eJournals Brückenkolloquium 5/1

Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
91
2022
51

Fahrbahnübergangskonstruktionen mittels Schleppplatten

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2022
Erwin Pilch
Der Verzicht auf konventionelle Fahrbahnübergangskonstruktionen bei Brücken mit geringen Längenausdehnungen reduziert Instandsetzungsmaßnahmen und erzeugt weitere Vorteile. Umbauten von bestehenden Brückenobjekten in integrale Brücken bzw. semi-integrale Brücken werden im vorliegenden Beitrag vorgestellt. Dabei werden internationale Lösungsansätze miteinbezogen. Die aktuell umgesetzten Instandsetzungsmaßnahmen in Österreich, bei denen konventionellen Brücken in semi-integrale Brücken umgebaut werden mit und ohne Abbruch der kompletten Kammerwand (österr. Herdmauer bzw. Schottermauer), werden mit ihren Vor- und Nachteilen erläutert.
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5. Brückenkolloquium - September 2022 281 Fahrbahnübergangskonstruktionen mittels Schleppplatten Integralisierungen von Bestandbrücken Dipl.-Ing. Dipl.-Ing. Dr. techn. Erwin Pilch ASFINAG Bau Management GmbH, Graz, Österreich Zusammenfassung Der Verzicht auf konventionelle Fahrbahnübergangskonstruktionen bei Brücken mit geringen Längenausdehnungen reduziert Instandsetzungsmaßnahmen und erzeugt weitere Vorteile. Umbauten von bestehenden Brückenobjekten in integrale Brücken bzw. semi-integrale Brücken werden im vorliegenden Beitrag vorgestellt. Dabei werden internationale Lösungsansätze miteinbezogen. Die aktuell umgesetzten Instandsetzungsmaßnahmen in Österreich, bei denen konventionellen Brücken in semi-integrale Brücken umgebaut werden mit und ohne Abbruch der kompletten Kammerwand (österr. Herdmauer bzw.Schottermauer), werden mit ihren Vor- und Nachteilen erläutert. 1. Einleitung Bei integralen bzw. monolithischen Tragwerken entstehen an den Überbauenden primär Längsverformungen in Folge der Temperatureinwirkungen auf das Brückentragwerk. Diese temperaturindizierten Verformungen sind gleich groß wie bei konventionellen Tragwerken. Bei konventionellen Tragwerken werden üblicherweise an den Überbauenden dichte Fahrbahnübergangskonstruktionen angeordnet um diese Verformungen aufnehmen zu können und gleichzeitig das Brückentragwerk und den Unterbau vor chloridhaltigen Wässern schützen zu können. Dichte Fahrbahnübergangskonstruktionen im hochrangigen Straßennetz weisen eine geringere Lebensdauer als das Brückenbauwerk auf und daraus folgenden sind mehrere Instandsetzungsmaßnahmen im Lebenszyklus der Brücke erforderlich. Statt schadhafte Fahrbahnübergangskonstruktionen bei Brücken mit geringen Längenausdehnungen instandzusetzen kann auch die Fahrbahnübergangskonstruktion bei einem Umbau in ein semi-integrales Tragwerk entfallen. Diese Maßnahme reduziert zukünftig die Wartungs- und Instandsetzungsmaßnahmen und bringen weitere Vorteile. 1.1 Aufgabenstellung Um eine durchgehende Fahrbahn im Übergangsbereich Brücke-Damm bewerkstelligen zu können müssen zwei wesentliche Teilaufgaben gelöst werden. 1.1.1 Dichte Fahrbahnübergangskonstruktion Statt einer konventionellen dichten Fahrbahnübergangskonstruktion müssen die horizontalen Verformungen an den Tragwerksenden primär zufolge der jahreszeitlichen Temperaturänderung des Überbaues (Tabelle 1) im Bereich des Übergangs Brücke-Damm und Verdrehungen zwischen dem Tragwerk und dem Widerlager primär zufolge der Tragwerksdurchbiegung schadfrei und wasserdicht aufgenommen werden [1]. Tabelle 1: Anhaltswerte für Verzerrungen von integralisierten Bestandsüberbauten bei üblichen Verhältnissen [vgl. 2] 1 2 3 4 Einwirkung Verzerrung Tragwerk konstanter Temperaturanteil Verzerrungen Bestandsbauwerksende ohne ÜKO [‰] Temperaturschwankung (Beton) ΔTN,con 0,010× ΔTN -26K -0,26 Temperaturschwankung (Beton) ΔTN,exp 0,010× ΔTN 29K 0,29 Stahlbeton Gesamtverzerrung 0,55 Bei der Dimensionierung von Fahrbahnübergangskonstruktionen bzw. Ermittlung der Längsverformungen für einen Umbau in ein integrales bzw. semiintegrales Bauwerk bei Bestandsbrücken können üblicherweise die Verformungen aus Schwinden und Kriechen vernachlässigt bzw. als abgeschlossen betrachtet werden. 282 5. Brückenkolloquium - September 2022 Fahrbahnübergangskonstruktionen mittels Schleppplatten 1.1.2 Schleppplatte Um die differentiellen Setzungen zwischen dem Tragwerk und dem Damm auszugleichen bzw. die unmittelbaren Setzungen der Widerlagerhinterfüllung zu überbrücken (Abbildung 1) ist im Übergangsbereich eine Schleppplatte anzuordnen. Abbildung 1: Setzungsdifferenz zwischen Tragwerk und Damm im Übergangsbereich [3] 2. Integralisierung Der Begriff Integralisierung ist in der österreichischen Richtlinie RVS 15.02.12 Bemessung und Ausführung von Integralen Brücken folgendermaßen definiert: „Umbau einer bestehenden konventionellen Brücke in eine semi-integrale oder integrale Brücke im Zuge einer Ertüchtigung.“ [4] Da der Begriff „semi-integrale Brücke“ unterschiedlich definiert ist, werden die beiden Definitionen vorgestellt. In Deutschland ist der Begriff folgendermaßen definiert: „Als semi-integrale Bauwerke werden Rahmentragwerke bezeichnet, die keine integralen Bauwerke sind und bei denen mindestens in zwei Achsen die Pfeiler monolithisch an den Überbau angeschlossen und an den übrigen Pfeilern sowie den Widerlagern Lager angeordnet sind.“ [2]. In Österreich ist der Begriff folgendermaßen definiert: „Brücken, die entweder Fahrbahnübergangskonstruktionen bzw. Dehnfugen oder Lager zwischen den Über- und Unterbau im Bereich der Widerlagerachsen aufweist. Bezüglich des Tragverhaltens stellt eine semi-integrale Brücke eine Mischung zwischen einer konventionellen und einer integralen Brücke dar.“ [4]. Die Definition in der Schweiz ist analog der österreichischen Begriffsbestimmung [siehe Bundesamt für Strassen ASTRA, Konstruktive Einzelheiten von Brücken, Kapitel 3 Brückenende]. Da der Begriff der Integralisierung, einen Umbau in eine semi-integrale Brücke und den Umbau in eine integrale Brücke beinhaltet, wird in Österreich häufig der Begriff der Semi-Integralisierung verwendet. Der Begriff Semi- Integralisierung stellt somit den Umbau einer konventionellen Brücke in eine semi-integrale Brücke dar. Diese Begriffsbestimmung bzw. -definition ist jedoch noch nicht in Richtlinien verankert und sollte bei der nächsten Aktualisierung der oben erwähnten Richtlinien eingearbeitet werden. Weiters ist auch die Ertüchtigung des Brückentragwerkes nicht zwingend erforderlich und eine Semi-Integralisierung kann auch bei einer Instandsetzung einer Brücke umgesetzt werden. 2.1 Semi-Integralisierungen Die Semi-Integralisierung erweist sich bei bestimmten Randbedingungen als sinnvolle Alternative zur Integralisierung und sollte daher auch als solche betrachtet werden. Der Großteil der Vorteile einer Integralen Brücke können erzielt werden wie z. B.: - Reduktion der Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten  weniger Verkehrsbehinderungen - -Reduktion der Instandhaltungskosten - Reduktion der Lärmbelastung für die Umwelt - Erhöhung des Fahrkomforts zufolge einer durchgehenden Fahrbahn Abbildung 2: Semi-Integralisierung (schematisch) [4] Bei der Semi-Integralisierung ist, wie in Abbildung 4 ersichtlich, eine Baugrube erforderlich, die bis unter das Brückenlager reicht. Im Zuge von Instandsetzungsarbeiten im Bestand ist jedoch eine solche Baugrube bei gleichzeitiger Verkehrsaufrechterhaltung schwierig zu bewerkstelligen. Auch im Schweizer Regelwerk (siehe Abbildung 3) ist das semi-integrale Brückenende analog der Abbildung 2. 5. Brückenkolloquium - September 2022 283 Fahrbahnübergangskonstruktionen mittels Schleppplatten Abbildung 3: semi-integrales Brückenende [3] 2.2 „Mini-Semi-Integralisierungen“ Durch eine weitere Reduktion der Maßnahme entsteht eine neue Lösung, die hiermit als „Mini-Semi-Integralisierungen“ erwähnt sei. Die Vorteile der Semi-Integralisierung bleiben erhalten. Die Nachteile der Semi-Integralisierung werden nun folgendermaßen reduziert: - Reduktion des Abbruches der Kammerwand - Reduktion der Baugrubentiefe  Reduktion der Baugrubensicherung bei erforderlichen Verkehrsaufrechterhaltungsmaßnahme Die Lösung ist einfach und kann bei einer Vielzahl von Brücken umgesetzt werden (siehe Abbildung 4). Abbildung 4: Mini-Semi-Integralisierung (schematisch) Die Nachteile des nicht optimalen dichten Anschlusses des semi-integralen Brückenendes im Bereich des Flügels bzw. im Übergangsbereich Schleppplatte-Brückenkappen sind durch diese Umbaumaßnahme weiterhin vorhanden jedoch ebenso reduziert. Da die Länge der vertikalen Fuge deutlich reduziert ist. 3. Ausführungsbeispiele 3.1 Ausführungsbeispiel Semi-Integralisierung Beispielhaft sei die Brücke G48 Unterführung Mühlgang auf der A2 (km 182,334) bei Graz erwähnt. Die Brücke wurde 1971 als einfeldriges Brückentragwerk mit einer Länge von 46,4 m und einer Breite von 19,55 m errichtet. Zufolge eines Lärmschutzdammes im Bereich der Brückenobjekte wurde das Tragwerk im Außenbereich analog dem Lärmschutzdamm hochgezogen (siehe Abbildung 5). Abbildung 5: Querschnitt Brücke G48 Unterführung Mühlgang Im Zuge der Instandsetzung im Jahre 2017 wurden die bestehenden Fahrbahnübergangskonstruktionen nicht erneuert, sondern die Brückenenden semi-integral umgebaut (siehe Abbildung 6). Abbildung 6: Brücke G48 - Umbau in eine semi-integrale Brücke Auf den nachfolgenden Fotos ist die Brücke vor (siehe Abbildung 7) und nach dem Umbau (siehe Abbildung 8) ersichtlich. 284 5. Brückenkolloquium - September 2022 Fahrbahnübergangskonstruktionen mittels Schleppplatten Abbildung 7: Brücke G48 vor dem Umbau Abbildung 8: Brücke G48 nach dem Umbau in ein semiintegrales Brückentragwerk 3.2 Ausführungsbeispiel „Mini-Semi-Integralisierung“ Die Brücken im Verkehrsknoten St. Michael in der Steiermark wurde im Zuge der Instandsetzung in integrale und semi-integrale Tragwerke umgebaut. Im hochrangigen Verkehrsknoten kreuzen sich die A9 Pyhrn Autobahn mit der S6 Semmering Schnellstraße und S36 Murtal Schnellstraße. Mit diesen Maßnahmen entfallen zukünftig Wartung und Instandsetzungen an Fahrbahnübergangskonstruktionen und damit aufwendige Verkehrsführungen. Beispielhaft sei die Brücke 215.07 (Rampe 100) auf der S6 (km 132,630) im Knoten St. Michael erwähnt. Die Brücke wurde 1988 als vierfeldriges Brückentragwerk mit einer Länge von 11,45+2*22,33+14,80 = 70,91 m und einer Breite von 13,76 m errichtet. Im Zuge der Instandsetzung im Jahre 2022 wurden die bestehenden Fahrbahnübergangskonstruktionen nicht erneuert, sondern die Brückenenden semi-integral umgebaut (siehe Abbildung 9, 10 und 11). Abbildung 9: Brücke 215.07 - Umbau in eine semi-integrale Brücke Abbildung 10: Brücke 215.07 - Umbau in eine semi-integrale Brücke - Abdichtungsdetail Abbildung 11: Brücke 215.07 - Umbau in eine semi-integrale Brücke - Bauphase (Frühjahr 2022) 5. Brückenkolloquium - September 2022 285 Fahrbahnübergangskonstruktionen mittels Schleppplatten 4. Fazit Die Integralisierung, gemäß der österreichischen Richtlinie RVS 15.02.12 Bemessung und Ausführung von Integralen Brücken, zeigt unterschiedliche Lösungen für einen Umbau einer bestehenden konventionellen Brücke in eine semi-integrale oder integrale Brücke auf. Die Optimierung des Umbaus in eine („mini“-) semi-integrale Brücke gemäß dem Beispiel Brücke 215.07 weist zusätzliche Vorzüge auf, die bei der Instandsetzung einer konventionellen Brücke bzw. einer Fahrbahnübergangskonstruktion als Alternative mitbedacht werden sollten. Literatur [1] Pilch, E.: Flexible Stahlbetonübergangskonstruktionen für Integrale Brücken, Festkolloquium zum 75. Geburtstag von Lutz Sparowitz, 2015, Verlag der Technischen Universität Graz [2] BAST, RE-ING - Teil 2 Brücken - Abschnitt 5 Integrale Bauwerke, Stand: 2019/ 12 Zugriff über https: / / www.bast.de/ DE/ Publikationen/ Regelwerke/ Ingenieurbau/ Entwurf/ RE-ING- Gesamt.pdf am 28.5.2022 [3] Bundesamt für Strassen ASTRA, Konstruktive Einzelheiten von Brücken, Kapitel 3 Brückenende, 2011, Zugriff über https: / / www.astra.admin.ch/ astra/ de/ home/ fachleute/ dokumente-nationalstrassen/ standards/ kunstbauten.html am 28.5.2022 [4] FSV, RVS 15.02.12 Bemessung und Ausführung von Integralen Brücken, 2018, Wien