Brückenkolloquium
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2510-7895
expert verlag Tübingen
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Der kathodische Korrosionsschutz an Brückengelenken
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Daniel Oberhänsli
Thorsten Eichler
Nachdem Heinrich Gottfried Gerber erstmals im Jahr 1867 die nach ihm Benannten Gerbergelenke einsetzte, um aus dem statisch unbestimmten Durchlaufsystem ein statisch bestimmtes zu machen, wurden diese für viele Jahrzehnte zum Standard. Gerbergelenke haben jedoch einen entscheidenden Nachteil: Die darüberliegenden Fahrbahnübergänge werden oft undicht, so dass chloridhaltiges Wasser an die Endverankerungen der Brückenplatten gelangen kann. Eine Instandsetzung dieser Flächen ist mit konventionellen Methoden äusserst schwierig und häufig sogar unmöglich. Mittels kathodischem Korrosionsschutz lässt sich an beweglichen Gelenken trotz eingedrungener Chloride die Korrosionsrate auf ein vernachlässigbares Niveau reduzieren, so dass die Nutzungsdauer der Brücke trotz der vorhandenen substanzschädigenden Agenzien deutlich erhöht werden kann.
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4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 293 Der kathodische Korrosionsschutz an Brückengelenken Daniel Oberhänsli, dipl. Bauingenieur FH Geschäftsführer, suicorr AG, Bernstrasse 388, CH-8953 Dietikon, daniel.oberhaensli@suicorr.com Dr. Thorsten Eichler, Bauingenieur Geschäftsführender Gesellschafter, CORR-LESS Isecke & Eichler Consulting GmbH & Co.KG, Ruhlsdorfer Straße 7, DE-14513 Teltow, eichler@corr-less.de Nachdem Heinrich Gottfried Gerber erstmals im Jahr 1867 die nach ihm Benannten Gerbergelenke einsetzte, um aus dem statisch unbestimmten Durchlaufsystem ein statisch bestimmtes zu machen, wurden diese für viele Jahrzehnte zum Standard. Gerbergelenke haben jedoch einen entscheidenden Nachteil: Die darüberliegenden Fahrbahnübergänge werden oft undicht, so dass chloridhaltiges Wasser an die Endverankerungen der Brückenplatten gelangen kann. Eine Instandsetzung dieser Flächen ist mit konventionellen Methoden äusserst schwierig und häufig sogar unmöglich. Mittels kathodischem Korrosionsschutz lässt sich an beweglichen Gelenken trotz eingedrungener Chloride die Korrosionsrate auf ein vernachlässigbares Niveau reduzieren, so dass die Nutzungsdauer der Brücke trotz der vorhandenen substanzschädigenden Agenzien deutlich erhöht werden kann. Der kathodische Korrosionsschutz (KKS) wird in Europa seit Mitte der Achtzigerjahre erfolgreich für die Instandsetzung von Stahlbetonstrukturen eingesetzt. Geregelt wird die Projektierung und Ausführung des KKS in der EN ISO 12696 [1]. Aktuell wird in Europa diese Art des Korrosionsschutzes vorwiegend im Rahmen von Instandsetzungsmaßnahmen verwendet, wenn die Integrität des Bauwerks noch nicht so stark gefährdet ist, dass eine statische Ertüchtigung erforderlich wäre und der Ist-Zustand im Wesentlichen konserviert werden soll. Die präventive Anwendung des Verfahrens im Zuge des Neubaus eines Objektes ist nicht nur möglich, sondern wäre häufig eine wünschenswerte und geeignete Maßnahme um die Lebensdauer des Bauwerks mit wirtschaftlichen Mitteln signifikant zu erhöhen. Aufgrund der Einwirkung von Chloriden (Winterdienst) oder der Karbonatisierung (CO 2 in der Luft) entstehen unterschiedliche Bedingungen für den Stahl im Beton. Abhängig von den Rahmenbedingungen verliert der Bewehrungsstahl stellenweise seine Passivität. Er ist damit teilweise ungeschützt und der Korrosionsprozess setzt ein. Dabei kann es am Stahl im zu starker Elementbildung kommen, die mit sehr hohen Korrosionsraten einhergeht. An den weiterhin geschützten Stellen wird der Stahl zur Kathode und an der ungeschützten Stelle zur Anode. Infolge des daraus resultierenden Potentialdifferenz und der notwendigerweise fließenden Elementströme korrodiert der Stahl in den anodischen Bereichen. Die Wirkungsweise eines KKS mit Fremdstrom entspricht dem einer Elektrolysezelle, in der der natürliche, aber zerstörende Korrosionsstrom durch Schaltung der gesamten Bewehrung als Kathode entgegengewirkt wird. Zu diesem Zweck werden dauerhafte Anoden in das Objekt eingebaut, über welche später der Schutzstrom abgegeben wird. Dieses Verfahren hat den grossen Vorteil, dass chloridkontaminierte oder karbonatisierte Betonschichten nicht zwingend abgetragen werden müssen. Bereits vorhandene oder neu eintretende Chloride können in der Struktur verbleiben. Dadurch gestaltet sich der Eingriff in die Tragstruktur deutlich geringer. Lärmemissionen aufgrund von Höchstdruckwasserstrahlarbeiten werden reduziert und Bauzeiten verkürzt. Ausserdem werden provisorische statische Abstützungsmassnahmen wesentlich verringert oder sind nicht mehr notwendig. Ein weiterer Vorteil des kathodischen Korrosionsschutzes ist seine Anwendbarkeit auf Strukturteile, die von aussen nicht direkt zugänglich sind. Dazu werden beispielsweise Stabanoden in Bohrlöcher eingeführt und mit einem fliessfähigen Mörtel verpresst. Mit dieser Anodenart können auch Korrosionsherde in der Tiefe einer Struktur gezielt auf eine technisch nicht relevante Grösse reduziert werden. KKS an der Achereggbrücke Die 16 Meter breite und 200 Meter lange Hohlkastenbrücke bei Stansstad im Kanton Nidwalden besteht aus drei festen Abschnitten und zwei zusätzlichen Einhängeträgern. Die Konstruktion entspricht einem statisch bestimmten Gerberträgersystem. In Längsrichtung ist die Brücke mit dem BBRV-System vorgespannt. 294 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Der kathodische Korrosionsschutz an Brückengelenken Abb. 1: Grössenverhältnisse des Querträgers Quelle: luftbild-drohne.ch Eine Voruntersuchung zeigte, dass die zu erhöhende Schubtragsicherheit in den Gelenkbereichen sowie die chloridinduzierten Korrosionsschäden an der Vorspannung und an der Bewehrung die wesentlichen Herausforderungen darstellten. Die Zugänglichkeit zu den Quer- und Längsträgern ist im Gelenkbereich sehr schlecht, weshalb der Zustand der Vorspannung und der Bewehrung nicht lückenlos erhoben werden konnte. Eine konventionelle Instandsetzung war aus gleichem Grund nicht an allen erforderlichen Stellen möglich. Die Verhinderung des weiteren Schadensfortschrittes war nur mit dem kathodischen Korrosionsschutz realisierbar. Abb. 2: Querträger vor der Instandsetzung Abb. 3: Querträger nach der Instandsetzung Das entsprechende Instandsetzungsprojekt sollte die Nutzungsdauer der 50 jährigen Brücke um weitere 50 Jahre verlängern. Dazu gehörten auch der Ersatz sämtlicher Fahrbahnübergänge, die neben ihrer Hauptfunktion zugleich den Schutz der Gerbergelenke vor chloridhaltigem Strassenabwasser gewährleisten müssen. Die Schäden am Betontragwerk wurden durch Betonersatz umfassend instandgesetzt. Dort, wo die Beweh- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 295 Der kathodische Korrosionsschutz an Brückengelenken rung korrosionsbedingte Querschnittsverluste zeigt, wurde sie zur Wiederherstellung des ursprünglichen Tragwiderstands durch neue Bewehrung ergänzt. Die Längs- und Querträger der bestehenden Konstruktion wurden, zur Sicherstellung ihrer Tragwirkung, im Gelenkbereich mit kathodischem Korrosionsschutz ausgerüstet. Konkret sah das Schutzkonzept vor, sowohl die Gesamtstruktur der Querträger als auch die der angrenzenden Längsträger auf einer Länge von ca. 1.5 Metern mit einem KKS auszurüsten. Als weitere Herausforderung war zu beachten, dass die Brücke längsvorgespannt ist. Die für die Stabanoden erforderlichen Bohrungen mussten sehr genau platziert werden, um die Spannkabel nicht zu beschädigen. Dazu wurde im Vorfeld die Lage der verschiedenen Kabel bis in eine Tiefe von 30 Zentimetern geortet und markiert. Während der Ausführungsarbeiten zeigte sich, dass die Markierungen sehr genau passten und keine Kabel beschädigt wurden. Abb. 4: aufgeklebte Tapete mit Bewehrungslagen Abb. 5: Montage der Stabanoden Die vorab installierte KKS-Musterfläche, als auch die Hauptinstallation, zeigten, dass die Anforderungen an den künftigen Korrosionsschutz einwandfrei erfüllt werden. Sowohl die schlaffe Bewehrung als auch die Verankerung der Spannglieder können mit dem KKS geschützt werden. Der dafür benötigte permanent fliessende Strombedarf ist vergleichsweise gering. Bei einer Spannung von ca. 2-5 Volt ist ein Strom von ca. 10-15mA / m 2 Bewehrungsoberfläche zu erwarten. Die elektrische Leistung des gesamten Objekts entspricht damit ungefähr der Leistung einer permanent leuchtenden Glühbirne. KKS an der Megastütze der Elbhochstraße Die Elbhochstraße (K20) ist ein Teil der zurzeit längsten Straßenbrücke Deutschlands (Hochstraße Elbmarsch). Die Hochstraße ist wiederum ein Teil der Autobahn A7 und liegt in Hamburg südlich vor dem neuen Elbtunnel. Erstellt wurde das Bauwerk zwischen 1971 und 1974. Im Regelbereich besteht die Autobahnbrücke aus zwei 17.75m breiten und 2.1m hohen Überbauten mit Stützweiten von 35m. Vier neben einander liegende Spannbetonfertigteilträger bilden die Basis des Plattenbalkenquerschnittes welcher als Überbau dient. Die vorgespannten Träger lagern im Regelquerschnitt auf einem Querbalken, welcher wiederum auf drei Rundstützen aufliegt. An zwei Stellen entlang der Brücke lässt die darunterliegende Straßenführung den beschriebenen Regelaufbau nicht zu. Anstatt die Querriegel auf drei Stützen abzustellen, lagert pro Fahrrichtung ein deutlich größerer Querriegel auf einer zentralen Megastütze. Im Rahmen des Fahrstreifenausbaus von sechs auf acht Spuren soll auch eine Betoninstandsetzung der bestehenden Struktur erfolgen. Eine vorgängige Zustandsuntersuchung zeigte diverse Korrosionsprobleme auf. Insbesondere der Querriegel wurde aufgrund von undichten Fahrbahnübergängen über Jahre mit chloridhaltigem Wasser beaufschlagt. 296 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Der kathodische Korrosionsschutz an Brückengelenken Abb. 6: Grössenverhältnisse des Querträgers Abb. 7: Darstellung der Wasserläufe entlang dem Querträger Die Zugänglichkeit für eine konventionelle Instandsetzung stellte bei den chloridhaltigen Bauteilen eine sehr grosse Herausforderung dar und ist ohne umfangreiche Abbrucharbeiten nicht möglich. Diese Arbeiten führen wiederum zu grossen Beeinträchtigungen der Verkehrsführung der stark befahrenen Autobahn. Abb. 8: Nachbarträger bei welchem konventionell Beton abgetragen wurde Abb. 9: Korrosionsschäden am Querträger Aus erwähnten Gründen hat sich daher die Bauherrschaft DEGES dazu entschieden eine KKS-Musterfläche anlegen zu lassen. Die suicorr Deutschland GmbH wurde beauftragt in Zusammenarbeit mit der CORR-LESS Isecke & Eichler Consulting GmbH & Co.KG ein KKS-Konzept zu erstellen, eine numerische Simulation der Schutzwirkung durchzuführen, als auch die Musterfläche zu realisieren. Bei der Erarbeitung des Schutzkonzeptes zeigte sich, dass die von der Bauherrschaft gewünschte Schutzwirkung durch verschiedene Anodensysteme erreicht werden könnte. Aus praktischer Sicht musste erkannt werden, dass der Einbau von Stabanoden aufgrund der vielen Vorspannkabel im Querträger wenn überhaupt möglich sehr schwierig sein würde. Für die weiteren Projektphasen rückten daher Bandanoden ins Zentrum welche auf dem aufgerauten Beton aufgelegt würden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 297 Der kathodische Korrosionsschutz an Brückengelenken Abb. 10: Teilflächen der Musterfläche Abb. 11: Resultat eines Vorversuches der Fläche Nr. 1 im Labor Auf der unteren vertikalen Fläche (Nr. 3) des Querträgers war dies kein Problem und entspricht einer üblichen KKS-Anwendung. Bereits bei der horizontalen Fläche (Nr. 2) waren die örtlichen Verhältnisse erschwert da nur eine lichte Höhe von ca. 20 cm zur Verfügung stand. Die Fläche Nr. 1 bedurfte aber einigen Vorabklärungen damit diese realisiert werden konnte. Da nur gerade eine ca. 10-15 cm breite Öffnung zwischen dem Querträger und dem Plattenbalken bestand und die Musterfläche auf einer Tiefe von ca. 2m angelegt werden sollte war dies ein echtes Problem. Nach einigen Versuchen im Labor der suicorr AG konnte eine Schalung entwickelt werden, mit welcher die Bandanoden, als auch der Einbettmörtel, eingebracht und anschließend die Schalung wieder entfernt werden konnte. Abb. 12: KKS-Fläche im Zwischenraum (Nr. 1) Abb. 13: fertiggestellt Fläche Nr. 3 298 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Der kathodische Korrosionsschutz an Brückengelenken Nach einer zwei monatigen Betriebsdauer der Anlage konnte nachstehendes Fazit gezogen werden: - Das eingebaute Monitoringsystem bestätigte die Wirksamkeit der KKS-Anlage. - Die nach Norm geforderten Schutzkriterien konnten erreicht werden. - Eine KKS-Anlage kann unter den vorliegenden objektbedingten stark erschwerten Bedingungen eingebaut werden. - Der KKS ist für den vorliegenden Fall eine Alternative gegenüber der konventionellen Instandsetzung. Leider kam der kathodische Korrosionsschutz für die Hauptmassnahme nicht zur Anwendung. Nach Abschluss aller Untersuchungen bezüglich dem KKS zeigten sich am Objekt weitere Schäden wie z. B. AKR (Alkali-Kieselsäure-Reaktion) was schlussendlich zu einer konventionellen Instandsetzung führte. Literatur [1] DIN EN ISO 12696 Kathodischer Korrosionsschutz von Stahl in Beton (ISO 12696: 2017); Deutsche Fassung EN ISO 12696: 2017, D. D. I. f. N. e.V., Berlin, 2017.
