eJournals Brückenkolloquium 5/1

Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
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2022
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Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken

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2022
Naceur Kerkeni
Frederik Teworte
Ehsan Sharei
Bei der Nachrechnung von Spannbetonbrücken hat sich die Finite Elemente Methode zu einem Standardwerkzeug entwickelt. Allerdings sind zur Sicherstellung von Qualität und Aussagekraft einer FE-Untersuchung umfangreiche Kenntnisse und Erfahrung des Anwenders erforderlich. Bei der linear-elastischen Berechnung der Bauwerke gemäß Stufe 1 und 2 der Nachrechnungslinie werden aufgrund der einfachen und schnellen grafischen Eingabe zunehmend räumliche Schalenmodelle verwendet. Dabei ist zu beachten, dass die programmgesteuerte Nachweisführung im Betonbau für Schalenelemente keine sinnvollen Ergebnisse liefert, wenn sich die Schnittgrößenverteilung zwischen dem elastischen und dem gerissenen Zustand signifikant unterscheidet. Bei der nicht-linearen FE-Untersuchung der Bauwerke gemäß Stufe 4 der Nachrechnungslinie wird eine sehr genaue und realitätsnahe Untersuchung durchgeführt. Durch die stark verbesserte Rechenleistung ist es nun möglich, realitätsnahe Volumenmodelle der geometrisch komplexen Bauwerke zu erstellen. Jedoch sind dabei die Wahl und Verifizierung geeigneter Materialmodelle sowie korrekte Interpretation der Ergebnisse von großer Bedeutung. In diesem Beitrag wird der Einsatz der linearen und nicht-linearen FE-Untersuchungen von Spannbetonbauwerke aufgezeigt und die Anwendung in der Nachrechnungsrichtlinie bewertet. Aufbauend auf die Erfahrungen und Kenntnissen in diesem Bereich werden Empfehlungen für die Anwender erarbeitet.
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5. Brückenkolloquium - September 2022 371 Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken Dr.-Ing. Naceur Kerkeni H+P Ingenieure GmbH, Aachen, Deutschland Dr.-Ing. Frederik Teworte H+P Ingenieure GmbH, Aachen, Deutschland Dr.-Ing. Ehsan Sharei H+P Ingenieure GmbH, Aachen, Deutschland Kurzfassung Bei der Nachrechnung von Spannbetonbrücken hat sich die Finite Elemente Methode zu einem Standardwerkzeug entwickelt. Allerdings sind zur Sicherstellung von Qualität und Aussagekraft einer FE-Untersuchung umfangreiche Kenntnisse und Erfahrung des Anwenders erforderlich. Bei der linear-elastischen Berechnung der Bauwerke gemäß Stufe 1 und 2 der Nachrechnungslinie werden aufgrund der einfachen und schnellen grafischen Eingabe zunehmend räumliche Schalenmodelle verwendet. Dabei ist zu beachten, dass die programmgesteuerte Nachweisführung im Betonbau für Schalenelemente keine sinnvollen Ergebnisse liefert, wenn sich die Schnittgrößenverteilung zwischen dem elastischen und dem gerissenen Zustand signifikant unterscheidet. Bei der nicht-linearen FE-Untersuchung der Bauwerke gemäß Stufe 4 der Nachrechnungslinie wird eine sehr genaue und realitätsnahe Untersuchung durchgeführt. Durch die stark verbesserte Rechenleistung ist es nun möglich, realitätsnahe Volumenmodelle der geometrisch komplexen Bauwerke zu erstellen. Jedoch sind dabei die Wahl und Verifizierung geeigneter Materialmodelle sowie korrekte Interpretation der Ergebnisse von großer Bedeutung. In diesem Beitrag wird der Einsatz der linearen und nicht-linearen FE-Untersuchungen von Spannbetonbauwerke aufgezeigt und die Anwendung in der Nachrechnungsrichtlinie bewertet. Auf bauend auf die Erfahrungen und Kenntnissen in diesem Bereich werden Empfehlungen für die Anwender erarbeitet. 1. 1. Allgemeines Im Rahmen der Nachrechnung von Bestandsbrücken in Stufe 2 der Nachrechnungsrichtlinie [19] lässt sich, trotz der verfeinerten Berechnungsansätze, häufig keine ausreichende rechnerische Tragfähigkeit nachweisen. Dies betrifft insbesondere die Querkraft- und Torsionsbeanspruchung sowie die Ermüdung. Zur Sicherstellung der Tragfähigkeit des Bauwerks kann eine entsprechende Verstärkungsmaßnahme vorgesehen werden. Alternativ kann eine genauere rechnerische Untersuchung der Brücke in Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie erfolgen. Die Nachrechnung in Stufe 4 ist insbesondere sinnvoll, wenn aufgrund der verkehrlichen Bedeutung des Bauwerks im Straßennetz kompensatorische Einschränkungen bis zur Fertigstellung der Verstärkungsmaßnahme (z.B. Spursperrung, Gewichtsbeschränkung, Sperrung für Schwertransporte) nicht vertretbar sind. Darüber hinaus kann eine solche Berechnung zielführend sein, wenn eine bauliche Verstärkung/ Ersatzneubau aufgrund der örtlichen Randbedingungen (z.B. Lichtraumprofile) oder der Kombination vorhandener rechnerischer Defizite nicht möglich ist. Die Berechnung in Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie umfasst die Nachweisführung unter Anwendung wissenschaftlicher Methoden. Hierzu gehören neben verfeinerten analytischen Ansätzen [4][20][21] [15][16] unter anderem räumliche nichtlineare Finite-Elemente Berechnungen. Die Berechnung von Brücken erfolgt heutzutage fast ausschließlich softwaregestützt. Die ortsveränderlichen Radlasten, die zahlreichen zu berücksichtigten Einwirkungskombinationen und Nachweise, die Vorspannung sowie die Bauzustände einschließlich der zeitabhängigen Betonverformungen lassen sich händisch mit der erforderlichen Genauigkeit kaum erfassen. Daher sind sehr komplexe Berechnungen durchzuführen, welche vom zuständigen Tragwerksplaner ein großes Fachwissen im Betonbau aber insbesondere auch in den eingesetzten numerischen Verfahren erfordert [22]. In diesem Beitrag werden in Kapitel 2 zunächst häufig auftretende Aspekte zur linear-elastischen FE-Modellierung von Brückenbauwerken mit Stab- und Schalenelementen in Stufe 1 und 2 gemäß Nachrechnungsrichtlinie erläutert. Im Kapitel 3 werden die Grundlagen der FE- Modellierung von Brückenbauwerken in Stufe 4 mithilfe der Volumenelemente präsentiert. Dabei werden Anleitungen zur Vorbemessung und zum Modellauf bau, sowie zur Berechnung und zur Nachbearbeitung gegeben. In Kapitel 4 wird die Validierung der bestehenden Materialgesetze anhand der nichtlinearen Berechnung eines „Benchmark“-Versuchs vorgestellt. Nichtlineare Finite-Elemente Berechnungen ermöglichen eine Untersuchung des Bauteiltragverhaltens nach Schubrissbildung unter Berücksichtigung möglicher Umlagerungsreserven im Zustand II. Darüber hinaus können 372 5. Brückenkolloquium - September 2022 Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken basierend auf der Ermittlung des rechnerischen Ankündigungsverhaltens bis zum Versagen (z.B. Rissentwicklung) gezielte Maßnahmen zur Überprüfung des Bauwerks definiert werden. Eine zielführende Nachrechnung in Stufe 4 mithilfe der nicht-linearen FE-Methode setzt ausreichende Fachkenntnisse und langjährige Erfahrung bei der Modellierung der Beton-, Stahlbeton- und Spannbetonbauteile voraus. 2. FE-Modellierung in Stufe 1 und 2 2.1 Längsrichtung mit Stab- und Schalenelementen Zur Modellierung einer Brücke stehen u.a. Stab-, Platten-, Scheiben-, Schalen- und Volumenelemente zur Verfügung. Aus baupraktischen Gründen werden üblicherweise Stabmodelle, Schalenmodelle oder eine Kombination aus den zuvor genannten verwendet. Seltener kommen Volumenmodelle zum Einsatz. Die Modellierung des Tragwerks zur Ermittlung der Schnittgrößen infolge der aktuellen Lastansätzen [5] ist hierbei jeweils vom Brückentyp abhängig. Abb. 1 zeigt die Visualisierung des Schalenmodells einer einfachen Plattenbrücke. Das dreidimensionale FE-System ist erforderlich, da die dünneren Elemente für die Kragplatte exzentrisch mit dem Massivquerschnitt gekoppelt wurden. Ebene 2D Modelle können die exzentrische Lage der Kragplatte nicht abbilden. Dies ist insbesondere bei schiefwinkligen Überbauten und Brücken mit Längs- und Quervorspannung von Bedeutung, um die Steifigkeiten und Beanspruchungen (Schnittgrößen, Spannungen) zutreffend zu erfassen. Abb. 1: FE-Schalenmodelle einer Plattenbrücke [22] Die Auflager lassen sich durch Feder- oder elastisch gebettete Schalenelemente erfassen. Für die Schnittgrößenermittlung im Bereich der Lagerung sollte das FE-Netz im Zweifelsfalle noch verfeinert werden. Das Beispiel zur Schnittgrößenermittlung in Bauwerkslängsrichtung einer vorgespannten Balkenbrücke mit Hohlkastenquerschnitt ist in Abb. 2 dargestellt. Hierbei liegt nach [6] ein torsionssteifer Stab vor, sodass ein Stabmodell verwendet wird. Das Bauwerk besitzt in den Stützbereichen eine Stegaufdickung. Die Stabelemente sind in ihrer Lage ausgerichtet, um die Änderung der Höhe der Schwerachse abzubilden. Dies ist insbesondere bei Brücken mit Normalkraftbeanspruchung (z.B. Spannbetonbrücken, Balkenbrücken mit mehreren längsfesten Lagern) von besonderer Bedeutung. Hierdurch kann bei der Berechnung der Biegemomente die zutreffende Exzentrizität der Normalkraft erfasst werden. Abb. 2: Koppelung zwischen Hauptträger und lastverteilender, orthotroper Platte (oben) und Schnitt durch die gevoutete Fahrbahnplatte (unten) [22] Bei asymmetrischer Belastung auf dem Überbau ergeben sich Torsionsbeanspruchungen im Hauptträger. Diese können als entsprechende Stablasten für jeden Lastfall manuell ermittelt und auf die Hauptträger aufgebracht werden. Alternativ hierzu kann die Ermittlung des Torsionsmoments auch in der FEM Berechnung erfolgen. Das genaue Vorgehen ist hierbei programmabhängig, wobei sich die Berechnungsgrundlagen ähneln. Nachfolgend wird die Abbildung mittels einer lastverteilenden orthotropen Platte beschrieben. Die Platte dient lediglich der Querverteilung der auf der Fahrbahnplatte wirkenden Lasten auf die Hauptträger. Hierdurch können die Lasten (z.B. Ausbaulasten, Verkehrslasten) entsprechend ihrer Lage am Bauwerk eingegeben werden. Die Fahrbahnplatte ist entsprechend ihrer Lage oberhalb des Hauptträgers angeordnet und durch Knotenkopplungen, die die Freiheitsgrade der Stäbe und Platte starr miteinander verbinden, an diesen angeschlossen. Bei der Eingabe der Schalenelemente ist darauf zu achten, dass diese gewichtslos sind, eine Orthotropie besitzen und somit lediglich eine Steifigkeit in Querrichtung aufweisen. Eine doppelte Berücksichtigung der Steifigkeit in Längsrichtung führt zu unzutreffenden Schnittgrößen der Hauptträger. Dies kann durch Handrechnungen hinsichtlich Verformungen und Zwangschnittgrößen auf Plausibilität überprüft werden. Die Gabellagerung des Hauptträgers auf jeweils zwei Lagern je Achse kann durch verschiedene Modellierungen abgebildet werden. So ist sowohl eine explizite Abbildung der beiden Auflager entsprechend ihrer Anordnung am Bauwerk als auch die Abbildung eines einzelnen torsionssteifen Lagers mittig in der Bauwerksachse möglich. Bei dem hier beschriebenen Vorgehen wurde die erste Variante gewählt, bei der ein Anschluss zwischen Über- 5. Brückenkolloquium - September 2022 373 Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken bau und Lager durch steife Koppelstäbe realisiert wird. Die Steifigkeit der Koppelstäbe ist so zu wählen, dass hierdurch keine numerischen Probleme entstehen. So kann eine zu große Steifigkeit beim Erstellen der globalen Steifigkeitsmatrix zu mechanisch nicht begründbaren Sprüngen der Kräfte am Auflager führen, insbesondere bei Zwangsbeanspruchungen. Dies ist bei der Modellierung durch geeignete Plausbilitätskontrollen (z.B. analytische Handrechnungen) zu überprüfen. Alternativ können auch Knotenkopplungen angeordnet werden, womit die oben geschilderten numerischen Probleme vermieden werden. Die Nachgiebigkeit der Auflager wird durch vertikale und horizontale Wegfedern abgebildet. Die Steifigkeit der Bauwerkslager kann nach [8] und die der Unterbauten entsprechend der technischen Mechanik an Ersatzsystemen ermittelt werden. Die Abbildung einer zutreffenden Federsteifigkeit ist insbesondere bei schiefwinkligen Bauwerken und Bauwerken mit mehreren horizontalen Bauwerkslagern von Bedeutung. Eine zu große Steifigkeit der Lager würde dazu führen, dass ein zu geringer Anteil der Normalkraft im Überbau verbleibt. Darüber hinaus ergeben sich keine zutreffenden zeitabhängigen Spannkraftverluste infolge Kriechen, Schwinden und Relaxation. 2.2 Querrichtung mit Schalenmodellen Die Modellierungen in Querrichtung weisen häufig sehr unterschiedliche Detailierungsgrade auf. So kommen Untersuchungen am räumlichen Gesamtsystem oder Substrukturen zum Einsatz. Auch die verwendeten Elementtypen und Netzeinteilungen unterscheiden sich hierbei. Bei den räumlichen Gesamtmodellen wird der untersuchte Bereich der Querrichtung in der Regel durch Schalenelemente diskretisiert. Bei der Verwendung von räumlichen Gesamtmodellen (Schalenmodellen) wird die Einspannung durch Stege und Querträger sowie der Einfluss der Lagerung im Stützbereich direkt im Modell erfasst. Darüber hinaus wird die Beanspruchung der anderen Tragwerkselemente ebenfalls konsistent ermittelt, wenn man von einem elastischen Materialverhalten ausgeht. Daher werden, in Verbindung mit der gestiegenen Leistungsfähigkeit der üblichen FEM Programme, im Folgenden lediglich Möglichkeiten zur Modellierung mit Schalenmodellen beschrieben. Bei den Schalenmodellen werden Fahrbahntafel, Stege, Querträger und Bodenplatte durch isotrope Schalenelemente abgebildet. In Abb. 3 ist ein Ausschnitt des Regelbereichs eines zweistegigen Plattenbalkenquerschnitts dargestellt. Die Elemente weisen hierbei variable Querschnittshöhen auf, sodass die Querschnittsgeometrie und Steifigkeit zutreffend erfasst werden. Die erforderlichen Abmessungen der Elemente in der Fahrbahntafel ergeben sich durch die Voutung der Bauteile und die Größe der auf der Fahrbahnplatte wirkenenden Lastflächen. Abb. 3: Detail Elementierung Schalenmodell [22] Während bei der Modellierung von geraden Bauwerken in Längsrichtung üblicherweise nur die Längsvorspannung abgebildet wird, ist bei der Schnittgrößenermittlung in Querrichtung die Quervorspannung zu berücksichtigen. Diese umfasst sowohl die Spannglieder in der Fahrbahntafel als auch in den Querträgern. Die Längsvorspannung wird bei der Modellierung in Querrichtung häufig vernachlässigt. Sofern die Längsvorspannung auch zu einer Beanspruchung in Querrichtung führt, z.B. bei schiefwinkligen Bauwerken, sollte ihr Einfluss bei der Schnittgrößenermittlung berücksichtigt werden (z.B. Abb. 4). In Abb. 4 ist eine Draufsicht auf das Schalenmodell einer schiefwinkligen, zweifeldrigen Durchlaufträgerbrücke mit zweistegigem Plattenbalkenquerschnitt dargestellt. Es liegt mit Ausnahme der Querträgerbereiche ein orthogonales, rechtwinkliges Netz vor. Lediglich über den Querträgern wurden schiefwinklige Elemente verwendet, die zusammen mit den stehenden Schalenelementen der Querträgerstege das Bauteil ‚Endquerträger‘ abbilden (Aufteilung des Querschnitts in Teilquerschnitte). Abb. 4: Draufsicht auf das Schalenmodell einer schiefwinkligen, zweistegigen Plattenbalkenbrücke [22] Die Ausrichtung der Elemente hängt unter anderem von der verwendeten Elementformulierung ab. Daher sollte vor der Erstellung von Brückenmodellen an einfachen Ersatzmodellen überprüft werden, ob die geplante Elementierung und Netzeinteilung des Bauwerks in der Lage sind, die Schnittgrößen zutreffend zu ermitteln. In Abb. 5 ist die Draufsicht auf eine statisch bestimmt gelagerte Einfeldplatte gegeben, die mit einer konstanten Flächenlast von 100 kN/ m² belastet wird. Hierbei wurde mit einem rechtwinkligen Netz und einem schiefwinkligen Netz bei ansonsten unveränderten Eigenschaften der Einfluss der Netzausrichtung überprüft. 374 5. Brückenkolloquium - September 2022 Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken Abb. 5: Modelle zur Überprüfung der Elementformulierungen: Schiefwinkliges Netz (oben) und rechtwinkliges Netz (unten) [22] Durch den Vergleich mit Beanspruchungen gemäß technischer Mechanik kann die Qualität der Modellierung bewertet werden. Hiernach ergeben sich die nachfolgenden Schnittgrößen und Durchbiegungen: Biegemoment Feldmitte: 12,5 kNm/ m Durchbiegung Feldmitte: 0,07 mm Querkraft am Auflager: 50 kN/ m In Abb. 6 sind für beide Modellierungen die Verläufe der Biegemomente und Durchbiegungen in verschiedenen Schnitten dargestellt. So sind beide Netzausrichtungen bei der verwendeten Elementformulierung in der Lage, die Beanspruchungen hinreichend genau zu ermitteln. Während sich beim rechtwinkligen Netz der zu erwartende parabelförmige Verlauf einstellt, sind bei der schiefwinkligen Orientierung geringfügige Sprünge an den Elementkanten zu erkennen. Abweichend hiervon zeigen die Querkräfte am Auflager sowohl signifikante Abweichungen von der analytisch ermittelten Beanspruchung (v = 50 kN/ m) als auch untereinander auf. Abb. 6: Modelle zur Überprüfung der Elementformulierungen: Biegemoment (oben), vertikale Durchbiegung (mitte) und Querkraft (unten) [22] So ergibt sich bei den rechtwinkligen Elementen eine geringfügig zu niedrige Querkraft von etwa 45 kN/ m. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Elementformulierung eine konstante Querkraft im Element ausweist und der lineare Querkraftverlauf in Längsrichtung stufenartig angenähert wird. Daher ist bei der Verwendung dieser Elementformulierung auf eine ausreichend feine Elementierung zu achten. Bei den schiefwinkligen Elementen ergibt sich eine deutlich zu hohe Querkraftbeanspruchung, die darüber hinaus über die Bauwerksbreite nicht konstant ist. Daher ist diese Elementformulierung in Verbindung mit schiefwinkligen Elementausrichtun- 5. Brückenkolloquium - September 2022 375 Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken gen nicht zur Ermittlung der Querkraftbeanspruchung der Plattenelemente geeignet. In Abb. 7 ist der Ausschnitt eines Schalenmodells einer Strombrücke dargestellt (Fahrbahntafel ausgeblendet). Während in den Vorlandbereichen ein zweistegiger Plattenbalkenquerschnitt vorliegt, nimmt die Konstruktionshöhe des Querschnitts über den Pfeilerachsen des Flusses zu und es liegt eine untere Bodenplatte als Druckplatte vor. Die dargestellte Modellierung wurde verwendet, um neben der Beanspruchung der Fahrbahntafel ebenfalls die Beanspruchung der übrigen Bauteile ermitteln zu können. Hierbei sollte insbesondere der Einfluss der Querschnittsänderungen vom Plattenbalkenquerschnitt zum Hohlkastenquerschnitt berücksichtigt werden. Abb. 7: Schalenmodell (ohne Fahrbahntafel) im Bereich einer Innenstütze mit Bodenplatte [22] Die Beanspruchung der Bodenplatte ist in Abb. 8 anhand der rechnerischen Hauptzugspannungen unter Gebrauchslasten dargestellt. Infolge der Querschnittsänderung ergeben sich am Beginn der Bodenplatte mit Werten s1 von mehr als 5 N/ mm² Hauptzugspannungen, die größer sind als die Betonzugfestigkeit. In diesen Bereichen konnten am Bauwerk ebenfalls entsprechende Risse festgestellt werden. Abb. 8: Hauptzugspannungen in der Bodenplatte unter Gebrauchslasten (links) und Bauwerkszustand der Brückenunterseite (rechts) [22] Die gewählte Formulierung ist in der Lage das globale und lokale Tragverhalten zutreffend wiederzugeben. Die Beanspruchung ist im Wesentlichen auf die Torsionseinspannung des Plattenbalkenquerschnitts in den torsionssteiferen Hohlkastenquerschnitt zurückzuführen. 3. Grundlagen der FE-Berechnung in Stufe 4 3.1 Modellbildung und Elementierung Die FE-Methode ist ein numerisches (Näherungs-) Verfahren zur Lösung von Differentialgleichungen. Es liefert somit keine exakten Ergebnisse. Bei der Finiten Elemente Methode wird ein reales Tragwerk in kleine Elemente unterteilt, welche durch Knoten verbunden sind. Die reale Belastung wird durch Knotenkräfte ersetzt. Innerhalb dieser Elemente werden die Verformungen sowie die Spannungen und Dehnungen durch Polynome niedrigen Grades angenähert. Ein parabelförmiger Biegemomentenverlauf, bspw. bei einem Einfeldbalken unter Gleichlast, lässt sich auch mit einem konstanten Biegemoment in den finiten Elementen gut annähern, wenn die Kantenlänge ausreichend klein ist. Die Feinheit des Elementnetzes hängt somit von den Gradienten der Verformungen ab. Die passende Elementart (linear oder quadratisch) sollte abhängig von der gewünschten Genauigkeit der Berechnung und dem erforderlichen Rechenaufwand gewählt werden. Je komplexer die Elementart, desto aufwändiger und genauer sind die Berechnungen. In den meisten Fällen liefert ein FE Element mit linearer Ansatzfunktionen eine ausreichende Genauigkeit für eine nichtlineare FE Untersuchung. Zur Reduzierung der Rechenzeit kann die Symmetrie eines Modells (Bauteil und Laststellung) ausgenutzt werden, indem entsprechende Lagerungsbedingungen in den Symmetrieachsen definiert werden. Um numerische Singularitäten und somit einen verfrühten Abbruch der Berechnungen zu vermeiden, sollten Auflagerbedingungen und Krafteinleitungen über Flächen, alternativ über Linien definiert werden. Punktuelle Krafteinleitungen sollten vermieden werden. Die Elementgröße beeinflusst sowohl die Genauigkeit der Berechnung als auch die erforderliche Rechenzeit. Der Wahl der passenden Netzgröße kommt daher eine wichtige Rolle zu. Während sehr grobe FE-Netze falsche bzw. ungenaue Ergebnisse liefern, erhöhen sehr feine FE-Netze unnötig die Rechenzeit. Die richtige Elementgröße sollte durch einige linear elastische Voruntersuchungen ermittelt werden. Für Bauteile außerhalb des Untersuchungsbereiches können zur Reduzierung der erforderlichen Rechenzeit gröbere Vernetzungen angenommen und rein elastische Materialverhalten abgebildet werden. Für dünne Bauteile wie Platten oder Flansche sollten abhängig vom Netz angrenzender Bauteile mindestens drei bis fünf Elemente über die Höhe modelliert werden, damit die Steifigkeit des Systems nicht zu hoch abgebildet wird („Locking“ der Elemente). Unabhängig von der gewählten Netzgröße sollte die Qualität der FE-Untersuchung durch Vermeidung von verzehrten Elementen und stark abweichenden Kantenlängen (0,5 ≤ h/ b ≤ 2,0) sichergestellt werden. Dazu sollten geometrisch komplexe Querschnitte und Volumen vor Erzeugung der Vernetzung in mehrere Teilquerschnitte bzw. Volumen zerlegt werden. Die einzelnen Teile werden anschließend starr miteinander gekoppelt. Die FE- Netze verschiedener Körper sollten in Kontaktbereichen aufeinander abgestimmt sein. 3.2 Kalibrierung und Validierung der Materialmodelle Für die korrekte Abbildung des nicht-linearen Materialverhaltens unter einer beliebigen Kombination aus Druck- und Zugbeanspruchungen sollten je Werkstoff mindestens die folgenden Materialparameter definiert werden: 376 5. Brückenkolloquium - September 2022 Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken Beton • Zug- und Druckfestigkeit: Normgemäß kalibrieren • Elastizitätsmodul: Steifigkeit des Systems, um die Anfangssteifigkeit im linear-elastischen Bereich korrekt abzubilden • Bruchenergie zur Abbildung des Verhaltens nach der Rissbildung Beton- und Spannstahl • Fließgrenze und Zugfestigkeit jeweils mit der entsprechenden Fließbzw. Bruchdehnung • Elastizitätsmodul Verbundverhalten • Bei glattem oder geripptem Beton- und Spannstahl muss ein sinnvolles Verbundverhalten angesetzt werden (starre Kopplung bzw. Interface Modellierung mit Spannung-Schlupf Beziehung) Die FE-Modellierung und Nachrechnung der unten aufgeführten Versuche mithilfe der ausgewählten Materialgesetze gilt als Basis für die Prognose der Standsicherheit der Großbauwerke. Um sicherzustellen, dass die verwendete FE-Software verschiedene Versagensarten (Versagensmodi) des Betons abbilden kann, sollten die numerischen Versagensarten der folgenden Versuche untersucht werden: Druckversagen • Druckversuche (Würfel / Zylinder) gemäß [10] Zugversagen • Spaltzugversuch [7] • 3-Punkt bzw. 4-Punkt Biegeversuche nach [9] Schubversuche / Interaktion Schub- und Zugversuche bzw. Druckversagen (Mixed-mode) • Nooru-Mohamed Tests [18] • 4-Punkt Schubversuche [1] Interaktion zwischen Beton und Bewehrungsstahl für verschiedene Vorspann- und Bewehrungsgrade • Schubversuche von Leonhardt [13] Die Auflistung der Bauteilversuche ist nicht abschließend. In Abhängigkeit der Aufgabenstellung können auch weitere Nachrechnungen von z.B. Versuchen mit Biegeversagen (Bewehrung, Biegedruckzone) oder Pull-out Tests (zur Kalibrierung des Verbundverhaltens) sinnvoll sein. Für eine praktische Anwendung im Brückenbau ist ein iteratives Lösungsverfahren mit schrittweiser Auf bringung der Beanspruchung und Bildung eines Gleichgewichts aus inneren und äußeren Kräften zur Konvergenzbildung geeignet (z.B. Newton Raphson Verfahren). 4. Modelvalidierung mithilfe der Benchmark Versuche Im Folgenden wird die FE-Modellierung der Versuche an der TU Wien [12] mithilfe des FE-Programms LIMFES [14]vorgestellt. Diese FE-Berechnung gilt als Validierung des im FE-Programm implementierten Materialmodells [2][3] und der Modellierung zur künftigen Untersuchung der Tragfähigkeit realer Brückenbaubauwerke. Es handelt sich um vorgespannte Einfeldträger mit einem Kragarm. Der Kragarm dient der gezielten Lastauf bringung, um die Durchlaufwirkung eines Mehrfeldträgers zu simulieren. Die Versuchsträger der ganzen Versuchsreihe unterscheiden sich durch die Vorspannkraft und damit die mittlere Betonspannung im Testfeld s cp , die Querschnittsform, den Querkraftbewehrungsgrad ρ w , die Schubschlankheit (Verhältnis des Biegemoments zur Querkraft), und der Belastung (punktuellen bzw. gleichmäßig). Die hier betrachteten Versuche unterscheiden sich nur in Vorspannkraft und Querkraftbewehrungsgrad. Abb. 9: Untersuchungsparameter für ausgewählte Träger [12] Die Stützweiten und Querschnitte sowie die vorhandene Bewehrung sind in Abb. 10 dargestellt. Das Spannglied besitzt eine Spannstahlfläche von Ap = 1050 mm2, die sich auf sieben Litzen verteilt, und wird einseitig am Kragarm vorgespannt. 5. Brückenkolloquium - September 2022 377 Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken Abb. 10: Geometrie, Bewehrungs- und Spanngliedführung [12] 4.1 Kalibrierung der Materialeigenschaften Die Materialkennwerte wurden durch Laboruntersuchungen unterschiedlicher Institutionen festgestellt und sind in Abb. 11 zusammengefasst. Abb. 11: Materialkennwerte [12] Die Kalibrierung des im FE-Programm implementierten Materialmodells unter einaxialer Druck- und Zugbeanspruchung ist in Abb. 12 dargestellt. Abb. 12: Kalibrierung des Materialverhaltens für Beton unter Druck- (links) und Zugbeanspruchung (rechts) 4.2 Beschreibung der Belastung Die Last verteilt sich im Bereich „Testfeld“ auf 16 Punkte. Für das restliche Feld wurden die Pressenpaare im doppelten Abstand angesetzt. 378 5. Brückenkolloquium - September 2022 Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken Abb. 13: Versuchsauf bau [12] Abb. 14: Erzeugte Schnittgrößenverläufe [12] Die ermittelten Parameter für eine Schubschlankheit von Mmax/ (Vmax∙h) ≈ 3,0 sind neben der maximalen Belastung und Querkraft für die jeweiligen Versuche nachfolgend dargestellt. Abb. 15: Ermittelte Vorspannkräfte, Schnittgößenparameter, maximale Last und maximale Querkraft [12] 4.3 FE-Modellaufbau Der Versuchsträger PC2.0T074 wird als 3D FE-Modell mit 16.659 Volumenelemente modelliert. Die Elemente weisen ungefähr eine Kantenlänge von jeweils 5 cm auf. Die Vorspannung besteht aus einem Längsspannglied. Abb. 16: FE-Modell 3D- und Seitenansicht und die Vorspannung 5. Brückenkolloquium - September 2022 379 Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken Abb. 17: Vorspannkraft für das Spannglied Die Bewehrung wird diskret eingegeben (Abb. 18). Die blauen Bügel stellen die Schubbewehrung mit dem Ø10 dar und die grünen Bügel sind Ø4 bzw. Ø6. Abb. 19: Streckenlast und Punktlast Für die FE-Simulation wird fcm = 66,6 N/ mm2 und Ecm = 32667 N/ mm2 angesetzt. Die einachsige Zugfestigkeit des Betons fct beträgt 4,05 N/ mm2 nach [11]Die Bruchenergie GF beträgt 155,4 N/ m nach [12][17] 4.4 Ergebnisse der nicht-linearen FE-Berechnung Die Berechnung wird abgebrochen, sobald die Ungleichgewichtskräfte nicht gegen Null konvergieren. Gleichzeitig ist zu überprüfen, ob die zulässigen Grenzdehnungen von Beton und Bewehrungsstahl eingehalten sind. Somit kann die Laststufe identifiziert werden, in der ein rechnerisches Versagen des Systems eintritt. In Abb. 20 beträgt die Dehnung im letzten Berechnungsschritt vor Bruch, in dem die oben genannten Bedingungen erfüllt sind, 3,3 ‰. Abb. 20: Hauptdehnungen ε3 In Abb. 21 wird die Spannung (links) und Dehnung (rechts) des kritischen Bügels dargestellt. Alle anderen Bügel haben eine geringere Belastung. Die maximale Spannung beträgt 688 N/ mm² und liegt unter der Zugfestigkeit ft = 691 N/ / mm2. Abb. 18: Modellansicht der gesamten diskretisierten Bewehrungselemente 380 5. Brückenkolloquium - September 2022 Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken Abb. 21: Spannungen und Dehnungen im kritischen Bügel Die Durchbiegungen δ wurden in dem Testfeld und an dem Kragarm gemessen und in Abhängigkeit der Querkraft Vmax in einer Last Durchbiegungs-beziehung zusammengefasst. In Abb. 22 sind die Last-Durchbiegung- Kurve für Versuch und Simulation dargestellt. Abb. 22: Vergleich der Last-Durchbiegungs-beziehung Der Vergleich zeigt eine gute Übereinstimmung zwischen Realversuch und Simulation. Die Steifigkeiten werden gut dargestellt. Für den Feldbereich liegen die Kurven im Zustand I sogar genau übereinander und auch die Kurven des Kragarms verlaufen annähernd parallel. Im Zustand II entfernen sich die Kurven teilweise voneinander sowohl für den Feldbereich als auch für den Kragarm. Dies kann an den Pausen bei der Lastauf bringung beim Realversuch liegen, die zur Dokumentation der Rissbilder genutzt wurden. In diesen Haltephasen kann es zum Kriechen des Betons kommen, wodurch sich die Durchbiegung vergrößert, ohne dass die Last erhöht wird. Diese Verformungen addieren sich auf und sorgen für einen immer größer werdenden Abstand zwischen den Kurven. Diese Haltephasen sind durch kurze horizontale Abschnitte in der Last-Durchbiegungsbeziehung zu erkennen und werden durch die Kreise in Abb. 22 markiert. Ein generell steiferes Verhalten in der FE-Berechnung ist auch nachvollziehbar, da keine Federsteifigkeiten in den Lagern berücksichtigt wurden, die möglicherweise im Realversuch durch den Versuchsauf bau vorhanden sind. Auch bezüglich der maximalen Querkraft und der dazugehörigen Verformung, die beim Bruch gemessen wurden, unterscheiden sich die Kurven nicht zu sehr. 4.5 Interpretation der Ergebnisse In Tab. 1 sind die Simulationsergebnisse zusammengefasst. Die Unterschiede zwischen Versuch und Simulation scheinen bei der Streckenlast und der Querkraft zum Zeitpunkt des Bruchs groß. Da die Abweichungen bei den Durchbiegungen zwischen Realversuch und der FE-Berechnung nicht groß sind, ist das Modell eine gute Abbildung des Versuchs für den Träger PC2.0T074. Eine Berücksichtigung der Federsteifigkeiten könnte die Übereinstimmung noch verbessern und auch das Materialmodell ist eine empfindliche Stellschraube. Mit leicht angepassten Werten wäre eine genauere Neuberechnung möglich. Tab. 1: Zusammenfassung der Ergebnisse für PC2.0T074 und Abweichungen Auch die in der Simulation erzeugten Rissbilder werden mit den Rissen des Versuchs verglichen. In der Bruchlaststufe sind die Risse in Abb. 23 im oberen Bild in der Rissdarstellung zu sehen und auch deutlich über die Hauptdehnungen ε1 im unteren Bild zu erkennen. 5. Brückenkolloquium - September 2022 381 Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken Abb. 23: Darstellung des Rissbildes mit Neigung des kritischen Schubrisses αcr (oben) und der Hauptdehnungen ε1 (unten) Es lässt sich feststellen, dass ein Querkraftversagen vorliegt, da nur wenige und kleine Biegerisse in Feldmitte vorhanden sind und über dem Innenauflager ausgeprägte Schubrisse das Rissbild kennzeichnen. Anhand der Hauptdehnungen lässt sich der kritische Schubriss eindeutig identifizieren. Am Rissbild ist außerdem zu sehen, dass die Risse nicht bis zur Unterkante des Querschnitts gehen, was auf die Wirkung der Druckzone zurückzuführen ist. Abb. 24: Rissbild für den Versuchsträger PC2.0T074 mit der Versagensstelle und der gemittelten Neigung des kritischen (Biege-) Schubrisses αcr[12] Die Risse des Versuches sind in Abb. 24 dokumentiert und der kritische Riss weist eine Neigung von 21° auf. Damit ist dessen Winkel ein wenig flacher als die Neigung des Risses aus der FE-Berechnung mit 23°. Das Rissbild sieht sehr ähnlich aus in Bezug auf Verteilung und Größe der Risse. Ein wesentlicher Unterschied in den Rissbildern stellt die Versagensstelle an der Auflagerkante dar. Während der kritische Riss bei allen Versuchen bis zur Auflagerkante führte und dort die Versagensstelle hervorrief, sind bei den FE-Berechnungen keine Risse im Lagerbereich zu sehen. Bei Betrachtung der Verträglichkeitsbedingungen, welche die Bruchlaststufe in der FE-Berechnung definieren, war die Betonstauchung im Lagerbereich die begrenzende Bedingung. Nachfolgend werden die Hauptdehnungen ε3 an den Auflagern der Versuchsträger dargestellt. Das Überschreiten der Betongrenzdehnung, welches bei dem Träger zum Abbruch der Berechnung führte, stellt einen Bruch des Betons im Auflagerbereich dar. Die Abplatzungen sind im Lagerbereich zu sehen, die als Versagensstelle gekennzeichnet wurden. Somit ist das aus der FE-Berechnung ermittelte Rissbild sehr zutreffend, wenn die überschrittene Betonstauchung bei der Betrachtung hinzugenommen wird. Vor allem bei der Annahme, dass der kritische Riss im Moment des Versagens sich mit der Abplatzung im Lagerbereich verbindet, würde sich ein identes Rissbild ergeben wie aus der Versuchsreihe. Abb. 25: Darstellung der Versagensstelle von PC2.0T074 mit den Hauptdehnungen ε3 5. Zusammenfassung Die Berechnung von Brücken erfolgt heutzutage fast ausschließlich softwaregestützt, wobei vom zuständigen Tragwerksplaner ein großes Fachwissen im Betonbau aber insbesondere auch in den eingesetzten numerischen Verfahren erforderlich ist. In Stufe 1 und 2 der Nachrechnungsrichtlinie werden überwiegend linear-elastische FE-Modelle mit Stab- und Schalenelementen verwendet. Die Modellierung des Tragwerks zur Ermittlung der Schnittgrößen ist hierbei jeweils vom Brückentyp abhängig. Bei der Modellierung in Brückenlängsrichtung ist die Höhenlage der verschiedenen Elemente bei veränderlichen Querschnitten durch Querschnittsversprünge zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere für vorgespannte und schiefwinklige sowie integrale Brücken. Die Modellierungen in Querrichtung weisen häufig sehr unterschiedliche Detailierungsgrade auf. So kommen Untersuchungen am räumlichen Gesamtsystem oder Substrukturen zum Einsatz. Aufgrund des konsistenten Lastabtrags zwischen den einzelnen Bauteilen eines Überbaus und der Abbildung der jeweiligen Einspannungen sowie der gestiegenen Leistungsfähigkeit der üblichen FEM Programme, eignen sich zur Berechnung in Querrichtung insbesondere Schalenmodelle. Im Allgemeinen sind jeweils zutreffende Auflagersteifigkeiten durch Federn abzubilden. Dies gilt insbesondere für schiefwinklige Brücken und Brücken mit Festpfeilergruppen. Zusätzlich ist vor der Erstellung von Brückenmodellen an einfachen Ersatzmodellen zu überprüfen, ob die geplante Elementierung und Netzeinteilung des Bauwerks in der Lage sind, die Schnittgrößen zutreffend zu ermitteln. Die Voruntersuchungen und die Berechnungsergebnisse des Bauwerks sind durch geeignete Plausibilitätskontrollen (z.B. analytische Handrechnungen) zu überprüfen. Nichtlineare Finite-Elemente Berechnungen in Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie ermöglichen eine Untersuchung des Bauteiltragverhaltens nach Schubrissbildung unter Berücksichtigung möglicher Umlagerungsreserven im Zustand II. Eine zielführende Nachrechnung in Stufe 4 mithilfe der nicht-linearen FE-Methode setzt ausreichende Fachkenntnisse und langjährige Erfahrung bei der Modellierung der Stahl- und Spannbetonbauteile voraus. Vor der Nachrechnung von realen Brückenbauwerken mithilfe nicht-linearer FE-Berechnungen ist sicherzustellen, dass die gewählte Modellierung unter Verwendung der jeweiligen FE-Software das Tragverhalten von Stahlbeton- und Spannbetonbauteilen zutreffend ab- 382 5. Brückenkolloquium - September 2022 Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken bilden kann. Hierzu sind das Materialverhalten und die verschiedenen Versagensarten der einzelnen Werkstoffe (Beton, Stahl) und des Verbundwerkstoffs im Rahmen von Vorberechnungen („Benchmark“-Tests) zu untersuchen. Die Anwendung eines Benchmark-Tests in Stufe 4 wurde anhand eines Bauteilversuches unter Querkraftbeanspruchung gezeigt. Hierbei konnten das lokale und globale Tragverhalten sowie das Bauteilversagen zufriedenstellend abgebildet werden. Literatur [1] Arrea, M.; Ingraffea, A. R.: Mixed-mode crack propagation in mortar and concrete: Report 81-13, Department of Structural Engineering. 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