eJournals Brückenkolloquium 4/1

Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
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2020
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Textilbetonschicht für Fahrbahnplatten von Betonbrücken zur Erhöhung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit in Querrichtung

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2020
Viviane Adam
Norbert Will
Josef Hegger
Im Verbundforschungsprojekt SMART-DECK wurden experimentelle und theoretische Untersuchungen zur Wirksamkeit einer Textilbetonschicht für Brückenfahrbahnplatten durchgeführt. Insgesamt sieben Partner aus Industrie und Forschung entwickelten dabei eine 35 mm dicke Ergänzungsschicht mit Carbonbewehrung, die drei Funktionen für die Brücke bietet: Monitoring, präventiver kathodischer Korrosionsschutz und Verstärkung. Bei dem Vortrag sollen die Ergebnisse der Untersuchungen zur Verstärkungswirkung der Textilbetonergänzungsschicht vorgestellt werden. Grundlage dafür waren insgesamt 20 durchgeführte großmaßstäbliche Versuche an verstärkten Plattenstreifen und unverstärkten Referenzbauteilen. Dabei konnte gezeigt werden, dass durch die dünne aber leistungsfähige Textilbetonergänzung hohe zusätzliche Tragfähigkeiten aktiviert werden, wodurch Defizite bei der Biege- und Querkrafttragfähigkeit von Bestandsbrücken ausgeglichen werden können. Der Beitrag beinhaltet die Ergebnisse von zehn Bauteilversuchen an Fahrbahnplattenausschnitten mit Textilbetonergänzung und begleitenden Kleinkörperversuchen am Verstärkungsmaterial und Referenzversuchen an unverstärkten Plattenstreifen. Die Verstärkung erfolgte unter Baustellenbedingungen durch einen der Projektpartner. Die Versuche wurden anschließend in den Versuchshallen des Instituts für Massivbau (IMB) der RWTH geprüft.
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4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 57 Textilbetonschicht für Fahrbahnplatten von Betonbrücken zur Erhöhung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit in Querrichtung Viviane Adam Norbert Will Josef Hegger Institut für Massivbau, RWTH Aachen Zusammenfassung Im Verbundforschungsprojekt SMART-DECK wurden experimentelle und theoretische Untersuchungen zur Wirksamkeit einer Textilbetonschicht für Brückenfahrbahnplatten durchgeführt. Insgesamt sieben Partner aus Industrie und Forschung entwickelten dabei eine 35 mm dicke Ergänzungsschicht mit Carbonbewehrung, die drei Funktionen für die Brücke bietet: Monitoring, präventiver kathodischer Korrosionsschutz und Verstärkung. Bei dem Vortrag sollen die Ergebnisse der Untersuchungen zur Verstärkungswirkung der Textilbetonergänzungsschicht vorgestellt werden. Grundlage dafür waren insgesamt 20 durchgeführte großmaßstäbliche Versuche an verstärkten Plattenstreifen und unverstärkten Referenzbauteilen. Dabei konnte gezeigt werden, dass durch die dünne aber leistungsfähige Textilbetonergänzung hohe zusätzliche Tragfähigkeiten aktiviert werden, wodurch Defizite bei der Biege- und Querkrafttragfähigkeit von Bestandsbrücken ausgeglichen werden können. Der Beitrag beinhaltet die Ergebnisse von zehn Bauteilversuchen an Fahrbahnplattenausschnitten mit Textilbetonergänzung und begleitenden Kleinkörperversuchen am Verstärkungsmaterial und Referenzversuchen an unverstärkten Plattenstreifen. Die Verstärkung erfolgte unter Baustellenbedingungen durch einen der Projektpartner. Die Versuche wurden anschließend in den Versuchshallen des Instituts für Massivbau (IMB) der RWTH geprüft. 1. Einleitung Bekanntermaßen liegen bei einem erheblichen Teil des Brückenbestands der Bundesstraßen Schäden am Bestandstragwerk oder infolge Verkehrserhöhung bzw. strengerer Nachweisführung rechnerische Defizite vor. Um die Restnutzungsdauer der aktuell defizitären Bauwerke zu verlängern und so durch die Erweiterung des Planungshorizonts einen Ersatzneubau für einen Teil betroffenen Brücken zu verschieben, können verfeinerte Bemessungsmöglichkeiten Abhilfe schaffen, die höhere rechnerische Tragfähigkeiten erlauben. Diese sind in der Nachrechnungsrichtlinie geregelt [1, 2]. Kann ein Teil der erforderlichen Nachweise auch nach der genaueren Tragwerksanalyse nicht nachgewiesen werden, können Verstärkungsmaßnahmen sinnvolle Lösungen darstellen. Für Stahl- oder Spannbetonbrücken, die den Großteil des deutschen Brückenbestands darstellen [3], stehen klassische Verstärkungsverfahren, wie z. B. eine nachträgliche externe Vorspannung, Schublaschen oder eine Ortbetonergänzung zur Verfügung (z. Β. [4-6]). Innovative Materialien, wie UHPC oder Textilbeton können durch erhöhte Leistungsfähigkeit erhebliche Materialeinsparungen ermöglichen (z. B. [7-11]). Dadurch ergeben sich einerseits ein ressourcenschonenderer Materialeinsatz und andererseits ein reduziertes zusätzliches Eigengewicht, was die Unterbauten und die Gründung der verstärkten Brücke weniger belastet. Auch das hier vorgestellte System SMART-DECK, das im Zuge eine Forschungsprojekts mit insgesamt sieben Projektpartnern entwickelt wurde, bietet eine Möglichkeit zur Brückenverstärkung mit Textilbeton. Neben der Verstärkungswirkung wurden im Forschungsprojekt zwei weitere Funktionalitäten des Systems untersucht, Feuchtemonitoring und präventiver kathodischer Korrosionsschutz (pKKS, z. B. [12, 13] oder nachfolgender Beitrag). Ein weiterer Fokus der Untersuchungen lag in der Umsetzbarkeit und Herstellung des Systems auf der Brücke (z. B. [14, 15] oder vorangegangener Beitrag). SMART-DECK ist eine Textilbetonergänzungsschicht, die zwischen Bestandsbeton und Fahrbahnbelag aufgebracht wird. Sie besteht aus einem Hochleistungsmörtel und einer textilen Bewehrung aus Carbonfasern mit Epoxidharztränkung. Die Textilien werden zweilagig mit einem gegenseitigen Achsabstand von 15 mm und einem Randabstand zur Betonfuge und zur Oberseite von 10 mm eingebaut, sodass sich eine Gesamtschichtdicke von ca. 35 mm ergibt (Abbildung 1). 58 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Textilbetonschicht für Fahrbahnplatten von Betonbrücken zur Erhöhung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit in Querrichtung Abbildung 1: Aufbau von SMART-DECK (Quelle: IMB, RWTH Aachen) Das aus senkrecht zueinander verlaufenden Fasersträngen (Rovings) textile Gelege hatte eine Maschenweite von 38 mm. Das Grundmaterial Carbon bietet einerseits die für Monitoring und pKKS erforderliche elektrische Leitfähigkeit. Andererseits weist es in Kombination mit der Epoxidharztränkung gute Verbundeigenschaften zum umgebenden Beton auf und ist durch die hohe Zugfestigkeit (5bis 6-facher Wert von Betonstahl) sehr leistungsfähig. Die weiterhin charakteristische Korrosionsbeständigkeit des Materials erlaubt dann die Ausführung dünner Schichten. Gerade in Kombination mit einem massiven Bestandstragwerk, das eine hohe Steifigkeit liefert, lassen sich diese vorteilhaften Eigenschaften des Textilbetons optimal ausnutzen und hohe Tragfähigkeitssteigerungen bei minimalem Materialeinsatz realisieren. 2. Durchgeführte Versuche 2.1 Allgemeines Abbildung 2 zeigt eine Detailaufnahme eines der verwendeten Textilien. Es sind die herstellbedingten Faserstränge in 0°(Schuss-) und 90° (Kettrichtung) zu erkennen. Der Wirkfaden entlang des Faserstangs in Kettrichtung ist jeweils deutlich sichtbar. Abbildung 2: Aufnahme von Textil T-1-38 (Quelle: IMB, RWTH Aachen) SMART-DECK soll auf der Brückenfahrbahnplatte entlang der gesamten Breite verarbeitet werden, die Textilien sollen in Längsrichtung jedoch abschnittsweise in einem definierten Abstand zu einander verlegt werden, um elektrisch getrennte Felder zu erhalten. Produktionsbedingt ist die Schussrichtung der Textilien auf die Anlagenbreite begrenzt. Aus diesem Grund wird diese in Längs- und die Kettrichtung in Querrichtung der Brücke verlegt. Die Hauptlastabtragsrichtung ergibt sich also entlang der 90°-Richtung der Carbonmatten. Die Zugversuche am Kompositwerkstoff wiesen daher die Kettrovings in Zugrichtung auf. Die Verstärkungswirkung von SMART-DECK wurde bereits im Zuge des Kleindemonstrators experimentell untersucht, der zur geplanten Projekthalbzeit realisiert wurde. Dazu wurde eine ca. 100 m² große Demonstratorplatte mit einer Dicke von h = 28 cm und Neigungswechsel hergestellt, die eine Bestandsfahrbahnplatte repräsentierte. Es erfolgte die Verstärkung von in etwa 80 % der Fläche, wobei die Umsetzung der Querschnittsergänzung selbst sowie die Herstellung der Messeinrichtung für das Monitoringsystem erprobt wurden. Im Anschluss erfolgten die Untersuchung der Anwendung des Monitorings (s. o.) und der erreichbaren Tragfähigkeitssteigerungen. Letzteres wurde durch Heraussägen von Plattenstreifen aus dem verstärkten und unverstärkten Bereich der Demonstratorplatte umgesetzt, die dann in insgesamt acht Belastungsversuchen am IMB bis zum Bruch getestet. Dabei wurden genauso wie in der hier vorgestellten Versuchsserie die Versagensarten Biegung und Querkraft untersucht. Es wurden Querkraftverstärkungsgrade von 24 - 56 % und Biegeverstärkungsgrade von 90 - 174 % erreicht [16]. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 59 Textilbetonschicht für Fahrbahnplatten von Betonbrücken zur Erhöhung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit in Querrichtung 2.2 Bauteilversuche Zur Untersuchung der Verstärkungswirkung von SMART-DECK liegen insgesamt 15 Ergebnisse aus Bauteilversuchen mit statischer Last vor, wie die Übersicht in Tabelle 1 zeigt. Davon wurden zehn Versuche an verstärkten Plattenstreifen durchgeführt. Aus einem anderen Vorhaben kann auf einen doppelten Referenzversuch mit einem Längsbewehrungsgrad von r l = 1 % zurückgegriffen werden [17]. Ziel war die Untersuchung des Einflusses von SMART-DECK auf das Bauteilverhalten für die beiden maßgebenden Versagensarten Biegung (M) und Querkraft (Q, Versagen in der Fuge: F). Zur Steuerung des Biegemoments wurde der Lastabstand a = 0,7 / 1,0 / 1,3 m zwischen Last und Auflager variiert und zur Variation der Ausnutzung der Biegezugbewehrung wurde der Längsbewehrungsgrad bezogen auf den Stahl im Bestand zu r ll = 1,0 / 0,5 / 0,2 % festgelegt. Für den hohen und mittleren Längsbewehrungsgrad wurde Gewindestabstahl mit einer Festigkeitsklasse St900/ 1000 (Ø15/ 7,5 bzw. Ø15/ 15) und für den kleinen Längsbewehrungsgrad ein Rippenstahl der Güte B500 (Ø10/ 15) verwendet. Die Festigkeiten des Mörtels wurden an Prismen mit den Abmessungen B × H × L = 40 × 40 × 160 (mm) als Mittelwert aus drei Baustoffproben ermittelt. Die Bruchspannungen bzw. -dehnungen der Textilien wurden an versuchsbegleitenden Dehnkörperversuchen ermittelt, die zusammen mit der Verstärkungsschicht für die Bauteilversuche hergestellt wurden. Abgesehen von den Variationsparametern erfolgte die bauliche Durchbildung aller Versuchskörper auf die gleiche Art. In den Prüfbereichen wurde keine Querkraftbewehrung vorgesehen, da der Einbau von Querkraftbewehrung in Platten aufwendig und daher aus baupraktischen Gründen in realen Fahrbahnplatten unüblich ist. In Querrichtung zur Lastabtragsrichtung der Versuchskörper (Längsrichtung der Brücke) wurde eine Längsbewehrung von Ø10/ 20 entsprechend des normativen Mindestwertes vorgesehen. Diese Bewehrungsstäbe wurden jeweils außen von der Längsbewehrung der Versuchskörper angeordnet. Auf der Unterseite der Versuchskörper (Druckzone im Versuch) wurde stets eine Bewehrung in Hauptlastabtragsrichtung und orthogonal dazu vorgesehen. Die Dicke der Stahlbetonplatten war stets 28 cm, die Betondeckung betrug umlaufend 20 mm, sodass sich statische Nutzhöhen zwischen 24 und 26 cm ergaben. Die Betonage der Stahlbetongrundkörper erfolgte in den Versuchshallen des IMB mit einem Transportbeton mit einer Zielfestigkeit entsprechend eines C30/ 37 und einem Größtkorn d g = 16 mm. Die Versuchskörper wurden mithilfe eines Innenrüttlers verdichtet. Es wurden Baustoffproben (Zylinder Ø = 150 mm/ h = 300 mm und Würfel mit einer Kantenlänge von 150 mm) genommen, die parallel zu den Versuchskörpern gelagert und zum Versuchszeitpunkt geprüft wurden, um Rückschlüsse auf die im Bauteil erreichten Festigkeiten ziehen zu können. Die Herstellung von SMART-DECK erfolgte durch den Projektpartner Eurovia unter Baustellenbedingungen. SD-S2 wurde am IMB verstärkt, während die Textilbetonschicht der restlichen Versuchskörper ca. 1,5 Jahre später auf einem Werkshof des Projektpartners appliziert wurde. Die Ergebnisse der parallel hergestellten Dehnkörperversuche wurden im vorangegangenen Abschnitt vorgestellt. 60 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Textilbetonschicht für Fahrbahnplatten von Betonbrücken zur Erhöhung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit in Querrichtung Tabelle 1 Versuchsmatrix zu den Bauteilversuchen Bezeichnung Untersuchte/ beobachtete Versagensart Materialkombination Verstärkung Lastabstand Längsbewehrungsgrad Betondruckfestigkeit 1 Mörtelfestigkeit Textilfestigkeit 2 Verstärkungsgrad Bruchlast a [m] r l,s [%] f cm,cyl [N/ mm²] f cm,prism / f ct,fl [N/ mm²] σ Tex,u / e u [N/ mm²]/ [‰] η [-] V [kN] SD-S1-1 Q/ Q - 0,7 1,0 38,7 - - - 155 SD-S1-2 Q/ Q - 1,0 1,0 38,7 - 136 SD-S1-2 1 Q/ Q - 1,0 1,0 38,7 - 145 SD-S2-1 Q/ Q M3, T1 0,7 1,0 38,9 73,6 / 5,2 3141 / 14,1 1,31 203 SD-S2-2 Q/ Q+F M3, T1 1,0 1,0 38,9 1,03 144 SD-S3-1 Q/ Q - 0,7 0,5 35,6 - - - 118 SD-S3-2 Q/ Q - 1,0 0,5 35,6 - 110 SD-S4-1 Q/ F M4, T4 0,7 0,5 35,6 78,7 / 10,4 2874 / 12,1 1,05 124 SD-S4-2 Q/ F M4, T4 1,0 0,5 35,6 1,08 119 SD-S5-1 M/ Q M4, T4 1,0 0,2 35,6 2,89 107 SD-S5-2 M/ Q+F M4, T4 1,3 0,2 35,6 2,63 103 SD-S6-1 M/ M+F M4, T4 1,0 0,2 39,3 2,51 93 SD-S6-2 M/ M+F M4, T4 1,3 0,2 39,3 2,3 65 SD-S7-1 Q/ Q M4, T4 0,7 1,0 39,3 1,49 231 SD-S7-2 Q/ Q M4, T4 1,0 1,0 39,3 1,53 215 1 Betonfestigkeit des Bestands 2 Ermittelt am Dehnkörperversuch An jedem Versuchskörper wurden zwei Teilversuche durchgeführt. Die Belastung erfolgte stets an einem Kragarm, um eine Beanspruchung eines auf dem rechten Fahrstreifen fahrendem und damit den Kragarm der Fahrbahnplatte belastenden Lkw zu realisieren. Der Abstand der beiden Auflager zueinander betrug stets 1,7 m, der Lastabstand a (Lastachse bis Achse des lastnahen Auflagers) wurde entsprechend der Angaben in Tabelle 1 variiert. Das lastferne Auflager wurde so ausgebildet, dass es die dort im Laufe des Versuchs entstehenden abhebenden Kräfte aufnehmen konnte. Abbildung 3 zeigt die Versuchsaufbauten. Die Last wurde über einen hydraulischen Zylinder aufgebracht und über eine quadratische Lastplatte von 40 × 40 (cm) entsprechend der Radaufstandsfläche für Lkw nach Norm [18] in den Versuchskörper eingeleitet. Abbildung 3: Bauteilgeometrien und Versuchsaufbauten der Bauteilversuche am IMB (Quelle: IMB, RWTH Aachen) 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 61 Textilbetonschicht für Fahrbahnplatten von Betonbrücken zur Erhöhung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit in Querrichtung Alle Versuche hier vorgestellten wurden statisch belastet. Die Belastung erfolgte stufenweise bis zum Bruch. Dabei wurden die ersten vier Laststufen kraftgesteuert angefahren. Ab etwa der Hälfte der mindestens erreichbaren rechnerischen Bruchlast erfolgte die Belastung weggesteuert. Im Laufe der Beanspruchung entstand ein fein verteiltes Rissbild auf der Oberseite der Versuchskörper. Die deutlich größere Anzahl an Rissen bei gleichzeitig reduzierten Rissbreiten bei den verstärkten Bauteilen im Vergleich zu den unverstärkten Referenzversuchen ist grundsätzlich positiv in Hinblick auf den Einfluss von SMART-DECK auf die Gebrauchstauglichkeit der Brücke einzuschätzen. Bei einem Teil der Versuche kam es bei fortgeschrittenem Belastungsverlauf zu einer Delamination zwischen dem Grundbeton und der Ergänzungsschicht. Da ein Großteil der Versuchsergebnisse von der Fugenschädigung unbeeinflusst blieb, lassen sich dennoch belastbare Rückschlüsse ableiten. Neben der Rissbildung beeinflusst SMART-DECK das Last-Durchbiegungsverhalten der Plattenstreifen. Abbildung 4 zeigt die Last-Verformungskurven der statischen Bauteilversuche. Hier erfolgte eine Unterscheidung nach dem Lastabstand a. Alle Bauteilversuche an verstärkten Versuchen sind mit durchgezogener Linie abgebildet, während die Referenzversuche an reinen Stahlbetonbauteilen gestrichelt dargestellt sind. Die Farbgebung erlaubt eine Unterscheidung zwischen den Längsbewehrungsgraden der stählernen Biegezugbewehrung ( r l = 1,0 % in blau, r l = 0,5 % in rot und r l = 0,2 % in blau). Die verstärkten Bauteile weisen bei gleichem Belastungsniveau geringere Durchbiegungen auf. Die Durchbiegungen wurden während der Versuchsdurchführung kontinuierlich über Wegaufnehmer unterhalb des Versuchskörpers in der Lastachse gemessen. Zur Ermittlung der erreichten Verstärkungsgrade der mit SMART-DECK ergänzten Versuche wurden die Bruchlasten mit den Tragfähigkeiten entsprechender unverstärkter Bauteile verglichen. Die in Tabelle 1 dargestellten Verstärkungsgrade entsprechen jeweils dem Verhältnis aus dem Bauteilwiderstand des verstärkten zum unverstärkten Bauteil. Abbildung 4: Last-Durchbiegungskurven der Bauteilversuche getrennt nach Lastabstand a (Quelle: IMB, RWTH Aachen) 62 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Textilbetonschicht für Fahrbahnplatten von Betonbrücken zur Erhöhung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit in Querrichtung Abbildung 5: Freigelegte Biegezugbewehrung im Bereich des Kragarmanschnittes von SD-S6 (Quelle: IMB, RWTH Aachen) Besonders hervorzuheben sind die Querkraftversuche SDS21, SDS71 und SDS72, die das erhebliche Potential zur Querkrafttragfähigkeitssteigerung von SMART- DECK verdeutlichen. SDS2 und SDS7 wurden gleich ausgeführt, allerdings zu unterschiedlichen Zeitpunkten durchgeführt, sodass sie abweichende Materialkombinationen in der Carbon-Beton-Kompositschicht aufwiesen. Bei SDS22 wurden aufgrund der noch unzureichenden Verarbeitbarkeit des Mörtels M1 Fehlstellen in der Fuge festgestellt. Hier fiel die Tragfähigkeitssteigerung im Vergleich zu SDS21 gering aus, in dessen Prüfbereich der Mörtel einen guten Verbund zum Bestand eingehen konnte. SD S21 wies hingegen eine überraschend hohe Querkrafttragfähigkeit auf. Der hier erzielte Verstärkungsgrad konnte im Folgejahr mit optimierten Materialien in der Verstärkungsschicht noch einmal deutlich gesteigert werden. Die Vergleichbarkeit der Ergebnisse der Querkraftversuche erlaubt den Rückschluss, dass trotz der hauptsächlich in Hinblick auf die Biegetragfähigkeit günstigen Ausbildung der Verstärkungsschicht auch ein positiver Einfluss auf die Querkrafttragfähigkeit festzustellen ist. Bei beiden Teilversuchen am Versuchskörper SDS5 änderte sich infolge der Verstärkung mit SMART-DECK die Versagensart. Durch das sich einstellende Querkraftversagen konnte gezeigt werden, dass die Biegetragfähigkeit so weit gesteigert werden konnte, dass sie nicht maßgebend in Hinblick auf die erreichbare Bruchlast wurde. Daher konnte für diese Versuche eine maximale Steigerung des Biegewiderstands erreicht werden. Die Versuchsergebnisse untermauern weiterhin die Relevanz der Untersuchung beider potentieller Versagensarten (Querkraft und Biegung), was im Vergleich zu anderen Forschungsprojekten zur Textilbetonverstärkung von Stahlbetonplatten ein Alleinstellungsmerkmal des vorliegenden Teilprojekts darstellt. Während der Durchführung der Versuche am Versuchskörper SD-S6 war im letzten Viertel des Belastungsverlaufs mehrfach ein lautes Knallgeräusch zu hören, was durch einen kurzfristigen Lastabfall gekennzeichnet war. Gleichzeitig kam es zu einer signifikanten Öffnung eines Biegerisses im Bereich des Kragarmanschnitts. Im Anschluss daran ist die Fugenschädigung weit fortgeschritten. Weiterhin ist der an der Biegezugbewehrung im Stahlbetongrundkörper angebrachte Dehnmessstreifen ausgefallen, nachdem zuvor sehr hohe Werte gemessen wurden. Da dies einen Bruch der Biegezugbewehrung vermuten ließ, wurde der Versuch aus Sicherheitsgründen beendet. Nach der Versuchsdurchführung wurde die Stahlbewehrung im Kragarmanschnittbereich freigelegt, um die Biegezugbewehrung auf eventuelle plastische Schädigungen zu überprüfen (Abbildung 5). Es ist deutlich zu erkennen, dass die Biegezugbewehrung des Stahlbetongrundkörpers gerissen ist. Die dadurch freigewordene Kraft konnte anschließend trotz der partiellen Öffnung der Fuge zwischen Bestand und Verstärkung vollständig von der Textilbetonschicht aufgenommen werden, was durch die weiterhin mögliche Laststeigerung gezeigt werden konnte. Die Ergebnisse der Versuche an Versuchskörper SD-S5 und SD-S6 verdeutlichen das große Verstärkungspotential von SMART-DECK auch in Hinblick auf die Biegetragfähigkeit von Brückenfahrbahnplatten. 3. Zusammenfassung und Ausblick Die Textilbetonschicht SMART-DECK, die zwischen Bestandsfahrbahnplatte und Fahrbahnbelag aufgebracht werden soll, wurde hinsichtlich ihrer Tragfähigkeitssteigernden Wirkung untersucht. Im vorliegenden Beitrag wurden die Ergebnisse von insgesamt 15 Bauteilversuchen vorgestellt, von denen zehn an textilbetonverstärkten Plattenstreifen durchgeführt wurden. Es konnte gezeigt werden, dass sich sowohl hinsichtlich der Biegeals auch der Querkrafttragfähigkeit erhebliche Verstärkungsgrade einstellen. Die teilweise aufgetretenen Fehlstellen in der Verbundfuge zwischen Altbeton und Verstärkungsschicht führten zwar zu einer deutlichen Abnahme der Querkrafttragfähigkeitssteigerung. Das Biegetragverhalten wurde dadurch jedoch nicht maßgeblich gestört, so- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 63 Textilbetonschicht für Fahrbahnplatten von Betonbrücken zur Erhöhung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit in Querrichtung dass auch bei stellenweisen Ablösungen in der Verbundfuge enorme Tragfähigkeitszuwächse möglich blieben. Die herstellbedingten Fehlstellen waren innerhalb des Projekts Anlass zur Optimierung des Mörtels, sodass bei späteren Herstellversuchen stets eine intakte Fuge erzielt werden konnte. Die Querkraftverstärkungsgrade, die sich bei den Versuchen mit vollständigem Verbund zwischen Altbeton und Ergänzungsschicht ergaben, haben die Erwartungen übertroffen und waren zudem reproduzierbar. Die Ergebnisse konnten weiterhin die Erkenntnisse aus den experimentellen Untersuchungen untermauern, die im Rahmen des zur Projekthalbzeit durchgeführten Kleindemonstrators erzielt wurden. Neben den Kleindemonstratorversuchen und den hier vorgestellten Untersuchungen, bei denen die Belastung statisch erfolgte, wurden weiterhin zwei zyklische Tastversuche durchgeführt, um die typischen auf Brücken herrschenden ermüdungswirksamen Beanspruchungen zu adressieren. Deren Ergebnisse, die in einem späteren Beitrag vorgestellt werden, konnten das über die statischen Versuche demonstrierte Potential von SMART-DECK unterstreichen. Über das nun abgeschlossene Forschungsprojet hinaus sind dahingehend jedoch weitere Untersuchungen erforderlich, um weitere Belastungssituationen experimentell abzubilden und die Leistungsfähigkeit des Systems abzusichern. Weiterhin wäre es denkbar, das System nicht nur auf die Tragfähigkeit des Quersystems sondern auch des Längssystems betroffener Bestandsbrücken anzusetzen. 4. Danksagung Die vorgestellten Versuche wurden im Rahmen eines Forschungsprojekts des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) durchgeführt. Die Autoren bedanken sich für die Förderung des Projekts (Förderkennzeichen 13N13108) und beim VDI Technologiezentrum GmbH, das seitens des BMBF mit der Beratung und der Umsetzung der Förderrichtlinien betraut wurde, für die wertvolle Unterstützung. Außerdem gilt der Dank den Projektpartnern, der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Eurovia Beton GmbH NL Bauwerksinstandsetzung, Solidian, Massenberg GmbH, instakorr GmbH (Darmstadt), Sto Cretec GmbH, Tochtergesellschaft der Sto SE & Co. KGaA und dem ibac der RWTH Aachen für die kooperative Zusammenarbeit. Literatur [1] Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand. Richtlinie, Ausgabe Mai 2011. [2] Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand 1. Ergänzung. Ausgabe April 2015. [3] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Strategie zur Ertüchtigung der Straßenbrücken im Bestand der Bundesfernstraßen. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin Ausgabe Mai 2013. 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