Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
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Objektspezifische Verkehrslastansätze im Rahmen des Ankündigungsnachweises nach „Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion“ am Beispiel der Kreuzhofbrücken München
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Thibault Tepho
Oliver Fischer
Marcel Nowak
Bei der Nachrechnung von Bestandsbrücken sind objektspezifische Verkehrslastansätze ein effektives Werkzeug. Durch Berücksichtigung der lokalen Verkehrscharakteristik und des konkreten Bauwerks können somit potentiell reduzierte absolute Verkehrslastniveaus in Ansatz gebracht werden. Im Rahmen des Nachweises von ausreichendem Ankündigungsverhalten nach „Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion“ (HA SpRK) ist eine alternative Anwendung objektspezifischer Verkehrslastansätze möglich, da dieser Nachweis mitunter vom relativen Verhältnis der Rechenwerte für häufige und charakteristische Verkehrseinwirkungen (qhäufig/qchar) abhängig ist. Gemäß der HA SpRK ist für dieses Verhältnis der Wert von 0,50 anzusetzen. Unter bestimmten Randbedingungen ist das tatsächliche Verhältnis jedoch günstiger, was zu einer früheren Ankündigung und somit einem günstigeren Nachweis führt. Darüber hinaus führt auch eine objektspezifische, gegenüber den Regelwerken in vielen Fällen deutlich geringere (reduzierter aWert), maximale Verkehrslast qchar zu Vorteilen bei der Beurteilung der Bauwerke, da insgesamt deutlich mehr Spannstahlbrüche auftreten müssen, bis ein kritischer Zustand erreicht wird. Diese potentiellen Reserven sollen im Rahmen der Nachrechnung der spannungsrisskorrosionsgefährdeten Kreuzhofbrücken in München genutzt werden.
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5. Brückenkolloquium - September 2022 499 Objektspezifische Verkehrslastansätze im Rahmen des Ankündigungsnachweises nach „Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion“ am Beispiel der Kreuzhofbrücken München Thibault Tepho M.Sc. Technische Universität München, München, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Oliver Fischer Technische Universität München, München, Deutschland Dipl.-Ing. (FH) Marcel Nowak M.Sc. Technische Universität München, München, Deutschland Zusammenfassung Bei der Nachrechnung von Bestandsbrücken sind objektspezifische Verkehrslastansätze ein effektives Werkzeug. Durch Berücksichtigung der lokalen Verkehrscharakteristik und des konkreten Bauwerks können somit potentiell reduzierte absolute Verkehrslastniveaus in Ansatz gebracht werden. Im Rahmen des Nachweises von ausreichendem Ankündigungsverhalten nach „Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion“ (HA SpRK) ist eine alternative Anwendung objektspezifischer Verkehrslastansätze möglich, da dieser Nachweis mitunter vom relativen Verhältnis der Rechenwerte für häufige und charakteristische Verkehrseinwirkungen (q häufig / q char ) abhängig ist. Gemäß der HA SpRK ist für dieses Verhältnis der Wert von 0,50 anzusetzen. Unter bestimmten Randbedingungen ist das tatsächliche Verhältnis jedoch günstiger, was zu einer früheren Ankündigung und somit einem günstigeren Nachweis führt. Darüber hinaus führt auch eine objektspezifische, gegenüber den Regelwerken in vielen Fällen deutlich geringere (reduzierter aWert), maximale Verkehrslast q char zu Vorteilen bei der Beurteilung der Bauwerke, da insgesamt deutlich mehr Spannstahlbrüche auftreten müssen, bis ein kritischer Zustand erreicht wird. Diese potentiellen Reserven sollen im Rahmen der Nachrechnung der spannungsrisskorrosionsgefährdeten Kreuzhofbrücken in München genutzt werden. 1. Einführung Aufgrund der Tatsache, dass ca. 60 % der deutschen Straßenbrücken älter als 40 Jahre sind und die Verkehrsbelastung während dieser Zeit deutlich gestiegen ist, bekommt die Beurteilung von Bestandsbrücken eine immer größere Bedeutung. Sie erfolgt bspw. in Form der Bauwerksprüfung oder der Nachrechnung [1], [2]. In diesem Zusammenhang wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts an einer repräsentativen Auswahl an Spannbeton- und Stahlbetonbestandsbrücken ermittelt, dass ca. zwei Drittel der untersuchten Bauwerke starke bis massive rechnerische Defizite bei der Nachrechnung gemäß Nachrechnungsrichtlinie (NaRil) aufweisen [3]. Treten rechnerische Defizite an Bestandsbauwerken auf, bietet die NaRil Möglichkeiten dem sowohl auf der Einwirkungswie auch auf der Widerstandseite entgegenzuwirken. Dies erfolgt über das mehrstufige Nachweisverfahren der NaRil [4]. Eine Möglichkeit, die Nachrechnung gemäß NaRil auf der Einwirkungsseite in den Stufen 3 und 4 zu verbessern, bieten die objektspezifischen Verkehrslastansätze. Hierbei werden die Verkehrseinwirkungen realitätsnah beurteilt, indem ein Objektbezug hergestellt wird. Dazu werden die Verkehrsbeanspruchungen an einem konkreten Bauwerk betrachtet und/ oder die lokale Verkehrssituation berücksichtigt. Da die normativen Verkehrslastmodelle allgemeingültig sind, also für alle Tragwerke gelten und unter Ansatz extremer Verkehrsbedingungen ermittelt wurden, sind i. d. R. Reserven bzgl. der realen Verkehrsbeanspruchungen vorhanden [5]. Dies ergaben bspw. Untersuchungen in [6]. Im Rahmen der Nachrechnung an den Kreuzhofbrücken in München können objektspezifische Verkehrslastansätze ebenfalls angewandt werden, um das absolute Verkehrslastniveau zu bestimmen und somit die Gefahr eines Bauwerksversagens genauer einzuschätzen. Darüber hinaus wird diese Methode im Kontext der Hand- 500 5. Brückenkolloquium - September 2022 Objektspezifische Verkehrslastansätze im Rahmen des Ankündigungsnachweises nach „Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion“ lungsanweisung Spannungsrisskorrosion (HA SpRK) angewandt. Dieser besondere Anwendungsfall wird im Folgenden genauer vorgestellt. 2. Kreuzhofbrücken München 2.1 Bauwerk und Randbedingungen Die im Jahre 1967 fertiggestellten Kreuzhofbrücken in München (BW 40/ 45 und BW 40/ 46, siehe Abb. 1) befinden sich im Südwesten von München im Anschluss an die Bundesautobahn (BAB) A95. Es handelt sich hierbei um zwei dreifeldrige Brücken, jeweils mit Spannweiten von ca. 20,5 m - 30,5 m - 20,5 m. Der Überbau wurde als vorgespannte Platte mit Hohlkörpern ausgeführt. Die Vorspannung ist girlandenförmig und mit dem Spannstahl St 145/ 160 vom Typ Sigma Oval nach Zulassung der Firma Polensky und Zöllner umgesetzt worden [7], [8]. Über das BW 40/ 45 werden drei Richtungsfahrbahnen geführt: beide Richtungsfahrbahnen der BAB A95 und eine Auffahrt auf die BAB A95. Das Bauwerk ist ca. 38 m breit sowie schiefwinklig (Kreuzungswinkel ca. 72°) und besitzt zwischen beiden Richtungsfahrbahnen der BAB A95 eine Bauwerksfuge [7]. Das BW 40/ 46 ist im Gegensatz dazu nur ca. 11,5 m breit und im Grundriss im Bereich einer Klothoide (A = 110). Die Abfahrt der BAB A95 wird über diese Brücke geführt [8]. Abb. 1: Kreuzhofbrücken München, BAB-Hauptbrücke BW 40/ 45 (im Hintergrund), Rampenbrücke BW 40/ 46 (im Vordergrund), 2021 Beide Bauwerke wurden bzgl. ihrer Tragfähigkeit in die Brückenklasse BK80 (Lastmodell gemäß besonderer Festlegung der Landeshauptstadt München) eingestuft und haben in der letzten Hauptprüfung im Jahr 2021 die Zustandsnote von 1,8 bekommen. Darüber hinaus wurde das optische Erscheinungsbild als sehr gut eingestuft [7], [8]. 2.2 Problematik Spannungsrisskorrosion und Ankündigungsverhalten nach HA SpRK Trotz der guten Zustandsnote und des sehr guten optischen Erscheinungsbildes sind die Kreuzhofbrücken aufgrund des verwendeten Spannstahls spannungsrisskorrosionsgefährdet. Die Spannungsrisskorrosion (SpRK) entspricht dem Wachstum von Rissen im Werkstoff, bei zeitgleicher Wirkung von Korrosion und statisch mechanischer Zugspannung. Das sich dadurch einstellende Versagen ist verformungsarm, plötzlich und ohne ausgeprägte Einschnürung [9]. Um der Problematik im Brückenbau entgegenzuwirken, wurde 1993 eine Empfehlung formuliert, die letztendlich im Jahr 2011 zur HA SpRK wurde. Im Fall von Bauwerken mit spannungsrissgefährdetem Spannstahl ist eine Nachrechnung nach der HA SpRK erforderlich. Es wird dabei das Ankündigungsverhalten vor dem Tragwerkversagen rechnerisch nachgewiesen. Dies bedeutet, dass Risse am Bauwerk festgestellt werden würden, bevor es einstürzt (Stichpunkt „Riss vor Bruch“) [10], [11]. Der Nachweis des Ankündigungsverhalten nach HA SpRK wird in zwei Schritten geführt. Zuerst wird die Restspannstahlmenge infolge der häufigen Einwirkungskombination ermittelt, ab welcher die Rissbildung im Querschnitt eintritt. Anschließend wird die Tragsicherheit mit gegebener Restspannstahlmenge unter charakteristischen Einwirkungen nachgewiesen. Die Nachweise werden i. d. R. auf Querschnittsebene geführt. Gehen die Nachweise nicht auf, besteht die Möglichkeit darauf aufbauend ein stochastisches Verfahren auf Systemebene anzuwenden [11]. Bzgl. der Definition der Einwirkungskombinationen in welcher der Nachweis geführt wird, wird an dieser Stelle auf das Kapitel 4.3 verwiesen, da die Begrifflichkeiten der HA SpRK nicht mit denen aus dem Eurocode oder dem DIN Fachbericht gleichzusetzen sind. Für die Kreuzhofbrücken in München wurde der Nachweis des Ankündigungsverhalten nach HA SpRK geführt. Für Teilbereiche der Bauwerke - vor allem in den Randfeldern - ist der Nachweis jedoch nicht erfüllt, sodass rechnerisch kein ausreichendes Ankündigungsverhalten vorhanden ist. Aus diesem Grund wurde auf Grundlage von Untersuchungen in [12] ein Monitoring beider Brücken veranlasst, welches auf zwei Ansätzen basiert. Auf der einen Seite wird über das Monitoring eine objektspezifische statistische Bewertung des tatsächlichen Verkehrs durchgeführt. Hierdurch soll das rechnerische Ankündigungsverhalten verbessert werden. Auf der anderen Seite sollen über das Monitoring potentielle Spannstahlbrüche wie auch Schädigungen oder Veränderungen am Tragwerk detektiert werden. Unabhängig, ob die Nachweise mit oben genannter Maßnahme erbracht werden können, wird somit das tatsächliche Ankündigungs- und Schädigungsverhalten überwacht, wodurch ein ausreichendes Sicherheitsniveau erreicht wird. 5. Brückenkolloquium - September 2022 501 Objektspezifische Verkehrslastansätze im Rahmen des Ankündigungsnachweises nach „Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion“ 3. Verkehrsmonitoring Das Monitoringkonzept für die Kreuzhofbrücken teilt sich, wie eben beschrieben, in zwei Ebenen auf. Das „Wächtersystem“ zur Überwachung von potentiellen Spanngliedbrüchen besteht dabei aus akustischen Sensoren für die Schallemissionsanalyse (SEA), faseroptischen Sensoren und Neigungssensoren. In diesem Zusammenhang wird ein Alarmierungssystem aufgestellt, welches bei Überschreitung definierter Grenzwerte ausgelöst wird. Da dieser Bestandteil des Monitorings bzgl. der objektspezifischen Verkehrslastansätze von geringer Bedeutung ist, wird im Folgenden nicht genauer darauf eingegangen. Genauere Erläuterung hierzu sind u. a. in [13] aufgeführt. Für die monitoringbasierte objektspezifische Ermittlung von Verkehrslastansätzen wurden 68 Dehnmessstreifen (DMS), zwölf Temperatur- und acht Beschleunigungssensoren an der Unterseite der Brücken appliziert. Außerdem wurden jeweils zwei Laserscanner und Webcams neben der Fahrbahn montiert. Die DMS wurden in Brückenlängsrichtung angebracht und erfassen somit die Bauwerksbeanspruchungen aus Biegung. Durch Analyse der DMS-Daten werden die Beanspruchungen infolge der Verkehrsbelastung bestimmt. Dies ist wiederum die Basis für die Ermittlung objektspezifischer Verkehrslastmodelle. Die Daten werden entweder direkt ausgewertet oder fließen über die Anwendung von Bridge Weigh-In-Motion (BWIM) Methoden in die Verkehrssimulation ein (genaueres siehe Kapitel 4) [5]. Des Weiteren werden zur Verifizierung der Ergebnisse die DMS-Daten mit den Messungen aus den faseroptischen Sensoren verglichen. Ergänzend zu den DMS werden mit den Beschleunigungs- und Temperatursensoren besondere Effekte in der Datenauswertung berücksichtigt. Diese sind z.B. dynamische Einflüsse infolge unterschiedlicher Fahrzeuggeschwindigkeiten bzw. temperaturinduzierte Dehnungsänderungen. Mit Hilfe der beiden Laserscanner werden die Fahrzeuge, welche die Brücke passieren, erfasst, gezählt und klassifiziert. Das Gerät sendet dabei Laserstrahlen aus, welche an den Fahrzeugen reflektiert werden (siehe Abb. 2) [14]. Über die Messdaten sind wiederum Rückschlüsse auf das Verkehrsaufkommen, die Verkehrszusammensetzung, der Verkehrsfluss etc. möglich. Diese sind ebenfalls Eingangsparameter für die Verkehrssimulation (siehe Kapitel 4) [5]. Zuletzt dienen die Webcams der Kontrolle der erfassten Daten aus den anderen Messeinheiten. So kann die Entwicklung von Auswertealgorithmen für die DMS-Daten verbessert werden, insbesondere bzgl. der Erfassung besonderer Ereignissen. Diese sind z.B. Überholmanöver von Fahrzeugen. Des Weiteren kann auch die Genauigkeit der Ergebnisse aus den Laserscannerdaten stichprobenartig überprüft werden. Zur Kalibrierung des Messsystems sind darüber hinaus noch Probebelastungen erforderlich. Dabei werden Überfahrten mit einem oder mehreren bekannten Fahrzeugen durchgeführt. Es ist an dieser Stelle wichtig, dass die Abmessungen (z.B. Achsabstände) und das Gewicht des Fahrzeugs bekannt sind. Im Rahmen des Monitorings wurde mittels zwei verschiedener LKW an zwei verschiedenen Terminen Probefahrten durchgeführt. Die Probefahrten bestanden aus statischen Messungen (Stillstand des Fahrzeugs an ausgewählten Stellen auf den Brücken), Überfahrten in Schrittgeschwindigkeiten und Überfahrten im fließenden Verkehr. Anhand der Durchführung der Probebelastung an zwei verschiedenen Terminen, konnten der Einfluss unterschiedlicher klimatischen Bedingungen auf die Ergebnisse untersucht werden (Sommer- und Wintertemperaturen). Abb. 2: Messsystem Laserscanner am BW 40/ 45 (Mitte rechts), mit Darstellung der Messquerschnitte für die Laserscanner (oben), beispielhafter Fahrzeugdetektion für die Laserscanner (Mitte links) und Bildmaterial der Webcam (unten) 502 5. Brückenkolloquium - September 2022 Objektspezifische Verkehrslastansätze im Rahmen des Ankündigungsnachweises nach „Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion“ 4. Objektspezifische Verkehrslastansätze 4.1 Allgemeines und Bezug zur HA SpRK sowie den Kreuzhofbrücken Die normativen Verkehrslastmodelle sind für alle denkbaren Brückentragwerke gültig und decken extreme Verkehrssituationen ab. Sie bilden somit eine Einhüllende, welche maßgeblich durch ungünstige Belastungssituationen an einzelnen Brückensystemen beeinflusst wird [15]. Aus diesem Grund ergeben sich in Bezug auf die realen Verkehrsbeanspruchungen an einem Bauwerk meist Reserven, welche in den Stufen 3 und 4 der NaRil genutzt werden können. Da die Verkehrsbeanspruchungen sowohl vom Tragwerk, wie auch von den Verkehrseinwirkungen abhängig ist, ist der Objektbezug auf diesen beiden Ebenen möglich. Durch die Bestimmung des absoluten Verkehrslastniveaus über objektspezifische Verkehrslastmodelle, wird das Ziel verfolgt die aus Norm vorgegeben Verkehrseinwirkungen zu reduzieren. Dies erfolgt meist über einen Anpassungsfaktor α i , welcher mit dem normativen Verkehrslastmodell multipliziert wird [5]. Im Rahmen der Nachrechnung der Kreuzhofbrücken gemäß der HA SpRK finden darüber hinaus objektspezifische Verkehrslastmodelle eine Anwendung in einem besonderen Kontext. Untersuchungen in [12] haben ergeben, dass der in Kapitel 2.2 beschrieben Nachweis des Ankündigungsverhaltens u.a. maßgeblich vom Verhältniswert aus den häufigen und charakteristischen Verkehrslasten (q häufig / q char ) abhängig ist und eine Erhöhung dieses Wertes den Nachweis verbessern würde. Gemäß der HA SpRK liegt der Verhältniswert bei 0,5 [11]. Bei einer Erhöhung dieses Faktors auf ca. 0,7 kann der Nachweis des Ankündigungsverhalten bei Anwendung des stochastischen Verfahrens erfüllt werden. Dementsprechend wurde gemäß [12] die objektspezifische statistische Bewertung der tatsächlichen Verkehrseinwirkungen, als sehr effektives Mittel zur Erbringung des rechnerischen Ankündigungsverhalten eingestuft und empfohlen. Des Weiteren kann anhand der Ermittlung der objektspezifischen charakteristischen Verkehrslasten das Erreichen eines kritischen Zustandes durch Spannstahlbrüche genauer beurteilt werden. 4.2 Vorgehen zur Ermittlung objektspezifischer Verkehrslastansätze Die Ermittlung objektspezifische Verkehrslastansätze erfolgt auf der Beanspruchungsebene. Sie kann i.A. in drei Schritt zusammengefasst werden [5]: 1. Lokalen Verkehr erfassen und abbilden 2. Aus dem lokalen Verkehr die resultierenden Tragwerksbeanspruchungen ermitteln 3. Beanspruchungs-Zeit-Verläufe statistisch auswerten und die Lastansätze kalibrieren Die ersten beiden Schritte können über zwei verschiedene Wege bestimmt werden. Einerseits besteht die Möglichkeit die realen Verkehrsströme und die daraus resultierenden reale Tragwerksbeanspruchungen direkt aus den DMS-Daten zu entnehmen (siehe bspw. Abb. 3). Der Umfang dieser realen Beanspruchungs-Zeit-Verläufe geht dann über die Messdauer des Monitorings. Andererseits ist es möglich die lokalen Verkehrsströme synthetisch über numerische Verkehrssimulationen zu erzeugen und die resultierenden Tragwerksbeanspruchungen bspw. mit einem FE-Modell zu generieren. In Bezug auf die Verkehrssimulation sind die Eingangsgrößen Verkehrszusammensetzung, Verkehrsfluss und Fahrzeugparameter erforderlich. Diese werden über die Auswertung der Monitoringdaten bestimmt. Der Umfang der synthetischen Beanspruchungs-Zeit-Verläufe ist frei wählbar. Zuletzt werden die ermittelten Beanspruchungs- Zeit-Verläufe statistisch ausgewertet. Hierbei werden die repräsentativen Werte, wie z.B. der charakteristische oder der häufige Wert bestimmt. Die repräsentativen Werte werden über eine definierte Wiederkehrperiode errechnet. Bei ausreichend langer Mess- oder Simulationsdauer kann der repräsentative Wert direkt bestimmt werden. Da dies jedoch meist mit einem langen Monitoring bzw. einer sehr aufwändigen numerischen Simulation einhergeht, ist es sinnvoll die repräsentativen Werte über die Methoden der Extremwertstatistik zu kalkulieren. Hierbei wird die Verteilung des Beanspruchungs-Zeit-Verlauf über eine Funktion approximiert und anschließend die Ergebnisse über die gewählte Wiederkehrperiode statistisch extrapoliert [5]. Im Rahmen des Projekts an den Kreuzhofbrücken in München wird in einem ersten Schritt das absolute Lastniveau und der Verhältniswert q häufig / q char direkt anhand der DMS-Daten ermittelt. Somit wird der „Ist-Zustand“ bzgl. dieser zwei Größen für die verschiedenen Messstellen bestimmt. Die realen Beanspruchungs-Zeit-Verläufe erstrecken sich über den Messzeitraum von 1,5 Jahren und werden anschließend auf die Wiederkehrperiode der charakteristischen und häufigen Werte statistisch extrapoliert. In Bezug auf die Definition der Wiederehrperiode wird auf das nächste Kapitel (4.3) Abb. 3: Überfahrt zweier Sattelzüge auf dem BW 40/ 46 (links) und daraus resultierendes DMS-Signal im Mittelfeld, Feldmitte (rechts) verwiesen. Die gewählten Methoden der Extremwertstatistik sind: die Methode der Klassengrenzendurchgangszählung mit Approximation durch die Rice Formel und [1] 5. Brückenkolloquium - September 2022 503 Objektspezifische Verkehrslastansätze im Rahmen des Ankündigungsnachweises nach „Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion“ die Block Maxima Methode mit Approximation durch die verallgemeinerte Extremwertverteilung. Durch die Untersuchung mit zwei verschiedenen Methoden werden die Ergebnisse verifiziert und somit deren Zuverlässigkeit erhöht (vgl. [18]). Die Eingangsgrößen für die numerische Verkehrssimulation werden mittels der Auswertung der Laserscanner- und DMS-Daten bestimmt. Im Fall der DMS-Daten sind hierfür Methoden des BWIM anzuwenden. Anhand dieser zusätzlichen Betrachtung können zukünftige potentielle auftretende Ereignisse oder Veränderungen im Verkehr betrachtet werden. Dies ist z.B. eine Baustellenphase im Brückenbereich oder ein über die Jahre angestiegenes Verkehrsaufkommen. Somit kann der Einfluss dieser Ereignisse oder Veränderungen auf das absolute Lastniveau und den Verhältniswert q häufig / q char bestimmt werden. 4.3 Definition der Wiederkehrperiode Die Definition der Wiederkehrperiode beeinflusst den repräsentativen Wert maßgeblich und ist für dessen Bestimmung dementsprechend auch sehr wichtig [5]. Dieses Thema spielt bei den Untersuchungen der Kreuzhofbrücken eine wichtige Rolle, da der aktuellen HA SpRK keine expliziten Vorgaben zu den Wiederkehrperioden zu entnehmen sind. Die Nachweise zum Ankündigungsverhalten werden gemäß HA SpRK in seltener und häufiger Einwirkungskombination geführt [11]. Diese Begrifflichkeiten sind jedoch nicht mit denen aus dem EC 1, Teil 2 oder dem DIN-Fachbericht 101 gleichzusetzen. In der HA SpRK sind die seltenen Verkehrseinwirkungen als Volllast und die häufigen Verkehrslasten als Hälfte der Volllast definiert. Als Volllast werden die Verkehrsregellasten der einzelnen Normenlastmodelle angesetzt [11]. Somit erscheint es als sinnvoll, die Volllast als charakteristische Werte zu interpretieren. Gemäß dem Eurocode besitzen die charakteristischen Werte eine Wiederkehrperiode von 1.000 Jahren, während laut DIN Fachbericht dem Ansatz der Verkehrslasten eine Wiederkehr von 50 Jahren zugrunde liegt [16], [17]. Im Fall der häufigen Verkehrslasten ist der Vorgängerversion der aktuellen HA SpRK eine Wiederkehrperiode von zwei Wochen zu entnehmen [10]. Im Gegensatz dazu ist der Wert im Eurocode mit einer Woche definiert [16]. Aufgrund dieses Sachverhalts gilt es die Festlegung der Wiederkehrperiode bzgl. der Ermittlung des absoluten Lastniveaus und des Verhältniswerts q häufig / q char genauer zu betrachten. Hierbei werden die Ergebnisse für die verschiedenen normativen Ansätze ermittelt und anschließend bewertet. 5. Zusammenfassung und Ausblick Am Beispiel der Kreuzhofbrücken in München ist zu sehen, dass es durchaus Brücken gibt, die trotz einer guten Zustandsnote (1,8) und eines sehr guten Erscheinungsbildes rechnerische Defizite aufweisen. In gegebenem Fall treten diese beim Nachweis des Ankündigungsverhalten nach HA SpRK auf. Dementsprechend ist die Anwendung von Methoden zur realitätsnahen Abbildung der Einwirkungsund/ oder Widerstandsseite erforderlich. Auf der Einwirkungsseite ist es anhand objektspezifischer Verkehrslastansätze möglich das tatsächlich absolute Lastniveau zu ermitteln, das meistens geringer als die normativen Vorgaben ist. Somit lassen sich Bauwerke bzgl. ihres Versagens - in diesem Fall durch Spannstahlbrüche - besser einschätzen. Darüber hinaus kann im Kontext des Ankündigungsverhalten bzgl. der Spannungsrisskorrosion der Verhältniswert q häufig / q char der verkehrlichen Situation entsprechend angepasst werden. Dies ermöglicht wiederum eine Verbesserung des rechnerischen Nachweises. Die objektspezifischen Verkehrslastansätze finden im Rahmen dieses Projekts somit eine besondere Anwendung. Die Datenauswertung und Ergebnisgenerierung ist zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Beitrags noch in Bearbeitung, weswegen an dieser Stelle noch keine Ergebnisse schriftlich festgehalten werden. Die Ergebnisse werden gemäß genanntem Vorgehen ermittelt. 6. Dank Die Autoren möchten der Hauptabteilung Ingenieurbau des Baureferats der Landeshauptstadt München ihren Dank aussprechen für die Beauftragung und die angenehme Zusammenarbeit im Rahmen des Projekts. Literatur [1] Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Brückenstatistik 09/ 2021: https: / / www.bast.de/ DE/ Statistik/ Bruecken/ Brueckenstatistik.pdf? __blob= publicationFile&v=17. [2] Naumann, J.: Brücken und Schwerverkehr - Strategie zur Ertüchtigung des Brückenbestands in Bundesfernstraßen. In: Bauingenieur 85, Heft 5, S. 210 - 216, 2010. [3] Fischer, O. et al.: Ergebnisse und Erkenntnisse zu durchgeführten Nachrechnungen von Betonbrücken in Deutschland. In: Beton- und Stahlbetonbau 109, H. 2, S. 107-127, 2014. [4] Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie), Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung - Abteilung Straßenbau, Ausgabe 05/ 2011. [5] Nowak, M., Fischer, O.: Objektspezifische Verkehrslastansätze für Straßenbrücken. In: Beton- und Stahlbetonbau 112, Ernst & Sohn, Berlin, S. 804814, 2017. [6] Nowak, M., Fischer, O., Müller, A.: Realitätsnahe Verkehrslastansätze für die Nachrechnung der Gänstorbrücke über die Donau. In: Beton- und Stahlbetonbau 115, Ernst & Sohn, Berlin, S. 91105, 2020. 504 5. Brückenkolloquium - September 2022 Objektspezifische Verkehrslastansätze im Rahmen des Ankündigungsnachweises nach „Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion“ [7] Bauwerksunterlagen BW 40/ 45: Bauwerksbuch, Bestandspläne, Bestandsstatik, Bescheid Bauwerksprüfung. [8] Bauwerksunterlagen BW 40/ 46: Bauwerksbuch, Bestandspläne, Bestandsstatik, Bescheid Bauwerksprüfung. [9] Lingemann, J., Fischer, O., Wild, M.: Spannungsrisskorrosion bei Massivbrücken. In: Stahlbetonbau-Fokus: Brückenbau, Hegger, J., Mark. P. (Hrsg.), Beuth Verlag, Abschnitt H, S. H.1-H.47, 2021. [10] Empfehlung zur Überprüfung und Beurteilung von Brückenbauwerken, die mit vergütetem Spannstahl St 145/ 160 Neptun N40 bis 1965 erstellt wurden, Bundesministerium für Verkehr - Abteilung Straßenbau, Ausgabe: 07/ 1993. [11] Handlungsanweisung zur Überprüfung und Beurteilung von älteren Brückenbauwerken, die mit vergütetem, spannungsrisskorrosionsgefährdetem Spannstahl erstellt wurden (Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion), Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung - Abteilung Straßenbau, Ausgabe: 06/ 2011. [12] Fischer, O., Schramm, N.: Nachweiskonzepte Spannungsrisskorrosion unter Einsatz von Monitoring - Bauwerk BW 40/ 45 und BW 40/ 46 über die Forstenrieder/ Boschetsrieder Straße. Monitoringkonzept, Büchting + Streit AG, München, 2021. [13] Fischer, O., Schramm, N., Burger, H., Tepho, T.: Wirklichkeitsnahe Beurteilung des Brückenbestands mit innovativer Sensorik - SpRK-Monitoring der Kreuzhofbrücken, München. In: Innsbrucker Bautage 2022 - Festschrift zum 60. Geburtstag von Univ.Prof. Dr.Ing. Jürgen Feix, Berger, J. (Hrsg.), Studia Universitätsverlag Innsbruck, 2022. [14] TIC Pro - Profiling-Systeme - Betriebsanleitung. SICK AG, 2015 [15] Merzenich, G., Sedlacek, G.: Hintergrundbericht zum Eurocode 1 - Teil 3.2: „Verkehrslasten auf Straßenbrücken“. Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik Heft 711, Bundesministerium für Verkehr, Abteilung Straßenbau, 1995. [16] DIN EN 1991-2: 2010-12: Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke - Teil 2: Verkehrslasten auf Brücken, Deutsche Fassung EN 1991-2: 2003 + AC: 2010. [17] Novák, B., Lippert, P.: Einwirkungen auf Brücken nach den Eurocodes. Beton Kalender 2015, Berlin: Ernst & Sohn, S. 586-678, 2015. [18] Nowak, M., Straub, D., Fischer, O.: Statistical Extrapolation for Extreme Traffic Load Effect Estimation on Bridges. In: Proc. 14 th International Probabilistic Workshop, Springer International Publishing, S. 135-153, 2016.