eJournals Brückenkolloquium 5/1

Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
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Probabilistische Untersuchungen zur Beurteilung der Beulsicherheit des Stahlhohlkastens der Hamburger Köhlbrandbrücke

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Martin Herbrand
Timo Jabs
Gerhard Zehetmaier
Christof Ullerich
Im Zuge des Projekts smartBRIGE Hamburg, der Entwicklung des Digitalen Zwillings der Köhlbrandbrücke, wurden umfangreiche Monitoringmaßnahmen an der Köhlbrandbrücke in Hamburg veranlasst. So wurden u. a. Dehnungsmessstreifen und Temperatursensoren in verschiedenen Bereichen des Versteifungsträgers, sowie Beschleunigungssensoren an 22 Seilen appliziert. Mit Hilfe der Dehnungsmessungen werden die Druckbeanspruchungen im Bodenblech und den Stegblechen in der Nähe der Pylone überwacht, um Rückschlüsse auf die Beulsicherheit abzuleiten. Durch die Dehnungsmessungen können allerdings nicht die bereits eingeprägten Druckspannungen aus ständigen Lasten gemessen werden. Durch Kenntnis der Werkstatt- und Ist-Form des Versteifungsträgers, sowie der Seilkräfte, können diese über Finite-Elemente-Berechnungen ermittelt werden. Aufgrund der Unsicherheiten bei der konventionellen Schnittgrößenermittlung war unklar, welcher Teilsicherheitsbeiwert für die Spannungen aus ständigen Lasten angemessen ist und ob dieser ggf. abgemindert werden kann. Durch umfangreiche probabilistische Untersuchungen durch Monte-Carlo-Simulationen unter Einbeziehung der verfügbaren Messdaten aus Dehnungsmessungen und Seilkraftmessungen, konnte gezeigt werden, dass der vorgegebene Teilsicherheitsbeiwert für ständige Lasten von 1,35 konservativ ist und reduziert werden kann. Im Rahmen des Beitrags werden die Vorgehensweise, sowie die aus dem Projekt abgeleiteten Erkenntnisse vorgestellt.
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5. Brückenkolloquium - September 2022 347 Probabilistische Untersuchungen zur Beurteilung der Beulsicherheit des Stahlhohlkastens der Hamburger Köhlbrandbrücke Prof. Dr.-Ing. Martin Herbrand WTM Engineers GmbH, Hamburg, Deutschland Timo Jabs M. Sc. WTM Engineers GmbH, Hamburg, Deutschland Dr.-Ing. Gerhard Zehetmaier WTM Engineers GmbH, Hamburg, Deutschland Dipl.-Ing. Christof Ullerich Hamburg Port Authority (HPA), Hamburg, Deutschland Zusammenfassung Im Zuge des Projekts smartBRIGE Hamburg, der Entwicklung des Digitalen Zwillings der Köhlbrandbrücke, wurden umfangreiche Monitoringmaßnahmen an der Köhlbrandbrücke in Hamburg veranlasst. So wurden u.-a. Dehnungsmessstreifen und Temperatursensoren in verschiedenen Bereichen des Versteifungsträgers, sowie Beschleunigungssensoren an 22 Seilen appliziert. Mit Hilfe der Dehnungsmessungen werden die Druckbeanspruchungen im Bodenblech und den Stegblechen in der Nähe der Pylone überwacht, um Rückschlüsse auf die Beulsicherheit abzuleiten. Durch die Dehnungsmessungen können allerdings nicht die bereits eingeprägten Druckspannungen aus ständigen Lasten gemessen werden. Durch Kenntnis der Werkstatt- und Ist-Form des Versteifungsträgers, sowie der Seilkräfte, können diese über Finite- Elemente-Berechnungen ermittelt werden. Aufgrund der Unsicherheiten bei der konventionellen Schnittgrößenermittlung war unklar, welcher Teilsicherheitsbeiwert für die Spannungen aus ständigen Lasten angemessen ist und ob dieser ggf. abgemindert werden kann. Durch umfangreiche probabilistische Untersuchungen durch Monte-Carlo-Simulationen unter Einbeziehung der verfügbaren Messdaten aus Dehnungsmessungen und Seilkraftmessungen, konnte gezeigt werden, dass der vorgegebene Teilsicherheitsbeiwert für ständige Lasten von 1,35 konservativ ist und reduziert werden kann. Im Rahmen des Beitrags werden die Vorgehensweise, sowie die aus dem Projekt abgeleiteten Erkenntnisse vorgestellt. 1. Vorbemerkungen 1.1 Einleitung Als eine der wichtigsten Verkehrsadern Hamburgs verläuft die Köhlbrandbrücke zwischen der Elbinsel Wilhelmsburg und Waltershof über den Köhlbrand. Der mittlere Abschnitt, die Strombrücke, ist eine zweihüftige Schrägseilbrücke mit einem einzelligen Stahlhohlkasten als Überbau. Im Zuge einer im Jahr 2016 durchgeführten Nachrechnung der Strombrücke nach Stufe 3 der Nachrechnungsrichtlinie konnte der Nachweis gegen Beulen der Steg- und Bodenbleche im Pylonbereich für das geforderte Ziellastniveau LM 1 (DIN FB 101) nicht erbracht werden. Als Kompensationsmaßnahme wurde ein Abstandsgebot für die auf der Brücke fahrenden LKW eingeführt. Um die Defizite auf wissenschaftlicher Grundlage bewerten zu können, wurden im Zuge der Projektierung von smart- BRIDGE Hamburg [1], dem Digitalen Zwilling der Köhlbrandbrücke, vorgezogene Monitoringmaßnahmen durch die Hamburg Port Authority (HPA) beauftragt. Diese beinhalten Dehnungsmessungen in den Steg- und Bodenblechen im beulgefährdeten Bereich, sowie Beschleunigungsmessungen an einem Teil der Harfenseile. Zur Beurteilung der Beulgefährdung wurden die Langzeitdaten des Beulmonitorings mittels einer probabilistischen Auswertung der gemessenen Extremwerte untersucht. Durch dieses Dauermonitoring wird die Beulgefährdung der Brücke in Echtzeit beurteilt. Es konnte festgestellt werden, dass nach derzeitigem Stand keine Gefährdung durch Beulen für den Überbau vorliegt [2]. Dabei wurden allerdings keine Untersuchungen hinsichtlich der Zuverlässigkeit der Schnittgrößenermittlung für den Lastfall Eigengewicht durchgeführt, sondern die normativen Teilsicherheitsbeiwerte zugrunde gelegt. Im Zuge der Nachrechnung der Köhlbrandbrücke wurde diskutiert, den Teilsicherheitsbeiwert gG in Anlehnung an Massivbrücken auf 1,2 abzumindern. Dies wurde seinerzeit zunächst mangels wissenschaftlicher Grundlage verworfen. Um die Frage des Teilsicherheitsbeiwerts für das Eigengewicht zu klären, wurden durch WTM Engineers weitergehende Untersuchungen durchgeführt, die im Folgenden erläutert werden. 1.2 Gegenstand der Untersuchungen Die ständigen Einwirkungen einer Schrägseilbrücke resultieren aus der Geometrie, dem Eigengewicht und den aufgebrachten Seilvorspannungen. Im Entwurf können die Seilvorspannungen dabei so gewählt werden, dass 348 5. Brückenkolloquium - September 2022 Probabilistische Untersuchungen zur Beurteilung der Beulsicherheit des Stahlhohlkastens der Hamburger Köhlbrandbrücke sich eine günstige Schnittgrößenverteilung im Versteifungsträger für die Nachweisführung ergibt [3]. Für eine Nachrechnung besteht die Möglichkeit, die Schnittgrößen auf Grundlage gemessener Seilkräfte zu berechnen. In der Nachrechnung der Köhlbrandbrücke wurde zudem davon ausgegangen, dass das Eigengewicht des Überbaus aufgrund von Mehreinbauten nicht genau bekannt ist. Zur Lösung des Gleichungssystems der ebenfalls unbekannten Seilvordehnungen wurde eine zusätzliche Information in Form einer vertikalen Verformung in Feldmitte herangezogen, um einen Korrekturlastfall auf der Brücke zu bestimmen. Vergleichsrechnungen zeigten allerdings, dass die Schnittgrößen im Versteifungsträger teilweise stark von den angenommenen Seilkräften und der Verformung abhängig sind, sodass Ungenauigkeiten dieser Eingangsgrößen signifikante Auswirkungen auf die Schnittgrößen im Versteifungsträger haben können. Solche Ungenauigkeiten werden üblicherweise durch den Teilsicherheitsbeiwert γG für Eigengewicht abgedeckt. Im Zusammenhang mit dem Beulnachweis ergibt sich nun die Frage, ob der normativ vorgegebene Teilsicherheitsbeiwert von γG-=-1,35 die vorhandenen Unsicherheiten zutreffend beschreibt oder ob ggf. eine Reduzierung des Teilsicherheitsbeiwerts möglich ist, wenn möglichst viele bekannte Informationen zum Bauwerk einbezogen werden. In diesem Beitrag soll daher beschrieben werden, wie im Fall der Köhlbrandbrücke die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der berechneten Spannungen aus ständigen Einwirkungen beurteilt wurde. Hierzu wurden Monte-Carlo-Simulationen in Verbindung mit FE-Berechnungen durchgeführt, um die Einflüsse der Eingangsgrößen zur Ermittlung der Schnittgrößen infolge Eigengewicht mit statistischen Methoden zu untersuchen. 2. Untersuchungen zu Spannungen aus ständigen Einwirkungen 2.1 Allgemeines Im Vorfeld einer Monte-Carlo Simulation müssen alle Einflussgrößen identifiziert werden, ein statistischer Ansatz für deren Streuung gewählt und eine Gesetzmäßigkeit für die Interaktion der Einflussgrößen bestimmt werden. Der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Einflussgrößen wird durch das statische Finite-Elemente-Modell definiert, welches hier zunächst erläutert wird. In diesem Kapitel werden darüber hinaus die Überlegungen zu den weiteren Einflussgrößen zusammengefasst. 2.2 Finite Elemente Modell Das grundlegende Finite-Elemente-Modell wurde in Anlehnung an die Modellbeschreibung der geprüften Nachrechnung erstellt. Das statische System der Köhlbrandbrücke wurde als Stabwerkmodell mit der Software SOFiSTiK abgebildet (siehe Abbildung-1a). Der Überbau wurde als biegesteifer Stabzug in der Lage der Soll-Gradiente, d. h. im planmäßigen Endzustand, modelliert. Die Schrägseile sind als Fachwerkstäbe abgebildet und über starre Knotenkopplungen exzentrisch am Überbau und an den Pylonen angeschlossen. Zur Berücksichtigung des Seildurchhangs wurde nach der Seiltheorie ein effektiver E-Modul in Abhängigkeit der gemessenen Seilkräfte angesetzt. Die Pylone sind ebenfalls als biegesteife Stabzüge modelliert und am unteren Ende fest eingespannt. Der Überbau ist an den Enden mittels vertikaler und horizontaler Federelemente gelagert. An den Pylonen bestehen zusätzliche Queranschläge, welche ebenfalls mit Federelementen modelliert sind. Am westlichen Pylon befindet sich als Federelement die einzige Längsfesthaltung, welche nur für veränderliche Lasten aktiv ist. Da die Summe der horizontalen Komponenten der gemessenen Seilkräfte nicht null ist, befindet sich für den Lastfall Eigengewicht in Feldmitte eine fiktive Feder in Längsrichtung, welche die übrige Horizontalkraft aufnimmt. Diese hat jedoch nur einen geringfügigen Einfluss auf die Schnittgrößen. Abbildung 1: a) Stabwerkmodell in SOFiSTiK ; b) Hybridmodell aus Stab und Schalenelementen Im Sommer 2019 wurden Belastungsfahrten durchgeführt (Abbildung- 2a), um die Genauigkeit des FE-Modells anhand von Messungen zu validieren. Im Zuge dessen wurde der Überbau abschnittsweise mittels Schalen-Elementen zu einem Hybridmodell verfeinert (Abbildung-1b). Die Auswertungen der Belastungsfahrten zeigten eine gute Übereinstimmung der berechneten Einflusslinien aus dem Modell zu den Messergebnissen, die exemplarisch für eine Messstelle in Abbildung-2b dargestellt sind. Im Allgemeinen war die Übereinstimmung der Messwerte mit dem Hybridmodell besser als mit dem reinen Stabmodell. Allerdings führen beide insbesondere bezüglich der Längsspannungen zu qualitativ richtigen Ergebnissen. Da im Rahmen der folgenden Untersuchungen insbesondere die Auswirkungen der Eingangsvariablen auf die globalen Schnittgrößen im Versteifungsträger untersucht werden, ist daher die Verwendung des Stabwerkmodells ausreichend. Die folgenden Untersuchungen zu ständigen Einwirkungen wurden daher auch aufgrund der Rechendauer und der besseren Übersichtlichkeit an dem Stabwerksmodell durchgeführt. 5. Brückenkolloquium - September 2022 349 Probabilistische Untersuchungen zur Beurteilung der Beulsicherheit des Stahlhohlkastens der Hamburger Köhlbrandbrücke Abbildung 2: a) Belastungsfahrten mit Betonpumpen; b) Vergleich Messwerte und FE-Stab- und Hybridmodell 2.3 Einfluss der geometrischen Größen auf die Schnittgrößen Bei der hier untersuchten Schrägseilbrücke handelt es sich um ein vorgespanntes Seiltragwerk, bei dem die Geometrie (d. h. auch die Seillängen) und die Seilkräfte im Endzustand bekannt sind. Unbekannt sind dagegen die Vordehnungen der Seile, sowie das genaue Gewicht des Versteifungsträgers. Im Zuge der Berechnung der Schnittgrößen unter Eigengewicht wurden die 88 Seilvordehnungen und ein sogenannter Korrekturlastfall so bestimmt, dass sich ein verträglicher Zustand einstellt und sich demzufolge die durch Messungen bestimmten Seilkräfte und eine vorgegebene Verformung in Feldmitte (dem Bereich der größten Verformung) einstellen. In diesem Abschnitt werden der Einfluss der vorgegebenen Verformung und weitere geometrische Einflüsse diskutiert, um die Sensitivität der FE-Berechnung einschätzen zu können. Die Bewertung der Seilkräfte selbst als Eingangsparameter wird in Kapitel 2.4 untersucht. Abbildung 3: Vergleich der Verformungen u Soll und u FE 2.3.1 Einfluss der vorgegebenen Verformung Die vorgegebene Vertikalverformung u Soll in Brückenmitte ergibt sich aus der berechneten Formänderung infolge ständiger Belastung gemäß Bestandsstatik und der Differenz zwischen der Soll-Gradiente und der gemessenen Ist-Gradiente aus dem Jahr 1978. Da die Verformung nur in Feldmitte durch den Korrekturlastfall angepasst wird, kann über die restliche Brückenlänge eine Differenz zwischen u Soll und der Verformung u FE aus der FE- Berechnung auftreten. Abbildung-3 zeigt, dass bei einer Anpassung der Verformung in Feldmitte in den Bereichen der Pylone Differenzen von bis zu 35-cm auftreten. Für den Fall, dass die Werkstattform, die Seilkräfte, die mechanischen Eigenschaften der Materialien und geometrische Länge der Seile genau bekannt sind, sollte sich allerdings eine bessere Übereinstimmung der berechneten und der gemessenen Gradiente der Brücke ergeben. Die abweichenden Verformungen können unterschiedliche Ursachen haben: • Berechnung nach Th. I. O. und Th. III. O.: Die Berechnung des Bauwerks erfolgt in der Soll- Lage, d. h. im Endzustand, nach Theorie I. O. Dem Grunde nach müsste das Bauwerk aber in der Werkstattform als Ausgangslage unter Berücksichtigung geometrischer Nichtlinearitäten berechnet werden. Im Vorfeld wurde daher untersucht, ob die Parameterstudien nach Th. I. O. durchgeführt werden können, oder ob nichtlineare Effekte zu berücksichtigen sind. • Abweichungen in der Montage: Der Überbau wurde segmentweise im Freivorbau hergestellt. Während der Montage wurde der Gleichgewichtszustand durch Ballastierung sichergestellt. Die Segmente des Überbaus wurden auf Zusammenbauplätzen vor Ort vormontiert. Trotz vieler Kontrollmessungen der Gradiente und Seilkräfte ist davon auszugehen, dass während der Montage Abweichungen in der Gradiente des Überbaus aufgetreten sind, d.-h. dass es Abweichungen zwischen Soll- und Ist- Lage der Segmente gab. Darüber hinaus kann es Ungenauigkeiten bei der Fertigung der Werkstücke gegeben haben. • Abweichungen der Eingangsparameter: Eine mögliche Ursache liegt darin, dass es Abweichungen der angenommenen und tatsächlichen Eingangsparameter gibt. Als am wahrscheinlichsten sind hierbei Abweichungen des über die Brückenlänge als konstant angenommenen Korrekturlastfalls anzusehen. Da das Eigengewicht des Versteifungsträgers als konstant angenommen wurde, werden lokal unterschiedliche Blechdicken und zusätzliche Steifen nicht berücksichtigt. Dies kann nicht durch einen konstanten Korrekturlastfall korrigiert werden, sondern müsste über lokale Korrekturlastfälle berücksichtigt werden. Grundsätzlich sind auch Änderungen in der Verformung durch abweichende Seilkräfte möglich. • Abweichungen in der Messung der Gradiente: Eine andere mögliche Ursache liegt in einer möglicherweise ungenauen Messung der Ist-Gradiente, sowie in Temperatureinflüssen. Die Differenz zwischen 350 5. Brückenkolloquium - September 2022 Probabilistische Untersuchungen zur Beurteilung der Beulsicherheit des Stahlhohlkastens der Hamburger Köhlbrandbrücke Ist- und Soll-Gradiente ist, wie bereits erwähnt, zusammen mit der berechneten Verformung aus der Bestandsstatik die Grundlage für die vorgegebene Verformung u Soll . Zu den hier aufgeführten Unsicherheiten aus der Bauwerksgeometrie wurden umfangreiche Parameterstudien durchgeführt. Bezüglich der Abweichungen während der Montage wurden beispielweise Korrekturkrümmungen auf das Bauwerk aufgebracht, um die geometrischen Zwängungen aus der Abweichung von der Solllage abzubilden. Durch Parameterstudien wurden hier die Auswirkungen auf die Schnittgrößenverteilung untersucht. Bezüglich der Auswirkungen zusätzlicher Korrekturlastfälle wurde das Gleichungssystem erweitert und ebenfalls die Auswirkungen auf die Schnittgrößen untersucht. Die Ergebnisse der Parameterstudien lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Eine lineare Berechnung der Schnittgrößen aus ständigen Lasten am FE-Modell mit Lage des Überbaus in der Soll-Gradiente ist hinreichend genau, sodass weiter nichtlineare Berechnungen höherer Ordnung nicht notwendig sind. • Sind die Differenzen der berechneten Verformung zur theoretischen Ist-Verformung u Soll auf Abweichungen in der Montage zurückzuführen, so haben diese keine relevanten Auswirkungen auf die berechneten Schnittgrößen. Dieser Aspekt kann in der Monte-Carlo Simulation vernachlässigt werden. • Einen relevanten Einfluss auf die Berechnung der Schnittgrößen hat der angesetzte Korrekturlastfall q KL . Dieser ist neben den angesetzten Seilkräften von der vorgegebenen Verformung abhängig. Diese beiden Parameter werden daher in der Monte-Carlo-Simulation berücksichtigt. • Bezüglich der Modellunsicherheit der FE-Simulation selbst kann nach [4] ein Variationskoeffizient von 5 bis 10 % angenommen werden. Die hierzu durchgeführten Untersuchungen in Form von Belastungsversuchen plausibilisieren eine Genauigkeit in dieser Größenordnung und lassen ferner auch eine höhere Genauigkeit als 5 % vermuten. Um eine zusätzliche Genauigkeit quantitativ zu begründen, wären allerdings ergänzende Untersuchungen größerem Ausmaß erforderlich (z.-B. dichteres Netz der Ermittlung von Querschnittsdehnungen im Rahmen von Belastungsfahrten). Für die Monte-Carlo-Simulation wird daher der Variationskoeffizient für die Modellunsicherheit der Schnittgrößenermittlung in einer Bandbreite von 5 bis 10 % angenommen. 2.4 Einfluss der Seilkräfte auf die Schnittgrößen In diesem Abschnitt wird die Unsicherheit der Seilkraftermittlung durch Messung der Eigenfrequenzen behandelt. In [5] wurde ein erweitertes Verfahren entwickelt, mit dem eine Messgenauigkeit für Seilkräfte von unter 1 % Abweichung erreicht werden soll. Ziel des Verfahrens ist es, über eine idealisierte Eigenfrequenz f 1S eines biegeschlaffen Seils die Seilkraft zu berechnen. Mit dieser lässt sich dann mit der nachfolgenden Gleichung die Seilkraft berechnen. Um die idealisierte Eigenfrequenz zu bestimmen, ist die Kenntnis mehrerer Eigenfrequenzen des Seils notwendig. Über Beschleunigungsmessungen an den Seilen und anschließender Fast-Fourier-Transformation (FFT) lassen sich diese bestimmen. Für die analytische Berechnung der k-ten Eigenfrequenz wird folgender Ausdruck gegeben: Mittels der dimensionslosen bezogenen Biegesteifigkeit ξ kann vereinfacht über den Parameter α k die k-te Eigenfrequenz auch in Abhängigkeit der idealisierten Eigenfrequenz angegeben werden: Das Verfahren sieht weiterhin vor, die Parameter f 1S und ξ auf numerischem Wege so zu bestimmen, dass die Differenzen zwischen den gemessenen k Eigenfrequenzen f k,exp und den analytisch bestimmten Eigenfrequenzen f k,calc minimiert werden. Über f 1S lässt sich dann die Seilkraft berechnen. Durch dieses Verfahren soll die Biegesteifigkeit des Seils berücksichtigt werden, welche vor allem bei den Eigenfrequenzen höherer Ordnung einen größeren Einfluss hat. Durch die Kenntnis mehrerer Eigenfrequenzen soll somit die Genauigkeit der Seilkraftermittlung erhöht werden. Die Eigenfrequenz 1. Ordnung sollte dabei von der Auswertung ausgeschlossen werden, da durch die Schwingung eine Zusatzkraft induziert wird. Durch Umformen der aufgeführten Formeln wurde im Folgenden eine modifizierte Methode [6] verwendet, mit welcher nur noch ein Parameter (EI) und nicht mehr wie zuvor zwei Parameter ( f 1S und ξ) durch numerische Optimierung zu bestimmen sind. 2.4.1 Genauigkeit der Seilkraftermittlung Neben dem theoretischen Ansatz können Unsicherheiten in der Aufzeichnung und Verarbeitung der Messdaten 5. Brückenkolloquium - September 2022 351 Probabilistische Untersuchungen zur Beurteilung der Beulsicherheit des Stahlhohlkastens der Hamburger Köhlbrandbrücke während der Seilkraftermittlung vorliegen. Untersuchungen zeigten, dass mit der vorhandenen Abtastfrequenz von 100 Hz und einem Messzeitraum von 480 Sekunden eine hinreichend genaue Auflösung für eine FFT gegeben ist [7]. Auch können Fehler aufgrund von Aliasing durch die ausreichend hohe Abtastfrequenz weitestgehend ausgeschlossen werden. Mögliche Fehler aus dem Leck-Effekt wurden durch verschiedene Fenster-Funktionen untersucht und als nicht relevant bewertet. Mit Verweis auf [8] wird auch der Jitter-Fehler besonders für die Eigenfrequenzen niedrigerer Ordnung als gering betrachtet. Die größte Unsicherheit lässt sich somit auf das Ablesen der Peaks für die Eigenfrequenzen zurückführen. Bei händischer Ablesung lassen sich Abweichungen von ±5-% erwarten. Daher erfolgte die Ablesung der Eigenfrequenzen automatisiert mittels eines eigens programmierten Skripts und ergänzender manueller Kontrolle. Die eigens entwickelte Methode zur Seilkraftermittlung [6] erlaubt eine direkte Auswertung der Genauigkeit der Seilkraftermittlung. Über den Variationskoeffizienten lässt sich die Genauigkeit der Auswertung verschiedener Seile vergleichen. Für die im Zuge der Belastungsversuche durchgeführte Messung der Eigenfrequenzen der Seile unter Eigengewicht mit ausgebauten Dämpfern beträgt der Mittelwert der Variationskoeffizienten aller Seilkraftermittlungen 0,28-%. Der höchste Wert ergibt sich dabei zu 0,95-%. Damit lässt sich die Aussage aus [5], dass Seilkraftermittlungen mit einer Genauigkeit von unter 1 % möglich sind, bestätigen. In der späteren Monte-Carlo-Simulation wird basierend auf diesen Erkenntnissen für die Genauigkeit des Verfahrens der Seilkraftermittlung ein Variationskoeffizient von V f = 0,25 - 1,0 % angesetzt. 2.4.2 Genauigkeit des Seileigengewichts Die Seilkraft ist neben der Eigenfrequenz und Länge des Seils von dessen Eigengewicht abhängig. Somit stellt auch die Kenntnis des Eigengewichts eine mögliche Unsicherheit dar. Das angesetzte Eigengewicht der Stahlseile entstammt der Bestandsstatik für den Seiltausch, jedoch ist dort keine Angabe zur Genauigkeit vorhanden. Der Variationskoeffizient der Wichte von Stahl wird allgemein in der Literatur als sehr gering mit < 1 % angenommen [9]. Ausschlaggebender ist dagegen die mögliche Streuung in der geometrischen Größe eines Bauteils. In [10] werden aus mehreren Quellen Werte zwischen 1 und 6 % aufgeführt. Das JCSS empfiehlt einen Variationskoeffizienten von 2-% [4]. Allgemein ist davon auszugehen, dass für anspruchsvolle Bauteile wie die Stahlseile einer Schrägseilbrücke eine höhere Fertigungsgenauigkeit besteht als für Bewehrungsstahl. Für gewalzte Stahlquerschnitte wird in [9] eine mittlere Abweichung der Querschnittsfläche von 1 % angegeben. Ein Variationskoeffizient von insgesamt 1 bis 2 % für das Eigengewicht eines Stahlseils wird damit als ausreichend sicher für die Monte-Carlo-Simulation angesehen. Eine größere Unsicherheit des Eigengewichts lässt sich bei dem Anteil aus der Umwicklung der Stahlseile vermuten. Zum erweiterten Schutz vor Korrosion wurden in den Jahren 2009 und 2010 die Stahlseile zusätzlich mit Butylkautschukbändern umwickelt. Die Bänder wurden mittels eines Wickelroboters aufgebracht, weshalb sich eine gleichmäßige Verarbeitung annehmen lässt. Die Schichtdicke wird mit ca. 2,6 mm angegeben, über die Wichte der Ummantelung liegt jedoch keine Information vor. In [11] wird ein Bereich von 1,1 bis 1,9 g/ cm 3 für das spezifische Gewicht von Butylbändern genannt. In der Nachrechnung der KBB wurde ein spezifisches Gewicht der Umwicklung von 1,5-g/ cm 3 angenommen, in einer Auswertung der Seilkräfte von 2019 hingegen 1,35-g/ cm 3 . Für die anstehende Simulation wird ein spezifisches Gewicht von 1,5-g/ cm 3 mit einem Variationskoeffizienten von 10 bis 20 % gewählt. Der Anteil aus der Umwicklung am Eigengewicht ist im Vergleich zum Stahlseil allerdings sehr klein, sodass kein großer Einfluss aufgrund des höheren Variationskoeffizienten zu erwarten ist. 2.4.3 Genauigkeit der Seillänge Zuletzt wird noch die Genauigkeit der angesetzten frei schwingbaren Seillänge L für die Seilkraftermittlung beurteilt. Im Rahmen einer Seilkraftermittlung von 2015 wurde mit entsprechender Sensorik auch die frei schwingbare Seillänge gemessen. Die Messgenauigkeit wurde vom ausführenden Unternehmen mit etwa ±1-m abgeschätzt. Ein Einfluss der Dämpfer auf die frei schwingbare Seillänge wurde als nicht maßgebend beurteilt. In den neueren Messungen aus 2019 wurde die Seillänge über die geometrischen Angaben aus der Bestandsstatik zum Seiltausch ermittelt. Bei einem Vergleich beider Ansätze ließen sich nur geringe Abweichungen von bis zu 20-cm feststellen. Damit sind beide Ansätze als plausibel und hinreichend genau zu betrachten. Die Ergebnisse der Seilkraftermittlung aus 2019 zeigen jedoch einen Einfluss aufgrund eines ein- oder ausgebauten Dämpfers. In [38] wurden daher die Seillängen für die Auswertung mit eingebauten Dämpfern in y- und z-Richtung jeweils so angepasst, dass sich die gleichen Seilkräfte wie in der Auswertung ohne Dämpfer ergeben. Hierfür wurden die Seillängen bis zu ca. 2 m verkürzt. Jedoch ist anzumerken, dass die Dämpfer auch einen Einfluss auf die gemessenen Eigenfrequenzen an sich haben können. Während die Seillängen aus 2015 messtechnische Ungenauigkeiten beinhalten können, können die Seillängen aus 2019 Ungenauigkeiten aus Geometrie oder genauer Wirkung des Seilstützlagers beinhalten. Geometrische Ungenauigkeiten sind vor allem bei den längeren Seilen zu erwarten, hingegen wird bei den kürzeren, steilen Seilen der Einfluss der Lagerung größer sein. Insgesamt wurde für die Monte-Carlo-Simulation eine Abweichung der Seillängen von ±1 m als sinnvoll betrachtet. Diese wird durch eine Standardabweichung σ L von 0,3 bis 0,5 m statistisch modelliert. 3. Monte Carlo Simulation 3.1 Allgemeines Die Monte-Carlo-Methode ist ein Verfahren der Stochastik, mit dem mittels deterministischen Berechnungen mit 352 5. Brückenkolloquium - September 2022 Probabilistische Untersuchungen zur Beurteilung der Beulsicherheit des Stahlhohlkastens der Hamburger Köhlbrandbrücke (pseudo) Zufallszahlen Systemeigenschaften numerisch bestimmt werden können, welche sich nicht analytisch bestimmen lassen. Aufgrund der oft benötigten hohen Anzahl an Simulationsdurchläufen bringt eine Monte-Carlo-Simulation einen hohen Rechenaufwand mit sich. Das komplexe Tragverhalten des vielfach statisch unbestimmten Systems der Köhlbrandbrücke und der Einfluss mehrerer Zufallsgrößen machen eine analytische Bewertung der Genauigkeit der Spannungen aus ständigen Lasten jedoch nur schwer möglich, sodass eine Monte-Carlo-Simulation hier eine zielführende Lösungsmethode darstellt. 3.2 Konzept der Simulation Der schematische Ablauf der Monte-Carlo-Simulation ist in Abbildung 4 dargestellt. Hier sind auch alle Eingangsvariablen aufgeführt. Die Monte-Carlo-Simulation erfolgt in Matlab. Zunächst werden die benötigten Ergebnisse aus der FE-Berechnung der Einheitslastfälle der Seilvordehnungen und des Korrekturlastfalls, sowie alle weiteren benötigten Kennwerte, wie Seillängen und Seileigengewichte, in den Workspace eingelesen und die statistischen Parameter für die zufallsverteilten Variablen festgelegt. Auf Grundlage dieser Daten erfolgt dann die Durchführung von N zufallsbedingten Berechnungen von σ G . Dafür werden zunächst die 88 Seilkräfte jeweils durch zufällige Abweichungen bestimmt. Der Grundwert jeder Seilkraft entstammt dabei Seilkraftermittlungen aus 2015, die geschätzte Genauigkeit jedoch aus Messungen aus 2019, was jedoch zunächst keine Auswirkungen auf die Aussagekraft der Ergebnisse hat. Die zufällige Abweichung jeder Seillänge, Eigenfrequenz und der Teile des Seileigengewichts geschieht dabei unabhängig von allen anderen zufällig gewählten Variablen. Neben den Seilkräften wird der vorgegebenen Verformung in Feldmitte eine zufällige Abweichung zugewiesen. Somit sind die 89 vorgegebenen Werte definiert und es erfolgt die Berechnung der unbekannten Seilvordehnungen und des Korrekturlastfalls über die eingelesenen Daten aus der FE-Berechnung mittels eines Gleichungssystems. Mit Kenntnis dieser können dann die Spannungen aus ständigen Lasten berechnet werden. Abbildung 4: Ablauf der Monte-Carlo-Simulation Abbildung 5: Verteilung der Ergebnisse einer Monte-Carlo-Simulation 5. Brückenkolloquium - September 2022 353 Probabilistische Untersuchungen zur Beurteilung der Beulsicherheit des Stahlhohlkastens der Hamburger Köhlbrandbrücke Tabelle 1: Wesentliche Ergebnisse der Monte-Carlo Simulationen Der berechneten Spannung wird zuletzt eine zufällige Abweichung aufgrund Modellunsicherheiten zugeordnet. Nach N Durchläufen dieser Art kann aus der Liste aller σ G der Bemessungswert σ G,Ed durch Abzählen abgelesen und daraus der Teilsicherheitsbeiwert γ G ermittelt werden (hier als 0,39 % Quantilwert). 3.3 Ergebnisse der Simulation Da die Streuung der Eingangsvariablen nur in seltenen Fällen definitiv festgelegt werden kann, wurde der Teilsicherheitsbeiwert γ G für zwei unterschiedliche Sätze von Streuungen (günstig/ ungünstig) ermittelt. Die Monte-Carlo-Simulationen würde für diese beiden Parametersätze durchgeführt. Eine beispielhafte Verteilung der N berechneten σ G ist in Abbildung-5 dargestellt. Der Bestimmung des Bemessungswerts der ständigen Einwirkung kann durch Abzählen oder durch Abschätzen der Verteilungsfunktion der Häufigkeiten erfolgen. Die Genauigkeit des berechneten Bemessungswertes hängt dabei von der Anzahl N der Berechnungsdurchläufe ab. Es sollte ungefähr N = 10 6 gewählt werden, um ein hinreichend genaues Ergebnis zu erzielen, welches maximal in der ersten Nachkommastelle noch leichte Schwankungen mit sich bringt. Der Teilsicherheitsbeiwert γ G ist damit in der Regel bis auf zwei Nachkommastellen genau bestimmt (siehe Abbildung-6). Abbildung 6: Einfluss der Anzahl von Durchläufen auf die Rechengenauigkeit. Die Ergebnisse aus Tabelle-1 zeigen zunächst, dass sich durch Ansatz der ungünstigen Streuung der Variablen der normative Teilsicherheitsbeiwert γ G -=-1,35 plausibilisieren lässt, sowie ein geringerer Wert von γ G -=-1,20 grundsätzlich erreichbar ist. Ob der günstigere Wert von γ G -=-1,20 angesetzt werden kann hängt also im Wesentlichen davon ab, mit welcher Sicherheit die Streuung der Eingangsvariablen definiert werden kann. Hierzu können ggf. auch zusätzliche Untersuchungen durchgeführt werden. Liegen keine zusätzlichen Informationen vor, ist zunächst von dem ungünstigeren Teilsicherheitsbeiwert auszugehen. Allerdings enthält die bisherige Ermittlung des Teilsicherheitsbeiwerts durch die getrennte Betrachtung von ständigen und veränderlichen Lasten zusätzliche Reserven, die im Folgenden betrachtet werden. 3.4 Gemeinsame Betrachtung mit veränderlichen Einwirkungen Der im Eurocode 0 geforderte Zuverlässigkeitsindex β 50 -=-3,8 bezieht sich mit dem Wichtungsfaktor α E auf die gesamte Einwirkungsseite im Nachweis. Bisher wurde diese Versagenswahrscheinlichkeit jedoch vollständig jeweils auf die veränderlichen und die ständigen Einwirkungen bezogen [2]. Da an dieser Stelle die Verteilungsfunktionen beider Einwirkungen modelliert werden können, kann auch eine Berechnung eines gemeinsamen Bemessungswertes erfolgen. Die Spannungen aus veränderlichen Einwirkungen werden über eine Verteilungsfunktion modelliert mit den Parametern des LS-Schätzers (Methode der kleinsten Quadrate). Die Spannungen aus ständigen Einwirkungen werden weiter durch die Monte-Carlo-Simulation abgebildet. Die Verteilungen werden als statistisch unabhängig betrachtet. Bei einer weiteren Monte-Carlo-Simulation kann damit für jedes zufällige σ G ein zufälliges σ Q entsprechend der genannten Verteilung für veränderliche Einwirkungen addiert werden, sodass sich eine Spannung σ G+Q ergibt. Nach N Simulationen kann durch Abzählen ein gemeinsamer Bemessungswert σ˜ G+Q,Ed bestimmt werden. Abbildung 7: Ergebnisse bei gemeinsamer Simulation von σ G und σ Q In Abbildung-7 sind die Verteilungen und Bemessungswerte der einzelnen Spannungen dargestellt. Es ist zu erkennen, dass durch die gemeinsame Auswertung mit σ˜ G+Q,Ed = 199,9-MPa ein geringerer Bemessungswert resultiert als durch die Addition einzelner unabhängiger Bemessungswerte. Da der Bemessungswert aus ständigen Einwirkungen größer ist und damit als Leiteinwirkung zu betrachten ist, kann für die veränderlichen Einwirkungen ein theoretischer Kombinationsbeiwert ermittelt werden: 354 5. Brückenkolloquium - September 2022 Probabilistische Untersuchungen zur Beurteilung der Beulsicherheit des Stahlhohlkastens der Hamburger Köhlbrandbrücke Werden statt den ungünstigen Annahmen aus Tabelle-1 die günstigen Annahmen verwendet, so wird die veränderliche Einwirkung leitend und es würde sich ein Kombinationsbeiwert ξ für die ständigen Einwirkungen ergeben: Der Eurocode 0 erwähnt unter Abschnitt 6.4.3.2, Satz (3) einen solchen Kombinationsbeiwert ξ für ständige oder ψ0 für veränderliche Einwirkungen. Im nationalen Anhang wird deren Anwendung jedoch mit dem NCI zu 6.4.3.2 (3) und dem NDP zu A.1.3.1 (4) abgelehnt. In [12] wird genauer auf die Herleitung und Anwendung von ξ eingegangen. Der dort vorgestellte Kombinationsbeiwert ξ = 0,85 liegt nahe an dem hier ermittelten Wert. Dabei ist zu beachten, dass sich der hier ermittelte Abminderungsfaktor von ξ = 0,87 durch die zusätzlichen Sicherheiten aus der getrennten Bestimmung der Bemessungswerte aus ständigen und veränderlichen Lasten ergibt. Selbst für den Fall, dass die ungünstigen Bedingungen nach Tabelle- 1 zutreffend wären, würde sich demnach ein effektiver Teilsicherheitsbeiwert von γ G = 1,37-·-0,87 = 1,19 ergeben. Unter günstigen Bedingungen würde sich demzufolge ein Teilsicherheitsbeiwert von γ G = 1,18-·-0,87 = 1,03 ergeben. Vor dem Hintergrund der bei der Addition der unabhängig ermittelten Bemessungswerte vorhandenen zusätzlichen Sicherheit wäre also in jedem Fall die Anwendung eines reduzierten Teilsicherheitsbeiwerts von γ G = 1, 20 gerechtfertigt. 4. Zusammenfassung Für das vorliegende komplexe statische System wurde die Zuverlässigkeit der Spannungsermittlung unter ständigen Einwirkungen mittels Monte-Carlo-Simulationen beurteilt. Dabei wurden im Rahmen von Parameterstudien die Einflüsse der unterschiedlichen Basisvariablen untersucht und bewertet. Insgesamt wurden die Genauigkeit der gemessenen Seilkräfte und die Genauigkeit des Finite-Elemente-Berechnungsmodells als wichtigste Einflussgrößen auf die Genauigkeit der Spannungen aus ständigen Einwirkungen identifiziert. Durch weiterführende Beurteilungen der Genauigkeit der Seillängen und des Eigengewichts der Stahlseile sowie der Modellunsicherheit kann ein Teilsicherheitsbeiwert γ G = 1,35 als auf der sicheren Seite liegend betrachtet werden. Unter günstigen Umständen ist auf Basis der Eingangsvariablen auch ein Teilsicherheitsbeiwert von γ G = 1,18 denkbar. Die Belastungsfahrten aus 2019 und das Detailmodell stellen hierfür eine geeignete Grundlage dar. Insgesamt bestätigt sich auch die hohe Sensibilität des statischen Systems bezüglich der angesetzten Seilkräfte, weshalb diese mindestens auf 3 % genau bestimmt werden sollten. Der Einfluss der vorgegebenen Verformung in Feldmitte als Berechnungsgrundlage erwies sich als eher gering. Der Korrekturlastfall für das Eigengewicht hängt insgesamt am stärksten von den angesetzten Seilkräften ab und kann damit zur Plausibilitätskontrolle herangezogen werden. Zuletzt sei erwähnt, dass eine gemeinsame probabilistische Auswertung der Spannungen aus ständigen und veränderlichen Einwirkungen zu einer beachtenswerten Ersparnis im Nachweis und somit größeren vorhandenen Tragreserven führt. Durch die hier gezeigten Untersuchungen konnte vor dem Hintergrund dieser Reserven gezeigt werden, dass selbst unter ungünstigen Bedingungen die Anwendung eines reduzierten Teilsicherheitsbeiwerts von γ G = 1,20 gerechtfertigt wäre. Literatur [1] GRABE, M.; ULLERICH, C.; WENNER, M.; HERBRAND, M: smartBridge Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings. In: Bautechnik 97 (2020), 118-125, Heft 2. https: / / doi. org/ 10.1002/ bate.201900108 [2] HERBRAND, M.; WENNER, M.; ULLERICH, C.; RAUERT, T.; ZEHETMAIER, G.; MARX, S.: Beurteilung der Bauwerkszuverlässigkeit durch Bauwerksmonitoring - Probabilistischer Beulnachweis der Hamburger Köhlbrandbrücke. In: Bautechnik 98 (2021), 93-104, Heft 2. https: / / doi.org/ 10.1002/ bate.202000094 [3] SVENSSON, H.: Schrägkabelbrücken. 40 Jahre Erfahrung weltweit. Berlin: Ernst & Sohn GmbH & Co. KG, 2011 [4] JCSS: Probabilistic Mode Code Part 3 - Resistance Models. 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