eJournals Brückenkolloquium 5/1

Brückenkolloquium
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2510-7895
expert verlag Tübingen
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Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T)

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Reinhard Maurer
Eva Stakalies
Für Neubauten und in der Stufe 1 der Nachrechnung können die entsprechend konservativ ausgelegten Nachweise bei einer kombinierten Beanspruchung aus M+V+T getrennt geführt werden. Die so ermittelten Bewehrungen werden anschließend überlagert. Was die Begrenzung der Hauptdruckspannungen im Beton betrifft, so erfolgt lediglich für die kombinierte Beanspruchung aus V+T der Nachweis einer Interaktion für die geneigten Betondruckstreben im Steg. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit hier auch M berücksichtigt werden muss, da auch M die Hauptdruckspannungen beeinflusst. Bei einer Bewertung bestehender Spannbetonbrücken durch eine Nachrechnung muss die Nachweisführung bei einer kombinierten Beanspruchung an die Nachweisformate der Stufe 2 und 4 angepasst werden. Dabei interessiert die Frage, ob durch ein genauere Nachweisführung unter Berücksichtigung von Interaktionsbedingungen Tragfähigkeitsreserven aktiviert werden können. Zusätzlich müssen ggf. auch von den heutigen normgemäßen Konstruktionsregeln abweichende konstruktive Durchbildungen bei der Bewehrung beachtet werden. Zu diesen Fragestellungen erfolgen im Rahmen eines FE-Auftrags der BASt [1] theoretische und experimentelle Untersuchungen im Rahmen von Großversuchen. Die dabei bisher gewonnenen Erkenntnisse und die daraus abgeleiteten Nachweisformate für die NRR werden nachfolgend im Beitrag vorgestellt.
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5. Brückenkolloquium - September 2022 57 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) Univ.-Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer TU Dortmund, Dortmund, Deutschland Eva Stakalies M. Sc. TU Dortmund, Dortmund, Deutschland Zusammenfassung Für Neubauten und in der Stufe 1 der Nachrechnung können die entsprechend konservativ ausgelegten Nachweise bei einer kombinierten Beanspruchung aus M+V+T getrennt geführt werden. Die so ermittelten Bewehrungen werden anschließend überlagert. Was die Begrenzung der Hauptdruckspannungen im Beton betrifft, so erfolgt lediglich für die kombinierte Beanspruchung aus V+T der Nachweis einer Interaktion für die geneigten Betondruckstreben im Steg. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit hier auch M berücksichtigt werden muss, da auch M die Hauptdruckspannungen beeinflusst. Bei einer Bewertung bestehender Spannbetonbrücken durch eine Nachrechnung muss die Nachweisführung bei einer kombinierten Beanspruchung an die Nachweisformate der Stufe 2 und 4 angepasst werden. Dabei interessiert die Frage, ob durch ein genauere Nachweisführung unter Berücksichtigung von Interaktionsbedingungen Tragfähigkeitsreserven aktiviert werden können. Zusätzlich müssen ggf. auch von den heutigen normgemäßen Konstruktionsregeln abweichende konstruktive Durchbildungen bei der Bewehrung beachtet werden. Zu diesen Fragestellungen erfolgen im Rahmen eines FE-Auftrags der BASt [1] theoretische und experimentelle Untersuchungen im Rahmen von Großversuchen. Die dabei bisher gewonnenen Erkenntnisse und die daraus abgeleiteten Nachweisformate für die NRR werden nachfolgend im Beitrag vorgestellt. 1. Einleitung Bei der Bewertung bestehender Spannbetonbrücken durch eine Nachrechnung besteht häufig das Problem, dass die älteren Bauwerke nach heutigem Stand der Normung keinen ausreichenden Widerstand gegen Schubbeanspruchungen aus Querkraft und Torsion aufweisen. Daher besteht ein Bedarf nach genaueren Berechnungsverfahren, um weniger kritische Bauwerke auf der Grundlage einer Stufe 2 Nachrechnung ggf. mit Verstärkungsmaßnahmen weiter nutzen zu können und um kritische Bauwerke mit einer Stufe 4 Nachrechnung noch so lange unter Verkehr halten zu können, bis sie durch einen Ersatzneubau ersetzt werden können. Durch ein Forschungskonsortiums der Technischen Universitäten Aachen, Dortmund und München sowie den Ingenieurgesellschaften H&P, Aachen und ZMI, München wurden und werden im Rahmen von FE-Aufträgen der Bast genauere Nachweisverfahren mittels experimenteller und theoretischer Untersuchungen entwickelt. Diese sollen in der fortgeschriebenen Fassung der Nachrechnungsrichtlinie (BEM-ING, Teil 2) ihren Niederschlag finden. 2. Unterschiede im Tragverhalten von Hohlkasten- und Plattenbalkenbrücken bei Querkraft und Torsion (V+T) Die Bemessungsmodelle im Eurocode 2 gelten für reine Torsions- und reine Querkraftbeanspruchung. Bei einer kombinierten Beanspruchung werden die ermittelten Bewehrungen addiert. Zur Begrenzung der Hauptdruckspannungen im Beton, erfolgt für die geneigten Betondruckstreben im Steg infolge V+T der Nachweis auf Grundlage einer Interaktionsbedingung, die für Plattenbalkenbrücken und Hohlkastenbrücken unterschiedlich ist. Plattenbalkenbrücke: Hohlkastenbrücke: 2.1 Tragverhalten bei V+T von Plattenbalkenbrücken Grundsätzlich wird bei den offenen Querschnitten der zweistegigen Plattenbalken das Torsionsmoment aus einer exzentrischen Verkehrsbelastung anteilig durch Querschnittsverwölbung (unterschiedliche Stegbiegung) und anteilig durch St. Venant-Torsion aufgenommen. Die Querschnittsverwölbung wird durch die Querverteilung berücksichtigt, die von der Torsionssteifigkeit der Stege beeinflusst wird. Nachfolgend wird die St. Venant-Torsion in den Stegen betrachtet. Bei Plattenbalkenbrücken erzeugen die St.Venant-Torsionsmomente primär in den Stegen sowie zu einem gewissen Anteil in den angrenzenden Gurtplatten der 58 5. Brückenkolloquium - September 2022 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) Hauptträger im Zustand I umlaufende Schubspannungen, die tangential zu den Querschnittsrändern verlaufen. Die von den Gurtplatten anteilig aufgenommene Torsion wird in der Regel bei der Bemessung vernachlässigt, indem das Torsionsmoment vollständig den Stegen zugewiesen wird. Das Moment aus den umlaufenden Schubspannungen bezogen auf den Schubmittelpunkt ist gleich dem im Querschnitt wirkenden Torsionsmoment (St--Venant’sche Torsion). Im Zustand II erfolgt die Bemessung auf Grundlage eines räumlichen Fachwerkmodells am Ersatzhohlkasten mit der effektiven Wanddicke t eff,i . Das Tragverhalten im Zustand II ist in Bild 1 auf Querschnittsebene in Form von mittleren Schubspannungen über den Querschnitt dargestellt. Der Querschnittsbereich innerhalb des Ersatzholkastens beteiligt sich nicht nennenswert an der Aufnahme des Torsionsmomentes. Im dünnwandigen geschlossenen Profil des Ersatzhohlkastens ist der umlaufende Schubfluss infolge reiner Torsion konstant. Für die Schubspannung in einer Schubwand gilt daher Die Schubkraft V Ed,i in einer Schubwand i infolge Torsion wird wie folgt ermittelt: Bei Querkraft ist die mittlere vertikal gerichtete Schubspannung im Querschnitt über die gesamte Breite b w konstant. Bei einer kombinierten Beanspruchung kommt es im Bereich der seitlichen Schubwände des Ersatzhohlkastens zur Überlagerung der Schubspannungen aus Querkraft und Torsion. Auf einer Seite kommt es dabei zur Addition, wodurch die resultierende Schubbeanspruchung verstärkt wird, auf der anderen Seite heben sich die Schubspannungen teilweise auf. Aus der Darstellung ist klar zu erkennen, dass für den Tragwiderstand bei Querkraft die gesamte Stegbreite mitwirkt. Dagegen wirken beim Tragwiderstand für Torsion nur relativ schmale Randzonen mit, wobei die effektive Wanddicke t eff des Ersatzhohlkastens im deutschen NA als der doppelte Abstand von der Außenfläche bis zur Mittellinie der Längsbewehrung festgelegt ist. Dagegen darf nach EC2-1-1, 6.3.2 (1) für die effektive Dicke einer Schubwand t eff,i = A ⁄u ≥ 2 · d 1 . angesetzt werden. Bild 1: Tragverhalten bei Querkraft und Torsion eines Plattenbalkens auf Querschnittsebene Mit dem konservativeren Ansatz im NA soll in den hohen und sehr ungünstig beanspruchten Randzonen der Stege ein vorzeitiges Druckstrebenversagen verhindert werden, wie es bei einigen der nachfolgend beschriebenen Versuche beobachtet wurde. Dabei muss allerdings zwischen primärem und sekundärem Druckstrebenversagen unterschieden werden. Hierzu später mehr. Was die Querkrafttragfähigkeit betrifft, so trägt der Querschnitt über die gesamte Stegbreite zum Betontraganteil und damit zu einem sehr günstigen Tragverhalten bei. Dagegen ist das Tragverhalten bei Torsion eher 5. Brückenkolloquium - September 2022 59 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) ungünstig, da der Tragwiderstand nur in einer relativ schmalen Randzone mit nur einer Bewehrungslage aktiviert wird. Bei Spannbetonbrücken mit üblichen Betondeckungen beträgt die absolute effektive Wanddicke beispielsweise etwa mit: und ist damit deutlich kleiner als bei Hohlkastenbrücken. Die Fläche A k = b k · h k innerhalb der Mittellinie des Ersatzhohlkastens ist im Allgemeinen erheblich kleiner als bei Hohlkastenbrücken. 2.2 Tragverhalten bei V+T bei Hohlkastenbrücken Die geschlossenen Zellen von Hohlkastenquerschnitten sind optimal geeignet, um eine Torsionsbeanspruchung durch einen umlaufenden Schubfluss aufzunehmen (Bild 2). Sofern die Stegbreite kleiner ist als 1/ 6 der Kastenbreite (b w ≤ b/ 6), darf die gesamte Stegbreite b w für t eff,i angesetzt werden, wobei zwei Bewehrungslagen vorhanden sind, je eine auf der Innen- und eine auf der Außenseite des Steges. Dadurch entsteht eine optimale Tragwirkung zwischen Druck- und Zugstreben in den Schubwänden des räumlichen Fachwerks. Die Schubkräfte in einem Steg überlagern sich daher vollständig zu In geschlossenen dünnwandigen Profilen ist der umlaufende Schubfluss v Ed an jeder Stelle entlang des Querschnittsumfangs gleich groß. Entsprechend unterscheiden sich die Schubspannungen in ihrer Größe in Abhängigkeit von der lokalen Wanddicke t eff, i. Bild 2: Tragverhalten bei Querkraft und Torsion eines Hohlkastens auf Querschnittsebene 3. Bemessung der Bewehrung 3.1 Empfehlung für den Nachweis bei kombinierter Querkraft und Torsion Bei der Nachrechnung einer bestehenden Spannbetonbrücke werden im ersten Schritt die statisch erforderlichen Torsionsbügel ermittelt und von der vorhandenen Bügelbewehrung abgezogen. Mit der verbleibenden Bügelbewehrung wird der Nachweis der Querkrafttragfähigkeit geführt. Bei der Ermittlung der Torsionsbügel kann kein Betontraganteil in Ansatz gebracht werden. Die statisch erforderliche Torsionslängsbewehrung kann bei der Biegebemessung unter Berücksichtigung der Tragreserven der Spannglieder über eine zur Torsions- 60 5. Brückenkolloquium - September 2022 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) längsbewehrung äquivalente Längszugkraft gemeinsam mit der Biegebewehrung ermittelt werden. 3.2 Torsionsbügelbewehrung Die Torsionsbügelbewehrung wird auf Grundlage eines räumlichen Fachwerkmodells nach DIN EN 1992-2 ermittelt und muss in voller Größe berücksichtigt werden. Die gesamte erforderliche Bügelbewehrung resultiert aus der Querkraftbewehrung basierend auf einem idealisierten Fachwerkmodell mit Betontraganteil (z.B. Druckbogenmodell) zuzüglich der vollen Torsionsbügelbewehrung. Bei der Torsionsbügelbewehrung erfolgt keine Reduzierung durch einen Betontraganteil. 3.3 Torsionslängsbewehrung Infolge der umlaufenden Druckstreben im räumlichen Fachwerk will sich der Balken strecken, d.h. verlängern. Daran wird er durch die Torsionslängsbewehrung gehindert, die die Kraftkomponenten der umlaufenden Druckstreben in Längsrichtung der Stabachse ins Gleichgewicht setzt (Bild 3). Durch das Auf bringen einer Vorspannkraft wird die erforderliche Torsionslängsbewehrung reduziert (Bild 4). Die horizontalen Kraftkomponenten der geneigten Druckstrebenkräfte können anteilig oder vollständig durch die Vorspannung ins Gleichgewicht gesetzt werden. Bild 3: Erforderliche Torsionslängsbewehrung bei reiner Torsion - Stahlbeton Bild 4: Reduzierte Torsionslängsbewehrung durch die Vorspannwirkung. Idealisierte Krafteinleitung von P durch starre Platte Bei dem aus diesen mechanischen Zusammenhängen entwickelten Bemessungsmodell wird zunächst aus der Torsionslängsbewehrung eine resultierende Längskraft (N Ed,T ) berechnet. Diese wird dann zentrisch im Schwerpunkt des Querschnitts angesetzt und bei der Biegebemessung berücksichtigt (Bild 5). Diese Idealisierung wurde durch die nachfolgend beschriebenen Versuche verifiziert. Die Idealisierung ist anwendbar bei einer Beanspruchung überwiegend durch Biegung, wie sie bei Plattenbalkenbrücken auftritt. Bild 5: Bemessung der Längsbewehrung infolge M Ed und N Ed,T : erf A s,M+NT Bei der Ermittlung wird zunächst von der Gleichung für das durch die Längsbewehrung aufnehmbare Torsionsmoment ausgegangen: Durch Umstellen der Gleichung geht daraus die äquivalente Längskraft hervor, die bei der Biegebemessung für M Ed im Schwerpunkt des Querschnitts zusätzlich angesetzt wird (Bild 5). Dabei wird der positive Effekt aus der Überdrückung der Torsionslängszugkräfte im Bereich der Biegedruckzone sowie der Tragwirkung der Spannglieder entsprechend ihrer Anordnung im Querschnitt automatisch mitberücksichtigt. 4. Schließen der Torsionsbügel Durch die Umlenkung der Druckstreben bei der räumlichen Fachwerktragwirkung besteht die Gefahr eines Ausbrechens der Ecken, dargestellt im Bild 6 für einen Rechteckquerschnitt. Das Ausbrechen der Ecken soll durch einen engen Bügelabstand und steife Längsstäbe in den Ecken, auf die sich die Druckstreben abstützen können, verhindert werden. Zudem fordert der Eurocode 2, dass bei Torsion nur geschlossenen Bügel verwendet werden dürfen. Bild 6: Ausbrechende Ecken infolge Umlenkung der Druckstreben (aus [2]) Die Konstruktionsregeln für die Torsionslängs- und Torsionsbügelbewehrung in DIN EN 1992-1-1 mit zugehörigem NA gelten für reine Torsion und Rechteckquerschnitte. Bei Brücken tritt immer eine kombinierte Beanspruchung aus überwiegender Querkraftbiegung mit 5. Brückenkolloquium - September 2022 61 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) zugehöriger Torsion auf. Daher ist eine Anpassung dieser Regeln an die brückenspezifischen Verhältnisse sinnvoll. Bei Brückenquerschnitten wird durch die in Querrichtung durchlaufende Fahrbahnplatte ein Ausbrechen der Ecken infolge Umlenkung der Druckstreben bei Torsion im oberen Stegbereich verhindert, weil die Querbewehrung der Fahrbahnplatte als starkes Zugband durchläuft und sich darunter die Biegedruckkraft aus der Quertragwirkung abstützt. Zusätzlich erfolgt die vertikale Verankerung der Ecken durch die Haken oder Winkelhaken als Verankerungselemente der Bügelschenkel. Bei den nachfolgen beschriebenen Versuchen an vorgespannten Plattenbalken wurde diese Form der konstruktiven Durchbildung untersucht. Das Schließen der Bügel erfolgte durch die obere Querbewehrung. Das Schließen der Bügel in den Stegen von Plattenbalkenbrücken, die durch Torsion beansprucht werden, darf durch die obere Querbewehrung in der durchlaufenden Fahrbahnplatte erfolgen. Im Zusammenwirken mit den Verankerungselementen der Bügelschenkel verhindert sie das Ausbrechen der oberen Eckbereiche, durch die Umlenkung der Druckstreben im räumlichen Fachwerkmodell (Bild 7). Bild 7: Schließen der Querkraft- und Torsionsbügel bei Plattenbalkenbrücken 5. Nachweis der Hauptdruckspannungen im Beton Bei einigen Versuchen an Durchlaufträgern wurde im Bereich unmittelbar vor den Innenstützen ein Betondruckversagen beobachtet, was durch Abplatzungen und einem Ablösen zunächst der seitlichen Betondeckung bis hinein in die Biegedruckzone eingeleitet wurde. Dabei kam es auch zum Ablösen der Betondeckung auf der Trägerunterseite in Verbindung mit einem tiefer gehenden lokalen Betonausbruch. Infolge der Querschnittsschwächung in der Biegedruckzone kam es in der Folge zu einem Biegebruch. In diesem Zusammenhang muss allerdings zwischen einem primären und einem sekundären Versagen des Betons unterschieden werden. Ein sekundäres Betonversagen im Bereich der Innenstützen der Durchlaufträger erfolgt, wenn die Bügel mit großen plastischen Dehnungen (10-20 ‰) Fließen, wodurch große Querdehnungen und Zugspannungen in die geneigten Betondruckstreben eingeleitet werden (Bild 8). Dadurch kommt es im Wirkungsbereich der Bewehrung zu einem deutlichen Festigkeitsabfall des Betons, der umso ausgeprägter ist, je flacher die Betondruckstreben geneigt sind. In der Folge löst sich zunächst die Betondeckung außerhalb der Bügel ab, was eine Querschnittsschwächung zur Folge hat. Es besteht dann die Gefahr eines anschließenden Versagens der Biegedruckzone auch innerhalb der Bügel, wie es bei den nachfolgend in Abschnitt 6 beschriebenen Versuchen teilweise zu beobachten war. Bild 8: a) Einleitung von Querzugspannungen in die Druckstreben im Steg; b) Abminderung der Betondruckfestigkeit infolge gleichzeitig auftretender Querzugbeanspruchung (schematisch) Ein primäres Betonversagen liegt vor, wenn die Bügel nicht Fließen oder nur mit geringen plastischen Dehnungen Fließen und es zu einem echten Druckstrebenbruch durch Überschreiten der Druckfestigkeit kommt. DIN EN 1992-2 mit zugehörigem NA sieht zur Vermeidung eines Druckstrebenbruchs eine Interaktionsbedingung für Querkraft und Torsion vor. Da die Hauptdruckspannungen im Beton auch vom gleichzeitig wirkenden Biegemoment M beeinflusst werden, stellt sich die Frage, ob das Biegemoment ebenfalls dabei berücksichtigt werden muss. Um all diesen Fragen nachzugehen, wurden in einer Versuchsreihe entsprechend konzipierte Versuche durchgeführt [3]. 6. Verifikation der Bemessungsmodelle durch Versuche 6.1 Versuchsprogramm Das hier vorgestellte Versuchsprogramm zur Verifikation der in Abschnitt 3 und 4 vorgestellten Bemessungsmodelle durch Versuche umfasst in Summe vier großformatige Durchlaufträger mit kombinierter Beanspruch aus Biegung, Querkraft und zusätzlicher Torsion, die an der TU Dortmund im Rahmen eines Forschungsvorhabens der BASt [1] getestet wurden. Wie bereits teilweise in [4] vorgestellt, wurden an jedem der zweifeldrigen Spannbetonträger zwei Teilversuche durchgeführt. Dazu weisen die 62 5. Brückenkolloquium - September 2022 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) beiden Felder unterschiedliche Querkraft- und Längsbewehrungsgrade o-der unterschiedlichen Bewehrungsformen für die Torsionsbügel auf. Eine Übersicht über das Versuchsprogramm der Versuche mit kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion an Durchlaufträgern ist in Tabelle 1 dargestellt. Grundlage für die Versuche mit kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion stellen Versuche mit reiner Querkraftbiegung dar [6], [7], die hinsichtlich der Trägergeometrie, der Bewehrung (bis auf die zusätzliche Torsionsbügel und Torsionslängsbewehrung) sowie dem Vorspanngrad in Übereinstimmung mit den Versuchen unter kombinierter Beanspruchung sind. Sie können als Referenzversuche mit bekannter Versuchstraglast herangezogen und den Versuchstraglasten aus den Versuchsträgern DLT 5-DLT -8 gegenübergestellt werden (Tabelle 2). Die Versuchslasten der Versuchsträger DLT 5 - DLT 7 wurden durch zwei kraftgesteuerte hydraulische Pressen mit einer Kapazität von 2,0 MN aufgebracht. Die Einzellasten sind jeweils in einem Abstand von 3,50 m von der Innenstützte exzentrisch zur Längsachse des Trägers angeordnet. Dadurch entsteht im Bereich zwischen Lasteinleitung und Innenstütze eine konstante Torsionsbeanspruchung mit wechselndem Vorzeichen an der Innenstütze, vergleich bar mit der Beanspruchung an den Innenstützten von Plattenbalkenbrücken mit Querträgern. Der Versuchsträger DLT 8 wurde durch eine Streckenlast beansprucht. Auf Grund der Vielzahl an Einzellasten kann dabei in guter Näherung von einer Streckenbelastung ausgegangen werden. Die so belasteten Balken wurden über nachträglich anbetonierte Querträger an der Innenstütze zur Aufnahme der Torsion ins Gleichgewicht gesetzt. Während bei den Versuchsträgern DLT 5-DLT 7 primär das Bemessungskonzept für eine kombinierte Beanspruchung aus M+V+T (vgl. Abschnitt 3) verifiziert werden sollte, wurde bei dem Versuchsträger DLT 8 zusätzlich der direkte Vergleich einer unterschiedlichen Verankerung der Bügelbewehrung in der Gurtplatte getestet (vlg. Abschnitt 4). Hierzu wurde ein Feld mit offenen und ein Feld mit nach Norm geschlossenen Bügeln ausgeführt (Bild 9). Die offenen Bügel wurden durch die Querbewehrung der Gurtplatte geschlossen. Tabelle 1: Versuchsprogramm - Kombinierte Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion Versuch Querschnitt Längsbewehrung Querkraftbewehrung ρ w,geo / ρ w,min [‰] Belastung Beton Vorsp. s cp [MPA] Feld 1 Feld 2 DLT 5 T A s,o =14Ø12+2Ø20 A s,u,Feld = 3Ø16+2Ø20 A s,u,Stütz = A s,u,Feld +2Ø20 A s,Steg = 4Ø12 je Seite 1,03 (Ø8/ 20) (a sw,V+T ) 1,66 (Ø10/ 20) (a sw,V+T ) M+Q+T Einzellast exzentrisch C35/ 45 3,3 DLT 6 T A s,o = 16Ø12 A s,u,Feld = 3Ø16+2Ø20 A s,u,Stütz = A s,u,Feld +2Ø20 1,03 (Ø8/ 20) (a sw,V+T ) 1,66 (Ø10/ 20) (a sw,V+T ) M+Q+T Einzellast exzentrisch C35/ 45 3,3 DLT 7 T A s,o =14Ø12+2Ø20 A s,u,Feld = 3Ø16+2Ø20 A s,u,Stütz = A s,u,Feld +2Ø20 A s,Steg = 4Ø16 je Seite 1,74 (Ø8/ 10) (a sw,V+T ) 2,72 (Ø10/ 10) (a sw,V+T ) M+Q+T Einzellast exzentrisch C35/ 45 3,3 DLT 8 T A s,o =14Ø12+2Ø20 A s,u,Feld = 3Ø16+2Ø20 A s,u,Stütz = A s,u,Feld +2Ø20 A s,Steg = 4Ø16 je Seite 1,74 (Ø8/ 10) (a sw,V+T ) 1,74 (Ø8/ 10) (a sw,V+T ) M+Q+T Streckenlast exzentrisch C35/ 45 3,3 5. Brückenkolloquium - September 2022 63 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) Feld- und Stützquerschnitt - Feld 1 - offene Bügel, geschlossen durch die Querbewehrung im Gurt Feld- und Stützquerschnitt - Feld 2 -Bügel geschlossen mit Steckbügeln Bild 9: Querschnittsgeometrie und Bewehrung Versuchsträger DLT 8 6.2 Versuchsergebnisse 6.2.1 Last-Durchbiegungskurven In Bild 10 sind die Last-Durchbiegungskurven der Träger DLT 5 bis DLT 8 jeweils für den ersten Teilversuch, bis zum Einbau der Verstärkung des schwächer bewehrten Feldes und den zweiten Teilversuch, bis zum Bruch des stärker bewehrten Feldes, dargestellt. Versagen der Versuchsträger DLT 5 und DLT 6 trat jeweils im stärker bewehrten Feld an der Lasteinleitung durch Bruch der Druckzone ein. Bei dem Versuchsträger DLT 7 trat das Versagen an der Innenstütze durch Druckstrebenbruch in Feld 2 auf. Bei DLT 8 waren beide Felder für die gleiche Traglast ausgelegt und unterschieden sich lediglich hinsichtlich der konstruktiven Ausbildung der Bügel (Bild 9). Da sich bis zum Eintreten der Bruchlast keine Unterschiede im Tragverhalten anhand von Rissbildung, Dehnungsmessungen oder Verformungen erkennen ließen, kam es zu keiner Verstärkung des vermeintlich konstruktiv schwächer ausgebildeten Feldes 1 mit offenen Bügeln, die über die Bewehrung der Gurtplatte geschlossen wurden. Das Bemessungskonzept aus Abschnitt 3 für die Bewehrung konnte bei Versuchsträger DLT 5 durch das Erreichen von 97 % der Traglast im Vergleich zu den Referenzversuchen bestätigt werden. Der Versuchsträger DLT 6 konnte dagegen erwartungsgemäß nur ca. 90 % der Traglast der Referenzversuche erreichen (Tabelle 2), da DLT 6 gänzlich ohne zusätzliche Torsionslängsbewehrung ausgeführt worden war. Dies hatte gegenüber dem Referenzversuch einen Abfall der Versuchstraglast um 10 % zur Folge. Das endgültige Versagen trat bei beiden Trägern in Feld-2 nahe der Lasteinleitungsstelle letztlich durch den Bruch der stark eingeschnürten Betondruckzone auf. Primäre Ursache für das Versagen war das Fließen der Bewehrung in Verbindung mit großen Stahldehnungen (vgl. Abschnitt 5). Bei dem Versuchsträger DLT 7 kam es durch die starke Vergrößerung der Exzentrizität infolge der überproportional zunehmenden Bauteilverformungen, ausgehend von 11,3 cm (Feld 1) bzw. 15,0 cm (Feld 2), zu Effekten nach Theorie II. Ordnung, wodurch das Torsionsmoment stark überproportional vergrößert wurde. In Feld 1 konnte die Traglast des Referenzversuchsträgers trotz überproportionaler Vergrößerung der Exzentrizität und der damit verbundenen höheren Torsionsbeanspruchung erreicht werden. Das Betondruckstrebenversagen, trat schlussendlich im Bereich der Innenstütze des durch Torsion wesentlich höher belasteten Feld 2 auf. Die Auswertungen für das Feld 2 sind noch nicht abgeschlossen. Daher fehlt die entsprechende Zeile in Tabelle 2 64 5. Brückenkolloquium - September 2022 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) Bild 10: Experimentell bestimmte Last- Durchbiegungskurven - DLT 5-8 6.2.2 Versuchstraglasten Eine Übersicht über die erreichten Traglasten im Vergleich zu den Referenzversuchsträgern aus [1] gibt Tabelle 2. Tabelle 2: Experimentell ermittelte Versuchstraglasten Versuchsträger Versuchstraglast Referenz-versuch Abweichung Versuchsträger Versuchstraglast Referenzversuch Abweichung DLT 5 - Feld 1 1549 kN 1607 kN -3,2 % DLT 5 - Feld 2 1792 kN 1798 kN -0,2 % DLT 6 - Feld 1 1453 kN 1607 kN -9,2 % DLT 6 - Feld 2 1688 kN 1798 kN -6,1 % DLT 7 - Feld 1 1603 kN 1607 kN -0,25 % DLT 8 - Feld 1 522 kN/ m 413 kN/ m 26,4 % DLT 8 - Feld 2 522 kN/ m 413 kN/ m 26,4 % Beim Streckenlastversuch DLT 8 wurde die Traglast des Referenzversuchs entsprechend dem Bemessungsvorschlag für die zusätzliche Torsionsbewehrung nicht nur erreicht, sondern wie aus Tabelle 2 ersichtlich, sogar um 26,4 % übertroffen. Diese höhere Versuchstraglast lässt sich allerdings auf die deutlich geringere Druckfestigkeit des Referenzversuchsträgers zurückführen. Bei dem Referenzversuchsträger wurde die Zielfestigkeit des bestellten Betons der Festigkeitsklasse C35/ 45 auf Grund der mangelhaften Qualität des Transportbetons nicht erreicht (f cm = 26,7 MN/ m²). Dieser Fehler konnte erst nach Erhärtung und Prüfung der ersten Probekörper bemerkt werden, wodurch der gesamten Versuchsbalken eine um 53 % reduzierten Druckfestigkeit gegenüber dem angestrebten Wert aufwies. Dieser Problematik geschuldet, kam es bei dem Versuchsträger DLT 8 mit f cm = 48,9 MN/ m² noch nicht zum Fließen der Bügelbewehrung als die Versagenslast des Referenzversuchsträgers erreicht war. Erst bei weiterer Steigerung der Last wurde die Streckgrenze der Bügelbewehrung erreicht, die plastischen Dehnungen nahmen zu und in der Folge kam es unter einer deutlich höheren Laststufe als beim Referenzversuch auf Grund einer Querschnittsschwächung durch Abplatzen der seitlichen Betondeckung ebenfalls zu einem sekundären Druckstrebenversagen. Primäre Versagensursache war das Fließen der Bügel. 6.2.3 Rissbilder In Bild 11 sind die Rissbilder der Versuchsträger im Bruchzustand dargestellt. Im Bruchzustand sind die Versuchsträger über die gesamte Länge gerissen, wobei die kritischen Risse, die im stärker bewehrten Feld zum endgültigen Bruch geführt haben, rot eingezeichnet sind. Während der Versuchsträger DLT 5 durch eine Überbeanspruchung der Bügelbewehrung versagte, zeigte sich 5. Brückenkolloquium - September 2022 65 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) bei dem Versuchsträger DLT 6 ohne zusätzliche Torsionslängsbewehrung eine deutliche Zunahme der Rissbildung bis in den Bereich der Druckzone an der Innenstütze hinein. Dies ließ ein bevorstehendes gleichzeitiges Versagen sowohl der Bügel als auch der Druckzone an der Innenstütze vermuten. Beim Versuchsträger DLT 7 führte letztlich ein Versagen der Druckstreben in Feld 2 zum Bruchzustand. Ursache war ein starker Zuwachs bei der Exzentrizität e infolge von Effekten nach Theorie II. Ordnung durch die unerwartet große Verdrehung des Balkens im Bereich der Lasteinleitung und entsprechende Schiefstellung der Pressen, wodurch die Torsionsmomente stark überproportional anstiegen. Die Auswertung und Quantifizierung der Effekte nach Theorie II. Ordnung in Feld 2 sind, wie bereits erwähnt derzeit noch nicht abgeschlossen. Bei dem Versuch mit Streckenlast (DLT 8) stellt sich ein gänzlich anderen Rissbild ein. Aufgrund der gegenüber den Einzellasten veränderten Schnittgrößenverteilung konzentriert sich die Ausbildung der schrägen Schubrisse im Wesentlichen auf den Bereich der Innenstütze, während sich im Feldbereich hauptsächlich vertikale Biegerisse einstellen. Das Versagen des Trägers DLT 8 erfolgte schlussendlich an der Innenstütze im Feld mit offener Bügelbewehrung infolge eines sekundären Druckzonenversagens. Auf Grund großer plastischer Dehnungen im Zuge des Fließens der Bügelbewehrung (10 - 20‰) kam es zu großen Querdehnungen und Zugspannungen in den geneigten Betondruckstreben und dementsprechend zu einen Festigkeitsabfall des Betons. Durch flächenhafte Betonabplatzungen kam es in der Folge zur Querschnittsschwächung, die schlussendlich das sekundäre Druckzonenversagen eingeleitet hat (Vgl. Abschnitt 5). Bis zum Versagen war kein Einfluss der Bügelbewehrungsform auf das Tragverhalten zwischen den Feldern erkennbar. 7. Torsionssteifigkeit In statisch unbestimmten Systemen ist die Verteilung der Schnittgrößen abhängig von den Steifigkeitsverhältnissen. Bei Plattenbalkenbrücken beeinflusst die Torsionssteifigkeit der Längsträger sowohl die Querverteilung als auch die absolute Größe der Torsionsmoment der Hauptträger. Daher ist es bei der Nachrechnung von bestehenden Plattenbalkenbrücken von Interesse, die Torsionssteifigkeit der Hauptträger für die Schnittgrößenermittlung im Grenzzustand der Tragfähigkeit aufgrund der Rissbildung abzumindern, um das Tragverhalten möglichst realitätsnah abzubilden. Bild 11: Rissbilder im Bruchzustand (Versagensrisse rot) 66 5. Brückenkolloquium - September 2022 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) Aus durchgeführten Forschungsvorhaben [5] ging in diesem Zusammenhang für die Nachrechnung von Bestandsbauwerken das Ergebnis hervor, dass die Torsionssteifigkeit GI T für die Nachweise im Grenzzustand der Tragfähigkeit bei der Schnittgrößenermittlung von mehrstegigen Plattenbalkenbrücken pauschal auf 40% des linearelastischen Wertes nach Zustand I abgemindert werden darf. Diese Empfehlung fand bereits in der 1. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie Berücksichtigung und stellt derzeit einen unteren Grenzwert für die pauschale Abminderung der Torsionssteifigkeit dar. Anhand der vorgestellten Versuchsträger unter kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion konnte der Abfall der Torsionssteifigkeit durch kontinuierliche Messung der Torsionsmomenten-Verdrillungs-Beziehung (M, ′) analysiert werden und der rechnerischen Torsionssteifigkeit nach Zustand I gegenübergestellt werden. Die rechnerische Torsionssteifigkeit nach Zustand I ist abhängig vom Schubmodul G und dem Torsionsträgheitsmoment I T , die sich wie folgt ermitteln: Dabei ist: für Beton Für gegliederte Vollquerschnitte, wie z.B. bei Plattenbalkenbrücken, setzt sich das Torsionsträgheitsmoment I T entsprechend den Regeln für Rechteckquerschnitte im Verhältnis der Steifigkeiten im Zustand I zusammen (Bild 12). Bild 12: Aufteilung von I T in Einzelquerschnitte Das Torsionsträgheitsmoment nach Zustand I für die Versuchsträger DLT 5 bis DLT 8 ermittelt sich daher wie folgt: Tabelle 1 enthält die rechnerischen Torsionssteifigkeiten GI T(cal) des Zustand I. Anhand der nichtlinearen Torsionsmomenten-Verwindungs-Zuordnung im gerissenen Zustand II kann mithilfe der mechanischen Zusammenhänge aus den Versuchen eine Tangenten- und Sekanten-Torsionssteifigkeit bestimmt werden. Dabei ist der grundsätzliche Unterschied zwischen Sekanten- und Tangentensteifigkeit von Bedeutung. Die unterschiedlich definierten Torsionssteifigkeiten werden in Bild 14 und Bild 15 veranschaulicht. Bild 13: Torsionsmoment I T und Widerstandsmoment W T für Rechteckquerschnitte mit linear-elastischem Werkstoff Tabelle 3: rechnerische Torsionssteifigkeit im Zustand I - DLT 5-8 f cm [MN/ m²] E cm [MN/ m²] G [MN/ m²] I T [m4] GI T(cal) [MNm²] DLT 5 46,31 34.844 14.518 8,498 × 10 -3 123 DLT 6 46,46 34.878 14.533 8,498 × 10 -3 124 DLT 7 57,53 37.187 15.495 8,498 × 10 -3 132 DLT 8 56,40 36.966 15.403 8,498 × 10 -3 131 5. Brückenkolloquium - September 2022 67 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) Bild 14: Tangentensteifigkeit Bei der Tangentensteifigkeit wird die zugehörige aktuelle Steifigkeit zu einer schrittweisen Laststeigerung ermittelt, wie sie im Brückenbau z. B. für die Ermittlung der Querverteilung einer Plattenbalkenbrücke bei der Steigerung von 1,0-fachen auf g-fache Lasten erforderlich ist. Die Sekantensteifigkeit beschreibt die zu einer bestimmten Laststufe zugehörige Endsteifigkeit, wie es z.B. für die Verformungsberechnung unter einer bestimmten Laststufe von Interesse ist. Bild 15: Sekantensteifigkeit Die für einen Trägerabschnitt in Längsrichtung dargestellte Torsionsmomenten- Verwindungs- Beziehung, exemplarisch für den Versuchsträger DLT 5, weist ähnlich den Momenten-Krümmungs-Linien bei Biegebeanspruchung drei charakteristische Phasen auf: den ungerissenen Zustand I, den gerissenen Zustand II und den plastischen Bereich durch das Fließen der Bewehrung (Bild 16). Bei allen Versuchsträgern ist ein deutlicher Übergang vom linearelastischen ungerissenen Zustand I in den gerissenen Zustand II zu erkennen. Auch der Übergang zum Fließen der Bewehrung unter deutlicher Zunahme der Verdrehung bei nur noch sehr geringer Laststeigerung ist deutlich für alle Versuchsträger zu erkennen. Zur Quantifizierung des Abfalls der Torsionssteifigkeit wurde die Entwicklung der effektiven Torsionssteifigkeit in Abhängigkeit vom Torsionsmoment anhand der im Versuch ermittelten Verdrillung auf Basis von Differenzenquotienten in Bild 17 sowohl für die Tangentenals auch für die Sekantensteifigkeit exemplarisch für den Versuchsträger DLT 5 gegenübergestellt. Bild 16: Torsionsmomenten-Verwindungs-Beziehung - exemplarisch für DLT 5 (Feld 1) Zu erkennen ist, dass die Torsionssteifigkeit der Versuchsträger bereits im Zustand I auf Werte zwischen 85- 90% der Torsionssteifigkeit nach Elastizitätstheorie bedingt durch eine Mikrorissbildung reduziert wurde. Wie in Bild 17 zu erkennen erfolgt der Abfall der Torsionssteifigkeit im gerissenen Zustand II bei 40-60 % der Traglast zunächst aufgrund von Biegerissen. Durch fortschreitende Biege- und Torsionsrissentwicklung setzte sich der Abfall der Torsionssteifigkeit bis zu einem Lastniveau von etwa 60-80 % der Traglast auf 20-60 % des Ausgangswertes fort. Es wird deutlich, dass der Unterschied von Tangenten- zur Sekantensteifigkeit mit zunehmendem Torsionsmoment T größer wird. Bild 17: Entwicklung der effektiven Torsionssteifigkeit - (beispielhaft für den Versuchsträger DLT 5) 8. Fazit und Ausblick Im vorliegenden Beitrag wurden erweiterte Ansätze und konstruktive Details thematisiert, die im Rahmen der Bewertung bestehender Spannbetonbrücken durch eine Nachrechnung bei einer kombinierten Beanspruchung für Nachweisformate der Stufe 2 und 4 von großem Interesse sind. Zum einen wurde durch einen Bemessungsvorschlag zur Ermittlung der Torsionslängsbewehrung bei überwiegender Biegung gezeigt, dass im Zuge einer genaueren Nachweisführung unter Berücksichtigung von Interaktionsbedingungen Tragfähigkeitsreserven aktiviert werden können. 68 5. Brückenkolloquium - September 2022 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) Dabei wurden Ergebnisse von insgesamt vier Versuchsträgern mit kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion vorgestellt über die der Ansatz für die Bestimmung der Torsionslängsbewehrung verifiziert werden konnte. Aufgrund unterschiedlicher Torsionsbügel- und -längsbewehrung in beiden Felder, konnten acht verschiedene Varianten hinsichtlich der Torsionsbewehrung und Größe der Torsionsmomente experimentell untersucht werden. Alle Versuchsträger wurden mit dem vorgestellten erweiterten Bemessungsmodell für die Torsionsbügel- und Torsionslängsbewehrung bei kombinierter Beanspruchung ausgelegt. Bei dieser Vorgehensweise wird für überwiegend biegebeanspruchte Bauteile der positive Effekt aus der Überdrückung der Torsionslängszugkräfte im Bereich der Biegedruckzone infolge Biegung, sowie der Tragwirkung der Spannglieder entsprechend ihrer Lage im Querschnitt bei der Bemessung berücksichtigt. Auf diese Weise kann die Längsbewehrung gegenüber einer Bemessung bei reiner Torsion unter Ausnutzung der Tragreserven der Spannglieder deutlich reduziert werden. Durch den Versuchsträger DLT 7 mit deutlich erhöhter Exzentrizität aufgrund von Effekten nach Theorie II. Ordnung konnte das erweiterte Bemessungsverfahren für Feld 1 des Versuchsträgers mit einem M/ T-Verhältnis < 10 ebenfalls verifiziert werden. Die Auswertung und Quantifizierung der Effekte nach Theorie II. Ordnung für das Feld 2 sind noch nicht abgeschlossen. Darüber hinaus wurde gezeigt, dass die aus dem analytischen Druckbogenmodell ermittelte Bügelbewehrung für Querkraft mit der vollen Torsionsbügelbewehrung nach EC2 überlagert werden muss, für die gesamte erforderliche Bügelbewehrung unter der kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion. Um die Grenzen der Anwendbarkeit und Gültigkeit dieses Bemessungsvorschlages weiter zu verifizieren, werden derzeit weitergehende Untersuchungen mit experimentellem Fokus vorangetrieben über deren erste Ergebnisse in einem weiteren Beitrag berichtet wird [3]. Zusätzlich konnte durch den Versuchsträgers DLT 8 bestätigt werden, dass die Torsionsbügel auch durch die Querbewehrung in der Gurtplatte geschlossen werden können. Der umfassende Einsatz von Messtechnik bildet die Basis für noch folgende weitergehende Untersuchungen hinsichtlich des Tragverhaltens von vorgespannten Durchlaufträgern bei kombinierter Beanspruchung. Dabei soll besonderes Augenmerk auch auf die ergänzende Simulationsberechnung mittels der nichtlinearen FEM, zum besseren Verständnis des Tragverhaltens gelegt werden. Abschließend wurde gezeigt, dass die Abminderung der Torsionssteifigkeit GI T für die Nachweise im Grenzzustand der Tragfähigkeit auf 40 % des linearelastischen Wertes nach Zustand I bei der Schnittgrößenermittlung im Zuge der Nachrechnung von Plattenbalkenbrücken berechtigt ist. Damit kann das Tragverhalten zutreffend und realitätsnah abgebildet werden. Literaturverzeichnis [1] Hegger, J.; Maurer, R.; Fischer, O.; Zilch, K. et. al.: Beurteilung der Querkraft- und Torsionstragfähigkeit von Brücken im Bestand - erweiterte Bemessungsansätze, Schlussbericht zu BASt FE 15.0591/ 2012/ FRB, 2018. [2] Leonhardt, F.: Vorlesungen über Massivbau - Teil 1 Grundalgen zur Bemessung im Stahlbetonbau, Springer Verlag, 1984 [3] Lavrentyev, V.; Stakalies, E.; Maurer, R.: Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion. Beitrag zum Tagungsband des 5. Brückenkolloquium der TAE, Esslingen, September 2022 [4] Stakalies, E.; Maurer, R.: Zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung. Beitrag zum Tagungsband des 4. Brückenkolloquiums der TAE, Esslingen, September 2020 [5] Hegger, J.; Maurer, R.; Zilch, K.; Rombach, G.: Beurteilung der Querkraft und Torsionstragfähigkeit von Brücken im Bestand - kurzfristige Lösungsansätze. Schlussbericht zu BASt FE 15.0482/ 2009/ FRB, 2014.TAE 2020, ES [6] Maurer, R.; Gleich, P.; Zilch, K.; Dunkelberg, D.: Querkraftversuche an einem Durchlaufträger aus Spannbeton. Beton- und Stahlbetonbau (2014), Heft 10. [7] Gleich, P; Maurer, R.: Querkraftversuche an Spannbetondurchlaufträgern mit Plattenbalkenquerschnitt, In: Bauingenieur 93 (2018), Heft 2.