Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
91
2020
41
Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann
91
2020
Jens Kühne
Carsten Ebert
Dieser Vortrag vergleicht die zum Industriestandard gewordenen Systeme zur Rotorblatt- und Tragstrukturüberwachung aus der Windenergie sowie deren Einfluss auf die wiederkehrenden, periodischen Prüfungen mit den Predic-tive-Maintenance-Ansätzen bei Brückenbauwerken. Design, Errichtung und Betrieb von Brücken und Windenergieanlagen (WEA) weisen wesentliche Unterschiede, aber auch viele Gemeinsamkeiten auf. Was also ist zu tun, um die im Windenergiemarkt so erfolgreichen Monitoring-Lösungen auch für die Betriebsüberwachung von Brücken nutzen zu können?
Wie wichtig ist die Bauwerkshistorie, was leistet Standardisierung, wie treiben Zugangsprobleme, KI und smart data-Ansätze die Innovation und wie kann dadurch die Bewirtschaftung der Assets wirtschaftlicher werden? Fragen, die in der Windenergie weitestgehend beantwortet sind und die uns den Weg zum effizienten Einsatz von intelligenten Zustandsüberwachungssystemen aufzeigen.
Wölfel hat leistungsfähige und marktgerechte Lösungen für die messtechnische Überwachung von Windkraftanlagen entwickelt. Das Unternehmen setzt bei der Datenanalyse zunehmend neue Methoden und digitale Instrumente ein und überträgt nun das Know-How dieser hocheffizienten Monitoring-Lösungen auf den Brückenmarkt.
kbr410217
4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 217 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann Autor: Jens Kühne, Wölfel Engineering GmbH + Co. KG, Höchberg, kuehne@woelfel.de, 0172/ 6424695 Co-Autor: Dr.-Ing. Carsten Ebert, Wölfel Engineering GmbH + Co. KG, Höchberg, ebert@woelfel.de Zusammenfassung Dieser Vortrag vergleicht die zum Industriestandard gewordenen Systeme zur Rotorblatt- und Tragstrukturüberwachung aus der Windenergie sowie deren Einfluss auf die wiederkehrenden, periodischen Prüfungen mit den Predic-tive-Maintenance-Ansätzen bei Brückenbauwerken. Design, Errichtung und Betrieb von Brücken und Windenergieanlagen (WEA) weisen wesentliche Unterschiede, aber auch viele Gemeinsamkeiten auf. Was also ist zu tun, um die im Windenergiemarkt so erfolgreichen Monitoring-Lösungen auch für die Betriebsüberwachung von Brücken nutzen zu können? Wie wichtig ist die Bauwerkshistorie, was leistet Standardisierung, wie treiben Zugangsprobleme, KI und smart data-Ansätze die Innovation und wie kann dadurch die Bewirtschaftung der Assets wirtschaftlicher werden? Fragen, die in der Windenergie weitestgehend beantwortet sind und die uns den Weg zum effizienten Einsatz von intelligenten Zustandsüberwachungssystemen aufzeigen. Wölfel hat leistungsfähige und marktgerechte Lösungen für die messtechnische Überwachung von Windkraftanlagen entwickelt. Das Unternehmen setzt bei der Datenanalyse zunehmend neue Methoden und digitale Instrumente ein und überträgt nun das Know-How dieser hocheffizienten Monitoring-Lösungen auf den Brückenmarkt. 1. Einleitung Ziel der Zustandsüberwachung von Brückenbauwerken nach DIN 1076 [1] ist die Gewährleistung der Standsicherheit sowie eine hohe und lange Verfügbarkeit. Die volkswirtschaftliche Dimension der Vermeidung von Sperrungen und Staus und die damit einhergehende Aufrechterhaltung der Mobilität der Bürger und der Lieferketten von Industrie und Handel bilden dabei den monetär nur abschätzbaren Zielrahmen. Kostenkontrolle spielt vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen jedoch eine zunehmend bedeutende Rolle. Der Ruf nach Zustandsinformationen, welche die Inspektionsergebnisse ergänzen, ist derzeit im Wesentlichen an zwei Ereignisse gekoppelt - Schadenseintritt (Schadensüberwachung) und eingeschränkte Nachweisführung (messtechnische Ermittlung von Parametern, die die Nachweisführung ermöglichen). Dies führt fälschlicherweise dazu, dass Dauermesstechnik nur im letzten Lebensabschnitt der Bauwerke zum Einsatz kommt (Schadensbegrenzung) [2]. Im Gegensatz zum Bestand an Brückenbauwerken werden Windparks profitorientiert betrieben. Offshore sorgen der erschwerte und teure Transfer per Schiff oder Hubschrauber und die faktische Unzugänglichkeit bei Extremwetterlagen dafür, dass die Betreiber der Parks ein hohes Interesse an der permanenten Verfügbarkeit von Zustandsinformationen über die Windenergieanlagen haben. Auch gibt die lückenlose Dokumentation von Einwirkungen im Verkaufsfall der Anlagen/ Parks Aufschluss über den Verschleiß der Anlagen und begünstigt eine Due-Dilligence-Bewertung maßgeblich. Neben Zustandsaussagen zu einzelnen Anlagen nimmt die Bestandsbewertung des gesamten Parks bzw. des gesamten Portfolios (Fleet-Management) einen immer breiteren Raum ein. So lässt sich der Erhaltungsaufwand ganzheitlich steuern und minimieren. 2. Treiber und Hemmnisse Die Betreiber der Verkehrsinfrastruktur stehen vor der Herausforderung, die bestehenden Prozesse, Richtlinien und Aufgaben für völlig neue digitale Herangehensweisen zu öffnen, um die Sicherheit weiter zu verbessern, die Verfügbarkeit zu erhöhen und die Effizienz der Bewirtschaftung maßgeblich zu verbessern (kurze Reaktionszeiten, Kostenreduktion), und zwar ohne die bestehenden hohen Sicherheitsstandards zu gefährden. Gehemmt wird die digitale Umwälzung durch fehlende Rahmenvorgaben und Standards (auch in den bestehenden Regelwerken), lange Zeiträume zur Anpassung dieser Regelwerke, Zurückhaltung der Betreiber (Mangel an Erfahrung, Scheu vor Zusatzaufwand, fehlende Prozesse), bisheriger Nichtnachweisbarkeit der langfristigen Wirtschaftlichkeit der neuen Methoden oder Angst vor technologischen Sackgassen. Treiber einer schnellen Digitalisierung ist die Vereinheitlichung und Zusammenführung aller verfügbaren Bauwerksinformationen vor dem Hintergrund volkswirtschaftlicher Zwänge wie 218 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann - Erhöhung der Verfügbarkeit - Verbesserung des Netzzustandes - Ausnutzung der Restlebensdauer - intelligente Verkehrssteuerung - Kostenkontrolle und -reduktion. Auch Erfahrungen und Ergebnisse aus anderen Branchen sowie zunehmende Ressourcenknappheit befördern den Gedanken „intelligenter Strukturen“. Im Windenergiemarkt ist der Einsatz intelligenter Überwachungssysteme längst fester Bestandteil der Erhaltungsstrategien und Inspektionskonzepte (VDI 4551, VDI 3834 [3; 4]). Nach vielen Messungen im Rahmen von Forschungsprojekten und einer mehrjährigen Lernkurve sind Technik und Algorithmen so gut, dass der wirtschaftliche Betrieb der Anlagen ohne diese Systeme nicht mehr denkbar ist. 3. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Brücken und WEA Tab. 1: Gemeinsamkeiten Konstruktion • Designgrundlagen (Eurocode, BIM, Nachweise) • Struktureigenschaften (Gründung, Tragstruktur) • Entwicklungstools (Software) • Lastmodelle Bau • Fundamenterstellung (Pfahlgründung, Flachgründung) Betrieb • Regelmäßige Prüfungen • (6 Jahre / 4 Jahre) • Vermeidung von Nutzungseinschränkungen (Sperrungen / Stillstand) • Weiterbetrieb (Nachrechnung bzw. Gutachten mit analytischem Teil) Tab. 2: Unterschiede Brücke WEA Konstr. • Nur Strukturkomponenten (kaum bewegte Teile) • Struktur- (Fundament, Turm, Rotorblatt) und Maschinenkomponenten (Antriebsstrang, Rotor) • Vorwiegend statische Nachweise (aber auch dynamische, insbesondere bei Stahl und schlanken BW) • Gesamtdynamische Berechnung inkl. aeroelastischer Kopplung (aber auch statische Nachweise, Standsicherheit) • Individ. Design • (aber auch zunehmend Standardkomponenten (Lager, ÜKO) und modulare Bauweisen, Clusterung möglich • hoher Standardisierungsgrad (aber auch anlagenindividuelle Bestandteile (Gründungen, teilweise handgeschweißte Nähte) • überwiegend Beton (aber auch Stahl) • Überwiegend Stahl und GFK (aber auch Betongründungen und -türme) Bau • Projektgeschäft überwiegend im Bestand (aber auch Neubau) • Projektgeschäft überwiegend Neuerschließung (aber zunehmend auch Ersatz) 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 219 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann Brücke WEA Betrieb • Geplant 100 Jahre • 20/ 25 Jahre + Verlängerung • Gute Zugänglichkeit (aber nicht überall) • Schlechte Zugänglichkeit (offshore) • Notensystem für Zustandsbewertung (Anpassung Prüfzeiträume möglich, aber nur Verkürzung) • Zustandsbericht (Möglichkeit der Fokussierung von Prüfszenarien und Anpassung der Prüfzeiträume) • Kein Monitoring vorgeschrieben (außer Nachrechnungs-RiLi, Teil 3) • Dauerüberwachung von ~ 10 % aller Offshore-Strukturen (SHM); ca. 100 % CMS für Antriebsstrang • Dauerhaft ein behördlicher Betreiber • Private Betreiber, Weiterverkauf möglich Fazit: Trotz vieler konstruktiver Unterschiede und abweichender Eigenschaften und Nutzung gibt es viele verbindende Elemente. Diese ermöglichen die grundsätzliche Übertragbarkeit der Technologien und Ansätze aus der Windenergie auf den Brückenbau. 4. Was die Brücke von der WEA lernen kann 4.1 Lektion 1: Historie ist wichtig für die Zukunft! Für WEA existieren fertige Lösungen für verschiedene Überwachungsszenarien. Die Systeme werden bereits in der Produktionsphase der Anlage oder bei deren Errichtung eingebaut und in Betrieb genommen. Die Dauerüberwachung beginnt mit der ersten Betriebsstunde (teilweise schon während des Rammprozesses der Gründung) und wird bis zur Abschaltung (20/ 25 Jahre) kontinuierlich betrieben. So sind zu jeder Zeit Aussagen über Lasten und Zustand von Struktur, Blättern und Maschinen möglich, welche dann mithilfe von Modellen auf den Park übertragen werden können. Brücken hingegen werden für 100 Jahre Betriebsdauer geplant. In den ersten Jahren nach der Errichtung können interessante Effekte durch Kriech- und Schwindeffekte sowie Setzerscheinungen entstehen, dann folgt in der Regel eine eher ruhige Phase, in der die Brücke weitestgehend mängelfrei betrieben werden kann. Wenn erste Schäden bei der handnahen Prüfung sichtbar werden, sind meist auch schon unsichtbar Veränderungen aufgetreten, die sich nachträglich nur schwer oder nicht mehr messtechnisch erfassen lassen. Daher greift man in diesen Fällen zur Nachrechnung. Sie hilft, unter Zugrundelegung aller Randbedingungen (Lastmodelle, Lasten, Schäden, etc.) den Zustand und die zu erwartende Restlebensdauer zu bestimmen. Dabei entsteht in der Regel ein konservativ gerechnetes Ergebnis, da Annahmen - beispielsweise für Verkehrslasten - getroffen werden müssen und man die Historie des Bauwerks nicht sicher kennt. Es ist naheliegend, die Unsicherheiten aus dem fehlenden Wissen zur Bauwerkshistorie künftig zu beseitigen und damit die Datenbasis für notwendige Nachrechnungen deutlich zu verbessern, indem man bereits in frühen Lebensphasen Messungen durchführt. Ein zielführender Ansatz wird durch das periodische Messen (Abb. 1) beschrieben. Hierbei wird nach der Errichtung im Rahmen der Bauabnahme eine Nullmessung (dynamisch und geometrisch) durchgeführt, um zu prüfen, wie Designannahmen und Modellgrößen mit der Realität übereinstimmen. Bei der Erfassung der Geometrie, beispielsweise mittels Drohne, entsteht ein digitaler 3D-Zwilling, der - über das Designmodell gelegt - geometrische Abweichungen und Toleranzen sichtbar macht. Deren Auswirkungen auf den Betrieb und die Dauerhaftigkeit des Bauwerks können damit bewertet werden. Bei der späteren Beurteilung von Schadensbildern helfen diese Resultate bei der Ursachenforschung. Die Messungen können vor Ablauf der Gewährleistungszeit und anschließend bei jeder zweiten Hauptprüfung wiederholt werden, sodass sich ein zusammenhängendes Bild über die gesamte Betriebszeit ergibt. Erst bei Auftreten standsicherheits- oder dauerhaftigkeitsrelevanter Veränderungen/ Schäden ergänzen Dauermesssysteme die periodischen Messungen. Abb. 1: Schematische Darstellung periodischer Messungen an Brücken 4.1.1 Exemplarische Beispiele zu Lektion 1 1. Die Schäden an einer WEA sind anfangs nicht sichtbar, aber messbar! 220 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann Abb. 2: Visualisierung von Ermüdungslasten an einer WEA 2. Im Rahmen der Umsetzung des o.g. Konzeptes periodischer Messungen wurde an der Hochmoselbrücke im Anschluss an die erste Hauptprüfung eine Nullmessung zur Dokumentation der dynamischen Eigenschaften durchgeführt. Abb.: 3: Exemplarische Ergebnisse dynamische Messung 4.2 Lektion 2: Eingeschränkte Zugänglichkeit ist ein Innovationstreiber! Die Zustandsüberwachung von Rotorblättern und Tragstruktur, insbesondere von Offshore-WEA, ist eine große Herausforderung. Ähnlich der Pfeilerprüfung bei Brücken müssen die Blätter und Türme beklettert und vollständig geprüft werden (bis 1.000 m²/ WEA). Dafür muss die Anlage stundenweise die Produktion stoppen, was zu wirtschaftlichen Verlusten führt. In den letzten Jahren setzten sich Dauermess-Systeme durch. Sensoren erfassen sowohl die Umwelteinflüsse (Lasten) als auch Strukturantworten (Schwingungen, Verformungen). Aus Zeitreihen werden verschiedene KPIs (Key-Performance-Indikatoren) abgeleitet. Eine wesentliche Information ist die Ermittlung von Ermüdungsbeanspruchungen mittels Rainflow-Analyse [5]. Wölfel hat ein zertifiziertes Verfahren entwickelt, um aus Beschleunigungsmessungen in Verbindung mit einem Digital Twin segmentweise die Beanspruchungen am Turm und Fundament sehr kostengünstig bestimmen zu können, die dann mit Designannahmen verglichen werden können [6]. Intelligente Algorithmen verknüpfen anschließend die Daten zu Schädigungskollektiven und leiten daraus Lebensdauerprognosen für die Strukturen ab (siehe Lösungen zu Lektion 2). Seit einiger Zeit unterstützen Drohnen erfolgreich die wiederkehrende Prüfung von Rotorblättern. Verschiedene optische Sensorsysteme erkennen Schadstellen (Risse, Delamination). Handnahe visuelle Inspektionen durch Seilkletterer und die damit verbundenen Stillstandszeiten können so deutlich reduziert werden. Auch Bereiche von Hang-, Fluss- und hohen Talbrücken sind für Bauwerksprüfer oft schwer erreichbar. Die benötigte Zugangstechnik (Gerüste, Untersichtgeräte) ist teuer, Verkehrseinschränkungen oft unumgänglich. In vielen Forschungsprojekten wurden Bauwerke bereits beflogen, wobei der Fokus auf Verformungsmessungen, Rissbildanalysen und thermischen Untersuchungen (auch Erkennen von Feuchte) lag. Eine praxisorientierte Lösung für unzugängliche Brücken- oder Teilbauwerke stellt beispielsweise die Befliegung ergänzend zur periodischen Messung in Lektion 1 oder die Kamera-Befahrung hoher Hohlpfeiler dar. Die Tätigkeit der hochqualifizierten Prüfer lässt sich so auf die Prüfschwerpunkte lenken. Um die Technologie abschließend beurteilen zu können, sollten geeignete Brückenbauwerke gefunden und beflogen werden (Siehe Lösungen zu Lektion 2). Die Ergebnisse erlauben die Validierung des Verfahrens hinsichtlich Zuverlässigkeit, Genauigkeit und Wetterabhängigkeit, wodurch eine Überführung in die Regelwerke schneller möglich wird. 4.2.1 Exemplarische Beispiele zu Lektion 2 1. WEA: Der Turm wird in Höhen- und Winkelsegmente geteilt, in jedem Segment werden die Ermüdungsbeanspruchungen ermittelt, welche sich zum Gesamtlebensdauerverbrauch aufsummieren (siehe auch Lösungen zu Lektion 3) 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 221 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann Abb. 4: Segmentweise Ermüdungslastermittlung bei Windenergieanlagen mittels SHM.Tower 2. Brücke: Nach der Verkehrsübergabe im Winter 2019 wurde im Frühjahr 2020 die Hochmoselbrücke beflogen. Ziel war eine Georeferenzierung und bildgestützte geometrische 3D-Rekonstruktion des Bauwerks als Grundlage für wiederkehrende Bauwerksprüfungen. Außerdem wurden an verschiedenen Stellen Risse aufgenommen. Abb. 5: Befliegung der Hochmoselbrücke 4.3 Lektion 3: Standardisierung ermöglicht die Übertragbarkeit von Ergebnissen (Fleet Management)! Zustände miteinander vergleichen hier kann die Windenergieanlage auch von den Brücken lernen! Vorgaben zum ergänzenden Einsatz von Messtechnik waren bereits in den ersten Konstruktions-Richtlinien für Offshore- WEA enthalten. Aufgrund des hohen Standardisierungsgrades der WEA wird bisher jedoch nicht an allen Anlagen eines Offshore-Parks ein Strukturmonitoring umgesetzt, sondern nur an etwa jeder zehnten Anlage. Ausgewählt werden Anlagen mit erhöhten Risiken und Einwirkungen (höhere Wellen, tiefere oder weichere Gründung, mehr Wind, etc.). Die ermittelten Performance-Indikatoren geben durch Vergleich mit den Designannahmen Auskunft über die verbrauchte Betriebszeit und werden durch Parkmodelle und Annahmen auf die nicht gemessenen Anlagen übertragen. Durch Einsatz von KI und entsprechenden (Kurzzeit)-Vergleichsmessungen werden die Modelle und damit die Korrelationen zunehmend besser. Ziel ist es jedoch, künftig maßgeschneiderte kompakte Mess-Systeme an allen Anlagen zu haben, um die individuellen Charakteristika besser berücksichtigen zu können. Die flächendeckende Prüfung von Brücken basiert im Wesentlichen auf der DIN 1076 sowie den Richtlinien zur Bauwerkserhaltung RI-ERH-ING [7]. Am Ende des Prüfprozesses steht eine bauwerksindividuelle Zustandsnote, die unter Berücksichtigung bestimmter Rahmenbedingungen beispielsweise als Substanzkennzahl durchaus eine netzweite Vergleichbarkeit der Bauwerkszustände ermöglicht. Dabei sind die Zustandsnoten ein seit Jahrzehnten etabliertes System, was aufgrund seiner Langzeiterfahrung zu validen Ergebnissen führt. Die Dokumentation erfolgt mit Hilfe der SIB-Bauwerke-Software. Analysen sind möglich, jedoch schwierig und zeitaufwendig. Eine Novellierung ist zwingend notwendig und steht mit der Version SIB Bauwerke 2.0 bevor. Das Strukturmonitoring an Brücken ist leider noch so selten, so schwachstellen- und so bauwerksbezogen, dass eine Übertragbarkeit von Ergebnissen auf andere Bauwerke derzeit nahezu unmöglich ist. Lediglich die Wirksamkeit der Methoden wird im Rahmen der Projekte nachgewiesen, aber Standard-Lösungen für vergleichbare Messaufgaben gibt es nicht [8]. Dabei helfen sie, die subjektiv variierenden Zustandsnoten zu objektivieren, was insbesondere bei der Prognose der Restnutzungsdauer wichtig wäre. Einen Einstieg in dieses Thema markiert das Forschungsprojekt BrAssMan, bei dem für Brücken vergleichbarer Bauart mit ähnlichem Alter und ähnlichen Schadensbildern Standardlösungen entwickelt werden. So sollen Unterschiede in Performance und Tragreserven offengelegt und die Auswirkungen im gesamten Fernstraßennetz bewertet werden können. 4.3.1 Exemplarische Beispiele zu Lektion 3 1. Das Strukturmonitoring an jeder WEA im Windpark erlaubt es, das statische und dynamische Tragverhalten zu beurteilen und Unterschiede von Ermüdungsbeanspruchungen festzustellen [9]. Der Betrieb kann optimiert (z.B. Unwuchterkennung), die Lebensdauer verlängert werden (Fleet Management). Abb. 6: SHM.Tower (messdatenbasierte Lebensdauerverteilung verschiedener WEA) (DEL = Damage Equivalent Load) 222 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann 2. Forschungsprojekt BrAssMan (Bridge Asset Management): Das Projekt geht davon aus, dass eine Vergleichbarkeit von Brücken mit ähnlichen Tragstrukturen bzw. Eigenschaften einfacher herzustellen ist, als eine Standardisierung über alle Brückenarten. Daher wird der Bestand nach Brücken gleicher Bauart, ähnlicher Altersstruktur und ähnlicher Nutzung geclustert. Für Teile dieser Brücken, welche sich über einheitliche Modelle abbilden lassen, werden vergleichbare Key Performance Indikatoren (KPI) und standardisierte Messkonzepte entwickelt. Ziele: • Ermittlung ZUSÄTZLICHER Informationen (inkl. Vergleichbarkeit mit Zustandsnoten) • Ermittlung ERSETZENDER Informationen (inkl. Vergleichbarkeit mit Zustandsnoten) • Herstellen Vergleichbarkeit von KPI’s der Brücken gleichen Clusters • Prüfen Vergleichbarkeit von KPI‘s der Brücken unterschiedlicher Cluster Abb. 7: Vergleichbarkeit von Zustandskenngrößen iterative Lösungsfindung in BrAssMan 4.4 Lektion 4: Ingenieure wissen viel, Maschinen rechnen schnell! In der Herangehensweise der Ingenieure spielen mechanische Modelle eine wichtige Rolle. Diese werden mit Eingangsgrößen gefüttert, die vom Modell gelieferten Ergebnisse werden dann bewertet. Dabei bietet die Kenntnis des Modells hohe Transparenz, es ist jedoch meist unvollständig und bildet die Realität im Regelfall nur näherungsweise ab. Modelle sind mehrdimensional, die Anzahl der Parameter ist jedoch begrenzt. Künstliche Intelligenz (KI) basiert auf der Analyse der Realität. Die Übertragungsfunktion (Modell) zwischen Ein- und Ausgangsgrößen wird gesucht. Die Methoden erlauben hochdimensionale Betrachtungen, die Zuverlässigkeit der Aussagen hängt jedoch vom Betrachtungszeitraum ab. Oft gibt es auch keine Antwort. Abb. 8: Die zwei Paradigmen zur Problemlösung Der Einsatz von KI kann die Aussagekraft eines Kennwertes nochmals deutlich verbessern, ersetzt aber nicht die Analyse und Modellierung mithilfe der Physik und des Ingenieurwissens. Die Methoden des maschinellen Lernens bieten wertvolle Zusatznutzen hinsichtlich der Ausschöpfung des vollen Informationsgehaltes der Messdaten. Die Nachweise für die Grenzzustände von Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit basieren für WEA und Brücken auf den gleichen ingenieurtechnischen Verfahren und Herangehensweisen. Messungen im Rahmen der Nachweisführung erfordern daher die Ermittlung ähnlicher Kennwerte, die sich aus Größen wie Schiefstellung, Verformung, Beulen, Schwingspielen und -amplituden ergeben. Neben den Ingenieurmodellen kommen zunehmend KI-Methoden zum Einsatz. 4.4.1 Exemplarische Beispiele zu Lektion 4 1. Die Schiefstellung einer WEA hat Auswirkungen auf die Gebrauchstauglichkeit. Für eine Beurteilung ist meist der quasistatische Anteil der Neigung von Interesse, der jedoch durch äußere Einwirkungen (insb. Wind) im Regelfall um ein Vielfaches von den dynamischen Anteilen aus dem Betrieb maskiert wird. Kurzzeitige Messungen im Zuge der wiederkehrenden Prüfung sind kaum geeignet verlässliche Ergebnisse hierfür zu liefern. Neben deterministischen Verfahren nutzen wir insbesondere mittels KI trainierte Modelle zur Kompensation der äußeren Einflüsse, um hohe Genauigkeiten und Sensitivitäten zu erreichen. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 223 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann Abb. 9: Neigung = f (Leistung, Wind, Azimut, Temp.) - Ingenieurmodell vs. KI-Methode 4.5 Lektion 5: Viele Daten, wenig Information? ! Bei der Messung insbesondere schnell veränderlicher Vorgänge am Bauwerk entstehen große Datenmengen. Je nach Abtastrate und Auflösung entstehen schnell mehrere Hundert Megabyte Rohdaten pro Monat. Ziel jeder Datenanalyse ist es, aus den monatlich auflaufenden Daten die für das Auslösen einer Aktivität notwendigen Informationen zu selektieren. Die Umsetzung erfolgt über mehrere Prozessschritte auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Umgebungen. Zu beachten ist, dass es im Rahmen der Beweissicherung notwendig sein kann, Daten (auch Rohdaten) über längere Zeiträume aufzuheben. Daher ist die Erarbeitung eines Konzeptes für Datenerhebung, Datenreduktion, -selektion und -bevorratung notwendig. 4.5.1 Exemplarische Beispiele zu Lektion 5 1. Noch vor dem Weitertransport der Daten eines Windparks ist eine edgeseitige Datenreduktion und Datenselektion im Regelfall geboten. Hierfür werden die Daten aller WEA über glasfaserbasierte Bussysteme zusammengeführt, plausibilisiert, analysiert und die Features (zum Beispiel Neigung oder Verformung) in einfach übertragbare Übergangsgrößen umgerechnet (zum Beispiel Min., Max., Mittelwert). Es werden dabei nur die für die Informationsgewinnung notwendigen Daten selektiert und gesichert. In einem nächsten Schritt werden auf einer Analyse-Plattform (Server, Cloud) durch Anwendung von Physik und Ingenieurwissen (Algorithmen) sowie Machine Learning (KI- Methoden) [10] Key Performance Indikatoren generiert, welche aufgrund ihrer hohen Aussagekraft Basis für die letzte Phase sind in der Betriebszentrale löst ein Algorithmus, der entsprechende Aktivitäten- und Meldungspläne repräsentiert, eine Warnung bzw. einen Alarm, die dann, nach einer Plausibilisierung, entsprechende Maßnahmen (Abschaltung, Sperrung, Serviceeinsatz, etc.) auslöst. Abb. 10: Schematische Darstellung von Datenanalyse und Datenreduktion Zum besseren Verständnis der Daten und einer Absicherung der Entscheidung durch den Betreiber ist eine nutzerfreundliche und übersichtliche Visualisierung der gerechneten Ergebnisse unerlässlich. Abb. 11: gezielte Datenreduktion durch KI 224 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann 4.6 Lektion 6: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser! Obwohl Messungen an Brücken meist erst initiiert werden, wenn die Prüfingenieure allein die Sicherheit nicht mehr nachweisen können, werden die meisten Messprojekte öffentlich ausgeschrieben und oft einzig unter Zugrundelegung des angebotenen Preises vergeben. Die Spezifikationen der Aufgabe und der Erwartungen sind oft unvollständig, was zu großen Preisspannen bei den Angeboten, wichtiger aber zu völlig unbekannten Qualitätsunterschieden bei der Umsetzung und damit Risiken bei der Bewertung der Ergebnisse führt. Jeder Anbieter kann eigene HardundSoftware programmieren und einsetzen, ohne dass unabhängige Stellen deren Funktion überprüft haben. Notwendig wird daher die Definition von Mindeststandards für Lieferanten, Mess-Systeme und Algorithmen! Ein erster ernst zu nehmender Schritt in Richtung Normierung von messtechnischen Anwendungen gelang 2018 mit dem Merkblatt des DBV „Brückenmonitoring - Planung, Ausschreibung und Umsetzung“ [11]. Es unterstützt die Betreiber bei der Umsetzung von Projekten, gibt aber keinerlei technischen Rahmen für Überwachungssysteme oder Lösungen vor. Technische Hilfestellung wird die derzeit überarbeitete DGZfP-Richtlinie B9 „Automatisierte Dauerüberwachung im Ingenieurbau“ bieten. Auch eine Technische Richtlinie ist bereits konzeptionell in Vorbereitung beim Normenausschuss DIN/ VDI. Parallel dazu ist es notwendig, die verwendeten Algorithmen hinsichtlich ihrer Aussagekraft zu bewerten, um die Richtigkeit der Ergebnisse sicher zu stellen. Im Bereich der Windenergie ist es üblich, dass nahezu alle eingesetzten Systeme und Lösungen, aber auch das Strukturdesign von unabhängigen Institutionen zertifiziert werden. Das führt zunächst zu zusätzlichen Kosten, die aber durch eine Sicherstellung der Einhaltung von Mindeststandards im Zuge des Betriebes mehr als ausgeglichen werden. 4.6.1 Exemplarische Beispiele zu 6 1. Zertifizierungen von messtechnischen Lösungen von der Sensorik über das Datenmanagement bis hin zur Plausibilität der Ergebnissen sind im Windenergiemarkt üblich. Abb. 12: SHM.Tower - Zertifizierung nach DNVGL-SE-0439 [12] 5. Fazit Konstruktive Unterschiede gibt es und sie spielen bei der Auswahl der Methoden eine Rolle. Aber wie groß ist der „kleine Unterschied“ zwischen Windenergieanlagen und Brückenbauwerken wirklich? Welche Ansätze aus dem Bereich Windenergie sind für das Brückeningenieurwesen adaptierbar, welche müssen einer wissenschaftlichen Prüfung unterzogen werden? Mobilität wird komplexer langfristige Verkehrsprognosen werden schwieriger. Immer neue und unberechenbare Nutzungsszenarien (Platooning, Gigaliner, illegale Überlasten, Grenzlastbetrieb) erfordern mehr Wissen über die Verkehrsinfrastruktur. Der Einsatz intelligenter Überwachungssysteme ist daher notwendig, um die künftigen Herausforderungen moderner Mobilität zu bewältigen. Wichtig ist die schnelle Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen für den flächendeckenden Einsatz der erfolgreich getesteten Technologien. Dabei hilft der Blick auf Branchen, in denen Monitoring und KI längst Stand der Technik sind! 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 225 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann 6. Literaturangaben [1] DIN 1076, Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung, Ausgabe 1999 [2] Jens Kühne, Jennifer Rudloff-Grund: Messkonzepte und teilstandardisierte Ausstattung von Brücken mit Messtechnik, TAE, 3. Brückenkolloquim, Fachtagung für Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken, 2018 [3] VDI, Richtlinie 4551, Strukturüberwachung und -beurteilung von Windenergieanlagen und Offshorestationen, Ausgabe 2020 [4] VDI, Richtlinie 3834, Messung und Beurteilung der mechanischen Schwingungen von Windenergieanlagen und deren Komponenten - Windenergieanlagen mit Getriebe, Ausgabe 2015 [5] Kraemer, Peter: Schadensdiagnoseverfahren für die Zustandsüberwachung von Offshore-Windenergieanlagen“, Siegen 2011 [6] Nuber, Andreas; Friedmann, Herbert; Häckell, Moritz; Kraemer, Peter: Offshore foundation monitoring - from R&D to an industrial application, Vortrag 7. Gigawind Symposium, 2017, Hannover [7] Bundesanstalt für Straßenwesen, Richtlinien für die Erhaltung von Ingenieurbauten (RI-ERH-ING), Ausgabe 2017 [8] S. Dabringhaus, P. Haardt: Infrastruktur im Wandel - Die Intelligente Brücke, 6. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken, TAE Esslingen 2019 [9] Ebert, Carsten; Friedmann, Herbert: Offshore- Strukturmonitoring-Systeme zur Überwachung von Fundamenten und Grout-Verbindungen - Erfahrungen aus der Praxis und aus aktuellen Forschungsprojekten, Vortrag im Workshop „Groutverbindung in der Betriebsphase“ am 22. März 2017 bei Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, BAM, Berlin [10] Smarsly, K., Dragos, K., & Wiggenbrock, J.: Machine learning techniques for structural health monitoring. In Proceedings of the 8th European Workshop on Structural Health Monitoring, EWSHM 2016, Bilbao, Spain [11] DBV, Merkblatt „Brückenmonitoring - Planung, Ausschreibung und Umsetzung“, Ausgabe 2018 [12] DNVGL-SE, Certification of Condition Monitoring, 2016