerwand oder an die Neigung der Böschung angepasste Widerlagerwand; die Variante mit Anpassung an die Neigung der Böschung ist strömungsgünstiger, eine senkrechte Widerlagerwand ist einfacher in Bemessung und Ausführung • Einhaltung des Mindestfreibords (i.d.R. 0,5-m, ggfs. Festlegung eines erhöhten Freibords von ≥-1-m), und Ausbildung von Gewässerrandstreifen ≥-5-m, um den Durchflussquerschnitt zu maximieren und die Überströmungsgefahr herabzusetzen • möglichst kleine Überbauhöhe (z. B. Platten als Überbauquerschnitt) oder robuste Bauweise (z. B. Rahmenbrücken oder Einsatz von Betongelenken), um Schäden infolge An- oder Überströmung vorzubeugen • in Abhängigkeit der Kolkgefahr: Gründung unterhalb der maximalen Kolktiefe, z. B. Tiefgründung (Pfahl- oder Spundwandgründung) mit Kolkschutz oder Flachgründung im Spundwandkasten Abb. 11 zeigt zwei Varianten für eine hochwasserresiliente Ausbildung von Überbauquerschnitten. Dabei sind folgende Planungsgrundsätze zu beachten: • möglichst strömungsgünstige Ausbildung des Überbauquerschnitts durch Abrundung der Überbauunterkante oder Voutung des Querschnitts; die Unterkante sollte geschlossen ausgeführt werden • strömungsgünstige Gestaltung der Kappen durch abgerundete Kanten oder komplett gerundete Kappen (Ausführungsmöglichkeit prüfen) • Kappenverankerung nach aktuellen RiZ-ING [10] falls keine Verankerung vorhanden ist, sollte diese im Rahmen einer Instandsetzung ergänzt werden, um die Lage der Kappe bei Überströmung zu sichern • Bei überströmungsgefährdeten Bauwerken kann ggfs. eine strömungsgünstige Ausführung des Geländers durch gebogene Formen in Erwägung gezogen werden • Nach Möglichkeit Verzicht von (offenen, ungeschützten) Leitungsführungen am Überbau 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 293 Hochwasserschäden an Brücken- und Ingenieurbauwerken Abb. 11: Skizze Vorschläge für hochwasserangepasste Gestaltungsgrundsätze an Brücken: Draufsicht Abb. 12: Skizze Vorschläge für hochwasserangepasste Gestaltungsgrundsätze an einfeldrigen Brücken: Ansicht 294 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Hochwasserschäden an Brücken- und Ingenieurbauwerken Abb. 13: Ablaufschema hochwasserangepasste Planung von Ingenieurbauwerken 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 295 Hochwasserschäden an Brücken- und Ingenieurbauwerken Abb. 14: Skizze Vorschläge für hochwasserangepasste Gestaltungsgrundsätze an Brücken: Querschnitt Aufgrund der großen Anzahl an Bestandsbauwerken ist die Erarbeitung von Möglichkeiten der Verstärkung zur Steigerung der Hochwasserresilienz und die Schaffung von Rückhalteflächen für Hochwasserabflüsse von besonderer Bedeutung. Dabei sollte zunächst der Fokus auf die Wahrung der Standsicherheit von Bauwerken gesetzt werden, sodass keine Ersatzneubauten erforderlich werden und die Bauwerke im Notfall (z. B. durch Einsatzkräfte) noch genutzt werden können. Schäden an Bauteilen wie z. B. Geländern und Belägen, die die Verkehrssicherheit beeinträchtigen, sollten weniger zeit- und kostenintensiv instand zu setzen sein. In Abhängigkeit der möglicherweise auftretenden und vorzubeugenden lokalen Phänomene ergeben sich unterschiedliche Möglichkeiten/ Erfordernisse der Verstärkung und/ oder sonstiger baulicher Maßnahmen zur Reduzierung des Hochwasserrisikos und seiner Auswirkungen, die im Langtext des Schlussberichts [9] ausführlich beschrieben sind. Bei der nachträglichen Verstärkung von Stützmauern im Bestand kann beispielsweise eine Rückverankerung zur Lagesicherung der Wand sinnvoll sein. 4. Zusammenfassung und Ausblick Im Rahmen eines Forschungsvorhabens im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen wurden die Schäden an Brücken- und Ingenieurbauwerken im Bundesfernstraßennetz durch das Hochwasserereignis in NRW und RLP im Juli 2021 analysiert. Der vorliegende Beitrag gibt einen Einblick in die daraus gewonnenen Erkenntnisse. Der vollständige Schlussbericht [9] inklusive der in der „Erfahrungssammlung Hochwasserschäden an Brücken- und Ingenieurbauwerken“ gesammelten Schadensbeispiele wird auf Nachfrage seitens der Bundesanstalt für Straßenwesen auf Anfrage an verlag@bast.de zur Verfügung gestellt. Im Schlussbericht werden aufbauend auf einer umfangreichen Literaturrecherche im Stand der Wissenschaft und Technik der Stand des Hochwasserrisikomanagements vorgestellt, grundlegende hydraulische Größen erläutert und Entwurfs- und Planungsgrundsätze für Ingenieurbauwerke mit Hochwasserrisiko zusammengestellt. In den derzeit gültigen Richtlinien und Regelungen sind schon viele Ansätze zu hochwasserangepassten Bauweisen enthalten. Allerdings sind viele Aspekte auf unterschiedliche Regelwerke verteilt und Hintergründe und Nutzen einzelner Regelungen werden nicht immer deutlich, was einen auf bestimmte Randbedingungen angepassten Entwurf und Bemessung im Hinblick auf eine höhere Hochwasserresilienz erschwert. Die übersichtliche Zusammenstellung vorhandener Regelungen, Gestaltungsgrundsätze und baulicher Maßnahmen zur Vermeidung der verschiedenen lokalen Phänomene und Gefahren infolge eines Hochwasserereignisses wie Auskolkung/ Längserosion, Anprall, Verklausung, Überströmung und Überschwemmung sollen dem planenden Ingenieur sowie den Baulastträgern als Hilfestellung für die hochwasserangepasste Planung und Unterhaltung von Ingenieurbauwerken dienen. In der Erfahrungssammlung „Hochwasserschäden an Brücken- und Ingenieurbauwerken“ (als Anhang zum Bericht [9]) werden repräsentative Beispiele anhand von Steckbriefen in Anlehnung an die Erfahrungssammlung „Verstärkungen älterer Beton- und Spannbetonbrücken“ [11] ausführlich vorgestellt. Hierbei wird neben den Bauwerksdaten und allgemeinen Angaben zum Schadenfall jeweils eine Beschreibung der Schäden und der möglichen Schadensursachen, Wirkmechanismen und konstruktiven, materialtechnischen oder betriebstechnischen Schwachstellen vorgestellt. Zudem werden - soweit bekannt - die Maßnahmen zur Schadensbeseitigung erläutert und mögliche Schlussfolgerungen für eine hochwasserresilientere Bauweise aufgezeigt. Die Erläuterungen werden hierbei jeweils durch aussagekräftige Bilder und Bauwerksskizzen ergänzt. Insgesamt leistet die Aufarbeitung und Analyse der Schäden einen wichtigen Beitrag für die Entwicklung einer hochwasserangepassten Planung und Bemessung von Brücken- und Ingenieurbauwerken. 296 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Hochwasserschäden an Brücken- und Ingenieurbauwerken Der vorgestellte Vorschlag für ein Ablaufschema für eine hochwasserangepasste Planung von Ingenieurbauwerken, die Vorschläge für hochwasserangepasste Gestaltungsgrundsätze sowie die Hinweise zu zusätzlich zu berücksichtigenden Lastfällen und Bemessungsgrundsätzen bilden die Grundlage für die Entwicklung neuer Planungshilfen für eine hochwasserangepasste Konstruktion und Bemessung neuer Bauwerke sowie für die Planung von Schutzmaßnahmen zur Ertüchtigung bestehender Bauwerke. Hierdurch können negative Auswirkungen zukünftiger Hochwasserereignisse auf die Funktions- und Leistungsfähigkeit der Bauwerke deutlich reduziert oder vermieden werden, sodass insgesamt die Funktionsfähigkeit des Straßennetzes auch im Falle von extremen Hochwasserereignissen erhalten bleibt oder schnell wieder hergestellt werden kann. Danksagung An dieser Stelle wird der Bundesanstalt für Straßenwesen für die Beauftragung des Projektes und den Mitgliedern des Betreuungsausschusses für die fruchtbaren Diskussionen gedankt. Weiterhin ist den Mitarbeitern der Straßenbauverwaltungen, die die Unterlagen zu den Schadensbeispielen zur Verfügung gestellt haben und bei Rückfragen gerne zur Verfügung standen, zu danken. Literatur [1] DIN 19961: Deutsches Institut für Normung e.V. (1998): DIN 19961 - Wasserbauwerke Teil 1: Kreuzungsbauwerke, Durchleitung- und Mündungsbauwerke. [2] DIN 19961: Deutsches Institut für Normung e.V. (2022): DIN 19961 - Bauwerke in, an, über und unter oberirdischen Gewässern, Entwurf 2022. [3] DWA-M 529: Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. (2021): Merkblatt DWA-M 529 Auskolkungen an pfahlartigen Bauwerksgründungen, 2. Auflage, Hennef. [4] Gebekken, N., Videkhina, V., Pfeiffer E., Garsch-M. und Rüdiger L. (2016): Risikobewertung und Schutz von baulichen Infrastrukturen bei Hochwasser, in Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Bautechnik 93, Heft 4, S. 199-213. [5] Krieger, J., Kohl, B., Mitsakis, E., (2016): Risikobasierter Ansatz zum Schutz der Landverkehrsinfrastruktur vor den Auswirkungen extremer Regenfälle (RAINEX), Handbuch, Bonn [online] https: / / www.rainex-project.eu/ publications/ rainex-handbook/ [abgerufen am: 11.01.2023] [6] Prüfbericht Bauwerk 5408592, 2021 S4: B- 267, Ahrbrücke zw. Reimerzhoven u. Laach, 17.02.2022. [7] RAB-ING: Bundesministerium für Digitales und Verkehr (2022): Richtlinien für das Aufstellen von Bauwerksentwürfen für Ingenieurbauten RAB- ING, Teil 1-5, Stand 2022/ 01 [8] RE-ING: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2022/ 2023): Richtlinien für den Entwurf, die konstruktive Ausbildung und Ausstattung von Ingenieurbauten - RE-ING, 01-2022, 03-2023. [9] Reißen, K. et al.: Analyse der Schäden an Brücken- und Ingenieurbauwerken im Bundesfernstraßennetz durch das Hochwasserereignis in NRW und RLP im Juli 2021. Schlussbericht FE 15.0698/ 2021/ HRB, https: / / doi.org/ 10.60850/ FV-B-15.0698, Aachen, 2023. [10] RIZ-ING: Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) (2023): Richtzeichnungen für Ingenieurbauten (RIZ-ING). [11] Schnellenbach-Held, M., Welsch, T., Fickler, S., Hegger, J., Reißen, K. (2016): Verstärkungen älterer Beton- und Spannbetonbrücken, Erfahrungssammlung. Dokumentation 2016. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Abteilung Straßenbau, Bonn. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 297 Modellbasierte Bauwerksprüfung nach DIN 1076 zur Sicherstellung der Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit Dipl.-Ing. (FH) Birga Ziegler, M. Sc. m2ing GmbH, München Dipl.-Ing. Sabine Reim m2ing GmbH, München Zusammenfassung Die regelmäßige Bauwerksprüfung nach DIN 1076 stellt einen entscheidenden Bestandteil der Instandhaltungsstrategie für Brücken und Infrastrukturprojekte dar. Der aktuelle Workflow ist jedoch häufig von zeitintensiven manuellen Prozessen geprägt, die die Effizienz beeinträchtigen und das Risiko von Fehlern erhöhen. Digitale Lösungen, insbesondere die modellbasierte Bauwerksprüfung, bieten vielversprechende Ansätze zur Optimierung dieser Prozesse. Dieser Artikel beleuchtet die Herausforderungen und Entwicklungen im Workflow der Bauwerksprüfung, untersucht die Rolle von Building Information Modeling (BIM) im Erhaltungsmanagement und erörtert die Vorteile der modellbasierten Schadensverortung. Es wird aufgezeigt, wie digitale Technologien die Qualität der Instandhaltung verbessern können, indem sie eine präzise Visualisierung und direkte Erfassung von Schäden ermöglichen. Zudem werden Anforderungen und Standards für BIM-Modelle im Erhaltungsmanagement diskutiert, während die praktische Anwendung und die erforderlichen Features für einen effektiven Viewer hervorgehoben werden. Abschließend wird ein Ausblick auf zukünftige Entwicklungen und die Integration von digitalen Lösungen in die Bauwerksprüfung gegeben. 1. Einführung Die normkonforme Bauwerksprüfung nach DIN 1076 ist ein zentraler Bestandteil der Instandhaltung und Sicherheit von Ingenieurbauwerken, insbesondere von Brücken. Diese regelmäßigen Prüfungen sind notwendig, um die Standsicherheit, Dauerhaftigkeit und Verkehrssicherheit der Bauwerke zu gewährleisten. Die DIN 1076 legt klare Standards und Prüfintervalle fest, um sicherzustellen, dass mögliche Schäden rechtzeitig erkannt und behoben werden. Durch die strukturierte Erfassung von Schäden gemäß des Schadenskataloges der RI-EBW-PRÜF [1] und die Anwendung eines Bewertungsalgorithmus, der die maßgebenden Schäden und die betroffenen Bauteilgruppen berücksichtigt, wurde in Deutschland ein Standard etabliert, der international als Vorbild dient. Dieser Ansatz ermöglicht eine konsistente und objektive Bewertung des Bauwerkszustands, fördert die frühzeitige Identifikation von Sanierungsbedarf und trägt wesentlich zur Verlängerung der Lebensdauer von Ingenieurbauwerken bei. Die Einführung dieses Standards hat die Qualität und Effizienz der Bauwerksprüfungen deutlich gesteigert und zeigt, wie wichtig eine systematische Vorgehensweise in der Instandhaltung von Infrastrukturen ist. In der Praxis ist der aktuelle Workflow jedoch häufig durch manuelle und zeitaufwendige Prozesse geprägt, die sowohl die Effizienz als auch die Genauigkeit der Prüfungen beeinträchtigen. Ingenieure und Ingenieurinnen dokumentieren Schäden während der regelmäßigen Prüfungen oft noch mit Stift und Papier. Diese traditionelle Vorgehensweise, bei der Schäden auf Plänen vermerkt und anschließend in digitale Systeme übertragen werden, birgt das Risiko von Übertragungsfehlern und beeinträchtigt die Effizienz der Prüfungen. Moderne Technologien und Programmsysteme beginnen jedoch, diesen konventionellen Ansatz zu revolutionieren. Durch die digitale Erfassung und sofortige Bewertung von Schäden vor Ort wird nicht nur die Effizienz gesteigert, sondern auch die Genauigkeit und Nachvollziehbarkeit der Prüfungen verbessert. Ein entscheidender Fortschritt stellt die modellbasierte Bauwerksprüfung dar, bei der Schäden direkt im digitalen Modell des Bauwerks erfasst und analysiert werden können. Diese Innovation führt zu einer Optimierung der Prüfprozesse und einer höheren Qualität der Instandhaltungsmaßnahmen. In den folgenden Abschnitten wird die Rolle von Building Information Modeling (BIM) als Datengrundlage für das Erhaltungsmanagement beleuchtet. Die Vorteile der modellbasierten Schadensverortung und die aktuellen Entwicklungen im Bereich BIM werden analysiert, um zu verdeutlichen, wie digitale Bauwerksmodelle die Effizienz der Prüfungen erhöhen und gleichzeitig einen positiven Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten können. 2. Aktueller Workflow Der aktuelle Workflow der Bauwerksprüfung nach DIN 1076 ist oft noch stark von manuellen Prozessen geprägt. Bei der regelmäßigen Prüfung, die alle drei beziehungsweise sechs Jahre als Hauptprüfung durchgeführt wird, dokumentieren Ingenieure und Ingenieurinnen Schäden häufig noch mit Stift und Papier. Schäden werden häu- 298 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Modellbasierte Bauwerksprüfung nach DIN 1076 zur Sicherstellung der Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit fig auf einem Plan mit einem zusätzlich aufgenommenen Foto dokumentiert, anschließend werden die Ergebnisse händisch in das Bauwerksprüfprogramm SIB-Bauwerke eingegeben. Das Vorgehen basiert bislang nur bedingt auf einem maschinenlesbaren Format, so ist es nicht vorgeschrieben, Schäden in BIM Methodik attributiert aufzunehmen oder georeferenziert zu verorten. Die alte Vorgehensweise in SIB-Bauwerke mit einer langwierigen Baumstruktur zur Auswahl des richtigen Schadensbeispiels ist nicht mehr zeitgemäß und kostet viel Zeit. Moderne Programmsysteme beginnen jedoch, diesen traditionellen Ansatz zu ergänzen. Diese Systeme ermöglichen es, Schäden direkt vor Ort digital zu erfassen und sofort zu bewerten, was die Effizienz und Genauigkeit der Prüfungen erheblich steigert. Der nächste Schritt in der Weiterentwicklung dieser Workflows ist die modellbasierte Bauwerksprüfung, bei der Schäden direkt im digitalen Modell des Bauwerks erfasst und analysiert werden können. Dies führt zu einer weiteren Optimierung der Prüfprozesse und einer verbesserten Qualität der Instandhaltung. 3. BIM als Datengrundlage für das Erhaltungsmanagement 3.1 Vorteile modellbasierte Schadensverortung Die Vorteile von BIM sind weitgehend bekannt. Die modellbasierte Schadensbewertung ermöglicht eine visuelle und interaktive Darstellung der zu prüfenden Brücken. Im Gegensatz zu einer traditionellen reinen Beschreibendung der Lokalisierung oder einer 2D-Dokumentationen auf Skizzen oder Plänen bieten 3D-Modelle eine klare und präzise Visualisierung und Verortung, die Missverständnisse reduziert und Zusammenhänge zwischen Schädigungsarten und Bauteilgruppen verdeutlicht. Planer, Architekten und Ingenieure können durch die dreidimensionale Darstellung schneller Entscheidungen treffen und Änderungen effizient umsetzen. Zudem erleichtert es die Kommunikation zwischen den verschiedenen Projektbeteiligten, da alle denselben visuellen Referenzpunkt nutzen. Eine modellbasierte Verortung von Schäden ermöglicht eine präzisere und umfassendere Analyse von Schadenszusammenhängen zwischen verschiedenen Bauteilgruppen. Durch die dreidimensionale Darstellung im Modell können Ingenieure erkennen, wie Schäden an einem Bauteil möglicherweise andere Bauteile beeinflussen und wie sich diese Zusammenhänge auf die Gesamtstruktur des Bauwerks auswirken. Diese ganzheitliche Sichtweise erleichtert die Bewertung von Schadensursachen und -folgen erheblich. Darüber hinaus unterstützt die modellbasierte Verortung die Überwachung und Bewertung des Erfolgs von Instandsetzungsmaßnahmen. 3.2 Status BIM im Erhaltungsmanagement BIM vereint als Methode der vernetzten Zusammenarbeit sämtliche relevanten Daten in einem digitalen Modell, dem digitalen Zwilling des Bauwerks. Da alle wesentlichen Akteure im Bauprozess mit diesen Modellen arbeiten, stehen die verarbeiteten Informationen allen Beteiligten zur Verfügung. Ändert ein Planer beispielsweise einen Querschnitt, können die anderen Projektbeteiligten ihre Fachplanungen sofort anpassen. Dadurch werden potenzielle Kollisionen frühzeitig erkannt, bevor sie während des Bauprozesses zu kostspieligen Verzögerungen führen. [12] BIM ist in der Planung von Neubaubrücken daher nicht mehr wegzudenken und seit 1. Januar 2021 besteht in Deutschland eine BIM-Pflicht bei der Vergabe öffentlicher Aufträge von Infrastrukturprojekten des Bundes, seit 2023 auch für den gesamten Bundesbau [3]. Doch wie sieht es nach Fertigstellung der Brücke aus? Im „Masterplan BIM Bundesfernstraßen“ [2] bzw. bei „BIM Deutschland“ wurde hierfür der BIM-Anwendungsfall 190 „Projekt und Bauwerksdokumentation“ erstellt, indem As-built-Modelle (Revisionsmodelle) mit detaillierten Informationen zur Ausführung, z. B. verwendete Materialien und Produkte sowie ggf. Verweise auf Prüfprotokolle und weiteren Revisionsunterlagen erstellt werden, weiterführend wurde auch der Anwendungsfall 200 „Nutzung für Betrieb und Erhaltung“ definiert [4] bzw. BIM Hamburg strukturiert dies noch weiter in die Anwendungsfälle 210 „Unterhaltungs- und Wartungsmanagement“, 220 „Zustandserfassung, Prüfung und Inspektion“ und 230 „Nutzungsmanagement“[5]. Auch die VDI 2552 spricht sich für BIM im Betrieb aus: „Die gewonnen Erkenntnisse über das tatsächliche Verhalten von Bauwerken im Betrieb müssen dann wieder in die Planung und der Bau der nächsten Generation von Bauwerken einfließen.“ [6] Digitale Bauwerksmodelle sind ideal für das Erhaltungsmanagement von Brücken wie bereits 2016 in der Machbarkeitsstudie BIM für Bestandsbrücken beschrieben wurde. Und haben Nutzen in folgenden Teilbereichen des Erhaltungsmanagements [7]: • Informationen bereitstellen: Dauerhafte Zugänglichkeit zu Daten wie Lokalisierung, Bauteilabmessungen und Materialien zum Zeitpunkt der Errichtung. • Inspektion: Modelle unterstützen bei der direkten Verortung von Inspektionsergebnissen, einschließlich Schadensbeschreibungen und Fotografien. • Zustandsbewertung: Einsatz des Modells für die Bewertung des Bauwerkszustands und die Instandsetzungsplanung. • Zustandsprognose: Vorhersage des weiteren Zustandsverlaufs. • Planung von Maßnahmen: Grundlage für die Planung von Ertüchtigungs-, Erneuerungs- oder Instandsetzungsmaßnahmen. • Schadenshistorie: Visualisierung der Schadensentwicklung. BIM in der Betriebsphase hilft dazu beizutragen, Schäden und Beanspruchungen transparenter und nachvollziehbarer zu dokumentieren. Dies ermöglicht es, frühzeitig Erhaltungsmaßnahmen zu ergreifen, was die Lebensdauer eines Bauwerks erheblich verlängern und den CO₂-Fußabdruck reduzieren kann. Eine verlänger- 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 299 Modellbasierte Bauwerksprüfung nach DIN 1076 zur Sicherstellung der Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit te Lebensdauer von Brücken hat eine positive Auswirkung auf die CO₂-Bilanz, da sie die Notwendigkeit von Neubauten und umfangreichen Sanierungen verringert. Dies reduziert den Ressourcenverbrauch und die damit verbundenen CO₂-Emissionen erheblich. Die Erhaltung bestehender Brücken erfordert weniger Material und Energie als der Abriss und Neubau, was zur Schonung natürlicher Ressourcen und zur Minimierung des ökologischen Fußabdrucks beiträgt.[8] Zudem bietet BIM im Erhaltungsmanagement die Möglichkeit, aus wiederkehrenden Schadensmustern zu lernen, um diese in zukünftigen Generationen zu vermeiden. Doch gibt es auch für Erhaltungsbzw. Betriebsmodelle bundesweite Vorgaben oder Standardisierungen? Werden hierfür die As-built Modelle verwendet oder adaptiert? Der BIM Leitfaden für die freie Hansastadt Hamburg definiert Betriebs-/ Facility Management-Modelle wie folgt: „In diesen Modellen werden alle für die Betriebsphase relevanten Informationen abgebildet. […] Hierfür werden die betriebsrelevanten geometrischen und alphanumerischen Daten herausgefiltert und komplexe Geometrien und Informationen mit ausschließlicher Planungs- und Baurelevanz entfernt oder vereinfacht, um den modellbasierten Betrieb und die Pflege des Modells zu erleichtern. Weitere betriebsrelevante Informationen, wie Wartungsintervalle und Prüfzyklen, werden dem Modell hinzugefügt.“ [9] Bisher gibt es keine einheitlichen Vorgaben, jedoch wird intensiv daran gearbeitet, durch kontinuierlichen Austausch und Zusammenarbeit Standardisierungen voranzutreiben. 3.3 Anforderungen an BIM-Modelle Um die Vorteile von BIM auch im Erhaltungsmanagement voll ausschöpfen zu können, müssen die Modelle wie im Zitat oben beschrieben bestimmte Anforderungen erfüllen. Als Grundlage sind unterschiedliche BIM-Modelle möglich. „As-designed“ („wie geplant“) bezieht sich auf Modelle, die aus der Ausführungsplanung stammen und das angestrebte Ergebnis des Bauwerks darstellen. „Asbuilt“ („wie gebaut“) Modelle hingegen zeigen das tatsächlich realisierte Bauwerk und reflektieren somit den aktuellen Zustand. Unterschiede zwischen diesen Modelltypen können beispielsweise Daten zum Bauablauf, wie das Herstelldatum oder die vermessungstechnisch validierte exakte Position eines Bauteils, umfassen. „Asmaintained“ („wie erhalten“) Modelle beinhalten zusätzlich Informationen, die im Laufe des Betriebs gesammelt werden. [7] Unabhängig davon, welches Modell verwendet wird, ist Folgendes entscheidend: Die Standardisierung von Modellen erleichtert die Auswertung erheblich. Eine Verortung im globalen Koordinatensystem ist unerlässlich, um Schäden nachvollziehbar und präzise zu lokalisieren. Zudem ist die Vollständigkeit der Bauteile sowie deren Abgrenzung zueinander von großer Bedeutung. Fehlt beispielsweise die Böschungstreppe im Modell, kann dort kein Schaden verortet werden. Ist die Gründung im Modell sichtbar, liefert das zwar nützliche Informationen für den Prüfer, sie ist jedoch in der Realität unterirdisch und erhöht unnötig die Modellgröße. Eine Darstellung des Geländes stellt daher eine wertvolle Zusatzinformation dar, die den Prüfer bei der Navigation im 3D-Modell unterstützt. Darüber hinaus sind einige Attribute, wie das Material oder die Art des Korrosionsschutzes, wichtige Informationen für die Bauwerksprüfung. 3.4 Offlineverfügbarkeit abhängig von Dateigröße und Detaillierungsgrad Ein häufig diskutiertes Thema im Kontext von BIM ist der erforderliche Level of Detail (LOD) für verschiedene Phasen des Bauwerks. Bei der modellbasierten Schadenserfassung spielt die Dateigröße eine entscheidende Rolle. Ein sehr hoher LOD führt zu großen IFC-Dateien und erfordert erheblichen Rechenaufwand für das Rendern detaillierter Bauteile. Vor Ort kommen mobile Endgeräte wie Tablets oder Smartphones zum Einsatz, wobei viele Bauwerke oft an Orten ohne mobiles Netzwerk liegen. Daher müssen diese Geräte und die Modelle offline für die Bauwerksprüfung funktionsfähig sein. Detaillierte Modelle großer Brücken können schnell mehrere hundert Megabyte erreichen, was bei älteren mobilen Endgeräten zu Anzeige- und Navigationsproblemen führen kann und die Performance beeinträchtigt. Ein geringerer Detaillierungsgrad kann helfen, dieses Problem zu vermeiden. 3.5 Optimiertes „As-maintained“- Modell oder Nutzung vorhandener Fachmodelle Man unterscheidet grundsätzlich zwischen Gesamt- oder Koordinationsmodellen, Teilmodellen und Fachmodellen. Fachmodelle enthalten nur die relevanten Informationen einer bestimmten Disziplin, wie etwa der Architektur oder der Tragwerksplanung. Im Kontext des Brückenbaus sind Fachmodelle wie das Baugrund-/ Umgebungsmodell inkl. Wasserspiegel und Infrastruktur, das Trassierungsmodell, das Leitungsmodell, das Brückenmodell und das Tragwerksmodell besonders sinnvoll. Teilmodelle repräsentieren einen spezifischen Abschnitt des gesamten Bauwerks, wie beispielsweise einen Überbau oder ein Teilbauwerk, und finden häufig bei großen Brücken Anwendung. Gesamt- oder Koordinationsmodelle schließlich integrieren alle Teil- und Fachmodelle. [7] Zur Diskussion steht, ob für das Erhaltungsmanagement ein eigenes „As-maintained“-Modell erstellt wird, welches während des Betriebs stetig fortgeschrieben wird oder ob vor einer jeden Prüfung verschiedene vorhandene Fachmodelle kombiniert werden. Die Erstellung eines Betriebsmodells für die Bauwerksprüfung wird in der Praxis bisher kaum umgesetzt, auch da es keine bundesweiten Vorgaben gibt. Vorteil eines eigenen „As-maintained“-Modells wäre eine einfachere Übersicht für den Prüfer und eine userfreundlichere Navigation im Modell. Ein für die Bauwerksprüfung optimiertes „As-maintained“-Modell bietet mehrere Vorteile: • Reduzierte Komplexität: Durch das Ausblenden nicht sichtbarer Bauteile wird die Übersichtlichkeit erhöht und die Navigation vereinfacht 300 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Modellbasierte Bauwerksprüfung nach DIN 1076 zur Sicherstellung der Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit • Optimierte Dateigröße: Ein geringerer Detaillierungsgrad führt zu kleineren Dateigrößen, was die Offlineverfügbarkeit auf mobilen Endgeräten und den Austausch der Modelle vereinfacht. • Fokussierung auf relevante Informationen: Das Modell enthält nur die für die Prüfung notwendigen semantischen Informationen, • Bündelung der Bauteile in Bauteilgruppen: Nachvollziehbarere Zustandsnotenberechnung in Analogie zur RI-EBW-PRÜF • Bessere Integration in Prüfprozesse: Das Modell kann besser in bestehende Prüfprozesse integriert werden, auch die zeitliche Nachverfolgung und Entwicklung von Schäden wird vereinfacht Die Erstellung eines für die Bauwerksprüfung optimierten „As-maintained“-Modells ist jedoch nicht trivial. Beispielsweise die Ausblendung unterirdischer Bauteile erfordert, dass die Widerlager mit der Geländeoberkante verschnitten werden, um ein konfliktfreies IFC-Modell zu erstellen. Es kann nicht vorausgesetzt werden, dass Bauwerksprüfer sich im Vorfeld der Prüfung intensiv mit der Struktur der verschiedenen Fachmodelle auseinandersetzen oder über die erforderlichen fachlichen und technischen Kenntnisse verfügen, um diese anzupassen. Daher stellt sich die Frage, wer für die Erstellung dieser Modelle verantwortlich ist. Wenn kein eigenes Betriebsmodell erstellt wird und verschiedene vorhandene Fachmodelle für die Bauwerksprüfung kombiniert werden sollen, wird erwartet, dass der verwendete Viewer der für die modellbasierte Bauwerksprüfung vor Ort verwendet wird in der Lage ist, mehrere Modelle zu überlagern. Dies kann jedoch bei älteren mobilen Endgeräten schnell zu Engpässen im Arbeitsspeicher führen. Daher müssen die technischen Grenzen gegen den zusätzlichen Aufwand für die Erstellung von „As-maintained“-Modellen abgewogen werden. Alternativ und vor allem für ältere Bauwerke, bei denen bisher kein As-built Modell existiert, ist es auch denkbar, Platzhaltermodelle zu generieren. Vor allem für die große Anzahl an Standardbrücken, wie Plattenbrücken, Plattenbalkenbrücken, Rahmenbrücken oder Rohre gibt es verschiedene Machbarkeitsstudien, aus wenigen Bauwerksdaten aus SIB-Bauwerke Platzhaltermodelle zu generieren. 4. Praxisbezug: Modellbasierte Bauwerksprüfung 4.1 Welche Features braucht ein Viewer für die modellbasierte Bauwerksprüfung In einer 2024 durchgeführten Pilotstudie wurden Nutzer nach notwendigen Features für eine modellbasierte Bauwerksprüfung befragt. Devise war hier: eine einfache Navigation, Bedienung und Verortung von Schäden im Modell, keine überladenen Features und wie bereits oben beschrieben eine uneingeschränkte offline Anwendung am mobilen Endgerät. Es wurde sich daher auf folgende Features des in die App integrierten Viewers beschränkt: • Zoomen, Drehen (um Nullpunkt, um Bauteil usw.) • Highlighten von Bauteilen bei Mouseover • Ausblenden von einzelnen Bauteilen • Einblenden aller ausgeblendeten Bauteile • Semantische Informationen/ Attribute anzeigen • Schäden als 3D-Objekt • Überlagerung mehrerer Fachmodelle 4.2 Testlauf verschiedener IFC-Modelle Für den Testlauf wurden verschiedene IFC-Modelle von Brücken unterschiedlicher Typen und Größen verwendet. Diese Modelle wiesen unterschiedliche LOD auf, was die Detailgenauigkeit und den Informationsgehalt der Modelle betrifft. Zusätzlich wurden Modelle unterschiedlicher Erstellungsjahre berücksichtigt, um die Entwicklung und die Fortschritte in der BIM- Technologie und Reglementierung zu reflektieren. Die Testobjekte basierten auch auf verschiedenen Auftraggeber-Informationsanfor-derungen (AIA), die spezifische Vorgaben für die Modellierung und die benötigten Informationen festlegten. Sowie auf unterschiedlichen BIM-Abwicklungsplänen (BAP), die die strategische Planung und Umsetzung von BIM-Prozessen innerhalb von Projekten beschreiben [2]. Neben diesen zahlreichen As-built-Modellen wurden auch einige Platzhaltermodelle von Standardplattenbrücken in den Test mit einbezogen. Durch diese umfassende Auswahl an Modellen und Anforderungen wurde sichergestellt, dass der entwickelte Viewer in der Lage ist, eine Vielzahl von Szenarien und Anforderungen zu bewältigen, was die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des Tools unter Beweis stellt. Die Tests mit IFC-Modellen haben aufschlussreiche Erkenntnisse geliefert, insbesondere bezüglich der schnell erreichbaren Modellgrößen von über 150 MB. Ab dieser Größe zeigen sich erhebliche Herausforderungen bei der Handhabung und der Offlineverfügbarkeit der Modelle. Bei Tests mit mobilen Endgeräten stellte sich heraus, dass selbst das neueste iPhone von Apple beim Download solcher großen Modelle an seine Grenzen stieß und den Vorgang abbrach, eine Onlineansicht des Modells und die Navigation darin, wie auch die Schadensverortung an solch großen Modellen funktionierte tadellos und präzise bei kleineren Modellen war auch der offline- Modus voll funktionsfähig. Da die offline-Verfügbarkeit einer der wichtigsten Faktoren bei der Bauwerksprüfung ist, zeigt das die Notwendigkeit auf, große Modelle für die Betriebsphase zu optimieren, insbesondere für mobile Anwendungen. Abb. 1: Viewer Ansicht mobil und in der Webversion 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 301 Modellbasierte Bauwerksprüfung nach DIN 1076 zur Sicherstellung der Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit Alle weiteren Erkenntnisse betrafen inhaltliche Aspekte der Modelle, die für die Durchführung der Bauwerksprüfung von großer Relevanz sind, jedoch für die IT-technische Seite der entwickelten Anwendung vernachlässigbar bleiben. In einem ersten Testlauf enthielten die Modelle keine Geländemodelle oder Informationen über Boden- und Wasseroberflächen enthielten. Auch Böschungstreppen und die Beschilderung waren fehlten. Dies führt zu einer unvollständigen Darstellung der realen Bedingungen für den Bauwerksprüfer. Ein weiterer wichtiger Aspekt war die Erkenntnis über die Verantwortlichkeiten über die verschiedenen Phasen des Lebenszyklus eines Bauwerks hinweg. Verantwortliche für Bauwerksprüfung haben noch wenig Erfahrung mit modellbasierter Verortung und der Aufbereitung von BIM-Modellen. Planungsverantwortliche kennen die praktischen Anforderungen aus der Perspektive der Bauwerksprüfer und Erhaltungsmanager noch nicht vollständig. Zudem fehlen, wie bereits beschrieben, konkrete Vorgaben für Betriebsmodelle. Eine durchgehende Datenkonsistenz über den gesamten Lebenszyklus ist ein wichtiger Aspekt für die Zukunft. Unvollständige Abstimmungen können zu Validierungsproblemen und Fehlern in den Modellen führen. Ein Beispiel hierfür ist der Projektnullpunkt, der grundlegende Informationen zum Bauwerk speichert, aber durch Optimierungsprozesse für ein Betriebsmodell verloren gehen kann. Solche Informationen sind entscheidend für die Nachvollziehbarkeit der globalen Koordinaten. Zudem sollte das verwendete Koordinatenreferenzsystem in den semantischen Daten weiterhin dokumentiert bleiben. Darüber hinaus gibt es verschiedene Möglichkeiten, IFC- Modelle aus nativen Programmen zu exportieren, wobei in einigen Fällen essenzielle semantische Informationen, die in den Auftraggeber-Informationsanforderungen (AIA) definiert waren, beim Export ins IFC-Modell unberücksichtigt bleiben könnten. Dies zeigt die Notwendigkeit einer sorgfältigen Auf bereitung der Modelle, um die Vollständigkeit und Konsistenz der Daten sicherzustellen und somit die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren zu optimieren. 4.3 Praxistest Nach den umfassenden Tests unterschiedlichster Modelle wurde die Praxistauglichkeit während einer Bauwerksprüfung vor Ort evaluiert. Die Prüfer konnten die Verortung der Schäden und die Navigation im Modell schnell erlernen und fanden die Bedienung intuitiv und leicht verständlich. Die Beschreibung und Bewertung von Schäden anhand der Schadensbeispiele gemäß RI-EBW-Prüf waren den Testprüfern aus der aktuellen Version der App, die auf 2D-Skizzen basiert, bereits vertraut und hatte sich in der Praxis in der Vergangenheit bereits bewährt. Auf technischer Seite gab es nur wenige Einwände. Ein Punkt der Kritik war die Beschränkung auf etwa fünf gleichzeitig offline speicherbare Modelle, was je nach verwendetem mobilem Endgerät variieren kann. Dies stellt eine Einschränkung dar, die in zukünftigen Entwicklungen berücksichtigt werden sollte und wiederum von den Modellgrößen abhängt. Ein größerer Entwicklungsbedarf besteht jedoch bei der Optimierung der Modelle für die Bauwerksprüfung. Hier gilt es, die Modelle so anzupassen, dass sie die spezifischen Anforderungen und Gegebenheiten der Prüfungen besser unterstützen und die Effizienz der Prozesse weiter steigern. 5. Ausblick Es ist ein Praxistest geplant, bei dem ein As-Built-Modell einer Brücke mit einem aus den Stammdaten der SIB-Bauwerke generierten Platzhaltermodell verglichen wird. Dabei stehen die Vor- und Nachteile beider Varianten im Fokus. Zusätzlich steht die Betaanwendung der modellbasierten Bauwerksprüfung sowohl im Web als auch in der App für Nutzer von m2ing zur Verfügung. Dadurch werden weitere Evaluationen von verschiedenen Nutzergruppen erhalten und können zu einer verbesserten Anwendung beitragen. Technische Weiterentwicklungen konzentrieren sich auf die Optimierung der Reporterstellung und der Schnittstellen sowie auf die Verbesserung des Aufgabenmanagements in Bezug auf räumlich verortete Schäden. [11] Begrüßenswert und auch erforderlich für ein einheitliches Vorgehen sind spezifische Vorgaben für BIM-Modelle gemäß den Anwendungsfällen 190 und 200 durch weitere Schritte und Entwicklungen von Bund und Ländern und anderen Stakeholdern. Die neue Version der ASB-Ing, einschließlich des aktualisierten Datenmodells, bringt voraussichtlich auch zahlreiche Neuerungen und Impulse für die weitere Entwicklung mit sich. Literatur [1] RI-EBW-PRÜF (2017), Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen. [2] BMVI (2021) Masterplan BIM Bundesfernstraßen [online], https: / / bmdv.bund.de/ SharedDocs/ DE/ Anlage/ StB/ bim-rd-masterplan-bundesfernstrassen.pdf? __blob=publicationFile (accessed: Aug. 12 2024). [3] bauingenieur24 Informationsdienst [online] Available: https: / / www.bauingenieur24.de/ artikel/ bimfuer-gesamten-bundesbau-ab-2023-pflicht (accessed: Aug. 12 2024). [4] BIM Deutschland [online] Available: https: / / www. bimdeutschland.de/ bim-deutschland/ liste-der-standardisierten-anwendungsfallbezeichnungen (accessed: Aug. 12 2024). [5] BIM Hamburg (2021) Was bitte ist ein Anwendungsfall? Erst virtuell planen, dann bauen [online] https: / / bim.hamburg.de/ resource/ blob/ 611888/ f14f36bcc53772b37acff14db850fffa/ d-2-3-data.pdf (accessed: Aug. 12 2024). [6] VDI 2552 Building Information Modeling (BIM) VDI 6200, Verein Deutscher Ingenieure, Jul. 2020. 302 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Modellbasierte Bauwerksprüfung nach DIN 1076 zur Sicherstellung der Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit [7] Singer D., Borrmann A. (2016), Machbarkeitsstudie BIM für Bestandsbrücken [online] Available: https: / / bast.opus.hbz-nrw.de/ frontdoor/ index/ index/ docId/ 1746 (accessed: Aug. 12 2024). [8] Görtz, S., Pham, T. K. D., Graage, F-L.: CO2-Bilanzierung und Optimierung von Hochbauwerken - Voruntersuchung. Kleinförderung durch die Gesellschaft für Energie und Klimaschutz Schleswig- Holstein GmbH, November 2020 - Februar 2022. [9] BIM Hamburg (2923) BIM Leitfaden für die FHH [online] Available: https: / / bim.hamburg.de/ resource/ blob/ 611776/ c6f8a78657aea6824f5163d718eaadc5/ d-bim-leitfaden-fhh-v004-data.pdf (accessed: Aug. 12 2024). [10] BIM Deutschland [online] Available: https: / / via. bund.de/ bim/ aia/ landing (accessed: Aug. 12 2024). [11] m2ing - Digitale Bauwerksdaten, m2ing - Digitale Bauwerksdaten. [Online]. Available: https: / / m2ing. com/ (accessed: Aug. 12 2024). [12] Drees & Sommer (2022) BIM-Monitor 2022/ 2023: Ist Deutschland bereit für die Digitalisierung im Bau? [online] Available: https: / / cdn.dreso.com/ fileadmin/ media/ 06_Presse/ Presseinformationen/ 20221213_PI_ BIM_Monitor22_23/ 20221213_PresseMeldung_ BIM_Monitor_2022_23.pdf (accessed: Aug. 12 2024). Instandsetzung, Ertüchtigung, Ersatz- und Rückbau 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 305 Verstärkung des Deckblechs orthotroper Fahrbahnplatten durch Aufkleben von Stahlblechen Dr.-Ing. Heinz Friedrich Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach Zusammenfassung Im vorliegenden Beitrag werden vier von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) initiierte und durchgeführte Projekte zur „Verstärkung des Deckblechs orthotroper Fahrbahnplatten durch Aufkleben von Stahlblechen“ beschrieben. Dabei handelt es sich um ein innovatives Instandsetzungsbzw. Verstärkungsverfahren, das darauf abzielt, die Durchbiegungen und Spannungen an den Schweißnähten zu reduzieren. Ein ausführlicher Bericht zu den durchgeführten Untersuchungen kann über die Schriftenreihe der BASt bezogen werden [1]. 1. Einleitung Ein Großteil der heute stehenden Stahlbrücken wurde in den 1960er Jahren errichtet, als man die Problematik der Materialermüdung noch nicht vorhergesehen hat. Seit Ende der 1990er Jahre ist bei diesen Bauwerken eine stetige Zunahme von Schäden zu verzeichnen, die durch die geringe Ermüdungsfestigkeit einzelner Konstruktionsdetails in Kombination mit erhöhten Beanspruchungen durch den wachsenden Schwerverkehr verursacht werden. Da Erweiterungsmaßnahmen, wie z. B. ein Ersatzneubau, sowohl mit hohen Kosten als auch mit langwierigen Genehmigungsverfahren verbunden sind, gilt es, den Bestand der vorhandenen Bauwerke nachhaltig zu sichern. In der Vergangenheit durchgeführte Reparaturen, die sich meist nur auf das Nachschweißen der schadhaften Stellen beschränkt haben, erwiesen sich im Nachhinein oft als kostspielige Maßnahmen, die in etlichen Fällen nicht zu dem erhofften Erfolg führten. Um auch bei weiter ansteigenden Ermüdungsbeanspruchungen eine hinreichende Restlebensdauer sicherzustellen, werden wirksame Konzepte und neue Lösungen für die Erhaltung von Stahlbrücken erforderlich. 2. Ziel Mit dem Lösungsansatz „Verstärkung des Deckblechs orthotroper Fahrbahnplatten durch Aufkleben von Stahlblechen“ soll eine Reduzierung der Durchbiegungen und Spannungen an den Schweißnähten erreicht werden. Die beabsichtigte Wirkung lässt sich jedoch nur erzielen, wenn es gelingt, eine vollflächige, kraftschlüssige und dauerhafte Verbindung zwischen dem vorhandenen Deckblech und den Verstärkungsblechen herzustellen. Während klassische Fügeverfahren wie Nieten, Schrauben oder Schweißen hierfür nur bedingt geeignet sind, lässt sich mit dem „Kleben“ eine gleichmäßige Spannungsbzw. Kraftverteilung über die gesamte Klebfläche erreichen. Die Abwicklung erfolgte in vier aufeinander bezogenen Projekten: • Numerische Untersuchungen, • Optimierung der Klebtechnologie, • Dauerfestigkeitsuntersuchungen, • Fugen- und Randausbildung. Das Ziel war es, den klebtechnischen Prozess auf die speziellen Rahmenbedingungen abzustimmen, die bei der Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten bestehen: 3. Numerische Untersuchungen Im Rahmen des Projekts „Numerische Untersuchungen“ wurden die Auswirkungen einer Verstärkung des Deckblechs von 12-mm auf 18-mm und auf 24-mm an dem Beispiel der orthotropen Platte der stählernen Rheinbrücke Duisburg-Neuenkamp numerisch untersucht. Die Modellierung der Belastung entspricht dem Ermüdungslastmodell 3 des Eurocodes 1. Für vier unterschiedliche Lastfälle wurden die örtlichen Durchbiegungen des Deckbleches zwischen den Kelchblechen, die Vergleichsspannungen im Deckblech und die Vergleichsspannung in der Schweißnaht zwischen Kelchblech und Deckblech bestimmt. Die erzielten Ergebnisse zeigen, dass die örtlichen Durchbiegungen und Spannungen der Fahrbahnplatte, sowie die Spannungen in der Schweißnaht zwischen dem Deckblech und den in Richtung der Fahrstreifen verlaufenden aussteifenden Blechen entscheidend vermindert werden können (Abb. 1). Damit ist der rechnerische Nachweis erbracht, dass die Verstärkung des Deckblechs eine sinnvolle Maßnahme ist, die orthotropen Platten bestehender Stahlbrücken nachhaltig instand zu setzen, um Risse im Fahrbahnbelag, im Deckblech und in der untersuchten Schweißnaht zu vermindern. Voraussetzung für eine Anwendung in der Praxis ist, dass der Verbund zwischen der bestehenden Fahrbahnplatte und dem verstärkenden Blech den Belastungen des Schwerverkehrs standhält. 306 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Verstärkung des Deckblechs orthotroper Fahrbahnplatten durch Aufkleben von Stahlblechen Abb. 1: Vergleich der örtlichen Durchbiegungen 4. Optimierung der Klebtechnologie Das vorrangige Ziel des Projekts „Optimierung der Klebtechnologie“ war es, den klebtechnischen Prozess auf die speziellen Rahmenbedingungen abzustimmen, die bei der Instandsetzung von orthotropen Fahrbahnplatten vorherrschen. Sowohl Klebstoff und Applikationsverfahren als auch die aufzuklebenden Bleche müssen im Hinblick auf einen erfolgreichen Praxiseinsatz bestimmte Anforderungen erfüllen. Diese Anforderungen wurden definiert, geeignete Produkte bzw. Verfahren ausgewählt, ein Versuchsprogramm erarbeitet und die entsprechenden Klebversuche durchgeführt. Im Rahmen des Projekts wurden 24 Probekörper mit den Abmessungen 1000 mm x 500 mm x 18 mm hergestellt. Die Klebungen erfolgten mit Epoxidharz-Klebstoffen, die für die Bauteilverstärkung mit Stahllamellen zugelassen sind. Die Probekörper unterscheiden sich durch die jeweilige Kombination der Bleche, Klebstoffe und Applikationsverfahren. Um die Klebflächen beurteilen und bewerten zu können, wurden die hergestellten Klebverbindungen nach einer ausreichend langen Aushärtezeit wieder getrennt. Anhand von Gegenüberstellung und Vergleichsbetrachtungen konnten Rückschlüsse und Empfehlungen für die Praxis abgeleitet werden. Das Hauptaugenmerk richtete sich dabei auf die Einflüsse von Blechgröße, Klebstoffen und Applikationsverfahren auf die erzielten Klebschichtdicken und die in Erscheinung getretenen Fehlstellen. Um die optimale Blechgröße zu ermitteln, wurden bei den Versuchen Bleche unterschiedlicher Länge und Breite verwendet. Aufgrund des relativ geringen Anteils an Fehlstellen auch bei den größeren Blechen sind für den späteren Praxiseinsatz Verstärkungsbleche mit Abmessungen von etwa 900 mm x 300 mm zu empfehlen. Für potenzielle Klebstoffe wurden bestimmte Anforderungen in Bezug auf den Gebrauchszustand und die Verarbeitbarkeit definiert. Die verwendeten Klebstoffe haben sich als tauglich erwiesen und kamen auch im Rahmen der Folgeprojekte zur Anwendung finden. Durch die Applikation des Klebstoffs mit unterschiedlichen Zahnspachteln wurden sowohl die Klebschichtdicke als auch der Anteil der Fehlstellen maßgeblich beeinflusst (Abb. 2). Die erarbeiteten Randbedingungen und Vorgaben für Bleche, Klebstoffe und Applikationsverfahren repräsentieren eine optimierte Lösung für den klebtechnischen Prozess bei der Deckblechverstärkung durch Aufkleben von Stahlblechen. Die gewonnenen Ergebnisse bilden sowohl eine wesentliche Grundlage für die Durchführung der Folgeprojekte als auch für eine Anwendung auf Stahlbrücken generell. Abb. 2: Relation zwischen Klebschichtdicke und Fehlstellen 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 307 Verstärkung des Deckblechs orthotroper Fahrbahnplatten durch Aufkleben von Stahlblechen 5. Dauerfestigkeitsuntersuchungen Ziel des Projekts „Dauerfestigkeitsuntersuchungen“ war es, sowohl die Existenz einer technologischen Dauerfestigkeit der für die Instandsetzung von orthotropen Fahrbahnplatten optimierten Klebverbindungen nachzuweisen als auch zu zeigen, dass das Niveau dieser Dauerfestigkeit ausreicht, um den Beanspruchungen infolge des Straßenverkehrs nachhaltig zu widerstehen. Für eine Beurteilung der Ergebnisse der Dauerfestigkeitsversuche sind Vergleichswerte aus den tatsächlich auftretenden Beanspruchungen infolge des Straßenverkehrs von orthotropen Fahrbahnplatten erforderlich. Um die maßgeblichen Werte zu ermitteln, wurden unterschiedliche Ansätze verfolgt: • Schlussfolgerungen aus einem Belastungskollektiv, das bei zurückliegenden Untersuchungen der BASt Projekte ermittelt wurde, • Gegenüberstellung unterschiedlicher Lastmodelle aus den gültigen Bemessungsvorschriften (DIN-EN 1991-2), • Betrachtung der aktuellen Entwicklung bei den Achslasten und bei den Lkw-Reifen. Im Rahmen der Dauerfestigkeitsprüfungen wurden 35 Probekörper in 5-Punkt-Biegezugversuchen an einer Hydropulsanlage getestet. Aus den aufgezeichneten Daten lassen sich die Durchbiegungen darstellen und die kritischen Lastwechselzahlen ermitteln. Für die weitere Versuchsauswertung wurden die geklebten Bleche mit Hilfe von Hammer und Meißel getrennt. Anschließend wurden die Klebflächen der Bleche fotografiert, die tatsächliche Klebschichtdicke bestimmt und der Anteil der Fehlstellen (d. h. die nicht verklebten Flächen) ermittelt. Abb. 3: Wöhler-Diagramm Anhand der gemessenen Durchbiegungen wird das große Potential der Verstärkung durch Aufkleben von Stahlblechen deutlich. Die Messwerte liegen um mehr als 60 % unter den rechnerisch ermittelten Durchbiegungen für Bleche ohne Verbund. Für alle getesteten Probekörper mit einem Fehlstellenanteil von weniger als 25 % sind die erzielten Lastwechselzahlen in einem Wöhler-Diagramm dargestellt (Abb. 3). Aufgrund der großen Spannbreite bei den erreichten Lastwechselzahlen wurde darauf verzichtet, aus diesen Werten eine Wöhler-Kurve zu generieren. Größere Abweichungen der Klebschichtdicke innerhalb eines Probekörpers scheinen sich negativ auf die Dauerfestigkeit der Klebverbindung auszuwirken. Das gleiche gilt für Probekörper mit einem hohen Anteil an Fehlstellen. Die erzielten Ergebnisse zeigen jedoch auch, dass es bei der Verwendung hinreichend ebener Bleche möglich sein sollte, die Abweichungen zu beschränken. Unter der Voraussetzung der vorgenannten Ausführungsqualität erreichen sämtliche bei einer Oberlast von 60 kN getesteten Probekörper eine Anzahl von 10 7 Lastwechseln schadlos. Die Versuchsergebnisse liegen selbst gegenüber dem extremen, theoretischen Lastfall des Lastmodells 1 (55,5 kN) auf der sicheren Seite. Gegenüber den maximalen praxisrelevanten Werten (44 kN) beträgt der Abstand 16 kN bzw. 36 %. Gegenüber dem Ermüdungslastmodell 3 (22,2 kN) beträgt der Abstand 37,7 kN bzw. 63 %. Im Rahmen des Projekts konnte nachgewiesen werden, dass sich mit dem Fügeverfahren Kleben dauerfeste Verbindungen herstellen lassen. Die erzielten Ergebnisse zeigen, dass sich die zwischen den Längsrippen auftretenden Durchbiegungen durch aufgeklebte Bleche signi- 308 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Verstärkung des Deckblechs orthotroper Fahrbahnplatten durch Aufkleben von Stahlblechen fikant reduzieren lassen. Unter einer Belastung von 60 kN verringert sich die Durchbiegung bei einem 12 mm Blech von 1,3 mm durch das Aufkleben eines 6-mm-Verstärkungsblechs auf unter 0,4 mm (Abb. 4). Somit verfügt diese Verstärkungsmaßnahme über das Potential, die Entwicklung von Kategorie-1-Schäden - zumindest für einige Jahre - deutlich zu reduzieren. Zur Gewährleistung der entsprechenden Ausführungsqualität werden Grenzwerte für zulässige Toleranzen für den Anteil der Fehlstellen sowie für die Abweichungen der Klebschichtdicke vorgestellt. Damit ist die grundsätzliche Anwendbarkeit der Variante „Verstärkung durch Aufkleben von Stahlblechen“ nachgewiesen. Abb. 4: Durchbiegungen bei 60 kN 6. Fugen- und Randausbildung Gegenüber den durchgeführten Dauerfestigkeitsuntersuchungen sind in der Praxis Unstetigkeitsstellen in Form von Fugen und Randabschlüssen vorhanden, die eine gesonderten Untersuchung und Bewertung erforderlich machen (Abb. 5). Zu diesem Zweck werden verschiedene Varianten konzipiert, um deren Tauglichkeit anhand praxisnaher Dauer-Schwell-Biege-Versuche nachzuweisen. Dabei unterscheiden sich die Position der Fugen bzw. der Randabschlüsse sowie die Form der Randabschlüsse. Im Rahmen des Projekts wurden 24 Probekörper (je Variante 4 Stück) hergestellt und in 5-Punkt-Biegeversuchen getestet. Aus den aufgezeichneten Daten lassen sich die Durchbiegungen darstellen und die kritischen Lastwechselzahlen ermitteln. Für die weitere Versuchsauswertung wurden die geklebten Bleche mit Hilfe von Hammer und Meißel getrennt. Anschließend wurden die Klebflächen der Bleche fotografiert, die tatsächliche Klebschichtdicke bestimmt und der Anteil der Fehlstellen (d. h. die nicht verklebten Flächen) ermittelt. Die erzielten Ergebnisse zeigen, dass lediglich geringfügige Unterschiede zwischen den vergleichbaren Varianten bestehen. Die bei den Probekörpern mit Fugen ermittelten Durchbiegungen passen zu den Werten, die sich für die Probekörper ohne Fugen ergeben haben. Auch die erreichten Lastwechselzahlen liegen in einem sehr ähnlichen Bereich wie die bei den fugenlosen Probekörpern im Rahmen der Dauerfestigkeitsuntersuchungen ermittelten Werten. Bei den Probekörpern mit Randabschluss werden infolge der geringeren Fläche der Verstärkungsbleche tendenziell größere Durchbiegungen und etwas niedrigere Lastwechselzahlen erreicht. Weder bei der Position, noch bei der Form des Randabschlusses lässt sich ein signifikanter Einfluss auf die erreichten Lastwechselzahlen erkennen (Abb. 6). 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 309 Verstärkung des Deckblechs orthotroper Fahrbahnplatten durch Aufkleben von Stahlblechen Abb. 5: Fugen- und Randausbildung: Restspalte werden mit Grundierungsmaterial gefüllt (Prinzipskizze) Abb. 6: Probekörper mit Randabschluss: erreichte Lastwechselzahl in Relation zur Klebschichtdicke 90° Stufe über der Steife 20° Schräge über der Steife 90° Stufe im Feldbereich 20° Schräge im Feldbereich Die bei den Dauerfestigkeitsuntersuchungen vorgestellten Grenzwerte für den Anteil der Fehlstellen sowie für die Abweichungen der Klebschichtdicke können bestätigt werden. Zusammenfassend betrachtet, konnte gezeigt werden, dass die Dauerhaftigkeit der Klebverbindung weder durch Fugen noch durch Randabschlüsse besonders beeinträchtigt wird. Für die Position von Fugen und Randabschluss ergeben sich keine Einschränkungen. Der Randabschluss kann ggfs. mit einer 90° Stufe erfolgen. 310 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Verstärkung des Deckblechs orthotroper Fahrbahnplatten durch Aufkleben von Stahlblechen 7. Fazit Mit den erzielten Ergebnissen ist die Anwendbarkeit der Verstärkung des Deckblechs orthotroper Fahrbahnplatten durch Aufkleben von Stahlblechen labortechnisch nachgewiesen. Wesentliche Grundlagen und Empfehlungen für erste Pilotanwendungen stehen zur Verfügung. Literatur [1] Heinz Friedrich Verstärkung orthotroper Fahrbahnplatten durch Aufkleben von Stahlblechen Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Brücken- und Ingenieurbau; Heft B 187 Wirtschaftsverlag NW Bergisch Gladbach Februar 2023 ISSN 0943-9293 ISBN 978-3-95606-719-8 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 311 Statisch-konstruktive Fragestellungen bei der Bewertung und dem Rückbau von Bestandsbrücken aus Spannbeton Dr.-Ing. Jan Lingemann Büchting + Streit AG, München Dipl.-Ing. Stephan Sonnabend Büchting + Streit AG, München Zusammenfassung Der aktuelle Brückenbestand in Deutschland zeigt u. a. aufgrund des Alters der Bauwerke, der stark gestiegenen Verkehrslasteinwirkungen, des starken Einsatzes von Salz als Taumittel und aufgrund von Abweichung heutiger Bemessungsvorschriften zu früheren Regelwerken teilweise Mängel hinsichtlich des Bauwerkszustands und teilweise auch Defizite hinsichtlich der rechnerischen Tagfähigkeit. Im Zuge des Erhalts der Verkehrsinfrastruktur wurden bereits mehrere Brücken durch Neubauten ersetzt und auch in Zukunft werden Ersatzneubauten notwendig werden. Der hierbei erforderliche Rückbau von Großbrücken stellt eine komplexe Aufgabe dar. Im vorliegenden Beitrag werden ausgewählte statische Besonderheiten beim Rückbau von Großbrücken erläutert und Erfahrungen aus zurückliegenden Projekten aufgezeigt. 1. Einführung Ein großer Teil der im Bereich der Bundesfernstraßen bestehenden Brückenbauwerke in Deutschland hat aktuell ein Alter von 40 bis 60 Jahren erreicht [1]. Das durchschnittliche Alter der bestehenden Eisenbahnüberführungen in Deutschland ist noch höher [2]. Aufgrund des Alters der Bauwerke hat die Frage der Bewertung des Zustands sowie der Tragfähigkeit von bestehenden Brückenbauwerken in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Bei den Brücken im Bereich der Bundesfernstraßen haben unter anderem die Verkehrslasteinwirkungen seit Mitte der 1950erJahre sowohl hinsichtlich der Fahrzeuggewichte als auch hinsichtlich der Verkehrszahlen stetig zugenommen [1]. Weitere Faktoren sind der (etwa seit den 1960erJahren) verstärkte Einsatz von Salz als Taumittel, die früher teilweise unzureichende Berücksichtigung von Zwangseinwirkungen sowie nach heutigem Kenntnisstand konstruktive bzw. materialtechnische Mängel der Bestandsbauwerke. Dies schlägt sich auch in den Zustandsnoten der Bauwerke nieder. Auswertungen der Zustandsnoten des Brückenbestands im Bereich der Bundesfernstraßen zeigen, dass sich der Zustand der Bauwerke über die Zeit tendenziell verschlechtert [3]. Seit dem Jahr 2015 ist der Anteil der „sehr gut“ oder „gut“ bewerteten Bauwerke etwa konstant geblieben, was auf die begonnenen Maßnahmen zur Brückenmodernisierung zurückgeführt wird. Bei einzelnen, teilweise prominenten Bauwerken waren jedoch aufgrund der bei Bauwerksprüfungen und ergänzenden Nachrechnungen festgestellten Defizite bereits starke Verkehrseinschränkungen oder sogar Vollsperrungen notwendig [4, 5]. Neben dem Bauwerkszustand ist die Tragfähigkeit der entscheidende Faktor hinsichtlich der Beurteilung des Bauwerksbestands. Zur einheitlichen Bewertung wurde hierfür der Traglastindex eingeführt [6]. Dieser ergibt sich aus dem Verhältnis der Soll zur IstTragfähigkeit des jeweiligen Bauwerks. Auswertungen des Traglastindexes aus dem Jahr 2022 [7] zeigen, dass bis zum Jahr 2035 ca. 70-% des aktuellen Brückenbestands (bezogen auf die Bauwerksfläche) nachgerechnet werden müssen. Zur strukturierten Bearbeitung dieser Aufgabe wurde bereits im Jahr 2010 von der Bundesanstalt für Straßenwesen BASt eine Liste der vordringlich zu untersuchenden Bauwerke veröffentlicht [8]. Hinsichtlich der Priorisierung von Nachrechnungen löst der neu eingeführte Traglastindex die BAStListen ab. Frühere Auswertungen der BAStListen zeigen jedoch, dass es sich bei ca. 70-% der nachzurechnenden Brücken um Großbrücken handelt (Länge > 100- m). Ein Großteil dieser Bauwerke sind Spannbetonbrücken. Vor dem Hintergrund, dass sich bei zahlreichen Bauwerken in der Nachrechnung Defizite hinsichtlich der Tragfähigkeit zeigen [9], wird deutlich, dass in Zukunft im Zuge der Erhaltung der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland der Rückbau bzw. der Ersatzneubau von zahlreichen bestehenden Großbrücken zu erwarten ist. Die bereits vorliegenden Erfahrungen aus dem Rückbau von großen Brückenbauwerken zeigen, dass es sich hierbei um eine sehr komplexe Aufgabe handelt, bei der hohe Anforderungen an die beteiligten Bauherren, Planer sowie an die ausführenden Firmen gestellt werden [1012]. Im vorliegenden Beitrag werden daher ausgewählte, häufig auftretende statische Fragestellungen beim Rückbau von großen Spannbetonbrücken erläutert. Der vorliegende Beitrag basiert auf einem bereits in der Zeitschrift Beton- und Stahlbetonbau veröffentlichten Aufsatz [11]. 312 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Statisch-konstruktive Fragestellungen bei der Bewertung und dem Rückbau von Bestandsbrücken aus Spannbeton. 2. Häufige Fragestellungen beim Rückbau von Großbrücken 2.1 Abschnittsweiser Rückbau Der Rückbau von kleineren Brückenbauwerken (z.- B. Straßen und Wegeüberführungen) ist heute eine fast alltägliche Aufgabe im Zuge des Unterhalts und der Erhaltung des Straßennetzes. Die Überbauten kleinerer Bauwerke werden dabei innerhalb relativ kurzer Sperrpausen (z.-B. innerhalb eines Wochenendes) vollständig zurückgebaut. Eine Rückbaumaßnahme umfasst dabei im Allgemeinen die Sperrung bzw. Verkehrssicherung, die Sicherung der Fahrbahn sowie evtl. sonstiger zu erhaltender Konstruktionen, die Durchführung des Rückbaus selbst, die Bearbeitung und den Abtransport der Rückbaumaterialien sowie die Reinigung und Verkehrsfreigabe der unter dem ehemaligen Bauwerk befindlichen Fahrbahn. Sofern der untenliegende Verkehrsweg für den Rückbau nicht vollständig gesperrt werden kann oder darf, oder wenn das zurückzubauende Überführungsbauwerk zu groß ist, um es innerhalb einer vorgesehenen Sperrpause zurückzubauen, dann kann ein abschnittsweiser Rückbau des Überbaus sinnvoll sein. Hierbei wird z.-B. der Teil des Bestandsbauwerks, der eine Richtungsfahrbahn überspannt, zurückgebaut, während der Abschnitt über der zweiten Richtungsfahrbahn vorerst bestehen bleibt und der Verkehr unter diesem Teil aufrechterhalten wird. Nachdem der erste Abschnitt des Bestandsbauwerks zurückgebaut ist, wird der Verkehr unter dem zweiten Abschnitt auf die nun nicht mehr überbaute erste Richtungsfahrbahn umgelegt und anschließend der zweite Abschnitt des Bestandsbauwerks zurückgebaut. In statischer Hinsicht ist hierbei zu beachten, dass für das Bauwerk im teilrückgebauten Zustand eine ausreichende Tragfähigkeit nachzuweisen ist (vgl. auch Abschn. 2.4). Bei Großbrücken ist - sofern der Rückbau nicht durch Sprengung erfolgt - in der Regel ebenfalls ein abschnittsweiser Rückbau erforderlich. Beim abschnittsweisen Rückbau wird das Längssystem des Überbaus in Rückbauabschnitte unterteilt, die sukzessive zurückgebaut werden (Abb.- 1). Durch die Einteilung von Rückbauabschnitten lässt sich wie auch beim Neubau eine effiziente Abwicklung der Baumaßnahmen sicherstellen und der Einsatz von evtl. erforderlichen Traggerüstkonstruktionen minimieren. Beim abschnittsweisen Rückbau müssen die jeweils noch nicht zurückgebauten Abschnitte noch eine ausreichende Tragfähigkeit aufweisen, solange sie Teil des tragenden statischen Systems sind bzw. nicht durch Hilfskonstruktionen unterstützt oder anderweitig gesichert sind. Im Zuge der Planung sind daher sämtliche relevanten Rückbauzustände zu untersuchen. Zu beachten ist die Veränderung der Schnittgrößen des Längssystems beim abschnittsweisen Rückbau. Im Nutzungszustand ist da statische System in Längsrichtung i.d.R. ein Durchlaufträger. Beim Rückbau wird ein Innenfeld des Durchlaufträgers zum Endfeld, wobei der Überbau i.d.R. über den letzten Pfeiler auskragt. In diesem Zustand wirkt am letzten Pfeiler nur das Kragmoment. Dieses ist i.d.R. deutlich kleiner als das Stützmoment im Nutzungszustand. In der Folge können bereits in geringem Abstand zum letzten Pfeiler in Bereichen, die im Nutzungszustand negative Momente erfahren haben, bereits positive Momente auftreten. Dieser Nachweis kann im Rückbauzustand maßgebend werden. Abb.-1: Abschnittweiser Rückbau des Überbaus der Talbrücke Unterrieden auf Vorschubrüstung Wenn die Rückbauabschnitte so gewählt werden können, dass sie den Bauabschnitten der Herstellung des Bauwerks entsprechen, werden die damaligen Bauzustände des Bauwerks bei Rückbau in umgekehrter Reihenfolge nachvollzogen. Da das Bauwerk für die Beanspruchungen aus den ursprünglichen Bauzuständen ausgelegt ist, können die Einwirkungen aus dem Eigengewicht der Konstruktion in den Rückbauzuständen in der Regel aufgenommen werden. Einwirkungen, die in den ursprünglichen Bauzuständen nicht wirksam waren, müssen jedo