eJournals Brückenkolloquium 5/1

Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
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Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung

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Michael Schrick
Janette Todt
Die Weserbrücke wurde 1955 als zweifeldrige gevoutete Balkenbrücke mit dreizelligem Hohlkastenquerschnitt im Stützbereich und zwei einzelligen Hohlkästen in den Feldbereichen, verbunden durch die in Querrichtung durchlaufende Fahrbahnplatte, gebaut. In Längsrichtung ist eine durchgängige Vorspannung in den Stegen vorhanden. Im Stützbereich wurde eine zusätzliche Längsvorspannung in der Fahrbahnplatte eingebaut. Im Feldbereich wurde in der Bodenplatte ebenfalls eine zusätzliche Längsvorspannung eingebaut. Diese zusätzlichen Vorspannung übergreifen sich nicht, so dass sich ein Bereich von ca. 10 m je Feld ergibt, in dem nur in den Stegen eine Längsvorspannung vorhanden ist. Hauptsächlich ergaben sich in der Nachrechnung für diesen Bereich erhebliche Defizite in Brückenlängsrichtung im Grenzzustand der Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit. Aufgrund der bereits hohen Auslastung der Betondruckspannungen sowie der freizuhaltenden Wasserschifffahrtslinie scheiden herkömmliche Verstärkungsmaßnahmen aus. Resultierend aus der Querschnittsgeometrie des bestehenden Bauwerks und der nur in sehr geringem Umfang vorhandenen Tragreserven, musste hier eine unkonventionelle und nicht alltägliche Lösung erarbeitet werden. Die Verstärkung des Überbaus erfolgt durch eine Schrägabspannung in Verbindung mit einem nachträglich hergestellten A-Pylon in der Achse der Innenstütze. Durch diese Maßnahme wird der kritische Bereich von ca. 10 m je Feld entscheidend entlastet. Die große Herausforderung bestand darin, nachträglich einen neuen Pylon zu errichten einschließlich der Aufhängung der bestehende Brücke mittels Schrägkabeln sowie die Kompensation der bestehenden Defizite. Besonders mussten die neuen Feldquerträger zur Verankerung der Seile und Weiterleitung der stützenden Seilkräfte in den Überbau auf die Gegebenheiten des Bestandsbauwerks abgestimmt werden.
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5. Brückenkolloquium - September 2022 185 Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung Dipl.-Ing. Michael Schrick König und Heunisch Planungsgesellschaft mbH Dortmund, Deutschland Dipl.-Ing. Janette Todt König und Heunisch Planungsgesellschaft mbH Dortmund, Deutschland Zusammenfassung Die Weserbrücke wurde 1955 als zweifeldrige gevoutete Balkenbrücke mit dreizelligem Hohlkastenquerschnitt im Stützbereich und zwei einzelligen Hohlkästen in den Feldbereichen, verbunden durch die in Querrichtung durchlaufende Fahrbahnplatte, gebaut. In Längsrichtung ist eine durchgängige Vorspannung in den Stegen vorhanden. Im Stützbereich wurde eine zusätzliche Längsvorspannung in der Fahrbahnplatte eingebaut. Im Feldbereich wurde in der Bodenplatte ebenfalls eine zusätzliche Längsvorspannung eingebaut. Diese zusätzlichen Vorspannung übergreifen sich nicht, so dass sich ein Bereich von ca. 10 m je Feld ergibt, in dem nur in den Stegen eine Längsvorspannung vorhanden ist. Hauptsächlich ergaben sich in der Nachrechnung für diesen Bereich erhebliche Defizite in Brückenlängsrichtung im Grenzzustand der Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit. Aufgrund der bereits hohen Auslastung der Betondruckspannungen sowie der freizuhaltenden Wasserschifffahrtslinie scheiden herkömmliche Verstärkungsmaßnahmen aus. Resultierend aus der Querschnittsgeometrie des bestehenden Bauwerks und der nur in sehr geringem Umfang vorhandenen Tragreserven, musste hier eine unkonventionelle und nicht alltägliche Lösung erarbeitet werden. Die Verstärkung des Überbaus erfolgt durch eine Schrägabspannung in Verbindung mit einem nachträglich hergestellten A-Pylon in der Achse der Innenstütze. Durch diese Maßnahme wird der kritische Bereich von ca. 10 m je Feld entscheidend entlastet. Die große Herausforderung bestand darin, nachträglich einen neuen Pylon zu errichten einschließlich der Auf hängung der bestehende Brücke mittels Schrägkabeln sowie die Kompensation der bestehenden Defizite. Besonders mussten die neuen Feldquerträger zur Verankerung der Seile und Weiterleitung der stützenden Seilkräfte in den Überbau auf die Gegebenheiten des Bestandsbauwerks abgestimmt werden. 1. Bestandsbauwerk 1.1 Allgemeines Bei dem Bauwerk handelt es sich um die Weserbrücke i. Z. der Landstraße L755. Die L755 verbindet die Stadt Höxter westlich der Weser und die Stadt Fürstenberg östlich der Weser, so dass die Weserbrücke eine wichtige Verbindung zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und dem Land Niedersachsen darstellt. Direkt angrenzend an das westliche Widerlager erstreckt sich eine Bahntrasse. Zusätzlich ist die Weserbrücke ein wichtiger Bestandteil für das Verkehrskonzept der Landesgartenschau 2023 in Höxter. 1.2 Bauwerksbeschreibung Die Brücke wurde im Jahr 1955 als einteiliges Bauwerk mit je einer Spur je Fahrtrichtung hergestellt. Der Überbau wurde als zweifeldrige Balkenbrücke mit Stützweiten von je 68,00-m gebaut, so dass die Brücke eine Gesamtlänge von 136,00-m aufweist. Im Stützbereich wurde die Brücke mit einem dreizelligen Hohlkastenquerschnitt hergestellt (Abb. 1). Abb. 1: Querschnitt Stützbereich Nach 18,00 m gemessen von der Stützenachse endet die Bodenplatte der mittleren Hohlkastenzelle, so dass die Feldbereiche (Abb. 2) aus zwei einzelligen Hohlkästen bestehen, die in Querrichtung durch die durchlaufende Fahrbahnplatte sowie jeweils 3 Querträgern in den Viertelspunkten der Felder verbunden sind. 186 5. Brückenkolloquium - September 2022 Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung Abb. 2: Querschnitt Feldbereich Die Konstruktionshöhe beträgt an den Widerlagern 1,32 m und erhöht sich ungefähr ab Feldmitte zum Mittelpfeiler auf maximal 5,00 m. Der Überbau wurde seinerzeit aus einem Beton der Festigkeitsklasse B 450 hergestellt. Als Betonstahl wurde glatter Rundstahl der Festigkeitsklasse BSt I sowie BSt II verwendet. Der Überbau ist monolithisch mit dem Mittelpfeiler verbunden, sodass ein semi-integrales Bauwerk entstanden ist. Die Gründung des Mittelpfeilers wurde als Tiefgründung mit Ortbetonrammpfählen ausgeführt. Die Widerlager sind flach gegründet und bestehen aus massiven Schwergewichtswiderlagern. Für die Unterbauten einschließlich der Gründung wurde ein Beton B- 300 und ebenso glatter Rundstahl der Festigkeitsklassen BSt-I sowie BSt-II verwendet. Auf den Widerlagern wurden nach einem Lagertausch im Jahr 1991 jeweils 8 Elastomerlager je Widerlager eingebaut. Auf dem Überbau wurde kein Belag aufgebracht, so dass die Fahrbahn direkt befahren wird. Die Kappen wurden monolithisch an den Überbau angeformt. Zur Sicherstellung der Dauerhaftigkeit wurde im Jahre 1999 auf der Fahrbahn sowie den Kappen eine Beschichtung aus Kratzspachtelung, Spritzfolie und PURHD-Belag mit einer Stärke von ca. 1,5 cm aufgetragen. Die Brücke wurde seinerzeit für die zivilen Verkehrslasten mit Brückenklasse 60 gemäß DIN 1072 [1] und nach STANAG für die Militärklasse MLC-R/ K-100/ 50 bemessen. 1.3 Vorspannung Bestand Der Überbau wurde in Längs- und Querrichtung vorgespannt. Dabei kam ein nicht erhöht spannungsrisskorrosionsgefährdeter Spannstahl St-140/ 160 im nachträglichen Verbund zum Einsatz. Für die Längsrichtung, die Querträger sowie für die Fahrbahnplatte wurden 40- t- Spannglieder verwendet und für die Bodenplatte überwiegend 7,5-t Spannglieder In Längsrichtung ist eine durchgängige Vorspannung in den Stegen vorhanden. Zur Sicherstellung der Tragfähigkeit sowie der Gebrauchstauglichkeit wurde im Stützbereich eine zusätzliche Längsvorspannung in der Fahrbahnplatte eingebaut, die ca. 17,00 m beidseits des Pfeilers endet. In der Bodenplatte wurde ebenfalls eine zusätzliche Längsvorspannung eingebaut, die in beiden Feldern ca. 27,00 m vor dem Pfeiler endet. Somit ist in einem Bereich von ca. 10 m je Feld nur in den Stegen eine Längsvorspannung vorhanden. 1.4 Notinstandsetzung Im Zuge der Nachrechnung wurde aufgrund der Nachrechnungsergebnisse sowie der Ergebnisse der Bauwerksprüfung und durch Erfahrungsberichte von der Bauausführung aus dem Jahre 1955 festgestellt, dass zwischen 29,80- m und 43,80- m, gemessen von Widerlagerachse A, einer minderwertigem Beton im Bereich der Fahrbahnplatte zum Einsatz kam. Der minderwertige Beton der Fahrbahnplatte wurde daher über die gesamte Fahrbahnbreite schachbrettartig abgetragen und im Zuge einer Notinstandsetzung erneuert. Für die Notinstandsetzung wurde ein Beton der Festigkeitsklasse C-35/ 45 und ein Betonstahl B 500 B gewählt. 1.5 Bauwerkszustand Bei einer Sonderprüfung nach der Notinstandsetzung gemäß DIN 1076 vom 20.12.2019 wurde das Bauwerk mit einer Zustandsnote von 2,3 bewertet. Der Überbau weist derzeit keine Anzeichen einer Schubrissbildung sowie Biege- und Ermüdungsrissbildung auf. Von einer akuten Gefährdung der Standsicherheit des Gesamtbauwerks muss derzeit nicht ausgegangen werden. 2. Nachrechnung Bestandsüberbau 2.1 Systemmodellierung und Schnittgrößenvergleiche Gemäß der vorliegenden Bestandsstatik wurde der Überbau seinerzeit für die Längsrichtung als Gesamtquerschnitt abgebildet und nachgewiesen. Abweichend von der Bestandsstatik wurde nach den derzeit anerkannten technischen Regeln für die Nachrechnung ein räumliches Tragwerk aus Stabelementen mit orthotroper Fahrbahnplatte generiert, so dass die Querverteilung der antimetrischen Lasten ausreichend berücksichtigt wird. Für die Systembildung wurden die äußeren Hohlkästen als Stab abgebildet, denen jeweils die gesamte Dehn- und Biegesteifigkeit der Hohlkastenquerschnitte in Längsrichtung zugeordnet wurde. Zur Sicherstellung der Querverteilung wurden gewichtslose orthotrope Plattenelemente verwendet. Aufgrund des Begegnungsverkehrs auf der Brücke wurde in Abstimmung mit Straßen.NRW das Lastmodell LM1 nach DIN-FB 101 [2] als Ziellastniveau festgelegt. Für symmetrische Lasten (ständige Lasten und Vorspannung) konnten sehr gute Übereinstimmungen der Schnittgrößen zwischen Bestandsstatik und Nachrechnung ermittelt werden. Als Beispiel ist der Momentenvergleich für das Eigengewicht (Abb. 3) dargestellt. Abb. 3: Momentenvergleich Eigengewicht Für Verkehrslasten konnten dagegen keine guten Übereinstimmung erzielt werden. Dies konnte nicht nur auf die gestiegenen Verkehrslasten zurückgeführt werden, 5. Brückenkolloquium - September 2022 187 Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung sondern ebenfalls auf die antimetrischen Lasten aus Verkehr. Aufgrund der Systembildung und der sich daraus ergebenden Querverteilung sowie der gestiegenen Verkehrslasten konnte eine Zunahme der Momente infolge Verkehrslasten von bis zu 80% in Feldmitte (Abb. 4) festgestellt werden. Abb. 4: Momentenvergleich BK60 / LM1 2.2 Ergebnisse Nachrechnung Die Nachrechnung wurde auf Grundlage der Nachrechnungsrichtlinie [3] sowie der 1. Ergänzung [4] durchgeführt. In Querrichtung konnte der Überbau im Grenzzustand der Tragfähigkeit sowie für die Gebrauchstauglichkeit im Wesentlichen nach Stufe-1 der Nachrechnungsrichtlinie nachgewiesen werden. In Brückenlängsrichtung ergaben sich auch unter Berücksichtigung der Nachweise nach Stufe 2 erhebliche Defizite im Grenzzustand der Tragfähigkeit (GZT) für die Biegetragfähigkeit (Druckversagen), die Schubtragfähigkeit sowie die Ermüdungsnachweise (Tab. 1). Tab.1: Defizite im GZT für LM1 Nachweise Ausnutzung Biegung h = 1,30 Querkraft und Torsion h = 4,72 Ermüdung Spannstahl h = 3,00 Darüber hinaus waren auch im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit (GZG) die Nachweise fast vollständig überschritten (Tab. 2). Lediglich die zulässigen Spannstahlspannungen konnten nachgewiesen werden. Tab.2: Defizite im GZG für LM1 Nachweise Ausnutzung Dekompression s c = 3,38 MN/ m² Rissbreite w k = 0,28 mm Betondruckspannungen h = 1,65 Betonstahlspannungen h = 1,33 Die vorhandenen Defizite sind im Wesentlichen auf den Bereich begrenzt, in dem nur die Längsvorspannung in den Stegen vorhanden ist. Beispielhaft ist hier das Defizit der Schubbewehrung für den Nachweis Querkraft und Torsion dargestellt. Abb. 5: Schubbewehrung Nachrechnung für LM1 Aufgrund der vorliegenden Ergebnisse wurde die Brücke umgehend für Verkehr über 3,5 t gesperrt. Zusätzlich wurde zur Sicherstellung der Betondruckfestigkeitsklasse auch für mögliche Verstärkungsmaßnahmen deren Überprüfung veranlasst. Hierzu wurden 12 Proben durch Kernbohrungen am Bauwerk entnommen, bei denen eine charakteristische Druckfestigkeit f ck,cal,BW = 50 N/ mm² festgestellt werden konnte. Unter Berücksichtigung der Verkehrseinschränkungen auf eine Verkehrsbelastung ≤-3,5-t sowie der festgestellten Betondruckfestigkeitsklasse konnten alle Nachweise im GZT und GZG erbracht werden. 2.3 Machbarkeitsstudie Da die Weserbrücke eine wichtige Verbindung zwischen den Ländern Nordrhein-Westfallen und Niedersachsen darstellt, wurden die Möglichkeiten eines Ersatzneubaus sowie Verstärkungsmöglichkeiten in Betracht gezogen. Ein kurzbis mittelfristiger Ersatzneubau ist aufgrund des einteiligen Überbaus, der Bedeutung der Brücke im Verkehrsnetz sowie aufgrund der angrenzenden Bahnstrecke nicht realisierbar. Somit muss die Brücke durch eine entsprechende Verstärkungsmaßnahme ertüchtigt werden, damit eine Verkehrsfreigabe für Verkehr->-3,5-t ermöglicht werden kann. Aufgrund eines möglichen Druckversagens bei der Biegetragfähigkeit im GZT sowie der bereits hohen Auslastung der Druckspannungen im GZG, der geringen lichten Höhe innerhalb der Brücke sowie der geometrischen Zwangspunkte der Querträger einschließlich deren Quervorspannung konnte eine Verstärkung der Brücke mit externer Vorspannung als nicht zielführend ausgeschlossen werden. Des Weiteren konnte durch die externe Vorspannung nur eine unwesentliche Verbesserung auf den Nachweis der Querkraftbewehrung festgestellt werden, so dass eine zusätzliche Querkraftverstärkung weiterhin erforderlich gewesen wäre. Eine Verstärkung der Querkraftbewehrung mit zusätzlichen Schubnadeln ist für die Weserbrücke nicht möglich, da die Wasserschifffahrtsrinne nicht eingeschränkt werden darf. Das Einbohren und Einkleben von zusätzlicher Querkraftbewehrung ist ebenfalls nicht möglich, da die Längsspannglieder einen zu geringen Abstand aufweisen und daher die Wahrscheinlichkeit einer Beschädigung der vorhandenen Spannglieder sehr wahrscheinlich ist. Resultierend aus den Ergebnissen der Machbarkeitsstudie wurde in Zusammenarbeit mit Straßen.NRW eine unkonventionelle und nicht alltägliche Lösung erarbeitet. Die 188 5. Brückenkolloquium - September 2022 Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung Verstärkung des Überbaus erfolgt durch eine Schrägabspannung in Verbindung mit einem nachträglich hergestellten Pylon in der Achse der Innenstütze. Durch diese Maßnahme wird der kritische Bereich von ca. 10-m je Feld entscheidend entlastet. 3. Entwurfs- und Ausführungsplanung 3.1 Allgemeines Die Entwurfsplanung des Pylonen mit den Verankerungspunkten der Seile am Pylonkopf und speziell die Verankerung am Bestandsbauwerk, war entscheidend für die Konzeption der Verstärkungsmaßnahme. Dabei musste die Verankerung auf die vorhandene Querschnittsgeometrie sowie die vorhandenen Längsspannglieder im Steg sehr genau abgestimmt werden. Darüber hinaus musste die entlastende Wirkung der Seilvorspannung an die Steifigkeit des Bestandsbauwerkes angepasst werden. Zusätzlich zu den statischen Erfordernissen mussten weitere Anforderungen bei der Verstärkungsmaßnahme berücksichtigt werden. Dabei war die ästhetische Wahrnehmung der Verstärkungsmaßnahme auf die angrenzende denkmalgeschützte historische Altstadt einschließlich der Kirche zu berücksichtigen. Als Ergebnis der Abstimmung ergab sich für die Verstärkungsmaßnahme ein A-Pylon mit möglichst geringen Abmessungen. Dadurch sollte das Erscheinungsbild der Altstadt einschließlich der Kirche möglichst wenig beeinträchtigt werden. Des Weiteren wurden die Belange der Stadt Höxter sowie der Einwohner berücksichtigt, woraus eine möglichst kurze Vollsperrung der Brücke resultierte sowie die Möglichkeit der Brückenquerung für Rettungspersonal während gesamten Bauzeit. Abb. 6: Gesamtbauwerk einschließlich A-Pylon und Seilabspannung 3.2 Seile Zur Abspannung des Überbaus werden vier Litzenbündelseile aus einem St-1570/ 1770 verwendet. Am Pylonkopf wird die Verankerung durch eine Ankerbox aus Stahl hergestellt, die im Pylonkopf einbetoniert wird. Die Verankerung am unteren Seilende wird durch zwei neue Feldquerträger (Verankerungsträger) gewährleistet, die neu hergestellt werden. Die Seillängen zwischen den Ankerpunkten betragen im Mittel ca. 32 m. Als Litzenbündelseile werden Dyna-Grip - DG-P-43 aus einem Spannstahl St-1570/ 1770 eingesetzt, die zur Behebung der Defizite mit 4200-kN vorgespannt werden. Damit die Seile eine gleichmäßige Vorspannung erhalten und das Bauwerk planmäßig entlastet wird, muss das Anspannen der Seile gleichzeitig und gleichmäßig erfolgen. Der Festanker der Seile befindet sich in der Ankerbox und der Spannanker am Verankerungsträger. Für eine gleichmäßige und gleichzeitige Anspannung wird die Vorspannkraft in 11 Vorspannabschnitten aufgebracht, so dass maximal 4 Litzen je Seil gleichzeitig vorgespannt werden. 3.3 A-Pylon einschl. Gründung Für den A-Pylon wurde als Ergebnis der Berechnungen und Abstimmungen ein Querschnitt b/ h-=-1,50/ 1,50-m mit 15-cm angefasten Ecken aus einem Beton der Festigkeitsklasse C-50/ 60 gewählt. Zur Minimierung von möglichen vertikalen Setzungen resultierend aus der Seilvorspannung wurde eine Tiefgründung mit jeweils 3 Großbohrpfählen Ø-1,50m und einem Kopf balken gewählt. Darüber hinaus wurden zur Reduzierung der horizontalen Verformungen aus der Schiefstellung der Stiele zwei zusätzliche Zugbänder angeordnet, die beide Kopf balken miteinander verbinden. Durch diese Maßnahmen wurde ein möglichst vorformungsarmer A-Pylon erstellt, so dass 5. Brückenkolloquium - September 2022 189 Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung die Reduktion der Seilkräfte durch mögliche Fußpunktverformungen im Wesentlichen ausgeschlossen werden kann. Die Herstellung des Pylons erfolgt in 13 Bauabschnitten. In den Bauabschnitten 1 bis 11 stehen die Pylonfüße eigenständig bzw. es werden zur Sicherstellung der Standsicherheit bauzeitlich 3 temporäre horizontale Zwischenabstützungen vorgesehen. Im Bauabschnitt 12 werden die Pylonfüße miteinander verbunden. Vor der Betonage des 13. Bauabschnittes wird die Ankerbox zur Aufnahme der Seile eingebaut. Abb. 7: A-Pylon einschließlich Gründung 3.4 Ankerbox zur Aufnahme der oberen Seilverankerung Zur Einleitung der Seilkräfte wird im Bauabschnitt-13 eine Ankerbox (Abb. 8) im A-Pylon eingebaut. Abb. 8: FEM-Modell Ankerbox Für die Bemessung der Ankerbox wurde ein 3D-FEM- Modell generiert. Unter Berücksichtigung der Vorspannung der Seile unter einer annähernd starren Bettung der Fußplatte wurden die entsprechenden Blechdicken bestimmt. Dabei ergaben sich Blechdicken für die Einzelbleche zwischen 30 und 80 mm. Zur Sicherstellung des Verbundes sowie der Weiterleitung von antimetrischen Lasten werden umlaufend an der Ankerbox Kopf bolzendübel Ø 22 angeordnet. Für die Einzelbleche wird ein Baustahl S 355 J2+N und für die Kopf bolzendübel ein S 235 J2+C470 verwendet. Abb. 9: 3D-Modell Pylonkopf einschließlich Ankerbox 3.5 Verankerungsträger zur Aufnahme der unteren Seilverankerung Die untere Seilverankerung am Bestandsbauwerk kann nicht direkt am Bestandsüberbau hergestellt werden, da die Kragarme des Bestandsüberbaus für die Lasteinleitung nicht ausreichend tragfähig sind. Des Weiteren würde die Verkehrsführung sowie der Fuß- und Radverkehr durch die schrägen Seile eingeschränkt. Somit muss für die unteren Seilverankerung ein zusätzlicher Verankerungsträger hergestellt werden. Dabei muss dieser für die Entlastung des Bestandsbauwerks möglichst nah an den defizitären Bereichen angeordnet werden und gleichzeitig muss der nachträgliche Einbau auf die vorhandenen Längsspannglieder abgestimmt werden. Durch eine iterative Bestimmung der erforderlichen Seilvorspannung, der Abmessungen des Verankerungsträgers sowie der geometrischen Vorgaben des Bestandsbauwerks wurde der Verankerungsträgers 22,80-m von der Stützenachse angeordnet. Die Abbildung 10 zeigt die Anordnung der Verankerungsträger für die inneren Stege der Hohlkästen unter Berücksichtigung der Spanngliedführung des Bestandes. Die Querschnittsabmessungen des Querträgers betragen im Mittel b/ h-=-2,10/ 1,00-m. 190 5. Brückenkolloquium - September 2022 Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung Abb. 10: Verankerungsträger im Bestand Damit die untere Seilverankerung keine Beeinträchtigung der Verkehrsführung zur Folge hat, kragt der neue Verankerungsträger einschließlich Seilverankerung 2,82 m über die Außenkante des Steges hinaus. Aufgrund dieser Auskragungen in Verbindung mit der Seilvorspannung muss der Verankerungsträger zur Sicherstellung der Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit vorgespannt werden. Es werden insgesamt 5 Spannglieder (Suspa-Litze DW 6-22) je Verankerungsträger vorgesehen (Abb. 11). Abb. 11: Vorspannung Querträger Abb. 12: temporäre Verstärkung - Längsschnitt 5. Brückenkolloquium - September 2022 191 Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung Abb. 13: temporäre Verstärkung - Querschnitt Für die Verankerungsträger wird ein Beton der Festigkeitsklasse C 50/ 60 gewählt. Als Bewehrung ist Betonstahl B 500 B und Spannstahl St 1570/ 1770 vorgesehen. Für die Herstellung des Verankerungsträgers müssen die vier Hohlkastenstege des Bestandsbauwerks temporär geschwächt werden. Dabei muss die vorhandene Bewehrung der Stege, speziell die Bügelbewehrung, erhalten werden, so dass die Herstellung der Öffnungen durch Höchstdruckwasserstrahlen erfolgen muss. Zur Sicherstellung der Tragfähigkeit des Gesamtbauwerks dürfen die Stege nicht gleichzeitig geschwächt werden, sondern nur Steg für Steg, so dass sich für den Verankerungsträger vier Bauabschnitte ergeben. Für den Zeitraum der Stegschwächungen wird je Steg eine temporäre Verstärkung erforderlich. Die Abbildungen 12 und 13 zeigen die temporäre Stegverstärkung im Längs- und Querschnitt. Die temporäre Verstärkung besteht dabei aus geschweißten Stahlträgern oberhalb und unterhalb der Stege sowie aus insgesamt 20 Stabspanngliedern (Dywidag 36 WS). Die Stabspannglieder werden vorgespannt, so dass über Reibung eine Verbindung mit dem Bestandsbauwerk entsteht. Die temporäre Verstärkung wurde so ausgelegt, dass die Stabspannglieder die vorhandene Querkraft über die Stegöffnung hinweg übertragen können. Des Weiteren wurde die Vorspannung der Stabspannglieder sowie die Fläche der Stahlträger zur Aufnahme der Normalkraft aus der Fläche der Stegschwächung bestimmt. Aus der bauabschnittsweisen Herstellung der Querträger ergibt sich, dass die erforderliche Bewehrung durch Muffenstöße verbunden werden muss. Zusätzlich werden für die Spannglieder Hüllrohre eingebaut, die ebenso abschnittsweise durch entsprechende Muffen gekoppelt werden. Nach der Herstellung der vier Bauabschnitte wird die Querträgervorspannung nachträglich eingezogen und vorgespannt. Im Zuge der Herstellung der äußeren Bauabschnitte müssen die Einbauteile für die unteren Seilverankerungen berücksichtigt werden. Die Abbildung 14 zeigt die Ansicht der Seilverankerung nach der Herstellung. Abb. 14: untere Seilverankerung - Ansicht 4. Nachrechnung Bestandsüberbau unter Berücksichtigung der Verstärkungsmaßnahme Für die Bemessung der Verstärkungsmaßnahme sowie des Überbaus wurde das System der Nachrechnung durch die neuen Bauteile, den Pylon einschließlich der Gründung, die neuen Verankerungsträger sowie die Seile ergänzt. Die Abbildung 15 zeigt die Systembildung einschließlich der Verstärkungsmaßnahme. 192 5. Brückenkolloquium - September 2022 Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung Abb. 15: System einschl. Verstärkungsmaßnahme Aufgrund des Begegnungsverkehrs wurde in Abstimmung mit Straßen.NRW die BKL 60/ 30 nach DIN 1072 [1] als Ziellastniveau für die Verstärkungsmaßnahme festgelegt. Die Berechnung des Bestandsüberbaus wurde auf Grundlage der Nachrechnungsrichtlinie einschließlich der 1. Ergänzung durchgeführt. Die neuen Bauteile der Verstärkungsmaßnahme wurden entsprechend der jeweils gültigen Eurocodes ausgelegt. Unter Berücksichtigung der Verstärkungsmaßnahme konnten für die Längsrichtung alle Nachweise im GZT mindestens nach Stufe 2 der Nachrechnungsrichtlinie erbracht werden. Tab.3: GZT für BKL 60/ 30 nach Verstärkung Nachweise Ausnutzung Biegung h = 1,00 Querkraft und Torsion h = 1,00 Ermüdung Spannstahl h = 0,95 Die entlastende Wirkung der Seilvorspannung wird beispielhaft anhand der Schubbewehrung für den Nachweis Querkraft und Torsion dargestellt. In den kritischen Bereichen ist die vorhandene Schubbewehrung ausreichend. Für die Bereiche an den Brückenenden ist der Nachweis unter Berücksichtigung der Regeln der 1. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie [4] im Abstand d vom Auflager sowie unter Einschneiden der Querkraftdeckungslinie ebenfalls eingehalten. Abb. 16: Schubbewehrung nach Verstärkung Die Ergebnisse im GZG weisen nach der Verstärkung ebenfalls keine Defizite mehr auf. Tab.4: GZG für BKL 60/ 30 nach Verstärkung Nachweise Ausnutzung Dekompression s c < 0 Rissbreite w k = 0,02 mm Betondruckspannungen h = 1,00 Betonstahlspannungen h = 0,16 Auf Grundlage der Ergebnisse kann das Bauwerk nach der Verstärkungsmaßnahme wieder für den Verkehr freigegeben werden. Aufgrund der Anwendung der Regeln nach Stufe 2 der Nachrechnungsrichtlinie wird das Bauwerk nach der Verstärkung in die Nachweisklasse C eingeordnet. Die vorläufig eingeschränkte Restnutzungsdauer beträgt 20-Jahre. Literatur [1] DIN 1072 Ausgabe Mai 1988 [2] DIN-FB 101 Ausgabe März 2009 [3] Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie) Ausgabe Mai 2011 [4] Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie) 1. Ergänzung Ausgabe April 2015