Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
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2022
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Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/Havel
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Ernst Niederleithinger
Falk Hille
Detlef Hofmann
Thomas Kind
Die B1 Brücke am Altstädter Bahnhof in Brandenburg an der Havel wurde im Dezember 2019 aufgrund von während einer turnusmäßigen Inspektion entdeckten Rissen und Hohlstellen entlang der vorgespannten Längsträger gesperrt und im Mai 2021 abgebrochen. In der Zwischenzeit wurde die Brücke detailliert überwacht. Vor dem Abriss wurden zudem umfangreiche Untersuchungen zur Bestandsaufnahme und Schadensanalyse sowie Tests moderner Sensorik vorgenommen. Dabei konnte sowohl die richtige, zuvor nicht sicher bekannte Anzahl von Spanngliedern in den Querträgern sicher ermittelt werden als auch durch moderne Varianten der Schwingungsmessungen und der faseroptischen Sensorik zusätzliche Kenntnisse über das Bauwerksverhalten ermittelt werden . In dem Beitrag werden die Verfahren mit ihren Möglichkeiten und Grenzen vorgestellt, die Ergebnissee an der Brücke in Brandenburg erläutert und zukünftige Einsatzmöglichkeiten diskutiert.
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5. Brückenkolloquium - September 2022 555 Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel Begleituntersuchungen mit moderner Sensorik und zerstörungsfreier Prüfung PD Dr. rer. nat. Ernst Niederleithinger Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, Berlin Dr.-Ing. Falk Hille Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, Berlin Dipl.-Ing. Detlef Hofmann Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, Berlin Dr.-Ing. Thomas Kind Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, Berlin Zusammenfassung Die B1 Brücke am Altstädter Bahnhof in Brandenburg an der Havel wurde im Dezember 2019 aufgrund von während einer turnusmäßigen Inspektion entdeckten Rissen und Hohlstellen entlang der vorgespannten Längsträger gesperrt und im Mai 2021 abgebrochen. In der Zwischenzeit wurde die Brücke detailliert überwacht. Vor dem Abriss wurden zudem umfangreiche Untersuchungen zur Bestandsaufnahme und Schadensanalyse sowie Tests moderner Sensorik vorgenommen. Dabei konnte sowohl die richtige, zuvor nicht sicher bekannte Anzahl von Spanngliedern in den Querträgern sicher ermittelt werden als auch durch moderne Varianten der Schwingungsmessungen und der faseroptischen Sensorik zusätzliche Kenntnisse püber das Bauwerksverhalten ermittelt werden . In dem Beitrag werden die Verfahren mit ihren Möglichkeiten und Grenzen vorgestellt, die Ergebnissee an der Brücke in Brandenburg erläutert und zukünftige Einsatzmöglichkeiten diskutiert. 1. Einführung Die B1 Brücke am Altstädter Bahnhof in Brandenburg an der Havel wurde im Dezember 2019 aufgrund von während einer turnusmäßigen Inspektion entdeckten Rissen und Hohlstellen entlang der vorgespannten Längsträger gesperrt und im Mai 2021 abgebrochen. In der Zwischenzeit wurde die Brücke detailliert überwacht. Vor dem Abriss wurden zudem umfangreiche Untersuchungen zur Bestandsaufnahme und Schadensanalyse sowie Tests moderner Sensorik vorgenommen. Diese Arbeiten wurden durch dass BMVI gefördert und durch die Landestraßenverwaltung Branbdenburg koordiniert. Die Brücke und das Hauptprojekt werden in diesem tagungsband im Beitrag von Kaplan et al. Im Detail vorgetellt. Weitere Beiträge zu dieser Tagung von Kaplan et al., Ebell et al. und Pirskawetz et al. behandeln die Dauerüberwachung auf Spanndrahtbrüche mit der Schallemissionsanalyse und das Tragwerksverhalten. Dieser Beitrag fokussiert auf die sonstigen im Projekt eingesetzten Messmethonden. Mit dem Radar sollte die Anzahl der Spannglieder in den Querträgern geklärt werden, da frühere Betrachtungen unschlüssig geblieben waren. Die faseroptische Sensorik sollte die Untersuchungen zum Tragwerksverhalten nach Spanndrahtbrüchen unterstützen. Zudem war zu prüfen, ab sich auch akustische Ereignisse zuverlässig aufzeichnen lassen. Zudem wurde die Chance dieses Großversuchs genutzt, um die Sensitivität eine modernen Variante der schwingunguntersuchung zu prüfen. 556 5. Brückenkolloquium - September 2022 Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel 2. Messtechnik und Ergebnisse 2.1 Lokalisierung von Spannkanälen mit Radar 2.1.1 Messprinzip und Grundlagen Für eine zerstörungsfreie Ortung von Spanngliedern wird in der Praxis sowohl das Radarals auch das Ultraschallverfahren eingesetzt. Das Ultraschallverfahren ermöglicht Spannglieder in einer größeren Tiefe im Bauwerk zu orten, ist aber in der Durchführung deutlich zeitintensiver als das Radarverfahren. Bei den Untersuchungen der Brücke Altstädter Bahnhof hat sich sehr früh gezeigt, dass das Radarverfahren bezüglich der Eindringtiefe ausreichend für die Ortung der Spannglieder ist, weshalb hier im Weiteren nicht auf das Ultraschallverfahren eingegangen wird. Bild 1: Varianten 1 (oben) und 2 (unten) der Bewehrungspläne. Beim Radarverfahren im Bauwesen [1][2] handelt es sich um eine zerstörungsfreie Untersuchungsmethode zur Aufklärung der inneren Struktur von Bauwerken. Das Verfahren basiert auf dem Aussenden und der freien Ausbreitung von elektromagnetischen Wellen in einem Bauteil und dem anschließenden Empfang von Reflexionen. Diese Reflexionen entstehen an inneren Strukturen von Bauteilen, wie z. B. metallischer Bewehrung von Stahlbeton, luftgefüllten Hohlräumen oder Schichtgrenzen. Die Lokalisierung von Spanngliedern ist eine häufige und in der Regel erfolgreich Anwendung des Verfahrens [3][4]. Für eine einfache Messung wird ein Antennensystem bestehend aus Sende- und Empfangsantenne auf der Bauteiloberfläche mit der Hand entlang einer Linie geführt. An dem Radargerät werden die aufgenommenen Messdaten als Radargramm dargestellt und zeigen die Reflexionen der ausgesendeten Impulswelle, die an den inneren Strukturen, wie z. B. an Bewehrung oder einer Rückwand entstanden sind. Bei einfachen Bauteilen lassen sich anhand von typischen Reflexionsmustern (z. B. Reflexionshyperbeln) die Lage und Einbautiefe einer Bewehrung bestimmen. Bei komplexeren Bauteilen werden flächige Messungen entlang einer Vielzahl von parallelen Linien durchgeführt. Diese Messdaten werden anschließend als dreidimensionaler Datensatz bearbeitet. Bei der Bearbeitung des dreidimensionalen Datensatzes werden die Orte der Reflexionen rekonstruiert. Anhand des Datensatzes lassen sich die Lage und der Verlauf von z. B. vorgespannter Bewehrung ermitteln, indem Schnitte parallel (Tiefenschnitte) oder senkrecht (Querschnitte) zur Bauteiloberfläche aus dem Datensatz erzeugt werden. Ziel der Untersuchung war die Bestimmung der tatsächlichen Ausführung der vorgespannten Bewehrung in den fünf Querträgern der Brücke. Laut Bestandsunterlagen der Brücke gibt es zwei voneinander abweichende Varianten der vorgespannten Bewehrung (Bild 1) und es war nicht bekannt, welche dieser Varianten beim Bau der Brücke tatsächlich ausgeführt wurde. Die beiden Varianten der Bestandsunterlagen (Bewehrungspläne) des Querträgers D unterscheiden sich in der Anzahl der Spannglieder, der Anzahl der Spanngliedlagen und im Verlauf innerhalb des Querträgers. Im Folgenden werden die wesentlichen Merkmale der beiden Varianten der Bestandsunterlagen (Bild 1) beschrieben, um Unterscheidungsmerkmale für die zerstörungsfreie Untersuchung festzulegen. Der Querträger hatte einen Querschnitt von 2,4 m x 1,0 m (Breite x Höhe) und eine Länge von ca. 28 m. Der Querträger war von außen nicht zu erkennen. Die Lage der Schwerachse konnte anhand der Stützen ermittelt werden. Die Bestandsunterlagen der Variante 1 zeigen im Querträger D insgesamt 23 Spannglieder verteilt auf drei Lagen. Auf der Brückenunterseite verliefen acht nebeneinander liegende Spannglieder entlang der langen Achse des Querträgers D. Die obere und mittlere Spanngliedlage war in der Mitte des Querträgers unterbrochen. Die Bestandsunterlagen der Variante 2 zeigen zwei Lagen Spannglieder mit insgesamt 24 Spanngliedern, die alle ununterbrochen entlang der gesamten Länge des Querträgers verliefen. Auf der Brückenunterseite der Variante 2 verliefen insgesamt 14 nebeneinander liegende Spannglieder entlang der langen Achse des Querträgers D. Zwei wesentliche Unterscheidungsmerkmale der beiden Varianten sind die Anzahl der unteren Spannglieder (Variante 1: 8 Spannglieder; Variante 2: 14 Spannglieder) und der Verlauf dieser Spanngliedlagen von der Mitte der Längsachse des Brückenträgers hin zu den Stützen. In der Variante 1 verläuft die untere Spanngliedlage in einem längeren Bereich horizontal und steigt erst kurz vor der Stütze steil an. Dagegen steigt die untere Spanngliedlage der Variante 2 von der Mitte des Querträgers kontinuierlich bis zur Oberseite im Bereich der Stützen an. Es wurde festgelegt die Untersuchung auf der Brückenunterseite durchzuführen. Bis auf den Bereich der zwei Stützen war die Unterseite des Querträgers vollständig zugänglich und in beiden Varianten verlaufen die Spannglieder in einem langen Bereich, in dem die Spannglieder mit dem Radarverfahren geortet werden können. Die Messflächengröße betrug 6 m x 3,2 m. Die lange Achse der Messfläche stimmte mit der langen Achse des Querträgers überein. Und die Messfläche begann an der 5. Brückenkolloquium - September 2022 557 Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel Brückenlängsachse und erstreckte sich auf 6 m in Richtung der nördlichen Stütze des Querträgers D. Die Breite der Messfläche von 3,2 m war ausreichend, um die vollständige Breite des Querträgers (2,4 m) und Teile des Hohlkasten zu erfassen. 2.1.2 Messdaten und wesentliche Ergebnisse Die Radarmessung wurde mit Hilfe eines Hubsteigers auf der Unterseite der Brücke durchgeführt (Bild 4). Für die Radarmessung wurde eine Antenne mit einer Signalmittenfrequenz von ca. 2 GHz verwendet. Die Antenne wurde per Hand entlang von Linien, die parallel zur langen oder kurzen Seite der Messfläche lagen, geführt. Die Linien hatten jeweils einen Abstand von 10 cm zueinander. Insgesamt wurde die Messfläche in einem regelmäßigen Gitter bestehend aus 33 langen Linien (6 m) und 61 kurzen Linien (3,2 m) mit der Antenne abgefahren. Die aufgenommenen Radardaten wurden am Computer bearbeitet, so dass anschließend ein dreidimensionaler Datensatz für die Lagebestimmung der Bewehrung vorlag. Ein wesentlicher Verarbeitungsschritt der Radardaten ist die Rückrechnung der aufgenommenen Reflexionen auf die jeweiligen Reflexionszentren der Bewehrung. Bild 2: Querschnittsbild durch den Querträger D und die angrenzenden Hohlkästen. Das Bild wurde aus den Radardaten rekonstruiert. Bild 3: Durchführung der Radarmessung von einem Hubsteiger. Dieser Bearbeitungsschritt wird als Rekonstruktion bezeichnet. Dabei ist zu beachten, dass z. B. Bewehrung im Querschnitt als rundes Reflexionszentrum dargestellt wird, dass aber der Durchmesser dieses Reflexionszentrum nicht mit dem tatsächlichem Bewehrungsdurchmesser übereinstimmt. Physikalisch ist eine geometrische Abbildung des Bewehrungsquerschnittes nicht möglich, da die mittlere Wellenlänge des Radars um ein Vielfaches größer ist als der Bewehrungsdurchmesser. Details wie der Bewehrungsdurchmesser lassen sich deshalb mit dem Radarverfahren nicht bestimmen. Die Lage und der Verlauf von Bewehrung lässt sich aber sehr gut anhand von Schnitten durch den dreidimensionalen Datensatz bestimmen. Der dreidimensionale Datensatz wurde in verschiedenen Schnitten für die Auswertung herangezogen. Z. B. kann eine Reihenfolge von Schnitten betrachtet werden, die parallel zur Messfläche liegen, den sog. Tiefenschnitten. Es kann aber auch eine Reihenfolge von Schnitten betrachtet werden, die quer zur langen Achse des Querträgers liegen. Mit diesen Schnittfolgen kann der Verlauf der Spannglieder sehr gut ermittelt werden. Ein einzelner Schnitt dieser Reihenfolge ist in Bild 3 dargestellt. Der Schnitt verläuft parallel zur Brückenlängsachse und ist 2,7 m von dieser Achse entfernt. In diesem mit dem Radarverfahren rekonstruierten Querschnittsbild des Querträgers D sind 14 Spannglieder mit grünen Pfeilen gekennzeichnet. Die Spannglieder wurden anhand ihres aufsteigenden Verlaufes aus der Reihenfolge der Schnitte bestimmt. Die Betondeckung der Spannglieder beträgt hier etwa 20 cm. Weitere Bewehrungsstäbe mit einer geringeren Betondeckung sind zusätzlich zu sehen. Neben der Bewehrung sind auch die Reflexionen von der Innenseite des Hohlkasten zu sehen. Die Wandstärke der Hohlkastenunterseite beträgt etwa 25 cm. 2.1.3 Zwischenfazit Die zerstörungsfreie Ortung der Spannglieder an der Brücke Altstädter Bahnhof hat ergeben, dass die alleinige Anwendung des Radarverfahrens ausreichend war, um sicher zu bestimmen, welche Bestandunterlagen die zutreffende Umsetzung beinhalteten. Voraussetzung für die sichere Bestätigung der Bestandunterlagen mit Hilfe der zerstörungsfreien Prüfung war die Entwicklung eines stufenweisen und geplanten Vorgehens. Die einzelnen Schritte des Vorgehens bei der Bestätigung der Bestandsunterlagen mit Hilfe der zerstörungsfreien Prüfung waren: • Festlegung der möglichen Messstellen: Die zerstörungsfreien Ortungsverfahren können nur sinnvoll angewendet werden, wenn die Spannglieder in einem Bereich liegen, in dem die üblichen Detektionstiefen von Radar (< 0,5 m) und Ultraschall (< 1,5 m) noch nicht überschritten werden. • Festlegung der Unterscheidungsmerkmale: Für die beiden Varianten der Bestandsunterlagen wurde die Anzahl der Spannglieder der unteren Spanngliedlage und der Verlauf der unteren Spanngliedlage festgelegt. Der Verlauf der Spanngliedlage als weiteres 558 5. Brückenkolloquium - September 2022 Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel Unterscheidungsmerkmal ist sinnvoll, da Verwechslungen mit der einfachen Bewehrung vermieden werden können. • Festlegung der Art der Messung: Es wurden flächige Messungen geplant, um die Auswertung mit einem dreidimensionalen Datensatz durchführen zu können. Zusätzlich war auch geplant, die Spannglieder mit zwei unterschiedlichen Antennenpolarisationen zu überfahren, um eine bessere Unterscheidung der Spannglieder von der einfachen Bewehrung anhand ihrer Reflektivität in Abhängigkeit von der Antennenpolarisation und dem Bewehrungsquerschnitt zu ermöglichen. Diese Ergebnisse wurden hier nicht gezeigt, da anhand des Verlaufs der Spannglieder diese eindeutig geortet und von schlaffer Bewehrung unterschieden werden konnten. • Feststellung der Ortungsverfahren: Anhand der eindeutigen Ergebnisse der Vor-Ort-Auswertung der Radarmessung war eine Anwendung des aufwendigeren Ultraschallverfahren nicht notwendig Die Durchführung der notwendigen Untersuchungen mit dem Radarverfahren konnte innerhalb eines Tages durchgeführt werden. Schon vor Ort konnte anhand einer ersten Durchsicht der Messergebnisse die Variante 2 der Bestandsunterlagen bestätigt werden. Eine anschließende ausführliche Auswertung aller Radardaten bestätigte dieses Ergebnis. Die Anwendung von zerstörungsfreien Prüfmethoden, wie das Radar- und Ultraschallverfahren, kann deshalb helfen, Fehlentscheidungen aufgrund von falschen Bestandsunterlagen frühzeitig zu vermeiden. 2.2 Monitoring mit Schwingungsmessungen Ziel des Schwingungsmonitorings im Rahmen des zerstörenden Versuches war nicht das Erfassen einzelner, künstlich induzierter Spanndrahtbrüche, wie dies bspw. beim Einsatz von schallemissions-basierten Verfahren der Fall ist. Vielmehr diente der Einsatz des Schwingungsmonitorings an der B1 Brücke am Altstädter Bahnhof Brandenburg dem Ziel, den sich aus dem Spanndrahtversagen ergebenen Strukturschaden (Rissbildung) in einem frühen Stadium durch ein universell einsetzbares Monitoringsystem zu erkennen. Dazu wurde als Pilot das neuartige SSDD Schadensdetektionsverfahrens [5] unter Verwendung neuartiger und konventioneller Sensorik eingesetzt. Besonders die durch das an der Brücke eingesetzte Spannblockverfahren bedingten sehr hohen Vorspannkräfte stellten in Frage, ob das Durchtrennen weniger Spanndrähte zu einer relevanten Rissbildung führt, die Auswirkungen auf die Steifigkeit des Tragwerks haben und so eine schwingungsbasierte Schadensdetektion generell möglich sein würde. 2.2.1 Messprinzip und Grundlagen Als Schwingungsmonitoring wird die messtechnische Erfassung des Schwingverhaltens einer Struktur bezeichnet, um aus Veränderungen in diesen dynamischen Eigenschaften auf dafür ggf. ursächliche Schäden zu schließen. In der praktischen Anwendung an großen Tragwerken wie Brücken ist eine Schadenserkennung durch Schwingungsmonitoring nicht trivial, da die interessierenden Veränderungen in den dynamischen Eigenschaften im Verhältnis zu Störeinflüssen aus der Umgebung (Verkehr, Umwelteinflüsse, etc.) oft zu klein sind. Im Rahmen des hier beschriebenen zerstörenden Versuchs wurde ein neuartiges Verfahren zur schwingungsbasierten Schadenserkennung in der Praxis getestet. Das als Stochastische Subspace-basierte Schadensdetektion (SSDD) bezeichnete Verfahren analysiert dabei nicht direkt die modalen Kenngrößen eines Bauwerks (Eigenfrequenzen, Modalformen, Dämpfungsparameter). Es erfasst mittels statistischer Tests Veränderungen in einem spezifischen Residuum, dass mittels statistischer Verfahren aus den gemessenen Zeitverläufen der Schwingungsgröße (Beschleunigungen, Schwinggeschwindigkeiten) der beteiligten Sensoren errechnet wurde. Untersuchungen an Labor- und Teststrukturen sowie auch an einer Straßenbrücke ergaben bereits vielversprechende Ergebnisse, der Nachweis der Funktionalität an einer sehr steifen und damit nicht schwingungsanfälligen Brücke stand aber noch aus. Gleichzeitig wurde der testweise Einsatz von neuartiger mikroelektromechanischer Sensortechnik (MEMS) geplant, um deren Funktionalität unter realen Bedingungen zu untersuchen. MEMS-Beschleunigungssensoren sind gegenüber klassischen Schwingungssensoren sehr viel preiswerter und damit der Einsatz großer Stückzahlen zur Dauerüberwachung von Brückenbauwerken möglich. Je höher die Anzahl Sensoren, desto mehr Informationen über das Schwingverhalten können in die Analyse zur Schadenserkennung integriert werden, was schlussendlich eine frühzeitige Schadenserkennung erlaubt. 2.2.2 Messstellenplan und Konzept Prinzipiell sollte getestet werden, ob bzw. wie sensitiv eine schwingungsbasierte Schadensdetektion ohne a priori Kenntnis über den Schadensort mit einem groben MEMS-Sensornetz möglich ist. Für den Fall eines Nichterreichen dieses Maximalziels wurden zusätzlich Messstellen in der Umgebung der Schädigung angeordnet. So wurden 9 MEMS-Sensoren regelmäßig über die Brücke verteilt und weitere 7 MEMS-Sensoren in der Umgebung der beiden Schädigungsstellen. Limitierender Faktor für die Anzahl der MEMS-Sensoren war auch die durch das Messgerät vorgegebene maximale Anzahl von 16 Messkanälen. Der Messstellenplan ist in Bild 5 dargestellt. 5. Brückenkolloquium - September 2022 559 Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel Bild 4: Messstellenplan Schwingungsmonitoring Für den Einsatz an der Brücke Brandenburg wurden 16 Low-Cost 3D MEMS Sensoren des Herstellers Analog Devices vom Typ EVAL-ADXL354BZ mit einer Empfindlichkeit 400 mV/ g bei +/ -2 g Messbereich angeschafft und konfektioniert (Bild 5). Bild 5: 3D MEMS-Beschleunigungssensor AD EVAL- ADXL354BZ, links Einzelsensor, rechts verbaut auf einem Träger in einem Schutzkasten Da es sich bei dem zerstörenden Versuch um eine Erstanwendung von MEMS-Beschleunigungssensoren an realen Bauwerken handelte, sollten die Messeigenschaften der MEMS- Sensoren mit denen konventioneller Sensoren verglichen und damit gleichzeitig eine Redundanz in der Sensortechnik realisiert werden. Dazu wurden in den Positionen der 16 MEMS-Sensoren gleichfalls 16 Geophone vom Typ HS-10 des Herstellers GeoSpace appliziert, wie in Bild 6 zu sehen. Zusätzlich wurde die Lufttemperatur unter der Brücke (verschattet) mittels Thermokoppler-Sensors gemessen. Es kamen zwei 16-kanälige Messgeräte vom Typ Cronos des Herstellers IMC zeitsynchronisiert zum Einsatz. Die Abtastung der Zeitverläufe der Schwingungen erfolgte in einer Frequenz von f a = 1000 Hz, die der Temperatur von f a = 1 Hz. Bild 6. Messstelle auf der Brücke mit einem MEMS- Sensor, einem Geophone und Kabeltrommel 2.2.3 Messdaten und wesentliche Messergebnisse Messung: Der Start der Messung erfolgte drei Tage vor Beginn der zerstörenden Versuche am 20. April 2021 gegen 13 Uhr, um eine umfassende Aufnahme des ungeschädigten Referenzzustandes des Bauwerks zu realisieren. Dies sollte über einen möglichst großen Zeitraum erfolgen, um gewöhnliche Variationen des Schwingverhaltens durch äußere Einflüsse in einer Art Lernphase zu erfassen. Ein längerer Zeitraum hätte zu einem verbesserten Lernergebnis geführt. Aufgrund des relativ leichten Zugangs zur Sensortechnik und der damit verbundenen potentiellen Gefahr von Vandalismus wurde der Messzeitbereich minimiert. Die Messung wurde am 26. April 2021 gegen 13 Uhr beendet. Erläuterungen zur SSDD: Prinzipiell kann das SSDD Verfahren in Bezug auf die statistische Verarbeitung der Messdaten in drei Phasen eingeteilt werden. Dazu wurden die Messdaten in 60 Sekunden-Datensätze fragmentiert. In einer ersten „Referenz“-Phase wird das Schwingungsverhalten im ungeschädigten, also Referenzzustand erfasst und in einem vektorartigen Residuum abgelegt. In einer zweiten „Lern“-Phase werden im weiterhin ungeschädigten Zustand die Variationen dieses Residuums durch äußere Einflüsse bestimmt und in Form einer Residuenkovarianzmatrix abgelegt. In der abschließend folgenden „Test“-Phase werden im anfangs ungeschädigten, später geschädigtem Zustand die Datensätze nacheinander verarbeitet und mittels statistischem χ²-Test überprüft, ob eine Änderung in der Schwingcharakteristik stattfand. Auswertung I - Nutzung aller Messdaten (Geophone): Zur Bestimmung einer entsprechenden Vergleichsbasis für die MEMS-Sensorik wurden als erstes die mittels hochempfindlicher Geophone aufgezeichneten Schwinggeschwindigkeitsverläufe analysiert. Die Auswertung wurde mit 15 Geophonen durchgeführt. Es wurden sämtliche 8640 Datensätze in die Auswertung einbezogen. Zur Bestimmung des Residuums in der Referenzphase wurden fünf Datensätze in der Zeit zwischen 20.04. 20: 51 Uhr und 20: 55 Uhr verwendet. Die Lernphase nutzt 955 Datensätze vom 20.04. 13: 00 Uhr bis 21.04. 04: 59 Uhr (mit Ausnahme der fünf Datensätze der Referenzphase). Damit werden Störanregungen aus LKW-Verkehr und dem schienengebundenen Personennahverkehr sowie zum Teil auch die aus den bereits erwähnten Bauaktivitäten berücksichtigt. Die Testphase, in der die Schwingungsverläufe in Bezug auf mögliche Veränderungen ausgewertet werden, verlief durchgehend vom 21.04. 05: 00 Uhr bis 26.04. 13: 00 Uhr. Dabei wurden fortlaufend 560 5. Brückenkolloquium - September 2022 Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel 7860 Datensätze ausgewertet und mittels χ²-Test ein skalarer Schadensindikator bestimmt. Der Verlauf des Schadensindikators über die 7860 min (= 5 d + 8 h) ist in Bild 7 dargestellt. Unschwer lässt sich erkennen, dass äußere Einflüsse das Schwingungsverhaltenen der Brücke sehr signifikant beeinflussen und eine Erkennung ggf. eingetretener Steifigkeitsverluste durch das Durchtrennen von Spanndrähten so nicht möglich ist. Das Durchtrennen erfolgte dabei ungefähr zwischen den Datensätzen 3480 - 3660 (23.04.2021), 4800 - 5040 (24.04.2021) und 6300 - 6540 (25.04.2021). In diesen Zeiträumen sind hohe Werte des Schadensindikators erkennbar, was auf die Störeinflüsse der Sägearbeiten und Umgebungseinflüsse zurückzuführen ist. Bild 7: Verlauf SSDD Schadensindikator für 60-Sekunden-Datensätze (Geophone) und kontinuierlicher Monitoringphase in einer ersten Übersichtsuntersuchung Auswertung II - Nutzung ausgewählter Messdaten mit geringer Schwingungsintensität (Geophone): Der Umstand des starken Einflusses äußerer Störanregungen ließ darauf schließen, dass nur eine spezifische Auswertung unter Nichtberücksichtigung der Zeitbereiche mit Störungen zu dem Ziel führten, Schäden zu detektieren. Natürlich auch nur, insofern Schäden im Sinne von Veränderungen physikalischer Größen des Tragwerks denn überhaupt durch das sukzessive Durchtrennen der Spanndrähte induziert wurden. Deshalb wurde die Auswertung auf den Zeitbereich zwischen 0 Uhr und 5 Uhr reduziert und für die Testphase auch nur Datensätze selektiert, die eine geringe Schwingamplitude enthielten, bei denen die Brücke maximal durch PKW-Verkehr angeregt wurde. Für die Referenzphase wurden die gleichen fünf Datensätze in der Zeit zwischen 20.04. 20: 51 Uhr und 20: 55 Uhr verwendet. In der Lernphase wurden 300 Datensätze vom 21.04. 00: 00 Uhr bis 21.04. 04: 59 Uhr verarbeitet. In der Testphase wurden 798 ausgewählte Datensätze vom 22.04. bis 26.04., jeweils zwischen 00: 00 Uhr und 05: 00 Uhr zur Berechnung des Schadensindikators eingesetzt. Dabei stand aufgrund der Auswahlkriterien eine verschieden große Anzahl von Datensätzen pro Nacht zur Verfügung. Bild 8: Verlauf SSDD Schadensindikator, Geophone, Auswahl Daten mit geringen Schwingungsamplituden - vom 22.04. bis zum 26.04., nachts zwischen 0 und 5 Uhr Bild 8 zeigt den Verlauf des Schadensindikators für diese spezifische Auswertung. Dabei wurden die aufeinanderfolgenden Tage mit unterschiedlicher Farbcodierung und verschiedenartigem Marker dargestellt. Auffällig sind zwei signifikante Sprünge zwischen dem 24. und 25.04. sowie zwischen dem 25. und 26.04., die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf sich am jeweiligen Vortag eingestellte Schäden zurückzuführen sind. Gründe für die auffälligen Streuungen am Fr. den 23.04. sind unklar, ggf. sind sie mit Rangiertätigkeiten auf dem Güterbahnhof zu erklären. Einfluss der Temperatur: Während der gesamten Messung wurde der Verlauf der Lufttemperatur im abgeschatteten Bereich unter der Brücke aufgezeichnet (Bild 9, oben). 5. Brückenkolloquium - September 2022 561 Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel Bild 9: Oben: Temperaturverlauf über den gesamten Zeitbereich der Messung, unten - Verlauf Schadensindikator und Temperatur vom 22.04. bis zum 26.04., nachts zwischen 0 und 5 Uhr Um den Einfluss auf das Schwingungsverhalten und damit auf die Schadensdetektion qualitativ bewerten zu können, wird in Bild 9 unten der Verlauf des Schadensindikators und der Temperatur in einem Diagramm dargestellt. Bei der Bewertung muss berücksichtigt werden, dass die Änderung der Bauwerkstemperatur, gegenüber der der Lufttemperatur verzögert und mit deutlich geringeren Amplituden verläuft, so dass die Zunahme der Schadensindikation von der Temperatur abmindernd und nicht verstärkend beeinflusst wird, was eine erfolgreiche Schadensdetektion bestätigt. Auswertung III - Messdaten aus MEMS Beschleunigungssensoren: Die Vorauswertung der Messsignale ergab bereits eine deutliche Untersteuerung der Signale bei ausbleibender Anregung der Brücke durch Fahrzeugverkehr. Damit wurde erkennbar, dass die Sensitivität der gewählten MEMS Sensoren für diese recht steife Tragstruktur nicht ausreichend hoch war. Bild 10 zeigt die Schwierigkeit auf, die auf der Basis von mittels MEMS Sensoren gemessenen Beschleunigungen eine Schädigung zu detektieren. Auch hier dominieren die durch äußere Einwirkungen gestörten Schwingungsverläufe während der Arbeiten an der Brücke (vgl. Bild 10 oben). Aber auch bei Nutzung nur ausgewählter Datensätze ohne Störgeräusche ist eine Schadensdetektion nicht möglich (vgl. Bild 10 oben). Bild 10: Verlauf SSDD Schadensindikator, MEMS, kontinuierliche Monitoringphase über 5 Tage und 8 Stunden (links) sowie mit ausgewählten Messdatensätzen jeweils zwischen 0 Uhr und 5 Uhr (rechts). 2.2.4 Zwischenfazit Als Zwischenfazit in Bezug auf die Auswertung der Schwingungsmessungen können mehrere Aussagen getroffen werden. • Mit dem Schwingungsmonitoring und einem nachgeschalteten schwingungsbasierten Schadensdetektionsverfahren konnte eine sich nach dem Durchtrennen von Spanndrähten eingestellte Veränderung in der Schwingungscharakteristik der Brücke festgestellt werden. Diese ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Rissschäden und damit auf einen Verlust an struktureller Integrität des Tragwerks zurückzuführen (Bild 9). • Die vielen verschiedenen Bau-, Abbruch- und Vorbereitungsaktivitäten wie bspw. Spundwandvibrationsrammen, Fräs-, Bohr- und Stemmarbeiten etc, haben die Schwingungssignale signifikant beeinflusst und eine Auswertung erschwert. Hier wäre es von Vorteil gewesen, bereits deutlich früher, also in „ruhigeren“ Zeiten mit der Aufnahme von Schwingungsdaten für die Referenz zu beginnen. • Werden zur Berechnung des Schadensindikators Messungen mit den empfindlicheren Geophonen verwendet und nur Datensätze, die geringe Schwingungsamplituden und damit keine Störanteile enthalten 562 5. Brückenkolloquium - September 2022 Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel (vornehmlich nachts), ist der Anstieg des Schadensindikators und damit die Entwicklung eines Schadens nachweisbar. Eine Verursachung des Anstiegs durch unterschiedliche Temperaturen zu den jeweiligen Zeitpunkten konnte nachweislich ausgeschlossen werden. • Die gewählten MEMS Beschleunigungssensoren hatten keine ausreichend hohe Sensitivität, so dass sie nicht zur Schadensdetektion herangezogen werden konnten. Hier sind noch weitere Untersuchungen an Laborstrukturen zur Konkretisierung der Einsatzgrenzen im Schwingungsmonitoring von Brückenbauwerken erforderlich und ggf. andere MEMS Technik auszuwählen. Die Auswertung des Datenbestandes ist noch nicht abgeschlossen. Untersuchungen zum Einfluss der Datensatzlänge (z.B. 30s, 60s, 120s - Datensätze) etc. sind noch nicht durchgeführt worden. Weiterhin ist Teil der Zielstellung zu analysieren, mit welcher Anzahl und welcher Positionierung der Sensoren eine Schadensdetektion möglich ist, wenn der Schadensort a priori nicht bekannt ist. 2.3 Monitoring mit faseroptischer Messung 2.3.1 Messprinzip und Grundlagen Faseroptische Messverfahren werden zunehmend für Monitoringaufgaben verwendet. Sie ergänzen herkömmliche Sensorsysteme aufgrund einer Vielzahl von Vorteilen besonders unter kritischen Bedingungen. Während bisher vorwiegend lokale punktförmige Sensoren einzeln oder als Array eingesetzt wurden, bietet die verteilte faseroptische Sensorik die attraktive Möglichkeit, die Faser selbst als Sensor zu nutzen. Erstmalig wurde im Rahmen des hier thematisierten umfangreichen Versuchsprogramms zur Verifizierung des Schadensbilds von Brückenbauwerken eine Kombination dreier verschiedener faseroptischer Messsysteme zur Aufnahme von Dehnungs- und Temperaturprofilen, zur akustischen Schadenserkennung und zur Detektion von Rissereignissen eingesetzt. Zur Aufnahme von Dehnungs- und Temperaturprofilen diente ein Neubrescope der Fa. Neubrex, dass durch die Kombination von Brillouin- und Rayleigh-Rückstreuverfahren Dehnung und Temperatur innerhalb einer Standardglasfaser unabhängig und ortsaufgelöst aufnehmen kann [6]. Die Detektion von Rissereignissen auf der Betonoberfläche erfolgte über ein optisches Rückstreureflektometer OBR 4600 [7], dass die Rayleigh-Rückstreuung mittels eines durchstimmbaren Lasers im Frequenzbereich misst und neben dem Vorteil der verteilten Dehnungs- und Temperaturmessung eine gute Ortsauflösung bietet. Für die akustische Schadenserkennung wurde ein modifiziertes experimentelles Gerät zur verteilten akustischen Sensorik aus einer Eigenentwicklung eingesetzt. Dieses basiert auf der Detektion von Phasenverschiebungen des rückgestreuten Lichts (φ-OTDR), wodurch akustische Signale über große Distanzen erfasst werden können [8][9]. 2.3.2 Messstellenplan und Konzept Ziel der Untersuchungen ist es, mit zerstörungsfreien verteilten faseroptischen Messverfahren Bauwerksschädigung im Rahmen einer definierten Schädigung des Bauwerks zu detektieren und somit die Einsatzmöglichkeiten dieser Messverfahren für das Monitoring von Bauwerken zu evaluieren. Hierzu wurden entsprechend der Abstimmung mit den anderen Beteiligten faseroptische tight-buffered Sensorfasern und -kabel für den Teilversuch I am Längsträger 4 in einem Abstand von ca. 9,0 m und für den Teilversuch II am Längsträger 8 in einem Abstand von ca. 12,0 m symmetrisch mäanderförmig um die Trennschnittstelle appliziert. Weitere Sensorfasern für die Dehnungs- und Risssensorik sowie für die verteilte akustische Sensorik wurden linear als Schleife auf der Brückenober- und -unterseite bis ca. 20 m von der Trennschnittstelle entfernt auf der westlichen und ca. 15 m von der Trennschnittstelle entfernt auf der östlichen Brückenseite geklebt. Die Montage erfolgt mit elastischem Hybridpolymer-Klebstoff, da die Glasfasern nur eine begrenzte Bruchfestigkeit aufweisen und Risse schnell zum Versagen der Faser führen können. Um das parallele Messen der drei einzelnen Messverfahren zu ermöglichen, ist für jedes eine gesonderte Messfaser nötig. Die Anordnung der Messstellen ist schematisch in Abbildung 5.5a dargestellt. Bild 11: Messstellenplan für die verteilte faseroptische Sensorik. Für das Neubrescope ist eine Sensorfaser im Bereich der Mäander vorgesehen. Gemessen wurden auf Grund der langen Messzeiten in den Pausen zwischen den Sägeschnitten. Mittels Rückstreureflektometer OBR 4600 erfolgten die Messungen ebenfalls bei Stillstand der Säge, da Vibrationen das Messergebnis stark verfälschen. Aufgenommen wurden die Daten sowohl im Bereich der mäanderförmig verlegten Sensorfasern als auch in den gerade verlegten Fasern oberhalb und unterhalb der Brücke. Das System für die verteilte faseroptische Sensorik (DAS) nahm wie das OBR 4600 Daten aller Bereiche der Sensorfasern auf. Die Messwerte wurden für insgesamt ca. 30 Minuten jeweils während der Sägeschnitte und danach aufgenommen. 5. Brückenkolloquium - September 2022 563 Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel Bild 12: Übersicht über die Messungen mit dem Neubrescope (Brillouin-Modus) im mäandrierten Sensorbereich beim Teilversuch 1. Die Längenangaben beziehen sich auf die Sensorfaserlänge. Bild 15: Aufgezeichnete Einzelereignisse des faseroptischen DAS-Systems für die verschiedenen Faserabschnitte in, unter und auf der Brücke während des Trennschnitts 4. Tabelle 1. Mit dem DAS-Messsystem aufgezeichnete Anzahl von Ereignissen in verschiedenen Frequenzbereichen im prozentualen Vergleich zur Schallemissionsanalyse. 564 5. Brückenkolloquium - September 2022 Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel Bild 15: Aufgezeichnete Einzelereignisse des faseroptischen DAS-Systems für die verschiedenen Faserabschnitte in, unter und auf der Brücke während des Trennschnitts 4.Messdaten und wesentliche Ergebnisse Tabelle 2. Mit dem DAS-Messsystem aufgezeichnete Anzahl von Ereignissen in verschiedenen Frequenzbereichen im prozentualen Vergleich zur Schallemissionsanalyse (Teilversuch II) 2.3.3 Messdaten und wesentliche Ergebnisse a. Teilversuch I - Bereich mit geringer Vorschädigung Für beide Teilversuche wurden die Dehnungen mit dem Neubrescope im Brillouin-Modus mit einer Ortsauflösung von 20 cm (Abstand zwischen der einzelnen Messpunkten 5 cm) aufgenommen. Ein Offset entlang der y-Achse entspricht der Temperaturänderung während der Dauer der Versuche (1 °C = 20 µm/ m). Die TW- COTDR-Messungen (Ortsauflösung: 10 cm, Abstand zwischen den einzelnen Mess-punkten: 5 cm) beziehen sich auf Referenzmessungen, die an den Messtagen jeweils vor den Versuchen durchgeführt wurden. In beiden Messmodi konnte die Zunahme der Dehnungen durch die entstehenden Risse verfolgt werden. Beim Rückstreureflektometer wurde für die Dehnungsauswertung ein 4 cm Abstand der einzelnen Messpunkte gewählt. Die folgenden Ausführungen zum Dehnungsverlauf beziehen sich vorwiegend auf die Ergebnisse dieser Messungen. Das DAS-System nahm Messwerte für ca. 30 Minuten je-weils während der Sägeschnitte und danach auf. Hierbei können über die gesamte Länge der Sensorfaser Vibrationen mit einer Frequenz von bis zu 40 kHz detektiert werden, Die Dehnungsmessungen über die gesamte Messzeit auf und unter der Brücke ergaben keine wesentlichen Veränderungen. Dehnungsänderungen im Bereich des Stellortes der Säge resultieren vorwiegend aus Veränderungen der lokalen Umgebungsbedingungen (Temperatur, Feuchtigkeit) und liegen im Bereich zwischen -100 µm/ m und +150 µm/ m. Während des Teilversuchs I wurden bereits nach dem Trennschnitt 2 erste Dehnungszuwächse am Mäander West nahe der Sägestelle festgestellt (Bild 12). Beim Trennschnitt 4 konnten gegen 16: 33 Uhr verstärkte akustische Aktivitäten im Schnittbereich festgestellt werden. Bereits davor ab Teilschnitt 3 und ab Teilschnitt 6 deutlich sichtbar, breiteten sich besonders im Mäander Ost Dehnungserhöhungen bis in die vom Schnitt entfernten Faserbereichen aus. Während des Teilschnitts 8 intensivierten sich die akustische Aktivität durch die Fortsetzung der Rissbildung im Mäanderbereich, die auch noch nach Teilschnitt 9 feststellbar waren. Die durch das faseroptische DAS- System aufgezeichnete Anzahl von Ereignissen sind in Tabelle 1 für verschiedene Frequenzbereiche ausgewiesen. Die Bild 15 zeigt beispielhaft den Zeitverlauf einer DAS-Messung. 5. Brückenkolloquium - September 2022 565 Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel b. Teilversuch II - Bereich mit vermuteter Vorschädigung Die Dehnungsmessungen während des Teilversuchs II ergaben über die gesamte Messzeit auf und unter der Brücke keine wesentlichen Veränderungen. Da der Versuchsbereich vorgeschädigt war, konnten bereits nach dem ersten Trennschnitt Dämpfungserhöhungen in den drei ersten Mäanderabschnitten der östlichen und westlichen Fasersektionen festgestellt werden. Eine verstärkte Rissausbreitung wurde zwischen Trennschnitt 3 und 4 detektiert. Akustisch erfasste das DAS-System ab ca. 15: 00 Uhr (Trennschnitt 3) viele hörbare Risse (im unteren Frequenzbereich) vor dem Reißen des Stahls ebenso wie manuelle Aktivitäten im Brückenbereich. Tabelle 2 zeigt für den Teilversuch II die mit der herkömmlichen Schallemissionsanalyse gut vergleichbaren Ergebnisse des faseroptischen DAS-Systems sowie in Bild 16 ein Beispiel von detektierten Einzelereignissen. 2.4 Zwischenfazit Die beiden zur Dehnungs- und Rissensorik eingesetzten Messsysteme haben während der Versuchszeit zuverlässig gearbeitet und Messdaten aufgezeichnet. Das Messregime aller Messsysteme musste jedoch an die örtlichen Gegebenheiten angepasst werden. Besonders bei der Erfassung akustischer Messdaten mit dem DAS-System ist der benötigte Speicherumfang der Rohdaten bei Dauermessungen zu berücksichtigen, da eine anwendungsbezogene Datenreduktion noch nicht implementiert ist. Dies führte zu teilweise fehlenden Messdaten. Die Dehnungsmessungen mit dem Neubrescope zeigen die erwarteten Werte und mit dem System lässt sich eine Dauerüberwachung realisieren. Der Dehnungsverlauf über die Messstrecke kann im Rayleigh-Modus temperaturkompensiert dargestellt werden und Dehnungsüberhöhungen durch Risse lassen sich detektieren. Eine genaue Ortung ist auf Grund der Ortsauflösung von 20 cm bzw. 10 cm aber nicht möglich. Die Messdaten lassen sich online anzeigen und können nach Abschluss einer Einzelmessung interpretiert werden. Faseroptische DAS-Systeme sind genauso wie das Neubrescope für Messaufgaben mit langen Messstrecken konzipiert, bieten ein breites Anwendungsspektrum und vielseitige Analysemöglichkeiten. Durch den sehr hohen Datendurchsatz ist es für ein effektives Arbeiten aber notwendig, auf entsprechende KI-gestützte Auswertealgorithmen, die auf den Anwendungsfall zugeschnitten sind, zurückgreifen zu können. Die Anwendung zur Schallemissionsanalyse an Brücken war ein Sonderfall und entsprechend der Auswerteaufwand sehr hoch. Es konnte eine gute Übereinstimmung mit den Ergebnissen der konventionellen Schallemissionsmessung festgestellt werden. Zur Klassifizierung der Ereignisse, z. B. zur Detektion der Spanndrahtbrüche, sind weiterführende Untersuchungen nötig. Forschungsarbeiten zu verteilten faseroptischen akustischen Messsystemen werden in der BAM intensiv durchgeführt [11]. Für die verteilte Dehnungs- und Rissmessung ist das LUNA OBR, obwohl es vorwiegend für Laborarbeiten gedacht ist, gut geeignet. Allerdings ergeben sich auf Grund des hochauflösenden Messprinzips einige Aspekte, die zu beachten sind: Während des Messvorgangs führen Vibrationen auf der Faser (durch Bewegungen des Messobjekts, Windbelastung) zu Artefakten im aufgenommenen Dehnungsbzw. Temperaturverlauf. Ebenso kann der Bezug auf eine Referenzmessung nur über einen begrenzten Zeitraum gewährleistet werden. Aus diesen Gründen ist meist eine nachträgliche Berechnung des Dehnungs- und Temperaturverlaufs sinnvoll. Dies ist bei Nachfolgeentwicklungen, die für den industriellen Einsatz geeignet sind, weitestgehend gelöst [10]. Sämtliche im Einsatz befindlichen Messgeräte lassen sich kalibrieren bzw. besitzen eine interne Referenzquelle. 3. Schlussfolgerungen und Ausblick Durch Analyse der Unterlagen und den Einsatz des Radarverfahrens gelang es, die Frage nach der Bauart und der Azahl der Spannglieder eindeutig zu beantworten und noch zusätzlichen Informationen zum Bauwerk zu erhalten. Zur Unterstützung der Experimente zur Schadensanalyse und Tragwerksverhalten wurde faseroptische Dehnungssensorik eingesetzt. Diese Arbeiten wurden auch dazu genutzt, unterschiedliche Geräte und neuartige Messtechniken auf ihre Praxistauglichkeit zu überprüfen. Die erfolgreichen Experimenten zeigten beispielsweise, dass auch Schallereignisse wie Spanndrahtbrüche durch Faseroptik registriert werden können. Zusätzliche wurde die Brücke mit Vibrationssensorik, sowohl nach Stand der Technik mit Geophonen also auch mit innovativen MEMS-Beschleunigungsaufnehmern instrumentiert. Die Auswertung erfolgte dabei nicht klassisch über eine Modalanalyse, sondern mittels neu entwickleter statistischer Verfahren. Obwohl diese Methoden eher zur Detektion von globalen Änderungen im Tragwerksverhalten geeignet sind, konnten doch auch die durch die provozirerten Spanndrahtbrüche verursachten lokalen Schwächungen der betroffenen Längsträgerbereiche nachgewiesen werden. Alle drei vorgestellten Verfahrten ahben sich bei den Versuchen an der Brücke Altstädter Bahnhof in Brandenburg/ H. bewährt. Die nächsten Schritte für eine verstärkte Nutzung in der Praxis liegen in der Validierung für andere Fragestellungen, der Personalqualifikation und Standardisierung. 4. Danksagung Die hier beschriebenen Arbeiten werden vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (verantw. Prof. Gero Marzahn) gefördert . Die Koordination der Messungen mit den andern Teilprojektenlag beim Landesbetrieb Straßenwesen (Verantw. Herr Felix Kaplan). Allen betei- 566 5. Brückenkolloquium - September 2022 Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel ligten Kolleg: innen sei ausdrücklich für die hervorragende Zusammenarbeit gedankt. 7. Literatur [1] Merkblatt über das Radarverfahren zur Zerstörungsfreien Prüfung im Bauwesen. B10. Deutsche Gesellschaft für zerstörungsfreie Prüfung e. V. Ausgabe 2008. [2] Kind, Th., und Maierhofer, Ch.: Das Impulsradarverfahren - ein Verfahren zur zerstörungsfreien Strukturaufklärung in Bauwerken. Bauphysik-Kalender 2004. Ernst & Sohn 2004. [3] Kind, Th.; Feistkorn, S.; Trela, Ch. und Wöstmann, J., Impulsradar für schadensfreie Kernbohrungen an Spannbetonbrücken. Beton- und Stahlbetonbau 104 (2009), Heft 12, S. 876-881. [4] Kind, Th. und J. Wöstmann: Kombinierte Radar- und Ultraschalluntersuchungen zum schadfreien Kernbohren im Zuge einer Verstärkung , Beton- und Stahlbetonbau 107 (2012) 4, S. 255-261 [5] Hille, F., Unterraumbasierte Detektion von Strukturschäden an Jacket-Gründungen von Offshore- Windenergieanlagen. Dissertation, TU Berlin, 2018. [6] Winkler 2019]Winkler, M., Monsberger, C., Lienhart, W., Vorwagner, A., Kwapisz, M. (2019). Assessment of crack patterns along plain concrete tunnel linings using distributed fiber optic sensing. In Proceedings of the 5th International Conference on Smart Monitoring, Assessment and Rehabilitation of Civil Structures 2019 [7] Luna Innovations Inc. (2019). OBR 4600 Optical Backscatter Reflectometer. Datasheet. https: / / lunainc.com/ sites/ default/ files/ assets/ files/ resourcelibrary/ LUNA-Data-Sheet-OBR-4600-V2.pdf [8] Park, J.; Taylor, HF. (2003). Fiber Optic Intrusion Sensor using Coherent Optical Time Domain Reflectometer. In Japanese Journal of Applied Physics. Juni 2003; 42(Part 1, No. 6A): 3481-3482. https: / / doi.org/ 10.1143/ jjap.42.3481 [9] Taylor, HF.; Lee, Ch. E. (1993). Apparatus and method for fiber optic intrusion sensing (US 5194847A). United States Patent. https: / / patentimages.storage.googleapis.com/ 50/ 68/ e7/ 7bff4f28e- 28b5e/ US5194847.pdf [10] [Luna Innovations Inc. (2021). ODiSI 6000 Series, Optical Distributed Sensor Interrogators. Datasheet. https: / / lunainc.com/ sites/ default/ files/ assets/ files/ data-sheet/ LUNA ODiSI 6000 0Data Sheet. pdf [11] Lu X.; Chruscicki, S.; Schukar, M.; Münzenberger, S.; Krebber, K. (2022). Application of Intensity- Based Coherent Optical Time Domain Reflectometry to Bridge Monitoring. Sensors 2022, 22, 3434. https: / / doi.org/ 10.3390/ s22093434