eJournals Brückenkolloquium 4/1

Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
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2020
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Beurteilung des Tragvermögens einer bestehenden Stahlbeton-Brücke mit korrodierter Bewehrung

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2020
Ivan Markovic
Alexander Kagermann
Die vorliegende Arbeit fasst die Ergebnisse der Untersuchungen einer bestehenden Strassenbrücke aus Stahlbeton (Baujahr 1966) mit lokal korrodierten Bewehrung zusammen. Es handelt sich um ein Rahmentragwerk aus Stahlbeton mit einer Spannweite von 12 m und einer Breite von ca. 22 m auf einer sehr stark befahrenen Kantonsstrasse. Die Untersuchungen umfassten eine detaillierte Zustandserfassung der Brücke, eine statische Überprüfung mit linear-elastischen und nicht-linearen Stoffgesetzen, sowie diverse weiterführende Überlegungen zum aktuellen Zustand der Brücke. Die statische Nachrechnung mit linearer-elastischen Stoffgesetzen zeigt, dass die Tragsicherheitsnachweise auf Biegung und Querkräfte bei einem intakten (nicht-korrodierten) Zustand der Bewehrung knapp erfüllt sind. In der Wirklichkeit sind aber sowohl die Schubbügel als auch die untere Biegebewehrung mässig bis stark korrodiert. Aus diesem Grund wurde die Brücke in anschliessend in 3D mit nicht-linearer FEM modelliert und berechnet. Dabei wurde auch die Korrosion der Bewehrung mitmodelliert. Anschliessend wurde die Tragsicherheit der Brücke für verschiedene Szenarien der Bewehrungskorrosion ausgewertet.
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4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 27 Beurteilung des Tragvermögens einer bestehenden Stahlbeton-Brücke mit korrodierter Bewehrung Prof. Dr. Ivan Markovic, dipl. Bauing. TU/ SIA IBU Institut für Bau und Umwelt, HSR Hochschule für Technik Rapperswil, Rapperswil, Schweiz Dr. Alexander Kagermanov, dipl. Bauing. TU IBU Institut für Bau und Umwelt, HSR Hochschule für Technik Rapperswil, Rapperswil, Schweiz Zusammenfassung Die vorliegende Arbeit fasst die Ergebnisse der Untersuchungen einer bestehenden Strassenbrücke aus Stahlbeton (Baujahr 1966) mit lokal korrodierten Bewehrung zusammen. Es handelt sich um ein Rahmentragwerk aus Stahlbeton mit einer Spannweite von 12 m und einer Breite von ca. 22 m auf einer sehr stark befahrenen Kantonsstrasse. Die Untersuchungen umfassten eine detaillierte Zustandserfassung der Brücke, eine statische Überprüfung mit linear-elastischen und nicht-linearen Stoffgesetzen, sowie diverse weiterführende Überlegungen zum aktuellen Zustand der Brücke. Die statische Nachrechnung mit linearer-elastischen Stoffgesetzen zeigt, dass die Tragsicherheitsnachweise auf Biegung und Querkräfte bei einem intakten (nicht-korrodierten) Zustand der Bewehrung knapp erfüllt sind. In der Wirklichkeit sind aber sowohl die Schubbügel als auch die untere Biegebewehrung mässig bis stark korrodiert. Aus diesem Grund wurde die Brücke in anschliessend in 3D mit nicht-linearer FEM modelliert und berechnet. Dabei wurde auch die Korrosion der Bewehrung mitmodelliert. Anschliessend wurde die Tragsicherheit der Brücke für verschiedene Szenarien der Bewehrungskorrosion ausgewertet. 1. Aufgabenstellung und Lösungsansatz Die vorliegende Arbeit beschreibt die Untersuchungen der Hochschule für Technik Rapperswil [HSR] im Zusammenhang mit der Brücke Nr. N1-220a im Kanton Aargau, Schweiz. An der Brücke wurde zuerst eine umfangreiche Zustandserfassung durchgeführt. Ausserdem wurde die Brücke in statischer Hinsicht mit lineare und nicht lineare FEM Berechnungen überprüft. Die Zustandserfassung hat gezeigt, dass an der Oberseite der Brücke von einem grösstenteils guten Zustand ausgegangen werden kann. Die Korrosionswahrscheinlichkeit im Fahrbahnbereich ist gering. Einzig bei den seitlichen Konsolenköpfen sind erhöhte Chlorid-Konzentrationen vorhanden, was das Korrosionsrisiko verstärkt. Die Untersuchungen an der Unterseite der Brücke haben diverse Stellen zum Vorschein gebracht, an welchen der Beton abgeplatzt ist und die Bewehrung sichtbar und korrodiert ist. Insbesondere sind die Schubbügel kritisch und bei einzelnen Spitzstellen kamen deutliche Querschnittsreduktionen zum Vorschein. Die Druckfestigkeitsprüfungen an mehreren Bohrkernen ergaben die Festigkeitswerte in der Grössenordnung von 70 - 90 N/ mm 2 . Der verwendete Bewehrungsstahl kann nicht eindeutig identifiziert werden, es besteht jedoch die Möglichkeit, dass bei genaueren Untersuchungen eine deutlich höhere Stahlspannung angesetzt werden könnte, als die Zugspannung nach der SIA 269/ 2 (Schweizer Erhaltungsnorm für Betonbau) Die linear-statischen Berechnungen wurden mit aktualisierten Materialkennwerten gem. SIA 269 durchgeführt. Bei den nicht-linearen FE-Berechnungen wurden zusätzlich der Einfluss von Korrosion in der unteren Längsbewehrungslage sowie eine ungenügende Bügelverankerung untersucht. 2. Beschreibung des Bauwerks Die Brücke N1-220a wurde im Jahr 1965/ 1966 geplant und gebaut. Die Brücke verbindet die Ortschaften Suhr und Oberentfelden und wird vom Autobahnzubringer Aarau West unterquert. Die Konstruktion besteht aus zwei durch eine Konstruktionsfuge getrennte Rahmentragwerke mit biegesteifen Ecken und seitlichen Widerlagerflügel. Zur Reduktion des Eigengewichts wurden in der ca. 1.20 m dicke Brückenplatte Cofratol-Rohre eingelegt. 28 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Beurteilung des Tragvermögens einer bestehenden Stahlbeton-Brücke mit korrodierter Bewehrung Abbildung 1: N1-220a -Brücke in Aargau: Ansicht (Spannweite der Brücke = ca. 12 m) Abbildung 2: N1-220a -Brücke in Aargau: Grundriss (Gesamtbreite der Brücke = ca. 22 m) Das Objekt wurde im Jahr 2012 im Rahmen der dritten Hauptinspektion durch das Tiefbauamt vom Kanton Aargau untersucht. Im Inspektions-bericht wird das Objekt der Zustandsklasse 3 [ZK 3] zugeordnet. Dies bedeutet, dass sich die Brücke in einem schadhaften Zustand befindet. Die hierbei verwendete Einordung ist folgendermassen definiert: Tabelle 1: Einordnung der Zustandsklassen beim schadhaften Zustand Klasse Zustand ZK 1 Gut ZK 2 Annehmbar ZK 3 Schadhaft ZK 4 Schlecht ZK 5 Alarmierend Die Zustandsklasse 3 bedeutet, dass gewisse Bauteile kurz-/ bis mittelfristig ersetzt oder instandgesetzt werden müssen. Es wurden folgende Bauteile einer schadhaften bis schlechten Zustandsklasse zugeordnet: Tabelle 2: Zustandsklasse je nach Bauteil mit Empehlung für Instandsetzungsmassnahme Bauteil Material Empfehlung Brückenplatte Stahlbeton Instandsetzung Konsolenköpf Stahlbeton Instandsetzung Belag Gehweg Gussasphalt Ersatz Fahrbahnbelag Gussasphalt Ersatz Randabschlüsse Andere Bauart Instandsetzung Die Fahrbahn ist auf dem grössten Teil eigener Fläche gar nicht abgedichtet (nur in den Randbereichen ist Abdichtungs-Ölpapier vorhanden). Der Bericht der dritten Hauptinspektion zeigt, dass sich der Zustand einiger Bauteile gegenüber der vorgängigen Inspektion (2. Hauptinspektion im Jahr 2007) verschlechtert hat. Da seit diesem Bericht nur geringe Massnahmen durchgeführt wurden, kann davon ausgegangen werden, dass sich der Zustand seit 2012 weiter verschlechtert hat. 3. Zustandserfassung Die Zustandserfassung gliederte sich in folgende Teilbereiche: (i) Oberseite der Brücke, (ii) Brückenuntersicht, (iii) Widerlager. Die Oberseite wurde lokal mittels Belagsfenster untersucht. Die Brückenuntersicht und die Widerlager waren ab Fahrbahnebene von einer Seite her vollflächig zugänglich. Der Bereich der Widerlager konnten nicht eingesehen werden. 3.1 Oberseite der Brücke Die Oberseite der Brücke ist aufgrund Untersuchungen in den Belagsfenstern in einem guten Zustand. Die Bewehrungsüberdeckung beträgt von 50 bis 70 mm. Die vorgefundene Bewehrung zeigt, abgesehen von leichtem Flugrost, keine Anzeichen von Korrosion. Es ist aufgefallen, dass Bewehrungseisen mit unterschiedlicher Rippen vorhanden sind. Eine Fahrbahnabdichtung aus speziellem Ölpapier ist nur im Bereich vom Übergang zwischen Fahrspur und Trottoir, entlang den Randsteinen vorhanden. Die Chlorid-Messungen an den Konsolenköpfen zeigen an einigen Stellen kritische Chloridgehalte bis in eine Tiefe von ca. 30mm auf. Aufgrund der Georadarmessungen kann davon ausgegangen werden, dass die Cofratol-Rohre gemäss den Bestandesplänen verlegt wurden. Es kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass einzelne Rohre mit Wasser gefüllt sind. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 29 Beurteilung des Tragvermögens einer bestehenden Stahlbeton-Brücke mit korrodierter Bewehrung Abbildung 3: Oberseite der Brücke mit Resultaten Potenzialmessung. Tiefste Werte mit einem Potenzial <-300mV sind als Lila dargestellt. 3.2 Brückenuntersicht An der Brückenuntersicht sind an diversen Stellen Abplatzungen sichtbar, wodurch die Bewehrung freigelegt ist. Insbesondere die Schubbügel sind von diesen Abplatzungen betroffen. Die Abplatzungen sind zu einem grossen Teil im Bereich der Brückenränder konzentriert. Auch Risse und weisse bzw. hell graue Verfärbungen im Beton können an diversen Stellen beobachtet werden. Die Biegebewehrung in der Haupttragrichtung liegt in den Schubbügeln und hat somit eine grössere Bewehrungsüberdeckung. Diese Bewehrungsstäbe wurden in den Spitzstellen intakt, respektive mit nur sehr geringen Querschnittreduktionen angetroffen. Es kann von einer grösstenteils intakten Biegebewehrung ausgegangen werden. Die Bewehrungsüberdeckung der Bügel-/ und Querbewehrung ist lokal sehr gering (bei Abplatzungen praktisch gleich Null). Die Carbonatisierungstiefe liegt meist zwischen 5-10mm, lokal ist die Carbonatisierung aber auch bis auf 15-20mm Tiefe vorgedrungen. Zusammen hat das Ganze dazu geführt, dass die Bewehrung in einzelnen Bereichen mittel bis stark korrodiert ist und teilweise bereits deutliche Querschnittsreduktionen beobachtet werden können. Die Chloridprüfungen haben an der Brückenuntersicht keine kritischen Chloridbelastungen ergeben. Dies würde darauf schliessen, dass die Korrosion primär auf die Carbonatisierung zurückzuführen ist. Die Untersuchungen von 2012 zeigten aber, dass an einzelnen Stellen (vor allem an Feuchtstellen an der Brückenuntersicht) sehr wohl kritische Chlorideinträge bis in eine Tiefe von 30mm vorhanden sind. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass lokal über längere Zeit undichte Stellen vorhanden waren, welche deutlich messbare Chlorideinträge hinterlassen haben. Obwohl ein Teil vom Deckbelag 2016 ersetzt wurde und die tiefsten Punkte der Brücke nicht auf ein akutes Dichtigkeitsproblem hinweisen, sind an der Untersicht immer noch Verfärbungen unbekannter Herkunft vorhanden. Die Potenzialfeld-Messungen der Bewehrung zeigen lokal sehr tiefe Potenziale und die Spitzfenster zeigen deutlich, dass die Bügelbewehrung in diesen Bereichen bis zu einem wesentlichen Grad korrodiert ist. Es besteht somit in Bereichen mit tiefen Potenzialen (~≤ -200mV) eine hohe Korrosionswahrscheinlichkeit. Abbildung 4: Übersicht der Korrosionswahrscheinlichkeit an der Brückenuntersicht (als Kombination zwischen vorhandenen Bewehrungsüberdeckung und Potentialfeldmessungen). Die Druckfestigkeitsprüfungen auf den Bohrkernen ergab durchs Band sehr hohe Festigkeitswerte (Mittelwert ~70 N/ mm²). Es kann von einer guten bis sehr guten Betonqualität ausgegangen werden. Eine Überlagerung der Resultate der Bewehrungs-Überdeckungsmessungen und der Potentialfeldmessungen ergibt eine Grafik mit Korrosionswahrscheinlichkeit und zwar in 4 Stufen (kleine, mittlere, erhöhte und hohe Korrosionswahrscheinlichkeit). Insbesondere dem Bereich mit hoher Korrosionswahrscheinlichkeit (rot) ist besondere Beachtung zu schenken. 3.3 Brückenwiderlager An den Brückenwiderlagern sind vereinzelte Abplatzungen sichtbar und zwar vor allem in den unteren Bereichen direkt neben der Strasse. Materialübergänge zeigen, dass kleinere Widerlagerbereiche bereits im Verlauf der Jahre saniert worden sind. Auf den Widerlagerwänden sind diverse feine vertikale Risse und grössere Bereiche mit Kiesnestern zu erkennen. Die Überdeckungsmessungen zeigen, dass geringe Bewehrungsüberdeckungen nur 30 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Beurteilung des Tragvermögens einer bestehenden Stahlbeton-Brücke mit korrodierter Bewehrung lokal anzutreffen sind. Die meisten Bereiche vom Widerlager haben Bewehrungsüberdeckungen von >35mm. Die Potenzialmessungen zeigen insbesondere auf Fahrbahnhöhe tiefe Potenziale. Dies ist insofern plausibel, da in diesem Bereich ein erhöhter Anteil von chloridhaltigem Spritzwasser zu erwarten ist. Die entnommenen Bohrmehlproben zeigen kritische Chloridgehalte bis in eine Tiefe von ca. 40mm. Einzelne Bewehrungseisen in Spitzfenstern waren leicht korrodiert. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass an den Widerlagern auf Fahrbahnhöhe eine erhöhte Korrosionswahrscheinlichkeit vorhanden ist. Es gilt hierbei festzuhalten, dass es in einem nächsten Schritt wichtig wäre, Aufschluss über den Bereich zwischen Fahrbahn und Widerlagerfuss zu erhalten. 4. Statische Berechnungen 4.1 Berechnungen mit linear-elastischen Baustoff-Gesetzen Für die statischen Berechnungen mit linear-elastischen Baustoffgesetzen wurde das Tragwerk als Rahmentragwerk mit einer Platte und zwei Widerlagerwänden modelliert, wobei die Platte aufgrund der vorhandenen Cofratol-Rohre ein orthotropes Tragverhalten aufweist (siehe Abbildung 5). Ein relevanter Punkt besteht bei der Fuss-Einspannung vom Widerlager. Je stärker der Fuss eingespannt ist, desto steifer wird der Rahmenstiel und desto grösser wird auch das Einspannmoment zwischen Rahmenstiel und Brückenplatte. Für die Berechnungen wurde eine geringe Einspannung modelliert, welche sich aus einer abgeschätzten Bettungsziffer für das Widerlagerfundament berechnet. Die Berechnung wurde ohne bzw. ohne Baugrund-Bauwerksinteraktion durchgeführt, es wurde lediglich Erdruhedruck als seitliche Belastung auf Widerlagerwände verwendet. Die Tragsicherheits-Nachweise erfolgten vereinfacht unter der Annahme einer intakten (nicht-korrodierten) Bewehrung und einer korrekten konstruktiven Durchbildung der Bewehrung, insbesondere der Schubbügel. Keiner dieser beiden Bedingungen war am Bauwerk tatsächlich erfüllt. Die Lastmodelle sind mit aktualisierten Werten gemäss SIA 269/ 1 aufgeführt. Auf die ungenügende Verankerung der Bügelbewehrung wird im Abschnitt 4.2 näher eingegangen. Der Lastfall Temperatur wurde in der statischen Überprüfung nicht berücksichtigt Abbildung 5: Darstellung relevanter Nachweisschnitte für die statische Berechnung Abbildung 6: Erfüllungsgrad Tragsicherheitsnachweise am Tragwerk unter der Annahme einer nicht-korrodierten Bewehrung und einer korrekten konstruktiven Durchbildung der Schubbügel (*EG: Erfüllungsgrad, falls EG > 1.00 ist der entsprechende Tragsicherheitsnachweis erfüllt) Die Tragsicherheitsnachweise sind zwar gemäss der statischen Überprüfung am ialle erfüllt, trotzdem sind aus den folgenden Gründen weiterführende Überlegungen notwendig: • Die Schubbügel sind nicht korrekt verankert. Falls man die tatsächlich vorhandene Bügelverankerung berücksichtigt, erhalten wir einen Erfüllungsgrad für die Querkraft von ca. 0.65, was deutliche Defizite der Tragsicherheit bedeutet. • Die Schubbügel sind insbesondere am Brückenrand und in der Feldmitte zum Teil stark korrodiert. • Die untere Seite der Brückenplatte zeigte hohes Korrosionsrisiko. Die Biegebewehrung war auch zum Teil korrodiert. • Die Schnittkräfte aus einer linear elastischen Berechnung sind unrealistisch, da das Model keine Rissbildung und plastische Kraftumlagerung berücksichtigt. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 31 Beurteilung des Tragvermögens einer bestehenden Stahlbeton-Brücke mit korrodierter Bewehrung • Zusätzliche Tragreserven z.B. infolge Membranwirkung und seitlichen Erddruck sind nicht berücksichtigt. Diese können den Biege- und Schubwiderstand deutlich erhöhen. Um diese Punkte zu untersuchen wurden weitere Untersuchungen mit nicht linearen FEM entwickelt. 4.2 Nicht lineare FE Berechnungen Für die nicht lineare FE Berechnungen wurde das inhouse FE-Software IDEEA der HSR verwendet. Die Brücke wurde mit Schalenelementen modelliert, die sich auf einem geschichteten Scheibenmodel für gerissenen Beton basieren. Aus den Scheiben- und Plattenschnittkräften n, m und v werden die Normal- und Schubspannungen an jedem Schicht ermittelt. Diese werden anhand von Materialgesetzen aus den zugehörigen Dehnungen und Verzerrungen ermittelt. Abbildung 7: Geschichtete Schalenelement: Schnittgrössen und Membrane-Spannungen Ständige Lasten infolge Eigengewicht, Auflast und beidseitigem Erddruck sind als konstant definiert während die Verkehrslast inkrementell bis zum Versagen gesteigert wird. Die kritische Anordnung der Achslasten ergab sich in Feldmitte am Rand der Brückenplatte. Die anderen untersuchten Laststellen ergaben grössere Traglasten. Bei einer Laststellung in Feldmitte in der Mitte der Brückenplatte z.B. ergibt sich ein duktiles Biegeversagen mit Fliessen der unteren Biegezugbewehrung und bei einer Laststellung am Rand eher spröde auf Grund von Druckbiegeversagen. Abbildung 8: Last-Verschiebungs-Kurven und Bruchmechanismen unter Verkehrslast für verschiedene Laststellungen (am Fahrbahn-Rand links von der Feldmitte; in der Mitte der Fahrbahn in der Mitte der Spannweite; am Fahrbahn-Rand in der Mitte der Spannweite Eine gleichmässige Querschnittsreduktion der Biegezugbewehrung an der Unterseite der Brückenplatte entlang einer Breite von ca. 2.5m gem. Felduntersuchungen wurde angenommen. Da keine Messungen des korrodierten Stabdurchmessers vor Ort aufgenommen wurden, wurden hier drei unterschiedliche Korrosionsszenarien betrachtet: (i) geringe Korrosion mit einer Korrosionsrate von 1μA/ cm 2 , (ii) mässige Korrosion mit einer Korrosionsrate von 5μA/ cm 2 und (iii) starke Korrosion mit einer Korrosionsrate von 10μA/ cm 2 . Diese Werte entsprechen den Werten, die an Stahlbetonbauwerken gemessen wurden. Unter der Annahme einer konstanten Korrosionsrate kann der Querschnittsverlust in Abhängigkeit der Zeit im Betreib abgeschätzt werden. Eine Abminderung der Fliessgrenze, Bruchdehnung und Zugfestikgeit infolge Lochfrasskorrosion wurde wie folgt Berücksichtigt: wobei f y,o, f y,c, f u,o, f u,c, ε u,o, ε u,c sind nicht korrodierte und korrodierte Werte der Fliessgrenze, Zugfestigkeit und Bruchdehnung. Die empirischen Parameter wurden an- 32 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Beurteilung des Tragvermögens einer bestehenden Stahlbeton-Brücke mit korrodierter Bewehrung hand von Zugversuchen an korrodierten Bewehrungseisen kalibriert. Tabelle 3 fasst die Materialparameter je Korrosionsgrad zusammen. Tabelle 3: Angenommene Korrosionsszenarien: Korrosionsrate, Querschnittsverlust nach 50 Jahren im Betreib, Fliessgrenze, Bruchdehnung und Zugfestigkeit. Abb. 9 zeigt die Last-Verschiebungs-Kurven für unterschiedliche Korrosionsszenarien. Korrosion verursacht eine Abminderung sowohl der Steifigkeit als auch der globalen Traglast der Brücke. Bei starker Korrosion reduziert sich die Traglast um 30%. Ausserdem ändert sich das Versagensmechanismus von duktil zum spröde auf Grund des Bruchs der Biegebewehrung. Ein Nachweis der Tragsicherheit kann gem. dem Sicherheitsformat des EC2 für nicht lineare Verfahren durchgeführt werden. Der Nachweis gilt als erfüllt, falls die folgende Bedingung eingehalten ist: wobei R d, E d die Bemessungswerte des Widerstands und der Einwirkung sind, f cm , f sm die Mittelwerte der Festigkeiten und γ R der globale Sicherheitsfaktor, welche die Unsicherheiten im Tragwerksmodel und Materialen berücksichtigt. Gem. EC2 ist dieser gleich 1.27 angenommen. Auf Bemessungsniveau befindet sich die Brücke praktisch im elastischen Zustand. Die Verkehrslast könnte auf Grund der vorhandenen Tragreserven noch um ein vielfaches gesteigert werden. Im schlimmsten Fall, d.h. starke Korrosion, ist der Nachweis mit 3.4>1.27 erfüllt. Abbildung 9: Last-Verschiebungs-Kurven für verschiedene Korrosionsszenarien (von keiner bis starken Korrosion, siehe dazu Tabelle 3) und Beurteilung der globalen Sicherheit gemäss EC2. Zu bemerken ist, dass eine starke Korrosion mit einem Querschnittsverlust von 46% deutlich auf der sicheren Seite liegt. Unserer Meinung nach entspricht eine geringe Korrosion von 5% besser dem beobachteten Zustand. Die ungenaue Verankerung der Bügelbewehrung wurde auch anhand FEM untersucht. Vereinfacht wurde keine Bügelbewehrung in oberen und unteren Elementen der Rippen definiert. Abb.10 zeigt, dass, obwohl die Tragfähigkeit der Brücke leicht reduziert wird, sich der Bruchmechanismus nicht ändert. In beiden Fällen findet das Fliessen der Bügelbewehrung sowohl mit korrekten als auch mit der defekten Verankerung statt (Abb.11). Abbildung 10: Last-Verschiebungs-Kurve unter Verkehrslast für korrekte und defekte Verankerung der Bügelbewehrung Abbildung 11: Spannungen in der Bügelbewehrung auf Bemessungsniveau und maximalen Traglast (Schwarz: korrekte Verankerung; Rot: defekte Verankerung) 5. Abschliessende Bemerkungen Die vorliegende Arbeit fasst die Ergebnisse der Zustandserfassung und der statischen Nachrechnung einer bestehenden Strassenbrücke aus Stahlbeton (Baujahr 1966) mit lokal korrodierten Bewehrung zusammen. Es handelt 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 33 Beurteilung des Tragvermögens einer bestehenden Stahlbeton-Brücke mit korrodierter Bewehrung sich um ein Rahmentragwerk aus Stahlbeton mit einer Spannweite von 12 m und einer Breite von ca. 22 m auf einer sehr stark befahrenen Kantonsstrasse. Die Untersuchungen umfassten eine detaillierte Zustandserfassung der Brücke, eine statische Überprüfung mit linear-elastischen und nicht-linearen Stoffgesetzen, sowie diverse weiterführende Überlegungen zum aktuellen Zustand der Brücke. Die statische Nachrechnung zeigt, dass die Tragsicherheitsnachweise auf Biegung und Querkräfte bei einem intakten (nicht-korrodierten) Zustand der Bewehrung erfüllt sind. In der Wirklichkeit sind aber die Schubbügel in den Verankerungszonen stark korrodiert. Auch untere Biegebewehrung in der Fahrbahnplatte ist lokal mässig bis stark korrodiert. Die Berechnungen der Brücke mit nicht-linearer FEM mit Betrachtung der vorhandenen Bewehrungskorrosion zeigen, dass die Brücke eine genügende Tragsicherheit aufweist und zwar trotz der vorhandenen Bewehrungskorrosion. Dies ist vor allem auf die grosse Robustheit der Brücke zurückzuführen (Rahmentragwerk mit einer dicken Fahrbahnplatte welche auf zwei Seiten biegesteif mit Widerlagerwänden verbunden ist). Danksagung Die Autoren bedanken sich beim Departement Bau, Verkehr und Umwelt (Sektion Brücken und Tunnel) des Kantons Aargau für das Zur-Verfügung-Stellen der detaillierten Projektdokumentation der Brücke und für den fachlichen Austausch während der Projektbearbeitung. Zudem danken die Autoren der Bauunternehmung Rothpletz-Lienhardt aus Aarau für technische Unterstützung bei der Zustandserfassung der Brücke. Literaturverzeichnis [1] Kanton Aargau, Departement Bau, Verkehr und Umwelt: Gesamte Projektdokumentation über Objekt N1-220a (intern zur Verfügung gestellt) [2] SIA-Norm 269/ 1 (Erhaltung von Tragwerken): Einwirkungen auf Bauwerke [3] SIA 269/ 6-1 (2011): Erhaltung von Tragwerken Mauerwerksbau, Teil 1: Natursteinmauerwerk