Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
91
2020
41
Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten
91
2020
Max Kädling
Gregor Schacht
Steffen Marx
Ein Problem bei der Beurteilung der Standsicherheit älterer Spannbetonbrücken ist die Spannungsrisskorrosion. Bei dieser Schädigungsart kann die Empfi ndlichkeit bestimmter Spannstähle zu Spanndrahtbrüchen und damit zu tragsicherheitsrelevanten Zuständen führen. Um eine zuverlässige Einschätzung zum ablaufenden Schädigungsprozess zu erhalten und die Früherkennung kritischer Zustände zu ermöglichen, können messtechnische Methoden wie das akustische Verfahren Schallemissionsanalyse zu Anwendung kommen.
Die Anwendung des Sondermessverfahrens bringt jedoch in den verschiedenen Phasen eines Projektes neue Herausforderungen mit sich. Hierauf nimmt der Beitrag Bezug und diskutiert Besonderheiten bei der Entwicklung von Monitoringkonzepten für verschiedene Tragwerkstypen und legt eine bauwerksbezogene Bewertungsstrategie dar.
kbr410549
4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 549 Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten Dipl.-Ing. Max Käding Marx Krontal Partner, Weimar, Deutschland Dr.-Ing. Gregor Schacht Marx Krontal Partner, Hannover, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. Steffen Marx Technische Universität Dresden, Institut für Massivbau, Dresden, Deutschland Zusammenfassung Ein Problem bei der Beurteilung der Standsicherheit älterer Spannbetonbrücken ist die Spannungsrisskorrosion. Bei dieser Schädigungsart kann die Empfindlichkeit bestimmter Spannstähle zu Spanndrahtbrüchen und damit zu tragsicherheitsrelevanten Zuständen führen. Um eine zuverlässige Einschätzung zum ablaufenden Schädigungsprozess zu erhalten und die Früherkennung kritischer Zustände zu ermöglichen, können messtechnische Methoden wie das akustische Verfahren Schallemissionsanalyse zu Anwendung kommen. Die Anwendung des Sondermessverfahrens bringt jedoch in den verschiedenen Phasen eines Projektes neue Herausforderungen mit sich. Hierauf nimmt der Beitrag Bezug und diskutiert Besonderheiten bei der Entwicklung von Monitoringkonzepten für verschiedene Tragwerkstypen und legt eine bauwerksbezogene Bewertungsstrategie dar. 1. Einleitung und Motivation Die rechtzeitige und zuverlässige Erfassung von Degradationsprozessen gewinnt für die Gewährleistung der Tragsicherheit und den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur immer mehr an Bedeutung. Zum einen führt die extreme Zunahme des Schwerverkehrs mit stetig steigenden Lasten zu bisher nicht erwarteten Beanspruchungen. Zum anderen nimmt der Anteil älterer Brücken, die sich kurz vor Ablauf ihrer vordefinierten Lebensdauer befinden, aktuell immer weiter zu. Die Bestandsbrücken sind den infolge der Zunahme des Verkehrs notwendigen Erweiterungen und den zukünftig abzutragenden Beanspruchungen nicht gewachsen, weshalb sie in der Regel durch Neubauten ersetzt werden müssen. Jedoch können nicht alle Brücken gleichzeitig rück- und wieder aufgebaut werden, weshalb die bestehenden Spannbetonbrücken für eine begrenzte Zeitdauer weiterhin genutzt werden müssen. Um für diese Restnutzungsdauer die Standsicherheit sicherzustellen, können Methoden der messtechnischen Dauerüberwachung einen wichtigen Beitrag leisten [1]-[3]. Eine Schädigungsart, die in diesem Kontext stetig an Aufmerksamkeit gewinnt, ist die Spannungsrisskorrosion. Bei diesem Prozess kann es unter spezifischen Voraussetzungen zu einem sukzessiven Ausfall des Spannstahls kommen. Dieser ist jedoch nicht ohne weiteres festzustellen, da die Spannglieder i. d. R. in der Betonkonstruktion eingebaut liegen und daher schlecht inspizierbar sind. Weisen diese Bauwerke historisch bedingt quantitative und konstruktive Abbildung 1: Messprinzip der Schallemissionsanalyse Defizite bei der Betonstahlbewehrung auf, kann beim Ausfall des Spannstahls keine ausreichende Robustheit und Resttragsicherheit gewährleistet werden. In diesem 550 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten Fall ist eine dauerhafte Überwachung des Bauwerks erforderlich, um die Betriebssicherheit gewährleisten zu können. Für diese Anwendung ist die Schallemissionsanalyse (SEA) ein vielversprechendes Messverfahren (siehe Abbildung 1), da Drahtbrüche hiermit sehr gut detektiert und lokalisiert werden können. Drahtbrüche treten unter realen Bedingungen i. d. R. nur selten auf. Im vorliegenden Beitrag werden daher Laboruntersuchungen vorgestellt, bei denen eine umfangreiche Stichprobe (112 Drahtbrüche) künstlich erzeugt wurde. Die Ergebnisse werden genutzt, um die Drahtbruchquelle statistisch zu beschreiben und ein Modell für den optimalen Entwurf eines Sensornetzwerkes zu entwickeln. Im Weiteren werden wichtige Aspekte der messdaten- und bauwerksbezogenen Bewertung diskutiert und ein Ansatz für die Definition von Grenzwerten auf Grundlage der rechnerischen Untersuchungen nach [4] vorgestellt. 2. Entwicklung und Erfahrung im Brückenbau Die Vorteile der akustischen Methoden für die Dauerüberwachung wurden bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erkannt. Die erste dokumentierte Anwendung einer akustischen Überwachung von Drahtbrüchen im Brückenbau stellt wohl eine Hängebrücke in Portsmouth aus dem Jahr 1939 dar. An den Verankerungen der Haupttragkabel wurden Brüche infolge Korrosion festgestellt, weshalb zur Beobachtung der Schadensentwicklung Wachpersonal in den Verankerungskammern postiert wurde. Sie berichteten daraufhin weitere Drahtbrüche in stillen Nächten gehört zu haben. Die Beobachtung der akustischen Ereignisse mit dem menschlichen Ohr veranlasste den Betreiber sämtliche Kabel der Brücke zu erneuern [5]. Die konventionelle Inspektion der Tragkabel von Schrägkabel- oder Hängebrücken war lange Zeit mit einem hohen apparativen Aufwand verbunden. Die Drähte mussten von den umlaufenden Schutzhüllen oder anderen Tragwerksteilen freigelegt werden, bevor eine stichprobenartige Kontrolle erfolgen konnte. Um Zugang zu den Tragkabeln zu erlangen, waren diese teilweise sehr langwierigen Eingriffe mit Nutzungseinschränkung des Bauwerks verbunden. Seit Anfang der 90er Jahre wurden daher Ansätze weiterentwickelt, die eine integrale und dauerhafte Überwachung von Schallemissionen (SE) im Ultraschallbereich ermöglichen. Zu diesem Zeitpunkt war die SEA bereits ein gut entwickeltes zerstörungsfreies Prüfverfahren mit zahlreichen praktischen Anwendungen bspw. im Druckgerätebau und an Stahlbrücken [6], [7]. Mit der zunehmenden Verfügbarkeit von kosteneffizienter Erfassungs- und Signalverarbeitungshardware einerseits und entsprechender Analyse- und Datenmanagementsoftware andererseits wurde die kontinuierliche und zeitweise unbeaufsichtigte, ferngesteuerte Anwendung sukzessive erleichtert bzw. überhaupt erst ermöglicht. Über die ersten Anwendungen zur Spanndrahtbruchdetektion an den Tragkabeln einer Hängebrücke (Virginia in 1991) berichtet Carlos [8] und prägte für diese Form der Dauerüberwachung den Begriff „BigBang“ Monitoring. Der „proof of concept“ des Drahtbruchmonitorings konnte durch diese und weitere Anwendungen an Schrägkabel- oder Hängebrücken (siehe auch [9], [10]) erfolgreich erbracht werden. Dies motivierte die Übertragung dieser Idee auf Spannbetonbrücken. Wenig später in 1994 erfolgte bereits eine erste Überwachung dieser Art an einer vorgespannten Parkhausdecke [11]. Aufgrund der mangelhaften Inspizierbarkeit der im Verbund liegenden Spanndrähte und des großen finanziellen Aufwands für eine flächendeckende Untersuchung entschied man sich für ein Schallemissionsmonitoring (SEM). In den 1980er und 1990er Jahren wurde insgesamt eine zunehmende Anzahl von Schadensfällen infolge Spannungsrisskorrosion an Spannbetonbrücken verzeichnet. Dies motivierte Cullington die Überwachungsmethode 1997 am Huntington Eisenbahnviadukt zu evaluieren [12]. Bei diesen Untersuchungen konnten künstlich erzeugte Drahtbrüche erfolgreich detektiert und mit sehr hoher Genauigkeit lokalisiert werden. Durch Yuyama und Fricker fanden weitere, vergleichbare Anwendungen im Spannbetonbrückenbau mit flächendeckender Instrumentierung des Bauwerks und umfassender Berücksichtigung von Verkehrs- und Umweltgeräuschen statt [13], [14]. Auch hier wurden Drahtbrüche erfolgreich detektiert und mit geringer Abweichung zum Bruchort (0,10,2 m) lokalisiert. Fricker gelang es sogar spontane Drahtbrüche durch anschließende Bauteilöffnungen zu verifizieren. Der Ort der Drahtbrüche korrelierte in diesen Fällen stark mit einer unzureichenden Verpressung im Hüllrohr. In den letzten Jahren bekommt das Verfahren auch in Deutschland verstärkt Aufmerksamkeit [15], [16]. Erste Anwendungen wie bspw. an der Stennertbrücke zeigen, dass hierdurch zusätzliche Sicherheit für den Betrieb des Bauwerks zuverlässig gewonnen werden kann [16]. Insbesondere bei spannungsrisskorrosionsgefährdeten Bauwerken können durch die Dauerüberwachung die konstruktiven Defizite und die daraus resultierende fehlende Versagensvorankündigung kompensiert und so ein wichtiger Beitrag für den ressourcenschonenden und verantwortungsvollen Umgang mit den meist vollständig intakten Bauwerken geleistet werden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 551 Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten Tabelle 1: Erfahrungswerte zum Schallemissionsmonitoring aus Anwendungen an Spannbetonbrücken Forscher Sensorabstand Antwortspektrum des Sensors Dämpfung Cullington [12] 5 m 1..20 kHz - Yuyama [13] 6 m 40..100 kHz 4,3 dB/ m Fricker [14] 8,3 m 20..200 kHz 3,7 dB/ m Sodeikat [15] >10 m 25..80 kHz - Schacht [16] 10 m 25..80 kHz 3,0 dB/ m 3. Grundlagenermittlung und Messkonzept Eine messdatengestützte Bewertung des Bauwerkszustands setzt voraus, dass die Schadensereignisse durch die gewählte Messtechnik und Applikationstechnologie zuverlässig erfasst und hinreichend aufgelöst werden können. Bei konventionellen Verformungsmessungen werden hierzu bspw. rechnerische Untersuchungen angestellt, um die Erwartungsgröße der Verformungsänderung bei Schadenseintritt vorherzusagen, um dann die Messtechnik gezielt hierauf anzustimmen. Diese Vorgehensweise ist prinzipiell auch auf das SEM übertragbar. Für die Auswahl der messtechnischen Komponenten und die Definition der Sensoranordnung ist zunächst die Kenntnis bestimmter Parameter erforderlich, bevor die Messtechnik ausgewählt und die Messtellenanordnung festgelegt werden kann. Hierzu zählen - die Amplitude des nachzuweisenden Schadens (in unserem Fall Spanndrahtbruch), - die Amplitude der Betriebsgeräusche an den Stellen der geplanten Messpositionen zur Festlegung der Triggerschwelle (Threshold) und - die material- und bauwerksspezifische Dämpfung. In der Regel wird mit der Schallemissionsmessung das Ziel verfolgt, die Schadensereignisse nicht nur zu detektieren, sondern auch zu lokalisieren. Ein Ereignis muss daher, je nach Art der Lokalisierung (linear, 2-D, etc.), durch mindestens zwei Sensoren erfasst werden. Der maximal zulässige Sensorabstand ist daher eine wichtige Eingangsgröße für die Verteilung der Sensoren am Bauwerk, da hierdurch sichergestellt wird, dass ein Ereignis mit möglichst hoher Wahrscheinlichkeit an allen erforderlichen Sensoren detektiert wird. Der maximale Sensorabstand dmax kann aus dem Dynamikbereich und der spezifischen Dämpfung berechnet werden (siehe Abbildung 2). Der Dynamikbereich ist hierbei der Abstand zwischen der Triggerschwelle (Treshold) und einer Schätzung eines unteren Quantilwertes des Schadens. Je größer der Abstand zwischen diesen beiden Punkten ist, desto größer kann der Sensorabstand in Abhängigkeit der Dämpfung gewählt werden. Die Betriebsgeräusche und die materialbzw. bauwerksspezifische Dämpfung können am Untersuchungsobjekt i. d. R. problemlos im Zuge von Voruntersuchungen ermittelt werden. Im Gegensatz dazu ist das gesuchte Schadensereignis nicht immer klar quantifizierbar oder kann durch Messungen im Vorfeld Abbildung 2: Herleitung des Dynamikbereichs zwischen Verkehrsgeräuschen und Schadensereignis zur Bestimmung des maximalen Sensorabstands Abbildung 3: Voruntersuchungen an einer Straßenüberführung mit BT-500 Fertigteilelementen Abbildung 4: Brückenquerschnitt, Sensorposition und Dämpfungsprofil in Brückenquerrichtung 552 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten ermittelt werden. Im Abschnitt 4 werden hierzu Laboruntersuchungen an Fertigteilträgern und die Ergebnisse einer Vielzahl von Drahtbrüchen vorgestellt. Das Erfordernis von Voruntersuchungen muss für jedes Bauwerk individuell festlegt werden. Aufgrund der vielfältigen Erfahrungen (siehe Tabelle 1) liegen mittlerweile bereits gut abgesicherte Anhaltswerte für die Entwicklung der Sensoranordnung vor. Dabei sollte jedoch mindestens der Spanngliedverlauf und konstruktiv bedingte akustische Trennungen bspw. durch Koppelstellen o. ä. (Spannplan, Fugen, Takt) Berücksichtigung finden, da die Signalausbreitung bei einem Spanndrahtbruch vorrangig im Spannglied stattfindet und dieses als hervorragender Wellenleiter wirkt [16]. Bei bestimmten Tragwerkstypen sind Voruntersuchungen jedoch sehr empfehlenswert, wie das Beispiel einer Brücke aus BT-500 Fertigteilträgern zeigt (siehe Abbildung 3). Die Träger (L/ B/ H: 11 m/ 1 m/ 0,5 m) sind mit einer Ortbetonschicht verbunden (siehe Brückenquerschnitt in Abbildung 4), für die eine akustische Kopplung nicht vorausgesetzt werden kann. Ohne Grundlagen aus der Voruntersuchung müsste jedes Trägerelement isoliert betrachtet und instrumentiert werden. Um eine Lokalisierung längs des Trägers zu ermöglichen sind in diesem Fall je Brückenfeld 20 Sensoren erforderlich (inkl. Randträger). Im Zuge der Voruntersuchung wurde das Dämpfungsverhalten in Brückenquerrichtung genauer quantifiziert. Hierzu wurden im Bereich des Pfeilers und des Widerlagers (WL) je eine Messreihe in ca. 1,5 m Abstand zum angrenzenden Unterbau durchgeführt. Die Messstelle wurde am Längsträger 1 (LT 1) appliziert. An den anderen Trägern wurden mit einem Rückprallhammer Signale erzeugt. Die Verteilung der Signalamplituden ist in Abbildung 4 in Abhängigkeit der Trägernummer aufgetragen. Es zeigt sich, dass die Signale über die gesamte Tragwerksbreite gut übertragen werden. Die Träger sind also akustisch gekoppelt und der Überbau kann als „akustische Platte“ angesehen werden. Dennoch ist die Dämpfung nicht über die gesamte Tragwerksbreite konstant. In den ersten Fugen treten die größten Dämpfungen von bis zu 12 dB/ Fuge auf. Hierfür können frequenzabhängige Effekte verantwortlich sein, die am Anfang eine stärkere Dämpfung des Signals zur Folge haben. Im Vergleich zur Längsrichtung ist die Dämpfung in Querrichtung damit drei bis vier Mal so groß. Die Sensorabstände müssten demnach um das drei bis vier-fache verringert werden. Dies bedeutet, dass etwa jeder dritte bis vierte Träger mit Sensoren ausgestattet werden muss. In Abhängigkeit anderer Anforderungen an das Messkonzept, wie bspw. Redundanz im Fall eines Sensorausfalls o. ä., kann für dieses Beispiel die Anzahl der Messstellen auf weniger als die Hälfte reduziert werden. Damit einhergehend verkürzen sich die erforderlichen Installations-, Sperr- und Gerätezeiten, etc. Mit einem geringen initialen Mehraufwand ergab sich für dieses Projekt hierdurch ein erhebliches Kostenersparnis. 4. Untersuchungen zur statistischen Quantifizierung des Spanndrahtbruchsignals 4.1 Konzept und Durchführung Es ist in vielerlei Hinsicht von Interesse den Spanndrahtbruch als Quellereignis statistisch, durch eine möglichst große Stichprobe abgesichert, beschreiben zu können. Auf dieser Grundlage können nämlich ein kosteneffizientes Monitoring konzeptioniert sowie robuste Kriterien und Analysen für die Drahtbrucherkennung entwickelt werden. In Abgrenzung zu anderen Signalquellen (bspw. Verkehr) kann hierdurch die Detektionswahrscheinlichkeit quantifiziert und der Sicherheitsgewinn bei der bauwerksbezogenen Bewertung bewertet werden. Diesen Zielen folgend, wurden an der Leibniz Universität Hannover zerstörende Untersuchungen an einem BT500 Fertigteilträger Abbildung 5: BT-500 Fertigteilträger Abbildung 6: Geöffnetes Hüllrohr und bruchortnahe Applikation der Sensoren auf dem Hüllrohr durchgeführt, der bei einem Brückenabbruch gewonnen wurde (siehe Abbildung 5). Der Anlass für den Abbruch war der Spannstahl aus Hennigsdorfer Produktion und die davon ausgehende Gefährdung durch Spannungsrisskorrosion. Der Fokus der Untersuchung lag auf der sauberen, übersteuerungsfreien Erfassung des Drahtbruchsignals in 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 553 Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten unterschiedlichen Abständen zum Quellort. Hierfür wurden die Sensoren an der Betonoberfläche, am Hüllrohr oder unmittelbar neben die Bruchstelle auf den Spanndraht geklebt (siehe Abbildung 6). In dem Träger waren zwei BSG-50 Spannglieder mit jeweils 16 ovalen Drähten verbaut. Die Spannglieder wurden an sechs Stellen freigelegt und das Hüllrohr über einen Bereich von wenigen Zentimetern geöffnet. Diese Öffnung war erforderlich, um auch die rückseitigen Drähte nach dem Ausbau der vorderen noch gut erreichen zu können. Die Trennung der Drähte erfolge in diesen Fällen mit einem Dremel. Hierbei wurde immer das Ziel verfolgt, die Drähte mit dem Dremel anzuschneiden, jedoch rechtzeitig abzusetzen, so dass der Draht infolge der thermischen Spannung beim Abkühlen spontan bricht. An zwei weiteren Stellen wurde das Hüllrohr nicht freigelegt und ein direkter Trennschnitt mit einer Flex vorgenommen (siehe Abbildung 7). Für diesen Fall kann angenommen werden, dass keine Verbundschädigung vorliegt und der Draht sich unmittelbar neben der Trennstelle wieder zu verankern beginnt. Für die Drahtbruchdetektion ist dies der ungünstigste Fall, da die Menge der freiwerdenden Energie am geringsten ist. Abbildung 7: Trennschnitt am unbearbeiteten Hüllrohr Grundsätzlich wird die Intensität eines Drahtbruchsignals maßgeblich durch die lokal vorherrschenden Verbundbedingungen und die Vorspannkraft beeinflusst. Je schlechter der Verbund und je höher die Vorspannkraft sind, desto mehr Energie wird freigesetzt. Im Umkehrschluss sind für die Ermittlung der unteren charakteristischen Amplitude des Drahtbruchereignisses die besten Verbundbedingungen und die kleinste (brückenbautypische) Vorspannkraft maßgebend. Dies bedeutet, dass die Spanndrähte an einem bestenfalls unbeschädigten Spannglied getrennt werden. Dies setzt jedoch oft leistungsstarke Trennschleifer voraus, die wiederum vergleichsweise starke Nebengeräusche erzeugen, welche die Drahtbruchsignale überlagern. Im Zuge der Untersuchungen wurden daher die Drahtbrüche an unterschiedlich großen Öffnungen erzeugt, um den Einfluss der Verbundsituation zu simulieren. Insgesamt konnten an diesem Träger 112 Drahtbrüche und 872 Signale in unterschiedlichem Abstand zur Bruchstelle aufgezeichnet werden. 27 von diesen Drahtbrüchen wurden als spontane Ereignisse ohne Trennschleifer- oder Dremelgeräusche erfasst. 4.2 Datenerfassung und -aufbereitung Zur Datenerfassung wurden verschiedene Sensortypen mit unterschiedlichem Frequenzantwortspektrum eingesetzt. Für die vorliegende Auswertung wurden jedoch nur die Ergebnisse von Sensoren mit dem Spektrum von 2580 kHz verwendet. An die Sensoren wurden Dämpfungselemente von 20 dB oder -40 dB angeschlossen, um eine vollständige Erfassung der Drahtbruchsignale zu ermöglichen. Ohne zusätzliche Dämpfung übersteuert das Messsignal am Eingang des Messverstärkers. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Sensoren sehr nah zur Bruchstelle angeordnet sind. Die tatsächliche Signalamplitude wird dann auf den maximal möglichen Eingangswert abgeschnitten. In folgenden Analysen kann dies zu Verzerrungen der Ergebnisse führen. Um die gemessenen Amplituden der unterschiedlichen Konfigurationen vergleichen zu können, wurde der Anteil der Dämpfung herausgerechnet. Alle Angaben Abbildung 8: Einfluss der Verbundbedingungen (simuliert durch die freigelegte Drahtlänge) auf die Signalamplitude zu Amplituden beziehen sich im Folgenden auf eine Vorverstärkung von 0 dB. 4.3 Auswertung der Drahtbruchsignale Eine wichtige Grundlage für die Ermittlung der charakteristischen Amplitude ist die statistische Verteilung der Drahtbruchsignale, die bei direkten Trennschnitten aufgezeichnet wurden (siehe Abbildung 7). Für diese Signale kann angenommen werden, dass die freigesetzte Energie am geringsten ist und damit der Abstand zur Triggerschwelle (Dynamikbereich, siehe Abbildung 2) am kleinsten wird. Folglich ergibt sich hieraus der kleinste Sensorabstand, der eine Aufzeichnung sicherstellt. Um dennoch den Einfluss der Verbundbedingungen quantitativ bewerten zu können, wurde die Länge der 554 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten Öffnungen am Hüllrohr variiert. In Abbildung 8 ist der festgestellte Zusammenhang dargestellt. Die Ergebnisse spiegeln deutlich wider, dass mit schlechterem Verbund (größerer freier Drahtlänge) der Mittelwert Ā der Signalamplituden zunimmt. Bei der Darstellung ist zu beachten, dass beim direkten Trennschnitten (freie Drahtlänge von 0 cm) nur etwa 52 % der Signale sättigungsfrei erfasst wurden. Die Verteilung ist durch diesen Umstand in Richtung der niedrigeren Amplituden verzerrt. Für die Bestimmung der charakteristischen Amplitude liegen die Messergebnisse damit auf der sicheren Seite, jedoch ist die Verteilung nicht geeignet, um statistische Parameter (bspw. Standardabweichung) für die Berechnung eines Quantilwertes zu bestimmen. Die statistischen Parameter sollten anhand einer möglichst großen Stichprobe mit möglichst geringem Anteil verzerrender Ereignisse errechnet werden. Hierfür wurden die Drahtbruchsignale verwendet, die an 5 bis 10 cm großen Öffnungen erzeugt wurden. Die Drahtbrüche wurden unter gleichen Randbedingungen erzeugt und aufbereitet. Qualitativ sind die Daten daher gut vergleichbar. Verändert ist nur die Abbildung 9: Verteilungsfunktionen für Drahtbrüche mit einer freien Länge von ca. 5-10 cm, aufgezeichnet in verschiedenen Abständen x zum Quellort Tabelle 2: Stichprobenumfang, Güte und Parameter der Normalverteilung für die Drahtbruchsignale in unterschiedlichem Abstand x zur Bruchstelle Abstand x zur Bruchstelle Signalanzahl Anteil ohne Übersteuern µ = Ā σ 0,0 m (Hüllrohr) 35 97,1% 161,4 5,65 0,3 m 106 91,5% 156,2 4,90 1,3 m 106 72,6% 149,7 4,07 5,0 m 48 100% 139,6 3,95 freiliegende Länge des Drahtes und damit die Menge an Energie, die beim Bruch freigesetzt wird. Es wird daher angenommen werden, dass die statistische Verteilung für bruchstellennahe Signale unverändert bleibt und sich nur der Mittelwert Ā verschiebt. In Abbildung 9 wurden die Ergebnisse hierfür aufbereitet und in Abhängigkeit des Abstands zwischen Bruchstelle und Sensorposition dargestellt. Es wurden sowohl die Histogramme als auch die hieraus abgeleiteten Funktionen der Normalverteilungen visualisiert. In Tabelle 2 sind Angaben zur Stichprobe und die Funktionsparameter dokumentiert. Die Ergebnisse zeigen, dass die Streuung mit zunehmendem Abstand zwischen Sensor und Bruchstelle abnimmt. Die größte Streuung ist unmittelbar an der Bruchstelle selbst festzustellen. Der Sensor war in diesem Fall auf dem Hüllrohr appliziert. Abbildung 8 und Abbildung 9 liefern die Grundlagen für die Berechnung der charakteristischen Amplitude. Bei guten Verbundbedingungen beträgt der Mittelwert der Amplituden Ā = 148,9 dB und die stärkste Streuung beträgt in der Nähe der Bruchstelle σ = 5,95. Die Werte für das 5% oder 1%-Quantil ergeben sich daraus zu ca. A0,05 = 139,6 dB und A0,01 = 135,8 dB. Nimmt man nun an, dass die lautesten Betriebsgeräusche etwa 95100 dB betragen und der Triggerschwellwert entsprechend festgelegt wird, ergibt sich ein Dynamikbereich von ca. 40 dB, welcher der Berechnung des Sensorabstand zugrunde gelegt werden kann. Die vorgestellten Ergebnisse besitzen alleinstehend keine allgemeine Gültigkeit für verschiedene Spannstahltypen (oval, quer) und Vorspanngrade. Es ist davon auszugehen, dass bei anderen Querschnitten und Vorspannkräften Abweichungen hierzu auftreten. Die Ergebnisse stehen jedoch nicht im Widerspruch zu den Erfahrungen anderer Autoren. Yuyama und Fricker berichteten in ihren Arbeiten von Drahtbuchamplituden von 110-140 dB bzw. 110- 130 dB [13], [14]. Diese Angaben sind zwar geringer als die vorgestellten Ergebnisse, sind jedoch auch zu einem unbekannten Anteil gedämpft. Um hinsichtlich der Stichprobengröße und anderer, brückenbautypischer Varian- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 555 Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten ten mehr Sicherheit zu erlangen, wurden bereits weitere Trägerelemente beim Rückbau von Brücken gewonnen, untersucht bzw. stehen für solche Untersuchungen zur Verfügung. Die Auswertungen werden den vorgestellten Ergebnissen in folgenden Veröffentlichungen gegenübergestellt. An dieser Stelle wird auch noch einmal betont, dass die Signalamplitude bei einem Monitoring ein wichtiges Kriterium bei der Identifikation von Drahtbrüchen sein kann, i. d. R. jedoch nicht allein für eine zweifelsfreie Zuordnung ausreicht. Für eine robuste Bewertungsstrategie sind daher weitere messdatenbasierte Analysen erforderlich (siehe Abschnitt 5). 4.4 Vergleich mit typischen künstlichen Quellen Künstliche und gut reproduzierbare Signalquellen spielen in der Schallemissionsanalyse bei verschiedenen Anlässen eine wichtige Rolle, bspw. bei der Kalibrierung der Messtechnik oder Funktionstest der Monitoringanlage während der Installation oder im Betrieb. Für das Drahtbruchmonitoring ist dabei von Interesse, dass die Quellen unterschiedliche Energieniveaus aufweisen. Je nach Anwendung kommen typischerweise - Bleistiftminenbrüche (BM) zur Verifizierung der Sensorankopplung (Hsu-Nielson Test) - Ultraschallimpulse (US) zur automatischen wiederkehrenden Prüfung der Sensorankopplung oder - Rückprallhammerschläge (RH) bei manuellen Prüfungen oder Blind-Tests im Betrieb bzw. bei Voruntersuchungen zur Bestimmung material- und bauwerksspezifischer Parameter zum Einsatz. An dem BT-500 Träger wurden Signale dieser Prüf- und Referenzquellen zu Vergleichszwecken erzeugt und aufgezeichnet. Die Verteilungen der Signalamplituden sind in Abbildung 10 den Drahtbruchereignissen aus dem direkten Trennschnitt (ungünstigste Bedingungen) gegenübergestellt. Auch hier wurden die Amplituden auf eine Vorverstärkung von 0 dB bezogen. Es ist zu erkennen, dass die Bleistiftminenbrüche und Rückprallhammerschläge vergleichsweise wenig streuen. Die genauste Reproduzierbarkeit weisen die Ultraschallsignale auf. Die Amplituden der Rückprallhammerschläge und Drahtbrüche grenzen sich Abbildung 10: Verteilung der Signalamplituden verschiedener Quellen (Bleistiftmine (BM), Ultraschallpulser @450V (US), Rückprallhammer (RH) und Drahtbruch bei direktem Trennschnitt (DB)), Angabe des Abstands zwischen Quelle und Sensor Abbildung 11: Dämpfungsprofil für Drahtbruch- und Rückprallhammersignale, Trennung der Drähte an ca. 5 bis 10 cm großen Öffnungen, Einleitung der Rückprallhammerschläge ins Spannglied erwartungsgemäß sehr gut von den beiden anderen Quellen ab, sind jedoch untereinander durchaus vergleichbar. Dieser Zusammenhang wird in Abbildung 11 noch deutlicher. Hier ist das Dämpfungsprofil über die Trägerlänge dargestellt. Als Drahtbruchsignale wurden diejenigen verwendet, die an 5 bis 10 cm großen Öffnungen erzeugt wurden. Bei diesen Signalen ist die Anzahl übersteuerter Signale geringer, so dass die statistische Verteilung weniger verzerrt ist. Erstaunlich ist, dass die Mittelwerte der beiden Signalquellen in diesem Fall sehr gut übereinstimmen. Zudem ist die festgestellt Dämpfung sehr ähnlich. Diese Ergebnisse unterstreichen die Eignung des Rückprallhammers als Referenzsignal für das Drahtbruchmonitoring. 5. Bewertungsstrategie 5.1 Prinzipielle Vorgehensweise Beim Schallemissionsmonitoring finden im Anschluss an die Datenerfassung typischerweise eine Reihe automatisierter und teilautomatisierter Prozesse statt, auf deren Grundlage Drahtbruchereignisse identifiziert werden sollen. Bei dieser messdatenbezogenen Bewertung (sie- 556 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten he Abbildung 12) steht i. d. R. das Erkennen des Drahtbruchs im Vordergrund und eine zusätzliche Bewertung aller übrigen Signale ist von untergeordnetem Interesse. Aus der Menge aller erfassten Signale werden in einem ersten Schritt diejenigen automatisch vorselektiert, deren Charakteristik am ehesten der eines Drahtbuches gleicht. Die Kriterien hierfür können je nach Anwendungsfall individuell festgelegt werden, müssen jedoch für die Charakterisierung geeignet sein und zutreffende Ergebnisse liefern. Üblicherweise spielen hierbei Filterungen, Klassifizierungsalgorithmen und die Lokalisierung eine wichtige Rolle. In den Abschnitten 5.2.1 bis 5.2.3 wird jedes Kriterium hinsichtlich dieser Anforderungen genauer betrachtet. Liegt durch die automatische Selektion ein Hinweis auf einen Drahtbruch vor, muss das Ereignis immer durch einen Schallemission-Fachingenieur validiert werden. Im Anschluss kann eine Mitteilung an den AG erfolgen und die Information in Abhängigkeit der Anforderungen des AG mit einer hohen zeitlichen Verfügbarkeit bereitgestellt werden. Sollten durch die automatische Selektion keine Ereignisse identifiziert werden, sind die Daten in regelmäßigen Intervallen von bspw. mehreren Monaten zu kontrollieren und plausibilisieren. In diesem Zuge sollte die Datenqualität durch geeignete Maßnahmen verifiziert werden (siehe Abschnitt 5.2.4). Im Ergebnis der messdatenbezogenen Bewertung liegt eine Information über Häufigkeit und Verteilung der Drahtbrüche seit dem Beginn des Monitorings vor. Auf dieser Grundlage kann die Aktivität des Spannungsrisskorrosionsprozesses und der Bauwerkszustand qualitativ bewertet werden, es fehlen jedoch quantitative Kriterien, um Entscheidungspfade zu definieren, die in Abhängigkeit des bestehenden Sicherheitsrisikos angemessene Maßnahmen zur Folge haben. Letztlich muss für eine bauwerksbezogene Bewertung der Abbildung 12: Bewertungsstrategie beim Schallemissionsmonitoring Messergebnisse festgelegt werden, welche Anzahl korrelierter oder unkorrelierter Drahtbrüche gerade noch vertretbar ist. Hierfür wird unter Abschnitt 5.3 ein Ansatz vorgestellt, welcher die Ergebnisse der rechnerischen Untersuchung nach Handlungsanweisung [4] berücksichtigt. 5.2 Messdatenbezogene Bewertung 5.2.1 Parameterbasierte Filterung Signalparameter sind einfache Kenngrößen eines Signals und können sowohl im Zeitals auch im Frequenzbereich bestimmt werden. Typische Parameter sind Amplitude, Dauer, Counts oder Energie [17]. Sie können genutzt werden, um den Anteil der Betriebs- oder anderer Störgeräusche bereits bei der Datenerfassung zu minimieren. Hierzu werden einfach Filterschwellen (Thresholds) eingestellt. Die Schwellwerte können auf Grundlage von Erfahrungswerten definiert und für das Bauwerk im Verlauf 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 557 Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten des Monitorings angepasst werden. Grundsätzlich sollte hierdurch keine zu strenge Selektion vorgenommen werden. Für die Definition der Schwellwerte sollten daher im Vergleich zu einem Drahtbruch eher „leise“ Signalquellen, wie bspw. ein Bleistiftminenbruch, als Referenz verwendet werden. 5.2.2 Signalbasierte Klassifizierung Aus Sicht der Signalverarbeitung ist die Detektion von Schäden eine klassische Aufgabe der Mustererkennung. Das zu erkennende Muster ist in diesem Fall der Schaden. Grundsätzlich können modell- oder datenbasierte Ansätze zur Anwendung kommen. Modellbasierte Verfahren greifen hierbei auf bestimmte Kenntnisse und Annahmen zum Schaden zurück und übersetzen dieses Verständnis in einen Algorithmus. Datenbasierte Verfahren, zu denen bspw. die Verfahren des Maschinellen Lernens (ML) gehören, setzen dieses Verständnis nicht voraus und können hiervon unabhängige Ergebnisse liefern. Im Folgenden wird ein Klassifikator vorgestellt, der auf der Linearen Diskriminanzanalyse (LDA) basiert. Als Grundlage für diese Methode werden aus dem Frequenzspektrum jeden Signals eine Vielzahl von Features extrahiert und in Feature-Feature Abbildungen aufgetragen. Auf diese Weise entsteht ein multidimensionaler Vektorraum. Für das Training des Klassifikators werden die Signale in bekannten Gruppierungen (bspw. Schadenssignale, Betriebssignale) in den Algorithmus gegeben. Die Güte eines Klassifikators wird im Allgemeinen durch seine Präzision (eng.: precision) und seine Empfindlichkeit (eng.: recall) bewertet. Die Präzision gibt an, wie hoch der Anteil relevanter Ereignisse in einer als relevant klassifizierten Menge ist, und die Empfindlichkeit, wie viele relevante Ereignisse aus der Menge der tatsächlich relevanten Ereignisse richtig zugeordnet wurden. Je höher die Präzision und die Empfindlichkeit sind, desto geeigneter ist der Klassifikator für die Anwendung. Am Beispiel eines Monitoring-Projektes lässt sich die Wirksamkeit dieser Klassifikation verdeutlichen. Hierfür wurde der Algorithmus mit ca. 110 Abbildung 13: Lokalisierungsgenauigkeit von Rückprallhammerschlägen bei verschiedenen Sensoranordnungen Drahtbruchsignalen (ca. 80 Drahtbrüche) und mehr als 7000 Verkehrssignale trainiert. Im Test konnten hierdurch eine Empfindlichkeit von ca. 90% und Präzision von 20% ermittelt werden. Das bedeutet, dass aus der Summe der Signale, die als Drahtbrüche klassifiziert werden, nur 20% auch tatsächlich Drahtbrüche sind. Die Präzision ist damit nicht besonders hoch und es werden tendenziell zu viele Ereignisse als Drahtbrüche eingestuft, jedoch liegen die Ergebnisse damit auf der sicheren Seite und weitere Entscheidungskriterien wie bspw. die Lokalisierung können zur Validierung herangezogen werden. In dem Projekt wurden durch diesen Klassifikator ca. 452.000 Signale analysiert. Aus dieser Menge wurden nur 54 Signale der Klasse „Drahtbruch“ zugeordnet. Die Anzahl der Ereignisse, die manuell validiert werden müssen, kann durch diesen Bestandteil in der Bewertungskette enorm reduziert werden. 5.2.3 Lokalisierung Die Lokalisierung erfolgt für gewöhnlich über Laufzeitdifferenzen. Hierfür sind die Ankunftszeit und die Ausbreitungsgeschwindigkeit wichtige Eingangsparameter. Die Lokalisierung energiereicher Signale wurde bereits durch andere Forscher untersucht [12]-[14]. In der Regel wurden Abweichungen von 2-4 % bezogen auf den Sensorabstand ermittelt. Im Zuge von eigenen Versuchen wurde die Lokalisierungsqualität für Rückprallhammerschläge bei verschiedenen Sensoranordnungen ausgewertet. Es hat sich gezeigt, dass die Mehrzahl aller Signale (ca. 90 %; siehe Abbildung 13) innerhalb einer etwa 1 m² großen Fläche um die Signalquelle lokalisiert wurde. Die Sensorabstände betrugen mehrere Meter. Für Drahtbrüche kann daher davon ausgegangen werden, dass eine hinreichend genaue Lokalisierung möglich ist. 5.2.4 Qualitätssichernde Maßnahmen Die Glaubwürdigkeit eines Messergebnisses und Aussagekraft einer Bewertung werden entscheidend durch die 558 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten Qualität der Messdaten und damit zusammenhängenden Erfassung-, Aufbereitungs- und Auswerteprozesse beeinflusst. Während der Installations- und Betriebsphase müssen daher geeignete qualitätssichernde Maßnahmen ergriffen werden, um die Qualität quantitativ bewerten zu können. Die automatisierte Eigenüberwachung der Messanlage hinsichtlich der Stromversorgung, Datenübertragung oder der Erreichbarkeit von messtechnischen Bestandteilen sollte daher genauso zum „Status quo“ eines Monitorings gehören, wie regelmäßige Funktionstests durch Überwachung bestimmter Messgrößen oder Testmessungen. Beim Schallemissionsmonitoring sind diese Maßnahmen umso wichtiger, da die Signale des Schadens nur im Moment seiner Entstehung erfasst und nicht reproduziert werden können. Üblicherweise werden hierzu verschiedene Tests mit künstlichen Signalen durchgeführt (siehe Abschnitt 4.4). 5.3 Bauwerksbezogene Bewertung Wie bereits unter Abschnitt 5.1 erwähnt, kann die bauwerksbezogene Bewertung auf Grundlage der validierten Drahtbrüche qualitativ, ohne definierte Grenzwerte erfolgen. Solange keine Drahtbrüche gemessen werden, ist diese Information ausreichend, um den weiteren Betrieb sicherzustellen. Dieses Szenario tritt voraussichtlich in der Mehrzahl der SEM-Anwendungen bei Spannungsrisskorrosion ein. Je höher die Anzahl gemessener Bruchereignisse, desto kritischer ist der Zustand einzuschätzen. Der prozessuale Ablauf der Spannungsrisskorrosion lässt sich aufgrund der vielfältigen Abhängigkeit durch ein Modell nicht abbilden, so dass in einem solchen Szenario davon ausgegangen werden muss, dass der Prozess bereits seit der Fertigstellung kontinuierlich aktiv ist und sich ggf. beschleunigt. Um die verbleibende Sicherheit im Tragsystem quantifizieren zu können, ist ein Grenzwert erforderlich. Der im Folgenden vorgeschlagene Ansatz baut auf den Ergebnissen der rechnerischen Untersuchung nach der Handlungsanweisung [4] auf. Prinzipiell ist dieses Vorgehen aber auch für die Nachrechnungsrichtlinie der DB AG [19] anwendbar, da die beiden Nachweisformate in den ersten Schritten vergleichbar aufgebaut sind. In Abbildung 14 ist ein typisches Ergebnis der querschnittsweisen Untersuchung für einen Einfeldträger dargestellt. Es wurden die Restspannstahlfläche A Z,r bei Rissbildung des Betons und die erforderliche Spannstahlfläche A Z,r,erf zur Einhaltung einer Restsicherheit von γP = 1,1 prozentual zu vorhandenen Spannstahlfläche A Z angegeben. In den Randbereichen ist erkennbar, dass die erforderliche Spannstahlfläche die Restspannstahlfläche überschreitet. In diesen Bereichen liegt kein Ankündigungsverhalten des Bauwerks vor und kann i. d. R. auch mit dem stochastischen Nachweis für das Tragwerk nicht erbracht werden. Für das SEM ist das Ankündigungsverhalten und damit verbundene visuelle Feststellbarkeit der inneren Schädigung jedoch nicht relevant. Entscheidend ist, dass an keinem Punkt, die für eine bestimmte Restsicherheit erforderliche Spannstahlfläche A Z,r,erf unterschritten wird. Für die Ermittlung eines Grenzwertes kann in diesem Zusammenhang die Stelle mit der größten erforderlichen Spannstahlfläche als maßgebend angesetzt Abbildung 14: Qualitative Darstellung eines typischen Untersuchungsergebnisses für einen Einfeldträger nach Handlungsanweisung [4] werden. In dem Fall des Einfeldträgers ist dies die Feldmitte. In Bezug zur vorhandenen Spannstahlfläche kann hieraus die maximale Anzahl möglicher Drahtbrüche im kritischen Querschnitt A Z,DB,max bestimmt werden. Dieser Wert ist eine obere Grenze, die unter Berücksichtigung des Ausgangszustand des Tragwerks abgemindert werden muss. Die Definition von quantitativen Grenzwerten unterstützt im Entscheidungsprozess und hilft die Eintrittswahrscheinlichkeit bestimmter Szenarien besser einschätzen zu können. In Abhängigkeit der Entscheidungspfade können bestimmte Situationen besser antizipiert und frühzeitig erforderliche Schritte eingeleitet werden. Für den Bauherrn entsteht so ein kontrolliertes Risiko- und Kostenmanagement. 6. Zusammenfassung Innerhalb des Verkehrswegenetzes in Deutschland gibt es eine Reihe von Spannbetonbauwerken, die aufgrund einer Schädigung infolge Spannungsrisskorrosion während ihrer Restnutzungsdauer überwachungsbedürftig sind. Von Bedeutung bei der Überwachung bzw. bei der Zustandsbeurteilung sind dabei vor allem Informationen über den Zustand der Spannglieder bzw. der Spanndrähte. Ein wesentliches Hindernis bei der Erfassung deren Zustands ist, dass die im Beton liegenden Spannglieder von außen nicht zugänglich sind. Die Schallemissionsanalyse ist in dieser Hinsicht ein vielversprechendes Messverfahren. Ein erfolgreiches SE-Monitoring setzt jedoch ein individualisiertes, auf den speziellen Anwendungsfall und dessen spezifische Fragestellungen zugeschnittenes Gesamtkonzepts voraus, welches die Randbedingungen der 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 559 Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten Konstruktion und des Betriebes berücksichtigt. Hierfür muss ein Sensornetzwerk entwickelt werden, welches eine möglichst hohe Detektionswahrscheinlich gewährleistet. In Laboruntersuchungen wurde mit diesem Ziel ein großer Stichprobenumfang an Drahtbrüchen gewonnen und hieraus eine Modellvorstellung für die Bestimmung der maximal zulässigen Sensorabstände entwickelt und dargelegt. Die gemessenen Schallemissionsdaten können in verschiedenen Stufen und mit unterschiedlichen Methoden sehr zuverlässig ausgewertet und Drahtbrüche identifiziert, sowie lokalisiert werden. Bei kontinuierlicher Anwendung sind somit jederzeit validierte Aussagen zur Anzahl und zur Verteilung der Brüche innerhalb des Messzeitraums möglich. Für den Betreiber entsteht so die Möglichkeit, die Aktivität und den Spannstahlzustand qualitativ zu einzuschätzen. Eine fachliche Bewertung der Messdaten sollte jedoch stets durch Bauingenieure erfolgen, die nachweisbare Erfahrungen in der Detektion von Drahtbruchereignissen und tiefgehende Fachkenntnisse über die Brückenkonstruktionen und den spezifischen Schädigungsprozess haben. Für diese Bewertung wurde ein Konzept zur Definition von Grenzwerten (Anzahl örtlich korrelierter Drahtbrüche) vorgeschlagen, welches auf den rechnerischen Untersuchungen nach [4] aufbaut. Dies ermöglicht Entscheidungspfade klar zu definieren und auch in kritischen Szenarien das Risiko einzuschätzen. Literatur [1] Bolle, G.; Mertzsch, O.; Marx, S. (2017): Messtechnische Dauerüberwachung zur Absicherung der Restnutzungsdauer eines spannungsrisskorrosionsgefährdeten Brückenbauwerks. Beton- und Stahlbetonbau 122 (2), S. 75-84 - DOI: 10.1002/ best.201600067 [2] Wenner, M.; Käding, M.; Marx, S. (2018): Messtechnische Überwachung bei Brückenbaumaßnahmen. Bautechnik 95(1), S. 44-52 - DOI: 10.1002/ bate.201700101 [3] Marx, S.; Wenner, M.; Käding, M.; Wedel, F.: Vom Rechnen und Wissen - Monitoring an den Talbrücken der Neubaustrecke Erfurt-Halle/ Leipzig. In: Curbach, M. (Hrsg.): Tagungsband zum 28. Dresdner Brückenbausymposium am 12./ 13.3.2018 in Dresden, Dresden: Institut für Massivbau der TU Dresden, 2018, S. 41-56 [4] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS, Hrsg.): Handlungsanweisung zur Überprüfung und Beurteilung von älteren Brückenbauwerken, die mit vergütetem, spannungsrisskorrosionsgefährdetem Spannstahl erstellt wurden (Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion). Ausgabe 2011 [5] Hopwood, T.; Prine, D.W. (1987): Acoustic Emission Monitoring of In-Service Bridges. Transportation Cabinet Commonwealth of Kentucky and Federal Highway Administration U.S. Department of Transportation [6] Pollock, A.A.; Smith, B. (1972): Stress-Wave Emission Monitoring of a Military Bridge. Nondestructive Testing 30(12), S. 348-353 [7] Prine, D.W.; Hopwood, T.: Improved Structural Monitoring with Acoustic Emission Pattern Recognition. Kentucky Transportation Center Research, 1983 [8] Carlos, M.F.; Cole, P.T.; Vahaviolos, J.; Halkyard, T.: Acoustic emission bridge Inspection/ monitoring stategies. In: Alampalli, S. (Hrsg.): Structural Materials Technology: An NDT Conference. Atlantic City, 2000, S. 179-183 [9] Paulson, P.; Elliot, J.; Youdan, D. (2001): Continuous acoustic monitoring of bridges. Stahlbau 70(4), S. 245-250 - DOI: 10.1002/ stab.200100880 [10] Paulson, P.: Continuous acoustic monitoring of suspension bridges and cable stays. In: Proc. SPIE 3400, Structural Materials Technology III: An NDT Conference. 31 March 1998, S. 205-2014 - DOI: 10.1117/ 12.300092 [11] Elliott, J.F. (1996): Monitoring Prestressed Structures. Civil Engineering, American Society of Civil Engineers 66(7), S. 61-63 [12] Cullington, D.W.; Paulson P.; Elliott P. (2001): Continuous Acoustic Monitoring of Grouted Post- Tensioned Concrete Bridges. NDT&E International (Non Destructive Test & Evaluation) 34(2), S. 95-106 [13] Yuyama, S.; Yokoyama, K.; Niitani, K.; Ohtsu, M.; Uomoto, T. (2007): Detection and evaluation of failures in high-strength tendon of prestressed concrete bridges by acoustic emission. Journal of Construction and Building Materials 21(3), S. 491- 500 - DOI 10.1016/ j.conbuildmat.2006.04.010 [14] Fricker, S. (2009): Schallemissionsanalyse zur Erfassung von Spanndrahtbrüchen bei Stahlbetonbrücken. Disertation ETH Zürich, Zürich, 168 S. [15] Sodeikat, C., Groschup, R., Knab, F. and Obermeier, P. (2019), Acoustic Emission in der Bauwerksüberwachung zur Feststellung von Spannstahlbrüchen. Beton- und Stahlbetonbau, 114: 707-723. doi: 10.1002/ best.201900041 [16] Schacht, G., Käding, M., Bolle, G. and Marx, S. (2019), Konzepte für die Bewertung von Brücken mit Spannungsrisskorrosionsgefahr. Beton- und Stahlbetonbau, 114: 85-94. doi: 10.1002/ best.201800087 [17] DIN EN 13554 (2011): Zerstörungsfreie Prüfung - Schallemissionsprüfung - Allgemeine Grundsätze, Stand April 2011, DIN 560 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten [18] [53] Marx, S.; Hahn, O.; Wenner, M.: Monitoring an Brücken, Möglichkeiten und Grenzen. In: Ingenieurakademie West e.V. (Hrsg.): Brückenbau im Fokus, 25.11.2016, Essen [19] DB Netz AG (Hrsg.): Bauwerke mit spannungsrisskorrosionsgefährdeten Spannstählen - Nachrechnungskonzept. 22.07.2013 [20] [54] DIN EN 13554: 2011-04: Zerstörungsfreie Prüfung - Schallemissionsprüfung - Allgemeine Grundsätze. Berlin, 2011