eJournals Brückenkolloquium 5/1

Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
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2022
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Anwendung elektrochemischer Verfahren bei der Instandsetzung von Stahl- und Spannbetonbrücken – Schwerpunkt elektrochemische Chloridextraktion

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2022
Lars Wolff
Michael Bruns
Für die Instandsetzung von durch Bewehrungskorrosion geschädigte Stahl- oder Spannbetonbauwerke existieren verschiedene elektrochemische Verfahren. Dazu zählen: • Der kathodische Korrosionsschutz (KKS) • Die elektrochemische Chloridextraktion • Die elektrochemische Realkalisierung Hauptanwendungsgebiet des KKS ist die Instandsetzung von durch chloridinduzierte Bewehrungskorrosion geschädigten Stahl- und Spannbetonbauwerken. In diesem Bereich hat sich der KKS in den vergangenen Jahren etabliert, wie die Anwendung bei vielen Parkbauten, aber auch einigen Brücken und anderen Verkehrsbauwerken zeigt. Weniger bekannt und eher selten angewendet wird die elektrochemische Chloridextraktion. Geregelt ist diese in der DIN EN 14038-2:2018-07. Bei der elektrochemischen Chloridextraktion wird ein elektrisches Feld zwischen der Betonstahlbewehrung und einer temporär auf die Betonoberfläche aufgelegten, in alkalischer Elektrolytlösung befindlichen Anode aufgebracht. Die Anwendungsdauer beträgt üblicherweise mehrere Wochen bis einige Monate. Durch das aufgebrachte elektrische Feld wandern die Chloridionen zur Anode bzw. in den die Anode umgebenden Elektrolyten und können mit diesem entfernt werden. Nach erfolgreicher Chloridextraktion können, soweit erforderlich, Schutzmaßnahmen gegenüber erneutem Chlorideindringen, z. B. Oberflächenschutzsysteme, aufgebracht werden. Ein Abtrag des chloridbelasteten Betons oder ein dauerhafter Betrieb, wie beim KKS nötig, ist bei der elektrochemischen Chloridextraktion nicht erforderlich. Damit bietet die elektrochemische Chloridextraktion vor allem bei lokal begrenzt vorliegenden chloridbelasteten Bereichen, z.B. bei Widerlagerwänden, Brückenpfeilern, chloridbelasteten Bodenplatten von Brückenhohlkästen in Bereichen zeitweise undichter Entwässerungseinrichtungen o.ä., Vorteile gegenüber einem Abtrag des chloridbelasteten Betons oder der Anwendung des KKS. Das dritte elektrochemische Verfahren, die elektrochemische Realkalisierung, ist zwar auch normativ geregelt (DIN EN 14038-1:2016-10). Bislang wurde die elektrochemische Realkalisierung allerdings in Deutschland nur tastweise eingesetzt. Im Rahmen des Beitrags werden nach Einführung in die verschiedenen elektrochemischen Verfahren zwei Beispiele einer erfolgreichen Anwendung der elektrochemischen Chloridextraktion, u. a. an einer Brücke, vorgestellt.
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5. Brückenkolloquium - September 2022 429 Anwendung elektrochemischer Verfahren bei der Instandsetzung von Stahl- und Spannbetonbrücken - Schwerpunkt elektrochemische Chloridextraktion Lars Wolff, Michael Bruns Ingenieurbüro Raupach Bruns Wolff, Aachen, Deutschland Zusammenfassung Für die Instandsetzung von durch Bewehrungskorrosion geschädigte Stahl- oder Spannbetonbauwerke existieren verschiedene elektrochemische Verfahren. Dazu zählen: • Der kathodische Korrosionsschutz (KKS) • Die elektrochemische Chloridextraktion • Die elektrochemische Realkalisierung Hauptanwendungsgebiet des KKS ist die Instandsetzung von durch chloridinduzierte Bewehrungskorrosion geschädigten Stahl- und Spannbetonbauwerken. In diesem Bereich hat sich der KKS in den vergangenen Jahren etabliert, wie die Anwendung bei vielen Parkbauten, aber auch einigen Brücken und anderen Verkehrsbauwerken zeigt. Weniger bekannt und eher selten angewendet wird die elektrochemische Chloridextraktion. Geregelt ist diese in der DIN EN 14038-2: 2018-07. Bei der elektrochemischen Chloridextraktion wird ein elektrisches Feld zwischen der Betonstahlbewehrung und einer temporär auf die Betonoberfläche aufgelegten, in alkalischer Elektrolytlösung befindlichen Anode aufgebracht. Die Anwendungsdauer beträgt üblicherweise mehrere Wochen bis einige Monate. Durch das aufgebrachte elektrische Feld wandern die Chloridionen zur Anode bzw. in den die Anode umgebenden Elektrolyten und können mit diesem entfernt werden. Nach erfolgreicher Chloridextraktion können, soweit erforderlich, Schutzmaßnahmen gegenüber erneutem Chlorideindringen, z. B. Oberflächenschutzsysteme, aufgebracht werden. Ein Abtrag des chloridbelasteten Betons oder ein dauerhafter Betrieb, wie beim KKS nötig, ist bei der elektrochemischen Chloridextraktion nicht erforderlich. Damit bietet die elektrochemische Chloridextraktion vor allem bei lokal begrenzt vorliegenden chloridbelasteten Bereichen, z.B. bei Widerlagerwänden, Brückenpfeilern, chloridbelasteten Bodenplatten von Brückenhohlkästen in Bereichen zeitweise undichter Entwässerungseinrichtungen o.ä., Vorteile gegenüber einem Abtrag des chloridbelasteten Betons oder der Anwendung des KKS. Das dritte elektrochemische Verfahren, die elektrochemische Realkalisierung, ist zwar auch normativ geregelt (DIN EN 14038-1: 2016-10). Bislang wurde die elektrochemische Realkalisierung allerdings in Deutschland nur tastweise eingesetzt. Im Rahmen des Beitrags werden nach Einführung in die verschiedenen elektrochemischen Verfahren zwei Beispiele einer erfolgreichen Anwendung der elektrochemischen Chloridextraktion, u. a. an einer Brücke, vorgestellt. 1. Einleitung 1.1 Allgemeines In den nachfolgenden Abschnitten werden die drei elektrochemischen Verfahren • Der kathodische Korrosionsschutz (KKS) • Die elektrochemische Chloridextraktion • Die elektrochemische Realkalisierung nacheinander kurz vorgestellt und exemplarisch einige verfahrensbedingte Besonderheiten kurz beschrieben. Im nachfolgenden Kapitel 3 werden anschließend zwei Beispiele einer erfolgreich angewendeten elektrochemischen Chloridextraktion kurz vorgestellt. Das Grundprinzip aller drei genannten Verfahren ist jeweils vergleichbar. So wird in allen drei Fällen auf die Betonoberfläche zunächst eine Anode aufgebracht. Anschließend wird eine Stromquelle mit der Bewehrung und dieser Anode verbunden. Je nach Art des elektrochemischen Verfahrens sind die Art der Anode, die Anodeneinbettung, die aufgebrachten Potentiale und sich einstellenden Stromstärken sowie die sich daraus ergebenden Anwendungsmöglichkeiten und grenzen höchst unterschiedlich. Details zu diesen Besonderheiten enthalten ebenfalls die nachfolgenden Abschnitte. Im folgenden Bild 1 ist schematisch der vorgenannte Aufbau bestehend aus Anode, Stromquelle und zu schützendem Bauteil vergleichend dargestellt. 430 5. Brückenkolloquium - September 2022 Anwendung elektrochemischer Verfahren bei der Instandsetzung von Stahl- und Spannbetonbrücken - Schwerpunkt elektrochemische Chloridextraktion Bild 1: Prinzipdarstellung der elektrochemischen Verfahren (links), Anwendung beim Kathodischen Korrosionsschutz (Mitte) und bei der elektrochemischen Chloridextraktion bzw. der elektrochemischen Realkalisierung (rechts) 1.2 Kathodischer Korrosionsschutz Der kathodische Korrosionsschutz (KKS) ist sowohl außerhalb des Betonbaus (Schutz erdverlegter Stahlrohre, im Schiffsbau, von Behältern und Maschinenbauteilen, die mit aggressiven Medien beaufschlagt werden, usw.) als auch im Betonbau eine seit Jahrzehnten bewährte Schutzmethode. Aufgrund der weltweit guten Erfahrungen gewinnt der KKS in den letzten 20 Jahren auch in Deutschland insbesondere bei der Instandsetzung von Parkhäusern und Tiefgaragen zunehmend an Bedeutung. Aber auch bei einigen Brücken und Tunneln sowie bei Wasserbauwerken wurde der kathodische Korrosionsschutz (KKS) bereits eingesetzt, siehe z. B. [1] bis [4]. Die zunehmende Akzeptanz der Instandsetzung durch Anwendung des kathodischen Korrosionsschutzes liegt nicht zuletzt auch im Erscheinen der ersten Ausgabe der DIN EN 12696 im Jahr 2000, die mittlerweile mehrfach überarbeitet und erweitert wurde und im Jahr 2016 durch die DIN EN ISO 12696: 2017-05 [5] ersetzt wurde. In der TR Instandhaltung des DIBt [6] ist der Kathodische Korrosionsschutz ebenfalls enthalten. Hier wird im Wesentlichen auf DIN EN ISO 12696: 2017-05 [5] verwiesen, wobei in der TR Instandhaltung [6] bzgl. der Planung des KKS auf folgendes hingewiesen wird [6]: „Abweichend von der DIN EN ISO 12696 müssen Planung und Ausführung des zu verwendenden Beton-ersatzes nach den Regelungen dieser Technischen Regel erfolgen. Untergrundvorbereitung und Reprofilierung müssen nach dieser Technischen Regel erfolgen.“ Dies bedeutet, eine Planung einer KKS-Maßnahme allein nach DIN EN ISO 12696: 2017-05 [5] ist i.d.R. nicht zulässig. Der Korrosionsschutz der Bewehrung wird beim KKS durch kathodische Polarisation des Bewehrungsstahls erreicht. Hierzu wird das Stahlbetonbauteil dauerhaft mit einem Elektrodensystem (Anodensystem) ausgestattet, über welches mittels einer zwischen die Bewehrung und das Anodensystem geschalteten Gleichstromquelle dauerhaft ein Schutzstrom auf die Bewehrung aufgeprägt wird. Die kathodische Polarisation bewirkt neben der direkten Behinderung der anodischen Teilreaktion des Korrosionsprozesses (Eisenauflösung) eine Reihe weiterer Schutzprozesse, wie die Angleichung der Potentiale im Bereich passiver und depassivierter Stahloberflächen und langfristig die Reduktion der Chloridionenkonzentration an der Stahloberfläche, die letztendlich in ihrer Summe dazu führen, dass die Korrosionsraten auf praktisch vernachlässigbare Werte reduziert werden können. Die wesentliche Schutzwirkung tritt unmittelbar mit Herstellung der kathodischen Polarisation der Bewehrung ein, welche über ein Monitoringsystem überwacht und gesteuert wird. Weitere Schutzmechanismen (sekundäre Schutzmechanismen), wie die Reduktion der Chloridkonzentration an der Stahloberfläche, verstärken die Schutzwirkung mit der Zeit, bzw. bewirken, dass der Schutzstrom mit der Zeit reduziert werden kann [11]. Mit Abstand am häufigsten werden Anodensysteme bestehend aus sogenannten MMO-Anoden verwendet, welche in einen als Anodeneinbettung geeigneten Mörtel eingebettet werden. MMO-Anoden bestehen aus einem Titansubstrat in Form von Streckmetallnetzen, feinmaschigen Bändern oder Drähten, die mit einer Mischmetalloxid-Beschichtung aus Metalloxiden der Platingruppe versehen sind. Neben der Applikation der Elektroden auf der Betonoberfläche, welche durch die Einbettmörtelschicht i.d.R. auch eine Geometrieveränderung und eine zusätzliche Flächenlast mit sich bringt, ist je nach Randbedingun- 5. Brückenkolloquium - September 2022 431 Anwendung elektrochemischer Verfahren bei der Instandsetzung von Stahl- und Spannbetonbrücken - Schwerpunkt elektrochemische Chloridextraktion gen auch eine Anodenapplikation innerhalb des Bauteils möglich. So können beispielsweise bei ausreichend hoher Betondeckung (mind. rd. 3,5 cm) Bandanoden auch in Schlitzen in der Betondeckung verlegt werden, welche dann mit einem speziellen Vergussmörtel verfüllt werden. Eine weitere häufig eingesetzte Anodenvariante sind sogenannte diskrete Bohrlochanoden. Diese Bohrlochanoden bestehen bei der in Deutschland am häufigsten eingesetzten Variante ebenfalls aus MMO-Anodenmaterial. Die in unterschiedlicher Länge erhältlichen Anoden werden in Bohrlöcher direkt in das Bauteil mittels eines speziellen Vergussmörtels bzw. Einpressmörtels eingebettet und dann an der Betonoberfläche über einen isolierten Titandraht untereinander elektrisch verbunden. Hierdurch wird es möglich, auch tiefer im Beton liegende Bewehrung oder Bewehrung in nicht direkt zugänglichen Bereichen kathodisch zu schützen. Für weitere Ausführungen zum Kathodischen Korrosionsschutz oder die Beschreibung ausgeführter Objekte wird an dieser Stelle auf die beispielhaft aufgeführte Literatur [1] bis [4] oder [11] verwiesen. 1.3 Die elektrochemische Chloridextraktion Die elektrochemische Chloridextraktion ist nicht in der TR Instandhaltung [6] beschrieben und wird in dieser auch nicht genannt. Hintergrund dieses Umstandes ist, dass die elektrochemische Chloridextraktion umfänglich in DIN EN 14038-2: 2020-12 [7] geregelt ist. Da die elektrochemische Chloridextraktion zudem nur eine Verfahrensweise regelt, nicht aber Bauprodukte oder Bauweisen, ist diese Norm auch nicht in der MVV TB des DIBt enthalten. Bei der elektrochemischen Chloridextraktion wird, ähnlich wie beim KKS, eine Anode auf die Betonoberfläche aufgebracht. Allerdings wird die Anode, eingebettet in einen wässrigen Elektrolyten, lediglich temporär aufgebracht. Üblicherweise wird hierzu ein alkalischer Elektrolyt verwendet, um eine gewisse Pufferkapazität gegenüber einer Säurebildung während der elektrochemischen Chloridextraktion zu haben. Wenn das Betonbauteil Gesteinskörnungen mit einer Gefährdung gegenüber einer Alkali-Kieselsäurereaktion enthält, sollte im Zuge der Planung der Maßnahme dieses Gefährdungspotential abgeschätzt werden. So ist es denkbar, dass durch die infolge des aufgebrachten elektrischen Feldes eintretende Ionenwanderung eine Alkali-Kieselsäurereaktion der Gesteinskörnung hervorgerufen oder verstärkt werden kann. Die Spannung bei der elektrochemischen Chloridextraktion ist nach DIN EN 14038-2: 2020-12 [7] auf 48-V begrenzt, so dass i.d.R. keine besonderen Maßnahmen zum Schutz gegenüber unbefugter Berührung der Anoden erforderlich sind. Übliche Stromstärken bei der elektrochemischen Chloridextraktion liegen bei bis zu 10-A pro m² Stahloberfläche und damit um ein Vielfaches über der üblichen maximalen Stromdichte beim KKS, welche häufig in der Größenordnung von ca. 20-mA/ m² Stahloberfläche liegt. Durch die angelegte Gleichspannung kommt es infolge Ionenmigrationsvorgängen zu einer Wanderung von negativ geladenen Chloridionen zum auf die Betonoberfläche aufgebrachten Metallnetz (Anode) bzw. in den die Anode umgebenden Elektrolyten. I.d.R. erfolgt die Anwendung der elektrochemischen Chloridextraktion in Zyklen, meist ein mehrere Wochen dauernder Zyklus mit laufender Chloridextraktion und anschließend eine deutlich kürzere Ruhephase. Üblicherweise sind mehrere Zyklen zur ausreichenden Chloridextraktion erforderlich. Nach Ende eines Zyklus wird der Elektrolyt entfernt und damit auch die in den Elektrolyten migrierten Chloridionen. Bedingt durch die Anodenreaktionen und eine damit einhergehende Säurebildung an der Anode ist eine oberflächliche Schädigung der Betonrandzone möglich. Üblicherweise beschränkt sich diese Schädigung auf eine Tiefe von wenigen mm und kann im Zuge einer üblicherweise nachfolgenden Applikation von Schutzmaßnahmen beispielsweise durch Applikation eines Feinspachtels o. Ä. behoben werden. Bei der Anwendung der elektrochemischen Chloridextraktion an Spannbetonbauteilen mit nachträglichem Verbund sollte im Vorfeld untersucht werden, ob der Spannstahl eine erhöhte Gefährdung gegenüber wasserstoffinduzierter Spannungsrisskorrosion aufweist. Ggf. sind hier im Vorfeld entsprechende Untersuchungen erforderlich oder es sollte im Zuge der Anwendung der elektrochemischen Chloridextraktion eine Überwachung der Polarisation des Spannstahls erfolgen. Eine Anwendung der elektrochemischen Chloridextraktion an Spannbetonbauteilen mit sofortigem Verbund sollte nach den Regelungen der DIN EN 14038-2: 2020- 12 [7] nicht erfolgen. Beispiele für die Anwendung der elektrochemischen Chloridextraktion enthält das folgende Kapitel 3. 1.4 Die elektrochemische Realkalisierung Die elektrochemische Realkalisierung ist in DIN EN 14038-1: 2020-12 [8] geregelt. In der TR Instandhaltung [6] wird die elektrochemische Realkalisierung nicht erwähnt. In der Vergangenheit wurde die elektrochemische Realkalisierung nur vereinzelt an einigen Objekten angewendet. Ausgeführte Objekte finden sich beispielsweise in [9]. Auch bei der elektrochemischen Realkalisierung wird eine Metallanode temporär auf die zu behandelnde Bauteiloberfläche aufgebracht. Auch hier wird ein wässriger alkalischer Elektrolyt verwendet. Die Spannung bei der elektrochemischen Realkalisierung ist ähnlich hoch wie bei der elektrochemischen Chloridextraktion. In [9] werden 40-V genannt. Die in [9] genannten Stromdichten liegen mit Werten zwischen 0,5 und 1-A/ m² unterhalb der Stromdichten bei der elektrochemischen Chloridextraktion. Durch die angelegte Gleichspannung kommt es an der Bewehrung (Kathode) zur Entstehung von Hydroxylio- 432 5. Brückenkolloquium - September 2022 Anwendung elektrochemischer Verfahren bei der Instandsetzung von Stahl- und Spannbetonbrücken - Schwerpunkt elektrochemische Chloridextraktion nen infolge Sauerstoffreduktion und Elektrolyse. Weiterhin kommt es durch Ionenmigrationsvorgänge zu einer Wanderung von positiv geladenen Ionen (z.B. K + , Na + , Ca ++ ) zur Bewehrung (Kathode). Beide Prozesse führen zu einer pH-Werterhöhung an der Bewehrung. Im Rahmen eines Forschungsvorhabens [10] wurde allerdings festgestellt, dass die realkalisierte Zone rund um den Bewehrungsstab nur eine Schichtdicke von etwa 3 bis 4-mm aufwies. Da infolge der elektrochemischen Realkalisierung u.U. keine erneute Pufferkapazität aufgebaut werden kann, ist die Langzeitwirkung einer solchen Maßnahme möglicherweise nicht gegeben. Vermutlich ist dies der wesentliche Grund, weshalb die elektrochemische Realkalisierung bislang nur sehr vereinzelt in der Praxis angewendet wurde. 2. Beispiele einer durchgeführten elektrochemischen Chloridextraktion 2.1 Unterführungen einer Brücke Bei dem Bauwerk handelt es sich um eine kleine Brücke über zwei Unterführungen auf einem Werksgelände. In den beiden Unterführungen verlaufen diverse Medienleitungen, Rohre, eine Gasleitung und Kabel einer nahegelegenen Versuchseinrichtung. Das folgende Bild 2 zeigt einige Eindrücke einer der beiden Unterführungen. Bild 2: Beispiel einer der beiden Unterführungen der Brücke mit umfangreichen Leitungen, Schaltkästen, Rohren u.a. An den Bodenflächen der beiden Unterführungen wurden deutlich erhöhte Chloridgehalte mit Werten von z.T. deutlich über 1 M.-%/ Zement in Höhe der Bewehrung festgestellt. Aufgrund der Rahmenwirkung sowie der vorhandenen umfangreichen Installationen schied ein Abtrag des chloridbelasteten Betons aus. Der Kathodische Korrosionsschutz war aufgrund der begrenzten zu bearbeitenden Fläche in den beiden Unterführungen und der angestrebten langen Restnutzungsdauer und der damit verbundenen sich summierenden hohen Wartungskosten im vorliegenden Fall unwirtschaftlich. Aus diesem Grund wurde für die Bodenflächen die elektrochemische Chloridextraktion favorisiert. Nach Installation der Anoden und Inbetriebnahme der Anlage wurden die Anoden mit Spannplatten abgedeckt. Eine Begehung der Unterführungen durch Technisches Personal der nahegelegenen Versuchsanlage für Arbeiten an den Technischen Installationen war somit weiterhin möglich. Das folgende Bild 3 zeigt eine der beiden Unterführungen mit installierten Anoden während des Betriebs. Für die Bohrmehlentnahme und Chloridgehaltsbestimmungen nach Ende eines Zyklus wurde die Spannplatte hochgeklappt und die Anoden lokal beiseite geklappt. Bild 3: Beispiel einer der beiden Unterführungen der Brücke während der laufenden elektrochemischen Chloridextraktion Für beide Unterführungen wurde ein Zyklus mit einer Anwendung der elektrochemischen Chloridextraktion von drei Wochen und einer anschließenden Ruhephase von einer Woche festgelegt. In einer der beiden Unterführungen wurden drei Zyklen, in der zweiten Unterführung wurden vier Zyklen benötigt. Nach jedem Zyklus wurden die Chloridgehalte tiefenabhängig bestimmt, um den Erfolge der Maßnahme bewerten zu können. Das folgende Bild 4 zeigt beispielhaft die Reduktion der Chloridgehalte über die insgesamt vier Zyklen. 5. Brückenkolloquium - September 2022 433 Anwendung elektrochemischer Verfahren bei der Instandsetzung von Stahl- und Spannbetonbrücken - Schwerpunkt elektrochemische Chloridextraktion Bild 4: Reduktion der Chloridgehalte über insgesamt vier Zyklen der der elektrochemischen Chloridextraktion Nach Abschluss der der elektrochemischen Chloridextraktion wurden Instandsetzungsmaßnahmen an den angrenzenden Stahlbetonbauteilen durchgeführt, da hier Schäden infolge karbonatisierungsinduzierter Bewehrungskorrosion vorlagen. Im Zuge dieser Maßnahme wurden auf die Bodenflächen beider Unterführungen Oberflächenschutzsysteme zum Schutz vor einem erneuten Chlorideindringen appliziert (Verfahren 7.7 nach TR Instandhaltung [6]). 2.2 Hoch belastete Stütze einer Tiefgarage Bei dem Bauwerk handelt es sich um eine kleine Tiefgarage unterhalb eines mehrstöckigen Bürogebäudes. Im Zuge der Ist-Zustandsermittlung in der Tiefgarage wurden lediglich an einer der Stützen deutlich erhöhte Chloridgehalte festgestellt. Aus statischer Sicht schied ein Abtrag des chloridbelasteten Betons aus bzw. dieser hätte in mehreren Pilgerschritten durchgeführt werden müssen, stets verbunden mit dem Risiko einer zu starken Schwächung des Stützenquerschnitts im Zuge des Betonabtrags. Auch in diesem Beispiel war der Kathodische Korrosionsschutz aufgrund des geringen Umfangs (nur eine zu schützende Stütze) und der angestrebten langen Restnutzungsdauer und der damit verbundenen sich summierenden hohen Wartungskosten im vorliegenden Fall unwirtschaftlich. Aus diesem Grund wurde für die Stütze ebenfalls die elektrochemische Chloridextraktion favorisiert. Nach Installation der Anoden und Inbetriebnahme der Anlage konnte die Tiefgarage praktisch ohne Einschränkungen weiter genutzt werden. Auch bei diesem Beispiel konnte der Chloridgehalt über 4 Zyklen soweit reduziert werden, dass nach Abschluss der Maßnahme lediglich die Applikation von Schutzmaßnahmen gegenüber einem erneuten Chlorideindringen ausreichend war (Verfahren 7.7 nach TR Instandhaltung [6]). 3. Zusammenfassung Während von den drei elektrochemischen Verfahren der Kathodische Korrosionsschutz in den letzten rd. 15 bis 20 Jahren in Deutschland bei einer Vielzahl an Objekten erfolgreich eingesetzt wurde, beschränkt sich die Anwendung der elektrochemischen Chloridextraktion auf einige wenige Fälle. Dabei bietet die elektrochemische Chloridextraktion vor allem beispielsweise bei nur lokal chloridbelasteten Bereichen, in denen ein Betonabtrag nicht oder nur sehr aufwändig durchführbar ist, durchaus erhebliche Vorteile. Durch die geringen Eingriffe ins Bauteil und die geringe Einschränkung der Umgebung (nach Installation der Anlage keine Lärm- oder Staubbelästigungen) bietet die elektrochemische Chloridextraktion auch praktische Vorteile für den Bauherrn. Zu bedenken ist allerdings, dass bei der elektrochemischen Chloridextraktion der Erfolg nicht garantiert werden kann bzw. nicht im Vorfeld sicher vorhersagt werden kann, ob der Chloridgehalt tatsächlich auf ein unkritisches Maß abgesenkt werden kann. Aus diesem Grund empfiehlt sich, bei geplanten größeren Maßnahmen zur elektrochemischen Chloridextraktion ggf. die Wirksamkeit der Maßnahme zunächst an einer repräsentativen Probefläche zu testen. Die elektrochemische Realkalisierung hingegen wurde abgesehen von einigen wenigen Anwendungen in der Praxis bisher vor allem nur im Forschungsmaßstab angewendet. Literaturverzeichnis [1] Raupach, M., Bruns, M.: Kathodischer Korrosionsschutz von Stahlbetonbauwerken im Wasserbau - Anwendungsmöglichkeiten und Praxisbeispiele - BAW-Kolloquium Baustoffe und Bauausführung im Verkehrswasserbau, 27. und 28. Oktober 2009 in Karlsruhe [2] Wolff, L., Bruns, M., Hümmecke, M., Westendarp, A.: Grundinstandsetzung des Straßentunnels Rendsburg unterhalb des Nordostseekanals Ostfildern : Technische Akademie Esslingen, 2019. - In: 1. Kolloquium Straßenbau in der Praxis, Ostfildern, 29. und 30. Januar 2019, (Schäfer, F. (Ed.)), ISBN 978-3-943563-05-4 [3] Raupach, M., Wolff, L., Bruns, M.: Schutz und Instandsetzung von Parkbauten. In: Stahlbeton aktuell 2016 - Praxishandbuch. Beuth Verlag GmbH, Seiten C.1 bis C.53. ISBN 978-3-410-25202-3 [4] Bruns, M., Binder, G.: Umsetzung des Kathodischen Korrosionsschutzes an den Spannbetonüberbauten der Schleusenbrücke Iffezheim. In: Beton- und Stahlbetonbau 108 (2013), Heft 2 [5] DIN EN ISO 12696: 2017-05 Kathodischer Korrosionsschutz von Stahl in Beton (ISO 12696: 2016); Deutsche Fassung EN ISO 12696: 2016 434 5. Brückenkolloquium - September 2022 Anwendung elektrochemischer Verfahren bei der Instandsetzung von Stahl- und Spannbetonbrücken - Schwerpunkt elektrochemische Chloridextraktion [6] Deutsches Institut für Bautechnik Berlin DIBt: Technische Regel Instandhaltung von Betonbauwerken (TR Instandhaltung). Fassung Mai 2020 [7] DIN EN 14038-2: 2020-12 Elektrochemische Realkalisierung und Chloridextraktionsbehandlungen für Stahlbeton - Teil 2: Chloridextraktion; Deutsche Fassung EN 14038-2: 2020 [8] DIN EN 14038-1: 2020-12 Elektrochemische Realkalisierung und Chloridextraktionsbehandlungen für Stahlbeton - Teil Teil 1: Realkalisierung; Deutsche Fassung EN 14038-1: 2016 [9] Kurt, H.: Elektrochemische Realkalisierung und Entsalzung. In: Cementbulletin, Band (Jahr): 60-61 (1992-1993), Heft 21 [10] Bruns, M., Raupach, M., Grünzig, H., und Schneck, U.: Realkalisieren von Fassadenflächen - Ergebnisse eines Forschungsvorhabens. In: Restoration of Buildings and Monuments, Bauinstandsetzen und Baudenkmalpflege, Vol. 11, No 5, 1-12 (2005) [11] Raupach, M., Wolff, L., Bruns, M.: Schutz und Instandsetzung von Parkbauten. In: Stahlbeton aktuell 2016. Beuth Verlag GmbH