eJournals Brückenkolloquium 4/1

Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
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2020
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Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding

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2020
Matthias Haslbeck
Christian Merkl
Thomas Braml
Sicherheit ist der Zentralbegriff der Nachrechnung. Sicherheit kann dann geschaffen werden, wenn es gelingt die Unsicherheit in den Systemparametern zu reduzieren. Um statische Systeme in den tatsächlichen Systemeigenschaften zu beschreiben, sind Messungen unabdingbar. Im Rahmen des vorgestellten Forschungsvorhabens wurden Versuche an einer Spannbetonbrücke geplant und durchgeführt, die es ermöglichen, aus den am Bestandsbauwerk beobachteten Systemreaktionen Rückschlüsse auf die strukturellen Eigenschaften des Systems zu ziehen. Die Prozesskette der Systemidentifikation erstreckt sich dabei von der Versuchsplanung über die Versuchsdurchführung und Datenauswertung bis zum Nachjustieren des Finite-Elemente-Modells durch Bayes’sches Updating. Neben der Beschreibung der durchgeführten Belastungsversuche wird im Rahmen dieses Beitrags besonderes Augenmerk auf die verwendeten Messsysteme gelegt. Zum Einsatz kamen unter anderem Verfahren der drohnengestützten Photogrammetrie, des Lasertrackings, der elektrischen und faseroptischen Dehnungsmessung und der optischen Bewegungs- und Verformungsanalyse (Digitale Bildkorrelation). Da sich im Rahmen des Rückbaus die Möglichkeit bot, Teile der Versuchsbrücke einer genaueren Untersuchung an der Universität der Bundeswehr München zu unterziehen, wurden zudem Verfahren der hochgenauen Geometrieerfassung und zur Detektion von Spanngliedbrüchen angewendet.
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4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 205 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding Matthias Haslbeck Universität der Bundeswehr München Institut für Konstruktiven Ingenieurbau Werner-Heisenberg-Weg 39 85577 Neubiberg matthias.haslbeck@unibw.de Christian Merkl Institut für Konstruktiven Ingenieurbau Universität der Bundeswehr München Thomas Braml Institut für Konstruktiven Ingenieurbau Universität der Bundeswehr München Zussammenfassung Sicherheit ist der Zentralbegriff der Nachrechnung. Sicherheit kann dann geschaffen werden, wenn es gelingt die Unsicherheit in den Systemparametern zu reduzieren. Um statische Systeme in den tatsächlichen Systemeigenschaften zu beschreiben, sind Messungen unabdingbar. Im Rahmen des vorgestellten Forschungsvorhabens wurden Versuche an einer Spannbetonbrücke geplant und durchgeführt, die es ermöglichen, aus den am Bestandsbauwerk beobachteten Systemreaktionen Rückschlüsse auf die strukturellen Eigenschaften des Systems zu ziehen. Die Prozesskette der Systemidentifikation erstreckt sich dabei von der Versuchsplanung über die Versuchsdurchführung und Datenauswertung bis zum Nachjustieren des Finite-Elemente-Modells durch Bayes’sches Updating. Neben der Beschreibung der durchgeführten Belastungsversuche wird im Rahmen dieses Beitrags besonderes Augenmerk auf die verwendeten Messsysteme gelegt. Zum Einsatz kamen unter anderem Verfahren der drohnengestützten Photogrammetrie, des Lasertrackings, der elektrischen und faseroptischen Dehnungsmessung und der optischen Bewegungs- und Verformungsanalyse (Digitale Bildkorrelation). Da sich im Rahmen des Rückbaus die Möglichkeit bot, Teile der Versuchsbrücke einer genaueren Untersuchung an der Universität der Bundeswehr München zu unterziehen, wurden zudem Verfahren der hochgenauen Geometrieerfassung und zur Detektion von Spanngliedbrüchen angewendet. 1. Modellupdating im Kontext der Nachrechnung und des Building Information Modeling Die statische Modellbildung in der Berechnung baulicher Strukturen basiert im Wesentlichen auf normativ festgelegten Material- und Systemparametern sowie auf Erfahrungswerten. Diese Annahmen sind jedoch erheblichen Schwankungen unterworfen, wie in [1] eingehend ausgeführt wird. Im Rahmen von Nachrechnungen soll die Ermittlung der vom Tragwerk aufnehmbaren Bemessungslast so realitätsnah und objektspezifisch wie möglich durchgeführt werden, jedoch auch mit dem erforderlichen Augenmaß erfolgen, um einen optimalen Ausgleich zwischen den Zielsetzungen der Sicherheit, der Minimierung des Nachrechnungsaufwands und einer größtmöglichen Lebensdauer des Bauwerks zu erzielen (Abbildung 1). 206 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding Abb. 1: Zielkonflikt bei den Anforderungen an die Nachrechnung Eine Methodik für die realitätsnahe Beschreibung des vorhandenen Systems bietet die Systemidentifikation durch Bayes‘sches Updating. Dabei können aus Versuchen gewonnene Systemreaktionen dazu genutzt werden, die rechnerischen Modellannahmen derart anzupassen, dass diese die gemessenen Daten bestmöglich approximieren. Die Kenntnis dieser verbesserten Modellannahmen ermöglicht neue Wege in der Bewertung von Bestandsbauten und der Anreicherung von BIM-Modellen um die so upgedateten Systemparameter. 2. Zielsetzung der Untersuchungen Diese Arbeit geht auf die Gewinnung von Messdaten für das Updating statischer Modelle ein und stellt dabei verschiedene Messverfahren zur Bestimmung von Bauwerksreaktionen vor. Im Rahmen der weiteren Forschung soll die Eignung dieser unterschiedlichen Verfahren zur Ermittlung der Messgrößen untersucht werden, um das Updating bzw. die Kalibrierung von FE-Modellen durch gemessene Daten zu einem validen Teil der Nachrechnungspraxis im Bauingenieurwesen werden zu lassen. 3. Beschreibung der Versuchsbrücke Beim untersuchten Brückenbauwerk handelt es sich um eine Kastenbrücke mit einer Gesamtlänge von 137 m. Die Konstruktion aus dem Jahr 1965 überführte die Bundesstraße 85 als Dreifeldträger über den Fluss Regen bei Roding. Die Einzelfeldlängen betrugen 39 m + 55 m + 39 m. Durch eine verhältnismäßig geringe Überbauhöhe von 1,2 m bis maximal 2,25 m ergab sich eine große Schlankheit des vorgespannten Tragwerks. Eine zeichnerische Darstellung des untersuchten Bauwerks kann den Abbildungen 2 und 3 entnommen werden. Abb. 2: Regelquerschnitt der Versuchsbrücke Roding Abb. 3 : Längsschnitt der Versuchsbrücke Roding 4. Geometrieerfassung durch drohnengestützte Photogrammetrie Aufgrund des großen Einflusses geometrischer Größen in den Berechnungs- und Bemessungsformeln, beispielsweise des Trägheitsmoments, wurde mit UAV-Photogrammetrie ein spezifisches Augenmerk auf ein modernes, umfassendes und schnelles Objekterfassungsverfahren gelegt. Als Photogrammetrie werden Verfahren bezeichnet, bei denen die geometrischen Größen eines Messobjekts aus der Interpretation von fotografischen Aufnahmen gewonnen werden [2],[3]. Instrumentierte und unbemannte Fluggeräte, kurz Drohnen oder UAVs, bieten die Möglichkeit, ohne die Notwendigkeit zusätzlicher Zugangstechnik zum Bauwerk, die äußere Gestalt von Objekten digital zu erfassen. Obwohl die geometrische Beschreibung von Bauwerken unter Verwendung von Drohnenbeflügen eher die Aus- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 207 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding nahme als die Regel darstellt, finden photogrammetrische Untersuchungen zunehmend Eingang in die Ingenieurpraxis [4]. Abbildung 4 zeigt das entstandene Modell, welches aus den Aufnahmen des Instituts für Baustatik und Baudynamik der Universität der Bundeswehr München generiert wurde. Hierfür wurde die opensource-Software meshroom verwendet, welche auf aktuellen Forschungsergebnissen der Computer Vision beruht und dabei zunächst gemeinsame Features zwischen den einzelnen Bildern erzeugt und verknüpft, eine grobe Punktwolke durch einen „Structure from Motion“-Prozess berechnet und diese anschließend mittels Deep-Mapping verfeinert. Bezüglich der Umsetzungsdetails sei auf die Literaturquellen verwiesen, welche auf alicevision.org für den Ablaufprozess detailliert hinterlegt sind. [6] Innerhalb des Arbeitsprozesses werden die aus unterschiedlichen Perspektiven aufgenommenen Bilder mittels des sogenannten Bündelblockverfahrens [3],[5] in dreidimensionale Geometrieinformationen in Form von Punktwolken überführt. Diese Form von Bestandsaufnahme bietet die Möglichkeit, den gewonnenen Daten die geometrischen Abmessungen der Struktur zu entnehmen, was speziell bei fehlenden Bestandsunterlagen oder zur Überprüfung von geometrischen Annahmen sinnvoll ist. Abb. 4: Durch Verfahren der Photogrammetrie erzeugtes 3D-Modell der Versuchsbrücke Roding Abb. 5: Übersicht über die untersuchten Messgrößen und die verwendeten Verfahren 5. Datengewinnung im Rahmen der Belastungsversuche Um Messdaten zur Kalibrierung des FE-Modells zu generieren, wurden im Mai 2019 Versuche durchgeführt, die, ausgehend von definierten und separat erfassbaren Versuchslasten, als Eingangsdaten für den Updating-Prozess fungieren. Der Auswahl der Messtechnik fiel im Rahmen der Datenerhebung eine besondere Bedeutung zu. 5.1 Messgrößenkonzept Besondere Bedeutung für die spätere Verwendbarkeit der Ergebnisse fällt der Auswahl der Messorte und der zu messenden physikalischen Größen zu. Als Messorte wurden die Brückenmitte (M1), der Stützbereich über 208 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding dem Pfeiler in Fahrtrichtung Schwandorf (M2) und die Mitte des Randfeldes am Widerlager Schwandorf (M3) ausgewählt. Abbildung 5 zeigt eine Übersicht über die Messstellen und die verwendete Sensorik. Bei der Konzeption wurde berücksichtigt, dass lediglich zerstörungsfreie Messverfahren verwendet wurden und die Messungen an Orten eingeplant wurden, die sowohl eine ausreichende Signalstärke als auch eine gute Zugänglichkeit boten. Zudem wurde darauf geachtet, dass Redundanz in der Erfassung der Messgrößen bestand, um die durch verschiedene Messsysteme erlangten Daten vergleichen zu können. 5.2 Versuchsfahrzeuge Zur Berechnung der Systemparameter ist eine detaillierte Kenntnis des Belastungszustands erforderlich, weswegen Versuchsfahrzeuge mit definierten Lastbeträgen und Lastverteilungen zu verwenden sind. Bei der Planung muss weiterhin darauf geachtet werden, Versuchsfahrzeuge zu verwenden, welche ausreichend starke Messsignale erzeugen, um die messtechnische Erfassbarkeit der auftretenden Bauwerksreaktionen gewährleisten zu können. Die Wahl fiel auf zwei verschiedene Fahrzeugtypen, um deren Eignung untersuchen zu können. Bei den Messungen kamen deshalb ein Bergepanzer und ein mit Erdreich beladener Muldenkipper zum Einsatz (Abbildungen 6 und 7). Im Falle des eingesetzten Kettenfahrzeugs konnte zur Lastspezifikation auf tabellierte Angaben zurückgegriffen werden. Zur Bestimmung der durch den LKW aufgebrachten Last wurde eine mobile Achslastwaage verwendet. Abb. 6: Bergepanzer auf der Versuchsbrücke Abb. 7: Muldenkipper während des Belastungsversuchs 6. Im Belastungsversuch eingesetzte Messtechnik Zur Erforschung der Möglichkeiten und Grenzen unterschiedlicher Messverfahren in der Brückennachrechnung wurden im Rahmen dieses Großversuchs eine Vielzahl von Messverfahren angewandt, von denen eine Auswahl nachfolgend vorgestellt wird. Auf die Darstellung von Methoden der Ingenieurgeodäsie, der Neigungsmessung, der Messung von Beschleunigungen am Bauwerk und der Spannungsermittlung durch Messung von Ultraschalllaufzeiten wird an dieser Stelle verzichtet. 6.1 Elektrische und faseroptische Dehnungsmessung Die am weitesten verbreitete Methode zur Bestimmung mechanischer Dehnungen ist die Änderung des elektrischen Widerstands eines Drahtes durch dessen Verzerrungsänderung. Diese ist in gewissen Grenzen annähernd linear, was die Möglichkeit bietet, die mechanische Dehnung in elektrische Signale umzuwandeln und digital zu verarbeiten. Für eine genauere Darstellung der Anwendungsmöglichkeiten und der Funktion von elektrischen Dehnmessstreifen wird auf [8] verwiesen. Neben den Verfahren der elektrischen Dehnungsmessung finden zunehmend auch auf optischen Messprinzipien beruhende Sensorsysteme Verbreitung. Die verwendeten Sensoren basieren auf dem Prinzip der Rückstreuung von Licht an zuvor definierte Messpunkte. Die Glasfaser wird hierfür von Seiten des Herstellers mit einer Resonanzstruktur versehen, dem sogenannten Faser-Bragg-Gitter. Dieses reflektiert Licht einer definierten Wellenlänge zurück an das Endgerät. Je nach Dehnungszustand des Messobjekts verändert sich die Wellenlänge, was einen Rückschluss auf die herrschenden Dehnungen zulässt. Neben der Konfektionierung der Sensoren zur Dehnungsmessung werden zudem Temperatursensoren zum Kauf angeboten, was eine Kompensation von Temperatureinflüssen auf die Dehnungsmessung ermöglicht. [9] 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 209 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding Abbildung 8 zeigt eine Übersicht zur Sensoranbringung unterhalb der Stege. Abb. 8: angebrachte Dehnungssensoren unter der Brücke 6.2 Optische Bewegungs- und Verformungsanalyse Neben den Verfahren der elektrischen Messung von Dehnungen und Verformungen oder den Methoden der Ingenieurvermessung finden zunehmend auch Verfahren der optischen Bewegungs- und Verformungsanalyse Eingang in die wissenschaftliche und industrielle Praxis. Das Hauptanwendungsgebiet liegt jedoch noch vor allem in kleinformatigen Probekörpern der Automobil- und Konsumgüterindustrie, welche hauptsächlich unter Laborbedingungen getestet werden. [10] Für die meist großformatigen Probekörper und Bauteile des Bauwesens bieten sich hierfür die Verfahren der digitalen Bildkorrelation an, welche sich am menschlichen Sehen orientieren. Anhand der Versuchsbrücke Roding wird die Anwendbarkeit dieser berührungslosen Bewegungs- und Verformungsanalyse auf Brückenbauwerksabschnitte untersucht und Erfahrungen bei Messungen im Feldversuch gesammelt. Hierzu wurden zwei Systeme der Firma GOM ® vom Typ „ARAMIS“ nahe der Mitte des Randfeldes am Widerlager in Fahrtrichtung Schwandorf eingesetzt [11]. Eine Übersicht über den Messaufbau gibt die Abbildung 9. Abb. 9: Eingesetztes System zur 3D-Bewegungs- und Verformungsanalyse während der Messkampagne Die optische Bildanalyse ermöglicht die Messung von Verformungen, Beschleunigungen, Geschwindigkeiten und Dehnungen. Dabei wird ein mittels vorheriger Kalibrierung definierter, kubischer Messbereich durch zwei hochauflösende Stereokameras aufgenommen. Zusammen mit einem geeignet festzulegenden Kameraabstand können so basierend auf dem Strahlensatz mathematisch Bewegungen im Raum ermittelt werden, was eine dreidimensionale Messung ermöglicht. Neben statischen Veränderungen am Objekt lassen sich anhand von passend gesampelten Bilderserien auch dynamische Prozesse verfolgen. Das Grundprinzip der berührungslosen Verformungsmessung ist also ebenso wie in Abschnitt 4 eine photogrammetrische Aufnahme des Messbereichs durch hochauflösende Digitalkameras mit geeigneter Bildfrequenz und die anschließende Auswertung anhand von Verfahren der digitalen Bildkorrelation. [7] Für die Aufnahme räumlicher Bewegungen kommen sowohl definierte und durch die Systeme erkennbare Messmarken in Frage, als auch stochastisch gemusterte Flächen, aus welchen innerhalb fixer Pixelareale sogenannte Facettenpunkte wiedererkennbar generiert und anschließend nachverfolgt werden. Hierbei sind die Verformungen der Mess- und Facettenpunkte direkt erfassbar. Die Verzerrungen können dann entweder aus dem Verhalten zweier in Relation gesetzter Messmarken oder aus der Veränderung der Pixelareale je Facettenpunkt hergeleitet werden. Durch dieses Verfahren ist somit auch eine vollflächige Verformungsanalyse größerer Messflächen möglich. [11] Eine Visualisierung der daraus resultierenden flächigen Verformungen sowie der punktuell messbaren Verformungsvektoren zeigt die nachfolgende Abbildung 10. 210 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding Abb. 10: Verformung der Fläche an der Messposition M3 verursacht durch den Versuchs-LKW im mittleren Feld 7. Durchführung der Belastungsversuche Die Versuchsplanung der im Mai 2019 durchgeführten Versuche umfasste sowohl eine Vielzahl an statischen Belastungsversuchen als auch die Aufzeichnung der dynamischen Bauwerksreaktionen auf mehrere unterschiedliche Überfahrtsszenarien. Im Rahmen der statischen Messungen wurden vom Kettenfahrzeug jeweils die Feldmitten der Brücke angefahren. Zudem erfolgte eine Positionierung des LKWs entlang der Fahrbahnmitte und des nördlichen Fahrbahnrandes. Für die statischen Messungen in Querschnittsmitte wurden 33 Messungen durchgeführt, was einem Abstand der Messpositionen von jeweils 4 Metern entspricht. Während der dynamischen Überfahrten erfolgte die Aufzeichnung von Zeitreihen durch die jeweiligen Messsysteme, wobei die Versuchsfahrzeuge die Brücke mit Geschwindigkeiten von 10, 30 und 50 km/ h überfuhren. Abbildung 11 zeigt das ermittelte Messsignal bei der Überfahrt des LKWs für eine Geschwindigkeit von 10 km/ h. Für das Kettenfahrzeug wurden die untersuchten eschwindigkeiten bis 50 km/ h um eine weitere eschwindigkeitsstufe von 70 km/ h erweitert. Eine zusätzliche Versuchsreihe wurde mit über die Fahrbahn gelegten Holzbrettern als künstliche Hindernisse durchgeführt, um die dynamischen Bauwerksreaktionen in ihrem Betrag zu verstärken. Abbildung 12 zeigt die ermittelten Dehnungen bei der Überfahrt des Bergepanzers über die Holzbretter bei einer Geschwindigkeit von 10 km/ h im Vergleich zur Überfahrt ohne Hindernisse. Abb. 11: Dehnungen in Brückenmitte bei Überfahrt des LKWs Abb. 12: Rohdaten der Dehnungsmessung bei Überfahrt von Holzbrettern mit einer Höhe von 12 cm (orange) und bei nahezu ebener Fahrbahn (blau) Zur Untersuchung der Brückeneigenschwingung wurde als weitere Art der Anregung ein Dirac-artiger Einzelimpuls durch das schlagartige Herabfallen einer vordefinierten Last von der Brücke erzeugt. Mit Hilfe eines 1,7 t-Gewichts wurde eine Auslenkung des dritten Randfeldes herbeigeführt, sodass im anschließenden Ausschwingvorgang die Eigenfrequenzen und Dämpfungsparameter beobachtet werden können (Abbildung 13). 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 211 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding Abb. 13: Angehängtes Gewicht kurz vor dem Durchtrennen des Halteseils zur Erzeugung einer Impulsantwort kurz vor dem Durchschneiden des Halteseils Der Graph aus Abbildung 14 zeigt die zugehörigen Aufzeichnungen des Dehnmessstreifens in der Mitte des Randfeldes (M3) nach Lösen der Verbindung. Abb. 14: Dehnung am MP3 nach Impulsanregung 8. Detailuntersuchungen an den Trägerstegen Durch den Rückbau der Brücke ergab sich die Möglichkeit, Teile des Bauwerks zur genaueren Untersuchung an die Universität der Bundeswehr München zu verbringen. Deshalb wurden insgesamt fünf Teile des nördlichen Stegs nach München transportiert. Im Fokus der Untersuchungen standen die photogrammetrische Aufnahme der Bauteile zur Beurteilung der Maßabweichungen der Stegbreite sowie die metrologische, hochgenaue Erfassung der Stegschnitte zur Quantifizierung des auftretenden Spanngliedschlupfs nach dem Durchtrennen der Stege beim Abbruch. Im Rahmen einer Kooperation mit dem Institut für Massivbau der Technischen Universität Dresden wurden sowohl während der Versuche in Roding als auch an den nach München verbrachten Stegteilen gezielt Drahtbrüche in den im Verbund liegenden Spanndrähten erzeugt und die während des Bruchvorgangs imitierten Schallwellen aufgezeichnet. 8.1 Detektion von Spanngliedbrüchen Die Zustandsbewertung von Spanngliedern steht immer wieder im Fokus verschiedener Forschungsarbeiten. Das Grundproblem der Beurteilung besteht darin, dass die häufig hochbeanspruchten Tragelemente gut verborgen im Inneren der Betonkonstruktion liegen und kaum zugänglich sind. Schäden, die z.B. durch Spannungsrisskorrosion oder Ermüdung am Spannstahl auftreten, können dementsprechend nur schwer festgestellt werden. Diese können jedoch insbesondere bei älteren Brücken aufgrund konstruktiver Besonderheiten (z.B. fehlende Robustheitsbewehrung) zu kritischen Zuständen führen, die mit herkömmlichen Inspektionsmethoden kaum feststellbar oder gar prognostizierbar sind. Für die Detektion von Drahtbrüchen ist die Schallemissionsanalyse ein vielversprechendes Monitoringverfahren. Drahtbrüche sind in der Regel energiereiche Ereignisse, die von anderen Geräuschen, wie beispielsweise Verkehr, zuverlässig abgegrenzt werden können. Die Güte dieser Klassifizierung ist jedoch von der Menge und Qualität der Vergleichsdaten und anderen Randbedingungen abhängig, die u.a. durch materialabhängige Dämpfungseffekte und die Messstellenanordnung beeinflusst werden. Das Ziel des Forschungsprojektes von Herrn Dipl.-Ing. Max Käding unter Leitung von Herrn Prof. Dr.-Ing. Steffen Marx ist daher, die Charakteristiken bei der Entstehung und Ausbreitung eines Drahtbruchs besser zu verstehen und die technischen Prozesse zu optimieren. Um die Fragestellungen mit Messdaten einer „realen“ Struktur untersuchen zu können, wurden verschiedene Messungen durchgeführt. Am Bestandsbauwerk wurden zuvor für einen begrenzten Zeitraum Betriebsgeräusche aus Verkehr erfasst und die Trennung eines Spanngliedes begleitet. Einen Eindruck der im Hohlkasten angebrachten Messtechnik vermittelt Abbildung 15. 212 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding Abb. 15: Messtechnik zur Schallemissionsanalyse im Hohlkasten (Bild: Max Käding) An zwei der Trägerelemente wurden im Folgenden ca. 120 Drahtbrüche herbeigeführt, welche mit verschiedenen Messinstrumenten aufgezeichnet wurden. Einerseits wurde der Luftschall mit handelsüblichen Mikrofonen erfasst, andererseits wurden die Festkörperwellen mit piezoelektrischen Sensoren in verschiedenen Frequenzbereichen aufgezeichnet. Die umfangreichen Messeinrichtungen und eine exemplarisch herausgegriffene Messstelle zeigen die Abbildungen 16 und 17. Abb. 16: Messeinrichtung zur Detektion von Spanngliedbrüchen an den Trägerstegen (Bild: Max Käding) Abb. 17: offengelegte und durchtrennte Spannglieder und angebrachte Sensorik an einem der Stegteile (Bild: Max Käding) 8.2 Nahbereichsphotogrammetrische Untersuchungen Neben der geometrischen Beschreibung der gesamten Brückenstruktur durch die drohnengestützte Photogrammmetrie wurden die nach München verbrachten Trägerstücke auch im Einzelnen aus dem Nahbereich photogrammetrisch untersucht. Hierzu zeigt Abbildung 18 das Aufnahmeergebnis in Form des erzielten texturierten, dreidimensionalen Abbildungsobjekts eines mit einer handelsüblichen Digitalkamera aufgenommenen Trägerteils. Abb. 18: Fotorealistische Darstellung eines der Trägerteile Hierbei basiert die Nahbereichsphotogrammetrie selbst auf einer Vielzahl von Bildaufnahmen aus unterschiedlichen, sich überlappenden Perspektiven. Dabei wird das untersuchte Bauteil aus dem dreidimensionalen, realen Objektraum mittels Zentralprojektion durch das Projektionszentrum der Kamera auf den zweidimensionalen Bildraum übertragen. Auf allen Bildern werden zunächst mittels „Natural Feature Selection“ wiedererkennbare Pixelgruppen identifiziert. Darauf aufbauend dienen die gleichen Features anschließend der Verknüpfung und Orientierungsberechnung zwischen den einzelnen Bil- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 213 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding dern. Daraus generiert das „Structure from Motion“-Prinzip, welches auf der Verbindung der Projektionsstrahlen der einzelnen Features durch das Projektionszentrum und dem Strahlensatz basiert, im ebenfalls dreidimensionalen, digitalen Objektraum eine erste grobe Punktwolke aller miteinander übereinstimmenden Features. Diese wird anschließend durch den „Semi-global Matching“- Algorithmus sowie einer darauffolgenden 3D Delauney Triangulation verfeinert und anhand der farbigen Bilddaten texturiert. Dieser Schritt erfolgte vollständig in der durch die EU geförderten Computer Vision Software „meshroom“ [6]. Ziel der photogrammetrischen Aufnahme im Nahbereich ist die Ermittlung der tatsächlichen Maßabweichungen in Breitenrichtung unter angemessenem Aufnahmeaufwand. Die gewonnenen Kenntnisse über den Betrag und den Ort der Abweichungen ermöglichen dabei die genauere Berücksichtigung der Schwankungen geometrischer Abmessungen im Rahmen der probabilistischen Nachrechnung von Bestandsbauwerken. Als Referenz für diese photogrammetrischen Aufnahmen dient eine vergleichende Bestimmung der Bauteilgeometrie mit Hilfe eines Laserscanners vom Typ ATS600 der Firma Leica, welche eine hochgenaue Aufnahme des Messobjekts ermöglichte. Hieraus soll iterativ ermittelt werden, welche Erfassungsgenauigkeit für die noch experimentelle Nahbereichsphotogrammetrie erforderlich ist, um aufwändigere und kostenintensivere Laserscans ersetzen zu können. 8.3 Laserscan der Schnittkanten Bedingt durch das Freiwerden der Vorspannkraft beim Zerschneiden der Stege traten an den Schnittkanten (Abbildung 19) Relativverschiebungen zwischen den Spannstahlgliedern und den umgebenden Stahlbetonquerschnitten auf. Die Größe dieser als Schlupf bezeichneten Verschiebungen sind charakteristisch für die Güte der Verankerung des jeweiligen Spannglieds. Zur Bestimmung des Betrags der Verschiebung wurden die Schnittkanten mit Hilfe eines handgeführten Laserscanners, der auf dem Lichtschnittverfahren beruht, abgetastet und eine hochgenaue 3-D-Punktwolke generiert. Zum Einsatz kam ein Handscanner vom Typ T-Scan und ein LV-Trackingsystem der Firma Zeiss. Dieses System erfasst Oberflächen mit einer Genauigkeit von ca. 80 µm [12]. Einen Ausschnitt des entstandenen Netzes zeigt Abbildung 20. Aufgrund der Empfindlichkeit des Systems auf natürliches Licht, welches durch die photogrammetrische Nachverfolgung des T-Scans durch Infrarotkameras im LV-Tracker bedingt ist, wurde die Messung unter einem Messzelt durchgeführt (Abbildung 21). Zur Ermittlung und Quantifizierung des Schlupfes werden mit der Flächenrückführungssoftware Geomagic Design X Ebenen und NURBS-Oberflächen aus den mittels „meshroom“ erzeugten STL-Dreiecksnetzen extrahiert und anschließend verglichen. Abb. 19: Spannglieder an der Schnittkante Abb. 20: Generiertes Netz der Schnittkante Abb. 21: Betrieb des Handscanners zur Erfassung der Schnittkantengeometrie 9. Schlussfolgerung und Ausblick Die Alterung von Brückenbauwerken und die sich gleichzeitig verstärkende Verkehrsbelastung im deutschen Straßennetz führen zur unabdingbaren Notwendigkeit der Neubewertung bestehender Brückenbauwerke in Bezug auf deren Standsicherheit, Ermüdungsfestigkeit und Gebrauchstauglichkeit [13]. 214 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding In diesem Beitrag werden die in Roding durchgeführten Messungen beschrieben und die angewendeten Messverfahren diskutiert Diese ermöglichen eine systematische Datengewinnung zum Zweck einer besseren Beschreibung des zu verwendenden Modells im Rahmen von statischen Berechnungen. Innerhalb der Prozesskette der Identifikation des statischen Systems sind dabei sowohl Aspekte der Versuchsdurchführung, der Messtechnik als auch der späteren Auswertung der gewonnenen Daten zu berücksichtigen. Im Rahmen des Projekts wurden auf verschiedene Arten Systemreaktionen erzeugt und durch unterschiedlichste Messverfahren aufgezeichnet. Mit Hilfe der so gewonnenen Vorinformationen soll das statische System durch Verfahren der künstlichen Intelligenz dahingehend trainiert werden, dass eine bessere Beschreibung des tatsächlichen Systemverhaltens durch ein upgedatetes FE-Modell möglich wird. Ein detaillierter Vergleich der verschiedenen Verfahren soll zudem zeigen, welche Möglichkeiten die einzelnen Messmethoden bieten und wie sich diese für die Kalibrierung von statischen Systemen durch Bayes‘sches Updating nutzen lassen. Das Updating der Eigenschaften bestehender Ingenieurbauwerke bietet die Chance, die getroffenen Modellannahmen mit am Bauwerk gemessenen Daten derart zu verfeinern, dass eine realitätsnähere Bewertung von Bestandsbauwerken den Erhalt bestehender Strukturen ermöglicht. Danksagung Die Autoren danken herzlich Herrn Univ.-Prof. Dr.-Ing. Otto Heunecke, Herrn Dr.-Ing. Thorsten Strübing und Herrn Günter Kraus vom Institut für Geodäsie der Universität der Bundeswehr München, sowie Herrn Maximilian Garsch vom Institut für Baustatik der Universität der Bundeswehr München, welche durch ihre Mitarbeit dieses Projekt erst möglich gemacht haben. Zudem möchten sich die Autoren bei Herrn Prof. Dr.-Ing. Steffen Marx und Herrn Dipl.-Ing. Max Käding für Ihre Beteiligung am Projekt und für die fachliche Unterstützung bei der Erstellung dieses Beitrags bedanken. Für die Hilfe bei der Durchführung der Messungen sind die Autoren dem Laborpersonal des Instituts für Konstruktiven Ingenieurbau der Universität der Bundeswehr München, namentlich Herrn B.Eng. Maik Hopke und Herrn Nedim Husacovic zu Dank verpflichtet. Ferner soll der Panzerbrigade 12 „Oberpfalz“ unter Herrn Brigadegeneral Björn Schulz vielmals für die logistische Unterstützung während der Versuche und für die Bereitstellung des Versuchsfahrzeugs und der Besatzung gedankt werden. Für die Bereitstellung des Muldenkippers und die organisatorische Hilfe möchte sich das Autorenteam herzlich bei der Firmengruppe Max Bögl, Sengenthal, bedanken. Der Zugang zum Bauwerk wurde freundlicherweise durch das Staatliche Bauamt Regensburg ermöglicht. 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Praxisseminar Photogrammetrie. 2017 [6] alicevision.org, abgerufen: 03.07.2020 [7] SCHUTH, M., BUERAKOV, W.: Handbuch Optische Messtechnik - Praktische Anwendung für Entwicklung, Versuch, Fertigung und Qualitätssicherung [8] KEIL, S.: Dehnungsmesstreifen, Springer Verlag, 2.Auflage 2017 [9] STROBEL,O.: Lichtwellenleiter - Übertragungs- und Sensortechnik, VDE-Verlag, 3.Auflage, 2014 [10] www.gom-conference.com/ de, abgerufen: 01.07.2020 [11] GOM GmbH: GOM Testing - Grundlagen der digitalen Bildkorrelation und Dehnungsberechnung (Technisches Dokument ab V8 SR1) [12] SCHMIEDER, L.: Untersuchung der Geometrie von Testkörpern aus Beton mittels Photogrammetrie, Laserscanning und Lasertracking, Bachelorarbeit am Institut für Geodäsie der Universität der Bundeswehr München, 2020 [13] MAURER, R., HEEKE, G., KIZILITAN, H., KO- LODZIEJCZYK, A. ZILCH, K. DUNKELBERG, D., FITIK, B.,: Nachrechnung von Betonbrücken zur Bewertung der Tragfähigkeit bestehender Bauwerke (BASt-Bericht B89), 2012