Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
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Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken
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Matthias Müller
Zur Ermittlung der Tragfähigkeit der schubfesten Verbindung zwischen Bodenplatte und Steg in der Biegedruckzone bestehender Hohlkastenbrücken werden genauere Nachweisformate vorgestellt. Mit diesen Rechenverfahren wird die für diese Bereiche charakteristische Beanspruchungsverteilung berücksichtigt und dem günstigen Einfluss der Interaktion zwischen vorhandener Längsdruckkraft und zugehöriger Längsschubkraft Rechnung getragen. Einige Besonderheiten im Tragverhalten des Druckgurtanschlusses von Bodenplatten in Hohlkastenbrücken, die die Grundlage für die Nachweismodifikationen darstellen, werden erläutert. Darüber hinaus erfolgt die exemplarische Anwendung der Nachweisformate auf ein konkretes Brückenbauwerk im Bestand sowie der Vergleich mit den Ergebnissen bei einer Berechnung auf Grundlage der Regelungen nach DIN EN 1992-2/NA.
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4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 189 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Dr.-Ing. Matthias Müller Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach Zusammenfassung Zur Ermittlung der Tragfähigkeit der schubfesten Verbindung zwischen Bodenplatte und Steg in der Biegedruckzone bestehender Hohlkastenbrücken werden genauere Nachweisformate vorgestellt. Mit diesen Rechenverfahren wird die für diese Bereiche charakteristische Beanspruchungsverteilung berücksichtigt und dem günstigen Einfluss der Interaktion zwischen vorhandener Längsdruckkraft und zugehöriger Längsschubkraft Rechnung getragen. Einige Besonderheiten im Tragverhalten des Druckgurtanschlusses von Bodenplatten in Hohlkastenbrücken, die die Grundlage für die Nachweismodifikationen darstellen, werden erläutert. Darüber hinaus erfolgt die exemplarische Anwendung der Nachweisformate auf ein konkretes Brückenbauwerk im Bestand sowie der Vergleich mit den Ergebnissen bei einer Berechnung auf Grundlage der Regelungen nach DIN EN 1992-2/ NA. 1. Herausforderung Die Anforderungen an Brückenbauwerke haben sich in den vergangenen Jahren infolge ständig steigender Verkehrslastzahlen deutlich erhöht. Gleichzeitig wurden die Bemessungsvorschriften zum Nachweis des schubfesten Anschlusses von Gurten an die Stege kontinuierlich weiterentwickelt. Die für Neubauten konzipierten Nachweisformate zur Ermittlung der Gurtanschlussbewehrung führen derzeit teilweise zu erheblichen rechnerischen Tragfähigkeitsdefiziten bei der Nachrechnung bestehender Brückenbauwerke. Hierbei stellen sich insbesondere die Bodenplatten von Hohlkastenbrücken im Bereich der Druckgurtanschlüsse über den Innenstützen häufig als besonders kritisch heraus. Dieses Ergebnis kann nur zum Teil auf die im Laufe der Jahre deutlich gestiegenen und derzeit bei der Nachrechnung anzusetzenden Verkehrslasten zurückgeführt werden, die nur einen kleinen Beanspruchungsanteil an den gesamten Bemessungsschnittgrößen im GZT liefern. In der Regel stellen die relativ hohen Eigengewichtsanteile bereits etwa 70% der Gesamtbeanspruchung. Von Maurer et al. in [1, 2] durchgeführte Untersuchungen zu den Auswirkungen der mit Einführung der Eurocodes für den Brückenbau geänderten Verkehrslastmodelle auf die Gesamtbeanspruchungen bestätigen diese Aussage. Folglich sind die Ursachen für die bei der Nachrechnung festzustellenden rechnerischen Tragfähigkeitsdefizite auf Querschnittsebene vor allem auf die mit der Weiterentwicklung der Regelwerke geänderten Bemessungsvorschriften und Konstruktionsregeln zurückzuführen. Die Bemessung des schubfesten Anschlusses von Gurten gegliederter Querschnitte erfolgt in Deutschland derzeit analog zum Querkraftnachweis für Stegquerschnitte mit einem Fachwerkmodell unter Berücksichtigung eines zusätzlichen Betontraganteils infolge Rissreibung. Die Neigung des Druckstrebenwinkels innerhalb des Fachwerks wird bei Anwendung dieses Bemessungsmodells auf die Gurte gegliederter Querschnitte nicht auf Grundlage des tatsächlichen Spannungszustandes bei Erstrissbildung festgelegt. Stattdessen erfolgt die Festlegung des Winkels auf Basis eines rein rechnerischen Spannungszustandes, mit einer theoretisch zur Schubrissbildung führenden Schubspannung [3], wobei die Längsspannung σ x nicht gleichermaßen mit der Schubspannung τ xy gesteigert wird. Tatsächlich wachsen unter einer Laststeigerung bis zum GZT die Spannungen τ xy und σ x im Gurtanschnitt gleichermaßen an. In den in [3] durchgeführten Untersuchungen zum Tragverhalten von Druckgurtanschlüssen wurde gezeigt, dass diese Vorgehensweise das tatsächliche Tragverhalten nicht hinreichend genau berücksichtigt. Dies führt insbesondere in Gurtbereichen, die unter hohen Längsdruckspannungen stehen, zu konservativen Ergebnissen. Es wurden daher Bemessungsvorschläge erarbeitet, die die tatsächlichen Spannungsverhältnisse und die wahrscheinliche Rissbildung mit größerer Genauigkeit erfassen. Die Anwendungsmöglichkeiten für die unterschiedlichen Bemessungsvorschläge werden hier beschrieben und anhand von Beispielrechnungen mit den derzeitigen Bemessungsregeln nach DIN EN 1992 [4, 5, 6] verglichen. Die Nachweisverfahren für die 2. Ergänzung der Nach- 190 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken rechnungsrichtlinie werden vorgestellt. Dabei orientieren sich die Formulierungen im Hinblick auf Gliederung, Abkürzungen und Formelzeichen an der derzeit gültigen Fassung der Nachrechnungsrichtlinie, Stand Mai 2011 [8], inkl. der ersten Ergänzung, Stand April 2015 [9]. 2. Nachweisformate für den Druckgurtanschluss 2.1 Hintergründe Bei der Anwendung der DIN EN 1992-2/ NA bzw. des DIN Fachberichts 102, der die Grundlage der Stufe 1 der Nachrechnungsrichtlinie darstellt, erfolgt der Nachweis der schubfesten Verbindung zwischen Balkenstegen und Gurten in gegliederten Querschnitten auf Basis der gleichen Modellvorstellung wie die Ermittlung der Querkrafttragfähigkeit in Stegquerschnitten. Beiden Nachweisen liegt ein Fachwerkmodell zur Ermittlung der Beanspruchungen im Betonquerschnitt und der Bewehrung zugrunde. Die Druckstrebenneigung wird hierbei auf Grundlage eines theoretischen Schubrisswinkels, der durch einen Betontraganteil infolge Rissverzahnung modifiziert wird, ermittelt. Die Gleichungen zur Ermittlung des theoretischen Risswinkels erfordern hierbei die Berücksichtigung des Bemessungswerts der Betonlängsspannung in Höhe des Schwerpunktes des Querschnitts. Die gleichzeitig im Querschnitt wirkende Schubspannung geht jedoch nicht in die Berechnung ein. Stattdessen berücksichtigt das Verfahren implizit eine fiktive Schubspannung, durch die in Kombination mit der tatsächlich vorhandenen Betonlängsspannung die resultierende Hauptzugspannung die Betonzugfestigkeit gerade erreicht [10, 11]. Die mit diesem Verfahren ermittelte Richtung der Hauptdruckspannung entspricht dem theoretischen Risswinkel β bei Erreichen der Betonzugfestigkeit unter ansteigender Schubbeanspruchung, allerdings konstant gehaltener Längsspannung [10]. Dieses Vorgehen wurde für die Ermittlung der Querkrafttragfähigkeit von Balkenstegen entwickelt, bei welchen die vorhandenen Normalkräfte in der Regel weitgehend unabhängig von den zu übertragenden Querkräften sind. Für den Nachweis der schubfesten Verbindung zwischen Gurt und Stegquerschnitten stellt diese Vorgehensweise jedoch eine grobe Vereinfachung dar, die insbesondere für unter Biegelängsdruckspannungen stehende Bodenplatten von Hohlkastenbrücken zu sehr konservativen Ergebnissen führt. Ein ausführlicher Vergleich der Unterschiede im Tragverhalten von Gurt und Stegquerschnitten gegliederter Querschnitte ist in [10] zu finden. 2.2 Interaktion zwischen Längs- und Schubspannung Die mitwirkenden Gurtflächen gegliederter Querschnitte stellen in Bauteilen unter vorwiegender Biegebeanspruchung eine Erweiterung der jeweiligen Biegezugbzw. Biegedruckzone dar. Die Ausbreitung bzw. allmähliche Einleitung der Biegedruckbzw. Biegezugspannungen vom Steg in die daran anschließenden Gurte wird durch die Schubspannung im Anschnitt zwischen Gurt und Steg bewirkt. Die vorhandenen Längskräfte in den Gurten sind folglich direkt abhängig von den Schubspannungen im Anschnitt zwischen Steg und Gurt. Die Längsspannungen in den Gurten und die Schubbeanspruchungen im Gurtanschnitt folgen in ihrer Verlaufscharakteristik den Biegemoment- und Querkraftverläufen des Längssystems. Der Anstieg der Gurtlängsspannung wird hierbei immer durch ein Polynom höheren Grades beschrieben als der Verlauf der zugehörigen Schubbeanspruchung im Gurtanschnitt. Dieser Zusammenhang gilt für alle Druckgurtanschlüsse unabhängig davon, ob es sich um die Fahrbahnplatte eines Plattenbalkens oder Hohlkastens handelt, oder ob der Druckgurtanschluss einer Bodenplatte in einer Hohlkastenbrücke betrachtet wird. Dennoch unterscheidet sich letzterer hinsichtlich des Zusammenwirkens von Schub- und Längsdruckspannung ganz wesentlich vom Tragverhalten in den übrigen Bereichen, da in Mehrfeldsystemen im Bereich von Zwischenstützungen die maximalen Längsdruckspannungen und die maximalen Schubbeanspruchungen in den Bodenplatten von Hohlkästen im gleichen Querschnitt auftreten. Hierdurch treten die hohen Längsdruckspannungen, die den Schubwiderstand durch eine flachere Druckstrebenneigung signifikant vergrößern, in den selben Querschnitten wie die zu übertragenden hohen Schubbeanspruchungen auf. Dieser Zusammenhang ist für die Druckgurtbereiche von Fahrbahn- und Bodenplatte einer Hohlkastenbrücke anschaulich in Bild 1 dargestellt. Die im Verhältnis zu den Schubbeanspruchungen in den Gurtanschlüssen stärker anwachsenden Längsdruckspannungen in den Gurten führen zu flacher werdenden Neigungswinkeln der resultierenden Hauptdruckspannungen, die der theoretischen Rissrichtung entsprechen. Von diesem positiven Einfluss der Längsdruckspannungen infolge Biegung profitiert insbesondere der Tragwiderstand der schubfesten Verbindung zwischen Bodenplatte und Steg in den Stützbereichen des Hohlkastens. 2.3 Nachweisformate für die Nachrechnung bestehender Bauwerke Die nachfolgend beschriebenen Nachweisformate berücksichtigen das zuvor dargestellte günstige Zusammenwirken von Schub- und Längsdruckbeanspruchung im Bereich des Druckgurtanschlusses von Bodenplatten in Hohlkastenbrücken. Das erste Nachweisformat kann ohne rechnerische Berücksichtigung der vorhandenen Gurtanschlussbewehrung für ungerissene Druckgurtanschlüsse angewandt werden. Das zweite Nachweisformat berücksichtigt den Gurtanschluss als gerissenen Querschnitt. Grundlage ist das Fachwerkmodell in DIN Fachbericht 102 (Stufe 1). Die rechnerisch anzunehmenden Druckstrebenwinkel werden jedoch auf Basis der tatsächlichen Spannungsverhältnisse und den zu erwartenden Risswinkeln senkrecht zu σ I modifiziert. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 191 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Bild 1: Interaktion der Beanspruchungen infolge Biegung im Bereich der Druckgurtanschlüsse einer Hohlkastenbrücke Vorschlag für den Nachweis der Schubkräfte zwischen Balkensteg und Druckgurt unter Vernachlässigung der Gurtanschlussbewehrung In ungerissenen Bereichen der Bodenplatten von Hohlkastenbrücken (auch keine verpressten Risse) kann der Nachweis der schubfesten Verbindung zwischen Gurt- und Stegquerschnitt unter Vernachlässigung der vorhandenen Gurtanschlussbewehrung auf der Grundlage des Hauptzugspannungskriteriums mit den Spannungen σ Ed , τ Ed im GZT in folgenden Bereichen erfolgen: • Querschnittsbereiche, die infolge Biegung mit Längskraft unter Längsdruckspannungen stehen. • Querschnittsbereiche, die nicht im unmittelbaren Wirkungsbereich von Spanngliedverankerungen liegen. • Gurtbereiche, in denen die Biegezugspannungen infolge Querbiegung aus Eigengewicht am Querschnittsrand den Wert f ctd nicht überschreiten (hierdurch wird die Anwendung auf Bodenplatten mit großen Spannweiten in Querrichtung ausgeschlossen). Der Bemessungswert der Betonzugfestigkeit ergibt sich hierbei nach Gleichung (1): (1) mit und In Bereichen, die die genannten Anforderungen erfüllen, darf der Nachweis der schubfesten Verbindung zwischen Druckgurt und Steg durch den Nachweis der schiefen Hauptzugspannungen im Anschnitt in der Mittelfläche des Gurtquerschnitts erbracht werden. Aufgrund der über die Länge der Gurtanschlussfuge veränderlichen Hauptzugspannungen sowie des Einflusses einer etwaigen Biegerissbildung am gezogenen Rand des Gesamtquerschnitts sind die maximalen Bemessungswerte der Hauptzugspannungen über die volle Gurtanschlusslänge in verschiedenen Schnitten „i“ zu ermitteln. Für den Bemessungswert der Hauptzugspannung ist die Bedingung nach Gleichung (2) nachzuweisen. (2) 192 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Bild 2 Bezeichnungen für den Anschluss der unter Längsdruckspannungen stehenden Bodenplatte an den Hohlkastensteg beim Nachweis in ungerissenen Bereichen Der Abstand der Nachweisschnitte „i“ darf h/ 2 nicht überschreiten (siehe Bild 2). Darüber hinaus sind ggf. Querschnittsänderungen und Spanngliedverankerungen (außerhalb des Gurts) bei der Wahl der Nachweisschnitte und bei der Ermittlung der Beanspruchungen zu berücksichtigen. Der Ansatz einer verminderten rechnerisch mitwirkenden Gurtbreite ist bei dieser Nachweisführung nicht zulässig, da die hierbei unterstellte Beanspruchungsumlagerung eine Rissbildung erforderlich macht. 2.4 Nachweis der Schubkräfte zwischen Balkensteg und Druckgurt unter Berücksichtigung der Gurtanschlussbewehrung Der Nachweis des schubfesten Anschlusses von unter Längsdruckspannungen stehenden Bodenplatten in Hohlkastenbrücken darf auf Grundlage der nach Gleichungen (3) im Nullpunkt der Biegemomentenlinie bzw. (4) im Abstand h von der Zwischenunterstützung ermittelten Druckstrebenwinkel cot q f geführt werden. Ein Anteil infolge einer Rissreibung tritt nicht auf [3, 10]. Der Verlauf über die Gurtanschlusslänge darf zwischen den Punkten näherungsweise linear veränderlich angenommen werden (siehe Bild 3). Bild 3 Verlauf der Druckstrebenneigung über die Länge des Druckgurtanschlusses im Bereich von Stützmomenten Bild 4 Bezeichnungen für den Anschluss der unter Längsdruckspannungen stehenden Bodenplatte an den Hohlkastensteg beim Nachweis unter Berücksichtigung der Gurtanschlussbewehrung (3) (4) Dabei sind mittlere Längsspannung in Gurtmitte Schubspannung aus der Längskraftdifferenz im Gurt infolge Biegung mit Längskraft. Für die Ermittlung der Schubspannung darf die Längskraftdifferenz ∆ F d in über die Länge a v ≤ h konstant angenommen werden (Bild 4) Resultierende Längsdruckkraft im mitwirkenden Teil des Druckgurts im betrachteten Schnitt mitwirkende Gurtfläche im betrachteten Schnitt mit b eff,i gem. DIN FB 102, II2.5.2.2.1 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 193 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Schubspannung infolge Torsion (mit W T = 2A k ·h f ) Daraus resultiert die maximale Schubspannung zu Kann der Nachweis der schubfesten Verbindung zwischen Balkensteg und Gurt nicht auf Grundlage der mitwirkenden Gurtbreite nach [7] erbracht werden, darf der Nachweis im GZT unter Berücksichtigung einer verminderten rechnerisch mitwirkenden Gurtbreite erfolgen. Alle Nachweise im GZT sind hierbei unter Berücksichtigung der reduzierten mitwirkenden Gurtbreite zu führen. 3. Anwendung auf ein bestehendes Brückenbauwerk 3.1 Bauwerk Beim vorliegenden Bauwerk handelt es sich um eine vorgespannte Hohlkastenbrücke aus dem Jahr 1968. Die als Zweifeldträger errichtete Brücke mit einer Gesamtlänge von 112 m wurde mit girlandenförmig geführten Längsspanngliedern in den Stegen im nachträglichen Verbund vorgespannt. Tabelle 1: Angaben zur Konstruktion des Bauwerks Brückentyp Spannbetonhohlkasten Anzahl Felder 2 Stützweiten 66,4m - 46,0m Brückenklasse BK 60 nach DIN 1072 Beton B 450 nach DIN 1045 bis 1972 → C30/ 37 Betonstahl BSt IIIb nach DIN 488 f yk =420 MPa Vorspannung SIGMA St 145/ 160 oval 40 Koppelfugen Nein Angaben zur Konstruktion sind in Tabelle 1 zusammengestellt. Die nachfolgenden Betrachtungen beziehen sich ausschließlich auf die schubfeste Verbindung zwischen Druckgurt (Bodenplatte) und Steg. Weitere Defizite und potentielle Schwachstellen (bspw. der verwendete spannungsrisskorrosionsgefährdete Spannstahl, siehe Tabelle 1) sind nicht Gegenstand der hier dargestellten Untersuchungen. 3.2 Querschnitte und Beanspruchungen Der Überbau ist über die Brückenlänge gevoutet ausgeführt. Die Konstruktionshöhe variiert dabei zwischen 1,6 m im Feld und 3,3 m im Bereich der Mittelstütze. Die für die Nachrechnung des Gurtanschlusses im Stützbereich maßgebenden Querschnittsabmessungen sind in Bild 5 dargestellt. Bild 5 Querschnitte des Bauwerks im Stützbereich und resultierende Höhenlage der Spannglieder Die Änderung der Querschnittsabmessungen über die Bauwerkslänge betrifft neben der Gesamthöhe des Hohlkastens auch eine Aufweitung der Stege und der Bodenplatte mit zunehmender Nähe zum Mittelauflager. In Tabelle 2 sind die für die Bemessung des Gurtanschlusses maßgebenden Beanspruchungen zusammengestellt. Hierbei wurden das Biegemoment M y,d und die Querkraft V z,d jeweils ohne den statisch bestimmten Anteil aus Vorspannwirkung angegeben. 194 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Tabelle 2: Beanspruchungen in den Schnitten 1 bis 7 QS M y,d [MNm] V z,d [MN] M p,dir [MNm] V p,dir [MN] N p [MN] 1 -160 -17,30 44,63 0 -40,84 2 -124 -15,58 39,15 1,40 -40,82 3 -91,8 -13,87 30,53 2,65 -40,75 4 -63,2 -12,15 19,89 3,25 -40,71 5 -27,4 -9,58 3,02 3,56 -40,68 6 0 -7,00 -8,24 2,22 -28,50 7 13,5 -5,28 -12,85 1,65 -28,54 Die Ermittlung der Längskräfte in der Bodenplatte erfolgt durch Auswertung der Dehnungsebenen in den Querschnitten 1 bis 7 für die gegebenen Gesamtbeanspruchungen im GZT unter der ständigen und vorübergehenden Bemessungskombination (Tabelle 2). Hierbei werden die Spannungs-Dehnungs-Linien für die Querschnittsbemessung gemäß DIN EN 1992 verwendet. Der statisch bestimmte Anteil der Vorspannwirkung wird in Form einer Vordehnung des Spannstahls in den einzelnen Querschnitten berücksichtigt. Die Auswertung der Längsbeanspruchungen der Bodenplatte ist in Tabelle 3 zusammengestellt. Die mitwirkende Druckgurtbreite wurde gemäß DIN EN 1992 ermittelt. Im vorliegenden Fall kann die ganze geometrische Druckgurtbreite als mitwirkend in Ansatz gebracht werden. Tabelle 3: Dehnungen, Spannungen und resultierende Kräfte im Druckgurt QS ε BP,u [‰] ε BP,o [‰] σ BP,u [MPa] σ BP,o [MPa] N BP [MN] 1 -1,922 -1,361 -16,97 -15,26 -28,39 2 -1,408 -1,090 -15,51 -13,48 -23,07 3 -1,071 -0,904 -13,33 -11,89 -17,95 4 -0,851 -0,755 -11,39 -10,41 -14,52 5 -0,61 -0,557 -8,79 -8,15 -9,11 6 -0,342 -0,324 -5,31 -5,06 -5,57 7 -0,204 -0,206 -3,29 -3,22 -3,55 (BP: Bodenplatte; o, u: Oberer Rand, Unterer Rand) 1v Ed je Steganschnitt (2 vorhanden) 3.3 Nachweis des Druckgurtanschlusses Der Nachweis des schubfesten Druckgurtanschlusses erfolgt nachfolgend auf Basis des Nachweisformats der DIN EN 1992 sowie nach Abschnitt 2.3. 3.4 Vereinfachtes Fachwerkmodell nach DIN EN 1992-2/ NA Für den Nachweis des schubfesten Anschlusses von Druckgurten an die Stege gegliederter Querschnitte darf gemäß DIN EN 1992 der Neigungswinkel der Betondruckstreben im Fachwerkmodell vereinfachend zu cot θ = 1,20 angenommen werden. Im Zuge der Anwendung des vereinfachten Fachwerkmodells werden die zulässigen maximalen Gurtabschnittslängen ∆ x=a v rechnerisch berücksichtigt. Der Maximalwert, der für ∆ x angesetzt werden darf, ist der halbe Abstand zwischen Momentennullpunkt und betragsmäßigem Momentenmaximum. Die Ergebnisse der Berechnung sind in Tabelle 4 zusammengestellt. Die Ermittlung der erforderlichen Gurtanschlussbewehrung erfolgt nach Gleichung (5). (2) Tabelle 4: Erforderliche Anschlussbewehrung für den Druckgurt gem. vereinfachtem Verfahren nach DIN EN 1992-2/ NA ∆ x [m] F d [MN] F d +∆F d [MN] v Ed 1 [MN/ m] cot θ [-] erf. a s [cm²/ m] 1 6,60 -5,6 -14,5 0,67 1,2 15,4 2 6,60 -14,5 -28,4 1,05 1,2 24 Die auf diese Weise ermittelte Bewehrung ist je Steganschnitt erforderlich. Auf die Darstellung des Nachweises der Betondruckstreben wird hier verzichtet.Fachwerkmodell mit Rissreibung nach DIN EN 1992-2/ NA Bei diesem Nachweisformat erfolgt die Ermittlung des Druckstrebenwinkels analog zum Nachweis der Querkrafttragfähigkeit schubbewehrter Stegquerschnitte nach Gleichung (6). (6) 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 195 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Mit Für die Übertragung dieser Gleichungen zur Ermittlung des Druckstrebenwinkels auf den Druckgurt ist b w =h f zu setzen. Da im hier vorliegenden Beispiel die Ermittlung des Widerstands pro laufenden Meter Gurtanschlusslänge erfolgt, wurde z= ∆ x=a v =1,0 in der Gleichung für v Rd,cc bereits berücksichtigt. Die tatsächliche Länge des betrachteten Gurtabschnitts wird bei der Ermittlung der Beanspruchung v Ed je laufenden Meter berücksichtigt. Für s cp wird gemäß DIN EN 1992-2/ NA die mittlere Beton- 2v Ed je Steganschnitt (2 vorhanden) 3 erf. as ohne Berücksichtigung des Grenzwinkels von cot θ = 1,75 längsspannung s cp,m = N BP / (h f ·b eff ) im anzuschließenden Gurtabschnitt mit der Länge ∆ x=a v angesetzt. Durch die zunehmend größeren Längsdruckspannungen im Gurt stellen sich immer flacher werdende Neigungswinkel für die Druckstreben ein. Um die Auswirkungen der zur Mittelstützung hin größer werdenden Längsdruckspannungen in der Gurtscheibe zu berücksichtigen, erfolgt die Nachweisführung daher anders als zuvor beim vereinfachten Verfahren nach DIN EN 1992-2/ NA in kürzeren Gurtabschnittslängen. Für die konkrete Nachrechnungspraxis ist es darüber hinaus empfehlenswert eine möglicherweise abgestufte Gurtanschlussbewehrung bei der Festlegung der Abschnittslängen zu berücksichtigen. Die erforderliche Gurtanschlussbewehrung nach DIN EN 1992-2/ NA ist in Tabelle 5 zusammengestellt. Tabelle 5: Erforderliche Anschlussbewehrung für den Druckgurt je Steganschnitt gem. DIN EN 1992-2/ NA Q N BP [MN] ∆x [m] h f,M [m] ∆ cp,m [MPa] v Rd,cc [MN/ m] v Ed 2 [MN/ m] cot θ [-] erf. as [cm²/ m] erf. as 3 [cm²/ m] 1 -28,39 2,2 0,425 -15,45 0,00 1,21 2,47>1,75 18,9 13,4 2 -23,07 2,2 0,375 -13,6 0,011 1,16 2,30>1,75 18,2 13,8 3 -17,95 2,2 0,335 -11,8 0,042 0,78 2,30>1,75 12,2 9,3 4 -14,52 3,3 0,285 -9,7 0,067 0,82 2,15>1,75 12,8 10,4 5 -9,11 3,3 0,25 -6,7 0,098 0,54 2,15>1,75 8,5 6,9 6 -5,57 2,2 0,25 -4,12 0,132 0,46 2,15>1,75 7,2 5,9 7 -3,55 3.5 Anwendung des Vorschlags zur Nachrechnung von Druckgurtanschlüssen mit vorhandener Gurtanschlussbewehrung In Abschnitt 2 werden Unterschiede im Tragverhalten zwischen Gurt- und Stegquerschnitten beschrieben. Diese und die Ausführungen in [3, 10] zeigen, dass die Übertragung des für Stegquerschnitte hergeleiteten Fachwerkmodells mit Rissreibung auf die unter hohen ansteigenden Längsdruckspannungen stehenden Bereiche von Druckgurten nicht sinnvoll ist. Die sehr niedrigen Werte für den Rissreibungsanteil v Rd,cc in Tabelle 5 im Bereich der Mittelstützung sind ein Beleg für den in [3, 10] beschriebenen geringen Einfluss dieses Traganteils unter diesen Randbedingungen. Nachfolgend wird die erforderliche Gurtanschlussbewehrung daher nach dem Verfahren in Abschnitt 2.3 unter Berücksichtigung der vorhandenen Gurtanschlussbewehrung ermittelt. Hierbei erfolgt die Festlegung des Neigungswinkels der Druckstreben im Fachwerkmodell unter Berücksichtigung der vorhandenen Hauptspannungsrichtungen im Druckgurt im Bereich der Mittelstütze (Abstand h vom Zwischenauflager) nach Gleichung (4). Für die Längs- und Schubspannung im Abstand h = 3,3m werden die die mittleren Spannungen zwischen Q2 (Abstand 2,2m) und Q3 (Abstand 4,4m) verwendet (siehe Tabelle 6). Zum Vergleich sind die maßgebenden Beanspruchungen in den Bildern 8 und 9 markiert. Längsspannung σ x,Ed = σ cp,m =-13,6 MPa Schubspannung (im Gurtanschnitt) τ Ed = v Ed / h f = 3,1 MPa → maßgebend: 196 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Die vorhandene Längsspannung s x,Ed im Momentennulldurchgang entspricht mit -3,6 MPa der Spannung infolge des zentrisch wirkenden Anteils der Vorspannung auf den Gesamtquerschnitt. Die Neigung der Betondruckstrebe wird durch Einsetzen in Gleichung (3) wie folgt ermittelt: → maßgebend: Bild 6 Wahl der Druckstrebenwinkel in den verschiedenen Gurtabschnitten 4v Ed je Steganschnitt (2 vorhanden) Die Wahl der Druckstrebenwinkel in den verschiedenen Gurtabschnitten ist in Bild 6 dargestellt. Darüber hinaus sind die zugehörigen Berechnungsergebnisse für alle Abschnitte in Tabelle 6 zusammengefasst. Innerhalb eines Abschnitts wird analog zum Vorgehen nach DIN EN 1992-2/ NA ein konstanter Winkel für die Neigung der Betondruckstrebe angenommen. Zur Überprüfung der Plausibilität der mit diesem Verfahren gewählten Druckstrebenwinkel erfolgt zusätzlich die Auswertung der Neigungswinkel der schiefen Betondruckstreben bzw. der numerisch am Faltwerkmodell mit Schalenelementen ermittelten Risswinkel. Hierbei wird das physikalisch nichtlineare Materialverhalten des Betons unter Berücksichtigung der Rissbildung beachtet. Da der Druckgurt unter Bemessungslasten ungerissen ist, erfolgt eine weitere Berechnung mit um den Faktor 1,25 erhöhten Bemessungslasten sowie unter Ansatz der Bemessungszugfestigkeit. Um diese Laststufe erreichen zu können, wurde für diese Rechnung die Druckfestigkeit eines C50/ 60 in Ansatz gebracht. Tabelle 6: Erforderliche Anschlussbewehrung für den Druckgurt je Steganschnitt gem. Berechnungsvorschlag für Druckgurtanschlüsse mit vorhandener Gurtanschlussbewehrung Q N BP [MN] ∆x [m] h f,M [m] σ cp,m [MPa] v Ed 4 [MN/ m] θ[°] cot θ [-] v Rd,max [MN/ m] erf. as [cm²/ m ] 1 -28,39 2,2 0,425 -15,45 1,21 15 3,73 1,35 8,9 2 -23,07 2,2 0,375 -13,6 1,16 15 3,73 1,19 8,6 3 -17,95 2,2 0,335 -11,8 0,78 18 3,0 1,26 7,1 4 -14,52 3,3 0,285 -9,7 0,82 22 2,5 1,26 8,9 5 -9,11 3,3 0,25 -6,7 0,54 27 2,0 1,29 7,4 6 -5,57 2,2 0,25 -4,12 0,46 31 1,73 1,40 7,3 7 -3,55 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 197 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Bild 7 Hauptdruckspannungen und zugehörige Winkel q f im Gurt unter Bemessungslasten (oben) und unter 1,25-fachen Bemessungslasten inkl. Vergleich mit Winkeln des Bemessungsvorschlags (unten) 198 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Bild 7 enthält die Darstellung der so ermittelten Hauptdruckspannungswinkel im Druckgurt unter Bemessungslasten (obere Darstellung). Die Veränderung der Neigungswinkel bei weiterer Laststeigerung im FE-Modell ist in der unteren Darstellung zu erkennen. Die Druckstrebenwinkel im Gurtanschnitt im FE-Modell sind durch Linien oberhalb der Gurtdarstellungen ausgewertet. Im unteren Teilbild sind zusätzlich die rechnerischen Druckstrebenwinkel des hier angewendeten Bemessungsvorschlags aufgetragen. Es ist zu erkennen, dass die Entwicklung der Druckstrebenneigung im FE-Modell gut mit der des Bemessungsvorschlags angenähert wird. Dabei führt der Bemessungsvorschlag mit etwas größeren Winkeln im Vergleich zu den rechnerischen Risswinkeln in der FE-Berechnung zu auf der sicheren Seite liegenden Ergebnissen. 3.6 Anwendung des Vorschlags zur Ermittlung der mit der vorhandenen Anschlussbewehrung aktivierbaren Gurtbreite Da der Nachweis einer ausreichenden Tragfähigkeit der schubfesten Verbindung zwischen Balkensteg und 5v Ed je Steganschnitt (2 vorhanden) Druckgurt auch unter Berücksichtigung der im Vergleich zum Ansatz nach DIN EN 1992-2/ NA deutlich flacheren Druckstrebenwinkel mit dem hier vorgeschlagenen Bemessungsansatz nicht erbracht werden kann, wird nachfolgend die mitwirkende Gurtbreite soweit reduziert, dass die übrigen Nachweise im GZT am Gesamtquerschnitt noch erbracht werden können. Bei einer maximalen Reduktion der rechnerischen Druckgurtbreite um 0,85 m kann der Nachweis der Tragfähigkeit für Biegung mit Längskraft noch erbracht werden. Die Grenzdehnung in Gurtmitte wurde hierbei gemäß DIN EN 1992-2/ NA auf 2‰ festgesetzt. Die auf Basis der reduzierten Gurtbreite ermittelten resultierenden Längsdruckkräfte wurden durch Auswertung der Dehnungsebenen in den verschiedenen Schnitten ermittelt und sind ebenso wie die erforderliche Anschlussbewehrung in Tabelle 7 zusammengestellt. Die rechnerische Druckstrebenneigung bleibt unverändert. Tabelle 7: Erforderliche Anschlussbewehrung für den Druckgurt je Steganschnitt gem. Berechnungsvorschlag für Druckgurtanschlüsse mit reduzierter Gurtbreite Q N BP [MN] ∆x [m] h f,M [m] σ cp,m [MPa] v Ed 5 [MN/ m] θ[°] cot θ [-] v Rd,max [MN/ m] erf. as [cm²/ m] 1 -22,95 2,2 0,425 -16,1 0,9 15 3,73 1,35 6,6 2 -18,97 2,2 0,375 -14,3 0,9 15 3,73 1,19 6,6 3 -15,0 2,2 0,335 -12,4 0,66 18 3,0 1,26 6,1 4 -12,06 3,3 0,285 -10,1 0,67 22 2,5 1,26 7,3 5 -7,62 3,3 0,25 -7,1 0,45 27 2,0 1,29 6,1 6 -4,67 2,2 0,25 -4,4 0,38 31 1,73 1,40 6,1 7 -2,98 3.7 Anwendung des Vorschlags zur Nachrechnung von ungerissenen Druckgurtanschlüssen mit geringer Anschlussbewehrung Die Bodenplatte im Innenstützenbereich des hier betrachteten 50 Jahre alten Bauwerks weist bis zum heutigen Tag keine erkennbare Rissbildung auf. Die Schubkraftübertragung zwischen Balkensteg und Druckgurt kann folglich gewährleistet werden, ohne dass die Hauptzugspannungen die vorhandene Betonzugfestigkeit erreichen bzw. überschreiten. Aus dieser Beobachtung lässt sich jedoch noch kein Rückschluss auf die vorhandene Sicherheit im Hinblick auf ein Aufreißen des Anschlussbereichs ableiten, da das Bauwerk zum einen tatsächlich nur den Gebrauchsbeanspruchungen ausgesetzt ist und zum anderen nicht bekannt ist wie hoch die tatsächlich vorhandenen Zugspannungen im Beton sind. Das nachfolgende Nachweisformat dient der Einschätzung, ob der in der Beobachtung vor Ort festgestellte Bauteilzustand (ungerissener Zustand I) auch im GZT 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 199 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken unter Bemessungslasten mit ausreichender Sicherheit zu erwarten ist. In den Bildern 8, 9 und 10 sind die ermittelten Dehnungsebenen in verschiedenen Schnitten des Längssystems qualitativ dargestellt. Es ist zu erkennen, dass der Gesamtquerschnitt im Bereich der Mittelstütze auf der Biegezugseite (Fahrbahnplatte) bereits infolge Biegung gerissen ist. Je nach vorhandener Auslastung der Biegedruckzone (Beton) und der Biegezugzone (Spannstahl bzw. Betonstahl) kommt es zu einer Abnahme der Druckzonenhöhe. Dies führt dazu, dass die Längsspannungen im Druckgurt verglichen mit einer linear elastischen Rechnung am ungerissenen Gesamtquerschnitt schneller ansteigen (siehe Bild 8). Entsprechend ändert sich auch der Schubfluss bzw. die Schubspannungen im Anschnitt vom Steg an den Gurt (siehe Bild 9). Aus diesem Grund ist es erforderlich, die Rissbildung im Gesamtquerschnitt infolge Biegung mit Längskraft bei der Nachweisführung zu berücksichtigen. Überdies sind ggf. die Spannungszustände infolge der Lasteinleitung von Spanngliedverankerungen, die außerhalb des Druckgurtes verankert sind, zu ermitteln und bei der Nachweisführung zu beachten. Die Ermittlung der Beanspruchungen erfolgt an einem Stabquerschnitt mit einem Knotenabstand von 55 cm. Der geringe Abstand der Rechenknoten wird gewählt, um die Ungenauigkeit, die durch die Vergleichmäßigung des Schubflusses zwischen zwei Schnitten entsteht, möglichst gering zu halten. Die Ermittlung der Zusatzbeanspruchung bzw. des Wirkungsbereichs der Lastausbreitung eines im Steg verankerten Spanngliedes erfolgte im vorliegenden Beispiel durch eine Zusatzbetrachtung an einem Schalenmodell. Aus dieser Betrachtung wurden Eingangswerte für eine Modifikation der am Stabmodell ermittelten Spannungen abgeleitet: • Wirkungsbereich von l Einl =3,4 m vor und hinter der Verankerung (dies entspricht einer Lastausbreitung von etwa 30°). • Der Schubfluss wird im Wirkungsbereich hinter der Verankerung um ∆ F U / l Einl vergrößert. • Die Längsdruckspannung hinter der Verankerung wird infolge des Verankerungsschubflusses modifiziert. Die auf der unsicheren Seite liegende positive Wirkung der zusätzlichen Drucknormalkraft infolge des Spannungssprungs am Stabsystem wird auf diese Weise rechnerisch entfernt (siehe gestrichelte rote Linie in Bild 8). • Der Schubfluss wird im Wirkungsbereich vor der Verankerung um 1/ 3· ∆ F U / l Einl vergrößert. ∆ F U Längskraftunterschied in der Bodenplatte im Querschnitt der Zwischenverankerung des Spannglieds am Stabmodell l Einl Einleitungslänge von ∆ F U in die Bodenplatte Eine Zusatzbetrachtung an einem Schalenmodell zur Ermittlung der Beanspruchungen örtlicher Lasteinleitungen sollte in jedem Einzelfall zur Plausibilisierung vereinfachter Rechenannahmen erfolgen, da die Randbedingungen des Beispiels nicht allgemeingültig übertragbar sind. In Bild 10 ist zu erkennen, dass nach allen Verfahren die ermittelten Hauptzugspannungen in der Mittelfläche des Gurtquerschnitts im Anschnitt zum Steg kleiner sind als der abgeminderte Bemessungswert der Betonzugfestigkeit. Überdies ist erkennbar, dass der Einfluss der Rissbildung auf die Dehnungsebene und den Spannungszustand infolge Biegung mit Längskraft im Gesamtquerschnitt sowie der Spanngliedverankerung im Steg auf die Spannungsverläufe nicht vernachlässigbar ist und immer beachtet werden muss. Bei dem vorgestellten Ansatz handelt es sich um ein Näherungsverfahren, das die Realität unter Berücksichtigung von Vereinfachungen beschreibt. Der tatsächliche Spannungszustand einer Spannbetonbrücke, beeinflusst durch Eigenspannungen, Schnittgrößenumlagerungen durch Kriechen des Betons nach Systemwechseln, etc. lässt sich im Rahmen einer Nachrechnung nicht bestimmen. Das Verfahren dient daher primär der Abschätzung der Wahrscheinlichkeit einer Schubrissbildung in den Druckgurtanschlüssen bestehender älterer Bauwerke, die bislang keine Risse aufweisen. Bild 8 Vergleich der Längsspannungen im Druckgurtanschnitt ermittelt nach verschiedenen Verfahren 200 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Bild 9 Vergleich der Schubspannungen im Druckgurtanschnitt ermittelt nach verschiedenen Verfahren Bild 10 Vergleich der Hauptzugspannungen im Druckgurtanschnitt ermittelt nach verschiedenen Verfahren 4. Zusammenfassung und Ausblick 4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse In Bild 11 sind die nach den unterschiedlichen Verfahren ermittelten erforderlichen Gurtanschlussbewehrungsmengen der vorhandenen Bewehrung gegenübergestellt. Es ist zu erkennen, dass das vereinfachte Nachweisformat der DIN EN 1992-2/ NA, in dem der Druckstrebenneigungswinkel im Fachwerkmodell für die Berechnung des Druckgurtanschlusses pauschal zu cot θ=1,20 angesetzt werden darf, zu sehr konservativen Bemessungsergebnissen führt. Die genauere Berechnung nach DIN EN 1992-2/ NA auf Basis des Fachwerkmodells mit Rissreibungsanteil führt zu deutlich geringen erforderlichen Bewehrungsmengen im Vergleich zum vereinfachten Verfahren. Jedoch wird in der zweiten Hälfte des Druckgurtes (zwischen ~60 m und 67 m) die positive Wirkung der vorhandenen hohen Längsdruckspannung durch das Fachwerkmodell mit Rissreibung, selbst unter Berücksichtigung eines verringerten zulässigen Grenzwinkels für die Druckstrebenneigung von cot θ ≤ 3,0, nicht hinreichend berücksichtigt. Der minimal mögliche Druckstebenneigungswinkel nach DIN EN 1992-2/ NA errechnet sich hierbei im betrachteten Beispiel zu cot θ= 2,47 und die Rissreibungskomponente geht mit zunehmender Längsdruckkraft erwartungsgemäß allmählich gegen Null (siehe Tabelle 5). Bild 11 Vergleich der vorhandenen Gurtanschlussbewehrung mit der nach verschiedenen Nachweisverfahren rechnerisch erforderlichen Bewehrung Durch den vorgestellten Berechnungsvorschlag unter Berücksichtigung einer an den vorhandenen Scheibenspannungsverhältnissen orientierten Wahl der Betondruckstrebenwinkel q f für den Nachweis der erforderlichen Gurtanschlussbewehrung können die rechnerischen Defizite erheblich reduziert werden. Der Auslastungsgrad der Anschlussbewehrung konnte von maximal über 300% beim Nachweis nach derzeitigem Regelwerk auf maximal 120% reduziert werden. Durch Anwendung des Hauptspannungskriteriums konnte der Nachweis im vorliegenden Beispiel erbracht werden (siehe Bild 10). 4.2 Ausblick Das Schubtragverhalten der Gurt- und Stegquerschnitte von Spannbetonbrücken unterscheidet sich in mehreren Punkten voneinander. Direkte Druckstreben, Sprengwerk- oder Druckbogentraganteile und damit vergleichbare Mechanismen, die zum Tragwiderstand von Stegquerschnitten beitragen, sind auf die Gurtscheiben gegliederter Querschnitte nicht übertragbar [3, 10]. Darüber hinaus wird das Rissverhalten maßgeblich vom sich stetig über die Bauwerkslänge ändernden Längsspannungszustand beeinflusst. Die exemplarische Anwendung der vorgeschlagenen Nachweisformate auf ein älteres Spannbetonbrückenbauwerk und der Vergleich der Ergebnisse mit den nach aktuellen Regelwerken ermittelten, macht das Potential der Nachweisformate für die Beurteilung bestehender Bauwerke deutlich. Gleichzeitig sind die hohen rech- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 201 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken nerischen Defizite (>200%), die teilweise bei der Nachrechnung nach aktuellen Regelwerken errechnet werden, ein deutlicher Hinweis darauf, dass die aktuellen Nachweisformate das Tragverhalten nicht zutreffend und zu konservativ erfassen. Diese Herangehensweise bei der Bemessung kann für die Planung von Neubauten durchaus sinnvoll sein, da sie zu einer robusten und zukunftsfähigen Tragwerksauslegung führt und sich die Mehrkosten durch die so ermittelte Bewehrung gleichzeitig in Grenzen halten. Allerdings sind für die Bewertung bestehender Bauwerke genauere Verfahren notwendig, da nachträgliche Verstärkungen in diesem Bereich sehr aufwändig und oft technisch fragwürdig sind. Die bereichsweise sehr geringen Druckstrebenneigungswinkel nach dem hier vorgeschlagenen Berechnungsansatz werden daher nur für die Tragfähigkeitsbewertung bestehender älterer Bauwerke vorgeschlagen. Nichtsdestotrotz erscheint im Hinblick auf die zukünftige Regelwerksbearbeitung eine Differenzierung zwischen Gurt- und Stegquerschnitten bei der Festlegung der Grenzwinkel der Druckstrebenneigung auch für den Neubau sinnvoll. Der vorgestellte Ansatz zur Ermittlung der Tragfähigkeit über den Nachweis der schiefen Hauptzugspannungen erscheint insbesondere für ungerissene Gurte sinnvoll. Hierdurch soll nicht nur die augenscheinliche Rissfreiheit rechnerisch bestätigt werden, sondern durch die Nachweisführung auf Bemessungslastniveau und die Festlegung einer abgeminderten Bemessungszugfestigkeit als Nachweisgrenze soll vielmehr gezeigt werden, dass der betrachtete Gurt mit einer ausreichenden Sicherheit ungerissen ist und auch weiterhin keine Rissbildung zu erwarten ist. In den durchgeführten Untersuchungen wurde jedoch auch deutlich, dass die derzeit vorhandene Versuchsdatengrundlage sehr gering ist. So existieren insgesamt nur sehr wenige Versuche zum Tragverhalten von Druckgurten. Bei einem überwiegenden Teil der Versuche trat der Bruch im Experiment darüber hinaus nicht als Folge eines Versagens des Gurtanschlusses ein. Weitere experimentelle Untersuchungen zum Tragverhalten des schubfesten Anschlusses der Gurte gegliederter Querschnitte an die Stege sind daher zur Verifikation genauerer Bemessungsverfahren erforderlich. Literatur [1] Maurer, R., Arnold, A. und Müller, M.: Auswirkungen aus dem neuen Verkehrslastmodellnach DIN EN 1991-2/ NA bei Betonbrücken. In: Beton- und Stahlbetonbau 106(11/ 2011), S. 747-759. [2] Maurer, R. et al.: Anpassung von DIN-Fachberichten „Brücken“ an Eurocodes, Teil 2: Anpassung des DIN-Fachberichts 102 „Betonbrücken“ an Eurocodes. BASt Heft B 77,Bergisch Gladbach, 2011. [3] Müller, M.: Zum schubfesten Anschluss von Druckgurten in Hohlkastenbrücken. Dissertation. Technische Universität Dortmund, 2016. [4] DIN EN 1992-1-1: 2011: Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau, Deutsche Fassung EN 1992-1-1: 2004 + AC: 2010. Beuth Verlag, Berlin, 2011. [5] DIN EN 1992-2: 2010: Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln, Deutsche Fassung EN 1992- 2: 2005 + AC: 2008. Beuth Verlag, Berlin, 2010. [6] DIN EN 1992-2/ NA: 2013: Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter - Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln. Beuth Verlag, Berlin, 2013. [7] DIN-FB 102: 2009: DIN-Fachbericht 102 Betonbrücken (2009). Beuth Verlag, Berlin, 2009. [8] Nachrechnungsrichtlinie: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie) Ausgabe 05/ 2011. BMVBS, 2011. [9] Nachrechnungsrichtlinie: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie) Ausgabe 05/ 2011, 1. Ergänzung Ausgabe 04/ 2015. BMVI, 2015. [10] Müller, M., Maurer, R.: Untersuchungen zum Tragverhalten von Druckgurtanschlüssen in Hohlkastenbrücken. In: Beton- und Stahlbetonbau 112 (02/ 2017), S. 60-74. [11] Reineck, K.-H.: Hintergründe zur Querkraftbemessung in DIN 1045-1 für Bauteile aus Konstruktionsbeton mit Querkraftbewehrung. In: Bauingenieur 76 (4/ 2001), S. 168-179.