eJournals Brückenkolloquium 5/1

Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
91
2022
51

Erste Straßenbrücke aus Carbonbeton – Erfahrungen und Erkenntnisse aus Planung und Bau

91
2022
Sebastian May
Alexander Schumann
Enrico Lorenz
Am 22.12.2021 wurde bei Wurschen auf der Staatsstraße 111 über das Kuppritzer Wasser die erste Straßenbrücke in Sachsen aus Carbonbeton für den öffentlichen Verkehr freigegeben. Wegen der zu erwartenden besseren Dauerhaftigkeit und der damit verbundenen längeren Nutzungsdauer gegenüber Stahlbeton entschied sich der Bauherr (Freistaat Sachsen) beim Ersatzneubau im Rahmen eines Pilotprojektes für den Baustoff Carbonbeton. Hierbei sollen neben dem Sammeln von Erfahrungen mit dem neuen Baustoff auch Erkenntnisse gewonnen werden, ob durch die Beständigkeit der Carbonbewehrung die Lebenszyklus-/Wartungskosten der Brücke signifikant reduziert werden können. Durch diese Vorteile könnte ein wesentlicher Teil zum Erreichen der gesetzten Klimaziele beigetragen werden. Im Rahmen des Beitrages werden neben der Planung des Brückenneubaues auch die Versuchsplanung/-durchführung sowie der gutachterliche Genehmigungsprozess für die Zustimmung im Einzelfall (ZiE)/vorhabenbezogene Bauartgenehmigung (vBG) gezeigt. Darüber hinaus werden Erkenntnisse aus der Bauausführung vorgestellt.
kbr510309
5. Brückenkolloquium - September 2022 309 Erste Straßenbrücke aus Carbonbeton - Erfahrungen und Erkenntnisse aus Planung und Bau Sebastian May CARBOCON GMBH, Dresden, Deutschland Alexander Schumann CARBOCON GMBH, Dresden, Deutschland Enrico Lorenz Curbach Bösche Ingenieurpartner - Beratende Ingenieure PartG mbB, Dresden, Deutschland Straßenbauverwaltung des Freistaats Sachsen Zusammenfassung Am 22.12.2021 wurde bei Wurschen auf der Staatsstraße 111 über das Kuppritzer Wasser die erste Straßenbrücke in Sachsen aus Carbonbeton für den öffentlichen Verkehr freigegeben. Wegen der zu erwartenden besseren Dauerhaftigkeit und der damit verbundenen längeren Nutzungsdauer gegenüber Stahlbeton entschied sich der Bauherr (Freistaat Sachsen) beim Ersatzneubau im Rahmen eines Pilotprojektes für den Baustoff Carbonbeton. Hierbei sollen neben dem Sammeln von Erfahrungen mit dem neuen Baustoff auch Erkenntnisse gewonnen werden, ob durch die Beständigkeit der Carbonbewehrung die Lebenszyklus-/ Wartungskosten der Brücke signifikant reduziert werden können. Durch diese Vorteile könnte ein wesentlicher Teil zum Erreichen der gesetzten Klimaziele beigetragen werden. Im Rahmen des Beitrages werden neben der Planung des Brückenneubaues auch die Versuchsplanung/ -durchführung sowie der gutachterliche Genehmigungsprozess für die Zustimmung im Einzelfall (ZiE)/ vorhabenbezogene Bauartgenehmigung (vBG) gezeigt. Darüber hinaus werden Erkenntnisse aus der Bauausführung vorgestellt 1. Einleitung und Hintergrund zur Baumaßnahme Ein großer Schwachpunkt bestehender und älterer Stahlbetonbauwerke ist die Korrosionsanfälligkeit der Betonstahlbewehrung. Die Korrosionsanfälligkeit wird durch korrespondierende korrosionsfördernde Effekte wie eine verstärkte Rissbildung bzw. Durchfeuchtungen und konstruktive Schäden begleitet. Infolge den insbesondere bei Straßenbrücken einwirkenden Chloriden bzw. nach dem Erreichen der zulässigen Karbonatisierungstiefen können hierbei teilweise massive Schäden und Abrostungen am Brückenbestand entstehen. Zudem ist besonders durch den starken Anstieg des Schwerverkehrs im deutschen Straßennetz eine deutliche Erhöhung der ermüdungsrelevanten Beanspruchungen der Bestandsbrücken nachweisbar, wodurch bei einem weiteren Teil der betroffenen Bauwerke die Ermüdungsfestigkeit der Stähle erreicht wird [1]. Schädigungen der Bauwerke durch die dargestellten Einflussfaktoren erfordern daher im Zuge der Nutzungsdauer kostenintensive Instandsetzungen. Häufig ist bereits nach 40 bis 70 Jahren intensiver Nutzung die Herstellung von Ersatzneubauten erforderlich [2]. Demgegenüber besitzen Carbonbewehrungen und daraus hergestellte Carbonbetonbauteile eine nachgewiesene Korrosionsbeständigkeit sowie eine hohe Dauerhaftigkeit gegenüber im Bauwesen auftretenden Medien. Die im Vergleich zu Betonstahl deutlich gesteigerte Ermüdungsfestigkeit des Carbons ist zudem mit einer sehr hohen Zugfestigkeit gepaart. Die Carbonbetonbauweise ist somit eine wertvolle Alternative für die Herstellung zukunftsfähiger Brückenneubauten. Schäden durch Korrosion oder Ermüdungsprobleme der Bewehrungen können somit für zukünftige Carbonbetonbauwerke ausgeschlossen werden. Dies ermöglicht perspektivisch eine Minimierung des Erhaltungsaufwandes, der Wartungszyklen sowie der Lebenszykluskosten und eine Verlängerung der Standzeiten von Brücken. Aufgrund der Vorteile von Carbonbeton für die Herstellung neuer und innovativer Bauwerke entschied die sächsische Straßenbauverwaltung im Jahre 2018, als Pilotprojekt, Sachsens erste Straßenbrücke mit einem voll- 310 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erste Straßenbrücke aus Carbonbeton - Erfahrungen und Erkenntnisse aus Planung und Bau ständig aus Carbonbeton hergestellten Brückenüberbau zu bauen. Als Bauherrenvertretung fungierte federführend die LISt Gesellschaft für Verkehrswesen und ingenieurtechnische Dienstleistungen mbH. Die planerische Umsetzung des Projektes erfolgte durch das Ingenieurbüro cbing in Zusammenarbeit mit der CAR- BOCON GMBH aus Dresden, welche gemeinsam mit dem Institut für Massivbau der Technischen Universität Dresden die wissenschaftlichen und gutachterlichen Zuarbeiten im Projekt übernahmen. Als Prüfingenieur fungierte Herr Prof. Dr.-Ing. J. Hegger aus Aachen. Die Bauausführung oblag der Hentschke Bau GmbH, Bautzen. Die Umsetzung des Pilotprojektes erfolgte in Ostsachsen, ca. 80 km östlich von Dresden in der Ortslage Wurschen im Landkreis Bautzen. Im Zuge der Baumaßnahme wurde, aufgrund des mangelhaften Erhaltungszustandes, die bestehende marode Stahlbetonplattenbrücke abgerissen und durch die im Rahmen der vorliegenden Veröffentlichung dargestellte Carbonbetonbrücke ersetzt. 2. Planung des Ersatzneubaus aus Carbonbetons Die Planung des Bauwerks erfolgte unter Beachtung der spezifischen Materialeigenschaften und Konstruktionsgrundlagen von Carbonbeton. Besonders im Zuge der Bemessung und konstruktiven Durchbildung der Bauteile wurden verschiedene Bemessungsansätze und Konstruktionsdetails mit den beteiligten Partnern im Projekt entwickelt und abgestimmt. Infolge der aktuell noch fehlenden normativen Bemessungsgrundlagen für Carbonbeton waren im Vorfeld des Projektes umfassende Voruntersuchungen erforderlich. In Zusammenarbeit mit den Projektpartnern der CARBOCON GMBH sowie des Instituts für Massivbau der TU Dresden wurden umfassende Material- und Bauteiluntersuchungen durchgeführt. Die Ergebnisse der Untersuchungen werden in Abschnitt 3 beschrieben. Nach dem Vorliegen der Ergebnisse der Materialuntersuchungen erfolgte im Zuge einer Machbarkeitsstudie die Betrachtung unterschiedlicher Ausführungsvarianten. Neben der Optimierung des Brückenquerschnittes wurden sowohl eine Halbfertigteilvariante wie auch eine vorgespannte und eine schlaff carbonbewehrte Ortbetonvariante untersucht. Nach der Bewertung der Ergebnisse der Voruntersuchungen erfolgte die Entscheidung zur Umsetzung der schlaff carbonbewehrten Ortbetonvariante aus technischen und wirtschaftlichen Gründen (u. a. Randbedingungen durch Spannweite), siehe Abbildung 1. Die Stützweite des neuen Bauwerks beträgt 6,60 m. Die Bauwerksbreite liegt bei 11,60 m. Auf der Brücke wurden beidseitig Kappen inklusive Füllstabgeländer und Schutzeinrichtungen angeordnet. Während die Herstellung der Unterbauten in üblicher Stahlbetonbauweise erfolgte, wurden der Brückenüberbau sowie die Randkappen mithilfe der neu entwickelten Carbonbetonbauweise realisiert. Die Querschnittsgeometrie der linsenförmigen Plattenbrücke wurde hierbei auf die Carbonbetonbauweise angepasst. Abbildung 1: Längsansicht und Querschnitt des Brückenbauwerks (Foto: cbing) Die Bemessung des Bauwerkes erfolgte unter Beachtung des Lastmodells LM1 sowie des Ermüdungslastmodells LM3 der DIN EN 1991-2 [6]. Die Lasten entsprechen den normativen Regellasten für Straßenbrücken. Im Rahmen der Planung des Brückenüberbaus und der Randkappen wurden unterschiedliche Materialien und Materialkombinationen berücksichtigt. Als Stabbewehrungen kamen neuartige Carbonstäbe der sächsischen Firma Action Composites aus Kesselsdorf zum Einsatz. Die Carbonflächenbewehrungen vom Typ „solidian Grid Q95/ 95-CCE-38“ wurden von der solidian GmbH aus Albstadt geliefert. Für den Überbau wurde ein Beton der Festigkeitsklasse C50/ 60 nach DIN 1045-2 [4] und DIN EN 206 [5] verwendet. Die Herstellung der Kappen erfolgte mithilfe eines Luftporenbetons der Festigkeitsklasse C30/ 37. 3. Planung und Durchführung der Bauteilversuche für die ZiE/ vBG In Deutschland gelten im Brücken- und Ingenieurbau der Bundesfernstraßen die Regelwerke des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV). So sind im Bereich des Entwurfs bzw. der Planung u. a. die RE-ING (Richtlinien für den Entwurf, die konstruktive Ausbildung und Ausstattung von Ingenieurbauten) oder RAB-ING (Richtlinien für das Aufstellen von Bauwerksentwürfen für Ingenieurbauten) zu berücksichtigen. Im Bereich der Bauausführung sind u. a. die Regeln der ZTV-ING (Zusätzlich Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten) zu beachten. Auch im Bereich der Erhaltung von Brücken-/ Ingenieurbauwerken gibt es Regelwerke, eine vollständige Auflistung aller Regelwerke ist unter www.bast.de zu finden. Diese Regelwerke fassen die allgemein anerkannten der Regeln 5. Brückenkolloquium - September 2022 311 Erste Straßenbrücke aus Carbonbeton - Erfahrungen und Erkenntnisse aus Planung und Bau der Technik im Brücken-/ Ingenieurbau zusammen. Der Werkstoff Carbonbeton ist hier aktuell noch nicht berücksichtigt. Aufgrund fehlender Normungen bzw. Richtlinien zum Werkstoff Carbonbeton müssen in Deutschland im Rahmen des baurechtlichen Genehmigungsprozesses entweder allgemeine bauaufsichtliche Zulassungen (abZ)/ allgemeine Bauartengenehmigungen (aBG) vom DIBt (Deutsches Institut für Bautechnik) verwendet oder sogenannte Zustimmungen im Einzelfall (ZiE)/ vorhabenbezogene Bauartengenehmigungen (vBG) bei der obersten Bauaufsichtsbehörde des betreffenden Bundeslandes eingeholt werden. Die erteilte ZiE/ vBG ermöglicht dem Bauherrn baurechtlich abweichend von allgemein anerkannten Regeln der Technik ein konkretes Bauwerk planen und umsetzen zu können. Da sich die Brücke auf der Staatsstraße 111 befindet, war das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (SMWA) für die Erteilung der ZiE zuständig. Aufgrund langjähriger Erfahrungen im Bereich der Genehmigungen zum Carbon-/ Textilbeton in Sachsen, band das SMWA die Landesstelle für Bautechnik im gutachterlichen Bewertungsprozess mit ein. Wie bereits genannt, begann sowohl die Fach- und Objektplanung als auch die Planung der ZiE/ vBG der ersten Straßenbrücke aus Carbonbeton im Jahr 2018. Als Bauherrenvertreter für das Pilotprojekt bzw. als Antragsteller für die baurechtlichen Genehmigungen fungierte die LISt Gesellschaft für Verkehrswesen und ingenieurtechnische Dienstleistungen mbH. Als Gutachter wurde die CARBOCON GMBH sowie das Institut für Massivbau der Technischen Universität Dresden beauftragt. Nachdem zunächst die Randbedingungen und Anforderungen (u. a. Expositionsklasse, Beanspruchungen, Baumaterialien) an die erste Straßenbrücke aus Carbonbeton von den Beteiligten definiert wurde, konnte eine Vorhabenbeschreibung zur ZiE/ vBG erstellt sowie ein Versuchskonzept erarbeitet werden. Hierbei wurden von Anfang an die später notwendigen Behörden für die baurechtlichen Genehmigungen mit eingebunden, damit es zu keinen zeitlichen Verzögerungen kommt. Durch eine Literaturrecherche sowie durch die Verwendung von Ergebnissen des C³-Vorhabens „Carbon Concrete Composite“ [3] konnte das Versuchsprogramm auf ein Minimum beschränkt werden. Da die spätere Ortbeton-Ausführung mit einem konventionellen Normalbeton der Druckfestigkeitsklasse C50/ 60 nach DIN 1045-2 [4] und DIN EN 206 [5] erfolgen sollte, mussten im Rahmen der Versuche „nur“ die Kennwerte der Carbonbewehrung selber und im Verbund mit dem Beton unter Einbeziehung der äußeren Randbedingung ermittelt werden. Folgende Kleinbauteilversuche an den Materialien (Carbonstab und Carbongitter (Gitter in Kett- und Schussrichtung)) wurden durchgeführt bzw. aus dem C³ [3] verwendet: - Zugtragverhalten Carbonstab bei 20 °C/ 80 °C - Zugtragverhalten Carbongitter im Beton bei 20 °C/ 80 °C - Verbundverhalten Carbonstab im Beton bei 20 °C/ 80 °C - Verbundverhalten Carbongitter im Beton bei 20 °C/ 80 °C - Dauerstand-Zugverhalten Carbonstab im Beton - Dauerstand-Zugverhalten Carbongitter im Beton - Dauerstand-Verbundverhalten Carbonstab im Beton - Dauerstand-Verbundverhalten Carbongitter im Beton - Zyklisches Zugverhalten Carbonstab - Zyklisches Zugverhalten Carbongitter im Beton - Beständigkeit Carbonstab/ -gitter u. a. gegen Frost- Tausalz-Beanspruchung Zur Übertragbarkeit bzw. Bestätigung der Materialkennwerte auf Frostbeständigkeit wurden ausgewählte Versuche bei -18°C durchgeführt. Abbildung 2: links: Zugverhalten Carbongitter bei 80 °C; rechts: Zugverhalten Carbonstab bei 80 °C (Foto: CARBOCON GMBH) Diese Kleinbauteilversuche (siehe Abbildung 2) wurden 2018/ 2019 durchgeführt und bestätigten die ersten Annahmen (u. a. Festigkeiten, Abminderungsfaktoren) im Projekt. Aufbauend auf den Ergebnissen und Erkenntnissen der Kleinbauteilversuche, den Vorgaben der Fach-/ Objektplanung sowie den Randbedingungen des beteiligten Prüflabors (Otto-Mohr-Laboratorium der TU Dresden) wurden vier Großbauteilversuche hinsichtlich nachzuweisender Beanspruchung und Versagensart geplant, im Fertigteilwerk bei Hentschke Bau in Bautzen hergestellt und anschließend statisch und zyklisch geprüft. Hierbei mussten vorab die Laborkapazitäten hinsichtlich der Abmessungen des Prüfstandes für die Bauteile (Länge/ - Breite/ -Höhe = 7,2 m/ 1,0 m/ 0,5 m), der Hallen-/ Kranlogistik (Bauteilgewicht = 8,64 to), statische (kalkuliertes Biege-/ Querkraftversagen = 1.400 kN/ 700 kN) und zyklische Prüflastkapazität (2,0 Mio. Lastwechsel) rechtzeitig berücksichtigt und im Prozess koordiniert werden. Die in Abbildung 3 gezeigt Prüfmaschine kann bis zu 10 MN auf Druck bei maximalen Prüfkörperabmessungen bis B × L × H = 2,5 × 15,0 × 3,7 m prüfen. 312 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erste Straßenbrücke aus Carbonbeton - Erfahrungen und Erkenntnisse aus Planung und Bau Die Großbauteilversuche wurden an einem „1m-Streifen“ des Überbaus durchgeführt. Folgende Großbauteilversuche erfolgten: - Mittelträger MT1 - statisch - Mittelträger MT2 - zyklisch über 2,0 Mio. Lastwechsel - Mittelträger MT3 - zyklisch über 2,0 Mio. Lastwechsel - Randträger RT (reduzierte Querschnitt im Bereich Übergang zur Brückenkappe) - statisch Abbildung 3: statische Bauteilprüfung (Foto: CARBO- CON GMBH) Die Lasteinleitung erfolgte über zwei Querträger (1,2 m Abstand) entsprechend dem Belastungsmodell des Lastmodells LM1 [6]. Für die zyklischen Nachweise wurde das maßgebende Bemessungslastniveau des Ermüdungslastmodells 3 (LM3) [6] verwendet und an zwei Bauteilen experimentell nachgewiesen. Das nachzuweisende Lastniveau sieht eine Unterbzw. Oberlast von 75,0 kN bzw. 181,9 kN am Querschnitt vor. Auf der sicheren Seite liegend wurden dabei die Lastniveaus nochmal um den Faktor 1,3 (MT3) bzw. 1,4 (MT2) erhöht. Die Bauteile wurden über eine Lastwechselzahl von 2,0 Mio. experimentell beansprucht, anschließend wurden Resttragfestigkeiten ermittelt, siehe nachfolgendes Diagramm. Diagramm 1: Last-Verformungsdiagramm der Großbauteilversuche (Grafik: CARBOCON GMBH) Wie im Diagramm 1 zu erkennen ist, versagten alle Bauteile oberhalb der nachzuweisenden Beanspruchung bzw. Referenzlast. Der erste Träger MT1 wurde dabei bis zum Bruch (888,6 kN) belastet (siehe Abbildung 4). Wie rechnerisch vorab kalkuliert, versagte das Bauteil infolge Schub. Die anderen drei Bauteilversuche wurden mit Öffnen des Schubrisses abgebrochen, damit die bei Bauteilversagen freiwerdende Bruchlast die Labortechnik nicht beschädigt. Die statischen Versagenslasten (Lastniveau beim Abbruch) lagen für den Träger RT bei 756,9 kN, für den Träger MT2 bei 798,1 kN und für den Träger MT3 bei 782,1 kN. Abbildung 4: Schubversagen des statisch geprüften Mittelträgers (Foto: CARBOCON GMBH) Auf Grundlage des Gutachtens sowie eines weiteren Ergänzungsgutachtens konnten die Landestelle für Bautechnik sowie das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (SMWA) die ZiE/ vBG zur Umsetzung des Pilotprojektes im Herbst 2020 erteilen. 4. Ausführung der Baumaßnahme Nach dem Abschluss der Planungen erfolgte der Beginn der Baumaßnahme im Frühjahr des Jahres 2021. Im Anschluss an die Fertigstellung der Unterbauten und des Traggerüstes konnte im Oktober 2021 der Einbau der unteren Carbonbewehrungslagen erfolgen, siehe Abbildung 5. Abbildung 5: Einbau der unteren Carbonbewehrungslagen (Foto: cbing) Abbildung 6 und Abbildung 7 zeigen den nahezu vollständig hergestellten Carbon-Bewehrungskorb des Überbaus sowie die Betonage des Überbaus mit einem Transportbeton. Auch hier wurde bereits im Vorfeld der Baumaßnahme die Betoniertechnologie im Rahmen der Bauteilversuche untersucht und optimiert. 5. Brückenkolloquium - September 2022 313 Erste Straßenbrücke aus Carbonbeton - Erfahrungen und Erkenntnisse aus Planung und Bau Abbildung 6: Carbon-Bewehrungskorb des Überbaus (Foto: cbing) Abbildung 7: Betonage des Überbaus (Foto: CARBO- CON GMBH) Nach der Herstellung der Carbonbetonkappen erfolgten anschließend die erforderlichen Restarbeiten zur Abdichtung und Einschüttung des Bauwerks, dem vollständigen Einbau des Bachbetts, der Herstellung des Fahrbahnaufbaus sowie der Geländer und Schutzeinrichtungen. Abbildung 8 zeigt die Seitenansicht des fertiggestellten Bauwerks. Abbildung 8: Betonage des Überbaus (Foto: cbing) 5. Probebelastung im Rahmen der ZiE/ vBG Abschließend wurde zur Bestätigung der Ergebnisse der Statik sowie den Erkenntnissen und Vorgaben des Gutachtens eine Probebelastung mit Monitoring der fertiggestellten Brücke aus Carbonbeton durchgeführt. Diese vorzeitige Belastung (Abbildung 9) erfolgte vor Brückenfreigabe und war ebenso eine Forderung der ZiE/ vBG und diente der Kontrolle der Verformungen, Rissbreiten und Dehnungen zwischen Bemessung und realer Bauteilbeanspruchung. Aufgrund ausreichender Sicherheiten im Rahmen der Brückenbemessung und des Gutachtens zu den Materialkennwerten, wäre eine Probebelastung nicht zwingend erforderlich gewesen. Abbildung 9: Probebelastung (Foto: SENSICAL GmbH) Zur Messung der Dehnung im Stab wurden Messfasern - sogenannte „Fiber-In-Metal-Tubes“ (FIMT) - verwendet und über die komplette Länge der Carbonstäbe geklebt (siehe Abbildung 10). Mit den Fasern kann eine kontinuierliche Messung der Dehnungen entlang der Faserlänge mit einer Auflösung im Zehntel-Millimeter-Bereich erzielt und somit sowohl die Dehnung der Bewehrung im Riss als auch im ungerissenen Bereich ermittelt werden. Nach dem Einbau der Messfasern an den Carbonstäben erfolgte eine Initialmessung, um den Dehnungsnullzustand der Messfasern zu bestimmen. Zur Ermittlung der Dehnung innerhalb des Betons wurden ebenfalls FIMT- Glasfasern verwendet. Diese Fasern wurde jedoch direkt innerhalb des Brückenquerschnittes angeordnet und einbetoniert. Abbildung 10: Aufbau Messbereich in der Biegezugzone (Schwarzes Kabel: Punktuelle Temperaturmessung, rotes Kabel: Temperaturmessfaser Beton, grüne Linie: Dehnungsmessfaser Carbonstab, blaues Kabel: Dehnungsmessfaser Beton; Foto: CARBOCON GMBH) Des Weiteren wurden zum Bestimmen des Einflusses der Bauwerkstemperatur auf die Dehnungswerte der Messfasern zusätzlich Temperaturmessfasern in den Überbauquerschnitt eingebaut. Bei diesen Fasern handelt es sich 314 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erste Straßenbrücke aus Carbonbeton - Erfahrungen und Erkenntnisse aus Planung und Bau um dehnungsentkoppelte Fasern, die lediglich die aus der Temperaturveränderung auftretende Dehnung aufnehmen. Zur Messung der absoluten Temperatur wurden ebenso punktuelle Temperatursensoren in den Brückenüberbau verbaut. Die Belastungsversuche wurden durch den Tragwerksplaner vorgegeben. Vorgesehen wurden dabei sowohl statische als auch dynamische Belastungsarten. Bei einer statischen Belastung wurden die in Abbildung 9 gezeigten Belastungsfahrzeuge in Schrittgeschwindigkeit auf den Brückenüberbau entsprechend gewünschter Laststellung angeordnet und 60 Sek. in Position stehen gelassen. Bei den dynamischen Messungen fuhren die Fahrzeuge mit einer Geschwindigkeit von 20 km/ h in unterschiedlichen Beanspruchungssituationen über die Brücke. In Summe erfolgten dabei 18 Belastungsversuche (9 statische und 9 dynamisch) inklusive Monitoring. Aufgrund statischer Reserven (u. a. Einspannwirkung durch das Betongelenk) sind die gemessenen Dehnungen bzw. die sich daraus ableitenden Spannungen an der Ober- und Unterseite des Überbaus geringer ausgefallen als ursprünglich im Rahmen der Statik berechnet. Die gemessenen Betonstauchungen (-0,053 ‰) lagen dabei bei 63 % der rechnerischen Stauchungen (-0,084 ‰) an der Oberseite und die experimentell aufgenommen Dehnungen (0,12 ‰) bei 27 % im Vergleich zum Bemessungsmodell (0,444 ‰). Die Dehnungen wurden dabei in Feldmitte in Brückenlängsrichtung aufgenommen. Die an der Ober-/ Unterseite gemessenen vertikalen Verformungen (Durchbiegungen) in Feldmitte lagen bei 0,67 mm / 0,53 mm und damit bei 28 % / 27 % der numerisch berechneten Durchbiegungen mit 2,41 mm / 1,97 mm. 6. Fazit Das Pilotprojekt „Straßenbrücke aus Carbonbeton“ wurde im Sommer 2018 mit Planung und gutachterlicher Begleitung begonnen, 2020 planerisch fertiggestellt und im Jahr 2021 ausgeführt und für den öffentlichen Verkehr freigegeben. Begleitend zur Planung erfolgte die Koordinierung und Einholung einer baurechtlich notwendigen ZiE/ vBG. Trotz des Pilotprojekt-Charakters konnten alle Beteiligten im Projekt durch fachliches Mitwirken und einen interdisziplinären Austausch den vom Bauherrn vorgegeben Zeitplan einhalten und somit eine erfolgreiche Umsetzung der ersten Straßenbrücke aus Carbonbeton ermöglichen. Trotz fehlender Normung können innovative und nachhaltige Projekte im Bauwesen durch eine ZiE/ vBG unter gemeinsames Mitwirken aller erfolgreich umgesetzt werden. Abschließend möchten sich die Autoren bei allen Projektbeteiligten für die sehr gute Zusammenarbeit und den fachlichen Austausch bedanken. Besonderer Dank gilt an dieser Stelle dem Freistaat Sachsen für die Umsetzung eines solchen Pilotprojektes. Literatur [1] Naumann, J.: Brückenertüchtigung jetzt - Ein wichtiger Beitrag zur Sicherung der Mobilität auf Bundesfernstraßen. In: DBV - Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E. V. (Hrsg.), DBV-Heft 22, Berlin, 201 [2] Riegelmann, P.; May, S.; Schumann, A.: Das Potential von Carbonbeton für den Brückenbestand - das ist heute schon möglich! In: 30. Dresdner Brückenbausymposium - Ergänzungsband 2021; Planung, Bauausführung, Instandsetzung und Ertüchtigung von Brücken; 8./ 9. August 2021, Dresden. [3] Homepage des Projekts C³ - Carbon Concrete Composite: https: / / www.bauen-neu-denken.de/ . Zugriff am: 17.06.2022 [4] DIN 1045-2 (2008-08): Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton - Teil 2: Beton - Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität - Anwendungsregeln zu DIN EN 206-1. [5] DIN EN 206-1 (2001-07): Beton - Teil 1: Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität; Deutsche Fassung EN 206-1: 2000/ A1: 2004. [6] DIN EN 1991-2 (2010-12) Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke - Teil 2: Verkehrslasten auf Brücken; Deutsche Fassung EN 1991-2: 2003 + AC: 2010.