eJournals Brückenkolloquium 4/1

Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
91
2020
41

Neue Möglichkeiten zur Rissweitenbestimmung an bestehenden Betonkonstruktionen mittels verteilter optischer Fasermessungen

91
2020
Alois Vorwagner
Maciej Kwapisz
Dominik Prammer
Werner Lienhart
Christoph Monsberger
Madeleine Winkler
Urs Grunicke
Risse, deren Entstehung, Rissmuster und fortlaufende Änderungen dienen als wichtige Indikatoren für die Bauwerksbeurteilung. Änderungen der Tragwerksbeanspruchung korrelieren meist mit typischen Rissmustern, sodass eine umfassende Registrierung und Dokumentation, insbesondere der Rissweiten, und Veränderungen von Rissmustern für eine Zustandserfassung wie Brücken- oder Tunnelinspektion erforderlich ist. Risse und deren Änderungen werden an Bestandsbauwerke derzeit meist visuell anhand von Rissweitenschablonen oder Risslupen bestimmt und kartiert. Ein automatisches Monitoring mit beispielsweise Fissurometer oder Weggebern liefert in Sonderfällen an diskreten Punkten Messwerte auch über einen längeren Zeitraum. Auch wenn bereits automatisierte Inspektionssysteme auf Basis optischer Erfassungssystemen vorhanden sind, sind diese oft in der räumlichen Auflösung begrenzt, unzureichend zuverlässig und benötigen immer einen freien Blick und Zugänglichkeit auf die Konstruktion. In diesem Beitrag wird die Anwendung eines neuen Verfahrens basierend auf verteilten faseroptischen Messungen und dessen mögliche Anwendung an Bestandsbauten vorgestellt. Mit nachträglich am Bauwerk angebrachten Glasfaserkabeln können u.a. Dehnungsmessungen mit einer hohen Messpräzision von ca. 1µm/m alle 10 mm mit Messlängen bei bis 70 m bzw. unter Einschränkungen auch bis zu mehreren km Faserlänge durchgeführt werden. Damit wird die Identifizierung lokaler Schäden wie Risse in der Struktur oder unerwartete Veränderungen im Dehnungsmuster und der Temperatur möglich. Da das System nachträglich auf die Betonoberfläche appliziert werden kann, können auch nicht zugängliche Bereiche (z.B. hinter Verkleidungen zur Brandschutzertüchtigung) überwacht werden. Aus den gemessenen Dehnungsprofilen kann die effektive Rissbreite auf bis zu 0,01 mm genau ermitteln werden.
kbr410323
4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 323 Neue Möglichkeiten zur Rissweitenbestimmung an bestehenden Betonkonstruktionen mittels verteilter optischer Fasermessungen Alois Vorwagner, Maciej Kwapisz, Dominik Prammer Center for Mobility Systems AIT Austrian Institute of Technology GmbH, Wien, Österreich Prof. Werner Lienhart, Christoph Monsberger, Madeleine Winkler Institut für Ingenieurgeodäsie und Messsysteme (IGMS) Technische Universität Graz, Graz, Österreich Urs Grunicke UHG Consult ZT, Infrastructure Asset Management, Salzburg, Österreich Zusammenfassung Risse, deren Entstehung, Rissmuster und fortlaufende Änderungen dienen als wichtige Indikatoren für die Bauwerksbeurteilung. Änderungen der Tragwerksbeanspruchung korrelieren meist mit typischen Rissmustern, sodass eine umfassende Registrierung und Dokumentation, insbesondere der Rissweiten, und Veränderungen von Rissmustern für eine Zustandserfassung wie Brücken- oder Tunnelinspektion erforderlich ist. Risse und deren Änderungen werden an Bestandsbauwerke derzeit meist visuell anhand von Rissweitenschablonen oder Risslupen bestimmt und kartiert. Ein automatisches Monitoring mit beispielsweise Fissurometer oder Weggebern liefert in Sonderfällen an diskreten Punkten Messwerte auch über einen längeren Zeitraum. Auch wenn bereits automatisierte Inspektionssysteme auf Basis optischer Erfassungssystemen vorhanden sind, sind diese oft in der räumlichen Auflösung begrenzt, unzureichend zuverlässig und benötigen immer einen freien Blick und Zugänglichkeit auf die Konstruktion. In diesem Beitrag wird die Anwendung eines neuen Verfahrens basierend auf verteilten faseroptischen Messungen und dessen mögliche Anwendung an Bestandsbauten vorgestellt. Mit nachträglich am Bauwerk angebrachten Glasfaserkabeln können u.a. Dehnungsmessungen mit einer hohen Messpräzision von ca. 1µm/ m alle 10 mm mit Messlängen bei bis 70 m bzw. unter Einschränkungen auch bis zu mehreren km Faserlänge durchgeführt werden. Damit wird die Identifizierung lokaler Schäden wie Risse in der Struktur oder unerwartete Veränderungen im Dehnungsmuster und der Temperatur möglich. Da das System nachträglich auf die Betonoberfläche appliziert werden kann, können auch nicht zugängliche Bereiche (z.B. hinter Verkleidungen zur Brandschutzertüchtigung) überwacht werden. Aus den gemessenen Dehnungsprofilen kann die effektive Rissbreite auf bis zu 0,01 mm genau ermitteln werden. 1. Einleitung Risse und deren Veränderungen sind in der Bestandsbeurteilung von Gebäuden oder Tragwerken ein wichtiger Parameter für die Bewertung des Zustandes. Deren Verlauf oder Muster sowie deren Veränderungen können Rückschlüsse auf Änderungen in Beanspruchungen oder Materialschäden geben und sind somit auch ein wichtiges Vorhersageinstrument in der Bauwerksbeurteilung. Für Ingenieurbauwerke (Brücken, Tunnel) finden Risskartierungen im Zuge der Bauwerksinspektionen in üblichen Intervallen zwischen 6 (Brücke) und 12 Jahren (Tunnel) statt. Anlassbezogen können diese Intervalle kürzer ausfallen oder das Tragwerk einem dauerhaften Monitoring versehen werden. 1.1 Risserfassung Grundsätzlich muss bei der Erfassung von Rissen zwischen der automatischen Rissdetektion und der Bestimmung der Breite und Tiefe von bereits bekannten Rissen unterschieden werden. Ist die Position von Rissen bereits bekannt, so kann deren Breite im einfachsten Fall manuell durch einen visuellen Abgleich mit einem Rissbreitenlinear erfolgen. Diese Aufnahme ist jedoch subjektiv, eine genaue Kartierung schwierig und eine kontinuier- 324 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Neue Möglichkeiten zur Rissweitenbestimmung an bestehenden Betonkonstruktionen mittels verteilter optischer Fasermessungen liche Messung nicht möglich. Um die Veränderung von Rissen automatisch zu beobachten, können punktuell lineare Wegaufnehmer eingesetzt werden. Diese ermöglichen die Bestimmung der Änderung in eine Richtung. Für eine Bestimmung der Rissbewegung in alle drei Raumrichtungen können Fissurometer verwendet werden. Diese stellen eine Sonderform des linearen Wegaufnehmers dar. Durch spezielle Aufnahmeköpfe auf beiden Seiten eines Risses können mittels mehrerer manueller oder automatischer Wegaufnehmer die Verschiebungen in zueinander orthogonale Richtungen erfasst werden. Auch wenn diese Messverfahren die genaue Messung der Veränderung eines einzelnen Risses ermöglichen, ist eine Bestimmung des Rissbildes damit nicht möglich. Die Lokalisierung von einzelnen Rissen und die Bestimmung von Rissbildern ist nur mittels lückenlosen Messverfahrens möglich. Zum Stand der Technik gehören dabei bildgebende Messverfahren und Laserscanning. Bildgebende Messverfahren verwenden Ansätze aus der Photogrammmetrie, der Bildverarbeitung und des maschinellen Sehens. Beleuchtungsqualität und Luftqualität sind entscheidend. Eine geringe Lichtstärke und staubige Luft liefern Bilder mit hohem Rauschen, wodurch eine genaue Auswertung schwierig oft auch unmöglich wird. Weiters kann sich Schmutz an den Rissen ablagern, sodass diese in den Bilddaten größer als tatsächlich erscheinen oder gar nicht erst erkennbar sind. Laserscanningverfahren eigen sich sehr gut, um großräumige Aussagen zu treffen. Für die Detektion von feinen Rissen ist die Divergenz der ausgesandten Laserstrahlen jedoch zu groß. Das Abtastraster des Lasers beträgt üblicherweise ein Vielfaches der Rissbreite, weshalb die Risse in der Punktwolke nur ungenügend abgebildet werden. All diese Techniken zur Rissbilderfassung zeichnen sich derzeit noch durch starke manuelle Arbeit aus und sind oft auch subjektiv. Zusätzlich erfordern nahezu alle der derzeitigen Verfahren eine Zugänglichkeit zum Bauteil oder freie Sichtverbindungen. Falls diese durch Verkleidungen abgedeckt sind oder nicht ausreichend nah erreicht werden, können in diesen Bereichen auch keine Risse detektiert werden. 2. Verteilte optische Fasermessungen Verteilte faseroptische Messverfahren (Distributed Fibre Optic Sensing, DFOS) basieren auf optischen Sensorkabeln, welche in das Bauteil eingegossen oder nachträglich verklebt werden können. Die Glasfaser agiert gleichzeitig Leitmedium und Sensor. Der wesentliche Vorteil ist, dass damit nicht nur punktuelle Messungen bei bereits bekannten Schadstellen durchgeführt, sondern strukturelle Informationen über die gesamte Faserlänge bestimmt werden können. Damit ist eine Erfassung von Dehnungs- und Temperaturzuständen über die gesamte Sensorkabellänge entlang ganzer Bauwerke möglich. In der Boden- und Felsmechanik sind aktuell vermehrt DFOS-Anwendungen in der Literatur bekannt. Beispielsweise eignen sich DFOS Systeme zur Erfassung von Dehnungsverteilungen entlang von Anker- oder Pfahlsystemen, aus welchen sich mechanische Kraftflüsse ableiten lassen, siehe [1] oder [2]. Des Weiteren sind ebenso Anwendungen im maschinellen und konventionellen Tunnelbau bekannt [3]. Durch die nachträgliche Applikation können mit dieser Technologie gerade für die Zustandserfassung und Rissmessung entlang von bestehenden Infrastrukturbauten neue Monitoring-Möglichkeiten geschaffen werden. 2.1 Messprinzip Das grundlegende Messprinzip faseroptischer Sensoren beruht auf einem optischen Lichtpuls, der durch eine Ausleseeinheit (Interrogator) in eine Glasfaser eingekoppelt wird, welche gleichzeitig als Mess- und Leitmedium dient. Eine grundlegende Unterscheidung ist das verwendete Messprinzip, womit der Auflösungsgrad der Messung definiert wird. In Abbildung 1 sind drei der grundlegenden Verfahren dargestellt. Bei quasiverteilten Messungen mit Faser-Bragg-Gitter/ FBG-Sensoren wird das Glasfaserkabel mit (Bragg) Gittern vorbehandelt. Damit ist die Messung nicht lückenlos und es bleiben blinde Flecken zwischen den Messpunkten vorhanden. Verteilte faseroptische Sensorsysteme besitzen den wesentlichen Vorteil, dass das Messkabel weder vorbehandelt werden muss und zudem auch sehr kostengünstig sein können. Grundlegend wird dabei bei der Dehnungsmessung zwischen zwei unterschiedlichen Messverfahren unterschieden. Brillouin Messungen ermöglichen typischerweise eine Ortsauflösung von 0.5m. Folglich verschmieren sich Risse über einen größeren Bereich und treten möglicherweise nicht aus dem Rauschen heraus. Außerdem können mehrere Risse nur ein kombiniertes Signal liefern, wodurch lokale Effekte wie Risse im Messsignal nicht detektierbar sind. Im Gegensatz zu Brillouin Messungen können mit Messverfahren basierend auf der Rayleigh-Rückstreuung Dehnungen lückenlos und mit einer Ortsauflösung von 1 cm oder weniger erfasst werden. In der Vorstellung ist dies ein Sensor, der aus einer Kette von tausenden Dehnmesstreifen entlang eines einzelnen Kabels im Abstand von 1 cm oder weniger besteht. Neue Risse können detektiert und die zugehörige Rissweitenänderungen abgeleitet werden. Abbildung 1 Risserfassung mit faseroptischen Messverfahren: FBG Messverfahren (links oben), rechts oben 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 325 Neue Möglichkeiten zur Rissweitenbestimmung an bestehenden Betonkonstruktionen mittels verteilter optischer Fasermessungen Brillouin Messverfahren (rechts oben) und Rayleigh Messverfahren (unten). Ein entwickeltes Rayleigh-Messsystem wurde bereits erfolgreich zur Erkennung und Lokalisierung und von Rissen in bewehrten Betontübbingen eingesetzt [4]. Abbildung 3 zeigt, dass Risse bei einem bewehrten Belastungstest durch lokale Dehnungsspitzen erkennbar sind. Abbildung 2 Rissdetektion im Inneren von Tübbingen mit verteilten faseroptischen Messungen basierend auf der Rayleigh-Rückstreuung [4] 2.2 Rissbestimmung Zur Identifikation neuer Risse müssen die gewählten Sensorkabel und die Befestigungsmittel aufeinander abgestimmt werden. Theoretisch geht eine Rissbildung mit einer sprunghaften Dehnungszunahme einher. Da die Dehnung als ε = ΔL/ L definiert ist, bedeutet dies hypothetisch ε = ΔL/ L = ∞, eine unendliche hohe Dehnung an der Position des Risses. Würde die Messfaser die Bewegung des reißenden Betons 1: 1 mitmachen, kann diese die hohe Dehnung nicht aufnehmen und würde ebenfalls reißen. In der Realität besitzt aber jedes Messkabel einen mehrschichtigen Aufbau, weshalb diese Dehnungsspitze über eine größere Basislänge L ≠ 0 verteilt wird. Um aus dem verschmierten Messsignal die tatsächliche Rissbreite bestimmen zu können, ist daher eine geeignete Faser für den erwarteten Rissbereich zu verwenden. Dazu sind folgende Fragestellungen zu beantworten: • Zusammenhang zwischen Dehnungsspitze, Dehnungsverlauf und Rissbreite. Dies ist essentiell, damit nicht nur eine Rissentstehung detektiert wird, sondern auch seine Breite bestimmt werden kann. • Rissprognosemodell: numerische Nachbildung, damit Rissentstehung und unterschiedliche Eingangsparameter wie Neigung, Rissverlauf in der Berechnung der Rissweite richtig berücksichtigt werden. • Zuverlässigkeit der Messung bzw. Messbereich, in welchem kein Bruch der Messfaser oder Verklebung entsteht bzw. durch eine Hysterese verfälscht werden. • Maximal erfassbare Rissweite. Für Langzeitanwendungen ist es essentiell, dass die Messfaser auch beim Auftreten von Rissen nicht zerstört wird. Falls ein Faserbruch auftritt, kann nur mehr bis zum Ort des Bruches gemessen und die dahinterliegende Messstrecke nicht mehr erfasst werden. Einige der oben genannten Punkte stehen im Gegensatz zueinander. Ein robusteres Sensorkabel verschmiert das Signal stärker, sodass die minimal detektierbare Rissbreite verschlechtert wird. Ein sensitiveres Kabel kann zwar Risse exakter erkennen, birgt aber die Gefahr, dass es leichter reist. Eine optimale Abstimmung wurde im Zuge von Versuchen evaluiert. Ein Sensorkabel, bestehend aus Faser und Ummantelung, kann wie in Abbildung 3 sowohl nachträglich auf dem Tragwerk appliziert werden, eingegossen oder in einem Schlitz verklebt werden. Abbildung 3 Aufbau und unterschiedliche Applikationen von Glasfaserkabel oder Sensor (1), Ummantelung (2) und Verklebung (3). 3. Rissweitenbestimmungen Der Fokus der beschriebenen Untersuchungen liegt auf Bestandstragwerken. Bei Neubauten kann die Faser grundsätzlich in die Schalung eingelegt bzw. in den Frischbeton eingebettet werden. Anschließend wird eine Nullmessung der Faser durchgeführt (vgl. bespielweise Tübbinge [4]). Bei Bestandstragwerken kann die Glasfaser nachträglich auf dem Bauteil appliziert werden, wobei Kleber und Faser optimal aufeinander abgestimmt sein müssen. Als geometrische Änderung des Objektes können lediglich Längenänderungen gemessen werden, weshalb Umwelteinflüsse, insbesondere Temperatureinflüsse, kompensiert werden müssen. Dazu wird üblicherweise zusätzlich die Bauteiltemperatur über ein Referenzkabel in einem zusätzlichen, nicht verklebten Sensorstrang gemessen und direkt kompensiert. Zur Verifizierung und Entwicklung der Methodik und Beantwortung der in Abschnitt 2.3 gestellten Fragestellungen wurde sowohl Laborversuche als auch ein Berechnungsmodell von Faser und Rissentwicklung erstellt und im Detail analysiert. Durch Referenzmessungen mit bekannten Systemen (Weggeber, Risslupen…) wurden im Zuge dieser Tests eine zuverlässige Konfiguration aus 326 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Neue Möglichkeiten zur Rissweitenbestimmung an bestehenden Betonkonstruktionen mittels verteilter optischer Fasermessungen Fasertyp und Klebeapplikation gefunden und die Ableitung von Rissbreiten W R aus den Dehnungsmessungen durchgeführt. 3.1 Versuchssetup und Durchführung Auf 3 Probekörper wurden Glasfasern mit unterschiedlichen Verklebungen, Applikationsarten und Kreuzungswinkel zum Riss getestet. Insgesamt wurden auf den 3 Testplatten mit den Abmessung 2,5 m x 0,9 m x 0,2 m in der Güte C25/ 30/ XF3/ XC3 bis zu 9 verschiedene Applikationsarten untersucht. Die Versuchskörper wurden im Dreipunktbiegezugversuch belastet und waren so ausgelegt, dass Rissweiten bis zu W R = 2,5 mm möglich waren. Dazu wurden die Bewehrung sehr tief verlegt und zusätzlich mit externer Vorspannung belastet, um versuchstechnisch eine gute Ansteuerung der Rissweiten zu ermöglichen. Neben unterschiedlichen Kabeln und Klebermaterial wurden auch unterschiedliche Kreuzungswinkel (30°/ 60°/ 90°) zur Faser (Versuch #2 und #3) variiert. Die Versuchskörper und Sensoranordnung sind in Abbildung 4 in einer Draufsicht ersichtlich. Abbildung 4 Draufsicht Versuchskörper Im Rahmen des Versuchs wurde zunächst in 10 kN Laststufen bis zur Erstrissbildung belastet. Danach wurden 5 Be- und Entlastungszyklen zwischen W R = 0,20 und 0,80 mm Rissweite in 0,20 mm Schrittweite durchgeführt. Zum Schluss wurde mit einer Dauerschwinglast mit einer Rissamplitude von 0,40 bis 0,80 mm belastet. Detaillierte Informationen zu den Versuchssetup finden sich in [3]. Auszüge der Versuchsergebnisse sind folgend dargestellt. 3.2 Erstrissbildung und Rissprognose Es stellt sich die Frage wie weit eine Rissankündigung durch die Messung möglich ist. Dazu wurde die Erstbelastung Phase 1 detailliert betrachtet. Wie in Abbildung 5 & 6 ersichtlich, tritt bei einer Laststeigerung jenseits der 90 kN erstmalig ein Riss auf. Dieser ist durch eine sprunghafte, lokale Zunahme der Dehnung klar erkennbar. Da die Faser in der Ummantelung nicht starr verbunden ist, kommt es zu einer Dehnung über einen Bereich L von ca. 10 cm um die Rissstelle. Die Faser bleibt intakt und über das Integral der Dehnungskurve kann durch Annäherung mit einer Dreiecksverteilung eine Rissweite von W R ≈ε max / 2*L ≈ 0,1 mm berechnet werden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 327 Neue Möglichkeiten zur Rissweitenbestimmung an bestehenden Betonkonstruktionen mittels verteilter optischer Fasermessungen Abbildung 5 Laststufen bis Erstrissbildung (oben), Dehnungsverteilung gemessen am Versuchskörper #1 (mitte) und mit vereinfachtem Modell berechnet (unten). Mittels einem auf Finte Elementen basierenden Modell wurde die Faser, deren Aufbau sowie die Verklebung detailliert entsprechend Abbildung 3 (links) nachgebildet und der Rissvorgang simuliert. Das Modell wurde mittels Anpassung von Materialparameter anhand der Versuchsergebnisse nachkalibriert und, darauf aufbauend, die Versuche nachgerechnet. In der Abbildung 6 sind Dehnungsverläufe um den Riss für Messung als auch für das nachgerechnete FE-Modell sichtbar. Die Rissweiten können auch mit dem Modell verifiziert werden, wobei aufgrund der Modellierung die Bestimmung des Verlaufs der Dehnungskurve mit höherer Auflösung möglich ist und die Stufen der Laststeigerung detaillierter nachvollzogen werden können. Anzeichen einer Verformungskonzentration sind im Versuch bereits bei einer Laststufe von F=79,3 kN erkennbar, was auf eine Rissindizierung durch Microrissbildung hindeutet. Eindeutig gerissen ist der Körper im Versuch #1 bei einer Last von F=88,7 kN, wobei die Dehnungsmessungen immer nur an den Lasthaltepunkte durchgeführt wurde und somit der exakte Dehnungsverlauf direkt vor Rissbildung nicht gemessen werden konnte. Zusätzlich wurde während der Messung eine Schwankung der Versuchslast von ca. ±2,5 kN festgestellt. Abbildung 6 Erstrissbildung im Detail: Gemessene Dehnungsprofile im Versuch #1 (oben) und entsprechende FE-Rechnung (unten). Mit dem FE-Modell können die Messwerte detaillierter nachvollzogen werden. Eine Rissentstehung ist vorab nur über das Auffinden der Grenzdehnung, bei welcher der Riss entsteht, bestimmbar. Eine Vorankündigung im Dehnungsverlauf über die Länge war selbst beim Dreipunktbiegeversuch nicht eindeutig versuchstechnisch erkennbar, da diese spröd und damit ohne deutliche Vorwarnung eintrat. Eine Prognose des Erstrisseintritts kann nur bedingt bei bekannter Arbeitslinie und Grenzdehnung des Materials rückgerechnet werden. Dies setzt aber voraus, dass das Bauteil bei Aufbringung der Faser bzw. Nullmessung noch spannungsfrei oder bekannt ist. Da bekanntlich die Zugspannung bzw. Grenzzugdehnungen von Betontragwerken sehr streut, macht dies eine Vorankündigung noch schwieriger. Im durchgeführten Versuch war bei einer Dehnung von 160 µm/ m gerade noch kein Riss erkennbar. Unmittelbar danach konnte ein sprunghafter Anstieg auf 1600 µm/ m festgestellt werden, was einer Rissweite von W R =0,09 mm entspricht. Sind Risse entstanden, sind diese gut im Messignal durch lokale Dehnungsspitzen (hier Faktor 10) erkennbar. 328 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Neue Möglichkeiten zur Rissweitenbestimmung an bestehenden Betonkonstruktionen mittels verteilter optischer Fasermessungen 3.3 Rissüberwachung Mittels des mechanisch abgestimmten FE-Modells können die Rissweiten sehr gut berechnet werden. Für die weiteren durchgeführten Laststufen sind in Abbildung 7 der Verlauf der Dehnung für Rissöffnung für die Stufen W R = 0,4 mm, 0,6 mm und 0,8 mm dargestellt, wobei Mess- und Modellwerte direkt verglichen werden. Dazu wurden im Modell wie im Rahmen des Versuchs die Be- und Entlastungszyklen berücksichtigt. Abbildung 7 Vergleich Modell und Versuche unter 90° Kreuzungswinkel zwischen Faser und Riss. Die Versuche (durchgezogene Linien) zeigen klar, dass das faseroptische Messsystem keine Hysterese aufweist und die einzelnen Kurven der 5 Be- und Entlastungskurven auch nach mehreren Zyklen eine gute Übereinstimmung haben. Die Einleitungslänge der gewählten Faser beträgt ca. ± 12 cm. Die berechnete Modellkurve stimmt ebenfalls gut überein. Die Rissweiten können über das Integral des Dehnungsverlaufs gut angenähert werden und sind über das Prognosemodell noch exakter ermittelbar. Auch kann bis zum begrenzten Maße das Rissatmen, also neben Rissöffnung auch das Schließen der Risse nachvollzogen werden, wenn die Entlastungskurven siehe beispielsweise [5] für die Auswertung herangezogen werden. All diese Überlegungen gelten, solange der Kreuzungswinkel zwischen Riss und Faser annähernd 90° entspricht. Bei neuen unbekannten Rissen ist auch der auftretende Kreuzungswinkel unbekannt. Aus diesem Grunde wurden hier auch Untersuchungen unter geneigten Applikationen durchgeführt und im Detail analysiert. Abbildung 8 Versuchsergebnisse unter 90°(oben) 60 ° Mitte und 30 ° unten der Probekörperserie 2. Abbildung 8 zeigt die Messwerte im Vergleich für einen Kreuzungswinkel von 90°, 60° und 30° für die 3 Rissweitenstufen Stufen W R =0,4 mm, 0,6 mm und 0,8 m. Bei allen Winkelapplikationen können auch bei mehreren Be- und Entlastungszyklen gute Übereinstimmungen gefunden werden, die Hysterese ist hier wiederum grundsätzlich gering. Klar erkennbar ist, dass mit Abnahme des 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 329 Neue Möglichkeiten zur Rissweitenbestimmung an bestehenden Betonkonstruktionen mittels verteilter optischer Fasermessungen Winkels die Messsignale verrauschter werden. Die Störeinflüsse sind beispielsweise bei 60° Neigung bei einer Rissweite von W R =0,8mm erkennbar. Beim 30° Winkel treten diese bereits bei der Stufe W R =0,4 mm auf. Schematisch ist dieser Effekt entsprechend in Abbildung 9 dargestellt. Stimmen Bewegung und Faserrichtung überein, wird die Faser im Kabel gedehnt, und die Dehnung bildet sich bei Entlastung auch wieder zurück. Bei stark geneigten Anordnungen kommt es durch die Schiefstellung zu einem Versatz über der Rissstelle. Dadurch entstehen die Störeinflüsse, die in den Messignalen in Abbildung 8 deutlich sichtbar sind. Abbildung 9 Mechanismus bei 90° und 30° Kreuzungwinkel. Bei einem Kreuzungswinkel von 90° bis 75° können die Rissweiten genau bestimmt werden, jedoch ist kein Rückschluss auf den Winkel möglich. Bis ca. 60° werden die Rissweiten geringfügig unterschätzt, wobei die Signalstörungen im Peak-Bereich auf einen flacheren Winkel hindeuten. Ab 45° findet eine wesentliche Unterschätzung der Rissweiten statt. Diese Winkel werden gut durch Signalstörung im Rissbereich angedeutet. 4. Fazit In diesem Artikel wurde ein entwickeltes Messsystem basierend auf verteilten faseroptischen Messungen und dessen mögliche Anwendung an Betonbestandsbauten vorgestellt. Mit nachträglich am Bauwerk angebrachten Glasfaserkabel können u.a. Dehnungsmessungen mit einer hohen Genauigkeit von ca. 1 µm/ m alle 10 mm bei bis 70 m Kabellänge bzw. unter Einschränkungen bis zu mehreren km Faserlänge durchgeführt werden. Aus den gemessenen Dehnungsprofilen kann die effektive Rissbreite im Labor auf bis zu 0,01 mm genau ermitteln werden. Somit können die im Massivbau üblicherweise relevanten Rissweiten zwischen Haarriss < 0,1 mm bis mehrere mm gemessen werden. Auch die Änderungen der Rissweiten und Rissbewegungen wie Öffnen und Schließen können erfasst werden. Das entwickelte System wurde im Zuge von Laborversuchen und numerischer Nachrechnung verifiziert. Aktuell werden praktische Versuche unter realen Umgebungsbedingungen in einem Tunnel durchgeführt, welche fortlaufend ausgewertet werden, um die Auswertung zu optimieren und ein mögliches Konzept für Epochenmessungen zu entwickeln. Da das System nachträglich auf die Betonoberfläche appliziert werden kann, können auch nicht zugängliche Bauteiloberflächen im Tunnel oder an Brücken dauerhaft gut überwacht werden. Folglich ist eine Erfassung der Rissweitenentwicklung auch über längeren Zeitraum ohne physischen Zugang des Bauwerks möglich. Die Forschungen sind im Rahmen des Förderprogramms Mobilität der Zukunft- VIF 2017 (Fördernummer 866968) finanziert worden, die Autoren danken den dem österreichischen Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK), der Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft ASFiNAG, der ÖBB Infrastruktur AG sowie der Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) für die gute Zusammenarbeit und Unterstützung. Literatur [1] C.M. Monsberger, W. Lienhart, M. Hayden (2020): Distributed fiber optic sensing along driven ductile piles: Design, sensor installation and monitoring benefits. Journal of Civil Structural Health Monitoring 10 (4): 627-637; doi: 10.1007/ s13349-020- 00406-3 [2] C. Monsberger, H. Woschitz, W. Lienhart, V. Racanský, D. Gächter, R. Kulmer (2017): Überwachung von Ankerausziehversuchen im Rahmen der Hangsicherung für den Neubau einer Raffinerie. Proc. 32nd Christian Veder Kolloquium ‘Zugelemente in der Geotechnik‘, TU Graz, Gruppe Geotechnik 58: 173-192 [3] C.M. Monsberger, W. Lienhart, B. Moritz (2018): In-situ assessment of strain behaviour inside tunnel linings using distributed fibre optic sensors. Geomechanics and Tunnelling 11 (6): 701-709; doi: 10.1002/ geot.201800050 [4] C. Monsberger, W. Lienhart (2017): In-situ Deformation Monitoring of Tunnel Segments using High-resolution Distributed Fibre Optic Sensing. Proc. 8th International Conference on Structural Health Monitoring of Intelligent Infrastructure - SHMII-8, Brisbane, Australia: RS1-9, 12p [5] M. Winkler, C.M. Monsberger, W. Lienhart, A. Vorwagner, M. Kwapisz (2019): Assessment of crack patterns along plain concrete tunnel linings using distributed fiber optic sensing. Proc. 5th International Conference on Smart Monitoring, Assessment and Rehabilitation of Civil Structures 2019 - SMAR, Potsdam, Germany: 8p