eJournals Brückenkolloquium 4/1

Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
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Die objektspezifische Bestimmung des kritischen Chloridgehalts und die Auswirkung auf die Restlebensdauer

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Carolina Boschmann Käthler
Ueli M. Angst
In Tau- und Meersalzexpositionen ist chlorid-induzierte Korrosion eine der häufigsten Schädigungsmechanismen. Auf Grund von Makroelementbildung kann diese zu beachtlichen Korrosionsgeschwindigkeiten führen. Eine realistische Einschätzung des Korrosionsrisikos ist deshalb zwingend erforderlich. Das standardmässige Verfahren heutzutage ist der Vergleich von Chloridprofilen mit dem definierten kritischen Chloridgehalt Ccrit. Mangels einer ausführbaren Testmethode, ist dieser Wert für alle Bauwerke und Expositionsklassen gleich – mit minimalen Anpassungsmöglichkeiten. Dieser Beitrag stellt eine neue Testmethode für Ccrit am Bauwerk vor. Es zeigt sich, dass der Ccrit deutlich von Bauwerk zu Bauwerk variiert. Durch die Anwendung dieser Testmethode kann das Korrosionsrisiko an Bauwerken präziser abgeschätzt werden und das Erhaltungsmanagement somit besser geplant werden.
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4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 461 Die objektspezifische Bestimmung des kritischen Chloridgehalts und die Auswirkung auf die Restlebensdauer Carolina Boschmann Käthler ETH Zürich, Institut für Baustoffe, Zürich, Schweiz Ueli M. Angst ETH Zürich, Institut für Baustoffe, Zürich, Schweiz Zusammenfassung In Tau- und Meersalzexpositionen ist chlorid-induzierte Korrosion eine der häufigsten Schädigungsmechanismen. Auf Grund von Makroelementbildung kann diese zu beachtlichen Korrosionsgeschwindigkeiten führen. Eine realistische Einschätzung des Korrosionsrisikos ist deshalb zwingend erforderlich. Das standardmässige Verfahren heutzutage ist der Vergleich von Chloridprofilen mit dem definierten kritischen Chloridgehalt C crit . Mangels einer ausführbaren Testmethode, ist dieser Wert für alle Bauwerke und Expositionsklassen gleich - mit minimalen Anpassungsmöglichkeiten. Dieser Beitrag stellt eine neue Testmethode für C crit am Bauwerk vor. Es zeigt sich, dass der C crit deutlich von Bauwerk zu Bauwerk variiert. Durch die Anwendung dieser Testmethode kann das Korrosionsrisiko an Bauwerken präziser abgeschätzt werden und das Erhaltungsmanagement somit besser geplant werden. 1. Einleitung Chloridinduzierte Korrosion ist bis heute eine der häufigsten Schadensmechanismen von Bewehrungsstahl in Beton [1]. Die Korrosionsschäden verursachen hohe Kosten für die Betreiber der Strasseninfrastruktur [2, 3]. Zusätzlich entstehen volkswirtschaftliche Kosten durch Strassensperrungen, Spurabbau und Umleitungen. Obwohl in den vergangenen 50 Jahren intensiv zu dem Thema der chloridinduzierten Korrosion, insbesondere dem kritischen Chloridgehalt C crit , geforscht wurde [4], ist bisher keine Einigkeit über die Existenz des Wertes oder dessen Betrag erreicht worden. C crit streut stark, und somit konnte bisher kein praxisrelevanter Wert festgelegt werden. Die Normen einigen sich bisher auf eher konservative Werte zwischen 0.4 und 0.6 M% bez. auf Zem. gew. [5, 6]. C crit ist einer der Haupteinflussparameter auf Lebensdauermodellierungen und Evaluation von Zustandserfassungen (Chloridprofile) und somit ein entscheidender Parameter in der Planung von Instandsetzungsmassnahmen. Die praxisnahe Bestimmung von C crit ist also dringend erforderlich. Die hier vorgestellte Methode beinhaltet die Messung des C crit am Bauwerk und zeigt den Einfluss auf die Lebensdauermodellierung. Die Methode ist ausserdem ausführlich in [7, 8] beschrieben. 2. Methodik 2.1 Probennahme aus Bauwerken 150-mm-Bohrkerne mit einem zentrisch liegenden Bewehrungsstahl wurden an Bauwerken entnommen, um an diesen den C crit zu bestimmen. Der Stahl muss zum Zeitpunkt der Entnahme noch passiv sein. Zur Bestimmung von Mittelwert und Standardabweichung wurden pro Bauwerk mindestens sechs Bohrkerne entnommen. Für diesen Beitrag wurden zwei Bauwerke beprobt: zwei Wandelemente einer Galerie und ein Widerlager einer Brücke mit horizontaler und vertikaler Bewehrung. Beide Bauwerke stehen in den Schweizer Alpen. Die Bauwerke und die gemessenen Parameter sind in einer Datenbank [9] erfasst. 2.2 Probenvorbereitung im Labor Im Labor wurde die Bewehrungsüberdeckung auf ca. 15 mm reduziert. Zur kontinuierlichen Potenzialfeldmessung wurde auf einer Stahlseite mittels Kabelendschuh und Kabel eine Schraubverbindung befestigt. Zum Schutz der Stahlenden vor Korrosionsinitiierung wurde der Beton um diese Stahlenden entfernt und mit einem dichten, hochalkalischen Mörtel verfüllt. Die exponierte Länge wurde auf 60 mm mittels eines Epoxidharz- 462 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Die objektspezifische Bestimmung des kritischen Chloridgehalts und die Auswirkung auf die Restlebensdauer anstrichs reduziert, ebenso wurde die Mantelfläche des Bohrkerns mit Epoxidharz vor Chlorideintrag geschützt. (vgl. Bild 1) Bild 1 - Vorbereitete Proben für den Ccrit-Test. 2.3 Test zur Bestimmung des kritischen Chloridgehalts Die Proben wurden eine Woche in Leitungswasser ausgelagert. Danach wurde der NaCl-Gehalt schrittweise von 3.5 M-% bis max. 10 M-% erhöht. Während der Auslagerung wurden die Bohrkerne mit einem Datenlogger verbunden. Mit einer externen Referenzelektrode (Ag/ AgCl sat ) wurde das Potenzial kontinuierlich gemessen. (vgl. Bild 2) Bild 2 - Laborauslagerung der Proben. Ein Potenzialabfall von mindestens 150 mV innerhalb 24 h zeigte eine Korrosionsinitiierung. Bei Stabilisierung des Potenzials auf dem tieferen Wert für mindestens 7 d wurde der Bohrkern aus der Expositionslösung entnommen und anschliessend längs des Stahls gespalten. Die Betonprobe zur Chloridanalyse wurde auf Bewehrungsniveau herausgeschnitten. Der totale Chloridgehalt wurde gemäss Norm [10] bestimmt und entspricht dem kritischen Chloridgehalt C crit dieser Probe. Für jedes Bauwerk wurde eine logarithmische Normalverteilung für die gemessenen C crit gefittet. Diese gefittete Verteilung wurde für die Lebensdauermodellierung verwendet. 2.4 Lebensdauermodellierung Die Lebensdauermodellierung basiert auf der Berechnung des Chlorideintrags auf Bewehrungsniveau über die Zeit und dem Vergleich mit dem C crit . Übersteigt der aktuelle Chloridgehalt C(x,t) den angesetzten C crit ist von Korrosionsinitiierung auszugehen. Im Falle eines tieferen C(x,t) als der angesetzte C crit ist Korrosion unwahrscheinlich. Mit der Fehlerfunktion wird der Chloridgehalt C(x,t) berechnet: mit Zeitpunkt t, Betonüberdeckung x, der Chloridoberflächenkonzentration C s und dem zeitabhängigen Diffusionskoeffizienten D app : mit dem Diffusionskoeffizienten D app,0 zur Referenzzeit t 0 (=28 d) und dem Alterskoeffizienten n (=0.3). Die Modellierung wurde vollprobabilistisch durchgeführt, um Unsicherheiten von Eingangsparametern zu berücksichtigen. Alle Eingangsparameter sind somit normalverteilt, mit Ausnahme des Alterskoeffizienten n (ohne Verteilung) und des C crit , welcher einer logarithmischen Normalverteilung folgte. Eine Monte-Carlo-Simulation ermöglicht die Berechnung der Initiierungswahrscheinlichkeit über die Zeit. Tabelle 1 zeigt die gewählten Eingangsparameter für die modellierten Lebensdauern. Die Parameter wurden am Bauwerk direkt an einem Beispielbauwerk T2 (Bezeichnung gemäss [9]) gemessen. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 463 Die objektspezifische Bestimmung des kritischen Chloridgehalts und die Auswirkung auf die Restlebensdauer Tabelle 1 - Eingangsparameter für Lebensdauermodellierung. Die Einheit für Cs und Ccrit ist M% bez. auf Zementgewicht. Element Betonüberdeckung x (mm) Diffusionskoeffizient D app,0 (10 - 12 m 2 / s) Oberflächen-konzentration C s (M%) Kritischer Chloridgehalt C crit (M-%) Referenz [5] - - - 0.6 / 0.15 (beta- Vert.) T2- W1 27 / 5 2.0 / 1.5 0.3 / 0.5 (2 m) 0.37 / 0.43 (log. Norm. Vert.) 1.1 / 0.5 (0.3 m) T2- W2 36 / 9 1.6 / 1.5 0.3 / 0.5 (2 m) 1.22 / 1.11 (log. Norm. Vert.) 1.1 / 0.5 (0.3 m) 3. Resultate & Diskussion 3.1 Objektspezifischer kritischer Chloridgehalt Der C crit variiert deutlich von Bauwerk zu Bauwerk (vgl. Bild 3, Tabelle 2) und weicht zum Teil stark von den angenommenen Grenzwerten ab. Bild 3 - Kumulative Verteilungsfunktionen Ccrit für zwei unterschiedliche Bauwerke. Die Bezeichnung der Bauwerke ist analog der Datenbank [9]. Zum Vergleich wird noch die angegebene Verteilungsfunktion Ccrit aus dem FIB Model Code for Service Life Design [5] dargestellt (rot). Tabelle 2 - Statistische Parameter für die gefitteten log-Normalverteilungen aus Bild 3. Die Einheiten für und Mittelwert ist M% bez. auf Zementgewicht. Bezeichnung analog zu [9] (M%) (-) MW µ (M%) SD (-) T2-W1 Tunnel 2 Wand 2 -1.42 0.86 0.37 0.43 T2-W2 Tunnel 2 Wand 2 -0.10 0.60 1.22 1.11 B3- A1-V Brücke 3 Widerlager 1 vertikale Bewehrung -1.06 1.03 0.58 0.78 B3- A1-H Brücke 3 Widerlager 1 horizontale Bewehrung 0.30 0.73 1.94 2.02 Einige der Einflussparameter, die C crit beeinflussen, sind innerhalb eines Bauwerks vergleichbar. Somit lassen sich die Unterschiede im C crit zwischen den einzelnen Bauwerken teilweise erklären. Zu diesen Parametern gehören zum Beispiel die Betoneigenschaften, Betonüberdeckung, Stahldurchmesser, Stahlmikrostruktur und Expositionsbedingungen. Durch eine Bestimmung des C crit am Bauwerk kann somit eine höhere Genauigkeit des angenommenen C crit erreicht werden. 3.2 Auswirkungen auf die Lebensdauer Bild 4 zeigt den bedeutenden Einfluss des C crit auf die Initiierungswahrscheinlichkeit. Während in a) die Initiierungswahrscheinlichkeit hauptsächlich von der Oberflächenchloridkonzentration abhängt, ist das Resultat in b) nun auch deutlich vom Element abhängig. Dies liegt an der Annahme des am Bauwerk bestimmten C crit , welcher für T2-W1 deutlich tiefer ist als für T2-W2. 464 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Die objektspezifische Bestimmung des kritischen Chloridgehalts und die Auswirkung auf die Restlebensdauer Bild 4 - Korrosionsinitiierungwahrscheinlichkeit als vollprobabilistische Lebensdauermodellierung. a) zeigt die Annahme eines fixen Ccrit für Elemente 1 und 2, b) beschreibt die Initiierungswahrscheinlichkeit beider Elemente für den am Bauwerk bestimmten Ccrit. Im Falle von T2-W1 wird die Initiierungswahrscheinlichkeit somit unterschätzt, wenn ein C crit gemäss Norm angenommen wird. Die Instandsetzungsarbeiten würden folglich zu spät ausgeführt werden und somit eine erhöhte Kostenfolge nach sich ziehen. Im Falle von T2-W2 wird das Korrosionsrisiko deutlich überschätzt, Instandsetzungsarbeiten würden somit verfrüht ausgeführt werden und verursachen somit unnötige Ausgaben. 4. Schlussfolgerungen Die Anwendung der C crit -Testmethode reduziert teilweise die Unsicherheit der Lebensdauermodellierungen, da die Annahme des C crit nicht universell angesetzt wird, sondern objektspezifisch bestimmt werden kann. Durch die präzisere Bestimmung des C crit können einerseits sowohl Kosten für unnötige Instandsetzungsmassnahmen gespart werden (im Falle eines höheren C crit als gemäss Norm) als auch ein erhöhtes Korrosionsrisiko ausgeschlossen werden (im Fall eines tieferen C crit als gemäss Norm). Literatur [1] British Cement Association, Development of an holistic approach to ensure the durability of new concrete construction, British Cement Association, Crowthorne, UK, 1997. [2] G. Koch, Cost of corrosion, Trends in Oil and Gas Corrosion Research and Technologies, Woodhead Publishing, Boston, 2017, pp. 3-30. [3] G.H. Koch, Corrosion cost and preventive strategies in the United States, Turner-Fairbank Highway Research Center, Springfield, 2002. [4] U. Angst, B. Elsener, C.K. Larsen, Ø. Vennesland, Critical chloride content in reinforced concrete - A review, Cem. Concr. Res., 39 (2009) 1122-1138. [5] fib, Model Code for Service Life Design, International Federation for Structural Concrete (fib), Lausanne, 2006. [6] SIA, SIA 269/ 2: Erhaltung von Tragwerken - Betonbau, Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein, Zürich, 2011. [7] U.M. Angst, C. Boschmann, M. Wagner, B. Elsener, Experimental Protocol to Determine the Chloride Threshold Value for Corrosion in Samples Taken from Reinforced Concrete Structures, J Vis. Exp., 126 (2017). [8] A.C. Boschmann Käthler, U. Angst, Der kritische Chloridgehalt - Bestimmung am Bauwerk und Einfluss auf die Lebensdauer, Bautechnik, 97 (2020) 41-47. [9] C. Boschmann Käthler, U. Angst, B. Elsener, A data collection for critical chloride contents for steel corrosion in concrete, https: / / doi.org/ 10.3929/ ethz-b-000282371, ETHZ, Zurich, 2018. [10] SIA, SIA EN 14629 - Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Prüfverfahren - Bestimmung des Chloridgehalts von Festbeton, SIA, SIA, Zürich, 2007.