eJournals Brückenkolloquium 4/1

Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
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2020
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Innovative Verstärkungsmaßnahmen für Bestandsbrücken

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2020
Balthasar Novák
Vazul Boros
Eberhard Pelke
Carolin Roth
Der Beitrag zeigt zwei innovative Verstärkungsmaßnahmen, mit deren Hilfe bei den beiden vorgestellten Bauwerken die ursprünglich vorhandenen rechnerischen Defizite wesentlich reduziert werden konnten, um so den Betrieb bis zum Ersatzneubau aufrechterhalten zu können. Die erste Verstärkung kombiniert zwei Maßnahmen. Der Überbau wird einerseits mit Schrägstielen unterstützt, um die hochausgenutzten auflagernahen Bereiche zu entlasten. Die Aktivierung der Schrägstiele erfolgt hierbei mittels verbleibenden hydraulischen Hubpressen. Zudem wurden spezielle Federelemente eingesetzt, um zeitabhängige Veränderungen der Anpresskraft zu reduzieren. Zusätzlich wurden ausgewählte Bereiche der Stege lokal mittels nachträglichen Schubbügeln unter einer Aufbetonschicht verstärkt. Bei dem zweiten Bauwerk war es das Ziel, die Ermüdungsbeanspruchung an den messtechnisch überwachten, kritischen Koppelfugen zu reduzieren. Nach einem modularen System wurden Stahlfachwerktürme entworfen, die so jeweils an die Überbauhöhe an der zu unterstützenden Koppelfuge angepasst werden können. Eine Wippenkonstruktion am Turmkopf mit Gegengewicht ermöglicht das Aufbringen einer definierten, konstanten, aufwärtsgerichteten Vertikalkraft zur Entlastung der Koppelfuge.
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4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 391 Innovative Verstärkungsmaßnahmen für Bestandsbrücken Balthasar Novák Universität Stuttgart, Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren, Stuttgart, Deutschland Vazul Boros Jochen Reinhard Schömig-Plan, Kleinostheim / Stuttgart, Deutschland Eberhard Pelke Hessen Mobil, Wiesbaden, Deutschland Carolin Roth Hock Beratende Ingenieure, Haibach, Deutschland Zusammenfassung Der Beitrag zeigt zwei innovative Verstärkungsmaßnahmen, mit deren Hilfe bei den beiden vorgestellten Bauwerken die ursprünglich vorhandenen rechnerischen Defizite wesentlich reduziert werden konnten, um so den Betrieb bis zum Ersatzneubau aufrechterhalten zu können. Die erste Verstärkung kombiniert zwei Maßnahmen. Der Überbau wird einerseits mit Schrägstielen unterstützt, um die hochausgenutzten auflagernahen Bereiche zu entlasten. Die Aktivierung der Schrägstiele erfolgt hierbei mittels verbleibenden hydraulischen Hubpressen. Zudem wurden spezielle Federelemente eingesetzt, um zeitabhängige Veränderungen der Anpresskraft zu reduzieren. Zusätzlich wurden ausgewählte Bereiche der Stege lokal mittels nachträglichen Schubbügeln unter einer Aufbetonschicht verstärkt. Bei dem zweiten Bauwerk war es das Ziel, die Ermüdungsbeanspruchung an den messtechnisch überwachten, kritischen Koppelfugen zu reduzieren. Nach einem modularen System wurden Stahlfachwerktürme entworfen, die so jeweils an die Überbauhöhe an der zu unterstützenden Koppelfuge angepasst werden können. Eine Wippenkonstruktion am Turmkopf mit Gegengewicht ermöglicht das Aufbringen einer definierten, konstanten, aufwärtsgerichteten Vertikalkraft zur Entlastung der Koppelfuge. 1. Einleitung Das Bundesfernstraßennetz in Deutschland beinhaltet aktuell knapp 40.000 Brücken, deren überwiegende Mehrzahl in den alten Bundesländern zwischen 1965 und 1985 errichtet wurde und nun eine Lebensdauer von 50 Jahren erreicht [1]. Die Güterverkehrsleistung in der Bundesrepublik, die eines der wichtigsten Transitländer im europäischen Binnenmarkt darstellt, nimmt derweil stetig zu. Auch die Anzahl von genehmigungspflichtigen Schwertransporten steigt Jahr für Jahr [2]. Die Brückenbauwerke der Bundesfernstraßen sind somit einer Belastung aus dem Straßenverkehr ausgesetzt, die zum Zeitpunkt ihrer Errichtung nicht prognostiziert wurde. Die Entscheidungsträger haben in Deutschland die Gefahren der alternden Verkehrsinfrastruktur erkannt und eine Strategie zu der Ertüchtigung des Brückenbestands entwickelt. Einerseits wurden unter der Federführung der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) bereits im Jahr 2010 in Abstimmung mit den Bundesländern mehr als 2000 Teilbauwerke von überwiegend Spannbetonbrücken identifiziert, die vorrangig zu untersuchen sind. Zweitens wurde 2011 die Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (kurz Nachrechnungsrichtlinie) [3] herausgegeben, um den objektbezogenen Nachrechnungen für diese Bauwerke einen normativen Rahmen zu bieten. Das Dokument wurde dann basierend auf den ersten Erfahrungen und den zwischenzeitlich gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnissen mit der im Jahr 2015 erschienenen 1. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie [4] fortgeschrieben. Von besonderer Bedeutung sind hierbei die Regelungen in Bezug auf die Querkraftnachweise für Betonbrücken. In [5] wurden bereits die Erfahrungen aus der Praxis bei der Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand anhand von drei interessanten Beispielbauwerken dargestellt. Wenn auch mit den ergänzenden Regelungen die Nachweise nicht erbracht werden können, können für das Bauwerk einschränkende Nutzungsauflagen eingeführt werden. Sofern auch diese Maßnahmen nicht zum Ziel führen, muss die Brücke entweder verstärkt oder ersetzt werden. Häufige Verstärkungsmaßnahmen sind hierbei das Aufbrin- 392 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Innovative Verstärkungsmaßnahmen für Bestandsbrücken gen einer zusätzlichen Vorspannung, in der Regel durch externe Spannglieder [6], eine Querkraftverstärkung mit Stabspanngliedern oder Schublaschen aus Stahl bzw. durch aufgeklebte oder in Schlitze eingeklebte CFK-Lamellen sowie das Ergänzen einer Aufbetonschicht mit Verdübelung [7]. Wie die Ergebnisse der bundesweiten Nachrechnungen zeigen, kann ein bedeutender Teil des deutschen Brückenbestandes den zwischenzeitlich gewachsenen Anforderungen durch den Straßenverkehr nicht mehr standhalten. Selbst wenn sich der Ersatzneubau eines Bauwerks bereits in der Planung befindet, muss oft die Zeitspanne bis zu dessen Inbetriebnahme noch überbrückt werden. Bei der für Autobahnen üblichen Bauweise mit getrennten Überbauten für die beiden Fahrtrichtungen muss das marode Bauwerk zudem gerade in diesem kritischen Zeitraum die zweifache Verkehrsstärke aufnehmen können. Sofern die bereits beschriebenen üblichen Maßnahmen bereits ausgeschöpft sind oder keinen Erfolg versprechen, müssen Sonderlösungen erarbeitet werden. Zwei solche innovativen Verstärkungsmaßnahmen werden nachfolgend vorgestellt. 2. Verstärkung der Salzbachtalbrücke Bei der ersten Verstärkungsmaßnahme handelt es sich um eine hochfrequentierte innerstädtische Brücke, bei dem der Schwerpunkt auf der Kompensation der Querkraftdefizite lag. In Anbetracht der speziellen Randbedingungen und der verbleibenden Defizite trotz bereits erfolgter externer Vorspannung kam bei dem Bauwerk nur eine Sonderlösung in Frage. 2.1 Beschreibung des Bauwerks Die Salzbachtalbrücke überführt die Bundesautobahn A66 über eine Bundestraße, die Gleisanlagen der Deutschen Bahn und den Salzbach. Auf den getrennten Überbauten mit jeweils 14,5 m Breite sind je zwei Fahrspuren einer Fahrtrichtung angeordnet. Das Bauwerk hat eine Gesamtlänge von 304,0 m und spannt als Durchlaufträger über fünf Felder mit Spannweiten zwischen 46,00 m und 69,0 m. Der Überbau hat eine Konstruktionshöhe von 3,5 m und eine lichte Höhe von ca. 25,0 m. Das Bauwerk wurde 1963 errichtet und für die Brückenklasse 60 ausgelegt. Es wurde im Jahr 2013 mit jeweils vier externen Spanngliedern pro Überbau verstärkt, die zwischen den beiden Stegen des Plattenbalkenquerschnitts angeordnet wurden. Das Bauwerk vor der Verstärkung ist in Bild 1 im Längsschnitt und in Bild 2 im Querschnitt dargestellt. Bild 1: Längsschnitt der Salzbachtalbrücke Bild 2: Querschnitt der Salzbachtalbrücke Das Bauwerk wurde nachgerechnet und weist erhebliche Defizite auf, deshalb soll es durch einen Ersatzneubau erneuert werden [8, 9]. Zuerst wird der südliche Überbau zurückgebaut und ersetzt. In diesem Zeitraum ist es vorgesehen, den gesamten Verkehr auf den nördlichen Überbau zu verlegen (4+0 Verkehrsführung). Für diesen Belastungszustand weist der bestehende Überbau jedoch insbesondere Defizite im Bereich der Querkraft auf. Des Weiteren ist zu beachten, dass der verwendete Spannstahl als spannungsrisskorrosionsgefährdet einzustufen ist. Um für die zusätzliche Belastung während der Bauzeit die erforderliche Standsicherheit für das Bauwerk zu gewährleisten, wurde eine Verstärkungsmaßnahme für den nördlichen Überbau vorgesehen. 2.2 Beschreibung der Maßnahme Die Verstärkungsmaßnahme kann grundsätzlich in zwei Teile gegliedert werden. In den am höchsten belasteten Bereichen neben den Auflagern wird der Überbau in jeweils ca. 7 m Abstand von den Pfeilern durch eine Stahlkonstruktion mit Schrägstielen unterstützt. Diese Konstruktion entlastet die Stege und leitet die Lasten direkt in die Fundamente. Der anschließende Stegbereich mit geringerer Querkraftüberschreitung wird durch zusätzliche Bügelbewehrung und eine Aufbetonschicht verstärkt. Die Verstärkung erfolgt durch zusätzliche Bügel im an die Unterstützung anschließenden Bereich der Stege (in den Achsen C, D und E). Die Bügel werden durch eine Aufbetonschicht von 10 cm Dicke geschützt und mit dem Bestandsbauwerk verbunden. Eine Übersicht der Verstärkungsmaßnahme zeigt Bild 3. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 393 Innovative Verstärkungsmaßnahmen für Bestandsbrücken Bild 3: Übersicht der Verstärkungsmaßnahme Die Stahlträger bei den Pfeilern in den Achsen B bis D haben eine Neigung von annähernd 64° und sind mit Ausnahme der Länge des vertikalen Abschnitts baugleich. Die Umlenkung der Auflagerkräfte erfolgt über Zugstreben am Pfeilerkopf und Druckglieder in Pfeilermitte. Die Vertikalstreben ruhen nicht auf den Pfeilerfundamenten, sondern auf durchgesteckten Stahlträgern, welche über Betonsockel die Lasten auf den Füllbeton im Inneren des Pfeilers verteilen. Dadurch konnte die zeit- und kostenintensive Freilegung der Fundamente vermieden werden. Dies war lediglich beim vierten Pfeiler in Achse E erforderlich, da dieser bezogen auf die Achse der Brücke in einem Winkel von etwa 10° verdreht errichtet wurde. Die einzelnen Träger wurden über Windverbände miteinander verbunden und ausgesteift. Bild 4 zeigt die Stahlkonstruktion zur Verstärkung am Pfeiler B. Bild 4: Verstärkung durch die Stahlkonstruktion mit Schrägstielen Um die Verstärkung auch für ständige Lasten zu aktivieren, wurden unter dem Überbau Hubpressen angeordnet, die mit 2000 kN angefahren werden. Die verbleibenden Hubpressen (Bild 5) werden anschließend mit Stellringen gesichert und in regelmäßigen Abständen überprüft und rekalibriert. Bild 5: Verbleibende Hubpressen unter den Bestandsstegen Am Fuß der Verstärkung wurden Federelemente mit definierter Steifigkeit angeordnet. Dadurch wird der Einfluss der nicht exakt bekannten Überbausteifigkeit auf die Unterstützungskraft reduziert. Auch die Differenzen in der Auflagerkraft aus veränderlichen Lasten (insbesondere der Temperaturdifferenzen zwischen Bauteilen) werden verringert. Während der Montage wurden Platzhalter für die Federelemente eingebaut, bis sämtliche Stahlbauteile montiert und alle Anschlüsse hergestellt wurden. Eine technische Zeichnung des eingesetzten Federelements zeigt Bild 6. 394 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Innovative Verstärkungsmaßnahmen für Bestandsbrücken Bild 6: Schnitt durch das eingesetzte Federelement Der Überbau wird bei den Achsen C, D und E beidseitig ausgehend von den Pressenansatzpunkten auf einer Länge von 7,0 m in Richtung Feldmitte mit zusätzlichen Bügeln mit 14 mm Durchmesser in jeweils 50,0 cm Abstand verstärkt. Die Bügel werden in Bohrlöchern von 32 mm Durchmesser unmittelbar unter der Fahrbahnplatte durch den Steg geführt. Die Bohrlöcher werden anschließend mittels eines Injektionssystems mit gültiger Zulassung vermörtelt. Die Bügel werden mit einer Aufbetonschicht von 10 cm Dicke gesichert. Die Einleitung der Kräfte aus den Bügeln und dem Aufbeton in die Stege erfolgt über Schubverbinder und die Verzahnung zwischen Alt- und Neubeton. Das Detail der Aufbetonschicht ist in Bild 7 im Längsschnitt und in Bild 8 im Querschnitt dargestellt. Bild 7: Zusatzbügel in der Aufbetonschicht im Längsschnitt Bild 8: Zusatzbügel in der Aufbetonschicht im Querschnitt Der Verbund zwischen der Aufbetonschicht und dem Bestandsbauwerk wird durch die Herstellung einer verzahnten Fuge gemäß DIN EN 1992-1 [10] (mittlere Rautiefe ≥ 3mm) und durch den Einsatz von Schubverbindern gesichert. Die Bügel sind zudem in vertikalen Nuten angeordnet, um den Verbund zusätzlich zu verbessern. Die Bohrlöcher der Schubverbinder sowie die Kernbohrungen zum Schließen der Bügel mussten unter Berücksichtigung der Längsspannglieder der Stege des Bestandsüberbaus angeordnet werden. Bild 9: Zusatzbügel mit Schubverbindern und aufgerauter Betonoberfläche Bild 9 zeigt die Zusatzbügel mit Schubverbindern und aufgerauter Betonoberfläche vor der Herstellung der Aufbetonschicht. 2.3 Ergebnis der Maßnahme Da für diese neue Verstärkungsmethode noch keine Erfahrungen vorlagen, wurde beschlossen, diese auch messtechnisch zu überwachen. An den Federelementen wurden Wegaufnehmer und an zahlreichen Stellen am Bauwerk Temperatursensoren installiert. Bereits beim 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 395 Innovative Verstärkungsmaßnahmen für Bestandsbrücken Aktivieren der Verstärkung durch Anfahren der Hubpressen zeigten die Verschiebewege der Federn eine gute Übereinstimmung mit dem im Vorfeld ermittelten theoretischen Wert. Die seither fortgeführten Dauermessungen zeigten, dass durch die Federelemente die Variation der Auflagerkraft aufgrund der Temperaturdifferenzen auf ca. 10% reduziert werden kann. 3. Notunterstützung der Talbrücke Sechshelden Bei der zweiten Maßnahme lag der Fokus auf der Ermüdung der Koppelfugen. Diese lange Talbrücke weist eine Vielzahl von Koppelfugen auf, die bezüglich ihres Ermüdungsverhaltens deutliche Unterschiede aufzeigen. Es galt, eine Notunterstützung zu entwickeln, die es in Kombination mit einer umfangreichen messtechnischen Überwachung erlaubt, die kritischen Koppelfugen zu identifizieren und gezielt zu entlasten. 3.1 Beschreibung des Bauwerks Die Talbrücke Sechshelden befindet sich auf der BAB 45 zwischen AS Dillenburg und AS Haiger-Burbach und überführt die Autobahn mit 19 Feldern über die Dill, die B277 und Gleisanlagen der Deutschen Bahn. Das Bauwerk wurde 1968 hergestellt. Die in Längs- und Querrichtung beschränkt vorgespannte Betonbrücke besteht aus zwei getrennten Überbauten mit zweistegigem Plattenbalkenquerschnitt. Die Überbauhöhe beträgt konstant 2,8 m, die Fahrbahnbreite 12,75 m. Die Spannweiten variieren zwischen 32,38 m und 74,19 m. Die lichte Höhe der Brücke beträgt maximal ca. 23 m. Das Bauwerk wurde für Brückenklasse 60 bemessen. Das Bauwerk ist in Bild 10 im Längsschnitt und in Bild 11 im Querschnitt dargestellt. Bild 10: Längsschnitt der Talbrücke Sechshelden Bild 11: Querschnitt der Talbrücke Sechshelden Bei der Bauwerksprüfung im Jahr 2005 wurden Risse im Bereich der Koppelfugen festgestellt. Die durchgeführten Untersuchungen zur Dauerhaftigkeit der Koppelfugen sowie die Ermittlung der Restnutzungsdauer ergaben Defizite für die Koppelfugen. Somit wurde eine Verstärkung der Koppelfugen durch eine externe Zusatzvorspannung im Sinne einer Instandsetzung erforderlich. Selbst mit dieser Verstärkung, wurde für den Bestandsüberbau der Talbrücke Sechshelden eine rechnerische Restnutzungsdauer bis Ende des Jahres 2017 ermittelt und es ist daher geplant, den Überbau Süd nach diesem Zeitpunkt verbunden mit einem Monitoring sukzessive außer Betrieb zu nehmen [11]. Ab diesem Zeitpunkt, bzw. bis zur Fertigstellung des Ersatzneubaus Süd, soll der gesamte Verkehr (Verkehrsführung 4+0) planmäßig auf den Nordüberbau verlegt werden. Durch die Durchführung der Notunterstützung soll eine verkehrliche Nutzung der Brücke in diesem Zeitraum sichergestellt werden. 3.2 Beschreibung der Maßnahme Durch die Notunterstützung sollen als kritisch identifizierte Koppelfugen kurzfristig entlastet werden können. Bild 12 zeigt beispielhaft den zeitabhängigen rechnerischen Schädigungsfortschritt an einer der Koppelfugen bei postuliertem Ausfall der untersten Lage im Jahr 2017. Durch die externe Vorspannung konnte die jährliche Zunahme der Schädigung zwar drastisch reduziert werden, aber die bereits akkumulierten Schäden verbleiben. Sofern man die Schädigung der zweiten Spanngliedlage an dem Ermüdungsversagen der ersten Lage kalibriert, wird ersichtlich, dass diese noch Reserven aufweist. Ziel der Notunterstützung ist es, bei einem Ermüdungsversagen der ersten Spanngliedlage durch eine kurzfristige, gezielte Entlastung der kritischen Koppelfugen die Restnutzungsdauer zu verlängern. Somit muss die Notunterstützung derart flexibel geplant werden, dass sie bei jeder in Frage kommenden Koppelfuge eingesetzt werden kann. Bei Koppelfugen, die bereits nach aktuellem Stand als kritisch zu betrachten sind, wurde die Notunterstützung sofort errichtet. Für den Fall, dass weitere Koppelfugen in den kommenden Jahren anhand des Monitorings als kritisch eingestuft werden müssen, wurden zusätzliche Elemente für die Notunterstützung eingelagert, um bei Bedarf schnellstmöglich dort errichtet werden zu können, wo es erforderlich wird. 396 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Innovative Verstärkungsmaßnahmen für Bestandsbrücken Bild 12: Beispielhafte Darstellung des zeitabhängigen rechnerischen Schädigungsfortschrittes an den Koppelfugen bei postuliertem Ausfall der untersten Lage im Jahr 2017 Die Notunterstützung wir unter dem äußeren Steg des nördlichen Überbaus angeordnet, im Bereich der bisherigen LKW-Fahrstreifen mit der größten Ermüdungsbeanspruchung. Da sich direkt unter dem Bauwerk keine Bebauung befindet und eine gute Zugänglichkeit gewährleistet ist, erfolgt die Unterstützung des Überbaus direkten im Bereich der Koppelfugen. Durch einen Waagebalken mit Gegengewichten wird eine konstante, aufwärtsgerichtete, entlastende Kraft erzeugt. Die Anzahl der erforderlichen Gegengewichte kann hierbei durch das günstige Verhältnis der Hebelarme reduziert werden. Bei der Festlegung der erforderlichen Ballastierung für die einzelnen Türme war auch die Interaktion zwischen den benachbarten Koppelfugen zu berücksichtigen. Das Gesamtgewicht des Ballasts für die bereits aufgestellten Türme variiert zwischen 4,8 t und 28,8 t, die Konstruktion ist jedoch für ein Gegengewicht von bis zu 48 t ausgelegt. Die Stahlfachwerktürme bestehen aus üblichen Walzprofilen und weisen ein modulares Konzept mit drei unterschiedlichen Elementgrößen für die Zwischenmodule auf. Dadurch können mit wenigen Elementtypen Türme mit variabler Höhe erstellt werden. Die einzelnen Module bleiben im Rahmen gebräuchlicher Transportgrößen und -gewichte und die Montage auf der Baustelle erfolgt nur durch Schraubanschlüsse. In Bild 13 ist das allgemeine Konzept der Notunterstützung ersichtlich. Bild 13: Konzept der Notunterstützung Die Tragkonstruktion der Notunterstützung besteht im Wesentlichen aus je einem Turm mit vier im Grundriss quadratisch angeordneten Stielen aus Walzprofilen (HEA 240), die mit horizontalen Querstäben (HEA 140) verbunden und mit Diagonalen (L 80x8) ausgesteift werden. Die Türme unterstützen vorerst sieben kritische Koppelfugen des nördlichen Teilbauwerks. Jeder Turm ruht auf 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 397 Innovative Verstärkungsmaßnahmen für Bestandsbrücken einem bewehrten Ortbetonfundament von 6,5 m Länge, 3,5 m Breite und 1,0 m Dicke. Bei manchen Türmen mit ungünstigeren Baugrundverhältnissen wurde ein Bodenaustausch vorgenommen. Die wesentlichen Komponenten des modular aufgebauten Fachwerkturms sind in Bild 14 dargestellt. Wohl auch aufgrund der hohen Wiederholungsrate konnte die Konstruktion mit einem wesentlich geringeren Einheitspreis für die Stahlkomponenten errichtet werden, als es z. B. bei der Verstärkung der zuvor vorgestellten Salzbachtalbrücke der Fall war. Bild 14: Wesentliche Komponenten des modular aufgebauten Fachwerkturms Als Ballastgewichte wurden handelsübliche Beton-Formsteine mit je 2,4 t Gewicht vorgesehen. Um ein Schwingen der Gegengewichte zu unterbinden, wurde der Stahlrahmen für deren Halterung an drei Punkten an den Turm gekoppelt. Der Höhenausgleich unter der Modulgröße erfolgt durch die Anpassung der Einbautiefe der Einbauteile, die in die Fundamente eingesetzt werden. Die Türme werden gegen Vandalismus mit einer Umzäunung geschützt. In Bild 15 ist beispielhaft ein Fachwerkturm der fertiggestellten Notunter-stützung abgebildet. Bild 15: Ein Fachwerkturm der fertiggestellten Notunterstützung Um die Spaltzugkräfte bei der Lasteinleitung in den Überbau zu reduzieren, wurden im Kontaktpunkt Lastverteiler angeordnet. Der Lastverteiler wurde knochenförmig ausgebildet, um seitlich ausreichend Platz für die Wegaufnehmer des Monitorings an der Koppelfuge zu lassen. Die Befestigung am Steg erfolgte mittels Stahllaschen, die so weit nach oben geführt wurden, bis eine Befestigung ohne Gefährdung der internen Spannglieder erfolgen konnte. Zwischen dem Lastverteiler und dem Waagebalken ermöglicht ein Gleitlager mit Gelenkanschluss die temperaturbedingten Verschiebungen des Überbaus. Der Waagebalken ruht auf Kalottenlagern und ist zudem durch eine Gabellagerung gehalten. Bild 16 zeigt das Kopfdetail der Notunterstützung. 398 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Innovative Verstärkungsmaßnahmen für Bestandsbrücken Bild 16: Kopfdetail der Notunterstützung 3.3 Ergebnis der Maßnahme Durch die messtechnische Überwachung mittels Wegaufnehmer an den Koppelfugen konnte die Wirksamkeit der Notunterstützung sogleich verifiziert werden. In Bild 17 sind die Ergebnisse der Messungen an den Koppelfugen mit gleichzeitiger Darstellung der Bauwerkstemperatur abgebildet. Es ist ersichtlich, dass der gleitende Mittelwert der gemessenen Wege an den Koppelfugen im Wesentlichen dem Temperaturverlauf folgt. Gleichzeitig kann aber auch festgestellt werden, dass die Schwankung zwischen den hellgrau dargestellten Mindest- und Maximalwerten nach dem mit dem grauen Pfeil markierten Zeitpunkt der Notunterstützung erheblich abgenommen hat. Folglich ist davon auszugehen, dass auch die ermüdungsrelevanten Spannungsschwingbreiten in der Koppelfuge entsprechend reduziert werden konnten. Bild 17: Ergebnisse der Messungen an den Koppelfugen mit Darstellung der Bauwerkstemperatur 4. Zusammenfassung und Ausblick Die Instandhaltung von Brücken im Bestand stellt Betreiber und Ingenieure immer wieder vor neue Herausforderungen. Hierbei sind neben den gebräuchlichen Verstärkungsmethoden, wie das Aufbringen einer zusätzlichen Vorspannung durch externe Spannglieder oder das Ergänzen einer Aufbetonschicht, immer häufiger auch spezielle, an die jeweiligen Randbedingungen des Bauwerks angepasste Sonderlösungen gefragt. Die Autoren sind der Ansicht, dass ein Austausch der Erfahrungen bei solchen Maßnahmen sowohl national als auch international [12] von großer Bedeutung ist, da diese als Inspiration für neuartige Lösungen bei anderen Bauwerken dienen können. 5. Literatur [1] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2016): Bericht „Stand der Ertüchtigung von Straßenbrücken der Bundesfernstraßen“. Berlin 14. November 2016. [2] Kaschner, R. et al. (2009): Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Heft B 68. Auswirkungen des Schwerlastverkehrs auf die Brücken der Bundesfernstraßen. [3] Nachrechnungsrichtlinie (2011): Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwickelung. [4] Nachrechnungsrichtlinie (2015): Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand - 1. Ergänzung. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwickelung. [5] Boros, V. & Novák, B. (2018): Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand - Drei Erfah-rungsberichte aus der Praxis. 3. TAE Brückenkolloquium 2018, Ostfildern. [6] Pelke E. & Schölch, U. (2011): Strengthening the major bridges on the A45 motorway: recalculation immediate measures reinforcement concepts. Taller, Longer, Lighter: IABSE-IASS Symposium, London. [7] M. Schnellenbach-Held et al. (2016): „Verstärkung älterer Beton- und Spannbetonbrücken Erfahrungssammlung Dokumentation 2016“, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Bergisch Gladbach, Forschungsbericht FE 15.0570/ 2012/ NRB. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 399 Innovative Verstärkungsmaßnahmen für Bestandsbrücken [8] Novák, B. & Reinhard, J. (2016): „Machbarkeitsstudie bezüglich baulicher Kompensationsmaßnahmen, die eine Inbetriebhaltung der Salzbachtalbrücke über 12. 2017 hinaus sicherstellen“. Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren Universität Stuttgart. [9] Novák, B. & Reinhard, J. (2017): „Ganzheitliche Betrachtungen und Beurteilungen an der Salzbachtalbrücke“. Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren Universität Stuttgart. [10] DIN EN 1992-1-1 (2005): Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau. [11] Novák, B. & Reinhard, J. (2016): „Machbarkeitsempfehlung für eine Notunterstützung des Bestandsbauwerkes im Zuge des Ersatzneubaus der Talbrücke Sechshelden“. Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren Universität Stuttgart. [12] Novák, B. et al. (2018): Strengthening of Two Major Highway Viaducts in Germany. 40 th IABSE Symposium: Tomorrow’s Megastructures, Nantes.