eJournals Brückenkolloquium 5/1

Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
91
2022
51

Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion

91
2022
Vladimir Lavrentyev
Eva Stakalies
Reinhard Maurer
Im Rahmen von Brückennachrechnungen ergeben sich bei den bestehenden älteren Spannbetonbrücken infolge einer Beanspruchung aus Querkraft und Torsion häufig Defizite hinsichtlich der erforderlichen Bügel- und Torsionslängsbewehrung. Dies liegt zum einen an höheren Verkehrslasten infolge des kontinuierlich gestiegenen Schwerverkehrs und zum anderen an den im Laufe der Zeit weiterentwickelten Nachweisverfahren für Querkraft und Torsion. Zurzeit existieren nur relativ wenige experimentelle Untersuchungen an vorgespannten Versuchsbalken als Durchlaufträger mit der kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion. Im Rahmen eines Forschungsvorhabens der BASt durchgeführt in Kooperation mit der RWTH Aachen und TU München werden an der TU Dortmund Großversuche an Spannbetonbalken mit realistischer Schubschlankheit durchgeführt, die Plattenbalkenbrücken möglichst gut repräsentieren sollen. Dabei ist u.a. die Interaktion der Schnittgrößen in der Biegedruckzone an der Innenstütze, wo die resultierenden Hauptdruckspannungen aus Biegung, Querkraft und Torsion wirksam sind, Gegenstand der derzeitigen Forschung.
kbr510477
5. Brückenkolloquium - September 2022 477 Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion Dipl.-Ing Vladimir Lavrentyev Technische Universität Dortmund, Deutschland Eva Stakalies M.Sc. Technische Universität Dortmund, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer Technische Universität Dortmund, Deutschland Zusammenfassung Im Rahmen von Brückennachrechnungen ergeben sich bei den bestehenden älteren Spannbetonbrücken infolge einer Beanspruchung aus Querkraft und Torsion häufig Defizite hinsichtlich der erforderlichen Bügel- und Torsionslängsbewehrung. Dies liegt zum einen an höheren Verkehrslasten infolge des kontinuierlich gestiegenen Schwerverkehrs und zum anderen an den im Laufe der Zeit weiterentwickelten Nachweisverfahren für Querkraft und Torsion. Zurzeit existieren nur relativ wenige experimentelle Untersuchungen an vorgespannten Versuchsbalken als Durchlaufträger mit der kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion. Im Rahmen eines Forschungsvorhabens der BASt durchgeführt in Kooperation mit der RWTH Aachen und TU München werden an der TU Dortmund Großversuche an Spannbetonbalken mit realistischer Schubschlankheit durchgeführt, die Plattenbalkenbrücken möglichst gut repräsentieren sollen. Dabei ist u.a. die Interaktion der Schnittgrößen in der Biegedruckzone an der Innenstütze, wo die resultierenden Hauptdruckspannungen aus Biegung, Querkraft und Torsion wirksam sind, Gegenstand der derzeitigen Forschung. 1. Einleitung Im Rahmen von Brückennachrechnungen ergeben sich bei den bestehenden älteren Spannbetonbrücken infolge einer Beanspruchung aus Querkraft und Torsion häufig Defizite hinsichtlich der erforderlichen Bügel- und Torsionslängsbewehrung ([1] und [2]). Dies liegt zum einen an höheren Verkehrslasten [3] infolge des kontinuierlich gestiegenen Schwerverkehrs und zum anderen an den Nachweisverfahren für Querkraft und Torsion, die im Laufe der Zeit zugeschärft wurden. Die Bemessungsmodelle für Torsion gelten und beruhen im Wesentlichen auf Versuchen an Bauteilen unter reiner Torsionsbeanspruchung. Daher stellt sich zum einen die Frage nach Tragfähigkeitsreserven und zum anderen nach erweiterten Interaktionsbedingungen hinsichtlich einer kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion. Zurzeit existieren wenige experimentelle Untersuchungen an vorgespannten Versuchsbalken als Durchlaufträger mit einer kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion. Im Rahmen eines Forschungsvorhabens der BASt durchgeführt in Kooperation mit der RWTH Aachen und TU München werden an der TU Dortmund Großversuche an Spannbetonbalken mit realistischer Schubschlankheit durchgeführt. Dabei ist u.a. die Interaktion der Schnittgrößen in der Biegedruckzone an der Innenstütze, wo die resultierenden Hauptdruckspannungen aus Biegung, Querkraft und Torsion wirksam sind und sich überlagern Gegenstand der derzeitigen Forschung. 2. Versuchsprogramm 2.1 Konzept Der neu konzipierte Versuchskörper und der Versuchsaufbau sollen den Bereich einer Innenstütze eines Durchlaufträgers als Plattenbalkenbrücke hinsichtlich Belastungsart (Streckenanstatt Einzellasten) und größerer Schlankheit gegenüber den bisherigen Versuchsträgern mit Einzellasten möglichst realitätsnah abbilden. Vorgespannte Plattenbalkenbrücken bewegen sich mit ihren Spannweiten etwa im Bereich von 20 - 40 m bei einer Querschnittshöhe von ca. 1,0 - 2,5 m. Daraus ergeben sich übliche Schlankheiten L/ h im Bereich von etwa 15 - 20. Für den Stützbereich des Innenfeldes eines mehr- Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion 478 5. Brückenkolloquium - September 2022 feldrigen Brückenbauwerks ergeben sich dabei Schubschlankheiten M/ (V∙d) im Bereich von 2,5 - 3,5. Abb. 1 zeigt das Ersatzsystem des Innenfeldes eines unendlich langen Durchlaufträgers unter Streckenlast. Es resultiert ein M/ V-Verhältnis von L/ 6 und eine Schubschlankheit von M/ (V∙d) = L/ (6d). Durch Kalibrierung der Einzellast am Kragarmende sowie der Streckenlast im Feld kann die sich einstellende Schubschlankheit an der Innenstütze gezielt gesteuert werden. Der Schnittgrößenverlauf bildet dabei lediglich einen Teil des Innenfeldes eines Durchlaufträgers ab. Bei Ergänzung der Schnittgrößenverläufe für ein volles Feld, repräsentiert der Versuchsträger ein deutlich längeres Feld als seine eigentliche Länge. Die simulierte Länge stellt sich hierbei über den resultierenden Momentennullpunkt ein, welcher aus der kalibrierten Schubschlankheit resultiert. Der gewählte Versuchsträger und -aufbau ist somit in der Lage, reale Verhältnisse von Brückenüberbauten mit Plattenbalkenquerschnitt anzunähern. Abb. 1: Ableitung des Versuchsaufbaus 2.2 Versuchsprogramm Die Abmessungen des T-Querschnitts werden analog zu den Torsionsversuchen der TU Dortmund des abgeschlossenen BASt-Projekts FE 15.0591 [4] gewählt. Hierdurch werden die unmittelbare Vergleichbarkeit der Versuchsreihen und die Erweiterung einer zusammenhängenden Datenbasis großformatiger Versuche an vorgespannten Stahlbetonträgern ermöglicht. Das Versuchsprogramm „Einfeldträger mit Kragarm“ (ETK) besteht aus insgesamt fünf vorgespannten Versuchsträgern. Jeder Versuchsträger wurde als Basis für zwei Teilversuche genutzt. Im Teilversuch 1 wurde die Querkrafttragfähigkeit feldseitig im Stützbereich unter dem Einfluss von Variationsparametern untersucht. Der Referenzversuch ETK1 wurde durch reine Querkraftbiegung ohne Torsion getestet. In den Versuchen ETK2 bis ETK5, mit zusätzlicher Torsion, wurde jeweils ein Parameter variiert zur Untersuchung seiner Auswirkung auf die Tragfähigkeit. Bei den Versuchsträgern ETK2 und ETK3 wurde die Auswirkung einer zunehmenden Exzentrizität unter gewählter Druckstrebenneigung von θ=2,5 untersucht. In ETK4 soll die Auswirkung einer Variation der Druckstrebenneigung und in ETK5 die Auswirkung einer Querschnittsform ohne Gurtplatte untersucht werden. Die wesentlichen Parameter sind in Tab. 1 dargestellt. Im jeweiligen Teilversuch 2 erfolgte die Untersuchung am Kragarm. Dabei wurde die Druckzone unter der kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion untersucht. Ein mögliches Versagen infolge der Hauptdruckspannungen im Beton stand hierbei im Fokus. Tab. 1: Versuchsprogram ETK Versuch Querschnitt + Belastung Schubbewehrung Feld [cm²/ m] cot qq [-] ETK1 a sw,V : gew.: Ø8/ 25 (4,02) 2,5 ETK2 e 1 =7,5cm a sw,V = 4,02 + a sw,T = 2,50 gew.: Ø8/ 15 (6,70) 2,5 ETK3 e 2 =15cm a sw,V = 4,02 + a sw,T = 5,30 gew.: Ø10/ 17,5 (9,18) 2,5 ETK4 e 2 =15cm a sw,V = 4,02 + a sw,T = 6,64 gew.: Ø10/ 15 (10,48) 2,0 ETK5 e 1 =7,5cm a sw,V = 4,02 + a sw,T = 2,66 gew.: Ø8/ 15 (6,70) 2,5 Die Schubschlankheit wurde auf einen realitätsnahen Wert von ca. l = 2,75 gesetzt. Die Schlankheit L/ h liegt im Bereich von 15 und stellt eine repräsentative Abbildung der Verhältnisse im Brückenbau dar. 2.3 Bemessung der Versuche Allgemeines Die Versuche wurden so konzipiert, dass ein vorzeitiges Biegeversagen ausgeschlossen war und ein Querkraft- Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion 5. Brückenkolloquium - September 2022 479 versagen erfolgte. Es wurde ausreichend Längsbewehrung vorgesehen, um die notwendige Biegetragfähigkeit zu erreichen. In der Vorbemessung hat sich die Betondruckzone im Bereich der Innenstütze als kritisch herausgestellt. Daher wurde im Stützbereich eine Druckbewehrung eingelegt. Die Schubbewehrung der Versuchsträger im Kragarm und im Feld wurde im Hinblick auf beide Teilversuche ausgelegt. Die Mindestquerkraftbewehrung unter zugrundenahme der Mittelwerte der Materialfestigkeiten beträgt ɑ sw.min = 6,53 cm 2 / m. Der Stabdurchmesser im Feldbereich wurde auf Ø8 festgelegt mit ɑ sw.vorh.Feld = 4,02 cm 2 / m, dies entspricht 62% der Mindestquerkraftbewehrung. Das angestrebte Schubversagen im Feldbereich wurde auf diese Weise vorgegeben. Entgegen dem Feldbereich wurde ein vorzeitiges Schubversagen durch Fließen der Bügel am Kragarm rechnerisch ausgeschlossen. Die vorhandene Querkraftbewehrung mit ɑ sw.vorh.Krag = 31,6 cm 2 / m betrug 484% der Mindestquerkraftbewehrung. Drei Bügel aus dem Kragarm wurden über die Auflagerachse hinaus ins Feld geführt. Die gewählte Bewehrung wurde bei der gesamten Versuchsserie verwendet. In den nachfolgenden Versuchen mit einer kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und zusätzlicher Torsion wurde zusätzlich zu der Bewehrung des Referenzträgers eine entsprechende Torsionslängs- und -bügelbewehrung eingebaut. Ermittlung der zusätzlichen Bügelbewehrung infolge Torsion (M+V+T). Grundlage für die Bemessung der Versuchsträger mit kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) bildet der Referenzversuchsträger ETK1 mit reiner Querkraftbiegung (M+V). Nach EC2-2 [6] wird die Bewehrungsermittlung für Querkraft und Torsion getrennt voneinander durchgeführt und nach Superpositionsprinzip miteinander überlagert, wie bereits in [7] erläutert. Da bei Torsion kein günstiger Betontraganteil wirksam ist, muss die ermittelte Torsionsbügelbewehrung vollständig eingebaut werden. Die Bemessung erfolgt unter Ansatz der Mittelwerte der Materialfestigkeiten über folgende Gleichung: Die gesamte Bügelbewehrung je Bügelschenkel ergibt sich demnach zur: Die gewählte Bügelbewehrung kann der Tab. 1 entnommen werden. Ermittlung der zusätzlichen Längsbewehrung infolge Torsion (M+V+T). Die Ermittlung der erforderlichen Torsionslängsbewehrung erfolgt gemäß EC2-2 [6] wie folgt: Durch die in [7] vorgeschlagenen Umstellung der Gleichung nach lässt sich eine resultierende äquivalente Längszugkraft N Tu ermitteln: Index u: Schnittgrößen unter der Versuchstraglast Diese fiktive Längszugkraft wird im Schwerpunkt des Querschnitts angesetzt und bei der Bemessung der Biegung als eine zusätzliche Zugkraft berücksichtigt. Bei einer überwiegenden Biegebeanspruchung entsteht ein positiver Effekt aus der Überdrückung der Torsionslängszugkraft im Bereich der Biegedruckzone infolge Biegung. Darüber hinaus wird die Tragwirkung der Spannglieder entsprechend ihrer Lage im Querschnitt unter Ausnutzung ihrer Tragreserven bei der Bemessung automatisch mitberücksichtigt. Die angepasste Ermittlung der Torsionslängsbewehrung erfordert im vorliegenden Fall eine um ca. 20% geringere Bewehrungsmenge als dies bei der konservativen Berechnungsweise nach [5] der Fall ist. Abb. 2: Bemessung A sl im Spannbetonquerschnitt für M u Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion 480 5. Brückenkolloquium - September 2022 Abb. 3: Bemessung A sl im Spannbetonquerschnitt für M u + T u 2.4 Bauliche Durchbildung - Einfluss der Bügelform Um den Einbau der Längsbewehrung sowie der Spannglieder zu erleichtern, wurden bei Plattenbalkenbrücken oben offene Bügel mit nach innen oder außen gerichteten Haken verwendet. Diese wurden durch die Querbewehrung geschlossen. Hinsichtlich der Torsionstragfähigkeit ist diese Biegeform nicht EC2[6] konform, da die Bügel nicht mittels Übergreifung geschlossen sind. In der Abb. 4 ist die Gegenüberstellung der beiden Bügelformen dargestellt. Da im Brückenbau i.d.R. eine kombinierte Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion auftritt, bei der sich in der Fahrbahnplatte durch die dort vorhandene obere Querbewehrung in Querrichtung ein starkes Zugband ausbildet, wird ein Ausbrechen der oberen Ecken mit den Bügelhaken und durch die Querbewehrung der Fahrbahnplatte verhindert. Somit ist fraglich, inwieweit die Querschnitte mit geschlossenen Bügeln eine größere Tragfähigkeit gegenüber den oft in der Praxis eingesetzten offenen Bügel bieten. Abb. 4: Gegenüberstellung der Bügelformen Diese Bewehrungsform wurde an einem Vorversuch getestet, in dem bei einem Zweifeldträger feldweise offene und geschlossene Bügel verbaut wurden. Als Ergebnis der Untersuchung kann zusammenfassend festgehalten werden, dass bei diesem Vorversuch kein signifikanter Unterschied hinsichtlich der Tragfähigkeit aus der unterschiedlichen baulichen Durchbildung der Bügel resultierte. Für die Versuchsserie „Einfeldträger mit Kragarm“ wurden weiterhin die geöffneten, nicht EC2 konformen Torsionsbügel verwendet. Querschnitts- und Materialparameter Die Querschnittsgeometrien für T-Querschnitte werden exemplarisch am Versuchsträger ETK1 in Abb. 5 dargestellt. Abb. 6 stellt den Versuchsquerschnitt ohne Gurtplatte dar. Alle Versuchsträger weisen eine Stützweite von 8,25 m sowie eine Kragarmlänge von 2,5 m. Die Querschnittsgeometrie entspricht den bereits in Dortmund durchgeführten Versuchen aus der Versuchsreihe [9]. Zur besseren Aufnahme des Torsionsmomentes über den Ersatzhohlkasten wurde die Stegbreite von 0,35 m gewählt sowie eine Betondeckung von 3 cm. Die Abb. 7 stellt die Bewehrung in der Längsansicht dar. Die Gurtbügel, zur Abdeckung des Torsionsschubflusses, wurden im selben Raster eingelegt wie auch die Stegbügel. Diese entsprechen der Querbewehrung der Gurtplatte bei Platenbalkenquerschnitten. Zur Verstärkung der Druckzone wurden im Stützbereich zwei zusätzliche Stäbe mit Ø 20 eingelegt. Spannstahl und Vorspannung Als Spannstahl wurden je Träger zwei Spannglieder der Firma SUSPA 6-5 mit 140 mm² je Litze und der Stahlsorte St 1570/ 1770 verwendet. Der Spanngliedverlauf wurde entsprechend dem Biegemoment mit dem Hochpunkt im Stützbereich eingestellt. Die Vorspannung erfolgte auf gegenüberliegenden Trägerseiten. Die resultierende Vorspannkraft nach dem Lösen der Pressen in beiden Spanngliedern betrug ca. 1200 kN. Tab. 2: Vorspannkräfte Versuchsträger Träger P m0 [kN] ΔP mt [%] σσ cc [MPa] ETK 1 1287 5 -3,5 ETK 2 1205 3 -3,4 ETK 3 1267 3 -3,5 Mittlere Materialkennwerte Für die Versuchsserie wurde die Betonsorte C40/ 50 vorgesehen. Die Materialkennwerte wurde versuchsbegleitend ermittelt. Die Mittelwerte der Materialkennwerte sind den nachfolgenden Tabellen zu entnehmen. Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion 5. Brückenkolloquium - September 2022 481 Tab. 3: Materialkennwerte Festbeton Träger f cm,cyl [MPa] f ctm,sp [MPa] E cm [MPa] ETK 1 45 3,25 33.300 ETK 2 45 3,45 33.000 ETK 3 51 3,55 36.600 Abb. 5: Querschnittsgeometrie ETK1-4 1Bei den Werten handelt es sich um Annahmen. Eine Bestimmung der Kennwerte konnte noch nicht erfolgen. Abb. 6: Querschnittsgeometrie ETK5 Tab. 4: Materialkennwerte Betonstahl Durchmesser [mm] f ym,0.2 [MPa] f tm [MPa] E sm [MPa] Ø8 517 586 193.600 Ø12 557 612 194.200 Ø16 550 1 630 1 200.000 1 Ø20 550 1 630 1 200.000 1 Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion 482 5. Brückenkolloquium - September 2022 Abb. 7: Bewehrungsdarstellung Versuchsprogram ETK1-5 2.5 Versuchstand Versuchsträger ohne Torsion Abb. 8 zeigt den Versuchsstand des Referenzträgers ETK1. Die Einzellast am Kragarm wurde im Abstand von 2,0 m vom Auflager über einen Hydraulikzylinder eingeleitet. Die Streckenlast im Feld wurde durch 16 Einzellasten im Abstand von 50 cm, erzeugt durch 8 Hydraulikzylinder, eingeleitet. Zur Einstellung des Stützenmoments wurden der Hydraulikzylinder am Kragarm und die 8 Hydraulikzylinder im Feld über zwei getrennte Ölkreisläufe gesteuert. Der Referenzversuch wurde unter reiner Querkraftbiegung (M+T) ohne zusätzliche Torsionseinwirkung durchgeführt. Im ersten Teilversuch sollte ein rechnerischer Schubversagen feldseitig im Stützbereich initiiert werden. Nach dem Erreichen der Bügelfließdehnung sollte eine Schubverstärkung in zwei stütznahen Achsen, x=0,5 m und x=1,0 m erfolgen. Darüber hinaus war die Tragfähigkeit der restlichen Bügel ohne Verstärkung für den anschließenden zweiten Teilversuch gegeben. Bei der Versuchsdurchführung kam es beim Fließen der Bügel mit ausgeprägten plastischen Dehnungen infolge der Querzugspannungen in den flach geneigten Betondruckstreben zu einem Ablösen zunächst der seitlichen und dann der unteren Betondeckung als sekundäres Versagen. Dadurch wurde die Druckzone so geschwächt, dass es zu einem Bruch in der Biegedruckzone kam. Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion 5. Brückenkolloquium - September 2022 483 Abb. 8: Versuchsstand ohne Torsion - ETK1 Versuchsträger mit Torsion Die Torsionsversuche wurden aus Stabilitätsgründen im Hinblick auf die Lagesicherheit an den Auflagerpunkten durch zwei nachträglich anbetonierten Querträger gegen Kippen gesichert. Abb. 9 zeigt den Versuchsstand mit Querträgern, der eine Plattenbalkenbrücke mit Querträgern repräsentiert. Abb. 9: Versuchsstand mit Torsion - ETK2-ETK5 Ab dem Versuchsträger ETK2 wurde zur Vermeidung einer Abplatzung der Betondeckung kurz vor Erreichen der Versuchstraglast eine Druckzonenumschnürung eingesetzt. Die Abplatzung der Betondeckung geht stets mit hohen plastischen Bügeldehnungen im Steg als sekundäre Versagensform einher. Abb. 10 stellt die Stahlkonstruktion zur Verhinderung vorzeitiger Abplatzung der Betondeckung wie beim Referenzversuch dar, in der Form vergleichbar einem Schraubstock. Auf dieser Weise werden kleine Querdruckspannungen aufgebracht und Querdehnungen verhindert. Die Druckzonenumschnürung wurde ab ETK2 jeweils bereits im ersten Teilversuch eingebaut. Die abgebildeten Gewindestangen wurden im ersten Teilversuch nicht angespannt, sodass ein Hochhängen der Querkraft in die Gurtplatte als Querkraftverstärkung ausgeschlossen wurde. Die Druckzonenumschließung hat damit keinen Einfluss auf die Querkrafttragfähigkeit im 1.Teilversuch. Im 2. Teilversuch wurden die Gewindestangen vorgespannt, sodass die Stahlkonstruktion auch als Schubverstärkung wirkte. Messausrüstung Folgende Messtechnik wurde verwendet: - Öldruckmesser zur Bestimmung der Pressenkräfte - Kraftmessdosen am Auflager - Kraftmessdosen an Spannankern - Wegaufnehmer (WA) - Dehnungsmessstreifen auf der Betonoberfläche - Dehnungsmessstreifen (DMS) auf der Bewehrung - Räumliche Vermessung während des Versuchs mittels eines digitalen Leica-Tachymeters - Photogrammetrisches Messsystem - GOM-ARAMIS Je Versuchsträger wurden ca. 200 DMS appliziert. Die Lage der DMS auf Bügel- und Längsbewehrung ist exemplarisch am Versuchsträger ETK2 in der Abb. 11 dargestellt. Abb. 10: Druckzonenumschließung und Schubverstärkung Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion 484 5. Brückenkolloquium - September 2022 Abb. 11: ETK2 - Lage der DMS auf Bügel- und Längsbewehrung 3. Auswertung ETK1-ETK3 Das Versuchsprogram besteht insgesamt aus 5 Versuchsträgern. Derzeit wurden 3 von 5 Versuchen durchgeführt. Im folgendem werden die Versuchsergebnisse der Versuchsträger ETK1 bis ETK3 vorgestellt. Lastverformungskurven Abb. 12 bis Abb. 14 stellen die lastabhängigen Verformungen am Kragarm dar. Die Traglast des Referenzversuchs ETK1 betrug 1166 kN. Träger ETK2 und ETK3 wurden bis zu der gewünschten Traglast von ca. 1200 kN belastet, um die Aufnahme der Torsion durch die zusätzliche Bügel- und Längsbewehrung zu bestätigen und um das in Abschnitt 2.3 beschriebene Bemessungsmodell zu verifizieren. Die Druckzonenumschließung, die bereits im ersten Teilversuch eingebaut war, verhinderte ein vorzeitiges Abplatzen der Betondeckung unter hohen Bügeldehnungen und somit ein sekundäres Betonversagen. Die Schubverstärkung für den zweiten Teilversuch konnte nur im entlasteten Zustand erfolgen. Die Hysterese in Last-Verformungs-Kurven der Träger ETK2 und ETK3 stellt die Entlastung und Wiederbelastung nach Einbau der Schubverstärkung dar. Im zweiten Teilversuch konnte die Bruchlast nur geringfügig gesteigert werden. Das Versagen beim Referenzversuch ETK1 erfolgte feldseitig durch Abplatzung der Betondeckung im Stützbereich als sekundäres Betonversagen, hervorgerufen durch Querzugspannungen in den Druckstreben in Verbindung mit dem Fließen der Bügel. Das Versagen bei ETK2 und ETK3 erfolgte stets kragarmseitig durch Erreichen des maximalen Bruchmoments. Teilversuche 1 Das Monitoring der Bügeldehnung während des Versuchs ergab bei jedem Versuchsträger ein Überschreiten der Fließdehnung. Ein Schubversagen durch Fließen der Bügel konnte somit eindeutig im Teilversuch 1 provoziert werden. Bei ETK2 überschritt die Bügeldehnung mehrfach die Fließgrenze. Bügeldehnungen des ETK3 überschritten deutlich die Fließdehnung von 2 ‰, deuteten jedoch auf vorhandene Tragreserven hin. Maximale Dehnungen der Schubbewehrung max ε B sowie der Biegebewehrung max ε L im Teilversuch 1 sind in Tab. 5 dargestellt. Durch die Teilversuche ETK2-1 und ETK3-1 konnte das Bemessungsmodell in Abschnitt 2.3 bestätigt werden. Tab. 5: Versuchsergebnisse Teilversuche 1 Versuch F u [kN] Bügel Feld max ε B,Feld [‰] Bügel Kragarm max ε B,Krag [‰] Längs max ε L,Stütz [‰] ETK1-1 1169 12,0 2,5 5,8 ETK2-1 1195 10,0 2,4 3,6 ETK3-1 1202 4,5 3,1 3,8 Abb. 12: Last-Verformungskurve ETK1 Abb. 13: Last-Verformungskurve ETK2 Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion 5. Brückenkolloquium - September 2022 485 Abb. 14: Last-Verformungskurve ETK3 Teilversuche 2 Das Bruchmoment M u des Versuchs ETK1 wurde unter Berücksichtigung der Ausrundung des Biegemoments über dem Auflager ermittelt. Da die Versuchsträger ETK2 und ETK3 jeweils einen Querträger zur Aufnahme des Torsionsmoments aufweisen, wurde das Bruchmoment am Ende des Einflussbereichs des Querträgers in einem Abstand von 25 cm von der Auflagerachse, ermittelt. Tab. 6 stellt eine Übersicht der ermittelten Schnittgrößen unter der Bruchlast im Teilversuch 2 dar. Tab. 6: Versuchsergebnisse Teilversuche 2 Versuch F u [kN] M u [kNm] V u [kN] T u [kNm] ETK1-2 1166 2 2308 1166 - ETK2-2 1462 2558 1462 110 ETK3-2 1304 2282 1304 195 Interaktion M+V+T Abb. 15 stellt die bezogene Interaktion der einwirkenden Schnittgrößen dar. Die Druckstrebentragfähigkeit V Rm und T Rm wurde bei beiden Versuchsträgern ETK2 und ETK3 nicht erreicht. Die Mittelwerte der Tragwiderstände wurden nach EC2 bestimmt. 2Die Bruchlast im Teilversuch 2 konnte aufgrund des vorzeiten Versagens der Betondeckung nicht mehr gegenüber Teilversuch 1 gesteigert werden. Die Mittelwerte der Baustofffestigkeiten wurden direkt an Proben der Versuchsbalken bestimmt. Entscheidend für das Versagen war das Erreichen der Biegetragfähigkeit. Aufgrund der höheren Exzentrizität ist die Ausnutzung auf der Torsionsseite bei ETK3 höher. Mit dem höherem Torsionsmoment T u geht auch geringere Bruchlast F u einher. Im dargestelltem Interaktionsbereich erfolgte keine nennenswerte Reduktion der bezogenen Momententragfähigkeit M u / M Rm . Abb. 15: Interaktion M+V+T als bezogene Schnittgrößen (M u / M Rm ; V u / V Rm ; T u / T Rm ) Rissbilder Abb. 16 bis Abb. 18 zeigen die Rissbilder im Bruchzustand. Die Entstehung der Rissbildung erfolgt im Bereich oberhalb des Rissmoments M cr . Somit konzentrieren sich die Risse um das mittlere Auflager. Die Lage des Momentennullpunkts im Feld war so gewählt, dass sich der Beobachtungsbereich über dem Auflager möglichst groß einstellt. So hatten die Risse die Möglichkeit einen flachen Risswinkel < 45° zu entwickeln. Der Risswinkel βr beträgt bei ETK1 im kritischen Schnitt ca. 25°. Die Träger ETK2 und ETK3 wurden vor Erreichen der Bruchlast im Teilversuch 1 zur Aufnahme der Schubkräfte verstärkt, sodass ein kritischer Riss nicht auszumachen ist. Jedoch verlaufen die feldseitigen Risse insgesamt steiler mit einem Risswinkel von ca. 37°. Im Feldbereich ist es nicht zur einer Rissbildung gekommen. Das Rissmoment im Feld M cr , Feld wurde aufgrund des relativ großen Stützmoments rechnerisch nur geringfügig überschritten. Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion 486 5. Brückenkolloquium - September 2022 Abb. 16: Rissbild im Bruchzustand ETK1 Abb. 17: Rissbild im Bruchzustand ETK2 Abb. 18: Rissbild im Bruchzustand ETK3 4. Fazit und Ausblick Der vorliegende Beitrag stellt die Ergebnisse von ersten Auswertungen von derzeit 3 der 5 geplanten Versuchsträger als Einfeldträger mit Kragarm dar. Die Versuchsserie ETK ermöglicht einen wertvollen Erkenntnisgewinn zur kombinierten Belastung aus Biegung, Querkraft und Torsion für die Verhältnisse im Bereich der Stützmomente von Durchlaufträgern. Sowohl die Trägergeometrie als auch die Lasteinleitung als Streckenlast nähern die realen Verhältnissen in Brückenbau relativ gut an. Die Bemessung der Torsionslängsbewehrung erfolgte mit dem in [7] vorgestelltem Ansatz, der durch die jeweils 1. Teilversuche bestätigt wurde. Es wurden die sechs derzeit ausgeführten Teilversuche an drei Versuchsträgern vorgestellt. Die vollständige Auswertung und Aufbereitung der Versuchsergebnisse dauert noch an. Die Traglast des Referenzversuchs ETK1 wurde durch die vorzeitige Abplatzung der Betondeckung infolge der großen plastischen Dehnungen der Bügel in Verbindung mit den eingeleiteten Querzugspannungen in die Betondruckstreben begrenzt. Dadurch wurde ein Effekt beobachtet, der ein mögliches vorzeitiges Versagen der Druckzone als sekundäres Versagen einleitet. Aufgrund des Fließens der Bügel entstehen Querdehnungen und Querzugspannungen in den flachen Druckstreben, die eine Verringerung der Betondruckfestigkeit hervorrufen. Die gewonnenen Versuchsdaten in Form der Dehnungsmessungen am Beton und Bewehrung sowie der Aufnahme der räumlichen Verformung ermöglichen eine spätere Kalibrierung der FE-Simulationen. Durch Nachrechnung der Versuche mit einem nichtlinearen FE-Programm lassen sich das Tragverhalten und der Verlauf der inneren Spannungen unter einer kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion besser verstehen. Literaturverzeichnis [1] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie), Berlin, 2011. Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion 5. Brückenkolloquium - September 2022 487 [2] Haveresch, K.-H.: Erfahrungen bei der Nachrechnung und Verstärkung von Brücken. Beton- und Stahlbetonbau 110 (2015), booklet 2, p. 96-112 [3] Naumann, J.: Brücken und Schwerverkehrt - Eine Bestandsaufnahme, Bauingenieur 85 (2010), Heft 1, S. 1-9. [4] Hegger, J.; Maurer, R.; Fischer, O.; Zilch, K. et. al.: Beurteilung der Querkraft- und Torsionstragfähigkeit von Brücken im Bestand - erweiterte Bemessungsansätze, Schlussbericht zu BASt FE 15.0591/ 2012/ FRB, 2018. [5] DIN EN 1992-1-1, Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau mit zugehörigem nationalen Anhang DIN EN 1992-1-1: 2011, Deutsche Fassung, Ausgabe 2011. [6] DIN EN 1992-2: Eurocode 2-2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln mit zugehörigem nationalen Anhang DIN EN 1992-/ NA: 2013; Deutsche Fassung, Ausgabe 2013. [7] Maurer, R.; Stakalies, E.: Versuche und Bemessungsvorschlag zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung, Bauingenieur 95 (2020), Heft 1 [8] Maurer, R.; Gleich, P.; Zilch, K.; Dunkelberg, D.: Querkraftversuche an einem Durchlaufträger aus Spannbeton. Beton- und Stahlbetonbau (2014), Heft 10. [9] Gleich, P; Maurer, R.: Querkraftversuche an Spannbetondurchlaufträgern mit Plattenbalkenquerschnitt, In: Bauingenieur 93 (2018), Heft 2.