Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
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Alternative Wege bei der Berechnung des Tragvermögens einer bestehenden Straßenbrücke aus Stahlbeton
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Ivan Markovic
Zustandserfassung und statische Nachrechnung einer bestehenden Strassenbrücke in der Schweiz haben ergeben, dass der Tragsicherheitsnachweis auf Durchstanzen gemäss SIA-Normen nicht erfüllt ist.
Im vorliegenden Beitrag zeigen wir, wie durch die geeigneten zusätzlichen Zustandserfassungen sowie durch die Anwendung eines aktualisierten Lastmodells für Strassenlasten, der Durchstanznachweis erbracht wurde und damit eine finanziell und zeitlich aufwendige Verstärkung der Brücke vermieden wurde.
Am Anfang des Beitrags zeigen wir unsere Strategie sowie die Resultate der Zustandserfassung. Anschliessend stellen wir die wesentlichen Resultate der statischen Nachrechnungen vor. Im Anschluss wird das aktualisierte Lastmodell für Strassenverkehrslasten kurz vorgestellt, gefolgt durch die zusätzlichen Zustandserfassungen und statische Nachrechnung mit Nutzung vom aktualisierten Lastmodell für Strassenverkehrslasten. Am Schluss folgt eine Zusammenfassung von wichtigsten Erkenntnissen bei der Überprüfung dieser verkehrstechnisch wichtigen und im konstruktiven Sinne äusserst interessanten Brücke.
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5. Brückenkolloquium - September 2022 517 Alternative Wege bei der Berechnung des Tragvermögens einer bestehenden Straßenbrücke aus Stahlbeton Prof. Dr. Ivan Markovic, dipl. Bauing. IBU Institut für Bau und Umwelt, OST Ostschweizer Fachhochschule (ehem. HSR), Rapperswil, Schweiz Zusammenfassung Zustandserfassung und statische Nachrechnung einer bestehenden Strassenbrücke in der Schweiz haben ergeben, dass der Tragsicherheitsnachweis auf Durchstanzen gemäss SIA-Normen nicht erfüllt ist. Im vorliegenden Beitrag zeigen wir, wie durch die geeigneten zusätzlichen Zustandserfassungen sowie durch die Anwendung eines aktualisierten Lastmodells für Strassenlasten, der Durchstanznachweis erbracht wurde und damit eine finanziell und zeitlich aufwendige Verstärkung der Brücke vermieden wurde. Am Anfang des Beitrags zeigen wir unsere Strategie sowie die Resultate der Zustandserfassung. Anschliessend stellen wir die wesentlichen Resultate der statischen Nachrechnungen vor. Im Anschluss wird das aktualisierte Lastmodell für Strassenverkehrslasten kurz vorgestellt, gefolgt durch die zusätzlichen Zustandserfassungen und statische Nachrechnung mit Nutzung vom aktualisierten Lastmodell für Strassenverkehrslasten. Am Schluss folgt eine Zusammenfassung von wichtigsten Erkenntnissen bei der Überprüfung dieser verkehrstechnisch wichtigen und im konstruktiven Sinne äusserst interessanten Brücke. 1. Aufgabenstellung Der Auftrag der Ostschweizer Fachhochschule Rapperswil war, detaillierte Zustandserfassung zu organisieren und durchzuführen und anschliessend detaillierte statische Berechnung einer bestehenden Strassenbrücke zu machen. Das Hauptziel des Projektes war festzustellen, ob die Brücke gemäss Schweizer Normen tragsicher ist, ob Instabdsetzungs- und oder Verstärkungsmassnahmen erforderlich sind sowie welche Restlebensdauer der Brücke zu erwarten ist. Der vorliegende Beitrag konzentriert sind primär auf die Zustandserfassung und auf die Anwendung eines alternativen aktualisierten Modells für Strassenverkehrslasten in der statischen Berechnung der Brücke. 2. Beschreibung des Bauwerks Diese Strassenbrücke (Baujahr: 1973/ 74) ist im statischen Sinne als eine über drei Felder durchlaufende Platte mit den Spannweiten von 15.75 m + 16.7 m + 8.55 m konzipiert (Abb. 1). Der Überbau der Brücke weist einen Plattenquerschnitt aus Stahlbeton auf, mit einer Höhe im mittleren Bereich von 60 cm. Der Brücken-Überbau (Fahrbahnplatte) ist nicht vorgespannt und es ist keine Bügelbewehrung vorhanden. Die Längs- und Querbewehrungen der Fahrbahnplatte wurden aber bei der damaligen Projektierung der Brücke sorgfältig berechnet und in allen Teilen der Fahrbahnplatte korrekt konstruktiv durchgebildet. Die Brücke ist monolithisch mit vier Brückenpfeiler verbunden und zusätzlich bei beiden Widerlager vertikal mittels je zwei in horizontaler Ebene verschieblichen Brückenlager (Gleitlager) gelagert. Die Bewehrung der Pfeiler und der Fundationen ist bei der damaligen Projektierung und Ausführung korrekt berechnet und konstruktiv durchgebildet. Sowohl Pfeiler als auch Widerlager sind flach fundiert (Baugrund: Niederterassen-Schotter). Auf der Fahrbahn gibt es drei Fahrspuren und ein Trottoir auf der Seite West. Unter der Brücke verlaufen drei Bahngleisen und eine Strasse. Abbildung 1: Ansicht der Strassenbrücke 3. Zustandserfassung Die Brücke wurde im Rahmen einer detaillierteren Überprüfung durch das Team des Instituts für Bau und Umwelt IBU der Ostschweizer Fachhochschule Rapperswil 518 5. Brückenkolloquium - September 2022 Alternative Wege bei der Berechnung des Tragvermögens einer bestehenden Straßenbrücke aus Stahlbeton untersucht. Dabei wurde mittels visueller Untersuchung, Messungen der Bewehrungsüberdeckung (Ferroscan), Potentialfeldmessung (Abb. 2), Messung der Chlorid- Konzentration sowie Druckproben und Gefüge-Analysen an Bohrkernen der Zustand der Brücke detailliert erfasst. Die Bewehrungsüberdeckungen der tragenden Bewehrungseisen im Durchschnitt 2-4 cm. Trotzdem konnten bei der Potentialfeldmessung praktisch keine Messwerte festgestellt werden, welche auf Bewehrungskorrosion deuten. Auch bei den Sondier-Öffnungen (auf der oberen und unteren Seite der Fahrbahnplatte sowie auf Brückenpfeiler) ist praktisch keine Bewehrungs-Korrosion eruiert worden (Abb. 3). Die Karbonatisierungs-Tiefe beträgt (nach 46 Jahren Lebensdauer) ca. 3 mm im Überbau und ca. 12 mm bei den Pfeilern. Es ist nicht wahrscheinlich, dass die Karbonatisierungs-Front vor Ablauf der Restnutzungsdauer die statisch tragende Biegebewehrung erreicht. Chlorid- Konzentration ist sehr tief: im Durchschnitt beträgt sie im Überbau und Brückenpfeiler ca. 0.02 % der Zementmasse, maximal ca. 0.12% der Zementmasse im Konsolkopf. Die Druckversuche auf Bohrkernen haben gezeigt, dass sich die Betondruckfestigkeit mit einem C50/ 60 gemäss heutiger Norm vergleichen lässt. Zudem wurde ein Prüfkörper auf die Alkali-Aggregat-Reaktion überprüft. Es hat sich herausgestellt, dass diese Reaktion nicht vorhanden ist. Abbildung 2: Zustandserfassung: Potentialfeldmessung im Belagsfenster v Abbildung 3: Zustandserfassung: Sondierung der Bewehrungseisen im Pfeiler 4. Statische Berechnungen mit Strassenverkehrslasten gemäss Norm SIA 269/ 1 Anschliessend wurden die Materialkennwerte (basierend auf der o.g. Zustandserfassung) sowie die Belastungen gemäss SIA-Normen SIA 260 ff sowie SIA 269 ff aktualisiert und aufgrund davon detaillierte statische Nachrechnungen dieser Brücke gemacht. Das Ziel der statischen Nachrechnungen war, die Tragsicherheit aller tragenden Elemente der Brücke zu überprüfen und anschliessend die Empfehlungen für die eventuell erforderlichen Verstärkungsund/ oder Instandsetzungsmassnahmen zu geben. Bei der statischen Berechnung wurden zwei Modelle benutzt: - Fahrbahnplatte wurde mit einem drillweichen Plaattenmodell modelliert - Für das Modellieren der Pfeiler und der Fundationen wurde ein dreidimensionales Stabmodell gemäss Abb. 4 verwendet. Abbildung 4: Statisches Modell der Brücke für die Berechnung des Brückenunterbaus (Pfeiler und Fundationen) Die statische Überprüfung der bestehenden Brücke hat gezeigt, dass die Tragsicherheitsnachweise aller Elemente der Brücke gemäss Normen SIA 261 ff bzw. SIA 269 ff 5. Brückenkolloquium - September 2022 519 Alternative Wege bei der Berechnung des Tragvermögens einer bestehenden Straßenbrücke aus Stahlbeton erfüllt sind, ausser Durchstanznachweise der Fahrbahnplatte im Bereich der zwei (von insgesamt vier Pfeilern), wo kleine Defizite des Tragvermögens festgestellt wurden. Aufgrund davon wurde entschieden, dass die Tragsicherheitsnachweise auf Durchstanzen vertieft zu betrachten sind und zwar: - einerseits durch vertiefte Materialuntersuchungen (vor allem um mit noch zuverlässigeren Werten der Schubfestigkeit des Betons zu rechnen); - andererseits durch die Nutzung von einem alternativen Modell für Strassenverkehrslasten. Dieses Lastmodell wird näher im [2] bzw. im Abschnitt 5 dieses Beitrags beschrieben. 5. Statische Berechnungen mit dem alternativen Modell für Strassenverkehrslasten gemäss [2] Die Norm SIA 269/ 1 (Norm für Bauwerkerhaltung, d.h. für bestehende Bauwerke, siehe Ref. [1]) gibt im Ziffer 10 ein Lastmodell, welches sich vom Lastmodell der Norm SIA 261 (Norm für Neubauten, Ziffer 10) lediglich dadurch unterscheidet, dass der Beiwert a = 0.9 (dient der Kalibrierung der Strassenverkehrslasten) gemäss SIA 261 durch Aktualisierungsbeiwert aact < 0.9 ersetzt wird. Obwohl dieses Berechnungsvorgehen einfach und pragmatisch in der Anwendung in der Ingenieurpraxis ist, hat es mehrere Nachteile, welche sowohl quantitativ (bspw. Faktoren aact sind i.d.R. zu konservativ) als auch qualitativ (bspw. Faktoren aact sind nur für Brücken mit bestimmten Spannweiten kalibriert) sind. Aufgrund davon, schlägt in der Ref. [2] Prof. Dr. Eugen Brühwiler (EPFL) ein aktualisiertes Lastmodell für Strassenlasten für den Nachweis der Tragsicherheit bestehender Strassenbrücken vor, welches als alternatives Berechnungsmodell für diese Brücke verwendet wurde. In diesem Beitrag werden nur ein paar wesentlichste Eigenschaften des alternativen Modells für Strassenverkehrslasten wiedergegeben. Für detaillierte Vorstellung und Begründung des Modells wird auf den Bericht [2] verwiesen. Vertikale Lasten dieses Modells basieren auf dem WIM (Weigh-ln-Motion) - Messungen der Verkehrslasten auf dem Schweizer Nationalstrassennetz über einer in voraus definierten Zeitspanne [3]. Im Modell sind Lastbilder für die Einzel-, Doppel-, und Dreifach-Achse modelliert (also nicht nur für Doppel-Achse, wie gemäss der aktuell gültigen Norm SIA 269/ 1). Die charakteristischen Werte der Strassenlasten basieren auf den WIM-Messungen und werden als statische Achslasten daraus hergeleitet. Im Modell gemäss Bericht [2] wurde zudem der Einfluss von dynamischen Effekten sowie von spezifischer Belastungssituationen auf die Radlasten berücksichtigt. Das aktualisierte Lastmodell gilt für die Grenzzustände der Tragsicherheit der Tragwerksteile von Brücken mit Spannweiten bis 20 m, die in Quer- und Längsrichtung Strassenlasten abtragen, was für die vorliegende Brücke zutrifft. Zusätzlich zur Nutzung vom aktualisiertem Modell für Strassenverkehrslasten wurden ein paar weitere Bohrkerne aus der Untersicht der Brücke entnommen und auf Druck getestet, um noch zuverlässigere Werte für die Druck- und Schubfestigkeit des Betons zu ermitteln (Abb. 5). Abbildung 5: Entnahme zusätzlicher Bohrkerne aus der Untersicht der Brücke Schnittkräfte für Durchstanznachweise und Nachweise der Querkräfte wurden auf einem drillweichen Plattenmodell ermittelt, mit Strassenverkehrslasten gemäss o.g. aktualisiertem Modell. Zudem wurden im Tragsicherheitsnachweis auf Durchstanzen auch die folgenden aufgezwungenen Verformungen berücksichtigt (gemäss SIA 262, 4.1.2.1): - Temperatur-Änderungen - Differentielle Setzungen - Schwindverformungen Obwohl gemäss SIA 262, 4.1.2.3 bei der Ermittlung der Schnittkräfte infolge o.g. Zwängungen die Rissbildung und das Kriechen durch das Abmindern der Biegesteifigkeiten berücksichtigt werden können, werden in dieser Berechnung die Zwangsschnittkräfte ohne Abmindern der Biegesteifigkeiten ermittelt. Dieses Berechnungsverfahren liegt somit auf der sicheren Seite. 6. Fazit und abschliessende Bemerkungen Statische Berechnung mit aktualisiertem Modell für Strassenverkehrslasten gemäss [2] und mit aktualisiertem Bemessungswert der Schubfestigkeit des Betons hat in wesentlich grösseren Tragwerksreserven verglichen mit der ursprünglicher statischen Berechnung (Abschnitt 4 dieses Beitrags) resultiert. Alle Tragsicherheitsnachweise, inklusive Durchstanznachweise, sind erfüllt. Die Tragsicherheitsreserven sind sowohl bei den realistischen als auch bei den ungünstigen Annahmen im Bezug auf die Zwängungen (v.a. Setzungen) genügend gross. 520 5. Brückenkolloquium - September 2022 Alternative Wege bei der Berechnung des Tragvermögens einer bestehenden Straßenbrücke aus Stahlbeton Aufgrund davon stellen wir fest, dass die Tragsicherheit der Strassenbrücke unter in diesem Bericht gemachten Annahmen für Strassenverkehrslasten und Materialeigenschaften und im Sinne von SIA-Normen 260 ff buw. SIA 269 ff gewährleistet ist. Literaturverzeichnis [1] SIA-Normenreihe 260, 261, 262 sowie 269 [2] Prof. Dr. Eugen Brühwiler, Laboratoire de Maintenance, Construction et Sécurité des ouvrages, EPFL (2019): Aktualisiertes Lastmodell für Strassenlasten für den Nachweis der Tragsicherheit bestehender Strassenbrücken (interner Bericht) [3] Office Fédéral des Routes (ASTRA - OFROU), Division Réseaux routiers, Trafic & Innovations Management, Monitorage du trafic: Document WIM 2018 (https: / / www.astra.admin.ch/ astra/ fr/ home/ documentation/ donnees-concernant-le-trafic/ donnees-etpublications/ saisie-poids.html), 2019