eJournals Brückenkolloquium 5/1

Brückenkolloquium
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expert verlag Tübingen
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2022
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Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken

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Karsten Geißler
Josef Kraus
Der Brückenbestand des Straßennetzes weist insbesondere durch die in den letzten Jahrzehnten permanente Verkehrslaststeigerung systemische Probleme auf. Allerdings kann nicht jedes Bauwerk zügig ersetzt werden. Für die Bewertung der Brücken und damit die Priorisierung der Ersatzneubauten steht seit ca. 10 Jahren die „Nachrechnungsrichtlinie für Straßenbrücken“ zur Verfügung. Im vorliegenden Beitrag wird die Nachrechnung in den 4 Bewertungsstufen thematisiert. Auf die beiden für Stahlbrücken wichtigen Themenbereiche Beultragfähigkeit und Ermüdungssicherheit, für die häufig in den niedrigen Bewertungsstufen 1 und 2 rechnerisch kein befriedigendes Ergebnis erreicht werden kann, wird besonders eingegangen. Weiterhin wird die meist zielführende Einbindung von Bauwerksmonitoring in die Nachrechnung erläutert.
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5. Brückenkolloquium - September 2022 37 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken Prof. Dr.-Ing. Karsten Geißler Fachgebiet Entwerfen und Konstruieren - Stahlbau, Technische Universität Berlin Dr.-Ing. Josef Kraus GMG Ingenieurgesellschaft Berlin Zusammenfassung Der Brückenbestand des Straßennetzes weist insbesondere durch die in den letzten Jahrzehnten permanente Verkehrslaststeigerung systemische Probleme auf. Allerdings kann nicht jedes Bauwerk zügig ersetzt werden. Für die Bewertung der Brücken und damit die Priorisierung der Ersatzneubauten steht seit ca. 10 Jahren die „Nachrechnungsrichtlinie für Straßenbrücken“ zur Verfügung. Im vorliegenden Beitrag wird die Nachrechnung in den 4 Bewertungsstufen thematisiert. Auf die beiden für Stahlbrücken wichtigen Themenbereiche Beultragfähigkeit und Ermüdungssicherheit, für die häufig in den niedrigen Bewertungsstufen 1 und 2 rechnerisch kein befriedigendes Ergebnis erreicht werden kann, wird besonders eingegangen. Weiterhin wird die meist zielführende Einbindung von Bauwerksmonitoring in die Nachrechnung erläutert. 1. Normative Grundlagen der Bewertung Für die Bewertung von Brücken steht seit ca. 10 Jahren die Nachrechnungsrichtlinie für Straßenbrücken [1] zur Verfügung. Die Nachrechnung kann bedarfsweise in 4 Stufen verfeinert werden, wobei die Stufe 1 i.- W. den Regelungen für die Neubemessung eines Bauwerks entspricht. Aufgrund der Weiterentwicklung der Einwirkungs- und Bemessungsnormen ist es dabei systemisch, dass einige Nachweise in der Stufe-1 der Nachrechnung nicht erbracht werden können. In Stufe-2 der Nachrechnung können bestimmte Nachweise modifiziert angewandt werden, wobei diese Ergebnisse mit eingeschränkter Nutzungsdauer bzw. -parametern verbunden sind. Insofern die rechnerischen Nachweise im Grenzzustand der Tragfähigkeit (GZT) und der Ermüdungssicherheit weiterhin kein befriedigendes Ergebnis aufweisen, ist das zwar ein Indiz für eine hohe Auslastung des Tragwerks, muss aber noch nicht dessen zu geringe Zuverlässigkeit bedeuten. Dieser Bereich wird durch die Stufen 3 und 4 der Nachrechnungsrichtlinie erfasst (siehe Abb. 1). Hier werden die weitergehenden Methoden zur noch gezielteren (objektspezifischen) Ausnutzung rechnerischer Reserven angegeben. Abb. 1: Bewertungsstufen Brückennachrechnung [1] Die Methoden der Stufe 3, also die Umsetzung von Messergebnissen zum Tragwerk, sollen dabei im Regelfall vor den speziellen „wissenschaftlichen“ Rechenmethoden der Stufe 4 eingesetzt werden, da erfahrungsgemäß durch die realistische Erfassung der Beanspruchungen bereits ein großer Nutzen erreicht werden kann. Die Methoden in Stufe 3 umfassen i. W.: - Systemmessungen mit bekannter Last (i.d.R. Lkw oder Kranfahrzeug) und anschließender Kalibrierung des rechnerischen Modells vom Tragsystem und punktuell wiederholter Nachweisführung, - Bauwerksmonitoring zur Erfassung der Beanspruchungskollektive, Extremwerte der Verkehrsbeanspruchung, Auftretenswahrscheinlichkeiten und Extremwerte der Beanspruchungen im Messzeitraum infolge zeitveränderlicher Begleiteinwirkungen (z.-B. Wind, Temperatur), - Bauwerksmonitoring und Extrapolation auf den Nutzungszeitraum zur Begründung objektspezifischer Lastmodelle, 38 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken - Bauwerksmonitoring zur kontinuierlichen Erfassung des zeitabhängigen Verhaltens der Bauteile oder des Tragsystems (z.B. Rissverhalten, Baugrundbewegungen). Ein sicherheitsrelevantes Bauwerksmonitoring ist der Stufe 4 zuzuordnen und bedingt eine zugehörige Maßnahmenkette bei Grenzwertüberschreitungen. Weiterhin betreffen die Methoden in Stufe-4 insbesondere die geometrisch und physikalisch nichtlinearen Berechnungsverfahren, zuverlässigkeitstheoretische Methoden bzw. Nachweise sowie Verkehrslastsimulationen zur rechnerischen Begründung objektspezifischer Lastmodelle im GZT bzw. für Ermüdung. Im Folgenden wird neben einem kurzen Kommentar zu den einwirkungsseitigen Aspekten auf zwei zentrale Problembereiche der Nachrechnung von Stahlbrücken, die Tragsicherheit (dabei insbesondere die Beulsicherheit) sowie die Ermüdungssicherheit, näher eingegangen. 2. Sicherheitskonzept und Einwirkungen Nach früheren Vorschriften geplante Tragwerke mit geringeren einwirkungsseitigen Bemessungswerten sind heute häufig - systemisch bedingt - bei Nachrechnung auf Basis der Eurocodes nicht nachweisbar. Eine „Neubauvorsorge“ ist allerdings in der Nachrechnung nur in wesentlich geringerem Umfang erforderlich. Es ist entsprechend zu prüfen, inwieweit das Defizit wegen einwirkungsseitig geringerer Werte früherer Bemessung durch begründete Minderung der aktuellen Teilsicherheitsbeiwerte etwas ausgeglichen werden kann. Bei Bestandsbauwerken liegen Vorkenntnisse vor, welche die bei der Planung anzusetzenden Unsicherheiten verringern. Dazu zählen Informationen über die tatsächlichen Abmessungen, Eigenlasten und Festigkeiten der Bauteile. Die Wahrscheinlichkeit grober Fehler in der Planungs- und Ausführungsphase ist bei Bestandsbauten, die viele Jahre schadensfrei gestanden haben und mindestens alle 6 Jahre inspiziert werden, deutlich verringert. In [3] wird vorgeschlagen, bei der Begründung der erforderlichen Teilsicherheitsfaktoren für die zeitveränderlichen Einwirkungen bzw. für probabilistische Nachweise davon auszugehen, dass für die Nachrechnung eines Bestandstragwerkes im guten Zustand ein Zuverlässigkeitsindex b erf =-3,2 ausreichend wäre. Es stellt sich die Frage, ob dieser Ansatz richtig ist, denn die gesellschaftlich akzeptierte Versagenswahrscheinlichkeit, d.h. die Zielzuverlässigkeit, sollte nicht verändert werden. Allerdings ist der rechnerische Spielraum für den Nachweis der Zuverlässigkeit bei Bestandsbauwerken größer, da mehrere Eingangsparameter wegen der reduzierten o. g. Unsicherheiten weniger streuen. Diese Thematik muss weiter aufgearbeitet werden, da viele Bauwerke trotz deren möglicherweise ausreichender Zuverlässigkeit nicht mehr mit den traditionellen Berechnungskonzepten nachweisbar sind. Unabhängig von diesen grundlegenden Fragen sind folgende Aspekte nach Auffassung der Autoren für die Nachrechnung von stählernen Straßenbrücken zu diskutieren: - Der Teilsicherheitsfaktor g G -=-1,20 für ein durch Aufmaß kontrolliertes Eigengewicht der Stahlkonstruktion ist akzeptabel. In diesem Fall sind spezifische Festlegungen zum Kontrollaufwand verbunden, womit die Streuung der jeweiligen Last eingegrenzt wird. Es wird allerdings darauf hingewiesen, dass die Gewichte der „Kleinbauteile“ wie Knoten-bleche, Verbindungsmittel, Korrosionsschutz etc. bei Nachrechnungen sorgfältig ermittelt werden müssen, da ein pauschaler Faktor von z. B. 5 % diese Gewichte stark unterschätzen kann. - Die Bemessungswerte der Beanspruchungen infolge vertikaler Straßenverkehrslasten sind - wie bereits festgelegt - mit dem Teilsicherheitsbeiwert g F -=-1,50 bei Ansatz des LM-1 nach DIN-Fb-101 zu ermitteln, da die charakteristischen Werte deutlich geringer als bei Ansatz des LMM nach EC-1 zur Abdeckung zukünftiger Straßenverkehrslasten sind. Wegen der relativ großen Streuung der Extremwerte der Straßenverkehrslasten ist pauschal zunächst keine günstigere Regelung möglich. - Nur auf der Basis von Bauwerksmonitoring (s. [15]) oder Verkehrslastsimulationen (s. [14]) können die charakteristischen Werte modifiziert begründet werden. In diesem Fall müssen die extremalen dynamischen Überhöhungen mit innerhalb des charakteristischen Wertes abgebildet werden. - Die heute gegenüber früheren Vorschriften ungünstigeren Temperatureinwirkungen sind besonders zu beachten. Für die Beurteilung der Temperatureinwirkungen spielt neben den bekannten Einflussfaktoren auch die geografische Ausrichtung des Bauwerks (insbesondere Richtung und Dauer der täglichen Sonneneinstrahlung) eine Rolle. - Für typische durch Straßenverkehr und vertikale Temperaturdifferenz gleichzeitig beanspruchte Tragwerke wurde durch probabilistische Analysen begründet (vgl. [4], [5], [6]), dass in der Nachrechnung der Kombinationsbeiwert y 0 -=-0,50 für die Temperatureinwirkung (im GZT als Begleiteinwirkung zum Straßenverkehr) möglich wäre. Der Teilsicherheitsbeiwert für die Temperatureinwirkung sollte aber mit 1,35 bestehen bleiben. 3. Grenzzustand der Tragfähigkeit 3.1 Erforderliche Nachweise Für die Nachweise der Querschnittstragfähigkeit werden analog zur Neubemessung die Bemessungswerte der Beanspruchungen und der jeweiligen Grenztragfähigkeit gegenübergestellt. Da früher die Vergleichsspannung nicht explizit nachgewiesen wurde, kann es in oberen bzw. unteren Randbereichen durchlaufender Stege über Innenstützen zu rechnerischen Überschreitungen des Nachweises kommen, die aber meist diskutiert werden können. Hinsichtlich der Tragfähigkeit von bis ca. 1970 noch verwendeten Nietverbindungen ergaben sich mit der bisherigen Regelung der Nachrechnungsrichtlinie (die analog 5. Brückenkolloquium - September 2022 39 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken zu den Schraubennachweisen ist) häufig zu ungünstige Nachweisergebnisse. Das mechanische Werkstoffverhalten der Niete ist allerdings nicht deckungsgleich mit dem spröderen Verhalten (hochfester) Schrauben, sondern eher mit dem des Grundmaterials zu vergleichen (vgl. erforderliche Bruchdehnung von ca. 30 % für Niete nach DIN-101, Abb. 2). Das gute Werkstoffverhalten der Niete kann berücksichtigt werden, indem der widerstandsseitige Teilsicherheitsbeiwert für den Abschernachweis der Niete St-34 bzw. St-36 und St-44 nicht mit g M2 -=-1,25, sondern wie für das Grundmaterial mit g M0 (bzw. alternativ ein entsprechend höherer Vorfaktor für die Abschertragfähigkeit, derzeit a-=-0,60) angesetzt werden kann. Abb. 2: Auszug aus DIN-101 (1952) zu Anforderungen an Nietwerkstoffe Für die Stabstabilität wird der Bezug auf die gemäß Eurocode erforderlichen Nachweise mit den differenzierteren europäischen Knickspannungslinien (einschließlich der zugehörigen rechnerischen Stabimperfektionen) hergestellt. Das Biegeknicken und das Biegedrillknicken kann wahlweise nach dem Ersatzstabverfahren oder mit einer Berechnung nach Theorie II. Ordnung nachgewiesen werden. Die Differenzierung der Teilsicherheitsbeiwerte für reines Festigkeitsversagen und für Stabilitätsversagen, wie es in der Neubemessung mit g M0 = 1,0 und g M1 = 1,10 angewandt wird, ist auch für die Nachrechnung notwendig. 3.2 Nachweis der Beultragfähigkeit Der Nachweis gegen Plattenbeulen ist mit Bezug auf DIN-EN-1993-1-5 [9] zu führen. Dabei ist in der Nachrechnung von Brücken zunächst das Verfahren mit Grenzbeulspannungen (DIN-EN-1993-1-5, Abschn.-10) mit den von dort referenzierten Beulabminderungskurven anzuwenden. Dieses Rechenverfahren ermöglicht auch die direkte Einbindung von FE-- Ergebnissen für komplex beanspruchte Beulfeldgeometrien. Abb. 3: Beulfelder an einem Kastenquerschnitt Die Beulabminderungskurve für Längsspannungen der DIN EN 1993-1-5 entspricht nur für das Gesamtfeld und einem Spannungsverhältnis y = 1,0 (konstanter Druck) früheren Festlegungen der DASt-Ri 012 [10] bzw. DIN 18800-3 [11]. Einzelfelder wiesen nach den früheren deutschen Normen etwas höher liegende und damit günstigere Beulabminderungskurven auf. Die Beulabminderungskurve für Schubspannungen liegt nach DIN EN 1993-1-5 für verformbare Auflagersteifen etwas tiefer als nach früheren deutschen Normen. Entsprechend ergeben sich Auswirkungen auf den Interaktionsnachweis. Abb.-4: Beulabminderungskurven für Längsspannungen mit y-=-1,0 nach DIN-EN 1993-1-5 und DIN-18800- 3, aus [12] Das alternative Rechenverfahren mit wirksamen Querschnitten berücksichtigt eine (überkritische) Umlagerung der Längsbeanspruchungen innerhalb des Querschnittes. Dieses Verfahren sollte erst zur Anwendung kommen, wenn die linear-elastischen Beulnachweise nach Abschnitt 10 (Grenzbeulspannungen) nicht erfüllt werden können. Deutliche Vorteile ergeben sich mit dem nichtlinearen Verfahren vor allem im Bereich der biegebeanspruchten Stege, da dort die Umlagerungen über der Querschnittshöhe häufig am größten sind. 40 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken Die in der Fertigung einzuhaltenden geometrischen Toleranzen der Beulfelder sind für Neubauten in der ZTV- ING geregelt, s. Abb. 5. Sollten diese Werte am Bestandsbauwerk überschritten werden, wird eine FE-Berechnung nach Th.- II.- Ordnung mit Imperfektionen (Vorbeulen) erforderlich. Die Größe der anzusetzenden Imperfektion muss dabei mindestens der gemessenen Geometrie entsprechen, allerdings unter Berücksichtigung, dass die Beanspruchungen infolge Eigengewicht bereits in die Konstruktion eingetragen sind. Im Einzelfall ist noch ein Zuschlag auf den Stich der gemessenen Geometrie der Vorbeulen zur Berücksichtigung von Eigenspannungen (strukturelle Imperfektion) vorzunehmen. Allerdings wäre die für stabförmige Bauteile geltende Näherung, dass geometrische und strukturelle Imperfektionen jeweils in ungefähr gleicher Größe rechnerisch anzusetzen sind, hier zu ungünstig. Man kann davon ausgehen, dass die strukturellen Imperfektionen beim Beulen deutlich kleiner sind, wobei belastbare Untersuchungen hierzu nicht vorliegen. Abb. 5: Toleranzen der Bauteile des Beulfeldes für den Neubau Auf die Notwendigkeit der Überprüfung des knickstabähnlichen Verhaltens der Beulfelder wird besonders hingewiesen, da dieser sicherheitsrelevante Nachweis erst seit ca. Mitte der 1970er-Jahre in der Neubemessung normativ zwingend geführt worden ist. Er kann im vorliegenden Endzustand vor allem im Innenstützbereich für die Bodenbleche, aber auch die Stege, durchlaufender Hohlkastenbrücken relevant werden. Der widerstandsseitige Teilsicherheitsbeiwert ist unabhängig vom Nachweisverfahren mit g M1 = 1,10 anzusetzen - hier ist zukünftig nochmal zu diskutieren, ob nicht eine Differenzierung angezeigt ist oder ob die höheren Versagensfolgen z. B. bei knickstabähnlichem Verhalten des Gesamtfeldes im Vergleich zum Beulen eines Einzelfeldes anderweitig im Nachweis berücksichtigt werden. 3.3 Beispiel für Verstärkungsmaßnahmen Eine mögliche Ertüchtigung hinsichtlich der Beultragfähigkeit soll am Beispiel einer größeren Stahlbrücke gezeigt werden. Das dreifeldrige Haupttragsystem mit Einzelstützweiten von 67,9-m, 143,3-m und 68,4-m besteht aus drei parallelen Hohlkästen. Die beiden äußeren Hohlkästen wurden im Jahr 1963 und der mittlere Hohlkasten 1977 errichtet. Die Überbauten sind durch Koppelverbände kraftschlüssig miteinander verbunden. Abb. 6: Ansicht und Querschnitt der Autobahnbrücke Im Rahmen der Nachrechnung dieses Bauwerks wurden u.a. Defizite der Beultragfähigkeit identifiziert, deren rechnerische Ursachen zum einen in der überarbeiteten Nachweisführung im Vergleich zur Ursprungsstatik sowie in der Anpassung der normativen Verkehrslastmodelle wegen Zunahme des Schwerverkehrs in den letzten Jahrzehnten liegen. Die Ertüchtigung erfolgt sowohl durch den Einbau neuer als auch durch Verstärkung bestehender Beulsteifen, hier vorwiegend an den Hauptträgerstegen der Innenstützbereiche. Rechnerisch liegt damit der Fall eines Beulfeldes mit unterschiedlichen Steifen vor, die sowohl hinsichtlich knickstabähnlichem Verhalten als auch der Neigung offener Steifen zum Drillknicken separat zu betrachten sind. 5. Brückenkolloquium - September 2022 41 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken Abb. 7: Ertüchtigung der Hauptträgerstege im Stützbereich) zur Erhöhung der Beultragfähigkeit Besondere Beachtung ist für Tragwerke der Bauzeit bis ca. 1970 der Schweißbarkeit der Stähle zu widmen. Bei zu hohem Kohlenstoffäquivalent ist eine besondere Abstimmung der eingesetzten Zusatzstoffe und Schweißverfahren vorzunehmen bzw. - wenn möglich - für ermüdungsbeanspruchte Bauteile ganz auf Schweißungen zu verzichten. Hier erfolgt deshalb der Anschluss an den Bestand über vorgespannte Passschrauben. Zu berücksichtigen ist der teilweise erhebliche Aufwand für Einpassarbeiten, z. B. an Querschotten oder Montagestößen, sowie ein eventuell erforderlicher Toleranzausgleich wegen Unebenheiten der Steg- und Bodenbleche. 4. Ermüdungssicherheit 4.1 Nachweisverfahren - allgemein Die realitätsnahe Beurteilung der Ermüdungssicherheit ist bei der Bewertung von Brücken von großer Bedeutung. Die Nachweisführung gegen Ermüdung kann grundsätzlich (mit steigendem Aufwand) erfolgen: - bei kleinem Maximalwert des Kollektivs der Spannungsdifferenzen als Dauerfestigkeitsnachweis, - als Betriebsfestigkeitsnachweis mit schädigungsäquivalenten Spannungsdifferenzen, für Straßenbrücken unter Ansatz des ELM-3 und zugehörigen Betriebslastfaktoren, - als Betriebsfestigkeitsnachweis mit direkter Berechnung der akkumulierten Schadenssumme über ein Mehrstufenkollektiv (für Straßenbrücken i.-d.-R. vereinfacht durch das ELM-4). 4.2 Nachweisverfahren nach Nachrechnungsrichtlinie [1], Bewertungsstufen 1 und 2 In Stufe 1 sind die Ermüdungsbeanspruchungen auf Grundlage des ELM-3 (Abb.-8) unter Berücksichtigung der Schadensäquivalenzfaktoren l zu ermitteln. Die sich ergebende schädigungsäquivalente Spannungsschwingbreite Δs E ist als Einstufenkollektiv mit n E =-2 ´ 10 6 äquivalent zum mehrstufigen Beanspruchungskollektiv des realen Verkehrs und wird zur Nachweisführung dem wiederum n E -fachen Kennwert des lokal vorliegenden Kerbfalls Δs C i.d.R. nach [13] gegenübergestellt. Abb.-8: ELM-3 - Modell mit 4 Achsen à 120-kN Wesentlich ist bei bestehenden Bauwerken die im Gegensatz zum Neubau bessere Datenlage hinsichtlich Verkehrsaufkommen und -zusammensetzung (l 2 ), s.a.-[14]. Das tatsächliche Verkehrsaufkommen wird über den Parameter N obs (Schwerverkehrsstärke je Jahr im 1. Fahrstreifen) gut abgebildet. Defizite lagen bisher jedoch bei der Berücksichtigung der Verkehrsart mit ihrem großen Einfluss vor. Diese war im Stahlbau bislang über Q m1 nicht abbildbar. Durch eine aktuelle Neuregelung wurde der Einfluss der Verkehrsart bzw. -zusammensetzung bereits in der ersten Stufe der Nachrechnung berücksichtigt (Tabelle-1 und Tabelle-2), was erheblichen Einfluss auf die Ergebnisse haben kann, siehe Abb.-9. Tabelle-1: Schadensäquivalenzfaktoren l 2 für Baustahl bis 2022 geltende Regelung Aktualisiert (2022) bei Neubauten: l 2 ≥ 1,10 n. ARS 22/ 2012 (Q m1 = 400 kN N obs = 2,0 ∙ 10 6 ) 42 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken Tabelle-2: Aktualisierung und Vereinheitlichung der Beiwerte für die Verkehrsart für Bauteile aus Spannbzw. Betonstahl (k 2 ) sowie Baustahl (m 2 -=-5) Beiwert Verkehrsart Große Entfernung Mittlere Entfernung Ortsverkehr m 2 = 5 bzw. k 2 = 5 1,0 0,90 0,73 k 2 = 7 1,0 0,92 0,78 k 2 = 9 1,0 0,94 0,82 Abb.-9: Vergleich bisheriger und aktualisierter Regelung zur Berücksichtigung der Verkehrsart über In Stufe 2 der Nachrechnungsrichtlinie kann der Nachweis der Ermüdungssicherheit alternativ über die direkte Berechnung der Schadenssumme D erfolgen. Dieses Nachweisformat basiert auf einem modifizierten ELM 4 mit einer Gruppe von Lastkraftwagen, welche eine Analogie zum realen Schwerverkehr darstellen und je Lkw über ein zugehöriges (schädigungsäquivalentes) Gesamtgewicht, feste Achsabstände und Radaufstandsfläche definiert ist. Das ELM 4 ist in vielen Fällen genauer als das ELM 3, sollte jedoch nur angewendet werden, wenn „die gleichzeitige Anwesenheit von mehreren Lkw auf der Brücke unberücksichtigt bleiben kann“, ist also praktisch auf Bauwerke mit kurzen und mittleren Stützweiten oder mit sehr geringer Verkehrsstärke begrenzt. Mit dem Nachweisformat über das ELM 4 entfällt die Linearisierung der Bezugs-Wöhlerlinie, welche bei der Kalibrierung der Schadensäquivalenzfaktoren des ELM 3 erforderlich ist, vgl. [8]. Dadurch liefert der Nachweis (durch die mögliche Berücksichtigung einer Dauerfestigkeitsgrenze) realistischere Ergebnisse. 4.3 Weitergehende Ermüdungsnachweise gemäß Nachrechnungsrichtlinie, Stufen 3 und 4 Insofern in der Nachrechnung die rechnerischen Nachweise der Ermüdungssicherheit nach Stufen 1 oder 2 kein befriedigendes Ergebnis aufweisen, ist das zwar ein Indiz für eine hohe Auslastung des Tragwerks infolge Verkehrsbelastung, muss aber noch nicht dessen zu geringe Ermüdungssicherheit bedeuten. Dieser Bereich wird durch die Stufe 3 (s. Abschnitt 5) und Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie erfasst - mit den diesen Stufen wird das Potenzial geschaffen, rechnerische Reserven der Bauwerke noch besser auszunutzen. Die Methoden der Stufe 3, also die Umsetzung von Messergebnissen zum Tragwerk, sollen dabei im Regelfall vor den speziellen „wissenschaftlichen“ Rechenmethoden eingesetzt werden, da erfahrungsgemäß durch die realistische Erfassung der Beanspruchungen bereits ein großer Nutzen erreicht werden kann. Die objektspezifische - auf die Tragfähigkeit und/ oder Ermüdung bezogene - Kalibrierung des rechnerischen Lastmodells bietet für die Bewertung bestehender Brücken eine wichtige Alternative zu sonst erforderlichen Kompensationsmaßnahmen. 4.4 Beispiel für Ertüchtigungsmaßnahmen Die Detailausbildung älterer Stahlbrücken entspricht häufig nicht den heutigen Anforderungen hinsichtlich Ermüdung, insbesondere an Elementen der orthotropen Fahrbahnplatte sowie am Quertragsystem. Verstärkt wird das Problem durch die in den Anfangsjahren der großflächigen Schweißanwendungen teilweise noch reduzierte Schweißnahtqualität. Das Beispiel der o.-g. Stahlbrücke zeigt diese gravierenden Defizite der Ermüdungssicherheit u.-a. an den Details der Querrahmenkonstruktionen, s. Abb.- 10. Die lokal am Anschluss der Querträger an die Vertikalsteifen vielfach bereits aufgetretenen Ermüdungsrisse zeigen eindeutig, dass nicht nur ein rechnerisches Defizit vorliegt. Im Rahmen des Ertüchtigungskonzeptes wurde ein zweistufiges Vorgehen gewählt, bestehend a) aus einer Notinstandsetzung vorhandener und teilweise bereits in Richtung Hauptträgersteg gewachsener Risse sowie b) das nachträgliche Einsetzen relativ kerbfreier Eckbleche. Mit den Eckblechen werden die gerissenen Bereiche entlastet und die Kerbwirkung an den Schadensstellen verringert. Die Ermüdungsbeanspruchungen werden damit in weniger belastete bzw. weniger geschädigte Bereiche umgelagert. 5. Brückenkolloquium - September 2022 43 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken Abb.-10: Ermüdungsschäden an den Querrahmen-Eckbereichen, zugehöriges numerisches Modell Abb.-11: Sanierung der Querrahmenecken zur Verbesserung der Ermüdungssicherheit Aufgrund der schwach ausgebildeten Querrahmen sind hier die normativen Ermüdungsnachweise trotz umfangreicher Verstärkungsmaßnahmen nicht gänzlich erfüllbar (bzw. wären dies erst bei einem unwirtschaftlichen Mehraufwand). Die Ermüdungssicherheit wird jedoch mit den Maßnahmen im Gegensatz zum Ist-Zustand trotzdem um Größenordnungen verbessert. Für die verbleibende Nutzungsdauer wurde neben den in DIN 1076 vorgesehenen Prüfintervallen von 3 bzw. 6 Jahren eine mindestens jährliche Sonderprüfung der Stellen mit weiterhin rechnerisch unzureichender Ermüdungsfestigkeit festgelegt. Nach der so sichergestellten rechtzeitigen Feststellung neuer Ermüdungsrisse sind diese in Anlehnung an bereits erprobte Notinstandsetzungsmaßnahmen zu sanieren. 5. Messtechnische Bewertung in Stufe 3 5.1 Stand der Technik hinsichtlich Bauwerksmonitoring zur Brückenbewertung Grundsätzlich ist bei statischen oder dynamischen Messungen an Brücken zwischen Systemmessungen zur Modellkalibrierung mit entsprechend optimierter Berechnung und dem Bauwerksmonitoring zur Langzeiterfassung und Auswertung von Beanspruchungen bzw. ggf. objektspezifischen Kalibrierung der Lastmodelle zu unterscheiden, s. Abb.-12. Die Stufe 3 der Nachrechnungsrichtlinie beinhaltet nicht nur die Bauwerksmessungen an sich, sondern insbesondere auch ein vorgeschaltetes Konzept mit eindeutiger, auf den Ergebnissen der Stufe 2 basierender Zielstellung, und weiterhin die punktuell wiederholte Nachweisführung mithilfe der aus den Messungen gewonnenen zusätzlichen Informationen. Deshalb ist die Bezeichnung „Messwertgestützte Bewertung“ passend. Wegen der komplexen Thematik ist Stufe 3 auch nur von Ingenieuren/ innen, die über ausgewiesene Erfahrungen sowohl im Brückenbau als auch der Messtechnik verfügen, anzuwenden. Abb.-12: Überblick zu den Möglichkeiten in Stufe 3 Systemmessungen Durch die Systemmessung und die darauf basierende Modellkalibrierung kann man häufig bereits viel erreichen. In jedem Fall fördert sie das Verständnis für das tatsächliche Tragverhalten und damit die Beurteilung der Nachrechnungsergebnisse. Die Messungen finden unter definierter Belastung im Gebrauchslastbereich statt. Im Rahmen der Nachweisführung des GZT ist zu beachten, ob möglicherweise ein nichtlineares Verhalten des Bauteils bzw. Tragsystems oberhalb des (messtechnisch er- 44 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken fassten) Gebrauchslastniveaus auftreten könnte und dann rechnerisch zu berücksichtigen ist. Systemmessungen mit Modellkalibrierung werden normalerweise auch immer eingangs eines Bauwerksmonitoring durchgeführt. Durch Fahrten von Lkw unterschiedlicher Geschwindigkeit können Hinweise zum dynamischen Verhalten von Bauteilen bzw. des Tragwerks und seiner Steifigkeitsverteilung gewonnen werden. Eine automatisierte Modelloptimierung, die aber erst bei maßgeblichem Einfluss mehrerer Parameter sinnvoll wird, bezeichnet man als FE-Update. Statische oder dynamische Systemmessungen führen immer zu einer Reduzierung der Modellunsicherheiten (was man im Einzelfall rechnerisch begründet auch in reduzierten Teilsicherheitsbeiwerten ausdrücken kann) und in der Konsequenz zu einer präziseren Nachweisführung. Bauwerksmonitoring Bauwerksmonitoring, als kontinuierliche Messung über einen längeren Zeitraum, kann nach aktualisierter Ausgabe der Nachrechnungsrichtline bereits in Stufe 3 zur objektspezifischen Kalibrierung der Lastmodelle verwendet werden. Dies betrifft je nach Anforderung die Lastmodelle für die Nachweise der Tragfähigkeit (s. Abschnitt 5.2), vor allem aber der Ermüdungssicherheit (Abschnitt 5.3). Dabei ist zu bedenken, dass Bauwerksmonitoring den Ist-Zustand analysiert und daher im Zuge der Auswertung eine Verkehrsprognose für die Zukunft zu berücksichtigen ist. 5.2 Gemessene Extremwertverteilungen für Nachweise im GZT Die objektspezifische Kalibrierung der Lastmodelle für die Tragfähigkeit (a NR ∙LM-1 oder BK-xx, vgl. [7]) wird wegen der maßgeblichen Auswirkungen nur im Ausnahmefall und mit Zustimmung der Straßenbauverwaltung vorgenommen. Weiterhin ist zu beachten, dass bei objektbezogenen Lastmodellen die einfache Behandlung im Genehmigungsverfahren für Schwerverkehr verloren geht. Hierfür sind Messzeiträume von mindestens 12 Monaten erforderlich. Zu berücksichtigen sind immer auch mögliche Situationen des Baustellenverkehrs (im positiven wie negativen Sinn). Auf Grundlage der temperaturkompensierten Messdaten werden unter Beachtung des erforderlichen Grundzeitintervalls Verteilungen der Extremwerte gebildet, z. B. aus den 52 Wochenextrema bei einer einjährigen Messung und einer daran angepassten Gumbelverteilung, s. Abb.-13. Diese dient anschließend im Rahmen einer statistischen Extrapolation zur Ableitung eines charakteristischen Wertes, siehe z. B. [15] bei Ansatz der Gumbelverteilung: E K,Mess = m ∙ [1 - 0,78 ∙ v ∙ (0,5772 + ln {- ln q})] Mit diesem messtechnisch ermittelten charakteristischen Wert der Verkehrsbeanspruchung ist eine Kali-brierung des Ziellastniveaus, über einen Anpassungsfaktor a NR des LM-1, wie folgt möglich: Abb.-13: Gemessene Wochenextremwerte und Extrapolation auf den Bezugszeitraum Die das Tragwerk betreffenden Zwangsbeanspruchungen infolge Temperatur sind messtechnisch immer separat zu erfassen, d.h. bezüglich ihrer Extremwerte getrennt von den Verkehrsbeanspruchungen auszuwerten. Die Teilsicherheitsbeiwerte in der Nachrechnung sind analog den Festlegungen der Nachrechnungsrichtlinie zu verwenden. 5.3 Gemessene Beanspruchungskollektive für Nachweise der Ermüdungssicherheit Eine objektspezifische Kalibrierung der Ermüdungslastmodelle (ELM-3 oder ELM-4) oder ein direkter Ermüdungsnachweis ist auf Grundlage eines Messzeitraumes von i.d.R. 2 - 3 Monaten möglich, wobei zu beachten ist, dass die Messungen innerhalb des Regel-Verkehrszustandes stattfinden. Auf Grundlage der temperaturkompensierten Messdaten wird eine Rainflow-Zählung durchgeführt, die das Beanspruchungskollektiv infolge des Straßenverkehrs liefert. Die so berechenbare Schädigung D bzw. rückgerechnete schadensäquivalente Schwingbreite Δs E,Mess wird anschließend genutzt, um das Ermüdungslastmodell entsprechend den örtlichen Gegebenheiten zu kalibrieren. Der Vorteil dieser Methode ist, dass für die eigentliche Nachweisführung in Stufe 3 dann dieses Lastmodell genutzt werden kann, um Ermüdungsnachweise auch an den anderen Bauteilen des Tragwerks (eine gleichermaßen richtige Charakteristik durch das Ermüdungslastmodell vorausgesetzt) zu führen. Alternativ können die Ermüdungsnachweise auch direkt über eine Schadensakkumulationsberechnung mit den gemessenen Beanspruchungskollektiven geführt werden. Dieses Vorgehen kann allerdings nur an wenigen (maß- 5. Brückenkolloquium - September 2022 45 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken gebenden) Tragwerkspunkten realisiert werden, um den messtechnischen Aufwand vertretbar zu halten. Sinnvolle Einsatzszenarien sind Bauteile, wo Risse bereits aufgetreten sind oder potenziell an wenigen diskreten Stellen mit schlechtem Kerbfall und/ oder bei z. B. gleichzeitiger Beanspruchung infolge Verkehr und Wind (Hängeranschlusspunkte bei Stabbogen o. ä.) zu erwarten wären. Einwirkungsseitig sind beim Ermüdungsnachweis keine Sicherheitsbeiwerte erforderlich, da die Ermüdungsnachweise mit Gebrauchslasten geführt werden. Die widerstandsseitigen Teilsicherheitsbeiwerte sind analog der Festlegungen der Nachrechnungsrichtlinie anzusetzen. Für die o. g. Stahlbrücke ist das Tragsystem durch die nachträgliche Kopplung der Hohlkästen verschiedener Bauzeiten als kompliziert zu bewerten und Abweichungen der tatsächlichen Beanspruchungen von den berechneten nicht unwahrscheinlich. Um im Vorfeld der Ertüchtigung das rechnerische Tragwerksmodell zu verifizieren, die Beanspruchungen der zu verstärkenden Bauteile zweifelsfrei festzustellen und auch die Ursachen für die Entstehung der Ermüdungsrisse an Querrahmen und Querverbänden zu bestätigen, wurde die Brücke zeitweilig mit einer Dauermessanlage ausgerüstet, s. Abb.-14. Über die Klassierung der Verkehrsbeanspruchungen wurde eine belastbare Aussage zu den real einwirkenden Lastkollektiven möglich. Parallel dazu wurden die Beanspruchungskollektive an mehreren kritischen Tragwerkspunkten direkt gemessen, s. z.-B. Abb.-15, die als Grundlage für eine direkte Berechnung der Schadenssumme nach der Schadensakkumulationshypothese von Palmgren/ Miner dienten. Bereits anhand der Beanspruchungskollektive (Abb.-15) wurde für mehrere Messpunkte des Quertragsystems deutlich, dass die Beanspruchungen im hoch ermüdungswirksamen Bereich liegen und damit die Wahrscheinlichkeit für Ermüdungsrisse groß ist. Abb.-14: Messstellen am Quertragsystem Abb.-15: Gemessene Beanspruchungskollektive für Bauteile des Quertragsystems 6. Weitergehende Maßnahmen (Bewertungsstufe-4) Die Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie betrifft wissenschaftliche Methoden zum Nachweis ausreichender Tragbzw. Ermüdungssicherheit. Sie kann separat oder in Kombination mit Stufe 3 durchgeführt werden, da Messergebnisse als Eingangswerte gerade bei spezielleren Methoden sinnvoll sein können. Die Stufe 4 ist jedoch aufgrund der Komplexität und der notwendigen Erfahrung im Umgang mit den jeweiligen Methoden momentan nur im Einzelfall von Experten anzuwenden. Zu den geometrisch und physikalisch nichtlinearen Berechnungsverfahren zählen nach heutigem Kenntnisstand vor allem: - nichtlineare Berechnung der Beanspruchungen bei stetiger Laststeigerung und zugehörige Nachweise im GZT, - rechnerische Überprüfung des Umlagerungsvermögens und damit der Schadenstoleranz bzw. Robustheit von einzelnen Bauteilen und/ oder im Tragsystem, 46 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken - Ermüdungsberechnungen mit nichtlinearen Schadensakkumulationshypothesen einschließlich bruchmechanischer Berechnung der Restnutzungsdauer. Neben den nichtlinearen Berechnungsverfahren werden voraussichtlich in nächster Zeit die probabilistischen Berechnungsmethoden an Bedeutung gewinnen, konkret können das sein: - zuverlässigkeitstheoretische Analysen zur Begründung von Modifikationen der normativen Sicherheits- und Kombinationsfaktoren, - direkte zuverlässigkeitstheoretische Nachweise (Berechnung der Versagenswahrscheinlichkeit und Nachweis auf diesem Niveau). 7. Ausblick Die Nachrechnungsrichtlinie für Straßenbrücken bildet eine der wesentlichen Grundlagen, die Trag- und Ermüdungssicherheit der nicht selten hochbeanspruchten Bauwerke einzuschätzen und damit die erforderlichen Sanierungs-, Verstärkungs- und Ersatzbaumaßnahmen zu priorisieren. Trotz des bereits sehr entwickelten Regelwerkes sind in den nächsten Jahren weitere Ergänzungen bzw. Detaillierungen notwendig, um aus Sicht der Ingenieur*innen den anstehenden Aufgaben der Brückenbewertung zu entsprechen. Dazu sind insbesondere die in Bewertungsstufe 4 angeführten Maßnahmen für die breite praktische Anwendbarkeit weiterzuentwickeln, insbesondere die direkte und durchgängige Nachweisführung auf Basis der Zuverlässigkeitstheorie. Nur so werden einige - rechnerisch nach bisherigem Regelwerk nicht mehr nachweisbare - Bauwerke bei ausreichender Zuverlässigkeit unter Betrieb zu halten sein, denn nicht jedes Bauwerk kann sofort ersatzneugebaut oder auch „nur“ verstärkt werden. Es gilt in jedem Einzelfall, ein Optimum zwischen der uneingeschränkten Verfügbarkeit der Tragwerke und deren technischer Zuverlässigkeit zu finden. Die möglichst lange Weiternutzung der bestehenden Bauwerke kann übrigens einen wesentlichen Beitrag zum optimalen Umgang mit knapper werdenden Ressourcen (Material, Ingenieurkapazität, Baukapazität) darstellen. Literatur [1] BMVBS: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (2011) [2] Marzahn, G., et al.: Die Nachrechnung von bestehenden Straßenbrücken aus Beton (Beton-Kalender 2013: Lebensdauer und Instandsetzung) [3] DBV-Heft 24: Begründung eines reduzierten Zuverlässigkeitsindexes und modifizierter Teilsicherheitsbeiwerte für Stahlbetontragwerke im Bestand. Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein e.V. (Hrsg.), Berlin 2013, Autoren: Fischer,- A.; Grünberg,-J.; Schnell,-J.; Stauder,-F. [4] Frenzel, B., Freundt, U., König, G., Mangerig, I., Merzenich, G., Novak, B., Sedlacek, G., Sukhov, D.: Bestimmung von Kombinationsbeiwerten und -regeln für Einwirkungen auf Brücken, Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Heft 715, Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, 1996 [5] Frenzel, B.: Kombination der kurzzeitigen Lasten Verkehrslast und Temperaturunterschied für massive Straßenbrücken, unveröffentlichter Bericht 1989 zur Überarbeitung der TGL 32274/ 01 „Lastannahmen für Bauwerke, Grundsätze“ [6] Geißler,- K.: Überarbeitung der Richtlinie 805 - Gutachten zum Kombinationsbeiwert für vertikale Temperaturdifferenz, Gutachten für DB Netz 09/ 2021, unveröffentlicht [7] Freundt, U., Böning, S., Kaschner, R., Geißler, K., Kraus, J. K.: Methodik zur Entwicklung neuer Verkehrslastmodelle für die Nachrechnung des Brückenbestandes, Schlussbericht FE 15.0629/ 2016/ FRB, BASt, 2018 [8] Geißler, K., Kraus, J. K., Freundt, U., Böning, S.: Zukunftssicherheit der Ermüdungslastmodelle nach DIN EN 1991-2, Schlussbericht FE 15.0629/ 2016/ FRB, BASt, 2018 [9] DIN- EN 1993-1-5: 2010-12: Eurocode 3: Bemessung und Konstruktion von Stahlbauten - Teil 1-5: - Plattenförmige Bauteile. Deutsche Fassung EN 1993-1-5: 2006 + AC: 2009, Beuth-Verlag Berlin [10] DASt-Richtlinie 012: Plattenbeulen, Deutscher Ausschuss für Stahlbau [11] DIN-18800-3: Stahlbauten - Teil 3: Stabilitätsfälle, Plattenbeulen. Beuth Verlag, Berlin 1990 [12] Geißler, K.: Handbuch Brückenbau, Ernst und Sohn, 2014 [13] DIN- EN 1993-1-9: 2010-12: Eurocode 3: Bemessung und Konstruktion von Stahlbauten - Teil 1-9: Ermüdung. Deutsche Fassung EN 1993-1-9: 2005 + AC: 2009, Beuth-Verlag-Berlin [14] Kraus, J. K.: Zur analytischen Herleitung von Verkehrslastmodellen für die Tragfähigkeit und Ermüdung von Straßenbrücken, Dissertation TU Berlin, 2021 [15] Steffens, N.: Sicherheitsäquivalente Bewertung von Brücken durch Bauwerksmonitoring, Dissertation TU Berlin, 2019