eJournals Brückenkolloquium 5/1

Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
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2022
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Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert

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2022
Jan Bielak
Raphael Walach
Jochen Riederer
Thorsten Helbig
Josef Hegger
Mit dem Entwurf für die Fußgängerquerung der Ludwigsburger Straße in Stuttgart wird eine geometrisch und technisch anspruchsvolle gekrümmte Betonbrücke mit nichtmetallischer Faserbewehrung konzipiert. Das Tragkonzept der über zwei Felder 34 m spannenden Brücke folgt der Idee eines Kreisringträgers. Im Abstand von 2,4 m sind Versteifungsrippen angeordnet, auf die die nur 10 cm dünne Belagplatte abträgt. Zwei Fertigteile werden auf den Endwiderlagern und einer Mittelstütze aufgelegt, vorgespannt und zu einem semiintegralen Tragwerk verbunden. Der Einsatz von nichtmetallischer Bewehrung aus Faserverbundkunststoff (FVK) in Form von Carbongittern (CFK) und Glasfaserstäben (GFK) ermöglicht eine Reduktion der Bauteildicken auf ein absolutes Minimum. Der Beitrag stellt den Entwurf vor und liefert neue Erkenntnisse aus den für die Realisierung nötigen wissenschaftlichen Untersuchungen. In einem Großversuch zur Quertragwirkung wurde die Herstellbarkeit des hochkomplexen Bewehrungskorbes validiert und unter Einsatz von faseroptischer Messtechnik die Tragfähigkeit experimentell untersucht. Zentrale Fragestellung war die Machbarkeit der Rahmenecke mit öffnendem Moment unter Einsatz von geraden GFK-Stäben in drei Raumrichtungen, deren Verankerung, und die Interaktion zwischen den verschiedenen Materialtypen.
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5. Brückenkolloquium - September 2022 299 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert Dr.-Ing. Jan Bielak Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, 52074 Aachen, Deutschland Raphael Walach knippershelbig GmbH, 70178 Stuttgart, Deutschland Jochen Riederer knippershelbig GmbH, 70178 Stuttgart, Deutschland Thorsten Helbig knippershelbig GmbH, 70178 Stuttgart, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, 52074 Aachen, Deutschland Zusammenfassung Mit dem Entwurf für die Fußgängerquerung der Ludwigsburger Straße in Stuttgart wird eine geometrisch und technisch anspruchsvolle gekrümmte Betonbrücke mit nichtmetallischer Faserbewehrung konzipiert. Das Tragkonzept der über zwei Felder 34-m spannenden Brücke folgt der Idee eines Kreisringträgers. Im Abstand von 2,4 m sind Versteifungsrippen angeordnet, auf die die nur 10 cm dünne Belagplatte abträgt. Zwei Fertigteile werden auf den Endwiderlagern und einer Mittelstütze aufgelegt, vorgespannt und zu einem semiintegralen Tragwerk verbunden. Der Einsatz von nichtmetallischer Bewehrung aus Faserverbundkunststoff (FVK) in Form von Carbongittern (CFK) und Glasfaserstäben (GFK) ermöglicht eine Reduktion der Bauteildicken auf ein absolutes Minimum. Der Beitrag stellt den Entwurf vor und liefert neue Erkenntnisse aus den für die Realisierung nötigen wissenschaftlichen Untersuchungen. In einem Großversuch zur Quertragwirkung wurde die Herstellbarkeit des hochkomplexen Bewehrungskorbes validiert und unter Einsatz von faseroptischer Messtechnik die Tragfähigkeit experimentell untersucht. Zentrale Fragestellung war die Machbarkeit der Rahmenecke mit öffnendem Moment unter Einsatz von geraden GFK-Stäben in drei Raumrichtungen, deren Verankerung, und die Interaktion zwischen den verschiedenen Materialtypen. 1. Einleitung Im Rahmen des Landschaftsentwicklungskonzepts Hummelgraben soll im Stuttgarter Stadtbezirk Zuffenhausen an der nördlichen Stadtgrenze eine Brücke für Fußgänger und Radfahrer als Wegeverbindung über die Ludwigsburger Straße errichtet werden. Im Sinne des Gesamtprojektes sollen neue regionale und überregionale Radwegeverbindungen geschaffen werden und bestehende Anbindungen verbessert werden. Um eine lückenlose Anbindung an die geplante Wegeführung zu gewährleisten, wurde sich in den frühen Phasen auf eine geschwungene Grundform geeinigt (Abb.-1). Durch den Einsatz von nichtmetallischer Bewehrung in Verbindung mit hochfestem Beton können die Querschnittsabmessungen des Betontragwerks, insbesondere die Ansichtskanten der Platte und der markanten Stegrippen, auf ein Minimum zu reduziert werden. Darüber hinaus kann auf zusätzliche Abdichtungs- und Schutzschichten aus Asphalt oder Kunststoffen verzichtet werden. Das Tragwerksplanungsbüro für dieses Projekt (knippershelbig GmbH) hat bereits in der Vergangenheit das Potential der Bauweise mit nichtmetallischer Gitterbewehrung, früher als Textilbeton, heute häufig als Carbonbeton bezeichnet, erkannt und in Brückenbauwerken in Zusammenarbeit mit dem IMB der RWTH erfolgreich eingesetzt [1 ε ; 2]. Da die Stadt Stuttgart und das Tiefbauamt als Baulastträger mit dem Wiederaufbau des Rosensteinstegs II [3] ebenfalls bereits Erfahrung mit der innovativen Bauweise sammeln konnte, befürworteten sie auch hier deren Einsatz, um die Grenzen des Betonbaus noch einmal neu zu definieren. Abb.-1: Rendering des Brückenentwurfes über die Ludwigsburger Straße in Stuttgart (Grafik: knippershelbig) 300 5. Brückenkolloquium - September 2022 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert 2. Bauwerksbeschreibung 2.1 Geometrie und Entwurf Das Brückentragwerk wird als zweifeldrige, im Grundriss gekrümmte schlanke Brücke mit Stützweiten von jeweils 17,0-m, einer Konstruktionsbreite von 4,40-m und einer Konstruktionshöhe von 1,90-m geplant. Es wird eine lichte Brückenbreite von 3,20- m gewählt, welche konstant über den gekrümmten Verlauf gehalten wird. Innenseitig bildet die Stegwand mit parametrisch auf den Schnittgrößenverlauf angepassten Öffnungen die räumliche Abgrenzung für die Nutzerinnen und Nutzer. An der Außenkante schließt ein nach innen geneigtes filigranes Stahlgeländer den Brückenraum ab. Die 16 radialen Rippen verleihen der Untersicht der Brücke ein regelmäßiges scharfkantiges Erscheinungsbild. Um eine lichte Höhe unter der Brücke von 4,70 m zu erreichen, steigen Erdrampen bis zum Beginn der Widerlagerkörper. Der ausgeschnittene Kreisring wird leicht räumlich geneigt, sodass das nordöstliche Widerlager tiefer liegt, was der Brücke eine fließende Dynamik verleiht. Die beiden Felder des Überbaus werden als Fertigteile und auf der Baustelle am Übergang miteinander gekoppelt. Zum Widerlager erfolgt eine Verbindung zur Widerlagerwand und zum Ortbetondeck. Der Überbau wird punktuell auf der Mittelstütze gelagert. Durch den nachträglichen Verguss an den Fugen in Feldmitte und an den Widerlagern bildet sich ein semiintegrales Tragwerk aus. 2.2 Tragkonzept Um eine außerordentlich schlanke und dauerhafte Konstruktion auszubilden, wird der Betonüberbau mit nichtmetallischer Faserverbundkunststoffstäben (FVK-Stäben) und -gittern bewehrt. Durch deren hohe Zugfestigkeit, ausgezeichnete Korrosionsbeständigkeit und je nach Stabdurchmesser geringe notwendige Betondeckung kann beispielsweise die Deckplatte der Brückenfertigteile mit zweilagiger Carbonfaserverbundkunststoff (CFK) Gitterbewehrung in der Dicke von nur 10-cm realisiert werden. Die Platte spannt lokal über die mit 2,4 m Abstand angeordneten markanten radialen Rippen der Breite 15-cm. Diese sind auf der Unterseite des Decks und der außen an der Rückwand angeordnet und steifen lokal in der Nebentragrichtung aus. Die Rippen sind mit vorgeformten CFK-Gittern bewehrt. Für die Aufnahme des öffnenden Moments in der Rahmenecke wird jede Rippe mit vertikal, horizontal und diagonal verlaufenden Glasfaserverbundkunststoff (GFK) Stäben als Hauptbewehrung versehen. Die Haupttragwirkung über die beiden Felder in Brückenlängsrichtung (Ringrichtung) wird durch einen Hauptträger bestehend aus Steg, Untergurt und Obergurt übernommen. Die am inneren Rand angeordneten Rückwand bzw. Seitenwand fungiert als Steg, die Funktion des Untergurtes übernimmt die Deckplatte, und der Obergurt wird von einer Kopfverdickung der Rückwand gebildet, die wegen der dreieckigen Querschnittsform als Hammerkopf bezeichnet wird. Um die aus der einseitigen Stützung entstehenden Torsionsmomente aufzunehmen, wird die global gekrümmte Form als Kreisringträger genutzt. Die Rippen übernehmen das Torsionsmoment als Quermoment in die gekrümmten Gurte. Der Hammerkopf bildet dabei das Zuglager für die radial nach außen wirkende Reaktionskraft, und das Deck wirkt als liegender Druckbogen als Lager zur Aufnahme der radial nach innen wirkenden unteren Reaktionskraft. Im Hammerkopf befindet sich ein internes Stahlspannglied ohne Verbund, welches nachträglich gegen die Widerlagerwände vorgespannt wird. Auf Grund der geometrischen Form entstehen im Hammerkopf beim Vorspannen radial nach innen gerichtete Umlenkungskräfte, die jenen gegen die Widerlager verkeilen und vorspannen. Somit kann der Zugbogen des Kreisringträgers überdrückt bleiben. Eine vordefinierte Errichtungssequenz soll die Stützmomente und die daraus entstehenden Zugkräfte im Hammerkopf reduzieren. Die nach innen geneigte Mittelstütze unterstützt durch die horizontale Abtriebskraft die Druckwirkung im Bogen. Die Querkrafttragwirkung des Ringträgers wird durch vorhandene Sichtöffnungen im Steg gestört. Diese rechteckig geformten Aussparungen werden daher in Anlehnung an den Querkraftverlauf hin zu den Auflagern immer kleiner. Sekundärmomente aus der entstehenden Vierendeel-Wirkung werden mit diskreten vertikalen GFK-Bewehrungsstäben aufgenommen. Die Verbindungen zwischen den beiden Fertigteilen untereinander und zu den Widerlagern werden mit zentrisch liegenden Edelstahlbewehrungsbolzen mit Schraubmuffen zur Ausbildung der semiintegralen Wirkung versehen. Die so entstehende fugenlose Konstruktion erhöht die Dauerhaftigkeit, verringert die Notwendigkeit für Wartungen und verbessert die Optik durch Vermeidung von unkontrolliert punktuell ablaufendem Regenwasser. Die vorab in Ortbeton herzustellenden Widerlagerkörper, bestehend aus Deck, Vorspann-, Widerlager und Flügelwänden, gründen auf einer Kopfplatte mit Bohrpfählen. Da diese Bauteile keiner Anforderung an die optische Schlankheit unterlagen, wurden sie konventionell in Stahlbeton geplant. Abb.-2: Untersicht des Brückenmodells mit Rippen und zentraler Stütze (Grafik: knippershelbig) 5. Brückenkolloquium - September 2022 301 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert 2.3 Materialien für den Überbau Die für den Überbau eingesetzten Bewehrungsprodukte wurden im Rahmen der Tragwerksplanung in Zusammenarbeit zwischen Planer und Gutachter festgelegt. Abb.-3 (a) zeigt das ebene CFK-Gitter, das in der Platte und in der Rückwand als flächige Bewehrung eingesetzt wird. Es weist einen Faserquerschnitt von 3,62-mm² bzw. 95-mm²/ m auf und erreicht mittlere Bruchspannungen von 3300-N/ mm² sowie E-Moduln von 230.000-N/ mm² bezogen auf diese Fläche in beide Gitterrichtungen, (0° und 90°). In den Stegen sowie als Randeinfassung sind vorgeformte CFK-Gitter aus dem gleichen Grundmaterial mit einem Standardumlenkradius von 10-mm geplant (Abb.-3 (b)). Alle Ansichtskanten sind mit übergroßen Fasen (25-mm) versehen, um eine noch schlankere Optik zu erzielen. Dies wird beim Umlenkradius der Randformprofile (35-mm) berücksichtigt. Die konzentrierte Zulagebewehrung der Stege und des Vierendeelträgers der Rückwand bilden gerade GFK-Stäbe der Nenndurchmesser 16-mm und 20-mm, Abb.-3 (c). Die Stäbe weisen eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung in Deutschland für einen begrenzten Anwendungsbereich auf, der hier allerdings überschritten wird [4]. Abb.-3: Nichtmetallische Bewehrungen für die Brücke Fotos: (a) [5]; (b), (c): IMB RWTH Der Beton für den Überbau muss gemäß Planung die Festigkeitsklasse C80/ 95 erreichen, soll möglichst selbstverdichtend sein und den Regelungen analog zum konventionellen Stahl- und Spannbetonbau genügen [6 ε ; 7]. Hiernach ist ein Größtkorn der Gesteinskörnung >-4-mm erforderlich. Zum Schutz der Bewehrung vor Korrosion liegen keine Anforderungen an den Beton vor. Für die direkt exponierten Betonflächen gilt die Expositionsklasse XF4. Aus vorangegangenen Projekten ist bekannt, dass die ausreichende Frost/ Tausalzbeständigkeit des Betons experimentell nachgewiesen werden kann (z.-B. [2]), wenn mit dem Einsatz von Luftporenbildnern zur Erreichung des Mindestluftgehaltes gemäß Anhang F in [7] keine ausreichend hohe Druckfestigkeit erreicht werden kann. Alternativ wurde z.-B. für die Brücke in [8] argumentiert, dass ein hochfester Beton durch seinen geringen w/ z-Wert Eigenschaften analog zu einem erdfeuchten Beton (gemäß [7] w/ z ≤ 0,4) aufweist und damit ausreichend Frost- Tausalzbeständig ist (vgl. auch [9]). Die hochfesten Betone, die im Rahmen des Carbon-Concrete-Composites (C³) Projektes entwickelt wurden [10], wiesen ebenfalls eine ausreichende Frost-Tausalzbeständigkeit auf, wie experimentell bestätigt wurde. Aus Sicht der Autoren wäre eine Neuregelung in dieser Sache wünschenswert, um den Aufwand für den Nachweis der ausreichenden Frost-Tausalzbeständigkeit für den Einsatz hochfester Betone als Fahrbahndecken zu minimieren. Denn dies ist bei Einsatz von nichtmetallischen Bewehrungen die Regelbauweise. Da die finale Betonrezeptur, die oben genannten Anforderungen erfüllt, erst durch die ausführende Firma festgelegt werden soll, wurde für die notwendigen experimentellen Bauteiluntersuchungen hilfsweise ein Beton mit entsprechenden Eigenschaften aus einem abgeschlossenen Forschungsvorhaben des IMB der RWTH ausgewählt (vgl. [11] und Beton „C2“ in [12]). Dieser Beton wurde bereits erfolgreich für sehr dichte Bewehrungsanordnungen aus CFK/ GFK-Gittern und Carbonspannstäben in 60-mm dicken Deckschichten eingesetzt. 3. Bauen mit nichtmetallischer Bewehrung außerhalb von Zulassungen und Normen 3.1 Rechtlicher Rahmen Die Musterbauordnung und die Landesbauordnungen, hier für das Land Baden Württemberg [13], weisen für Hochbauten Wege für das Bauen mit nicht geregelten Produkten und Bauweisen auf. Verkehrsanlagen und zugehörige Nebenbauten sind ausgenommen. Die Brücke über die Ludwigsburger Straße fällt unter die Regelungen des Straßengesetzes Baden-Württemberg [14], und der Stadt Stuttgart obliegen als Baulastträger auch alle mit dem Bau und der Unterhaltung der Straßen zusammenhängenden Aufgaben [3]. Folglich kann das Tief bauamt als Straßenbaulastträger der Stadt Stuttgart selbst eine Zustimmung im Einzelfall mit vorhabenbezogener Bauartgenehmigung erteilen. Grundlage für diese Entscheidung ist neben dem Einbezug eines Prüfstatikers in der Regel eine fachliche Stellungnahme eines geeigneten Gutachters, die falls nötig auch mit experimentellen Untersuchungen verbunden sein kann. Gesetzlich verankert ist dies im Detail allerdings nicht, sondern obliegt dem Ermessen der zustimmenden Behörde. Das Tief bauamt der Stadt Stuttgart hat zwar aus vorangegangenen Projekten Erfahrung mit Carbonbeton im Brückenbau [3], im vorliegenden Fall ist die Komplexität noch einmal deutlich größer. Letztlich haben die „Träger der Straßenbaulast dafür einzustehen, dass ihre Bauten allen Anforderungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung genügen“, vgl. §-9a in [14]. Vorliegend entschied sich das Tief bauamt daher wiederum für die Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme. Entscheidend für die Qualität des finalen Bauwerkes ist, dass klare Regelungen zur Zertifizierung, Überein- 302 5. Brückenkolloquium - September 2022 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert stimmungserklärung des Herstellers und zur Eigen- und Fremdüberwachung im ZiE/ vbG-Bescheid festgehalten werden. Diese flankieren die eigentliche gutachterliche Beurteilung und sollen gewährleisten, dass Konformität zwischen den in der statischen Berechnung und gutachterlichen Stellungnahme angenommenen Werten und Randbedingungen mit denen im final hergestellten Bauprodukt vorliegt. Dies ist angesichts der fehlenden Regelwerke zur Ausführung von nichtmetallisch bewehrten Betonbauteilen und der geringeren notwendigen Toleranzen bei Bauteilen mit stark reduzierten Abmessungen dringend geboten. Die Regelungen aus [13] können hierfür zweckmäßigerweise übertragen und ggf. ergänzt werden. 3.2 Vorgeschlagenes Untersuchungsprogramm Im vorliegenden Projekt ist die gutachterliche Beurteilung des ausreichenden Trag- und Verformungsverhaltens aus mehreren Gründen anspruchsvoll. Ein Belastungsversuch der ganzen bzw. einer Hälfte des Überbaus, wie seinerzeit bei der Carbonbetonbrücke in Albstadt- Ebingen geschehen [2], ist aus wirtschaftlichen Gründen ausgeschlossen, und wäre zudem technisch extrem herausfordernd. Das Tragwerk wird erst durch die globale Druckbogenwirkung in Verbindung mit der Vorspannung funktional, und diese im Versuch nachzustellen wäre sehr aufwendig. Da der Hauptlastabtrag des Zuggliedes aus Stahllitzen und des Betons auf Druck mit konventionellen Methoden und Modellen des Stahl- und Spannbetonbaus nachweisbar ist, war die Notwendigkeit aus Sicht der Beteiligten hierfür auch nicht gegeben. Das IMB der RWTH hat daher in Zusammenarbeit mit dem Tief bauamt und dem Planer sowie dem Prüfstatiker ein gemischtes Nachweisformat aus kleineren und mittleren experimentellen Untersuchungen (Tab. 1) und theoretischen Untersuchungen sowie die Nutzung von vorhandenen Ergebnissen aus Zulassungs- und Forschungsprojekten vorgeschlagen. Kern der Beurteilung ist die Frage, ob das vom Planer verwendete nichtlineare 3D-Finite-Elemente Berechnungsmodell sowie das vereinfachte Stabwerkmodell für die Tragrippen in der Lage sind, die Kräfteverteilung in der Bewehrung und im Beton, das gesamte Tragverhalten und das Verformungsverhalten geeignet vorherzusagen. Für den Vergleich wurde ein repräsentatives Rippensegment bestehend aus Steg, Platte, Rückwand und Hammerkopf definiert, das in einem 1: 1 Großversuch bis zum Bruch belastet werden soll. Dieses Bauteil trägt als Rahmenecke mit öffnendem Moment im Nebentragsystem des Brückenüberbaus und ist aus Sicht der Beteiligten das kritische Element der Brücke. Die als Hauptzugbewehrung eingesetzten GFK-Stäbe werden---anders als im Stahlbetonbau für Rahmenecken üblich---gerade verankert, da entsprechend vorgeformte Elemente des Herstellers zwar verfügbar sind, allerdings nicht bauaufsichtlich zugelassen und in Ihren Eigenschaften deutlich weniger umfassend charakterisiert sind. Mit der Herstellung des Rippenelementes für den Großversuch können Erkenntnisse zur Herstellbarkeit des Bewehrungskorbes und der Betonierbarkeit gewonnen werden. Klar ist aber auch, dass ein einzelner Kurzzeitversuch nicht geeignet ist, um langfristige Verformungen experimentell zu bestimmen oder um statistisch signifikante Versuchsanzahlen zur Ableitung von charakteristischen Widerständen zu ermitteln. Es geht vielmehr um eine phänomenologische Untersuchung der Versagensankündigung, der Versagensmechanismen, der Spannungsverteilung und des Rissverhaltens. Tab. 1: Übersicht Versuchsprogramm Versuchsart Untersuchungszweck Gutachten für ZiE/ vBG Bauteilversuch Rahmenecke Herstellbarkeit der Brücke, insb. Betonierbarkeit; Rissbildungsverhalten; Rissbreiten in der Rahmenecke; Verankerungsverhalten der GFK-Stäbe und CFK-Gitter; Wirksamkeit Querkraftbewehrung; Zusammenwirken Gitter- und Stabbewehrung Vorgeformte CFK-Gitter Zugversuche Zugfestigkeit und E-Modul im geraden Teil; Festigkeit in der Umlenkung Vorgeformte CFK-Gitter Biegeversuch (Übergreifung) Tragfähigkeit der Übergreifung der Querkraftbewehrung (U-Profile) im Steg (Werkseigene) Produktionskontrolle GFK-Stäbe Zugversuche Konformitätskontrolle Zugfestigkeit, E-Modul Ebene CFK-Gitter Zugversuche Konformitätskontrolle Zugfestigkeit, E-Modul Vorgeformte CFK-Gitter Zugversuche Konformitätskontrolle Festigkeit in der Umlenkung, E-Modul, Umlenkradius Für die Vorhersage des Biege- und Querkraftwiderstandes der Platte sowie für den Nachweis der Verankerung bzw. Übergreifung existieren etablierte Modelle in der Forschung, die inzwischen auch Eingang in den vom Unterausschuss Nichtmetallische Bewehrung verabschiedete Entwurf der Richtlinie „Betonbauteile mit nichtmetallischer Bewehrung“ des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton gefunden haben [15]. Grundlage hierfür sind Materialkennwerte, die durch geeignete (standardisierte) Prüfverfahren bestimmt wurden. Für die ebene Bewehrung liegen hierzu umfangreiche Ergebnisse aus vorangegangenen Projekten und Herstellerangaben vor. Für die vorgeformte Bewehrung, der im Steg der Rippe eine wesentliche Tragfunktion als Querkraft- und Spaltzugbewehrung zukommt, fehlen hingegen ausreichende Widerstandskennwerte. Die Untersuchungen in [16] zeigten, dass mit deutlichen Abminderungen der Festigkeit und des Elastizitätsmoduls gegenüber dem ebenen Bewehrungsmaterial gleichen Bewehrungsquerschnittes ge- 5. Brückenkolloquium - September 2022 303 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert rechnet werden muss. Die Gründe hierfür sind eine geringere Parallelisierung der Fasern im freien Teil durch das andere Herstellverfahren, die nicht-konstante (lineare) Spannungsverteilung über den Faserstrangquerschnitt in der Umlenkung bei Zugbeanspruchung sowie lokale Spannungskonzentrationen auf das anisotrope Material in der Umlenkung. Die für die Berechnung notwendigen Kennwerte müssen daher für die gutachterliche Stellungnahme experimentell im einaxialen Zugversuch und im Faserstrangauszugversuch am gekrümmt einbetonierten Element ermittelt werden. Eine Besonderheit der Brückengeometrie begründete zudem neue Biegeversuche zur Charakterisierung des Übergreifungsstoßes der Gitterbewehrung: Durch die Voutung der Rippe muss die Stegbewehrung aus zwei U- Steckern zusammengesetzt werden, da eine (wirtschaftliche) Herstellung von geschlossenen Körben mit Voute mit dem designierten biaxialen Gittermaterial nicht möglich ist. Auch der Bewehrungseinbau wäre durch geschlossene Bügelkörbe erheblich erschwert. Da die U-förmigen Bewehrungselemente gleichsam Bügelkörben orthogonal zum freien Rand ausgerichtet sein müssen, ergibt sich ein um 7,7° verdrehter Übergreifungsstoß, der zudem in seiner Länge durch die lieferbare Breite des Ausgangsmaterials begrenzt wird. Ob ein solcher - eigentlich zu kurzer - Stoß eine ausreichende Tragfähigkeit ohne vorzeitige Abplatzungen liefern kann, war zu klären. Schlussendlich ergibt sich die für die Querkrafttragfähigkeit ansetzbare Festigkeit des CFK-Formprofiles aus dem Minimum der Werte in der freien Länge, der Umlenkung, und des Übergreifungsstoßes. Das Untersuchungsprogramm und die darauf basierende gutachterliche Stellungnahme hat nicht zum Ziel, die Einwirkungen (insbesondere Temperatur, Auswirkung der Vorspannung, Schwinden und Kriechen) und die Schnittgrößenermittlung für das Tragwerk zu verifizieren. Diese unterliegen der regulären Bautechnischen Prüfung. Nachfolgend wird ein Teil des Untersuchungsprogrammes, der Bauteilversuch, näher beschrieben. 4. Bauteilversuch 4.1 Prüfkonzept und Messtechnik Das Rahmeneckelement wurde im Maßstab 1: 1 konzipiert, und die Geometrie gegenüber der finalen Brücke nur geringfügig vereinfacht: Beispielsweise wurde keine Randaufkantung unterhalb des Geländers vorgesehen, Schalkanten zur einfacheren Auflagerung begradigt, und die Bewehrung in der Platte orthogonal zum Steg ausgerichtet. Als Breite des Probekörpers wurde 50-cm gewählt, was dem Abstand zwischen zwei vertikalen Öffnungen in der Rückwand unmittelbar neben jeder Rippe entspricht. Hierdurch können das monolithische Tragverhalten zwischen Platte und Rückwand und die dort wirkenden Sekundärbiegemomente erfasst werden, sowie die Rissbildung bzw. der Rissverlauf in der Rahmenecke besser eingeschätzt werden. Die maßgebende Einwirkung für die Rahmenecke ist die flächige Vollbelastung der Platte aus Eigengewicht- und Verkehr, die als Linienlast auf das Rippenelement weitergegeben wird. Eine solche Belastung ist Versuchstechnisch aufwändig zu simulieren, weshalb eine äquivalente Ersatzeinzellast im lichten Abstand 1,9-m zur Rückwand aufgebracht wurde (Abb.- 4). Mit dieser Distanz ergibt sich ein ähnliches Momenten-Querkraft-Verhältnis an der mutmaßlich kritischen Stelle (Bereich Abstand d von der Ecke), und ein ausreichend großes Schubfeld, sodass keine direkte Druckstrebe entsteht und ein Biegeschubbzw. Schubzugversagen auftreten kann. Im realen Tragwerk lagern sich die Rippen unten auf den inneren, liegenden Druckbogen, während sie am Kopf durch das gekrümmte Spannglied im Hammerkopf gehalten sind. Aus diesem Kräftepaar entsteht lokal betrachtet eine Einspannung. Im Versuch wird dies durch Horizontallagerung an einer 1-m dicken vorgespannten „Reaction Wall“ mit Stahldruckstützen in der Achse der Platte bzw. Zugstangen in der Achse des Leerrohres für das Spannglied realisiert. Die vertikale Halterung erfolgt indirekt durch Auflegen der seitlich über den Steg ragenden Rückwandstummel auf Stahlrollen in ihrer Mittelachse. Diese Form der Auf hängung des Probekörpers ist von besonderer Bedeutung, um die Spannungen im Verankerungsbereich der Hauptbewehrung ähnlich denen im realen Tragwerk zu simulieren. Bei einer direkten Auflagerung an der Unterseite des Steges hätte sich eine Druckspannung und ein direkter Lastabtrag ergeben. Der Rotationspunkt des Versuchskörpers liegt damit in der Schnittachse von Platte und Rückwand. Die Belastung erfolgt mittels Hydraulikpumpe in Handsteuerung (Kraftgesteuert), als Belastungsgeschwindigkeit wurden 5 kN/ min festgelegt. Planmäßig wurde eine Entlastung nach der rechnerischen Erstrissbildung in der Rahmenecke zur Beurteilung der Rissbreiten im Gebrauchszustand mit anschließender Wiederbelastung bis zum Bruch vorgesehen. Abb.-4: Skizze des Versuchskörpers mit Auflagerung und Belastungspunkt (Grafik: knippershelbig) Ein Kernziel des Bauteilversuchs ist die Validierung der Modelle durch Vergleich von berechneten mit gemessenen Spannungen, Widerständen, und beobachte- 304 5. Brückenkolloquium - September 2022 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert ten Versagensarten. Hierzu wurde umfangreiche interne und externe Messtechnik appliziert (Abb.-5): Konventionelle Wegaufnehmer messen die Verformung unter der Last sowie in den Auflagern, um Starrkörperverschiebungen/ -rotationen aus der Auflagerdeformation bereinigen zu können. Mittels digitaler Bildkorrelation werden die Rissbildung und das Risswachstum im Stegbereich (2D) sowie in der Platte und Rückwand im Rahmeneckbereich (3D) verfolgt. Als interne Messtechnik sind auf der Hauptzugbewehrung Dehnungsmesstreifen (DMS) und Faseroptische Sensoren (FOS) appliziert, mit denen der Spannungsverlauf in den GFK-Stäben insbesondere im Verankerungsbereich detailliert erfasst werden kann. Abb.-5: Messtechnik für den Großversuch (Grafik: IMB RWTH) 4.2 Herstellung Die Herstellung des Probekörpers erfolgte in positiv-Fertigung im Gießverfahren. Diese Form der Herstellung entspricht der von den Beteiligten antizipierten Herstellung der späteren Brückenfertigteile ähnlich einer sogenannten PI-Platte im Fertigteilwerk, d.-h. mit Eintiefung der Rippen in einen Schalboden. Der Bewehrungskorb wurde schrittweise zusammengesetzt, wobei besondere Vorsicht im Bereich der Berührungspunkte der Stabbewehrung in drei Raumrichtungen mit applizierter Messtechnik geboten war (Abb.-6). Das bekannte Problem der gegenseitigen Durchdringung von gitterförmigen Bewehrungen (z.-B. [17]) wurde hier gelöst, indem alle verwendeten Gitter das gleiche Raster aufwiesen und bei dem von oben eingesteckten U-Profil als oberer Teil der Querkraftbewehrung im Steg die Längsfaserstränge im vertikalen Teil entfernt wurden. Abb.-6: Fertiger Bewehrungskorb vor Schließen der Seitenschalung (Grafik: IMB RWTH) Es wurden zwei Betonierabschnitte vorgesehen, damit die Entlüftung der Platte nicht durch einen geschlossenen Schaldeckel behindert wird und die Plattenoberseite glatt abgezogen werden konnte. Eine Aufkantung von ca. 10 cm soll der Forderung der Dichtigkeit im Eckbereich im Gebrauchszustand Rechnung tragen, d.-h. die Arbeitsfuge soll nicht genau in der Ecke zwischen Brückendeck und Rückwand liegen, die später der Entwässerung in Brückenlängsrichtung dient. Ob die reale Brücke ebenfalls mit Fuge oder monolithisch hergestellt wird, hängt von der Herstellbarkeit mit dem konkreten verwendeten Beton, sowie dem vorhandenen Schalungs- und Verdichtungssystem zusammen. Ein Herstellen in zwei Schritten ermöglicht die Schrägabstützung der Rückwand gegen die erhärtete Platte, ist aber aufwändiger und ggf. mit Nacharbeiten im Arbeitsfugenbereich verbunden. Die Herstellung und Prüfung mit Arbeitsfuge liefert mutmaßlich konservative Widerstände („auf der sicheren Seite“). Im ersten Betonierabschnitt war der Beton bei der Einbringung zu steif (Setzfließmaß t 500 = 12,9-s gemäß [18]), und das Umfließen der Bewehrung gelang nur bedingt. Nur durch händisches kleinschrittiges Verdichten und der Betonage von zwei Seiten konnte der Betonierabschnitt erfolgreich hergestellt werden. Durch Nachsteuerung der Fließmittelmenge konnte im zweiten Abschnitt die Konsistenz besser auf die vorherrschende Außentemperatur eingestellt werden (t 500 -= 5,6-s), und die Betonage gelang deutlich leichter. Der ausgeschalte Probekörper konnte in Bereichen mit mehreren überkreuzten Gitterlagen (Rahmeneckbereich des Steges) eine Unterschreitung der geplanten Betondeckung festgestellt werden. Hier ist im finalen Bauwerk mit zusätzlichen Abstandhaltern nachzusteuern. Insgesamt war die Qualität des finalen Bauteiles jedoch zufriedenstellend für die weitere experimentelle Untersuchung. Es muss aber klar festgehalten werden, dass die Grenze des noch sinnvoll herstellbaren Probekörpers mit der vorliegenden Geometrie und Bewehrungsführung erreicht wurde. In jedem Fall übertrifft die Komplexität der Bewehrungsanordnung alle bisher am IMB der RWTH Aachen im Bereich nichtmetallische Bewehrung hergestellten und geprüften Elemente. 5. Brückenkolloquium - September 2022 305 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert Abb.-7: Bauteilversuchskörper nach dem Ausschalen (Grafik: IMB RWTH) 4.3 Prüfung und Diskussion der Ergebnisse Die Vorbereitung des Großversuches stand unter dem Einfluss von vielen Unwägbarkeiten, da der finale Versagensmechanismus a priori nicht sicher vorhergesagt werden konnte. Wegen des potenziell spröden Bruchs, der sowohl bei Betonspalten, bei Betondruckstrebenversagen oder bei Bruch der nichtmetallischen Biegezug- oder Querkraftbewehrung auftritt, waren zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen für das beteiligte Personal erforderlich, z.-B. Schutzwände und Schrägabspannungen des oberen Widerlagers der Lasteinleitung (Abb.- 8). Der kritische Teil der Rahmenecke, bei dem es zum Verankerungsversagen der Stabbewehrung kommen sollte, wurde durch die Auflagerböcke des Trägers verdeckt um das Schädigungspotential von herumfliegenden Betonstücken zu minimieren (Abb.-8, gelbe Stahlböcke). Abb.-8: Probekörper im eingebauten Zustand vor der Prüfung (Foto: IMB RWTH) Insgesamt hat die Prüfung des Bauteils sehr gut funktioniert. Es kam zu keinerlei unerwartetem Verhalten, und die Messtechnik hat die Herstellung nahezu vollständig unbeschadet überstanden und war während des Versuchs funktional. Der Bruch kündigte sich durch ausgeprägte Biege- und Schubrissbildung im Steg, in der Platte und in der Rückwand an (Abb.-9). Das eigentliche Versagen war schließlich ein Verbundspalten ausgehend von den sechs horizontalen GFK-Stäben im Stegbereich, genauer im Druckbereich der Rahmenecke bei einer Prüflast von 162-kN. Bei dieser Last lag eine mittlere Dehnung von ca. 8-‰ im obersten der drei Lagen horizontale Stäbe vor, was einer Spannung von ca. 480-N/ mm² entspricht - mehr als die rechnerisch ansetzbare Bemessungszugfestigkeit dieses Materials (580/ 1,3-=446-N/ mm²). Interessanterweise kündigte sich auch dieses Versagen an: Schon vor Erreichen der Bruchlast war ein vertikaler Spaltriss an der Stirnseite des Steges in Verlängerung der sechs horizontalen GFK-Stäbe bei der Laststufe 120 kN durch Dehnungsabfall des dort außen auf dem Beton applizierten DMS erkennbar. Der Riss war makroskopisch auch vor dem Bruch sichtbar, zuletzt bei 150 kN, aber wurde zunächst durch die dort vorhandene CFK- Randeinfassung wirksam überbrückt. Erst bei weiterer Laststeigerung kam es zum Bruch der CFK-Formbewehrung in deren Umlenkung und dadurch zum Verlust der Umschnürungswirkung. Folglich konnte der Riss weiter aufgehen und den Steg vollständig spalten, was mit einem Verlust der globalen Tragfähigkeit des Bauteils einherging. Bei Verankerungsversagen durch Spalten ist der Einfluss durch Langzeiteffekte (z.-B. durch Kriechen oder Schädigung des Polymerharzes) mutmaßlich geringer als beim Verankerungsversagen durch Abscheren der Stabrippen. Letztes ist Grundlage für den Bemessungswert der ansetzbaren Verbundspannung aus [4], der an vollständig umschnürten Probekörpern im Langzeitverbundversuch ermittelt wurde. Gemäß EC2, Abschnitt 8.4.2 [19], ist für die Zugfestigkeit des Betons, die die Grundlage für die Berechnung der Verankerungslänge ist, im Kontext des Verbundes keine Dauerstandabminderung anzusetzen (ɑ ct -=-1,0). Vor diesem Hintergrund kann aus Sicht der Autoren durchaus eine Übertragung der Ergebnisse des Kurzzeitversuches in puncto Verankerung für die Bemessung der finalen Brücke vorgenommen werden, oder mindestens der Vergleich zwischen experimentell ermittelter Verbundfestigkeit (bei Spalten) zu theoretisch ansetzbarer Bemessungsverbundfestigkeit (gemäß Zulassung). In jedem Fall begründet sich aus der Auswertung die Forderung, dass die gesamte rechnerisch auftretende Spaltzugkraft aus der Verankerung der Stäbe durch Umschnürungsbewehrung abgedeckt werden muss. Andernfalls kann Verankerung der Stäbe rechnerisch nicht nachgewiesen werden. Konkret heißt das, dass zusätzlich zu den vorhandenen Randeinfassungen noch Umschnürungsprofile aus CFK um die horizontalen und vertikalen Stäbe nahe deren Ende eingebaut werden müssen. Die in [4] angegebenen Bemessungswerte der Verbundfestigkeit sind strenggenommen nur für verbügelte Querschnitte oder Platten mit Umschnürungswirkung der Stäbe ansetzbar, bei denen das globale Verbundspalten wirksam ausgeschlossen bzw. die aufgehenden Spaltrisse in ihrer Rissbreite wirksam begrenzt sind. Im Folgenden werden nur die Ergebnisse auf Bruchlastniveau diskutiert. Weder Biegenoch Querkrafttragfähigkeit waren in diesem Kurzzeitversuch am Bauteil maßgebend. Dies ersetzt allerdings keine Bemessung und keine Beurteilung auf theoretischer Basis, da die ansetzbaren Festigkeiten aus Langzeitversuchen insbesondere 306 5. Brückenkolloquium - September 2022 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert bei der GFK-Bewehrung erheblich niedriger sind als die Kurzzeitfestigkeiten und auf Basis des einen Versuches kein charakteristischer Widerstand abgeleitet werden kann. Allerdings ist ein Ergebnis dieses Großversuches, dass die Kombination aus verschiedenen Bewehrungstypen nicht zu unerwünschten Effekten (Abplatzungen, vorzeitiger Bruch von verbundsteiferer Bewehrung, etc.) geführt hat. Aus dem Rissbild lässt sich sehr gut auf den Spannungsverlauf in der Rahmenecke schließen, da die im Versuch erreichten Bewehrungsspannungen nah bei den planerisch angesetzten liegen. Es sei angemerkt, dass in der Planung ebenfalls das Verankerungsversagen der Stabbewehrung maßgebend für die Wahl des Bewehrungsquerschnitts war. Abb.-9: Rissbild nach Versuchsende und Detail der Verankerungszone mit Abplatzungen (Fotos: IMB RWTH) Das vom Planer angenommene Stabwerkmodell passt zum beobachteten Rissbild. Dies kann durch die Messergebnisse von DMS und FOS bestätigt werden. Zunächst lässt sich festhalten, dass die Messungen der verteilten Messung mit FOS sehr gut zu den punktuellen Ergebnissen der DMS passen (Abb.-10). Die Messung erfolgte auf zwei unterschiedlichen Stäben (Ho1/ Ho4) auf gleicher Höhenlage. Die Streuungen der kontinuierlichen Messung erklären sich teilweise durch die gefrästen Rippen der Stäbe, wie im Vorfeld an einaxialen Zugversuchen und einfachen 4-Punkt-Biegeversuchen erkannt wurde, teilweise sind sie dem FOS-System immanent. Da die Messung der Faser umfangsnah in einem eingefrästen Schlitz (Tiefe ca. 1-mm) erfolgt, sollten lokale Dehnungsspitzen nicht mit der mittleren Stabdehnung des ganzen Querschnittes gleichgesetzt werden. Eine Glättung (Trendlinie), wie bei der letzten Laststufe LS5 eingezeichnet, kann zur besseren Beurteilung vorgenommen werden. Von der Lasteinleitung links kommend steigt die Spannung in den Stäben in Abb.-10 zunächst nur geringfügig an und bleibt dann nahezu konstant. Dieses Plateau ist leicht mit der Voutengeometrie erklärbar und passt sehr gut zu den rechnerisch vorhergesagten Spannungen. Der steile Anstieg der Stabspannung beginnt schon deutlich vor dem Ende der Platte, da die in der ebenen CFK-Bewehrung der Platte vorhandenen Kräfte auf die Stäbe umgelagert werden müssen. Im Knoten selbst tragen dann fast ausschließlich die Stäbe, der Beitrag der monolithischen Platte-Rückwand-Verbindung ist vernachlässigbar, weil nicht der volle Bewehrungsquerschnitt (2 Lagen) biegesteif um die Ecke geführt werden kann. Von besonderem Interesse für die Beurteilung ist das Verhalten im Verankerungsbereich der Stäbe. Hier kommt es zunächst zu einem weiteren Plateau im direkten Knotenbereich, gefolgt von einem näherungsweise linearen Abfall der Stabdehnung von ca. 8-‰ auf knapp über 1,7-‰. Am Ende wird die Steigung allerdings sichtbar steiler. Durch die notwendige Terminierung der FOS endet die kontinuierliche Messung ca. 3,6-cm vor dem Stabende. Offensichtlich ist hier aber noch vergleichsweise hohe Kraft (ca. 32-kN) im Stab vorhanden. Würde man die mittlere Steigung der Dehnungskurve bis zum Stabende extrapolieren (Annahme konstante Verbundspannung über die Einbindelänge), könnte diese Kraft nicht verankert werden. Anders gesagt: Der in der Druckzone der Rahmenecke verankerte Teil des Stabes muss einen überproportionalen Anteil zur Verankerung liefern, gleichsam einem Endverankerungselement. Mit Blick auf das Rissbild in diesem Bereich und das Wissen um die schlechtere Verankerung in gerissenem Beton ist diese Beobachtung plausibel. Wenn nun am Stabende eine hohe Restkraft punktuell verankert werden muss, führt dies zu konzentriert wirkenden Spaltkräften. Diese überlagern sich mit den Querzugkräften aus der Druckbeanspruchung, die aus der Biegetragwirkung der Rahmenecke resultiert, und den inneren Umlenkkräften, die bei Umfließen der querdehnweichen Stabbewehrung entstehen. Der beobachtete Versagensmechanismus --Verbundspalten an der Stirnseite mit Bruch der Formbewehrung-- passt folglich sehr gut zu den Dehnungsmessungen am Stab. Die Formbewehrung war zunächst zur Begrenzung des Spaltrisses wirksam. Für eine effektive Kontrolle lagen aber zu wenige Faserstränge in Dickenrichtung des Steges im unmittelbaren Verankerungsbereich, und bei weiterer Laststeigerung brachen die Profile in ihrer Umlenkung. Hieraus ergeben sich zwei Forderungen: Erstens sollten die Stäbe so nah wie (aus optischen Gründen) möglich an die Stirnseite des Steges geführt werden. Zweitens sollte zusätzliche Formbewehrungen ähnlich einer Wendelbewehrung bei Spanngliedverankerung die Stäbe im 5. Brückenkolloquium - September 2022 307 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert Druckbereich der Rahmenecke umschnüren. Diese Bewehrung muss in der Lage sein, die gesamte ansetzbare Stabkraft einmal senkrecht zum Stab aufzunehmen. So bleibt die Rahmentragwirkung auch nach Spaltrissbildung intakt und der Gesamtwiderstand des Bauteils kann noch einmal gesteigert werden. Abb.-10: Auswertung der Faseroptischen und konventionellen Messtellen am Beispiel des obersten horizontalen Stabpaares (Grafik: IMB RWTH) 5. Fazit und Ausblick Im vorliegenden Projekt wurde an mehreren Stellen die Grenzen des aktuell im Bereich Betonbauteile mit nichtmetallischer Bewehrung Machbaren ein Stück weit neu definiert: Bei der Komplexität der nichtmetallischen Bewehrung als Kombination aus Stäben und Gittern, bei der Bewehrungsführung in der Rahmenecke mit öffnendem Moment, bei den geringen Querschnittsabmessungen in Verbindung mit einer anspruchsvollen Geometrie, und nicht zuletzt beim gemischten Nachweiskonzept. Dies gelang nur durch konstruktive Zusammenarbeit, Ausdauer und dem Willen von Planerinnen und Planern, Prüfenden, Bauherrin, Gutachern und der Zustimmungsbehörde etwas Außergewöhnliches zu schaffen. Das Einsparpotential an Beton und damit Eigengewicht und Reduktion des CO 2 -Fußabdrucks im Carbonbetonbau kann nur dann gehoben werden, wenn aufgelöste Geometrien in Verbindung mit Vouten und Vorspannung geplant werden. Bei minimaler Betondeckung und ausgedünnten Querschnittsabmessungen kann dann allerdings in stärkerem Maße als bei konventionellen Stahlbetontragwerken die Verankerung der Bewehrungselemente maßgebend für die globale Tragfähigkeit werden. Vom Planer dies zu verinnerlichen und kritisch zu hinterfragen, für welche Randbedingungen die vom Hersteller angegebenen Verbundkennwerten für Stäbe, Gitter und Formprofile Gültigkeit besitzen. Wirklich sinnvoll ist die Bauweise mit nichtmetallischer Bewehrung aber erst dann, wenn z.-B. in der Planung bewusst wartungsarm konstruiert wird und in Verbindung mit dem Verzicht auf Abdichtungs- und Schutzschichten ein---über den Lebenszyklus gerechnet---kosteneffizientes Tragwerk entsteht. Es soll also nicht nur Stahl substituiert werden, sondern gänzlich anders konstruiert werden. Im hier beschriebenen Brückentragwerk ergänzen sich stabförmige Bewehrungen und verteilte gitterförmige Bewehrungen und Formprofile sinnvoll. Wie bereits in [16] erkannt muss nicht starr zwischen Stab und Gitter unterschieden werden, sondern das Bauen mit nichtmetallischer Bewehrung muss vom fließenden Übergang und von der geschickten Wahl eines angepassten Bewehrungsquerschnittes geprägt sein. Das anspruchsvolle Tragwerk der Brücke über die Ludwigsburger Straße kann zum aktuellen Zeitpunkt nur durch Verbindung von verschiedenen Nachweisformen, theoretischen Betrachtungen und Nutzung von neuen Versuchsergebnissen realisiert werden: lineare und nichtlineare 3D-FE-Rechnung, Bauteilversuch, Kleinkörperversuche, und langjährige Erfahrung der Beteiligten mit den verwendeten Werkstoffen. Moderne Messtechnik wie FOS und DIC unterstützen bei der Beurteilung von Versuchsergebnissen, ersetzen aber nicht das notwendige ingenieurmäßige Denken und Konstruieren bei allen Beteiligten. Durch die geplante Richtlinie „Betonbauteile mit nichtmetallischer Bewehrung“ des DAfStb werden für die Planung und Prüfung standardisierte Regeln vorgeschlagen, die das Bauen mit Carbonbeton sicherlich deutlich erleichtern, aber kein Planungsschema für jeden Fall darstellten. Die grundlegende Wahl des richtigen Tragwerkes, passenden Materials und geeigneten Nachweiskonzepts für den jeweiligen Zweck bleibt also auch zukünftig die spannende und herausfordernde Aufgabe der planenden Ingenieurinnen und Ingenieure. 6. Danksagung Die Autoren bedanken sich bei allen Projektbeteiligten für die gute Zusammenarbeit in diesem anspruchsvollen Projekt. Der Schöck Bauteile GmbH sei für die Bereitstellung des stabförmigen GFK-Bewehrungsmateriales für die Vor- und Hauptversuche gedankt. Literatur [1] Bielak, J.; Will, N.; Hegger, J. 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