Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
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2022
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Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring
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2022
Andreas Jansen
Karsten Geißler
Methoden aus dem Bereich des maschinellen Lernens (ML) versprechen großes Potenzial für die Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring. Mittels einer Anomalieerkennung auf Grundlage von ML-Methoden können Veränderungen in den Signalen durch Bauwerksschäden oder Fehler im Messsystem identifiziert werden. Im vorliegenden Artikel wird ein Ansatz zur Anomalieerkennung mit einem Temporal Convolutional Autoencoder untersucht. Temporal Convolutional Networks (TCN) sind eine Art von neuronalen Netzen, die speziell für die Anwendung auf Zeitreihen ausgelegt sind. Der verwendete Autoencoder kann entsprechend Sensorsignale direkt verarbeiten, ohne dass eine Extraktion von Merkmalen, wie z. B. Eigenfrequenzen, für die Strukturüberwachung notwendig ist. Die Anomalieerkennung wird mit simulierten Dehnungssignalen einer stählernen Straßenbrücke unter realitätsnaher Verkehrs- und Temperatureinwirkung untersucht. Ein Ermüdungsriss im Haupttragwerk wird mit der vorgestellten Methodik erkannt und lokalisiert. Außerdem erfolgt die Identifikation von zwei simulierten Sensorfehlfunktionen.
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5. Brückenkolloquium - September 2022 125 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring Andreas Jansen Fachgebiet Entwerfen & Konstruieren - Stahlbau, Technische Universität Berlin, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Karsten Geißler Fachgebiet Entwerfen & Konstruieren - Stahlbau, Technische Universität Berlin, Deutschland Zusammenfassung Methoden aus dem Bereich des maschinellen Lernens (ML) versprechen großes Potenzial für die Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring. Mittels einer Anomalieerkennung auf Grundlage von ML-Methoden können Veränderungen in den Signalen durch Bauwerksschäden oder Fehler im Messsystem identifiziert werden. Im vorliegenden Artikel wird ein Ansatz zur Anomalieerkennung mit einem Temporal Convolutional Autoencoder untersucht. Temporal Convolutional Networks (TCN) sind eine Art von neuronalen Netzen, die speziell für die Anwendung auf Zeitreihen ausgelegt sind. Der verwendete Autoencoder kann entsprechend Sensorsignale direkt verarbeiten, ohne dass eine Extraktion von Merkmalen, wie z.-B. Eigenfrequenzen, für die Strukturüberwachung notwendig ist. Die Anomalieerkennung wird mit simulierten Dehnungssignalen einer stählernen Straßenbrücke unter realitätsnaher Verkehrs- und Temperatureinwirkung untersucht. Ein Ermüdungsriss im Haupttragwerk wird mit der vorgestellten Methodik erkannt und lokalisiert. Außerdem erfolgt die Identifikation von zwei simulierten Sensorfehlfunktionen. 1. Einleitung Die Strukturüberwachung durch Bauwerksmonitoring, engl. Structural Health Monitoring (SHM), kann insbesondere bei nicht für heutige Verkehrslasten ausgelegte Bestandsbrücken ein wichtiger Bestandteil eines modernen und digitalen Erhaltungsmanagements werden. Durch die Strukturüberwachung soll ein Bauwerksschaden zum frühestmöglichen Zeitpunkt erkannt werden. Dies kann den schlimmsten Fall des Brückeneinsturzes verhindern, v.-a. wird aber eine bessere Planbarkeit von Erhaltungsmaßnahmen erreicht. Konzeptionell wird die Schadenserkennung bei der Strukturüberwachung in fünf Stufen entsprechend Abb.-1 kategorisiert [1]. Abb.-1: Konzeptionelle Stufen der Schadenserkennung bei der Strukturüberwachung nach [1] Umfassende Forschung existiert vorrangig auf dem Gebiet der schwingungsbasierten Schadenserkennung [2]. Bei diesen Verfahren werden üblicherweise Beschleunigungsaufnehmer eingesetzt, um die Modaleigenschaften (Eigenfrequenzen, Schwingungsformen und modale Dämpfungen) einer Brücke zu bestimmen. Die Schwingungseigenschaften zeigen dabei Abhängigkeiten von äußeren Einflüssen, in erster Linie von der Bauwerkstemperatur, v. a. infolge temperaturabhängigen Steifigkeitseigenschaften des Asphaltbelags, aber auch die Wind- und Verkehrseinwirkung können eine Rolle spielen [3]. Für eine Schadenserkennung (Stufe 1) können die Abhängigkeiten der Schwingungseigenschaften in numerischen Modellen aus dem Bereich des maschinellen Lernens (ML) erfasst werden. Die Eigenfrequenzen werden dabei beispielsweise durch Regressionsmodelle anhand der Bauwerkstemperatur vorhergesagt [3], [4]. Die Schadenserkennung erfolgt dann durch eine Anomalieerkennung auf Grundlage des Vergleichs zwischen gemessener und vorhergesagter Eigenfrequenzen. Entsprechende Regressionsmodelle basieren dabei nur auf den Daten, d. h. es werden keine Annahmen über die physikalischen Eigenschaften des Bauwerks, wie z. B. dem E-Modul, getroffen. Für eine Lokalisierung eines Schadens (Stufe-2) kommen beispielsweise Methoden zum Einsatz, die Schwingungsformen betrachten [5]. Für die höheren Stufen der Schadenserkennung sind physikalische Modelle der Brücke nötig. Hier werden u.-a. Ansätze verwendet, die eine iterative Anpassung von Finite Elemente (FE)-Modellen anhand der Messdaten vornehmen (FE-Update) [6]. Die schwingungsbasierte Strukturüberwachung konnte sich bisher allerdings nicht in der Praxis durchsetzen, v.- a. da die Veränderungen von Eigenfrequenzen, die durch Schäden der Struktur hervorgerufen werden, meist nur sehr gering sind [2]. Neuere Entwicklungen zeigen sich in der Forschung durch den verstärkten Einsatz von ML- und Deep-Learning-(DL-)Modellen sowie u.-a. durch Methoden auf Basis von Dehnungs- [7],-[8],-[9], Neigungs--[10] oder Schallemissionsmessungen-[11]. 126 5. Brückenkolloquium - September 2022 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring 2. Anomalieerkennung mit Autoencoder für die Strukturüberwachung von Brücken 2.1 Konzept Für die Strukturüberwachung wird angenommen, dass die Messdaten der ungeschädigten Struktur den normalen Ausgangszustand darstellen. Ein Modell zur Anomalieerkennung erfasst die Abhängigkeiten in den Messdaten. Anhand dieses Modells sollen Abweichungen der Abhängigkeiten, infolge von Veränderungen des Tragverhaltens durch einen Bauwerksschaden sowie Fehler des Messsystems, u.-a. Sensordefekte, als Anomalien bzw. Neuheiten frühzeitigt erkannt werden (s. Abb.-2). Abb.-2: Schema der Anomalieerkennung zur Schadenserkennung anhand von Messdaten einer Brücke Die im vorliegenden Artikel betrachteten Modelle sind Autoencoder, eine spezielle Architektur für neuronale Netze, die bei der Anomalieerkennung in die Kategorie der Rekonstruktionsmethoden fällt [12]. Der Auf bau eines Autoencoder besteht aus einer Funktion f e (x), die eine Transformation der Daten x auf eine Variable ξ * in einen Raum mit geringerer Dimension durchführt. Diese Funktion wird Encoder genannt. Die Variable ξ * enthält die wesentliche Information der Daten und wird auch als Code oder latente Repräsentation bezeichnet. Eine zweite Funktion f d (x), der Decoder, ermittelt eine Rekonstruktion x̂ der Daten anhand der latenten Repräsentation. Die Annahme bei der Rekonstruktion ist, dass normale Daten eine gewisse Korrelationsstruktur aufweisen bzw. formal in einem gewissen topologischen Raum liegen - im einfachsten Fall einer Linie oder Ebene. Als Anomaliewert wird bei Autoencodern üblicherweise ein Rekonstruktionsfehler ε betrachtet, der die Abweichungen zwischen neuen Messdaten x und der Rekonstruktion des Modells x̂ bewertet, z. B. die Summe der quadrierten Residuen. Liegt der Anomaliewert eines Datenpunkts oberhalb einer definierten Schwelle, wird dieser als anomal gekennzeichnet. Je nachdem, welche Arten von neuronalen Netzen verwendet werden, können Autoencoder quasi auf beliebige Daten angewendet werden. So ist es möglich, die Abhängigkeiten von Merkmalen, wie z. B. Eigenfrequenzen, mit Autoencoder abzubilden. Mit mehrschichtigen Neuronalen Netzen (Deep Learning) können aber die Zeitreihen der Sensoren auch direkt im Modell verarbeitet werden - eine Extraktion von Merkmalen entfällt. Weiterhin ist es möglich, verschiedene Merkmale oder auch Signale unterschiedlicher Sensoren in einem Autoencodermodell zu kombinieren. Im Gegensatz zu Regressionsmodellen werden die Abhängigkeiten der Daten implizit betrachtet, ohne dass eine Einflussgröße, z.-B. Temperatur, und eine Zielgröße, z.-B. eine Eigenfrequenz explizit definiert werden müssen. Die Parameter eines Autoencoders werden in einer Lernphase durch einen Optimierungsalgorithmus anhand von Trainingsdaten bestimmt, s. [13]. Ein übliches Vorgehen ist es, einen Teil der Trainingsdaten als Testdaten zu verwenden, um die Güte des Modells zu prüfen. Die Daten der Lernphase decken dabei möglichst den gesamten realistischen Wertebereich ab. Wegen des zumeist großen Einflusses der Temperatur bei der Strukturüberwachung von Brücken bedeutet dies, dass die Lernphase mindestens einen Sommer und einen Winter beinhalten sollte. Bei den Messdaten einer Brücke in der Lernphase sollten keine Beispiele für anomale Daten vorliegen. Damit fällt die Anomalieerkennung grundsätzlich in die Kategorie des unbetreutem Lernens. Implizit wird die Annahme getroffen, dass alle Daten der Lernphase normal sind, also das Bauwerk ungeschädigt ist. Manche Autoren nutzen deshalb auch die Bezeichnung semi-betreut. Ob die Annahme eines ungeschädigten Ausgangszustandes auch wirklich zutreffend ist, muss bei Praxisanwendungen auf Grundlage der Bauwerksprüfung und einer ersten Analyse der Messdaten bestätigt werden. 2.2 Stand der Forschung Erste Anwendungen mit Rekonstruktionsmethoden zur Strukturüberwachung von Brücken betrachten Eigenfrequenzen als Merkmale. Beispielsweise wird in [14] die Hauptkomponentenanalyse, engl. Principal Component Analysis (PCA), für die Schadenserkennung anhand von Eigenfrequenzen betrachtet. Die PCA wird dabei als lineares Rekonstruktionsmodell ähnlich zu einem Autoencoder verwendet. In einer anderen frühen Veröffentlichung wird ein Autoencoder, in diesem Fall als Auto-Associative Neural Network (AANN) bezeichnet, auf die Parameter eines Autoregressionsmodells als Merkmale angewendet [15]. Eine Schadenserkennung wird anhand von Beschleunigungsmessdaten eines Hochbaumodells im Labor demonstriert. Die Autoren des vorliegenden Artikels untersuchen in einer anderen Veröffentlichung ebenfalls, wie ein Autoencoder auf extrahierte Merkmale einer Brücke zur Schadenserkennung angewendet werden kann [8]. Es werden vier Signalmerkmale untersucht, u.- a. zwei Arten von Verhältniswerten von Dehnungs- und Wegsignalen, die als Rbzw. M-Signatur definiert werden. Die Schadenserkennung wird mit simulierten 5. Brückenkolloquium - September 2022 127 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring Daten verifiziert. In realen Messdaten einer Brücke kann ein Fehler im Messsystem identifiziert werden. Veröffentlichungen mit Autoencodern, die DL-Ansätze mit wenigen Vorverarbeitungsschritten nutzen, finden sich im Bereich der Strukturüberwachung erst seit wenigen Jahren. In [16] wird beispielsweise ein 2-D Convolutional-Network-(CNN-)Autoencoder mit Beschleunigungsmessungen an einer kleinmaßstäblichen einfeldrigen Modellbrücke verwendet. CNNs werden häufig für Anwendungen mit Bilddaten (2-D) verwendet, z.-B. Computer Vision. In der Veröffentlichung werden die Signale zunächst mittels Wavelet-Transformation in die Zeit-Frequenz-Domäne übertragen. Der Autoencoder wird darauf hin auf die Bilddaten der Zeit-Frequenz- Darstellung angewendet. Das Lösen einer Schraubverbindung wird mit dem Modell erkannt und anhand der Sensorposition mit dem größten Fehlerwert lokalisiert. Eine direkte Anwendung eines 1-D-CNN-Autoencoders auf ambiente Beschleunigungssignale erfolgt in [17]. Die Anomalieerkennung wird hier anhand der latenten Repräsentation realisiert. Der beschriebene Ansatz wird mit simulierten Daten eines Hochbaus, eines kleinmaßstäblichen Brückenmodells sowie realen Daten der Tianjin- Yonghe-Brücke unter Schädigung demonstriert. Eine Anwendung, die explizit die Beschleunigungsantwort einer Brücke während Überfahrten von Fahrzeugen betrachtet, findet sich in [18]. Für eine einfeldrige Spannbeton-Straßenbrücke werden Überfahrten einzelner Fahrzeuge sowie zeitgleiche Überfahrten mehrerer Fahrzeuge simuliert. Als Schaden wird der Ausfall eines externen Spannglieds berücksichtigt. Ein CNN-Autoencoder wird direkt auf die simulierten Beschleunigungssignale angewendet. Deutlich verlässlichere Ergebnisse werden bei der Schadenserkennung unter der isolierten Betrachtung einzelner Überfahrten erreicht. In [19] werden ebenfalls Beschleunigungssignale während einzelner Fahrzeugüberfahrten sowohl in numerischen Untersuchungen als auch in einem kleinmaßstäblichen Laborversuch betrachtet. Hier wird ein 1-D-CNN-Variational-Autoencoder als Modell verwendet. Eine Schadenslokalisierung wird anhand des Zeitpunktes der Überfahrt (umgerechnet als Fahrzeugposition) mit dem größten Rekonstruktionsfehler erreicht. Ein CNN-Va-riational-Autoencoder wird ebenfalls in [20] zur Schadenserkennung angewendet. Als Signale werden hier Durchbiegungen einer kleinmaßstäblichen Modellbrücke aus Videodaten einer hochauflösenden Kamera extrahiert. Fahrzeugüberfahrten werden durch einen kleinen Modellwagen nachgeahmt. Anstelle eines fest installierten Monitoringsystems werden in [21] die Beschleunigungssignale von Fahrzeugen analysiert. Es wird davon ausgegangen, dass zukünftig Sensorik von Lkw-Flotten auch für die Schadenserkennung bei Brücken verwendet werden kann. Überfahrten von Fahrzeugen werden mit Stabwerksmodellen für eine einfeldrige und eine mehrfeldrige Balkenbrücke simuliert. Die Schadenserkennung erfolgt mit einem Autoencoder-Modell, das CNN- und Long-Short-Term-Memory- (LSTM-)Schichten kombiniert. Durch die LSTM-Schichten werden die Langzeitabhängigkeiten erfasst. Im Vergleich zur beschriebenen Literatur ist die vorgestellte Anwendung eines Autoencoders auf Dehnungssignale sowie die Verwendung von Temporal Convolutional Networks im Kontext der Strukturüberwachung von Brücken ein Novum. 2.3 Temporal Convolutional Autoencoder Temporal Convolutional Networks (TCN) sind eine Weiterentwicklung der CNNs speziell für die Anwendung auf Daten mit Zeitabhängigkeit, wie u.-a. Sensorsignale [22],-[23]. In CNNs und somit auch in TCNs wird die mathematische Operation der Faltung, engl. Convolution, mit sogenannten Filtern verwendet. Bezogen auf digitale Signale für SHM-Anwendungen, soll das Grundprinzip von 1-D-CNNs und TCNs nachfolgend kurz erläutert werden. Die Eingangsgröße einer 1D-Convolutional-Schicht sei ein Signal x mit n t × n S Datenpunkten für n t Zeitschritte und n S Kanälen bzw. Sensoren. Der Filter oder auch Kernel der Länge k sei w mit Dimension k × n S . Die Ausgangsgröße y der Schicht zum Zeitpunkt t berechnet sich dann über die Faltungsoperation nach Gl.-1. Anschaulich kann die Berechnung als das Gleiten des Filters über die Signale angesehen werden (s. Abb.-3). (1) Abb.-3: Exemplarischer Auf bau eines TCN-Blocks mit akausaler Faltung Konkret wird hier eine akausale Faltung betrachtet, d. h. es werden auch zukünftige Werte, z. B. x t+1 in der Berechnung berücksichtigt (s. [23]). Bei einer kausalen Faltung werden nur die Werte in der Vergangenheit verwendet. Weiterhin wird das Signal x am Anfang und Ende mit Nullen ergänzt, sodass die Ausgabe y die gleiche Länge n t in der Zeitdimension hat (same padding). Eine Schicht kann n F verschiedene Filter beinhalten. Die gesamte Ausgabematrix y hat entsprechend die Dimension n t × n F . Zuletzt wird i. d. R. eine nicht-lineare Aktivierungsfunktion auf die Ausgabe angewendet. Die Werte der Filter werden im neuronalen Netz gelernt. Je Filter werden bestimmte Signalanteile verstärkt oder unterdrückt. Auf diese Weise kann das neuronale Netz 128 5. Brückenkolloquium - September 2022 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring Muster in den Signalen identifizieren. Neben Convolutional-Schichten kommen in CNNs im Regelfall sogenannte Pooling-Schichten zur Anwendung (s.-[24]). In Pooling- Schichten werden statistische Kenngrößen wie der Mittelwert oder das Maximum je Fenster mit Länge n P entlang der Zeitdimension berechnet. Durch Pooling wird erreicht, dass die Ausgabe der Schicht invariant gegenüber kleineren Veränderungen der Position der erkannten Muster im Signal ist. Im Rahmen der vorgestellten Arbeit wird keine Überlappung angrenzender Fenster und keine Ergänzung mit Nullen in Pooling-Schichten berücksichtigt, so dass die Ausgabe einer Schicht der Dimension n t / n P entlang der Zeitachse entspricht. Durch eine Pooling-Schicht wird folglich eine Reduktion der Dimension vorgenommen. In einem CNN werden üblicherweise mehrere Blöcke aus Convolutional- und Pooling-Schichten hintereinander verwendet, um komplexe Zusammenhänge in den Signalen zu erfassen. Die Neuerung des TCN besteht aus einem hierarchischen Auf bau von Convolutional-Schichten, um sowohl Kurzzeitals auch Langzeitabhängigkeiten zu erfassen. In Veröffentlichungen wurde gezeigt, dass mit TCNs genauere Ergebnisse erzielt werden als mit LSTM-Netzen, die v.-a. für Zeitreihen gebräuchlich sind [22],-[23]. Die TCNs zeigen dabei Vorteile in der benötigten Rechenleistung. Ein TCN-Block berücksichtigt mehrere Convolutional- Schichten, wobei in jeder Schicht die Faltung über eine größere Ausdehnung (Dilation) betrachtet wird. Exemplarisch ist in Abb.-3 ein TCN-Block mit Ausdehnung d = (1, 2, 4) dargestellt. Bei Filtergröße k = 3 werden im Beispiel zur Berechnung des Ausgangsignals y t im Eingangssignal 15 Datenpunkte berücksichtigt. Die Langzeitabhängigkeiten innerhalb dieses Zeitraums werden entsprechend erfasst. Im vorliegenden Artikel wird ein TCN-Autoencoder in Anlehnung an die Basis-Architektur in [23] verwendet (s. Abb.-4). Encoder und Decoder bestehen dabei aus jeweils einem TCN-Block und einer Convolutional-Schicht. Die Convolutional-Schichten dienen dabei v.-a. dem Zweck, eine gewünschte Dimension der Daten durch lineare Transformation herzustellen. Eine weitere Dimensionsreduktion wird im Encoder durch eine Mittelwert-Pooling-Schicht erreicht. In der Upsampling-Schicht des Decoders werden die Eingangswerte auf die geforderte Länge in der Zeitdimension gebracht (Abtastratenerhöhung, s.-[23]). Weitere Details zum Modellauf bau werden in Abschnitt-4.1 beschrieben. (2) Die Filter w und weitere Parameter des TCN-Autoencoders werden durch Optimierung bzw. Minimierung einer Verlustfunktion anhand von n Signalausschnitten x als Trainingsdaten bestimmt. Als Verlustfunktion wird dabei die durchschnittliche quadratische Abweichung nach Gl.-2 zwischen Signalausschnitt x und Rekonstruktion x̂ = (f d ° f e ) x betrachtet. Zur Minimierung wird der gradientenbasierte ADAM-Algorithmus verwendet (s. [24]). Der Trainingsdatensatz wird während der Minimierung mehrfach dem neuronalen Netz zugeführt. Jeder Durchlauf wird dabei als Epoche bezeichnet. Die Batchgröße gibt an, wie viele Signalausschnitte zur Berechnung des Gradienten berücksichtigt werden. Abb.-4: Verwendete Architektur eines TCN-Autoencoders 3. Simulation von Messdaten Zur Validierung verschiedener Ansätze zur Schadenserkennung wurde am FG Stahlbau der TU Berlin ein simulierter Datensatz für eine einfeldrige Stahlbrücke unter realitätsnahen Verkehrs- und Temperatureinwirkungen mit einem detaillierten FE-Modell erstellt (s.-a.-[7],-[8]). Am realen Bauwerk (Baujahr 1971) wird eine Messanalage unter Verwendung von Dehnmesstreifen (DMS), Beschleunigungsaufnehmern sowie Wegaufnehmern an den Rollenlagern zur Überwachung der Struktur betrieben (s. Abb.-5). Für die Untersuchungen mit dem TCN-Autoencoder sollen die simulierten Signale von 20 DMS an den Stegen der Hauptträger (HT) während Fahrzeugüberfahrten betrachtet werden. Von diesen Sensoren wird mit vier DMS in Feldmitte am realen Bauwerk gemessen. Die weiteren DMS werden zusätzlich in der Simulation angenommen. 5. Brückenkolloquium - September 2022 129 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring Abb.-5: Übersicht zu Bauwerk und Sensorik in Schnitt (links) und Draufsicht (rechts) mit Temperatursensoren T und T UG , Wegaufnehmer b-d und a-d sowie 20 DMS Insgesamt werden Daten für den Zeitraum eines Jahres (Mai 2019-Mai 2020) generiert. Am Ende des Jahres wird ein Ermüdungsriss im Untergurt des HT-b in vier Schadensszenarien mit fortschreitender Risslänge betrachtet. Der Riss liegt bei ca. einem Drittel der Trägerlänge am Ort eines Dickensprungs im Blech des Untergurts und beginnt im Szenario S1 mit einer Risslänge L R von 20 cm (S2: 40 cm, S3: 80 cm). Im Szenario S4 wird ein vollständiger Riss des Blechs des Untergurts angenommen. Der ungeschädigte Ausgangszustand wird mit S0 bezeichnet. Im FE-Modell wird eine Asphaltschicht mit temperaturabhängigem E-Modul berücksichtigt. Der E-Modul variiert dabei in Abhängigkeit der Temperatur am Deckblech T, die als Eingangsgröße aus den Messdaten des realen Bauwerks übernommen wird. Die Signale der Fahrzeugüberfahrten werden mit Hilfe von Interpolationsmodellen generiert. Die Interpolationsmodelle h(x P , y, T) entsprechen dabei Einflussflächen unter zusätzlicher Abhängigkeit von der Temperatur. Die Stützstellen der Interpolationsmodelle werden für ein Raster an Achspositionen in Brückenlängsrichtung x P , -querrichtung y sowie für mögliche Temperaturen T im FE-Modell berechnet. Für jeden Sensor und jedes Schadensszenario werden einzelne Modelle unter Verwendung der Spline-Interpolation erstellt. Je Schadensszenario werden dabei 2520 FE-Lösungen berechnet. (3) Das Signal s k (x P ) eines DMS k während Überfahrten wird entsprechend Gl.-3 aus den Beiträgen der einzelnen Fahrzeugachsen i superponiert. Die Position x P gibt dabei die Position der ersten Fahrzeugachse an. Die Eingangsgrößen für Achslasten P i und -abstände a i werden aus den Daten einer Achslastzählstelle übernommen. Die Spurlage y der Fahrzeuge in Brückenquerrichtung wird normalverteilt variiert und während der Überfahrt als konstant angenommen. Die Standardabweichung s y wird dabei so gewählt, dass 3s y = 0.5 m entspricht (s. Abb.-5). Verkehr wird wie beim realen Bauwerk auch nur auf der Fahrspur (FS)-2 berücksichtigt. Die Signale der DMS werden unter einer angenommenen Fahrzeuggeschwindigkeit v in den Zeitbereich s(t) mit t = x P / v übertragen. Die Geschwindigkeit v wird normalverteilt angenommen mit Mittelwert 30 km/ h und einer Standardabweichung von 5 km/ h. Abb.-6: Darstellung der Signale des DMS b01 während 20 zufällig gewählten Überfahrten Für die Betrachtungen mit dem TCN-Autoencoder wird eine Abtastrate von 10 Hz gewählt. Je Überfahrt wird eine Matrix x von n t × n S Datenpunkten mit n t = 256 Zeitschritten und n S = 20 Sensoren betrachtet. Die maximale Zeitdauer von 25.6 s wird von allen Überfahrten unterschritten. Der Anfangszeitpunkt einer Überfahrt wird zufällig variiert. Den Signalen wird ein normalverteiltes Rauschen mit einer Standardabweichung von 1 µm/ m zugesetzt. Für das betrachtete Jahr wird je halbe Stunde eine einzelne Fahrzeugüberfahrt generiert, was einer Gesamtanzahl von 17 566 Überfahrten entspricht. In Abb. 6 sind die Signale des DMS b01 für einige Überfahrten exemplarisch dargestellt. Zur Einordnung: Die Überfahrt eines 40-t-LKW erzeugt ca. eine Maximalamplitude von 90 µm/ m. Es soll angemerkt werden, dass die Signalgenerierung nach dem beschriebenen Vorgehen auf der Annahme linear-elastischen Materialverhaltens ohne Berücksichtigung von dynamischen Bauwerksreaktionen basiert. Die Schädigungsprozesse werden entsprechend als abgeschlossen angesehen. 130 5. Brückenkolloquium - September 2022 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring 4. Anwendung auf simulierte Messdaten 4.1 Modell zur Anomalieerkennung Für die Untersuchungen mit dem TCN-Autoencoder werden die simulierten Daten in eine Lernphase und eine Anwendungsphase eingeteilt. Die Lernphase umfasst rund 10 Monate von 01.-Mai-2019 bis zum 21.-Februar 2020. Dabei werden nur 85 % der Daten für die eigentliche Modellanpassung verwendet (Trainingsdaten) und 15 % für die Validierung des Modells (Testdaten). Die Anwendungsphase beginnt am 21. Februar und umfasst jeweils zwei Wochen für ein Kontrollszenario S0 im ungeschädigten Zustand und die Schadensszenarien S1-S4. Die Eingangsdaten des TCN-Modells werden anhand des Maximums der Trainingsdaten skaliert. Der Mo-dellaufbau erfolgt entsprechend Abb.- 4. Für die TCN-Blöcke werden jeweils 32 Filter mit Länge k = 5 verwendet. Im Encoder wird die Ausdehnung mit d = (1, 2, 4, 8, 16) spezifiziert und analog im Decoder in umgedrehter Reihenfolge. Es werden Rectified Linear Units (ReLU) als Aktivierung angewendet (s. [24]). Die Convolutional-Schicht im Encoder hat 8 Filter und die im Decoder 20 Filter jeweils mit der Länge k = 1. Die Convolutional-Schichten nutzen eine lineare Aktivierungsfunktion. Die Pooling- Schicht verwendet eine Fensterlänge n P von 16. Die Dimension der Daten je Überfahrt wird im Encoder folglich von 256 × 20 auf 16 × 8 reduziert. Dies entspricht einer Kompression im Verhältnis 40: 1. Das Modell wird für 100 Epochen mit einer Batchgröße von 32 trainiert. Als Abbruchkriterium wird eine Zunahme der Verlustfunktion für die Testdaten in fünf aufeinanderfolgenden Epochen definiert. Dieses Kriterium wird bei 80 Epochen erreicht. Der Wert der Verlustfunktion (Gl.-2) ist nach der Optimierung für Trainings- und Testdaten ähnlich und beträgt rund 4.7e-04. Abb.-7: Dichteverteilung des Anomaliewerts ε der Daten der Lernphase mit Fehlerschwelle ε th Als Anomaliewert ε wird die Summe der quadrierten Residuen als Rekonstruktionsfehler zwischen den simulierten Messdaten x und der Vorhersage des Modells x̂ je Überfahrt betrachtet (Gl. 4). Der Fehler wird dabei mit den skalierten Werten gebildet und ohne Einheiten betrachtet. Die Verteilung des Anomaliewerts der Trainingsdaten kann durch eine Log-Normalverteilung beschrieben werden (s. Abb. 7). Dass der Rekonstruktionsfehler der Testdaten der gleichen Verteilung entspricht, zeigt, dass ungesehene normale Daten durch das Modell ähnlich gut rekonstruiert werden. Als Schwelle ε th zur Anomalieerkennung wird das 99%-Quantil der Log-Normalverteilung mit einem Wert von 0.26 gewählt. (4) 4.2 Verbleibende Abhängigkeiten des Modells Ein Modell zur Anomalieerkennung soll möglichst unabhängig von den Variationen der normalen Betriebsbedingungen einer Brücke sein, sodass es nicht zu Fehlalarmen des Systems kommt, wenn beispielsweise extreme Temperaturen vorliegen oder ein außergewöhnlich schweres Fahrzeug die Brücke quert. Die Verwendung der simulierten Messdaten bietet die Möglichkeit, die Abhängigkeiten des Modells zu untersuchen. In Abb.-8 ist dazu der Anomaliewert der Lernphase den Eingangsgrößen der Simulation gegenübergestellt. Es zeigt sich, dass keine wesentlichen Abhängigkeiten zur Spurlage y, zur Temperatur T und zur Fahrzeuglänge vorliegen. Lediglich in den Randbereichen, bei selten auftretenden Werten für y und besonders großen Fahrzeuglängen zeigt die Trendlinie einen Anstieg. In Bereichen mit wenig Daten ist eine schlechtere Anpassung des Modells möglich, sodass größere Abweichungen hier nachvollziehbar sind. Eine leichte Zunahme der Anomaliewerte ist für steigende Fahrzeuggewichte feststellbar. Überschreitungen der Schwelle treten fast ausschließlich für Fahrzeuge über 25 t auf. Die Trendlinie überschreitet dabei die Schwelle für selten auftretende Fahrzeuge ab 50 t, liegt aber ansonsten darunter. 5. Brückenkolloquium - September 2022 131 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring Abb.-8: Abhängigkeit des Rekonstruktionsfehlers ε der Daten der Lernphase von den Eingangsgrößen der Simulation. Die Trendlinie kennzeichnet den Median je Intervall für jeweils 20 Intervalle entlang der Abzisse. Abb.-9: Zeitliche Darstellung des Anomaliewertes ε für Lern- (links) und Anwendungsphase (rechts) Abb.-10: Signale x und Rekonstruktion x̂ ausgewählter DMS während einer Überfahrt im Schadensszenario S1 Für den überwiegenden Anteil der Daten wird die Abhängigkeit vom Fahrzeuggewicht als vertretbar angesehen. Der maximale Wert für ε von ca. 0.325 ist auf keine Ausfälligkeit in den betrachteten Größen zurückzuführen. Insgesamt wird die Anpassung des Modells als geeignet beurteilt. 4.3 Erkennung des Bauwerkschadens Die Anomalieerkennung mit den simulierten Daten ist in Abb.-9 für die Lern- und Anwendungsphase dargestellt. Neben den Anomaliewerten der einzelnen Überfahrten ist auch der Median je Tag zu sehen. Durch die Betrachtung des Medians werden langfristige Veränderungen in den Daten sichtbar und einzelne hohe Anomaliewerte, die z.-B. durch ein ungewöhnlich schweres Fahrzeug entstehen, fallen nur geringfügig ins Gewicht. Es ist davon auszugehen, dass sich ein Bauwerksschaden, aber auch eine Fehlfunktion des Messsystems, im Regelfall permanent in den Daten niederschlägt. Entsprechend kann der Median je Tag ein aussagekräftiger Indikator sein. Es zeigt sich, dass der Median in der Lernphase relativ konstant ist und dass die Anomaliewerte bis auf vereinzelte Ausnahmen unterhalb der Schwelle liegen. In der Anwendungphase ist zu sehen, dass die Anomaliewerte in allen Schadensszenarien S1-S4 die Schwelle überschreiten. Folglich wird der simulierte Bauwerksschaden erkannt. Die Anomaliewerte steigen dabei mit zunehmendem Schadensausmaß an, dies ist insbesondere am Median sichtbar. Entsprechend kann der Anomaliewert im Beispiel als qualitativer Indikator für das Schadensausmaß betrachtet werden. In Abb.-10 sind die Signale von vier DMS während einer einzelnen Überfahrt im Schadensszenario S1 dargestellt. Für die DMS b01 und b21 in der Nähe des Schadens (vgl. Abb.-5) ist eine deutliche Abweichung zwischen dem Signal x und der Rekonstruktion des Modells x̂ zu sehen. Folglich sind die Umlagerungen im Tragwerk infolge des 132 5. Brückenkolloquium - September 2022 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring Schadens hier messbar. Die DMS am HT-a zeigen keine wesentlichen Abweichungen. Die Ergebnisse aller Überfahrten können für den simulierten Datensatz als binäres Klassifizierungsproblem anhand von Kennzahlen bewertet werden (s. [13]). Die Richtig-positiv-Rate (TPR, für True Positive Rate) oder auch Sensitivität gibt dabei an, in wieviel Prozent der Fälle ein anomales Ereignis, in diesem Fall eine Überfahrt auf der geschädigten Brücke, auch als solches erkannt wird (Gl.-5). Sie ergibt sich aus dem Quotienten der Anzahl der richtig positiven Bewertungen (TP) und der Gesamtanzahl der bekanntermaßen anomalen Ereignisse (P). Die Richtig-negativ-Rate (TNR, für True negative Rate) wird analog gebildet mit TN für richtig negative (normale) Bewertung und N für die Gesamtzahl der normalen Daten. Weitere übliche Maßzahlen sind die Genauigkeit (ACC für Accuracy, s. Gl.-5) und die Fläche unter der Grenzwertoptimierungskurve (AUC für Area Under Curve). Der AUC-Wert gibt dabei unabhängig von der gewählten Schwelle an, wie gut ein Modell anomale und normale Daten unterscheiden kann. Bei einem Modell das zufällig eine Klasse wählt, liegt der Wert bei 0.5. Je näher der Wert bei 1.0 liegt, desto leistungsfähiger ist das Modell. (5) Die Bewertungen der Vorhersagen des TCN-Autoencoders für die einzelnen Szenarien in der Anwendungsphase sind in Tab.-1 zusammengefasst. Im Kontrollszenario S0 werden die Daten bei rund 99 % der Überfahrten als normal klassiert. Da das 99 %-Quantil als Schwelle für die Anomalieerkennung gewählt wurde, liegt dieser Wert im erwartbaren Bereich. Im Szenario S1 bei einer simulierten Risslänge von 20 cm wird der Schaden bereits bei 98 % der Überfahrten erkannt. Bei größeren Risslängen steigt die Rate und in den Szenarien S3 und S4 wird der Schaden bei jeder Überfahrt identifiziert. Für die Genauigkeit und den AUC-Wert werden die Daten von jeweils einem Schadensszenario S1-S4 mit dem Kontrollszenario S0 gemeinsam ausgewertet. Für beide Bewertungsmaße werden im simulierten Beispiel sehr hohe Werte erreicht mit ACC über 98 % und AUC quasi 1.0 in allen Szenarien. Tab.-1: Bewertung der Schadenserkennung Schadensszenario S0 S1 S2 S3 S4 TNR [%] 98.81 TPR [%] 98.07 99.25 100.00 100.00 ACC [%] 98.44 99.03 99.41 99.41 AUC [-] 0.997 1.0 1.0 1.0 4.4 Schadenslokalisierung Zur Lokalisierung von Bauwerkschäden wird hier ein heuristischer Ansatz betrachtet. Dabei wird angenommen, dass die größten Veränderungen des Tragverhaltens an den Sensoren in der Nähe des Schadens messbar sind. Weiterhin wird davon ausgegangen, dass die größten Abweichungen zwischen den Messdaten und der Rekonstruktion des Modells entsprechend an diesen Sensoren vorliegen (vgl. [16]). Als Bewertungsgröße zur Lokalisierung wird der durchschnittliche Fehler ε k für den Sensor k über n Überfahrten betrachtet (Gl.-6). (6) Abb.-11: Schadenslokalisierung anhand des durchschnittlichen Fehlers ε k je DMS (s.-a. Abb.-5) Die Ermittlung des durchschnittlichen Fehlers erfolgt für jedes Schadensszenario S1-S4. Die Lokalisierung kann darauf hin durch einen qualitativen Vergleich der Fehler je Sensor vorgenommen werden. Die entsprechenden Werte sind in Abb. 11 für die Schadensszenarien S1 und S2 dargestellt. Bereits im Szenario S1 ist der höchste Fehlerwert für den DMS b21 feststellbar. Dieser Sensor liegt in unmittelbarer Nähe des Schadens (vgl. Abb. 5). Im Szenario S2 zeichnet sich das Maximum noch deutlicher am Sensor b21 ab. Die Schadenslokalisierung ist entsprechend mit dem untersuchten Ansatz im simulierten Beispiel möglich. 4.5 Erkennung von Sensorfehlfunktionen Exemplarisch wird anhand von zwei Fällen untersucht, ob das Autoencodermodell in der Lage ist, Sensorfehlfunktionen zu detektieren. Als simulierte Fehlfunktionen wird zum einen die Zunahme des Rauschens angenommen und zum anderen der komplette Ausfall eines Sensors (s.-a. [25]). In beiden Fällen wird der DMS a02 betrachtet. Zur Erhöhung des Rauschanteils wird dem Signal zusätzliches normalverteiltes Rauschen mit Standardabweichung 3-µm/ m beigefügt. Zur Simulation des 5. Brückenkolloquium - September 2022 133 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring Ausfalls wird die Signalamplitude konstant auf 0-µm/ m gesetzt. Die fehlerhaften Signale sind in Abb.-12 dargestellt. Die Anomaliewerte nach Gl.-4 liegen für beide Fälle oberhalb der Schwelle ε th von 0.26 - beim Sensorausfall sogar sehr deutlich. Folglich werden die Sensorfehlfunktionen durch die Anomalieerkennung erfolgreich identifiziert. Abb.-12: Signale x und Rekonstruktion x̂ für DMS a02 mit zusätzlichem Rauschen (oben) und bei Ausfall (unten) 5. Schlussfolgerungen und Ausblick In den durchgeführten Untersuchungen wird ein TCN- Autoencoder zur Anomalieerkennung in Zeitreihen mit dem Ziel verwendet, Bauwerksschäden und Fehler im Messsystem anhand der Signale von Monitoringanlagen von Brücken zu identifizieren. Die Ergebnisse sollen wie folgt zusammengefasst werden: • Zur Validierung der Schadenserkennung wird ein Ermüdungsriss im Hauptträger einer Stahlbrücke mit einem detaillierten FE-Modell in vier Szenarien S1-S4 mit zunehmenden Schadensausmaß simuliert. Basierend auf den FE-Berechnungen werden Dehnungssignale von 20 DMS unter realitätsnaher Verkehrs- und Temperatureinwirkung für den Zeitraum eines Jahres generiert. • Die wesentlichen Eigenschaften der Dehnungssignale werden im TCN-Autoencoder in komprimierter Form gelernt. Encoder und Decoder setzen sich dabei jeweils aus einem TCN-Block und einer separaten Convolutional-Schicht zusammen. Die TCN-Blöcke bestehen aus einem hierarchischen Auf bau von Convolutional-Schichten und können sowohl Kurzzeitals auch Langzeitabhängigkeiten in den Signalen abbilden. Die Daten werden durch den Encoder im Verhältnis 40: 1 komprimiert. • Der Autoencoder wird direkt auf die simulierten Dehnungssignale einzelner Überfahrten angewendet, ohne Datenvorverarbeitung und ohne Annahmen bzgl. der physikalischen Zusammenhänge in den Signalen. Es soll angemerkt werden, dass bei realen Messdaten eine Isolation einzelner Überfahrten als Vorverarbeitungsschritt nötig wäre, um ähnliche Daten zu erhalten. Jedoch ist in weiterer Forschung zu klären, ob dieser Schritt für das Modell erforderlich ist. • Als Anomaliewert wird die Summe der quadrierten Residuen zwischen neuen Messdaten und der Rekonstruktion des Autoencoders betrachtet. Der Anomaliewert hat eine ähnliche Verteilung für Trainings- und Testdaten, wodurch die Gültigkeit des Modells bestätigt wird. Als Schwellenwert für die Anomalieerkennung wird das 99 %-Quantil einer Log-Normalverteilung gewählt, die an den Anomaliewert der Trainingsdaten angepasst wird. • Der Anomaliewert zeigt eine geringe Abhängigkeit vom Fahrzeuggewicht der simulierten Überfahrten, ist ansonsten aber weitestgehend unabhängig von den betrachteten Eingangsgrößen der Simulation, d.-h. Position des Fahrzeugs in Brückenquerrichtung, Temperatur sowie Fahrzeuglänge. • Der simulierte Bauwerksschaden wird bereits im Schadenszenario S1 in 98 % der Überfahrten richtig erkannt. Die Anomaliewerte steigen mit zunehmenden Schadensausmaß und können im Beispiel als qualitativer Indikator für das Schadensausmaß betrachtet werden. In den höheren Schadenszenarien wird eine Richtig-Positiv-Rate nahe 100 % erreicht. Für Genauigkeit und AUC-Wert zeigt das Modell ebenfalls sehr hohe Werte. • Zur Schadenslokalisierung wird ein durchschnittlicher Rekonstruktionsfehler je Sensor betrachtet. Der Bauwerksschaden kann mit diesem heuristischen Ansatz bereits im Szenario S1 erfolgreich lokalisiert werden. • Als Fehlfunktionen eines Sensors wird zum einen starkes Rauschen des Signals und zum anderen ein kompletter Ausfall simuliert. Beide Fehlfunktionen werden durch die Anomalieerkennung identifiziert. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die vorgestellten Untersuchungen das Potenzial von TCN- Autoencodern und ähnlichen DL-Ansätzen für die Strukturüberwachung unterstreichen. Bis zu einem umfassenden Einsatz in der Bewertung und Überwachung des Brückenbestandes sind allerdings noch mehrere offene Fragen zu untersuchen. Nachfolgend sollen einige aus der Sicht der Autoren kritische Punkte umrissen werden: • Zunächst ist die Anwendung der vorgestellten Methodik mit realen Messdaten von Brücken zu demonstrieren. Insbesondere ist zu validieren, dass es möglich ist, reale Bauwerksschäden unter üblichen Betriebsbedingungen in der Anomalieerkennung zu identifizieren. Hierzu sind Messdaten von großangelegten Experimenten mit künstlich induzierten Schäden an Brücken am Ende ihrer Nutzungsdauer nach dem Vorbild der z24-Brücke wünschenswert. • Weiterführend ist zu untersuchen, welche Arten an Bauwerksschäden bei welchen Brückentypen grund- 134 5. Brückenkolloquium - September 2022 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring sätzlich erkannt werden können sowie welche Sensortechnologien und Sensorpositionen dafür am geeignetsten sind. • Autoencoder für Zeitreihen bieten grundsätzlich die Möglichkeit, die Signale unterschiedlicher Sensortypen kombiniert zu verarbeiten. Hier ist zu untersuchen, welche Modell-Architekturen sinnvoll sind und wie beispielweise mit unterschiedlichen Abtastraten verschiedener Sensorgruppen umgegangen wird. • Ein Nachteil der vorgestellten Methodik besteht darin, dass ein Autoencoder zunächst mit den Messdaten einer Brücke über einen langen Zeitraum trainiert werden muss. Das Modell gilt dann auch nur für das betrachtete Bauwerk. Hier sind Ansätze zu entwickeln, wie Modelle auf unterschiedliche, beispielweise in der Konstruktionsart ähnliche Brücken, übertragen werden können (Transfer Learning). In diesem Zusammenhang muss für die Anwender interpretierbar sein, wie sich die Modelle in Bereichen mit wenig oder keinen Lerndaten verhalten (Extrapolation). • Für die Instandhaltung des Brückenbestands ist es nicht nur relevant, ob ein Bauwerksschaden an einer Brücke vorliegt, sondern v.-a. welche Konsequenzen daraus entstehen und ob das Bauwerk noch die geforderte Zuverlässigkeit bietet. Für diese höheren Stufen der Schadenserkennung werden physikalische Ingenieurmodelle benötigt. Hier sind Konzepte zu erarbeiten, wie die Information aus den nicht physikalischen DL-Modellen zur Anomalieerkennung in physikalische Modelle zur Bewertung der Zuverlässigkeit einfließen kann. Letztlich stellt sich dabei auch die Frage nach der Zuverlässigkeit und Modellunsicherheit der DL-Modelle. Literatur [1] Farrar, C. R., Worden K. (2010) An Introduction to Structural Health Monitoring. In: Deraemaeker, A.; Worden, K. [Hrsg.] New Trends in Vibration Based Structural Health Monitoring. 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