Brückenkolloquium
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2510-7895
expert verlag Tübingen
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Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise
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Eckhard Held
Stefan Kimmich
Roland Sauer
Brückenneubauten oder Ersatzneubauten unter laufendem Verkehr erfordern innovative Lösungen für ein optimales Herstellungsverfahren bei gleichzeitig geringer Beeinträchtigung der Mobilität. Der Fokus liegt auf kurzen Bauzeiten bei gleichzeitig knappen Ressourcen mit nachhaltig hohen Qualitätsansprüchen. Dafür eignen sich besonders alle Brückentypen, die einen hohen Vorfertigungsgrad aufweisen und in Modulbauweise hergestellt werden können. Das können
Betonverbundbrücken mit Spannbetonfertigteilen oder Stahlverbundbrücken mit Fertigteilen sein. Auch WIB-Brücken gehören dazu. Sämtliche Bauverfahren sind besonders bei Rahmenkonstruktionen als integrales Bauwerk ohne Mittelpfeiler sehr effizient einsetzbar. An verschiedenen Beispielen aus der Praxis wird gezeigt, welche planerischen Konzepte einen entsprechenden Erfolg bringen.
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4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 119 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise Eckhard Held, Stefan Kimmich, Roland Sauer RIB Engineering GmbH, Stuttgart, Deutschland Zusammenfassung Brückenneubauten oder Ersatzneubauten unter laufendem Verkehr erfordern innovative Lösungen für ein optimales Herstellungsverfahren bei gleichzeitig geringer Beeinträchtigung der Mobilität. Der Fokus liegt auf kurzen Bauzeiten bei gleichzeitig knappen Ressourcen mit nachhaltig hohen Qualitätsansprüchen. Dafür eignen sich besonders alle Brückentypen, die einen hohen Vorfertigungsgrad aufweisen und in Modulbauweise hergestellt werden können. Das können Betonverbundbrücken mit Spannbetonfertigteilen oder Stahlverbundbrücken mit Fertigteilen sein. Auch WIB-Brücken gehören dazu. Sämtliche Bauverfahren sind besonders bei Rahmenkonstruktionen als integrales Bauwerk ohne Mittelpfeiler sehr effizient einsetzbar. An verschiedenen Beispielen aus der Praxis wird gezeigt, welche planerischen Konzepte einen entsprechenden Erfolg bringen. 1. Brücken in Modulbauweise Ein großer Anteil der derzeitig vorgenommenen Ersatzneubauten fällt in die Sparte der modularen Bauweisen, weil sich damit rationell, wirtschaftlich und effizient Brückenprojekte umsetzen lassen. Dies gilt vor allem für Brücken mit kleiner bis mittlerer Spannweite (10 m bis ca. 45 m), welche in großer Zahl als untergeordnete Bauwerke entlang von Bundesstraßen und Autobahnen sowie Bahntrassen neu geplant und gebaut werden. Häufig werden bestehende Unterbauten weiterverwendet oder besondere Maßnahmen ergriffen, um unter laufendem Betrieb mit möglichst geringer Beeinträchtigung des Verkehrs die erforderlichen Baumaßnahmen durchzuführen. Bild 1: Brücken in Modulbauweise mit Betonverbund-, Stahlverbund- und WIB-Verbundträgern 1.1 Vorteile der Modulbauweise Folgende Merkmale machen den Einsatz einer Modulbauweise im Brückenbau interessant: • Bauausführung mit kurzen Bauzeiten, minimale Verkehrsbehinderungen und damit weniger Staus • Hoher Qualitätsstandard durch Vorfertigung der Fertigteilträger im Werk • Wegfall aufwendiger Trag- und Schutzgerüste • Paralleles Bauen von Überbau/ Unterbau • Paralleler Rückbau/ Neubau möglich • Wiederverwendung von Unterbauten teilweise möglich • Hohe Wirtschaftlichkeit bei ganzheitlicher Betrachtung von Bau-, Nutzungs- und Unterhaltungskosten 1.2 Grundlagen Ausgangspunkt für die Tragwerksentwürfe von Brücken in Modulbauweise ist die Vorfertigung. Grundlage der industriellen Vorfertigung ist die Digitalisierung von Planung und Produktionsprozessen einschließlich der Montage auf der Baustelle. Die Tragwerksplaner müssen sich hohen Herausforderungen stellen. Es ist nicht nur das aus dem Brückenbauwerk abgeleitete mechanische Modell zu bearbeiten, sondern bei der Modellierung ist der gesamte Herstellungs- und Montageprozess bis zur Fertigstellung des Bauwerks zu berücksichtigen. Modulare Brücken sind immer ganzheitlich unter Berücksichtigung aller Bauphasen zu betrachten. In jeder Bauphase liegen andere Randbedingungen vor, die zu berücksichtigen sind. Statisch gesehen liegt neben der Systemgeschichte und Belastungsgeschichte auch eine Querschnittsgeschichte vor. Es ändern sich entlang der Zeitachse sowohl die statischen Systeme und Belastungen als auch der Querschnittsaufbau. Das hat zur Folge, dass nicht nur das 120 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise primäre Querschnittskriechen und -schwinden, sondern immer auch das sekundäre Systemkriechen zu berücksichtigen ist. Dafür sind leistungsstarke Softwarelösungen erforderlich. Wegen der unterschiedlichen Steifigkeiten in Längs- und Querrichtung liegt z.B. für die Fahrbahnplatte eine orthogonale Orthotropie (Bild 2) vor. Für die FEM-Berechnung kommen kombinierte Modelle aus Stab- und Faltwerkssystemen zum Einsatz, die es erlauben, eine typengerechte Brückenmodellierung und gleichzeitig eine effiziente Lastgenerierung je Bauphase/ Bauzustand vorzunehmen. Folgende Aspekte sind dabei zu berücksichtigen: • Statische Bearbeitung stets am Gesamtsystem • Berücksichtigung der System-, Herstellungs-, Last- und Querschnittsgeschichte • Einsatz für verschiedene Querschnittstypen • Berücksichtigung der mitwirkenden Plattenbreiten • Effiziente Lastgenerierung mittels orthotroper Fahr-bahnplatte • Berücksichtigung von zeitabhängigen, sekundären Effekten • Vollständige und durchgängige Bemessung für die Grenzzustände der Tragfähigkeit, der Gebrauchstaug-lichkeit und der Ermüdung einschließlich Verbund-mittelnachweise bei Stahlverbundträgern Bild 2: Orthotropes Flächenmodell der Fahrbahnplatte 1.3 Brückentypen Die Längsträger bei modularen Brücken sind stets Ver-bundträger, die sich aus unterschiedlichen Materialien zusammensetzen. • Betonverbund: Spannbeton-Halbfertigteile als Plattenbalken mit Ortbetonergänzung. • Stahlverbund: Walzprofile oder geschweißte Profile mit Stahlbeton-Halbfertigteil, die bereits werksseitig auf die Stahlträger betoniert werden und später eine Ortbetonergänzung erhalten; Hohlkastenprofile, aber auch einfache I-Profile in VFT-Bauweise [10]. • Stahlverbund: Spezielle WIB-Profile und standardisierte Walzträger in Beton sind besonders einfach herstellbar. Alle Brückentypen eignen sich besonders für Überführungsbauwerke, die häufig als mehrstegige Rahmenkonstruktionen ohne Mittelpfeiler ausgeführt werden. Bei Stahlverbundbrücken liegt meistens aufgrund der großen Spannweiten ein gevouteter Stahlträgerverlauf vor. Die Frage, welche der genannten Brückentypen wann zum Einsatz kommen, wird im Wesentlichen durch folgende Faktoren beeinflusst: • Bauzeit • Baukosten • Kosten für den Unterhalt und Sanierung • Mobilitätseinschränkung / Stauvermeidung / sozioökonomische Kosten • Baubedingungen vor Ort • Dauerhaftigkeit Für eine objektive Beurteilung ist stets eine ganzheitliche Betrachtung bezogen auf die Lebensdauer erforderlich. 1.4 Betonverbundbrücken Der Überbau von Betonverbundbrücken besteht aus mehrstegigen, vorgespannten, T-förmigen Halbfertigteilen mit nachträglich ergänzter Ortbetonplatte. Der Einsatz dieser Spannbetonträger ist aufgrund des hohen Eigengewichts auf eine Länge von ca. 35 m begrenzt. Bei den kleineren Brücken, die entweder statisch bestimmt oder als Rahmenkonstruktion ausgeführt werden, liegt i.d.R. immer eine einstufige Vorspannung entweder mit sofortigem Verbund oder nachträglichem Verbund vor. Bei Durchlaufträgern wird aufgrund der Anforderungen an die Dauerhaftigkeit und des Fahrkomforts häufig eine zweistufige Vorspannung aus sofortigem und nachträglichem Verbund verwendet. Bild 3: Spannbeton-Halbfertigteil mit Ortbetonergänzung Die FEM-Berechnung des Gesamtbauwerks erfolgt i.d.R. in 4 Bauzuständen: • UB: Bauzustand Unterbau • FT: Bauzustand Fertigteil • VB: Bauzustand Verbund • PT: Bauzustand sekundäre Effekte 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 121 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise Die Spannbetonbemessung wird auf der Zeitachse in 6 verschiedenen Zeitpunkten bearbeitet [8]: • t 0 : Eigengewicht FT und Vorspannung 1 • t 1 : Eigengewicht Ortbeton auf FT • t 2 : Verbund • t 3 : Vorspannung 2 • t 4 : Ausbau / Verkehr • t 5 : Zustand bei t ∞ Es werden alle wesentlichen Nachweise in den Grenzzuständen der Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Ermüdung geführt. 1.5 Stahlverbundbrücken in VFT-Bauweise Anders als im Massivbrückenbau ist die Beschreibung der Verbundquerschnitte wesentlich aufwendiger. Die Stahlträger können als Walzprofilträger oder als geschweißte I-Träger bzw. Kastenträger mit oder ohne Betonfertigteil in VFT-Bauweise [10] ausgebildet werden. Bild 4: Verbundquerschnittstypen Die Schnittgrößenermittlung und Spannungsberechnung einschließlich Kriechen und Schwinden erfolgt auf der Grundlage der Elastizitätstheorie mit dem Gesamtquerschnittsverfahren von Haensel [1], [9]. Dabei sind alle Systemeinflüsse der • Querschnittsgeschichte • Herstellungsgeschichte • Belastungsgeschichte • mitwirkende Plattenbreiten • Rissbildung • Kriechen und Schwinden und • sekundäre Effekte zu berücksichtigen. Im negativen Momentenbereich wirken gerissene und im positiven Momentenbereich ungerissene Querschnittsvarianten. Jede Änderung des statischen Modells infolge anderer bzw. neuer Querschnittsvarianten, Betonierabschnitte, Materialien, Lagerung, Gelenksteifigkeiten etc. erfolgt in einem separaten Bauzustand. Die Durchführung der Bemessungsnachweise erfolgt entlang der globalen Zeitachse entsprechend der Querschnitts- und Belastungsgeschichte einschließlich Kriechen, Schwinden sowie der sekundären Effekte für die ständige Bemessungssituation für t ∞ . Dabei werden alle wesentlichen Verbundnachweise in den Grenzzuständen GzT außer Ermüdung elastisch und plastisch, GzE, GzG für Baustahl, Beton, Bewehrung und Kopfbolzendübel geführt. Bei Trägern mit Querschnitten der Klasse 1 und 2 kann zusätzlich das elastische oder nichtelastische Verhalten zwischen Längsschubkraft und Querkraft berücksichtigt werden. 1.6 WIB-Brücken WIB-Brücken mit einbetonierten Stahlträgern sind nicht neu. Sie gehören zur Familie der Stahlverbundbrücken. Sie werden häufig für Eisenbahnbahnbrücken ausgeführt. Knapp 20% aller Eisenbahnbrücken in Deutschland werden für Spannweiten im Bereich von 10 bis 20 m als WIB-Brücken realisiert [2]. Die Konstruktionen können i.d.R. sehr schlank mit einer Schlankheit L/ h von 25 bis 30 hergestellt werden und haben trotzdem eine relativ hohe Steifigkeit. Durch die höheren Steifigkeiten treten geringere Verformungen auf. Weitere Vorteile ergeben sich durch den Wegfall der Schalungsgerüste, die Einfachheit der Bauweise und durch die schnelle Montage. Im Vergleich zu dem üblichen Stahlverbund treten bei Rahmenbrücken ausschließlich gerissene Querschnitte auf. Bei Einfeldträgern ist der Randbereich ungerissen. Im Feldbereich reißt der Betonquerschnitt unten auf, während im Stützbereich der Betonquerschnitt oben aufreißt. Das Verhalten einbetonierter Stahlträger hängt stark von dieser Rissbildung ab. Diese Besonderheit erfordert bei allen Nachweisen spezielle Anforderungen. Grundlage der Berechnung ist analog zum Stahlverbund das Gesamtquerschnittsverfahren [1]. Die Reduktionszahlen können wahlweise nach DS 804 Anlage 8, DIN EN 1992- 1-1 oder E c(t)- Verfahren [3] berechnet werden. Bild 5: Verteilung der Steifigkeit für Einfeldträger [4] 122 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise Im ungerissenen Bereich wird der Verbundquerschnitt in einen äquivalenten Stahlquerschnitt transformiert während im gerissenen Bereich die Zustand II Querschnittswerte durch die Lage der plastischen Nulllinie bestimmt wird [5]. Der zugbeanspruchte Teil des Be-tonquerschnitts wird vernachlässigt. Bild 6: Spannungen bei positiver und negativer Biegung im Zustand II [7]. 2. Beispiele Nachfolgend werden einige erfolgreich ausgeführte interessante Brückenbauwerke aufgeführt, welche in den zurückliegenden Jahren in modularer Bauweise entstanden sind. Bei der Auswahl der Projekte wird der Focus eher auf die Bauweise und die verwendeten besonderen Berechnungs- und Bemessungsansätze gelegt als auf die Aktualität der Baumaßnahmen. 2.1 2.1. Ersatzneubau als Betonverbundbrücke Im Auftrag von Hessen Mobil in Kassel plante das Ingenieurbüro Kleffel den Ersatzneubau einer Straßenbrücke auf der Bundesautobahn A7 zwischen Flensburg und Füssen. Bild 7: Betonverbundbrücke im Bauzustand Der Ersatzneubau mit 5 Bauphasen als integrale, vorgespannte Betonverbundbrücke mit einer Trägerspannweite von 27,61 m und einer Bauwerksbreite von 40,50 m war durch den Amtsentwurf bereits vorgegeben. Die dabei angedachten Bauphasen berücksichtigen den Abriss der bestehenden Rahmenbrücke und den gleichzeitigen Neubau. Nicht nur die Realisierung des Ersatzneubaus erfolgt bei laufendem Betrieb: Auch während der Rückbauphase soll der Verkehr auf der A7 nach der Vorgabe des Auftraggebers kontinuierlich weitgehend unbehindert fließen. Bild 8: Bestandsbauwerk und Ersatzneubau Das erstellte räumliche Brückenmodell erfasst die schiefwinklige Rahmenbrücke als Faltwerksystem auf einer Pfahlgründung, welches die verschiedenen Bau-phasen mit insgesamt 13 statischen Bauzuständen und 145 Lastzuständen abbildet. Aufgrund der Baugrund-verhältnisse ist die Pfahlgründung unter den beiden Widerlagern unsymmetrisch angeordnet. Den Überbau bilden 2 x 8 Fertigteilträger, welche mit Spannbettvor-spannung hergestellt sind. Dabei wird die gesamte Brücke als 2 voneinander unabhängige Teilbauwerke in einem integralen Gesamtmodell mit Balken in Längsrichtung und einer orthotropen, lastverteilenden Fahrbahnplatte in Querrichtung erfasst. Die Fertigteilträger werden dabei über Stabstahlbewehrung in die Lagerwand elastisch eingespannt. Bild 9: Gliederung der Brücke in 2 Teilbauwerke Der Einsatz von Fertigteilträgern bei dieser Aufgabe erweist sich nicht nur als ingenieurtechnisch sinnvoll, sondern ebenso als wirtschaftlich: So kann bei der Ausführung auf das Anbringen aufwändiger Trag- und Schutzgerüste verzichtet werden. Da die Vorfertigung des Überbaus und die baustellenseitige Herstellung des Unterbaus parallel realisiert werden können, lässt sich damit die Gesamtbauzeit deutlich verkürzen. Die Verwendung von Fertigteilträgern machen darüber hinaus eine wirkungsvolle werksseitige Qualitätssicherung möglich eine solide Basis für eine hohe und gleichbleibende Ausführungsqualität. Nicht zuletzt sind nur in seltenen Fällen Sperrungen unterführter Verkehrswege erforderlich. Mit Fertigteilträgern in Betonverbundbauweise kann das Bauwerk in einem kürzeren Zeitfenster und gleichzeitig mit bester Qualität zu realisiert werden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 123 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise Im Vergleich zu einer Ausführung in Ortbeton ist das ein wichtiger Kostenfaktor. Bild 10+11: Verkehrssituation während der Bauzeit Kriechen und Schwinden sind in den Bemessungsansätzen stets zu berücksichtigen, was bei den verschiedenen Bau-, Last- und Betonierzuständen keine leichte Aufgabe darstellt. Die Teilbauwerke TBW1 und TBW2 der Brücke werden in einzelnen Bauphasen, die nur für einen bestimmten Zeitraum vorhanden sind, extremen Beanspruchungen ausgesetzt. Wie die finale Bemessungsergebnisse später zeigen, betrifft dies insbesondere die Bohrpfähle. Durch den Erddruck auf die in den Bauabschnitten teilweise freistehenden Widerlagerwände werden einzelne Bohrpfahlgruppen stark exzentrisch beansprucht. Bild 12: Extreme Belastungen in einzelnen Bauphasen Aus diesen Gründen müssen die Beanspruchungen aus jeder Bauphase berücksichtigt werden. Die hohe Belastung in den Bauzuständen führt in diesem Fall zu be-sonders hohen Bewehrungsgraden, wenn in der Bemessung die Biegetragfähigkeit (GZT) und die abgeschlossene Rissbildung (GZG) berücksichtigt wird. Bild 13: Betonverbundbrücke Zusätzlich muss das Kriechen und Schwinden im Verbundfertigteilträger stets berücksichtigt werden, weil dadurch der Nachweis der Tragfähigkeit und auch der Gebrauchstauglichkeit beeinflusst wird. D.h., dass sämtliche System- und Laständerungen über die gesamte Bauzeit im FE-Modell genau abgebildet werden müssen. Bild 14: Abbildung des Bauablaufs in Bauzuständen Durch eine geeignete Unterteilung der beiden weitgehend unabhängigen Teilbauwerke konnte der Modellierungsaufwand deutlich reduziert und die Bearbeitung der statischen Berechnung überschaubar und effizient gehalten werden. Bei dieser Brücke spielt insbesondere das Systemkriechen zwischen den Bauabschnitten eine wichtige Rolle. Durch Zeitunterschiede von bis zu 150 Tagen bauen sich große Zwängungen in der Ortbetonplatte auf, welche die Bemessung der Träger maßgeblich beeinflussen. Ohne die Berücksichtigung dieser zeitabhängigen Effekte kann eine integrale Bauweise dieses Brückentyps nicht realisiert werden. Bild 15: Beanspruchung und Bemessung des Bauwerks Für die anspruchsvollen Berechnungen und die relativ komplexe Bemessung der Pfahlgründung und der Fertig- 124 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise teilträger in Betonverbundbauweise setzten die Ingenieure aus Thüringen auf eine ganzheitliche Modellbildung mit einer vollständigen Erfassung der räumlichen und zeitlichen Effekte im Tragsystem der Brücke. Nur damit lassen sich die einzelnen Brückenbauteile durchgängig bemessen und sämtliche erforderlichen Detailnachweise führen. Fazit: Es zeigt sich im Fall der relativ einfachen Autobahnüberführung eindrücklich, welche besonderen ingenieurtechnischen Überlegungen notwendig sind, um den Neubau der Straßenbrücke unter Laufendem Verkehr sicher, effizient und wirtschaftlich zu erstellen. 2.2 Betonverbundbauweise in Serie Die IGS INGENIEURE GmbH & Co. KG aus Thüringen war im Auftrag des Regierungspräsidiums Karlsruhe im Rahmen eines Großprojekts am Ausbau der BAB A5 auf sechs Fahrstreifen beteiligt. Die Bundesautobahn A5, wichtigste Nord-Süd-Verbindung für den Fernverkehr im südwestdeutschen Raum und Transitstrecke nach Südeuropa, wurde zwischen den Anschlussstellen Baden-Baden und Offenburg auf sechs Fahrstreifen erweitert. Ein kontinuierlich gesteigertes Verkehrsaufkommen in den letzten Jahren macht diese umfassende Ausbaumaßnahme von mehr als 41 Kilometern Autobahn notwendig. Bild 16: Serielle Ersatzneubauten entlang der BAB A5 Im Rahmen dieses Projekts wurden mehr als 50 Brückenbauwerke auf diesem Abschnitt abgebrochen und wieder neu gebaut. 20 Überführungsbauwerke allesamt Betonverbundbrücken realisierte die IGS INGENIEURE GmbH & Co. KG in Fertigteilbauweise. Der Rück- und Neubau sämtlicher Brückenbauwerke erfolgte unter Laufendem Verkehr. Innerhalb eines eng abgestimmten Planungs- und Baumanagements konnte die IGS INGENIEURE GmbH & Co. KG die gesamte Planungsleistung für die ersten zehn Brücken in nur einem halben Jahr zu be-werkstelligen. Neben dem engen Zeitplan erforderte die Vorspannung der Überbauwerke besonderes Geschick. Die Umsetzung der einzelnen Brückenprojekte war sowohl auf Seite der Tragwerksplaner als auch für den Fertigsteilhersteller keine leichte Aufgabe. Aus technischen Gründen wurde im Bauablauf fast ausschließlich mit einer Spannbettvorspannung gearbeitet und auf etwas vorteilhaftere Kontinuitätsvorspannung über die Brückenpfeiler hinweg verzichtet. Die Stützweiten erforderten daher eine sehr hohe Vorspannkraft pro Fertigteil. Bild 17: Typische Betonverbundbrücke im Projekt. Für alle 20 Bauwerke produzierte derselbe Hersteller die benötigten anspruchsvollen Fertigteilträger. Der Vorteil dieser massiven Vorspannung: Die Schnelligkeit. Denn die Experten vor Ort aus der Baustelle verlieren keine Zeit durch nachträgliche Maßnahmen, wie beispielsweise das Einfügen weiterer Spannglieder oder den Einsatz von Hüllrohren. Auf diese Weise waren die Baubeteiligten in der Lage, einen schnellen und gleichzeitig flexiblen Baufortschritt sicherzustellen. Bild 18: System mit Stützen in Brückenmitte Eine besonders knifflige Aufgabe stellte die Baulogistik dar. Da diese wichtige Verbindungsroute Südwestdeutschlands während der Bauarbeiten nicht voll gesperrt werden konnte, erfolgten Anlieferung und Ein-hub der Fertigteile in Etappen. Die Fertigteile werden per LKW angeliefert. Bei Ankunft wird die Fahrbahn für eine halbe Stunde gesperrt. In dieser Zeit erfolgen Einhub und die anschließende Freigabe für den Verkehr. Nach einer weiteren halben Stunde wird die Fahrbahn erneut für den Einhub des nächsten Fertigteils gesperrt. Die Sperrzeiten bleiben also kurz und behindern den Verkehr nicht längerfristig. Erschwerend kommt für die Mannschaft auf der Baustelle hinzu, dass diese Sperrungen nur in der Nacht vorgenommen werden können. Das bedeutet Nachtschichten bei stets voller Konzentration für alle am Projekt Beteiligten. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 125 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise Für eine perfekte Projektabwicklung musste in jeweils rund zwei Wochen die statische Bearbeitung und Optimierung für jedes Bauwerk erfolgen. Anschließend erfolgte eine umfassende Prüfung durch unabhängige Prüfingenieure. Für die effiziente Planung war eine einfache Modellbildung für das System und die Lastansätze sowie die durchgängige Bemessung der Brückenbauwerke von entscheidender Bedeutung. Die Möglichkeit, die Lastverteilung über eine orthotrope Plattenwirkung zu berücksichtigen ist für die intuitive Projektbearbeitung und eine effiziente Brückenbemessung ein entscheidender Aspekt. 2.3 Anspruchsvolle Rollbrücken mit Betonfertigteilen Die Erweiterung des Frankfurter Flughafens durch die 2.8 km lange Landebahn Nordwest wurde mit verschiedene Rollbahnbrücken über die BAB A3 und der ICE- Strecke Frankfurt-Köln realisiert. Mit der Planung der hoch komplexen integralen Brückenbauwerke war das Ingenieurbüro Dr. Binnewies aus Hamburg beauftragt. Bild 19: Übersicht Rollbrücken Flughafen Frankfurt Um Kosten und Bauzeiten entscheidend zu reduzieren wurde die vom Ingenieurbüro Binnewies vorgeschlagene Brückenkonstruktion als vorgespanntes integrales Spannbeton-Rahmenbauwerk mit Betonfertigteilen und Ortbetonergänzung umgesetzt. Der mit bis zu 30 gon enorm spitze Kreuzungswinkel zwischen Trägerlagen und Rollbahn stellte sich dabei als eine besondere Herausforderung heraus. Zusätzliche Anforderungen ergaben sich aus einer Brückenlänge von mehr als 200 m und den Bemessungslasten für die Flugzeuge mit beachtlichen 750 Tonnen. Bild 20: System und Abmessungen Rollbrücke Ost Die Modellbildung erfolgte nach dem Prinzip: So einfach wie möglich, so komplex wie nötig. Die Gründung von Pfeiler- und Widerlagerwänden erfolgte auf eingespannten Bohrpfählen. Darauf wurden fugenlose Widerlager- und Pfeilerwände errichtet. Der Überbau schließlich wurde aus vorgespannten Fertigteilen, Ortbetonergänzung und Kontinuitätsvorspannung realisiert. Im ersten Schritt wurden dabei die Fertigteilträger verlegt. Diese kamen werkseitig mit einer Vorspannung mit nachträglichem Verbund und inklusive Hüllrohren für die spätere Kontinuitätsvorspannung auf die Baustelle. Bild 21: Vorspannung Brückenträger im FE-Modell Dabei waren die Anschlussbewehrungen von Wänden und Fertigteilen exakt aufeinander abgestimmt und wurden daher sehr präzise hergestellt. Bei der Rollbrücke OST 1 mit einer Gesamtbrückenfläche von 20.000 Quadratmetern waren insgesamt 275 Fertigteilträger mit einem Gewicht bis zu 95 Tonnen zu montieren. Dabei war jedes Fertigteil ein Unikat und die Bemessung von Träger, Ortbetonplatte und Wandköpfen auf den Bauablauf abgestimmt. Bevor die Ortbetonplatte aufgebracht werden konnte musste zunächst die Rahmenwirkung der Gesamtkonstruktion realisiert werden. Dafür wurden die Bereiche an den Wandköpfen vorab bewehrt und betoniert. 126 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise Bild 22: Nachtbaustelle und Einhub der Brückenträger Eine weitere Herausforderung war die Betonage der Brückenfläche mit rund 20.000 Kubikmetern Beton je Abschnitt in einem Zeitfenster von lediglich 60 Stunden. Schließlich wurden final die Kontinuitätsspannglieder eingeschossen und vorgespannt. Die Planung musste dabei durchweg perfekt sein, damit die drei bauausführenden Unternehmen in der Lage waren, ihre Arbeit optimal im vorgegebenen Zeit- und Budgetrahmen zu erledigen. Die Trägermontage erfolgte in der Regel bei Nacht, um eine möglichst geringe Verkehrs-beeinträchtigung zu gewährleisten. Die neuen Verbindungsrollbahnen auf dem Frankfurter Flughafen brachten sowohl technisch als auch organisatorisch eine Reihe von Herausforderungen mit sich. In knapp 16 Monaten waren rund 600 Schalpläne und ca. 800 Bewehrungspläne zu zeichnen und rechtzeitig auf die Baustelle zu liefern. Da es sich bei diesen Bauwerken nicht um Standardbrücken handelt, sondern Normen der „International Civil Aviation Organization“ (ICAO) greifen, war das Ingenieurbüro Binnewies auch darin gefordert, die normativen Regeln aus dem Bereich der Straßenbrücken auf die Spezialbauwerke eines Rollfelds zu übertragen. Denn die ICAO-Richtlinien beinhalten erforderliche Regularien für Planung und Bau in dieser Form nicht. 2.4 Ersatzneubau einer Stahlverbundbrücke Das Ingenieurbüro Kleb Erfurt hat für die Überführung einer Bahntrasse in Obervellmar/ Kassel mit einer Spannweite von 26,10 m und einer Breite von 12,10 m eine Ausführungsstatik erstellt. Es handelt sich dabei um zwei nebeneinanderliegende Rahmenbauwerke. Jeder Überbau besteht aus 5 gevouteten I-Trägern aus S355 mit werkseitig aufgebrachten Fertigteilplatten aus C35/ 45 und späterer Ortbetonergänzung aus C35/ 45 in VFT- Bauweise. Bild 23: Systemabmessungen VFT-Brücke Die Längsträger werden in die Endquerträger eingespannt. Als Verkehrsbelastung wurde die Kategorie 2 angesetzt. Bild 24: FE-Modell N p -Bauzustand der Rahmenbrücke Die FEM-Berechnung des Gesamtbauwerks erfolgte in 6 Bauzuständen einschließlich einer Berücksichtigung der sekundären Effekte. • N 0 -Bauzustand Unterbau • N 0 -Bauzustand Überbau als VFT-Trägersystem • N P -Langzeit Bauzustand • N 0 -Kurzzeit Bauzustand • N PT -Bauzustand • N S -Bauzustand Schwinden Die Steifigkeiten für Langzeitlasten werden zeitabhängig mit Reduktionszahlen umgerechnet. Für die Kurz-zeitlasten werden dagegen zeitunabhängige Reduktionszahlen verwendet. Die Verbundbemessung erfolgte für alle Grenzzustände. Bei den Verbundmitteln kam eine 4-reihige Kopfbolzendübel-Verteilung mit unterschiedlichen Höhen zum Einsatz. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 127 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise Bild 25: Auslastungsübersicht der Verbundbemessung 2.5 Ersatzneubau einer Straßenbrücke in WIB- Bauweise Das Ingenieurbüro Kleffel hat für die Überführung der Hasel in Dillstädt/ Schwarza eine schiefwinklige WIB- Brücke mit einer Spannweite von 12,40 m und einer variablen Breite von 6,50 m bis 9,13 m eine Entwurfsstatik aufgestellt. Es handelt sich dabei um ein integrales Brückenbauwerk. Der Überbau aus C35/ 45 besteht aus 9 einbetonierten Stahlträgern jeweils mit einem HEM 400 - Profil und dem Material S355. Bild 26: Systemabmessungen WIB-Brücke Die Längsträger sind in die Endquerträger eingespannt, die wiederum auf tiefgegründeten Bohrpfählen lagern. Als Verkehrsbelastung wurde ein Lokalverkehr der Kategorie 4 angesetzt. Bild 27: Lageplan für den WIB-Überbau Die FEM-Berechnung des Gesamtbauwerks wurde in 5 Bauzuständen einschließlich einer Berücksichtigung der sekundären Effekte durchgeführt. • N 0 -Bauzustand • N P -Langzeit Bauzustand zeitabhängig • N 0 -Kurzzeit Bauzustand • N PT -Bauzustand zeitabhängig sekundär • N S -Bauzustand Schwinden sekundär Bild 28: Gesamtmodell mit Pfählen, Lasten und Verformungen Die Bemessung der Verbundträger erfolgte für alle Grenzzustände der Tragfähigkeit elastisch und plastisch, Ermüdung und Gebrauchstauglichkeit einschließlich den Verformungen im Zustand II. Bild 29: Auslastungsübersicht der Verbundbemessung 3. Zusammenfassung und Ausblick Für Brücken mit kleiner bis mittlerer Spannweite, die in großer Zahl in den nächsten Jahren unter laufendem Verkehr entweder verstärkt oder kurzfristig ersetzt werden müssen, eignet sich besonders die modulare Bauweise. Sie ist materialoffen und kann flexibel eingesetzt werden. Die Querschnittsformen werden stetig weiterentwickelt. Grundlage für den erfolgreichen Einsatz ist die industrielle Vorfertigung. Zusammen mit der Digitalisierung des Planungs- und Produktionsprozesses, welcher auch für die Liefer- und der Montagelogistik Vorteile bringt, eröffnen sich mit modularen Bauweisen interessante und vor allen auch wirtschaftliche Planungsalternativen. 128 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise Aktuell sind neuartige modulare Baukastensysteme aus Betonfertigteilen in der Entwicklung [6]. Bei Hagen über die A46 konnte nach diesem Planungskonzept bereits ein Prototyp in 100 Kalendertagen erstellt werden. Der neue technische Fortschritt erlaubt es, modulare Brücken effizient mit hoher Leistungsfähigkeit ohne gravierende Mobilitätseinschränkungen herzustellen. Durch die Entwicklung von roboter- und computergestützten Fertigungstechniken sind weitere innovative Fortschritte mit lukrativen Möglichkeiten zu erwarten. Literatur [1] J.Haensel: Praktische Berechnungsverfahren für Stahlträgerverbundkonstruktionen unter Berücksichtigung neuerer Erkenntnisse zum Betonzeitverhalten, Mitteilung 75-2, IKI, Ruhr-Universität Bochum 1975. [2] C.Lerchner, G.Schimetta: Stahlbetonrahmen mit WIB-(Walzträger in Beton) Tragwerk, Beton- und Stahlbeton 97 (2002), Heft 10. [3] A.Iliopoulos: Zur rechnerischen Berücksichtigung des Kriechens und Schwindens des Betons bei Verbundträgern; Diss. Ruhr-Universität Bochum 2005. [4] A.Iliopoulos: Vorschlag zur Verformungsberechnung von WIB-Brücken, Stahlbau 78 (2009), Heft 8. [5] Stahlbaukalender 2010; S. 280. [6] J.Hegger, C.Knorrek, S.Bosbach: Neuartige modulare Brückenbauwerke aus Betonfertigteilen, Untersuchungen zum Tragverhalten, BFT International Kongressunterlagen 02.2019, Ulm. [7] Grundlagenhandbuch zu PONTIstahlverbund 20.0, RIB Software SE, 2020, Stuttgart. [8] Grundlagenhandbuch zu PONTIbetonverbund 20.0, RIB Software SE, 2020, Stuttgart. [9] K.Roik, R.Bergmann, J.Haensel, G.Hanswille: Verbundkonstruktionen - Bemessung auf der Grundlage des Eurocode 4 Teil 1, BK 1999 Teil II, Ernst&Sohn, Berlin. [10] Schmitt et al: VFT-Bauweise Entwicklung von Verbundträgern im Brückenbau, Beton- und Stahlbeton 96 (2001), Heft 4.
